Plenarprotokoll 18/9 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 9. Sitzung Berlin, Freitag, den 17. Januar 2014 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 15: Vereinbarte Debatte: zum Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission 503 B Axel Schäfer (Bochum) (SPD) 503 B Alexander Ulrich (DIE LINKE) 505 A Gunther Krichbaum (CDU/CSU) 506 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 508 C Michael Roth, Staatsminister AA 510 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 510 C Andrej Hunko (DIE LINKE) 511 D Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 512 B Detlef Seif (CDU/CSU) 513 A Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) 513 C Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 514 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 515 D Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) 517 B Jürgen Hardt (CDU/CSU) 518 C Norbert Spinrath (SPD) 520 C Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) 522 A Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 523 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 524 B Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Das Massensterben an den EU-Außengrenzen beenden – Für eine offene, solidarische und humane Flüchtlingspolitik der Europäischen Union Drucksache 18/288 524 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) 525 A Charles M. Huber (CDU/CSU) 525 D Thomas Silberhorn (CDU/CSU) 528 A Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 530 A Christina Kampmann (SPD) 532 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 533 D Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 534 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 535 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 536 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 536 D Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 538 A Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) 539 A Marian Wendt (CDU/CSU) 540 C Rüdiger Veit (SPD) 542 B Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 544 B Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) 546 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europarechtskonforme Regelung der Industrievergünstigungen auf stromintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb begrenzen und das EEG als kosteneffizientes Instrument fortführen Drucksache 18/291 547 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 547 B Thomas Bareiß (CDU/CSU) 548 D Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 550 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 551 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 552 A Hubertus Heil (Peine) (SPD) 553 B Jens Koeppen (CDU/CSU) 555 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 557 B Nächste Sitzung 558 C Berichtigung 558 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 559 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 559 C Inhaltsverzeichnis 9. Sitzung Berlin, Freitag, den 17. Januar 2014 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Ich begrüße Sie zu unserer Plenarsitzung und möchte Sie davon in Kenntnis setzen, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, in der nächsten Sitzungswoche keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden stattfinden zu lassen. Der Hintergrund ist schlicht die übliche Vereinbarung, dass in Haushaltswochen oder bei Regierungserklärungen mit ganzwöchiger Plenardebatte Fragestunde und Regierungsbefragung entfallen. Ich vermute einmal, dass Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden sind. – Das ist offenkundig der Fall. Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 15 auf: Vereinbarte Debatte zum Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Axel Schäfer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 25. Mai 2014 wird das Europäische Parlament direkt gewählt. Als Ergebnis dieser Wahl wird der Präsident der EUKommission ins Amt gebracht. Das ist eine historische Entscheidung. Deshalb wird das eine historische Wahl sein. Es ist gut, dass wir uns alle darauf vorbereiten. Ich danke auch den Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus für die Bereitschaft, aus Respekt vor dieser Wahl und auch aus Respekt vor dem Europäischen Parlament unsere eigene Sitzungswoche im Mai zu verschieben, damit auch wir als Abgeordnete zeigen können, wie wichtig uns dieser Tag ist und dass wir uns an den Wahlkämpfen unserer Parteien beteiligen wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) An 25. Mai finden in Deutschland – das gab es nie zuvor – Kommunalwahlen in insgesamt zehn Ländern statt. Auch da wollen wir deutlich machen – unabhängig von den Inhalten und auch den Verschiedenheiten, die es hier im Haus gibt –, dass Europa vor Ort beginnt und dass wir dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Die SPD hat sich vorgenommen, Europa zu verbessern. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Oje! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Fangt erst mal in Deutschland an!) Wir tun das nach der Melodie zur Kinderhymne von Bert Brecht: Und weil wir dies Land verbessern Lieben und beschirmen wir’s. Und das Liebste mag’s uns scheinen So wie andern Völkern ihrs. Das gilt genauso für Europa; so wollen wir es halten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Europäische Kommission hat jetzt ein Arbeitsprogramm vorgelegt, über das wir diskutieren. Es ist eine gute Tradition und es ist auch eine Notwendigkeit, dass wir abgleichen, was unsere Politik sein soll – für uns ist das natürlich im Koalitionsvertrag festgehalten – und was wir gegenüber der Bundesregierung dabei an Kontrollrechten in der Umsetzung nutzen. Gleichzeitig ist zu klären, wo wir uns als Parlamentarier rechtlich zur Kooperation mit unseren Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament verpflichten. Es ist gut, dass wir Parlamentarier aus diesem Hause direkt am Montag damit anfangen, nach Art. 13 des Fiskalpakts gemeinsam mit Parlamentarierkollegen aus Brüssel an diesem Europa zu arbeiten. Wir werden das auf der Grundlage der Übereinstimmung in Sachfragen tun, was in diesem Haus selten vorkommt. Dieses Haus – in der letzten Legislaturperiode gab es hier fünf Fraktionen, jetzt sind es vier – hat es geschafft, die Rechte des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung in einer gemeinsamen Anstrengung, verbunden mit einem Kompromiss im Rahmen von Begleitgesetzen wie dem EUZBBG, zu regeln. Das sollten wir gemeinsam nutzen, egal wer aktuell die Regierungs- oder die Oppositionsrolle innehat. Bezogen auf das Arbeitsprogramm der Kommission heißt das konkret: Ja, wir wollen darauf drängen, dass dieses Programm auf Ausbildung und Beschäftigung, auf Qualifikation und Weiterbildung ausgerichtet wird. Das muss im Mittelpunkt stehen. Ziel ist ein soziales Europa der Beschäftigung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Chancen für die Jugend. Das ist unser Anliegen als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ist es aber nicht!) Deshalb haben wir uns in diesem Koalitionsvertrag eine ganz konkrete Selbstverpflichtung auferlegt. Sie lautet: Wir wollen ein deutsch-griechisches Jugendwerk nach dem Vorbild des Deutsch-Französischen und des Deutsch-Polnischen Jugendwerkes schaffen. Das ist wirklich eine Innovation. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie mit uns alle Anstrengungen für eine zügige Umsetzung unternimmt. Hier wird ein praktisches Zeichen von Solidarität gesetzt und nicht nur darüber geredet. Das ist unser gemeinsames Interesse. (Beifall bei der SPD) Wir müssen das im kritischen Bewusstsein dessen tun, was erreicht und was nicht erreicht worden ist. Es ist erreicht worden, dass mit Lettland das 18. Land Mitglied der Euro-Zone geworden ist. Das ist deshalb so wichtig, weil noch vor einigen Jahren viele Menschen behauptet haben, dass am 31. Dezember 2011, 2012 oder 2013 die Euro-Zone zusammenbrechen werde, dass das keine Zukunft habe, dass wir zu nationalen Währungen zurückkommen würden. Wir praktizieren das Gegenteil, indem wir Europa tatsächlich zu einer Währungsgemeinschaft ausbauen. Diese funktioniert aber nur, wenn dieses Europa gleichzeitig eine Sozialgemeinschaft wird – von der Sache her, aber auch durch die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU]) Deshalb ist es so wichtig, dass sich jetzt alle Parteienfamilien für die Europawahl aufstellen. Ich finde es gut, dass die Grünen europaweit im Rahmen von Onlineabstimmungen etwas ganz Neues ausprobieren und dabei natürlich auch die Mühen der Ebene erleben. Ich finde es auch richtig, dass die Mühen auf höherer Ebene bei der Suche der EVP nach einem Spitzenkandidaten bzw. einer Spitzenkandidatin fortgesetzt werden. Das dokumentiert: Wir rücken davon ab, dass das Europäische Parlament letztendlich nur dem zustimmt, was die Staats- und Regierungschefs entschieden haben, und kommen dahin, dass das Europäische Parlament aus seiner Mitte aufgrund des Wahlergebnisses den Kommissionspräsidenten wählt. Wir Sozialdemokraten haben das ja bekanntlich vorgemacht. Die Kolleginnen und Kollegen von der Linken haben jetzt einen Programmentwurf vorgelegt. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten: (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Haben Sie das genehmigt, Herr Präsident?) Spätestens seit dem Vertrag von Maastricht wurde die EU zu einer neoliberalen, militaristischen und weithin undemokratischen Macht … Für alle, die es schon vergessen haben: In dem zentralen Reformvertrag von Maastricht wurden 1992 nicht nur die Chancen für ein sozialeres Europa mit aufgenommen, sondern wir haben es erstmals in der modernen Staatsgeschichte geschafft – das ist nämlich Demokratie –, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger auf kommunaler Ebene, egal ob sie aus Griechenland, Portugal, Spanien oder Frankreich stammen – jetzt muss man noch hinzufügen: Polen und Tschechien –, wählen und gewählt werden können. Das gibt es nirgendwo auf der Welt. Darauf sind wir gemeinsam stolz, und das praktizieren wir auch. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Als Gewerkschafter sage ich: Wir haben 1994 mit den Europäischen Betriebsräten etwas erreicht, was Gewerkschaften immer gefordert haben, nämlich den multinationalen Konzernen einen Machtfaktor der gewählten Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmervertreter entgegenzusetzen. Das war nur in Europa möglich. Dass das natürlich weiter verbessert werden muss, ist klar. Aber wir entscheiden bei Europa nicht über die Institution; wir entscheiden bei Europa darüber, wie viel eher linke oder eher konservative Politik es gibt. Dass wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten diese nach links führen wollen, ist selbstverständlich. Darum werden wir uns auch bemühen. (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Davon steht aber im Koalitionsvertrag nichts drin!) – Im Koalitionsvertrag steht zu Recht: Die wichtigste Aufgabe deutscher Politik bleibt das europäische Einigungswerk. Wir leisten auch hier einen ganz praktischen Beitrag. Kollege Strobl und ich sind uns einig – ich glaube, für die Kolleginnen und Kollegen von Grünen und Linkspartei gilt das auch –: Wir wollen nach der Europawahl den von Deutschland vorzuschlagenden Kandidaten für den Kommissar wieder im Europaausschuss oder im Bundestag öffentlich anhören. Wir haben es mit Günther Oettinger so gemacht; das war ein großer Erfolg. Ich hoffe, wir werden es mit Martin Schulz so machen, weil es Zeit ist, dass wir nach dem Christdemokraten Walter Hallstein wieder einen deutschen Kommissionspräsidenten, den Sozialdemokraten Martin Schulz, bekommen. Das wäre gut für unser Land. Das wäre gut für die Europäische Union. Glück auf! (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Alexander Ulrich für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schäfer, Sie haben hier von historischen Europawahlen geredet. Da Sie sich solcher Worte bedienen, muss ich sagen: Die gegenwärtige Situation der Europäischen Union ist historisch schlecht. Der soziale Zusammenhalt ist historisch schlecht. Die Zustimmung zur Europäischen Union ist historisch niedrig. (Gustav Herzog [SPD]: Die Linke ist historisch schlecht!) Das ist das Ergebnis der Politik der Troika und insbesondere der Bundesregierung in den letzten Jahren. Für die aktuelle Bundesregierung hat man im Koalitionsvertrag das Weiter-so festgeschrieben. Anfang 2013 hat Kommissionspräsident Barroso die Krise für beendet erklärt. Hier einmal ein paar Zahlen, damit klar ist, über was wir reden: In Portugal ist die Wirtschaftsleistung wieder um 1,8 Prozent gesunken. Die griechische Wirtschaftsleistung ist um 4 Prozent und die zyprische ist um weitere 8,7 Prozent gesunken. Die öffentliche Verschuldung ist in allen ESM-Programmländern weiter gestiegen. In Griechenland beträgt sie mittlerweile 175 Prozent. Als die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF angefangen hat, Griechenland – in Anführungszeichen – „zu retten“, waren es 107 Prozent. Einen deutlicheren Beweis dafür, dass die Troika-Politik die Krise verschärft und nicht bekämpft, gibt es nicht. (Beifall bei der LINKEN) In Spanien zahlen kleine und mittlere Unternehmen immer noch rund 6 Prozent Zinsen auf mittelfristige Kredite. Dort gibt es heute über 200 000 Unternehmen weniger als zu Beginn der Krise. Viele sind pleite, weil die Kreditklemme immer noch nicht überwunden ist. Entsprechend steigt die Arbeitslosigkeit. Ende 2013 betrug sie in Griechenland 27,4 Prozent, in Spanien 26,7 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in den Ländern bei über 50 Prozent. In der gesamten Euro-Zone haben wir 19,5 Millionen Arbeitslose. Das sind über 8 Millionen mehr als zu Beginn der Krise. Was da historisch sein soll, Herr Axel Schäfer, bleibt Ihr Geheimnis. (Beifall bei der LINKEN – Gustav Herzog [SPD]: So ein Unsinn!) Die Krise war vor einem Jahr nicht beendet; sie ist auch jetzt nicht beendet. Was die Politik macht, was die Troika in diesen Ländern macht, sehen wir: Die Renten, Löhne und Gehälter werden gekürzt. Die Arbeitslosenunterstützung wird gekürzt. Die Gesundheitssysteme werden zerstört – mit katastrophalen Folgen. Auch hier nur einmal eine Zahl, damit klar ist, über was wir reden: In Griechenland ist im Zuge der Krise die Zahl der HIV-Infektionen um das 30-Fache gestiegen, weil man im Gesundheitswesen spart. Das ist das Ergebnis der Troika-Politik, die von der SPD auch in dieser neuen Regierung mitgetragen wird. Was macht die EU-Kommission? Herr Schäfer, Sie haben über das Programm der EU-Kommission gar nicht geredet; möglicherweise haben Sie es gar nicht gelesen. Was die EU-Kommission da festschreibt, ist ein Weiter-so der Politik der letzten Jahre. Wenn man über die Bankenrettung und die Bankenunion redet, wie sie derzeit verhandelt wird, heißt es auch wieder: Es sollen weiterhin die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Spekulationsverluste in Geiselhaft genommen werden. Wenn der Abwicklungsmechanismus tatsächlich irgendwann bereitsteht, sollen 55 Milliarden Euro verfügbar sein. Wir wissen, dass in der Euro-Zone bei den Banken faule Kredite von 1 000 Milliarden Euro, also von 1 Billion Euro, lauern. Das zeigt, dass diese Summe viel zu niedrig ist, sodass auch weiterhin die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dafür in Haftung genommen werden. Deshalb fordern wir als Linke eine Schrumpfung und strikte Regulierung des Finanzsektors. Banken müssen endlich unter demokratische Kontrolle, damit Europa wieder eine wirtschaftliche Perspektive hat. (Beifall bei der LINKEN) Das Arbeitsprogramm ist auch ein Weiter-so, was den Sozialabbau unter dem Vorwand der Haushaltskonsolidierung angeht. Man konsolidiert aber keine Haushalte, indem man den einfachen Menschen ihr Einkommen raubt. Das führt in die Rezession, wie wir es in Griechenland und anderen Ländern sehen. Aus einer Rezession heraus kann man keine Schulden abbauen. Es gibt ein Weiter-so bei den Attacken gegen Arbeitnehmerrechte. Mit dem REFIT-Programm will die Kommission Regeln abschaffen, die laut Wirtschaftslobbyisten überflüssig sind. Dabei geht es häufig auch um Themen wie Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Ebenso bedeutet das Programm ein Weiter-so mit der bedingungslosen Orientierung auf die Wettbewerbsfähigkeit, also mit Arbeitsmarktderegulierung und Steuersenkungen für Unternehmen. Aber Europa braucht gerade kein Weiter-so, sondern eine 180-Grad-Wende. Das Wahlprogramm der SPD wäre dafür übrigens keine schlechte Grundlage gewesen, Herr Schäfer. Da heißt es zum Beispiel: Wir wollen … eine klare Trennung von Investment- und Geschäftsbanken. Auf der gleichen Seite heißt es: Rein spekulative Finanzprodukte … wollen wir verbieten. Auf Seite 105 fordert die SPD „existenzsichernde Mindestlöhne“ für die gesamte EU und gar eine echte Sozialunion. Bei den Koalitionsverhandlungen hat die SPD jedoch beim Thema der Europäischen Union sofort zugestimmt. Sie haben einfach ein Weiter-so der Arbeit von Schwarz-Gelb unterschrieben. Was Sie mit dem Koalitionsvertrag machen, ist Wahlbetrug. (Beifall bei der LINKEN) Wir Linke streiten für eine solidarische, demokratische und soziale Europapolitik. Dazu gehört eine EUweite Vermögensabgabe. Die Vermögen des reichsten 1 Prozent der EU-Bürgerinnen und -Bürger übersteigt die gesamte öffentliche Verschuldung bei weitem. Diese Topvermögen sind sogar in der Krise rasant weiter gestiegen. Aber da trauen Sie sich nicht heran. Dazu gehört auch die ernste Bekämpfung von Steuerflucht und Steuerhinterziehung. Laut EU-Kommission gehen den Mitgliedstaaten jährlich 1 Billion Euro wegen Steuerbetrugs durch die Lappen. Statt eine polemische Debatte um Armutszuwanderung anzuzetteln, liebe Kollegen von der CSU, sollten Sie sich einmal mit den Reichtumsauswanderern beschäftigen. Denn das Problem in unserem Land sind weniger die Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien, sondern eher Menschen wie Uli Hoeneß. Um diese müssen Sie sich einmal kümmern, denn sie sind im Hinblick auf die Belastung der Finanzen unserer Haushalte eher ein Problem. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Ihre Aussage, „Wer betrügt, der fliegt“, gilt, dann wird es auf der Ehrentribüne des FC Bayern in Zukunft ziemlich leer aussehen, ebenso in der CSU-Landesgruppe, Stichwort „Amigo“. Zu einer sinnvollen Europapolitik gehören auch massive öffentliche Investitionen. Eine Krise überwindet man nicht, indem man die Wirtschaft kaputtspart, sondern nur, indem man sie durch sinnvolle Investitionen ankurbelt. Dazu gehören endlich auch wieder anständige Löhne und Gehälter in Deutschland. Die Außenhandelsüberschüsse müssen abgebaut werden. Wir brauchen endlich einen Mindestlohn in Deutschland, nicht erst 2017 und mit vielen Lücken, sondern jetzt und ohne Ausnahme. (Beifall bei der LINKEN) Damit auch das nicht vergessen wird: Wir tun immer so, als wäre die Krise bei uns vorbei; wir hätten nichts mehr damit zu tun und könnten anderen Ländern vorschreiben, was sie zu tun haben. Deutschland ist mit seiner Politik, auch durch die Außenhandelsüberschüsse, Mitverursacher der Krise; denn unsere Außenhandelsüberschüsse sind die Schulden der anderen Länder. Das wird Ihnen jeder Ökonom erklären können. Deshalb darf Deutschland nicht mit dem Finger auf andere zeigen, sondern muss anfangen, seine eigene Wirtschaftspolitik zu verändern, indem es seine Außenhandelsüberschüsse abbaut. Wir hoffen, dass die EU-Kommission da weiterhin Druck auf die Bundesregierung macht. Wenn hier im Parlament oder in der Regierung einige sagen, die EU-Kommission mache da etwas verkehrt, soll der Hinweis gestattet sein: Alles, was die EU-Kommission in Brüssel macht, alle Verträge, die da geschlossen worden sind, kommen nur mit der Beteiligung Deutschlands zustande. Sie haben die Verträge mit unterschrieben, und darin stehen auch die 6 Prozent Außenhandelsüberschüsse. Also arbeiten Sie daran; sonst wird Europa zusammenbrechen, und dann fällt die Europawahl wirklich in ein historisches Zeitfenster, Herr Schäfer. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Jetzt werde ich auch noch gesiezt!) Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Gunther Krichbaum ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Europäische Kommission hat sich in ihrem Arbeitsprogramm viel vorgenommen. Dazu gehört im Wesentlichen die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion. Man plant Initiativen zur Förderung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Die Klima- und Energiepolitik und die Weiterentwicklung digitaler Technologien stehen auf ihrer Agenda. Auch der Bereich der Sicherheitspolitik und der Justizpolitik wird nicht ausgespart. Man hat sich das Thema der Europäischen Staatsanwaltschaft auf die Agenda gesetzt, genauso die Entwicklung der Außenwirtschafts- und der Außenpolitik. Wenn Sie jetzt fragen, wie das die Kommission eigentlich alles schaffen möchte – denn das waren nur die Überschriften –, dann besteht diese Frage ohne jeden Zweifel zu Recht. Denn bei Lichte besehen wird dieses Arbeitsprogramm 2014 nur bis Mai halten; denn dann finden – Kollege Axel Schäfer hat es schon angesprochen – die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Auch wenn die Amtszeit der Europäischen Kommission bis Oktober dauert, wird dann in Brüssel sicherlich nicht mehr unbedingt der Zustand herrschen, dass der Kommission die Schweißperlen auf der Stirn stehen. Deswegen muss man auch von deutscher Seite darauf schauen, wie die Dinge umgesetzt werden. Auffällig ist in jedem Fall, dass die Europäische Union, dass die Europäische Kommission weg von der Krisenbewältigungspolitik und hin zu einer stärkeren Zukunftspolitik möchte, und dieser Schritt ist richtig. Lieber Kollege Ulrich, es ist geradezu das Markenzeichen der Europäischen Union, dass wir durch Wettbewerbsfähigkeit die Arbeitsplätze von morgen schaffen müssen, mit einem Mehr an Forschung und Technologie. Denn wie wollen wir angesichts der Globalisierung, dem Thema des 21. Jahrhunderts, im Wettbewerb bestehen, wenn es uns nicht gelingt, diese Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) Mit Blick auf die Staatsschuldenkrise einiger EU-Länder, die tatsächlich die gesamte europäische Währungsunion, ja, auch unsere Wirtschaft, in eine Schieflage gebracht haben, fällt doch auf, dass wir mehr als nur vorangekommen sind. Denn noch vor zwei oder drei Jahren mussten wir tatsächlich noch ganz andere Themen diskutieren: Es wurde offen darüber diskutiert, ob die Euro-Zone eventuell auseinanderbrechen könnte, ob die ganze Europäische Union auseinanderbrechen könnte. Und nein, diese Europäische Union hat zusammengehalten, hat sich gegenüber jenen Staaten als solidarisch erwiesen, die sich in Schieflage befanden. Aber es war eben auch richtig, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel damals sagte: Nein, diese Hilfen und Unterstützungen werden nicht bedingungslos ausgereicht; wir fordern von diesen Staaten eigene Bemühungen, eigene Anstrengungen ein. Diese haben sich, wie man sieht, gelohnt. Deswegen diskutieren wir heute ganz andere Themen. Heute freuen wir uns darüber, dass Irland als erstes Land den Rettungsschirm hat verlassen können, dass sich Spanien auf einem guten Weg befindet, dass die Arbeitslosigkeit sinkt und die Hilfsprogramme der Europäischen Union nicht mehr in Anspruch genommen werden müssen. All diese Länder befinden sich auf einem sehr guten Weg, einschließlich Griechenland. In Griechenland gibt es einen sogenannten Primärüberschuss. Das heißt, dass in diesem Land nach Abzug der Zinsen mittlerweile ein Haushaltsüberschuss besteht. Das ist eine ganz wichtige volkswirtschaftliche Kerngröße, um erkennen zu können, ob sich dieses Land auf dem richtigen Weg befindet. Ja, es tut es. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen wäre es richtiger, Herr Kollege Ulrich, die Anstrengungen dieser Länder insgesamt anzuerkennen. Wir unterstützen sie weiter auf diesem Weg, wir erweisen uns hier als solidarisch, aber es wird ohne diese schmerzvollen Anpassungsprozesse natürlich nicht funktionieren. Ein Weiteres. Ja, es ist wahr: Natürlich hätten viele dieser Maßnahmen bereits in den Vertrag von Maastricht eingefügt werden müssen. Aber damals, vor über 20 Jahren, ist niemand davon ausgegangen, dass all diese Entwicklungen die Währungsunion schier auseinanderreißen könnten. Deswegen ist es umso anerkennenswerter, dass es gelungen ist, an einem bestehenden Haus eine Kernsanierung durchzuführen, nachträglich Stahlträger einzuziehen, sodass wir jetzt in Europa eine Finanzarchitektur haben, die sich als stabil erweist. Der Euro ist, weltweit betrachtet, die Leitwährung neben dem US-Dollar. Das Vertrauen kehrt zurück. Daran müssen wir weiter arbeiten, und wir müssen alles dafür tun, dass sich dieser Weg fortsetzt, und da bin ich sehr zuversichtlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte ein weiteres Thema anschneiden, das die Europäische Kommission auf ihre Agenda gesetzt hat – es geht um das Justizwesen, das früher als dritte Säule bezeichnet wurde –: die Europäische Staatsanwaltschaft. Bei Licht betrachtet müssen wir als Bundestag kritisch feststellen, dass wir erst jetzt, Ende Januar 2014, über das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission diskutieren, obwohl es bereits seit Oktober 2013 auf dem Tisch liegt. Während in der Zwischenzeit viele nationale Parlamente die sogenannte Subsidiaritätsrüge erhoben haben – übersetzt gesprochen heißt das, dass sie darauf hingewiesen haben, dass die nationalen Mitgliedstaaten dieses Problem besser lösen können als die Europäische Union –, hat sich der Deutsche Bundestag als sprachlos erwiesen. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten ja keine Sitzungen!) Ja, national betrachtet können wir sicherlich bei manchen nationalen Gesetzesprojekten die Uhr anhalten; auf internationaler Ebene, vor allem in europapolitischer Hinsicht funktioniert das aber nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir konnten nicht voraussehen, dass die Regierungsbildung so viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Es ist richtig, dass dabei Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht; aber wir müssen aus dieser Erfahrung die richtigen Schlüsse für die Zukunft ziehen. Der Hauptausschuss, den wir eingesetzt haben, war in dieser Zeit sicherlich hilfreich, aber er darf nicht als Blaupause für die Zukunft dienen. In der Phase zwischen der Bundestagswahl und der Neukonstituierung der Ausschüsse, insbesondere des Europaausschusses, müssen wir weiter Europapolitik betreiben. Unsere Verfassung bietet uns die Möglichkeit dazu. Der Europaausschuss kann schon heute plenarersetzend tagen, aber er macht es nicht. Deswegen müssen wir in dieser Legislaturperiode kritisch reflektieren, ob und inwieweit das hilfreich war. Wir müssen für die Zukunft andere Möglichkeiten finden, damit wir in der Europapolitik parlamentarisch handlungsfähig bleiben. Aufgrund des Vertrages von Lissabon und der sogenannten Begleitgesetze, die uns als Bundestag mehr Rechte gegeben haben, ist der Deutsche Bundestag, ist der Europaausschuss in der Verantwortung. Er muss diese Rechte ausüben. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten das von uns. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zurück zur Europäischen Staatsanwaltschaft. Ich persönlich unterstütze die Bundesregierung ganz klar in ihrem Bemühen, die Europäische Kommission dazu zu bewegen, die vorgetragenen Bedenken der Parlamente zu berücksichtigen. Nach meinem Kenntnisstand haben immerhin 19 Parlamente gerügt. Man muss hinzufügen – damit das richtig verstanden wird –: Nicht nur Parlamente wie der Deutsche Bundestag, sondern auch die sogenannten zweiten Kammern sind rügeberechtigt. Die Agenda, die von den anderen Parlamenten auf den Tisch gelegt wurde, muss umgesetzt werden. Last but not least möchte ich auf die Erweiterungspolitik, die sich nicht explizit unter den genannten vier Punkten befindet, zu sprechen kommen. Auch an diesem Thema müssen wir dranbleiben. In dieser Legislaturperiode wird es aller Voraussicht nach keinen weiteren Beitritt eines neuen Mitgliedslandes geben – eine Ausnahme ist vielleicht Island; aber wir kennen die Voraussetzungen. Das heißt aber nicht, dass wir an diesem Thema nicht dranbleiben müssen. Gerade der sogenannte westliche Balkan ist nach wie vor eine sehr vielschichtige und schwierige Region. In 2014, 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs – wir wissen ganz genau, wie schwierig die Bedingungen in dieser Region des Balkans damals waren –, ist es aller Ehren wert, ein Auge darauf zu werfen. Das heißt, wir brauchen weiterhin regionale Strategien, die Vertrauen zwischen den Staaten untereinander schaffen. Die Donauraumstrategie ist und kann weiterhin ein ganz wichtiger Ansatzpunkt dafür sein, dass die Staaten grenzüberschreitend enger miteinander kooperieren. Und es gilt, weiter die Hand zu reichen in der Strategie der Östlichen Partnerschaft. Diese – das hatte ich in meiner letzten Rede schon dargestellt – ist natürlich von der Zwischenbilanz her zunächst einmal etwas ernüchternd. Aber es gibt auch positive Beispiele – trotz aller Pressemäkelei. Ich nenne als ein Beispiel die Republik Moldau, (Beifall der Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] und Petra Ernstberger [SPD]) die ganz schwierigen Voraussetzungen gegenübersteht. Wir thematisieren zwar ständig den Druck Russlands auf die Ukraine, übersehen dabei aber völlig, welch enormer Druck auch auf die Republik Moldau ausgeübt wird. Sie kann beispielsweise ihren Wein, eines der wichtigen Agrargüter dieses Landes, nicht mehr nach Russland exportieren. Hier haben wir als EU reagiert. Wir haben die Grenzen Europas dafür geöffnet. Das ist ein wichtiges Signal. Man schaut aus diesem Land heraus sehr stark auf uns – Kollege Manfred Grund weiß davon zu berichten –, und zwar nicht nur auf uns als Europäische Union, sondern insbesondere auch auf Deutschland. Dieses Land hat weiterhin unsere Unterstützung verdient, wie auch alle anderen Länder, die sich aufmachen, die Standards der Europäischen Union mehr und mehr umzusetzen. Deswegen noch eine letzte Anmerkung zur Ukraine und ein kurzer Satz zu Mazedonien. Gerade die Ukraine sollte weiter auf unserer Agenda bleiben. Die dortigen demokratischen Kräfte, die ein anderes Land in unserem Sinne schaffen wollen, haben alle Unterstützung verdient, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und sie sehen sich dabei schwierigen Voraussetzungen gegenüber, vor allem die NGOs und die Bürgerbewegungen. Last but not least Mazedonien: bei Lichte besehen leider ein Trauerspiel. Wir könnten mit Mazedonien schon längst Beitrittsverhandlungen führen, tun es aber nicht, weil Griechenland diesen möglichen Fortschritt mit einem bizarren, absurden Namensstreit blockiert. Nein, es muss Schluss damit sein, dass aus zwischenstaatlichen Streitigkeiten ein Faustpfand erhoben wird, dass andere Länder geradezu erpresst werden. Deswegen wünsche ich mir, dass es auch hier endlich vorangeht und dass wir ein deutliches Signal setzen auch gegenüber einem Land, das gegenwärtig die Ratspräsidentschaft innehat. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Manuel Sarrazin, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Krichbaum, ich stelle nicht in Abrede, dass es gewisse Zeichen der Erholung gibt. Die Auktionen von Irland und Portugal in der letzten Woche waren sehr erfolgreich. Die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen über das letzte Jahr zum Teil laut Eurostat auch: in Irland minus 2 Prozent, in Lettland minus 2 Prozent, in Portugal minus 1,5 Prozent, in Ungarn, auch ein Krisenstaat, minus 1,5 Prozent. Aber wir müssen doch auch sehen, dass diese Entwicklung der Arbeitslosenzahlen immer noch auf einem unglaublich hohen Niveau stattfindet. Deswegen muss uns klar sein, dass es im Jahr 2014 wichtig ist, diese Entwicklung nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu handeln. Das Arbeitsprogramm der Kommission, das ja schon im Herbst veröffentlicht wurde, hat das meiner Ansicht nach dargestellt. Stabilität und kluges vorausschauendes Handeln, das ist das, was Europa jetzt braucht. Denn – das kann ich hier im Haus wirklich nur unterstreichen – das Projekt Europa steht unter Druck. Die antieuropäischen Populisten sind Monate vor der Europawahl in einer Situation, dass sie nicht nur wie sonst oft die Stimmung in vielen Nationalstaaten beeinflussen, sondern dass sie – diese Gefahr droht, ich will sie nicht herbeireden – auch in eine relevante Position kommen, in der sie nach der Europawahl entschiedenes proeuropäisches Handeln im europäischen Interesse zumindest verlangsamen, wenn nicht sogar lähmen können. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns im Rahmen des europäischen Verfassungsbogens dagegen positionieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte Ihnen sagen: Ich glaube, dass eine Veränderung der Europapolitik dieser Bundesregierung notwendig ist. Ich glaube, das Argument der Alternativlosigkeit, diese Begründung der Europapolitik der alten und meiner Ansicht nach leider auch der neuen Bundesregierung, treibt die Menschen letztlich auch in die Arme von Populisten. Das liegt daran, dass es die Kanzlerin seit Jahren versäumt hat, die guten Argumente für gemeinsames europäisches Handeln stark und mutig zu vertreten. Auch deswegen glaubt man jetzt, es gebe einfache Argumente gegen pro-europäisches Interesse. Die Regierung hat außerdem, sozusagen aus dem Machtinteresse des Kanzleramts heraus, versucht, die Prozesse so zu steuern, dass dieses Thema den parlamentarischen Debatten, vor allem im Europäischen Parlament, zum Teil aber auch im Bundestag, entzogen wird; gegen diese Unionsmethode haben wir erfolgreich gekämpft. Man muss konstatieren, dass das der Europäischen Union insofern schadet, als dass das Wichtigste nicht stattgefunden hat, nämlich den Menschen zu zeigen: Über Europa darf man streiten, auch als Pro-Europäer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nur: Auf Populismus müssen wir antworten. Folgendes möchte ich besonders an die Kolleginnen und Kollegen der CSU richten: Wenn wir gegen den Populismus von Rechts und von Links vorgehen wollen, dann müssen wir klarmachen, dass die Vorurteile gegenüber einem zentralistischen Superstaat, einer überbordenden Demokratie und allem „Bösen“, das immer aus Brüssel kommt, nicht stimmen, und sie beantworten. Wir dürfen nicht selbst mit dieser Melodie in den Wahlkampf ziehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte einen Satz zur Freizügigkeit sagen. Ich glaube, dass Sie unterschätzen, wie wichtig dieses Narrativ in der Europäischen Union ist. Meiner Ansicht nach gehört die Idee der Freizügigkeit, auch der Personenfreizügigkeit, zu Europa, genauso wie die Lederhose aus Ihrer Sicht zu Bayern gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ich habe keine Lederhose! Noch nie getragen!) Ich möchte ein Beispiel nennen: Ich habe vor einigen Wochen eine junge Ungarin getroffen. Sie hat gesagt, sie findet das Narrativ, dass Europa Frieden bedeutet, gut und schön, aber nicht hinreichend für sie. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das ist doch Populismus!) Denn ihr persönliches Narrativ von Europa ist, dass sie dank der Europäischen Union heute in Berlin leben und arbeiten darf. Dieses Narrativ dürfen Sie nicht infrage stellen, wenn Sie über Freizügigkeit sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Es gibt in Bayern sehr viele, die sehr gut arbeiten! Auch aus Ungarn!) Sie wissen: 2014 wird ein sehr entscheidendes Jahr. Eines der wichtigsten Dossiers, das jetzt behandelt wird, betrifft die Bankenunion. Ich glaube, wir müssen diese Phase der leicht positiven Entwicklung, die uns gute Argumente dafür liefert, mehr Europa zu machen und am Euro festzuhalten, jetzt nutzen, um entschieden gegen die sozialen Verwerfungen der Krise vorzugehen. Wir müssen aber auch das tun, was notwendig ist, um die Stabilität in der Euro-Zone weiterhin zu garantieren. Man muss sagen, dass die Verhandlungsstrategie der Bundesregierung im Hinblick auf das Dossier zur Bankenunion, zum Abwicklungsmechanismus und Abwicklungsfonds meiner Ansicht nach genau das Gegenteil davon ist. Was Deutschland in Brüssel verhandelt, sind keine starken europäischen Strukturen, die es ermöglichen, im Krisenfall rasch und im europäischen Interesse zu handeln. Das, was jetzt verhandelt wird, sind unklare Entscheidungsstrukturen: 100 Personen sollen im Falle einer Krise über ein Wochenende entscheiden, ob eine Bank geschlossen werden soll oder nicht oder ob sie gerettet werden soll und, wenn ja, wie. Das kann doch nicht funktionieren. Die Politik, die Sie in Brüssel betreiben, erinnert mich an die Die drei kleinen Schweinchen. