Plenarprotokoll 18/8 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 8. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 16. Januar 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Joachim Poß und Peter Wichtel 393 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 393 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 14 und 17 395 A Tagesordnungspunkt 3: Vereinbarte Debatte: zur OECD-Studie PISA 2012: Schulische Bildung in Deutschland besser und gerechter 395 A Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) 395 A Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 396 C Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 397 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 399 B Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 400 D Azize Tank (DIE LINKE) 403 A Hubertus Heil (Peine) (SPD) 403 D Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 405 C Michael Kretschmer (CDU/CSU) 406 C Dr. Daniela De Ridder (SPD) 408 A Uwe Schummer (CDU/CSU) 409 B Dr. Karamba Diaby (SPD) 410 C Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 411 D Martin Rabanus (SPD) 413 B Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) 414 A Tagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2012 (54. Bericht) Drucksachen 17/12050, 18/297 415 B Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 415 C Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg 417 B Christine Buchholz (DIE LINKE) 419 A Rainer Arnold (SPD) 420 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 422 B Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) 423 B Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 424 D Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 425 D Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) 426 D Heidtrud Henn (SPD) 427 D Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglieder Drucksache 18/292 428 D b) Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gesetzliche Karenzzeit für ausgeschiedene Regierungsmitglieder einführen Drucksache 18/285 429 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 429 A Bernhard Kaster (CDU/CSU) 430 B Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 431 C Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) 432 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 434 C Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) 435 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 437 A Sabine Leidig (DIE LINKE) 438 B Sonja Steffen (SPD) 439 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 440 D Sonja Steffen (SPD) 441 A Helmut Brandt (CDU/CSU) 441 C Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) 442 C Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährung einer Umverteilungsprämie 2014 (Umverteilungsprämiengesetz 2014 – UmvertPrämG 2014) Drucksache 18/282 443 D Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Katja Kipping, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MinLohnG) Drucksache 18/6 444 A b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung Drucksache 18/7 444 A c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) Drucksache 18/52 444 A d) Beratung des Entschließungsantrags der Fraktion DIE LINKE: zu der vereinbarten Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA und den Auswirkungen auf Deutschland und die transatlantischen Beziehungen Drucksache 18/56 444 B e) Beratung des Entschließungsantrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu der vereinbarten Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA und den Auswirkungen auf Deutschland und die transatlantischen Beziehungen Drucksache 18/65 444 B f) Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimakonferenz in Warschau – Ohne deutsche Vorreiterrolle kein internationaler Klimaschutz Drucksache 18/96 444 C g) Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Risiko und Haftung zusammenführen – Gläubigerbeteiligung nach EZB-Bankentest sicherstellen Drucksache 18/97 444 C h) Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsam die Haftung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler beenden – Für einen einheitlichen europäischen Restrukturierungsmechanismus Drucksache 18/98 444 D i) Antrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Operation Active Endeavour beenden Drucksache 18/99 445 A j) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (14. SGB V-Änderungsgesetz – 14. SGB V-ÄndG) Drucksache 18/201 445 A Tagesordnungspunkt 6: Wahl der Schriftführer gemäß § 3 der Geschäftsordnung Drucksache 18/289 445 B Tagesordnungspunkt 8: Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gemäß den Artikeln 1 und 2 des Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates Drucksache 18/290 (neu) 445 C Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Artikel 45 d des Grundgesetzes Drucksache 18/283 445 C Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Artikel 45 d des Grundgesetzes Drucksache 18/284 445 C Wahl 446 A Ergebnis 499 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Finanzierung künftiger Kosten des geplanten Rentenpakets der Bundesregierung 446 B Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 446 B Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) 447 C Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 448 D Dr. Carola Reimann (SPD) 449 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 451 A Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 452 A Roland Claus (DIE LINKE) 453 A Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) 454 B Tobias Zech (CDU/CSU) 455 B Markus Paschke (SPD) 456 C Uwe Schummer (CDU/CSU) 457 C Karl Schiewerling (CDU/CSU) 458 B Tagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Bundesregierung: Fortsetzung der Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verstärkung der integrierten Luftverteidigung der NATO auf Ersuchen der Türkei und auf Grundlage des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung (Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen) sowie des Beschlusses des Nordatlantikrates vom 4. Dezember 2012 Drucksache 18/262 459 C Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA 459 D Jan van Aken (DIE LINKE) 461 B Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg 462 B Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 463 A Philipp Mißfelder (CDU/CSU) 464 B Florian Hahn (CDU/CSU) 465 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 466 B Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation Active Endeavour im gesamten Mittelmeer Drucksache 18/263 466 D Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA 467 A Stefan Liebich (DIE LINKE) 467 D Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg 468 C Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 469 A Philipp Mißfelder (CDU/CSU) 470 A Lars Klingbeil (SPD) 470 D Julia Bartz (CDU/CSU) 471 D Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Erwerbsminderungsschutzes Drucksache 18/9 473 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 473 A Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 474 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 475 D Michael Gerdes (SPD) 477 A Uwe Lagosky (CDU/CSU) 478 A Dr. Martin Rosemann (SPD) 479 A Stephan Stracke (CDU/CSU) 480 A Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) 480 D Tagesordnungspunkt 12: a) Erste Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Drucksache 18/185 481 D b) Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bis zur Abschaffung des Optionszwanges vermeiden Drucksache 18/186 481 D c) Antrag der Abgeordneten Sevim Da?delen, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht Drucksache 18/286 481 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 482 A Helmut Brandt (CDU/CSU) 483 A Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 483 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 485 A Petra Pau (DIE LINKE) 485 B Uli Grötsch (SPD) 486 A Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 487 B Michael Frieser (CDU/CSU) 488 A Rüdiger Veit (SPD) 489 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 490 B Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Atomwaffen ächten Drucksache 18/287 491 C Inge Höger (DIE LINKE) 491 C Ingo Gädechens (CDU/CSU) 492 B Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 493 D Wolfgang Hellmich (SPD) 494 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 495 C Florian Hahn (CDU/CSU) 496 C Nächste Sitzung 497 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 499 A Anlage 2 Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Art. 45 d des Grundgesetzes teilgenommen haben 499 B Inhaltsverzeichnis 8. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 16. Januar 2014 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte ich gerne den Kollegen Joachim Poß und Peter Wichtel zu ihren 65. Geburtstagen gratulieren, die sie in der Weihnachtspause hinter sich gebracht haben. Auch auf diesem Wege herzliche Grüße und alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr. (Beifall) Wenn der Kollege Gysi persönlich anwesend wäre, hätte ich ihm möglicherweise trotz des strengen Reglements zu seinem heutigen 66. Geburtstag gratuliert. So muss das bedauerlicherweise entfallen. Aber vielleicht können Sie, Frau Sitte, ihm unsere herzlichen Grüße übermitteln. (Beifall – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das mache ich gern!) Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Haltung der Bundesregierung zu den Verhandlungen über ein No-Spy-Abkommen zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland (siehe 7. Sitzung) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 18) a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Katja Kipping, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MinLohnG) Drucksache 18/6 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Tourismus Haushaltsauschuss b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung Drucksache 18/7 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsauschuss c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) Drucksache 18/52 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsauschuss d) Beratung des Entschließungsantrags der Fraktion DIE LINKE zu der vereinbarten Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA und den Auswirkungen auf Deutschland und die transatlantischen Beziehungen Drucksache 18/56 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsauschuss e) Beratung des Entschließungsantrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der vereinbarten Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA und den Auswirkungen auf Deutschland und die transatlantischen Beziehungen Drucksache 18/65 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimakonferenz in Warschau – Ohne deutsche Vorreiterrolle kein internationaler Klimaschutz Drucksache 18/96 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsauschuss g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Risiko und Haftung zusammenführen – Gläubigerbeteiligung nach EZB-Bankentest sicherstellen Drucksache 18/97 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsauschuss h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsam die Haftung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler beenden – Für einen einheitlichen europäischen Restrukturierungsmechanismus Drucksache 18/98 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsauschuss i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Operation Active Endeavour beenden Drucksache 18/99 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsauschuss j) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (14. SGB V-Änderungsgesetz – 14. SGB V-ÄndG) Drucksache 18/201 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsauschuss gemäß § 96 der GO ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzierung künftiger Kosten des geplanten Rentenpakets der Bundesregierung ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europarechtskonforme Regelung der Industrievergünstigungen auf stromintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb begrenzen und das EEG als kosteneffizientes Instrument fortführen Drucksache 18/291 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 14 und 17 werden abgesetzt. Ich frage Sie, ob Sie damit einverstanden sind. – Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Vereinbarte Debatte zur OECD-Studie PISA 2012: Schulische Bildung in Deutschland besser und gerechter Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Albert Rupprecht für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Da das heute die erste Bildungs- und Forschungsdebatte in der neuen Legislatur und auch die erste Debatte im neuen Jahr ist, wünsche ich Ihnen alles Gute und uns allen eine gute Zusammenarbeit. Meine besonderen Grüße richten sich natürlich an die Kollegen der SPD. Das ist das Schöne an der politischen Arbeit: dass man immer wieder neue Menschen kennenlernt und neue Freunde dazugewinnt. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Sehr geehrte Damen und Herren, der Bericht „PISA 2012“ ist aus deutscher Sicht höchst erfreulich. Ich zitiere Professor Prenzel: Die Verbesserungen können als Erfolgsgeschichte betrachtet werden. – Wir haben seit 2000 in allen Kompetenzbereichen substanzielle Verbesserungen hinbekommen. Wir erreichen inzwischen ein signifikant über dem OECD-Schnitt liegendes Niveau, und zwar in allen drei Bereichen: Mathematik, Lesen, Naturwissenschaften. Die 15-Jährigen in Deutschland haben sich – seit dem PISA-Schock im Jahr 2000 – viermal in Folge verbessert. In Europa liegen wir inzwischen in der Spitzengruppe. Kein anderes Land hat sich viermal in Folge derart gesteigert. Musterländer wie Dänemark, Norwegen und Schweden haben wir hinter uns gelassen. Der europäische Primus Finnland liegt nicht mehr Welten, sondern nur noch eine Nasenlänge vor uns. Ich finde: Die Anstrengungen in den letzten zehn Jahren haben sich gelohnt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch in dem immer wieder in Deutschland thematisierten und zu Recht diskutierten Bereich, in dem es um den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg geht, gibt es substanzielle Verbesserungen. Wir haben immer wieder, auch in der letzten Legislatur hier im Plenum, darüber diskutiert, dass Deutschland in diesem Bereich Schlusslicht in Europa ist. Das war das Dauerthema. PISA 2012 zeigt uns aber eindeutig und ganz klar, dass Schüler aus schwierigen sozialen Familienverhältnissen überdurchschnittlich aufgeholt haben und dass wir bei dieser Gruppe inzwischen über dem OECD-Schnitt liegen. Wir müssen uns einmal vor Augen führen, wo wir 2000 gestartet sind. Beim PISA-Bericht 2000 lagen wir in allen Bereichen unter dem OECD-Schnitt. Jetzt erleben wir, dass aus dem damaligen PISA-Schock in der Tat ein PISA-Erfolg geworden ist. Wir können froh sein, dass wir im Jahr 2014 sagen können: Die deutschen Schulen sind wieder vorne mit dabei. Diese Entwicklung kann nicht primär durch die Schulstrukturen begründet werden; so steht es auch im Bericht. Die Schulstrukturen, über die es viele Jahrzehnte ideologisch geführte und ellenlange Diskussionen gab, haben keinen wesentlichen Einfluss auf die Ergebnisse. Ganz im Gegenteil: Der Hauptgrund für diese Erfolge war letztendlich, dass der PISA-Schock 2000 Lehrer, Eltern und Politik wachgerüttelt hat. Wir hatten bis 2000 geglaubt, das Land der Dichter und der Denker habe tolle Schulen und wir könnten uns ideologische Grundsatzdebatten über ein gegliedertes Schulsystem und Ähnliches leisten. Wir haben aber all die Jahre vergessen, uns dem internationalen Wettbewerb zu stellen. Erst der PISA-Schock hat dazu geführt, dass wir uns verglichen und den Wettbewerb aufgenommen haben. Insbesondere die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort haben diesen Wettbewerb aufgenommen und sich den Aufgaben gestellt. Deswegen ist der Erfolg vor allem das Verdienst der Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Als Beispiel greife ich jetzt nicht Bayern mit seinen herausragenden Ergebnissen, sondern ganz unverdächtig den Freistaat Sachsen heraus. (Beifall der Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU] und Veronika Bellmann [CDU/CSU]) Die Lehrerinnen und Lehrer im Freistaat Sachsen haben in den letzten Jahrzehnten einen dramatischen und riesengroßen Kraftakt geschultert: die Veränderungen durch die Wiedervereinigung, Schulsterben allerorten, Halbierung der Schülerzahlen. In diese Zeit fiel dann auch noch der PISA-Schock. Trotzdem haben sie es geschafft, dass die Schülerinnen und Schüler in Sachsen erstklassige Ergebnisse liefern. Ich finde, das verdient Respekt. Das ist höchste Anerkennung wert, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch die Politik war in diesem Bereich unterstützend tätig; denn: „ohne Moos nix los“. Wir haben massiv Gelder zur Verfügung gestellt. Der Bund ist zwar nicht für die allgemeinbildenden Schulen zuständig. Wir haben vonseiten des Bundes die Länder aber massiv unterstützt, indem wir Milliardenbeträge für die Bildungspolitik zur Verfügung gestellt haben: für den Hochschulpakt und viele andere Bereiche. Aber auch für die berufliche duale Bildung, den originären Bereich der Bundesebene, haben wir Mittel bereitgestellt. Wir haben nach den vorliegenden Entwürfen die entsprechenden Mittel im Bundeshaushalt von 2005 bis zum Jahr 2014 um 84 Prozent erhöht. Ich finde, das ist vorbildlich und herausragend. Das ist aus unserer Sicht eine tolle Leistung vonseiten des Bundes. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben auch Inhaltliches weiterentwickelt. Wir haben bundesweite Bildungsstandards eingeführt. Wir haben Verfahren zur Qualitätssicherung eingeführt. Die empirische Bildungsforschung unterstützt die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort massiv, indem die im internationalen Vergleich gewonnenen Erkenntnisse angewandt werden. Was läuft in welchen Ländern gut? Was können wir vielleicht übernehmen? Wir haben nicht unser eigenes Süpplein gekocht, sondern haben uns dem Wettbewerb gestellt. Wir haben dazugelernt. Wir haben die richtigen Fragen gestellt und letztendlich die richtigen Antworten gefunden. Was lernen wir insbesondere aus der Entwicklung der vergangenen Jahre? Für mich ist das Wichtigste, die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort dazu zu befähigen, die Qualität in kollegialer Zusammenarbeit Schritt für Schritt zu verbessern. Nicht ideologische Radikalreformen sind entscheidend; es geht um eine evolutionäre Weiterentwicklung, eine Schritt-für-Schritt-Weiterentwicklung. Die Schüler müssen im Zentrum stehen. Nicht Heilslehren, Ideologien oder Zentralismus, geschweige denn eine von Berlin aus zentral gesteuerte Bildungs- und Schulpolitik bringen uns weiter, sondern Dezentralität und Subsidiarität; dies sind die entscheidenden Prinzipien. Und ich sage es noch einmal: Der zentrale Schlüssel sind gut ausgebildete und motivierte Lehrer. Wir tragen vonseiten des Bundes auch hier Wesentliches bei, wenngleich es nicht in unsere originäre Zuständigkeit fällt. Nichtsdestotrotz haben wir bereits in der letzten Legislatur beschlossen – und wir werden das umsetzen –, eine Qualitätsoffensive Lehrerbildung zu starten. Wir werden eine halbe Milliarde Euro für Aufgaben zur Verfügung stellen, die eigentlich primär Länderaufgaben wären. Ich halte es trotzdem für richtig und notwendig, weil wir in der Lehrerausbildung deutschlandweit eine Weiterentwicklung brauchen. Es kann nicht Aufgabe des Bundes sein, in die Schulen hineinzuregieren; aber es ist der richtige Weg, sie in Form von deutschlandweiten Aktivitäten insbesondere bei der Lehrerausbildung zu unterstützen. Ich habe noch mehrere Seiten Manuskript vor mir. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir aber, dass ich mich im Zeitplan verschätzt habe. Deswegen kürze ich ab und komme zum Schluss, obwohl ich gern auf die neue Legislatur eingegangen wäre. Aber viele Kollegen werden noch dazu sprechen. Ich finde, 2008 haben die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten mit dem Bildungsgipfel in Leipzig einen hervorragenden Aufschlag gemacht. Damals wurden gemeinsame Bildungsziele vereinbart. Aber es wurde auch vereinbart, dass jeder in seiner Zuständigkeit, in eigener Verantwortlichkeit die Umsetzung betreiben muss. Das Ergebnis der PISA-Studie 2012 zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind und sich die Anstrengungen in der Tat gelohnt haben, sehr geehrte Damen und Herren. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Rosemarie Hein ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum fünften Mal erschien vor wenigen Wochen die sogenannte PISA-Studie, mit der die Lernleistungen der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich gemessen werden. Diesmal scheint, anders als vor zwölf Jahren, die Welt in Ordnung zu sein. Endlich bewegt sich die Bundesrepublik Deutschland aus der Schmuddelecke der PISA-Verlierer heraus. Es ist zwar nur der Platz 16 auf der Rangliste der 65 teilnehmenden Staaten, aber das ist immerhin deutlich über dem Durchschnitt. Doch schauen wir einmal genauer hin: Gibt es denn tatsächlich Grund zum Jubeln? Ich finde das nicht; denn die Grundkritiken am Bildungssystem in Deutschland bleiben alle bestehen. Noch immer erreicht fast die Hälfte der Hauptschülerinnen und Hauptschüler sowie 28 Prozent der Lernenden an den neuen Schulformen mit mehreren Bildungsgängen und selbst 10 Prozent der Lernenden an Realschulen in Mathematik nur die unterste Kompetenzstufe I. Die unterste Kompetenzstufe I bedeutet eben, dass sie später kaum eine Chance haben, einen Ausbildungsplatz zu finden. Dazu hat es gerade in den letzten Tagen entsprechende Äußerungen gegeben: 83 000 Jugendliche haben im vergangenen Jahr keinen Ausbildungsplatz erhalten, obwohl sie einen gesucht haben – so sagt es die Berufsbildungsstatistik des Bundes. Sie werden fragen: Was hat das jetzt miteinander zu tun? Ganz einfach: Diejenigen, die im Jahr 2013 auf dem Ausbildungsplatzmarkt angekommen sind, sind – zumindest zu großen Teilen – die Jugendlichen, die 2012 abgeprüft worden sind. Gleichzeitig beklagen immer mehr Betriebe, dass die schulische Qualität nicht ausreiche, um eine Ausbildung aufzunehmen. Und das, obwohl sich doch gerade die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit schlechteren Mathematikleistungen verringert hat; das ist eben gesagt worden. Das kann doch keine Zufriedenheit auslösen. Im März des vergangenen Jahres erregte eine Studie mit dem Titel „Hindernis Herkunft“, die im Auftrag der Vodafone-Stiftung erstellt worden ist, große Aufmerksamkeit. In dieser Studie wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte der Lehrerinnen und Lehrer an Haupt- und Realschulen ihre Anforderungen im Unterricht in den letzten fünf bis zehn Jahren reduziert haben. Das gilt auch für ein Drittel der Lehrerinnen und Lehrer an Gymnasien. Das ist eine Selbsteinschätzung. Möglicherweise erklärt das einiges. Jeder vierte Arbeitgeber sei unzufrieden mit den Leistungen der Berufsanfänger, so eine McKinsey-Studie, die Anfang dieser Woche vorgestellt wurde. Übrigens klagen auch die Hochschulen darüber, dass die Studienanfängerinnen und -anfänger zu schlechte Voraussetzungen mitbringen. Frau Löhrmann, die neue Präsidentin der KMK, hat das erst gestern zurückgewiesen. Aber was stimmt denn nun? Lügen wir uns möglicherweise selbst in die Tasche? Fakt ist, dass in Deutschland die Herkunft noch immer einen viel zu großen Einfluss auf den Bildungsabschluss und die erreichten Lernergebnisse hat. Noch immer kommen dreimal mehr Kinder aus wohlhabenden Elternhäusern mit einem hohen Bildungsabschluss der Eltern zum Gymnasium als Kinder aus armen Familien mit einem vergleichsweise niedrigen Bildungsabschluss der Eltern. Mehr als 17 Prozent der Schülerinnen und Schüler – alle Schularten zusammen genommen – können nur ungenügend rechnen. Zwar haben sich die Ergebnisse um 5 Prozentpunkte verbessert, aber das ist nicht genug. Ja, Deutschland lernt, aber es lernt viel zu langsam. (Beifall bei der LINKEN) Die Erfolge sind Leistung der Lehrenden, aber nicht der Politik. Bei den Gymnasien scheint alles in Butter zu sein. Die Matheergebnisse sind dort nach wie vor überdurchschnittlich gut. Die Besten erreichen die guten Ergebnisse wie vor neun Jahren. Dass ein größerer Anteil der Schülerinnen und Schüler heute ein Gymnasium besucht, hat offensichtlich nicht zur Folge, dass die Leistungsstarken schlechter lernen können. Eine hohe Bildungsbeteiligung schadet den Leistungsstarken also nicht, wie immer mal wieder kolportiert wird. (Beifall bei der LINKEN) Mehr noch: An den wenigen noch verbliebenen Hauptschulen erreichen die leistungsstärksten Schülerinnen und Schüler das gleiche Leistungsniveau wie der Durchschnitt der Gymnasialschüler. Diese beachtlichen Überschneidungen gibt es auch bei anderen Schulformen. Das ist keine neue Erkenntnis. Das wurde auch schon 2000 und 2003 festgestellt. Wenn es diese beachtlichen Überschneidungen also gibt, wie lässt sich dann erklären, dass der eine Schüler an der Hauptschule und der andere am Gymnasium landet? Es gibt dafür keine Erklärung. Ich finde, wir sollten endlich mit dieser Aufteilerei aufhören. (Beifall bei der LINKEN) Im Bundesdurchschnitt haben sich die Mathematikleistungen seit 2003 um 11 Punkte verbessert. 