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Architekt Paul Baumgarten (1900-1984)

Schwarz-weoiß Fotografie eines ältere Mannes. Der Architekt Paul Baumgarten am 24. April 1969.

Paul Baumgarten (dpa-Bildarchiv)

Nur zufällig soll der Architekt Paul Baumgarten in seinen Entwurf für das Reichstagsgebäude einen Platz für einen Plenarsaal eingezeichnet haben. Der Architekten-Wettbewerb für die Wiederherstellung, den der Bundestag Mitte der 50er Jahre auslobte, sah einen Plenarsaal auch gar nicht vor.

Das Parlament in Bonn beschloss damals, den Reichstag für „parlamentarische Zwecke“ wieder herzustellen. Welche Funktion das ehemalige Parlamentsgebäude im geteilten Deutschland aber haben sollte, blieb offen.

Als der Architekt 1961 mit den Bauarbeiten begann, war nicht mehr viel übrig vom alten Reichstag. Gerade die Grundmauern und die Inschrift „Dem Deutschen Volke“ hatten den Krieg überlebt. Baumgarten tilgte den Rest preußischer Pracht und gestaltete den Bau in der nüchternen Formensprache der 60er Jahre.

Nutzbarmachung der Kriegsruine

Baumgarten fand das imposante Gebäude, das bis Ende Februar 1933 als Parlament genutzt wurde, als Kriegsruine vor. Die Kuppel zerschossen, das Gemäuer rußgeschwärzt. Auf den Freiflächen drum herum hatten die hungernden Menschen Rüben und Kartoffeln angepflanzt. Zu Beginn der fünfziger Jahre wurde die Ruine enttrümmert, die Reste der Kuppel wurden aus Sicherheitsgründen 1954 abgetragen. Gleich hinter dem Ostportal verlief die deutsch-deutsche Grenze. Der Reichstag wurde so mehr und mehr zum Symbol für das geteilte Deutschland.

Der Architekt Paul Baumgarten

Paul Gotthilf Reinhold Baumgarten wurde 1900 in Tilsit geboren. Von 1919 bis 1924 studierte er in Danzig und Berlin Architektur und trat anschließend in das Büro von Mebes & Emmerich ein. 1929 eröffnete er sein eigenes Architekturbüro. Von 1937 bis 1945 leitete er das Hochbaubüro der Holzmann AG. Ab 1943 lehrte er an der Hochschule der Künste Berlin, von der  er 1952 zum Professor berufen wurde. In den Jahren 1950 bis 1970 baute er markante Gebäude in West-Berlin. Neben der Umgestaltung des Reichstages und des Schillertheaters entstanden nach seinen Entwürfen unter anderem das so genannte Eternithaus in Berlin-Tiergarten und der Konzertsaal der Hochschule der Künste. Baumgarten starb 1984 in Berlin.

Spröder Charme

Der Umbau des Reichstages nach dem Krieg zog sich lange hin, länger als der Neubau von 1884 bis 1894. Im Jahr 1961 begonnen, wurde das Gebäude 1973 durch einen formalen Verwaltungsakt dem Deutschen Bundestag übergeben. Baumgartens Umbau erscheint heute sehr rigoros. Er verzichtete auf den Wiederaufbau der Kuppel und kürzte die vier Ecktürme um ein Geschoss. Die Fassade wurde von allem Stuck befreit. Im Inneren ließ Baumgarten die noch vorhandenen Originalwände mit einfachen Platten verkleiden, Decken wurden tiefer gehängt und neue Zwischengeschosse eingezogen. Gerade Linien und glatte Flächen dominierten, die Räume sollten hell und offen wirken. Er vergrößerte den Plenarsaal und öffnete ihn für das Tageslicht. Wie später beim Umbau durch den britischen Architekten Foster steht die Verglasung für Transparenz. Mit seiner zeitgenössischen Bauweise, die international auf Anerkennungstieß, setzt sich Baumgarten bewusst von der Vergangenheit ab. Sein Reichstagsgebäude sollte für die neue parlamentarische Demokratie stehen.

Plenarsaal ohne Plenum

Bundestagssitzungen in Berlin waren in der Viermächte-Stadt Berlin nicht erlaubt, nur Fraktions- und Ausschusssitzungen durften stattfinden. Am 21. März 1971 wurde im Reichstag die Ausstellung des Bundestages „Fragen an die Deutsche Geschichte“ eröffnet und damit kamen viele tausend Besucher in das Gebäude. Der Plenarsaal, der den Abgeordneten beider deutscher Staaten oder eines wieder vereinigten Deutschlands hätte Platz bieten können, blieb zur Mahnung an die ungelöste deutsche Frage meistens leer. Seine historische Stunde kam tatsächlich am 4. Oktober 1990, als das erste gesamtdeutsche Parlament zu seiner ersten Sitzung im Reichstagsgebäude zusammentrat.

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