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Bitte?) Sie kennen den Cartoon von Walt Disney. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Nee, erzähl mal! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Erzähl mal, genau! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt wird es aber spannend! Wie geht das jetzt weiter?) Herr Kollege Ulrich, auch Ihnen möchte ich ganz deutlich sagen: Es ist es in dieser Zeit wert, mit aller Anstrengung ein gemeinsames europäisches Haus zu bauen. Es soll sich nicht jedes Schweinchen in sein eigenes nationales Häuschen zurückziehen. So ist das nämlich, und das gilt auch für Sie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) In Richtung der Regierung möchte ich sagen: Denken Sie daran, welche Schweinchen in diesem Märchen gefressen werden. Es sind die Schweinchen, die ihr Haus aus Stroh und aus Holz bauen. Deswegen sage ich Ihnen: Wenn der EZB-Stresstest dafür sorgen sollte, dass es nicht mehr so glimpflich zugeht, dann möchte ich, dass Sie sich daran erinnern, was ich Ihnen heute vorgetragen habe, nämlich dass Ihre Politik an folgendes Zitat erinnert: Ich bin ja heut so froh. Ich bau‘ mein Haus aus Stroh. Und lebe drin, wie‘s mir gefällt und pfeife auf die Welt. Das ist die Politik der Bundesregierung in Sachen Bankenunion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ein Sozialdemokrat hätte das gesungen!) Ich sage Ihnen auch: Die echten Pro-Europäer bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben eine andere Vorstellung. Wissen Sie eigentlich, warum wir eine starke europäische Bankenunion mit starken europäischen Institutionen wollen? Schweinchen Schlau sagt: Ich bau‘ mein Haus aus Stein; denn haltbar muss es sein. Das ist das, was 2014 in der Europapolitik gebraucht wird. Das ist grüne Europapolitik. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU): Das war aber eine schweinische Rede! – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Das ist natürlich voll gegen die Vegetarier gerichtet! – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Da haben die Grünen mal wieder richtig die Sau rausgelassen! – Heiterkeit) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich teile die Begeisterung, aber so etwas Ähnliches ist auch schon einmal in gesungener Form hier vorgetragen worden. (Heiterkeit und Beifall – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist uns Gott sei Dank heute erspart geblieben! – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Besser nicht! Besser nicht!) Für die Bundesregierung spricht jetzt der Staatsminister Michael Roth. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Der singt jetzt!) Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist für uns ein ganz besonderes Jahr. Wir erinnern uns an den Ersten Weltkrieg, der vor 100 Jahren ausgebrochen ist. Wir erinnern uns daran, dass Deutschland vor 75 Jahren Polen überfallen hat und damit den Zweiten Weltkrieg zu verantworten hat. Und wir erinnern uns daran, dass vor 25 Jahren die kommunistische Diktatur zusammenbrach, Europa und Deutschland sich wiedervereinigen konnten. Diese drei Ereignisse haben ganz viel mit Europa zu tun. Sie sind das Fundament, auf dem dieses Europa steht. Vielleicht sollten wir uns diese Ereignisse – manche sind tragisch, manche schön – in Erinnerung rufen, wenn wir gelegentlich im Alltag des Kleinmuts sind. Das ist auch deshalb wichtig, weil das derzeit keine guten Jahre für Europa sind. Europa ist immer noch in der Krise. Da gibt es auch überhaupt nichts schönzureden. Selbstverständlich – das freut die Bundesregierung – haben wir erste zarte Pflänzchen – der Kollege Axel Schäfer sprach davon –: Lettland ist dem Euro beigetreten. Die Nachrichten, die wir aus Portugal oder auch aus Irland erhalten, machen deutlich: Es gibt Wege aus der Krise. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Nur nicht mit Ihnen!) Dennoch: Für die Bundesregierung ist die Bekämpfung der dramatisch hohen Jugendarbeitslosigkeit in Europa eines der zentralen Projekte, das wir mit aller Anstrengung und mit viel Kreativität angehen müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen der jungen Generation in Europa deutlich machen: Europa ist ein Problemlöser und kein Problemverschärfer. Wir dürfen nicht ruhen, wenn 60 Prozent der jungen Menschen in Griechenland ohne Arbeit und Perspektive sind. Wir dürfen nicht ruhen, wenn 60 Prozent der jungen Menschen in Spanien ohne Job und Perspektive sind. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann? Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Ja, na klar. – Bitte, Frau Kollegin. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident, vielen Dank, Herr Staatsminister. – Gerade weil ich Ihrer Auffassung so sehr zustimme, was die Bedeutung Europas und auch unsere nationale Verantwortung angeht, möchte ich Sie als Mitglied der Bundesregierung gerne fragen – wir sprechen heute über das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission –: Können Sie sich erklären, warum in dieser Debatte zur Kernzeit so wenige Mitglieder der Bundesregierung vertreten sind? Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Erst einmal freue ich mich sehr darüber, dass im Gegensatz zu früheren Jahren die Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages so zahlreich an dieser Diskussion teilnehmen; (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) das freut mich sehr. Wenn ich zur Regierungsbank schaue, sehe ich: Dort sitzen hochengagierte Kolleginnen und Kollegen, die ganz wichtige Ressorts vertreten. Deshalb darf ich sagen: Auch die Bundesregierung ist gut vertreten. Ich hoffe, Sie akzeptieren diese junge, hoffnungsvolle Riege, die dort die Bundesregierung vertritt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Europa ist eben Jugend, und Europa ist Hoffnung für die Jugend. Jedenfalls wollen wir in der Bundesregierung nach Kräften daran arbeiten, dass das auch wieder mit einem großen, konkreten Hoffnungsversprechen für die jüngere Generation verbunden ist. Die Europäische Kommission hat ihr Arbeitsprogramm zu Recht mit „Jahr der Ergebnisse“ überschrieben. Wir wissen selber, dass das Zeitfenster für konkrete Entscheidungen relativ kurz ist: Wir haben die Wahlen zum Europäischen Parlament; die Kommission wird neu gewählt. Insofern müssen wir jetzt mit aller Anstrengung dafür sorgen, dass wichtige Dossiers noch rechtzeitig vor den Wahlen zum Europäischen Parlament vollzogen werden. Der erste Punkt – er schließt unmittelbar an die dramatisch hohe Jugendarbeitslosigkeit an –: Wir müssen die Reformen in Europa selbstverständlich fortsetzen. Wir brauchen Strukturreformen. Wir brauchen vor allem auch Investitionen in Bildung, in Qualifizierung, in Infrastruktur, gerade in den krisengeschüttelten Staaten. Es geht nicht allein um Sparprogramme oder um die Liberalisierung der Märkte. Wir brauchen einen umfassenden politischen Ansatz, der der angespannten sozialen und wirtschaftlichen Lage in Europa Rechnung trägt. Deswegen wird die Bundesregierung einen neuen Akzent auf den sozialen Zusammenhalt setzen und Impulse für Wachstum und Beschäftigung nach Kräften unterstützen. Der zweite große Punkt auf unserer politischen Agenda ist der Aufbau der Bankenunion. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht länger die Steuerzahler für die Risiken der Banken geradestehen müssen. Deshalb sollten wir den auf dem Europäischen Rat vom Dezember vergangenen Jahres gefundenen Kompromiss zur Bankenunion – mit dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus – unterstützen. Ich kann nur an alle Verantwortlichen in Brüssel appellieren, die Verhandlungen zügig und erfolgreich abzuschließen. Wir dürfen hier eine Verzögerung von bis zu einem Jahr, wie sie droht, nicht dulden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ein großes Anliegen – nicht nur der Europäischen Kommission, sondern auch der Bundesregierung – ist das klare Bekenntnis dazu, dass die Europäische Union eine Werteunion ist. Der innere Zusammenhalt Europas beruht weniger auf dem Funktionieren des Binnenmarktes und weniger auf der Idee des Wettbewerbs als vielmehr auf gemeinsamen Werten: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Akzeptanz von Minderheiten, kulturelle und religiöse Vielfalt, das macht Europa stark und das macht die Idee Europas zu einem Exportschlager in der Welt. Wir brauchen in der Europäischen Union einen wirksamen Mechanismus, der die Wertegemeinschaft dort schützt, wo sie in Gefahr ist. Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Die Europäische Union kann ihre Werte nur dann selbstbewusst nach außen – das heißt im globalen Maßstab – vertreten, wenn sie diese Werte auch konsequent nach innen lebt. Sie alle wissen, dass es in den vergangenen Jahren in einer Reihe von Staaten Schwierigkeiten gegeben hat. Diesen Staaten wollen wir helfen durch gemeinsame, verbindliche Standards und durch einen entsprechenden Mechanismus. Lassen Sie mich angesichts der Diskussion um das Thema Migration für die Bundesregierung ein ganz klares Bekenntnis abgeben: Freizügigkeit ist eine der größten europäischen Errungenschaften. Die Bundesregierung wird diese europäische Errungenschaft konsequent verteidigen. Wir können alle Verantwortlichen nur darum bitten, sachlich, ohne Polemik und mit Augenmaß über dieses Thema zu diskutieren. Deutschland profitiert von der Freizügigkeit wie nur wenige andere Staaten in der Europäischen Union. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir tragen Verantwortung für dieses Europa, und wir tragen diese Verantwortung nicht allein. Insofern wird die Bundesregierung sehr darauf achten, dass wir in der Europäischen Union alle Mitgliedstaaten mitnehmen. Es geht nicht um groß oder klein. Manche kleinen Staaten – ich erinnere an Luxemburg – sind groß: weil sie mit Engagement, mit Kreativität und Mut und Entschiedenheit dieses Integrationsprojekt vorangebracht haben. Wir reichen allen unseren Partnerländern in Europa die Hand zur Zusammenarbeit. Europa braucht keinen deutschen Oberlehrer oder Schulmeister, Europa braucht ein Deutschland, das in Solidarität Verantwortung trägt und die kleinen und die mittleren und die großen Staaten mitnimmt. Das geht nicht ohne eine ganz enge Kooperation mit Frankreich und mit Polen. Mit großer Freude haben wir das Bekenntnis von Präsident Hollande zu mehr Europa – vor allem zu einem besseren Europa – vernommen. Wir wollen unsere französischen Freunde dabei tatkräftig unterstützen. Ich sage das bewusst heute, wenige Tage vor dem Deutsch-Französischen Tag, ich sage das aber auch in Richtung Polen. Das Weimarer Dreieck – hier im Bundestag sitzen viele Kolleginnen und Kollegen, die das Weimarer Dreieck über die Jahre mit Leben erfüllt haben – ist für uns ein wichtiger Anker, eine wichtige Säule für den Erfolg; denn wir müssen – ich sage das gerade mit Blick auf Mittel- und Osteuropa – die Partnerländer mitnehmen, wir müssen sie davon überzeugen, dass Europa kein Projekt für den Westen ist, sondern ein Projekt, das den Süden, den Norden, aber auch den Osten gleichwertig einschließt. Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass deutsche Führungsverantwortung nicht heißt, dass wir unsere wirtschaftliche und politische Stärke zu dominant ausspielen – das ist uns in der Geschichte nicht gut bekommen. Insofern möchte ich hier noch einmal deutlich machen: Es geht um solidarische Führungsverantwortung. Die Bundesregierung wird alles in ihren Möglichkeiten Stehende tun, um Europa aus der Krise zu führen; denn das Europa, für das wir eintreten, ist ein Europa der Solidarität, des sozialen Zusammenhalts und der gemeinsamen Werte. Dieses bessere Europa werden wir gemeinsam mit unseren Partnern bauen. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Ihre tatkräftige Unterstützung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Andrej Hunko ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Andrej Hunko (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatsminister Link, Entschuldigung, Herr Staatsminister Roth – – (Michael Roth, Staatsminister: Ich darf ihn herzlich grüßen! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber ein Kompliment und keine Beleidigung!) Einen Moment bitte, das Pult fährt immer weiter hoch. Präsident Dr. Norbert Lammert: Solange Sie noch zu sehen sind, Herr Kollege, hören wir Sie auch. (Heiterkeit) Andrej Hunko (DIE LINKE): Herr Staatsminister Roth, Sie haben eben an den Ersten Weltkrieg erinnert und haben gesagt: Er ist ausgebrochen. – Ich denke, er ist Ergebnis einer spezifischen Politik insbesondere von deutscher Seite gewesen. Aber ich darf Ihnen sagen: Die Linke ist die Partei, die in der Tradition derjenigen steht, die sich schon damals gegen den Ersten Weltkrieg gestellt haben – in Deutschland, in Frankreich, in Russland und in vielen anderen europäischen Ländern. (Beifall bei der LINKEN) Wir sind ebenfalls entschieden in der Tradition derjenigen, die sagen, dass so etwas nicht wieder passieren darf und dass wir eine entsprechende europäische Zusammenarbeit, eine entsprechende europäische Integration als Teil einer internationalen Zusammenarbeit brauchen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn in Deutschland über Europa diskutiert wird – wir diskutieren heute ja über das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission –, wird es manchmal etwas absurd. Mir schrieb vor einigen Tagen ein Luxemburger Genosse von déi Lénk, der Linken in Luxemburg: Ich verstehe eure Debatte in Deutschland nicht. Wir in Luxemburg haben mehr oder weniger das gleiche Wahlprogramm, aber niemand käme hier auf die Idee, uns als antieuropäisch zu diffamieren. Wenn wir zum Beispiel in Hamburg darüber diskutieren, was in Hamburg falsch läuft, wenn wir die Verhältnisse dort kritisieren – das machen wir in diesen Tagen zu Recht –, dann kommt doch niemand auf die Idee, zu fragen, ob das antihamburgisch ist. Aber wenn wir auf europäischer Ebene Dinge kritisieren, dann kommt der Vorwurf – er wird wahrscheinlich gleich von Herrn Sarrazin kommen –, wir seien antieuropäisch. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Zu Recht!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Genau dies wollen wir jetzt klären: ob das die mögliche Frage des Kollegen Sarrazin ist. – Bitte schön. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Der Vorwurf besteht zu Recht! Ich kann das vorlesen!) Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Kollege Hunko, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen – auch als in Dortmund geborener Hamburger –, dass man sich in Hamburg immer nur gegenseitig vorwirft, nicht hanseatisch, aber niemals, nicht hamburgisch zu sein? (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da hat er recht!) Andrej Hunko (DIE LINKE): Ich bin gerne bereit, das zur Kenntnis zu nehmen. Die spezifischen Befindlichkeiten in Hamburg kenne ich nicht näher. Ich will nun auf das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission zu sprechen kommen. Einiges ist schon gesagt worden; aber ein Punkt ist noch nicht angesprochen worden. Die Europäische Kommission schreibt in ihrem Arbeitsprogramm, dass eines ihrer wichtigen Ziele die Verhandlungen für das sogenannte Freihandelsabkommen TTIP oder TAFTA sind. Das ist einer der Gründe, warum viele Menschen so kritisch auf die Europäische Kommission und auf europäische Strukturen schauen. Was ist das sogenannte Freihandelsabkommen, das eigentlich ein Konzernschutzabkommen ist? Dieses Abkommen wird hinter verschlossenen Türen zwischen der Europäischen Kommission und Vertretern der USA und anderer NAFTA-Staaten verhandelt. Worum geht es dabei? Es soll US-Konzernen in Europa und europäischen Konzernen in den USA ermöglichen, an Standards dieser Staaten vorbei Investitionen zu tätigen. Als Beispiele nenne ich die sogenannten Chlorhühnchen, das Hormonfleisch oder das Fracking. Es soll ein neuer Gerichtshof geschaffen werden, vor dem man Staaten, die bestimmte Investitionen verbieten – zum Beispiel, wenn in Deutschland Fracking verboten wird –, auf entgangene Profite verklagen kann. Wir lehnen dieses Freihandelsabkommen ab, und wir lehnen es auch ab, dass solche Abkommen durch die EU-Kommission in völlig intransparenter Weise hinter verschlossenen Türen verhandelt werden. (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich zum Abschluss ein paar Worte zu der Tragödie an den europäischen Außengrenzen sagen: Wir haben vor einigen Wochen und Monaten erlebt, was vor Lampedusa passiert ist. In den letzten 20 Jahren mussten wir weit mehr als 10 000 tote Flüchtlinge an den europäischen Außengrenzen konstatieren. Das ist eine unglaubliche Tragödie, und ich finde es unerträglich, dass jedes Flüchtlingsschicksal benutzt wird, um das europäische Grenzregime noch weiter zu perfektionieren, zum Beispiel durch die Einführung von EUROSUR, anstatt endlich auch auf europäischer Ebene zu einer solidarischen Flüchtlingspolitik zu kommen. (Beifall bei der LINKEN) Das ist eine unerträgliche Politik und eine Schande für die Europäische Union, die sich immer als Wertegemeinschaft darstellt. Es ist angesprochen worden: Am 25. Mai 2014 findet die Europawahl statt. Ich freue mich, dass wir als Linke gemeinsam mit unseren Genossen von SYRIZA in Griechenland, von der Izquierda Unida in Spanien, vom Bloco de Esquerda in Portugal und von der Red-Green Alliance in Dänemark eine Kampagne für ein anderes, ein soziales, ein solidarisches Europa machen und dass wir mit Alexis Tsipras einen gemeinsamen Spitzenkandidaten haben. Darauf bin ich stolz. Ich freue mich auf die Auseinandersetzungen und die Kampagne. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Detlef Seif ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Detlef Seif (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die wirtschaftlichen Eckdaten belegen – manche sprechen vom zarten Pflänzchen –, dass es in Europa wieder aufwärtsgeht. Die teils harten Strukturmaßnahmen in den einzelnen Ländern waren erforderlich. In diesem Zusammenhang, Herr Ulrich und Herr Hunko, möchte ich Ihnen sagen: Ich kann es nicht mehr hören. Sie verwechseln Ursache und Wirkung. (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dann hören Sie doch weg! Dann sind Sie das Problem los!) Die Probleme in Griechenland sind die Folge der Finanzkrise, des ständigen Konsums und einer Staatsschuldenkrise. (Zurufe des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Man konnte sich auf dem Kapitalmarkt nicht mehr refinanzieren. Deshalb haben wir Europäer solidarisch Unterstützung geleistet. Das konnten wir aufgrund unserer Verantwortung gegenüber anderen Ländern und unseren Finanzen und auch, weil wir wollen, dass es tatsächlich vorwärtsgeht, nicht dadurch tun, dass wir sagen: „Hier ist ein Sack mit Geld, den wir euch zur Verfügung stellen“, sondern das muss streng konditionalisiert geschehen. Hier sind wir auf dem richtigen Weg. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Aber eines ist klar – das ist uns allen auch bewusst –: Sparmaßnahmen, eine makroökonomische Steuerung und eine gute Haushaltspolitik reichen nicht, um Arbeitsplätze zu generieren. Die Überwindung der hohen Arbeitslosigkeit stellt die EU vor eine besonders große Herausforderung. Circa 27 Millionen Menschen in der EU sind arbeitslos; rund 6 Millionen davon sind unter 25 Jahre alt. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit – Herr Sarrazin, Sie haben das verdeutlicht – bringt uns alle in Europa in große Gefahr. Die Demokratie ist gefährdet. Wenn hochmotivierte junge Menschen keine Anstellung finden, dann sind sie eher zugänglich für radikale Kräfte. Deshalb ist es richtig, dass die EU-Kommission in ihrem Arbeitsprogramm 2014 den Schwerpunkt tatsächlich auf die Überwindung der Arbeitslosigkeit und auf Beschäftigung legt. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Unverbindlich!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Seif, darf der Kollege Dehm Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Detlef Seif (CDU/CSU): Ja, wenn sie sachlich ist, gerne. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das wissen wir, sobald wir die Frage gehört haben. – Bitte schön, Herr Kollege Dehm. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Davon können Sie doch bei mir immer ausgehen. – Da Sie das, was der Kollege Hunko und der Kollege Ulrich gesagt haben, offenbar nicht mehr hören können – Sie sagen, der Konsum in Griechenland sei schuld –, möchte ich Sie fragen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass im Staatsapparat in Griechenland die Selbstbediener in Ihrer Bruderpartei unter Karamanlis in Koalition mit den Sozialdemokraten einen großen Anteil an diesem Konsum hatten? Sind Sie bereit, den Anteil am Konsum dieser staatlichen Selbstbediener, der Reeder, die steuerlich freigestellt wurden, und derjenigen, die 200 Milliarden Euro in die Schweiz, Luxemburg und in andere Steuerparadiese gebracht haben, anzuerkennen? Detlef Seif (CDU/CSU): Herr Dehm, auch hier verwechseln Sie Ursache und Wirkung. (Lachen des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) In Griechenland hat man wenig investiert. Man hat Griechenland aufgrund des Solidarverbundes in Europa billiges Geld zur Verfügung gestellt. Diese Gelder sind in Griechenland leider überwiegend in den Konsum und nicht in Investitionen geflossen. Das ist das Problem. (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Und wer hat regiert? Wer war an der Macht?) Die Kommission macht sich zu Recht intensive Gedanken. Sie hat die sogenannte Jugendgarantie auf den Weg gebracht. Das heißt, Menschen unter 25 Jahren soll binnen vier Monaten ein Ausbildungsplatz oder ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden. Sie sollen ein Praktikum machen können. Die Zusammenarbeit der Arbeitsämter muss verbessert werden, um freie Stellen tatsächlich an die arbeitslosen Jugendlichen zu vermitteln. Wir müssen die Jugendlichen auch dazu bringen, mobiler zu sein. Wir müssen in Bildung investieren. All das ist gut und richtig. Aber reichen diese Maßnahmen wirklich aus, um neue Arbeitsplätze zu generieren? Reichen sie aus, um 6 Millionen junge Menschen in Lohn und Brot zu bringen? Wo werden denn Arbeitsplätze generiert, außer in der öffentlichen Verwaltung und in den Verbänden? Doch wohl in Unternehmen, in Betrieben. Deshalb ist eine ganz wesentliche Frage: Haben wir in Europa für expandierende und neu gegründete Unternehmen die richtigen Bedingungen? Die Industrie hat in Europa in den letzten Jahren Arbeitsplätze abgebaut. Die Wettbewerbsfähigkeit – das kommt in dem Programm der EU-Kommission klar zum Ausdruck – ist zumindest in eine Schieflage geraten; sie ist gefährdet. Kleine und mittlere Unternehmen, gerade auch in den Programmländern, haben erhebliche Probleme, Kredite für dringend erforderliche Investitionen zu erhalten. Die Arbeit der Europäischen Investitionsbank in allen Ehren, aber die anfallenden Risikozuschläge und die fehlende Kreditvergabe wegen mangelnder Sicherheiten sind doch gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen ein ganz großes Problem. Die Kommission ist hier mit dem sogenannten REFIT-Programm auf dem richtigen Weg. Damit sollen Vorschriften daraufhin überprüft werden, ob sie eine Überregulierung für Industrie und Betriebe darstellen. Der Ansatz ist richtig. Aber wenn Sie in die Anlagen des Arbeitsprogramms schauen, weil Sie sich fragen, wo die Initiativen sind, mit denen diese Idee engagiert und konkret umgesetzt wird, dann stellen Sie fest: Da ist nicht viel zu finden. Lediglich im Anhang II unter Punkt 23 findet sich eine neue Initiative. Da heißt es: Möglicherweise ist eine Anpassung oder Änderung der Rahmenbedingungen und eine Regulierung der Finanzmärkte erforderlich, um dieses Ziel sicherzustellen. – Mit „möglicherweise“ kommen wir nicht weiter. Hier hätte man einen konkreten Vorschlag aufnehmen müssen. Wie können wir erreichen, dass Kredite an kleinere und mittlere Unternehmen schneller und einfacher vergeben werden? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) – Ja, Sie dürfen klatschen, Herr Dehm, gerne. Fehlende Sicherheiten haben zumindest Risikozuschläge zur Folge; häufig erfolgt eine Kreditvergabe gar nicht. Hier muss die Kommission ansetzen. Hierzu erwarte ich einen Regelungsvorschlag. Das ist ein dringendes Problem in den Programmländern; das muss angegangen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Nun komme ich zu einem anderen Punkt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch die Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen etwas dazu sagen möchten. Die Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz und die Belastungen aus der Energiewende können für die Unternehmen in Europa existenzbedrohend werden. Die Abwanderung von Betrieben in Regionen, die geringere Anforderungen stellen und vor allen Dingen schlechtere Umweltstandards haben, ist die Folge. Gerade die Schwerindustrie in Europa ist gefährdet. Im Koalitionsvertrag wird zu Recht betont, dass die Erreichung ambitionierter Klimaschutzziele nicht zum Nachteil für energieintensive Betriebe und vor allen Dingen für Betriebe führen darf, die – der Kollege Krichbaum hat das schon angedeutet – im globalen Wettbewerb mit anderen Unternehmen in dieser Welt stehen. Was für Deutschland gilt, muss aber auch für die EU gelten. Es gibt jedoch ein Problem bei der Klimapolitik – ich weiß nicht, ob Sie es mitbekommen haben –: Wir haben leider keine ambitionierte internationale Regelung gefunden. Das heißt, dass wir das 2-Grad-Ziel nicht mehr erreichen können. Es gibt weltweit Volkswirtschaften wie Indien und China, die mehr emittieren, als wir je gedacht hätten. Das heißt, der Klimawandel, der von Menschenhand mitverursacht ist, wird nicht mehr vermeidbar sein. Warum sage ich das? Bei jeder industriepolitischen Entscheidung in Europa muss man zukünftig darüber nachdenken, ob wir es uns leisten können, mit der Behauptung, dass wir etwas für den Klimaschutz tun, Unternehmen aus Europa in Regionen zu verdrängen, in denen überhaupt kein Umweltschutz betrieben wird oder nur ein geringer Standard gilt. (Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Bitte schön. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Baerbock, Sie haben die Möglichkeit einer Zwischenbemerkung. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Herr Seif, Sie haben gesagt, wir hätten leider keine internationale Vereinbarung zu Klimazielen gefunden. Ist Ihre Schlussfolgerung, dass, weil wir international noch nicht auf dem Weg sind – selbst wenn wir uns für 2015 noch vorbereiten –, die EU selber keine ambitionierten Klimaziele mehr aufrechterhalten soll? Detlef Seif (CDU/CSU): Ich danke Ihnen. Sie haben im Prinzip den Punkt vorweggegriffen, den ich hier noch vorgesehen habe. – Das bedeutet nicht, dass wir als Deutschland und als Europa keine Vorreiterrolle im Bereich Umwelt- und Klimaschutz einnehmen sollten. Das dient den Menschen; das dient der Umwelt, und vor allen Dingen dient das auch der Ressourcenschonung. Wenn irgendwo Klimaschutz draufsteht, dann heißt das aber nicht automatisch, dass das gut ist. Ich erwarte – auch von Bündnis 90/Die Grünen –, dass wir bei jeder Frage und insbesondere bei den Fragen, die die Wettbewerbsfähigkeit in Europa angehen, eine vernünftige Abwägung vornehmen. Dabei haben Umweltschutz und Klimaschutz eine große Bedeutung. Aber es sind nicht die einzigen Punkte, die Bedeutung haben. Wir müssen abwägen, ob wir in Europa Beschäftigung wünschen, und unter Umständen auch einmal die eine oder andere Entscheidung zugunsten der Industrie und der wirtschaftlichen Entwicklung treffen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bringe den Gedanken noch zu Ende: Die EU-Kommission hat recht, wenn sie sich in dem Punkt dezent zurückhält. Denn genau das ist zurzeit der Gewissenskonflikt; das sagt man als Kommissar natürlich nicht. Man will Beschäftigung und Wachstum generieren, aber doch nicht dadurch, dass man sagt: Wir setzen Ziele im Bereich des Ausbaus der erneuerbaren Energien und im Klimaschutz, egal, welche Auswirkungen sie haben. Wenn ein Denkprozess in Europa einsetzt, gilt: Der Klimaschutz spielt eine wichtige Rolle, aber er ist nicht der einzige Punkt. Das müssen wir im Zusammenhang sehen. Meine Damen und Herren, das Thema „mehrjähriger Finanzrahmen von 2014 bis 2020“ und die Förderprogramme streift das Arbeitsprogramm nur am Rande. Das ist auch verständlich, weil es dazu bereits seit Dezember Verordnungen gibt – sechs an der Zahl –, die die zukünftige Förderung in Europa festlegen. Die bisherigen europäischen Struktur- und Investitionsfonds wurden zusammengefasst. Sie sollen konsequenter auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Beschäftigung ausgerichtet werden. Vieles wurde vereinfacht; aber die Rechtsvorschriften sind nach wie vor sehr komplex. Sie sind sogar undurchsichtiger und komplizierter als das deutsche Steuerrecht. Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Die Bemühungen der EU-Kommission in Bezug auf den Bürokratieabbau und die Vereinfachung von Vorschriften in allen Ehren; aber wir sind erst am Anfang des Weges. Hier müssen wir deutlich nachbessern. Bei der Bewertung, Annahme und Änderung von Projekten sollen in transparenten Verfahren die Mittelvergabe und die Mittelverwendung überwacht werden. Wenn, wie im letzten Jahr, eine zweckwidrige Mittelverwendung erst im Rahmen einer Prüfung des Europäischen Rechnungshofs auffällt – bei Stichproben naturgemäß nur in Einzelfällen –, dann ist das zu spät. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Fehlerquote hat in den vergangenen Jahren zugenommen und lag nach Schätzungen des Europäischen Rechnungshofs 2012 bei 4,6 Prozent; das entspricht 6,5 Milliarden Euro. Der Anspruch auf Förderung aus dem Strukturfonds setzt neben einem Antrag des jeweiligen Mitgliedstaats auch stets eine Selbstbeteiligung voraus. Man muss sich im Rahmen einer Kofinanzierung einbringen. Aber was machen wir mit den Ländern, die am Boden liegen, die noch nicht einmal die Kofinanzierung aufbringen können? Was machen wir mit Ländern, denen die Verwaltungsstrukturen fehlen, um überhaupt Anträge stellen zu können? Das war in der Vergangenheit ein großes Problem. Hier müssen wir, hier muss die EU-Kommission deutlich nachbessern, damit diejenigen, die die Mittel dringend benötigen, diese auch erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Wichtig wird auch sein, dass wir dafür sorgen, dass die Kommission einen vernünftigen Zuschnitt erhält. Es gibt immer noch 28 Kommissare. Eigentlich war eine Reduzierung um ein Drittel vorgesehen. Die ist erst einmal vom Tisch. Man erkennt auch am Arbeitsprogramm, dass zu viele Köche den Brei verderben. Es gibt zu viele Kompetenzen. Die Zahl der Kommissare ließe sich deutlich verschlanken, und zwar auf rund 15. Herr Präsident, ich weiß, dass die Uhr läuft. Ich komme daher zum Schluss. – Die EU-Kommission erhebt in ihrem Arbeitsprogramm das Jahr 2014 zu einem Jahr der Entscheidung und Umsetzung. Klingt toll! Das angekündigte Programm wird diesem Anspruch aber nicht gerecht und kann, wie Herr Schäfer in der ersten Rede angedeutet hat, diesem auch gar nicht gerecht werden. Die Europawahl steht an. Es gibt weniger Initiativen und auch nicht mehr so viele qualitativ hochwertige Programme. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie wollen doch nicht die Redezeit auf die der Regierung ausdehnen?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege! Detlef Seif (CDU/CSU): Ich bin eigentlich fertig. Nur noch zwei Sätze, Herr Präsident. Das Programm ist in den wichtigen Bereichen Wachstum und Beschäftigung leider nicht ambitioniert genug. Ein inhaltlicher Erfolg wird davon abhängen, ob die Kommission teilweise umsteuert und die richtigen Impulse setzt. Ich denke, ich spreche in Ihrem Sinne: Wir werden die Kommission hierbei tatkräftig unterstützen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat das Wort die Kollegin Annalena Baerbock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die EU-Kommission hat für 2014 einen engagierten Plan vorgelegt. Neben der Bankenunion, die Manuel Sarrazin schon angesprochen hat, bezieht sich das auch auf die Vollendung des Binnenmarktes. Es gehört aus meiner Sicht schon einiges dazu, wenn Teile der Regierungskoalition einige Tage, nachdem die Bundeskanzlerin hier im Hause in ihrer Regierungserklärung gesagt hat, Deutschland werde einen entscheidenden Anteil bei der weiteren Integration und der Vollendung des Binnenmarkts spielen, einen populistischen Angriff auf einen dieser Pfeiler startet, nämlich auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das gehört sich nicht; denn das ist nicht nur nicht im Sinne Europas, sondern auch nicht im Sinne einer vernünftigen Regierungsführung. Ich bin dem Kollegen Staatsminister Roth sehr dankbar – manchmal hilft es vielleicht auch, dass jüngere Menschen auf gewissen Bänken sitzen –, dass er zu Beginn des Jahres deutliche Worte dazu gefunden hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Ich zitiere, was Sie, Herr Kollege Roth, zu dem gesagt haben, was da aus Bayern kam: „Das ist nicht das Niveau, auf dem die Große Koalition arbeiten darf.“ Ich stimme Ihnen darin voll und ganz zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Den Anstand, den Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, gegenüber einem der größten Betrüger in Ihrem Bundesland eingefordert haben – das wurde von der Linken schon angesprochen –, sollten Sie gegenüber Menschen walten lassen, die vor massiver Diskriminierung in unser Land flüchten. So viel Arbeitslosengeld und so viel Kindergeld muss man erst einmal erhalten, dass man auf 3,2 Millionen Euro in einem einzigen Leben kommt. Mir ist zwar klar, dass dieser Vergleich hinkt. Aber es handelt sich hier um eine Form von Populismus, die von einer europafreundlichen Partei nicht zu unterstützen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Wir Grüne sind – das sind wir nicht sehr oft – in diesem Sinne ganz beim DIHK und auch beim BDI. Wir brauchen nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa gerade unter dem Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit Freizügigkeit für alle Menschen in der Europäischen Union. Man kann nicht sagen: Die einen passen uns und die anderen nicht. – Wenn Sie sich die Zahlen genau anschauen, dann stellen Sie fest, dass Ihre Verlautbarungen nicht stimmen. Gerade Rumänen und Bulgaren sind überdurchschnittlich qualifiziert. Sie sind außerdem überdurchschnittlich in die Beschäftigung in Deutschland eingebunden. Schon damals bei der Osterweiterung sind Sie das Thema der Freizügigkeit falsch angegangen. Sie haben über Jahre den Zugang für Menschen blockiert, die hier sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein wollten. Das verschärfte gerade das Problem der Schwarzarbeit. Das heißt, die Wurzel des ganzen Problems liegt nicht in der Armutszuwanderung, sondern darin, dass Sie über Jahre den Arbeitsmarkt in Deutschland abgeschottet haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das heißt nicht, dass wir negieren, dass es Probleme etwa in Duisburg, Gelsenkirchen oder Berlin gibt. Aber die EU ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Sie von den Koalitionsfraktionen sind gefordert, endlich die Mittel, die auf europäischer Ebene bereitgestellt werden, um solchen Herausforderungen Herr zu werden, freizugeben. Im Rahmen des ESF liegen mehr als 3 Milliarden Euro auf Halde, die Sie nicht freigeben, um die Kommunen vor Ort zu unterstützen. Nicht Ihr populistisches Herumgeschreie, sondern diese Mittel sollten Ihre Antwort auf die Herausforderungen vor Ort sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Umgang mit der Freizügigkeit in Europa ist nicht das einzige Problem. Wir führen eine rein nationale Diskussion und müssen uns die Frage stellen, wie der Bund in Zukunft eigentlich die Kommunen bei der Wahrnehmung ihrer sozialen Aufgaben unterstützen will. Ein weiterer Punkt, dem ich mich hier gerne widmen möchte, ist die Jugendarbeitslosigkeit. Die alte Koalition hatte dazu große Ankündigungen gemacht. Ich glaube, wir müssen weitere intensive Debatten darüber in diesem Haus führen; denn die Zahlen in diesem Bereich spotten jeder Beschreibung. Gerade einmal 137 Euro werden jedem Jugendlichen zur Verfügung gestellt, während wir knapp 300 Euro pro Hektar für eine verfehlte Landwirtschaftspolitik in Europa ausgeben. So kann nun wirklich nicht eine an Zukunft und Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtete Politik der Europäischen Union aussehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Lieber Herr Hunko, nun zum Punkt der Verhältnismäßigkeit. Ich hoffe, dass Sie das, was Sie vorhin zur proeuropäischen Ausrichtung Ihrer Partei vorgetragen haben, auf Ihrem Parteitag deutlich machen werden. Da Sie sagen, dass Ihre Partei proeuropäisch aufgestellt ist, verwundert es mich, wenn Ihre stellvertretende Fraktionsvorsitzende sich öffentlich mit Verlautbarungen wie „Der Euro schürt Hass zwischen den Völkern“ zitieren lässt. Ich weiß nicht, wie wir angesichts dessen weiterhin gemeinsam in diesem Hause in eine proeuropäische Richtung gehen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Herr Seif, Sie haben richtig geraten: Ja, ich komme nun auch auf die Energiepolitik zu sprechen. Wir Grüne kommen zu komplett anderen Schlussfolgerungen als Sie. Da sieht man doch, dass unsere Positionen auf manchen Gebieten sehr weit auseinandergehen. Die Pläne, die EU-Energiekommissar Oettinger derzeit vorschlägt, nämlich dass wir uns von den verbindlichen Zielen für die CO2-Einsparungen und den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz verabschieden sollten, stellen nicht nur einen Angriff auf den Klimaschutz und die Wettbewerbsfähigkeit in Europa, sondern auch einen Angriff auf Ihre Bundeskanzlerin dar. Denn es war Angela Merkel, die unter deutscher Ratspräsidentschaft dafür gesorgt hat, dass wir verbindliche Ziele für 2020 haben, und zwar in allen Bereichen, auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Vielleicht sollten Sie sie noch einmal konsultieren, bevor Sie sagen, Europas Wettbewerbsfähigkeit werde völlig konterkariert, wenn wir an dem Ausbau der erneuerbaren Energien in Europa festhielten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie sich die Zahlen genau anschauen, dann müssen Sie sich doch fragen, was das für eine Wettbewerbsfähigkeit ist, bei der pro Jahr Importe von fossilen Energieträgern in Höhe von 406 Milliarden Euro getätigt werden. Das entspricht 3,2 Prozent des BIP. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, würden Sie freundlicherweise einen Blick auf die Uhr werfen? Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. – Wenn wir diese Mittel in andere Formen lenken würden, zum Beispiel in den Ausbau der erneuerbaren Energien, dann würden wir – das sind Zahlen der Kommission – 1,25 Millionen neue Arbeitsplätze in Europa schaffen. Das ist, glaube ich, eine Politik hin zu einer nachhaltigeren Wettbewerbsfähigkeit und zu nachhaltigeren Jobs in Europa, eine Politik, die mehr Jobs als zum Beispiel das Freihandelsabkommen – die Zahlen liegen weitaus darunter – schaffen wird. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Dagmar Schmidt für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich als Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales freue mich besonders, zu einem europapolitischen Tagesordnungspunkt reden zu dürfen; denn das zeigt zum einen, dass Europapolitik in diesem Hause nicht nur Politik eines einzigen Fachausschusses ist, und zum anderen, dass gerade für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten das soziale Europa eine wichtige Aufgabe ist. (Beifall bei der SPD) Das ist es nicht nur in Zeiten wie diesen; aber aktuell sind die Fragen, die den europäischen Arbeitsmarkt, die Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenrechte, den sozialen Zusammenhalt und die gesellschaftliche Teilhabe betreffen, von ganz besonderer Bedeutung. Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hat ihre Spuren hinterlassen. Sowohl im Arbeitsprogramm als auch in unserem Koalitionsvertrag sind zwei große Aufgaben beschrieben. Die eine – das steht leider oft im Mittelpunkt, auch wenn andere Fragen vielleicht von noch größerer Bedeutung sind – sind natürlich die Reformen zur Haushaltssanierung. Die andere aber sind die klugen Investitionen, die wir brauchen, die klugen Investitionen in soziale Sicherheit und Nachhaltigkeit sowie eine Wachstumsstrategie, die die sozialen Folgen der europäischen Krise bewältigen. Europa wird nur dann erfolgreich sein, wenn die Menschen in Europa die Europäische Union positiv wahrnehmen. Die europäische Wirtschaft wird nur erfolgreich sein, wenn sie das Versprechen eines gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolgs erfüllt, an dem alle teilhaben, und Nationalstaaten nicht gegeneinander, sondern miteinander agieren. (Beifall bei der SPD) Das heißt konkret: Auch eine gerechte Lastenverteilung ist grenzüberschreitend. Reiche Griechen und reiche Deutsche müssen mehr zur Krisenbewältigung beitragen als der Athener Taxifahrer oder die deutsche Krankenschwester. (Beifall bei der SPD) Das heißt auch, dass gerechte Löhne, Arbeitnehmerrechte und Sozialleistungen weder einem Dumpingwettbewerb ausgesetzt noch auf dem Altar der europäischen Finanzmarktkrise geopfert werden dürfen. Der gemeinsame wirtschaftliche Erfolg in Europa bleibt das wichtige Ziel. Von diesem notwendigen gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolg möchte ich eine Brücke zu einem Thema schlagen, das direkt mit diesem zu tun hat und das in der heutigen Debatte schon angesprochen wurde, das Thema „Freizügigkeit in der Europäischen Union“. Auch ich bin Herrn Staatsminister Roth für die deutlichen Worte, die er gesprochen hat, dankbar. Im Jahr der Europawahl haben wir als Politikerinnen und Politiker eine besondere Verantwortung, nämlich die Verantwortung, das gesteigerte Interesse an Europa zur Aufklärung über Europa und zum Werben für die europäische Idee zu nutzen. Vorneweg: Probleme müssen benannt werden, und die Zusammenballung von sozialen Problemen in einigen deutschen Städten hat den Anlass für eine Debatte über das Recht auf Freizügigkeit geboten. Uns ist klar: Kommunen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten dürfen bei der Bewältigung der Probleme nicht alleingelassen werden. (Beifall bei der SPD) Aber genau darum hat die SPD in den Koalitionsverhandlungen nicht nur auf eine finanzielle Entlastung der Kommunen insgesamt gedrängt, sondern konkret die deutliche Aufstockung des Programms „Soziale Stadt“ durchgesetzt. Wir werden die Kommunen bei der Bewältigung ihrer sozialen Probleme nicht alleinlassen. (Beifall bei der SPD) Ebenfalls vorneweg: Wer Gesetze bricht – das gilt für Sozialhilfebetrug genauso wie für Diebstahl und für Steuerhinterziehung –, der muss verfolgt und bestraft werden. Das ist im Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das falsche Bild vom angeblichen rumänischen und bulgarischen Sozialtourismus muss allerdings der Menschen und der Fakten wegen berichtigt werden. (Beifall bei der SPD) Geringqualifizierte, Besserverdienende und Akademikerinnen und Akademiker aus Rumänien und Bulgarien nehmen zu Recht von sich an, dass sie unter besseren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit ihren Fähigkeiten ein besseres Einkommen und eine bessere Lebensqualität erreichen können. Das ist ihr Recht in Europa, und diese Mobilität ist gewollt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein Zusammenhang zwischen hohen Leistungen für Arbeitslose und Wanderungsbewegungen hingegen lässt sich empirisch nicht nachweisen. Im Vergleich zur ausländischen Bevölkerung insgesamt nehmen Rumänen und Bulgaren nur in geringem Umfang Sozialleistungen in Anspruch. Selbst wenn sie dies tun, so hat das keineswegs zwingend etwas mit dem mangelnden Willen, Arbeit aufzunehmen, zu tun. Im Gegenteil, das Problem besteht eher andersherum: Viele Arbeitsmigrantinnen und migranten aus Rumänien und Bulgarien sind in besonderer Weise von Ausbeutung betroffen, arbeiten für miserable Löhne, werden von deutschen Tochterunternehmen in ihren Herkunftsländern eingestellt und arbeiten dann in Deutschland, aber zu rumänischen und bulgarischen Löhnen, werden in die Scheinselbstständigkeit gedrängt usw. Die Freizügigkeit in Europa, die Freiheit, entscheiden zu können, in welchem Land man arbeiten und leben möchte, ist eine der tragenden Säulen der europäischen Einigung und des europäischen Binnenmarkts. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Sie sorgt dafür, dass Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften zur Deckung gebracht werden können. Gerade Deutschland ist darauf angewiesen, für Einwanderer und Einwanderinnen attraktiv zu sein. Auch deshalb hat sich die deutsche Wirtschaft sehr kritisch zu den Parolen und undifferenzierten Behauptungen in Bezug auf die Einwanderung von Rumänen und Bulgaren geäußert. Vorurteile und Ängste zu schüren, schadet auch dem deutschen Wirtschaftsstandort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber richtig ist auch: Freizügigkeit braucht soziale Rahmenbedingungen in den Herkunftsländern. Sozialstandards und Arbeitsrecht in den Herkunftsländern müssen gewährleisten, dass Auswanderung eben nicht der einzige Ausweg aus Armut ist, sondern dass es eine freie Entscheidung ist, sein Land zu verlassen und das Glück woanders zu suchen. Wir tragen in Deutschland eine besondere Verantwortung für Europa. Als gute Europäerinnen und Europäer sollten wir im Wahljahr mit gutem Beispiel vorangehen. Die Freiheit, sich in Europa frei zu bewegen und persönlich und wirtschaftlich zu entfalten, die Gerechtigkeit, die sozialen Folgen der Krise den Verursachern in Rechnung zu stellen und die kleinen Leute zu schützen, und die Solidarität mit denen, die Hilfe brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen – wenn all das gewährleistet ist, dann ist mir um die Zukunft der großartigen Idee von einem starken und einigen Europa nicht bange. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Schmidt, ich gratuliere herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer parlamentarischen Arbeit. (Beifall) Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Schweinchen-Schlau-Zitate von Manuel Sarrazin geben mir Gelegenheit, hier mitzuteilen, dass er in den letzten Jahren offensichtlich nicht nur Comics gelesen, Kinderfernsehen geschaut und Politik gemacht, sondern auch studiert hat. Er hat sein Geschichtsstudium erfolgreich abgeschlossen, und dazu gratulieren wir alle herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich hatte nie einen Zweifel daran, dass das gelingen würde; schließlich hat er mir letztes Jahr einen profunden Vortrag über die deutsch-polnische Geschichte gehalten, den man hätte drucken können. Aber der eine oder andere hatte halt doch Sorge, ob es etwas mit dem Studiumabschluss wird. Insofern sind wir alle sehr froh. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wirklich nett!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Jahr 2014 ist natürlich nicht nur für die Europäische Kommission wichtig, sondern auch wegen der Europawahl und der daraufhin zu erfolgenden Bildung der neuen EU-Kommission. Aber es ist auch ein Jahr, in dem wir nach fünf Jahren der Rezession und vier Jahren der Euro-Krise eine Chance nutzen können. Wir durften erleben, dass wir sowohl bei den Wachstumszahlen als auch bei der Euro-Rettung gut vorankommen. Es besteht die Hoffnung, dass wir im Jahr 2014 die Stimmung in der europäischen Öffentlichkeit zum Thema Europa ein Stück weit zum Guten wenden. Es wäre, glaube ich, des Schweißes aller Fraktionen hier im Hause wert, wenn es uns im Rahmen der Kampagne zur Europawahl und im Rahmen der Diskussion über Europa gelingen könnte, die Wahlbeteiligung bei der Europawahl gegenüber die mageren 43 Prozent im Jahr 2009 – Deutschland lag da im Ürigen nur knapp über dem europäischen Durchschnitt –, zu steigern. (Beifall des Abg. Michael Stübgen [CDU/CSU]) Es ist in jedem Fall wahr, was Angela Merkel immer sagt: Wenn wir als Europäer 7 Prozent der Weltbevölkerung stellen, 25 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts erwirtschaften und 50 Prozent der weltweiten Sozialausgaben leisten, dann brauchen wir als Deutsche nicht zu glauben, dass wir uns ohne einen engeren und festeren europäischen Zusammenschluss in der Welt behaupten könnten. Wir als Deutsche brauchen Europa, damit auch im 21. Jahrhundert unser Lebensstil, unser Wohlstand und unsere Freiheit entsprechend bewahrt werden können. Ich finde, wir sollten das Jahr 2014 nutzen, mit dem Europa-Bashing aufzuhören, insbesondere dort, wo es ungerechtfertigt ist. Dabei denke ich zum Beispiel an die aktuelle Diskussion um die Einführung von SEPA. Sie erinnern sich, wir haben vor zwei Jahren hier im Hause eine Entschließung gefasst, wie wir uns die SEPA-Umstellung vorstellen. Wir haben die Voraussetzungen geschaffen, damit die SEPA-Umstellung sowohl für die Verbraucher als auch für Schatzmeister von Vereinen oder Parteien, für die Gewerbetreibenden, also alle diejenigen, die viele Lastschriften einzuholen haben, ordentlich abläuft. Aber die Informationskampagne, die wir uns von den deutschen Banken zu diesem Thema erhofft haben, ist viel zu spät erfolgt. Wir haben heute den 17. Januar 2014. Ich habe immer noch eine EC-Karte in meinem Portemonnaie, die ich im Übrigen vor drei Monaten bekommen habe, auf der meine IBAN-Nummer nicht steht. Ich finde, das ist einfach ein Skandal. Jeder kann ja einmal nachschauen. Die Sparkasse Rostock hat die IBAN-Nummer schon seit Jahren auf ihren Karten, eine Großbank, die Deutsche Bank, bei der ich mein Konto habe, nicht. Ich finde es vor allem schade, dass jetzt an den Schaltern gesagt wird: Das ist wieder so ein Projekt, das sich die in Brüssel ausgedacht haben. – Die Brüsseler und die deutsche Bundesregierung haben es so konstruiert, dass es eigentlich reibungslos laufen könnte. Aber leider wird es in der Praxis nicht richtig umgesetzt. Ich möchte uns von den positiven Effekten in der Europäischen Union den Effekt der Euro-Rettung noch einmal kurz vor Augen führen. Wir haben uns in Talkshows von berufenen und selbsternannten Wissenschaftlern anhören müssen, die Rettungsschirme – erst der EFSF, dann der ESM – wären alle viel zu klein, sie würden in kürzester Zeit aus dem Ruder laufen, es wäre Unsinn, diesen Weg zu beschreiten. Wir sind heute in der Situation, dass von dem insgesamt rund 700 Milliarden Euro umfassenden Haftungsrahmen, zu dem sich die Europäische Union bereit erklärt hat, lediglich 30 Prozent in Anspruch genommen worden sind. Wir wissen, dass die Iren und die Spanier ihre Bürgschaften zurückgeben werden. Wir dürfen also feststellen, dass wir mit unserer Vorstellung recht behalten, dass dieser Weg der Euro-Rettung sinnvoll ist und dass es aller Mühen wert war, diesen Weg zu gehen. Ich würde jetzt erwarten, dass der eine oder andere Wissenschaftler, der nun vielleicht eingestehen muss, dass seine Theorie den Praxistest nicht bestanden hat, dies auch offen zugibt. Ich habe in Heidelberg studiert. Max Weber hat gesagt: Eine Theorie ist dann wissenschaftlich, wenn sie im Prinzip widerlegbar ist. Ich finde, wenn wissenschaftliche Theorien in der Praxis widerlegt werden, sollten die Wissenschaftler das auch eingestehen und ihre Theorie gegebenenfalls modifizieren. Wenn man in die Gesichter des einen oder anderen Professors schaut, hat man fast das Gefühl, er sei ein bisschen sauer darüber, dass die Wirklichkeit sich anders entwickelt hat. Ich würde mir wünschen, dass man sich einfach darüber freut, dass es offensichtlich doch gelingen kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir den Euro-Rettungskurs nicht beschritten hätten, dann wäre nichts gewesen mit Wirtschaftswachstum und Abbau von Arbeitslosigkeit in Deutschland, dann wäre nichts gewesen mit der Konsolidierung der Haushalte in den Krisenstaaten, die ja überall auf dem Weg ist. Es wäre vor allem so, dass die ganze Welt über Europa lachen würde und ganz Europa Deutschland dafür verfluchen würde, dass wir in der Zeit der Not, als unsere Solidarität gefragt war, nicht solidarisch zu Europa gestanden haben. Deswegen war es gut, dass wir im Deutschen Bundestag eine breite Parlamentsmehrheit für alle Euro-Rettungsprojekte gefunden haben. Ich glaube, sie lag immer in der Größenordnung von 80 Prozent. Ich bin mir sicher, dass wir das auch so fortsetzen können. Zum Arbeitsprogramm der Kommission haben meine Vorrednerinnen und Vorredner schon viel Richtiges und Wichtiges gesagt. Ich finde das Projekt der Bankenunion enorm wichtig. Es ist von seiner konkreten Auswirkung auf Europa her vergleichbar mit der Schaffung des Binnenmarkts 1992 und der Einführung des Euro 1999 bzw. 2002. Es ist eine ganz wesentliche Säule der Europäischen Union. Ich kann die Bundesregierung nur beglückwünschen, dass sie dazu einen so wichtigen und substanziellen Beitrag leisten konnte. Ich glaube, dass das ein Projekt ist, das ganz oben steht. Das Projekt der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist meines Erachtens das zweite zentrale Projekt für 2014. Kollege Seif und viele andere haben darauf hingewiesen, was es bedeutet, wenn junge Menschen nach der Schule keine Chance haben, das Erlernte entsprechend umzusetzen. Wir haben einen Finanztopf zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aufgemacht. Ich würde mir wünschen, dass wir, bevor wir darüber reden, wie wir die einzelnen EU-Programme innerhalb des neuen Finanzrahmens ausgestalten, diese Mittel jetzt pragmatisch und zügig bewilligen, damit da nicht noch Wochen und Monate ins Land gehen, sondern sofort Wirkung erzielt wird. Die jungen Menschen, insbesondere in Südeuropa, haben es wirklich verdient, dass Europa ihnen jetzt solidarisch zur Seite steht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es gibt natürlich auch jenseits der Arbeit der Kommission Dinge, die das Wachstum in Südeuropa hemmen. Die Kreditvergabepraxis der Banken zum Beispiel in Griechenland erfüllt mich schon mit Sorge. Zum Beispiel bekommt ein junger Kfz-Mechaniker, der dort 20 000 Euro für eine Hebebühne braucht, um dann drei oder vier Leute in seinem Betrieb zu beschäftigen, dieses Geld schlicht nicht, obwohl wir alle das eigentlich wollen und wissen, dass er damit klug umgehen wird. Ich glaube, dass wir im Jahr 2014 auch hier noch eine ganze Reihe von Feinsteuerungen vornehmen müssen. Überhaupt ist Wachstum natürlich der Schlüssel zur Lösung der Finanzprobleme; denn es kann nicht so viel gespart werden, wie durch gutes Wachstum letztlich eingenommen werden kann. Ich finde auch das Programm REFIT wichtig. Das klingt zwar ein bisschen wie eine Zappelbudenkette, ist aber in Wirklichkeit das Entbürokratisierungsprogramm der Europäischen Union. Ich würde mir halt nur wünschen, dass REFIT nicht nur als Etikett im Wahljahr dasteht: „Die Europäische Union bemüht sich um eine effizientere Gesetzgebung, um weniger Bürokratie“, sondern dass wir auch im Europawahljahr den einen oder anderen Erfolgspunkt setzen können. Wichtig ist weiter, dass wir in der Außenhandelspolitik der Europäischen Union vorankommen; ich nenne vor allem das Abkommen mit den USA. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Nordamerika ein wichtiger zentraler Markt für uns ist, aber andere Teile der Welt als Handelsregionen für uns genauso wichtig sind. Der Fokus darf nicht einseitig auf Nordamerika liegen. Wir als Europäer müssen weltweit Freihandel anstreben. Ich möchte schließen mit einer kleinen Mahnung an alle, die in Europa politisch Verantwortung tragen, natürlich insbesondere an die Kommission. Das Jahr 2014 erfordert so viele schnelle, effiziente Entscheidungen, dass wir es uns nicht leisten können, dass sich das Parlament oder einzelne Kommissare vor der Zeit aus der politischen Arbeit in der Europäischen Union abmelden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es hat 2008/2009 eine solche Entwicklung gegeben. Es gibt Anzeichen dafür, dass auch jetzt der eine oder andere Kommissar sich auf nationale Aufgaben konzentrieren will. Ich halte das für falsch. Die Kommission ist bis Oktober im Amt. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Genau!) Sie wird bis zur letzten Minute arbeiten müssen. Ich würde mir auch wünschen, dass zwischen dem Europäischen Parlament und den Staats- und Regierungschefs dann auch rasch eine Einigung über die Zusammensetzung der neuen Kommission zustandekommt, dass wir nicht erleben, dass die zweite Hälfte des Jahres 2014 eine Phase der Lähmung und des Stillstands in Europa wird. Vielleicht könnte das Jahr 2014, in dem ganz komplizierte Dinge zu klären sind, beispielgebend auch für zukünftige Wahljahre sein. Das Kommissionsprogramm ist ein guter Treibstoff für das komplizierte europäische Getriebe im Jahr 2014. Wir sollten die Bundesregierung unterstützen, wenn sie ihrerseits die Kommission unterstützt, das Programm umzusetzen. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Norbert Spinrath für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Norbert Spinrath (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Europa hat, denke ich, dauerhaft nur eine Chance, wenn die Bürgerinnen und Bürger dieses Europa aktiv für sich begreifen und sich auch damit identifizieren. (Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD]) Das gilt natürlich insbesondere im Mai dieses Jahres, wenn die Bürger in Europa erneut die Wahl haben und wieder mit Europa in Berührung kommen. Es reicht aber nicht aus, das immer nur in Wahljahren zu betonen. Vielmehr müssen sich Europa und die europäische Idee für die Bürgerinnen und Bürger verstetigen. Schon aus diesem Grunde muss Europa sozialer, demokratischer und damit auch solidarischer werden. (Beifall bei der SPD) Meine Kollegin Dagmar Schmidt hat eben schon deutlich gemacht, dass wir uns vor einer Armutszuwanderung nicht fürchten müssen. Schon die große Erweiterungsrunde im Jahr 2004, als die Europäische Union um zehn Mitgliedstaaten anwuchs, hat bewiesen, dass Vorurteile und Besorgnisse unberechtigt waren. Dies gilt für den Arbeitsmarkt genauso wie für die sozialen Sicherungssysteme und für die Kriminalitätsentwicklung, die ich als Polizeibeamter damals besonders im Auge hatte. Dabei – das sage ich ein wenig mahnend – ist es nicht hilfreich, Ängste zu schüren und Ressentiments aufzubauen. Die Töne der letzten Wochen aus dem Süden der Republik sind dem europäischen Gedanken nicht gerade förderlich, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und – das sage ich in aller Deutlichkeit – sie sind nicht angemessen. Sie zeugen eher von fehlender Sensibilität und – das ist für mich besonders bedauerlich – von fehlender Kenntnis des EU-Rechts und des nationalen Rechts. Oftmals wird Europa als Alibi genutzt oder schlicht verschwiegen: in diesem Hohen Haus, in den Länderparlamenten, in den Regierungen in Bund und Ländern. Wenn es etwas Positives für die Bürgerinnen und Bürger zu vermelden gibt, dann fehlt oft der Hinweis darauf, dass man lediglich europäisches Recht in nationales umgesetzt hat. Bei den die Bürger belastenden Vorgängen versteckt man sich hingegen oft gerne dahinter, dass man gezwungen war, europäisches Recht auf nationaler Ebene umzusetzen: „Die da in Brüssel sind schuld“, lautet oft die Rechtfertigung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir, dass wir alle miteinander ehrlicher werden. Hand aufs Herz: Jeder hier im Saal weiß, dass in Brüssel nichts läuft, was nicht vorher in Berlin abgenickt wurde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Hört! Hört!) Ich will damit sagen: Wir brauchen eine bessere Kommunikation über Europa, aber vor allen Dingen mit den Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam zu Europa. Wir müssen erklären, was Europa bedeutet. Europa entscheidet eben nicht nur über die Krümmung der Banane, sondern hat oftmals auch auf unsere Forderung hin wesentliche Verbraucherrechte entscheidend gestaltet und ausgebaut. Das ist, denke ich, in einer Welt des globalisierten Handels wichtig. Europa muss eben nicht nur Krisen bewältigen. Es muss den Euro nicht nur retten, sondern hat mit dieser Währung auch viele Vorteile für die Menschen und die Unternehmen geschaffen, die grenzenlos reisen, handeln oder schlicht die Preise vergleichen wollen. Europa kostet die Steuerzahler eben nicht nur viel Geld, sondern ist Motor für unsere Wirtschaft und damit auch Motor für den Arbeitsmarkt in Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir dürfen den Menschen nicht nur Finanztheorien erläutern und Fachchinesisch vorbeten, sondern müssen ihnen direkt und klar sagen, dass zum Beispiel deutsche Automobilhersteller Arbeitskräfte in Deutschland entlassen müssten, wenn deren Autos in Griechenland, Portugal oder Spanien nicht mehr gekauft werden können, weil viele Menschen dort um ihre Existenz fürchten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Europa will eben nicht nur die Vorratsdatenspeicherung, sondern Europa hat auch einen einzigartigen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geschaffen, im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und ihres Anrechts auf Freizügigkeit und auf Sicherheit im Alltag. Die Europäische Union wird durch ihre Erweiterungen nicht in ihren Grundwerten bedroht, sondern erlebt einen Zuwachs an kultureller Vielfalt, von dem unsere Gesellschaften nur profitieren können. Europa darf nicht nur an seinen Krisen und den Kosten zu deren Bewältigung gemessen werden, sondern daran, wie viel Mut alle Beteiligten aufbringen, die Haushalte einiger Mitgliedstaaten nicht nur durch Sparzwänge, sondern auch gleichberechtigt zu konsolidieren, also über Programme für Wachstum und Beschäftigung dafür Sorgen zu tragen, dass es dort wieder aufwärts geht. Dabei sind aber auch – ich sage das mit allem Nachdruck – diejenigen an den Kosten zu beteiligen, die sie verursacht haben. (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ja! Da fehlt aber noch was!) Europa darf nicht ausschließlich auf den nächsten Haushalt und auf Austerität schielen, also auf Sparen um jeden Preis, sondern muss Sorge dafür tragen, dass diejenigen, für die die Zukunft Europas gestaltet wurde, diese Zukunft auch erleben und an ihr teilhaben können, nämlich die Jugend Europas. (Beifall bei der SPD) Die Europäische Kommission scheint einiges davon verstanden zu haben. Für ihr Arbeitsprogramm hat sie nicht mehr viel Zeit. Ich bewerte es aber als sehr positiv, dass die Förderung von Wachstum und Beschäftigung, insbesondere die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, stärker in den Blickpunkt gerückt wurde. Denn die größte Bedrohung für den sozialen Frieden innerhalb Europas ist – neben dem Verlust des Arbeitsplatzes – die Perspektivlosigkeit junger Menschen. Denn wie soll jemand, der schon selbst keine Perspektiven hat, für künftige Generationen Perspektiven schaffen? (Beifall bei der SPD) Daher muss sichergestellt werden, dass die entsprechenden Mittel zügig eingesetzt werden. Die Jugend ist Europas Zukunft; das habe ich schon gesagt. Gerade für sie müssen wir etwas tun, gerade für sie müssen wir Chancen eröffnen. Dies ist nicht nur unsere Verantwortung; es ist auch unsere soziale Verpflichtung. Nur wenn die Jugend, wenn die Menschen insgesamt in sozialer Sicherheit leben können, ist auch der soziale Friede in Europa gesichert, und nur dort, wo sozialer Friede herrscht, kann auch wirtschaftlicher Wohlstand wachsen. Deshalb sollten wir über gute Programme nicht nur reden, sondern auch alles tun, um sie schnellstmöglich umzusetzen. Die Zeit, die der Kommission für ihr Arbeitsprogramm zur Verfügung steht, ist kurz. Ich komme zum Ende, Herr Präsident. – Europa hat nur dann eine Chance – das habe ich eben gesagt –, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Wir müssen darauf drängen, dass die Kommission nun schnell die wesentlichen Maßnahmen umsetzt. Wenn dies nicht gelingt, verlieren viele Menschen in Europa viel Zeit zur Lösung ihrer Probleme. Damit verlieren sie auch ihre Perspektiven. Ich denke, es ist unerlässlich, dass Maßnahmen für mehr Wachstum und Beschäftigung und zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gleichberechtigt neben Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung stehen, dass die aus der Sparpolitik resultierenden Belastungen gleichmäßig verteilt werden und nicht einseitig von den sogenannten kleinen Leuten getragen werden müssen. Mit meinem Dank für die Aufmerksamkeit äußere ich noch einen Wunsch: Ich will weiter für ein soziales Europa arbeiten und daran glauben, dass es ein Europa der Bürgerinnen und Bürger gibt. Dieses Europa soll nicht nur Banken retten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Auch Ihnen, Herr Kollege Spinrath, gratuliere ich herzlich zu Ihrer ersten Rede. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit. (Beifall) Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Peter Gauweiler für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen! Ich schließe mich dem Glückwunsch für meinen Herrn Vorredner zu seiner Jungfernrede an. Das gibt mir die Gelegenheit, zu dem Punkt aus dem Themenkatalog der CSU, der heute ein wenig leise Kritik von Ihnen auf sich gezogen hat, den Herrn Fraktionsvorsitzenden der SPD, unseren Kollegen Oppermann, zu zitieren. Er hat sich vor wenigen Tagen dazu geäußert, nachdem die Bundesregierung auf unsere gemeinsame Initiative hin einen Staatssekretärsausschuss eingesetzt hat – ich zitiere –: Es darf kein EU-Recht geben, das Anreize für Armutseinwanderung schafft. Wir wollen nicht, dass Menschen nur deshalb nach Deutschland kommen, weil hier die Sozialleistungen höher sind als anderswo. Das würde unser soziales Sicherungssystem nicht aushalten. Deshalb wollen wir hier Klarheit schaffen, auch in Gesprächen mit der Europäischen Union. Besser kann man es nicht ausdrücken, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich teile Ihre Auffassung, dass uns eine Strategie der diffamierten Negativgruppen nicht weiterhilft, sondern auf allen Seiten zum Scheitern verurteilt ist. „Populistisches Herumgeschreie“, wie Frau Kollegin Baerbock es ausgedrückt hat, brauchen wir nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich darf in diesem Zusammenhang aber an eine Debatte aus der Zeit von Rot-Grün erinnern, auch wenn die lichten Tage der rot-grünen Regierung unter Kanzler Schröder und Vizekanzler Fischer ja schon einige Zeit vorbei sind. Damals hat der Regierungschef von Rot-Grün in der Debatte über die Notwendigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen erklärt: „Raus, aber schnell.“ Zu derart sensiblen Äußerungen waren wir bisher nicht in der Lage. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) – Wo bleibt der Beifall? Es ist auch richtig, dass niemand ein Interesse daran haben kann, die Menschen, die aus den Donau-Ländern zu uns kommen, herunterzureden, zu diskreditieren. Wir wollen dies nicht, und wir wehren uns dagegen. Wir in Bayern sind stolz darauf, dass sich diese Menschen in so großer Zahl im Freistaat niederlassen und sich, wenn alle Umfragen stimmen, bei uns ziemlich wohlfühlen, nicht so wohl wie in Dortmund oder Essen, aber immerhin, wir arbeiten daran. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind gegen „populistisches Herumgeschreie“, aber auch gegen gutmenschliche Heuchelei. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir uns auf dieses beides einigen können, dann können wir weiterkommen. Ich muss aber auch ganz offen sagen: Wir werden bei dieser Thematik keine Ruhe geben. Das sollten Sie auch nicht. Wir erwarten, dass der Bericht des Staatssekretärsausschusses zügig vorgelegt wird. Wir erwarten auch, dass nicht nur die Regierungen Bulgariens und Rumäniens, die sich letztlich noch im Aufbau befinden, sondern auch die EU-Kommission und insbesondere der presseerklärungsfreudige EU-Kommissar Andor alles tun, dass der derzeitige skandalöse Zustand, dass von dem Etat von 27 Milliarden Euro, den die Mitgliedstaaten der Europäischen Union für Bulgarien und Rumänien für Maßnahmen zur Arbeitsintegration, für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Sozialhilfe zur Verfügung gestellt haben, wovon 10 Milliarden Euro die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler der Bundesrepublik Deutschland bezahlt haben, nicht länger über 50 Prozent auf der hohen Kante liegen, sondern endlich eingesetzt werden. Sie sollten uns unterstützen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir das verlangen. (Beifall bei der CDU/CSU – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An die eigene Nase fassen!) – Ich verstehe offen gesagt kein Wort. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ich meine das wirklich nur akustisch. Das hängt auch damit zusammen, dass es doch überhaupt kein Argument ist, dass auch bei uns solche Mittel nicht abgerufen werden. Auch der Städtetag muss sich diese Fragen gefallen lassen. Er hat einen Brandbrief mit drastischen Formulierungen – ich möchte sie aus Zeitgründen nicht wiederholen – an alle Parteien geschrieben. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Dieser Brief ging auch an Sie. Der Städtetag fordert: Tut endlich etwas; wir brauchen die Geldmittel. Doch dann erfährt man – Stichwort „eigene Nase“ –, dass große Beträge nicht abgerufen worden sind. Das ist doch zum Verzweifeln. Da braucht man sich doch nicht zu wundern, dass die Betroffenen fragen: Wie ist es um das politische Management in unserer Gesellschaft und die politische Klasse überhaupt bestellt? Die Beteiligten täten gut daran – ich sage das als Kontrapunkt zu dieser Debatte –, baldmöglichst einen Bericht vorzulegen, wie diese Mittel endlich eingesetzt werden können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege Sarrazin hat in einem Beitrag eines Historikers etwas gesagt, was ich hier aufgreifen möchte. Er hat gesagt, es wird versäumt, die guten Argumente für Europa – wir reden hier über das Arbeitsprogramm der Kommission für 2014 – stark zu machen. Er hat aber auch gesagt, dass man über Europa streiten können muss; das heißt, dass nicht jede Abweichung um einen Millimeter vom Papier sofort mit dem Verdikt „Europafeind“ belastet wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn ein Klima geschaffen wird, dass man an der Europäischen Kommission keine Kritik mehr üben kann, ohne den Vorwurf auf sich zu ziehen, sich in blindem Nationalismus zu ergehen, dann tun Sie der Diskussion keinen Gefallen. Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit sind der Ausgangspunkt des Zusammenschlusses, und Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit sind durch Überregulierungs-, Verbots- und Vorschriftenwahn aus Brüssel schwer in Bedrängnis gekommen. Wer dies nicht sieht, egal ob er links oder rechts ist, ist blind und taub. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen muss die Entbürokratisierung bei der Europäischen Union anfangen. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Herrn Stoiber hinschicken!) Ich zitiere wieder einen Kollegen aus Ihrer Mitte: Deswegen müssen wir auch ein Programm entwickeln, Aufgaben von der Europäischen Union wieder auf die tiefere Ebene herunterzulegen. – Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Gauweiler, darf die Kollegin Brantner Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): Wenn ich den einen Satz noch beenden darf. Präsident Dr. Norbert Lammert: Aber klar. Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): Herr Schulz hat recht, wenn er sagt: … viele Leute haben den Eindruck, dass … die Kommission in Brüssel sich zu oft in Dinge einmischt. Das ist alles richtig, das kann ich alles nachvollziehen, aber das kann man ja reformieren durch Subsidiarität, indem wir Maßnahmen, die wirklich in Brüssel nicht notwendig sind, zurückübertragen auf die Mitgliedstaaten. Wir erwarten hier einen Arbeitskatalog über die Themenbereiche, die wieder an die Mitgliedstaaten zurückgegeben werden können. Bitte, Frau Kollegin. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie Sie wissen, ist in Brüssel für die Entbürokratisierung Ihr Kollege Stoiber zuständig. Wenn Sie das hier einfordern und sagen: „Da passiert nicht genug“, würden Sie dann also zugeben, dass Herr Stoiber die letzten Jahre – er ist ja schon seit Jahren dort – nicht gut genug die Arbeit vorangetrieben hat? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): Das war ja hammerhart. (Heiterkeit – Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Aber parlamentarisch zulässig, Herr Kollege Gauweiler. (Heiterkeit – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hammerhart an der Grenze!) Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): Das war ja durchaus liebevoll von mir. „Parlamentarisch zulässig“. Sie bräuchten Hundert Stoibers, wenn ich Ihnen das ganz offen sagen darf, um das anzugehen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und einen Transrapid!) Frau Kollegin, ich darf jemanden zitieren, der Ihnen vielleicht noch näher ist als ich, und zwar den Philosophen Jürgen Habermas. Er sagte in einem Vortrag mit dem Titel „Wie demokratisch ist die EU?