Plenarprotokoll 18/2 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 2. Sitzung Berlin, Montag, den 18. November 2013 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Brigitte Zypries 23 A Erweiterung der Tagesordnung 23 D Begrüßung der Botschafterin der Philippinen, Frau Maria Natividad 23 D Wirbelsturm auf den Philippinen 23 D Tagesordnungspunkt 1: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: Gipfel der Östlichen Partnerschaft am 28./29. November 2013 in Wilna 24 B Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin 24 B Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) 27 A Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) 29 B Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 30 D Volker Kauder (CDU/CSU) 32 B Michael Roth (Heringen) (SPD) 34 A Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 35 C Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) 36 B Dr. Katarina Barley (SPD) 37 D Thomas Silberhorn (CDU/CSU) 39 A Stefan Liebich (DIE LINKE) 40 B Philipp Mißfelder (CDU/CSU) 41 B Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 42 B Tagesordnungspunkt 2: Vereinbarte Debatte: zu den Abhöraktivitäten der NSA und den Auswirkungen auf Deutschland und die transatlantischen Beziehungen 43 B Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister BMI 43 B Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) 45 C Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) 47 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 50 C Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) 52 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 54 B Thomas Oppermann (SPD) 55 B Stefan Liebich (DIE LINKE) 56 A Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 57 A Dr. Günter Krings (CDU/CSU) 58 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 59 D Dr. Eva Högl (SPD) 60 C Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) 61 C Lars Klingbeil (SPD) 63 B Peter Beyer (CDU/CSU) 64 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) 66 B Jan Korte (DIE LINKE) (zur Geschäftsordnung) 67 C Thomas Oppermann (SPD) (zur Geschäftsordnung) 68 D Zusatztagesordnungspunkt 1: Antrag der Fraktion DIE LINKE: Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 18/54) 69 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktion DIE LINKE: Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen (Drucksache 18/53) 69 D Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) 70 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 73 A Inhaltsverzeichnis 2. Sitzung Berlin, Montag, den 18. November 2013 Beginn: 13.30 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zur 2. Sitzung des Deutschen Bundestages in der 18. Legislaturperiode. Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, habe ich Ihnen einige Mitteilungen zu machen. Ich beginne mit der rundum erfreulichen Mitteilung, dass die Kollegin Brigitte Zypries am vergangenen Samstag einen runden Geburtstag feiern konnte. (Beifall) Ich gratuliere ihr im Namen des ganzen Hauses auch auf diesem Wege noch einmal herzlich und wünsche ihr alles Gute für das neue Lebensjahr. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es eine interfraktionelle Verständigung gibt, den bereits am 21. März dieses Jahres im Ältestenrat vereinbarten vorläufigen Zeitplan für das Jahr 2014 zu bestätigen. Mit „vorläufiger Zeitplan“ sind selbstverständlich die Sitzungswochen des Bundestages im Jahre 2014 gemeint. – Dazu gibt es eine Wortmeldung. Herr Kollege Gysi, bitte. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Wortmeldung ist natürlich nicht dazu, sondern ich missbrauche mein Recht. Denn eines geht nicht, und zwar, dass hier nicht erwähnt wird, dass Sie am vergangenen Samstag 65 Jahre alt geworden sind. Meine herzlichen Glückwünsche, ich glaube, im Namen des ganzen Hauses! (Beifall) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Gysi, ich bedanke mich sehr. Es wäre natürlich schon gegangen. Im Unterschied zu manch anderem bestünde hierfür keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit. (Heiterkeit) Umso mehr beeindruckt mich Ihre Kurzintervention. Wenn wir das während der Legislaturperiode auf diesem Niveau durchhalten könnten, wäre das schon einmal eine Perspektive. (Heiterkeit und Beifall) Damit ist jedenfalls der Sitzungsplan für das Jahr 2014 beschlossen. Das schließt im Übrigen natürlich nicht aus, dass wir durch Vereinbarungen noch einmal Korrekturen vornehmen könnten. Jeder kann sich aber darauf einstellen, wann im nächsten Jahr Sitzungswochen einzuplanen sind. Darüber hinaus gibt es eine interfraktionelle Vereinbarung, die für heute vereinbarte Tagesordnung um die Anträge der Fraktion Die Linke zur Einsetzung von Ausschüssen sowie zur Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen auf den Drucksachen 18/53 und 18/54 zu erweitern. Beide Anträge sollen als Zusatzpunkte im Anschluss an den -Tagesordnungspunkt 2 aufgerufen und dann ohne Aussprache abgestimmt werden. Sind Sie auch damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich Tages-ordnungspunkt 1 aufrufe, möchte ich auf der Ehrentribüne die Botschafterin der Philippinen, Frau Maria -Natividad, begrüßen (Beifall) und unsere Gedanken von den Aufgaben und Herausforderungen im eigenen Land in jenen Teil der Welt lenken, der am Freitag vor einer Woche vom tropischen Wirbelsturm „Haiyan“ heimgesucht wurde. Dieser Taifun war einer der stärksten, der jemals von Meteorologen registriert wurde, und hat auf den Philippinen schwerste Verwüstungen angerichtet – ganz besonders auf den Inseln Samar und Leyte. Die Bilder, die uns in den letzten Tagen erreicht und erschüttert haben, zeigen Städte und Landschaften, die in einem geradezu apokalyptischen Ausmaß zerstört sind. Besonders schlimm hat es die Stadt Tacloban getroffen, die völlig zerstört worden ist. Aber auch in anderen -Teilen der Philippinen sind Millionen Menschen vom Sturm betroffen. Nach Schätzungen der Behörden sind mehrere Tausend Tote zu beklagen. Die materiellen Schäden sind noch gar nicht abzuschätzen, aber schon jetzt ist offensichtlich, dass viele, sehr viele Menschen ihre Existenzgrundlage verloren haben. Die Menschen auf den Philippinen brauchen jetzt vor allem Hilfe – schnell und konkret. Schon unmittelbar nach den ersten Meldungen über die Katastrophe haben Regierungen und Hilfsorganisationen aus aller Welt ihre Hilfe zugesagt. Auch die Bundesregierung hat rasch Hilfsgüter zur Verfügung gestellt, um die erste Not zu lindern. Zahlreiche Helfer aus Deutschland sind bereits vor Ort oder auf dem Weg, um den Menschen zu helfen. Viele Menschen in unserem Land beteiligen sich mit beachtlichen Spenden an den Bemühungen zur Bewältigung der riesigen Probleme und Aufgaben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen auf den Philippinen machen in diesen Tagen eine unendlich schwere Zeit durch. Wir in Deutschland können das Leid nur erahnen, aber nicht ermessen. Aber wir wollen Ihnen, Frau Botschafterin, deutlich machen, dass wir in unseren Gedanken bei Ihnen und bei den Menschen in Ihrem Land sind und nach Kräften dabei helfen wollen, Schäden zu beseitigen und Leid zu lindern. Unsere Trauer und Anteilnahme gilt den Angehörigen der Opfer, unser Mitgefühl den betroffenen Menschen und unser Dank und Respekt all denen, die nach Kräften helfen; manche auch über ihre Kräfte hinaus. Vielen Dank. (Beifall) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin Gipfel der Östlichen Partnerschaft am 28./29. November 2013 in Wilna Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir am Ende der Debatte befinden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 94 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Botschafterin, auch im Namen der Bundesregierung möchte ich noch einmal die herzlichen Wünsche an das philippinische Volk von diesem Ort aus überbringen. Der Bundesaußenminister steht in ständigem Kontakt. Ich habe mit dem Präsidenten Aquino persönlich telefoniert. Sie dürfen wissen, dass wir alles, was in unseren Möglichkeiten steht, tun werden, um dem philippinischen Volk in dieser schweren Stunde zur Seite zu stehen. (Beifall im ganzen Hause) Meine Damen und Herren, in zehn Tagen wird in Vilnius der dritte Gipfel der Östlichen Partnerschaft stattfinden. Auf Einladung der litauischen Ratspräsidentschaft, der Präsidentin Dalia Grybauskaite, treffen dort alle Mitgliedstaaten der EU mit den Vertretern der sechs osteuropäischen Partnerländer Moldau, Georgien, Armenien, Ukraine, Weißrussland und Aserbaidschan zusammen. Ich werde an diesem Gipfel wie an den beiden früheren Gipfeln in Prag und Warschau teilnehmen. Mit meiner Teilnahme möchte ich die Verbundenheit Deutschlands und der gesamten Europäischen Union mit unseren östlichen Nachbarn unterstreichen. Es ist unser gemeinsames strategisches Interesse, die Weiterentwicklung dieser Länder zu fördern, die Transformation in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte und gute Regierungsführung zu unterstützen und die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder zu stärken. Ich sehe in der Östlichen Partnerschaft ein großes -Potenzial. Sie ist ein eigenständiges Instrument europäischer Politik, das unseren osteuropäischen Nachbarn eine völlig neue Qualität der Annäherung ermöglicht. Sie steht neben anderen strategischen Partnerschaften, die der Europäischen Union wichtig sind, wie etwa der Partnerschaft mit Russland oder den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen wie zum Beispiel mit den Vereinigten Staaten von Amerika. An dieser Stelle möchte ich aus aktuellem Anlass auch wenige Sätze zu Amerika sagen. Die Beratungen mit Amerika zeigen, dass solche Verhandlungen zum Beispiel über Freihandelsabkommen immer mehr sind als Beratungen über Wirtschaft und freien Handel; es geht bei solchen Verhandlungen immer auch um Vertrauen. Deutschland und Amerika teilen gemeinsame Erfahrungen, Werte und Interessen. Wir stehen gemeinsam für freiheitliche, offene und demokratisch verfasste Gesellschaften. Das transatlantische Verhältnis und damit auch die Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen werden gegenwärtig ganz ohne Zweifel durch die im Raum stehenden Vorwürfe gegen die USA um millionenfache Erfassung von Daten auf eine Probe gestellt. Die Vorwürfe sind gravierend; sie müssen aufgeklärt werden. Und wichtiger noch: Für die Zukunft muss neues Vertrauen aufgebaut werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Das kann nur durch Transparenz einerseits und das Bewusstsein andererseits geschehen, dass das transatlantische Verhältnis für beide Partner – ich betone: für beide Partner –, gerade aber auch für Deutschland wesentlicher Garant unserer Freiheit und unserer Sicherheit ist. Ich sage deshalb ausdrücklich: Trotz allem sind und bleiben das deutsch-amerikanische und das transatlantische Verhältnis von überragender Bedeutung für Deutschland und genauso für Europa. Meine Damen und Herren, das steht im Übrigen in keiner Weise im Gegensatz dazu, dass Deutschland und Europa größtes Interesse an weiteren Instrumenten europäischer Politik haben. Dazu gehört auch die Östliche Partnerschaft. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Östliche Partnerschaft ist kein Instrument der EU-Erweiterungspolitik. Es geht im Rahmen der Östlichen Partnerschaft nicht um EU-Beitrittsperspektiven; es geht vielmehr darum, unsere Partner bei der Demokratisierung und Modernisierung zu unterstützen, indem wir politische Annäherung und wirtschaftliche Integration anbieten. Dabei lassen wir uns von den Grundsätzen der Konditionalität und der Differenzierung leiten. Das heißt, dass die Länder, die auf dem Weg zu Demokratie und Rechtsstaat mehr oder weniger voranschreiten, auch unterschiedlich behandelt werden und damit unterschiedlich von der EU-Förderung und der Kooperation profitieren können. Drei Punkte sind in diesem Zusammenhang besonders wichtig: erstens eine erfolgreiche Transformation unserer Partnerländer, zweitens ihre souveräne Entscheidung über ihre politische Ausrichtung und drittens die Kontakte von Mensch zu Mensch. Eine gute wirtschaftliche und politische Entwicklung unserer östlichen Nachbarn ist von großer Bedeutung, und zwar nicht nur für unsere Partner, sondern auch für die Stärke und den Wohlstand der Europäischen Union. Auch deshalb müssen wir unser Engagement für unsere Nachbarn entschlossen fortsetzen. Unsere Partnerschaft verpflichtet nämlich beide Seiten: Wir wollen den wirtschaftlichen Austausch und die Kontakte zwischen unseren Gesellschaften, zwischen der EU und ihren Partnern wie auch zwischen den Partnern untereinander. Den Zivilgesellschaften in den östlichen Partnerländern kommt in diesem Prozess eine entscheidende Rolle zu. Sie müssen diesen Wandel tragen, fordern und fördern. Sie sollen die politische Annäherung ihrer Länder an die EU und die Chancen der wirtschaftlichen Integration erleben und gestalten können. Dieser besondere Schwerpunkt nicht nur im Bereich der Regierungszusammenarbeit, sondern ebenso des Zusammenwirkens der Menschen drückt sich auch darin aus, dass beides, die wirtschaftliche Kooperation und die Zusammen-arbeit der Zivilgesellschaften, elementare Bestandteile der Östlichen Partnerschaft sind. Dafür haben wir bestimmte Instrumente in der Hand. Sie klingen oftmals sehr technisch, aber sie bedeuten in jedem einzelnen Fall konkrete Verbesserungen des Zusammenlebens. Dazu gehören Assoziierungs- und Freihandelsabkommen ebenso wie Erleichterungen in Visa-fragen. Wesentlich für das gegenseitige Verständnis ist die Teilnahme junger Menschen aus den östlichen Partnerländern an EU-Programmen wie ERASMUS und anderen. All diese Elemente tragen zu einer zunehmenden Orientierung der östlichen Partner an unseren Werten und unseren Standards bei. Auf dem kommenden Gipfel wollen wir mit Moldau und Georgien Assoziierungs- und umfassende Freihandelsabkommen paraphieren. Beide Länder haben in den vergangenen Jahren eine insgesamt positive Entwicklung genommen. In Georgien kam es zu einem friedlichen Regierungswechsel durch demokratische Wahlen und einer Verbreiterung des gesellschaftlichen Konsenses über die Ausrichtung des Landes. Die Republik Moldau hat unter den östlichen Partnern trotz mancher innenpolitischer Turbulenzen die vielleicht größte Entschlossenheit bei der Verabschiedung und Umsetzung von Reformen gezeigt. Damit die anstehende Paraphierung der Assoziierungs- und Freihandelsabkommen auch rasch wirksam werden kann, haben wir uns beim letzten Europäischen Rat in Brüssel dazu verpflichtet, die Voraussetzungen für eine anschließende Unterzeichnung schnellstmöglich zu schaffen. Unsere Beziehungen zu Moldau und Georgien werden dadurch enger denn je. Die ausgehandelten Verträge ermöglichen es diesen Ländern, eine Annäherung an die EU von bislang einmaliger Tiefe und auch Themenbreite zu erreichen. Sie gewähren Chancen zur wirtschaftlichen Entwicklung, zur Modernisierung der Gesellschaften und der Staatswesen sowie zur Unterstützung beim Aufbau eines modernen Rechtsstaats. Dieser wiederum kann die rechtlichen Rahmenbedingungen für Investitionen und Handel, aber auch für den Kampf gegen Korruption stärken. Das sind die Chancen, die der Abschluss eines Assoziierungs- und Freihandelsabkommens mit der Europäischen Union für ein Land der Östlichen Partnerschaft bieten kann. Eine solch enge Anbindung an die EU bringt jedoch auch Verpflichtungen mit sich. Das ist vor allem die Verpflichtung zur Implementierung dessen, was wir vereinbart haben. Das Freihandelsabkommen verpflichtet unsere Partner zum Beispiel zur Übernahme europäischer Standards. Dies ist zum Teil eine große Herausforderung für die Volkswirtschaften der betroffenen Länder, die – und da dürfen wir uns wirklich nichts vormachen – viele Jahre in Anspruch nehmen wird. Wirtschaft ist dabei nur ein wichtiges Kapitel in den Assoziierungsabkommen. Ebenso wichtig ist, dass die Assoziierungsabkommen ihre Unterzeichner zur Wahrung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten verpflichten. Das führt uns natürlich zu unseren Beratungen mit der Ukraine. Allein schon die Größe verleiht der Ukraine besonderes Gewicht innerhalb der Östlichen Partnerschaft. Mit ihr ist die EU in der Gestaltung ihrer neuen vertraglichen Beziehungen am weitesten fortgeschritten. Wir haben der Ukraine in der Vergangenheit immer deutlich gemacht, dass die neue vertragliche Qualität der Zusammenarbeit, dass die gemeinsame Verpflichtung auf europäische Werte wie Demokratie, Rechtsstaat und Bürgerfreiheiten mehr als ein Lippenbekenntnis sein muss. Die EU-Außenminister haben beim Außenrat im Dezember 2012 insbesondere drei Bereiche genannt, in -denen Fortschritte nötig sind: erstens bei der Reform der Wahlgesetzgebung, zweitens bei Schritten zur Beendigung der sogenannten selektiven Justiz, wofür symbolhaft der Fall von Julija Timoschenko steht, und drittens bei der Implementierung der Assoziierungsagenda. Ich möchte an dieser Stelle erneut betonen: Wir erwarten von der Ukraine glaubhafte Schritte zur Erfüllung der Voraussetzungen für eine Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens. Wir erwarten, dass dieser Prozess nachhaltig und unumkehrbar umgesetzt wird. Es steht außer Zweifel, dass die Ukraine weiterhin vor großen Reformanstrengungen im Innern steht. Eine zusätzliche enorme Herausforderung für die Ukraine ist die Haushaltskonsolidierung. Ohne solide Finanzen wird es das Beistandsabkommen mit dem IWF nicht geben können. Wir glauben, dass ein solches Beistandsabkommen mit der Ukraine dringend notwendig wäre. Daran hängen auch die substanziellen bilateralen Kredite der EU als Makrofinanzhilfe, insgesamt mehr als eine halbe Milliarde Euro. Hier ist unser stetiger Rat an die Ukraine, die nötigen Reformen zu unternehmen. Diese Schritte können wir der ukrainischen Regierung nicht abnehmen. Sie müssen auch unabhängig von der Unterzeichnung des Assoziierungs- und Freihandelsabkommens unternommen werden. Wir wissen, dass Reformen nicht von heute auf morgen vollständig umgesetzt werden können. Wir möchten auch die Ukraine bei ihren Reformen mit Kooperationsangeboten und mit finanziellen Mitteln der Europäischen Nachbarschaftspolitik unterstützen, aber die Voraussetzungen dafür muss die Ukraine selbst schaffen, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt. In diesen Tagen – ich sagte ja, es sind noch zehn Tage bis zu dem Gipfel – findet eine Vielzahl von Gesprächen statt, ebenso Beratungen im ukrainischen Parlament. Heute muss ich Ihnen hier sagen: Es ist noch nicht abzusehen, ob die Ukraine willens ist, die Voraussetzungen für eine mögliche Unterzeichnung zu schaffen. Heute und morgen debattiert auch der Außenministerrat in Brüssel über genau dieses Thema. Wenn die Ukraine unsere Erwartungen erfüllt und wir somit unterzeichnen können, dann könnten wir der Ukraine nicht zuletzt über eine breite vorläufige Anwendbarkeit des Abkommens auch für den Fall den Rücken stärken, dass sie sich mit Nachteilen seitens Russlands konfrontiert sieht. Wir wissen, dass die Entscheidung für die Anbindung an die Europäische Union nicht nur der Ukraine, sondern unseren Partnern insgesamt nicht leichtfällt. In den letzten Monaten sahen sich einige von ihnen zum Teil erheblichem Druck ausgesetzt. Ich werde mich deshalb auch in Vilnius dafür einsetzen, dass die EU diesem Druck konkrete Chancen und gelebte Solidarität entgegensetzt, sei es durch zusätzliche Absatzmöglichkeiten für Produkte unserer Partner, die zum Beispiel nicht nach Russland eingeführt werden dürfen, oder durch Hilfe bei der breiteren Aufstellung ihrer Energieversorgung. Um es klar zu sagen: Die Länder entscheiden allein über ihre zukünftige Ausrichtung. Ein Vetorecht Dritter kann es nicht geben. Das ist unser Verständnis der uneingeschränkten gegenseitigen Achtung der Entscheidungsfreiheit, wie sie in der OSZE-Charta festgeschrieben ist. Ich habe diese Frage auch in meinen Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin immer wieder thematisiert. Ich habe wiederholt deutlich gemacht, dass sich weder die Östliche Partnerschaft noch die bi-lateralen vertraglichen Beziehungen, die die EU mit -ihren Partnern abschließen will, gegen Russland richten. Im Gegenteil: Von der Stärkung und Modernisierung der Volkswirtschaften unserer osteuropäischen Partner würde, so ist unser Verständnis, auch Russland profitieren. Die EU hat immer wieder Gesprächsangebote an Russland gerichtet, um die beiderseitigen Vorteile einer Kooperation herauszuarbeiten. Wir müssen – das ist meine tiefe Überzeugung – weiter daran arbeiten, dass es kein Entweder-oder zwischen einer Annäherung der Länder der Östlichen Partnerschaft an die EU und dem russischen Bemühen um eine engere Partnerschaft mit diesen Ländern geben sollte. Die EU hat Russland dafür Vorschläge unterbreitet, über die wir schnellstmöglich sprechen müssen. Armenien hat sich in dieser Situation für den Beitritt zur Zollunion Russlands, Weißrusslands und Kasach-stans und damit gegen die Paraphierung des ausgehandelten Assoziierungs- und Freihandelsabkommens mit der EU entschieden. Selbstverständlich akzeptieren wir diese Entscheidung. Gleichzeitig werden wir Wege für eine künftige Zusammenarbeit der EU mit Armenien finden. Sie wird nicht die besondere Qualität der Kooperation mit Georgien oder Moldau haben, aber Armenien bleibt ein wichtiger östlicher Partner. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein Wort zu Weißrussland sagen: Dies ist und bleibt das schwierigste Kapitel im Bereich der Östlichen Partnerschaft. Seit der erneuten Repression im Zuge der Präsidentschaftswahlen im Dezember 2010 sind unverändert politische Gefangene in Haft. Bürger, die sich um Pluralität in dieser Gesellschaft bemühen, wurden hinter Gitter gebracht. Ich denke unter anderem an Ales Beljazki, den Träger des Menschenrechtspreises des Europarates. Wir alle stehen dafür ein, dass diese Menschen wieder frei reden, handeln und agieren können. (Beifall im ganzen Hause) Auch mit Weißrussland wollen wir die Zusammenarbeit wieder vertiefen, aber das kann nur gelingen, wenn die politischen Gefangenen freigelassen und rehabilitiert werden. Es wäre sehr bedeutend, wenn der Gipfel in Vilnius hier ein Hoffnungszeichen setzen könnte. Meine Damen und Herren, dieser Gipfel ist eine wichtige Bestätigung unseres Angebots der politischen Anbindung und wirtschaftlichen Integration an die östlichen Partner. Mindestens ebenso wichtig ist, dass wir in der Folge gemeinsam das Potenzial nutzen, das uns diese Partnerschaft bietet. Wir haben viele Kooperationsfelder aufgeschlossen, aber wir müssen weiter nachhaltige Fortschritte erreichen. Der möglichen Unterschrift bzw. Paraphierung eines Assoziierungs- und Freihandelsabkommens müssen konsequente Umsetzungen folgen. Die Visaaktionspläne zeigen auf, was nötig ist, um langfristig das Ziel der Befreiung von der Visumpflicht zu erreichen. Die regionale Kooperation bietet viele Möglichkeiten, voneinander zu lernen. Der Gipfel in Vilnius wird ein wichtiger Meilenstein auf dem Transformationspfad unserer Partner im Osten sein. Er wird einen Weg in die Zukunft zeigen, aber er wird auch deutlich machen, welche Arbeit noch vor uns liegt. Die Schatten des Kalten Krieges sind nach wie vor existent, und es ist unsere Aufgabe – gerade auch die Aufgabe Deutschlands –, einen Beitrag dazu zu leisten, dass der Kalte Krieg für alle vorbei ist, auch für unsere östlichen Partner. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, für meine Fraktion auf die Bundeskanzlerin antworten zu können. Die Reihenfolge der Redner ist schon so, wie sie bei einer eventuellen Großen Koalition sein wird. Offensichtlich gehen CDU/CSU und SPD davon aus, dass ihre Verhandlungen wie auch der Mitgliederentscheid der SPD erfolgreich sein werden, obwohl man im Moment vom Koalitionsvertrag vor allen Dingen viel Nebel kennt. Die Oppositionsführerschaft bringt für die Fraktion Die Linke eine besondere Verantwortung. Ich kann den Menschen in unserem Land versprechen, dass wir alles daransetzen werden, dieser Verantwortung gerecht zu werden. (Beifall bei der LINKEN) Beginnen will ich damit, dass es ein Unding ist, dass wir heute die erste Sitzung des Bundestages – einmal abgesehen von der Wahl des Präsidiums – seit Juni haben. (Widerspruch des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]) Ja, wir hatten eine Bundestagswahl. Ich hoffe, dass das Gerücht nicht stimmt, dass die Frau Bundeskanzlerin eine geheime Absprache mit der FDP hat, so lange zu verhandeln, bis die Legislaturperiode zu Ende ist. Ich hoffe, dass das wirklich nicht den Tatsachen entspricht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wäre es mal mit dem Thema?) Fakt ist: Sie machen mit Ihren Koalitionsverhandlungen das Parlament zur Geisel. Sind das bereits die Vorboten der Großen Koalition? Wir erwarten nichts anderes als Respekt gegenüber dem Parlament. Nicht die amtierende Bundesregierung und auch nicht eine Bundesregierung in spe, sondern der Deutschen Bundestag ist der Souverän. (Beifall bei der LINKEN) Wie wollen Sie den Menschen, die uns gewählt haben, erklären, dass Sie uns nicht arbeiten lassen? Dies trifft im Übrigen auf die Oppositionsabgeordneten wie auch auf die meisten Regierungsabgeordneten zu. Wir alle werden hier nicht fürs Rumsitzen bezahlt. Ich sehe nicht, dass der heutige Sitzungstag dem Anspruch, als Parlamentarier aktiv zu werden, gerecht wird. Es ist gut, vor dem Gipfel über die osteuropäische Partnerschaft zu sprechen. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ah!) Es muss jedoch die Frage erlaubt sein, warum wir uns heute damit beschäftigen, jedoch nicht mit den Themen, die vielen, vielen Menschen noch viel mehr auf den Nägeln brennen, abgesehen von der NSA-Debatte, die ja, seitdem es das Handy der Bundeskanzlerin betrifft, von der Regierung nicht mehr totgeschwiegen oder für beendet erklärt werden kann. Das ist aber bei weitem nicht das einzige Thema, dem wir uns widmen müssen. Dringend wäre geboten, die schwache Binnenkonjunktur in Deutschland zu behandeln, die Gefahr einer dauerhaften Depression oder Deflation in Europa, die Enteignung der Kleinsparer durch negative Realzinsen, die Bankenunion oder – die Bundeskanzlerin hat ein paar Worte dazu gesagt – das Freihandelsabkommen mit den USA. Darüber müssen wir wirklich einmal reden, und zwar auch kontrovers. Das alles sind Themen, die die Mehrheit der Menschen in Deutschland bewegen. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die Euro-Krise vorbei ist, wenn sich Irland und Spanien demnächst das Geld wieder teuer auf dem Finanzmarkt leihen müssen! Das vermehrt vielleicht sichere Profite für Banken, die sich das Geld momentan quasi umsonst von der Europäischen Zentralbank leihen können. Aber die Krise macht doch keine Pause. Sie wird derzeit nur mit billigem Geld zugeschüttet. Morgen soll eine neue Kredittranche aus dem sogenannten Rettungsschirm an Portugal freigegeben werden. Wollen Sie das den Menschen verschweigen? Wollen Sie verhindern, dass Ihre Europapolitik debattiert wird? Darüber muss geredet werden! Aus diesem Grund haben wir eine etwas kreative Aufsetzungsarbeit betrieben und einen Entschließungsantrag zur Krisenpolitik gegenüber Portugal in die heutige Debatte eingebracht, zu dem ich gleich noch ein paar Worte sagen werde. Aber nun zur europäischen Partnerschaft (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na endlich!) und zum diesbezüglichen Gipfel in Vilnius. Natürlich begrüßen wir als Linke eine engere Zusammenarbeit (Volker Kauder [CDU/CSU]: Mit Russland!) mit den östlichen Nachbarn der EU. Ja, vielleicht muss man auch im deutschen Parlament noch einmal deutlich sagen, dass Europa bis zum Ural geht und dass viele ehemalige Sowjetrepubliken und Russland genauso zu Europa gehören wie Frankreich, Spanien oder Griechenland. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb ist es gut, dass es mehr Handel, mehr Austausch geben soll, dass diese Beziehungen den Menschen in ganz Europa zugutekommen sollen. Ja, Frau Bundeskanzlerin, wir aus den neuen Ländern haben da eine besondere Verantwortung. Für die neuen Länder ist das auch eine Chance. Wir wissen, dass viele traditionelle Verbindungen in diese Länder zusammengebrochen sind. Es gibt sie aber noch. Vor allen Dingen – das wissen wir beide – gibt es einen Erfahrungsvorsprung, insbesondere was Sprachkenntnisse und kulturelle Beziehungen betrifft. Entscheidend wird aber sein, dass bei der osteuropäischen Partnerschaft nicht die Dinge, die Europa in die Krise gezwungen haben, ganz oben stehen: wie die Liberalisierung des Kapitalverkehrs, der Freihandel, die Konkurrenz um Löhne nach unten oder die Konkurrenz um die schlechtesten Arbeitsbedingungen. Nein, das wäre der falsche Weg. (Beifall bei der LINKEN) Es muss vor allen Dingen um Integration gehen; es darf nicht nur um knallharte Interessenpolitik und nicht nur um mehr Export aus der EU in diese Länder gehen. Ein sehr, sehr wichtiger Punkt wären zum Beispiel erleichterte Visabedingungen für die Menschen aus der Ukraine, aus Belarus, Moldau, Georgien, Armenien und Aserbaidschan. (Beifall bei der LINKEN) Wenn es für Menschen, die zum Beispiel unter -Lukaschenko leiden müssen – Sie haben das geschildert –, nur ganz schwer möglich ist, ein Visum erteilt zu bekommen, dann ist das ein Problem. Wir können durch mehr Offenheit dabei helfen, dass dort Mauern fallen. Deswegen ist die Visafrage eine zentrale Frage. Tun Sie etwas, damit diese Menschen leichter nach Deutschland kommen können! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Verbessern Sie die Visabedingungen, Frau Bundeskanzlerin! Wenn ich mich recht entsinne, regieren Sie seit acht Jahren. Jetzt fordern Sie Verbesserungen ein. Das ist aus meiner Sicht etwas komisch. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber nur aus Ihrer Sicht!) – Immerhin. Ein sehr wesentlicher Punkt bei diesem Gipfel ist natürlich – Sie haben darauf hingewiesen – das Verhältnis zu Russland. Es kann nicht das Ziel sein, die osteuropäischen Länder dem Einfluss Russlands zu entziehen und die traditionsreichen Sonderbeziehungen zu kappen. Gegenteiliges muss das Ziel sein, nämlich gleichzeitig die Beziehungen zu Russland auszubauen und gemeinsam mit Russland die Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern zu entwickeln. Das sollte einhergehen mit deutlichen Positionen, zum Beispiel zum unsäglichen Agieren der Putin-Regierung gegenüber Schwulen und Lesben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist doch klar, dass Russland dieses Projekt mit Argusaugen beobachtet. Es passt zur NATO-Osterweiterung. Es ist ein Baustein zur Unterstützung transatlantischer Eliten. Es geht der EU offensichtlich nicht um eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Eine Beitrittsperspektive steht im Moment überhaupt nicht zur Debatte. Man möchte die eigenen Regeln durchsetzen, wo es günstig ist, jedoch keine Einflussnahme der anderen Seite riskieren. Es geht darum, beste Bedingungen fürs Kapital zu schaffen und die Absatzmärkte für die eigenen Produkte zu erweitern, gerne auch auf Kosten der Wirtschaft der Partnerländer. Die vielgepriesene Demokratieförderung dient der EU als Mittel, ihre neoliberale Hegemonial-politik in den osteuropäischen Ländern fortzuführen. Das schulmeisterliche Auftreten der EU gegenüber den osteuropäischen Partnern würde man sich andersherum selbstverständlich verbitten. Es geht der EU viel zu wenig um Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das müssen -gerade Sie sagen!) und viel zu viel um Einflussnahme und Machtpolitik. (Beifall bei der LINKEN) Das bedeutet dann auch, dass die EU kein Interesse daran hat, etwa soziale oder ökologische Standards auf hohem Niveau festzuschreiben. So wird eine große Chance verpasst. Mir scheint, dass die EU auch bei der osteuropäischen Partnerschaft unverdrossen weiter auf genau die Rezepte setzt, die uns in die Krise geführt haben: Liberalisierung, Freihandel, Lohnkonkurrenz. Im Ergebnis sind zahlreiche Volkswirtschaften Osteuropas der Deindustrialisierung und spekulativen Kapitalflüssen ausgesetzt. Eine wahrhaftige Östliche Partnerschaft, die diesen Namen verdient, muss den osteuropäischen Staaten ermöglichen, ihre Wirtschaft zu schützen und sie zu entwickeln, und sollte nicht gegen Russland gerichtet sein. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Nun ein paar Bemerkungen zu unserem Entschließungsantrag. Die Euro-Krise ist, wie ich gesagt habe, nicht verschwunden und erst recht nicht überwunden. In Kürze soll eine neue Kredittranche für Portugal in Höhe von 5,6 Milliarden Euro, davon 3,7 Milliarden Euro durch die EFSF, bewilligt werden. Dafür haften auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland. Unser Steuergeld wird verbrannt, weil Portugal aufgrund der Schuldenlast und der wachstumsfeindlichen Kürzungsdiktate diese Kredite niemals wird bedienen können. Das Memorandum of Understanding sieht gar vor, dass die Unternehmensbesteuerung in Portugal sinken soll. Das ist doch alles nicht mehr zu fassen! Portugal wird nicht gerettet, sondern die Banken und Gläubiger werden freigekauft; Demokratie und Sozialstaat werden zerstört. Darum geht es in Wahrheit. Seit Beginn der sogenannten Euro-Rettung stieg die Staatsverschuldung Portugals auf etwa 128 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist das Niveau, das die Staatsverschuldung in Griechenland bei Ausbruch der Krise hatte. Die Arbeitslosigkeit ist in Portugal auf über 17 Prozent gestiegen. Dass die bisherige Europapolitik gescheitert ist, erkennt man, wenn man sich einmal anschaut, wie sich die Arbeitslosenquote in den europäischen Ländern bei jungen Menschen unter 24 Jahren entwickelt hat: Sie liegt in Portugal bei 42 Prozent, in Griechenland bei erschreckenden 57,3 Prozent, in Spanien bei 56,5 Prozent. Aber auch in den Ländern, die später dazugekommen sind, ist die Situation katastrophal: In Bulgarien liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 28,3 Prozent, in der Slowakei bei 31,1 Prozent, in Kroatien bei sagenhaften 52,8 Prozent. Das alles sind Fakten, die in der Politik einen Aufschrei hervorrufen müssten (Beifall bei der LINKEN) und zu einem Nachdenken über die bisherige Politik führen müssten. Vor allem darf das kein Muster für die osteuropäische Partnerschaft sein, meine Damen und Herren. Die Linke fordert daher eine andere, eine verantwortungsvolle Europapolitik. Wir beantragen mit unserem Entschließungsantrag, dass der deutsche Vertreter im Direktorium der EFSF der Bewilligung der Kredite seine Zustimmung versagt. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen die privaten Gläubiger Portugals durch einen Schuldenschnitt in die Pflicht nehmen. Die Eigentümer der Banken, die Inhaber der Bankanleihen sowie die Einlagen von ausländischen Banken und Geldmarktfonds sind für die Verluste der Banken heranzuziehen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Nur die Einlagen der Kleinsparer und das gewerbliche Kreditgeschäft müssen abgesichert werden. Portugal braucht Investitionsprogramme statt Bankenrettungspakete. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dafür brauchen wir eine EU-weite Vermögensabgabe für Millionäre. Allein das Vermögen der europäischen Millionäre – 14 Billionen Euro – übertrifft die gesamte Staatsverschuldung aller 28 EU-Mitgliedstaaten. Korrigieren Sie diese Europapolitik! Weisen Sie beim Gipfel in Vilnius darauf hin, dass diese Fehler nicht wiederholt werden dürfen, sondern dass es eine Kehrtwende in der Europapolitik geben muss! Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Gernot Erler für die SPD-Fraktion. Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Mit Ihrer Genehmigung komme ich gleich auf den Tagesordnungspunkt „Östliche Partnerschaft“ zu sprechen; ich habe auch vor, dabei zu bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Östliche Partnerschaft hat sich aus der EU-Strategie der ENP, der Europäischen Nachbarschaftspolitik, heraus entwickelt, die ihren Beginn 2003 hatte. Damit ordnet sich die ÖP in eine der wichtigsten EU-Strategien neben der EU-Erweiterung ein, nämlich die Schaffung von Regionen kooperierender Staaten rund um die Europäische Union mit dem Ziel, Stabilität in der EU-Nachbarschaft vor allem durch gutnachbarschaftliche Zusammenarbeit und Vertrauensbildung zu erreichen. Zu diesem Programm gehörten und gehören neben der Östlichen Partnerschaft die Ostseekooperation, der Stabilitätspakt für Südost-europa, die EMP, der Barcelona-Prozess, die Union für das Mittelmeer, die Black Sea Synergy und die Zentral-asienstrategie der EU, zuletzt auch die Donauraumstrategie. Der Ansatz ist immer derselbe: Die EU prämiert – auch mit finanzierten Programmen und Projekten – die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und wirbt dabei auch für europäische Werte und Verhaltensweisen. So steht das auch in dem Programm der Östlichen Partnerschaft, die im Mai 2009 auf dem Gipfel in Prag auf den Weg gebracht wurde. Hier war sehr deutlich, dass es da ein besonderes Interesse von Polen gab, das auch noch etwas anderes im Sinn hatte, nämlich möglichst die Ukraine, das Nachbarland von Polen, näher an die europäische Integration heranzuführen. Offiziell sollte die Östliche Partnerschaft aber eben gerade nicht eine Beitrittsperspektive für die sechs beteiligten Länder schaffen. Das haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, eben auch noch einmal unterstrichen. Es gibt einen Arbeitsrhythmus der ÖP mit Gipfeln alle zwei Jahre und jährlichen Außenministertreffen. Es gab schon zwei Gipfel, und wir stehen jetzt vor dem dritten in Vilnius. Viereinhalb Jahre sind jetzt vergangen. Deshalb ist es vielleicht sinnvoll, einmal eine kritische Zwischenbilanz zu ziehen, und das will ich versuchen. Dabei will ich zunächst die regionalen Konflikte betrachten. Es war ein Anspruch der Östlichen Partnerschaft, diese Konflikte zumindest zu entschärfen. Ich muss feststellen, dass die Probleme bei den drei sogenannten Frozen Conflicts weiter virulent sind: Das gilt für Nagornij Karabach, wo die beiden Konfliktpartner Armenien und Aserbaidschan eher auf Aufrüstung setzen, als dass es Fortschritte bei dem sogenannten Minsk-Prozess gegeben hätte. Das gilt leider auch für Abchasien und Südossetien, wo es nach wie vor starre Fronten zwischen Russland und Georgien gibt; vielleicht können wir jetzt Hoffnung haben, dass sich durch die Veränderungen in Georgien im Verhältnis der beiden Länder etwas ändert. Das gilt auch für den Transnistrien-Konflikt, in den die Meseberg-Initiative zunächst Bewegung gebracht hat – es hat auch wieder die Fünf-plus-Zwei-Verhandlungen gegeben –; die meisten Beobachter sind sich jedoch darin einig, dass das Momentum der Meseberg-Initiative allmählich ausläuft, aber zumindest war das ein Teilerfolg. In der Summe kann man bezogen auf die Konflikte nicht sagen, dass die regionale Zusammenarbeit besonders gestärkt wurde. Ganz anders sieht das bei der Heranführung an die EU aus: Hier setzt Brüssel auf eine Verbindung von Assoziationsagreements mit Freihandelsabkommen, über die jahrelang verhandelt wurde, verbunden mit einer verlockenden Zugabe, nämlich der Visaliberalisierung. Herr Bartsch, das, was Sie hier fordern, gehört also ganz offiziell längst zur EU-Politik vor Ort. Daneben gibt es auch eine vertiefte Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften, der Civil Societies, der beteiligten Länder. Näheres dazu wird gleich meine Kollegin Katarina Barley sagen. Von Anfang an war Belarus wegen der innenpolitischen Situation und auch wegen der Zugehörigkeit zur Zollunion aus diesen Angeboten ausgenommen. Aserbaidschan musste als Nicht-WTO-Land zunächst auch in den Wartestand und bekommt jetzt so etwas wie eine strategische Modernisierungspartnerschaft. Mit den anderen vier Ländern – Ukraine, Moldova, Georgien und Armenien – wurden erfolgreich entsprechende Assoziierungsabkommen ausgehandelt. Armenien entschied sich allerdings kürzlich, im Oktober, doch dafür, der Zollunion von Putin beizutreten. Der Höhepunkt des Gipfels sollte die Unterzeichnung des Abkommens mit der Ukraine sein. Dieser Erfolg – das wissen wir leider aus den aktuellen Mitteilungen – ist im Augenblick alles andere als gesichert, weil nicht klar ist, ob die Werchowna Rada, also das ukrainische Parlament, in letzter Minute noch über einige wichtige Gesetze, zum Beispiel ein Gesetz über die Reform des Wahlrechts und ein Gesetz über die Reform der Staatsanwaltschaft, sowie eine Lösung für Frau Timoschenko entscheidet. Es gibt eigentlich nur noch den morgigen Tag als Chance dafür, und die Außenminister in Brüssel schauen im Augenblick tatsächlich nach Kiew, ob das noch gelingt. Wie konnte die Östliche Partnerschaft in eine solch kritische Situation geraten, und wie lässt sich erklären, dass wir hier womöglich vor einem regelrechten Scheitern der Ostpolitik der EU stehen, wenn morgen in Kiew nicht noch ein kleines Wunder passiert? Bei dieser Frage stößt man sehr schnell auf den Faktor Russland. Viereinhalb Jahre nach dem verheißungsvollen Auftakt der Östlichen Partnerschaft muss man feststellen: Die EU ist nicht müde geworden, zu versichern, dass sich ihre Annäherungspolitik gegenüber den sechs östlichen Nachbarn nicht gegen die Interessen Russlands richtet – Frau Bundeskanzlerin, auch Sie haben das eben noch einmal bestätigt –, aber es ist leider nicht gelungen, die russische Führung davon zu überzeugen. Diese hat sich in einem Denken in geopolitischen Einflusskonkurrenzen als Nullsummenspiel verfestigt. Danach versucht die EU ganz einfach, den russischen Einfluss in dieser Region zulasten von Russland zurückzudrängen. Der EU ist es auch nicht gelungen, die Russische Föderation von Anfang an in die Aktivitäten der Östlichen Partnerschaft zum eigenen Nutzen einzubinden. Insofern steht hier die Zollunion in einer Konkurrenz zu den Assoziationsabkommen der EU. Vielleicht ist es auch nicht immer von Anfang an klar geworden, dass es hierbei einen logischen Unterschied bzw. ein logisches Entweder-oder gibt: Man kann nicht beiden Organisationen angehören. Dieser Konflikt wurde durch das verstärkt, was Wladimir Putin im Wahlkampf mit der sogenannten -Eurasischen Union und dem Plan entwickelt hat, bis 2015 eine erweiterte Zollunion zu schaffen und dafür weitere Mitglieder zu gewinnen. Das ist zwar vielleicht jetzt mit Armenien und Kirgistan gelungen, aber es ist völlig klar: Die Ukraine spielt eine entscheidende Rolle dabei, ob diese Idee einer Neuorganisation des post-sowjetischen Raumes gelingen kann oder nicht. Vor diesem Hintergrund ist zu bedauern, dass sich tatsächlich eine Art geopolitisches Ringen zwischen Russland und der EU entwickelt hat. Wir sehen auch mit großem Bedauern, in welcher Weise Russland hier Druck ausübt. Es gibt eine Person namens Gennadij Onischenko, die es zu einer traurigen Berühmtheit gebracht hat. Das ist der oberste russische Lebensmittelkontrolleur. Er hat plötzlich festgestellt, dass es bei ukrainischer Schokolade, bei Wein aus Moldova und bei Milchprodukten aus Litauen schwerwiegende Probleme gibt, die allerdings bisher kein anderer Lebensmittelkontrolleur weltweit festgestellt hat. Natürlich hat das zu Embargosituationen geführt. Das Signal ist klar: Wer mit der EU kooperiert, hat Nachteile im Handel mit Russland. Es gibt auch ein zweites Instrument: den Gaspreis. Ganz plötzlich hat Armenien, als es sich für die Zollunion entschieden hat, eine Reduktion des Gaspreises in erheblichem Umfang gewährt bekommen. Der stellvertretende Ministerpräsident Rogosin hat dem kleinen Land Moldova, nebenbei bemerkt dem ärmsten Land in ganz Europa, mit einem kalten Winter gedroht. Dieser Hebel wird also ebenso eingesetzt wie schließlich auch der Sicherheitshebel. Armenien hat sich auch deshalb so entschieden, weil es nicht weiß, wie es anders zu einer größeren Sicherheit in Bezug auf den Konkurrenten Aserbaidschan kommen soll. Es gibt auch Angebote für erhebliche Waffenlieferungen an Kiew von russischer Seite. Nach viereinhalb Jahren Östlicher Partnerschaft steht also die EU leider vor einer ziemlich deprimierenden Alternative: Entweder es gibt einen Rückschlag für die Ostpolitik der EU, oder es gibt einen Dauerkonflikt zwischen Russland und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, die dann auch zu Konflikten mit der EU werden. Insofern brauchen wir tatsächlich eine Initiative auch von Deutschland aus, uns kreativ mit dieser Entwicklung auseinanderzusetzen. Wir brauchen Ideen, wie wir aus dieser Konfliktlage herauskommen. Denn die Östliche Partnerschaft ist wertvoll. Sie muss unterstützt werden, und sie braucht Unterstützung in dieser schwierigen Situation. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Anton Hofreiter ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte zeigt, dass die Europäische Union auch jenseits der Euro-Krise vor wichtigen Entscheidungen steht, die nicht aus dem Blick geraten dürfen. Das Verhältnis zu unseren Nachbarn im Osten und im Süden ist von zentraler Bedeutung für ein starkes Europa. Hier wird sich entscheiden, welche Rolle Europa zukünftig auf der internationalen Bühne spielen wird. Allerdings wird sich die Rolle Europas auch daran entscheiden, wie wir mit dem Freihandelsabkommen mit den USA umgehen. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir, solange die bestehenden Vorwürfe nicht aufgeklärt sind, die Verhandlungen mit den USA aussetzen müssen; denn wir können schlecht mit jemandem verhandeln, der gleichzeitig unsere Position ausspäht. Dann handelt es sich fast um ein Verhandeln der anderen Seite mit sich selbst. Das macht keinen Sinn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Noch eine kleine Anmerkung zur Linken. Herr Bartsch, Sie haben beklagt, dass das Parlament nicht häufiger tagt. Heute tagt das Parlament, und wir beraten über das wichtige Thema Östliche Partnerschaft. Und was machen Sie? Anstatt über dieses Thema zu sprechen, nutzen Sie diese Debatte für Klamauk. (Widerspruch bei der LINKEN) Sie führen Ihre eigene Forderung, eine vernünftige Debatte im Parlament zu führen, ad absurdum, wenn Sie die erste Gelegenheit dafür missbrauchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Die Menschen südlich und östlich von uns setzen große Hoffnungen in die Europäische Union. Sie sehnen sich nach einer europäischen Perspektive und wünschen sich ein entsprechendes Signal von Europa; denn diese Menschen kennen die großen Vorteile, die Europa bietet. Aber sie dürfen sie nicht selbst erfahren, zum Beispiel die Reisefreiheit. Deshalb wünschen sich diese Menschen, Teil Europas, Teil der Europäischen Union zu werden. Nehmen wir als Beispiel die Visapolitik. Frau Kanzlerin, Sie haben angedeutet, dass eine Vereinfachung bei der Visaerteilung das Leben der Menschen östlich der EU erleichtern würde. Frau Kanzlerin, dann setzen Sie sich doch dafür ein! Die Liberalisierung der Visapolitik ist der Schlüssel für Reformen und gesellschaftlichen Wandel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das geplante Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ist von zentraler Bedeutung. Wir Europäer dürfen uns gegenüber der Ukraine nicht verschließen. Wir müssen das Bedürfnis der Menschen in der Ukraine nach einer Anbindung an die EU ernst nehmen und signalisieren: Wir wollen eine Partnerschaft und eine enge Zusammenarbeit, weil sie im Interesse der Menschen in der Ukraine und der Menschen in der EU liegt. Aber Sie, Frau Bundeskanzlerin, bleiben auf halbem Wege stehen. Natürlich geht es langfristig auch um eine EU-Beitrittsperspektive unserer östlichen Nachbarn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist richtig, dass die Europäische Union dabei hohe Ansprüche an den Annäherungsprozess der östlichen Nachbarn stellt. Die EU beruht auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Diese Werte sind nicht verhandelbar. Wer näher an die EU heranrücken will, muss diese Werte teilen. Darin stimmen wir alle hier im Hause sicherlich überein. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Herr Janukowitsch ist weit davon entfernt, unseren Standards zu genügen. Die ukrainische Regierung mauert nicht nur im Fall Julija Timoschenko. Wichtige Reformen in den Bereichen des Wahlrechts und des Justizsystems wurden noch nicht umgesetzt. Janukowitsch muss zeigen, wofür er steht: für Rechtsstaatlichkeit und damit für eine Hinwendung nach Europa – das will die Mehrheit der Ukrainerinnen und Ukrainer – oder für eine reaktionäre Politik der Unfreiheit, was bedeuten würde, dass er sich endgültig in die Abhängigkeit von Putin begibt. Frau Bundeskanzlerin, es reicht nicht, Julija Timoschenko nur symbolhaft zu erwähnen. Das geht so nicht. Wir sollten uns alle doch einig sein: Präsident Janukowitsch muss Julija Timoschenko freilassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Bei bloßen Appellen darf es aber nicht bleiben. Wenn es in Vilnius zu Unterschriften kommt, ist die Gefahr groß, dass Putin die östlichen Partner unter Druck setzen wird. Putin könnte – genauso wie in der Vergangenheit – den Druck auf die Ukraine erhöhen und mit Handelsbarrieren oder ruinösen Gaspreisen versuchen, die Daumenschrauben anzuziehen. Wird Deutschland in den kommenden Wochen deutliche Worte gegenüber Moskau finden? Wird Deutschland in einem solchen Fall helfen und Solidarität zeigen? Das wird dann die Herausforderung sein. Wir hoffen, dass es keinen Rückfall in die Russlandpolitik der letzten Großen Koalition geben wird. Wenn Putin der Ukraine den Erdgashahn zudreht, werden die Menschen nicht mit warmen Worten durch den Winter kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde mir die Einigkeit dieser Debatte auch in einer weiteren Herausforderung der Europapolitik wünschen. Es geht kein Gespenst in Europa um, es ist eine reale Gefahr: Sie heißt Rechtspopulismus. Wilders, Le Pen und andere wollen sich in einer unheiligen Allianz gegen die europäischen Werte der Solidarität und der Freiheit verbünden. Wem diese Werte wichtig sind, der muss sich gegen diese Gefahr stemmen. Ich finde, das sollten wir alle tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD) Aber das muss sich dann auch im Handeln widerspiegeln. Wer den Antieuropäern die Stirn bieten will, der darf nicht per Protokollerklärung gleichzeitig europäischen Krisenstaaten mit dem Rausschmiss drohen, wie das die CSU gemacht hat. Kaum feiert die AfD erste Erfolge, wird die CSU nervös und bringt sich selbst in die Nähe des Rechtspopulismus. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Der Populismus Seehofer’scher Prägung ist schon in der Mautdebatte schwer zu ertragen, aber in der Europapolitik ist er schlicht und einfach unverantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD) Wir erwarten von Ihnen, Frau Kanzlerin, diesem Treiben endlich ein Ende zu setzen. Das sind Sie Deutschland und Europa schuldig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir eines aus unserer gemeinsamen Geschichte wissen, dann ist es dies: Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit sind ein Nährboden für Ressentiments und Extremismus. Wer Europas Zusammenhalt bewahren will, der muss mehr gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa tun, der muss den Menschen, gerade den jungen, wieder Zukunft bieten. Die Krisenpolitik der Bundesregierung hat diese Zustände auch mit verursacht, nicht weil Sie auf Konsolidierung und Reformen gedrängt haben, sondern weil Sie die andere Seite der Medaille ignoriert haben. Wir müssen den Ländern in der Krise helfen, zu investieren, ihnen einen Green New Deal bieten, ihnen neue Perspektiven bieten, auch neue wirtschaftliche Perspektiven – und das muss jetzt getan werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stattdessen haben Sie Symbolpolitik gemacht, wie so oft. Eine Jugendgarantie haben Sie ausgesprochen, aber dann kam nichts mehr hinterher. Das ist peinlich. Leider sieht es sehr danach aus, dass sich daran wenig ändert. Der Zwischenstand Ihrer Koalitionsberatung für die Große Koalition ist zwar ein schönes Stück – manchmal auch ein weniger schönes Stück – deutscher Prosa, aber ehrliche, entschlossene Lösungen für die Massenarbeitslosigkeit Europas finden sich bisher nicht darin. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihre Wende in der Krisenpolitik beschränkt sich bis jetzt auf ein paar schöne Überschriften. Das reicht nicht. Ich wünsche Ihnen, aber vor allem Europa, dass Sie in den kommenden zwei Wochen diese Kraft noch finden. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege Volker Kauder das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ja, wir reden heute über die Östliche Partnerschaft. Die Bundeskanzlerin hat dazu, so wie es auch vorgesehen und gewünscht ist, dem Deutschen Bundestag vor einem solchen Gipfel einen Bericht gegeben, damit wir darüber diskutieren. Natürlich, Herr Kollege Bartsch, kann man es auch so machen wie Sie und noch einige andere Punkte mit in die Debatte hineinnehmen. Das will ich jetzt gar nicht einmal kritisieren. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aber ich finde schon: Wenn man das macht, sollte man nicht an mehreren Stellen Falsches sagen. Sonst erweckt man den Eindruck, wie Sie es gemacht haben, dass man nicht auf der Höhe der Zeit ist. Jetzt will ich Ihnen einmal Folgendes sagen: (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Na los!) Sie haben gesagt, seit Juli habe es keine Sitzung des Deutschen Bundestages mehr gegeben. Ich möchte doch einmal wissen, wo Sie am 2. und 3. September waren. Da hatten wir nämlich Sitzungen des Deutschen Bundestages. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Waren Sie vielleicht nicht da? Oder haben Sie das nicht zur Kenntnis genommen? Damals haben wir beispielsweise über den Haushalt diskutiert und auch über -Europa. Dann haben Sie Kroatien angesprochen und gesagt, dass es in Kroatien eine Jugendarbeitslosigkeit von 52 Prozent gibt. Das stimmt, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ja!) aber Sie haben damit den Eindruck erweckt, dass diese Jugendarbeitslosigkeit entstanden sei, weil Kroatien in die EU eingetreten ist. Kroatien ist aber gerade einmal ein paar Monate in der EU. Sie sind mit den 52 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in die EU gekommen, Herr Bartsch, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!) und wollen jetzt eine bessere Situation erreichen. Es ist nicht so, wie Sie es erzählt haben. Also, in zwei Punkten liegen Sie völlig daneben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das legt den Verdacht nahe, dass auch Ihre anderen Punkte nicht stimmen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Angesichts dessen, dass Sie für die führende Oppositionsfraktion gesprochen haben, müssen Sie schon noch ein bisschen üben. Das war noch nicht so, wie es normalerweise sein soll. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Ja, völlig richtig: Man kann jetzt das Thema „Was passiert in -Europa?“ behandeln. Wir haben, wie es vorgesehen ist, den Deutschen Bundestag über die Situation in Portugal und über die Auszahlungen, die dort stattfinden, informiert. Die Troika hat, wie es das Gesetz vorsieht, ihren Bericht vorgelegt. Sie hat empfohlen, die Tranchen auszubezahlen. Der Deutsche Bundestag kann dazu eine Erklärung abgeben. Die Tranchen werden nun ausbezahlt. Eines, Herr Kollege Bartsch, dürfen Sie nicht machen: Sie dürfen hier nicht den Eindruck erwecken, dass die Menschen in den europäischen Ländern, die es schwer haben, sich nicht so angestrengt hätten, um dort zu Erfolgen zu kommen. Ich will Ihnen noch etwas sagen: Es zeigt sich doch, dass wir auf einem guten Weg sind. Ich sage: Glückwunsch nach Irland und nach Spanien dafür, dass sie mit ihren Anstrengungen so weit gekommen sind, dass sie den Rettungsschirm verlassen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie sollten sich nicht hierhinstellen und so tun, als ob da nichts geschehen sei. Wenn man sich die Zinsen anschaut, muss man sagen: Die Situation hat sich auch in den Ländern, die unter dem Rettungsschirm sind, erheblich verbessert. Der jetzige Stand unserer Koalitionsverhandlungen ist so, dass wir uns einig sind, diesen Weg fortzusetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden auch über die Östliche Partnerschaft. Das ist ein Thema, das eine große Bedeutung hat. Es ist völlig richtig, dass sich -Europa nicht allein darauf konzentriert, neue Staaten aufzunehmen, sondern dass es auch einen Weg sucht, mit solchen Nachbarn politisch zu kooperieren, die keine Perspektive haben, in den nächsten Jahren in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Herr Kollege Erler, ich gebe Ihnen ausdrücklich recht: Ja, es muss nun ein Weg gefunden werden, diese Partnerschaft so auszugestalten, dass sie in erster Linie nicht unter geopolitischen Gesichtspunkten ausgerichtet wird. Die Bundeskanzlerin hat deshalb zu Recht gesagt: Wir müssen im Rahmen der Östlichen Partnerschaft endlich Wege finden, die Politik des Kalten Krieges vollständig zu überwinden. Dabei kommt es darauf an, Russland klarzumachen, dass eine vertiefte, eine nähere Beziehung zu unseren östlichen Partnern nicht gegen Russland gerichtet ist. Das kann vielleicht dadurch gelingen, dass wir auch klarmachen, dass es auf der Welt eine ganze Reihe von Herausforderungen und Gefahren gibt, die auch uns hier in Europa und in Deutschland bedrohen, und dass es daher notwendig ist, dass Russland und wir zusammenarbeiten, um an diesen Punkten voranzukommen; ich nenne als Beispiel nur das Stichwort „Iran“. Es gibt also Aufgaben, die eine solche Dimension haben, dass ich finde, es wirkt geradezu politisch kleinkariert, wenn Russland meint, es sei eine geopolitische Frage, wie wir in Zukunft unsere Probleme in der Welt lösen. Es gibt beispielsweise das Problem des Terrorismus; dagegen müssen wir miteinander etwas unternehmen. Es gibt das Problem der Sicherheit der Weltmeere und vieles andere. Ich wäre dankbar, Frau Bundeskanzlerin, wenn es Ihnen in Ihren Gesprächen mit Putin gelingen könnte, auch einmal darauf hinzuweisen, dass er der Welt einen Dienst leisten kann, wenn er einmal ein bisschen weiter als über unsere Östliche Partnerschaft hi-nausblickt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich hat diese Zusammenarbeit, die Östliche Partnerschaft, eine ganz zentrale Bedeutung. Es ist angesprochen worden, dass es natürlich um wirtschaftliche Fragen geht. Zur gleichen Zeit hat die Bundeskanzlerin aber auch -darauf hingewiesen, dass es ebenfalls – gerade in der Diskussion jetzt mit der Ukraine – um Werte geht, um Menschenrechte, Demokratie, eine unbestechliche Justiz beispielsweise. Da wird schon etwas deutlich, was wir gerade in der heutigen Zeit immer wieder formulieren müssen, damit die Menschen in unserem Land auch Orientierung haben: Dieses Europa ist nicht nur eine Veranstaltung von Euro und Cent, liebe Kolleginnen und Kollegen; dieses Europa ist vor Euro und Cent zunächst einmal eine Wertegemeinschaft. (Beifall bei der CDU/CSU) Das müssen wir auch in der Zusammenarbeit mit anderen deutlich machen. Da, finde ich schon, muss klar sein, dass wir uns bei der Östlichen Partnerschaft nicht ausschließlich um wirtschaftliche Dinge kümmern sollten, sondern dass wir auch unsere Werte entsprechend einfordern müssen. Ich sage – ich weiß, dass es da auch andere Auffassungen gibt; aber in diesem Saal kann man ja auch einmal unterschiedliche Positionen darstellen –: Wir sind umso glaubwürdiger darin, dass wir eine Wertegemeinschaft sind, wenn wir diese Werte in Europa auch dann ernst nehmen, wenn wir wirtschaftliche Interessen haben und Freihandelsabkommen abschließen, und wenn wir diese Werte in Verhandlungen mit Ländern einfordern, die in die Europäische Union kommen wollen. Das gilt gerade auch in unseren Gesprächen mit der Türkei. Die Menschenrechte, die Religionsfreiheit etwa, sind ein Teil unserer Wertegemeinschaft, der umgesetzt werden muss, bevor wir in Europa ganz zueinander gehören können, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Da hilft es relativ wenig, zu sagen: Ja, wenn es dann mal so weit ist, wenn dann alle dabei sind, wird das auch so kommen. – Wenn man diese Auffassung hat, dann kann man auch vertreten, dass es vorher geklärt werden muss; denn wir sehen ja in dem einen oder anderen Fall, wie schwer wir uns tun, unsere Positionen in Ländern, die zur EU gekommen sind, durchzusetzen. Deswegen halte ich es für richtig, notwendig und zentral, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie nicht nur das Thema der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch diesen Wertetransfer berücksichtigen. Dann habe ich noch einen Punkt, den wir uns in diesem Parlament immer wieder vor Augen führen müssen: Sowohl in der Östlichen Partnerschaft als auch in anderen Bereichen haben wir ein Instrument – neben denen, die die Bundeskanzlerin angesprochen hat –, das wir nicht zu klein darstellen dürfen, und das ist unser Instrument der Auswärtigen Kulturpolitik. Deswegen rate ich dringend, dass wir in den Haushaltsberatungen darauf Wert legen. Nichts ist im Augenblick erfolgreicher als Deutsch-Sprachkurse, die unter anderem von unseren Goethe-Instituten in der ganzen Welt angeboten werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen glaube ich schon, dass das Thema „Kultur, Werte, Präsenz in einem Land“ von einer zentralen Bedeutung ist. Vor diesem Hintergrund wünsche ich Ihren Gesprächen und Verhandlungen viel Erfolg. Wir brauchen Partner in unserer Region, in Europa. Wir brauchen Partner auch in der Welt. Gerade im Hinblick auf das, was wir nachher noch diskutieren, kann ich nur sagen: Was da von Amerika ausgehend passiert ist, ist nicht schön. – Aber ich muss auch sagen: Die Zusammenarbeit mit Amerika, die Freundschaft mit Amerika wird zwingend notwendig sein, gerade wenn wir die Östliche Partnerschaft weiter ausbauen wollen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Michael Roth für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Michael Roth (Heringen) (SPD): Herr Präsident! Auch von mir herzlichen Glückwunsch nachträglich zum Geburtstag. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte gibt uns Gelegenheit, eines deutlich zu machen: Europa ist mehr als diese Krise. Lieber Kollege Toni Hofreiter, ich will all denjenigen hier in diesem Saal, die den Koalitionsverhandlungen skeptisch gegenüberstehen, sagen: Eines ist für uns als Sozialdemokratie zentral: Wir wollen, dass der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit junger Menschen in Europa ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt wird, (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dass Europa wieder zu sozialer Stabilität zurückfindet und dass wir die Spaltung in Europa überwinden. Darum geht es uns. Sie können sich darauf verlassen: Dafür kämpfen wir, nicht nur in den nächsten Wochen, sondern über vier Jahre hinweg! (Beifall bei der SPD) Aber es ist auch wichtig, dass wir deutlich machen: Europa ist eben nicht nur die Krise. Europa ist ein faszinierendes Projekt für Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Wenn wir manchmal in Zweifel geraten, ist es gut, den Blick nach außen zu richten und zu sehen, wie neidisch und fasziniert die Menschen außerhalb der Europäischen Union, gerade in unseren Nachbar- und Anrainerstaaten, auf uns blicken und sagen: Toll! Was denen gelungen ist, das wollen auch wir erreichen. Diese Werte wollen auch wir für unsere Bürgerinnen und Bürger erstreiten und erkämpfen. Das sollten wir uns gerade in diesen Wochen und Monaten, in denen wir uns wegen der Krise in Europa schwertun, immer wieder in Erinnerung rufen; denn diese Werte sind das eigentliche Fundament Europas. Ich kann dem Kollegen Kauder nur zustimmen: Es geht nicht in erster Linie um Euro und um Cent. Es geht um die Verteidigung von Werten, für die Generationen von Menschen vieles haben riskieren müssen. Wir haben sie jetzt. Aber es ist eben auch wichtig, dass wir die Universalität dieser Ideen immer wieder in den Mittelpunkt unserer politischen Arbeit rücken. So wichtig es ist, dass wir uns derzeit mit uns selbst beschäftigen, um die Probleme innerhalb der Europäischen Union zu lösen, so wichtig ist es auch, unseren Partnern im Süden, im Osten und im Westen die Hand zur gemeinsamen Arbeit zu reichen. Da sind die Herausforderungen in Osteuropa sicherlich besonders groß. Dafür hat jede Bundesregierung unsere volle Unterstützung verdient. Dies ist für uns mit einer großen Chance verbunden. Wir wissen, manches in der Europapolitik stößt bei unseren Bürgerinnen und Bürgern auf große Skepsis. Aber die Bürgerinnen und Bürger erwarten – das zeigen auch die jüngsten Umfragen –, dass wir es schaffen, dass -Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik mit einer Stimme zu sprechen vermag. 