“: Das … Netz supranationaler Organisationen weckt seit Langem die Befürchtung, dass der im Nationalstaat gesicherte Zusammenhang von Menschenrechten und Demokratie zerstört [wird]. Deshalb erwarte ich mir von Ihnen nicht nur geistreiche Zwischenfragen, sondern ein aktives Eintreten auch von Ihnen als Grüne, dass Sie sagen: Mit einem Superstaat ist das Problem der Demokratie nicht gelöst, sondern darin kann auch eine Gefährdung liegen. Ich wollte auf einen Punkt zu sprechen kommen, der dies fortsetzt. In dem EU-Arbeitsprogramm, über das wir reden, wird das geplante Freihandelsabkommen mit den USA ganz kurz angesprochen. Wir begrüßen dieses Freihandelsabkommen. Wir hatten den amerikanischen Botschafter zu unserer Tagung im Tegernseer Tal eingeladen. Aber dieses Abkommen hat viele Probleme: Die Verhandlungen werden in einem absoluten Geheimverfahren geführt. Im Oktober soll ein Vertrag unterschrieben werden. Das Papier umfasst jetzt, wie man hört, 1 000 Seiten. Es kann nicht angehen, dass der Bundestag dann nach bekanntem Muster im Oktober wieder drei Tage bekommt, um die Sache schnell zu überprüfen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In diesem Vertrag sind sogenannte Schiedsgerichte vorgesehen. Diese gelten für alle amerikanischen Freihandelsabkommen. Vor einem solchen Schiedsgericht kann dann der Investor gegen den Staat wegen Benachteiligung aller Art klagen, aber der umgekehrte Weg ist nicht möglich. Auch diese Verhandlungen sind geheim. Sie können auf diesem Wege die örtlichen Rechtssituationen, Umweltschutzrecht, Datenschutzrecht, alles, was hier uns allen gemeinsam hoch und wichtig ist, aushebeln. Sie können die örtliche Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten aushebeln. Ich halte das bei aller Liebe zum Zentralismus, zum Großstaat, zu diesem Erdteil, „Alle sprechen nur mit einer Stimme“, für einen gefährlichen Weg. Deswegen haben wir uns in der Großen Koalition entschlossen, im Koalitionsvertrag festzulegen, dass die Voraussetzung für dieses Abkommen nicht nur die Einhaltung demokratischer Normen ist – das ist ja eine Selbstverständlichkeit –, sondern auch der Erhalt unserer Gerichtsbarkeit und die Verteidigung unserer Rechtssituation. Wir müssen nach Unterzeichnung dieses Abkommens immer noch unsere örtlichen Regeln in Bayern, in Nordrhein-Westfalen oder sonst wo ändern oder unter Umständen verschärfen können. Wir erwarten, dass die Bundesregierung alsbald verlangt – sie hat es bereits angekündigt; aber bisher noch nicht getan –, dass die EU den Rat und die nationalen Parlamente über den Stand der Verhandlungen und den Inhalt dieses Abkommens informiert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege Gauweiler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Gehrcke? Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): Immer. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Herzlichen Dank, Kollege Gauweiler. Habe ich Ihre klare Begründung der Ablehnung eines Abschlusses des Freihandelsabkommens richtig verstanden, dass Sie also der Meinung sind, dass es, wenn es so bleibt – so haben Sie es formuliert –, eigentlich Aufgabe des Bundestages wäre, die Bundesregierung aufzufordern, ein solches Freihandelsabkommen im Rahmen der EU nicht zu unterstützen und die Verhandlungen abzubrechen? Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): Da haben Sie mich richtig verstanden. Sie haben aber außerdem gesehen: Ich habe es als Erfolg dargestellt, dass die Große Koalition in ihrer Koalitionsvereinbarung genau an dieser Stelle den Finger in die Wunde gelegt hat und Voraussetzungen geschaffen hat, die für die Zustimmung zu diesem Abkommen unabdingbar sind. Wenn uns die Linke hier unterstützt, dann freut sich die CSU besonders darüber. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Ich wollte noch eine ganze Menge zu Ihnen sagen, zum Beispiel zu strengeren Regeln auf den Finanzmärkten, zur Außenpolitik und zur notwendigen Entschlackung des Auswärtigen Dienstes der EU – es ist völlig verrückt, hier eine Institution mit 6 000 oder 9 000 Planstellen vorzusehen –, zu unserem lieben Euro und zur Unmöglichkeit, eine Bankenrettung direkt aus Mitteln des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu bezahlen. Ich sehe gerade, dass der Herr Präsident das Lämpchen blinken lässt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Frau Präsidentin! Aber das Blinken bleibt das gleiche. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): Das ist eine Jungfernunterbrechung durch diese Präsidentin, wenn ich das einmal sagen darf. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vielen herzlichen Dank, Frau Präsidentin, ich habe den Präsidentenwechsel nicht bemerkt. Selbst wir können nicht nach hinten schauen. (Heiterkeit – Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber ich kann Sie von hinten beobachten, keine Angst. Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): Ich freue mich sehr, wenn es gelungen ist, einige wenige Punkte eines sehr schwierigen Themas zu klären. Wir wollen mit der Europäische Union zusammenarbeiten. Wir schätzen diese Institution als, wenn Sie so wollen, Jahrhunderterfindung der Politik. Wir meinen aber auch, dass die Europäische Union und ihre Instanzen folgenden alten Spruch, der im gesellschaftlichen, im beruflichen und im privaten Leben immer gilt, berücksichtigen sollten: Weniger kann manchmal mehr sein. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Dr. Gauweiler. Mit unserem streitbaren Kollegen Gauweiler schließe ich die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Das Massensterben an den EU-Außengrenzen beenden – Für eine offene, solidarische und humane Flüchtlingspolitik der Europäischen Union Drucksache 18/288 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Ulla Jelpke von der Linken. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der aktuelle Anlass für den vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke sind die tragischen Schiffsunglücke auf Lampedusa und anderswo, die im Herbst vergangenen Jahres im Mittelmeer weit über 500 Flüchtlingen das Leben gekostet haben. Betroffenheit war allgemein zu spüren. Herr Gabriel zum Beispiel sprach davon, dass es eine große Schande für die Europäische Union sei. Der italienische Präsident Napolitano sprach von einem Massaker, EU-Kommissionspräsident Barroso von einem europäischen Notstand, und der Papst prangerte die Gleichgültigkeit in den Industriestaaten an. Leider sind die Tragödien vor Lampedusa alles andere als einzigartig. Seit 1988 starben etwa 20 000 Flüchtlinge entlang der europäischen Außengrenzen, die meisten im Mittelmeer. Die Toten sind Ergebnis der Abschottungspolitik der Europäischen Union. Daher will ich zu Beginn ganz klar sagen: Es genügt eben nicht, sich nur erschüttert zu zeigen, sondern es müssen endlich Taten folgen, um eine Wiederholung solcher Katastrophen zu vermeiden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Das heißt in erster Linie, dass Asylsuchende eine legale und sichere Möglichkeit haben müssen, nach Europa einzureisen. Aber daran, meine Damen und Herren, denken die Innenminister der EU überhaupt nicht. Die Leichen von Lampedusa waren noch nicht geborgen, da nutzten die Innenminister diese Tragödie als Vorwand, einen weiteren Ausbau der Festung Europa festzulegen. Nicht „Hilfen für Flüchtlinge“ ist ihre Devise, sondern „Noch mehr Abschottung“. Kürzlich hat die EU das milliardenteure Grenzüberwachungssystem EUROSUR in Betrieb genommen. Polizei, Geheimdienste, Militär sollen mit Satelliten und Drohnen die Seeüberwachung perfektionieren. Fakt ist: Nicht die Rettung Schiffbrüchiger steht hier im Vordergrund, sondern das Abfangen von Flüchtlingsschiffen, lange bevor sie die EU-Grenzen erreichen. (Rüdiger Veit [SPD]: Das stimmt so nicht!) Deswegen wird die libysche Grenzpolizei beispielsweise mithilfe der EU und NATO aufgerüstet. Deswegen machen die ägyptischen und libyschen Küstenwachen Jagd auf Flüchtlingsboote. Solange die EU keine Anstrengung unternimmt, Kriege und ökonomische Not als Fluchtursachen anzuerkennen und diese auch endlich zu bekämpfen, und solange sie keine Hilfe leistet, ist diese Abschottungspolitik einfach nur skrupellos, menschenverachtend und beschämend. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es gibt noch mehr Beispiele. Derzeit wird in der EU über eine neue Frontex-Verordnung diskutiert. Im Rahmen von Frontex-Operationen auf hoher See sollen aufgebrachte Schiffe in den Staat zurückgebracht werden, von dem sie gestartet sind. Flüchtlingsschutz auf hoher See gibt es in dieser Realität schlicht nicht; das Beispiel Griechenland zeigt es. Pro Asyl spricht hier beispielsweise von systematischen völkerrechtswidrigen Menschenrechtsverstößen und einer erschreckenden Brutalität der griechischen Küstenwache gegenüber den Flüchtlingen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Huber? Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ja, gern. Charles M. Huber (CDU/CSU): Frau Kollegin Linke – – Vizepräsidentin Claudia Roth: Jelpke. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Jelpke. „Linke“ wäre auch nett, aber – – (Zuruf von der CDU/CSU: Jelpke von den Linken!) Charles M. Huber (CDU/CSU): Frau Kollegin Jelpke, Entschuldigung; aber ich habe hier „Linke“ gelesen. Entschuldigen Sie! (Heiterkeit bei Abgeordneten im ganzen Hause – Katja Kipping [DIE LINKE]: „Linke“ ist okay!) Folgendes: Es macht uns natürlich betroffen, wenn wir diese Flüchtlingsszenarien vor Lampedusa sehen. Aber ich sage Ihnen: Betroffenheit ist noch lange kein politisches Konzept. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ein Antrieb!) Vorhin ging es einmal um die Frage: Was ist Ursache, und was ist Wirkung? So wie Sie dieses Thema aufbereiten, habe ich ein bisschen den Eindruck, dass Sie sich sehr der Wirkung, aber weniger den Ursachen widmen. Dass wir eine Verantwortung für in Not geratene Menschen haben, ist natürlich prinzipiell richtig. Aber ich denke, dass es prinzipiell gleichermaßen wichtig ist, die Verantwortung nicht von denen zu nehmen, die diese Situation durch die politischen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen in ihren eigenen Ländern, den Ursprungsländern der Flüchtlinge, verursacht haben und die kein Konzept für eine solide Staatsführung haben. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, würden Sie zu Ihrer Frage kommen? Das ist nämlich eigentlich so gedacht. Charles M. Huber (CDU/CSU): Meine Frage ist: Ist es in erster Linie die Verantwortung der Bundesregierung bzw. der europäischen Staaten, sich um diese Flüchtlinge zu kümmern, oder ist es gleichermaßen auch die Verantwortung der Länder bzw. der politisch Verantwortlichen in den Länder, aus denen die Flüchtlinge nach Europa kommen? Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ich will die Frage gern beantworten; damit es nicht von meiner Redezeit abgeht, müssen Sie stehen. – Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Die europäischen Staaten, aber auch viele andere Staaten, etwa Amerika, haben Anteil an der Schaffung von Fluchtursachen. Daraus ergibt sich eine klare Mitverantwortung. Flüchtlinge, die aus Libyen zu uns gekommen sind, haben uns berichtet, wie die Bomben der NATO über ihnen gefallen sind; einige waren bereits vorher auf der Flucht. Deswegen stehen die Länder, die in der NATO sind, auch mit in der Verantwortung, die Ursachen von Flucht zu bekämpfen bzw. Flüchtlingen zu helfen. Man kann nicht einfach so tun, als wäre man nicht beteiligt an der Politik, die zur Ausbeutung vieler Länder beigetragen hat. Ich nenne als Stichworte nur: Nordafrika, EU-Fischfangflotte. Die europäischen Konzerne fischen den Menschen vor Ort seit Jahren den Fisch vor der Küste weg. Also fliehen die Menschen. Auch so schafft man Fluchtursachen. Man muss in diesen Fragen konsequent eine andere Politik machen; dann wird es auch nicht mehr so viele Flüchtlinge geben. Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Die meisten Menschen kommen nicht aus Lust und Laune nach Europa, sondern müssen vor Krieg oder Umweltkatastrophen fliehen oder sind in wirtschaftlicher Not. Deswegen hat die Europäische Union dafür, dass Flüchtlinge hierher kommen, eine Mitverantwortung. Wenn man es Flüchtlingen durch Verschärfung der Sicherheitsbestimmungen immer schwerer macht, ist man mit dafür verantwortlich, dass sie nach immer neuen Wegen, über die Meere, suchen. Man müsste stattdessen darüber diskutieren, wie es Flüchtlingen ermöglicht werden kann, nach Europa einzureisen und ein Schutzgesuch zu stellen. Das ist derzeit nicht möglich. Man muss gewissermaßen vom Himmel fallen, wenn man in diesem Land überhaupt einen Asylantrag stellen möchte. Das kritisieren die Flüchtlingsgruppen zu Recht. Ich meine, es ist an der Zeit, nicht nur in Sachen Sicherheit zu arbeiten, sondern Wege zu finden, um den Flüchtlingen zu helfen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön. Jetzt geht die reguläre Rede weiter. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Angesichts der zunehmenden Abschottung der Außengrenzen hat die Linke schon immer gefordert: Frontex muss abgeschafft werden; diese Einrichtung ist nicht kontrollierbar. Wer vor den Küsten Europas gerettet wird, muss Zugang zu einem Asylverfahren in Europa bekommen. Auch innerhalb der EU herrschen schlimme Zustände: In Griechenland, Bulgarien, Italien gibt es keine funktionierenden Asylsysteme. Hier hätte Europa, auch Deutschland, längst viel mehr Druck ausüben müssen. Das zeigt das Beispiel der Flüchtlinge, die über Lampedusa nach Hamburg gekommen sind. Sie haben erlebt, wie Libyen bombardiert wurde, und hofften, hier endlich wieder Sicherheit zu finden. Doch was passiert in Hamburg? Anstatt dass man ihnen Hilfe leistet, werden die Flüchtlinge dort systematisch zermürbt, ständig kontrolliert usw., usw., um sie zur Rückkehr zu zwingen. Das hält die Linke für grundsätzlich falsch. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke hat großen Respekt vor dem Mut der Flüchtlinge, nicht nur der Flüchtlinge in Hamburg, sondern auch der Flüchtlinge, die hier in Berlin am Oranienplatz oder in anderen Städten Aktionen für ihre Rechte durchführen und sich diesem Ausgrenzungsregime nicht beugen wollen. Sie verdienen unsere volle Solidarität. Man darf sie nicht weiter ausgrenzen. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, die EU steckt Milliarden in den Ausbau der Festung Europa, doch sie bleibt tatenlos, wenn es um Verbesserungen des Flüchtlingsschutzes innerhalb der EU geht. Es gibt zum Beispiel keine gemeinsamen Anstrengungen zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien. Natürlich weiß ich, dass Deutschland – immerhin – 5 000 Flüchtlinge aufgenommen hat und jetzt weitere 5 000 aufnehmen will; aber auch das verläuft viel zu schleppend: Die Bürokratie hat es in acht Monaten gerade einmal geschafft, 1 700 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Statt konkreter Hilfe erleben wir eine zunehmend rechtspopulistische Hetze – übrigens aus den Reihen der Union, insbesondere aus der CSU – gegen Migrantinnen und Migranten aus Bulgarien und Rumänien. An dieser Stelle bin ich ausnahmsweise einmal einig mit der EU-Kommission, die klargestellt hat, dass die Behauptungen, wie sie aus der CSU kommen, in keiner Weise durch Zahlen gestützt sind. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Jelpke, entschuldigen Sie, aber gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage von Herrn Huber? Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ja, gerne. Charles M. Huber (CDU/CSU): Kollegin Jelpke – jetzt sage ich Ihren Namen richtig –, Sie haben gerade über die CSU gesprochen. Ich hatte – das sage ich, weil Sie zu diesem Thema reden – vor kurzem ein Interview für die Süddeutsche Zeitung genau zu diesem Thema, zum Thema Flüchtlinge in Bayern. Was passiert denn in den Herkunftsländern, zum Beispiel auch in einem Land wie Senegal? Es werden unter anderem die Küsten leergefischt. Das betrifft auch Senegal. Das nur zu den Ursachen: Die Fischereirechte werden von den dortigen politischen Eliten an die Fangflotten der EU und andere verkauft. Das heißt, das ist außerhalb der Verantwortlichkeit der Europäer. Tatsache ist: Man hat in diesem Zusammenhang ein Land als Beispiel genommen, von dem man sagt, dass Menschen politisch verfolgt werden, wenn sie eine andere politische oder religiöse Orientierung haben. Das stimmt so nicht. Ich denke, dass Sie dieses Thema sehr stark pauschalisieren, zum Teil ohne Kenntnis der Situation vor Ort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist wichtig und richtig, Menschen aus Krisengebieten aufzunehmen. Aber ich denke, dass Sie einen dezidierten Unterschied machen müssen zwischen Menschen in wirtschaftlicher Not und Leuten, die tatsächlich aus Kriegsgebieten kommen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Darf ich Sie nochmals bitten, eine Frage zu formulieren, wohlwissend, dass Sie jetzt schon eine Zwischenbemerkung gemacht haben? Charles M. Huber (CDU/CSU): Dann möchte ich eine Frage formulieren: Sind Sie zukünftig willens, eine Differenzierung zu machen zwischen Menschen, die tatsächlich Asyl brauchen, weil sie aus Krisengebieten oder Kriegsgebieten kommen, und Wirtschaftsflüchtlingen, denen Sie genau dieselbe Not unterstellen, für die die Europäische Union bzw. Deutschland verantwortlich sein soll? Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. – Frau Jelpke, bitte. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Kollege, ich war, und zwar nicht nur alleine, sondern auch im Rahmen vieler Delegationsreisen des Innenausschusses, in Griechenland, Italien und vielen anderen Ländern. Ich kann Ihnen versichern: Ich kenne die Situation vor Ort sehr gut. Es kann einfach nicht sein, dass Menschen, die Schutz suchen, zum Beispiel in Griechenland bis zu 18 Monaten einfach inhaftiert werden, ohne je ein Verfahren gehabt zu haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen natürlich immer wieder überprüfen, wer Asyl haben muss. Natürlich unterscheide ich zum Beispiel zwischen Ländern wie Bulgarien und Rumänien. Aber angesichts Ihrer Parole „Wer betrügt, fliegt“, muss man hier die Frage stellen: Wer betrügt hier eigentlich, und wer sollte eigentlich fliegen? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will Ihnen deutlich sagen: Es geht um 400 000 Menschen, die seit 2010 eingereist sind, und um 38 000 Menschen, die noch keine Arbeit gefunden haben. Sie machen daraus eine Kampagne. Daraus werden Brandstifter in dieser Republik. Ich kann Sie nur warnen, hier weiter diese Linie zu fahren. Differenzieren Sie erst einmal: Was wollen Sie hinsichtlich der Freizügigkeit in der Europäischen Union und hinsichtlich der Aufnahme von Zuwanderern, die Deutschland in der Tat braucht? Dann können wir uns vielleicht im Einzelnen weiter unterhalten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss meiner Rede. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass die Europäische Union und damit auch Deutschland eine große Mitverantwortung tragen für Tod und Elend der Flüchtlinge. Deswegen fordert die Linke eine grundlegende Wende bei der europäischen Flüchtlingspolitik. Dazu gehört natürlich auch die Bekämpfung von Fluchtursachen; darauf wird mein Kollege später noch eingehen. Schutzsuchende müssen eine Möglichkeit bekommen, nach Europa einzureisen. Es muss vor allen Dingen die Asylrichtlinie überarbeitet werden, damit es in allen EU-Staaten wirklich gleiche Standards gibt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Kommen Sie bitte zum Schluss. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ja, mein letzter Satz. – Die Botschaft der Linken ist: Wir wollen ein Europa der offenen Grenzen für Menschen in Not. (Beifall bei der LINKEN) Das muss möglich sein, wenn man von Solidarität und von Freizügigkeit spricht. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Der nächste Redner ist Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle haben die schockierenden Bilder vom Herbst letzten Jahres in Erinnerung. Das Schicksal der ertrunkenen Flüchtlinge, der Opfer, kann niemanden kaltlassen. Viele Tausend Menschen sind in den letzten Jahren bei dem Versuch, nach Europa zu kommen, im Mittelmeer ertrunken. Im Mittelmeer spielt sich in der Tat eine Tragödie ab. Unser Ziel muss sein, dass sich Flüchtlinge gar nicht erst in diese lebensbedrohliche Situation begeben. Wie schwierig es ist, dieses Ziel zu erreichen, zeigt allein ein Blick auf diese Debatte in den letzten Jahren, die uns ja schon seit Innenminister Schily parteiübergreifend beschäftigt. Die Motive der Flüchtlinge sind durchaus nachvollziehbar. Wenn Familien vor dem Bürgerkrieg in Syrien flüchten, um ihr Leben und das ihrer Kinder zu retten, dann gibt es wohl niemanden, der dafür kein Verständnis aufbringen kann. Gleiches gilt für Menschen, die schlicht auf ein besseres Leben in Europa hoffen und sich vor Hungersnöten, Bürgerkrieg oder einfach bitterer Armut auf den langen Weg zu uns machen wollen. Wer sich die Flüchtlingsberichte näher ansieht, der versteht schnell, wie es zur Flucht kommen kann. Nur ein Beispiel von vielen, wie sie täglich stattfinden: Eine Frau, die in Somalia Fußball spielt, wird von Milizen bedroht, die das als unislamisch ansehen. Der Ehemann wird ermordet. Deswegen flieht die Frau mit Kind in ein Flüchtlingslager. Dort trifft sie auf einen Schleuser, der viel Geld verlangt und ein besseres Leben in Europa verspricht. Damit sind wir schon beim Kern des Problems: Es sind die Schleuser, die den Menschen in Flüchtlingslagern in Afrika häufig das Blaue vom Himmel versprechen. Sie locken Flüchtlinge mit falschen Versprechungen und fordern Tausende von Dollar für die Schleusung nach Europa. Nach Schätzungen des Bundesnachrichtendienstes werden heute weltweit bereits mehrere Milliarden Euro mit Schleusung und Menschenschmuggel verdient. Deshalb müssen wir diese Dinge sehr konzentriert angehen. Wer sich mit den Berichten zu Fluchten über das Mittelmeer und dem Schicksal der Flüchtlinge näher befasst, der wird auf ganz ungeheuerliche Berichte stoßen: defekte oder überfüllte Boote, katastrophale hygienische Verhältnisse und die Tatsache – das ist für mich eine der schlimmsten Nachrichten –, dass Schleuser die Flüchtlinge, die sie für viele Tausend Dollar an Bord genommen haben, teilweise sogar ins Meer werfen, wohlwissend, dass sie gar nicht schwimmen können. Diesem Unwesen müssen wir entschlossen entgegentreten. Wir müssen dieses Übel an der Wurzel packen und den Schleppern und den skrupellosen Banden das Handwerk legen. Diese Forderung vermisse ich im Antrag der Linken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Sie schlagen eine erleichterte Zuwanderung in die Europäische Union vor. Wir wollen auch Zuwanderung, aber qualifizierte Zuwanderung, wie es Innenminister de Maizière bei der Vorstellung des Migrationsberichtes 2012 erst am Mittwoch hier unterstrichen hat. Es gibt bereits jetzt Möglichkeiten legaler Zuwanderung in die Europäische Union. Die Europäische Union hat das Modell der Bluecard eingeführt. Dieses gibt es seit August 2012 auch in Deutschland. Der Kerngedanke dieser Bluecard ist aber eben, dass qualifizierte Zuwanderung nach Europa erfolgt. Sie wollen das losgelöst von jeglicher Qualifikation. Ich glaube, es darf nicht sein, dass wir nicht mehr selbst entscheiden, wer zu uns nach Europa kommen darf. Auch diejenigen, die ein festes Kontingent für die Europäische Union festlegen wollen, müssen sich die Frage stellen, ob das wirklich hilfreich ist; denn wenn dieses Kontingent erschöpft ist, werden sie ja wohl kaum einen verzweifelten Menschen auf der Flucht auf das nächste Jahr vertrösten können. Das wäre völlig lebensfremd. Wenn wir das Qualifikationserfordernis aufgeben würden, dann würden wir eine Sogwirkung erzeugen, die das Problem nicht lösen, sondern sogar noch verschärfen würde. Die Ursachen der Flucht lassen sich nicht durch Auswanderung lösen. Ich warne auch vor einem Blick durch die rein nationale Brille. Es geht auch um die europäische Sicht. Anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geht es in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht so gut wie Deutschland. Deshalb muss die Zuwanderung in die EU auch weiterhin begrenzt und gesteuert werden. Die Probleme, die in Afrika oder Syrien herrschen, sind von einer so gewaltigen Dimension, dass wir eben nicht alle Betroffenen nach Europa holen können. Die Grenzschutzagentur Frontex der Europäischen Union erfüllt eine wichtige und sehr sinnvolle Arbeit. Es ist wenig überraschend, dass sie von den Linken verteufelt wird und dass diese Frontex gerne abschaffen möchten. Sie übersehen dabei eines: Frontex hat in den Einsätzen in den letzten beiden Jahren rund 40 000 Menschen aus Seenot im Mittelmeer gerettet. Frontex verschließt nicht die Augen, sondern hilft dort, wo sie kann. Deshalb ist Frontex eine wichtige und gute Einrichtung. (Beifall bei der CDU/CSU) Aus den bisher gesammelten Erfahrungen wird deutlich, dass die Einbindung von Frontex bei Maßnahmen zum Schutz der EU-Außengrenzen notwendig ist, denn damit sind Gastbeamte der Europäischen Union vor Ort an den Brennpunkten der Migration präsent. Es ist für einen nationalen Grenzschutzbeamten viel leichter, Standards zu missachten, wenn ihm dabei nicht ein internationaler Kollege über die Schulter schaut. Aber damit die Standards geachtet werden, ist es eben wichtig, dass nationale Grenzschützer und Frontex-Beamte zusammenarbeiten. Das sichert die Einhaltung von Menschenrechten. Deswegen sind wir in der Europäischen Union auf dem richtigen Weg. Europa darf sich nicht zurückziehen, sondern muss vor Ort präsent sein. Das Dublin-System hat sich bewährt. Sie von der Linken wollen es im Kern abschaffen. Das überrascht nicht. Auch da ist es aber wichtig, den Tatsachen ins Auge zu blicken. Deutschland nimmt zum Beispiel deutlich mehr Asylbewerber auf als Italien. Der Eindruck, der oft erweckt wird, dass die südeuropäischen Staaten viel stärker belastet werden als beispielsweise Deutschland, ist schlicht falsch. Deutschland hat 2012 nicht nur in absoluten Zahlen die meisten Asylbewerber aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgenommen, sondern pro Kopf der Bevölkerung sind es dreimal mehr als in Italien. Allein im letzten Jahr, 2013, haben über 100 000 Menschen Asyl in Deutschland beantragt. Wir haben auch an den Brennpunkten ganz praktisch Solidarität geübt, indem wir Malta und Griechenland unterstützt haben. Deshalb ist das Dublin-System sinnvoll. Dieses System verpflichtet jeden Mitgliedstaat dazu, die europäischen Standards zu achten, etwa im Asylverfahren und bei der Durchführung dieses Verfahrens. Wir verteidigen deshalb unsere europäischen Rechtsstandards, von Finnland bis zur Ägäis und eben nicht nur bis zu den Alpen. Unser Ansatz ist zunächst: Wir brauchen eine bessere Seenotrettung. Wenn Boote im Mittelmeer kentern, dann ist es die erste und oberste Pflicht, Menschenleben zu retten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist nicht nur ein altes Gebot in der Seefahrt, sondern das ist auch eine humanitäre Verpflichtung. Deswegen haben wir in unserem Koalitionsvertrag ganz bewusst vereinbart: Der Grundsatz der Nichtzurückweisung und die Pflicht zur Seenotrettung müssen umfassend geachtet werden. Das ist in der Koalition unsere Arbeitsgrundlage. Auch hier gilt das alte Motto des Arbeiterpriesters Carl Sonnenschein: Mit Menschen in Not soll man nicht diskutieren. Man soll ihnen helfen. (Rüdiger Veit [SPD]: Sehr gut! Ich werde Sie daran erinnern!) Genau das tun wir in der Bundesregierung und in der Europäischen Union. Frontex hat ihre Aktivitäten im Mittelmeer und in der Ägäis bereits jetzt intensiviert. Die Europäische Union hat dafür kurzfristig mehr Mittel bereitgestellt. Wir brauchen neben dieser Verbesserung der Seenotrettung eine Reihe weiterer Maßnahmen auf europäischer Ebene, die der Rat der Justiz- und Innenminister im Herbst 2013 mit der Bildung einer Task Force Mittelmeer auf den Weg gebracht hat. Erstens. Wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und den Transitstaaten in Afrika. Wir pflegen einen umfassenden Dialog. Wir haben Mobilitätspartnerschaften geschlossen, zum Beispiel mit Marokko, Tunesien oder Jordanien. Wir leisten einen Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Libyen. Aber auch die nordafrikanischen Staaten haben ein hohes Maß an Verantwortung, zum Beispiel dafür, seeuntaugliche Nussschalen und Boote mit Hunderten von Flüchtlingen nicht in See stechen zu lassen. Zweitens. Wir müssen Menschenhandel, Schleuserkriminalität und organisierte Kriminalität entschlossen bekämpfen. Drittens. Wir müssen auch die Grenzüberwachung verstärken, damit wir ein besseres Lagebild über die Situation auf See erzielen, auch damit Flüchtlingen in Seenot schneller geholfen werden kann. Viertens. Wir müssen den Menschen vor Ort eine bessere Lebensperspektive bieten. Diese Punkte können wir nicht alleine, sondern nur in Kooperation mit den Herkunftsstaaten in Afrika erreichen. Das ist eben nicht allein unsere Aufgabe, sondern auch die der betroffenen Länder in Afrika und der regionalen Organisationen wie der Afrikanischen Union. Diese Länder brauchen Stabilität. Sie brauchen gute Regierungsführung, freie Parlamente, eine unabhängige Justiz und eine funktionierende Verwaltung. Das sind die Grundlagen für eine gute Entwicklung. Die Europäische Union kann einen wichtigen Beitrag leisten, um diese Prozesse zu unterstützen. Aber wir werden das nicht alleine tun können. Wir perfektionieren nicht eine Abschottung Europas, sondern Europa ist eben, gerade im Verhältnis zu unserem Nachbarkontinent, ein Hort für friedliche Entwicklung, für die Achtung der Menschenrechte, für wirtschaftlichen Wohlstand und für soziale Gerechtigkeit. Wir helfen dort, wo wir können. Aber wir begeben uns nicht in einen blinden und naiven Aktionismus. Die Koalition macht sich auf den Weg, um die humanitären Wege zu verbreitern. Ich weise darauf hin, dass wir vereinbart haben, das Bleiberecht für geduldete Ausländer auszuweiten, wenn sie ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst bestreiten können. Von daher brauchen wir keine Nachhilfe in Sachen Flüchtlingspolitik. Ich setze volles Vertrauen in Bundesinnenminister de Maizière. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der heute nicht einmal da ist!) Wir werden den Koalitionsvertrag konsequent umsetzen und gemeinsam an einer Flüchtlingspolitik in Europa arbeiten, die hilft, Menschenleben zu retten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege Silberhorn. – Die nächste Rednerin ist Luise Amtsberg für Bündnis 90/Die Grünen. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte der Fraktion der Linken erst einmal ausdrücklich dafür danken, dass Sie gleich zu Beginn der Legislaturperiode dieses für uns sehr wichtige Thema auf die Tagesordnung geholt haben. Absolut zutreffend problematisiert Ihr Antrag die Fehlleitungen der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik, die bereits viele Menschen das Leben gekostet hat. Er problematisiert den unerträglichen Umgang mit den vor der ständig wachsenden Zahl an bewaffneten Konflikten sowie vor Verfolgung, Diskriminierung oder existenzieller Armut flüchtenden Menschen. Seitdem die griechisch-türkische Landesgrenze unter anderem mithilfe deutscher Beamter der Frontex-Mission Poseidon in den letzten Jahren immer stärker abgeriegelt wurde, bleibt Flüchtlingen neben dem Landweg von der Türkei nach Bulgarien nur noch der lebensgefährliche Weg über das Mittelmeer, um in die Europäische Union zu gelangen. Die grausame Realität, dass dieser Weg in vielen Fällen tödlich endet, haben uns die Bilder von Hunderten nebeneinander aufgereihten Särgen in Lampedusa wieder ins Bewusstsein gerufen. Viele Politiker und Politikerinnen der EU, auch hier in der Bundesrepublik, hielten für einen Moment inne und gaben Versprechen ab, dass Tragödien wie diese nie wieder geschehen dürfen. Nur acht Tage nach dem ersten Bootsunglück geriet ein weiteres Boot in Seenot. 250 Menschen verloren ihr Leben einen Steinwurf von Lampedusa entfernt, weil die italienischen Behörden zwar den Notruf erhielten, aber das Boot sich in maltesischen Hoheitsgewässern befand. Wie ein schlechter Scherz klangen die klagenden Worte des italienischen Ministerpräsidenten Letta, der sagte, die Menschen, die vor Lampedusa ihr Leben verloren haben, seien ab diesem Tage Italiener. Die Überlebenden wurden hingegen laut Informationen der Menschenrechtsorganisation borderline-europe über 100 Tage illegal in Lampedusa festgehalten und erst am vergangenen Sonntag als Zeugen zu einer Gerichtsanhörung nach Sizilien gebracht. Auch bedurfte es erst der schockierenden Videoaufnahmen aus dem privat betriebenen Aufnahmezentrum in Lampedusa – auf denen war zu sehen, dass Flüchtlinge nackt ins Freie getrieben und desinfiziert wurden –, bis die unmenschlichen Bedingungen in solchen Zentren in das öffentliche Bewusstsein gerückt wurden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, von dem Mitgefühl und dem schlechten Gewissen nach dem 3. Oktober haben zynischerweise nicht die Überlebenden profitiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deswegen müssen wir uns den Vorwurf gefallen lassen, dass das Sterben die Folge unserer europäischen Flüchtlingspolitik ist, ein System, das seit vielen Jahren auf Abschreckung und eine militärisch hochgerüstete Abschottungspolitik setzt statt auf den Schutz von Menschen in einem Europa der Menschenrechte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deswegen sage ich Ihnen: Wenn diese Trauerbekundungen und die Scham über diese Unglücke keine bloßen Lippenbekenntnisse bleiben sollen, dann müssen wir an dieser Politik nahezu alles ändern, was möglich ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Rüdiger Veit [SPD]: Nicht alles, aber viel!) Europa kommt bei dem Ziel einer gemeinsamen Asylpolitik nicht voran. Wenn es aber um Grenzüberwachung oder Maßnahmen der Grenzsicherung geht, dann fließen die Millionen, und die europäischen Staatschefs freuen sich über so wahnsinnig viel gemeinschaftliches Handeln. Das ist kaum zu ertragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Seit einigen Wochen ist das Europäische Grenzüberwachungssystem EUROSUR in Kraft. Mit ihm möchte man glaubhaft machen, dass es dazu dient, Katastrophen wie vor Lampedusa zu verhindern. Ich sage Ihnen nach den letzten Jahren mit Blick auf die Flüchtlingspolitik ganz ehrlich: Ich habe die Nase voll, mir an der Stelle ein X für ein U vormachen zu lassen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und zu glauben, die Taskforce Mittelmeer, EUROSUR, Frontex oder nationale Militäroperationen wie das italienische Mare Nostrum wurden auf den Weg gebracht, um Flüchtlinge zu retten. Wir wissen genau, dass Frontex über Jahre hinweg Flüchtlingsboote zurück- und abgedrängt hat. Die Aufgaben und das Budget der Grenzschutzagentur Frontex werden fortlaufend ausgeweitet, während die Agentur sich weigert, einen wirksamen Beschwerdemechanismus zu ermöglichen. Dabei streitet Frontex nicht einmal mehr ab, dass sie an völkerrechtswidrigen Zurückweisungen beispielsweise vor der Küste Griechenlands beteiligt war. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen: Deutschland hat derzeit den Vorsitz im Frontex-Verwaltungsrat inne. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich für eine Überprüfung dieser Vorwürfe und für eine schärfere parlamentarische Kontrolle einsetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir können einfach nicht dulden, dass europäische Institutionen völkerrechtswidrige Praktiken anwenden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein paar Worte zu Dublin III. Ich habe vor kurzem Europas größtes Flüchtlingscamp in Mineo auf Sizilien besucht, das statt der maximalen Kapazität von 2 000 Menschen derzeit 4 000 Menschen im Nirgendwo isoliert. Im Gespräch mit Flüchtlingen fand ich heraus, dass es bis zu 14 Monate dauert, bis der Antrag auf ein Asylverfahren bearbeitet wird. In der Zwischenzeit müssen Menschen unter desolaten Zuständen in völlig überfüllten Lagern ausharren. Wer das Lager verlässt, wird aufgrund des Fehlens jedweder sozialer Leistungen in die Obdachlosigkeit gedrängt. Gespräche mit Präfekten, aber auch dem italienischen Innenministerium haben verdeutlicht, wie schwierig es für Italien ist, dieser Situation dauerhaft und vor allen Dingen auf sich allein gestellt gerecht zu werden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung muss endlich bereit sein, anzuerkennen, dass das Schicksal dieser Menschen nicht nur eine italienische Angelegenheit ist. Wir tragen gemeinsam Verantwortung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Allein die nackten Zahlen sollten Ihnen eigentlich verdeutlichen, dass das Dublin-System nicht mehr zu rechtfertigen ist. Eine Rückschiebung von Deutschland nach Griechenland wurde gerade im vierten Jahr in Folge ausgesetzt – zu Recht, sage ich da nur. Italien, Bulgarien und weitere EU-Mitgliedstaaten werden folgen; denn bereits jetzt wird ein Viertel der Rücküberstellungen nach Italien von Verwaltungsgerichten gestoppt, da Dublin-Rückkehrer im Erstaufnahmeland unter menschenunwürdigsten Bedingungen leben müssen. Statt 30 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt zur Stärkung der italienischen Militärpräsenz im Mittelmeer mitzuzeichnen, wäre das Geld viel besser angelegt, die Seenotrettung durch die zivile Küstenwache gezielt zu stärken und die Anzahl der Flüchtlingsunterbringungen zu erhöhen sowie deren Qualität zu verbessern. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Das Ziel der Grünenfraktion ist die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Schutzraumes, in dem einheitliche und hohe Standards für die Unterbringung und den Schutz von Flüchtlingen endlich Realität werden. Gleichermaßen müssen wir auch die Bedürfnisse der Flüchtlinge besser berücksichtigen. Sie sollen die Möglichkeit haben, in dem Mitgliedstaat Asyl zu beantragen, in dem sie bereits familiäre Bindungen oder soziale Netze haben, dessen Sprache sie sprechen oder dem sie sich kulturell nahe fühlen. Für einen Paradigmenwechsel in der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik muss der erste Schritt also sein, Maßnahmen zu ergreifen, die verhindern, dass das Mittelmeer zu einem Massengrab wird. Ich sage ganz klar: Der erste Schritt, den wir unternehmen müssen, ist, die Abschottungspolitik zu beenden. Vor allen Dingen das Fehlen legaler Einreisemöglichkeiten muss ein Ende haben. Meine Fraktion ist der Auffassung, dass dies auch gelingen kann, wenn man sich mit den anderen europäischen Staaten austauscht. Es ist wichtig, dass sich die gesamte Europäische Union verantwortlich zeigt. Das unsägliche Hin-und-her-Geschiebe von Menschen in Europa muss aufhören; denn das wird der europäischen Idee nicht gerecht. Militärische Hochrüstung oder Überwachungssysteme wie EUROSUR, mithilfe derer wir unsere Grenzen sozusagen auf den afrikanischen Kontinent verlagern und Verantwortung an Staaten wie Libyen abgeben, sind ganz sicher nicht der richtige Weg. Es ist schon richtig: Man muss den Blick auch auf die Herkunftsländer richten, aber meine Hoffnung, dass da in nächster Zeit viel passiert, ist sehr gering. Die Frage ist: Was machen wir mit den Menschen, die in der Zwischenzeit Schutz suchen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Darauf müssen wir eine Antwort geben. Zu sagen: „Wir warten darauf, dass es endlich eine Lösung vor Ort gibt“, ist schlichtweg verantwortungslos und unmenschlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Innenminister de Maizière ist gerade nicht anwesend. Am Mittwoch bei der Befragung der Bundesregierung hat er deutlich gemacht, dass Deutschland Einwanderung braucht. Auch wir sind dieser Auffassung. Deutschland hat immer von Einwanderung profitiert. Zudem spricht die demografische Entwicklung der Bundesrepublik eine klare Sprache. Ich sage ausdrücklich: Auch Menschen, die eine Flüchtlingsgeschichte haben, bereichern unsere Gesellschaft und können Teil unseres Arbeitsmarktes sein. Deshalb könnten wir überlegen, die Integrations- und Sprachkurse auszuweiten, um diesen Menschen eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben zu geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich rate Herrn de Maizière, die Chance des Neubeginns für diese Regierung zu nutzen und sich von der Politik seines Vorgängers zu distanzieren. Ich kann für meine Fraktion versprechen: Wir stehen als konstruktive Kraft an der Seite des Innenministers. Der Startpunkt für eine Zusammenarbeit ist für uns allerdings einzig und allein die Bereitschaft, dass Deutschland seine Blockadepolitik innerhalb der EU aufgibt, über legale Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge in die EU berät und die in Dublin III manifestierte Ignoranz gegenüber den südeuropäischen Staaten endlich aufgibt. Ohne das wird dem Sterben auf dem Mittelmeer kein Einhalt geboten. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir danken Ihnen und gratulieren Ihnen zu Ihrer ersten, sehr engagierten Rede im Bundestag. Wir alle wünschen Ihnen viel Kraft und viel Erfolg bei dieser sehr verantwortungsvollen Arbeit. (Beifall) Jetzt freue ich mich auf die nächste Rednerin. Das ist Christina Kampmann für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christina Kampmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich noch gut an die Katastrophe vor Lampedusa erinnern. Es waren Bilder des Schreckens, die uns erreichten, Bilder, die man nicht vergisst und die vor allem nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Es waren Bilder, die mich gerade deshalb zutiefst berührt haben, weil sie uns das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik so eindrucksvoll vor Augen geführt haben, dass ich dachte: Jetzt kann man selbige doch eigentlich nicht mehr vor dem Elend dieser Menschen verschließen. Am 3. Oktober 2013 – damals war ich noch keine zwei Wochen Mitglied des Bundestags – wusste ich, dass nun auch ich eine ganz besondere Verantwortung für das Leben dieser Menschen trage. Die Ereignisse vor Lampedusa waren jedoch nur in ihrem Ausmaß einzigartig. In ihrer Grausamkeit sind diese dagegen fast traurige Alltäglichkeit; denn der 3. Oktober 2013, an dem mehrere Hundert Menschen vor Lampedusa ertranken, ist kein Einzelfall. Das ist die bedrückende Konsequenz der Ungleichheit der Lebensverhältnisse in unserer Welt. Seit diesem Tag sind viele Wochen vergangen, in denen viel hätte passieren können, in denen jedoch nichts passiert ist. (Beifall bei der SPD) Genau deshalb begrüße ich den Antrag der Fraktion Die Linke, der uns an unsere gemeinsame europäische Verantwortung für eine Flüchtlingspolitik erinnert, die Menschlichkeit anstelle von Herabsetzung und Objektivierung und die Solidarität anstelle von Verantwortungsentzug und Rückbesinnung auf nationale Interessen setzen sollte. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Genau das sind aber auch die Gründe dafür, weshalb der Antrag zwar einige in die richtige Richtung gehende Aspekte aufzeigt, an anderen Stellen jedoch Vorschläge enthält, die gerade das konterkarieren, was unserer Meinung nach wichtig ist. So muss die Rettung von in Seenot geratenen Menschen, wie sie unter II. e) des Antrags der Linken angesprochen wird, natürlich ein selbstverständliches Gebot menschlicher Achtung voreinander sein; denn alles andere widerspricht nicht nur unseren moralischen Wertvorstellungen, sondern auch den völkerrechtlichen Verträgen. Dass an dieser Selbstverständlichkeit Zweifel aufgekommen sind, müssen wir ernst nehmen und dafür Sorge tragen, dass Seenotrettung künftig weder an Kompetenzstreitigkeiten noch an Sanktionen gegen mögliche Retter scheitert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es darf keine Kriminalisierung von Menschen geben, die andere Menschen retten; das sage ich mit aller Ausdrücklichkeit. Alles andere ist ein Skandal, den wir nicht zulassen dürfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für die Achtung des im Koalitionsvertrag genannten Grundsatzes der Nichtzurückweisung und der Pflicht zur Seenotrettung werden wir deshalb auf europäischer Ebene entschieden eintreten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren von der Linken, Sie haben auch recht, wenn es darum geht, die Arbeit von Frontex kritisch zu begleiten. Wer aber so wie Sie die Arbeit von Frontex pauschal ablehnt und für eine Auflösung plädiert, der verkennt zweifellos die wichtige ordnungspolitische Funktion. Unsere Antwort muss stattdessen eine strenge Verpflichtung zu einem gemeinsamen europäischen Grenzschutz durch die EU sein, die unserem europäischen Wertesystem gerecht wird. In die falsche Richtung geht aber vor allem einer der Kernpunkte des Antrags, zumindest dann, wenn man sich die Mühe macht, diesen zu Ende zu denken. Der Vorschlag, dass Asylsuchende künftig die freie Entscheidung haben sollen, in welchem Mitgliedstaat sie ein Asylverfahren durchführen wollen, klingt aus Sicht der Asylsuchenden zwar ziemlich verlockend, ist dies aber tatsächlich nur sehr vordergründig; denn abgesehen von der praktischen Umsetzbarkeit eines solchen Free-Choice-Verfahrens muss mit einem Unterbietungswettbewerb der betroffenen Staaten in puncto Aufnahme und Verfahrensbedingungen nach unten gerechnet werden, frei nach dem Motto: Wer die schlechtesten Bedingungen anbietet, der macht sich auch am unattraktivsten für Asylsuchende. – Bei aller berechtigten Kritik an Dublin II und Dublin III kann und sollte ein solches Verfahren nicht das Ziel europäischer Zusammenarbeit sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn wir über eine europäische Flüchtlingspolitik reden, dann geht es zunächst einmal um die Menschen, die bei uns Schutz vor Verfolgung, vor Krieg und Diskriminierung suchen. Niemand verlässt sein Zuhause, seine Freunde und Familie unter Gefährdung des eigenen Lebens einfach so. Diejenigen, die zu uns kommen, sind zunächst einmal weder eine Last noch ein Kostenfaktor, sondern das sind Menschen, die bei uns Schutz suchen und deshalb unseren Respekt verdienen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Verantwortung können wir aber nur dann ernsthaft übernehmen, wenn wir eine Flüchtlingspolitik in Europa gestalten, die Solidarität auch wirklich ernst meint, die Probleme nicht auf den Schultern geografisch zufällig günstig gelegener Länder ablädt, sondern die ein echtes Interesse an einer gemeinsamen europäischen Lösung hat. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zugegeben, eine optimale Lösung gibt es nicht. Dass es so nicht weitergehen kann, ist aber offensichtlich. Die Umstände, in denen Flüchtlinge, insbesondere in Griechenland, leben müssen, sind alles, aber mit Sicherheit nicht menschenwürdig. Völlig überfüllte Lager, in denen die Asylsuchenden unter unmenschlichen Bedingungen leben müssen, gehören dort zum Alltag. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 10 Prozent der griechischen Bevölkerung Flüchtlinge sind. Stellen Sie sich einmal vor, das wäre bei uns der Fall. Stellen Sie sich einmal vor, 10 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen würden hier Asyl suchen. Was glauben Sie, was hier los wäre? Griechenland ist damit vollkommen überfordert und fühlt sich zu Recht von uns alleingelassen. Egal ob Dublin II oder III: Das Kernproblem der extrem ungleichen Verteilung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in der Europäischen Union besteht weiterhin und bliebe im Übrigen auch dann bestehen, wenn wir dem Antrag der Linken in dieser Form zustimmen würden, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mit allen Problemen, die für Flüchtlinge und für die davon betroffenen Länder damit verbunden sind. Das kann und das darf so nicht weitergehen. Es liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung, hier endlich aktiv zu werden und eine Lösung zu finden, die genau das widerspiegelt, was wir immer wieder gerne sagen, wonach wir aber nicht immer handeln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Solidarität in Europa muss unser gemeinsames Anliegen sein. Wir lehnen Dublin II und III in seiner jetzigen Form deshalb ab, weil es unsozial ist, weil es unsolidarisch ist und weil es ungerecht ist. Stattdessen setzt die SPD auf Verantwortungsteilung, ohne der Illusion zu erliegen, dass es eine einfache Lösung geben kann. Quoten analog dem Königsteiner Schlüssel in Verbindung mit einem finanziellen Ausgleich bei Überschreitung selbiger können aber ein sinnvoller Ansatz sein; denn das entspricht erstens einer gemeinsamen europäischen Lösung, die solidarisch und gerecht ist, es trägt zweitens den Bedürfnissen der Migrantinnen und Migranten hinsichtlich Familienzugehörigkeit und Sprachkenntnissen zumindest besser, als es derzeit der Fall ist, Rechnung, und es ermöglicht drittens eine Harmonisierung der Schutzstandards, die nicht nur auf dem Papier steht, sondern die auch faktisch umgesetzt werden kann. (Beifall bei der SPD) Angesichts der menschenunwürdigen Bedingungen, wie wir sie heute in einigen Ländern vorfinden, ist genau das mehr als notwendig. Mit diesem Ansatz wäre es möglich, die Bedürfnisse der Asylsuchenden mit der Notwendigkeit einer solidarischen und gerechten Flüchtlingspolitik auf europäischer Ebene bestmöglich zu verbinden. Fest steht, dass wir uns diese Debatte nicht leichtmachen dürfen, fest steht aber auch, dass wir schnell zu Lösungen kommen müssen, die eine so extrem ungleiche Verteilung, wie wir sie derzeit in Europa erleben, endlich beenden. Bereits vor zehn Jahren hat Kofi Annan gesagt – ich zitiere –: Einwanderer brauchen Europa, aber Europa braucht auch Einwanderer. Diese stille Krise der Menschenrechte beschämt unsere Welt. Seitdem sind viele Menschen auf dem Seeweg nach Europa ertrunken. Sie haben sich auf den Weg gemacht, weil sie verfolgt werden, weil sie Angst um ihr Leben haben oder weil sie in ihrer Heimat ganz einfach keine Perspektive für sich sehen und in Europa auf ein besseres Leben hoffen. Was sie hier erwartet, sollte uns alle beschämen. Das sollte uns nachdenklich werden lassen, das sollte uns handeln lassen. Deshalb wünsche ich mir, dass wir uns – damit meine ich ausdrücklich auch die Fraktion Die Linke – unserer Verantwortung als Europäerinnen und Europäer stellen und eine solidarische Lösung finden, die vor allem einem gerecht wird: der Würde der Menschen, die bei uns Zuflucht suchen. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, liebe Kollegin Christina Kampmann. Auch Ihnen Gratulation des ganzen Hauses zu Ihrer ersten, sehr engagierten Rede. (Beifall) Aller guten Dinge sind drei: Später hören wir eine weitere erste Rede. Aber zunächst spricht der Kollege Wolfgang Gehrcke. Es ist nicht seine erste Rede, wahrscheinlich auch nicht seine letzte. (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Schönen Dank, Frau Präsidentin. Ich hatte natürlich erwartet, dass Sie jetzt sagen, dass Sie sich auf mich freuen. Aber wahrscheinlich ist das eine Selbstverständlichkeit. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Lampedusa und mit den Abschiebeknästen bringt sich europäische Flüchtlingspolitik auf den Begriff. Lampedusa, das ist die Insel, an deren Stränden die Leichen angeschwemmt werden. Lampedusa, das ist die Insel, an der die europäische Menschenrechtspolitik zerschellt. Das ist der Ausgangspunkt. Ich würde mich sehr freuen, wenn man den großen Gedanken des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – das gilt natürlich auch für die Würde des Flüchtlings –, „Sie zu schützen und zu achten ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt“ endlich im eigenen Land umsetzen würde. (Beifall bei der LINKEN) Flüchtlinge sind auch in diesem Land unerwünscht. Sie werden drangsaliert. Sie haben offensichtlich keine unveräußerlichen Rechte. Sie werden in Lager gepfercht und mit Arbeits- und Bewegungsverboten belegt. Das alles entspricht nicht dem Grundgesetz. Der Brief der Bürgermeisterin von Lampedusa hat mir schlaflose Nächte bereitet. Ich habe selten ein so erschütterndes Dokument gelesen. Kurz nach ihrer Wahl spricht sie von einem Massaker, bei dem Menschen sterben, als sei es ein Krieg. Was in der Flüchtlingspolitik passiert, ist in der Tat ein Krieg der Reichen gegen die Armen dieser Welt. (Beifall bei der LINKEN) Sie hat gesagt – ich will es Ihnen vortragen –, dass sie überzeugt ist, dass die europäische Einwanderungspolitik diese Menschenopfer in Kauf nimmt, um Migrationsflüsse einzudämmen. Sie meint, dass das eine Schande für Europa und die europäischen Regierungen ist. Ich finde in der Tat, das ist auch ganz konkret eine Schande für die Bundesregierung, für die vorangegangene und die jetzige, (Beifall bei der LINKEN) eine Schande, mit der man sich nicht abfinden darf, eine Schande, weil europäische Flüchtlingspolitik das Flüchtlingselend der Armen als Grundlage akzeptiert. Sie reagiert darauf vor allem mit Gewalt, Waffen und Menschenjägern. Ich möchte, dass Frontex – eine Agentur, die geschaffen worden ist, um Fluchtbewegungen einzudämmen und zu verhindern – abgeschafft und durch ein anderes politisches System ersetzt wird. Das ist die einzig logische Schlussfolgerung daraus. (Beifall bei der LINKEN) Ich bin überzeugt davon, dass man über Ursachen von Flucht reden muss, damit endlich die Heuchelei aufhört, wie sie in Sonntagsreden zum Ausdruck kommt, wenn wieder etwas Furchtbares passiert ist. Diese Reden drehen einem wegen ihrer Substanzlosigkeit ja nur den Magen um. Reden wir doch einmal über Fluchtursachen. Menschen fliehen, weil sie in ihren Heimatländern dem Hungertod ausgesetzt sind. 57 000 Menschen verhungern jeden Tag, während gleichzeitig an den Börsen mit Nahrungsmitteln spekuliert wird, auch von deutschen Banken. Das ist die Ursache für Flucht. (Beifall bei der LINKEN) Menschen fliehen vor Krieg und Gewalt. Mit Krieg und Gewalt sind immer auch geostrategische Interessen verbunden. Es geht um den Griff nach Naturressourcen. Menschen fliehen vor politischen Verfolgungen und vor den Folgen von Klimaveränderungen, die auch mit unserer Produktionsweise zu tun haben. All das sind in vielen Teilen der Welt letztlich Folgen des Kampfes um Ressourcen und geopolitischen Einfluss. Ressourcen und Macht wollen sich die Reichen dieser Welt sichern. Ich sage Ihnen sehr zugespitzt: Ein Wirtschaftssystem, das das Streben nach Profiten zur Grundlage hat, ist auch für die Fluchtbewegungen dieser Welt verantwortlich. (Beifall bei der LINKEN) Ich bin dafür, dass dieses kapitalistische Wirtschaftssystem endlich überwunden und durch ein gerechtes System ersetzt wird. Das ist für mich eine der Konsequenzen aus dem menschenverachtenden Umgang. (Beifall bei der LINKEN) Sogar in Europa werden Menschen diskriminiert. Leider ist der Kollege Gauweiler jetzt nicht mehr da. Ich hätte ihn gern direkt angesprochen. Deswegen wende ich mich an die anderen Kollegen von der Union. Ich hatte gehofft, dass Sie sich endlich aus dieser rechtspopulistischen Bewegung lösen. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Oh!) Sie bleiben aber bei der Linie von Roland Koch gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Erinnern Sie sich noch an den Satz: „Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?“ Sie bleiben bei der Linie von Rüttgers: „Kinder statt Inder“. Ihr Spruch „Wer betrügt, der fliegt“ ist nicht viel besser. Sie setzen auf Rechtspopulismus. Die Linke ist dafür, dass Rechtspopulismus entschieden bekämpft wird, wenn möglich, gemeinsam. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir finden uns nicht damit ab. „Wer betrügt, der fliegt“: Diese Losung sollten wir ernst nehmen; ich möchte sie einmal gegen die Banker und gegen die Politiker aus Ihren Reihen gerichtet sehen, die im Bayerischen Landtag betrogen haben, aber nicht gegen Menschen, die in dieses Land kommen, um hier leben zu können. Das würde Sinn machen. Danke sehr. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Gehrcke. – Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion hat als Nächster das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die schrecklichen Bilder von den Schiffskatastrophen vor Lampedusa, die auch über die Fernsehbildschirme in den deutschen Stuben liefen, können niemanden kaltlassen, der nur ein bisschen Herz hat. Diese Schiffskatastrophen sind schrecklich, sie sind erschütternd und sie dürfen uns auch nicht ruhig lassen: Sie dürfen uns hier im Deutschen Bundestag nicht ruhig lassen, sie dürfen die Bundesregierung nicht ruhig lassen, sie dürfen aber auch ganz Europa nicht ruhig lassen. Wir dürfen die Verantwortung nicht nur Italien, Griechenland oder Malta überlassen. Es ist ein europäisches Thema, die Flüchtlingssituation insgesamt zu verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen – da wird der Applaus nicht mehr so groß sein –, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So war es ja wohl gedacht!) Deutschland wird dieser Verantwortung gerecht. Wir sind solidarisch. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Frau Kollegin Jelpke, es kann nicht sein, dass man nur aus dem Flieger steigen muss, um in Deutschland Asyl zu bekommen. Kein Land in der Europäischen Union nimmt so viele Asylbewerber und Flüchtlinge auf wie Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU) Im letzten Jahr waren es insgesamt 109 000 Flüchtlinge und Asylbewerber, die einen Erstantrag in Deutschland gestellt haben. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele werden abgelehnt?) Das bedeutet allein von 2012 bis 2013 eine Steigerung um 70 Prozent. Deutschland kann sich, glaube ich, hier wirklich sehen lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, mich würde es wirklich freuen, wenn Sie einmal die Länder stärker in die Verantwortung nehmen würden, die hier ihren Anteil noch nicht leisten. In Deutschland kommen zum Beispiel auf 1 Million Einwohner 950 Asylbewerber. In Italien sind es gerade einmal 250. Die Beschwerde der italienischen Regierung, Italien werde über Gebühr belastet, ist also vollkommen verfehlt. Mich wundert auch, dass Sie sich in Ihrem Antrag nicht über das sogenannte Bossi-Fini-Gesetz echauffieren. Dieses Gesetz, das unter der italienischen Vorgängerregierung beschlossen wurde, sieht vor, dass ein Fischer, der einem Schiffbrüchigen hilft, sich wegen Schleppung strafbar macht. Es ist ein unmenschliches und verfassungswidriges Gesetz, das auch nicht im Einklang mit dem Völkerrecht und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Wo bleibt denn Ihr Appell an die italienische Regierung oder an das italienische Abgeordnetenhaus, dieses unsägliche Bossi-Fini-Gesetz abzuschaffen? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Mayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck? Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr gerne, selbstverständlich. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Beck, bitte. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege Mayer. – Ich glaube, wir sind uns hier im Hause einig, dass wir alle die flüchtlingsrechtliche Situation in Italien verurteilen. Ich hoffe zumindest, dass es bei der Linksfraktion auch so ist. (Zustimmung bei Abgeordneten der LINKEN) Ich finde, es ist eigentlich Aufgabe der Bundesregierung, im JI-Rat durch den Bundesinnenminister dafür zu sorgen, dass die Standards der Genfer Flüchtlingskonvention und des europäischen Flüchtlingsrechtes von allen Mitgliedstaaten eingehalten werden. Da die CSU ja in der letzten Wahlperiode den Bundesinnenminister gestellt hat, möchte ich gerne von Ihnen wissen: Welche Initiativen im JI-Rat in Brüssel hat der Bundesinnenminister ergriffen, um Länder wie Italien, aber auch Griechenland anzuhalten, sowohl im Verfahrensrecht als auch bei der materiellen Versorgung von Flüchtlingen endlich das Flüchtlingsrecht zu akzeptieren? Ich habe auf dem Oranienplatz gesehen: Die Leute kriegen 500 Euro in die Hand, damit sie hierherkommen; aber sie erhalten keine Versorgung mit Wohnraum und Nahrung, keinen Lebensunterhalt in Italien. Das entspricht nicht unseren Standards. Wir sind in der EU Vertragspartner der Italiener. Es gibt Möglichkeiten für Vertragsverletzungsverfahren. Die Bundesregierung hat hier meines Wissens nichts getan. Aber vielleicht können Sie mich darüber aufklären, was der Bundesinnenminister in den letzten vier Jahren getan hat, um unsere Standards durchzusetzen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Mayer, bitte. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Beck, ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Frage. Ich muss gestehen: Es entzieht sich meiner Kenntnis – ich war nie in Sitzungen des JI-Rats –, ob der vormalige Bundesinnenminister an seinen italienischen Amtskollegen die Botschaft adressiert hat, dass das Bossi-Fini-Gesetz abzuschaffen ist. Ich sage nur: Wir debattieren hier im Hohen Haus heute über einen Antrag der Linksfraktion, der sehr ausführlich die Vorstellungen der Linksfraktion zur europäischen Flüchtlingspolitik darstellt. Da vermisse ich ganz konkret zum Beispiel Forderungen an die italienische Adresse, die Gesetzeslage in Italien an europäische Menschenrechtsstandards anzugleichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht: Es muss unser gemeinsames Interesse sein, dass wir in den 28 Mitgliedsländern der Europäischen Union einheitliche Standards schaffen, was das Asylverfahren und was die Bedingungen in den Asylunterkünften anbelangt. Nur wundert es mich wieder, dass die Linksfraktion beantragt, dass der Asylbewerber sich aussuchen kann, in welchem Mitgliedsland er seinen Asylantrag stellt. Liebe Frau Kollegin Jelpke, ich billige Ihnen ja zu, dass Sie sich auch vor Ort kundig machen. Wir waren schon gemeinsam sowohl in Italien als auch in Griechenland und haben uns dort die Asylunterkünfte angesehen. Es ist erschreckend, es ist unmenschlich, es ist teilweise eines modernen westlichen Landes nicht würdig, wie dort Asylbewerber und Flüchtlinge untergebracht werden. Nur, was wäre die Folge, wenn Ihr Vorschlag greifen würde, dass sich ein Asylbewerber oder Flüchtling aussuchen kann, in welches Land er kommt? Der Anreiz für Griechenland und Italien, sich an europäische Standards anzugleichen und endlich einmal für ordentliche humanitäre Bedingungen zu sorgen, wäre noch geringer. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Mayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Petzold? Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr gern, selbstverständlich. Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön. – Herr Petzold, bitte. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Herr Kollege Mayer, wären Sie denn bereit, hier im Deutschen Bundestag gemeinsam einen solchen Aufruf an das italienische Parlament zu richten? Die Initiative würden wir sofort ergreifen, wenn die Union dabei mitmachen würde. Können Sie sich vorstellen, dass Ihre Fraktion dabei wäre? (Beifall bei der LINKEN) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Petzold, ich hätte überhaupt kein Problem mit einem derartigen Aufruf. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, an die LINKE gewandt]: Ja, dann los!) Sie versuchen immer, uns, insbesondere der CSU, zu unterstellen, also zu insinuieren, wir würden hier Rechtspopulismus fördern. Überhaupt nicht! Das Gegenteil ist der Fall. Ich bin der festen Überzeugung, dass es genau unsere Aufgabe ist, die italienischen Kollegen in der Camera dei deputati an ihre Verantwortung zu erinnern, dass sie das genannte Gesetz endlich abschaffen. (Beifall der Abg. Rüdiger Veit [SPD] und Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, nun aber noch einmal zum Beitrag Deutschlands, insbesondere was die aus meiner Sicht größte humanitäre Katastrophe anbelangt, die sich derzeit in unserer Nähe, in Syrien, abspielt. Es sind derzeit knapp 3 Millionen syrische Bürger auf der Flucht; es sind zum Teil Binnenflüchtlinge, und zum Teil sind die Flüchtlinge sogar außerhalb des Landes. Hier muss uns eines bewusst sein: Wir können nicht alle Probleme, die in Syrien bestehen, in Deutschland lösen. Aber auch hier zeigt sich Deutschland vorbildlich. Wir haben seit 2011 insgesamt über 26 000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Kein Land in der Europäischen Union hat so viele syrische Flüchtlinge aufgenommen wie Deutschland. Schweden und Deutschland allein haben über 60 Prozent aller syrischen Flüchtlinge aufgenommen. Wo bleibt der Beitrag der anderen Länder?, das ist die Frage. Hier vermisse ich wiederum, liebe Frau Kollegin Jelpke, Ihren Appell an die zuständige EU-Kommissarin Malmström, endlich einmal eine Konferenz einzuberufen, um zu erreichen, dass sich wirklich alle europäischen Länder an ihre Verantwortung gebunden fühlen. Es kann nicht sein, dass nur Deutschland in Vorleistung geht; die anderen Mitgliedsländer sollten sich einmal ein Beispiel an uns nehmen und auch entsprechende Kontingente für die Aufnahme syrischer Flüchtlinge zur Verfügung stellen. Wohlgemerkt: Noch kein einziger syrischer Flüchtling, der Aufnahme in Deutschland begehrt hat, ist abgelehnt worden. Auch hier, glaube ich, kann sich Deutschland wirklich sehen lassen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Mayer, die Kollegen sind neugierig. Erlauben Sie noch eine Zwischenfrage, jetzt vom Kollegen Gehrcke? Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Ja, selbstverständlich. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wo Sie schon gemeinsame Anträge schreiben! – Heiterkeit) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich weiß, dass ich durch meine Frage Ihre Redezeit verlängere; aber eine Antwort kann ja aufklärend sein. – Ich bin froh, dass die Bundesregierung sich mittlerweile entschlossen hat, 10 000 Flüchtlinge aufzunehmen. Es sind aber erst 2 500 ins Land gekommen. Der Prozess dauert unendlich lange. Ich habe syrischen Flüchtlingen im Libanon geholfen, nach Deutschland zu kommen, mithilfe des Auswärtigen Amtes. Ich bitte Sie, die Maßstäbe richtig zu sehen. Der Libanon hat 4,5 Millionen Einwohner, und dort sind 1 Million Flüchtlinge. Vizepräsidentin Claudia Roth: Es sind mehr. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Wenn es mehr sind, nehme ich die Korrektur durch die Präsidentin natürlich entgegen. – Nach meiner Kenntnis sind es 1 Million Flüchtlinge, und das bei 4,5 Millionen Einwohnern. Können Sie sich vorstellen, was in Deutschland los wäre, wenn man ähnliche Maßstäbe anlegen würde? Ich will das ja gar nicht; aber ich bin gegen die Selbstgerechtigkeit, angesichts dieser Katastrophe zu sagen, wir seien besser als andere. Dafür schäme ich mich. Ich möchte, dass wir Druck auf die anderen ausüben und selber vorangehen, indem unser Land sich vor der Genfer Friedenskonferenz endlich mehr für syrische Flüchtlinge öffnet. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das war jetzt eine verschlüsselte Frage, Herr Mayer. Sie können gerne darauf antworten. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Er übersetzt das bestimmt richtig!) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Gehrcke, ich habe nur dargestellt, wie die Leistung und der Beitrag Deutschlands derzeit aussehen. Ich möchte beileibe nicht den Eindruck erwecken, dass wir selbstgerecht sein dürften; ganz im Gegenteil. Es ist ein kleiner Teil, den Deutschland hier leistet; aber ich glaube, dieser kann sich durchaus sehen lassen. Ich würde mir wirklich wünschen, dass sich andere Länder zumindest einmal auf das Niveau begäben, das wir in Deutschland haben. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das fordern wir auch!) Sie haben natürlich vollkommen recht: Es steht in keinem Verhältnis zu dem, was sich derzeit in den Anrainerstaaten Syriens, insbesondere im Libanon und in Jordanien, aber auch in der Türkei, abspielt. Frau Kollegin Jelpke, wir waren ja gemeinsam an der syrisch-türkischen Grenze. Auch die Türken haben mittlerweile weit über 500 000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Es würde mich freuen, wenn Sie dazu in Ihrem Antrag einmal einen Dank formulierten: an Jordanien, an die Türkei, an den Libanon. (Rüdiger Veit [SPD]: Das machen wir dann gemeinsam!) Denn die Leistungen – Sie haben es richtigerweise erwähnt –, die in diesen Ländern erbracht werden, sind wirklich bemerkenswert. Aber auch hier leistet Deutschland seinen Beitrag. Zur Stunde sind 15 deutsche THW-Helfer in Jordanien in einem Flüchtlingslager im Einsatz. Wir werden jetzt gemeinsam mit dem THW ein neues Flüchtlingslager im Nordirak aufbauen. Das heißt, Deutschland nimmt nicht nur syrische Flüchtlinge auf, sondern wir bringen uns auch in starkem Maße bei der Verbesserung der Situation vor Ort ein. Nach den USA ist Deutschland der zweitgrößte Geldgeber, was die humanitäre Hilfe für Syrien anbelangt. Ich möchte, wie gesagt, lieber Herr Kollege Gehrcke, beileibe nicht selbstgerecht, überheblich oder arrogant wirken; aber was Deutschland sowohl im Inland als auch im Ausland leistet, kann sich sehen lassen. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Da klatschen ja nicht mal die eigenen Leute!) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns mit weiteren Vorschlägen der Linksfraktion auseinanderzusetzen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich halte es wirklich für verantwortungslos und zynisch, wenn Sie in Ihrem Antrag fordern, Frontex und EUROSUR abzuschaffen. Allein durch Frontex-Beamte sind in den letzten zwei Jahren über 40 000 Flüchtlinge in Seenot gerettet worden. Seit dem 3. Oktober letzten Jahres, also dem Tag der großen Schiffskatastrophe vor Lampedusa, haben Frontex-Beamte über 16 000 Flüchtlinge in Seenot gerettet. Frontex ist kein Abschottungsinstrument, sondern in vielen Bereichen ein Hilfsinstrument. Gleiches trifft auf EUROSUR zu. EUROSUR ist ein Grenzüberwachungssystem, das dazu beitragen soll, dass Schiffbrüchige schneller gefunden, schneller detektiert werden. Deshalb würde ich es für fatal halten, wenn man EUROSUR und Frontex abschaffen würde. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns aber auch dem zentralen Thema in dieser Frage zuwenden: Was muss unternommen werden, um die Fluchtursachen zu bekämpfen? Auch hier ist die Europäische Union schon tätig. Aber nichts ist so gut, dass man es nicht noch verbessern oder erweitern könnte. Es gibt Informationskampagnen, regionale Schutzprogramme, Mobilitätspartnerschaften, aber auch Rückkehrprogramme. Ich denke, dass es ganz entscheidend darauf ankommt, die Fluchtursachen und insbesondere die schreckliche Schleuserkriminalität und den Menschenhandel zu bekämpfen. Dass der Bootsführer – ich möchte ihn gar nicht Kapitän nennen – des Schiffes, das am 3. Oktober letzten Jahres vor Lampedusa untergegangen ist, für seine „Dienstleistung“ – in Anführungszeichen – 500 000 Dollar bekommen hat, ist wirklich erschreckend und zeigt deutlich auf, um was es hier konkret geht, nämlich um organisierte Kriminalität. Es geht um organisierten Menschenhandel. Leidtragende sind die Flüchtlinge, die 2 000 oder 3 000 Dollar berappen müssen; die ganze Familie muss sparen, um es zu ermöglichen, dass ein Familienmitglied den Weg antritt. Wir müssen auch in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern stärker gegen dieses organisierte Verbrechen, gegen diesen Menschenhandel vorgehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Aufkündigung von Dublin II bzw. Dublin III wäre ebenfalls verantwortungslos und stünde deutschen Interessen diametral entgegen. Ich sage zum Abschluss: Es ist richtig und gut, dass wir uns hier mit diesem wichtigen Thema auseinandersetzen. Nur sind die Vorschläge, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, unterbreiten, in keiner Weise zielführend und in vielen Bereichen sogar diametral gegen deutsche Interessen gerichtet. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Mayer. – Der nächste Redner ist Tom Koenigs für Bündnis 90/Die Grünen. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Katastrophe von Lampedusa war es für jeden offensichtlich – das hat auch jede Rednerin und jeder Redner heute gesagt –, dass etwas passieren muss, und zwar eine organisierte europäische Antwort. Denn es geht hier um die europäische Außengrenze. Man kann die Freizügigkeit immer wieder preisen – das ist eine gute Sache –; aber dadurch werden die Außengrenzen der Europäischen Union definiert. Das, was an diesen Außengrenzen passiert, liegt in europäischer Verantwortung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb hatte man eine organisierte europäische Antwort erwartet. Das, was herausgekommen ist, ist aber eine organisierte Verantwortungslosigkeit der einzelnen Länder, vor allem Deutschlands. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Denn das Land, das von Dublin II am meisten profitiert, ist Deutschland. Mein Vorredner hat eben gesagt, man müsse auch die deutschen Interessen berücksichtigen. Ja, ja, das Interesse des Innenministers war nicht ein europäisches Interesse an einem geordneten Asylverfahren, an Menschlichkeit an den europäischen Grenzen, sondern das Interesse an einer Abschottung Deutschlands. Wenn Italien die Europäische Union auffordert, zu helfen, wenn Griechenland die Europäische Union auffordert, zu helfen, dann geht es da nicht primär um die Anzahl aufzunehmender Asylbewerber, sondern um das Verfahren. Die Katastrophe ist doch das Asylverfahren, also die Zeit, bis den Betroffenen überhaupt eine Entscheidung vorliegt. Da fehlt es in Griechenland und in Italien in hohem Maße. Jetzt wird in den Antworten – das kam auch in Ihrer Rede vor, Herr Mayer – immer wieder auf die Schlepperkriminalität verwiesen; da müsse man etwas machen. Aber das hilft den Flüchtlingen selbst gar nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das hat nichts mit den Fluchtursachen zu tun!) Das eigentliche Problem ist, dass es keine europäische Agentur zum Schutz der Flüchtlinge gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt lediglich eine Agentur zum Schutz und zur Überwachung der Grenzen. Was wird jetzt gemacht? Die Grenzen werden weiter nach außen verschoben, immer weiter in die – wie Sie sagen – Herkunftsländer. In Wirklichkeit sind es Transitländer; denn diejenigen, die auf dem Weg nach Lampedusa scheitern oder dort ankommen, sind nicht Libyer oder Tunesier, sondern Eritreer, Somalier, Syrer oder sogar Afghanen. Die Länder werden in windigen Abkommen dazu aufgefordert, ihrerseits das Nötige zu tun, um eine Flucht nach Europa zu verhindern. Wie es dann jenen geht, die schon in Libyen Flüchtlinge sind, darum kümmert sich die EU nicht. Das läge aber in ihrer Verantwortung. Ich glaube, dass die „Mobilitätspartnerschaft“, das Mittel der Wahl der Europäischen Kommission – im Migrationsbericht kam es nicht so recht vor –, das Potenzial zum Unwort des Jahres 2014 hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Denn das, was eigentlich gemacht wird, ist eine organisierte Verantwortungslosigkeit der Europäischen Union, die sagt: Wir nicht! Mit denen haben wir nichts zu tun. Macht ihr das! Was die einzelnen Länder machen, das sieht man ja. Die damals mit Gaddafi geschlossene Partnerschaft zwischen Italien und Libyen wird gegenwärtig fortgesetzt. In Libyen gibt es keinerlei Gesetzgebung zum Schutz von Asylbewerbern. Die Vereinbarung über die Rückübernahme von Flüchtlingen aus Drittstaaten, über die mit der Türkei verhandelt wird, ist ebenfalls sehr zweifelhaft. Denn auch in der Türkei gibt es keine entsprechende Gesetzgebung zum Schutz von Flüchtlingen. Noch vor zwei Jahren haben die Türken Flüchtlinge aus dem Iran in den Iran zurückgeschoben. Wollen wir das? Wollen wir weiter dafür verantwortlich sein? Ich glaube, nein. Im Koalitionsvertrag steht richtigerweise: Am Non-Refoulement halten wir fest. – Davon dürfen wir nicht abrücken, auch nicht auf dem Weg durch die Hintertür, über Mobilitätspartnerschaften mit Marokko, Moldau, Georgien, Armenien, Libyen, Ägypten, Algerien, Libanon, mit all den Ländern, mit denen das ausgehandelt wird. Denn gerade diese Länder schützen Flüchtlinge nicht vor massiver Diskriminierung. Das gilt übrigens auch für den Kosovo. In Tunesien werden die Flüchtlinge sogar in die Wüste getrieben. Das ist kein Schutz für die Flüchtlinge, sondern das ist eine Kampagne gegen die Flüchtlinge. Das zeigt, dass man aus Lampedusa, dieser offenen Wunde der europäischen Verantwortung, keine Konsequenzen gezogen hat. Das ist vielmehr organisierte Verantwortungslosigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Tom Koenigs. – Die nächste Rednerin in der Debatte ist Sabine Bätzing-Lichtenthäler. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): Herzlichen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich liebe meine Heimat. Das ist kein Wahlkampfslogan. Das ist eine Feststellung. Meine Heimat ist das, was mich geprägt hat, die Region, in der ich aufgewachsen bin, in der meine Familie verwurzelt ist. Sosehr ich meine Arbeit im Bundestag und auch die Zusammenarbeit mit Ihnen allen schätze, so freue ich mich doch jedes Mal, wenn ich nach einer Sitzungswoche die mir vertraute Landschaft des Westerwaldes, meiner Heimat, wiedersehe. Ohne meine Heimat, ohne diesen Ort, an den ich zurückkehren kann, würde mir etwas fehlen. So unterschiedlich wir, die wir hier zusammensitzen, auch sind, ich bin mir sicher: Es geht Ihnen allen ähnlich. Dostojewski hat gesagt, dass ohne Heimat zu sein, zu leiden hieße. Dem kann ich mich nur anschließen. Ich frage mich: Wie verzweifelt muss man also sein, um seiner Heimat den Rücken zu kehren? Wie brutal muss die eigene Existenz über den Haufen geworfen werden, damit man die eigenen Wurzeln zurücklässt? Wie groß muss die Angst sein, wenn man das eigene Leben riskiert, um von dem Ort wegzukommen, an dem man das Leben begonnen hat? Was in den Menschen vorgeht, die ihre Heimat verlassen müssen, die fliehen müssen, können wir uns hier vermutlich intellektuell erschließen. Wir können auch die rationale Entscheidung, das eigene Leben schützen zu wollen, verstehen. Wir können akzeptieren, dass Menschen in anderen Ländern ein besseres Leben suchen. Auf dieser rationalen Ebene ist es für uns leicht, über Menschen und ihre Motivation zu diskutieren. Aber ich bezweifle, dass wir auf emotionaler und psychologischer Ebene verstehen, was in Menschen vorgeht, die keine andere Wahl haben, als ihr Heimatland zu verlassen, die ihre Familie, ihre Freunde, ihre Stadt, ihre Region, ihr Land, ihre Kultur, ihr bisheriges Leben zurücklassen, weil sie es müssen, die ihre Zukunft Schleuserbanden, zwielichtigen Gestalten, fragwürdigen Mittelsmännern und gefährlichen Routen anvertrauen, weil ihnen keine Wahl bleibt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir in der Debatte um Flüchtlinge und Migration nicht vergessen. Die Menschen, die ihrer Heimat den Rücken kehren, tun dies nicht aus Langeweile und Abenteuerlust. Sie tun es aus Not, sie tun es aufgrund von Gefährdung, und sie tun es aus Mangel an Alternativen. Wenn wir eine ehrliche Debatte über Flucht und Migration führen wollen, müssen wir uns dessen bewusst sein. Andernfalls laufen wir Gefahr, platten Parolen aufzusitzen und jeden Menschen, der versucht, hier Zuflucht zu finden, als Bedrohung anzusehen. Das dürfen wir nicht zulassen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir dürfen auf der anderen Seite auch rationale Erwägungen nicht außen vor lassen. Daraus folgt ganz eindeutig, dass wir einen Kompromiss finden müssen zwischen dem, was wir wollen, und dem, was wir können. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass wir mehr tun können, als wir derzeit tun. Unsere SPD-Fraktion hat wiederholt eine Flüchtlingspolitik gefordert, die Würde und Sicherheit der Flüchtenden in den Mittelpunkt rückt. Dies haben wir als Arbeitsauftrag in den Koalitionsvertrag geschrieben. Wir werden mit aller Kraft dafür arbeiten, dass dies konkret Umsetzung findet. Wir wollen mehr Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union hinsichtlich der Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen. Die Mittelmeeranrainer fühlen sich schließlich nicht zu Unrecht alleingelassen mit dem Problem, Tausende Flüchtlinge, die an ihren Küsten anlanden, zu versorgen. Eine bessere Verteilung, ein Mehr an Solidarität unter den Mitgliedstaaten ist dringend nötig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Wenn man ein Ranking der EU-Mitgliedstaaten erstellen würde, das das Verhältnis von Einwohnern zu aufgenommenen Flüchtlingen aufzeigt – mich hat die eine oder andere Zahl, die ich hier heute Vormittag gehört habe, durchaus gewundert –, käme die Bundesrepublik auf einen bescheidenden achten Platz. Da ist noch Luft nach oben. Griechenland ist mittlerweile ein Beispiel für das absolut gegenteilige Extrem. Eine Kollegin hat es vorhin schon erwähnt: Jeder zehnte Mensch dort ist Flüchtling, und das in einem Land, das sich ohnehin in einer prekären Lage befindet. Da können wir uns doch nicht auf unserem Wohlstand und unserer vielleicht günstigeren geografischen Lage ausruhen. Unsere SPD-Innenminister fordern schon lange, in diesem Bereich wirklich etwas voranzubringen. Mit der Übernahme der Regierungsverantwortung auf Bundesebene sind wir jetzt in der Lage, mehr zu tun. Denn die europäische Flüchtlingspolitik ist wahrlich kein Feld, das uns bisher mit Stolz erfüllt. Alle Rednerinnen und Redner vor mir haben das tragische Unglück vom Oktober letzten Jahres angesprochen. Es hat der europäischen Öffentlichkeit auf dramatische Weise vor Augen geführt, wie groß die Problematik von über den Seeweg flüchtenden Menschen wirklich ist. Auch das ist ein Hinweis, wie verzweifelt diese Menschen sind. Sie wissen, dass sie sich in Lebensgefahr begeben, wenn sie in überfüllten Booten in See stechen. Im vorliegenden Antrag fordern die Kolleginnen und Kollegen der Linken, dass die Seenotrettung nicht durch Straf- und Sanktionsandrohungen behindert wird. In diesem Punkt herrscht hier sicherlich Einigkeit; denn dieses Mindestmaß an Mitmenschlichkeit darf nicht durch vermeintliche politische Vorgaben kompromittiert werden. Daher werden wir auch diesem Punkt, der sich an entsprechender Stelle im Koalitionsvertrag wiederfindet, Nachdruck verleihen und ihn umsetzen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass niemand mehr zurück ins Meer getrieben oder in Seenot seinem Schicksal überlassen wird. Das ist das Minimum, und das sind wir nicht nur den Betroffenen, den Flüchtlingen, schuldig, sondern auch uns selbst. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie schreiben in dem vorliegenden Antrag ganz richtig, dass auch Fluchtursachen beseitigt werden müssen. Auch dies ist nachvollziehbar. Durch eine bessere Abstimmung zwischen den verschiedenen Ressorts auf nationaler und europäischer Ebene lassen sich langfristig voraussichtlich einige Ursachen für unfreiwillige Migration ausräumen. Auch dies haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. Ich lade Sie alle ein: Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, diese Missstände wirklich zu beseitigen. Zeigen wir auch hier gemeinsam Solidarität. Der Antrag der Linken ist in einem Punkt für uns so nicht zustimmungsfähig; auch das wurde schon mehrfach angesprochen. Es geht um die recht pauschale Forderung, Frontex aufzulösen. Sie fordern sehr pauschal die Auflösung von Frontex, ohne eine Alternative aufzuzeigen, wie eine gemeinsame europäische Grenzsicherung aussehen könnte. Frontex ist der Öffentlichkeit vor allem durch die Grenzschutzfunktion und die Rückführung von Flüchtlingen bekannt. Allerdings wird durch Frontex auch die Ausbildung von Grenzschutzbeamten in den Mitgliedstaaten unterstützt; zudem werden Standards der Ausbildung festgelegt. Mit anderen Worten: Wenn uns daran gelegen ist, die Behandlung von Flüchtlingen an Europas Grenzen einheitlich zu gestalten und vor allem zu verbessern, dann wäre Frontex hier vielleicht sogar ein guter Ansatzpunkt. Dies soll uns natürlich nicht davon abhalten, die Arbeit kritisch zu begleiten. Auch beim Thema der freien Wahl des Landes, in dem ein Asylantrag gestellt wird, sind wir anderer Meinung als Sie. Nicht dass Sie uns missverstehen: Dublin II und III sind nicht perfekt – das ist bei Kompromissen ja meistens so –, und es gibt Veränderungsbedarf; auch das haben wir hier gehört. Aber durch die Verordnungen wurde zumindest erreicht, dass sich die Mitgliedstaaten kein Race to the Bottom liefern, um sich als möglichst wenig attraktiv für Flüchtlinge darzustellen. Im vergangenen Jahr fuhren durch Großbritanniens Straßen Lkw, beklebt mit Plakaten, die illegale Einwanderer zur Heimreise aufforderten. Diese waren nicht etwa Wahlkampfflaggschiffe rechtsextremer Parteien, sondern sie waren Teil einer offiziellen Kampagne der Regierung, um die Zahl unerwünschter Einwanderer zu reduzieren. So unglaublich uns diese Aktion vorkommen mag: Solche Aktionen werden nicht weniger werden, wenn bei der Verteilung von Flüchtlingen keine Koordinierung auf europäischer Ebene erfolgt. Von daher sehen wir die Forderung nach einer freien Wahl des Landes, in dem ein Asylantrag gestellt wird, eher skeptisch. Sie sehen: In vielen Punkten liegen unsere und Ihre Positionen gar nicht so weit auseinander. Es gibt aber auch Punkte, über die wir in den anstehenden Antragsberatungen sicher noch einmal eingehend miteinander diskutieren müssen. Erlauben Sie mir zum Abschluss meiner Rede, auf den Begriff der Heimat zurückzukommen. Ich möchte den Schriftsteller Robert Lee Frost zitieren. Frost sagte einmal, dass die Heimat der Ort sei, „wo sie einen hereinlassen müssen, wenn man wiederkommt“. Von daher sollten wir uns während der Debatte um die Flüchtlingspolitik immer vor Augen führen, dass die Menschen, um die es geht, nicht freiwillig zu uns gekommen sind. Und wahrscheinlich haben sie die Hoffnung auf ihre Heimat nicht aufgegeben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Bätzing-Lichtenthäler. – Der nächste Redner ist Marian Wendt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marian Wendt (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Wir führen heute eine Debatte zu einem Thema, das in den Medien und in der Öffentlichkeit in den letzten Wochen sehr emotional diskutiert wurde. Gerade als Volkspartei nehmen wir die Stimmung der Bürgerinnen und Bürger von allen Seiten immer wieder sehr ernst. Aber wir erleben auch, dass mit falschen Fakten und Argumenten bestimmte Ansichten in der Bevölkerung zum Thema Asyl und Flüchtlinge bewusst geschürt werden. Daher rate ich zu einer Versachlichung und Differenzierung der Debatte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie mal auf den nächsten CSU-Parteitag!) Leider leistet der uns vorliegende Antrag der Linken hierzu keinen Beitrag. Die Linken werfen wie so oft mit falschen Pauschalurteilen um sich. Da ist zum Beispiel von einer Abschottungspolitik der Europäischen Union die Rede. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt aber auch pauschal! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ungeheuerlich!) Dabei haben rund 340 000 Menschen im Jahr 2012 und 390 000 Menschen im Jahr 2013 in der EU einen Asylantrag gestellt. Weiterhin wird vorgeworfen, die europäische Grenzschutzagentur verhalte sich menschenrechtswidrig. Dabei verdanken wir gerade der Grenzschutzagentur Frontex und der italienischen Küstenwache, dass allein vom 3. Oktober 2013, dem Tag der bedauerlichen und schrecklichen Tragödie von Lampedusa, bis zum 8. Januar dieses Jahres 17 000 Personen aus Seenot gerettet wurden; jawohl, gerettet. Die Widerlegung falscher Tatsachenbehauptungen könnte ich hier noch fortführen; doch vieles wurde bereits von meinen Vorrednern aufgegriffen. Ich möchte mich in meiner Rede auf drei wesentliche Punkte konzentrieren: erstens die Ursache für Flucht und Migration, zweitens die Maßnahmen der Bundesregierung und der Europäischen Union sowie drittens den Umgang mit Asylbewerbern vor Ort in unserem Land. Erstens. Wir alle wissen, dass sich die Situation in den Krisenherden um Europa herum in den vergangenen Jahren leider nicht verbessert hat. In diesen Ländern entscheiden sich die Menschen zumeist aus politischen Gründen zur Ausreise nach Europa. Nicht weniger maßgebend sind wirtschaftliche und soziale Gründe für Flucht und Migration. Armut, Hunger, Perspektivlosigkeit und fehlende Existenzgrundlagen im Heimatland sind nur einige der Ursachen, die Menschen den schwierigen Weg aus ihrer Heimat antreten lassen. Deswegen müssen wir dafür sorgen und uns engagieren, dass wir diese Regionen um Europa herum stabilisieren – nicht mit Waffen, sondern mit Diplomatie, Gesprächen und Hilfsangeboten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Zweitens. Was wurde in Deutschland und in der Europäischen Union im Bereich Migration und Flüchtlinge bereits unternommen? Wir sind nicht tatenlos geblieben. Grundsätzlich wird Deutschland seinen historischen und humanitären Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen gerecht. Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist 2013 im Vergleich zum Vorjahr um 64 Prozent angestiegen. Im Jahr 2012 hatte unser Land rund 23 Prozent, also knapp ein Viertel, der in der EU registrierten Asylanträge zu bewältigen. Das ist deutlich mehr als Deutschlands Anteil an der gesamteuropäischen Bevölkerung von 16 Prozent. Andere Länder wie etwa Spanien haben nur 0,7 Prozent der Asylbewerberanträge angenommen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele werden denn anerkannt, Herr Kollege?) So viel zu dem, was Deutschland bereits geleistet hat. Gerade am Beispiel der syrischen Flüchtlinge wird die Verantwortungsbereitschaft unseres Landes mehr als deutlich. Im vergangenen Monat hat sich Deutschland bereit erklärt, insgesamt 10 000 Flüchtlinge allein aus Syrien aufzunehmen. Neben dieser Zusage für Syrien legt Deutschland seinen Hilfsschwerpunkt in die Region selbst. So wurde seit 2012 Unterstützung in Höhe von 432 Millionen Euro in Syrien geleistet. Diese wird für humanitäre Hilfe, zur Krisenbewältigung und zum Aufbau von Strukturen im Land verwendet. Zudem leistet das Technische Hilfswerk seit Juli 2012 eine sehr verdienstvolle Arbeit in der Region, insbesondere bei der Trinkwasserversorgung in den Flüchtlingscamps in Jordanien und Irak. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Wir wollen die Ursachen vor Ort bekämpfen, damit die Menschen ihre Heimat nicht verlassen müssen. Das muss Ausgangspunkt unserer Arbeit sein. Ebenso arbeiten wir auf europäischer Ebene sehr eng mit unseren Partnern daran, das gesamte europäische Asylsystem zu reformieren. Fünf Punkte seien hier erwähnt: eine bessere Zusammenarbeit mit Drittstaaten, ein verbesserter Flüchtlingsschutz, die Bekämpfung von Menschenhändlern und Schleusern, eine effizientere Grenzüberwachung sowie größere Solidarität mit den EU-Staaten, die unter hohem Migrationsdruck stehen. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schließt sich doch gegenseitig aus!) Diese Maßnahmen sind nach meiner Ansicht sachdienlich und sollten zügig umgesetzt werden. Eine grundsätzliche Neuausrichtung der EU-Flüchtlingspolitik, wie sie gefordert wird, ist fehl am Platz. Damit komme ich zu meinem dritten und letzten Punkt: Wie gehen wir mit Asylbewerbern hier in Deutschland um? Viele unserer Kollegen haben in ihren Wahlkreisen vor Ort bereits Erfahrungen mit der Unterbringung und dem Leben von Asylbewerbern gemacht. Vor kurzem habe ich persönlich in meinem Wahlkreis syrische und tschetschenische Flüchtlingsfamilien besucht und kennengelernt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Wir tun gut daran, uns öfter in die Lage dieser Migranten hineinzuversetzen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ihre Motive zu verstehen. Nicht alle Asylbewerber suchen ein bequemes Leben in unserem Land. Viele, wie die syrischen Flüchtlinge, sind existenziell bedroht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Keiner dieser Menschen verlässt seine Heimat gern. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird mit seinen Entscheidungen diesen Schicksalen gerecht, sodass die Ablehnungsquoten für Flüchtlinge aus Ländern wie Afghanistan, Irak und Syrien niedrig sind. So wurden bereits seit 2011 keine Personen mehr nach Syrien abgeschoben. Meine Damen und Herren, wir sollten klar zwischen den verschiedenen Gruppen und den Ursachen der Migration unterscheiden. In jedem Fall müssen wir die Motive der Asylsuchenden den Einwohnern in den Städten und Gemeinden besser erklären. Denn gute Kommunikation zwischen allen Beteiligten ist sehr wichtig, um gemeinsam Lösungen für die Asylbewerber vor Ort zu finden und sie zu integrieren. Gerade für mich als Christ ist es wichtig, zu betonen, dass alle berechtigt Schutz Suchenden in Deutschland willkommen sind. Wir sollten diese Menschen als Gewinn für unser Land ansehen. Viele sind bereit, hier zu arbeiten, sich gesellschaftlich zu engagieren und sich zu integrieren. Die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, die ich persönlich sehr schätze, hat hierzu einmal gesagt: Wir dürfen nicht den Fehler machen, Flüchtlinge nicht für leistungsfähig zu halten. Wer auf Tausenden von Kilometern schreckliche Strapazen überwunden hat, besitzt große mentale und körperliche Stärken. (Rüdiger Veit [SPD]: Genau!) Auf der anderen Seite sollten wir aber den Asylbewerbern, die keinen berechtigten Grund für eine Aufnahme in unserem Land haben oder gar nur hierher kommen, um Zugang zu unseren Sozialsystemen zu bekommen, keine falschen Versprechungen machen. Diese Bewerber, die keine Schutzgründe haben, müssen wir zügig wieder ausweisen. Deutschland kann schlicht nicht alle Migranten dieser Welt aufnehmen. Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich zusammenfassen: Wir müssen zwischen den Asylbewerbern genau differenzieren. Unser Hilfsangebot gilt den berechtigt Schutz Suchenden. Ihnen sollten wir mit Offenheit, Verständnis und Menschlichkeit begegnen; denn schon im Neuen Testament, in der Bergpredigt, heißt es: Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, Kollege Marian Wendt. – Nicht nur Ihre Fraktion gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten sehr engagierten Rede, sondern auch das gesamte Haus. (Beifall) Wir wünschen Ihnen eine erfolgreiche Arbeit in Ihrer neuen Funktion. Als Nächster hat Rüdiger Veit für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD) Rüdiger Veit (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Von der Bibel über Papst Franziskus bis hin zu weiten Teilen hier im Haus herrscht Einigkeit: Aus Gründen der Wahrung der Menschenrechte besteht Handlungsbedarf. Warum wir mit der Fraktion der Linkspartei nicht ganz einig sind, haben meine beiden Kolleginnen Christina Kampmann und Sabine Bätzing-Lichtenthäler bereits überzeugend dargelegt. Ich will nur zwei, drei Punkte vertiefen und mit ein paar nüchternen Zahlen einen weiteren Beitrag zu der heute im Übrigen dankenswerterweise weitgehend sachlich verlaufenden Debatte leisten. Ich muss zwei Vorbemerkungen machen. Die erste Vorbemerkung betrifft das Schleuserunwesen. Es ist selbstverständlich, dass diese kriminellen Machenschaften zulasten von Leib und Leben der Flüchtlinge von uns allen massiv verurteilt werden und wir bestrebt sein müssen, solche Machenschaften überall zu bekämpfen. Wir müssen aber auch den Zusammenhang erkennen: Je besser, „effektiver“ – in Anführungszeichen – Europa sich abschottet, je wirksamer die Grenzkontrollen werden, je mühsamer die Wege werden und je gefährlicher es wird, von Drittstaaten aus nach Europa zu gelangen, desto mehr befördern wir die Konjunktur der Schleuser und Menschenhändler. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das – das müsste jedem einleuchten – macht die Sache so kompliziert. Der Kollege Wendt hat in seinem Beitrag gerade von der Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit von Flüchtlingen geredet: Derjenige, der sich – etwa durch die Wüste – auf den Weg macht, um überhaupt ans Mittelmeer zu kommen, wird das nicht mit Flip-Flops und einer Flasche Mineralwasser schaffen. Über das Mittelmeer kommt man auch nicht allein, allenfalls vielleicht noch über den Fluss Evros, wenn dieser nicht allzu hoch Wasser führt. Jemand, der diese Hindernisse überwinden will, braucht Hilfe, braucht Organisation, braucht Background; ohne geht es nicht. Das müssen wir erkennen, und wir müssen versuchen, darauf eine differenzierte Antwort zu finden. Die zweite Vorbemerkung, die ich machen muss: Ich teile nicht die allgemeine Verteuflung der Grenzschutzagentur Frontex. Wir haben auf Reisen des Innenausschusses des Deutschen Bundestages – sowohl nach Lampedusa, 2006, Griechenland/Athen, 2009, Libyen und Malta, 2010, Griechenland erneut, September 2011 und zuletzt im Mai 2013 – das eine oder andere Beispiel segensreichen Wirkens von Frontex erlebt, und darauf will ich hinweisen. Jedes Mal, glaube ich, waren die Kollegin Ulla Jelpke und ich gemeinsam unterwegs. Bei den drei Reisen nach Griechenland war auch der Kollegen, Stephan Mayer dabei. Von der vorletzten Reise will ich einmal das folgende Erlebnis schildern: Wir haben gehört – von Betroffenen auf griechischer Seite, auf türkischer Seite und von Menschenrechtsorganisationen –, dass der Beitrag deutscher Bundespolizisten an der Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland, im Evrosgebiet, durchaus segensreich, deeskalierend und im Sinne der betroffenen Menschen gewirkt hat. Das hat man uns vor Ort gesagt und näher geschildert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Daran sollten wir bitte nicht zweifeln. Wir haben übrigens auch gehört, dass die deutschen Bundespolizisten – auch das ist anerkennenswert – angesichts der katastrophalen, menschenunwürdigen Bedingungen in Flüchtlingsunterkünften – besser gesagt: Gefängnissen oder Schuppen, die zu Gefängnissen umgebaut waren – in Tychero oder in Fylakio nicht einmal mehr eine optische Verbindung hergestellt wissen wollten zwischen deutschen Polizeiuniformen und griechischen Aufnahmebedingungen. Als wir im Hafen von Lampedusa waren, hatte ich den leichtsinnigen Einfall, wenigstens ein Schiff der Küstenwache zu besichtigen – mit der Konsequenz, dass wir dann alle sieben, die da lagen, aufsuchen mussten und die Zeit nicht reichte. Wir haben dort gesehen – auch anhand von Videoaufnahmen –, dass die Schiffe in der Tat bis Windstärke 7 rausfahren, um aktiv Seenotrettung zu betreiben; davon konnten wir uns überzeugen. Wir haben auf Malta die quasi unbenutzten – damals unbenutzten – neuen Boote der maltesischen Küstenwache gesehen, die extra dafür ausgelegt sind, hinten auf dem Achterdeck eine große Zahl Menschen und Flüchtlinge aufzunehmen. Man muss das alles also sehr differenziert sehen, da gibt es Licht und Schatten. Ich bin froh, dass wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, hinsichtlich der Betrachtung der Aktivität von Frontex die menschenrechtliche Komponente in den Vordergrund zu stellen. Das waren angesichts des Rests meiner Redezeit viel zu lange Vorbemerkungen. Ich will trotzdem noch zwei Punkte besonders aufgreifen: Ich kam vorhin gerade noch rechtzeitig herein, um zu hören, wie der Kollege Gauweiler als letzter Redner der Debatte weniger europäische, zentrale Zuständigkeit und dafür mehr nationale Zuständigkeit gefordert hat. Ich muss Ihnen ehrlicherweise sagen: Wenn es um Flüchtlingspolitik geht, sollten wir alle gemeinsam bestrebt sein, in die Gegenrichtung unterwegs zu sein. Seit dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, seit den Beschlüssen von Den Haag und Stockholm wird immer wieder gesagt, wir bräuchten eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik. Jetzt hat man vereinbart, ab Mitte 2015 mit einem neuen Projekt zur gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingspolitik – das deutsche Kürzel ist GEAS – voranzugehen. Seit ich dem Deutschen Bundestag angehöre, versuche ich aufmerksam die Passagen zur Flüchtlingspolitik in den Berichten der JI-Räte zu lesen. Aber was erleben wir? Was muss man jedes Mal sehen? Wer richtig zugehört hat, hat das schon vernommen: Jedes Mal seit 1998, wenn die Europäische Kommission eine Fortschreibung in menschenrechtlich vernünftiger Weise anstrebt – in der Regel unterstützt vom Europäischen Parlament –, sind es die Mitgliedstaaten und ihre Minister, die versuchen, das zu verwässern, herunterzudrücken und herunterzuschrauben. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Minister denn?) – Ich sage Ihnen, welche Minister. In fast jedem Protokoll bzw. in den Vor- und Nachberichten dieser JI-Räte findet sich der Hinweis, dass es deutsche Innenminister sind, die in dieser Weise tätig werden. So haben wir erleben müssen, dass die Vorschläge zur Änderung der Qualifikationsrichtlinie, der Verfahrensrichtlinie und der Aufnahmerichtlinie, die die Kommission vorgelegt hat, jedes Mal verwässert worden sind. Das war mit Frontex und mit Dublin genauso. Jetzt haben wir anhand der Zahlen folgende Situation, die man sich einmal vor Augen führen muss: Wir haben eine regelrechte „Schutzlotterie“, wie es Pro Asyl zu Recht nennt; denn je nachdem, wo in Europa Flüchtlinge ins Verfahren geraten, haben sie – gemessen an den Anerkennungsraten – entweder hohe, höchste oder ganz schlechte Anerkennungschancen. Das würde ich Ihnen gerne anhand einer Statistik verdeutlichen, die im Zusammenhang mit Arbeiten des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration entstanden ist. Die Anerkennungsquote für Flüchtlinge aus Afghanistan, Irak, Somalia und Syrien ist in Italien mit jeweils über 90 Prozent am höchsten, in Dänemark oder Griechenland dagegen ist sie ganz niedrig. Es kann doch nicht richtig sein, dass bei gleicher Situation in den Herkunftsländern der eine europäische Staat vielleicht 2 oder 3 Prozent aller Flüchtlinge anerkennt und der andere über 90 Prozent. Es gibt eine umfangreiche Statistik, die dies belegt. Deutschland liegt übrigens immer relativ im Mittelfeld, außer bei Flüchtlingen aus Syrien; da sind wir auch bei annähernd 100 Prozent. Diese Art von Schutzlotterie bedarf dringend einer Überprüfung. Auch sie führt nämlich dazu, dass Flüchtlinge und Asylsuchende versuchen, in bestimmten Ländern ihre Anträge zu stellen und ihre Verfahren durchzuführen. Diese Diskrepanz kann so nicht bleiben. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Ich kann hier alle nur dazu auffordern – namentlich auch die Vertreter der Regierung –, ganz kräftig mitzuwirken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein weiterer Punkt. Die Bedenken gegenüber Dublin, Dublin II bzw. seit dem 1. Januar 2014 gegenüber Dublin III sind hier schon vorgetragen worden. Auch hier bedarf es einer dringenden Änderung. Es gibt unterschiedliche Modelle und Gutachten zur Berechnung von Quoten ähnlich dem Königsteiner Schlüssel, gewichtet nach Einwohnerzahl, nach Wirtschaftskraft, zum Teil auch unter Einbeziehung der Maßstäbe Arbeitslosenquote und Flächengröße der jeweiligen Länder. Kollege Kammer hat darauf hingewiesen. Daraus ergibt sich ein interessantes Bild. Absoluter Spitzenreiter in der Aufnahme von Flüchtlingen ist demzufolge Schweden. Würde man nach diesem Schlüssel eine entsprechende Aufnahmezahl berechnen, wären in den Jahren 2008 bis 2012 von den Schweden 42 000 Flüchtlinge aufzunehmen gewesen, tatsächlich aber waren es 153 000, damit also ein Plus von 364,3 Prozent. Deutschland übrigens – das ist, finde ich, ganz interessant – liegt praktisch im Mittelfeld. Das Soll wären, wenn man einen solchen Schlüssel zugrunde legen würde, 205 000 Flüchtlinge. Das Ist war in all den Jahren 201 000; im Jahr 2013 waren es mehr. Das heißt – ich bitte Sie, darüber einmal nachzudenken –: Bei solchen Quoten und ihrer strikten Anwendung wäre durchaus nicht zu erwarten, dass Deutschland mehr Asylsuchende und Flüchtlinge aufzunehmen hätte, sondern sogar weniger, da andere Länder, die ganz unten in dieser Auflistung stehen, die auch nicht so besonders beliebt sind, wesentlich mehr aufnehmen müssten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege – – Rüdiger Veit (SPD): Ich komme gleich zum Schluss. Vizepräsidentin Claudia Roth: Das ist leider so, aber Sie müssen. Rüdiger Veit (SPD): Ich bedanke mich für das „leider“. (Heiterkeit) Noch einmal zurück zum Thema: Die SPD ist der Auffassung, wir brauchen eine bessere und gleichmäßigere Verteilung der Verantwortung, nicht der Lasten, für Flüchtlinge innerhalb der EU. Deutschland muss deswegen nicht zwangsläufig mehr Flüchtlinge aufnehmen als heute. Wenn diese Quote dann im Einzelnen überschritten wird, muss man ernsthaft über einen angemessenen finanziellen Ausgleich nicht nur nachdenken, sondern denselben auch bewirken. Das wäre jedenfalls ein gemeinsames Ziel, dem wir uns alle hier im Haus verpflichtet fühlen sollten. Ich wäre dankbar, wenn wir den Dialog darüber entsprechend fortsetzen würden. Danke sehr, Frau Präsidentin. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. – Als nächster Redner spricht Frank Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion. Herr Heinrich, Sie haben das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist viel gesagt worden, und bei dem, was wir dabei denken und fühlen, gibt es eine große Schnittmenge. Humanitäre Hilfe ohne Humanität wird ganz schnell zu Bürokratismus verkommen. Humanität ohne gesetzlich fixierte Strukturen kann wiederum ganz schnell zu Sozialromantik verführen. Wer über Krankheitserreger schwadroniert, ohne die Wunden zu verbinden, der macht sich schuldig. Doch wer immer nur Sälbchen schmiert, ohne den Ursachen zu begegnen, der beruhigt zwar auf der einen Seite sein Gewissen, löst aber auf der anderen Seite das Problem letztlich nicht. Daher braucht man beides: ganz persönliche emotionale Betroffenheit und ein stimmiges europäisches Handlungskonzept, wie wir das von den Rednern der verschiedensten Fraktionen übereinstimmend gehört haben. Wir erleben eine humanitäre Katastrophe vor unserer Haustür; anders können wir das nicht nennen. Dazu dürfen wir weder schweigen noch Ängste schüren. Ihnen, meine Damen und Herren von der Linkspartei, gebührt das Verdienst, uns mit diesem Antrag, den wir heute in der ersten Sitzungswoche dieses Jahres debattieren, in der ersten Plenarwoche nach der Konstituierung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, die Dringlichkeit der Katastrophe vor Augen zu führen. Dafür danke! (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guck mal!) Sie müssen sich aber auch sagen lassen, dass Sie durch die Formulierung „Massensterben“ in der Überschrift und auch später im Antragstext so massiv polemisieren, dass man versucht ist, diesen Antrag so zu deuten, dass dies eine parteipolitisch motivierte populistische Spielwiese für Sie ist. Sei es drum. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Quatsch!) Die Menschen sind es wert, dass wir unsere Augen nicht verschließen und alle Kräfte bündeln, wie mein Kollege Veit es gerade gesagt hat, um das Leid an den Grenzen der EU zu vermindern. Helfen wir den Menschen, und behandeln wir die Ursachen! Beginnen wir bei den Menschen! Lassen Sie mich, bevor ich mich einigen Zahlen zuwende – es sind schon viele genannt worden –, ein Erlebnis wiedergeben, von dem EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso berichtet hat, als er hier in Berlin war. Ja, er als Person war umstritten, als er kurz nach der Katastrophe nach Lampedusa ging. Aber dann erzählte er, was sich bei ihm ins Gedächtnis eingebrannt hat, als er die Leichen und darunter insbesondere eine sah. Er berichtete von einer gebärenden Mutter, deren Nabelschnur noch nicht einmal getrennt war. Säugling und Mutter waren tot. Diese Bilder schockieren. Wir müssen diese Geschichten kennen, uns ihnen stellen und sie uns zumuten. Genau darum geht es. Hinter jeder dieser Statistiken und Zahlen, von denen wir heute gehört haben und gleich noch hören, stehen einzelne Menschen, und mit jedem Menschen stirbt auch Hoffnung, eine Zukunft. Jeder dieser Menschen hat ein Recht auf Leben, auf Überleben und auf ein Leben in Würde. Zur Situation am 3. Oktober 2013: Der 3. Oktober ist ein Tag, an dem wir in Deutschland jedes Jahr einen Triumph der Menschenrechte feiern. Dieser Tag war 2013 ein schwarzer Tag für die Menschenrechte: über 400 Tote vor Lampedusa. Es gab öffentliche Reaktionen – wir haben es gerade gehört – von Papst Franziskus bis zu Vertretern aller unserer Fraktionen und weit darüber hinaus. In Syrien erleben wir derzeit eine schon lange andauernde Katastrophe mit 2 Millionen Flüchtlingen. Ich konnte mich unter anderem mit Kollegen aus anderen Fraktionen davon überzeugen, wie der Libanon damit umgeht, ein geplagtes Land, das in der Geschichte schon häufiger Flüchtlinge aufgenommen hat. Dieses Land muss jetzt erneut damit umgehen – übrigens auch mit deutscher Hilfe an verschiedenen Stellen; einiges wurde vorhin schon genannt. Darüber hinaus steht ihm mit dem World Food Programme auch ein neues Programm zur Verfügung, mit dem es auf ganz moderne und individuelle Art und Weise helfen kann. Tatsächlich möchte ich hier jene Menschen in den Nachbarländern loben, die helfen und Flüchtlingen ihre Wohnungen zur Verfügung stellen, deren Zahl sich, wenn wir in Deutschland auf eine ähnliche Quote wie der Libanon kommen wollten, auf 20 Millionen Menschen belaufen würde. Im Mittelmeer ist die Zahl der Landungen von Bootsflüchtlingen vor Italien wieder nach oben gegangen. 2011 war diese Zahl schon einmal sehr hoch, sie lag bei etwa 64 000. 