65 Prozent der Bürgerinnen und Bürger erwarten in Europa mehr Zusammen-arbeit in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, mehr Zusammenarbeit in der Außen- und Entwicklungspolitik. Das sollte für uns ein Auftrag sein, hier etwas ambitionierter zu arbeiten, als das vielleicht in den vergangenen Jahren der Fall war. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier sehr weit auseinander. Ich weiß, in vielen außen- und sicherheitspolitischen Fragen ist es innerhalb der Europäischen Union sehr schwierig, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Ich nenne in diesem Zusammenhang den Nahen Osten, den Mittleren Osten und unser Verhältnis zu Israel. Aber trotz der Schwierigkeiten wäre es wichtig, wenn es die Europäische Union schaffte, sich auf einige zentrale außen- und sicherheitspolitische Projekte zu verständigen, und es uns gelänge, dort endlich einmal voranzukommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Da sehe ich für uns auch Potenzial im Bereich der Östlichen Partnerschaft. Da kann sich etwas bewegen; da kann sich etwas tun. Dabei geht es nicht alleine um die Visaerleichterung, die eben zu Recht angesprochen wurde. Wir müssen eine weitere Frage klären. In den vergangenen Jahrzehnten war der Umgang mit unseren Nachbarn, die geografisch zu Europa gehören, relativ einfach: Wir haben, wenn diese Länder einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union gestellt haben, das Angebot des Beitritts eröffnet. Hier hat die Bundeskanzlerin sicherlich recht: Es geht bei der Östlichen Partnerschaft nicht um Beitritte. Es muss uns dennoch gelingen, diesen Staaten ein attraktives Angebot auf Augenhöhe zu eröffnen, bei dem sie spüren: Sie sind nicht etwa ein Wurmfortsatz Europas, sondern sie gehören zu Europa. Wir haben ein Interesse daran, dass diese Staaten zu der Stabilität, zu der demokratischen Reife und zu der Form von Rechtsstaatlichkeit kommen, wie sie in der Europäischen Union, zumindest meistens, selbstverständlich sind. In dieser Frage müssen wir ambitionierter werden. Gleiches gilt für den Dialog mit einem für uns ganz besonders wichtigen Partner, nämlich Polen. Diejenigen von uns, die sich intensiver mit unseren polnischen Partnern beschäftigen, wissen, dass der Blick unserer polnischen Freunde natürlich auch nach Osten gerichtet ist. Da wäre es auch in Anbetracht der herausragenden Bedeutung der Verantwortung Deutschlands zentral, wenn Deutschland und Polen in der Frage, wie mehr Stabilität für unsere östlichen Nachbarn erreicht werden kann, vorangingen und gemeinsame Initiativen entwickelten. Diese Initiativen müssten so attraktiv sein, dass alle anderen Mitgliedstaaten in der Europäischen Union bereit und in der Lage sind, mitzumachen. Eines hat mich dann doch ein bisschen überrascht, Herr Kollege Kauder. Sie haben eben etwas angesprochen, was für meine Fraktion in den vergangenen Jahren zentral war: unsere Glaubwürdigkeit im Umgang mit Rechtsstaatlichkeit und Grundwerten. Wir sind in erster Linie eine Werteunion. Es ist daher wichtig, wie wir die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundwerte innerhalb der Europäischen Union vertreten. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Er hat aber von Ungarn gesprochen!) Ich habe allerdings in den vergangenen Jahren nicht immer den Eindruck gehabt, dass fraktionsübergreifend gehandelt wurde, wenn die Wahrung der Grundwerte innerhalb der Europäischen Union infrage gestellt wurde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hier gibt es keine Rabatte; hier darf nichts relativiert werden. Wir können unsere Werte nur dann glaubhaft nach außen vertreten, wenn niemand den Anlass hat, daran zu zweifeln, dass wir in unseren eigenen Reihen ernsthaft und konsequent mit diesen Werten umgehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte ganz bewusst einzelne Länder jetzt gar nicht erwähnen; denn ich will keine kleinkarierte Debatte führen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Rumänien!) – Ja. Rumänien, Ungarn und auch Italien. Ich könnte eine ganze Reihe anderer Staaten nennen. Der Antisemitismus in Deutschland gehört selbstverständlich auch dazu. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei der Linken!) Die Grundrechteagentur hat uns allen ins Stammbuch geschrieben, dass auch wir, wenn es um die Verteidigung der Freiheitswerte geht, noch etwas lernen können und dass bei uns nicht alles nur rosarot ist. Da haben Sie recht, Herr Kauder. Umso wichtiger ist es, dass wir diese Werte konsequent verteidigen. Das wäre ein gemeinsames Projekt für diese Legislaturperiode. Ich würde mich darüber freuen, wenn möglichst viele Fraktionen, vielleicht sogar alle, bereit wären, die SPD in diesem engagierten Kampf zu unterstützen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort der Kollegin Marieluise Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gipfel von Vilnius erinnert uns daran, dass die Vereinigung Europas noch lange nicht vollendet ist und dass wir gerade im Westen immer noch Gefahr laufen, Europa mit der Europäischen Union gleichzusetzen. Aber Europa ist größer. Dieser vielfältige Kontinent ist immer noch dabei, die Wunden des vergangenen Jahrhunderts zu schließen. Im kommenden Jahr, im Jahre 2014, werden wir sicherlich noch häufig Gelegenheit haben, über dieses katastrophale vergangene Jahrhundert zu sprechen, in dem Europa für viele Jahre gespalten war. Wir können diese Spaltung nun überwinden. Aber viele von uns müssen das ganze geografische Europa erst wieder kennenlernen. Ich verkneife mir jetzt einen Kommentar zu der Linken, die, wo wir doch über den Osten sprechen, einen Antrag zu Portugal einbringt. 23 Jahre nachdem diese Spaltung begonnen hat, sich aufzulösen, sind Warschau, Prag und Riga wieder bekannte Namen. Für Städte wie Baku und Kischinau gilt das weniger. Aber Europa reicht auch bis dorthin. Deswegen, Frau Bundeskanzlerin, widerspreche ich Ihnen entschieden, wenn Sie sagen, die Östliche Partnerschaft enthalte keine EU-Beitrittsperspektive. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie nehmen damit die Gründungserklärung der Östlichen Partnerschaft von 2009 zurück, die diese Frage explizit offengelassen hat. Auch Sie, Herr Roth, haben eben gesagt, es sei keine Beitrittsperspektive enthalten. Das ist in der Sache nicht richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Außerdem möchte ich daran erinnern, dass Art. 49 des EU-Vertrages ganz klar festhält, dass alle europäischen Staaten das Recht haben, einen Antrag auf Aufnahme zu stellen, sofern sie dem Wertekanon der EU entsprechen. Ich meine auch, dass Sie mit dieser Aussage, Frau Bundeskanzlerin, die Instrumente der Östlichen Partnerschaft schwach machen – man möchte fast sagen: noch schwächer, als sie schon sind. Es kann bei der Östlichen Partnerschaft nicht darum gehen, die betroffenen Länder zwischen Brüssel und Moskau zu zerreiben. Mit Blick auf Moskau sage ich: Alle sechs Länder der Östlichen Partnerschaft sind souverän. Sie haben das Recht, selbst zu entscheiden, welche Verträge sie schließen wollen und welche sie nicht schließen wollen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da verbieten sich massiver Druck, wie ihn Russland derzeit ausübt, und eine Erpressung mithilfe von Gaspreisen und Handelskriegen, um die Länder in einen eurasischen Block zu zwingen und sie vom Zugang zur EU fernzuhalten. Das ist inakzeptabel, und das müssen wir sehr deutlich sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber Nachbarschaft hat auch eine Geschäftsgrundlage. Unsere Geschäftsgrundlage heißt: Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Toleranz gegenüber Vielfalt. Das ist gerade auch bei den Entwicklungen in Russland sehr wichtig. Wir haben gelernt, dass demokratische Gesellschaften, wenn sie Bestand haben sollen – von Ungarn und Rumänien war eben die Rede –, nicht von oben eingeführt werden können. Demokratie muss wachsen und braucht dazu aktive Bürgerinnen und Bürger. Ja, in Belarus herrscht der letzte Diktator Europas. Ich füge hinzu: In Aserbaidschan sieht es nicht sehr viel besser aus. Aber die Menschen dort wollen Freiheit. Sie wollen reisen. Deswegen ist die Visumfreiheit eines der wenigen wirklich wirkungsvollen Instrumente, das wir in der Hand haben. Wir dürfen dem Präsidenten Lukaschenko nicht mehr helfen, seine Menschen einzusperren, indem wir 60 Euro für ein Visum verlangen. 60 Euro sind in einem Land wie Belarus nämlich sehr viel Geld. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Also muss der erste große wirkungsvolle Schritt sein: Aufgabe der Zögerlichkeit bei Visumfreiheit. Das gilt natürlich auch mit Blick auf die Ukraine. Die EU ist derzeit nicht in bester Verfassung. Das ist richtig. Aber es ist ein wunderbares Ziel, das ganze Europa zu vereinen. Das braucht Geduld, Klugheit und eine echte Mitgliedsperspektive für alle Länder Europas. Ich wünsche mir, dass das ganze Haus in der 18. Legislaturperiode bei dieser Herausforderung zusammenarbeitet. Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede möchte ich Folgendes mitteilen: Mehrere Vorredner haben darauf hingewiesen, dass die Europäische Kommission am 24. Oktober die Auszahlung der nächsten Kredittranche in Höhe von insgesamt 5,6 Milliarden Euro an Portugal vorgeschlagen hat. -Unsere Parlamentsbeteiligungsrechte geben dem Haushaltsausschuss das Recht, dazu eine Stellungnahme abzugeben. Da wir derzeit noch keinen neuen Haushaltsausschuss haben, fällt das Recht zur Stellungnahme in diesem Fall dem Plenum zu. Wir haben uns in der CDU/CSU-Fraktion eingehend mit dem Umsetzungsbericht beschäftigt. Aus unserer Sicht spricht nichts gegen die Auszahlung der nächsten Tranche. Portugal ist insgesamt auf dem richtigen Weg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun zur Östlichen Partnerschaft. Fast ein Vierteljahrhundert nach der Überwindung der Teilung gibt es in -Europa noch zwei Regionen, in denen Sicherheit und Stabilität – und das heißt vor allem Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung – weiter gestärkt werden müssen; denn je mehr das gelingt, desto besser kann sich Europa auf die wachsenden Herausforderungen konzentrieren, die von außerhalb unseres Kontinents kommen. Ich nenne nur die Entwicklungen in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten. Eine dieser Regionen ist der westliche Balkan. Hier sind wir mit dem Assoziierungs- und Erweiterungsprozess auf einem guten Weg. Die andere Region sind die Länder in unserer östlichen Nachbarschaft. Dort darf es kein Zwischeneuropa geben. Welche fatalen Folgen die Entstehung eines Zwischeneuropas hat, wissen wir aus der Geschichte. Deshalb liegt es im vitalen Interesse der Europäischen Union, dass diese östlichen Länder eine klare europäische Orientierung und Verankerung haben und nicht zwischen ihren großen Nachbarn hin- und hergerissen sind. Das zu erreichen, ist die große strategische Aufgabe der Östlichen Partnerschaft. Sie muss ein wirksames Instrument zur Vermeidung eines neuen Zwischeneuropas und zur Stabilisierung und Stärkung dieser Nachbarschaftsländer sein. Angesichts dieses vitalen Interesses und dieser großen Aufgabe wünsche ich mir für die Zukunft ein stärkeres Engagement und eine bessere Wahrnehmung dieser Länder durch die Europäische Union. Einige dieser Nachbarn haben ein starkes Interesse an einer möglichst engen Zusammenarbeit mit der EU. Andere zeigen zurzeit ein eher geringeres Interesse. Dritte sind zwischen der EU und Russland hin- und hergerissen. Dennoch ist es richtig, dass die EU allen Ländern dieser Region auch weiterhin eine möglichst enge Zusammenarbeit anbietet. Assoziierungs-, Freihandels- und Visaerleichterungsabkommen und eine stärkere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft sind und bleiben dafür die besten Instrumente. Aber es ist wichtig, dass die EU dabei differenzierter vorgeht, nach dem Prinzip: more for more, less for less. Meine sehr geehrten Damen und Herren, beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft Ende des Monats ist – die Bundeskanzlerin hat es erwähnt – die Unterzeichnung bzw. Paraphierung einer neuen Generation von Assoziierungsabkommen mit drei Ländern vorgesehen. Diese sind mit einem sogenannten tiefen und umfassenden Freihandelsabkommen verbunden. Diese Verträge markieren nicht nur den Weg hin zu einem neuen Niveau wirtschaftlicher Zusammenarbeit und einer neuen Öffnung auf die europäischen und globalen Märkte. Sie bedeuten auch die schrittweise Annäherung an europäische Normen und Werte. Nicht zuletzt eröffnen diese Abkommen den Ländern die europäische Perspektive einer Teilhabe am Europäischen Wirtschaftsraum – mit allen Vorteilen, wie die Schweiz oder Norwegen sie haben. Die Eröffnung dieser Perspektive ist die Kernbotschaft, die von der Unterzeichnung bzw. Paraphierung der Abkommen beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft ausgeht. Die Menschen in diesen Ländern verbinden damit große Hoffnungen. Das muss auch der ukrainische Präsident Janukowitsch bedenken, wenn er über den Fall von Julija Timoschenko entscheidet. Lassen Sie mich dazu in aller Klarheit sagen: Wir wollen, dass die Ukraine enger an die EU angebunden wird. Wir wünschen uns eine Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens beim Gipfel. Aber es liegt allein in den Händen der Ukraine, die gemeinsam abgesprochenen Voraussetzungen dafür zu erfüllen. Das gilt auch mit Blick auf Frau Timoschenko. Wir sehen sehr genau, wie Russland versucht, eine Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine mit allen Mitteln zu verhindern: Neben der altbekannten Energiewaffe werden Handelsembargos, Boykotts, Importstopps oder gar der totale Zusammenbruch der Ukraine angedroht. Diese Versuche Russlands, nicht nur die Ukraine, sondern auch andere Staaten der Östlichen Partnerschaft, etwa Moldau, unter Druck zu setzen, weil sie einen anderen Weg gehen wollen, als Moskau es will, sind eine gravierende Verletzung der Prinzipien der OSZE-Charta von Paris. Solche Eingriffe in die Souveränität einzelner Länder sind völlig inakzeptabel. Russland verstößt damit eklatant gegen sein eigenes Konzept eines gemeinsamen wirtschaftlichen und humanitären Raums Europa. Auch deshalb ist die Zeit für einen weiteren Schlingerkurs vorbei. Kiew muss jetzt eine klare Entscheidung treffen. Das heißt auch: Ohne eine Ausreise von Frau -Timoschenko für eine medizinische Behandlung im Ausland kann es keine Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen geben. Mit Blick auf die angedrohten russischen Vergeltungsmaßnahmen sage ich aber auch: Die EU wird sich auf jeden Fall mit dem Partner Ukraine solidarisch zeigen. Dafür gibt es bereits die notwendigen Instrumente. Sie werden umso besser genutzt werden können, je mehr Kiew die erforderlichen Voraussetzungen dafür schafft. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Die Östliche Partnerschaft ist nicht exklusiv oder konfrontativ, und sie ist vor allem nicht gegen Russland gerichtet. Es bleibt den östlichen Partnern unbenommen, gute politische und wirtschaftliche Beziehungen mit Russland und mit der Zollunion zu wahren und gleichzeitig mit weiteren Partnern Freihandel zu treiben. Von einer Modernisierung und wirtschaftlichen Entwicklung seiner Nachbarstaaten, die durch diese Assoziierungsabkommen bewirkt werden können, kann auch Russland profitieren. Das liegt auch in unserem Interesse. Präsident Putin hat das Projekt eines gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraumes vorgeschlagen. Sein neues außenpolitisches Konzept wiederholt die Idee eines gemeinsamen wirtschaftlichen und humanitären Raums zwischen Atlantik und Pazifik. Ist die Vision gemeinsamer Räume nicht am ehesten über solche Abkommen zu erzielen, die der wachsenden Kooperation und Annäherung dienen? Das aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist genau das Gegenteil des alten Nullsummendenkens, welches in einer vertraglichen Bindung der Staaten der Östlichen Partnerschaft an die EU einen Machtverlust sieht statt die Chance, eine gemeinsame neue Ordnung – auch eine gemeinsame neue Sicherheitsordnung – zu schaffen. Deshalb müssen wir mit Russland nicht nur über die unterschiedlichen Konzepte einer Modernisierungspartnerschaft reden, sondern auch über den Umgang mit der Souveränität der Länder in unserer gemeinsamen Nachbarschaft. Auf eines möchte ich schon heute hinweisen: Die Unterzeichnung und Paraphierung neuer Abkommen in Vilnius ist nur ein erster Schritt. Danach stellt die Implementierung alle Seiten, auch die EU, vor eine vielleicht noch größere Herausforderung. Es wird ein langer Weg werden. Umso wichtiger ist es, dass die Implementierung nach dem Gipfel zügig und im Geiste der Partnerschaft erfolgt und nicht verzögert wird. Eine zügige und erfolgreiche Umsetzung ist der einzige Weg, um einem „Zwischeneuropa“ entgegenzuarbeiten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Als erstem der neu gewählten Mitglieder im Deutschen Bundestag erteile ich jetzt der Kollegin Katarina Barley das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Katarina Barley (SPD): Herzlichen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Sozialdemokratin kann man die erste Rede im Deutschen Bundestag, vor allem, wenn es um Osteuropa geht, wahrscheinlich nicht halten, ohne auf Willy Brandt Bezug zu nehmen, der nächsten Monat 100 Jahre alt geworden wäre. Willy Brandt hat 1971 den Friedensnobelpreis für seine Ost- und Entspannungspolitik erhalten. „Wandel durch Annäherung“ war sein großes Thema, und das bedeutete eine Verständigung auf gemeinsame Ziele und Werte, auf Ausgleich und Entspannung, insbesondere mit Ost-europa. Übertragen auf die heutige Debatte heißt das: Die Europäische Union trägt Verantwortung gegenüber ihren östlichen Nachbarstaaten und der dort lebenden Bevölkerung. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich den in der nächsten Woche stattfindenden EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft in Vilnius. Das Ziel der Politik der Östlichen Partnerschaft ist die Beförderung von Stabilität und Wohlstand sowie Frieden und Sicherheit in der unmittelbaren Nachbarschaft. Achtung der Menschenrechte, freiheitlich-demokratische Grundordnung, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft sind die Prinzipien, die es zu stärken und auszubauen gilt. Die Östliche Partnerschaft zielt auf eine politische und wirtschaftliche Annäherung der Europäischen Union an die Ukraine, Georgien, Moldova, Aserbaidschan, Armenien und Belarus. Es gibt keinen Automatismus für einen Beitritt zur Europäischen Union. Es geht aber auch nicht um die Wahl zwischen Russland oder der Europäischen Union. Alle Länder der Östlichen Partnerschaft haben das souveräne Recht, selbstständig zu entscheiden, mit wem sie Handelsverträge schließen und Teil welchen Wirtschaftsraums sie werden wollen. In der Östlichen Partnerschaft haben wir es mit sehr verschiedenen Partnern zu tun. Ihr Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten ist teilweise sehr problematisch. Das gilt vor allen Dingen für Belarus. Durch das harte Vorgehen des Präsidenten Lukaschenko gegen die Opposition nach den letzten Präsidentschaftswahlen im Jahre 2010 sind die Beziehungen mit der Europäischen Union sehr angespannt. Auch die im letzten Jahr durchgeführten Parlamentswahlen waren mit internationalen Standards nicht vereinbar. Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Belarus befinden sich in einer Sackgasse. Die Europäische Union ist zu einer Politik des kritischen Engagements gegenüber Belarus verpflichtet. Dabei geht es vor allem um die Unterstützung von Oppositionellen, die verfolgt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Hier kann eine Politik der kleinen Schritte oftmals auf anderer Ebene mehr erreichen, vor allem dann, wenn dadurch auch kritische Kräfte sowie die Bevölkerung eingebunden werden. Wandel entsteht durch Annäherung auf breiter Basis. Wirtschaftlicher, politischer, kultureller und gesellschaftlicher Austausch ist gleichermaßen wichtig. Wir müssen Foren schaffen, in denen dieser Austausch stattfinden kann. Erfolgreiche EU-Programme müssen dafür bedarfsgerecht auf die Partnerländer ausgeweitet werden. Hierzu gehören beispielsweise die Unterstützung der Zusammenarbeit von Städten und Gemeinden, Erleichterungen bei der Visumvergabe – das haben wir heute schon mehrfach gehört – und die Verbesserung der Bildungs- und Forschungsmöglichkeiten in den Bereichen Hochschulbildung, außerschulische Bildung und Erwachsenenbildung. Das Haus Europa bauen die Menschen, die hier leben. Wir müssen Kooperationen auf kommunaler Ebene und zwischenmenschliche Kontakte fördern. Die Partnerschaften müssen in der Lebenswirklichkeit spürbar sein. Ich komme aus einem der schönsten Wahlkreise der Republik, ganz sicher. (Zurufe von der SPD: Ja, ja! – Ulrich Kelber [SPD]: Wir auch! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abstimmen!) – Damit habe ich gerechnet, trotz Welpenschutz. Präsident Dr. Norbert Lammert: Anträge liegen mir dazu nicht vor. Wir werden darüber jetzt keine Kampfabstimmung durchführen. (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Katarina Barley (SPD): Mein Wahlkreis, Trier, weist aber noch eine Besonderheit auf: Trier liegt in der Mitte Europas, und man kann, wenn man es will und es schafft, mit dem Fahrrad an einem Tag durch vier europäische Länder fahren. (Beifall des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) In Trier kann ich das Miteinander täglich erleben. In meiner Heimat ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sich Franzosen, Luxemburger, Belgier, Deutsche und auch Menschen anderer Nationen jeden Tag auf der Arbeit, in der Freizeit oder an der Universität begegnen. Aus diesen Begegnungen erwächst Vertrauen, und aus Vertrauen erwächst Frieden. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir einen solchen Weg auch mit den östlichen Partnerschaften gehen könnten. Ende Oktober hat das erste Jugendforum der Östlichen Partnerschaft stattgefunden. Mehr als 200 Jugendliche aus der Europäischen Union und den sechs Partnerländern trafen sich in Litauen. Dieses Projekt ist ein vielversprechender Schritt in die richtige Richtung. Wir brauchen mehr solcher Projekte. Im Mittelpunkt der Debatte mit unseren Partnern stehen deshalb drei zentrale Punkte: Erstens. Die bestehenden Kooperationsformen auf europäischer Ebene müssen vertieft werden. Hier bestehen mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik und der gemeinsamen Parlamentarischen Versammlung EURONEST gute Ansätze. Gerade in den Staaten Osteuropas ist die Stärkung demokratischer Institutionen ein wichtiger Teil des Entwicklungsprozesses. Zweitens. Die Schaffung von sozialer Stabilität ist die Grundvoraussetzung für die Schaffung von Frieden und Wohlstand in der gesamten Region. Drittens. Die Kooperation im Rahmen der Östlichen Partnerschaft muss die Zivilgesellschaft und die Bevölkerung mit einbeziehen. Das alles bedeutet aber auch: Wenn wir unseren östlichen Partnerländern Standards vorgeben, verpflichtet uns das gleichzeitig, unsere eigenen Standards fortwährend zu überprüfen. Auch die Europäische Union selbst muss sich stetig weiterentwickeln. Deshalb ist es wichtig, dass wir in der EU den nächsten Schritt wagen, den Schritt zu einem Europa, das die soziale Dimension gleichberechtigt zur wirtschaftlichen Integration voranbringt. (Beifall bei der SPD) Dieses soziale Europa, wie wir Sozialdemokraten es schon lange fordern, ist deshalb das europäische Projekt der nächsten Jahre. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Barley, ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag, (Beifall) auch zu dem seltenen Kunststück, beim ersten Mal mit der knappen Redezeit nicht nur ausgekommen zu sein, sondern eine virtuelle Reserve angelegt zu haben, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) was ich allen weiteren Rednern als leuchtendes Beispiel für die Legislaturperiode empfehlen möchte. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Thomas Silberhorn ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frau Bundeskanzlerin hat einen Ausblick auf den nächsten Gipfel in Wilna zur Östlichen Partnerschaft gegeben. Wir als CSU vertrauen ganz auf ihre große Routine (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist auch gut so!) und ihr ebenso großes Geschick, das sie auf vielen Gipfeln unter Beweis gestellt hat. Sie wird unsere Interessen dort gut vertreten und den Blick auf die ganze Europäische Union bewahren. Meine Damen und Herren, bei der Östlichen Partnerschaft geht es um eine strategische Ausrichtung der Europäischen Union bezüglich folgender Länder im Osten: Weißrussland, Ukraine, Moldawien, Aserbaidschan, Armenien und Georgien. Wir reden nicht nur über Handelserleichterungen, über Visaerleichterungen, sondern wir müssen insbesondere über die grundsätzliche Richtung dieser Staaten reden. Wir wollen, dass sie den Weg zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit finden. Dafür bieten wir unsere Unterstützung konkret an. Diese Länder haben noch einen weiten Weg vor sich. Deswegen ist es richtig, dass wir diese Östliche Partnerschaft nicht in Verbindung mit einer Beitrittsperspektive bringen. Für die Zukunft ist nichts ausgeschlossen, aber wir sollten uns auch nicht mit zu großen Erwartungen überfrachten. Vielmehr sollten wir die nächsten gangbaren Schritte gehen. Es gibt Länder, die möglicherweise eine Entwicklung in die andere Richtung vollziehen wollen, was uns mit Sorge erfüllen muss. Deswegen müssen wir sehr klar darauf hinwirken, dass Erleichterungen im Handel und bei Visa klare Voraussetzungen haben. Wir wollen sichtbare Fortschritte bei der Einhaltung der Menschenrechte, bei unabhängiger Justiz, bei freier Presse, bei alldem, was insgesamt den Bewegungsspielraum der Zivilgesellschaft angeht. Wir können auf das Ausbleiben von Reformen oder sogar auf verschärfte Repressionen nicht dadurch antworten, dass wir fröhlich Abkommen schließen, sondern wir müssen dort, wo es Fortschritte gibt, positiv reagieren und die Entwicklung unterstützen. Dort, wo Fortschritte nicht in dem von uns gewünschten Umfang möglich sind, weil die Bedingungen eben nicht vorliegen, müssen wir aber immerhin den Gesprächsfaden aufrechterhalten und weiter zeigen, dass wir an einer konstruktiven Zusammenarbeit interessiert sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Europäische Union unterbreitet ganz konkrete Angebote der Zusammenarbeit. Das steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu der Vorgehensweise Russlands. Dass Russland mehr oder weniger offen versucht, diesen Prozess zu torpedieren, ist hier schon angesprochen worden. Wir müssen nicht nur klarmachen, dass wir ein Veto von dritter Seite für den Prozess der Europäischen Union nicht akzeptieren können, sondern dass Drohgebärden und Druck auch keine geeigneten Instrumente für Partnerschaften sind. Russland wird sich die Frage stellen müssen, ob es nicht andere Handlungsmöglichkeiten hat, als mehr oder weniger stark am Gashahn zu drehen oder Lebensmitteleinfuhren zu kontrollieren. Wir in der Europäischen Union unterbreiten daher ein Angebot für eine umfassende Partnerschaft auf der Basis eines solidarischen Miteinanders. Wir sollten Russland allerdings auch davon überzeugen, dass diese Östliche Partnerschaft nicht gegen Russland gerichtet ist. Wir müssen den Gesprächsfaden auch mit Russland aufrechterhalten. Wir müssen uns über die geplanten Projekte kontinuierlich austauschen und informieren. Ein gemeinsamer Wirtschaftsraum, der in der Zukunft entstehen könnte, kann durchaus auch Russland offenstehen. Deswegen sind die Freihandelsabkommen, über die wir gerade im Rahmen der Östlichen Partnerschaft diskutieren und verhandeln, nicht ausschließend gemeint. Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Hinblick auf die Östliche Partnerschaft will ich darauf hinweisen, dass auch die Projekte der transeuropäischen Verkehrsnetze von großer Bedeutung sind. Sie erschließen nicht nur die Peripherie, sondern sie sollen auch den gesamten Binnenmarkt in der Europäischen Union stärken. Gerade mit Blick auf unsere östlichen Nachbarn können die transeuropäischen Netze die Handelschancen deutlich verbessern. Deutschland liegt im Zentrum der meisten dieser geplanten Verkehrswege. Deshalb profitieren wir als Tor zu Osteuropa in ganz besonderem Maße von diesen transeuropäischen Verkehrsnetzen. Ein zentrales Thema in der Europäischen Union bleibt freilich weiter die Bekämpfung der Schulden- und Finanzkrise. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, dafür zu sorgen, dass alle Länder in der Euro-Zone wettbewerbsfähig werden und bleiben. Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit aber auch im globalen Maßstab definieren. Es hilft uns in der Europäischen Union nichts, wenn man versucht, die Stärkeren schwächer zu machen – damit ist niemandem gedient –, sondern wir müssen gemeinsam als Europäische Union, als Binnenmarkt im globalen Wettbewerb wettbewerbsfähig sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, Haushaltsdisziplin, die damit verbundenen Strukturreformen und die Sanierung der nationalen Haushalte bleiben Anker unserer Politik. Es geht dabei auch darum, dass Gerechtigkeit zwischen den Generationen geübt wird. Denn gerade dort, wo durch Schulden die Lasten auf die nächste Generation übertragen werden, wird der Spielraum für diese nächste Generation immer kleiner. Deswegen führt kurzfristige Nachsicht bei Reformanstrengungen nicht zum Ziel. Wir müssen hier klar Kurs halten. Dass einige Länder das Schlimmste überstanden haben und mittlerweile wieder besser dastehen, ist gerade diesem Beharren auf strikte Haushaltskonsolidierung zu verdanken. Es sind erhebliche Reformmaßnahmen umgesetzt worden; das zeigen die Ergebnisse in Irland und Portugal. Die Kommission hat die Defizitverfahren für viele Länder aufgeschoben oder ganz aufgehoben. Irland wird den Rettungsschirm im Dezember dieses Jahres nach nur drei Jahren verlassen. Auch Portugal erfüllt nach den jüngsten Berichten der Kommission in den relevanten Bereichen die vereinbarten Auflagen. Deswegen hat der Bundestag allen Grund, nach Unterrichtung durch den Bundesfinanzminister einen positiven Beschluss zur Auszahlung der nächsten Kredittranche mitzutragen, der im Direktorium der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität für nächsten Dienstag vorgesehen ist. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich? Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Bitte schön. Stefan Liebich (DIE LINKE): Herr Kollege Silberhorn, Sie nutzen ja, wie auch unser Redner, Dietmar Bartsch, die Gelegenheit, auch über Portugal zu sprechen; das finde ich sehr gut. Daran möchte ich anknüpfen und Ihnen eine Frage stellen. Die CSU hat ja den Vorschlag gemacht, einige Länder sollten die Europäische Union verlassen können. Darüber gab es, wie den Medien zu entnehmen war, allerlei Debatten. Vielleicht können Sie, da Sie ja Mitglied der CSU sind, diese Gelegenheit nutzen, diesen Vorschlag hier im Parlament ein bisschen zu erläutern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Vielen Dank für diese Zwischenfrage, die mir die Gelegenheit gibt, klarzustellen, dass die CSU keineswegs den Vorschlag unterbreitet hat, dass Länder die Europäische Union verlassen sollen; (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Können!) das war nie unser Anliegen. Hinweise darauf findet man in entsprechenden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. Das haben wir nie zum Thema gemacht. Die Frage ist: Wie gehen wir mit einem Land um, das auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein wird, dem Wettbewerbsdruck in der Euro-Zone standzuhalten? In einem solchen Fall muss man Staatsschulden restrukturieren, wie es am Beispiel Griechenlands bereits einmal vollzogen worden ist. Wir treten dafür ein, für einen solchen Fall Verfahren zu entwickeln, die sicherstellen, dass man nicht ad hoc entscheiden muss, was zu tun ist. Denn dann würde man feststellen, dass man, wie im Falle Griechenlands, gar nicht alle Gläubiger einbinden kann, sondern darauf angewiesen ist, dass die Gläubiger eine Vereinbarung treffen; diejenigen, die sie nicht treffen wollen, sind dann nicht mit im Boot. Vor diesem Hintergrund brauchen wir entsprechende Verfahren. Dazu gibt es Vorschläge, zum Beispiel einen Vorschlag des Internationalen Währungsfonds. Wir wollen, dass die Euro-Zone für einen solchen Fall im Vorfeld selbst Regelungen trifft. Wir haben in der Tat erneut einen Vorschlag markiert, den der CSU-Parteitag im Oktober letzten Jahres einstimmig beschlossen hat. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: -Genau! So ist es!) Auch in anderen Parteien gibt es klare Beschlüsse dahin gehend, dass über das Thema, wie man die Euro-Zone insgesamt zusammenhalten kann, sehr grundsätzlich nachgedacht werden muss. Das haben wir getan. Wir wissen sehr wohl, dass die Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt nicht der Adressat ist, wenn es darum geht, diese Debatte zu führen; denn es sind Entscheidungen getroffen worden, deren Umsetzung jetzt ansteht. Ich will durchaus anerkennen, dass wir am Beispiel Portugal sehen können, dass die vereinbarten Reformmaßnahmen greifen. Darauf sollten wir uns konzentrieren. Wissen Sie, Herr Kollege Liebich, ich gehöre zu denen, die in der letzten Legislaturperiode hin und wieder differenziert abgestimmt haben. Ich habe dem Hilfspaket für Portugal zugestimmt, und ich sehe mich durch die Entwicklung in Portugal bestätigt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dass die Ziele bei strikten Auflagen auch erreicht werden können. Ich habe auch dem Reformpaket für Irland zugestimmt, und ich sehe mich auch da durch die Entwicklung bestätigt. Deswegen lege ich weiterhin Wert darauf, festzustellen, dass wir zwar einerseits bereit sind, solidarisch zu helfen, aber andererseits auch klare Anforderungen formuliert werden müssen. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Deswegen, meine Damen und Herren, bleibt solide Haushaltsführung bedeutsam. Auch auf EU-Ebene haben wir das jetzt in einem großen Schritt verwirklicht: Im mehrjährigen Finanzrahmen muss erstmals die europäische Ebene selbst Haushaltsdisziplin üben. Wir haben also einiges erreicht. Wir wollen auf diesem Weg weitergehen. Wir wollen keine Haftungsunion, wir wollen Schulden nicht vergemeinschaften, weder Staatsschulden noch Bankenschulden. Mit Rücksicht auf kommende Generationen lehnen wir eine Vergemeinschaftung von Schulden in Europa ab. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Haushaltsstabilität und wirtschaftliche Dynamik gehören zusammen. Schuldentilgung und Wachstum führen gemeinsam zum Erfolg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, es kommt immer wieder die Forderung, dass Europa jetzt bürgernäher und transparenter werden müsse. In dieser Allgemeinheit kann man das teilen; aber wir müssen auch konkret überlegen, was wir tun können, um die Bürger wieder für Europa zu gewinnen. Dafür ist es notwendig, dass sich die Europäische Union klare Ziele setzt. Dafür ist es notwendig, dass die Bürger stärker beteiligt -werden. Die Prinzipien der Subsidiarität und der Regionalität sind die Schlüssel dafür. Wir brauchen einen Ausgleich zwischen regionalen, nationalen und europäischen Interessen. Das Prinzip der Subsidiarität ist der Violinschlüssel dafür, dass dieser Ausgleich in angemessener Form gelingen kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir brauchen eine starke Europäische Union, wenn es darum geht, das Gewicht Europas in der Welt zur Geltung zu bringen. Aber wir brauchen eine schlanke Europäische Union, wenn es darum geht, den Alltag von -Bürgern und Betrieben zu regulieren. Durch beides zusammen wird ein Schuh daraus. Themen wie die Energiewende oder die Digitale Agenda müssen wir stärker europäisch angehen. Es gibt aber auch Kompetenzen, bei denen wir die Frage stellen müssen, ob diese Kompetenzen auf regionaler Ebene nicht besser angesiedelt wären – wie wir das ganz konkret für die Daseinsvorsorge vorschlagen. Herr Präsident, ich sehe, meine Zeit ist abgelaufen. Mir wurde gesagt, dass die Kollegen Kauder und Schockenhoff noch viele Minuten für mich übrig gelassen hätten. Vielleicht lässt sich das klären? Präsident Dr. Norbert Lammert: Die sind wahrscheinlich für weitere Debatten vorgesehen. (Heiterkeit) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Dann will ich damit schließen, dass die Mitarbeit an der europäischen Integration eine der zentralen Aufgaben der neuen Bundesregierung und dieses Bundestages bleibt. Solange wir uns über den richtigen Kurs für die europäische Integration heftig streiten können, so lange machen wir auch deutlich, dass uns die europäische Integration wichtig ist. Daran will ich gerne mitwirken. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die Östliche Partnerschaft beraten wir über ein wichtiges Instrument der europäischen Außenpolitik. Nachdem meine Fraktionskollegen schon ausführlich dazu Stellung bezogen haben, möchte ich mich in meinen Ausführungen darauf beschränken, drei Länder konkret anzusprechen. Zunächst möchte ich etwas zu Weißrussland sagen. Wir haben Weißrussland 2009 die Tür zur Teilnahme an der Östlichen Partnerschaft offen gehalten, dabei aber die Erwartung geäußert, dass sich die Lage der Menschen in Weißrussland verbessert. Wie vorhin schon in der Debatte gesagt worden ist: Lukaschenko ist der letzte Diktator auf dem europäischen Kontinent. Die Situation in diesem Land ist nicht besser, sondern schlechter geworden. Deshalb möchte ich auch bei dieser Debatte wie schon oft hier im Deutschen Bundestag für meine Fraktion die Gelegenheit nutzen, das Engagement des Deutschen Bundestages, aber auch der Regierung für die Opposition in Weißrussland hervorzuheben und deutlich zu machen, dass wir das Vorgehen Lukaschenkos gegen die Zivilgesellschaft nicht dulden, sondern die Opposition weiter massiv unterstützen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viele Abgeordnete hier haben Patenschaften für politische Gefangene übernommen. Der junge Mann, für den ich seit Jahren die Patenschaft übernommen habe, ist Vorsitzender einer politischen Jugendorganisation. Herr Dashkevich ist vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen worden, und nur weil er erneut unter dem Verdacht stand, politisch aktiv zu sein, ist er wieder in Untersuchungshaft gekommen. Vor diesem Hintergrund appelliere ich daran, dass Lukaschenko in sich geht und überlegt, ob das der richtige Weg ist. Ansonsten müssen wir mit all den uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen darum werben, dass Weißrussland den politischen, -diplomatischen und wirtschaftlichen Druck der westlichen Gemeinschaft zu spüren bekommt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gerade unser Kanzleramtschef Ronald Pofalla setzt sich dort sehr stark ein. Ich möchte ihm an dieser Stelle dafür danken; denn Weißrussland steht nicht jeden Tag im Fokus der Debatte. Auch zur Ukraine haben meine Vorredner schon etwas gesagt. Bei der Ukraine erwarten wir natürlich mit Spannung, wie es im Fall Timoschenko weitergeht. Aber ich möchte das nicht nur an diesem Fall festmachen; -Julija Timoschenko steht ja nur als Pars pro Toto für große Unregelmäßigkeiten, die es im ukrainischen Rechts- und Justizwesen gibt. Es gibt Signale aus der Ukraine, dass das Parlament uns morgen eventuell eine Lösung präsentieren und am Donnerstag weiter gehende Schritte, die wir als Prinzipien und Entscheidungsparameter für unseren Findungsprozess deutlich gemacht haben, auf den Weg bringen könnte. Ich formuliere das extra vorsichtig, weil ich mir nicht sicher bin, inwiefern das, was uns kürzlich und auch am heutigen Tag präsentiert worden ist, von Dauer sein wird. Die Ukraine hat lange genug Zeit gehabt, all die Kriterien zu erfüllen, die in mühsamen Verhandlungen immer wieder auf die Tagesordnung gebracht worden sind. Deshalb glaube ich nicht, dass die Situation in der Ukraine durch einen einfachen Parlamentsbeschluss besser wird, sondern wir müssen erst einmal abwarten, was in dem Land tatsächlich langfristig passiert. Aber auch hier sage ich: Die Östliche Partnerschaft ist nicht nur auf kurzfristige Entwicklungen in den betroffenen Ländern ausgerichtet, sondern sie ist für uns langfristig ein strategisches Instrument, um über den Rahmen der Europäischen Union hinaus Offenheit gegenüber den östlichen Partnern zu zeigen. Deshalb ist die Frage der Partnerschaft, egal wie schwierig die Situation in der Ukraine auch sein mag, für uns nicht ganz einfach zu beantworten; denn wir wollen dieses Land auch nicht aufgeben. Mit Blick auf den Interessenausgleich, den die Bundeskanzlerin gegenüber Russland angesprochen hat, wollen wir gleichzeitig deutlich machen, dass auch die Europäische Union ein geopolitisches Interesse hat, wenn es um die früheren Länder der Sowjetunion insgesamt geht. Zum Abschluss möchte ich auf ein Land eingehen, das insbesondere in unserer Fraktion sehr viel Aufmerksamkeit genießt, nämlich die Republik Moldau. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, Aserbaidschan! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Das auch!) Die Bundeskanzlerin hat Moldau vor einem Jahr besucht. Wir befinden uns in einer Situation, in der ich darauf hinweisen muss, dass unsere Partner in diesem Land gerade jetzt unsere Unterstützung brauchen; denn der ökonomische Druck und der politische Druck innerhalb des Landes werden immer größer, und der engagierte Vorwahlkampf, der durch die Kommunisten dort gerade betrieben wird, setzt der Regierung massiv zu. Deshalb müssen wir gerade diesem Land die europäische Perspektive aufzeigen und dafür sorgen, dass die Regierung ihrer eigenen Bevölkerung auch Erfolge vorweisen kann. Daher spreche ich mich nachdrücklich dafür aus, dass wir dort gerade beim Thema Visaliberalisierung Offenheit zeigen; denn ich glaube, gerade die Regierung in Moldau, in Chisinau, hat zum jetzigen Zeitpunkt unsere Unterstützung verdient. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Eine Zwischenfrage der Kollegin Beck, bitte schön. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, ich möchte Ihnen gerne noch zwei -Minuten Redezeit verschaffen, weil Sie nichts zu Aserbaidschan gesagt haben. Über Aserbeidschan zu sprechen, halte ich aber auch deswegen für wichtig, weil gerade aus Ihrer Fraktion heraus der Verlauf der Wahlen in Aserbaidschan als durchaus annehmbar bezeichnet worden ist, die Menschenrechtslage dort katastrophal ist und wir davon ausgehen müssen, dass es viele politische Gefangene gibt, wobei aus der CDU/CSU-Fraktion immer wieder eine gewisse Unschärfe kommt, um es vorsichtig zu formulieren. Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Was Aserbaidschan angeht, glaube ich, dass auch aus unserer Fraktion Wahlbeobachter vor Ort waren. Ich müsste mich erst einmal schlaumachen, wer das tatsächlich war. Aber soweit ich weiß, ist der Bericht, der durch die Delegation der OSZE vorgelegt worden ist, sehr kritisch gewesen. Wir sind natürlich auch jederzeit bereit, uns damit auseinanderzusetzen. Ich finde, angesichts der Situation in Armenien, das sich bewusst für die russisch dominierte Zollunion entschieden hat, und der Tatsache, dass in Baku kaum Nachdruck an den Tag gelegt wird, damit Aserbaidschan ein Teil der Östlichen Partnerschaft – außer der wirtschaftlichen Seite – werden kann, muss man die Entwicklung der Östlichen Partnerschaft mit großem Interesse betrachten. Wir haben für alle diese Länder die Tür geöffnet: Aus unterschiedlichen Gründen sind sie entweder bereit, durch diese Tür hindurchzugehen, wie die Republik Moldau, oder eben nicht, wie Armenien und zum Teil Aserbaidschan. Aus unserer Sicht stellt sich die Frage, inwieweit es die Länder der Östlichen Partnerschaft ernst meinen, bei diesem Vehikel mitarbeiten zu wollen. Was die Menschenrechtssituation angeht – wir haben darüber schon oft diskutiert; ich glaube, vor einigen Jahren ist auch eine Resolution des Deutschen Bundestages zu diesem Thema verfasst worden –, scheint die Situation etwas besser geworden zu sein, zumindest wenn ich den Bericht richtig gelesen habe. Ich selber war nicht als Wahlbeobachter bei der Wahl in Baku. Deswegen kann ich dazu nichts sagen. Mir ist aber auch keine Äußerung aus meiner Fraktion dazu bekannt; das muss ich ganz offen sagen. (Zuruf des Abg. Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]) – Ja. Für ein Mitglied unserer Fraktion gab es ein Einreiseverbot. (Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage) – Man kann doch Nachfragen stellen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein. Wir sind jetzt langsam am Ende der vereinbarten Gesamtredezeit, Herr Kollege Mißfelder. Das kann nicht durch bilaterale Vereinbarungen außer Kraft gesetzt werden. Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Die Zeit läuft noch. Aber ich komme zum Schluss. Wir legen großen Wert darauf, das Instrument der Östlichen Partnerschaft im Ausgleich mit den Interessen der Russischen Föderation auszubauen. Aber ich will auch deutlich machen: Wir sind als CDU/CSU-Bundestagsfraktion massiv daran interessiert, dass die Europäische Union nicht nur als ökonomischer Raum gesehen wird, sondern dass die Wertegemeinschaft der Europäischen Union auch tatsächlich deutlich macht, dass dieses Angebot nicht nur auf Freihandel, Handel und Transportwegen beruht, sondern auch mit Demokratisierung, Justizwesen und Antikorruption einhergehen muss. Das sind die Eckpfeiler, die für uns neben den ökonomischen Aspekten wichtig sind. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Bevor ich über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/64 abstimmen lasse, will ich noch einmal darauf hinweisen, dass aus guten Gründen in dieser Diskussion außer der Aussprache über die Regierungserklärung zum EU-Gipfel die Frage der Auszahlung der EU-Tranche an Portugal eine Rolle gespielt hat. Das ist deswegen von Bedeutung, weil die nach unseren gesetzlichen Regelungen jederzeit mögliche Stellungnahme des Bundestages, wenn sie denn gewünscht wäre, heute hätte erfolgen müssen, weil die dafür vorgesehenen Fristen heute auslaufen. Dies hat aber in der Diskussion und offenkundig auch in den Frak-tionsberatungen eine breite Rolle gespielt. Auch der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke nimmt darauf ausdrücklich Bezug. Ich komme nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/64. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Entschließungsantrag mit breiter Mehrheit aller übrigen Fraktionen außer den Antragstellern abgelehnt. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Vereinbarte Debatte: zu den Abhöraktivitäten der NSA und den Auswirkungen auf Deutschland und die transatlantischen Beziehungen Hierzu liegen wiederum ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und ein weiterer der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Auch hier haben die Fraktionen eine Gesamtdebattenzeit von 94 Minuten vereinbart. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich. Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des Innern: Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind seit Bestehen der Bundesrepublik eng. Sie sind freundschaftlich und partnerschaftlich. Wir haben enge wirtschaftliche Beziehungen. Wir haben, Herr Ströbele, seit vielen Jahrzehnten auch enge außenpolitische Beziehungen. Wir haben eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Es gilt auch die innere Sicherheit in Deutschland und Europa gemeinsam zu schützen. Aber über allem steht – ich glaube, das ist noch sehr viel wichtiger –, dass wir, Deutsche, Europäer und Amerikaner, eine Wertegemeinschaft bilden. Wir bekennen uns in dieser Wertegemeinschaft zu Demokratie und Freiheit. Das unterscheidet uns von manch anderer Region in der Welt. Auch das darf man in der Diskussion hin und wieder erwähnen und vielleicht zur Kenntnis nehmen. Wahr ist aber auch, dass jedes gute Verhältnis immer wieder erneuert, erarbeitet und gestärkt werden muss. Die Veröffentlichungen der angeblichen Dokumente des US-amerikanischen Staatsbürgers Snowden vom Juni 2013 waren mehr als irritierend. Sie waren beunruhigend. Was aber noch beunruhigender und irritierender ist, ist, dass seit der ersten Veröffentlichung am 5. Juni 2013 die Informationspolitik unserer amerikanischen Freunde leider zu wünschen übrig lässt, und das auch zum Schaden der Vereinigten Staaten selbst. So konnte beispielsweise – das ist heute schon kurz angeklungen – im Sommer über Wochen in der europäischen Öffentlichkeit behauptet werden, dass Millionen Daten monatlich von der NSA in Deutschland erhoben werden. Das hat natürlich zu großer Aufregung geführt; denn impliziert war der Vorwurf, Millionen Bürger in Deutschland würden ausgespäht. Dann hat sich im Laufe des Augusts herausgestellt, dass es sich bei den 500 Millionen Datensätzen pro Monat, die in Rede standen, um Daten handelte, die der Bundesnachrichtendienst aufgrund von Gesetzen, die von diesem Parlament verabschiedet worden waren, erhoben hat, und zwar in Krisengebieten, unter anderem in Afghanistan. Dabei ging es auch darum, den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten sowie unserer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sicherzustellen. Ich glaube, es ist unsere gemeinsame Aufgabe, das zu tun; denn wenn wir schon Frauen und Männer in solche Krisengebiete schicken, um dort Frieden herzustellen und die Interessen Deutschlands, Europas und der ganzen freien westlichen Welt zu vertreten, dann müssen wir sie auch entsprechend schützen. Das ist dadurch geschehen, dass der Bundesnachrichtendienst Kommunikationsdaten in diesen Krisengebieten erhoben hat und gemeinsam mit den amerikanischen Freunden und Partnern ausgewertet hat. Ich sage ausdrücklich: Das alles hat stattgefunden auf der Grundlage von Gesetzen. Unsere Behörden, sowohl der Verfassungsschutz als auch der Bundesnachrichtendienst, handeln aufgrund gesetzlicher Vorschriften. Wenn der Bundesdatenschutzbeauftragte heute sagt, es gebe so etwas wie einen kontrollfreien Raum der Nachrichtendienste, dann muss ich dem ausdrücklich widersprechen. Der Bundestag hat durch ein sehr enges Geflecht aus Kontrollmöglichkeiten sichergestellt, dass zu jeder Zeit die Geheimdienste in diesem Land kontrolliert werden. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) – Da können Sie lachen, so viel Sie wollen. – Die Kollegen, die Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums sind und sich stundenlang hinter verschlossenen Türen die Berichte der Präsidenten der Nachrichtendienste anhören, haben auf jeden Fall den Respekt dieses Hauses verdient. Die Kollegen gehen ihrer Aufgabe nach. (Beifall bei der CDU/CSU) Des Weiteren gibt es die G-10-Kommission, eingesetzt vom Deutschen Bundestag. Sie befasst sich ausführlich und detailliert mit der Fragestellung, wann und unter welchen Umständen Nachrichtendienste handeln können. Deswegen irrt der Bundesdatenschutzbeauftragte, wenn er glaubt, dass seine Behörde die Überkon-trollbehörde sei. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nein, neben dem PKGr und neben der G 10 gibt es auch den Bundesdatenschutzbeauftragten. Das wollte ich nur sagen, weil die Kritik heute von den Agenturen verbreitet wurde, die aber meines Erachtens nicht gerechtfertigt ist. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber nun zum Schweigen unserer amerikanischen Freunde, das leider dazu führt, dass es allerhand Verschwörungstheorien (Lachen bei der LINKEN) und in der Zwischenzeit ein Misstrauen sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik und in der Bevölkerung gibt. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!) Deswegen kann man mit Fug und Recht davon sprechen, dass das Vertrauen, das notwendig ist, damit Deutschland und Amerika auf guter Basis auch in der Zukunft weiter zusammenarbeiten, gestört ist und wiederhergestellt werden muss. Die Amerikaner müssen aufklären. Sie dürfen sich nicht in Widersprüche verstricken. Das gilt im Übrigen auch für die Vorwürfe, die in den Raum gestellt worden sind und die das angebliche Abhören des Handys der Frau Bundeskanzlerin angehen. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Angeblich?) Ich möchte an der Stelle sagen, dass es auch dazu bisher keine ausreichenden Einlassungen und Informationen der amerikanischen Partner gibt. Ich kann Ihnen aber auch sagen, dass sich jeder, der ein Handy oder Kommunikation in Deutschland abhört, egal ob es die Kommunikation von Bürgern oder die Kommunikation von Behörden oder Regierungsmitgliedern ist, strafbar macht. Wann immer strafbares Handeln im Raum steht bzw. ein hinreichender Anfangsverdacht besteht, gehen unsere Ermittlungsbehörden diesen strafbaren Handlungen nach und nehmen Ermittlungen auf. Deswegen werden auch in der Frage, ob das Handy der Bundeskanzlerin abgehört worden ist, die zuständige Staatsanwaltschaft oder die Generalbundesanwaltschaft entscheiden, wie zu ermitteln ist. Das ist in einem Rechtsstaat so vorgesehen. Das macht nicht die Politik, sondern das machen rechtsstaatliche Stellen – Staatsanwälte, Generalstaatsanwälte –, wenn sie einen Verdacht haben. Sie vernehmen auch Zeugen, wenn von diesen Zeugen etwas zu erwarten ist. Die Aufklärungsbemühungen der Bundesregierung ebenso wie die der Europäischen Union sind umfangreich. Wir, sowohl die Justizministerin als auch ich, haben schriftliche Anfragen gestellt, und zwar schon im Juni. Es wurde uns bisher nur ein Teil dieser Anfragen beantwortet. Es wurde eine Vielzahl von Delegationsreisen in die eine wie in die andere Richtung durchgeführt; hochrangige Gespräche fanden statt. Die amerikanische Regierung ist hierdurch sehr frühzeitig problembewusst geworden. (Lachen bei der LINKEN) Wenn der amerikanische Außenminister heute eine Reise nach Europa plant, dann ist das, glaube ich, ein Zeichen dafür, dass die Gespräche gewirkt haben. Wir haben eine umfangreiche technische Sonderprüfung durch unseren Bundesverfassungsschutz vornehmen lassen. Wo immer irgendwelche Vorwürfe im Raum standen, hat der Verfassungsschutz umgehend Ermittlungen aufgenommen. Wir haben die Provider informiert und versucht, herauszufinden, ob es an irgendwelchen Knoten tatsächlich unerlaubte Zugriffe gegeben hat. All diese Dinge sind erfolgt. Die Demokratie kennt aber noch weitere Mechanismen. Wir sehen das derzeit in den Vereinigten Staaten. Im amerikanischen Parlament, im amerikanischen Kongress, genauso wie in der Öffentlichkeit gibt es eine breite Diskussion, und es werden die Fragen gestellt, was die amerikanischen Geheimdienste dürfen – dieselbe Frage stellen auch wir im Deutschen Bundestag –, ob die Verhältnismäßigkeit gegeben ist und wie man mit Freunden umgeht. Daran können Sie erkennen, dass Demokratien verschiedene Wege und Mechanismen haben, diesen Selbstreinigungsprozess, wo er notwendig ist, durchzuführen. Dass der amerikanische Präsident höchstpersönlich einen Bericht über die Spionagetätigkeit seiner Behörden angeordnet hat und dieser Bericht am 15. Dezember vorliegen soll, ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt. Auch wir erwarten umfangreiche Informationen aus diesem Bericht. Was haben wir veranlasst, und was planen wir, um die Spionageabwehr zu verstärken? Zum Ersten: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im Rahmen eines Reformprozesses, der im Frühjahr angestoßen wurde, schon im April und Mai angefangen, die Spionageabwehr personell, organisatorisch und technologisch zu verstärken. Wir haben dafür gesorgt, dass in einem engen Dialog mit der Internetwirtschaft, angestoßen durch die Bundeskanzlerin in einem IT-Gipfelprozess, seit vielen Jahren die Fragen der Sicherheit im Internet erörtert werden und auch auf ihre technologische Machbarkeit hin überprüft werden. Wir brauchen mehr und bessere Verschlüsselungen; das ist ein wichtiger Punkt. Dafür brauchen wir aber auch vertrauenswürdige Hersteller und Dienstleister. Das Ganze ist eine zentrale Aufgabe, die wir gemeinsam angehen müssen. Wir können die digitale Souveränität Europas nur dann erhalten, wenn es uns gelingt, in der Zukunft die technologische Souveränität über die Netzinfrastruktur und die Netztechnik zu erlangen und zu verstärken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hier liegt im Übrigen eine wichtige Aufgabe für die Europäische Union. Wenn man nach den großen europäischen Themen und Aufgaben fragt, dann bekommt man zur Antwort, dass es eine wichtige Aufgabe ist, auch in der Netzpolitik die technologische Souveränität Europas herzustellen, um sicherzustellen, dass wir in der digitalen Welt ebenfalls souverän bleiben. Wir müssen das Vertrauen der Wirtschaft stärken. Die Allianz für Cyber-Sicherheit hat dafür gesorgt, dass wir mit den mittelständischen und mit den großen Unternehmen pragmatische Lösungen finden können. Ich habe bereits zu Beginn des Jahres den Entwurf eines IT-Sicherheitsgesetzes vorgelegt, bei dem es darum geht, zusammen mit den Betreibern kritischer Infrastruktur jederzeit ein Lagebild über Angriffe auf die Netze und Sabotage der Netze erstellen zu können. Ich hoffe, dass wir diesen Entwurf eines Sicherheitsgesetzes schnell in diesem Hause verabschieden können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir prüfen, in welchem Maße es möglich und unter Kostengesichtspunkten sinnvoll ist, dass wir in der Zukunft die Möglichkeit eines europäischen Routings, also des Durchleitens von Daten nur über europäische Netze, anbieten. Ich glaube, dass das wichtig ist. Ich habe mich in der vergangenen Woche mit der EU-Kommissarin Kroes über die Frage einer europäischen Cloud, also einer sicheren Cloud für die Aufbewahrung von Daten europäischer Bürger, unterhalten. Ich meine, dass es eine wichtige Aufgabe der Europäischen Union in der Zukunft sein kann, einen Rechtsraum, einen Wirtschaftsraum, einen Sicherheitsraum zum Schutz der Daten herzustellen. Wir müssen auf europäischer Ebene die Datenschutz-Grundverordnung sehr schnell umsetzen. Ein wichtiger Punkt in dieser Datenschutz-Grundverordnung ist für uns, dass sichergestellt sein muss, dass, wann immer Daten europäischer Bürger an Behörden ausländischer Staaten ausgeliefert werden, Transparenz gewährleistet wird. Jeder Bürger muss das Recht haben, gegen eine solche Auslieferung vorgehen zu können. Schließlich ist es wichtig, dass wir auch im Verhältnis mit unseren amerikanischen Freunden, insbesondere hinsichtlich unserer Beziehungen in wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Hinsicht, deutlich machen, dass wir ein gemeinsames Verständnis von Datenschutz und Datensicherheit entwickeln müssen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Minister, Sie müssen zum Schluss kommen. Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des Innern: Ich komme zum Ende. – Deswegen ist es wichtig, dass wir eine Art digitale Grundrechtscharta auf den Weg bringen und ein gemeinsames Verständnis entwickeln. Aber über allem, meine sehr verehrten Damen und Herren, steht, dass wir die enge Partnerschaft mit unseren amerikanischen Freunden und Partnern brauchen, auch um die Sicherheit der Bürger in diesem Land in der Zukunft gewährleisten zu können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Der nächste Redner ist Dr. Frank-Walter Steinmeier. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Frau Präsidentin, vorab wünsche ich Ihnen für Ihre neue Aufgabe eine glückliche Hand. (Beifall) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kaum Vorstellbares ist geschehen. Ich hätte mir jedenfalls bis vor einigen Wochen nicht vorstellen können, dass Mobiltelefone deutscher Regierungschefs systematisch und über Jahre hinweg abgehört worden sind, und zwar von Freunden. Wir müssen inzwischen wohl leider davon ausgehen, dass vorhandene Hinweise der Wahrheit entsprechen. Ich bin nicht bereit, mit allfälligen Formeln wie „Das machen doch alle“ darüber hinwegzugehen. Ich hoffe, es machen eben nicht alle unserer Freunde. Ich hoffe vor allem, dass es denjenigen, die nicht zu unseren Freunden zählen, nicht gelingt. Vor allem gibt es keine Rechtfertigung, die notwendige Aufklärung – wir alle sehen das so – in eine ferne Zukunft zu verschieben. Wir brauchen diese Aufklärung, weil schlicht und einfach Vertrauen verloren gegangen ist. Eines kann man mir abnehmen: Ich habe keine Freude an diesem transatlantischen Streit; ganz im Gegenteil. Aber ich sage Ihnen auch: Alle Versuche diesseits und jenseits des Atlantiks, das Geschehene zu banalisieren, zum Kavaliersdelikt herunterzuspielen, dürfen wir nicht akzeptieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutschland ist fester Bestandteil des transatlantischen Bündnisses, und das ist nicht nur ein Bündnis, das auf Dauer angelegt ist, sondern, wie wir alle miteinander immer wieder sagen – die Frau Bundeskanzlerin hat es in ihrer Regierungserklärung auch noch einmal gesagt –, auch ein Bündnis, das sich auf gemeinsame Werte gründet. Ein solches Bündnis kann nur bestehen, wenn man die Regeln des Umgangs in einem solchen Bündnis miteinander und untereinander tatsächlich beachtet. Eine dieser Regeln heißt doch wohl, dass Spionage unter Freunden sich nicht gehört. Sie ist überflüssig, liebe Freunde, und gehört sich einfach nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schon deshalb müssen wir auf Aufklärung dringen. „Wie lange gibt es diese Praxis schon?“, ist die erste Frage. Wann hat sie begonnen? Was war der Anlass? Wurden nur Regierungschefs ausgespäht? Oder bezieht sich das auch auf andere? Wenn ja, wer wurde von der NSA ins Visier genommen? Wer hat die Daten ausgewertet? Wie wurden sie genutzt? War das Weiße Haus über Ausspähaktionen informiert? Haben sie in der amerikanischen Deutschlandpolitik eine Rolle gespielt? Das muss man doch wissen, meine Damen und Herren, bevor man in den Alltag des deutsch-amerikanischen Geschäfts zurückkehrt. Wir müssen wieder Grund unter den Füßen bekommen, weil wir alle miteinander wissen, aus der nationalen Politik wie aus der internationalen Politik: Auf Misstrauen jedenfalls lässt sich keine Zukunft gründen. – Das gilt auch hier. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was ich Ihnen vorgetragen habe, ist im Grunde genommen dramatisch genug. Aber natürlich: Es geht nicht nur um Politiker und Spionage im politischen Raum; vor allen Dingen geht es um die Fragen, die mindestens genauso offen sind: In welchem Umfang ist der Internetverkehr deutscher Bürgerinnen und Bürger überwacht worden, in welchem Umfang wurde möglicherweise auch deutschen Unternehmen hinterherspioniert? Wenn große amerikanische Internetunternehmen, Dienstleister in der Internetbranche, jetzt um ihren guten Ruf fürchten, dann mag das berechtigt sein. Aber die entscheidende Frage ist doch: Wie gelingt es uns, in einer digital vernetzten Welt und angesichts neuer Bedrohungen, die es ganz offenbar gibt, Freiheit und Sicherheit wieder ins Lot zu bringen? Da ist in den letzten Jahren doch offenbar ganz vieles aus den Fugen geraten. Da geht es um mehr als um die Frage, ob Spionage zwischen Freunden erlaubt ist oder nicht; es geht auch um die Frage: Wie sichern wir im 21. Jahrhundert unter völlig veränderten Kommunikationsbedingungen eigentlich den Schutz der Privatsphäre der Bürger als elementares Grundrecht? Die erste Regel, von der ich sagen würde, dass sie doch gelten muss, ist: Nicht alles, meine Damen und Herren, was technisch möglich ist, ist auch rechtlich erlaubt oder politisch klug. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb darf man sich im weiteren Gefolge der Debatten und Verhandlungen, die wir jetzt möglicherweise mit den amerikanischen Freunden führen werden, am Ende nicht mit unverbindlichen Absprachen zufriedengeben. Wir brauchen belastbare, überprüfbare Verein-barungen, sodass massenhaftes Ausspähen, was es -möglicherweise gegeben hat, und Nachspionieren bei Wirtschaftsunternehmen in Zukunft ausgeschlossen sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir brauchen das nicht nur, meine Damen und Herren, sondern – auch das, lieber Herr Friedrich, ist Teil von Souveränität – wir werden dafür eintreten müssen und wir werden dafür kämpfen müssen. Vom Himmel fällt das nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Vom Himmel fällt nur Manna!) Hier geht es nicht um irgendetwas, sondern es geht eben um das, was ich am Anfang gesagt habe: Wenn sich dieses Bündnis auf Werte gründet, dann geht es jetzt in den nächsten Monaten, vielleicht auch Jahren, um die Glaubwürdigkeit dieser transatlantischen Wertegemeinschaft. Gott sei Dank sind wir nicht die Einzigen, die das so sehen. Wenn ich die Debatte auf der anderen Seite des Atlantiks richtig beobachte, dann gibt es inzwischen auch dort viel Unbehagen, viel Empörung über wildgewordene Dienste, die niemanden oder möglicherweise nicht die Richtigen in der Politik über das, was sie tun, informiert haben. Da wächst Entrüstung, auch in den Parlamenten in den USA. Auch dort wächst das Bewusstsein – davon bin ich fest überzeugt –, dass man Spionage gegen Freunde nicht schlicht und einfach mit einem Schulterzucken abtun kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube – das gilt für die Menschen bei uns wie auch in den USA –, dass die Menschen spüren, dass es hier nicht um eine einmalige Verfehlung geht oder darum, dass jemand über seine Befugnisse hinausgegangen ist. Ich glaube, dass die Menschen spüren – darum hat die Debatte in diesem Jahr eine solche Wucht –, dass da sehr grundsätzliche Fragen berührt sind, dass es darum geht, wie wir individuelle Freiheitsrechte und damit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im digitalen Zeitalter gewährleisten können. Es geht um die Fragen: Welche moralischen, rechtlichen und politischen Leitplanken brauchen wir eigentlich, um in diesem 21. Jahrhundert mit veränderten Kommunikationsbedingungen, neuen Risiken und dem Machthunger, etwa von Diensten, umzugehen? Was ist die Aufgabe von Politik und dieses Deutschen Bundestages? Es geht nicht nur darum, über die moralischen Leitplanken zu reden und zu diskutieren, möglichst auch streitig, sie am Ende vielleicht zu definieren, sondern es geht auch darum, dass man aus diesen moralischen Leitplanken wieder geltendes Recht macht. Ich habe einmal an anderer Stelle gefragt: Was ist eigentlich die große zivilisatorische Leistung des 20. Jahrhunderts gewesen? Was ist mit dem Völkerbund, den Vereinten Nationen und der UNO-Charta? Man hat aus Machtungleichgewichten Recht gemacht, man hat Ungleichgewichte in Recht aufgelöst. Im Grunde genommen ist die Aufgabe, die wir jetzt im 21. Jahrhundert vor uns haben, nicht kleiner. Es geht nicht um Machtungleichgewichte, sondern darum, die Unterschiede bei den technischen Möglichkeiten, die aber eben nur einigen wenigen auf der Welt zur Verfügung stehen, in Recht zu übersetzen und Ungleichgewichte durch Recht auszugleichen. Das wird ohne politische Verhandlungen nicht geschehen können. Ich misstraue ein wenig all den Ankündigungen, die ich gelesen habe, man könne diesen Ausgleich auf technische Art und Weise herstellen. Ich misstraue dem, weil ich weiß: Wir leben auf keiner Insel, sondern das Netz ist worldwide. Ich bin sicher, wir alle miteinander werden die Zeit nicht zurückstellen können. Die Lösungen hierfür werden wir nicht aus Lösungen der Vergangenheit ableiten können. Wenn wir in Zukunft diese Balance von Sicherheit und Freiheit wiederherstellen können, dann werden wir nicht die Übersichtlichkeit der alten Welt zurückgewinnen, sondern wir werden Regeln für diese neue Welt brauchen. Ich glaube, das wird am Ende nicht durch technische Abschottung geschehen können. Ich habe viel dafür übrig, dass sich deutsche und europäische Dienstleister stärker präsentieren. Ich habe nichts dagegen, wenn sie sagen: Deutsche Sicherheitsstandards können sogar ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen sein. – Aber ich glaube, helfen wird das nicht, weil auch deutsche Dienstleister in der Regel internationale Eigentümer haben, weil auch deutsche Unternehmen international vernetzt sind. Deshalb glaube ich, dass wir es nur politisch gemeinsam schaffen, dieser Zügellosigkeit der Datenfischerei wieder Einhalt zu gebieten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir brauchen wirklich so etwas – ich habe das schon angedeutet – wie ein Völkerrecht im Netz. Das müssen wir hinbekommen. Dafür ist Politik da. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Bevor wir an die Gestaltung der Zukunft gehen, müssen wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen. Die Aufklärung ist eben noch lange nicht erledigt, wie manche das im Sommer gehofft haben. Trotzdem bleibt die Frage, welches Instrument das richtige ist, um Licht in diese Affäre, um Licht ins Dunkel zu bringen. Es kann sein – wie viele sagen –, dass das ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist, dass der parlamentarische Untersuchungsausschuss das schärfste Aufklärungs-instrument ist. Kann sein! Ich rate uns nur zum gegenwärtigen Zeitpunkt, darüber nachzudenken, ob das wirklich auch richtig ist. Mindestens, würde ich sagen, besteht die Gefahr, dass wir uns in einen Prozess stetiger parlamentarischer Selbstenttäuschung hineinbringen, wenn am Anfang einer jeden Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses mitgeteilt werden muss, dass dieser oder jener Zeuge, den wir aus dem Ausland eingeladen haben, dass dieses oder jenes Dokument, das wir von den Amerikanern eingefordert haben, nicht gekommen ist. Weil uns das alles fehlt, könnte die Folge sein, dass wir uns am Ende mehr mit den Opfern von staatlichen Überwachungsaktivitäten beschäftigen als mit denjenigen, die dafür verantwortlich sind. Das ist am Ende auch nicht der Sinn eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Steinmeier, auch Sie müssen zum Ende kommen. Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Ich bin fertig. – Wir müssen uns deshalb gar nicht gegen ein solches Instrument entscheiden. Ich schlage vor, dass wir uns zu Gesprächen zwischen den Fraktionen zusammensetzen und überlegen, was das richtige Instrument ist unter Einbeziehung der Frage, ob ein institutionell aufgerüstetes Parlamentarisches Kontrollgremium diese Aufgabe nicht auch, vielleicht sogar besser erledigen kann. Ich hoffe, dass es zu solchen Gesprächen zwischen den Fraktionen kommt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Der nächste Redner ist Dr. Gregor Gysi. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Auch von uns alle guten Wünsche für Sie. Meine Damen und Herren! Wir haben es mit einem Skandal zu tun, der in seinem Ausmaß in dieser Art bisher noch nicht vorgekommen ist. Er bringt die Bevölkerung dazu, sich eine Vielzahl von Fragen zu stellen. Die erste Pflicht der Regierung wäre gewesen: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. Sie haben aber in Wirklichkeit das Gegenteil betrieben. (Beifall bei der LINKEN) Was haben eigentlich die amerikanischen und britischen Geheimdienste gemacht? Sie nutzen die Internettechnologien, um jedes Land in der Welt auszuspähen, egal ob Freunde oder Feinde. Das spielt für sie gar keine Rolle. Es sind fünf Länder, die das machen, die berühmten „Five Eyes“, die fünf Augen: die USA, Großbritannien, Australien, Kanada und Neuseeland. Nur untereinander spionieren sie nicht; aber den ganzen Rest der Welt spionieren sie aus. „Untereinander“ stimmt allerdings auch nicht ganz – ich werde Ihnen von einem Trick berichten –: Der NSA ist es nämlich verboten, in bestimmten Fällen US-Bürgerinnen und US-Bürger abzuhören. Das macht dann für sie der britische Dienst und schickt ihr die Daten. So wird da getrickst. Das ist die Realität, um die es geht. Das Ganze steht unter dem Stichwort Bekämpfung von Terrorismus, von Drogenkriminalität. Eine flächendeckende, umfassende Überwachung der Bevölkerungen fast aller Staaten hat etwas mit der Bekämpfung von Terrorismus und Drogenkriminalität zu tun? In welchem Verdacht steht eigentlich unsere Kanzlerin, wenn auch deren Handy abgehört wird? Ich glaube, bei dieser Begründung wird es doch grotesk. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich muss ganz klar sagen: Von der Existenz und dem Umfang dieses Überwachungssystems wissen wir nur durch Edward Snowden. Es ist sein großes Verdienst. Er ist kein Krimineller, sondern er will die Weltbevölkerung vor Kriminalität schützen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Bravo!) Was hat er schon erreicht? Er hat eine andere Sensibilität erreicht. Ich hoffe, dass sich vieles ändern wird. Deshalb schulden wir Edward Snowden Dank. Es gibt einen sehr schönen Satz von Christa Wolf in ihrem Roman Kassandra. Dort heißt es: Das alte Lied: … Und dass wir lieber den bestrafen, der die Tat benennt, als den, der sie begeht: Genau das muss sich ändern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aufgrund der Veränderungen, die wir erlebt haben, schlage ich vor, Edward Snowden den Friedensnobelpreis zu verleihen. Er hat ihn verdient. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der LINKEN: Bravo!) Ja, er hat ihn verdient. (Zuruf von der CDU/CSU) – Ob sie sich nach meinem Vorschlag richten, ist eine andere Frage. Aber vorschlagen darf ich es doch noch. Oder darf ich das auch nicht mehr? Was wissen wir? Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der US- und der britischen Botschaft haben direkt hier im Regierungsviertel abgehört. Warum haben Sie – die Bundesregierung, der Außenminister – nicht den Mut, jede einzelne dieser Personen zur Persona non grata zu erklären? Das sieht das Völkerrecht in einem solchen Falle vor. Dann müssten sie innerhalb einer bestimmten Frist Deutschland verlassen, und die US-Regierung und die britische Regierung wüssten: Wir dulden eine solche Vorgehensweise nicht. Das wäre doch wohl das Mindeste. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben es also mit einem massenhaften Abhören der Bürgerinnen und Bürger – bis zum Handy der Kanzlerin –, aber auch der Unternehmen zu tun. Wir wissen, dass die britischen und amerikanischen Militärstützpunkte als Horchposten genutzt werden. Und wir wissen, dass es Industrie- und Wirtschaftsspionage mit Milliardenschäden für Unternehmen in unserem Land gibt. Nicht mal da werden Sie wach; nicht mal da unternehmen Sie wirklich etwas, um dies auszuschließen. Die Briten und Amerikaner zapfen Internetkabel an Knotenpunkten an zum millionenfachen Absaugen von Daten. Es ist schon gesagt worden: Google, Amazon, Facebook, Twitter und Microsoft geben auf Anfrage Daten an die Geheimdienste weiter. Und nun haben wir gehört, dass auch noch die Server dieser Kommunikationskonzerne angezapft worden seien, ohne dass die Konzerne es wussten. Es wird immer abstruser. Ich sage noch einmal: All diese Informationen verdanken wir Herrn Snowden. Er hat noch nie gelogen. Was er gesagt hat, hat sich immer als wahr herausgestellt. (Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Sagt das Washington, oder was?) Es gab immer eine Zusammenarbeit des BND mit britischen und amerikanischen Diensten. Der Datenaustausch war immer recht einseitig: Es ging mehr aus Deutschland dorthin als umgekehrt. Das war vor den Terroranschlägen vom 11. September so und danach auch. Das hat sich im Kern gar nicht geändert. Der BND hat den britischen Geheimdienst mit modernster Spionagetechnologie beliefert. Es gab schon einmal einen Fall von Wirtschaftsspionage: das Programm Echelon. Da gab es einen Untersuchungsausschuss der Europäischen Union. Er hat dann festgestellt, dass es keine Zweifel mehr an der Existenz eines globalen Kommunikationsabhörsystems geben kann, das von den USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada betrieben wird, also wiederum von den „Five Eyes“; das hat der Untersuchungsausschuss 2001 festgestellt. Jetzt haben wir 2013, und es ist nichts geschehen. Herr Bundesminister Friedrich, Sie waren ja in den USA. Dann kamen Sie wieder und sagten, Sie sind jetzt vollständig aufgeklärt; es ist alles in Ordnung. Ich muss Ihnen sagen: Sie haben sich einlullen lassen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Oder haben die Ihnen erzählt, dass sie gerade noch dabei sind, die Kanzlerin abzuhören? Und dann stellt sich der Kanzleramtschef Pofalla hin und sagt: Das Thema ist erledigt; es ist alles erledigt. – Wann haben Sie sich denn jetzt mal bei der Bevölkerung entschuldigt und gesagt: „Wir sind getäuscht worden, wir haben uns geirrt“? Ich meine, Sie müssten sich doch wenigstens mal dafür entschuldigen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will auch noch etwas anderes sagen, das mir wichtig ist: Ich verstehe, dass die USA, Großbritannien und Frankreich 1949 und danach Deutschland ausspioniert haben. Es gab ein tiefes Misstrauen gegenüber unserem Land. Aber wir haben nicht mehr 1949, wir haben 2013. Inzwischen führen Sie – wenn auch gegen unseren Willen – gemeinsam Kriege wie in Afghanistan. Dann derartig ausspioniert zu werden, ist unverschämt und nicht hinnehmbar. Dagegen muss man etwas tun, dagegen muss man sich wehren. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe schon gesagt: Jetzt geht es um Aufklärung. Dazu brauchen wir Edward Snowden. Eine Befragung in Russland – ich bitte Sie! – ist doch indiskutabel. Stellen Sie sich mal vor: Ein Staatsanwalt oder Mitglieder des Untersuchungsausschusses befragen Snowden in Russland. (Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Sie kennen die Lage da, ne?) Dann macht er sich strafbar, indem er antwortet. Und dann sagen wir zu Putin: Kümmere dich um seine Sicherheit! – Na, sagen Sie mal, das ist doch wohl grotesk. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich weiß gar nicht, seit wann Ihr Sicherheitsverhältnis zu Putin so eng ist. Die Bevölkerung hat einen Anspruch auf Aufklärung. Und Sie haben recht, Herr Bundesminister. Sie sagen: Wenn Bürgerinnen und Bürger und die Kanzlerin abgehört wurden, dann sind das Straftaten, dann muss ermittelt werden. – Aber wie wollen Sie das ohne Snowden ermitteln? Das geht ja überhaupt nur, wenn Sie den Zeugen Snowden hören. Deshalb müssen wir ihm die Sicherheit gewähren. Ich sage es ganz klar: Deutschland ist erst dann souverän, wenn es Herrn Snowden anhört, ihn schützt, ihm Asyl gewährt und seinen sicheren Aufenthalt organisiert – dann ist Deutschland souverän, vorher nicht. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Bravo! – Zuruf von der SPD: Wie?) Wenn Sie „Wie?“ rufen, dann sage ich Ihnen: Wenn unsere Dienste nicht einmal das können, dann sollen sie dichtmachen. Das ist ja wohl das Mindeste, was wir gewährleisten können müssen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt komme ich zu der Frage – sie ist auch interessant –, wie das alles überhaupt rechtlich läuft. Ich habe mich ein bisschen damit beschäftigt. Es gab die Pariser Verträge, die 1955 in Kraft getreten sind. Das hat Adenauer gemacht, um der Bevölkerung sagen zu können: Das Besatzungsstatut ist aufgehoben worden. – Das Problem war bloß, dass die Amis sagten, sie würden gerne ihre alten Rechte behalten. Deshalb sind Geheimverträge abgeschlossen worden. Ich hatte naiverweise erwartet, dass diese Verträge im Zuge der Zwei-plus-Vier-Gespräche aufgehoben wurden. Sie wurden aber nicht aufgehoben, weil nämlich nur Abkommen mit allen vier Mächten aufgehoben wurden, nicht aber Abkommen mit drei Mächten, mit zwei Mächten oder mit einer Macht. Da war zwar alles, was mit den Russen und den anderen drei Mächten gemeinsam vereinbart war, heraus, aber der Rest blieb; und das geht nicht. Jetzt haben Sie erklärt: Im Sommer sind diese Verträge für unwirksam erklärt worden. – Wie eigentlich? Ich würde gerne einmal die Noten sehen. Was stand da eigentlich drin? Es gab auch neue Verwaltungsvereinbarungen. Sie sehen: Das ist alles ein Wirrwarr, der nicht mehr zu erklären ist. Vergessen Sie auch nicht das Aufenthaltsabkommen und das NATO-Truppenstatut. Auch hier haben sie Rechte, die fast an die Besatzungszeit erinnern. Ich kann nur sagen: Auch hier muss sich einiges ändern. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte jetzt wissen: Welche Verträge sind nun aufgehoben, welche gelten noch, und was steht da drin? Ich finde, die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, das zu erfahren. Ich möchte, dass eine weitere Frage beantwortet wird. In Wiesbaden wird gerade ein gigantisches Geheimdienstzentrum der NSA aufgebaut. Wer hat das eigentlich erlaubt? Von wem geht das aus? Was sollen die da betreiben? Auch hier hat die Bevölkerung doch einen Anspruch auf Informationen. Möglicherweise muss man den USA diesen Bau eben versagen. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt noch etwas, was mich interessiert. Herr Bundesinnenminister, ich nenne Ihnen vier Varianten – advokatisch –, wenn es um die Frage geht: Was haben eigentlich unsere Dienste in Bezug auf die Rechtsverletzungen durch britische und amerikanische Dienste getrieben? Die erste Möglichkeit ist: Sie haben sie dabei unterstützt. Dann haben sie gegen das Grundgesetz verstoßen, sich an Straftaten beteiligt, und das müsste sehr ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen. Die zweite Möglichkeit ist: Sie haben es nur gewusst, aber nicht unterstützt. Dann müssen sie aber die Bundesregierung informiert haben. Wenn die Bundesregierung informiert war, aber nichts erklärt hat, dann haben Sie das Grundgesetz verletzt, dann haben Sie Ihren Amtseid verletzt, und dann haben Sie großen Schaden angerichtet. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Abstrus!) Wenn die Dienste es gewusst haben und die Bundesregierung nicht informiert haben – dritte Variante –, dann haben sie wiederum so eine schwere Pflichtverletzung begangen, dass wir schon wieder über ihre Zukunft diskutieren müssen. Dann gibt es noch eine vierte Möglichkeit: Sie haben es gar nicht gewusst. Aber dann sind sie so was von unfähig, dass man sie auflösen kann. Darauf darf ich doch hinweisen! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe folgende Frage: Gibt es denn Spionageabwehr nur gegen den Osten, nicht gegen den Westen? Dürfen wir Milliardenschäden, zum Beispiel in der Wirtschaft, zulassen, bloß weil wir uns nicht trauen, gegenüber den USA eine Spionageabwehr zu organisieren? Auch das geht nicht. Es gibt immer zwei Einwände, die auch Sie benutzt haben: Der eine Einwand betrifft die Wertegemeinschaft und der andere die Freundschaft mit den USA. Es gibt gemeinsame Werte zwischen den USA und Deutschland, aber es gibt auch Kriege wie in Vietnam, in Afghanistan oder im Irak. Es gab den Militärputsch in Chile mit der Ermordung von Allende. Es gibt das Gefangenenlager Guantánamo, wo täglich Menschenrechte verletzt werden. Es gibt den Krieg mit Drohnen. – Eine Wertegemeinschaft nutzt nichts, wenn man bei der Verletzung von Werten nicht deutliche Kritik übt, und genau das machen Sie nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin kein Antiamerikanist, überhaupt nicht. Ich bin gerne in den USA und spreche gerne dort mit den Menschen. Aber eines sage ich Ihnen: Freundschaft, wie Sie sie sich vorstellen, gibt es nicht. Mit Duckmäusertum und Hasenfüßigkeit (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Oje, oje!) erreicht man keine Freundschaft, sondern das Gegenteil. (Beifall bei der LINKEN) Nur dann, wenn wir gegenseitige Achtung und gegenseitigen Respekt herstellen, kann es eine wirkliche Freundschaft geben. Dazu brauchen Sie als Bundesregierung Mumm. Sie müssen der US-Regierung sagen: Schluss, aus; wir hören Snowden und schützen ihn. – Dann erst sind wir wirklich souverän. Sie müssen fordern: Verhandelt mit uns auf Augenhöhe! – Dann kriegen wir auch eine Freundschaft mit den USA hin. Was Sie machen, ist Duckmäusertum. Das kenne ich seit Jahrzehnten, und ich bin es so was von leid. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) – Ja, haben Sie endlich mal den Mumm! Genau so sind Sie hier auch. Ist doch nicht zu fassen! (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist nicht gut für Ihr Herz und den Blutdruck!) Zum Schluss sage ich Ihnen: Wenn Sie nichts machen – Herr Friedrich, Sie haben gesagt, Sie verhandeln mit denen –, wissen Sie, was Sie diesen fünf Ländern damit eigentlich sagen? Sie sagen ihnen damit: Macht ruhig weiter so, von uns habt ihr nicht den geringsten Nachteil zu erwarten! – Ich wiederhole: Das verletzt schwer den Eid, den Sie geleistet haben, nämlich Schaden von unserer Bevölkerung abzuwenden. Ich möchte, dass Sie jetzt den Mumm haben, die Beziehung auf eine andere Grundlage zu stellen, auf die Grundlage der Gleichberechtigung. Das ist nicht zu viel und das ist nicht zu wenig verlangt. Die Weltmacht mit ihren Weltmachtallüren muss endlich begreifen, dass wir ein gleichberechtigter Partner sind und nicht jemand, mit dem man machen kann, was man will. Dazu brauchen Sie eine grundsätzlich andere Haltung, Frau Bundeskanzlerin und Herr Friedrich. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Christian Ströbele das Wort. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eine Frage, Frau Bundeskanzlerin: (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sie sollen hier reden, keine Fragen stellen!) Haben Sie mal darüber nachgedacht, sich bei Edward Snowden zu bedanken? Immerhin haben Sie es ihm und seinen mutigen Enthüllungen zu verdanken, dass Ihr Handy derzeit wahrscheinlich nicht abgehört wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Immerhin haben Sie es ihm zu verdanken, dass Sie mit dem US-Präsidenten telefonieren durften, konnten, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ha, ha, ha!) dass Sie Anlass hatten, ihm zu erklären, dass das gar nicht geht, und dass Sie vom Präsidenten die Zusicherung bekommen haben: Jetzt und in Zukunft hören wir Sie nicht ab. – Sind Sie überhaupt nicht dankbar? Wäre es nicht eine menschliche Geste, Herrn Snowden zu sagen: „Danke schön“? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Frau Bundeskanzlerin, warum reden Sie heute hier nicht, wo es doch um Ihr Handy geht, um Ihre Aufgabe, die deutsche Bevölkerung vor millionenfachem Abhören und Abfangen der Telekommunikationsverbindungen zu schützen? Warum ducken Sie sich weg? Sie haben in Ihrer Rede zum ersten Tagesordnungspunkt nur eine kleine Andeutung gemacht und sitzen jetzt hier und hören sich das an. Das ist nicht mutig. Ich hatte etwas anderes von Ihnen erwartet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Nun komme ich zu Herrn Friedrich. Ich habe ihn im PKGr erlebt und seine Äußerungen in der Presse gelesen. Herr Friedrich, Sie hätten sich hier einmal hinstellen und sagen können: Ich habe mich geirrt im August. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Sie sind aus den USA zurückgekommen und haben gesagt – soll ich es Ihnen vorlesen? –: Alle Vorwürfe haben sich „in Luft aufgelöst“. – Ich habe immer geguckt, weil das schon damals nicht richtig war. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Falsch war auch, was Herr Pofalla erklärt hat: Die Vorwürfe sind „vom Tisch“. – Falsch war auch, was Ihnen und Ihren Präsidenten die NSA und deren General erklärt haben, nämlich dass sie in Deutschland Gesetz und Recht einhalten. Das war falsch. Das war die Unwahrheit. Mich interessiert: Was haben Ihre Emissäre, die Sie dort hingeschickt haben, die Präsidenten der Geheimdienste, ihren Kollegen eigentlich dazu gesagt, dass sie so reingelegt worden sind, dass sie nämlich nach ihrer Rückkehr nach Deutschland gesagt haben: „Es ist überhaupt nichts gewesen; die halten sich selbstverständlich an Gesetz und Recht“? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und dann hören sie, dass die Kanzlerin abgehört worden ist. In welchem deutschen Gesetz, in welchem deutschen Recht steht, dass man die Bundeskanzlerin abhören darf? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Frechheit!) Jetzt komme ich auf Ihre Rede von heute zu sprechen, Herr Friedrich: Sie betonen immer, in Deutschland sind Millionen Deutsche nicht abgehört worden. Herr Friedrich, Sie wissen, dass ich Ihnen immer wieder die Frage stelle: Können Sie sagen, wie viele Millionen Deutsche über ihre Telekommunikationsverbindungen, über das Internet, über die Server in den USA, über die Glasfaserknotenpunkte in Südengland abgehört wurden? Von wie vielen Millionen Deutschen wurden die Telekommunikationsverbindungen gespeichert und ausgewertet? Sagen Sie einmal etwas dazu! Waren es 1 Million, waren es 20 Millionen, waren es 50 Millionen, waren es 80 Millionen? Und: Was ist dran an dem Vorwurf – dazu haben Sie sich geäußert, aber das war das falsche Beispiel –, dass in einem Monat über 400 Millionen Telekommunikationsverbindungen von Deutschen abgehört worden sind? (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das hat er Ihnen doch beim PKGr beantwortet!) Erklären Sie das doch mal! Beantworten Sie die Frage! Sie gehen nämlich in die USA und stellen dort nicht einmal konkrete Fragen. Sie haben einen Fragenkatalog hingeschickt. Die Fragen, die Sie im Juni verschickt haben, sind bis heute nicht beantwortet worden. Eine einzige Frage, nämlich die, was man sich unter Prism vorzustellen hat, ist beantwortet worden, sonst nichts. Was machen Sie denn da? Sagen Sie Ihren Kollegen: „Das nehme ich nicht länger hin! So könnt ihr mit mir nicht umgehen! So geht man mit Freunden nicht um!“? Nein, Sie machen überhaupt nichts. Sie sind in einem Maße devot, wie es eines deutschen Bundesinnenministers nicht würdig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wir haben aufzuklären, nicht nur im Interesse der Kanzlerin, nicht nur im Interesse der deutschen Wirtschaft, sondern vor allem im Interesse der 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande. Es geht um deren Grundrecht. Es geht um deren Freiheit der Kommunikation über Handy, über E-Mail, über Telefon. Darum geht es. Um das aufzuklären, brauchen wir eine parlamentarische Instanz; denn Sie, die Bundesregierung, haben in diesem Bereich völlig versagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Der Kollege Grosse-Brömer wird wahrscheinlich gleich etwas dazu sagen. Wir brauchen mindestens ein besser ausgerüstetes PKGr, eher ein noch wirksameres parlamentarisches Kontrollorgan. Da gibt es in einigen Punkten auch Einigkeit. (Beifall des Abg. Michael Hartmann -[Wackernheim] [SPD]) Wir brauchen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der die Rechte hat, Zeugen zu befragen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das, was Herr Steinmeier sagt, stimmt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass General Alexander nach Deutschland kommt und aussagt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass andere NSA-Leute nach Deutschland kommen und aussagen. Wir haben das in anderen Untersuchungsausschüssen probiert, und die haben nicht einmal geantwortet. Deshalb brauchen wir Edward Snowden, um hier in Deutschland aufklären zu können. In Deutschland vor einem deutschen Untersuchungsausschuss muss er diese Möglichkeit haben. Herr Kollege Uhl, Sie haben ja immer wieder betont: Was kann der uns denn schon sagen? Seine Dokumente sind doch unterwegs. – Herr Snowden hat diese Dokumente ja nicht ohne Grund ausgewählt. Er kann uns sagen, in welchem Zusammenhang sie stehen. Er kann uns erklären, was sie bedeuten. Er kann uns die Interpretation geben. Wenn das kein klassischer Kronzeuge ist, dann kenne ich keine Kronzeugen. Er muss nach Deutschland kommen können und hier vor der Justiz, also beim Generalbundesanwalt, aber auch vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es wird ja immer wieder gefragt: Woher wissen wir denn, dass der die Wahrheit sagt? Darauf haben Sie ja zutreffend hingewiesen, Herr Kollege Steinmeier. Ich habe das genau verfolgt. Ich habe mir das noch einmal angesehen. Es sind verschiedene Dokumente, die er übrigens nicht aus Moskau schickt, sondern die er schon in Hongkong an Journalisten weitergegeben hat; diese veröffentlichen die jetzt. Alle Dokumente, die er weitergegeben hat, sind bestätigt. Bei nicht einem einzigen -Dokument davon bestreitet die NSA, dass es echt ist. Deshalb ist das ein Zeuge, den wir hier brauchen. Ich sage Ihnen noch etwas zu diesem No-Spy-Abkommen, das Sie vorbereiten. Es kann doch nicht nur darum gehen, dass die Kanzlerin und die deutsche Indus-trie nicht abgehört werden. Es geht um die 80 Millionen Deutschen, die nicht abgehört werden dürfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das heißt, ein No-Spy-Abkommen, das nur Sie schützt, nur die deutsche Industrie schützt, ist ja ganz schön. Das sind wichtige Punkte. Auch ich will nicht, dass die Kanzlerin von der NSA abgehört wird. Aber es geht letztlich um die ganze deutsche Bevölkerung. Lassen Sie mich abschließend noch sagen – so lange habe ich hier noch nie reden dürfen; ich hätte sogar noch viel mehr zu sagen –: (Heiterkeit) Wir, die diese Sitzung beantragt haben, die gesagt haben, dass das ganze Problem in das Plenum des Deutschen Bundestages muss, wir, die jetzt Forderungen gestellt und in unserem Antrag auch aufgelistet haben, vertreten hier 60 Prozent der deutschen Bevölkerung. Deshalb ist es notwendig und richtig, dass Sie unseren Verlangen nachkommen. Wir wollen unsere Aufgabe ernst nehmen. Wenn wir es nicht in der Regierung können, dann machen wir es in der Opposition hier im Bundestag. Es geht um unsere Aufgabe, die Telekommunikationsbeziehungen der deutschen Bevölkerung wieder sicher zu machen, es zumindest zu versuchen. Darum geht es uns. Deshalb hatten wir die heutige Sitzung beantragt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Der nächste Redner ist Michael Grosse-Brömer. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was mich bei der Debatte immer gestört hat, ist, dass sie in erster Linie durch Empörung und Aufgeregtheit geprägt wird. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Glauben Sie, dass irgendjemand in diesem Haus es gut findet, dass deutsche Staatsangehörige widerrechtlich abgehört werden? (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Glauben Sie, dass irgendjemand gut findet, dass die Kanzlerin oder sonstige Regierungsmitglieder abgehört werden? (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu der Debatte gehört nicht nur Aufgeregtheit. Zu der Debatte gehören auch Aufklärung, notwendige Forderungen, gemeinsames Handeln und im Übrigen Vorschläge, wie alles besser werden kann. Es ist zu wenig, nur zu fragen: Was sollen denn die internationalen Abkommen? Wenn Ihnen internationale Abkommen von Anfang an als unwirksam erscheinen, dann können Sie internationale Politik gleich sein lassen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch gar keiner behauptet!) Die Debatte um die NSA muss geprägt sein von Lösungsvorschlägen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Da, muss ich sagen, waren Sie, von Herrn Steinmeier abgesehen, relativ blank, insbesondere Sie, Herr Gysi. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Ihr Innenminister?) Wir und mit uns die Bundesregierung haben uns insbesondere im Rahmen des Parlamentarischen Kontrollgremiums in den letzten Wochen und Monaten intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Wir haben klare Maßnahmen ergriffen. Es ist deklassifiziert worden; es gab einen Deklassifizierungsprozess; Herr Ströbele, Sie wissen das ja alles, weil Sie dabei waren. Wenn Sie sich hierhinstellen und sagen: „Es ist nichts passiert“, so ist das definitiv falsch. Das ist eine falsche Behauptung. Zur notwendigen Aufregung, zur notwendigen Sorge über möglicherweise ungerechtfertigte Abhörmaßnahmen gehört auch der Hinweis, dass es uns im Rahmen der Aufklärung gelungen ist, darauf hinzuweisen, dass die zwischenzeitlich behauptete massenhafte Ausspähung deutscher Staatsangehöriger – das wurde ganz konkret behauptet – so, wie behauptet, nie stattgefunden hat. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja?) Wenn Sie ehrlich sind, sagen Sie, dass Sie wissen, dass wir das anhand einer Codierung konkret überprüft und festgestellt haben: Die Zusammenarbeit, die zwischen dem BND und der NSA in diesem Fall angeblich stattgefunden hat, war ein Teil der Auslandsaufklärung und hat nichtdeutsche Staatsangehörige betroffen. Auch so etwas muss man bei der nüchternen Analyse und Bewertung des Sachverhaltes sagen können und darf sich nicht nur aufregen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will darauf hinweisen, dass wir gar nicht weit voneinander entfernt sind. Wir haben doch gesagt: Wir können Herrn Snowden informatorisch befragen. – Das Parlamentarische Kontrollgremium hat sogar übereinstimmend darauf hingewiesen, dass es eine Prüfung geben muss, ob und was Herr Snowden noch zur Aufklärung beitragen kann, und das, obwohl er auch nach Ihrer Auffassung ja gar keine Dokumente mehr hat. Man muss ganz klar sagen: Wenn es um den Zeugen Snowden geht, ist der Generalbundesanwalt gefragt. Wird er ein Ermittlungsverfahren einleiten, dann brauchen wir auch Zeugen. Wenn wir kein Ermittlungsverfahren haben, werden wir auch keine Zeugen haben. Auch das muss ich Ihnen nicht erklären. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was macht die Bundesregierung? – Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Wir haben den übereinstimmenden Willen und den übereinstimmenden Wunsch, aufzuklären und für die Zukunft Lösungen anzubieten. Zur Ehrlichkeit gehört dann aber, auch zu sagen: Die Abschöpfung von Daten im Ausland durch fremde Dienste werden weder das Parlamentarische Kontrollgremium noch welche Bundesregierung auch immer verhindern können. Ich weiß nicht, wie Sie glauben, russischen, chinesischen oder womöglich amerikanischen Geheimdiensten vorschreiben zu können, was sie zu tun haben. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Grosse-Brömer, Herr Ströbele möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Nein. Herr Ströbele hat nach eigenem Bekunden so lange geredet wie seit langem nicht mehr. Ich möchte jetzt fortfahren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Das ist aber schade!) – Ich habe im PKGr zu diesem Thema sehr viele Debatten mit Herrn Ströbele geführt, und wir haben sehr viele Fragen erörtert; das müssen wir jetzt nicht alles öffentlich wiederholen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ich würde es gerne hören!) Wir haben festzustellen – das ist das Ergebnis nüchterner Analyse –: Die Verhältnismäßigkeit beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist, jedenfalls im Zusammenhang mit der NSA, ein Stück weit verloren gegangen. Das mag an 9/11 liegen, das mag an einer Traumatisierung liegen; welches die Gründe sind, können wir nur vermuten. Aber wir müssen darüber nachdenken, wie wir zumindest für Deutschland eine Verbesserung herbeiführen können. Da, glaube ich, müssen wir ganz klar feststellen: Der Einsatz von Diensten zum Schutz vor terroristischen Anschlägen und zur Verhinderung schwerwiegender Kriminalität ist sinnvoll und erforderlich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jeder von uns weiß, dass wir auch durch Hinweise der amerikanischen Geheimdienste Anschläge in Deutschland verhindern konnten; das gehört als Teil der Wahrheit zu dieser Debatte. Aber wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir ein Abhören künftig verhindern können. Denn – auch daran besteht kein Zweifel – das Abhören der Kanzlerin, das Abhören von Ministern, das Abhören von Bürgerinnen und Bürgern ohne konkreten Tatverdacht gehört sich nicht, durch gar keinen Dienst und erst recht nicht durch den amerikanischen Geheimdienst in Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, dass man klar darauf hinarbeiten muss, Vertrauen zurückzugewinnen. Ich teile die Auffassung der Bundesregierung, dass wir auch zukünftig in vielfältiger Weise auf die Zusammenarbeit mit den Amerikanern angewiesen sein werden. Dass das transatlantische Bündnis eine gewisse Bedeutung hat, bestreitet selbst Herr Gysi nicht. Ich bekomme in diesen Tagen viele Zuschriften von Bürgern. Manche fordern – ein bisschen mit der Gysi’schen Argumentation von vorhin –, dass wir uns von den Amerikanern rigoros abnabeln. Andere fordern, dass wir den Amerikanern eine Lektion erteilen, indem wir das Freihandelsabkommen auf keinen Fall abschließen. Wieder andere fordern – wie Herr Gysi –, dass wir auf jeden Fall Herrn Snowden Asyl gewähren, um einmal zu verdeutlichen, wie unabhängig wir sind. Ich sage Ihnen: Wenn Sie juristisch argumentieren, dann seien Sie auch konsequent! Im Grundgesetz stehen die Vorschriften zum Asylrecht. Auf dieser Grundlage finden Sie keinen Grund dafür, Herrn Snowden Asyl zu gewähren. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Whistleblower!) Jetzt kann man darüber nachdenken, ob es andere Möglichkeiten gibt, etwa nach dem Aufenthaltsgesetz. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja!) Darüber kann man nachdenken. Man kommt aber nicht daran vorbei, abzuwägen: Ist es zum Schaden oder zum Nutzen Deutschlands, Herrn Snowden aufzunehmen? (Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Nein, ich bringe das jetzt eben zu Ende. – Sie werden jetzt argumentieren: Ja, das ist genau richtig für Deutschland; denn dadurch emanzipieren wir uns von den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich habe eine andere Auffassung; ich halte keinen dieser Wege für richtig. Ich glaube, Verärgerung und Wut sind verständlich, aber sie sind keine guten Ratgeber. Lösungen finden wir nur zusammen mit den Vereinigten Staaten von Amerika. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist jedenfalls unser Ansatz. Um Missstände zu beheben, reicht es nicht, die anderen zu beschimpfen, sondern man muss gemeinsam Lösungen suchen. Ich finde es gut, dass sich Außenminister Kerry entschieden hat, eine Versöhnungsreise anzutreten. Er wird ausreichend Zeit haben, sich in Deutschland aufhalten. Ich glaube, das ist das richtige Signal in dieser Debatte. Ich will zum Abschluss sagen: Ich glaube, dass die intensiven Bemühungen der Bundesregierung, Datenschutz und Datensicherheit auf europäischer und internationaler Ebene zu stärken, richtig sind. Dafür muss man sich weiter einsetzen, und dieser Einsatz lohnt sich. Aber auch wir Parlamentarier sollten uns an dem Versuch beteiligen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Deswegen hat die Union im Parlamentarischen Kontrollgremium vorgeschlagen – ich glaube, das findet sogar die Zustimmung Herrn Ströbeles –, dass wir uns mit den amerikanischen Kolleginnen und Kollegen im Senat, im Repräsentantenhaus zusammensetzen, insbesondere mit denen, die den amerikanischen Geheimdienst kontrollieren. Dann kommen wir ein bisschen runter, dann empören wir uns nicht nur, dann sind wir nicht nur aufgeregt, sondern dann arbeiten wir konkret an einer Lösung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, es ist der wesentlich sinnvollere Weg, daran zu arbeiten, dass wir besser werden, dass wir Skandale vermeiden und gemeinsam wieder gut zusammenarbeiten. Das ist der Punkt. Was die konkrete Umsetzung betrifft, haben mein Kollege Dr. Krings und mein Kollege Michael Kretschmer klare Vorgaben erarbeitet, wie IT-Sicherheit, wie Datensicherheit gewährleistet werden kann und wie Sicherheitsforschung, wie Aufklärung, Transparenz stattfinden kann. Der Kollege Dr. Krings wird dazu nachher noch etwas sagen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Grosse-Brömer, gestatten Sie jetzt noch eine Zwischenfrage des Kollegen Beck? Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Ja, bitte – aber nur, weil meine Redezeit gerade zu Ende ist. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich wollte Ihnen die Möglichkeit verschaffen, noch etwas ausführlicher zu werden. Herr Grosse-Brömer, Sie haben gerade die Forderung nach Aufnahme von Herrn Snowden mit dem Hinweis auf das Asylrecht abgebügelt, allerdings eingeräumt, es gebe natürlich eine andere Möglichkeit nach dem Aufenthaltsgesetz. Nach § 22 Aufenthaltsgesetz gibt es die Möglichkeit, Einzelpersonen aufzunehmen, und zwar aus zwei Gründen: entweder wenn es den politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland entspricht oder wenn es aus humanitären Gründen geboten ist. Würden Sie nicht sagen, dass es den politischen Interessen Deutschlands entsprach, dass wir von Herrn Snowden Informationen über die Abhörpraxis der NSA gegen Staatsbürger und selbst die Regierungschefin der Bundesrepublik Deutschland bekommen haben? Meinen Sie nicht auch, dass es ein humanitäres Gebot ist – weil Russland Herrn Snowden nur für begrenzte Zeit Aufenthalt gewährt und Russland eine Diktatur ist –, dass wir als Land der Freiheit und Partner der Vereinigten Staaten sagen: „In einem solchen Fall nehmen wir den auf“? Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass man für diese Aufnahme sein kann und trotzdem als Transatlantiker sagen kann: „Uns verbindet gerade mit den Vereinigten Staaten eine Wertegemeinschaft für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Wir haben an diesem Punkt einen fachlichen Dissens, aber keinen Dissens der Grundwerte, und diese Grundwerte gebieten gerade eine Aufnahmeentscheidung der Bundesrepublik“? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Grosse-Brömer. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Herr Kollege Beck, ich habe vorhin schon versucht, das ein Stück weit deutlich zu machen, aber Sie haben mir vielleicht nicht zugehört. Ich will das gerne wiederholen. Ich finde, es muss die Abwägung geben, von der Sie gesprochen haben: die Abwägung der Interessen von Herrn Snowden mit den Interessen Deutschlands an der Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des transatlantischen Bündnisses. Das ist vielleicht keine einfache Entscheidung. Ich gebe Ihnen in einem recht: Ich glaube, dass Herr Snowden eine wichtige Debatte angestoßen hat, die Debatte um die künftige Sicherheit. Man kann das auch mit den Worten des amerikanischen Präsidenten sagen: Nicht alles, was technisch möglich ist, ist künftig auch technisch umzusetzen. Hier müssen wir uns stärker einmischen, zumindest in Bezug auf Deutschland; denn darüber hinaus sind wir ja nicht zuständig. Ich komme bei dieser Abwägung zu einem anderen Ergebnis als Sie; das will ich Ihnen klar sagen. Mir ist nämlich noch nicht klar, in welcher Form Herr Snowden noch weiter gehende Zeugenaussagen machen kann, und ich glaube, dass die Fortentwicklung des transatlantischen Bündnisses für die Bundesrepublik Deutschland und deren Interessen wichtig ist. Jenseits der Tatsache, dass Herr Snowden eine wichtige Debatte angestoßen hat, hat Herr Snowden auch massiv gegen strafrechtliche Vorschriften in seinem Land verstoßen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat Rechtswidriges öffentlich gemacht!) Das gehört ebenfalls zur Gesamtbewertung. Lassen Sie es mich deshalb so sagen: Das ist vielleicht keine einfache Entscheidung; man kann sie sicherlich erst nach längerem Nachdenken treffen, und es werden vielleicht auch unterschiedliche Interessen vorangestellt. Ich glaube aber, dass eine Abwägung dazu führt, dass wir Herrn Snowden aus übergeordneten Interessen nicht in Deutschland aufnehmen sollten. Ich will zum Abschluss sagen: Wir haben in puncto Datensicherheit und Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland eine gemeinsame politische Herausforderung. Deswegen glaube ich, dass Herr Steinmeier mit dem „Völkerrecht im Netz“ Richtiges gesagt hat. Das sind neue Herausforderungen, um die wir uns kümmern müssen, aber eben nur national. Wir sollten nicht so tun, als könnten wir den agierenden Geheimdiensten weltweit vorschreiben, wie sie sich verhalten. Man kann das bedauern, aber es ist so. Wir haben insgesamt dafür zu sorgen, dass die richtige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit bei den Geheimdiensten, beim Abhören gewährleistet wird. Wir sollten unseren Beitrag dazu vorrangig im Parlamentarischen Kontrollgremium leisten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Das Wort hat der Kollege Oppermann. (Beifall bei der SPD) Thomas Oppermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit den ersten Enthüllungen und Berichten über Dokumente von Edward Snowden im Juni hören wir jetzt fast im Wochenrhythmus von neuen Enthüllungen. Zuletzt war es ein Bericht der Süddeutschen Zeitung, in dem beschrieben wurde, wie unsere Sicherheitsbehörden mit dem deutschen Tochterunternehmen der Computer Sciences Corporation zusammenarbeiten. Ich finde, dieser Bericht offenbart ein grundlegendes Problem; denn wenn es zutreffen sollte, dass die CSC Teil jenes nachrichtendienstlich-industriellen Komplexes ist, also jenes Geflechtes von Geheimdiensten und Technologieunternehmen in den USA mit mehreren Zehntausend Beschäftigten, dann müssen wir uns heute fragen, ob wir etwas falsch machen, wenn wir solche Unternehmen daran beteiligen, Staatstrojaner zu testen oder die verschlüsselte Kommunikation in Regierungsnetzen zu entwickeln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Solange wir kein rechtlich verbindliches Abkommen über den Schutz vor Spionage haben, gehören solche Aufträge auf den Prüfstand. Unser Land hat in einem gemeinsamen Kraftakt von Wirtschaft, Bund und Ländern das Lissabon-Ziel, nach dem 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden sollen, erreicht. Wir geben in jedem Jahr 75 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Das ist die wichtigste -Voraussetzung dafür, dass wir auf vielen Teilmärkten die Technologieführerschaft haben. Das ist die wichtigste Voraussetzung für unsere Exporterfolge. Aber was nützt das alles, wenn hart erarbeitete Wissens- oder Technologievorsprünge für die Wettbewerber und die Konkurrenten mehr oder weniger offen einsehbar sind oder leicht ausgekundschaftet werden können? (Zuruf von der SPD: Wohl wahr!) Unsere Unternehmen erleiden Milliardenverluste durch Industriespionage. Wir können sie nicht effektiv genug davor schützen. Deshalb müssen wir auch über die Rückgewinnung oder zumindest über die partielle Wiederherstellung technologischer Souveränität nachdenken. Das bedeutet sichere Netze, sichere Kommunikation, Verschlüsselung und weitere Vorsorge. Das bedeutet vor allen Dingen mehr Forschung und Entwicklung in diesem Bereich. Damit können wir nur die Kernbereiche unserer Unternehmen schützen – Frank-Walter Steinmeier hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sie alle international verzweigt und verflochten sind –, aber das müssen wir tun. Insofern sollte die NSA-Affäre ein absoluter Weckruf für alle sein. Wir müssen ja nicht dümmer sein, als die Polizei erlaubt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung jetzt ein Anti-Spionage-Abkommen mit den USA verhandelt. Ein solches Abkommen darf sich aber nicht auf den Schutz von Regierungen und Unternehmen beschränken, sondern muss auch der Überwachung der privaten Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger klare Schranken setzen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir wissen bis heute nicht – auch wenn das zwischenzeitlich anders gesehen wurde –, in welchem Umfang die NSA durch Programme wie Prism die private Kommunikation deutscher Staatsbürger überwacht. Im Sommer hatte die NSA gegenüber der Bundesregierung versichert, es gebe keine massenhafte Ausspähung deutscher Bürger. Aber die NSA hat auch versichert, sie halte sich in Deutschland an deutsches Recht. Spätestens seit dem Lauschangriff auf die Bundeskanzlerin wissen wir, dass das nicht stimmt. Warum sollten die Vertreter der NSA der deutschen Regierung die Wahrheit sagen, wenn sie zugleich den eigenen Kongressabgeordneten über das Ausmaß der Überwachung nach dem Patriot Act in den USA mehrfach die Unwahrheit gesagt haben? (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, es war grenzenlos naiv, das alles zu glauben. Das Vertrauen ist in der Tat tief gestört. Es kann nur durch Aufklärung und Vereinbarung klarer, verbindlicher Regeln wiederhergestellt werden. Die Aufklärung müssen, finde ich, zuerst unsere amerikanischen Partner leisten; denn wir können doch nicht allein auf die Dokumente von Edward Snowden verwiesen werden. Das wäre doch etwas seltsam. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Kollege Oppermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich? Thomas Oppermann (SPD): Ja, bitte. Stefan Liebich (DIE LINKE): Herr Kollege Oppermann, Sie haben eben gesagt, dass Sie die Verhandlungen über ein No-Spy-Abkommen im Grundsatz gut finden. Ich habe den Medien entnommen, dass diejenigen, die darüber verhandeln, die Chefs der Geheimdienste sind. Finden Sie es nicht ein bisschen absurd, dass die Chefs von NSA und BND miteinander darüber verhandeln, wie künftig nicht mehr bespitzelt werden soll? (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Thomas Oppermann (SPD): Ich nenne das geplante Abkommen lieber Anti-Spionage-Abkommen, weil ich dann weiß, was damit gemeint ist. Das wird zurzeit zwischen der Bundesregierung und dem Weißen Haus verhandelt. Wenn es am Ende nur ein Stillhalteabkommen zwischen zwei Geheimdiensten wäre, wäre mir das entschieden zu wenig. Ich finde, es muss ein Regierungsabkommen werden. Es muss rechtsverbindlich sein, und die Menschen in diesem Lande müssen, wenn neues Vertrauen entstehen soll, sich auf so etwas auch verlassen können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sollten die Aufklärung trotz allem nicht allein den Regierungen überlassen, sondern auch auf die Zusammenarbeit der Parlamente setzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich finde es ausgesprochen ermutigend, dass viele Kongressabgeordnete die Kritik an der ausgeuferten NSA-Überwachung teilen. Dianne Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Senat, lehnt die Abhörmaßnahmen gegen Politiker von US-Verbündeten kategorisch ab und fordert die vollständige Unterrichtung der Mitglieder des Geheimdienstausschusses im Senat. Viele Abgeordnete beider Fraktionen und in beiden Häusern zweifeln daran, dass der NSA-Komplex noch politisch steuerbar oder demokratisch kontrollierbar ist. Ich finde, dass der Bundestag und der US-Kongress in dieser Frage einen intensiven Austausch betreiben sollten; denn wir dürfen nicht zulassen, dass die ausgeuferte Überwachungspraxis der NSA Deutschland und Amerika spaltet. (Beifall bei der SPD) Die USA sind unser wichtigster Bündnispartner, nicht nur, aber besonders wenn es um den Schutz unserer -Soldaten in Afghanistan oder um den Schutz vor Terroranschlägen in Deutschland geht. Wir sind auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit angewiesen. Mit vertrauensvoller Zusammenarbeit ist aber nicht vereinbar, wenn wir von unseren engsten Verbündeten ausspioniert werden. Ich finde, das ist auch eine Frage des wechselseitigen Respekts souveräner Partner, die zwischen Freund und Feind, zwischen Recht und Unrecht unterscheiden können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herr Gysi, ich habe mich gefragt, welches Verständnis von Souveränität Sie haben, als Sie sagten: Deutschland ist erst dann souverän, wenn wir Edward Snowden hierher holen und als Zeugen befragen. – Der Souveränitätsbegriff, von dem Sie ausgehen, erinnert mich mehr an Carl Schmitt: Souverän ist, wer Mutproben gewinnt. „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Das ist nicht der Souveränitätsbegriff unseres demokratischen Staates. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Souverän ist nach unserem demokratischen Verständnis, wer aufgrund des Rechts Gesetze geben oder aufheben kann. Souverän ist ein demokratischer Staat, wenn er verantwortlich und klug handelt, wenn er die verschiedenen Interessen abwägt. Nicht souverän ist ein Staat, der einseitige Entscheidungen trifft. Das ist Unilateralismus, Herr Gysi. Das kommt Ihnen vielleicht aus früheren Zeiten bekannt vor, hat aber mit der Debatte, die wir heute führen, gar nichts zu tun. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben drei Ziele gleichzeitig zu verfolgen, Herr Gysi. Erstens geht es darum, dass wir die Ausspähungen aufklären und die schrankenlose Überwachung durch US-Geheimdienste beenden. Zweitens geht es darum, dass wir die Partnerschaft mit den USA intakt halten. Wir dürfen sie nicht preisgeben. Wir müssen sie wieder auf jene Wertebasis zurückführen, auf der sie gegründet wurde, nämlich auf Demokratie, Freiheit und Herrschaft des Rechts. Diese Werte sind mit schrankenloser Überwachung der Privatsphäre unvereinbar. Drittens geht es um eine humanitäre Lösung für Edward Snowden, nicht um eine einseitig entschiedene Lösung. Herr Gysi, wir haben auch mit dem Vertreter Ihrer Partei im Parlamentarischen Kontrollgremium eine sehr nachdenkliche Diskussion geführt, nachdem uns Herr Ströbele über das Gespräch mit Herrn Snowden in Moskau informiert hatte. Wir waren uns am Ende darüber einig, dass dies nicht im Zuge einer Mutprobe entschieden werden kann, weil damit insbesondere Edward Snowden gar nicht gedient wäre. Ihm ist wahrscheinlich nur mit einer verhandelten Lösung gedient. Ein demokratischer Staat, der in Partnerschaft mit anderen lebt, entscheidet nicht einseitig über bestimmte Fragen, sondern sucht nach Verhandlungslösungen, und zwar im Rahmen des Rechts. Es geht darum, diesen Konflikt politisch und rechtlich und nicht durch einseitige Entscheidungen zu bewältigen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Der nächste Redner ist Dr. Konstantin von Notz. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man Sie hier so reden hört, Herr Grosse-Brömer und Herr Friedrich, zu Ihren Aufklärungsbemühungen bezüglich dieses größten Datenschutz- und Geheimdienstskandals aller Zeiten, dann hat man den Eindruck: Sie können nicht vernebeln, dass Sie nach einem halben Jahr nichts vorzuweisen haben. Sie stehen hier mit völlig leeren Händen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben mehrere Reisen in die USA unternommen bzw. unternehmen lassen, Herr Friedrich. Herausgekommen ist gar nichts. Zuletzt haben Sie den Bock zum Gärtner gemacht und Geheimdienstler mit Geheimdienstlern Geheimes geheim besprechen lassen. Aber auch diese sind ohne Ergebnisse zurückgekommen. Sie verstehen offensichtlich nicht, was nach diesem Skandal am wichtigsten ist, nämlich Transparenz, um das verloren gegangene Vertrauen in die wichtigste Kommunikationsstruktur unserer Zeit zurückzugewinnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Wer diese bisherigen Bemühungen, Herr Friedrich, als Erfolg feiert, der dokumentiert seinen Unwillen und seine Unfähigkeit, überhaupt Konsequenzen aus diesem Skandal zu ziehen. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, wohnt übrigens dieser Debatte bei. Er mahnt in seiner Stellungnahme, die auch Grundlage unserer heutigen Debatte ist, an, wie notwendig angesichts der fundamentalen Grundrechtsbedrohung die Aufklärung ist. Von Ihnen kommt nichts dazu, Herr Friedrich, (Zurufe von der CDU/CSU: Doch!) nach all den Monaten nichts, nur eine schwurbelige Rede. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen einmal, welche Fragen sich stellen: Welche Rolle spielen deutsche Geheimdienste im internationalen Datenaustauschring? Sie selbst haben erzählt, dass wir selber Millionen von Daten weitergeben. Das ist ein zusammenhängendes System. Das ist für jeden normal denkenden Menschen offensichtlich. Sie klären nichts auf. Sie fixieren die Diskussion auf die NSA und die USA. Das sage ich zum Vorwurf des Antiamerikanismus. Wer redet denn von einer digitalen Besatzungsmacht? Das ist doch Ihr Kollege von der Union, Herr Uhl. Wie antiamerikanisch soll es denn noch werden? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was ist denn mit den anderen Geheimdiensten, zum Beispiel mit dem britischen Geheimdienst? Deren Aktivitäten sind keinen Deut unproblematischer. Warum, Frau Bundeskanzlerin, hat die Spionageabwehr bei Ihrem Handy so massiv versagt? Man kann sich hier im Raum einmal locker die Frage stellen, wessen Telefon – das betrifft auch die Regierungsbank – eigentlich noch abgehört wird. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihres!) Dazu haben wir nichts von Ihnen gehört. Was tun Sie -aktiv, um die Grundrechte der Menschen in diesem Land – auch das ist nicht ganz unwesentlich – und die Integrität der Daten von Wirtschaftsunternehmen zu schützen? All das sind gravierende Fragen. Bei denen sind Sie völlig blank. Das merkt man auch in dieser Debatte heute nur allzu deutlich. Das ist nach den sechs Monaten ein Skandal. Deswegen brauchen wir den Untersuchungsausschuss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eines ist doch auch völlig klar: Die parlamentarische Kontrolle hat versagt. Wir brauchen eine Reform von G 10 bis PKGr. Herr Bundesinnenminister, Sie haben eben versucht, dies mit der Anerkennung der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen zu verschwurbeln. Das hilft doch niemandem. Das ist ein strukturelles Problem. Das sagt übrigens auch der Bundesdatenschutzbeauftragte in seinem Bericht. Wir als Abgeordnete müssen uns – das wurde hier schon gesagt, und das ist ein ganz wichtiger Punkt – mit den Parlamentariern in den USA, die eine schärfere Kontrolle wollen, zusammensetzen, und wir müssen als Parlament, als Abgeordnete die Kontrolle der Geheimdienste wieder auf die Füße stellen. Wir sind diejenigen, die kontrollieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege von Notz, Sie müssen zum Schluss kommen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Dass das Problem heute so aufschlägt, ist auch eine Konsequenz der Versäumnisse Ihrer Politik in den letzten Jahren. Man kann geradezu von einer Sabotage der Frage sprechen, was wir für besseren Datenschutz tun können. Wer hat denn die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unmöglich gemacht? Das waren Sie in der letzten Bundestagssitzung der vergangenen Wahlperiode. Jetzt stehen Sie blamiert da. Die ganzen IT-Großprojekte der letzten Jahre wie N-Perso, De-Mail und Gesundheitskarte sind diskreditiert. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und die Redezeit ist zu Ende!) Ihre Antwort, Herr Friedrich, ist ein Zentrum für Cyberabwehr, und dem gesellen Sie jetzt noch ein Zentrum für Cybersicherheit hinzu. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Schluss jetzt!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege von Notz, kommen Sie bitte zum Schluss. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich gratuliere. Wenn das alles ist, was Sie die nächsten vier Jahre liefern wollen, dann kann einem nur angst und bange um die Grundrechte in diesem Land werden. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Der nächste Redner ist Dr. Günter Krings. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben zumindest bei der letzten Rede einen bemerkenswerten Vorgang erlebt. Man kann auch Oppositionsreflexe entwickeln, bevor überhaupt die Regierung gebildet ist. Das haben Sie jedenfalls gezeigt. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich weiß nicht, ob wir mit der Aneinanderreihung von Vorwürfen und teilweise unhaltbaren Behauptungen der Ernsthaftigkeit und der Bedeutung der Debatte gerecht werden. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Krings, da ist doch die Regierung!) Datensicherheit ist unbestritten eines der Kernelemente moderner Sicherheitspolitik jedes souveränen Staates. Die Gewährleistung von Sicherheit insgesamt ist natürlich das wichtigste Fundament des Staates. Investitionen in Sicherheit und damit auch Investitionen in Datensicherheit mögen auch in den kommenden Bundeshaushalten manchmal weniger populär sein als Investitionen etwa in Bildung oder Soziales, aber sie sind -sicherlich nicht weniger wichtig. Weil die Sicherheit unserer Daten untrennbarer Bestandteil der Staatsaufgabe Sicherheit ist, sind wir der Überzeugung, dass ameri-kanische Nachrichtendienste hier über jedes verant-wortbare Maß hinaus tätig geworden sind. Die Verantwortlichen der NSA haben mit einem gigantischen Datenstaubsauger schlichtweg unentschuldbare Fehler gemacht. Aber, meine Damen und Herren, zur Ehrlichkeit gehört auch: Den Gefahren des Terrorismus können wir im 21. Jahrhundert nicht mit massiver physischer Polizeipräsenz allein entgegenwirken. Wir können auf Terrorstrukturen, auf bestimmte Formen der organisierten Schwerstkriminalität nur dann effektiv reagieren, wenn wir über solche Netzwerke Informationen erlangen und Anschläge verhindern und diese Netzwerke zerschlagen. Das Problem ist daher nicht, dass überhaupt Daten zur Terror- und Kriminalitätsbekämpfung erhoben werden. Die Frage ist vielmehr, in welchem Umfang, mit welchen Methoden und auf welcher rechtsstaatlichen Grundlage das geschieht. Die Grenzen der Verhältnismäßigkeit sind selbst im Kampf gegen den Terror einzuhalten. Die deutsche und europäische Antwort muss sein, die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu -finden. Es dürfte nämlich auch die Amerikaner wenig beeindrucken, wenn wir sie wegen der NSA-Affäre vollkommen berechtigt kritisieren, aber zugleich in Deutschland, in Europa unsere eigenen Abwehrmöglichkeiten so verkümmern lassen, dass wir immer dann, wenn es ernst wird, um Daten und Erkenntnisse aus den US-Programmen bitten müssen. Die Angewiesenheit auf US-Geheimdiensterkenntnisse ist schon in der Vergangenheit sehr real gewesen. Ich nenne als Beispiel nur die Sauerland-Gruppe, die monströse Anschlagspläne verfolgt hat, was ohne US-Hilfe nicht hätte aufgedeckt werden können. Deutschland, ja die ganze Europäische Union muss jetzt beweisen, dass sich beides miteinander verbinden lässt: ein tauglicher Radarschirm gegenüber dem internationalen Terrorismus und ein datenschutzrechtlich hohes Niveau. Das heißt zum Beispiel, dass das sogenannte SWIFT-Abkommen mit den USA zur Ermittlung von Bankdaten auf den Prüfstand gehört. Aber auf Grundlage dieses Abkommens haben die US-Behörden in den letzten Jahren sage und schreibe 1 700 Gefährdungsberichte mit wertvollen, unverzichtbaren Erkenntnissen zur Terrorabwehr allein an die Staaten der Europäischen Union gesandt. Wir können deshalb auch ein solches Abkommen erst neu verhandeln, nachdem wir in der Europäischen Union ein eigenes, dann natürlich datenschutzfreundliches europäisches System zur Analyse von Finanztransaktionen eingeführt haben. Dazu fehlt uns bislang aber leider der Mut. Wir können nicht beides tun: die amerikanische Hilfe ausschlagen und zugleich nicht in der Lage sein, eigene Instrumente auf höherem Niveau einzuführen. Wenn wir bestimmte amerikanische Radarschirme zur Terrorismusbekämpfung nicht mehr uneingeschränkt nutzen wollen, dann darf die Alternative eben nicht ein sicherheitspolitischer Blindflug sein. Unsere Aufgabe in Deutschland und Europa ist die Rückgewinnung der digitalen Souveränität im Umgang mit unseren Daten. Dazu müssen wir nicht nur rechtliche, sondern auch technische Vorkehrungen und Strategien entwickeln. Ein paar Stichworte zum Bereich der Technik. Eine bessere IT-Sicherheit führt auch zu mehr Datensicherheit. Es gibt technische Lösungen, die den Datenverkehr zwar nicht vollkommen schützen, aber eben weniger anfällig für das Ausspähen machen. Dazu gehört ganz praktisch, Möglichkeiten zu schaffen, dass zum Beispiel eine E-Mail, die von Köln nach Düsseldorf gesendet wird, nicht länger zwingend über andere Länder oder Kontinente geleitet wird. Es geht ja nicht darum, ein abgeschirmtes nationales oder europäisches Netz aufzubauen. Sinnvoll erscheint es aber, zunächst in Europa einen Verbund von Ländern zu bilden, die sich auf ein ähnlich hohes Niveau der Datensicherheit einigen. In einem solchen Schengen-Raum im Netz würden wir dann einen gemeinsamen Sicherheitsstandard nach innen und die gemeinsame Gefahrenabwehr nach außen organisieren. Zum technischen Bereich gehört auch die schleunigste Verabschiedung eines IT-Sicherheitsgesetzes. Es gibt bisher eine hohe Dunkelziffer von nicht gemeldeten Hacker-Angriffen; der überwiegende Teil wird von der Industrie nicht gemeldet. Man hat offenbar Angst vor schlechter Publicity. Aber damit fördert man weitere Angriffe. Man verhindert auch, dass sich Behörden und Unternehmen vor künftigen Angriffen schützen. Dem müssen wir ein Ende machen. Wir brauchen deshalb unter anderem eine Meldepflicht bei solchen Angriffen. Das Gleiche gilt für einen höheren Mindeststandard bei wichtigen Infrastrukturen, etwa der Energie- und Wasserversorgung. Auch hier müssen und können wir mehr tun. Meine Damen und Herren, flankiert werden muss die technische Ertüchtigung aber auch mit rechtlichen Maßnahmen. Eine Maßnahme wurde eben genannt: die EU-Datenschutz-Grundverordnung. Die brauchen wir als Datenschutzgrundgesetz Europas. Was nutzt es einem Bundesbürger, wenn wir zwar in Deutschland ein hohes Datenschutzniveau haben, aber dieser Datenschutz nicht mehr greift, wenn wir auch nur eine innereuropäische Grenze überschreiten oder wenn auch nur unsere Daten eine innereuropäische Grenze überschreiten? Europa hat mit 500 Millionen Bürgern die Marktmacht, auch globale Standards zu setzen, und die Möglichkeit, Daten-sicherheit zum Exportschlager zu machen. Es ist richtig: Die Arbeit der NSA hat transatlantisches Vertrauen beschädigt. Zwischen modernen Staaten ist das probate Mittel zur Wiederherstellung von Vertrauen insbesondere das Völkerrecht. Es ist deshalb richtig, dass derzeit ein Anti-Spionage-Abkommen mit den USA verhandelt wird und hoffentlich auch bald zum Abschluss gebracht werden kann. Zwischen zwei souveränen Staaten gibt es auf diesem Feld eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man spioniert sich gegenseitig aus, oder man verzichtet wechselseitig auf Spionage. Die zweite Variante ist mir deutlich lieber, meine Damen und Herren. Ich will zum Schluss noch deutlich machen, dass wir im Umgang mit dieser Geschichte insgesamt, bei allem Ärger, nicht den Boden des Rechts verlassen dürfen. Unsere Antwort auf die Ausspähung deutscher Daten sollte auf dem Boden unserer nationalen und der internationalen Rechtsordnung stehen. Anhand dieses ganz einfachen Maßstabs lassen sich ganz kurz und klar auch die Ideen beantworten, Edward Snowden etwa Asyl in Deutschland zu geben. Das Asylgrundrecht, meine Damen und Herren, ist kein fürstliches Privileg, das die Bundesregierung oder der Bundestag nach Gutdünken erteilen darf. Das Asylgrundrecht ist ein Recht mit einem klaren Tatbestand. Edward Snowden – bei allem Mut, den man ihm zusprechen muss – ist nicht politisch verfolgt, sondern er wird juristisch belangt; das ist ein Unterschied. Strafrechtliche Ermittlungen eines Rechtsstaats sind ganz offensichtlich nicht geeignet, eine politische Verfolgung zu begründen. Übrigens würde auch unsere Strafjustiz in einem vergleichbaren Fall wegen Hoch-, Landes- oder -Geheimnisverrats ermitteln müssen. Es ist schwer einzusehen, warum wir bei Tausenden von Flüchtlingen na-türlich sehr genau prüfen, ob Asylgründe vorliegen, den Fall Snowden aber ungeprüft durchwinken sollten, nur weil er inzwischen eine Medienberühmtheit geworden ist. Meine Damen und Herren, natürlich verdanken wir Edward Snowden interessante Hinweise auf die Spionagetätigkeit der NSA. Aber Kennzeichen eines Rechtsstaats ist, dass der gute Zweck eben nicht jedes Mittel heiligt. Unser Auslieferungsabkommen mit den USA gilt. Es gilt auch im Fall Snowden. Es ist eine große Errungenschaft der modernen internationalen Rechtsordnung, dass die Rechts- und Strafverfolgung immer weniger an nationalen Grenzen haltmachen muss. Es wäre unseres Rechtsstaats unwürdig, würden wir im Stil von Winkeladvokaten in diesem Auslieferungsabkommen irgendwelche Schlupflöcher suchen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Kollege Krings, lassen Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Ströbele zu? Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Da ich keine Redezeit mehr habe, ist das eine willkommene Verlängerung. – Bitte schön. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, danke, dass ich fragen darf. Darüber freue ich mich immer. Ist Ihnen bekannt, dass man sowohl in Deutschland als auch in den USA selbst bei Begehung schwerer Straftaten die Möglichkeit hat – ich möchte nicht sagen, dass das tägliche Rechtspraxis ist; es ist, sagen wir einmal, monatliche Rechtspraxis –, von der Bestrafung ganz abzusehen oder die Strafe ganz wesentlich zu vermindern, wenn die Person, der man Straftaten vorwirft, sich bei der Aufklärung, insbesondere bei der Aufklärung anderer Straftaten, bei der Aufklärung von in hohem öffentlichen Interesse liegenden Sachverhalten, verdient gemacht hat? Nehmen wir einmal die bei der Union etwas umstrittene Praxis, Leute, die aus der Schweiz Steuerdaten von deutschen Steuerflüchtlingen liefern, nicht nur keiner Bestrafung zuzuführen, sondern ihnen auch noch 1 Million Euro zu geben und ihnen durch eine neue Identität Schutz zu gewähren. Ich kenne auch einen Fall, in dem einer Person ein Bauernhof übereignet worden ist, damit sie eine Existenzgrundlage hat. Ist Ihnen das bekannt? Meinen Sie nicht, dass sich Herr Snowden hier weltweit Verdienste erworben hat? Es geht ja nicht nur um Deutschland und nicht nur um die Kanzlerin. Es geht um Frankreich. Es geht um Italien. Es geht um den Papst. Es geht um Brasilien. Es geht um Mexiko. Überall tritt dieses Problem mit der Ausspähung auf. Die Präsidentin Brasiliens hat einen Besuch in den USA abgesagt, weil auch sie und ihre Regierung ausspioniert worden sind. Auch das hat Edward -Snowden berichtet. Meinen Sie nicht, dass eine Güterabwägung, wie sie bei der Justiz und beim Staat immer üblich ist, auch bei Snowden durchgeführt werden müsste und er deshalb als Zeuge hierhergeholt werden könnte, ohne bestraft zu werden? Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Lieber Kollege Ströbele, dass einem Whistleblower einmal ein Bauernhof geschenkt worden ist, das war mir bisher in der Tat nicht bekannt. – Von mir aus können Sie sich gerne hinsetzen, aber üblich ist es, sich die Antwort im Stehen anzuhören; das ist also schon in Ordnung. – Das ist eine neue Information für mich und eine ganz nette Arabeske. Die Möglichkeiten der Strafprozessordnung sind mir sehr wohl bekannt. Es geht aber hier nicht um den Strafanspruch des deutschen Staates, auch nicht um Steuerstraftaten; darüber können wir lange sprechen. Wir als Union hatten ganz andere und rechtsstaatskonformere Dinge vorgeschlagen. Hier geht es um den Strafanspruch der Vereinigten Staaten von Amerika. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Ich habe es eben verglichen: Man könnte sich auch den Fall vorstellen, dass es um den Strafanspruch unseres Landes gegenüber einem Spion oder vielleicht einem Mitarbeiter geht, der in ein anderes Land gegangen ist. Übrigens hat dieser Edward Snowden nicht nur interessante Schriftstücke zur Ausspähung mitgenommen, sondern er hat, wie man ebenfalls hört, auch Listen mit Namen von Geheimagenten mit ihren Klarnamen mitgenommen. Ob das alles so wenig sicherheitsrelevant ist, das möchte ich wirklich sehr bezweifeln. Also, die Figur Edward Snowden ist wahrscheinlich etwas vielschichtiger, bei allem respektablen Mut, den man ihm zusprechen kann. Hier gilt der Strafanspruch der Vereinigten Staaten. Es gilt das Auslieferungsabkommen, das wir geschlossen haben und das wir umgekehrt übrigens auch angewandt sehen wollten. Man mag an irgendeiner Stelle ein Schlupfloch für diesen Fall finden. Aber ich finde, das kann nicht der Stil sein, in dem Rechtsstaaten miteinander umgehen sollten. Wenn das andere Staaten so machen, hindert das uns nicht daran, rechtsstaatlich mit gutem Beispiel voranzugehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Zukunft – lassen Sie mich diesen einen Satz noch sagen und damit zum Ende kommen – des deutsch-amerikanischen Verhältnisses darf nicht im wechselseitigen Rechtsbruch liegen, sondern sie liegt in der wechselseitigen Vertrags- und Rechtstreue. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Dr. Eva Högl. (Beifall bei der SPD) Dr. Eva Högl (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seit die ersten Informationen über die massenhafte verdachtsunabhängige Überwachung des Telekommunikationsverkehrs durch ausländische Dienste in Deutschland bekannt wurden, fühle ich mich sehr an die Zeit vor fast zwei Jahren erinnert, Ende 2011, als die Naziterrorzelle NSU aufflog. Auch damals drängte sich jeder und jedem von uns eine Vielzahl von Fragen auf, Fragen, die sich alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland gleichermaßen stellten, Fragen, die uns an der Arbeitsfähigkeit und der Effektivität unserer Sicherheitsbehörden zweifeln ließen, und Fragen, die einer umfassenden und transparenten Aufklärung zugeführt werden mussten. Wir haben damals hier im Deutschen Bundestag gemeinsam über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg einen vorbildlichen Weg eingeschlagen, die Aufklärung dieser Fragen kooperativ, sachorientiert und transparent zu ermöglichen. Die Art und Weise, wie wir dies beim Fall NSU gemacht haben, wurde von vielen als Sternstunde des Parlamentarismus bezeichnet. Auch wenn Sternstunden sich dadurch auszeichnen, dass sie etwas Außergewöhnliches sind, können sie sich ja trotzdem wiederholen. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir uns an diesen Geist unseres damaligen Vorgehens erinnern und bei dieser Debatte an diese Einigkeit anknüpfen. (Beifall bei der SPD) Die Fragen, mit denen wir es zu tun haben, und die Fragen, die wir uns alle stellen, eignen sich nicht für den üblichen parteipolitischen Streit. Wir alle wollen doch wissen: Seit wann, durch wen, in welchem Ausmaß erfolgt die massenhafte verdachtsunabhängige Überwachung der Kommunikationsbeziehungen von Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland? Wo werden welche Daten technisch gewonnen? Auf deutschem Hoheitsgebiet oder nur auf Kommunikationswegen im Ausland? Inwieweit werden die Auslandsvertretungen hier in Berlin dazu genutzt, Kommunikationsbeziehungen auf deutschem Boden auszuspähen, und das nicht nur in Bezug auf die Bundeskanzlerin, sondern in Bezug auf alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes?Welche rechtlichen Regelungen gelten eigentlich für die Tätigkeit ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland? Was und seit wann wussten deutsche Stellen über die massenhafte verdachtsunabhängige Überwachung? Waren sie even-tuell sogar daran beteiligt? Und, liebe Kolleginnen und Kollegen: Konnten unsere Dienste wirklich ernsthaft davon ausgehen, dass Regierungsmitglieder nicht überwacht werden? Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle diese Fragen, die ich eben aufgezählt habe, wollte oder konnte die Bundesregierung bisher nicht beantworten. Jedenfalls sind sie bisher komplett unbeantwortet. Wir haben also viele Fragen, und wir haben viele Fragen, die sich in erster Linie an ausländische Dienste richten und die mit unseren parlamentarischen Mitteln nur schwer aufzuklären und zu beantworten sind. Wir haben aber auch viele Fragen, die in Richtung unserer Nachrichtendienste gehen, die ihr Wissen, ihre Arbeitsweise und ihre mögliche Beteiligung betreffen. Dafür ist zunächst einmal das Parlamentarische Kontrollgremium zuständig, das ganz offenkundig – das merken wir jetzt – in seiner jetzigen Verfassung und bei seiner jetzigen Arbeitsweise an seine Grenzen stößt. Deswegen begrüße ich ganz ausdrücklich die Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Es sollte transparenter tagen, teilweise öffentlich tagen, vielleicht sogar Fernsehübertragungen ermöglichen. Wir haben an einem Beispiel in England gesehen, wie dies machbar ist. Ich denke, dass nicht alles, was Nachrichtendienste machen oder wissen, geheimhaltungsbedürftig ist, sondern auch in der Öffentlichkeit debattiert werden muss. Wir sollten uns für eine Verbesserung der Struktur und Ausstattung des Kontrollgremiums engagieren. Unsere Vorschläge dazu haben wir dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Sie finden sich im NSU-Abschlussbericht. Ich denke, dies ist ein guter Fall, sie umzusetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren, sondern wir müssen tatsächlich ganz engagiert, und zwar gemeinsam, aufklären. Das kann ein Kontrollgremium sein, das können Sachverständige sein, die wir einsetzen. Das kann eine Verbesserung der Transparenz des Verfahrens sein. Der Innenausschuss kann seine Aufgabe wahrnehmen. Wir können eine Enquete-Kommission oder auch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einrichten. Ich sage es hier ganz deutlich: Die Organisationsform, in der wir als Parlament aufklären, ist zweitrangig. Entscheidend kommt es auf die Inhalte und den Aufklärungswillen an. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deswegen appelliere ich an alle, auch an die, die jetzt nicht applaudieren, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Immer -langsam!) dass wir sehr offen Gespräche darüber beginnen, wie wir gemeinsam über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg aufklären können, wie wir gemeinsam all die Fragen beantworten können, die hier gestellt wurden. Ich verspreche mir davon, dass wir etwas von dem, was ich vorhin als Sternstunde bezeichnet habe, dem Geist des NSU-Ausschusses, auf dieses schwerwiegende Thema NSA übertragen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Herr Dr. Uhl das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Der Antiamerikaner Uhl!) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Als im Sommer, im Juni, die Snowden-Enthüllungen ihren Anfang nahmen, war die Empörung groß und die Meldungen nicht immer richtig. Ich habe noch einmal das Titelbild des Spiegels im Juli herausgesucht. Dort hieß es: Der Pakt Außer Kontrolle: Die geheime Zusammenarbeit von NSA, BND und Verfassungsschutz Das war die Titelgeschichte des Spiegels, „Der Pakt“. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wann war das?) Da hieß es, Hunderte Millionen Daten von Deutschen werden monatlich durch kollusives Zusammenwirken zwischen NSA einerseits und den deutschen Diensten andererseits nach Amerika geliefert. Das war der Vorwurf. Diesen Dingen sind wir nachgegangen und mussten wir nachgehen. Wir konnten dies glücklicherweise Punkt für Punkt widerlegen. Insofern ist es unsere Aufgabe, den Bundesinnenminister in Schutz zu nehmen. Auch den Kanzleramtsminister Pofalla müssen wir in Schutz nehmen, als er sagte, dass die Affäre insoweit aufgeklärt und beendet sei. Dieses kollusive Zusammenwirken hat es nicht gegeben. (Beifall bei der CDU/CSU) Das sind wir als Parlamentarier unseren Beamten auch schuldig. Man kann nicht zulassen, dass die Medien den Beamten unwidersprochen millionenfachen Rechtsbruch unterstellen und dann sagen: Aha, so sind die anscheinend; sie leisten einen Eid auf die Einhaltung der Gesetze, und dann begehen sie monatlich millionenfach Rechtsbruch. Das kann so nicht stehen bleiben. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Uhl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Notz? Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Nein. Diese Dinge sind für mich ausdiskutiert und beendet. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen will ich auch keine Zwischenfrage dazu haben. Meine Damen und Herren, aber was danach kam, hat uns in der Tat die Augen geöffnet, weil wir von amerikanischer Seite eben nicht mit der Wahrheit bedient worden sind. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört! Hört!) Insofern haben Sie recht, Herr Steinmeier, wenn Sie sagen, dass wir die Dinge nicht bagatellisieren sollen. Aber wir sollten jetzt auch keinen Überbietungswettbewerb veranstalten: Wer von uns allen ist über diese Vorgänge am empörtesten? Wir sollten uns vielmehr gemeinsam Gedanken machen: Was sind taugliche Instrumente zur Aufklärung dieses Sachverhaltes? In die Empörung des Sommers mischte sich der Vorschlag, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten, meine Damen und Herren. Nun hat es der Wähler so gewollt, dass die Minderheitsfraktionen zusammen nur rund 20 Prozent der Sitze innehaben. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, es gibt noch gar keine Minderheit!) Dennoch wollten wir die Ausübung des wichtigsten Minderheitenrechts der Opposition, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten, nicht behindern. Aber ist es wirklich ein taugliches Instrument – da bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Steinmeier; Ihre Nachdenklichkeit, von der wir heute hier gehört haben, ist wichtig –, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zur Aufklärung amerikanischen Regierungshandelns einsetzen? Ist es ein kluges, ein richtiges, ein weiterführendes Instrument? Natürlich nicht. Deswegen sollten wir darüber noch einmal nachdenken. Ich meine, wir sind an einem ganz schwierigen Punkt angelangt. Es ist bekannt, dass Deutschland mit seinen Datenschutzbestimmungen weltweit führend ist; der deutsche Datenschutz ist sprichwörtlich führend. Das hat zur Folge, dass der deutsche Staat den Bürgern – allen Bürgern, nicht nur der Kanzlerin – das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zusichert. Und jetzt die Frage: (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer war’s?) Kann der Staat seinen Bürgern in Zeiten der weltweiten Kommunikation, in denen Milliarden Daten über Glasfaserkabel um den Erdball gejagt, Milliarden von Daten irgendwo auf der Welt in Clouds gespeichert werden, noch ein solches Recht auf informationelle Selbstbestimmung zusichern? Wenn wir jetzt festgestellt haben, dass er es nicht konnte, stellt sich die Frage: Wie kann er es denn in Zukunft? Damit sind wir an dem Punkt angelangt, den wir in Ruhe diskutieren sollten. Variante eins der Lösung: völkerrechtliche Abkommen, No-Spy-Abkommen und was es alles für Verträge geben kann. Es wird wohl wichtig sein, dass wir auf diesem Weg mit den Amerikanern weiterkommen. Variante zwei sind technische Lösungen. Da teile ich nicht Ihre Auffassung, Herr Steinmeier, wenn Sie das so abtun. Ich glaube schon, dass die Rückgewinnung von nationaler Souveränität ein Stück weit auch über technische Antworten gelingen kann. Ich sage: auch über technische Antworten. Ob es das geplante IT-Sicherheitsgesetz ist, ob es die De-Mail ist, ob es ein Routen innerhalb des Landes ist, wenn eine Nachricht das Land nicht zwingend verlassen muss und damit unseren Datenschutzbestimmungen unterworfen bleibt, ob es die Verschlüsselung von sensibler Regierungskommunikation ist – hier haben wir hervorragende deutsche Kryptofirmen, die wir zum Einsatz bringen können –: Es gibt eine Menge von Maßnahmen – technische Antworten –, die neben den völkerrechtlichen Verträgen sicherlich auch ein guter Teil der Lösung sind. Lassen Sie mich ein Wort zu den Anträgen der Grünen und vor allem der Linken sagen. Herr Gysi, Ihre Ausführungen zur Souveränität Deutschlands und zur Rückgewinnung derselben werden durch einen Antragskatalog mit 16 Maßnahmen, 16 Aktionen ergänzt, die weitgehend schon von Antiamerikanismus geprägt sind, obwohl Sie das abgestritten haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ein Quatsch!) Wenn man das, was Sie alles vorschlagen, der Reihe nach durchgeht, dann merkt man: Es riecht sehr nach Rache. Das ist nicht die Lösung. Sie meinen wohl: Wenn uns die Amerikaner so gedemütigt haben, dann muss man sich rächen können. Daraus leiten Sie ab: Souveränität haben wir erst dann wieder gewonnen, wenn das große Amerika auf Ihrer Augenhöhe, Herr Gysi, mit uns redet. – (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Herr Gysi ist da zu klein!) Das ist, glaube ich, nicht die Antwort auf das Problem. Nein, wir sollten mit den Amerikanern sehr konsequent reden. Vieles ist angedeutet worden; das will ich jetzt nicht wiederholen. Wir werden nach Amerika fahren. Die Mitglieder der amerikanischen parlamentarischen Kontrollorgane werden zu uns kommen. Wir werden auch regierungsseitig miteinander verhandeln und Abkommen schließen. Ein Wort noch zu Snowden, dann komme ich zum Ende, Frau Präsidentin. Erstens. Es ist sicher richtig, dass Herr Snowden nach den geltenden Bestimmungen kein Asyl bekommen kann; denn er ist ja gar nicht im Lande. Asyl gewähren kann man nur dem, der im Lande ist. Zweitens. Die Möglichkeit, nach § 22 des Aufenthaltsgesetzes vorzugehen, wurde erwähnt. Meine Damen und Herren, natürlich liegt es im Interesse Snowdens, hierherzukommen. Er will sich vor amerikanischer Strafverfolgung schützen, indem er zu uns kommt. Aber liegt es im deutschen Interesse, Herrn Snowden diesen Gefallen zu tun? Es tut mir für Sie und Ihren Mandanten, Herr Ströbele, leid, aber ich glaube, bei der Abwägung deutscher Interessen und Snowdens Interessen muss man schon sehr genau darüber nachdenken, ob es klug ist, aus Gründen der Staatsräson zu sagen: (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Man muss die Motive jetzt nicht kleinreden!) Herr Snowden soll zu uns kommen, weil wir den Streit mit den Amerikanern zwecks Rückgewinnung der Souveränität auf die Spitze treiben wollen. Das ist nicht der Weg, der uns weiterführt. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Das Wort hat Lars Klingbeil. (Beifall bei der SPD) Lars Klingbeil (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass sich der Deutsche Bundestag mit dem Thema NSA beschäftigt. Wir werden in dieser Legislaturperiode noch sehr oft mit dem Abhörskandal und den Überwachungsmechanismen zu tun haben. Wir haben eine lange Strecke vor uns, wenn es darum geht, aufzuklären. Ich will auch anmerken, dass wir als Parlament gut beraten sind, wenn wir das an vielen Stellen gemeinsam mit dem amerikanischen Kongress tun und uns dort nicht allein auf die Regierung verlassen. Der Bundestag hat Aufklärungsarbeit zu leisten. Das erwarten die Menschen von uns. Wir müssen daran arbeiten, Vertrauen in die Grundrechte wiederherzustellen. Wir müssen dafür sorgen, dass das Vertrauen in sichere Kommunikation wieder wächst. Wir müssen die Privatsphäre zurückerobern. Wir müssen aber auch daran arbeiten, das transatlantische Verhältnis wieder ins Lot zu bringen, aus dem es in den letzten Wochen geraten ist. Ich sage Ihnen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen dafür sorgen, dass Geheimdienste, die aus dem Ruder gelaufen sind, endlich wieder dem Primat der Politik untergeordnet werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Minister Friedrich, ich muss schon sagen: Ich hätte mir in Ihrer Rede ein bisschen mehr Demut erwartet; (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn in den letzten Monaten ist doch einiges schiefgegangen, als es darum ging, dass die jetzt geschäftsführende Bundesregierung die Aufgaben, die sie wahrzunehmen hat, wahrnimmt, wenn es um Schutz geht, wenn es um Vertrauen geht. Ich sage auch: Es ist völlig berechtigt, dass wir hier in Deutschland Empörung erleben, wenn wir mitbekommen, dass das Handy der Bundeskanzlerin abgehört wurde. Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen. Aber auch in den Monaten vorher gab es genügend Anlass, empört zu sein, genügend Anlass, aktiv zu werden: als es Hinweise darauf gab, dass die Grundrechte der deutschen Bürgerinnen und Bürger gefährdet sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das alles wurde heruntergespielt. Da ich nicht nur nach vorne schauen will, sondern auch die Ereignisse der letzten Monate ansprechen will, sage ich deutlich: Es hilft der Aufklärung nicht, wenn wir über den Begriff des „Supergrundrechts“ verschiedene Grundrechte in Deutschland gegeneinander ausspielen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es hilft auch nicht – leider hat auch der von mir geschätzte Kollege Uhl das gerade getan –, wenn wir eine noch nicht einmal begonnene Aufklärung einfach für beendet erklären. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat ja schon Herr Pofalla gemacht!) Das stärkt doch nicht das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Wenn dann auf einmal Vorschläge auftauchen, etwa zur Internetknotenüberwachung oder zur Verwendung von Mautdaten, dann frage ich mich: Was haben wir in den letzten Monaten aus der Diskussion über den Umgang mit den Daten eigentlich gelernt? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss Schluss sein mit dem Schlingerkurs der letzten Monate. Wir als Parlament und auch die künftige Bundesregierung haben eine Aufgabe wahrzunehmen, wenn es darum geht, aktiv zu werden, wenn es darum geht, aufzuklären, und wenn es darum geht, die richtigen Konsequenzen aus dem Skandal rund um die NSA – ich will anmerken, dass noch andere Geheimdienste damit zu tun haben – zu ziehen. Lassen Sie mich kurz fünf Punkte nennen. Erstens. Unseren amerikanischen Freunden muss in aller Deutlichkeit gesagt werden, dass die bisherige Praxis sofort gestoppt werden muss. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der zweite Punkt ist – das haben uns gerade die Veröffentlichungen in den letzten Tagen gezeigt –: Wir müssen souveräner werden. Dabei geht es nicht – auch das will ich deutlich sagen – um einen IT-Nationalismus. Es geht nicht darum, dass wir das Internet renationalisieren wollen. Aber wir sehen doch selbst, dass wir in Deutschland besser werden müssen, wenn es darum geht, in Forschung und Entwicklung zu investieren, wenn es darum geht, die Rahmenbedingungen für Hardware- und Softwarelösungen in Deutschland zu verbessern, wenn es darum geht, Sicherheitsstandards zu definieren. Auch das sind Aufgaben für die nächsten vier Jahre. Es geht auch darum, dass Deutschland die Kontrolle hat und das Know-how besitzt, damit der Staat verantwortungsvoll handeln kann. Dritter Punkt. Es geht um internationale Abkommen wie SWIFT und Safe Harbor, die ausgesetzt und überarbeitet werden müssen. Das Europäische Parlament fordert dies bereits. Ich rate uns als Parlament, dass wir uns diesen Forderungen anschließen. Wir brauchen Gewissheit, was mit den Daten passiert. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach dem Grünen-Antrag zustimmen!) Vierter Punkt: völkerrechtliche Absicherung. Auch dieses Thema ist schon angesprochen worden. Ein No-Spy-Abkommen darf nicht ausschließlich zwischen Geheimdiensten verhandelt werden. Das muss politisch verhandelt werden, und es muss nachher völkerrechtlich abgesichert werden. Der fünfte Punkt, den ich ansprechen will, ist die Frage nach Edward Snowden. Ich will es hier ganz klar sagen: Wir als deutsches Parlament, als deutsche Öffentlichkeit haben Edward Snowden viel zu verdanken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Da ist ein mutiger junger Mann, der Informationen gesammelt und diese veröffentlicht hat, um die Sicherheit zu stärken. Ich warne davor, jetzt in kurzfristige Lösungen und Antworten zu verfallen. Wir müssen jetzt eine Antwort finden, die sich an zwei Parametern misst. Ein Parameter ist: Zur Aufklärung brauchen wir Informationen. Der zweite Parameter ist: Wir müssen den bestmöglichen Schutz für Edward Snowden garantieren und sicherstellen. Deswegen ist es richtig, dass es jetzt den Auftrag gibt, hierfür Lösungen zu finden. Wenn wir diese fünf Punkte erfüllen, dann kommen wir in dieser Legislaturperiode auf dem Weg, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen, ein gutes Stück voran. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Peter Beyer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Beyer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorab meine Freude zum Ausdruck bringen, dass auch ich als Außenpolitiker in dieser sehr innenpolitisch ausgerichteten Debatte zu Wort kommen darf. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: So sind wir! – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das ist unglaublich!) – Das ist ja auch eine gute Sache. Es ist gut, dass die Abhöraktivitäten der National Security Agency ans Licht gekommen sind. Das ist vor allem deshalb gut, weil wir dadurch gezwungen werden, gründlich über das transatlantische Verhältnis nachzudenken, etwas, was in den letzten Jahren häufig zu kurz gekommen ist. Der Abhörskandal zwingt uns gewissermaßen dazu, uns bewusst zu machen, was die transatlantische Partnerschaft sowohl für uns Europäer als auch für die Amerikaner bedeutet. Das transatlantische Verhältnis wurde lange Zeit von vielen gewissermaßen als Selbstläufer betrachtet, als eine gute Sache, um die man sich im Grunde genommen nicht weiter zu kümmern braucht. Durch die aktuelle Debatte denken wir wieder über die transatlantischen Gemeinsamkeiten und über die Unterschiede, über unsere Abhängigkeiten und die Natur unserer Zusammenarbeit nach. Die Vereinigten Staaten waren schon immer einer der wichtigsten Partner der Bundesrepublik. Sie haben mitgeholfen, Deutschland zu dem zu machen, was es heute ist. Uns verbinden nicht nur die gemeinsamen historischen Erfahrungen, sondern auch gemeinsame Werte, die auf den Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit des Individuums und Marktwirtschaft gründen. Deutschland und Europa sind mit keiner anderen Region der Welt so eng verbunden wie mit Amerika. Man muss aber auch einen realistischen Blick auf das transatlantische Verhältnis werfen. Amerika und Europa haben sich vor einigen Jahren ein Stück weit entfremdet. Die Gründe dafür sind vielfältig: die Differenzen über den Irakkrieg, ein stärkerer strategischer Fokus Washingtons in Richtung Pazifik oder Deutschlands sicherheitspolitische Zurückhaltung bei internationalen Konflikten in der jüngeren Zeit. Den Anstrengungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel haben wir es zu verdanken, dass wir zu einem vertrauensvollen Umgang zurückgefunden haben. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Oh Gott!) Durch den Abhörskandal hat das transatlantische Bündnis nun eine ernsthafte Belastung erfahren. Die Empörung, die auf beiden Seiten herrscht, zeigt, dass Grenzen überschritten worden sind. Um es klar zu sagen: Das Abhören unserer Kanzlerin und von Regierungsmitgliedern ist nicht akzeptabel. Auch Industriespio-nage ist nicht hinnehmbar. Ferner ist zu fragen, ob die mutmaßliche flächendeckende Aufzeichnung von Telefonaten, E-Mails und -Internetverbindungen in Europa in dem Maße notwendig ist, wie sie offenbar betrieben worden ist. Das Gebot der Stunde heißt jedoch, die Aufregung auf ein nüchternes Maß zurückzufahren. Eine weitere Skandalisierung hilft da nicht weiter. Auch eine Trotzreaktion und eine Verweigerungspolitik wären sicherlich der falsche Weg. Eine starke Partnerschaft hält es aus, dass man unangenehme Dinge anspricht. Jetzt ist umso mehr eine lebendige Kommunikation gefragt. Wir müssen Probleme ansprechen und unsere Erwartungen an die US-Regierung klar formulieren. Was passiert ist, können wir nicht rückgängig machen. Aber es liegt in unserem Interesse, dass das Vertrauen auf beiden Seiten des Atlantiks wiederhergestellt wird, und zwar rasch. Dazu bedarf es einer besonnenen Aufklärung und Aufarbeitung des Sachverhalts, was nicht auf Kosten der transatlantischen Beziehungen erfolgen darf. Daher bin ich dagegen, Edward Snowden in Deutschland zu befragen oder ihm hier bei uns Asyl zu gewähren. Neben den bereits angesprochenen rechtlichen Bedenken würde das den Konflikt mit Washington unweigerlich und unnötig verschärfen. (Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Besuch des Kollegen Ströbele in Moskau – er meldet sich gerade lautstark zu Wort – war da möglicherweise sogar kontraproduktiv (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) und stellt eine zusätzliche Belastung des transatlantischen Verhältnisses dar. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Christian Belastung?) Eine gute Partnerschaft mit den USA liegt in unserem ureigenen Interesse. Daher steht eine Antwort auf die Frage, ob Snowden in Deutschland aussagen sollte, immer unter dem Vorbehalt, ob das langfristig auch deutschen Interessen dient. Wir fordern darüber hinaus eine Aufarbeitung von US-amerikanischer Seite aus. In Ansätzen wird in den USA bereits eine Diskussion über das Spannungsfeld zwischen Freiheit einerseits und Sicherheit andererseits geführt. Es wäre gut, wenn eine breite gesellschaftliche Debatte stattfinden würde, an deren Ende eine Balance zwischen Sicherheit und individuellen Freiheitsrechten steht. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Grundrechte!) Wir müssen jetzt unsere gute Position nutzen und die Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, kurz TTIP, weiter vorantreiben. Diese jetzt auf Eis zu legen, wie dies leider einige fordern, wäre die falsche Reaktion, ein Reflex, der gegen unsere eigenen Interessen gerichtet wäre. Denn insbesondere von einem verbesserten Marktzugang im Zuge eines erfolgreich verhandelten Abkommens profitiert vor allem die Exportnation Deutschland mit ihrem starken Mittelstand. Das Potenzial einer transatlantischen Freihandelszone, in der Handel und Investitionen unbelastet von tarifären und nichttarifären Hemmnissen stattfinden können, ist enorm. Allein in Deutschland können wir mit circa 160 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen rechnen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das transatlantische Freihandelsabkommen ist das Projekt der transatlantischen Zukunft. Das Abkommen wird die Zusammenarbeit mit den USA auf Jahrzehnte hinaus prägen. Was die NATO im 20. Jahrhundert im Sicherheitsbereich gewesen ist, wird die TTIP für das 21. Jahrhundert im ökonomischen Bereich und noch weit darüber hinaus sein. Die TTIP wird gleich einer vertraglichen Klammer wirken, die dem deutschen Mittelstand zugutekommen und unseren Wohlstand sichern helfen wird. Daher kann sie nicht zur Disposition stehen. In die Zukunft gerichtet haben Europa und die Vereinigten Staaten noch viel miteinander vor. Globalen -Herausforderungen können wir nur in enger Zusammenarbeit und Abstimmung begegnen. Internationaler Terrorismus, die steigende Zahl asymmetrischer Konflikte, die Verbreitung von biologischen, chemischen und atomaren Vernichtungswaffen, Klimawandel, Unterentwicklung und Armut – machen wir uns nichts vor, ohne die USA wird eine Lösung der Probleme nicht möglich sein. In vielen Bereichen gibt es noch Möglichkeiten und die Notwendigkeit zum weiteren Ausbau der transatlantischen Zusammenarbeit. Da wären zum Beispiel Fragen der Energieversorgung, Chancen neuer Technologien und Innovationen, der Zugang zu Rohstoffen und eine gemeinsam abgestimmte Afrikapolitik, um nur einige wenige zu nennen. Auch in den USA hat es einen Wandel im Energiesektor gegeben. Mit Interesse schauen die Amerikaner vor allem nach Deutschland, um zu erfahren, wie wir die Energiewende gestalten. Hier können sie durchaus von uns in Deutschland noch einiges lernen, insbesondere was die Fragen von Nachhaltigkeit und erneuerbaren Energien anbelangt. Es gilt also, den Blick nach vorne zu richten und die Krise als Chance zu begreifen, als Chance, das transatlantische Bündnis für die Zukunft auf ein solides Fundament zu stellen. Genau deshalb hat der NSA-Skandal auch etwas Gutes. Denn er gibt uns die Chance, das Verhältnis zu den USA im positiven Sinne zu überdenken, uns für die Zukunft breit aufzustellen und unsere Partnerschaft zu festigen. Wir sind füreinander beste Partner. Wer damit zündelt, handelt fehlerhaft und gefährdet stabile politische und ökonomische Systeme. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn gezündelt?) „Miteinander reden, nicht raufen“ heißt die Devise. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/56 sowie zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/65. Die Fraktion Die Linke sowie die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünschen jeweils Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen jeweils Überweisung an den geplanten Hauptausschuss. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den es noch gar nicht gibt! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Ausschuss?) Wir haben uns im Bundestag schon häufiger mit einer vergleichbaren Fragestellung beschäftigt. Nach einer vom Plenum bestätigten Auslegung der Geschäftsordnung kann die antragstellende Fraktion der Überweisung eines Entschließungsantrages bei vereinbarten Debatten nicht gemäß § 88 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung widersprechen. Daher stimmen wir nach ständiger Übung über Anträge auf Ausschussüberweisung zuerst ab. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch überhaupt keinen Ausschuss! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welche Ausschüsse denn?) Dazu hat die Kollegin Haßelmann das Wort zur Geschäftsordnung erbeten. – Frau Kollegin Haßelmann. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wir möchten uns in der Tat gemäß § 29 der Geschäftsordnung gegen das vorgeschlagene Verfahren aussprechen. Zu Recht kam ja aus meiner Fraktion gerade schon der Zwischenruf: „In welche Ausschüsse denn?“ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, es ist völlig klar: Der Bundestag hat sich bis zum heutigen Tag keinen Ausschuss gegeben. Bis kurz vor der Sitzung waren CDU/CSU und SPD ja noch nicht einmal einig, an welchen Ausschuss – in Klammern: den es gar nicht gibt – das Ganze überwiesen werden soll. (Günter Krings [CDU/CSU]: Ja, eben! Das ist doch konsequent!) Auf der einen Seite war auf der Arbeitsebene zu hören: an den Innenausschuss. Auch der, meine Damen und Herren, ist noch nicht eingerichtet. Auf der anderen Seite war zu hören: an den Hauptausschuss. Auch den gibt es noch nicht. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt überhaupt noch keinen!) Von daher widersprechen wir an dieser Stelle ganz deutlich Ihrer Initiative; denn sie ist durchsichtig. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Wer den Reden hier heute nur einigermaßen gefolgt ist, hat deutlich gemerkt, dass Union und SPD unterschiedliche Auffassungen haben, was die Bewertung des NSA-Skandals und seiner Dimension für Deutschland angeht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Was? Wie kommen Sie denn darauf?) Das soll jetzt natürlich verkleistert werden, und zwar dadurch, dass man die beiden Entschließungsanträge von Grünen und Linken heute in einen Ausschuss versenkt, den es noch gar nicht gibt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir überweisen, wir versenken nicht, Frau Kollegin!) Meine Damen und Herren, das muss einmal offen angesprochen werden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!) Ich hoffe, dass Sie sehr viele Leute dazu verdammt noch mal zur Rede stellen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, ja!) Kommen Sie mir gleich bitte nicht mit dem Hinweis auf die geltende Praxis. Ich habe schon gemerkt, dass man einen Ansatzpunkt gefunden hat. In der 13. Legislaturperiode, am 10. November 1994, hat das Plenum, das Parlament insgesamt, einmal Einvernehmen darüber hergestellt, dass Anträge überwiesen werden und nicht sofort über sie abgestimmt wird, obwohl zwei Fraktionen – eine war meine Fraktion – eine Sofortabstimmung gewünscht hatten. Darüber ist aber im Gegensatz zu heute vor der Sitzung Einvernehmen hergestellt worden. Bisher ist es gängige Praxis im Parlament, dass, wenn eine Fraktion zu einer Regierungserklärung oder einer vereinbarten Debatte einen Entschließungsantrag einbringt und diesen zur sofortigen Abstimmung stellt, über diesen dann auch sofort abgestimmt wird. Darauf beziehen wir uns heute, und das erwarten wir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Tatsache ist, dass Ihnen dieser Antrag unbequem ist. Wir haben heute nämlich nicht, Herr Grosse-Brömer, einfach nur gebrüllt, wie Sie es gerne sagen. Ich finde, Herr Ströbele hat ganz ruhig und gelassen geredet. Er hat nämlich viel zu sagen; schließlich hat er das Ganze mit seinem Besuch bei Herrn Snowden ins Rollen gebracht. Der Kollege Notz hat Ihnen dargelegt, was wir in unserem Entschließungsantrag verlangen. Es geht um zehn Punkte, die sind schnell gelesen. Zu diesen Punkten haben Sie alle sich heute in Ihren Reden verhalten. Jetzt wollen Sie sich wegducken, einen Konflikt, den es bei Ihnen offensichtlich gibt, hier im Parlament nicht austragen und diesen Antrag in Ausschüsse versenken, die es nicht gibt. Ich finde, das ist ein skandalöses Verfahren. Das können wir an dieser Stelle so nicht akzeptieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Beim nächsten Tagesordnungspunkt – ich will die Gelegenheit kurz nutzen, dazu etwas zu sagen – wird es gleich noch einmal um das Verfahren zur Einsetzung der Ausschüsse gehen. Es besteht in der Tat Klärungsbedarf bezüglich der Frage: Richtet man jetzt verfassungsmäßige Ausschüsse ein, und zwar bevor sie koalitionsverhandelt sind, oder was richtet man jetzt ein? Beim Antrag der Linken, um den es gleich geht, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie kann jetzt nicht zu Anträgen reden, die andere stellen!) werden wir uns allerdings enthalten. Die Linke schlägt nämlich willkürlich vor, einfach neun Ausschüsse einzurichten (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die sind doch alle nicht einig in der Hinsicht!) – neun Ausschüsse –, aber nicht nur die in der Verfassung vorgesehenen, sondern darüber hinaus noch den Finanzausschuss, den Innenausschuss und den Rechtsausschuss. Genauso gut könnte man fragen: Warum nicht auch den Ausschuss für Arbeit und Soziales? (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Gute Idee! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Oder den Sportausschuss! – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Oder den Kulturausschuss!) Dieser Ausschuss könnte sich dann nämlich mit dem Thema Rentenbeitrag befassen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das werden wir gleich noch diskutieren. Jetzt geht es uns erst einmal darum, darauf zu bestehen, dass, wie es hier gängige Praxis ist, über Entschließungsanträge sofort abgestimmt wird. Verhalten Sie sich doch einfach zu den zehn Vorschlägen zum Umgang mit der NSA-Affäre! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat der Kollege Korte das Wort, danach der Kollege Oppermann. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Liebe Kollegin Haßelmann, die Linke wäre bereit, alle Ausschüsse einzusetzen; denn wir sind seit dem 23. September abends arbeitsfähig. Wir sind bereit, zu arbeiten; das wird aber hier insgesamt verhindert. (Beifall bei der LINKEN) Weil das so ist, will ich hier begründen, warum wir der Auffassung sind, dass wir über die vorliegenden Anträge zu einem Themenfeld, das ja nun sehr viele Menschen in diesem Lande bewegt – und das nicht erst seit das Handy der Kanzlerin abgehört wurde, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Weil dem Gregor seins abgehört wird!) sondern bereits seit dem Sommer –, heute abstimmen sollten und Sie Farbe bekennen müssen: Erstens. Wir müssen heute darüber abstimmen, weil wir gar nicht wissen, wann wir das nächste Mal hier zusammenkommen oder ob wir überhaupt hier zusammenkommen; denn das verschiebt sich ja Woche um Woche. Deswegen sollten wir zumindest in diesem Punkt heute einmal klare Kante zeigen und darüber abstimmen. Das ist doch wohl das Mindeste! (Beifall bei der LINKEN) Sie von Union und SPD führen Koalitionsverhandlungen und nehmen damit den ganzen Bundestag in Geiselhaft; er darf nicht arbeiten. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Unsinn!) Wir tun das trotzdem; aber wir wollen auch hier arbeiten. Nur weil Ihre Koalitionsverhandlungen mittlerweile etwas obskure Züge annehmen, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das nehmen Sie jetzt aber zurück! – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD], an den Abg. Volker Kauder [CDU/CSU] gewandt: Woher weiß er das? Wer hat das verraten?) blockieren Sie, dass die Ausschüsse des Bundestages ihre Arbeit aufnehmen können. Das geht nicht! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens. Es ist nun mehrfach – insbesondere von Rednerinnen und Rednern der zukünftigen Großen Koalition – hier angemahnt worden, dass wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den Vereinigten Staaten, mit den Parlamentariern im Kongress, zusammenarbeiten sollten, um die Aufklärung voranzubringen. Das ist eine gute Idee, der sich meine Fraktion vollumfänglich anschließt. Es gibt nur ein organisatorisches Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Kongress arbeitet, er hat Ausschüsse und kommt regelmäßig zusammen; wir aber nicht. Sollen von uns über 600 Leute nach Washington fliegen, oder wie stellen Sie sich das vor? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Super!) Ein absurder Vorschlag! – Die arbeiten, und Sie blockieren hier, dass gearbeitet werden kann. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Einen dritten Punkt möchte ich noch ansprechen, aus dem hervorgeht, warum wir heute sofortige Abstimmung beantragt haben. Insbesondere vonseiten der Union ist hier ununterbrochen darauf hingewiesen worden, wie wichtig das transatlantische Verhältnis sei. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Petra Sitte? Warum darf Frau Sitte nicht reden?) Dieses Verhältnis ist wichtig; das stimmt. Genauso wichtig ist für uns als Linke aber – auch das gehört zum transatlantischen Verhältnis – die Arbeit von Bürgerrechtsorganisationen, von kritischen Künstlern, von kritischen Rockmusikern und von den Kollegen im Kongress. Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, was der Bundestag von diesen ganzen Vorgängen hält. Deswegen müssen wir als Bundestag heute eine Position finden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das sollte nicht so schwer sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Am besten fand ich den Vorschlag, die Vorlage an den sogenannten Hauptausschuss zu überweisen. Das kenne ich noch aus meiner Zeit in der Kommunalpolitik. Im Stadtparlament gibt es einen Haupt- bzw. Verwaltungsausschuss. Das kann doch nicht allen Ernstes hier die Position sein! Dass die SPD das mitträgt, Herr Oppermann, die hier in Bezug auf die Aufklärung und die Transparenz bei dieser ganzen NSA-Affäre eben noch in die Tasten gehauen hat, kann ich nun wirklich nicht verstehen. Sie haben den Koalitionsvertrag doch noch gar nicht unterschrieben, und Ihre Mitglieder haben dem noch gar nicht zugestimmt. Deshalb könnten Sie hier doch zumindest bis dahin ordentliche parlamenta-rische Arbeit machen und nicht schon jetzt die große Blockade durchführen. Es ist doch absurd, als SPD das mitzutragen, obwohl es die Große Koalition noch gar nicht gibt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lange Rede, kurzer Sinn: In dem Entschließungsantrag von uns Linken, der übrigens, Kollege Uhl, nicht antiamerikanisch, sondern verantwortlich ist, betrachten wir die Abkommen, die es gibt. Ein Beispiel ist das Abkommen zum Fluggastdatenaustausch mit den Vereinigten Staaten. Auf unsere Frage, was mit den europäischen Fluggastdaten, die in den USA gesammelt werden, eigentlich geschieht, kann man doch angesichts der ganzen Affären, die jeden Tag neu aufs Tapet kommen, nicht einfach sagen: Wir stimmen das hier nicht ab, das interessiert uns nicht, das ist antiamerikanisch. – Die richtige Antwort wäre, diese ganzen Abkommen auszusetzen und neu zu verhandeln. Das ist doch das Mindeste, was die Menschen erwarten können. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Man könnte hier noch viele Punkte aufzählen. Ich finde, das ist überhaupt kein gutes Omen für die nächsten vier Jahre. Erstens haben Sie, wie wir eben gesehen haben, viel zu viel Redezeit, (Beifall bei der LINKEN) und zweitens ist das, was Sie sagen, wirklich unerträglich. Sie können ruhig die Große Koalition bilden – das ist Ihr gutes Recht –, aber bei so einem Vorgang, der so viele Menschen umtreibt – die Leute sind verängstigt, weil sie nicht wissen, was von ihnen gespeichert wird –, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Deswegen haben wir auch debattiert!) ist es das Mindeste, dass der Bundestag – seit September diskutieren wir diese Affäre – zumindest einmal Farbe bekennt und Sie alle sagen, was Sie zu diesen Vorgängen meinen und ob Sie bereit sind, die notwendigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Sie verweigern sich dem, und das kritisieren wir aufs Allerschärfste. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat Herr Kollege Oppermann das Wort. Thomas Oppermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich verstehe die Aufregung der Kollegen Korte und Haßelmann überhaupt nicht: (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich nicht! – Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist das Problem!) Seit Tagen hören wir, dass der Bundestag endlich mit Ausschussberatungen beginnen soll. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Ausschuss? Ihr seid ja nicht einmal in der Lage, einen Ausschuss zu bilden!) Wo wir Ihnen heute die Möglichkeit geben, diese Anträge in einem noch zu bestimmenden Ausschuss zu beraten, sind Sie aber auch dagegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das gibt es doch gar nicht! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Ausschuss? Da müssen wir ja total lachen!) – Natürlich, aber den wird es ja geben. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jeder blamiert sich, so gut er kann!) In der nächsten Sitzung des Bundestages werden wir einen Ausschuss einsetzen, und dann wird dieser Antrag dort beraten. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann ist denn die nächste Sitzung? Wer hat denn die Sitzung beantragt? – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So sieht der Minderheitenschutz aus!) Das ist ja durchaus auch die Chance für Sie, dass aus den Anträgen noch etwas wird. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Minderheitenschutz!) Ich finde in den Anträgen berechtigte Punkte, denen ich zustimmen könnte, ich finde dort Diskussionswürdiges, aber ich finde dort auch falsche Punkte. (Jan Korte [DIE LINKE]: Ihre Attitüde ist jetzt schon super!) Die Ausschussberatung ist doch die Chance, dass wir die Spreu vom Weizen trennen, (Lachen der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dass Sie Ihre Argumente noch einmal nachschärfen und dass wir am Ende möglicherweise sogar zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. (Zurufe von der LINKEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Ausschuss?) Ich will bei dieser Gelegenheit auch sagen, dass ich noch in dieser Woche zusammen mit dem Kollegen Grosse-Brömer und den Vertretern der Grünen und der Linken ins Gespräch darüber kommen will, wie wir das Parlamentarische Kontrollgremium aufstellen, welchen Zuschnitt es haben soll und welche Instrumente ihm zur Verfügung stehen sollen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Oppermann, das ist peinlich, so peinlich! Wann ist die Sitzung, Herr Oppermann? Wann ist denn die nächste Sitzung?) Das kann relativ schnell geschehen, und dann können wir das alles auf den Weg bringen. Es wird also in der nächsten Sitzung (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wir beantragt haben, Herr Oppermann! Oder?) der Vorschlag von der Union und von der SPD kommen, einen Hauptausschuss einzurichten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann könnt ihr auch überweisen, wenn es einen gibt!) Dieser Hauptausschuss kann Beratungen und Anhörungen durchführen und parlamentarisch sachgerecht arbeiten. Das ist natürlich viel mehr wert als Sofortentscheidungen ohne die handwerkliche Arbeit im Ausschuss; diese sollte man nicht geringschätzen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Ausschuss gibt es doch gar nicht! Wo ist denn der Ausschuss?) Deshalb möchte ich Sie jetzt bei Ihrem eigenen Wort nehmen. Eine Ausschussberatung ist bei diesen Anträgen in der Sache genau angemessen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir jetzt zu den Abstimmungen. Wer stimmt für die beantragten Überweisungen? – (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht gar nicht! Man kann nicht für etwas stimmen, was es nicht gibt! – Zuruf von der LINKEN: Wohin denn überweisen?) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit sind die Überweisungen beschlossen (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohin denn?) mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. In der Sache stimmen wir damit heute nicht ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE Einsetzung von Ausschüssen – Drucksache 18/54 – Eine Aussprache ist dazu nicht vorgesehen. Daher kommen wir gleich zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/54. Wer stimmt für diesen Antrag? – Das ist die Linke. Wer stimmt dagegen? – Die SPD-Fraktion und die CDU/CSU-Fraktion. Wer enthält sich? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion abgelehnt. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen – Drucksache 18/53 – Aufgrund der soeben erfolgten Ablehnung des Antrags auf Einsetzung von Ausschüssen hat die Fraktion Die Linke als Antragsteller erklärt, ihren Antrag zur Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen zurückzuziehen. (Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] meldet sich zu Wort) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der Termin für die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages wird Ihnen – – (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein, nein, nein!) – Frau Sitte. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Frau Präsidentin, ich hatte bereits zu Beginn der Sitzung angekündigt, dass ich gerne eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten abgeben möchte. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Zu welchem Abstimmungsverhalten?) Diese Gelegenheit möchte ich jetzt gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung wahrnehmen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Das ist selbstverständlich Ihr Recht. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Danke. – Ich möchte gerne etwas zu den Abstimmungen sagen, die eben im Bundestag durchgeführt wurden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das geht doch gar nicht!) Sie wissen so gut wie ich, dass in den letzten Tagen zahlreiche Forderungen erhoben wurden, die insbesondere auch in den Medien reflektiert worden sind, dass der Bundestag endlich liefern muss. Er tut das nämlich zurzeit nicht. Wir haben es gerade erlebt. Niemand Geringerer als der Bundestagspräsident selbst hat es in seiner Antrittsrede klargestellt – ich zitiere –: Und selbstverständlich bedarf eine geschäftsführend amtierende Bundesregierung nicht weniger parlamentarischer Kontrolle als eine neu gewählte. (Beifall bei der LINKEN) Und weiter in seiner Rede: Niemand wird deshalb ernsthaft erwarten dürfen, dass der Bundestag seine Arbeit erst nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen aufnehmen wird. Die Linke sieht das genauso. Deshalb haben wir den Antrag gestellt, und deshalb ist uns Ihr Verhalten völlig unverständlich. (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen: Wer kritisiert, welche Anträge wir gestellt haben, dem sage ich: Das Grundgesetz steht sicherlich nicht im Verdacht, willkürlich zu sein. Wir haben uns nämlich in unseren Anträgen im Wesentlichen am Grundgesetz orientiert. (Beifall bei der LINKEN) Wir fordern die Einsetzung des Petitionsausschusses, weil es derzeit ungefähr 1 000 Petitionen gibt, die im Bundestag nicht bearbeitet werden. Wir fordern die Einsetzung des Innenausschusses und des Auswärtigen Ausschusses, weil eben, wie gerade deutlich geworden ist, die NSA-Affäre dort nicht beraten werden kann. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir haben doch gerade die Aussprache nicht zugelassen! Das ist unmöglich!) Der US-Kongress tagt dazu permanent. Das Europaparlament hat bereits zehn Anhörungen zu dieser Problematik durchgeführt. Wir beantragen weiterhin die Einsetzung des Verteidigungsausschusses, weil Auslandseinsätze einer Parlamentsarmee eben auch einer parlamentarischen Begleitung bedürfen. Zudem steht die Verlängerung von Auslandseinsätzen an. Sie haben das selbst konstatiert. Natürlich braucht man zeitnahe Informationen über den Verlauf und über Probleme von Auslandseinsätzen. Schließlich haben wir die Einsetzung des Haushaltsausschusses, des Finanzausschusses und des Rechtsausschusses beantragt. Das sind übrigens alles Ausschüsse, die es etwa seit der dritten Wahlperiode in völlig unveränderter Form und in diesem Zuschnitt gibt. Es sind doch Gesetzentwürfe aus dem Bundesrat zu behandeln, beispielsweise zur Kita, beispielsweise zur Schließung von Steuerschlupflöchern. Natürlich bringen auch wir Linke parlamentarische Initiativen ein, zu denen sich der Bundestag verhalten muss. Das betrifft die Gesetzentwürfe zur Stabilisierung des Rentenbeitrags, die zu erwarten sind. Es geht aber auch um die Frage des Mindestlohns oder die Verbesserung von Erwerbsminderungsrenten. Zu klären sind auch die Fragen der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, der Abschaffung des Betreuungsgeldes oder auch der Abschaffung sachgrundloser Befristungen von Arbeitsverträgen. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Zu was reden Sie jetzt eigentlich? Was ist das für eine Erklärung?) Das alles sind brennende Themen. Meine Fraktion und ich haben überhaupt keine Lust, auf Ihre Diätkost aus der Koalitionsvereinbarung einer Großen Koalition zu warten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Auf Ihre Lust kommt es nicht an!) Wir wollen auch an dieser Stelle unsere Forderungen in den Bundestag einbringen und seriös behandelt wissen. (Beifall bei der LINKEN) Nun zu Ihrem tollen Hauptausschuss. Wissen Sie eigentlich, was dieser Hauptausschuss ist? Es ist ein Hauptausschuss nach dem Prinzip „Hauptsache weg“. Darauf kommen Sie doch nie wieder zurück; das ist doch völlig klar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist mal gut! Sie können nach § 31 vor der Abstimmung reden, aber nicht hinterher!) – Ich hätte sehr gerne vor der Abstimmung geredet, Herr Kauder. Aber das wollte Ihre Fraktion nicht. Das ist übrigens auch ein Beispiel dafür, warum Minderheitenrechte in diesem Hause anders geregelt werden müssen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist Quatsch! Sie können nicht einen Antrag nach § 31 stellen! Der ist rechtswidrig!) Sie können uns doch als so pfundige Fraktion, die Sie sind, nicht ernsthaft erklären, dass Sie nicht in der Lage sind, diese Ausschüsse einzusetzen und Abgeordnete zu mobilisieren, die in diesen Ausschüssen arbeiten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist mal gut! Sie reden länger als bei einer normalen Rede!) Sie wollen in Zukunft regieren. Dann werden Sie wohl die Besetzung der Ausschüsse hinbekommen. Mithin verhandeln wohl nicht alle Ihre Abgeordneten in den Koalitionsgruppen. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das müssen Sie schon uns überlassen!) So weit von meiner Seite zu diesen Fragen. Ich will es noch einmal deutlich machen: Die letzte Fraktion, die hier in diesem Haus nicht geliefert hat, wurde durch Wahlentscheidungen ausgesteuert. Die Abgeordneten dieser Fraktion haben ihre Plätze hier verloren. Ich finde, das sollte diesem Haus eine ernste Warnung sein. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein eindeutiger Missbrauch!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt am Schluss der Debatte. Der Termin für die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages wird Ihnen rechtzeitig bekannt gegeben. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend oder eine gute Rückfahrt in Ihren Wahlkreis. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 17.56 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Agnes Alpers (DIE LINKE) 18.11.2013 Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) 18.11.2013 Heidrun Bluhm (DIE LINKE) 18.11.2013 Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) 18.11.2013 Klaus Brähmig (CDU/CSU) 18.11.2013 Marco Bülow (SPD) 18.11.2013 Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 18.11.2013 Dr. Lars Castellucci (SPD) 18.11.2013 Roland Claus (DIE LINKE) 18.11.2013 Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18.11.2013 Alois Gerig (CDU/CSU) 18.11.2013 Nicole Gohlke (DIE LINKE) 18.11.2013 Monika Grütters (CDU/CSU) 18.11.2013 Wolfgang Gunkel (SPD) 18.11.2013 Uda Heller (CDU/CSU) 18.11.2013 Wolfgang Hellmich (SPD) 18.11.2013 Josip Juratovic (SPD) 18.11.2013 Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) 18.11.2013 Dr. Bärbel Kofler (SPD) 18.11.2013 Anette Kramme (SPD) 18.11.2013 Michael Kretschmer (CDU/CSU) 18.11.2013 Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 18.11.2013 Silke Launert (CDU/CSU) 18.11.2013 Michael Leutert (DIE LINKE) 18.11.2013 Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) 18.11.2013 Daniela Ludwig (CDU/CSU) 18.11.2013 Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) 18.11.2013 Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 18.11.2013 Dietrich Monstadt (CDU/CSU) 18.11.2013 Marlene Mortler (CDU/CSU) 18.11.2013 Dietmar Nietan (SPD) 18.11.2013 Johannes Röring (CDU/CSU) 18.11.2013 Dr. Dorothee Schlegel (SPD) 18.11.2013 Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) 18.11.2013 Sonja Steffen (SPD) 18.11.2013 Wolfgang Tiefensee (SPD) 18.11.2013 Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18.11.2013 Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) 18.11.2013 Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18.11.2013 Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 18.11.2013 Anlagen II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung, Berlin, Montag, den 18. November 2013 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung, Berlin, Montag, den 18. November 2013 75 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 26 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung, Berlin, Montag, den 18. November 2013 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 2. Sitzung, Berlin, Montag, den 18. November 2013 25