2012 ging sie zurück. Jetzt ist diese Zahl fast wieder genauso hoch wie vorher. Einige Punkte aus Ihrem Antrag möchte ich gerne aufnehmen und, wie Sie sich vorstellen können, entsprechend gegenhalten. Die Toten seien Opfer der Asylpolitik der Bundesregierung. – Es wurde hier immer wieder darauf hingewiesen: Die Probleme entstehen vor Ort; auch mein Kollege Huber hat das in seiner Frage erwähnt. Die Flucht der Menschen vor diesen Problemen, etwa dem Krieg in Syrien, ist meist die Folge. Die Schleuserbanden verdienen mit der Not dieser Menschen ein Heidengeld. Damit gilt es, auf diese Art der Kriminalität einen besonderen Fokus zu legen. Sie schreiben, Frontex sei eine Abschottungsmaßnahme. Ich sage: 2011/2012 – mein Kollege hat es vorhin auch gesagt – konnten durch die Hilfe von Frontex 40 000 Menschen gerettet werden. In Ihrem Antrag heißt es, Deutschland sei nur in absoluten Zahlen bei der Aufnahme von Flüchtlingen führend, nicht aber im Verhältnis zur Bevölkerung und Wirtschaftskraft, also der Quote an Menschen, die wir aufnehmen müssten. – Wir nehmen pro 1 Million Einwohner 945, Italien 260 Asylbewerber auf. Oft entsteht genau der entgegengesetzte Eindruck. Ja, unsere Ablehnungsquote beträgt 70 Prozent. Darüber müssen wir tatsächlich nachdenken. Insgesamt halten sich im Moment in Deutschland 600 000 Flüchtlinge auf. Der Eindruck, der manchmal entsteht, ist ein ganz anderer. Ein paar Schlussfolgerungen – Sie haben in Ihrem Antrag Forderungen gestellt –: Was braucht es also? Es braucht unserer Meinung als Entwicklungspolitiker und als Menschenrechtspolitiker nach in erster Linie die Hilfe vor Ort: abgestimmte internationale humanitäre Hilfe, im Moment besonders in Syrien. Ich habe die positive Rolle des Libanon erwähnt und möchte in diesem Zusammenhang auch Jordanien oder Saudi-Arabien nicht vergessen. Es braucht einen Schwerpunkt beim Flüchtlingsschutz und bei der Realisierung menschenrechtlicher Standards in den Flüchtlingslagern, insbesondere in den Anrainerstaaten der Krisengebiete, aber auch der Transitstaaten und weiterer Drittstaaten. Hin und wieder heißt das auch – da stehen wir natürlich zu Ihnen, den Linken, im Widerspruch – UN-mandatierte Blauhelm- und NATO-Einsätze. Unsere internationale Verantwortung bringt das mit sich. Es braucht eine mittel- und langfristige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Afrika und eine Stabilisierung der Krisengebiete. Ich habe mich gefreut, dass in der EU-Kommission neu darüber nachgedacht wird – das ist noch umstritten, aber ich kann dem Gedanken sehr viel abgewinnen; ich las davon letzte Nacht auf Spiegel Online –, die Exporthilfen für Exporte nach Afrika abzuschaffen, damit die Kleinbauern vor Ort eher eine Chance haben und bleiben. Dann gibt es natürlich noch die Frage nach einer einheitlichen Asylpolitik in der EU. Da braucht es eine Vereinheitlichung auf EU-Ebene, um durch ein gemeinsames europäisches Asylrecht schnelle und faire Verfahren zu gewährleisten. Sie können in unserem Koalitionsvertrag lesen, dass genau dies ein Schwerpunkt unseres Handelns ist. (Beifall des Abg. Bernhard Kaster [CDU/CSU]) Standards, wie im Stockholmer Programm festgeschrieben, sind da ganz wichtig. Das Personal von Frontex und EUROSUR muss dafür hinsichtlich der humanitären Komponente geschult werden und braucht im Sinne einer Task Force eine noch engere Verzahnung, möglicherweise mit dem Internationalen Roten Kreuz oder anderen Nichtregierungsorganisationen. Es braucht eine Stärkung der Rolle des 2011 eingerichteten EASO, dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen mit Sitz in Malta. Dies sind einige der Maßnahmen, die wir tatsächlich benötigen. Zum Abschluss ein Beispiel, das mich geprägt hat. In der letzten Legislatur waren wir Menschenrechtspolitiker mit einer Gruppe Kollegen in Uganda. Dort sind mir Sarah und ihr Sohn Jamaal begegnet, der erst wenige Wochen alt war und den Sarah auf dem Arm trug. Sarah nimmt an einem Aussteigerprogramm für Prostituierte in einem Slum von Kampala teil. Sie hat dort unter anderem ein Handwerk gelernt, zum Beispiel Deckchen herzustellen, um mit dem Verkauf dieser Deckchen ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, was aber noch nicht reicht, sodass sie sich weiterhin prostituieren muss. Doch hält sie schon allein diese Perspektive eher in ihrer Stadt und in ihrem Land, als sich auf den Weg zu machen und nach Europa zu fliehen. Die Perspektive hält sie dort: ein Beispiel und ein Symbol für das, was es in der Entwicklungszusammenarbeit braucht, um dem Flüchtlingsstrom vorzubeugen. Damit ihr Sohn später einmal, wenn er in die Pubertät kommt, nicht in dem Teufelskreis eines langsamen Sterbens stecken bleibt oder nach Europa fliehen muss, braucht es mehr von unserem Engagement. Wir dürfen, um mit der Kollegin Kampmann zu sprechen, nicht mit dem Status quo zufrieden sein. So darf es nicht weitergehen. Deshalb lassen Sie uns zusammen daran arbeiten, an welchen Stellen das konstruktiv möglich ist. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege Heinrich. – Der letzte Redner dieser, wie ich finde, sehr intensiven und sehr solidarischen Debatte ist Dr. Egon Jüttner. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Mittelmeerraum haben sich in den vergangenen Jahren zu Lande und zu Wasser schreckliche Szenen abgespielt. Insbesondere vor der Küste Italiens und auf Lampedusa sowie im griechischen Flüchtlingslager Amigdalesa herrschen menschenunwürdige Zustände. Die Überbelegung von Flüchtlingslagern, in denen oft drei- bis viermal mehr Flüchtlinge untergebracht sind als vorgesehen, darf nicht länger hingenommen werden. Es ist inakzeptabel, dass Hunderte von Menschen auf überfüllten Booten in europäischen Gewässern den Tod finden. Was hier geschehen ist, das waren eindeutige Menschenrechtsverletzungen, die durch nichts zu rechtfertigen sind. In vielen Flüchtlingslagern, nicht nur auf Lampedusa, kam es zu Zwischenfällen, die die gesamte Europäische Union mit Scham erfüllen sollten. Unser Mitgefühl gehört den vielen umgekommenen und verletzten Flüchtlingen. Wir bedauern das Schicksal dieser Menschen zutiefst. Sie haben ihre häufig von kriegerischen Auseinandersetzungen und Armut betroffenen Herkunftsländer verlassen, um in Europa eine bessere Zukunft zu finden. Ihre Flucht aber endete oft in einem qualvollen Tod. Der Respekt vor dem Schicksal dieser Menschen sollte Vorrang haben vor politischen Auseinandersetzungen und Schuldzuweisungen. Die Verantwortung für die Flüchtlingsströme und die daraus resultierenden Probleme liegt nicht bei den EU-Mitgliedstaaten, sondern eindeutig bei den Herkunftsländern. Leider ist die politische Situation in vielen Staaten besorgniserregend. In Mali, in Nigeria, in der Zentralafrikanischen Republik, aber auch im Südsudan sind teilweise staatliche Strukturen zusammengebrochen. Außerdem finden oft Willkür und Unterdrückung statt. Häufig wird nicht einmal das Existenzminimum der Menschen gewährleistet. Auch militante islamistische Gruppen machen ein dauerhaft friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Volksgruppen unmöglich. Da ist es nicht verwunderlich, dass Menschen ihre Heimat verlassen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Deutschland ist deshalb gemeinsam mit anderen Staaten der Europäischen Union, ebenso wie zivile und kirchliche Organisationen, ständig bemüht, den oft brüchigen Frieden in diesen Staaten wiederherzustellen und die Grundbedürfnisse der dort lebenden Menschen zu decken. Die Träger der Entwicklungszusammenarbeit unternehmen alles, um im Dialog mit den politisch Verantwortlichen friedenstiftende Maßnahmen zu fördern. Geschähe dies nicht, würden noch mehr Menschen ihre Heimatländer verlassen und wären den Gefahren einer Flucht ausgesetzt. Meine Damen und Herren, wir sind uns einig, dass die südeuropäischen Staaten mit der Flüchtlingsproblematik nicht alleingelassen werden dürfen. Wir sind als Europäer und als Europäische Union gemeinsam verpflichtet, Asylsuchenden eine menschenwürdige Behandlung zu gewähren. Die EU ist deshalb ernsthaft bemüht, das europäische Asylsystem den sich verändernden Realitäten anzupassen. Dabei stehen zwei Gesichtspunkte im Vordergrund der Bemühungen: zum einen die Behandlung der sich auf der Flucht befindenden bzw. bereits in Europa angekommenen Menschen und zum anderen die Ursachenbekämpfung in den Herkunftsländern. Was Ersteres betrifft, so sind durch die Fortentwicklung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems im vergangenen Jahr die Grundlagen für ein gerechtes und realisierbares Regelwerk geschaffen worden. Die Rangfolge der in der Dublin-Verordnung festgelegten Kriterien trägt der Tatsache Rechnung, dass wir es mit schutzbedürftigen Menschen zu tun haben. Wir sind verpflichtet, deren persönliche Situation zu berücksichtigen. Erster Grundsatz ist die Einheit der Familie. Handelt es sich etwa bei einem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat für die Prüfung seines Antrags zuständig, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält. Ist ein Asylsuchender volljährig und befindet sich ein Familienmitglied bereits in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, so hat er die Wahl, ebenfalls in diesem Mitgliedstaat einen Asylantrag zu stellen. Dies gilt selbst dann, wenn über den Asylantrag des Familienmitglieds noch nicht entschieden ist. Ferner regelt die Dublin-Verordnung, welcher Mitgliedstaat im Einzelfall für den Asylantrag eines Asylsuchenden zuständig ist. Der für die Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat darf diesen Antrag nicht ablehnen und den Asylbewerber etwa in ein anderes Land schicken. Vielmehr ist er verpflichtet, den Asylbewerber aufzunehmen und den Antrag zu bearbeiten. Die neuen Regelungen zeigen eindeutig, dass die Europäische Union der Menschenwürde der Asylsuchenden einen hohen Stellenwert beimisst. Die familiäre Zusammenführung hat Vorrang vor allen anderen Kriterien. Es ist den Einzelstaaten verboten, Asylsuchende wie Spielbälle von einem Land ins andere zu schicken. Des Weiteren haben im Oktober 2013 die Mitgliedstaaten der Europäischen Union kurzfristige Maßnahmen zur verbesserten Seenotrettung eingeleitet. Ein effektives Seenotrettungssystem bedeutet jedoch nicht, dass die Überquerung des Mittelmeers mit völlig ungeeigneten und erheblich überladenen Booten sicher wird. Es kann nur dazu dienen, das Risiko für die Migranten auf dem Seeweg zu reduzieren. Die zunächst zuständigen nationalen Behörden der südeuropäischen Staaten haben die Möglichkeit, über die EU-Grenzschutzagentur Frontex Unterstützung durch andere EU-Mitgliedstaaten anzufordern. So konnten in den beiden vergangenen Jahren durch von Frontex koordinierte Aktionen – das wurde schon gesagt – über 40 000 Menschen aus Seenot gerettet werden. Europa zeigt sich also in dieser Hinsicht mit seinen südlichen Mitgliedstaaten solidarisch. Unser Ziel muss es sein, Tragödien, wie sie in der Vergangenheit passiert sind, in Zukunft zu verhindern. Mit der Fortentwicklung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems wurden im vergangenen Jahr die Weichen dafür gestellt. Nun müssen wir die Effektivität der beschlossenen Maßnahmen genau analysieren. Dabei müssen wir offen sein für weitere Reformen zugunsten der betroffenen Flüchtlinge. Deshalb steht die Asylpolitik auch beim EU-Gipfel im Juni wieder auf der Tagesordnung. Dort wird Bilanz gezogen über die im Herbst beschlossenen Maßnahmen und Änderungen. Es ist falsch, die Asylpolitik der Europäischen Union pauschal und undifferenziert zu verurteilen und den deutschen Bundesregierungen der letzten 20 Jahre eine, wie es im Antrag heißt – ich zitiere – „große Mitschuld“ an „Menschenrechtsverletzungen und Verdrängung von Verantwortlichkeit auf EU-Ebene“ zu unterstellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielmehr müssen wir den eingeschlagenen Weg zur Verbesserung der Situation fortsetzen. Dem Antrag der Fraktion Die Linke können wir deshalb nicht zustimmen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Redeliste zu diesem Tagesordnungspunkt ist erschöpft. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/288 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europarechtskonforme Regelung der Industrievergünstigungen auf stromintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb begrenzen und das EEG als kosteneffizientes Instrument fortführen Drucksache 18/291 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man das Dokument zur Einleitung des Beihilfeverfahrens der EU-Kommission liest, dann findet man da sehr interessante Passagen. Darin steht zum Beispiel, dass das EEG ein sehr kosteneffizientes Instrument zum Ausbau der erneuerbaren Energien ist, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dass es zielgerichtet ist und erfolgreich den Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland vorangebracht hat, ganz im Unterschied zu anderen EU-Staaten und zu anderen Fördersystemen. In der Tat haben wir es in Deutschland geschafft, den Anteil der erneuerbaren Energien innerhalb von gut zehn Jahren von 4 Prozent auf 25 Prozent zu erhöhen. Wir haben es geschafft, dass sich die Bürgerinnen und Bürger an der Energieversorgung beteiligen, dass sie das ganze Thema voranbringen. Das ist eine absolute Erfolgsgeschichte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben es vor allen Dingen auch geschafft, dass Windenergie an Land und Photovoltaik inzwischen die preisgünstigste Form sind, eine Kilowattstunde Strom zu produzieren, preisgünstiger als aus neuen Kohle- oder Gaskraftwerken. Das ist eine Entwicklung, die noch vor wenigen Jahren unvorstellbar war. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn die EU-Kommission jetzt ein Verfahren einleitet, so richtet sich das nicht gegen das EEG an sich, ganz im Gegenteil. Die EU-Kommission problematisiert das Ausnahmewesen, also die Tatsache, dass es bei den Zahlungen der EEG-Umlage, die die Vergütungen der Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen sichern, zu überbordenden Ausnahmen gekommen ist. Das Problem dabei ist nicht der grundsätzliche Tatbestand der Ausnahme. Die EU-Kommission sagt klipp und klar: Es ist völlig in Ordnung, dass stromintensive Unternehmen ein Stück weit befreit werden. – Ich glaube, es herrscht politischer Konsens darüber, dass ein stromintensives Unternehmen wie eine Aluminiumhütte hier nicht zu Zahlungen herangezogen wird. Die EU-Kommission kritisiert aber in aller Deutlichkeit das, was insbesondere seit 2010 passiert, nämlich das ausufernde, überbordende Ausnahmewesen zugunsten von Industrie und Gewerbe, die mit internationalem Wettbewerb und Stromintensität überhaupt nichts zu tun haben. Damit muss endlich Schluss sein, wenn wir das Problem lösen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass die Zahl von wenigen Hundert begünstigten Unternehmen auf über 2 100 angestiegen ist. Die Politik in den letzten Jahren nach dem Motto „Die Privatverbraucher wollten die Energiewende; dann sollen sie auch dafür zahlen“ darf nicht fortgesetzt werden. Wir brauchen hier ein Stück weit Kostengerechtigkeit. Nun schlägt diese Politik der Vergangenheit auf die Industrie selber zurück. Inzwischen beschweren sich auch – zu Recht – die nicht befreiten Industriebereiche. Ich kann nicht nachvollziehen, warum ein Schlachtbetrieb von der EEG-Umlage befreit ist, ein Textilunternehmen aber nicht. Genau das problematisiert die EU-Kommission. Deshalb ist das Beihilfeverfahren richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Große Koalition hatte die Chance, dieses Beihilfeverfahren zu vermeiden; das wissen alle, die mit Herrn Almunia gesprochen haben. Es gab die Chance, eine klare Vereinbarung im Koalitionsvertrag zu treffen, wie man das Thema der Beihilfen angehen will. Das Problem ist aber: Sie haben sich nur auf einen Prüfauftrag verständigt, der lediglich vorsieht, dass man sich diesem Thema widmen will. Das ist ein riesiges Problem für die Industriebetriebe, die jetzt damit konfrontiert sind, dass sie Rückstellungen bilden müssen. Es herrscht Verunsicherung. So kann letztendlich nicht investiert werden. Damit hat sich die gesamte Politik der letzten Jahre, die angeblich der Industrie dienen sollte, zu einem Bumerang entwickelt. Wir schlagen in unserem Antrag vor, dass Sie jetzt aktiv werden; denn es kann nicht sein, dass man jetzt nur die EU-Kommission beschimpft und sagt, sie mache alles falsch. Sie benennt ein richtiges Problem. Aber es ist jetzt an der Zeit, dass die Bundesregierung konkrete Punkte benennt. Wir sagen: Die Strompreiskompensationsliste, die die EU-Kommission im Rahmen des Emissionshandels gemacht hat, ist eine Grundlage, an der sich in Deutschland die Befreiungen bzw. Vergünstigungen orientieren können. Das sind die Unternehmensbereiche Metall, Papier, Chemie usw. Diese brauchen tatsächlich diese Vergünstigungen. Das wäre eine Grundlage, um diesem Beihilfeverfahren zu entgehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt noch ein anderes Problem. Dadurch dass wir jetzt über Beihilfe reden, bekommt ein anderes Verfahren eine Schlagseite. Die EU will das EEG insgesamt aufgrund der Entwicklungen der letzten Jahre als Beihilfe definieren. Das würde dazu führen, dass wir in Zukunft die Regelungen und Novellen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und den Ausbau der erneuerbaren Energien in Brüssel genehmigen lassen müssten. Ich glaube, das kann nicht in unserem Sinne sein. Es muss vielmehr in unserem Sinne sein – das ist die Aufgabe der EU-Kommission und die Aufgabe von Europa –, dass wir klare Ziele setzen, nicht nur Klimaschutzziele, sondern auch ambitionierte Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien und Effizienzziele. Dafür müssen wir kämpfen. Ich frage ganz offen: Wo ist eigentlich der deutsche EU-Kommissar Herr Oettinger? Von dem sehe ich nur, dass er die deutsche Energiewende und die Politik, von der ich einmal dachte, dass sie hier konsensual getragen werde, hintertreibt und gemeinsame Sache mit den britischen Atomfreunden macht, anstatt die deutsche Politik zu unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir finden: Dazu braucht es ein klares Wort der Kanzlerin. Sie hat diese Ziele 2007 im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft durchgesetzt. Das muss jetzt weitergehen. Wir denken auch – das ist unser Angebot an die Große Koalition –, dass es einen Konsens in Deutschland geben kann, wenn wir die erneuerbaren Energien weiter konsequent ausbauen, wenn wir sie kosteneffizient ausbauen und wenn wir sie kostengerecht ausbauen, und zwar ohne Deckelung und künstliche Bremsen für Windenergie an Land und PV. Wenn das eine Basis sein kann, dann können wir uns auf einen gemeinsamen Weg verständigen. Wenn die Basis aber ist, dass Sie die wegfallenden Atomstrommengen der nächsten Jahre durch Braunkohle ersetzen wollen, wie das offensichtlich Herr Seehofer vorhat – so jedenfalls verstehe ich seine Einlassungen –, dann wird das ein Weg sein, den wir nicht mitgehen werden. Den werden wir bekämpfen. Dann haben wir deutliche Auseinandersetzungen. Aber wir bieten einen gemeinsamen Weg an und fänden es gut, wenn hier tatsächlich eine breite politische Basis für eine langfristige Energiewende und für Investitionssicherheit in diesem Bereich geschaffen werden könnte. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lieber Kollege Oliver Krischer, heute Morgen haben Sie noch groß über die Medien verkündet, Sie wollten die enge Zusammenarbeit mit der Großen Koalition und wollten gemeinsam mit uns an diesem Projekt der Energiewende teilhaben. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Angebot!) Ihr Antrag und Ihr Redebeitrag zeigen etwas anderes, nämlich dass Sie in alte Grabenkämpfe verfallen und versuchen, Konflikte aufzubauen, die es so gar nicht gibt. Wir sind vielmehr in vielen Punkten einiger, als Sie glauben. Viele Dinge, die Sie jetzt kritisiert haben, haben Sie nämlich damals unter Rot-Grün, unter dem Umweltminister Jürgen Trittin, selber beschlossen. Diese sind jetzt in der Tat Bestandteil eines Verfahrens in Brüssel. Wir werden dieses Verfahren abschließen und dafür sorgen, dass die Energiewende weiter gelingt und auch unsere Industrie weiter gesichert ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Bevor ich aber auf den Antrag, den Sie gestellt haben, eingehe, möchte ich zu Beginn betonen, dass das Projekt der Energiewende, die Energiepolitik an sich, eines der ganz großen Themen dieser Großen Koalition ist. Es wird eine gemeinsame Herausforderung sein, und wir werden gemeinsam dieses Projekt anpacken. Wir wollen an das anknüpfen, was wir die letzten vier Jahre gemacht haben. Wir wollen dafür sorgen, dass die Grundlinien unserer Energiepolitik auch weiter bestehen. Wir wollen eine Politik machen, die umweltfreundlich ist, aber auch die sichere Versorgung und vor allen Dingen eine bezahlbare, wirtschaftliche Energieversorgung für unser ganzes Land gewährleistet, für die Menschen, für die Industrie und die Wirtschaft insgesamt. Wir wollen die Energiepolitik zu dem machen, was sie sein muss. Sie muss Hauptbestandteil unserer Wachstums- und Wohlstandsstrategie sein. Sie muss dafür sorgen, dass wir in den nächsten Jahren keine Arbeitsplätze gefährden oder sogar verlieren, sondern dass wir unter dem Strich Arbeitsplätze sichern und weiter ausbauen. Das muss die Energiewende zum Ziel haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Insofern bin ich dankbar, dass diese Koalition die Kompetenzen für Energiefragen im Wirtschaftsressort gebündelt hat. Somit bekommen wir eine schlagkräftige Einheit, um für eine wirtschaftliche Energiewende (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zu kämpfen. Ich bin sicher, lieber Hubertus Heil, dass wir gemeinsam mit unserem neuen Minister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten werden. Wir wollen Arbeitsplätze sichern. Daher müssen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien weiter sinnvoll gestalten. Darüber hinaus müssen wir dafür sorgen, dass dort, wo in der Industrie Arbeitsplätze gefährdet sind, wo Industrien im europäischen und weltweiten Wettbewerb stehen, weiterhin Vergünstigungen möglich sind. Das muss unser zentrales Ziel sein. Damit komme ich zu Ihrem Antrag. Der Antrag der Grünen enthält zwei Grundaussagen: Erstens. Das EEG muss unbefristet weiter gelten. Das haben Sie gerade eben noch einmal gefordert. Zweitens. Die Vergünstigungen für stromintensive Unternehmen – das ist Ihr großes Thema – müssen weitestgehend zusammengestrichen werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht nicht im Antrag!) Das würde Arbeitsplätze gefährden, lieber Oliver Krischer. Wir sollten miteinander debattieren, um eine sinnvolle Lösung zu finden. Ich glaube, dass die Aussagen, die Sie in Ihrem Antrag treffen, objektiv falsch sind. Ich zitiere aus dem ersten Absatz Ihres Antrags einen Punkt, den ich ganz anders sehe: Statt der vollen … Umlage von derzeit 6,24 Cent/kWh, zahlt ein Großteil der entlasteten Unternehmen lediglich eine Umlage von 0,05 Cent/kWh. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Völlig falsch! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Das ist komplett falsch. Nur Unternehmen mit einem Stromverbrauch ab 100 Gigawattstunden zahlen nur noch 0,05 Cent je Kilowattstunde. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2 100!) In der Summe sind das in Deutschland weniger als 150 Unternehmen. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: So ist das!) Es wird Sie vielleicht überraschen, Herr Krischer: Es sind Unternehmen, die schon damals, 2004, unter Jürgen Trittin entlastet worden sind (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Das sind genau die gleichen!) und die seitdem von dieser Entlastung profitieren. Sie haben, auch in dieser Debatte, den Eindruck erweckt, dass diese Unternehmen gar keine Abgaben zahlen. Das stimmt ebenfalls nicht. Unternehmen, die hinsichtlich der EEG-Umlage zwar nicht befreit, aber begünstigt werden – etwa ThyssenKrupp, der größte Fall in dieser Riege –, zahlen nach heutigem Stand weiterhin 4 500 Euro EEG-Umlage pro Arbeitsplatz. Das zeigt: Auch die großen energieintensiven Industrieunternehmen zahlen für die Energiewende und leisten damit auch einen Beitrag zum Gelingen des Umstiegs, der die nächsten Jahre gemeinsam solidarisch finanziert werden muss. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ihre Aussage, dass die EEG-Novelle von 2012 zu massiven Mehrbelastungen führt, wie Sie sie vorhin beschrieben haben, ist falsch. Sie haben gesagt: Die Anzahl der entsprechenden Unternehmen ist von 800 Unternehmen auf 2 100 Unternehmen gestiegen. Ich muss Sie korrigieren: Sie ist sogar auf 2 700 Unternehmen gestiegen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch schlimmer!) Ich bin stolz darauf, dass sich die Anzahl dieser Unternehmen verdreifacht hat; denn der industrielle Mittelstand, der in besonderer Weise im Wettbewerb steht, erfährt Vergünstigungen. Damit haben wir etwas geschaffen, was vielen Unternehmen hilft und damit der Erhaltung vieler Arbeitsplätze dient, aber auf der anderen Seite nur sehr wenig kostet. Die Vergünstigung liegt nur bei 10 Prozent. Nur 2 Prozent der EEG-Umlage, die wir zahlen, sind für den industriellen Mittelstand reserviert. Damit erreichen wir, dass die Arbeitsplätze von über 1 Million Beschäftigten nicht nur vorübergehend gesichert, sondern auch auf Dauer erhalten bleiben. Ich glaube, das war es wert, für den Fortbestand dieser Vergünstigung zu sorgen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Bareiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder eine Bemerkung aus den Reihen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Ja, gern. Natürlich. Immer doch. Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Meiwald, bitte. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Bareiß, dass Sie meine Frage zulassen. – Sie haben sich gerade so vehement für die Arbeitsplätze eingesetzt. Das finden wir grundsätzlich in Ordnung. Arbeitsplätze sind ja für uns alle notwendig. Aber in der Konsequenz dessen, was Sie in den letzten vier Jahren gemacht haben und was Sie hier so in den Himmel loben, stellt sich doch die Frage: Wie viele Arbeitsplätze im Braunkohletagebau entstehen oder werden dadurch erhalten, dass man zum Beispiel Vattenfall von der EEG-Umlage befreit? Wie viele Arbeitsplätze sind in den kleinen und mittelständischen Handwerksunternehmen, die massiv investiert haben, um die Energiewende voranzutreiben, in den letzten Jahren schon verloren gegangen? Ich denke an kleine Solarunternehmen und ähnliche Betriebe, die jetzt vor dem Ruin stehen bzw. schon in der Insolvenz sind. Ich glaube, da liegt eine Schieflage vor. Das Ganze müsste man einmal sauber gegeneinander aufrechnen und man darf nicht sagen: Dadurch, dass wir Großunternehmen und andere Vielverbraucher hier entlasten, bewirken wir etwas, worauf wir auch noch stolz sein können. Die Entlastung von Braunkohletagebauen ist natürlich auch klimapolitisch verheerend. Mich würde interessieren, ob Sie diesbezüglich eine Bilanz aufmachen können. Vielen Dank. Thomas Bareiß (CDU/CSU): Wir können gerne über den Braunkohletagebau reden. Ich lade Sie auch gerne ein, einmal die Lausitz oder das Ruhrgebiet zu besuchen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ins Ruhrgebiet? Die sind im Rheinland!) – Da habe ich mich versprochen; das gebe ich zu. Das war die alte Welt der Steinkohle. Ich lade Sie ein, die Lausitz oder das Rheinland zu besuchen. Dort sind 22 000 Beschäftigte von der Braunkohleindustrie abhängig. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und 40 000 bei den erneuerbaren Energien!) Wir müssen doch sehen, dass die Braunkohle der einzige heimische Energieträger ist, den wir noch haben. Ich sehe Ihre neue Stoßrichtung, die Braunkohle als schmutzige Energie darzustellen, sehr kritisch, weil die Braunkohle derzeit hocheffizient eingesetzt wird. In Deutschland wurde noch nie so viel Braunkohlestrom produziert; das ist durchaus richtig. Aber Sie verschweigen immer, dass dieser Braunkohlestrom mit so wenig CO2-Ausstoß pro Kilowattstunde wie noch nie erzeugt wird. Wir haben hocheffiziente Braunkohlekraftwerke. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wirkungsgrad von 30 Prozent!) Wir brauchen auch weiterhin die Verstromung der Braunkohle, einem heimischen und günstigen Rohstoff, als Brückentechnologie, um kostengünstig in das Zeitalter der regenerativen Energien zu gelangen. Ich lade Sie wirklich einmal ein, mit mir gemeinsam diese Regionen in Ostdeutschland zu besuchen. Dort sind in der Braunkohleindustrie 22 000 Menschen beschäftigt. In der Solarindustrie jedoch, die man versucht hat, in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt aufzubauen, sind es nur noch knapp 10 000 Beschäftigte. Das bereitet mir große Sorgen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wohl?) Auf der einen Seite wollen wir die Braunkohleindustrie mit 22 000 Beschäftigten zerstören, auf der anderen Seite aber keine neuen Technologien in Deutschland aufbauen, die wir bräuchten. Hier müssen wir dringend ansetzen. Die eine Industrie muss die andere Stück für Stück ersetzen, aber es darf nicht so sein, wie ich es am Anfang beschrieben habe: dass schlussendlich weniger Arbeitsplätze vorhanden sind, als das bisher der Fall ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich trage nach: Das war jetzt die Beantwortung der Frage des Kollegen Meiwald. – Ich schalte jetzt die Uhr wieder ein. Thomas Bareiß (CDU/CSU): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Krischer, außerdem haben Sie vorhin betont, dass die Besondere Ausgleichsregelung europarechtswidrig ist. Sie haben gesagt, Sie hätten schon mit Herrn Almunia gesprochen und erfahren, dass wir das Verfahren abwenden können. Ich muss gestehen, dass ich das bisher nicht so wahrgenommen habe, aber vielleicht haben wir eine unterschiedliche Wahrnehmung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie noch nicht mitbekommen, dass wir ein Beihilfeverfahren haben?) Ich sage nur eins: Zu behaupten, dass die Reduzierung einer Mehrbelastung für unsere Industrie eine Subvention darstellt, halte ich für sehr gewagt. Deshalb glaube ich auch, dass das, was Sigmar Gabriel vor wenigen Tagen gesagt hat, richtig ist: Die nationale Energiepolitik muss weiterhin in erster Linie Sache Deutschlands und nicht Europas sein. Wir brauchen auch deutsche Ideen und Konzepte. Ein Gesetz wie das EEG und eine Mehrbelastung, wie sie derzeit in allen Bereichen der Industrie vorhanden ist, hat kein anderes Land. Insofern sollten wir schauen, dass wir im Bereich der Ausgleichsregelung auch nationale Lösungen finden. Wir brauchen weiterhin die Besondere Ausgleichsregelung für die Großindustrie, aber auch für den industriellen Mittelstand. Wir müssen ebenfalls schauen, wo wir vielleicht in der EEG-Novelle, zu der in der nächsten Woche die ersten Eckpunkte vorgelegt werden, Veränderungen vornehmen können. Ich habe schon in den letzten Monaten – Sie sicherlich auch – intensive Gespräche mit der Industrie geführt. Es gibt unterschiedliche Bereiche, in denen wir etwas tun können. Die Schwellenwerte und Unwuchten sollten wir sicherlich noch diskutieren. Wir müssen auch überlegen, welche Ausgestaltung wir beim Kriterium des Wettbewerbs vornehmen. Ich warne aber: Wenn wir hier Veränderungen vornehmen, werden auch solche Fragen gestellt wie die, ob die Deutsche Bahn weiterhin vergünstigt werden kann. Ich bin gespannt, welchen Beitrag die Grünen dann zukünftig leisten werden. Die deutsche Wirtschaft zahlt heute schon die höchsten Industriestrompreise, nicht nur Europas, sondern der ganzen Welt. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gar nicht wahr!) Wir sind aber auch diejenigen, die im Bereich der erneuerbaren Energien am schnellsten vorankommen wollen. Deshalb sage ich Ihnen ganz offen: Um auch die Akzeptanz der Menschen nicht zu verlieren, dürfen wir nicht weiterhin Verteilungsdebatten führen, sondern müssen schauen, wie wir das EEG in den kommenden Jahren Schritt für Schritt reformieren, stärker an den Markt heranbringen und somit auch erneuerbare Energien wettbewerbsfähig machen – nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Welt. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Dazu brauchen wir auch Ehrlichkeit. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Bareiß, gestatten Sie eine weitere Frage oder Bemerkung des Kollegen Krischer? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Gerne. – Bitte, Herr Krischer. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank, Herr Kollege Bareiß, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade gesagt: In Deutschland gibt es die höchsten Industriestrompreise. Ich vermute einmal, Sie wollten sagen, die höchsten Industriestrompreise Europas. Wie erklären Sie es sich dann, dass der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft – das ist keine grüne Organisation und auch keine der Erneuerbaren-Verbände, sondern die Lobbyorganisation der energie- und stromintensiven Industrie –, der regelmäßig Strompreisindizes veröffentlicht, festgestellt hat, dass dieser Index in diesem Jahr den niedrigsten Stand seit zehn Jahren erreicht hat? Wie erklären Sie sich das nach Ihrer Aussage, dass wir – angeblich – die höchsten Industriestrompreise haben? Dann müssten Sie noch erklären, wie es sein kann, dass in den Niederlanden eine Aluhütte schließen muss, in Insolvenz geht, mit der Begründung, dass sie gegen den deutschen Wettbewerber, der aufgrund der Energiewende in Deutschland so niedrige Industriestrompreise hat, nicht mehr konkurrieren kann. Diese Aussage müssen Sie bitte erklären. Das passt nicht zu dem, was Sie gerade gesagt haben. (Beifall der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Wir haben auf alle Fälle – da lasse ich einfach mal die Zahlen sprechen – im Bereich der Verbraucher, der Industrieverbraucher, die Größenordnung von 20 bis 70 Gigawattstunden; das ist eine Größenordnung, die 2012 gemessen wurde. Da lagen die Industriestrompreise bei 10,45 Cent je Kilowattstunde. In der Tat sind in Zypern, Malta, Litauen und in der Slowakei die Industriestrompreise – in Anführungszeichen – noch besser als bei uns, nämlich etwas höher. Aber davon abgesehen haben wir mit die höchsten Preise in Europa. Das sind die Zahlen, die mir vorliegen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind falsch!) Das ist meine Grundlage. Insofern ist das, was Sie sagen, einfach nicht richtig. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie den VIK!) – Ich werde ihn gern fragen. Aber das sind die Zahlen, die 2012 vom statistischen Landesamt veröffentlicht worden sind, und das sind die Zahlen, auf die ich meine Rede aufgebaut habe, lieber Herr Krischer. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quellenangabe!) Meine Damen und Herren, ich würde gern weiterkommen. Nun zum Thema Ehrlichkeit. Wir müssen, um bei der Energiewende voranzukommen, ehrlich miteinander umgehen. Wir müssen den Menschen sagen, dass wir, wenn wir das EEG novellieren, auch schauen müssen, dass wir die nächsten Jahre effizienter vorgehen. Wir dürfen nicht mehr glauben, dass überall dort erneuerbare Energien aufgebaut werden, wo die höchsten Subventionen gezahlt werden. Wir müssen die erneuerbaren Energien auch dort oder vor allem dort aufbauen, wo die besten Grundbedingungen sind. Windräder werden also nicht überall in Deutschland aufgestellt werden, sondern dort, wo sie am effizientesten arbeiten können. Das wird in den nächsten Jahren sicherlich mehr im Norden als im Süden der Fall sein. Auch da brauchen wir einen stärkeren Blick auf die Effizienz. Wir brauchen einen verbindlichen Ausbaukorridor. Wir haben für die erneuerbaren Energien weiterhin die höchsten Ziele in der Welt. Wir wollen bis 2025 auf bis zu 45 Prozent und bis 2035 auf über 60 Prozent zubauen. Das heißt, wir haben mit dem Koalitionsvertrag eine Planung vorgelegt, die verlässlich ist; es besteht Planungssicherheit, nicht nur für die fossilen Kraftwerke und für die erneuerbaren Energien, sondern vor allen Dingen auch für den Netzausbau, der für die nächsten Jahre entscheidend ist. Meine Damen, meine Herren, die Ausbaukorridore für die erneuerbaren Energien sind ambitioniert. Wir wollen das gemeinsam angehen. Die Debatte, die wir heute angefangen haben, wird in den nächsten Jahren weitergehen. Wir werden weiterhin auf der Grundlage einer umweltfreundlichen, aber auch sicheren und vor allem bezahlbaren Energie vorangehen. Ich freue mich auf die anstehenden Debatten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutschen Strompreise machen die Industrie kaputt – das ist Realität –, allerdings nicht die Industrie in Deutschland, sondern die in Holland. Die Wirklichkeit für etliche deutsche Unternehmen schaut so aus, dass der Industriestrompreis in Deutschland überaus niedrig ist. Einer niederländischen Aluminiumhütte hat er gerade die Geschäftsgrundlage geraubt. Jetzt frage ich Sie: Wollen Sie das? – Ihre Krokodilstränen führen da einfach zu nichts. Deutsche Aluhütten haben einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ausländischen – kein Wunder; denn sie profitieren von den gesunkenen Großhandelspreisen für Strom. Das nennt man Merit-Order-Effekt. Das ist eine Folge des EEG-Einspeisevorrangs für Ökostrom. Für diejenigen, die nicht aus dem Fach kommen: Das heißt einfach, dass die teuren Kraftwerke vom Netz genommen werden und dann an der Börse der Strompreis sinkt; das wird natürlich nicht an die Verbraucher weitergegeben. Jetzt kommen wir zu den Industriestrompreisen, über die Sie gestritten haben. Die liegen heute nur noch bei 3,6 Cent je Kilowattstunde, in den Niederlanden dagegen bei 5 Cent je Kilowattstunde und im Atomstromland Frankreich immer noch bei 4,3 Cent je Kilowattstunde. Inzwischen liegen wir bei den Strompreisen im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern im unteren Drittel. Die deutschen stromintensiven Unternehmen sind weitgehend von der EEG-Umlage befreit. Darüber streiten wir ja andauernd. Die EEG-Umlage finanziert Windkraft und regenerative Energien. Die privaten Endkunden und die kleinen Unternehmen blechen für die Ausfälle bei der Großindustrie. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Märchen!) Wir halten das weder für sozial akzeptabel noch für ökologisch. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Bareiß, wenn Sie sagen: „Das fördert Wachstum und Wohlstand“, dann müssen Sie auch sagen, welchen Wachstum und welchen Wohlstand. Ich habe mich neulich mit einem Großbäcker aus meiner Region unterhalten. Er wählt Ihre Partei; ich glaube, er ist sogar Mitglied Ihrer Partei. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Er weiß, warum! – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Guter Mann! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dann ist er aber selber schuld!) Ich habe ihn gefragt, ob auch er diese EEG-Ermäßigung bekommt. Er hat mich nur ausgelacht; ich verstehe zwar nicht, warum er dann Ihre Partei wählt. Er hat mir gesagt, er hätte diese Ermäßigung sehr gerne. Das EEG ist für die stromintensiven Unternehmen eine Goldgrube. Der Merit-Order-Effekt an der Strombörse ist mit rund 0,6 bis 1 Cent je Kilowattstunde – das wird eingespart – um ein Vielfaches höher als die zu zahlende Miniumlage von 0,05 Cent. Das heißt, die Unternehmen verdienen leistungslos Geld durch die Energiewende. Das kennen wir ja schon vom Emissionshandel, Stichwort: Windfall Profits. Sie haben die Zertifikate damals kostenlos bekommen, haben sie eingepreist, und die Stromkunden haben das bezahlt. So ist es jetzt auch beim EEG. Ich sage Ihnen: So fahren Sie die Energiewende an die Wand. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt kommen wir zum Stichwort Arbeitsplätze. Uns wurde in der letzten Legislaturperiode aufgrund unseres Antrages vorgeworfen, wir wollten die Unternehmen kaputtmachen. Das wollen wir natürlich nicht. Auch wir wollen gute, zukunftssichere Arbeitsplätze. Deshalb muss man genau hinschauen. Man muss schauen, welche Unternehmen im internationalen Wettbewerb sind. Wir haben das in unserem Antrag genau geschildert. Nicht alle Unternehmen konkurrieren mit Firmen, die an keinem Zertifikatehandel teilnehmen, die kein EEG in ihrem Land haben. Für mich ist das wie eine heilige Kuh: Sobald man dieses Thema anspricht, springen Sie auf und rufen: „Arbeitsplätze!“. Natürlich geht es um Arbeitsplätze, aber es geht auch um Fairness, und die sehe ich hier in keinster Weise gegeben. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer bekommt nun diese Subventionen? Zum Beispiel Braunkohletagebaue sind von der Zahlung befreit, und das spricht Bände. Das sind schlicht unberechtigte Subventionen – das sage ich hier als Linke –, Subventionen ausgerechnet für die schmutzigste Stromerzeugung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das freut den Wirtschaftsminister der Linken aber!) – Das freut mich, wenn es ihn freut. – Kurz gesagt: Die Mindestzahlung an EEG-Umlage dürfte niemals niedriger sein als der strompreissenkende Merit-Order-Effekt an der Börse. Ansonsten verwandelt sich das EEG in eine Gelddruckmaschine für die stromintensive Industrie. Wir haben schon in der letzten Legislaturperiode gewarnt. Die damalige Koalition hat gesagt: Wir überprüfen das. – Passiert ist nichts. Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen, und nun wird genau geprüft. Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Wenn wir wollen, dass das EEG weiterläuft, dass wir mehr regenerative Energien haben, dann müssen wir natürlich etwas tun, und dann muss das EU-konform geregelt werden. Ich bin mir aber nicht sicher, dass Sie das wollen. Wenn ich aus Bayern höre, dass man dort zum Beispiel überlegt, die AKWs wieder länger laufen zu lassen und die Abstandsflächen für Windräder so groß zu machen, dass nur noch 0,5 Windräder errichtet werden, dann zweifle ich daran, dass Sie wirklich mehr regenerative Energien wollen. Sie müssen das beweisen, und es muss auch für die kleinen Leute bezahlbar sein. Das heißt natürlich, dass die Kosten auch auf die Großindustrie umgelegt werden müssen. Dafür stehen wir. Ansonsten werden wir Ihrem Antrag zustimmen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Hubertus Heil hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass auch in solch einer zugespitzten Debatte einmal der Zeitpunkt kommt, an dem man ein bisschen differenzieren sollte. Es gibt Dinge im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, die man diskutieren kann und muss; Herr Kollege Bareiß, das war auch in Ihrem Beitrag ein Thema: Es gibt in dieser Koalition die grundsätzliche Bereitschaft, die Ausnahmetatbestände zu reformieren. Und wenn ich es richtig lese, Herr Kollege Krischer, dann wollen die Grünen sie auch reformieren. Über Art und Umfang werden wir heftig miteinander streiten. Frau Kollegin von der Linkspartei, es gibt einen Unterschied zu Ihnen: Ihre Argumentation – wenn Sie konsequent sind – lässt doch den Schluss zu: Sie wollen nicht reformieren, sondern weghauen. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Nein! Das habe ich nicht gesagt!) Das ist ein Unterschied. Ich kann Ihnen sagen: Für eine linke Partei wäre es einmal an der Zeit, sich zum Beispiel mit Betriebsräten der IG Metall, beispielsweise in Stahlwerken, zu unterhalten. Ich kann ein Beispiel aus meiner Heimatstadt nennen. Meine Heimatstadt Peine in Niedersachsen hat ein Elektrostahlwerk der Salzgitter AG. Das Unternehmen hat im Moment ohnehin riesige Probleme auf den Absatzmärkten, weil es von der Krise in Europa erfasst ist. Es schmilzt Schrott ein und macht daraus Baustahlträger. Da gibt es im Moment auf der Nachfrageseite ein Riesenproblem, weil der Markt von billigen Produkten überschwemmt wurde, nachdem die Immobilienblase in Südeuropa geplatzt ist. Wenn wir dieses Unternehmen erheblich in die EEG-Umlage einbeziehen würden, dann ergäbe sich ein Standortproblem, eine Gefahr für Arbeitsplätze in diesem Bereich. Deshalb warnt uns nicht nur der Vorsitzende der IG BCE, sondern auch der neue Vorsitzende der IG Metall davor, mit diesem Thema fahrlässig umzugehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann verstehen, dass die tatsächlich berechtigten Ausnahmen bei der EEG-Umlage aufgrund der Ausweitung der Ausnahmetatbestände durch die Vorgängerregierung in der öffentlichen Debatte diskreditiert werden. Deshalb müssen wir sie auch reformieren. Was ich nicht verstehen kann – Herr Kollege Krischer, das will ich Ihnen aber auch sagen –, ist, dass Sie das Beihilfeverfahren der EU-Kommission begrüßen und ihm rechtlich sozusagen Oberwasser geben. Ich sage: Wir haben eine ganz andere Rechtsposition. In der Zeit der Koalitionsverhandlungen gab es – das wissen Sie – einen gemeinsamen Besuch von Hannelore Kraft und Peter Altmaier bei Herrn Almunia, um ihm von den Koalitionsverhandlungen zu berichten. Ich behaupte, das hat mitgeholfen, das Beihilfeverfahren in seiner ursprünglichen Form zu entschärfen. Da war nämlich mehr geplant: Es sollten nicht nur die Ausnahmen unter Beschuss genommen werden, sondern das EEG insgesamt. Hätten die Grünen das dann eigentlich auch begrüßt? Wir haben eine andere Rechtsauffassung. Wir befürchten, dass über das Instrument des Beihilferechts von europäischer Seite an der einen oder anderen Stelle in die nationale Kompetenz im Bereich der Energiepolitik eingegriffen wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja richtig!) Deshalb noch einmal: Die Bundesrepublik Deutschland hat eine andere Rechtsauffassung als Herr Almunia. Ich sage Ihnen auch: Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, dass diese Auseinandersetzung mit der Kommission nicht eskaliert. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Deshalb sage ich: Die Reform der Ausnahmetatbestände ist das eine. Aber wer sich im Interesse der energieintensiven Grundstoffindustrien, die wir in Deutschland haben wollen, für eine Reform der Ausnahmetatbestände ausspricht, der darf bitte nicht über die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform des EEG schweigen, Herr Kollege Krischer. Ich finde, da wart ihr schon mal weiter. Ich zitiere mit Zustimmung der Präsidentin aus einem Beschluss der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der 2013, also vergangenes Jahr, auf der Neujahrsklausur gefasst wurde: Deshalb wollen wir das EEG weiterentwickeln und neue Marktstrukturen aufbauen, in denen die Erneuerbaren zunehmend ohne Förderung ihren Platz finden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben inzwischen ein neues Papier vorgelegt!) Ich finde, das geht in eine vernünftige Richtung; darum geht es bei einer grundlegenden EEG-Reform. Um es der deutschen Öffentlichkeit klar zu sagen: Wir stehen im ersten Halbjahr 2014 nicht unter politischem Druck; es besteht keine Notwendigkeit, in der ersten Jahreshälfte eine grundlegende EEG-Reform zustande zu bringen. Aber es gibt einen Zusammenhang zwischen dem beihilferechtlichen Verfahren der EU-Kommission, der notwendigen Reform der Richtlinien auf europäischer Ebene und einer EEG-Novelle. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Aber deshalb muss man proaktiv handeln!) Deshalb stehen wir miteinander in der Verantwortung, eine Reform nicht zu blockieren, sondern sie hinzubekommen. Ich sage es noch einmal: Wir wollen Ausnahmen für diejenigen erhalten, die sie brauchen, weil sie im internationalen Wettbewerb stehen. Denn als Industrienation sind wir darauf angewiesen, die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick zu nehmen und die Grundstoffindustrien in diesem Land zu halten. Wer nicht begriffen hat, dass das ansonsten für Arbeitsplätze und Standorte ein Problem werden kann, der hat von Wirtschaftspolitik, mit Verlaub, keine Ahnung. Deshalb: Man kann es reformieren, aber man darf es nicht weghauen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau unser Antrag!) – Ich habe ja versprochen, dass ich mich um Differenzierung bemühe. Zweitens. Oli Krischer, ich finde den Text des Antrages im Gegensatz zum Beschluss von der Neujahrsklausur 2013 ein bisschen strukturkonservativ: Man tut so, als sei mit dem EEG im Moment so ziemlich alles in Ordnung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht doch nirgendwo drin!) Darüber weißt du auch mehr, um das einmal klar zu sagen. Wir haben Überförderungstatbestände, und wir haben keine Vorstellung davon, wie das EEG alter Natur in ein neues Marktdesign überführt werden kann. Aber genau das will diese Große Koalition leisten. Das EEG ist eine Erfolgsgeschichte – gar keine Frage; das ist ja schon beschrieben worden –: Ein Anteil von 25 Prozent aus erneuerbaren Energien wäre ohne das EEG nicht denkbar gewesen. Aber das EEG in seiner jetzigen Form droht an dem eigenen Erfolg zu ersticken. Das liegt an der Überförderung und an Problemen, die mit der Versorgungssicherheit zu tun haben. Deshalb wird diese Große Koalition mit der Verunsicherung, die hinsichtlich Planung und Investitionen in den letzten Jahren in der gesamten Energiebranche geschaffen wurde, aufräumen müssen. Wir wollen eine sichere, eine saubere, aber eben auch eine bezahlbare Energieversorgung, und zwar nicht nur für die Unternehmen in Deutschland, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger. Wir dürfen im Zusammenhang mit der Frage, welche Erwartungen an die EEG-Reform geknüpft werden, allerdings nicht den Eindruck erwecken, als ginge es um eine Senkung der EEG-Umlage; denn die Kostenstrukturen der Vergangenheit – die Zusagen – werden wir weiter tragen. Das heißt, der vorhandene Bestand, der Sockel, ist ein Stück weit Teil der zukünftigen Struktur. Es geht um die Frage, wie wir die Kostendynamik in der Zukunft bremsen können und wie wir dafür sorgen können, dass die Energiewende in diesem Land auch energiewirtschaftlich effizient und kostengünstig vollzogen wird. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und klimafreundlich!) – Das sowieso. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wichtig!) Ich sage es an dieser Stelle noch einmal: Wir kommen nicht weiter, wenn wir uns hinter ideologisierten Positionen einmauern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine herzliche Bitte auch an Bündnis 90/Die Grünen, die ja in einigen Bundesländern mit uns gemeinsam und in Hessen mit anderen Regierungsverantwortung und damit auch Verantwortung für das Gelingen der Energiewende tragen, ist, dass wir uns jetzt nicht in Schützengräben verziehen. Ich bitte euch, nicht reflexartig, weil ihr in der Opposition sitzt, auf ein Mitwirken an diesem Prozess zu verzichten. Ich habe den letzten Satz deiner Rede, Oliver Krischer, sehr wohl gehört, dass die Grünen an dieser ganzen Geschichte mitwirken wollen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Angebot!) – Ich hoffe, es ist ein ernst gemeintes Angebot. Das sage ich an dieser Stelle auch. Wir haben miteinander ein Interesse daran, dass wir die Energiewende zum Erfolg führen. Weder die Energiewende darf diskreditiert werden noch die Tatsache, dass dieses Land ein Industrieland ist. Ich will mit einem Satz sagen, warum das kein Gegensatz ist: Windräder brauchen Stahl. Die gesamte Wertschöpfung ist in den Blick zu nehmen. Deshalb habe ich die herzliche Bitte, dass wir in diesem Haus nicht alles aus Brüssel, weil es gerade in den Kram passt, entweder total gut oder total schlecht finden. Einige Passagen in der Rede von Oliver Krischer fand ich ein bisschen widersprüchlich: Auf der einen Seite wird begrüßt, dass Verfahren gegen Deutschland eingeleitet werden, auf der anderen Seite findet man vieles, was aus Brüssel zur Energiewende in Deutschland gesagt wird, nicht ganz unproblematisch. Das passt nicht so ganz zusammen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber der zweite Teil! Das ist aber das Problem!) Ich sage es noch einmal: Mit Blick auf mögliche Rechtsfolgen – wir sind anderer Auffassung als die EU-Kommission – müssen wir versuchen, dieses beihilferechtliche Verfahren abzuwenden. Wir müssen zusehen, dass das nicht eskaliert. Ich will sagen, was das für dieses Jahr bedeutet – diesen Zeitdruck habe ich vorhin angesprochen –: Wir wissen, dass die – berechtigten – Ausnahmegenehmigungen für die energieintensiven Betriebe vor dem 18. Dezember letzten Jahres von dem zuständigen Bundesamt, dem BAFA, erteilt wurden. Damit wird es 2014 keine Wettbewerbsschwierigkeiten für die energieintensiven Betriebe geben. Aber es gibt natürlich eine Verunsicherung, nicht nur, was die ungeklärte Frage der Rückstellungen für einen möglichen negativen Ausgang des Verfahrens angeht. Diesbezüglich scheint sich die Lage ein bisschen zu entspannen. Die eigentliche Frage lautet aber: Wie geht es ab dem 1. Januar 2015 weiter? Wenn wir miteinander der Meinung sind, dass wir da etwas tun müssen, dann müssen wir bis zur Mitte dieses Jahres Rechts- und Planungssicherheit schaffen, damit zum 1. Januar 2015 nicht eine Situation eintritt, die für uns als Industrienation und die Arbeitsplätze in der Grundstoffindustrie bedrohlich ist. Deshalb ist Eile geboten. Ich könnte es auch politischer sagen: In den letzten vier Jahren gab es so viel Hin und Her, dass wir jetzt zügig aufräumen müssen, damit es nicht problematisch wird, und alle sind aufgerufen, mitzuhelfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt haben wir Januar. Der Bundeswirtschafts- und Energieminister wird in den nächsten Wochen Vorschläge unterbreiten. Dann müssen wir in diesem Haus zügig in den Gesetzgebungsprozess eintreten. Wir müssen darauf achten, dass Bund und Länder sich an dieser Stelle nicht verhaken. Ich will aber sagen, dass ich ganz zuversichtlich bin, dass wir es trotz der regional unterschiedlichen Interessen in Sachen Energiepolitik – machen wir uns nichts vor: die Bundesländer haben sehr unterschiedliche Interessen, was die Wertschöpfung angeht – schaffen, im ersten Halbjahr eine EEG-Reform auf die Beine zu stellen, die beides leistet: Wir müssen uns anschauen, welche Ausnahmetatbestände sinnvoll sind und welche möglicherweise nicht sinnvoll sind. Ich sage aber auch, dass es in Brüssel Vorstellungen hinsichtlich Mindestumlagen gibt, die wir nicht mittragen können, weil das bedrohlich wäre, auch was die Kostenstruktur betrifft. Auf der anderen Seite müssen wir das EEG zukunftsfähig machen. Eine grundlegende Reform ist notwendig. Wir brauchen so etwas wie ein EEG 2.0 in diesem Land und eine Überführung in ein Marktdesign, das langfristig dafür sorgt, dass die Erneuerbaren tatsächlich marktfähig werden. Das ist ein Text der Grünen aus 2013; diesen habe ich zitiert. Wenn wir es schaffen könnten, unterhalb dieser Überschriften pragmatische Lösungen im Gesetzgebungsverfahren zu finden, fände ich das den Schweiß der Edlen wert. Deshalb ist meine Bitte, sich nicht schon am Anfang des Jahres in die Schützengräben einzumauern, sondern zu schauen, ob und wie wir zusammenkommen können. Denn ich sage ganz deutlich: Wir alle tragen Verantwortung für das Gelingen der Energiewende. Nicht nur Regierungsfraktionen, sondern auch die Opposition trägt Verantwortung für die Zukunft dieses Landes. Meine herzliche Einladung an zumindest diesen Teil der Opposition, an die Grünen – nicht an die Linken, da habe ich die Hoffnung aufgegeben –, ist, daran mitzuwirken. (Widerspruch bei der LINKEN) – Ich will es einmal ganz deutlich sagen, Frau Bulling-Schröter: Unterhalten Sie sich doch beispielsweise einmal mit Ihrem Kollegen, dem Wirtschaftsminister von der Linkspartei in Brandenburg. Er hat eine grundlegend andere Vorstellung von Energie- und Wirtschaftspolitik, weil er mehr mit der Praxis von Industrie in Brandenburg befasst ist als Sie offensichtlich hier im Deutschen Bundestag. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Jens Koeppen für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD]) Jens Koeppen (CDU/CSU): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Krischer, Sie haben am Anfang und auch zum Schluss Ihrer Rede den Konsens beschworen. Das fand ich sehr gut. In der Tat, wir haben einen breiten Konsens in diesem Haus, nämlich dass wir die Umstellung der Energieversorgung in Deutschland vorantreiben wollen. Dazu brauchen wir – auch das haben Sie gesagt – die Akzeptanz der Menschen. Wir dürfen aber mit dem Umbau der Energieversorgung in Deutschland – auch das haben Sie gesagt – den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht gefährden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind wir ja einer Meinung!) Wir sind ebenfalls einer Meinung, dass Strom kein Luxusgut werden darf, weder für die Familien noch für die Rentnerinnen und Rentner noch für die Studenten, aber schon gar nicht für die Unternehmen. Der Anteil der Industrie an der Wertschöpfung in Deutschland beträgt nun einmal 23 Prozent. Das ist immerhin doppelt so viel wie zum Beispiel in Frankreich, in Großbritannien oder den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich finde es gut, dass Sie in Ihrem Antrag eindeutig geschrieben haben, dass Sie die besonderen Ausgleichsregelungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht angreifen wollen. Sie wollen es auch dabei belassen. Sie haben sogar geschrieben – ich zitiere –, dass es eine „sinnvolle ordnungspolitische Maßnahme“ ist. Das begrüßen wir außerordentlich. Das sind ja auch Maßnahmen, die Sie auf den Weg gebracht haben. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben!) – Das haben Sie in Ihrem Antrag geschrieben. – Dennoch häufen sich, Frau Lemke, wie schon in der 17. Wahlperiode die Widersprüche in Ihren Anträgen. Der Antrag ist ja auch bloß ein bisschen „refreshed“; sie haben ihn schon mehrmals vorgelegt. Wir haben bereits mehrmals darüber gesprochen. Sie haben den Antrag jetzt ein bisschen aufpoliert. Das ist völlig in Ordnung. (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie schreiben, dass die hohen Kosten für die EEG-Umlage und der fortlaufende Anstieg der Kosten den besonderen Ausgleichsregelungen für energieintensive Unternehmen angelastet werden muss. Das ist eine Behauptung. Sie behaupten auch – das können wir so nicht stehen lassen –: Mit der EEG-Novelle 2012 wurde die Regelung massiv ausgeweitet. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt die EU-Kommission!) Machen wir doch einmal einen Faktencheck. Sie beschreiben es als überbordend und ausufernd; das haben Sie auch in Ihrer Rede so zitiert. Die Kriterien, Herr Krischer, sind genau die gleichen geblieben wie bei Ihnen: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) die Strommenge – dazu komme ich gleich noch genauer –; es muss produzierendes Gewerbe sein, und es muss ein Unternehmen sein, das im internationalen Wettbewerb steht. Wir haben in der Novelle 2012 lediglich eine Mittelstandskomponente hinzugefügt. Wir haben gesagt: Die Strommenge sinkt von 10 Gigawattstunden auf 1 Gigawattstunde. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Unterschied!) – Ich komme dazu. – In der Tat sind es mehr Unternehmen geworden. Das ist doch Sinn und Zweck der Übung gewesen. Aber, wie Herr Kollege Bareiß schon gesagt hat, die Strommenge ist in vier Jahren, vom Jahre 2010 bis zum Jahre 2013, um 10 Prozent gestiegen: von genau 86,6 Gigawattstunden auf 95,3 Gigawattstunden. Das heißt, die Novelle 2012 hatte eine Erhöhung der EEG-Umlage von 0,2 Cent zur Folge. Das sind für einen Durchschnittshaushalt im Monat 60 Cent. Dafür bekommen wir aber einen international wettbewerbsfähigen Mittelstand und sichern die Arbeitsplätze in Familienunternehmen. Das sollte es uns wert sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine absurde Milchmädchenrechnung!) Jetzt kommen wir zu Ihrer zweiten Behauptung. Sie sagen, die Novelle von 2012 hätte völlig neue Branchen, insbesondere die böse Braunkohleindustrie, in diese Liste gespült. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da nicht drin!) – Das haben Sie so geschrieben; ich kann das zitieren. – Machen wir einmal den Faktencheck: Vor 2012, vor der Novelle, standen sechs Unternehmen der Braunkohleindustrie auf dieser Liste. Jetzt dürfen Sie raten, wie viele es heute sind! Sechs. Sie beklagen, dass diverse Unternehmen der Fleischindustrie plötzlich dort auftauchen. Vor 2012 waren genau die gleichen Unternehmen auch drin. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch überhaupt nicht!) Sie beklagen außerdem, dass vor 2012 49 Schienenbahnen dort auftauchten. Heute sind es 53; das sind 4 mehr. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht alles nicht in unserem Antrag, was Sie da erzählen!) Wieso können Sie sagen, dass neue und überbordend viele Unternehmen in diese Liste gespült worden sind? Das ist nicht der Fall. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sind denn dann die 100 Unternehmen, die dazugekommen sind?) Kommen wir zu Ihrer dritten Behauptung; wir sind bereits darauf eingegangen. Sie sagen: Alle Betriebe zahlen lediglich 0,05 Cent pro Kilowattstunde, und die besonderen Ausgleichsregelungen sind schuld an der Höhe der Umlage von 6,24 Cent. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Unter anderem!) Machen wir auch hier den Faktencheck: Es gibt eine eindeutige Staffelung. Bis zu 1 Gigawattstunde wird von allen Betrieben die volle Höhe bezahlt. Bis 10 Gigawattstunden sind es 10 Prozent, und bis 100 1 Prozent. Erst ab 100 Gigawattstunden kommen die 0,05 Cent zum Tragen. Das heißt: Die Summe der besonderen Ausgleichsregelungen macht zurzeit 1,35 Cent aus. Das sind 4 Euro pro Monat pro Durchschnittshaushalt. Herr Krischer, lassen Sie uns das einmal durchrechnen. Sie sagen, das ist eine Milchmädchenrechnung, aber die Zahlen sagen etwas anderes. Würden wir die Rücknahme dieser besonderen Ausgleichsregelungen veranlassen und somit eine Deindustrialisierung in Deutschland riskieren, würden wir – Stand heute – auf eine EEG-Umlage von 5 Cent kommen, und die Haushalte würden 4 Euro einsparen. Wollen wir das riskieren? Ich denke, nein. (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Krischer, ich habe noch eine Empfehlung an Sie. Machen wir einmal Folgendes – dann kommen wir nämlich vom Theoretischen ins Praktische –: Wir setzen uns hin, nehmen die Liste und gucken uns alle Betriebe in allen Bundesländern an, die beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle verzeichnet sind. Das machen wir mit den Unternehmen in Ihrem Wahlkreis, in meinem Wahlkreis, in allen Wahlkreisen – ohne Ausnahme. Wir gucken uns alle an. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Vorschlag gemacht!) Dann sagen wir, welches Unternehmen die drei Kriterien, die Sie und wir eingeführt haben, nicht erfüllt. Dann machen wir den Faktencheck und sagen: Diese Unternehmen sollen nicht mehr von der Ausgleichsregelung profitieren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da redet gar keiner von!) In meinem Wahlkreis gibt es zwei Papierfabriken, sie stehen nebeneinander. Die eine hätte von einem Jahr aufs andere 15 Millionen Euro zusätzliche Kosten; (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht wegen des Stroms!) das betrifft übrigens ungefähr 1 000 bis 1 200 Arbeitsplätze. Das heißt: Wenn diese Firmen die EEG-Umlage – so ist ja Ihr Wunsch – jetzt komplett bezahlen sollen, dann würde das eine hundertfache Erhöhung bedeuten. Denn alle mittelständischen Papierfabriken zahlen zurzeit 125 000 Euro EEG-Umlage. Wenn diese Regelung wegfallen würde, dann wären das mit einem Schlag 12,5 Millionen Euro. Wissen Sie, was die Vertreter von UPM-Kymmene aus Finnland dann zu mir sagen? Sie sagen schlicht und ergreifend: Das kann niemand wollen. – Die schließen dann ab und schmeißen den Schlüssel weg, ohne sich umzudrehen. Das wird nämlich passieren, und das werden wir nicht riskieren. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Koeppen, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Krischer? Jens Koeppen (CDU/CSU): Selbstverständlich. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank. – Herr Kollege Koeppen, was Sie hier jetzt aufmachen, hat mit unserem Antrag alles gar nichts zu tun. Wir schlagen schließlich vor, dass man sich an der Strompreiskompensationsrichtlinie orientieren soll. Darin werden Betriebe wie zum Beispiel die Papierindustrie erwähnt, die dann nach wie vor in den Genuss der besonderen Ausgleichsregelungen kommen. Ich frage Sie: Warum haben Sie eben bei Ihrer Berechnung der Kosten der besonderen Ausgleichszahlungen die Zahl von 1,35 Cent genannt, die angeblich die Gesamtsumme der besonderen Ausgleichsregelungen ausmacht? Ich würde eine andere Zahl nennen – aber geschenkt. Wie erklären Sie, dass der Börsenpreis für Strom durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz, durch den Merit-Order-Effekt, durch den Ausbau der erneuerbaren Energien von 8 Cent im Jahr 2008 auf inzwischen unter 4 Cent gesunken ist? Davon profitieren diese Unternehmen. Wir haben ja die Situation, dass beispielsweise in den Niederlanden eine Aluhütte Insolvenz anmelden muss, weil in Deutschland die Industriestrompreise gesunken sind. Wie erklären Sie diese Zusammenhänge? Jens Koeppen (CDU/CSU): Herr Krischer, Sie wissen doch ganz genau, dass das Problem mit dem Differenzstrom und der Merit-Order-Effekt die Urkrankheiten des EEG sind. Genau deswegen müssen wir es doch anfassen! Herr Krischer, wenn Sie den Börsenstrompreis als den Industriepreis für Deutschland nehmen und sagen: „Deutschland geht es am besten“ und dabei die übrigen Faktoren, die auch mit in den Strompreis eingehen, ignorieren, dann sind Sie auf dem Holzweg. Es ist eben nicht nur der Börsenstrompreis, der bezahlt werden muss. Es ist in Deutschland eben auch die EEG-Umlage, die bezahlt werden muss. Der Grund, aus dem wir die Unternehmen davon befreien wollen, ist nicht, dass wir wollen, dass die Haushalte 4 Euro mehr bezahlen, um die „fette Industrie“ zu unterstützen, sondern, dass wir die Arbeitsplätze im Land halten wollen. Denn die Unternehmen würden sonst nichts anderes tun, als abzuschließen und aus dem Land zu gehen. Sie würden sich nicht einmal umdrehen, um zu gucken, wo der Schlüssel ist, sondern sie würden einfach gehen. Dazu gibt es eindeutige Aussagen. Wir dürfen es nicht dazu kommen lassen – auch wenn Sie alle jetzt so entrüstet den Kopf schütteln: Sie müssen sich wirklich einmal mit den Industriebetrieben und mit den mittelständischen Betrieben unterhalten –; (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir, verdammt noch mal!) deswegen haben wir die Mittelstandskomponente eingeführt. (Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]) Ich will abschließend sagen, Herr Krischer: Wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben, Sie wollen das EEG verstetigen, Sie wollen das EEG konservieren und Sie wollen es auch zementieren – es soll also nicht angefasst werden –: Das führt in die Sackgasse. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da alles nicht drin! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da gar nicht drin! Lesen hilft!) – Sie haben geschrieben, dass das letztendlich so verstetigt werden soll. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!) Wir brauchen – darauf haben wir uns in der Koalition verständigt – eine grundlegende – ich lege Wert darauf: eine grundlegende – Reform des EEG. In diese Reform muss Eingang finden, dass wir die technologischen Innovationen nach vorne bringen. Wir müssen die Energieeffizienzmaßnahmen weiterhin im Blick haben. (Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann tun Sie was dafür! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im EEG? Was wollen Sie denn im EEG mit Energieeffizienz machen?) Wir müssen hin zur Vergütung der Energieversorgung und weg von der Vergütung der reinen Installation und Erzeugung. Wir müssen endlich wieder nutzbare Energie fördern. Der Ausbau muss bedarfsgerecht mit der vorhandenen, aber vielleicht auch mit der neuen Netzinfrastruktur synchronisiert werden. Meine Damen und Herren, ein Ausbau auf der grünen Wiese ohne Abnehmer muss der Vergangenheit angehören. Wir brauchen die Akzeptanz der Menschen. Wir brauchen innovative Ideen statt Besitzstandswahrung. Wenn Sie den Konsens, den Sie vorhin beschworen haben, wollen, dann sind Sie herzlich eingeladen, mitzumachen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/291 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages berufe ich auf Mittwoch, den 29. Januar 2014, 11 Uhr, ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits am Montag, dem 27. Januar 2014, findet um 14 Uhr hier im Plenarsaal die Gedenkveranstaltung des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus statt. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute. (Schluss: 13.58 Uhr) Berichtigung 8. Sitzung, Seite 462 A, dritter Absatz, der fünfte Satz ist wie folgt zu lesen: Der Hohe Kurdische Rat im Norden verlangt nicht mehr und nicht weniger, als auch eine Delegation entsenden zu dürfen. Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 17.01.2014 Bertram, Ute CDU/CSU 17.01.2014 Burkert, Martin SPD 17.01.2014 Ebner, Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.01.2014 Dr. Freudenstein, Astrid CDU/CSU 17.01.2014 Gutting, Olav CDU/CSU 17.01.2014 Dr. Harbarth, Stephan CDU/CSU 17.01.2014 Heller, Uda CDU/CSU 17.01.2014 Henn, Heidtrud SPD 17.01.2014 Hinz (Herborn), Priska BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.01.2014 Klimke, Jürgen CDU/CSU 17.01.2014 Krellmann, Jutta DIE LINKE 17.01.2014 Lenkert, Ralph DIE LINKE 17.01.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.01.2014 Dr. Malecha-Nissen, Birgit SPD 17.01.2014 Marwitz, Hans-Georg von der CDU/CSU 17.01.2014 Mattfeldt, Andreas CDU/CSU 17.01.2014 Movassat, Niema DIE LINKE 17.01.2014 Pilger, Detlev SPD 17.01.2014 Pronold, Florian SPD 17.01.2014 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.01.2014 Schieder (Schwandorf), Marianne SPD 17.01.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 17.01.2014 Schmidt (Ühlingen), Gabriele CDU/CSU 17.01.2014 Steinbach, Erika CDU/CSU 17.01.2014 Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 17.01.2014 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 17.01.2014 Dr. Ullrich, Volker CDU/CSU 17.01.2014 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 17.01.2014 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 918. Sitzung am 19. Dezember 2013 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ für den Zeitraum 2014–2020 – Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (13. SGB V-Änderungsgesetz – 13. SGB V-ÄndG) Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mitgeteilt, dass sie den Antrag Operation Active Endeavour beenden auf Drucksache 18/99 zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Petitionsausschuss Drucksache 17/13340 Nr. A.1 EP P7_TA-PROV(2013)0062 Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/12244 Nr. A.5 EuB-BReg 3/2013 Drucksache 17/13340 Nr. A.4 EuB-BReg 30/2013 Rechtsausschuss Drucksache 17/10710 Nr. A.22 Ratsdokument 11180/12 Haushaltsausschuss Drucksache 17/13830 Nr. A.5 Ratsdokument 9166/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.6 Ratsdokument 9167/13 Drucksache 17/13994 Nr. A.2 Ratsdokument 9327/13 Drucksache 17/13994 Nr. A.3 Ratsdokument 9336/13 Drucksache 17/13994 Nr. A.4 Ratsdokument 10148/13 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/13830 Nr. A.7 Ratsdokument 9187/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.8 Ratsdokument 9308/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.9 Ratsdokument 9343/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.10 Ratsdokument 9346/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.11 Ratsdokument 10201/13 Drucksache 17/13994 Nr. A.5 Ratsdokument 8874/13 Drucksache 17/13994 Nr. A.6 Ratsdokument 10048/13 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 17/5822 Nr. A.40 Ratsdokument 8989/11 Drucksache 17/13830 Nr. A.12 Ratsdokument 9459/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.13 Ratsdokument 9464/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.14 Ratsdokument 9468/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.15 Ratsdokument 9527/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.16 Ratsdokument 9574/13 Drucksache 17/13994 Nr. A.7 Ratsdokument 10726/13 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 17/6176 Nr. A.18 Ratsdokument 10168/11 Drucksache 17/13340 Nr. A.20 EP P7_TA-PROV(2013)0074 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 17/7918 Nr. A.18 Ratsdokument 15629/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.44 Ratsdokument 18008/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.46 Ratsdokument 18010/11 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 17/7549 Nr. A.10 Ratsdokument 14749/11 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 17/13830 Nr. A.19 EP P7_TA-PROV(2013)0179 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 17/11108 Nr. A.25 Ratsdokument 12444/12 Drucksache 17/11108 Nr. A.27 Ratsdokument 13228/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.25 Ratsdokument 14871/12 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 17/13595 Nr. A.23 Ratsdokument 8541/13 II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9. Sitzung, Berlin, Freitag, den 17. Januar 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9. Sitzung, Berlin, Freitag, den 17. Januar 2014 563 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 566 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9. Sitzung, Berlin, Freitag, den 17. Januar 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9. Sitzung, Berlin, Freitag, den 17. Januar 2014 565