25 Punkte entsprechen dem Lernfortschritt eines Schuljahres. Wir haben in neun Jahren also nicht einmal ein halbes Schuljahr aufgeholt. Das ist wahrlich beachtlich. Ich finde, darüber sollten wir einmal nachdenken. (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir in diesem Tempo weitermachen und die Welt sich ansonsten nicht weiterentwickelt, wovon nicht auszugehen ist, dann brauchen wir weitere 20 Jahre, um wenigstens zu den jetzt Besten aufzuschließen. Soll das wirklich unser Ziel sein? Haben wir diese Zeit? Die Zeit haben wir nicht. Es ist an der Zeit, dass diese drängenden Bildungsprobleme endlich grundsätzlich angepackt werden. Glaubt hier wirklich noch jemand ernsthaft, dass wir als Bund dabei weiter auf die Programme und Progrämmchen setzen können, die wir am laufenden Band erfinden? Zum Teil sind sie ja sehr schön, sie verändern aber nicht die Arbeitssituation in den Schulen. (Beifall bei der LINKEN) Glauben wir wirklich, dass wir uns das leisten können? Ich glaube das nicht, auch wenn wirklich gute Programme dabei sind. „Kultur macht stark“ zum Beispiel ist ein solches Programm. Auch Berufseinstiegsbegleiter helfen, aber sie helfen erst dann, wenn das Kind schon fast in den Brunnen gefallen ist. Nein, es ist erforderlich, dass sich der Bund an den gemeinsamen Bildungsaufgaben beteiligt. Dazu gehört zum Beispiel auch das Thema Inklusion. Diese Aufgabe kann man nicht hauptsächlich in den Schulen, die keine Gymnasien sind, abladen. Das ist ein Thema des gesamten Bildungssystems. Wir brauchen dafür grundsätzlich mehr Lehrerinnen und Lehrer, möglicherweise kleinere Klassen sowie andere Schulgebäude, die mehr Möglichkeiten schaffen. Für all das haben die Länder und Kommunen derzeit aber kaum das nötige Geld. Deshalb ist es notwendig, dass wir als Bund Bildung stärker mitfinanzieren. Es geht nicht um irgendeinen internationalen Wettbewerb, auch nicht um Sport, wo Platz 16 nicht einmal eine Nachricht wert wäre, sondern es geht um die jungen Menschen in unserem Land, deren Bildungs-, Lebens- und Berufschancen wir sonst verspielen. Seit der ersten PISA-Studie sind zwölf Jahre vergangen. Die im vergangenen Jahr geprüften Schülerinnen und Schüler, die 15-Jährigen, sind 2003 in die Schule gekommen. Wenn wir heute noch nicht weiter sind, dann haben wir schlecht gearbeitet. Das können wir uns nicht weiter leisten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Hein, man muss nicht jubeln, aber man darf sich durchaus am Fortschritt freuen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das habe ich ja gesagt!) Dies ist das Ergebnis einer großen Gemeinschaftsleistung von vielen Menschen, die sich in der Bildungspolitik, in der Förderung von Kindern und Jugendlichen engagieren. Unsere Bildungsministerin hat es insoweit auf den Punkt gebracht, als sie gesagt hat: Wir reden nicht mehr vom PISA-Schock, sondern vom PISA-Fortschritt. – Weiteren Fortschritt zu erreichen, sollte unser Leitmotiv für die Zukunft sein. Dass wir nicht immer Konsens haben, Kollege Rupprecht, darf man zu Beginn einer solchen Debatte sicherlich ansprechen. Die Bildungspolitik lebt auch von Alternativen. Wir Sozialdemokraten hätten uns tatsächlich mehr gewünscht und wären gern mehr in die Richtung gegangen, die eine Befragung des Deutschen Kinderhilfswerks aufzeigt. In dieser Befragung haben die Menschen in Deutschland gesagt, dass sie bereit wären, mehr Steuern zu zahlen, wenn das Geld dafür eingesetzt würde, die Armut von Kindern, materielle Armut und Bildungsarmut, noch besser zu bekämpfen. Wir müssen diesen Bereich stärker ausstatten, als wir es jetzt unter bestimmten Kautelen tun können. Wir verzichten auch nicht darauf, dies immer wieder anzusprechen und anzumahnen. (Beifall bei der SPD) Denn wir brauchen das entsprechende Bewusstsein und auch die Bereitschaft, für Bildung mehr Mittel einzusetzen, um den Fortschritt voranzutreiben. Wir wissen auch: Angesichts der Bedingungen, unter denen wir jetzt handeln, müssen wir uns auf die wichtigsten Punkte einigen. Ich erinnere mich an eine Debatte vor drei Jahren, in der Kollege Weinberg vor dem Hintergrund der damaligen Fortschritte sagte: Es wird wichtig werden, früher zu fördern, zielgenauer zu fördern und bedarfsorientiert zu fördern. – Ich möchte jetzt sechs, sieben Punkte ansprechen, die zeigen, wie dies aus unserer Sicht geschehen kann. Erster Punkt. Eine Einsicht aus PISA ist gewesen, dass die gesamte Bildungsbiografie zu betrachten ist und dass der Anfang der wichtigste Zeitpunkt ist. Deshalb muss eine Priorität – hier spielt Zielgenauigkeit eine wichtige Rolle – weiter darin bestehen, die frühkindliche Bildung in jeder Hinsicht, zum Beispiel in den Kindertagesstätten, zu verbessern. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir müssen ausdrücklich – ich glaube, hier haben wir Konsens – nicht nur die Leistung der Lehrerinnen und Lehrer anerkennen, sondern genauso die Leistung der Erzieherinnen und Erzieher, also all derjenigen, die sich im sozialen Umfeld engagieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zur Zielgenauigkeit gehören eine Verbesserung der Erzieherausbildung und eine Verbesserung der Situation in den Kindertagesstätten. Über das Betreuungsgeld muss ich jetzt nicht reden. Manchmal wird einem weh ums Herz, wenn man daran denkt, was wir mit diesen Mitteln anfangen könnten. Zur Zielgenauigkeit gehören ebenso die Unterstützung der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ – diese wird die Ministerin sicherlich erwähnen – und gezielte Sprachförderung. Zweiter Punkt. Schulsozialarbeit wurde bereits damals in den sieben Punkten der Kultusministerkonferenz erwähnt. Sie muss und kann verstärkt werden. Damit würde man soziale Gerechtigkeit fördern und dafür sorgen, dass alle Kinder angesprochen werden und ihr Zugang zu Bildung verbessert wird. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann macht das auch!) Dritter Punkt. Wenn wir vom Bund kein zweites Ganztagsschulprogramm auflegen können, dann sollten wir zumindest die Qualitätsentwicklung in den Ganztagsschulen begleiten. Dies müssen wir auch tun; denn dieses Handlungsfeld ist schon als Konsequenz aus der PISA-Studie im Jahr 2000 angesprochen worden. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Betreuungsgeld abschaffen!) Vierter Punkt. Ein Detail der Analyse aus PISA 2012 ist, dass wir gerade im Kompetenzfeld Mathematik noch große Unterschiede zwischen dem Leistungsvermögen der Mädchen und der Jungen erleben. Bei einer Lesestudie würden wir das Umgekehrte feststellen, nämlich dass die Jungen nicht so kompetent sind wie die Mädchen. Selbst wenn 50 Prozent der Mathematikstudenten weiblich sind, ist es trotzdem wichtig, diesen Punkt aufzugreifen. Es erfordert auch Forschung, und zwar nicht nur in Bezug auf die Frage, wie man Kompetenz feststellen kann, sondern auch in Bezug auf die Didaktik, die Methodik und die Motivation. Ziel muss sein, dass Mädchen wie Jungen in jeweils den Kompetenzfeldern, in denen sie bisher nicht so stark sind, besser werden. In der Bildungsforschung werden wir dort Akzente zu setzen haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der fünfte Punkt – Sie haben ihn angesprochen – muss sich auf die Qualifizierung im Rahmen der Lehrerbildung beziehen. Hier stehen wir im Wort, den pädagogischen Forschungseinrichtungen der Länder 500 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Ich will über diese fünf Punkte hinaus ein sechstes Thema ansprechen, das sich diese Regierung vornehmen kann und das im Koalitionsvertrag aufgegriffen wurde: Wir sollten die Ausbildungsbrücken verbreitern und verstetigen. Mancher wird sagen: Aber das hat doch nichts mit PISA zu tun; schließlich beginnt die Ausbildung in der Regel nach dem 15. Lebensjahr. – Aber noch einmal: Das PISA-Denken nimmt die gesamte Bildungsbiografie in den Blick, auch die zweite Chance. Eines wissen wir doch alle: Wenn junge Menschen, die keine ausreichenden Kompetenzen haben, nicht einmal die Chance bekommen, einen Ausbildungsplatz zu finden, dann kann man ihre Kompetenz auch nicht mit einer zweiten oder dritten Chance stärken. Deshalb ist ein Teil unseres PISA-Fortschrittskonzepts, auch ausbildungsbegleitende Hilfen und Einstiegsbegleitung bis hin zur assistierten Ausbildung anzubieten, damit Kompetenz auch im zweiten Schritt wachsen kann. Ganz wichtig ist, dies gemeinschaftlich zu organisieren. Als letzten Punkt nehme ich kurz einen anderen Gedanken auf. In der Koalitionsvereinbarung wurden zwei Aspekte relativ unverbunden nebeneinandergestellt: Sprachangebote für zugewanderte und geduldete Menschen bis hin zu Asylbewerbern und die Anpassung des Anerkennungsgesetzes, um zu ermöglichen, dass es auch eine Förderung für Hochqualifizierte, die zu uns gekommen sind, gibt. Ein Ergebnis der PISA-Studie ist im Übrigen, dass die Durchschnittswerte in Deutschland auch deshalb gestiegen sind, weil in den Analysen mittlerweile so viele kompetente Migrantenkinder enthalten sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn es gelingt, für all die Menschen, die in das Einwanderungsland Deutschland kommen, eine Bildungserwartung zu wecken und eine Bildungschance zu schaffen, durch die auch Bildungsfreude entsteht, dann haben wir eine Brücke gebaut: von der reinen Kompetenz zu etwas, was Bildungspolitik und Bildungsförderung auch beinhalten, nämlich Freude am Lernen und an der Aneignung von Wissen. Meine Schlussbemerkung. Ja, die PISA-Studie zeigt Fortschritte bei den Kompetenzen. Aber wir in Deutschland haben einen anderen Anspruch: Wir wollen keine Kompetenzrepublik, sondern eine Bildungsrepublik sein. (Beifall bei der SPD) Deshalb ist es so wichtig, immer wieder zu betonen: Ohne Kompetenzen gibt es keine Bildung, aber Kompetenzen sind auch nicht alles. Der Bund hat auch die Aufgabe, für Freude und Fröhlichkeit in Kindertagesstätten, in Schulen und in der Bildungsgesellschaft insgesamt mit zu sorgen. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Özcan Mutlu für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Pisa war bis 2001 für die meisten Menschen in unserem Land eine kleine Stadt mit einem schiefen Turm in der Toskana. Seit Veröffentlichung der ersten PISA-Studie im Dezember 2001 verbinden aber viele mit PISA vor allem eine Schieflage des deutschen Schulsystems. Die Ergebnisse waren desaströs, und vom „PISA-Schock“ war die Rede. Heute, mehr als zwölf Jahre danach, muss ich leider feststellen: Das deutsche Schulsystem ist trotz mancher Fortschritte und Verbesserungen weiterhin in einer Schieflage. Eine ganze Schülergeneration musste unser Schulsystem durchlaufen, damit manche, wie auch heute hier, endlich sagen können: Hurra, wir befinden uns über dem OECD-Durchschnitt! Ich verüble es Ihnen nicht, dass sich die Vertreter der Koalition nun gegenseitig erfolgreiche Bildungspolitik attestieren und sich wieder einmal vertragen – das war ja in den letzten Wochen nicht so sehr der Fall –, auch wenn der Kollege Rossmann heute hier eher eine Oppositionsrede gehalten hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie dem auch sei: Leider muss ich Ihnen etwas Spreewasser in den Wein schütten. (Vereinzelt Heiterkeit) Ja, wir haben im Vergleich zu 2001 einige Fortschritte gemacht. Ja, Deutschland liegt nach zwölf Jahren in allen gemessenen Bereichen über dem OECD-Durchschnitt. An dieser Stelle danke ich ausdrücklich den Lehrerinnen und Lehrern und den Erzieherinnen und Erziehern, die tagtäglich ihre Arbeit leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Aber ist das alles? Reicht Ihnen das? Geht es Ihnen nur um Rankings? (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein!) Ist das Ihr Verständnis von Bildungspolitik? Wir sagen: Nein. (Zurufe von der SPD: Wir auch!) Schauen wir uns die Ergebnisse einmal etwas genauer an: „Schulische Bildung in Deutschland besser und gerechter“, heißt es im Titel unseres gemeinsamen Tagesordnungspunktes. Besser? Vielleicht. Gerechter? Nein, keineswegs. 2001 gehörten 23 Prozent der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler zur Risikogruppe. Heute gehören immer noch 18 Prozent zur Risikogruppe. Besonders betroffen waren damals Schülerinnen und Schüler aus Arbeiterfamilien oder Kinder mit Migrationshintergrund. 2014 ist diese Schülergruppe weiterhin überproportional gefährdet. Auch heute entscheidet bei vielen Schülerinnen und Schülern der Geldbeutel der Eltern über den Bildungserfolg. Das war, das ist und das bleibt ein Skandal, den Sie hier nicht mit Floskeln wegdiskutieren können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich sage: Stagnation ist kein Erfolg, und Stagnation ist auch nicht „besser und gerechter“. Es sei einiges besser geworden, sagen Sie als Vertreter der GroKo. Ich will das auch nicht vollumfänglich bestreiten. Dass deutsche Schülerinnen und Schüler in den MINT-Fächern im Durchschnitt besser abschneiden als vor zwölf Jahren, ist richtig und erfreulich. Bei näherer Betrachtung treten aber auch andere Ergebnisse zutage: Im Fach Mathematik befinden sich 18 Prozent der Schülerinnen und Schüler unterhalb der Stufe II und können nur einfache Formeln und Schritte zur Lösung einer Aufgabe heranziehen. Mädchen erzielen im Fach Mathematik im Schnitt 14 Punkte weniger als Jungen; hier haben sich die Ergebnisse sogar verschlechtert. Kinder mit Migrationshintergrund haben in Mathematik einen Rückstand von anderthalb Schuljahren gegenüber Kindern ohne Zuwanderungsgeschichte. Trotz Verbesserungen in der Lesekompetenz befinden sich 14 Prozent der Schülerinnen und Schüler auf diesem Gebiet unterhalb der Stufe II und sind faktisch Analphabeten. Das ist ein Skandal! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, in unserem Schulsystem – oder soll ich sagen: in unseren Schulsystemen? – gibt es immer noch eine ausgesprochen dünne Leistungsspitze und weiterhin einen sehr hohen Anteil an Risikoschülern. Hinzu kommt eine immense soziale Abhängigkeit hinsichtlich der erzielten Kompetenzen. Das ist nicht „besser und gerechter“, das ist schlicht und ergreifend ungerecht. Das ist ein Armutszeugnis für unser Bildungssystem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kritik ist nicht nur hinsichtlich der Ergebnisse angebracht. Ich möchte von der Großen Koalition wissen: Wie soll es denn weitergehen mit dem Kooperationsverbot, diesem Ei, das Sie uns Bildungspolitikern ins Nest gelegt haben und mit dem Sie die Kleinstaaterei in der Bildungspolitik verfestigt haben? Wie schaut es denn aus mit Investitionen in die Bildung, in die Bildungsinfrastruktur, vor allem im Bereich der frühkindlichen Bildung? Wo bleibt die Bildungsrepublik Deutschland, die Frau Merkel versprochen hat? Wie wollen Sie den Mangel an Lehrkräften, der aufgrund des hohen Durchschnittsalters der Kollegien lawinenartig wachsen wird, nachhaltig abfedern? Warum ist die Lehrerbildung in Deutschland immer noch so chaotisch organisiert, und was ist mit den überfälligen Reformen in der Lehrerbildung? Wie wollen Sie die Länder bei der Bewältigung der Mammutaufgabe Inklusion unterstützen, die, wie auch die aktuelle PISA-Studie zeigt, überfällig ist? Zu viele Fragen, zu wenige Antworten. Sie liefern auch mit Ihrem Koalitionsvertrag keine Antworten dazu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, insbesondere aber von der SPD, kommt bei uns, anders als bei Ihnen, keine Freude auf. Ich sage: Gute Bildung darf im Land der Dichter und Denker nicht zum Luxusgut werden, lieber Kollege Rupprecht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wo leben Sie eigentlich?) Wer einen sozialen und demokratischen Staat will, wer Teilhabe und Integration will, muss sich für Bildungsgerechtigkeit einsetzen. (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Tun wir!) Sicherlich wird nicht jedes Kind einen Nobelpreis gewinnen; aber jedes Kind muss gleiche und gute Startchancen bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hat es!) Bildungserfolg darf in unserem Land, einem der reichsten Länder der Welt, nicht länger eine Frage des Glücks oder des Geldbeutels der Eltern sein. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ist es auch gar nicht! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist es auch gar nicht!) Deshalb, liebe Kollegen, sind wir alle gefordert, nachhaltige Maßnahmen und Reformen einzuleiten, die dringend notwendig sind. Es bleibt noch viel zu tun. Wir werden Sie dabei kritisch und konstruktiv begleiten. Vielleicht gelingt es uns zusammen, die Länder – da möchte ich das Land Baden-Württemberg nicht ausschließen – dafür zu gewinnen, gemeinsam das Thema Kooperationsverbot im Interesse unserer Kinder und Jugendlichen anzugehen. In diesem Sinne danke ich Ihnen für die Aufmerksamkeit und freue mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit in diesem Hohen Hause. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Mutlu, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratuliere. Ich schließe mich den Wünschen für eine gute Zusammenarbeit gerne an. (Beifall) Für die Bundesregierung erhält nun die Bundesministerin Frau Professor Wanka das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Bei aller Freude über die Erfolge – Herr Mutlu, man sollte sich freuen; auch ein deutscher Politiker kann sich über Erfolge einmal freuen – und bei aller Akzeptanz der Herausforderungen, die nach PISA vor uns liegen, ist mir eine Feststellung sehr wichtig – Herr Rossmann hat bereits darauf hingewiesen –: Bildung ist viel mehr als das, was im Rahmen von PISA gemessen wird. Bildung, das ist Persönlichkeitsentwicklung, das sind soziale und kulturelle Kompetenzen, das ist Freude am Lernen, das ist auch Neugier. Trotzdem sind die Kompetenzen, die bei PISA untersucht werden, ganz wichtig, und zwar ganz wichtig für die Lebensqualität. Vor kurzem gab es die PIAAC-Studie; das ist, verkürzt gesagt, PISA für Erwachsene. In dieser PIAAC-Studie ist deutlich herausgearbeitet worden, dass die Grundkompetenzen in Mathematik und in Lesen für das berufliche Leben und auch für die gesellschaftliche Teilhabe ganz entscheidend sind. Deswegen muss man anerkennen: PISA ist ein Teil, ein ganz wichtiger Teil, aber nicht alles. Die Vergleichsstudie PISA 2000 war ein Schock. Zunächst waren lange Diskussionen erforderlich, bis man sich an solchen internationalen Vergleichen beteiligt hat; aber es hat enorm viel bewirkt. Daraufhin gab es in Deutschland weitere Diskussionen. Seitdem ist Bildung auf der Agenda ganz oben und ist aus dem politischen und gesellschaftlichen Kanon dessen, was wichtig ist, nicht mehr wegzudenken. Deswegen glaube ich, dass diese Untersuchungen auch weiterhin sehr wichtig sind. Die Ergebnisse im Jahr 2000 waren ein Schock. Aber wir sind nicht in Schockstarre verfallen, sondern haben daraus gelernt. Wir haben uns wecken lassen, haben uns weiterentwickelt und haben die richtigen Weichen gestellt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Ergebnisse, die wir im Dezember vorstellen konnten, sind ein großer Erfolg. Wir liegen in den Naturwissenschaften, in der Mathematik und im Lesen jetzt über dem OECD-Durchschnitt. Wir sind in den Naturwissenschaften in der Spitzengruppe angekommen. Wir haben uns seit 2000 deutlich, um mehr als ein Schuljahr, verbessert. In der Mathematik sind vier OECD-Staaten vor uns: Korea, Japan, Schweiz und Niederlande. Wenn man diesen Reigen ergänzt und zum Beispiel China, Taipeh und Macao hinzuzählt, sind noch einige andere vor uns. Aber wir liegen nicht mehr auf Platz 16. Frau Hein, Sie wissen das doch, Sie können doch lesen. Es geht doch nur darum, was signifikant unterschiedlich ist, und nicht um das, was zufällig ist. Wir liegen also keinesfalls auf Platz 16. Vier OECD-Staaten sind vor uns. Ich finde, das ist nicht Mittelmaß, sondern ein richtig gutes Ergebnis. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Bei der Lesekompetenz hat es viel länger gedauert als in Mathematik, wo wir ja schon beim letzten Vergleich über dem Durchschnitt lagen, aber auch beim Lesen sind wir jetzt deutlich über dem OECD-Durchschnitt. Vor uns liegen von den europäischen Ländern noch Finnland, Irland, Polen und Estland. Aber das sollte uns Ansporn sein. Ganz wichtig dabei ist: Wenn Sie sich diese Untersuchung anschauen, werden Sie feststellen, dass der Anteil der schwachen Schüler zurückgegangen ist, also die Zahl derjenigen, die in der niedrigsten Kompetenzstufe sind, ist geringer geworden. Im Lesen sind es acht Punkte weniger; in Mathematik etwas weniger, noch nicht ausreichend. Man muss allerdings dazusagen, dass nicht nur weniger Schüler in der niedrigsten Kompetenzstufe sind, sondern dass deren Leistungen auch besser geworden sind. Dafür muss man sich bedanken, und zwar bei ganz vielen. Entscheidend sind natürlich die Lehrerinnen und Lehrer. Aber durch die Tatsache, dass Bildung ein politisches Thema, ein wichtiges Thema geworden ist, haben sich viele Initiativen, viele Lehrer und viele andere um dieses Thema gekümmert und haben an diesem Erfolg Anteil. Frau Ischinger, die Bildungsdirektorin der OECD, hat Folgendes gesagt – ich lese das einmal vor –: Deutschland hat „eine ziemlich einmalige Entwicklung unter den PISA-Teilnehmern. Natürlich gibt es noch andere Länder, die heute besser dastehen als im ersten Test. Länder aber, die bei jedem Durchgang und in jedem Testfeld den Vorwärtsgang eingelegt haben, müssen Sie suchen.“ Das Entscheidende für Deutschland ist die Kontinuität. Es sind kleine Schritte, die aber beharrlich nach oben führen. Ich glaube, das ist der Tatsache geschuldet, dass wir 2000 in der KMK sofort ein Punkteprogramm aufgelegt haben. Es wurden vor allen Dingen Bildungsstandards entwickelt. Die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin haben zudem auf dem Bildungsgipfel 2008 gemeinsame Ziele und gemeinsame Maßnahmen verabredet. Das alles ist ganz entscheidend für diesen Erfolg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) 2001, als die PISA-Ergebnisse vorlagen, war das Allerschlimmste nicht, dass wir in Mathematik oder Lesen nicht Weltmeister waren, sondern, dass es bei uns, anders als in vielen Ländern, die an diesem Test teilgenommen haben, eine stärkere Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft gab. Annette Schavan und ich waren damals zusammen in der KMK. Wir wissen, dass uns dieses Problem am meisten bewegt hat. Hierzu kann man jetzt sagen: Die aktuelle PISA-Studie zeigt, dass es natürlich noch immer einen solchen Einfluss auf die Schulleistung gibt – wir haben noch viel zu tun –; dieser Einfluss hat aber abgenommen. In diesem Bereich sind wir jetzt im Mittelfeld. Das kann uns noch nicht zufriedenstellen, aber auch dort gibt es eine eindeutige Bewegung. Wenn man sich das genauer anschaut, dann sieht man: Jugendliche, die aus Familien mit einem sozioökonomisch schwierigen Hintergrund stammen, konnten sich bemerkenswert verbessern. Das sieht man auch daran, wer auf ein Gymnasium geht. Der Kreis derer, die aus diesen Schichten auf ein Gymnasium gehen, ist sehr viel größer geworden. Ich finde es allerdings altmodisch, immer nur auf das Gymnasium zu schauen. Wozu sorgen wir denn für Durchlässigkeit? Wozu ermöglichen wir denn das Studieren mit beruflicher Qualifikation, ohne Abitur? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das tun wir auch deshalb, weil gerade Kinder aus solchen Elternhäusern eher gedrängt werden, einen Beruf zu erlernen und nicht auf ein Gymnasium zu gehen. Diese sollen entsprechende Chancen haben. Also muss man die Verläufe der Biografien insgesamt betrachten und nicht nur auf den Punkt Gymnasium schauen; aber selbst dort hat sich die Situation deutlich verändert. Auch der Abstand zwischen Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund ist kleiner geworden; er ist aber noch immer viel zu groß. Bei den Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund hat sich der Rückstand bei den Leistungen seit 2000 um fast anderthalb Schuljahre verbessert. Das reicht noch nicht, aber auch auf diese Verbesserung sollte man stolz sein, Herr Mutlu. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur drei Ländern – Deutschland, Mexiko und der Türkei – ist es seit 2000 gelungen, einerseits ihre Leistungen zu verbessern und andererseits den Einfluss der sozialen Herkunft zurückzudrängen. Um die Leistung, die wir vollbracht haben, noch einmal deutlich zu machen: Dies ist nur drei Ländern gelungen, und dazu gehört Deutschland. Was bedeutet das für die Zukunft? Dass wir jetzt gut dastehen und uns in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt vorwärtsentwickelt haben, ist überhaupt keine Garantie dafür, dass das so bleibt. Schauen Sie sich einmal Länder wie Schweden, Island und Frankreich an. Diese lagen beim PISA-Test 2003 im Bereich Mathematik über dem Durchschnitt und liegen jetzt unter dem Durchschnitt. Das heißt, es gibt überhaupt keine Garantie – jetzt freut man sich natürlich über den Erfolg; das ist auch ein Motivationsschub für alle Beteiligten –, sondern es ist wichtig, dass man weiß, dass in den kommenden Jahren weitere Anstrengungen notwendig sind. Ich will einen wichtigen Punkt nennen: Die Gruppe der schwächeren Schüler ist zwar kleiner geworden und zeigt nun bessere Leistungen, aber in der Spitzengruppe gibt es wenig Bewegung. Deswegen müssen wir uns jetzt auch mehr um die Leistungsstarken kümmern. Damit können wir international noch mehr punkten. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben den Ländern vonseiten des Bundes im Rahmen der Kultusministerkonferenz ein Angebot gemacht und gesagt: Wir sind bereit, Geld in die Hand zu nehmen und ein gemeinsames Programm zur Förderung leistungsstarker Schüler aufzulegen. Die Kultusministerkonferenz hatte noch keine Zeit und will sich im Sommer damit beschäftigen. Ich hoffe, dass wir dann zu einer gemeinsamen Initiative in diesem Bereich kommen; denn wir müssen die Schwächeren stärken, aber eben auch die Spitzengruppe noch mehr fördern. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich höre immer wieder den Vorwurf, im Koalitionsvertrag sei das Thema Bildung nicht klar genug formuliert. 23 Milliarden Euro werden in dieser Legislaturperiode zusätzlich ausgegeben, hart umkämpft von den Vertretern aus den Bereichen Verkehr und Infrastruktur. Von diesen 23 Milliarden Euro fließen 9 Milliarden Euro in den Bereich Bildung und Wissenschaft. Das ist eine eindeutige Priorität. Auch haben wir deutlich gemacht: 5 Milliarden Euro werden dafür eingesetzt, die Länder zu entlasten, damit sie mehr Geld für Schulen und anderes zur Verfügung haben. (Widerspruch der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE] und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) – Doch, Entlastung der Länder heißt, dass sie mehr Spielräume haben. Ich kann es wirklich nicht mehr hören, wenn immer gesagt wird: Die Länder haben kein Geld; das muss der Bund machen. – Schauen Sie sich doch einmal das PwC-Ranking der Finanzen der einzelnen Bundesländer und des Bundes an. Am schlechtesten stehen wir als Bund da, und für uns gilt die Schuldenbremse viel eher als für die Länder. Frau Hein, Ihre Partei ist doch in Brandenburg mit an der Regierung. Brandenburg tilgt jetzt seine Schulden. Warum kann nicht mehr Geld für die Schulen ausgegeben werden? (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Die stellen doch Lehrer ein!) Warum wird gesagt: „Wir haben kein Geld“? (Zuruf von der LINKEN) Man muss die Prioritäten eindeutig setzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Noch ganz kurz: Wir wollen diesen Prozess weiterhin unterstützen, und zwar im Rahmen der Kompetenzen des Bundes und der Spielräume, die er hat. Die halbe Milliarde Euro für die Qualitätsoffensive Lehrerbildung ist ganz wichtig; denn wir wussten immer, dass Lehrer ganz entscheidend für den Bildungserfolg sind. Durch die weltweite Hattie-Untersuchung wurde uns das empirisch bestätigt. Mithilfe dieser Mittel kann man in der Lehrerbildung das Thema Inklusion und vieles andere, was sich bis jetzt noch nicht so stark wiederfindet, implementieren. Das kann man jetzt machen. Das ist also ein ganz wichtiger Punkt. Viele Programme wurden in der Vergangenheit begonnen, aber deren Erfolge haben sich in der aktuellen PISA-Untersuchung noch nicht gezeigt, etwa die des Programms „Lesestart“ und die der Sprachförderung. Die Folgen dieser Programme werden erst in einigen Jahren wirksam werden. Ich glaube, dass der Bund an dieser Stelle Entscheidendes leistet, auch zur Entlastung der Länder. Ich komme zu dem Thema Ausbildungsreife und zur Leistung von Berufsanfängern. Dazu nur ein Satz: Eine McKinsey-Studie hat gezeigt, dass die Unternehmen mit den Auszubildenden unzufrieden sind. Aber im Vergleich mit den anderen untersuchten Staaten liegt Deutschland, was die Zufriedenheit mit den Auszubildenden betrifft, auf dem zweiten Platz. Auch das ist nicht ausreichend. Ich finde, man muss kritisch sehen: Was ist noch nicht in Ordnung? Aber man muss auch in der Lage sein, das anzuerkennen, was man gut gemacht hat. Wenn man sich richtig darüber freut, dann ist das, glaube ich, ein Schub, um in den nächsten Jahren noch mehr in diesem Bereich zu erreichen, sodass wir bei der nächsten PISA-Untersuchung in drei Jahren noch ein Stück besser sein werden. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Azize Tank für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Azize Tank (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut, dass ich als Migrantin, die vor 40 Jahren als sogenannte Gastarbeiterin nach Deutschland kam, heute hier stehe. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich weiß aus ganz persönlichem Erleben, wie wichtig Bildung und Ausbildung sind. Ich möchte auf Befunde der aktuellen PISA-Studie eingehen und dabei einen besonderen Blick auf die Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund werfen. Schauen wir uns zunächst die positiven Entwicklungen an. Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund erreichen höhere Mathematikkompetenzen als vor zehn Jahren. Das ist eine erfreuliche Entwicklung. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) 60 Prozent der Jugendlichen der zweiten Generation, also derjenigen, die bereits in Deutschland geboren wurden, sprechen zu Hause deutsch. Das Bildungsniveau der Eltern dieser Jugendlichen ist ebenfalls deutlich gestiegen. Wir sehen also, dass Migrantinnen und Migranten selbst einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung ihrer Bildungschancen leisten wollen und können. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Trotzdem: Die Autoren der PISA-Studie kommen erneut zu dem Schluss, dass Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund im Vergleich zu ihren Mitschülerinnen und Mitschülern nach wie vor besonders benachteiligt sind. Für diejenigen, die es nicht verstehen können oder wollen: PISA zeigt auf, dass die Ursachen soziale Ungleichheiten sind und die Bildungserfolge in Deutschland davon abhängen, ob die Eltern reich oder arm, Akademiker oder Arbeiter sind. Ich finde das unerträglich. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist eine Schande für ein Land, das eine Bildungsrepublik sein möchte. Deshalb wollen wir Linken Gemeinschaftsschulen, in denen alle Kinder unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft gemeinsam und zugleich individuell lernen. (Beifall bei der LINKEN) Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Berliner Gemeinschaftsschulen machen deutlich, dass dieser Weg erfolgreich für alle Kinder ist. Meine persönliche Erfahrung ist: Die Tragfähigkeit einer Brücke wird nicht an der Stärke des dicksten Pfeilers gemessen, sondern an der Tragfähigkeit des schwächsten. (Beifall bei der LINKEN) Das gilt insbesondere in der Bildungspolitik. Um es mit den Worten des Philosophen Richard David Precht auszudrücken: „Wir brauchen keine weitere Bildungsreform, wir brauchen eine Bildungsrevolution!“ Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Auch Ihnen, Frau Kollegin Tank, herzliche Glückwünsche zu Ihrer ersten Rede und alle guten Wünsche für die weitere Arbeit hier im Hause. (Beifall) Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Hubertus Heil für die SPD-Fraktion. Er hat, glaube ich, schon einmal geredet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Durchaus, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der PISA-Schock aus dem Jahr 2000 war – das ist heute verschiedentlich deutlich gemacht worden – offensichtlich ein heilsamer Schock. Denn es hat sich in den letzten zwölf Jahren viel bewegt, wenn auch – das muss man sagen – Menschen wie ich, die ein bisschen ungeduldiger sind, sich manchmal darüber wundern, wie lange vieles braucht. Aber ein Bildungssystem umzusteuern, das ausweislich der Befunde der PISA-Studie im Jahr 2000 offensichtlich in einer schweren Krise war, dauert. Dafür ist vielen zu danken: Erzieherinnen und Erziehern – das ist passiert – wie auch Lehrerinnen und Lehrern. Ich möchte aber ausdrücklich auch den Kommunen und den Bundesländern danken, die sich an die Arbeit gemacht haben. Natürlich sind die Erfolge der letzten zwölf Jahre nicht vom Himmel gefallen. Auch der Bund hat sich beteiligt, zum Beispiel – weil das bisher noch keine Erwähnung fand, Frau Wanka – mit einem 4 Milliarden Euro schweren Ganztagsschulprogramm. Dazu sage ich den Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen: Das waren wir gemeinsam. Darüber könnt ihr euch durchaus freuen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube aber, der wichtigste Befund ist – das ist in einigen Reden heute deutlich geworden –, dass die PISA-Debatte in den letzten zwölf Jahren auch zu einer Entideologisierung in der bildungspolitischen Debatte geführt hat. Auch das war heute spürbar. Ich erinnere mich an westdeutsche Debatten in den 70er- und 80er-Jahren über Bildungspolitik in Deutschland, Frau Wanka. Um es etwas zu karikieren: Konservative haben damals immer gesagt: „Leistung und Elite sind wichtig“, Sozialdemokraten haben gesagt: „Chancengleichheit ist wichtig.“ PISA hat uns gelehrt, dass Chancengleichheit und Leistungsstärke keine Gegensätze sind, sondern wechselseitige Bedingung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir brauchen einen breiten Zugang zu Bildungschancen in diesem Land, damit Spitzenleistungen möglich werden, ähnlich wie im Sport: ohne Breitensport kein Spitzensport. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Oder wie bei Pyramiden: ohne Breite keine Spitze. Das ist das Wichtigste, meine Damen und Herren. Die Konsequenzen daraus sind, dass sich in Deutschland herumgesprochen hat, dass die frühe und individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen, verbunden mit längerem gemeinsamen Lernen, der Schlüssel dazu ist, die Bildungschancen in diesem Land zu verbessern und auch die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems nach vorne zu bringen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb, Frau Wanka, habe ich mich zunächst einmal über Ihre Rede gefreut. Wir wünschen Ihnen in diesem Amt in der gemeinsamen Zusammenarbeit alles erdenklich Gute, auch im Interesse der Bildungsrepublik Deutschland, die wir erst werden müssen. Aber ich füge hinzu, dass wir uns vor allen Dingen darüber freuen, dass wir mit Ihnen und Ihrer Kompetenz in Verbindung mit anderen Kolleginnen im Bundeskabinett, zum Beispiel mit der Kollegin Manuela Schwesig, die im Wesentlichen auch Verantwortung für den Bereich der frühkindlichen Förderung trägt, mit der Kollegin Aydan Özo?uz, die als Integrationsbeauftragte der Bundesregierung ihren Beitrag leisten wird, und mit Andrea Nahles als Bundesarbeits- und -sozialministerin, die für den Bereich Weiterbildung und Qualifizierung auch eine wichtige Verantwortung trägt, ein starkes Team von Frauen in dieser Großen Koalition haben, die wir als Regierungsfraktion unterstützen wollen. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, die SPD ist auch in der Koalition?) Wir müssen die Bildungschancen im gesamten Lebensverlauf nutzen, von der frühen Förderung über den schulischen Bereich, für den die Länder Hauptverantwortung tragen – diese werden wir als Bund unterstützen –, und die berufliche Bildung bis hin zu Hochschulbildung und Weiterbildung. Wir müssen den Geist von PISA begreifen und lebensbegleitendes Lernen im Blick haben. Um es konkret zu machen: Wir haben uns vorgenommen – wie Sie wissen, hätten wir uns mehr vorstellen können, was die Ausstattung betrifft –, mehr in Bildung zu investieren. Wir werden darüber zu diskutieren haben, wie wir den Koalitionsvertrag umzusetzen und die Verteilung vorzunehmen haben. Natürlich ist der Krippenausbau nicht nur hinsichtlich der Quantität, sondern auch hinsichtlich der Qualität nach wie vor ein wichtiges Thema. Hier wollen wir die Kommunen unterstützen, das Richtige zu tun. Es wird kein Ganztagsschulprogramm im klassischen Sinne wie zu rot-grüner Zeit geben – das bedauere ich; das will ich ganz deutlich sagen –, weil wir es nicht geschafft haben, das Kooperationsverbot insgesamt zu revidieren. Aber wir können, werden und wollen Mittel finden, um Kommunen und Länder beim Ausbau der Ganztagsbetreuung, zum Beispiel bei der Schulsozialarbeit, besser zu unterstützen. Auch da haben wir als Bund Verantwortung. (Beifall bei der SPD) Wir wollen für eine differenzierte Debatte in diesem Land sorgen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie soll das denn gehen?) Ja, wir haben Fortschritte erreicht, nicht nur bei den Leistungen, sondern auch bei der Minderung der sozialen Selektivität. Diese hat nun weniger Einfluss auf die Bildungs- und Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen in diesem Land als vor zwölf Jahren. Aber ich sage ganz deutlich: Das ist kein Grund, im Bereich der Bildungspolitik in Deutschland die rosarote Brille aufzusetzen. Nach wie vor entscheiden der Bildungshintergrund und der soziale Hintergrund zu stark über die Bildungs- und Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen in diesem Land. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Hört! Hört!) Damit werden wir uns als Sozialdemokraten nicht abfinden. Wir haben ein anderes Menschenbild. (Beifall bei der SPD) Es geht im Kern nicht nur um Gerechtigkeit, sondern auch um Freiheit. Es geht um die Frage, ob wir es schaffen, dafür zu sorgen, dass das Leben für die Menschen offen ist, ob jeder in diesem Land eine Chance hat. Wir wollen nicht, dass Herkunft, Geschlecht oder Hautfarbe den Lebensweg bestimmen und die Menschen auf ihre Verhältnisse festnageln. Wir wollen, dass Menschen selbstbestimmt ihren eigenen Lebensweg beschreiten können, dass sie Autor ihres eigenen Lebens sind. Bei Chancengleichheit geht es aber auch um ökonomische Aspekte. Angesichts der demografischen Entwicklung können wir es uns schlicht und ergreifend wirtschaftlich nicht leisten, Kinder und Jugendliche in diesem Land zurückzulassen. Die entscheidende Frage lautet, welches Menschenbild wir haben und wie wir in dieser Gesellschaft miteinander umgehen. Wir arbeiten daran, dass Selbstbestimmung über Bildungschancen möglich ist. Der große liberale Arzt Rudolf Virchow hat einmal den schönen Satz gesagt – er wird ihm zumindest zugeschrieben –, dass Freiheit zwei Töchter habe, nämlich Bildung und Gesundheit. Ich finde, das ist ein schönes Motto für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Lassen Sie uns daran arbeiten, Frau Ministerin Wanka, dass in diesem Land tatsächlich mehr freie Entfaltung der Persönlichkeit über bessere Bildungschancen ermöglicht wird. Das geht früh los. Wir müssen Eltern besser unterstützen. Wir müssen im Krippenbereich und bei den Kitas noch viel tun. Wir müssen weiter daran arbeiten, dass die Schnittstellen zwischen den Bildungsinstitutionen, zwischen der frühkindlichen Förderung und den Grundschulen beispielsweise – hier hat sich schon viel getan –, besser werden. Bund, Länder und Kommunen müssen gemeinsam Lehrerinnen und Lehrern den Rücken stärken. Die Lehrerausbildung hat sich bereits verändert, muss sich aber weiter verändern. Wir brauchen Ganztagsschulangebote einschließlich Schulsozialarbeit in diesem Land. Wir müssen uns endlich wieder bewusst werden, welchen Stellenwert die berufliche Erstausbildung im dualen System in diesem Land hat. Das ist jahrelang nicht ausreichend gewürdigt worden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben Fortschritte bei der Durchlässigkeit zum Hochschulstudium zugunsten derjenigen erzielt, die nicht die allgemeine Hochschulreife erlangt haben; das ist keine Frage. Aber auch hier können wir noch mehr tun. Wir müssen darüber reden, wie wir ein berufsbegleitendes Studium ermöglichen können. Wir dürfen das Wort „Weiterbildung“ nicht nur im Munde führen, sondern müssen sie auch institutionalisieren und dabei die verschiedenen Partner finanziell unterstützen. Beim Thema Weiterbildung gilt in Deutschland gewissermaßen das NATO-Prinzip. Das hat nichts mit Sicherheitspolitik zu tun, sondern NATO steht hier für No Action, Talk Only. Wir sprechen unglaublich viel über Weiterbildung. Aber in diesem Land ist zu wenig passiert. Jeder spricht von lebensbegleitendem Lernen. Aber weder die Kultur noch die Institutionen noch die Finanzierung der Weiterbildung in diesem Land sind auskömmlich. Da kann man eine ganze Menge mehr tun. Wir werden in diesen nächsten vier Jahren einiges nach vorne bewegen. Ich bin mir sicher, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode feststellen können, dass wir auf dem Weg, den wir seit 2000 eingeschlagen haben, ein gutes Stück vorangekommen sind. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Katja Dörner erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Hubertus Heil, das waren jetzt viele gut klingende Ankündigungen, aber nichtsdestotrotz gibt der Koalitionsvertrag der Großen Koalition das nicht her, was Sie hier alles ausgeführt haben. Ich weiß, dass Sie immer etwas empfindlich reagieren, aber Sie müssen damit leben, dass wir Sie auch damit konfrontieren, was Sie vor der Wahl gesagt haben, was jetzt tatsächlich im Koalitionsvertrag steht und was wir in den nächsten Jahren eben gerade nicht erwarten können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der SPD) Nichtsdestotrotz konnte man in den bisherigen Debattenbeiträgen sehr wohl einen gemeinsamen Tenor erkennen. Die PISA-Ergebnisse spiegeln eine gute Tendenz wider, es geht aufwärts. Selbstverständlich geht dafür unser Dank an die vielen Hunderttausend Lehrerinnen und Lehrer, die in ganz Deutschland, oft unter gar nicht so einfachen Bedingungen, einen Superjob machen. Vielen Dank an diese engagierten Menschen in unserem Land! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Aber es gab auch den gemeinsamen Tenor, dass wir vor sehr großen Herausforderungen stehen. Wenn man sich jetzt anschaut, was die unlängst abgewählte schwarz-gelbe Bundesregierung zu den Verbesserungen, die bei PISA festgestellt werden konnten, beigetragen hat, dann muss man sagen: Sie hat sehr wenig, sie hat quasi nichts beigetragen; und das nicht einmal, weil sie nicht gewollt hätte. Ob sie gewollt hätte, kann man vielleicht bezweifeln, aber nicht mit Sicherheit sagen; denn sie hat zu dieser Leistungsverbesserung gar nichts beitragen dürfen. Das ist ein absolut absurder Zustand, und der nennt sich Kooperationsverbot. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im Wahlprogramm der SPD steht der Satz: „Mit dem Kooperationsverbot in der Bildung ist die Politik einen Irrweg gegangen.“ (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja!) Das stimmt. Der Bund hat sich völlig ohne Not die Hände gefesselt, und es wäre einfach dringend an der Zeit, diesen zentralen Fehler zu korrigieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]) Es kommt nicht von ungefähr, dass Hubertus Heil eben das rot-grüne Ganztagsschulprogramm hier als eine richtige Weichenstellung zur Verbesserung der schulischen Bildung in Deutschland angeführt hat. Aber ein solches Ganztagsschulprogramm wäre heute aufgrund des Kooperationsverbotes überhaupt nicht mehr möglich. Das ist doch absurd. Die Große Koalition hat offensichtlich nicht vor, diesen Fehler zu korrigieren. Das heißt eben auch, dass die aktuelle Bundesregierung mit diesen überall beschworenen Herausforderungen in der Bildung nichts oder jedenfalls nicht viel zu tun haben wird, weil sie es gar nicht darf. Von der Abschaffung des Kooperationsverbotes ist im Koalitionsvertrag nicht die Rede, und das trotz der riesigen gesellschaftlichen Unterstützung, die diese Forderung hat. Das geht vom BDI über die Lehrergewerkschaften und Sozialverbände bis hin zu den Gewerkschaften. Wo sonst gibt es eine so große Unterstützung für eine notwendige Reform? Hier wird einfach eine riesige Chance durch die Große Koalition vertan, die mit ihrer Mehrheit und natürlich sehr gerne mit unserer Unterstützung ihren Beitrag dafür leisten könnte, dass sich der Bund für den Ausbau der Ganztagsschulen, für die Inklusion in den Schulen, für die kulturelle Bildung und vieles mehr engagieren könnte. Das wäre nämlich dringend nötig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Ministerin Wanka hat in ihrer Pressekonferenz zur Vorstellung der PISA-Studie das Sinus-Programm, ein Programm zur Verbesserung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts, ausdrücklich als Begründung für das gute Abschneiden Deutschlands in der Mathematik herangezogen. Sinus war unstrittig ein großer Erfolg. Aber was ist mit dem Sinus-Programm passiert? Das Bund-Länder-Programm musste aufgrund des Kooperationsverbotes beendet werden. Auch das zeigt doch, wie absurd dieses Kooperationsverbot ist. Deshalb, Frau Ministerin, lassen wir es auch nicht zu, dass Sie sich mit den PISA-Ergebnissen wie mit fremden Federn schmücken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Also wirklich!) Es gibt aber durchaus Grund zur Hoffnung. Ich habe gestern an der Übergabe der Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz an die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann teilgenommen. Es hat mich sehr gefreut, dass der scheidende Präsident Stephan Dorgerloh, Kultusminister aus Sachsen-Anhalt, auf großer Bühne gesagt hat, dass die Kultusministerkonferenz beim Thema Kooperationsverbot am Ball bleiben will. Das hat er übrigens unter dem Applaus auch der bayerischen Delegation getan. An dieser Stelle besteht also Grund zur Hoffnung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Herr Dorgerloh hat auch süffisant darauf hingewiesen, im vorherigen Koalitionsvertrag seien die großen Reformen, beispielsweise die der Bundeswehr, gar nicht enthalten gewesen und deshalb solle man Hoffnung haben. Wir sind am Anfang der Legislaturperiode. Man soll den Tag auch nicht vor dem Abend tadeln – so muss man in diesem Fall wohl sagen –; vielleicht erleben wir die erhofften Reformen noch. Aber klar ist, Frau Wanka: Hier müssen Sie als Ministerin, hier müssen die Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD tatsächlich aktiv werden; sonst tut sich nichts. Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen. Bei aller vorsichtigen Freude über die PISA-Ergebnisse möchte ich auf eine Entwicklung hinweisen, die wir dringend im Auge behalten müssen, nämlich auf die Entwicklung der mathematischen Kompetenzen der Mädchen. Es ist nicht nur so, dass die Jungen 14 Punkte vor den Mädchen liegen, sondern auch so, dass sich der Abstand zwischen Jungen und Mädchen in den letzten Jahren sogar vergrößert hat. Das ist in einem Land, das seit über acht Jahren von einer Physikerin regiert wird und eine Diplom-Mathematikerin als Bildungsministerin hat, absolut nicht hinnehmbar. Ich kann die Kultusministerinnen und Kultusminister der Länder nur dringend auffordern, hier eine gründliche Ursachenforschung zu betreiben und die Ärmel hochzukrempeln. Ein Bund-Länder-Programm wäre hier vielleicht genau das Richtige, ist aber absurderweise verboten. Es wird Zeit, dass sich das ändert. Vielen herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Michael Kretschmer das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Kretschmer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ergebnisse der PISA-Studie 2012 stimmen hoffnungsfroh. Wer gestern bei der Übergabe der Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz dabei war, dem wird eines in Erinnerung bleiben, nämlich die Beschreibung des Generalsekretärs der Kultusministerkonferenz, dass es in den vergangenen zehn Jahren immer wieder so war, dass viele deutsche Bildungspolitiker nach Skandinavien gependelt sind, um zu erfahren, warum diese Länder in den PISA-Studien erfolgreich waren. Seit einiger Zeit pilgert man in die andere Richtung, nämlich aus Schweden und anderen skandinavischen Ländern nach Deutschland mit der Frage: Wie ist es möglich, dass ihr in so kurzer Zeit so sehr aufholt, so weit nach vorn kommt? Was ist das Erfolgsrezept der deutschen Bildungspolitik? Das ist etwas, das beachtlich ist. Es zeigt: Wenn man sich auf das Wesentliche konzentriert, Bildungspolitik nicht hinter ideologischen Scheuklappen betreibt, sondern als Wissenschaft – was Bildung ja auch ist –, kann man große Erfolge erzielen. Meine Damen und Herren, bei Mathematik sind wir in der Spitzengruppe; das Leseverständnis hat deutlich zugenommen. Das sind natürlich ganz wesentliche Voraussetzungen für eine gute Zukunft in unserem Land. Genauso positiv ist, dass der Zusammenhang von Bildungserfolg und sozialer Herkunft deutlich abgenommen hat. Ich finde, es ist jetzt an der Zeit, auch von dieser Stelle immer wieder die Erwartung an die junge Generation, an die Kinder, an die Jugendlichen, an die Eltern zu formulieren, sich anzustrengen. Bildung ohne eigene Anstrengung funktioniert nicht. Das muss auch eine Erwartungshaltung der Gesellschaft an die junge Generation sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]) Zu keiner Zeit hatten junge Menschen in der Bundesrepublik Deutschland so große Chancen, so viele Möglichkeiten. Es liegt im Wesentlichen an ihnen selbst, ob sie diese ergreifen und realisieren oder nicht. Bildungspolitik eben nicht hinter ideologischen Scheuklappen zu betreiben, sondern pragmatisch und an der Sache orientiert, das ist der Grund dafür, warum wir so deutlich nach vorn gekommen sind. Frühkindliche Bildung hatte schon in den vergangenen Jahren ganz klar Priorität, und sie wird auch in der Zukunft Priorität haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Man muss natürlich kritisch hinterfragen, ob es richtig ist, die Priorität in diesem Bereich auf kostenfreie Kinderbetreuung im dritten Kindergartenjahr oder noch früher zu legen, oder ob es sinnvoller ist, in die Qualität von Kindergärten zu investieren. Letzteres ist der richtige Weg; das sollte Priorität in den deutschen Bundesländern haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Beides!) Ein großes Thema, das vor uns liegt, ist das Thema Inklusion. Auch hier wird sich sehr deutlich zeigen, wer das Thema ernst nimmt, wer in diesen Bereich investiert und welche Bundesländer sich damit zufriedengeben, Inklusion als Ziel ihrer Bildungspolitik zu definieren, statt die notwendigen Voraussetzungen zur Umsetzung dieses Ziels zu schaffen. Inklusive Bildung benötigt nicht weniger Ressourcen, sondern mindestens die gleichen, wenn nicht sogar mehr, aller Voraussicht nach aber andere Voraussetzungen. Deswegen hat die frühere Bundesregierung ebenso wie diese Koalition gesagt: Wir wollen eine eigene „Exzellenzinitiative Lehrerbildung“ auf den Weg bringen, deren Schwerpunkt darauf liegt, Lehrerinnen und Lehrer zu befähigen, auch mit dieser neuen Herausforderung der Inklusion umzugehen. Unsere Erwartung an die deutschen Bundesländer muss sein, die Lehrerinnen und Lehrer bei der großen Aufgabe „inklusive Bildung“ nicht alleinzulassen, sondern die Voraussetzungen für ihre Bewältigung zu schaffen und mit einem vernünftigen Augenmaß dieses wichtige Anliegen zu betreiben. (Beifall der Abg. Anette Hübinger [CDU/CSU]) Wir werden an dieser Stelle in wenigen Jahren darüber diskutieren, wo das gelungen ist und wo nicht. Es kann nicht sein, dass die deutschen Bundesländer, die sich jetzt einen schlanken Fuß machen und nicht die Voraussetzungen dafür schaffen, in einigen Jahren den Bund auffordern, mehr Geld für Schulsozialarbeit, Schulpsychologen oder Ähnliches bereitzustellen. Nein, Bildung ist eine Länderaufgabe. Gerade beim Thema Inklusion wird sich zeigen, wer das ernst nimmt und wer nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Das müssen die jetzt schon tun! Völlig falscher Ansatz!) Wir haben trotz des Kooperationsverbots und allem anderen in den vergangenen acht Jahren so viel Geld in die Bildung investiert wie zu keiner anderen Zeit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben die deutschen Bundesländer bei ihren Bildungsanstrengungen in einem Maße unterstützt, wie es zu keiner anderen Zeit stattgefunden hat. Insofern ist das Gerede über das Kooperationsverbot wieder nur eine ideologische Scheuklappe. Wir haben das Mögliche getan, und wir werden das auch in der Zukunft tun. Die Zahlen sind ganz eindeutig. Wir werden diesen Weg auch in Zukunft fortsetzen. Ein großer Schwerpunkt in den kommenden Jahren wird die Berufsorientierung sein. Es geht darum, jungen Leuten die Begeisterung für Mathematik, Naturwissenschaften und Technik zu vermitteln und ihnen die Chance zu geben, in diesem Bereich, der für die deutsche Volkswirtschaft, für unser Gemeinwesen, für unseren Wohlstand auch in den kommenden Jahrzehnten so wichtig sein wird, einen Beruf zu ergreifen. Das setzt aber voraus, dass man in Gesamtdeutschland, von St. Wendel im Saarland bis Seifhennersdorf bei mir im Wahlkreis, auch tatsächlich einen vernünftigen Unterricht in Mathematik, Naturwissenschaften und Technik im Lehrplan verankert. Das ist auch wieder eine Aufgabe der Bundesländer, die gar nicht mit mehr Geld zu tun hat, sondern mit einem Verständnis davon, was notwendig ist. Jugendliche, die in der elften oder zwölften Klasse keinen oder einen Physik- oder Mathematikunterricht von minderer Qualität hatten, werden nie Ingenieure werden. Deswegen müssen wir in diesen Bereich investieren, und wir müssen dies auch von den deutschen Bundesländern fordern. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben in der Vergangenheit mit dem „Haus der kleinen Forscher“ eine großartige Initiative gestartet und werden sie auch in der Zukunft fortsetzen. Derzeit gibt es in der Bundesrepublik Deutschland 26 000 Krippen, Kitas und Horte und 230 lokale Netzwerke, die sich darum bemühen, jungen Leuten die Begeisterung für Mathematik, Naturwissenschaften und Technik zu vermitteln. An vielen Stellen gibt es großartige Initiativen. Wettbewerbe wie „Jugend forscht“ wollen wir fortsetzen. Die Erfolge sind sichtbar, gerade bei den jungen Frauen, bei den Mädchen. Der Anteil derer, die ein naturwissenschaftliches Studium aufnehmen, ist kontinuierlich von 35 Prozent im Jahr 2000 auf 41 Prozent im Jahr 2010 gestiegen. Es geht also in die richtige Richtung. Machen wir weiter. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht in die falsche Richtung! 14 Prozent weniger sind kein Erfolg!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Daniela De Ridder für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Daniela De Ridder (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erinnern wir uns noch einmal ganz kurz an die Ergebnisse und an die Debatte zur ersten PISA-Studie. In der Tat, Herr Rupprecht, sie bescheinigt Deutschland keineswegs, dass wir das Land der Denker und Dichter sind, sondern eher das der Schulversager. Ähnlich wie damals der Sputnik-Schock hatte die PISA-Studie eine rege Debatte und Diskussion zur Folge. Ja, Frau Hein, die Ergebnisse der PISA-Studie stellten dem deutschen Bildungssystem ein sträfliches Armutszeugnis aus. Jeder vierte 15-Jährige, so erfuhren wir, konnte weder richtig lesen noch schreiben. Das ist ein trauriger Befund. Nur in einem Punkt lag Deutschland bei der ersten PISA-Studie weit vorn: bei der mangelnden Gerechtigkeit in Bezug auf Bildungschancen. Mehr noch: In kaum einem anderen Land war die Schulleistung so eng an die soziale Herkunft gekoppelt wie in Deutschland. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Leider!) Nach einer ersten Schockstarre entwickelte sich jedoch eine intensive Diskussion über die Rahmenbedingungen für gute Bildung. Im Übrigen war es die damalige rot-grüne Regierung, die als Reaktion auf PISA den Ausbau der Ganztagsschulen in den Ländern mit 4 Milliarden Euro unterstützte. Dies wiederum bewirkte eine Verdreifachung der Ganztagsschulangebote. Nun zeigen die Ergebnisse der vorliegenden fünften PISA-Studie zunächst eine positive und erfreuliche Tendenz. Deutsche Schülerinnen und Schüler schneiden heute in allen Kompetenzbereichen deutlich besser ab. Dies beweist, dass unsere Anstrengungen in den letzten Jahren, liebe Frau Wanka, erste Erfolge verzeichnen können. Allen, die daran mitgewirkt haben – ich vermute, es war auch die eine oder andere Mutter, der eine oder andere Vater dabei –, gilt an dieser Stelle unser herzlicher Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gleichwohl gibt es leider keinen Anlass, sich süffisant zurückzulehnen. Ich will dies an drei Punkten festmachen, bei denen ich noch deutlichen Handlungsbedarf sehe. Erstens brauchen wir endlich echte Chancengleichheit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist unbestritten, dass der familiäre Hintergrund eines Kindes einen immensen Einfluss auf dessen Bildungserfolg und damit auf dessen Lebenschancen hat. Das gilt insbesondere für Kinder aus sozial und ökonomisch schwächeren Familien. Das Ziel eines jeden Bildungssystems muss es doch sein, allen Kindern die gleichen Chancen und Möglichkeiten zur Entfaltung ihrer Potenziale und Talente einzuräumen. Ein zweiter Punkt, auf den ich kurz eingehen möchte, betrifft die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Auch hier haben wir einen deutlichen Kompetenzzuwachs zu verzeichnen. Allerdings verfehlen noch immer fast 30 Prozent der in Deutschland geborenen Kinder mit Zuwanderungsgeschichte in Mathematik das Grundkompetenzniveau II. Der Anteil ist damit doppelt so hoch wie bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Hier sind es 14 Prozent. Ich meine, wir brauchen zwingend das, was der Migrationsexperte Klaus Bade eine „nachholende Integrationspolitik“ nennt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker sind gefordert, hier ganz deutlich ihren Beitrag zu leisten. Bei der frühkindlichen Förderung zu beginnen, ist ein Lösungsansatz für die Problemlagen. Sie kann der Benachteiligung von Kindern wirkungsvoll entgegenwirken; denn in Krippen und Kitas wird der Grundstein für den späteren Bildungsweg gelegt, getreu dem Motto „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“. Allerdings, liebe Frau Wanka, sollten wir auch an anderer Stelle noch einmal über Durchlässigkeit und lebenslanges Lernen sprechen; da bin ich sehr an Ihrer Seite. (Beifall bei der SPD) Dies gilt nicht nur für Kevin und Chantal, die noch ein Leben nach der Schule haben, das gilt auch für Ayse und Mustafa. Deshalb brauchen wir in den Kitas eine gute Personalausstattung. Dabei ist entscheidend, dass der Besuch kostenfrei ist; denn Bildung darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Ferner bedarf es enger Bildungskooperationen zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Ja, auch ich hätte mir einen weiteren flächendeckenden Ausbau guter Ganztagsschulangebote gewünscht. Ja, was wir brauchen, ist eine klassische Bund-Länder-Vereinbarung mit einer entsprechenden Verfassungsänderung. Aber, liebe Frau Dörner, es soll ja auch grüne Landesfürsten geben, die sich eher als Verhinderer gerieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ja, unser Ziel muss weiterhin sein, alle Schulen in Deutschland zu Ganztagsschulen weiterzuentwickeln. Die Zeiten, in denen darüber ein ideologischer Streit geführt wird, sind nun hoffentlich passé. Lassen Sie mich einen dritten und letzten Punkt ansprechen. Das ist der große Unterschied zwischen Jungen und Mädchen. PISA lehrt uns, dass wir Mädchen die Furcht vor dem Angstfach Mathematik nehmen müssen und die Jungen wiederum ermutigen sollten, auch einmal ein Buch in die Hand zu nehmen, das nicht zur Schullektüre gehört. Schon aus Gründen des Fachkräftemangels muss es uns in Zukunft stärker gelingen, Mädchen für die MINT-Fächer an den allgemeinbildenden Schulen zu begeistern und gezielt zu fördern. Auch hier braucht es in der Tat weitere Unterstützung; das Sinus-Programm wurde schon angesprochen. Wir müssen also alle gemeinsam – alle, die wir hier sitzen; das sind wir unseren Kindern schuldig – die richtigen Konsequenzen aus der PISA-Studie ziehen. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam neue Wege in der Bildungspolitik gehen! Gestatten Sie mir ganz zum Schluss ein Zitat des Philosophen Georg Christoph Lichtenberg, der da sagte: Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin De Ridder, ich hatte gehofft, dass Sie sich ganz am Schluss beim Präsidenten für den Redezeitzuschlag hatten bedanken wollen, (Heiterkeit) den ich für die erste Rede besonders gern gewährt habe, verbunden mit allen guten Wünschen und herzlicher Gratulation. (Beifall) Für den Kollegen Uwe Schummer gilt das nicht. Er hat genau sechs Minuten. (Heiterkeit) Bitte schön. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Uwe Schummer (CDU/CSU): Vielen Dank; immerhin. – Verehrtes Präsidium! Meine Damen und Herren! Im 13. Jahr von PISA-Ergebnissen kann man – das ist das Entscheidende – kein Rauf und Runter, sondern eine stetige, eine konsequente weitere Verbesserung der deutschen Schullandschaft feststellen. Das ist ein gemeinsamer Erfolg von Eltern, Lehrern, allen, die sich hier bemühen, die im Bildungsbereich unterwegs sind, aber auch ein Erfolg der verschiedenen politischen Kräfte, und zwar auch in unserem Bildungsföderalismus. Das heißt, Erfolg haben wir dann, wenn jeder mit seiner Kompetenz bei seinen Aufgaben bereit ist, abgestimmt mit den anderen, in die richtige Richtung zu gehen. Dass das möglich ist, das zeigte der Bildungsgipfel von 2008; das war ein ganz wichtiger Termin. Da wurde zwischen Bund und Ländern vereinbart, dass wir an erster Stelle dafür sorgen, dass 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung, für Zukunftsaufgaben bereitgestellt werden. Das ist eine ganz wichtige Leistung. Darauf hat Annette Schavan als Ministerin massiv gedrängt, und sie hat das auch mit umgesetzt. Wir haben diesen Anteil von 10 Prozent des BIP auch erreicht. Es wurde miteinander vereinbart, dass, bevor es vom Kindergarten in die Schule geht, ein Sprachtest durchgeführt werden soll. Was soll ein Kind in der Schule, wenn es im Unterricht nichts versteht? Sprache ist die Voraussetzung für Lernerfolg. Das ist in allen Bundesländern so weit umgesetzt worden. Wir haben auf dem Bildungsgipfel gemeinsam vereinbart, die Quote der Schulabbrecher zu senken – von über 8 Prozent ist sie auf jetzt 5,9 Prozent gefallen – und die Quote der Studienanfänger zu erhöhen; sie hat sich seit 2008 von 40 Prozent auf 53, 54 Prozent verbessert. Die OECD nimmt diese Entwicklung in Deutschland zur Kenntnis. Wichtig ist aber auch, dass sie das duale Ausbildungssystem (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) in der beruflichen Bildung zur Kenntnis nimmt. Wir haben hier im Deutschen Bundestag gemeinsam mit dafür gesorgt, dass nach dem Europäischen Qualifikationsrahmen der Bachelor im akademischen Bereich mit den Weiterbildungsberufen Techniker und Meister auf eine Wertigkeitsstufe gestellt worden ist. Wir haben also Gleichwertigkeit der akademischen und der beruflichen Bildung im Europäischen wie im Deutschen Qualifikationsrahmen verankert. Hier ist entscheidend, dass wir im europäischen Bildungsraum zwischen Portugal und Malta nicht mehr fragen: „Woher kommst du?“, sondern: „Was kannst du für das Unternehmen?“, dass wir aber auch in Deutschland nicht mehr fragen: „Woher kommst du, von der beruflichen, akademischen, schulischen Qualifikation her?“, sondern: „Was kannst du im Beruf?“ Ich selbst habe Groß- und Außenhandelskaufmann gelernt; ich kann eine Eröffnungsbilanz erstellen. Wenn ich sie erstellen kann, ist es nicht wichtig, ob ich das an der Fakultät einer Universität, in der Handelsschule oder im Betrieb gelernt habe; ich kann es. Es ist ein Stück weit auch eine Frage der Emanzipation, dass wir hier Grenzen überwinden und fragen: „Was sind letztendlich deine Kompetenzen, deine Ergebnisse? (Zuruf von der SPD: Das ist immer gut!) Was kannst du mit einbringen?“ und dann alle Chancen im Betrieb, in der Wirtschaft, im Leben geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir den Ehrgeiz haben sollten, bei PISA ganz vorne zu landen, sollten wir auch einmal schauen, ob die Bildungssystematik, die in asiatischen Ländern wie Südkorea, Japan und China herrscht, die sehr testorientiert ist und von einer Drillpädagogik bestimmt wird, unser Weg sein kann, ob wir wirklich diesen Weg gehen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von der SPD: Nein!) Der Schulalltag eines Jugendlichen in Südkorea beginnt morgens um 8 Uhr und geht bis 16 Uhr; danach ist eine Stunde Pause, und dann geht es von 17 bis 20 Uhr weiter, und das an sechs Tagen in der Woche. Ein zwölfstündiger Bildungstag würde bei uns in Deutschland aus guten Gründen unter das Jugendarbeitsschutzgesetz – oder vielleicht ein Jugendbildungsschutzgesetz – fallen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich denke, dass wir auch die besondere Form des Lernens – mit Kreativität, mit freiem Willen und mit Persönlichkeitsentwicklung, was man eben nicht so messen kann wie andere Ergebnisse der PISA-Studie – in die Waagschale werfen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Natürlich brauchen wir Disziplin, Ordnung und klare Bewertungssysteme. Wenn die Grünen in Rheinland-Pfalz jetzt sagen, die Noten sollten generell abgeschafft werden, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Idee!) dann ist das, glaube ich, kein guter Weg. Man kann es auch in die andere Richtung übertreiben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe früher Leichtathletik gemacht bei Bayer Uerdingen. Auf Leichtathletik übertragen würde der Vorschlag der Grünen ungefähr bedeuten: Bei einem 400-Meter-Lauf werden nun individuelle Fortschrittsberichte über den Laufstil, den Verlauf und die Körperhaltung erstellt statt einer klaren wettbewerblichen Bewertung in Form der Zeitmessung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie widersprechen sich doch selbst!) Das ist kein weiterführender Weg. Stattdessen brauchen wir ein vernünftiges Maß, um den 400-Meter-Lauf fair bewerten zu können. Meine lieben Freunde, wir haben in der Koalitionsvereinbarung miteinander beschlossen, dass wir mit der Allianz für Aus- und Weiterbildung die Sozialpartner ein Stück weit stärker in die bildungspolitische Verantwortung einbeziehen wollen, dass wir eine Ausbildungsgarantie aussprechen wollen, mit der die Jugendlichen spätestens vier Monate nach der Schulentlassung einen Ausbildungsplatz erhalten sollen. Es ist für den Jugendlichen wichtig, dass er schon in der Schule weiß, dass er nach der Schulentlassung einen Anschluss hat. Wir brauchen für die Jugendlichen nicht nur eine Abschlusskompetenz, sondern auch eine Anschlusskompetenz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wenn der Jugendliche weiß, dass er nach der Schule einen vernünftigen Ausbildungsplatz oder einen Studienplatz entsprechend seiner Qualifikation bekommen wird, dann ist die Motivation, einen vernünftigen Abschluss zu machen, sich auch in Physik und Chemie anzustrengen, umso stärker. Das ist die Vernetzung von Schulbildung, beruflicher und akademischer Bildung durch ein gutes Übergangssystem. Um das zu erreichen, haben wir uns als Koalition in die Pflicht genommen. Wir werden unsere Positionen durchsetzen und entsprechend liefern. Ich denke, es ist ein gutes Zeichen, dass wir die erste große Debatte in der ersten regulären Plenarwoche der neuen Legislaturperiode dem Thema Bildung gewidmet haben. Alles Gute miteinander! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält der Kollege Dr. Karamba Diaby für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karamba Diaby (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle hier sind uns einig: Jedes Kind soll die bestmöglichen Bildungschancen erhalten, egal ob Mädchen oder Junge, egal ob die Familie aus dem Ruhrgebiet, aus dem Mansfelder Land oder, wie in meinem Fall, aus der Region der Sahelzone im Senegal kommt, egal woran die Eltern glauben und welcher Arbeit sie nachgehen; das darf nicht ausschlaggebend dafür sein, welchen Bildungserfolg ein Kind hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herkunft darf also kein Schicksal sein. Was sagt uns dazu der PISA-Bericht 2012? Wie sieht es mit der Chancengleichheit in der Schulbildung in Deutschland aus? Ich gehöre weder zu den Übereuphorischen noch zu den Pessimisten. Daher lassen Sie uns genau hinschauen; dann sehen wir: Es gibt positive Entwicklungen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten Familien machen Fortschritte, und Kinder aus Einwandererfamilien holen laut der PISA-Studie auf. Aber: Wir müssen die Ärmel hochkrempeln. Denn der Bildungserfolg ist nicht jedem Kind in die Wiege gelegt. Als Sozialdemokrat ist mir der Aufstieg durch Bildung ein Herzensanliegen. (Beifall bei der SPD) Die vorliegende PISA-Studie deutet an, dass es uns ein wenig besser gelingt, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Hier müssen wir aber noch besser werden. (Beifall bei der SPD) Bisherige Verbesserungen sehe ich im Zusammenhang mit unseren sozialdemokratischen Maßnahmen. Ich nenne die Stichworte Ganztagsschulen, Schulsozialarbeit und flächendeckender Ausbau der Kindertagesbetreuung. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, ich selbst habe viele Jahre in verschiedenen Bildungseinrichtungen und für verschiedene Bildungsprojekte mit Schulen zusammengearbeitet. Aus eigener Erfahrung kann ich Folgendes sagen: Erstens. Sehr gut qualifizierte Lehrkräfte sowie Erzieherinnen und Erzieher sind die tragende Säule eines erfolgreichen Bildungssystems. (Beifall bei der SPD) An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Lehrkräften sowie Erzieherinnen und Erziehern in Deutschland bedanken, die dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir leben in einer Einwanderungsgesellschaft; das ist keine neue Erkenntnis. Unsere Klassenzimmer sind der beste Beweis dafür: Sie sind nämlich bunt. Aber bei unseren Lehrerzimmern ist das noch zu selten der Fall. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr richtig!) Hier müssen wir mehr tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen mehr Pädagoginnen und Pädagogen sowie Erzieherinnen und Erzieher mit einer Migrationsbiografie. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) An der Stelle muss ich allerdings sagen: Es gibt bundesweite Unterschiede. Diese Defizite auszugleichen, ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam anzugehen haben. (Beifall bei der SPD) Zweitens. Wir brauchen Bildungseinrichtungen, die ergänzend zum Schulunterricht den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern begleiten. Denn Schule heißt: Talente entdecken und Fähigkeiten fördern. Die Schulsozialarbeit ist ein bewährtes Instrument. Von ihr profitieren alle: Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte. Daher brauchen wir kontinuierliche Förderstrukturen. (Beifall bei der SPD) Drittens. Ein Punkt, auf den ich eingehen möchte, ist die ganztägige Betreuung in Kinderkrippen und Kindergärten und die damit verbundene Förderung der frühkindlichen Entwicklung. Eine besondere Aufgabe ist dabei die Förderung des Miteinanders, damit Markus, Igor und Aminata schon im Sandkasten miteinander spielen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, dass wir die Länder und Kommunen tatkräftig finanziell unterstützen werden. Gute Bildungspolitik können wir nur im Zusammenspiel aller politischen Ebenen umsetzen; das hat auch meine Kollegin De Ridder in Ihrer Rede gesagt, und das finde ich an dieser Stelle sehr wichtig. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wer meine Biografie und meinen Werdegang kennt, weiß: Ich kann heute nur vor Ihnen stehen, weil ich in verschiedenen Phasen meines Lebens immer wieder eine Chance erhielt. Als Abgeordnete haben wir die Aufgabe, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, diese Chancen keinem Kind zu verwehren. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Auch Ihnen, Herr Kollege Diaby, herzliche Glückwünsche! Wir freuen uns auf Ihre Mitarbeit an der Bewältigung der von Ihnen und anderen in dieser Debatte beschriebenen Herausforderungen. (Beifall) Marcus Weinberg ist der nächste Redner für die CDU/CSU. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Diaby, mehr jungen Menschen Chancen zu geben, wird unser Auftrag für die nächsten vier Jahre sein. Das wollen wir gemeinsam tun. Ich glaube, wenn man die Ergebnisse der PISA-Studie auswertet, dann erkennt man, dass man die Ergebnisse einordnen muss. Wenn man ein humanistisches Bildungsideal hat, darf man an sich nicht nur die drei Kompetenzfelder betrachten, sondern muss auch berücksichtigen, dass darüber hinaus viele weitere Aspekte im Bildungsbereich eine Rolle spielen. Wenn man nun jedoch die PISA-Studie 2012 in Bezug auf die drei dezidierten Kompetenzfelder auswertet, erkennt man: Erstens. Die Bildung in Deutschland ist besser geworden und in Teilen im internationalen Vergleich an der Spitze. Zweitens. Liebe Opposition, Sie müssen die PISA-Studie wirklich genau lesen. „Schein“ hat zwar mehr Buchstaben als „Sein“; aber wenn man die PISA-Studie richtig interpretiert, erkennt man: Bildung in Deutschland ist gerechter geworden, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weil der soziale Status nicht mehr so dermaßen den Bildungserfolg bestimmt. Der Aufbruch im Jahr 2000 gerade auch der Bildungsbeauftragten und der Lehrer in den Ländern und übrigens auch der Eltern, die sich natürlich gefragt haben, was möglicherweise im deutschen Bildungssystem nicht so richtig läuft, war richtig. Der Dank wurde mehrfach ausgesprochen; man kann ihn gerne wiederholen. Er gilt den Bildungsbeteiligten, insbesondere denjenigen, die jeden Tag viele Stunden Bildung produzieren, nämlich den Lehrern. Drittens. Auch die Politik hat reagiert, gerade auch die Bundespolitik. Insbesondere seit 2005 wird Bildung in diesem Land anders wahrgenommen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Der Fairness halber: seit 2000!) Man erkennt, dass Bildung und Forschung, Herr Dr. Rossmann, gerade seit 2005 ein anderes Bild von gesellschaftlicher Entwicklung widerspiegeln, mit den Prioritäten, die wir 2005 gesetzt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Wenn man sich die Ergebnisse anschaut, dann erkennt man: In Mathematik und Naturwissenschaften – es wurde bereits gesagt – sind wir bereits 2009 in die Spitzengruppe gerutscht. Es ist wie im Fußball: Es ist relativ einfach, Tabellenführer zu werden; aber die Herausforderung ist, Tabellenführer zu bleiben oder oben mitzuspielen. Das haben wir 2012 erneut geschafft. Im Bereich Lesen gibt es zumindest zufriedenstellende Leistungen. Die Problematik des internationalen Vergleichs wurde bereits angesprochen. Ich halte es für äußerst problematisch, Lappland mit Berlin oder Duisburg zu vergleichen, was die PISA-Studie ja auf gewisse Art und Weise tut. Wir haben uns nach 2000 intensiv mit den Kollegen aus Finnland unterhalten. Wir wollten wissen: Was ist denn nun das Erfolgreiche am finnischen Schulsystem? Damals war Finnland der große Sieger der PISA-Studie. Da haben viele Kollegen gesagt: Wir messen jetzt in Kompetenzfeldern, in Naturwissenschaften, in Mathematik, im Lesen. Aber es gibt auch durchaus andere Bewertungskategorien. Da gibt es durchaus auch im deutschen Bildungssystem große Vorteile, in den Bereichen der dualen Bildung, der sozialen Verantwortung und der Demokratiebildung. Wenn man jetzt zwölf Jahre später auf die Ergebnisse der fünften Studie schaut, dann stellt man fest: Es ist uns gelungen, mit dem damaligen PISA-Sieger im Kompetenzfeld Mathematik fast gleichauf zu liegen und in den Bereichen Lesen und Naturwissenschaften nur noch ein halbes Jahr Rückstand zu haben. Der Vergleich zwischen den Bundesländern ist schwierig; Bayern, Sachsen, Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen sind äußerst schwierig zu vergleichen, weil es historisch, kulturell und im Hinblick auf die Herkunft der Menschen – Stichwort Migration – Unterschiede gibt. Wir haben heute den Sachsen-Like-Tag: Wir loben zu Recht immer die Sachsen für ihr Bildungssystem und ihre Bildungsleistungen. (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Jetzt muss Bayern kommen!) Der Kollege Kretschmer möge mir verzeihen, wenn ich sage: Mehr Talent habt ihr nun nicht. Aber man muss deutlich sagen: Ihr habt jahrelang nachgewiesen, dass man mit einem klugen Bildungssystem Erfolge produzieren kann. Das hat Sachsen gemacht. Sachsen ist im Bereich Mathematik zwei Jahre weiter als Nordrhein-Westfalen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Zwei-Wege-System!) Weil Herr Rupprecht natürlich nicht seine eigenen bayerischen Kollegen loben darf, mache ich das sehr gerne: Bayern ist Nordrhein-Westfalen im Bereich Naturwissenschaften ein Jahr voraus. Hier wirkt also tatsächlich der politische Ansatz, Leistung zu honorieren, aber bei den Investitionen im Bildungsbereich auch in die Breite zu gehen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das war unter Ihren intellektuellen Möglichkeiten!) Ich will auf einen Punkt kommen, der durch die PISA-Studie 2012 widerlegt worden ist, was die Opposition sehr ärgert. Frau Gohlke hat im November 2012 Folgendes gesagt – ich darf sie, wie heute auch Frau Hein, zitieren –: In der Bundesrepublik werden Bildungschancen vererbt … bildungsnah bleibt bildungsnah, und bildungsfern bleibt bildungsfern. Daran soll sich … offensichtlich auch nichts ändern. Das hat PISA widerlegt. Ja, hier besteht weiterhin eine Herausforderung; wir müssen nach wie vor erkennen, dass der soziale Status den Bildungserfolg mitbestimmt. In der PISA-Studie werden aber Prozesse beschrieben, und wenn wir uns diese Prozesse anschauen, dann kommen wir zu dem Ergebnis – die Ministerin hat es gesagt –, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Kompetenz nicht mehr so stark ausgeprägt ist. Deutschland ist es als eines der wenigen Länder gelungen, in allen Kategorien bessere Ergebnisse zu erzielen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Schere sich allmählich wieder schließt. Die Herausforderung der nächsten Jahre im Bildungsbereich wird es sein, weiter daran zu arbeiten; (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) denn bei den leistungsschwachen Schülern liegen wir unterhalb des OECD-Durchschnitts. Das ist, wie Dr. Rossmann es gesagt hat, die Herausforderung der nächsten Jahre. Man sagt immer, dass es darum geht, früher, gezielter und bedarfsgerechter im Bereich Bildung zu investieren. Jetzt, nach einer Epoche des Ausbaus – Stichworte: Krippenausbau, Kitaausbau –, wäre es wichtig, zu einer Epoche der Qualitätssteigerung zu kommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir haben in die Qualität investiert. Ich nenne als Stichwort die Qualitätsoffensive Lehrerbildung, die Initiative zur Ausbildung und Qualifizierung von Lehrern. Die Aufgabe ist, jetzt dezidiert zu schauen, wie zielgerichtet die Programme sind und in welchen Bereichen wir die Qualität verbessern müssen. Die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ wurde angesprochen. Es geht darum, unten anzufangen, im Bereich der frühkindlichen und der vorschulischen Bildung. Es geht aber auch um Fragen der Weiterbildung. Wir müssen das Ganze sehen und weiter investieren. Dass wir mit 9 Milliarden Euro mehr erneut einen Schwerpunkt auf diesen Bereich legen, und zwar die dritte Legislaturperiode infolge, ist ein deutliches Signal der neuen Koalition, dass Bildung bei uns Priorität hat. Ziel der nächsten Jahre wird sein, die Bildung weiter zu verbessern. Ich glaube, das Ziel ist vorgegeben. Wir blicken auf PISA 2012 zurück – wir waren erfolgreich –, nehmen unsere Aufgabe, uns in diesem Bereich weiter zu verbessern, aber ernst. Es gilt das Zitat von Benjamin Franklin: Eine Investition in Wissen bringt … immer die besten Zinsen. Daran wollen wir uns in der Großen Koalition orientieren. Dafür wollen wir gemeinsam arbeiten. Herzlichen Dank und auf eine gute Zusammenarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Martin Rabanus für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Martin Rabanus (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man als Vierzehnter in einer solchen Debatte spricht, erweckt man relativ schnell den Eindruck: Es ist zwar schon alles gesagt, aber nicht von jedem. Diesen Eindruck möchte ich gerne vermeiden. Daher knüpfe ich an das an, was Herr Schummer vorhin gesagt hat. Dies ist die erste Debatte dieser Woche und dieses Jahres, und dies ist die erste Debatte über Bildungspolitik in dieser Wahlperiode. Darauf möchte ich gerne verweisen. Ich bitte darum, dies einerseits als Bekenntnis und andererseits als Verpflichtung des gesamten Hauses zu verstehen, dem Thema Bildung auch in den kommenden vier Jahren die Bedeutung zukommen zu lassen, die ihm gebührt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, es ist nur eingeschränkt hilfreich, wenn man eine solche Debatte dazu nutzt, kleine parteipolitische Münzen zu prägen. Ich will daher nicht der Versuchung erliegen, mich hier beispielsweise über schwarz-grüne Koalitionsverträge in verschiedenen Bundesländern auszulassen, (Christine Lambrecht [SPD]: Es ist zum Glück nur eins! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Berlin hat man die Zweigliedrigkeit eingeführt! Nur zur Information!) eben weil ich dieser Debatte eine andere Bedeutung beimesse. Ich finde es ausgesprochen ertragreich, darüber nachzudenken, wo in diesem Haus insgesamt die Gemeinsamkeiten bei diesem Thema liegen. Begriffe wie Chancengleichheit habe ich von den Rednern aller Fraktionen im Laufe des Vormittags gehört. Wir wollen Chancengleichheit durch Bildung erreichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe wörtlich oder zumindest sinngemäß von allen Seiten gehört, dass wir in Bildung die Grundlage für Teilhabe sehen. Es geht um Teilhabe an der Gesellschaft, und zwar in allen Facetten. Es geht um Arbeitsprozesse, kulturelle Bedingungen, gesellschaftliche Teilhabe, demokratische Teilhabe und derlei Dinge mehr. Integration durch Bildung und Bildungsgerechtigkeit sind, glaube ich, die wesentlichen Stichworte, um die sich die Debatte in den nächsten Jahren drehen wird. Wir werden um den richtigen Weg ringen, wie wir diese Leitziele erreichen können. Wir werden nicht nur ringen, sondern wir werden auch diskutieren. Vielleicht werden wir zuweilen auch streiten wie die Kesselflicker. Möglicherweise werden die Streitlinien dann nicht nur entlang der klassischen parlamentarischen Lager verlaufen, sondern auch einmal quer. Auch das ist angedeutet worden. Wir Sozialdemokraten, alle hier Anwesenden und auch die Öffentlichkeit wissen sehr wohl, dass im Koalitionsvertrag nicht alle Punkte zu 100 Prozent so weit entwickelt werden konnten, wie es sich unterschiedliche Partner in der Koalition gewünscht hatten. Die Stichworte wurden bereits genannt. Das Kooperationsverbot ist eines der Stichworte. Ein anderes Stichwort ist das Betreuungsgeld. Es gibt also Punkte, bei denen die Parteien erkennbar unterschiedlich bleiben. Dennoch werden sie in der Großen Koalition eine respektable bestimmten Leitzielen verpflichtete Politik auf den Weg bringen. Das hat sich die Koalition vorgenommen. Auch ich wünsche mir das. Ich wünsche mir einen Dialog mit dem ganzen Haus in einem offenen Prozess, ein gemeinsames Anpacken, um die Ziele Bildung, Teilhabe, Integration und Bildungsgerechtigkeit zu erreichen. All das steht unter der großen Überschrift „Chancengleichheit durch Bildung stärken“. Das steht übrigens auch genau so in der Präambel des Koalitionsvertrages. Das könnte eine Basis sein, auf der wir uns als Deutscher Bundestag gemeinsam um die Zukunft der jungen Menschen und damit die Zukunft unseres Landes verdient machen. Darauf freue ich mich. Unsere Aufgabe besteht nicht darin, uns nur selbst zu gefallen, sondern vor allen Dingen darin, die Arbeit für die Menschen zu machen, die uns hierher geschickt haben. Ich freue mich sehr darauf, mit Ihnen gemeinsam diese Arbeit anzupacken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Auch Ihnen, Herr Kollege Rabanus, gratuliere ich herzlich zu Ihrer ersten Rede. (Beifall) Dass wir gleich bei dieser Debatte, wenn ich richtig mitgezählt habe, fünf Kolleginnen und Kollegen zu Wort kommen lassen konnten, die sich zum ersten Mal im Deutschen Bundestag an einer Debatte beteiligen, lässt sich, Herr Kollege Schummer, vielleicht auch in die Kategorie von Fortschrittsberichten einsortieren, die Sie vorhin in einem anderen Zusammenhang angeregt haben. (Heiterkeit) Als letzter Redner in dieser Debatte erhält der Kollege Dr. Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wie meine Vorredner bereits ausführlich dargestellt haben, ist die neueste PISA-Erhebung überraschend positiv für Deutschland ausgefallen. Die drei wichtigsten Ergebnisse sind für mich folgende: Erstens. Wir haben uns in allen Bereichen – Mathematik, Lesefähigkeit und Naturwissenschaften – deutlich verbessert. Zweitens. Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schülerleistung konnte deutlich verringert werden. Drittens. Die Leistungen der Schüler mit Migrationshintergrund – das wurde ausführlich angesprochen – haben sich ebenfalls deutlich verbessert. Deshalb können wir parteiübergreifend feststellen: Die Anstrengungen und Bemühungen auf allen Ebenen für eine bessere Bildung haben sich gelohnt. Dennoch – auch das wurde mehrmals gesagt – ist dies natürlich kein Grund, sich auszuruhen oder in Zufriedenheit zu verfallen. Wir bleiben in manchen Bereichen im Mittelfeld mit anderen Ländern wie Belgien, Kanada und Finnland. Die Verbesserung der Situation der Schulen mit all ihren Herausforderungen – sie wurden schon mehrfach genannt –, zum Beispiel Inklusion, frühkindliche Bildung, soziale Gerechtigkeit, Mittelausstattung, Sozialarbeit, Lehrerausbildung und vieles mehr, bleibt Daueraufgabe. Hier sind alle politischen Ebenen gefordert. Denn die Qualität des Schulsystems bemisst sich nach vielen Kriterien. Dazu gehört auch, wie gut die Schulverwaltung arbeitet und wie motiviert die Lehrer sind. Natürlich gehört dazu auch – das wurde ebenfalls schon genannt –, wie motiviert eigentlich unsere Schüler sind. Deshalb muss kontinuierlich an unserem Bildungssystem weitergearbeitet werden. Ich will auch sagen: Die Länder dürfen es dabei nicht übertreiben. Denn ständige Strukturreformen an den Schulen führen eben nicht zu einer besseren Schule. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen den Lehrern und Schulverantwortlichen auch Zeit geben, die Dinge umzusetzen und ihre Arbeit zu machen. Deshalb wäre insgesamt ein bisschen mehr Ruhe im System wichtig. Ständige Kurswechsel mit jeder neuen Landesregierung sind nicht hilfreich; (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Aber auch kein Stillstand!) da sind wir uns hier im Hause, denke ich, schnell einig. Nur: Darüber, welche Landesregierung dann keinen Kurswechsel machen sollte, gehen die Meinungen wahrscheinlich auseinander. Als Baden-Württemberger hätte ich mir natürlich im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger gewünscht, dass sich die grün-rote Landesregierung etwas Enthaltung auferlegt hätte. Denn dort erleben wir gerade, dass ein erfolgreiches, vielleicht sogar das beste deutsche Bildungssystem in einem Bundesland (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Na ja, das zweitbeste! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na! Nicht übertreiben!) an die Wand gefahren wird. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Des Weiteren dürfen wir eine Statistik, auch wenn sie wie die PISA-Studie große Aufmerksamkeit erregt, nicht überbewerten. PISA fragt eben auch nur bestimmte Testleistungen ab, nicht mehr und nicht weniger. Auch gibt uns PISA kein Patentrezept, wie wir beispielsweise die Gruppe der schwächsten Schüler verkleinern oder die der leistungsstärksten Schüler vergrößern können. Übrigens – auch das wurde gesagt –: Die besten Länder bei PISA sind Länder, deren Lehrmethoden niemand von uns kopieren möchte – das denke ich zumindest –; dazu hat Uwe Schummer ja einiges gesagt. Auch in Europa muss ich bei der Suche nach Vorbildern die Euphorie vor allem auf der linken Seite dieses Hauses bremsen. In Finnland beispielsweise gibt es keine flächendeckende Ganztagsschule, außerdem auch keinen zentralistischen Bildungsstaat, sondern ein dezentrales System, bei dem die Kommunen eine ganz entscheidende Rolle spielen. Schweden – auch das wurde genannt – ist bei der aktuellsten PISA-Erhebung abgestürzt. Noch vor ein paar Jahren als „PISA-Wunderland“ bezeichnet, liegt Schweden heute in allen Bereichen unter dem OECD-Durchschnitt. (Willi Brase [SPD]: Regieren da nicht die Konservativen und die Liberalen?) Daraus folgt für mich: Wir in Deutschland müssen unseren eigenen Weg gehen. Wir dürfen uns dabei auch nicht von der Opposition und ihren Ideen in die Irre führen lassen. Denn Ihre Bilanz in der Schulpolitik, meine Damen und Herren Kollegen von der Linken, ist als Alternative jedenfalls nicht erstrebenswert. (Beifall bei der CDU/CSU) Die jeweiligen Landesregierungen müssen prüfen, was man noch besser machen kann und vor allem – das ist das Entscheidende – wie eine Priorität für Bildung erreicht werden kann. Denn es ist so, wie Max Planck bereits vor etwa 100 Jahren sagte: Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung. Der Bund hat in den letzten Jahren vorgemacht, dass eine Senkung der Neuverschuldung bei gleichzeitiger Tätigung von Investitionen in Bildung und Forschung möglich ist. Mit Blick auf meine baden-württembergische Heimat ist hier, vorsichtig ausgedrückt, auf jeden Fall noch Spielraum nach oben vorhanden. Leider haben wir bei PISA keine Möglichkeit mehr, die Bundesländer untereinander zu vergleichen. Dies war bei den ersten Studien noch möglich. Jetzt bleiben die Daten bei den Kultusministerien. Das finde ich durchaus bedauerlich. Denn wenn wir die Daten hätten, würden wir sehen, welche Länder sich in den letzten Jahren besonders angestrengt haben. Zusammenfassend möchte ich zur PISA-Studie feststellen: Wir machen Fortschritte, aber es gibt noch genug zu tun. Deshalb gibt es von mir weder starke Kritik noch ein allzu überschwängliches Lob für die Bildungspolitik der vergangenen Jahre, sondern ganz nach schwäbischer Diktion möchte ich sagen: Nicht geschimpft ist genug gelobt. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja so richtig schön altbacken!) In diesem Sinne: Lassen Sie uns weiter konstruktiv an einer besseren Bildung in Deutschland arbeiten, damit sich Deutschland bei der nächsten PISA-Studie noch weiter oben findet, dort, wo wir – da sind wir uns, glaube ich, hier im Hause alle einig – als Bildungsrepublik auch hingehören. Diesen Ehrgeiz sollten wir alle miteinander haben. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 4: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten Jahresbericht 2012 (54. Bericht) Drucksachen 17/12050, 18/297 Berichterstattung: Abgeordnete Anita Schäfer (Saalstadt) Heidtrud Henn Christine Buchholz Agnieszka Brugger Interfraktionell vereinbart ist eine Aussprachezeit von 60 Minuten. – Dazu kann ich Einvernehmen feststellen. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus das Wort. Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Wähler haben Sie – viele von Ihnen erneut – in den Deutschen Bundestag entsandt. Hierzu möchte ich Ihnen als Ihr Wehrbeauftragter zunächst einmal sehr herzlich gratulieren. Ich hoffe, dass meine Mitarbeiter im Amt und ich auch mit diesem Deutschen Bundestag auf eine ebenso enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit bauen können, wie es in der vergangenen Legislaturperiode der Fall war. Mit der heutigen Debatte schließt der Deutsche Bundestag die Beratung des Jahresberichts für das Jahr 2012 ab. Ich bin dankbar dafür, dass der 18. Deutsche Bundestag nahtlos an die Arbeit des 17. Deutschen Bundestages anknüpft und die Beratung des Jahresberichts 2012 damit zeitnah zum Abschluss bringt. Nach der Bundestagswahl hat inzwischen eine neue Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen. An der Spitze des Verteidigungsministeriums gab es dabei einen Wechsel. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, zunächst einmal dem früheren Verteidigungsminister und jetzigen Innenminister – er ist jetzt nicht da; aber vielleicht kann man ihm das ausrichten –, Herrn Dr. de Maizière, für die Unterstützung meiner Arbeit und die meist auch gute Zusammenarbeit Dank zu sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]) In diesen Dank möchte ich seine Frau ausdrücklich einschließen, die sich sehr für die Belange der Familien der Verwundeten und die Hinterbliebenen eingesetzt hat und dies, worüber ich mich sehr freue, auch weiterhin tun will. Weil ich gerade Dr. Jung sehe, möchte ich sagen: Auch Frau Jung engagiert sich weiterhin auf diesem Gebiet. Ich finde, das ist ein gutes Beispiel für bürgerschaftliches Engagement. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ihnen, Frau Dr. von der Leyen, als Nachfolgerin in diesem Amt möchte ich an dieser Stelle noch einmal zur Übernahme dieses fordernden und auch verantwortungsvollen Amtes gratulieren. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für die vor Ihnen liegenden Aufgaben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Sie können auf meine Unterstützung bauen, und ich hoffe auch auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Meine Damen und Herren, das Jahr 2012 war, wie in dem Bericht ausgeführt ist, außer von den Einsätzen vor allem von der Neuausrichtung der Streitkräfte geprägt. Die Neuausrichtung betraf nicht nur die Streitkräfte, auch der zivile Teil der Bundeswehr war davon nachdrücklich betroffen; aber wir unterhalten uns hier jetzt über die Streitkräfte. Zu der Neuausrichtung gehörte insbesondere die Herauslösung der Inspekteure der Teilstreitkräfte und der Organisationsbereiche aus dem Ministerium und ihre truppendienstliche Unterstellung unter den Generalinspekteur. Diese Neuordnung ist inzwischen abgeschlossen. – Ich möchte, weil ich sehe, dass er da ist, diesen Punkt nutzen, um auch dem Generalinspekteur herzlich für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu danken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Daneben wurden die einschneidenden Folgen der Stationierungsentscheidungen für einige der Soldatinnen und Soldaten bereits spürbar. Für den Großteil der betroffenen Soldatinnen und Soldaten aber war das Jahr 2012 noch geprägt durch ein schier endloses Warten auf die Entscheidung über ihre ganz persönliche weitere Verwendung und Perspektive in der Bundeswehr. Dies hat die Stimmung in der Truppe erheblich getrübt, und das wurde übrigens auch im Folgejahr nicht besser; in dem Bericht für das Jahr 2013, den ich in Kürze vorlegen werde, wird darauf noch einmal ausführlich eingegangen werden. Eines sei an dieser Stelle schon gesagt: Nachhaltig sind die derzeitigen Strukturen, insbesondere die Strukturen für die internationalen Aufgaben und Verpflichtungen, aus meiner Sicht immer noch nicht. Damit komme ich zu den Einsätzen. Vielleicht etwas Positives vorab: Bei der über viele Jahre auch von mir gerügten Ausstattung der Einsatzkontingente und der persönlichen Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz hat es in den vergangenen Jahren deutliche Verbesserungen gegeben; sie ist inzwischen auf einem guten Niveau. Ungeachtet dessen gilt es – gerade in der im vergangenen Jahr eingeleiteten Phase der deutlichen Reduzierung der deutschen ISAF-Kräfte –, dem Schutz und der Sicherheit höchste Aufmerksamkeit zu widmen. Die Entwicklung der Sicherheitslage gibt dazu, wie Sie wissen, auch Anlass. Die Reduzierung des deutschen Engagements im Rahmen von ISAF wird der Truppe hoffentlich eine kleinere Atempause verschaffen. Doch sind der Bundeswehr insbesondere im vergangenen Jahr wieder neue Aufgaben zugewachsen; ich nenne nur die Einsatzorte Dakar, Koulikoro, Kahramanmaras und Trabzon. Mögliche weitere Einsätze, insbesondere in Afrika, zeichnen sich bereits ab. Jeder dieser Einsätze stellt ganz besondere Anforderungen an die Truppe und verlangt den Transport von Material und Personal über weite Distanzen in unterschiedlichste Klimazonen. Eine nachhaltige Entlastung der Truppe im Bereich der Einsätze ist damit also nicht zu erwarten. Im Gegenteil, die Bundeswehr wird ihre Struktur nach meiner Einschätzung zumindest im Bereich von Spezialverwendungen den Anforderungen der Einsätze noch einmal anpassen müssen – oder aber es werden Art und Umfang der Einsätze begrenzt werden müssen. Frau Ministerin, ich würde mir auch wünschen, dass bei unseren Angeboten an die internationale Gemeinschaft ein wenig mehr Aufmerksamkeit als bisher auf die Begrenztheit unserer Mittel gelenkt werden könnte. Bei dem geradezu routinemäßig gegebenen Angebot von Lufttransportkapazitäten wird nach meinem Eindruck nicht berücksichtigt, wie gering unsere Reserven in diesem Bereich bereits für den Regelbetrieb sind. Das belastet das Personal wirklich sehr. Meine Damen und Herren, die größte Herausforderung für die Zukunft der Bundeswehr ist die Frage nach der Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften. Ein wichtiger Faktor dabei ist immer die Bezahlung des Dienstes – das ist klar –; aber zumindest gleichrangig daneben stehen die Fürsorge des Dienstherren für unsere Soldatinnen und Soldaten und die Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Sie sind der Schlüssel zur Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften. Ich bin fest davon überzeugt: Das ist auch die Schlüsselfrage für die Zukunftsfähigkeit unserer Streitkräfte; denn wenn man keinen Nachwuchs gewinnen kann, weil man nicht attraktiv ist, wird man irgendwann keine Streitkräfte mehr haben. Ich freue mich sehr, dass Sie, Frau Ministerin, die Verbesserung der Vereinbarkeit von Dienst und Familie so nachdrücklich zu einem Schwerpunkt Ihrer Arbeit machen wollen. Die bisherigen Bemühungen in diesem Bereich – das weist auch der Jahresbericht 2012 aus – waren von dem Bemühen geprägt, die vorhandenen Instrumentarien auszuschöpfen und zu optimieren. Das reicht aber für die Bewältigung zum Beispiel der Pendlerproblematik, für eine bessere Kinderbetreuung oder für die Reduzierung von Versetzungen und Kommandierungen nicht aus. Der Deutsche Bundestag, insbesondere der Verteidigungs- und auch der Haushaltsausschuss – dafür bin ich sehr dankbar –, hat in der Vergangenheit die notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, aber auch die gebotene Fürsorge immer unterstützt und gefördert. Ich bin sicher, dass auch Sie, die Abgeordneten des 18. Deutschen Bundestages, so verfahren werden, auch und gerade auf dem Gebiet der Fürsorge und der Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Das wird sicher Geld kosten. Ob das auf Dauer wirklich aus dem laufenden Budget zu stemmen ist, da habe ich meine Zweifel. Vorhin ist Herr Kampeter ganz besorgt herbeigeeilt. (Zuruf von der CDU/CSU: Der will sich das anhören!) Ich muss sagen: Ja, es ist in der Tat so, dass wir nicht umhinkommen werden, anzuerkennen: Das ist eine soziale Aufgabe. – Ich möchte an dieser Stelle anmerken: Im Jahr 1990 betrug das Verhältnis zwischen Verteidigungsetat und Sozialetat 1 zu 1,3. Heute beträgt das Verhältnis etwa 1 zu 3. Das bedeutet, dass wir die gesellschaftliche Entwicklung im Bereich des Sozialen, die ich sehr begrüße, in der Bundeswehr nachholen müssen. Aus diesem Grunde werde ich Vorschläge machen, was konkret in diesem Bereich getan werden kann. Das wird im Bericht für das Jahr 2013 nachzulesen sein. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir an dieser Stelle, dass ich abschließend allen unseren Soldatinnen und Soldaten, natürlich insbesondere denjenigen im Einsatz, und ihren Familien danke, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass sie im Auftrag dieses Hohen Hauses so vielfältige Belastungen für unser Land auf sich nehmen. Dank und Anerkennung – ich glaube, das gehört rückblickend noch angemerkt – verdienen auch die vielen Tausend Soldatinnen und Soldaten, die während der Hochwasserkatastrophe des vergangenen Jahres in so vorbildlicher Weise und unter Zurückstellung auch persönlicher Belange Hilfe geleistet haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Natürlich danke ich auch all meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die gerade im vergangenen Jahr und derzeit eine besonders hohe Arbeitsbelastung hinnehmen mussten und müssen, und all denen, die im Ministerium an Aufgaben zum Wohle der Soldatinnen und Soldaten arbeiten. Ihnen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Königshaus. Das Hohe Haus dankt Ihnen für Ihre Arbeit und wünscht Ihnen ein gutes neues Jahr. Ich glaube, das kann man Mitte Januar noch tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt gebe ich das Wort unserer Ministerin Frau Dr. Ursula von der Leyen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Königshaus! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Königshaus, auch ich möchte Ihnen und vor allen Dingen auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zunächst einmal von Herzen danken: für das großes Engagement, die Kraft und die Entschlossenheit, mit der Sie sich immer wieder für unsere Bundeswehr und ihre Soldatinnen und Soldaten einsetzen – und das jetzt schon seit vier Jahren. Vielen Dank von dieser Stelle aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE] und Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Wir haben in der vergangenen Woche im Rahmen Ihres Antrittsbesuches miteinander gesprochen. Es war Ihr dritter Antrittsbesuch bei einem Minister – in diesem Falle bei einer Ministerin. Ich will es einmal so sagen: Ebenso viel Erfahrung wie mit unterschiedlichen Ministern haben Sie inzwischen auch mit der Bundeswehr und mit den Sorgen und Nöten der Soldatinnen und Soldaten. In Ihrem Bericht ist mir aufgefallen, dass Sie ganz klar sind: Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann kritisieren Sie konsequent, aber Sie haben nicht nur Verbesserungsvorschläge, für die ich danke, sondern Sie erkennen auch Bemühungen an, wenn sich etwas verbessert hat – in diesem Falle in dem Ministerium –; denn in Ihrem Jahresbericht 2012 zeigen Sie zwar einerseits Mängel auf, verschweigen aber andererseits eben auch nicht, dass es zum Beispiel bei der Versorgung unserer Verwundeten auch Verbesserungen gegeben hat. (Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Richtig!) Diese klare Haltung, diesen konstruktiven Ansatz begrüße ich ausdrücklich. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit, Herr Königshaus, gerade zum Wohle der Bundeswehr und der Soldatinnen und Soldaten. Meine Damen und Herren, ich möchte da ansetzen, wo wir heute stehen, und nach vorne schauen. In der Tat: Alleine im vergangenen Jahr hat sich die Situation der Bundeswehr massiv verändert. Die Neuausrichtung ist weiter vorangeschritten. Wir sind nicht mehr am Beginn der Neuausrichtung, sondern mittendrin. Mein Vorgänger im Amt, Thomas de Maizière, hat der Neuausrichtung Ordnung und Struktur gegeben. Er hat das mit einer enormen Bravour, mit Präzision und mit ganz viel Herz getan. Ich möchte an dieser Stelle auch dafür danken; denn ich weiß, dass ich auf dieser fantastischen Arbeit aufbauen kann. Danke an Thomas de Maizière für das, was er in Bezug auf die Neuausrichtung geleistet hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich an den grundlegenden Entscheidungen festhalte. Es wird keine Reform der Reform geben. Die Reform ist gut. Die Angehörigen der Bundeswehr und ihre Familien müssen Planbarkeit und Verlässlichkeit haben, sodass sie wissen, in welchen Strukturen sie arbeiten. Selbstverständlich wollen wir eine lernende Organisation bleiben. Das muss ein selbstverständlicher Anspruch sein, auch weil sich die Lage um uns herum immer wieder verändert. Es verändert sich die Lage der Bundeswehr innerhalb der NATO und der EU. Nach der Finanzkrise und inmitten der Euro-Krise, die ein wenig abklingt, aber noch lange nicht durchschritten ist, erleben wir jetzt eine europäische Haushaltskonsolidierung, und wir müssen uns ehrlich machen – Sie haben es angesprochen, Herr Königshaus –, wenn es darum geht, wie wir unsere Fähigkeiten bei sinkenden Verteidigungsbudgets erhalten können. Deutschland hat zum Beispiel als Vorschlag das Konzept der „Rahmennationen“ in die Diskussion eingebracht, um den Anspruch von Pooling, Sharing und Smart Defence, also verschiedener Konzepte, die diese Thematik aufgreifen, auf die tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten – es geht auch darum, wie wir das dann in der Praxis und in der Realität machen – abstimmen zu können. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz und bei den NATO- und den EU-Treffen im Laufe des Jahres werden wir sicherlich darüber diskutieren und dem auch stärker Form geben. Die internationale Lage hat sich im letzten Jahr verändert. Wie unter dem Brennglas kann man sich hier vor allem Afghanistan ansehen. Wir werden die Frage beantworten müssen: Wie geht es nach dem Abzug der ISAF-Truppen aus Afghanistan weiter? Der Kampfeinsatz endet 2014. Das ist ganz klar; das weiß auch die afghanische Bevölkerung. Aber wird es danach zu einer Ausbildungs- und Trainingsmission kommen können? Ich persönlich bin davon überzeugt, dass der ISAF-Einsatz in Afghanistan im Rückblick auch daran gemessen und bewertet wird, wie wir aus dem Land herausgehen und ob es gelingt, das Erreichte nachhaltig zu stabilisieren und die Verantwortung tatsächlich so in die Hände der Afghanen zu übergeben, dass sie das dann auch weiterführen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Unser Kernauftrag ist die Verteidigung, aber dass wir diesen Auftrag inzwischen global interpretieren, bedarf gerade vor dem Hintergrund unserer Geschichte immer wieder der Begründung. Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen – das wollen wir –, bedarf der Begründung. Auch diesen Fragen möchte ich mich stellen. Die Antwort auf diese Sinnfragen ist für einen Soldaten oder eine Soldatin mindestens ebenso wichtig wie optimale Ausrüstung oder wie eine gute Vereinbarkeit von Dienst und Familie. Dazwischen besteht kein Widerspruch, sondern alles drei ist meines Erachtens wichtig. Es verändert sich auch die Lage im Inland. Das Stichwort „demografischer Wandel“ fiel bereits: Das ist der Treiber der Veränderung. Mir ist völlig klar: Soldat oder Soldatin zu sein, ist kein Beruf wie jeder andere. Aber im Grundbetrieb oder bei der Nachwuchsfrage stellen sich diesem Beruf genau dieselben Fragen und Probleme wie allen anderen Berufen in Deutschland auch. Gerade weil wir viel verlangen, weil wir einen besonderen Auftrag haben, müssen die Rahmenbedingungen besser sein. Mein Ziel ist es, dass die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland wird. Wir müssen besser werden. Dazu müssen wir eine bessere Vereinbarkeit von Dienst und Familie haben. Da gibt es Unterpunkte, wie zum Beispiel eine passgenaue Kinderbetreuung. Wir haben den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz – Gott sei Dank. Aber Fragen der Randzeiten und der Passgenauigkeit vor Ort müssen angesprochen werden. Wir brauchen eine moderne Arbeitszeitregelung. Das muss nicht unbedingt mit mehr Kosten verbunden sein. Präsenz zu erwarten, wenn Arbeit gerade nicht anfällt, ist nicht sinnvoll. Arbeitszeit flexibel einzuteilen, wenn Arbeit anfällt, aber dann auch die notwendigen Regenerationsphasen einzuplanen, ist einfach intelligenter und sinnvoller. Wir müssen die häufigen Versetzungen, insbesondere wenn keine steile Karriere dahintersteht, ebenfalls noch einmal auf ihre Sinnhaftigkeit überprüfen. Ich bin über die sehr verlässliche Karriereplanung bei den Laufbahnen in der Bundeswehr beeindruckt. Ich stelle mir nur die Fragen: Was ist mit der Laufbahnentwicklung, wenn man nicht immer Vollzeit arbeitet und nicht immer präsent ist? Wie ist dann die Förderung der Karriere? Diese Fragen stellen sich uns. Das sind Fragen ganz moderner Unternehmensführung. Ja, die Bundeswehr hat einen besonderen Auftrag. Aber sie ist auch ein global agierender Konzern. Sie hat im Zielbetrieb round about 250 000 Beschäftigte an 400 Standorten im In- und Ausland. Sie hat ein Luftfahrtunternehmen. Sie hat eine Reederei. Sie hat einen Krankenhausverbund par excellence; das kann ich als Ärztin beurteilen, das ist vom Feinsten. Sie hat ein Logistikunternehmen, das seinesgleichen sucht. Sie hat eine Qualifizierungssparte mit Schulen, mit Ausbildungsbetrieben, mit Akademien und Hochschulen. All das erfordert eine hervorragende Verwaltung. Wir verlangen viel. Deshalb brauchen wir den fähigsten Nachwuchs, und wir brauchen die besten Bedingungen für die, die schon heute bei uns sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Probleme sind bekannt; das zeigen die Berichte des Wehrbeauftragten und des BundeswehrVerbandes. Der Koalitionsvertrag – dafür danke ich, weil ich diesen Teil nicht mitverhandelt habe, aber Sie, die Sie dort sitzen, haben ihn mitverhandelt – gibt uns einen klaren Auftrag. Das zeigt auch schon, dass es deutliche Vorarbeiten gibt, sowohl in der Bundeswehr als auch im Parlament, im Ministerium und in den Standorten, auf denen wir aufbauen können. In dieser Woche beginnt eine systematische Bestandsanalyse: Was gibt es schon? Wo ist der Bedarf am größten? Aber wir werden sicherlich gemeinsam Neuland betreten müssen, zum Beispiel in der Frage nach Lebensarbeitszeitkonten. Die Finanzierung dafür werden wir innerhalb des Einzelplans 14 sicherstellen müssen. Ich hatte vorhin schon darüber gesprochen, dass nicht alles Geld kostet. Man wird Geld in die Hand nehmen müssen, zum Beispiel bei der Kinderbetreuung. Aber die Praxis der fast schon automatischen Versetzungen bringt vor allem Kosten mit sich. Wenn man sie auf ihre Sinnhaftigkeit reduziert, dann ist das nicht eine Frage von mehr Geld. Ich will nicht sagen: von weniger Geld, aber eine Frage von mehr Geld ist es nicht von vornherein. Es geht um eine zukunftsfähige Bundeswehr im umfassenden Sinne. Heute ging es vorwiegend um die Fragen und die Probleme aus dem Bericht des Wehrbeauftragten. Auch von mir ein Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien für den Dienst, den sie leisten. Es ist gut, lieber Herr Königshaus, Sie auf diesem Weg an unserer Seite zu wissen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Ursula von der Leyen. Wären Sie Abgeordnete, würde ich Ihnen zur ersten Rede hier gratulieren. Ich gratuliere Ihnen als Ministerin in diesem Amt dazu und wünsche Ihnen allzeit gute Arbeit. Jetzt kommt Christine Buchholz für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ehrlich gesagt: Ich bin enttäuscht, Frau von der Leyen. Denn Sie haben nicht über die Probleme der Soldatinnen und Soldaten und über den Bericht des Wehrbeauftragten geredet, sondern Sie haben wieder Überschriften produziert. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben Sie nicht zugehört?) 2012 war der Frust unter den einfachen Soldaten groß. 2013 war er noch größer, wenn man den Vorabmeldungen zu dem neuen Bericht des Wehrbeauftragten glauben darf, der Ende dieses Monats erscheinen wird. Das ist auch kein Wunder. Herr de Maizière hat es zum Abschied noch einmal deutlich gemacht, als er sagte: „Ziel der Neuausrichtung war es nicht und konnte es nicht sein, die Zufriedenheit der Soldaten und Mitarbeiter zu erhöhen.“ Ziel sei es, den Auftrag der Bundeswehr zu erfüllen. Dieser Auftrag heißt, einsatzbereit zu sein – jederzeit, weltweit. Sie haben das auch noch einmal gesagt, Frau von der Leyen: Kernaufgabe ist es, global handlungsfähig zu sein. Frau von der Leyen will die Bundeswehr jetzt zum attraktivsten Arbeitgeber machen und stellt die Familienfreundlichkeit ins Zentrum. Dabei macht sie einen Widerspruch auf, der unlösbar ist. Die Bundeswehr war noch nie besonders familienfreundlich. Ihre Wandlung zu einer Armee im Einsatz hat das Problem jedoch massiv verschärft. Eine Armee im Einsatz und Familienfreundlichkeit sind unvereinbar. (Beifall bei der LINKEN) Ich bitte Sie, genau hinzugucken, statt nur Überschriften zu produzieren und Losungen zu verbreiten. Denn wenn Sie den Bericht lesen, merken Sie, dass Ihre Voraussetzungen falsch sind. Im Bild-Interview haben Sie am Wochenende gesagt, dass bei einem Einsatz wie in Afghanistan der Dienst unbestritten immer Vorrang hat. Ich zitiere Frau von der Leyen: „Doch in der Regel folgen auf vier Monate im Auslandseinsatz 20 Monate daheim.“ Frau Ministerin, im Bericht des Wehrbeauftragten steht das Gegenteil. Sechs Monate oder mehr sind auch beim Heer „eher die Regel als die Ausnahme“, heißt es da. Herr Königshaus hat gestern im Ausschuss ergänzt: 20 Monate Zwischenzeit zwischen den Einsätzen werden durchgängig nicht eingehalten. In manchen Fällen, so der Bericht, werden nicht einmal neun Monate eingehalten. In dem Bericht ist infolgedessen von zerbrochenen Beziehungen und Familien und entwurzelten Soldaten die Rede. In einzelnen Einheiten liegt die Scheidungsrate laut des vorherigen Jahresberichtes bei bis zu 80 Prozent. Die Armee im Einsatz zerstört Familien in Einsatzgebieten wie in Afghanistan, aber auch hier in Deutschland. Das ist die Realität, Frau von der Leyen. (Beifall bei der LINKEN) Verschiedentlich war in den letzten Tagen zu hören, die familiären Belastungen hätten mit den Auslandseinsätzen wenig zu tun. Schließlich befänden sich nur 2,5 Prozent der Soldaten im Einsatz. Herr Königshaus sagte dazu gestern im Ausschuss: Wenn behauptet wird, dass nur eine Minderheit von der Ausrichtung auf Einsätze betroffen ist, dann ist das falsch. – Ich gebe ihm darin recht. Schließlich werden Soldaten im Rotationsverfahren entsandt. Insgesamt waren bereits 300 000 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz. Eine andere unmittelbare Quelle der Unzufriedenheit sind die zahlreichen Standortversetzungen und die dadurch entstehende Pendelei. Tun Sie doch nicht so, als habe das nichts mit dem Umbau der Bundeswehr zur Einsatzarmee zu tun! Die Versetzungswelle war das Ergebnis der Reform, die unter dem offiziellen Motto stand: „Vom Einsatz her denken.“ Alle Entscheidungen wurden dem untergeordnet. Frau von der Leyen macht immer wieder deutlich, dass sie diese Prämisse teilt. Das hat sie auch heute in ihrer Rede getan. Aber auch sonst sagt sie bei jeder Gelegenheit deutlich: Es wird keine Reform der Reform geben. Das sei eine gute Nachricht für die Bundeswehr; das sei der Erfolg von Herrn de Maizière. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!) Ministerin von der Leyen hat nun viele Erwartungen geweckt, sie würde an diesem Zustand etwas grundlegend ändern. Aber leider ist das reine Propaganda. Das Bild, dass die Soldaten sich nach ihrem Einsatz 20 Monate in Deutschland regenerieren könnten, ist aus einem weiteren Grund völlig verfehlt. Es ist doch nicht so, dass die Soldatinnen und Soldaten die Einsatzerfahrung einfach abschütteln. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Machen Sie sich doch hier nicht zum Anwalt der Soldatinnen und Soldaten! Sie wollen die Bundeswehr abschaffen!) Je mehr Einsätze die Bundeswehr durchführt, desto mehr junge Menschen kommen seelisch versehrt zurück. Und auch darüber müssen wir sprechen, Frau von der Leyen. (Beifall bei der LINKEN) Der Bericht des Wehrbeauftragten greift das auf und spricht von Posttraumatischen Belastungsstörungen, kurz PTBS. Er verlangt, dass die Bundeswehr als Dienstherr auch dann zur Fürsorge verpflichtet ist, wenn die Erkrankung – wie so häufig – erst nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst erkannt wird. Das unterstützen wir. Doch zugleich wird im Bericht der Umgang der Bundeswehr mit dem Problem zu positiv betrachtet. Die Bundeswehr führt Maßnahmen in einem – ich zitiere jetzt den Titel – „Rahmenkonzept zum Erhalt und zur Steigerung der psychischen Fitness von Soldatinnen und Soldaten“ durch. Es geht hier nicht um den Menschen, sondern um seine psychische Fitness für den Einsatz, und das ist zynisch. (Beifall bei der LINKEN) Es funktioniert auch nicht; denn das Risiko, zu erkranken, steigt mit jedem Einsatz um das Vierfache. Die Soldatinnen und Soldaten werden verheizt für Interessen, die nicht ihre sind. Der Afghanistan-Veteran aus Leipzig Enrico H. hat mir erzählt, dass er 2009 gerade einmal drei Tage Nachbereitung nach der bis dato intensivsten Kampfperiode in Deutschland erhielt. Er sagte mir: Erst hat man uns den Krieg schmackhaft gemacht, und jetzt vergisst man uns. – Auch das ist Realität. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wann war das?) Der Afghanistan-Veteran Daniel Lücking sagte – ich zitiere aus seinem Blog –: Derzeit drückt sich die Bundeswehr um die Verantwortung und profitiert massiv davon, dass sich Traumata und Probleme erst im Zivilleben herausstellen. Die Kosten dafür tragen die Sozialkassen, nicht aber der Verteidigungsetat. Dem kann ich nur beipflichten. Um die Diskussion von eben aufzugreifen: Ich hielte es für völlig verfehlt, jetzt den Verteidigungsetat weiter aufzublähen. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass die vielen sinnlosen Großprojekte und Einsätze, die unglaublich viel Geld kosten, zurückgefahren werden, damit die wirklichen, wichtigen Sozialkosten gedeckt werden können. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte noch eine Sache betonen. Im Bericht wird hervorgehoben, dass die Zahl der verwundeten Soldatinnen und Soldaten zurückgegangen ist und dass seit August 2011 kein deutscher Soldat gefallen ist. Darüber sind auch wir erleichtert. Aber das Bild, Herr Königshaus, das Sie zeichnen, ist falsch. Im Bericht wird von der verbesserten Sicherheitslage in Afghanistan gesprochen. Gerade gestern kam heraus, dass dieser Eindruck lediglich dem Zurückhalten der wahren Zahlen durch das Einsatzführungskommando geschuldet ist. Der Einsatz in Afghanistan fordert immer mehr Tote, unter Zivilisten, unter den afghanischen Sicherheitskräften und unter den Aufständischen. Wenn NATO-Drohnen Frauen, Kinder und Greise zerfetzen, wenn US-Soldaten – wie erst vor einer Woche – einen Fünfjährigen erschießen, dann wird diese NATO als eine verbrecherische Fremdmacht angesehen, und dazu gehört auch die Bundeswehr. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) Herr Königshaus streut in seinem Bericht Illusionen, wenn er sagt, dass die Anschaffung von noch mehr Großgerät eine Lösung für mehr Sicherheit bedeutet. Aber gerade Afghanistan hat in der Vergangenheit gezeigt, dass durch Aufrüstung eine Aufrüstungsspirale auf allen Seiten angeheizt wird. Das lehnen wir ab und können deswegen in letzter Konsequenz dem Bericht nicht zustimmen. Der Vorsitzende des BundeswehrVerbandes, Herr Wüstner, hat das Stichwort bereits aufgegriffen und gleich die Einführung von Kampfdrohnen gefordert, die angeblich die Soldaten schützen. Frau von der Leyen und die Bundesregierung drücken sich da um eine klare Aussage herum. Ich will in diesem Zusammenhang klar sagen: Der Einsatz von Spionagedrohnen ist vom Einsatz von Kampfdrohnen im Krieg gegen den Terror nicht zu trennen. Ich sage: Stoppen Sie jegliche Beteiligung am Drohnenkrieg in Afghanistan, Pakistan, Afrika und anderswo! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Christine Buchholz (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss. Wenn Sie etwas für die Familienfreundlichkeit der Bundeswehr und der Gesellschaft tun wollen, dann setzen Sie sich in der Regierung endlich dafür ein, dass die Kommunen mehr Geld bekommen. Eine Unterstützung des Ausbaus einer umfassenden Kinderbetreuung nutzt nicht nur den Soldatinnen und Soldaten, sondern auch allen anderen Berufstätigen, die auf eine zuverlässige und flexible Betreuung ihrer Kinder angewiesen sind. Letztendlich ist die einzige Antwort für mehr Familienfreundlichkeit und Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten: Holen Sie die Frauen und Männer endlich zurück! Wir brauchen keine Armee im Einsatz. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin Buchholz. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Rainer Arnold von der SPD. (Beifall bei der SPD) Rainer Arnold (SPD): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten ist mehr als eine Auflistung der Probleme bei den Streitkräften. Der Bericht zeigt auch, dass Herrn Königshaus und alle seine Mitarbeiter die Alltagssorgen der Soldaten wirklich bewegen. Wie hartnäckig er Lösungen anmahnt, erleben wir gelegentlich; das haben wir auch heute in seiner Rede wieder gehört. Dafür gebührt Ihnen, Herr Königshaus, und Ihrem ganzen Team unser recht herzlicher Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Allerdings müssen wir auch aufpassen. Wer den Bericht liest oder gar die Berichte in den Medien über den Bericht liest, könnte leicht den Eindruck gewinnen: Bei der Bundeswehr geht alles drunter und drüber, es läuft alles schief, und es ist die Regel, dass achtlos mit der Ressource Mensch umgegangen wird. – Das ist nicht so. Viele Vorgesetzte, die meisten Vorgesetzten, nehmen die persönliche Situation ihrer Untergebenen ernst, suchen Lösungen, wenn Alltagssorgen da sind. Auch dies muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Die meisten arbeiten gut. Ich denke, allen Soldaten, aber ganz besonders den engagierten, die die Prinzipien der Inneren Führung vorleben, gilt unser herzlicher Dank für das Engagement. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der Wehrbeauftragte ist der Sensor des Parlaments, und natürlich nehmen wir das ernst, was er uns schreibt; in Klammern möchte ich anfügen: Es ist seine Aufgabe, Sensor zu sein, nicht so sehr, Hinweise zu geben, welche Waffensysteme der Bundestag beschaffen sollte. Aber die Hinweise zum sozialen Gefüge nehmen wir sehr ernst. Wir sind sehr froh, dass etwas Neues geschehen ist, nämlich dass eine neue Ministerin nicht anfängt, das, was er aufschreibt, zu relativieren, sondern tatsächlich die Themen aufnimmt. Sie, Frau Ministerin, haben unsere Unterstützung dabei. Sie haben schon gesagt: Es gab Vorarbeiten. – Sie haben in der Tat sofort in die richtige Schublade gegriffen. Dort liegen nämlich 82 Vorschläge zur Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr. Dort lag eine Untersuchung über die Arbeitszeitsituation, die Ihr Vorgänger uns noch nicht zur Verfügung gestellt hat. Dort liegt der Koalitionsvertrag, den Sie ja erwähnt haben. Und es gibt bereits seit dem Jahr 2010 ein Handbuch zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Dort heißt es sinngemäß: Die Auftragserfüllung muss natürlich Vorrang haben, aber nicht immer sind dies konkurrierende Ziele. Am Ende würden beide Ziele, Auftragserfüllung und die Vereinbarkeit von Familie und Dienst, profitieren, wenn es gelingt, für die dienstlichen Erfordernisse und die privaten Interessen Lösungen zu finden, die dann tatsächlich den Belangen der Soldaten Rechnung tragen. Das ist alles schon aufgeschrieben und wird eigentlich von den Soldaten erwartet. Damit wird klar: Die Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist kein Selbstzweck. Es geht auch nicht nur um Nachwuchswerbung. Es geht um das innere Gefüge bei den Streitkräften. Nur wenn Soldaten in ihrem sozialen Umfeld, in der Familie, aber auch beim bürgerschaftlichen Engagement in ihrer Heimat – im Elternbeirat, in den Vereinen und bei vielen anderen Gelegenheiten mehr – die Zeit finden und Ressourcen haben, die planbar sind, können sie am Ende auch unsere Erwartung erfüllen, Staatsbürger in Uniform zu sein. Deshalb ist dieses Thema ein ganz zentrales für das Gefüge und für das Leben innerhalb und außerhalb der Streitkräfte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie, Frau Ministerin, haben schon darauf hingewiesen: Es ist in der Tat nicht die einzige Herausforderung. Sie haben einige Themen benannt. Wir sind froh, dass wir in der nächsten Sitzungswoche dies alles auch einmal in der Breite diskutieren können. Aber ein Thema führt unmittelbar zur Frage der Vereinbarkeit von Familie und Dienst, nämlich das Thema Reform. Sie als neue Ministerin sind unbefangen – so habe ich das empfunden – an die Themen herangegangen. Wir wünschen uns sehr, dass Sie das ebenso mit dem Koalitionsauftrag machen, nämlich diese Reform jetzt auch zügig zu evaluieren. Dass Soldaten viel zu häufig sechs Monate im Einsatz sind – und nicht vier Monate –, hat natürlich etwas mit Mängeln dieser Reform zu tun; dass gerade für Schlüsselverwendungen – auch der Wehrbeauftragte hat das angemahnt – zu wenig Personal vorhanden ist, dass viele Soldaten versetzt werden und die Bundeswehr eine wirkliche Pendlerarmee geworden ist, wurde durch die Reform eher verstärkt. Wir haben an der einen oder anderen Stelle auch Standortschließungen in der Planung, von denen wir inzwischen merken, dass sie kein Geld sparen werden. Dadurch werden Menschen durch die Republik geschickt, und am Ende wird das Ganze noch mehr kosten. Auch das ist ein Ausfluss dieser Reform. Deshalb sage ich, Frau Ministerin: Wenn es neue Erkenntnisse gibt, sollten wir alle miteinander die Kraft haben, bei der Reform nachzusteuern. (Beifall bei der SPD) Beantwortet werden muss die Frage, wie die Mittel zur Deckung der Mehrkosten, die die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf verursacht, erwirtschaftet werden können. Deshalb muss man bei der Bundeswehrreform noch stärker auf Effizienz achten. Auch sollten regionale Personalplanungsmodelle endlich zum Tragen gebracht werden. Man muss bereits bei der Einplanung der Soldaten, möglichst schon bei den Einstellungsgesprächen, viel mehr Gehirnschmalz – das kostet nichts, nur Anstrengung – einsetzen, um den beruflichen Weg, zumindest den von Mannschaftsangehörigen und Unteroffizieren, präziser und verlässlicher zu planen. Dazu gehört auch, dass man eher die interne Werbung um Personal stärkt. Dort ist nämlich viel Kompetenz vorhanden; man kennt diejenigen, die als freiwillig Wehrdienstleistende ins Haus gekommen sind. Ich glaube, das ist ein Ansatz, der uns weiterbringt und durch den Geld gespart wird. Es wird immer wieder gesagt: Soldat ist ein besonderer Beruf. Das stimmt sehr wohl. Die Ministerin hat aber zu Recht darauf hingewiesen: Das gilt nicht im Alltagsbetrieb. Am Schreibtisch, in der Instandsetzung, auf dem Flughafen, beim Betrieb des Truppenübungsplatzes, auch wenn Schichtbetrieb notwendig ist, läuft es ähnlich ab wie bei den Berufsfeldern Polizei und Feuerwehr. Dort ist die Auftragserfüllung das Wichtigste. Das entscheidende Merkmal dafür, dass Soldat kein Beruf wie jeder andere ist, ist doch, dass man in deutschem Interesse zum Einsatz ins Ausland abkommandiert werden kann und dass man dort mit seinem eigenen Leben für unser Land eintritt; das ist das eigentlich Besondere. Insofern kann man den beruflichen Alltag im Inland durchaus an Regularien in anderen Berufsgruppen orientieren. Da aber die Besonderheit, lange von zu Hause weg zu sein, nicht gefragt zu werden, wenn man versetzt wird, womöglich ins Ausland, und sein Leben einsetzen muss, eine hohe persönliche Verantwortung voraussetzt, ist es gut und richtig, wenn immer wieder deutlich gesagt wird: Die Qualität der Streitkräfte hängt in erster Linie nicht von neuen und teuren Waffensystemen, von Strukturen, von Finanzen ab, sondern davon, ob wir die klugen, die guten jungen Menschen für diesen Beruf interessieren können und sie am Ende zu uns kommen. In allen Berufen hat man die Erfahrung gemacht: Die guten jungen Menschen suchen sich gute Arbeitgeber. Nur wenn es uns gelingt, auch in Zukunft gute junge Menschen für die Bundeswehr zu finden und sie zu halten – auch an dieser Stelle gibt es Probleme –, wird die Bundeswehr so sein, wie wir sie uns vorstellen. Recht herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin spricht Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grünen. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Frau Ministerin von der Leyen! Herr Wehrbeauftragter! Meine Damen und Herren! Auch im Namen meiner Fraktion möchte ich mich bei Ihnen, Herr Wehrbeauftragter Königshaus, und ebenso bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für den Bericht aus dem Jahr 2012 bedanken. Unser Dank gilt auch den vielen Soldaten und Soldatinnen, die sich mit ihren Eingaben an den Wehrbeauftragten gewandt haben. Diese liefern vor allem ein ehrliches und sehr detailliertes Feedback zur Umsetzung der Bundeswehrreform. Das Feedback ist aber nicht wirklich gut. Die Unzufriedenheit bei den Soldatinnen und Soldaten ist groß, und es hapert gewaltig. Meine Damen und Herren, der Jahresbericht 2012 zeigt: Die Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist nach wie vor eine sehr große Baustelle bei der Bundeswehr. Die Hauptkritikpunkte sind die unzureichenden Möglichkeiten für eine Elternzeit, das häufige und belastende Pendeln zwischen Standort und Heimat, aber ebenso das fehlende Betreuungsangebot für Kinder. Zu lange wurde dieses Thema belächelt. Es ist jenseits von Lippenbekenntnissen viel zu wenig passiert, und das ist ein Versäumnis. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Immer wieder haben wir Grüne in den letzten Jahren schnelle und echte Verbesserungen angemahnt und Maßnahmen für eine familienfreundlichere Bundeswehr gefordert. Angesichts des demografischen Wandels und der Herausforderungen bei der Nachwuchsgewinnung müssen wir genau darauf achten, wer sich mit welcher Qualifikation und vor allem mit welcher Motivation für eine Tätigkeit bei der Bundeswehr entscheidet. Die Umfragen und auch meine zahlreichen Gespräche mit den jungen Männern und Frauen, vor allem mit den freiwillig Wehrdienstleistenden, zeigen mir: Bei der Entscheidung für oder gegen eine Karriere in der Bundeswehr ist die Frage, ob sie mit einer Familie vereinbar ist, ein sehr wichtiges Kriterium. Deshalb begrüßen wir es ausdrücklich, Frau Ministerin von der Leyen, dass Sie die Bedeutung dieses Themas erkannt und es prominent auf die Tagesordnung gesetzt haben. Vonseiten der Opposition sagen wir Ihnen gern zu, Sie tatkräftig dabei zu unterstützen, hier Verbesserungen in Angriff zu nehmen. (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Sehr gut!) Mit dem Anstoß einer Debatte ist es aber natürlich noch lange nicht getan. Jetzt kommt es darauf an, dass Ihren Ankündigungen auch Taten folgen; denn die Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist eben nicht umsonst zu haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) Zu der Frage, wie Sie Ihre Vorschläge konkret finanzieren wollen, haben wir bisher allerdings nur nebulöse Versprechen gehört, auch heute an dieser Stelle. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Da kommt noch was!) Frau Ministerin, Sie müssen nicht nur schnell einen Zeitplan für Ihre Ideen vorlegen, sondern auch konkret aufzeigen, an welchen anderen Stellen dafür im Verteidigungsetat gespart werden soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind sehr gespannt auf Ihre Initiativen hierzu und wollen diese, wie ich schon gesagt habe, unterstützen und konstruktiv begleiten; aber wir werden auch sehr kritisch hinschauen. Wir werden sehr genau beobachten, welche Realität den schönen Interviewüberschriften folgen wird; denn in der letzten Koalition haben Sie als Arbeitsministerin mit vielversprechenden Ankündigungen immer wieder Erwartungen geweckt, die dann schneller, als man schauen konnte, wieder einkassiert wurden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Frauenquote oder an die Lebensleistungsrente erinnern, die am Ende mehr Schein als Sein waren. So wichtig das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist, war ich doch sehr überrascht, dass das bisher der einzige Punkt ist, den Sie als Verteidigungsministerin offensiv angesprochen haben. In der Sicherheitspolitik gibt es darüber hinaus viele andere unbeantwortete, aber umso drängendere Fragen. Auch da müssen Sie liefern. Was Sie im Interview vom Wochenende dazu gesagt haben, war enttäuschend. Ich finde, auch in Ihrer heutigen Rede, Frau Ministerin, haben Sie mehr Fragen gestellt als Antworten präsentiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das haben Sie doch aufgeschrieben, ohne dass Sie die Rede kannten!) Wie stellen Sie sich die zukünftigen Aufgaben und Einsätze der Bundeswehr vor? Wie geht es weiter in Afghanistan? Was ist die Reaktion auf die Gewalteskalation in der Zentralafrikanischen Republik oder im Südsudan? Was sind Ihre Vorschläge für die Reform der desaströsen Beschaffungspolitik? Das Euro-Hawk-Fiasko haben wir alle noch lebhaft in Erinnerung, und die Liste der problembehafteten Beschaffungen ist noch lang. Frau Ministerin, all das sind Baustellen, die Sie jetzt schnell anpacken müssen, genauso wie die Umsetzung Ihrer Ankündigung zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächster gebe ich das Wort Anita Schäfer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, namens meiner Fraktion möchte ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern noch einmal ganz herzlich für die Arbeit an dem Jahresbericht 2012, den wir heute behandeln, danken. Wir schließen die Befassung noch ab, bevor der aktuelle Bericht in der übernächsten Woche vorgestellt wird. Angesichts der Bedeutung hoffe ich, dass wir es in dieser Wahlperiode schaffen, die künftigen Jahresberichte zügig zu behandeln. Die vorherige Bundesregierung hat die größten Veränderungen seit Bestehen der Bundeswehr vorgenommen. Das war auch eine Reaktion darauf, dass die Truppe noch nie so großen Herausforderungen wie in den Einsätzen des letzten Jahrzehnts – nicht nur in Afghanistan, sondern auch in vielen weiteren, die wir hier im Deutschen Bundestag als deutschen Beitrag zur Konfliktregulierung im Rahmen der internationalen Gemeinschaft beschlossen haben – gegenübergestanden hat. Mit der Strukturreform haben wir endlich eine grundlegende, tragfähige Antwort auf den Wandel der sicherheitspolitischen Aufgaben gefunden. Die Veränderungen haben allerdings auch Belastungen für die Soldatinnen und Soldaten mit sich gebracht. Deren Unsicherheit über die eigene Zukunft, die bei großen Reformvorhaben leider häufig auftritt, hat sich nicht zuletzt in den letzten Jahresberichten des Wehrbeauftragten niedergeschlagen und wird sich wohl auch im kommenden Jahresbericht wiederfinden. Keine Bundesregierung zuvor hat allerdings auch so schnell so viele Verbesserungen für die Truppe vorgenommen, von der Ausrüstung über die Versorgung einsatzgeschädigter Soldaten bis hin zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Dafür möchte ich bei dieser Gelegenheit dem bisherigen Verteidigungsminister Thomas de Maizière und dem ausgeschiedenen Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung ganz herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU) Die neue Bundesregierung wird hier mit Kraft und Engagement weitermachen müssen, und ich bin sicher, dass sie das auch tun wird. Der Koalitionsvertrag steht da für Kontinuität, was gerade hinsichtlich der Planbarkeit für die Soldatinnen und Soldaten wichtig ist. Ich begrüße ganz besonders das Bekenntnis der Koalitionspartner zur Verankerung der Bundeswehr und den Rückhalt in der Gesellschaft, wie sich das beispielsweise in der Unterstützung der Arbeit der Jugendoffiziere ausdrückt, für die ich mich selbst schon lange einsetze. Ich halte es für selbstverständlich, dass die Jugendoffiziere auch weiterhin einen Beitrag zur sicherheitspolitischen Bildung an Schulen und Universitäten leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Bundeswehr ist kein Fremdkörper, vor dem man junge Menschen schützen muss, sondern eine Organisation mit Verfassungsrang in unserem demokratischen System. Sie ist gerade kein Staat im Staate, sondern besteht aus Staatsbürgern in Uniform. Zur Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft gehört aber auch die Festlegung auf eine fortgesetzte Präsenz in der Fläche, verbunden mit der Beibehaltung der Truppenstärke von 185 000 Mann. Das ist wichtig für die Attraktivität des Dienstes, zu der nicht zuletzt die Sicherheit von Standorten gehört, damit Soldaten heimatnah eingesetzt werden und ihre Familien ihr Leben planbar organisieren können. Zu Recht hat das Thema Attraktivität einen eigenen Unterabschnitt im Koalitionsvertrag erhalten. Liebe Frau Ministerin von der Leyen, in Ihrem neuen Amt werden Sie sich sehr rasch mit dieser wie auch mit anderen Dauerbaustellen befassen müssen. Dabei baue ich auf die Fachkompetenz, die Sie aus Ihren vorherigen Ämtern mitbringen, gerade im Hinblick auf die zahlreichen sozialen Aspekte der Attraktivität des Dienstes. Es geht darum, die Sicherstellung der Einsatzbereitschaft mit der Vereinbarkeit von Familie und Dienst unter einen Hut zu bringen. Die vorherige Bundesregierung hat mit dem Attraktivitätsprogramm einen guten Anfang gemacht; das muss nun konsequent weitergeführt werden. Zu den bereits eingeleiteten Maßnahmen gehören die Möglichkeit von Teilzeitbeschäftigung und Telearbeit, die Ausweitung der Familienbetreuung auf den Inlandsdienst der Streitkräfte und die Schaffung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten an den Standorten, entweder in Kooperation mit den Kommunen oder, wenn nötig, auch in eigener Verantwortung. Frau Ministerin, Sie haben am Wochenende bereits einen begrüßenswerten Schwerpunkt auf diesen Bereich gelegt und dabei viele Punkte erwähnt, die an dieser Stelle immer wieder angesprochen worden sind. Ich habe es bereits in meiner ersten Rede zum aktuellen Jahresbericht gesagt: Wir werden den Widerspruch zwischen einem normalen Familienleben und den besonderen Anforderungen des Soldatenbetriebs niemals vollständig lösen können. Die militärische Auftragserfüllung steht auch in Zukunft an erster Stelle. Wenn wir die Bundeswehr in der Fläche und in der Gesellschaft präsent halten wollen, dürfen wir sie nicht auf wenige Großstandorte konzentrieren, was zumindest die Zahl der Versetzungen reduzieren würde. Ich bin aber außerordentlich dankbar, Frau Ministerin, dass sie mit unbefangenem Blick das System der automatischen Versetzung in seiner bisherigen Form infrage gestellt haben. Da haben Sie uns von der Arbeitsgruppe Verteidigung der Unionsfraktion voll auf Ihrer Seite. Dieses Problem haben wir schon vor drei Jahren in unserer Unterarbeitsgruppe zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr erörtert. In einem Antragsentwurf haben wir den Vorschlag gemacht, dass Soldaten im Regelfall ihre gesamte Dienstzeit, mit Ausnahme von Aus- und Fortbildungskommandierungen sowie Einsätzen, an einem Standort verbringen können, sofern sie auf eine Beförderungsmöglichkeit verzichten, die eine Versetzung erforderlich machen würde. Ich würde mich freuen, wenn noch weitere Ideen aufgegriffen würden, die während der damaligen intensiven Befassung entstanden sind. Zu nennen ist etwa das Pilotprojekt „Zu Hause in der Bundeswehr“, welches neben attraktiven Wohnmöglichkeiten für die ganze Familie ein umfassendes Familienbetreuungsprogramm nebst Kindertageseinrichtungen bieten würde. Meine Damen und Herren, ein besonders wesentlicher Punkt, der sich regelmäßig in den Berichten des Wehrbeauftragten wiederfindet, ist die Planbarkeit von Auslandseinsätzen. Unsere Soldaten wissen um die Risiken und Belastungen, die damit verbunden sind, und sie stellen sich darauf ein, wenn bei einem Einsatz alles vorher klar ist, auch wenn der vorgesehene Zyklus von Stand- und Ruhezeiten nicht immer eingehalten wird, weil der Bedarf an besonderen Fähigkeiten es erfordert. Viel belastender ist es, erst kurzfristig von einem Einsatz zu erfahren, weil sich irgendwo eine Lücke aufgetan hat. Über die Feiertage habe ich wieder von dem einen oder anderen Fall erfahren müssen. Wenn wir es schaffen würden, die Eventualitäten lang dauernder Einsätze weitgehend mit vorausschauender Personalplanung abzudecken, wäre nach meiner Ansicht schon viel gewonnen. Dazu zählt übrigens auch die Besetzung von Leerstellen im Inlandsdienst, die durch Auslandseinsatz, aber auch familienbedingte Abwesenheit entstehen, um Mehrbelastungen des übrigen Personals zu vermeiden, gerade in Truppengattungen mit regelmäßigen Aufgaben im Inland wie im Sanitätsdienst und bei den Feldjägern. Auch dazu liegen Vorschläge auf dem Tisch, einschließlich des Vorschlags einer effektiveren Heranziehung der Reservisten. Darüber hinaus gibt es weitere Punkte, die im weitesten Sinne zur Attraktivität des Dienstes gehören. So wollen wir die Nachversicherung für ausgeschiedene Zeitsoldaten neu regeln und endlich die Hinzuverdienstgrenze bei Anschlusstätigkeiten von Versorgungsempfängern aufheben. Meine Damen und Herren, Attraktivität und Vereinbarkeit von Familie und Dienst sind wichtig für die Zukunft der Bundeswehr, aber kein Selbstzweck. Auftrag der Bundeswehr ist die Gewährleistung der Sicherheit unseres Landes im Bündnis. Die Sicherheit der Kinderbetreuung für Soldatenfamilien ist nur ein Beitrag, um die Auftragserfüllung durch motivierte Soldaten zu gewährleisten. Auch bei anderen Aspekten muss in dieser Wahlperiode dringend ein tragfähiges Ergebnis erreicht werden. Wir haben im Koalitionsvertrag unter anderem vereinbart, die politischen, ethischen und juristischen Fragen um die Beschaffung und den Einsatz bewaffneter Drohnen zu klären. Diese Debatte muss dann aber auch zu einer klaren Entscheidung führen. Eine der ethischen Fragen ist zum Beispiel: Dürfen wir unseren Soldaten das Mehr an Sicherheit vorenthalten, das diese Systeme bedeuten können? Das wird eine notwendigerweise kontroverse, sicherlich auch emotionale Debatte werden. Aber wir dürfen uns nicht davor drücken, erst recht nicht vor den Antworten, die am Ende stehen können. Egal ob Attraktivität oder Ausrüstung: Ein Mehr wird auch mehr Geld kosten. (Beifall des Abg. Bernd Siebert [CDU/CSU]) Wie wir alle wissen, werden die entscheidenden Schlachten letztlich bei den Haushaltsverhandlungen geschlagen. Frau Ministerin, ich wünsche Ihnen für die Bewältigung der mit Ihrem neuen Amt verbundenen Aufgabe viel Kraft. Wir im Verteidigungsausschuss – das kann ich sagen – werden Sie dabei bestmöglich unterstützen. Unser gemeinsames Interesse muss das Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten sein, und dafür – da bin ich sicher – werden wir uns in den nächsten vier Jahren auch gemeinsam engagieren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, liebe Kollegin Schäfer. – Nächste Rednerin für Bündnis 90 ist Doris Wagner. Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Herr Wehrbeauftragter! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass auch ich heute das erste Mal das Wort an Sie richten darf. Liebe Kollegen, stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Sie und Ihre Partnerin erwarten ein Kind. Sie freuen sich. Das Kinderzimmer ist eingerichtet, und dann steht die Geburt unmittelbar bevor. Ausgerechnet an dem Tag sollen Sie die Abschlussprüfung für einen zuvor absolvierten Lehrgang ablegen. „Gut“, denken Sie, „ich fahre mit dem Auto zur Prüfung, gleich anschließend ins Krankenhaus, und dann kann ich hoffentlich rechtzeitig bei der Geburt dabei sein.“ Sie bitten Ihren Vorgesetzten, ausnahmsweise nicht gemeinsam mit den anderen Prüfungsteilnehmern mit dem Bus zu fahren, und die Antwort lautet: Seien Sie froh, wenn das Kind von Ihnen ist. Sie fahren mit dem Bus. – Die Beschwerde des betroffenen Soldaten ist nur eine von zahlreichen aus dem Jahr 2012, doch sie zeigt exemplarisch, wie viel in Sachen Familienfreundlichkeit bei der Bundeswehr noch im Argen liegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir den Vorabberichten der Presse glauben dürfen, wird uns Herr Königshaus Ende Januar berichten, dass die Zahl der Beschwerden, insbesondere beim Thema Familie, in 2013 noch erheblich gestiegen ist. Inzwischen entscheiden sich immer mehr Soldatenfamilien dafür, nicht mit jedem Standortwechsel auch den Familienwohnort zu ändern. Das heißt, dass etwa 70 Prozent der Soldatinnen und Soldaten zwischen Dienst- und Wohnort pendeln, oft über mehrere Hundert Kilometer. Das hat gesundheitliche Folgen und führt häufig zur Entfremdung gegenüber den Kindern oder auch der Partnerin oder dem Partner. Nicht umsonst liegt – das haben wir gerade schon gehört – die Scheidungsrate bei Bundeswehrangehörigen bei bis zu 75 Prozent. Noch immer fehlt es an vielen Standorten an Kinderbetreuungseinrichtungen. Soldatinnen und Soldaten, die Elternzeit beantragen oder in Teilzeit arbeiten möchten, werden mit dem Hinweis auf die allzu dünne Personaldecke abgewiesen. Schließlich – ein wirkliches Unding in meinen Augen – sehen sich Bundeswehrfamilien manchmal gezwungen, Darlehen aufzunehmen, weil ihre Anträge auf Beihilfe zur Begleichung von Arztrechnungen über Monate nicht bearbeitet werden können. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wer möchte in einer solchen Armee dienen? Herr Königshaus verweist in seinem Bericht mehrfach auf konkrete Verbesserungsvorschläge, die er dem Bundesverteidigungsministerium unterbreitet hat. Das unter Rot-Grün schon 2004 verabschiedete Gesetz zur Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten verpflichtet die Bundeswehr dazu, familiengerechte Arbeitszeiten und sonstige Rahmenbedingungen anzubieten, um die Vereinbarkeit von Familie und Dienst zu erleichtern. Leider belegt der Bericht des Wehrbeauftragten einmal mehr, dass die Umsetzung des Gesetzes im Alltag sehr zu wünschen übrig lässt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was ist eigentlich so schwierig daran, die Vorgaben und Vorschläge für eine familienfreundlichere Bundeswehr in die Tat umzusetzen? Ich frage mich: Hat Herr de Maizière in den vergangenen Jahren wirklich die nötige Initiative gezeigt, um an den bekannten Missständen etwas zu ändern? Was ist so schwierig daran, einer Soldatin oder einem Soldaten verbindlich zu erklären, welche Verwendungen und Versetzungen sie oder ihn in den kommenden Jahren erwarten, damit die Familie auch in Bezug auf die Karriere der Ehepartner und die Schullaufbahn der Kinder vernünftige Entscheidungen treffen kann? In Ihren ersten Medienauftritten, Frau Ministerin, haben Sie erklärt, alle diese Versäumnisse schnell aufholen zu wollen. Meine Kollegin sagte es schon: Dieses Vorhaben begrüßen wir ausdrücklich. Sie selbst haben zuletzt immer wieder den quantitativen Aspekt des mangelnden Nachwuchses thematisiert. Als Freiwilligenarmee muss die Bundeswehr um die besten Arbeitnehmer konkurrieren, wobei aufgrund der demografischen Entwicklung der Anteil von Soldatinnen deutlich erhöht werden muss. Angesichts der dokumentierten Familienunfreundlichkeit verwundert es allerdings nicht, dass die Zahl der Frauen insbesondere in Führungsfunktionen bisher noch weit unter der selbstgesetzten Marke von 15 Prozent liegt. Herr Königshaus hat wiederholt den qualitativen Aspekt des sozialen Rückhalts für die Soldatinnen und Soldaten betont, ganz besonders, wenn belastende Erfahrungen aus Auslandseinsätzen verarbeitet werden müssen. Eine Armee, die die privaten Strukturen von Familie und Freunden zerstört, riskiert, irgendwann als Gruppe von seelisch verletzten Menschen ohne Bindung zu enden. Die Zeit drängt; denn die Frage, ob es der Bundeswehr auf absehbare Zeit gelingen wird, familienfreundlichere Strukturen zu schaffen, wird mit über die zentrale Frage entscheiden, ob Deutschland in Zukunft überhaupt noch eine funktionsfähige Armee hat. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, liebe Kollegin. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede. (Beifall) Alle freuen sich auch auf Ihre nächste Rede. Jetzt hat der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Lassen Sie mich in meiner ersten Rede vor dem Hohen Hause zunächst meinen Dank und Respekt ausdrücken gegenüber den Frauen und Männern, den Soldatinnen und Soldaten, die sich für uns, für Deutschland und für dieses Parlament, für Frieden und Freiheit einsetzen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie halten das Unternehmen Bundeswehr am Laufen. Sie halten ihren Kopf für uns hin. Sie werden deshalb mein Antrieb für die nächsten vier Jahre sein. Sehr verehrter Herr Wehrbeauftragter Königshaus, vielen Dank für Ihren Bericht, der mir als neuem Mitglied dieses Hauses gezeigt hat, dass nicht leichte Kost in sehr leicht lesbarer Form gestaltet werden kann. Texte müssen nicht unbedingt schwer verständlich sein. Dies sollte unser aller Antrieb sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Frauen und Männer der Bundeswehr sind der Grund, warum wir heute hier sind. Über 5 000 Beschwerden sind in den noch nicht veröffentlichten, aber bereits bekannt gewordenen Bericht eingegangen. Das sind 700 mehr als im Vorjahr. Stellt man dies einmal in Relation zur Personalstärke der Bundeswehr, dann wird klar, dass uns das aufhorchen lassen muss. Über entsprechende Konsequenzen für unsere Sicherheitspolitik haben wir heute viel Gutes und Richtiges gehört. Mit Verlaub, Frau Ministerin von der Leyen: Dass die Presseabteilung des Verteidigungsministeriums hervorragend funktioniert, ist schon einmal ein Anfang. Wir wissen aber beide: Die Diagnose ist nur der Anfang. Die anschließende Behandlung des Themas wird noch mehr umfassen. Sonst stehen wir alle nur mit hehren Zielen und letztendlich mit Enttäuschungen da. Ich sage ganz unumwunden: Die Aufgabe dieses Hauses wird es sein, genau hinzuschauen, ob sich etwas ändert. Frau Bundesministerin, wir werden Sie in Ihrem Plan, der nicht nur Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat, sondern aus vollster Überzeugung angegangen wird, nämlich die Bundeswehr zeitgerecht effektiv umzugestalten, unterstützen. Unsere Aufgabe wird es aber auch sein, ein bisschen da und dort nachzubessern. Dass es notwendig ist, das Arbeitsumfeld der Soldatinnen und Soldaten zu verbessern, steht, glaube ich, außer Frage. (Beifall bei der SPD) Der Jahresbericht macht eines klar: Wir brauchen keine Reform der Reformen; wir brauchen vielmehr Ergebnisse. Die Umsetzung der laufenden Reform schlägt unvermeidbar Wunden; das wissen wir. Da müssen die Soldatinnen und Soldaten durch; da müssen auch wir durch. Wissen wir aber schon, dass auch wir da durch müssen? Solange unsere Spezialkräfte nicht einmal ihren eigenen Hubschrauber haben, solange Soldaten nach nur wenigen Monaten Heimataufenthalt wieder direkt in den Auslandseinsatz gehen, ohne dass man sich ernsthaft um sie gekümmert hat, solange psychische Belastungsstörungen nicht rechtzeitig erkannt werden und solange Arztrechnungen nicht bezahlt werden, ist noch viel zu tun. Wir beschäftigen uns viel zu viel mit dem Klein-Klein. Solange wir nur reden, bleiben nur Ziele. Wir wollen aber nicht nur Ziele und Belehrungen, wir wollen handeln. Die Soldatinnen und Soldaten wollen Verantwortung übernehmen. Wir wollen Verantwortung übernehmen. Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten wird bei all den Mängeln und Defiziten, die er aufzeigt, sicherlich keine Wunder bewirken. Das gilt ebenfalls für den noch nicht vorgelegten Jahresbericht 2013. Aber der Bericht geht in die richtige Richtung. Für meine Person gebe ich zu: Ich habe meine Heimat nicht bei der Bundeswehr; ich habe nicht gedient. Meine Heimat war über viele Jahre als Führungskraft das Rote Kreuz. Vielleicht ist mir deshalb der Konflikt bekannt, Familie, Beruf und Pflichterfüllung unter einen Hut zu bringen. Dafür, hier die Balance zu finden, tragen wir die Verantwortung; denn wir sind es, die die Soldatinnen und Soldaten entsenden. Wir sind es, die das Mandat erteilen, und wir müssen es sein, die ihnen den Rücken freihalten. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, lieber Herr Kollege Dr. Brunner. Auch Ihnen im Namen des ganzen Hauses Gratulation zu Ihrer ersten Rede. (Beifall) Da Sie von Heimat geredet haben: Ich freue mich persönlich sehr, dass endlich einmal ein Illertissener hier im Bundestag ist. Ich komme aus Babenhausen. Das muss Ihnen nichts sagen; aber uns verbindet das. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Wir sind ja Nachbarn!) Jetzt kommt als nächster Redner Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich gleich zu Beginn dem Wehrbeauftragten und seiner Mannschaft, die hier in großer Zahl versammelt ist, für die geleistete Arbeit danken. Ich habe mir gerade überlegt: Welchen zusätzlichen Aspekt könnte man als achter Redner in dieser Debatte beim Dank anbringen? Ich habe mir einmal angeschaut, was hinter der Arbeit des Wehrbeauftragten steht. Da steht für 2012: 38 Truppenbesuche, 103 Gesprächstermine, 133 Tagungen und größere Gesprächsrunden, an denen der Wehrbeauftragte persönlich teilgenommen hat, plus 101 Besuchergruppen im Amt. Das zeigt in Summe das hohe Engagement von Ihnen allen, und dafür möchte ich Ihnen im Namen meiner Fraktion und, ich glaube, im Namen des Hohen Hauses ganz herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben gemerkt: Wir – der Bundestag, aber auch die Gesellschaft – haben hohe Ansprüche an das Verhalten unserer Soldatinnen und Soldaten im Dienst. Aber unsere Soldaten sind auch nur Menschen. Bei knapp 200 000 Menschen, die zum Teil unter einer hohen psychischen und physischen Belastung stehen, kommt es zwangsläufig zu Fehlverhalten. Das ist natürlich; alles andere wäre eine Illusion. Aber wenn es zu Fehlverhalten kommt, muss man dem konsequent nachgehen. Ein wichtiges Instrument dafür, vor allem für die Bundeswehr selbst, ist der Wehrbeauftragte und der Bericht des Wehrbeauftragen, den wir heute hier debattieren. Gerade in einer Organisation wie der Bundeswehr, die auf Befehl und Gehorsam fußt, in der strenge Hierarchien gelten, ist es wichtig, offen und transparent mit Fehlentwicklungen umzugehen, auch wenn so manchmal – Herr Kollege Arnold, da haben Sie recht – ein verzerrtes Bild entsteht. Man kann festhalten, dass das Führungsverhalten und das Verhalten unserer Soldaten in der Bundeswehr zum allergrößten Teil tadellos sind; das darf dadurch nicht in Vergessenheit geraten. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Gang zum Wehrbeauftragten ist ein wichtiges Privileg unserer Soldaten. Es ist aber ein Instrument, das vor allem dann greifen soll, wenn in den Augen der Betroffenen der Dienstweg versagt oder nicht geeignet ist. Herr Brunner, Sie haben es gerade gesagt: Die Eingaben nehmen im Moment prozentual eher zu. Ich möchte einen Aspekt hinzufügen: Das könnte auch daran liegen, dass das Vertrauen auf den Dienstweg schwindet. Ich sage Ihnen offen: Das wäre für mich noch besorgniserregender als die reine Erkenntnis, dass es bei dieser Anzahl an Menschen Fehlverhalten oder Unzufriedenheit gibt. Wenn sich dieser Trend tatsächlich fortsetzen sollte, würde ich anregen, auch den Aspekt, warum sich die Soldaten an den Wehrbeauftragten wenden und wie die Historie der Eingaben parallel zum Dienstweg ist, mit zu untersuchen. Unabhängig davon enthält der Bericht viele Ansatzpunkte, denen sich der Verteidigungsausschuss und unsere neue Ministerin in den nächsten Monaten und Jahren widmen werden. Der Personalmangel im Sanitätsdienst wurde noch nicht angesprochen, aber er ist insbesondere im Bereich der Offiziere ein großes Problem. Die Erhöhung der Attraktivität insbesondere für Familien wurde schon mehrfach angesprochen. Die Unsicherheiten, die mit der Neuausrichtung verbunden sind, die Verbesserung der Einsatzbedingungen, viele Punkte werden vom Wehrbeauftragten sehr detailliert angesprochen. Ich sage: Die Schilderungen im Bericht machen es irgendwie greifbarer als viele andere Lektüre, die man sonst aus dem Bereich der Verwaltung bekommt. Dafür herzlichen Dank. Es gibt aber auch positive Entwicklungen – ich zitiere –: Insbesondere in Afghanistan haben weitere Verbesserungen bei Ausbildung, Ausrüstung und Ausstattung zu einem starken Rückgang der Zahl der Verwundeten, insbesondere der Schwerstverwundeten, geführt. Das ist insoweit bemerkenswert, als genau diese Frage der Ausstattung, der Ausrüstung in den Einsatzländern in den vergangenen Berichten immer wieder Gegenstand von Kritik war und auch hier, in diesem Saal, immer zu großen Diskussionen geführt hat. Ich darf festhalten: Es bewegt sich also etwas in der Bundeswehr; es gibt Fortschritte. Ich darf auch festhalten: Wenn es um die Sicherheit der Soldaten im Einsatz geht, dann steht der Wehrbeauftragte zur Truppe, selbst wenn die öffentliche Diskussion, insbesondere bei Fragen der Rüstung und Ausrüstung, auch manchmal schwierig ist. Lieber Herr Königshaus, das wird sowohl von den Soldatinnen und Soldaten als auch von uns sehr hoch geschätzt. Ich nenne als weiteres Beispiel die Verbesserung der Betreuungskommunikation. Das war uns im Parlament und im Verteidigungsausschuss fraktionsübergreifend ein großes Anliegen. Hier ist einiges getan worden. Ich hoffe, dass nun endlich auch die Bearbeitungszeiten bei der Beihilfe wieder auf ein ordentliches Maß zurückgeführt werden. Das ist zwar nicht mehr Aufgabe der Bundeswehr und, eng gefasst, auch nicht mehr Aufgabe des Wehrbeauftragten, nichtsdestotrotz berührt das viele unserer Soldatinnen und Soldaten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich hoffe, dass die Neuausrichtung jetzt in eine Phase tritt, in der die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Mitarbeiter den Nutzen und den Sinn der neuen Strukturen in ihrer täglichen Arbeit erspüren und die Unsicherheit abnimmt. Zum Schluss möchte ich der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die Bundeswehr jetzt wieder ruhigeren Zeiten entgegengeht. Die letzten vier Jahre waren turbulent; viele von uns haben das in diesem Haus erlebt. Die hohe Einsatzbelastung, insbesondere in Afghanistan, die gleichzeitig vorgenommene Neuausrichtung der Bundeswehr und die Aussetzung der Wehrpflicht haben den Betroffenen viel abverlangt. Ich hoffe, dass wir diese schwierige Zeit jetzt hinter uns haben. Ich bin mir aber auch sicher, dass für uns und den Wehrbeauftragten einiges zu tun bleibt. Ich freue mich darauf und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Herr Kollege Dr. Brandl. – Zum Abschluss dieses Tagesordnungspunkts gebe ich das Wort Frau Heidtrud Henn für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heidtrud Henn (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin froh, dass ich meine erste Rede zum 54. Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages halten darf. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, allen Angehörigen der Bundeswehr zu danken; denn sie sorgen für unsere Sicherheit und bekommen zu selten die Anerkennung, die sie verdienen. Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter Königshaus, der Bericht des Wehrbeauftragten ist für uns Abgeordnete ein Aufgabenbuch. Ich finde es gut, dass Soldatinnen und Soldaten den Mut aufbringen, sich an Sie zu wenden, um Mängel anzuzeigen. Dass die Reform der Bundeswehr und die damit verbundenen Veränderungen in Ihrem Bericht großen Raum einnehmen, überrascht nicht. Die Umstrukturierung und die Belastungen, die von den Streitkräften zu tragen sind, haben sich auf Soldatinnen und Soldaten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im zivilen Bereich ebenso ausgewirkt wie auf deren Angehörige. In unserem Koalitionsvertrag haben wir Vereinbarungen getroffen, die wesentliche Kritikpunkte Ihres Berichts aufgreifen und zu Verbesserungen beitragen werden. Die Bundeswehr ist ein Teil unserer Gesellschaft. Darum ist der von der Großen Koalition versprochene Dialog in und mit der Gesellschaft so wichtig. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]) Wie in allen Bereichen des Arbeitslebens brauchen wir auch bei der Bundeswehr gute Arbeitsbedingungen. Kommandierungen, unregelmäßige Dienstzeiten und die Notwendigkeit, zu pendeln, stellen für die betroffenen Familien große Belastungen dar. Die Evaluierung der Bundeswehrreform, die wir in diesem Jahr erwarten, wird genauer zeigen, wo wir anpacken müssen. So muss beispielsweise die betriebliche Kinderbetreuung weiter ausgebaut werden. Ich habe mir erst kürzlich von einem Eltern-Kind-Zimmer am Standort Idar-Oberstein berichten lassen. Das ist eine gute Idee, die hier umgesetzt worden ist. (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) Auch auf kommunaler Ebene müssen gemeinsam Lösungen gefunden werden. Wir brauchen besondere Angebote für zeitlich begrenzte und meist kurze Betreuung von Kindern, wenn Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen wahrgenommen werden, die nicht in der Nähe des Wohnortes stattfinden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Hier reicht es nicht aus, nur die Kosten zu erstatten. Ich sehe hier einige Kolleginnen und Kollegen mit Handys und Tablets. Gerade wir wollen oder sollen ständig erreichbar sein. Für Soldatinnen und Soldaten in Krisengebieten und auf Booten oder Schiffen ist das Telefonieren nach Hause nicht selbstverständlich und unter Umständen sogar mit hohen Kosten verbunden. Auch eine Internetnutzung ist oftmals nicht möglich. Es hat hier Verbesserungen gegeben, aber nicht genug. Wir müssen eine gute Betreuungskommunikation schon anbieten, wenn die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber sein will, der seiner Fürsorgepflicht nachkommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die große Belastung durch dienstlich bedingte Abwesenheit müssen alle Beteiligten tragen. Eine heimatnahe Verwendung ist für Familien besonders wichtig. Dies ist nicht immer möglich, und aufgrund der Berufstätigkeit der Ehe- und Lebenspartner ist das Pendeln für viele Bundeswehrangehörige unumgänglich. Die angesprochene räumliche Stabilität, die für Familien erforderlich ist, braucht Planbarkeit und Transparenz. Es ist verheerend, wenn Soldatinnen und Soldaten sich von ihrer Familie ausgeschlossen fühlen, wie es in Ihrem Bericht zu lesen ist. Auf die Fürsorge der Bundeswehr, wie sie zwischen Vorgesetzten und Untergebenen in § 10 Abs. 3 des Soldatengesetzes geregelt ist, müssen sich alle verlassen können. Ich habe große Achtung vor Soldatinnen und Soldaten, die offen über ihre psychischen Probleme reden und sich professionelle Hilfe holen. Es wäre gut, wenn die Familien noch mehr in die Therapie eingebunden würden. (Beifall bei der SPD) Für mich steht der Mensch, der sein Berufsleben in den Dienst von uns allen gestellt hat, im Mittelpunkt der Streitkräfte. Eine familienfreundliche Bundeswehr braucht eine bundeswehrfreundliche Gesellschaft. Wir alle sind dazu aufgefordert, denen, die dienen, entgegenzukommen. Dazu leistet der Bericht des Wehrbeauftragten einen wichtigen Beitrag. Wir haben viel zu tun. Ich freue mich auf eine gemeinsame Arbeit mit allen Beteiligten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Gottes Segen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Heidtrud Henn. Liebe Kollegin, Sie sehen, dass Ihnen das ganze Haus zu Ihrer ersten Rede gratuliert. Es stimmt, hier sind viele Handys zu sehen, aber die Erreichbarkeit wird hier im Saal nicht auf das Telefonieren ausgeweitet. Das wissen Sie, und das sollten die neuen Abgeordneten auch gleich erfahren. Damit komme ich jetzt zur Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten, Drucksachen 17/12050 und 18/297. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Ich frage Sie nun: Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit der Zustimmung von CDU/CSU, von SPD, von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linkspartei angenommen. Vielen Dank und gute Zusammenarbeit im neu zusammengesetzten Verteidigungsausschuss. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Haßelmann, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglieder Drucksache 18/292 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gesetzliche Karenzzeit für ausgeschiedene Regierungsmitglieder einführen Drucksache 18/285 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen, damit sie dieser spannenden Debatte folgen können. Ich gebe als erster Rednerin Britta Haßelmann das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren Besucher! Herr Braun vom Kanzleramt, da haben Sie ja gerade noch einmal Glück gehabt. Ich glaube, wenn ich nicht darauf hingewiesen hätte, dass wir Sie sonst herbeizitieren, hätte hier wahrscheinlich niemand vom Kanzleramt gesessen. (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Stimmt nicht!) Dabei ist völlig klar: Bei dem Thema, über das wir jetzt diskutieren, nämlich einer gesetzlichen Regelung zur Karenzzeit, hat die Bundesregierung auch eine Verantwortung. Die Bundesregierung und mit ihr die Bundeskanzlerin haben eine Verantwortung, sich zu positionieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, nach den ersten Veröffentlichungen zur Frage, was Ronald Pofalla eigentlich nach seiner Tätigkeit im Kanzleramt macht und ob er vielleicht in den Vorstand der Deutschen Bahn AG wechselt, fand ich es unerträglich, die Erklärungen der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin zu hören, dazu gebe es nichts zu sagen, schließlich sei Ronald Pofalla seit Wochen nicht mehr Mitglied dieser Bundesregierung. Ich glaube, inzwischen haben Sie selber gemerkt, dass weder die Öffentlichkeit noch wir im Parlament Ihnen eine solche Argumentation durchgehen lassen. Das war einfach nur peinlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, die Berufsperspektiven von ehemaligen Spitzenpolitikerinnen und -politikern sorgen bei Wechseln in die Wirtschaft immer wieder für absolut berechtigte Kritik und stoßen auch auf Ablehnung. Öffentlich herrscht großes Unverständnis. Wir kennen die mediale Berichterstattung – nicht nur im Fall Pofalla, sondern auch in anderen Fällen – sehr genau und wissen, dass wir in der Bevölkerung um Akzeptanz für Wechsel von Politik in Wirtschaft zu werben haben. Die bekommen wir aber nur hin, wenn es dafür angemessene Regeln gibt. Hier im Deutschen Bundestag verweigern Sie sich leider seit Jahren, dies zu tun. Die Akzeptanz ist aber absolut notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dass wir jetzt endlich zu einer gesetzlichen Regelung kommen, hat nicht zuletzt mit dem umstrittenen Wechsel von Eckart von Klaeden – vorher übrigens auch Kanzleramt – zu Daimler zu tun. Bei Ronald Pofallas Wechsel tappen wir noch ein bisschen im Dunkeln, ob etwas daraus wird oder nicht. Ich weiß nicht, ob Herr Pofalla heute hier ist oder vielleicht im CDU-Kreisverband Kleve ist, um sich dort zu erklären. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb zitiere ich ihn an dieser Stelle gleich einmal. Wir Grünen sind nämlich nicht die Einzigen, die sagen, es braucht klare gesetzliche Regelungen. Die Zeit einer Selbstverpflichtung ist längst vorbei, und wir als Parlament haben sie vertan. Denn darüber reden wir seit 2005, meine Damen und Herren. 2005 war es Ronald Pofalla, der angesichts des Wechsels von Gerhard Schröder sagte – ich zitiere –: Jetzt kommen wir an einer rechtlichen Regelung wohl nicht vorbei: Es ist offensichtlich eine Illusion, zu glauben, dass der Appell an politischen Anstand alleine ausreicht, um solche Fälle zu verhindern. Meine Damen und Herren, ich stimme nicht oft mit Ronald Pofalla überein, aber in dieser Frage ausnahmsweise ja. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Trotz jahrelanger Debatte im Deutschen Bundestag haben wir das als Bundestag insgesamt bisher versäumt. Das lag nicht an uns Grünen. Wir haben diverse Antragsinitiativen zur Einrichtung eines Lobbyregisters gestartet – auch die Linke; das weiß ich –, und zwar zum Schutz aller: zum Schutz derjenigen, die hier sitzen, und zum Schutz derjenigen, die von außen Beratertätigkeiten ausüben. Wir haben jahrelang mit Ihnen darüber gestritten, endlich das UN-Abkommen gegen Korruption zu unterzeichnen. Das ist auf massiven Widerstand der Union und auch der FDP gestoßen. Immer noch hat Deutschland dieses Abkommen nicht ratifiziert. Wir streiten mit Ihnen seit Jahren auch über gesetzliche Regelungen zu einer Karenzzeit. Die sind überfällig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) So wie wir Grünen denken auch viele, viele andere Menschen. Sehen Sie sich einmal die EU-Kommission an! Günther Oettinger kommentierte den geplanten Wechsel von Ronald Pofalla mit dem Satz: Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass es klare Regeln für einen Wechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirtschaft geben sollte. Die SPD empörte sich öffentlich über den Fall Pofalla. Stegner forderte klare gesetzliche Regelungen. Meine Damen und Herren, was ist daraus heute geworden? Ich höre, die Lösungsperspektive für die Große Koalition ist jetzt das Zauberwort „Selbstverpflichtung“. Und was machen wir dann im Deutschen Bundestag? Dann reden wir wieder drei Jahre in den Ausschüssen darüber, dass wir uns vielleicht selbst verpflichten. Ja, wo sind wir denn, meine Damen und Herren? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir brauchen für die Zukunft endlich klare gesetzliche Regelungen, und zwar damit es Politikerinnen und Politikern möglich ist, im Anschluss an ihre politische Biografie, an ihre politische Tätigkeit hier im Deutschen Bundestag in die Wirtschaft zu wechseln. Niemand will so etwas grundsätzlich verweigern; aber dafür braucht es eine Karenzzeit und eine gesetzliche Regelung. Die Zeit der Selbstverpflichtung ist vorbei. Ich bin gespannt, wann SPD und Union da liefern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, liebe Kollegin Haßelmann. – Als Nächster hat das Wort Bernhard Kaster für die CDU/CSU. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernhard Kaster (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, Frau Kollegin Haßelmann: Wir müssen dieses Thema hier gar nicht in einer solchen Aufregung diskutieren. Es betrifft alle. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Die Aufregung steht letztendlich auch im Widerspruch zu Ihrem Antrag. Meine Damen und Herren, Politik und Wirtschaft, Wirtschaft und Politik brauchen eher mehr Austausch als weniger. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich denke, darüber besteht hier im Hause auch breiter Konsens, jedenfalls bei allen, die ein normales Verhältnis zur Wirtschaft und ein gesundes Politikverständnis haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die anderen sind also unnormal und ungesund! Gute Worte!) Punkt zwei. Bei einem Thema – es geht um die Mitglieder der Bundesregierung –, das alle Parteien betrifft, betroffen hat oder betreffen kann, können wir aufgeregte Forderungen nicht brauchen. CDU, CSU und SPD haben hierzu im Koalitionsvertrag sehr klug formuliert, dass wir für ausscheidende Mitglieder der Bundesregierung eine angemessene Regelung brauchen, die den Anschein von Interessenkollisionen vermeiden hilft, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Was ist das?) eine Handhabung mit Vernunft und Augenmaß. Für uns wäre eine Praxis wünschenswert, die in das Verhältnis von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ein Stück Normalität bringt, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na dann mal los!) eine Normalität, der das Politikverständnis zugrunde liegt, dass die Bereitschaft zur Übernahme eines politischen Amtes, ob als Staatssekretär oder Minister, immer befristet ist, immer auf Zeit angelegt ist. Im Regelfall bedeutet politische Tätigkeit – das ist bei uns als Abgeordneten genauso – immer eine Unterbrechung der eigenen Berufs- und Lebensbiografie, um für die Politik zur Verfügung zu stehen. Im Normalfall gibt es in der Politik immer ein Davor und eben häufig auch ein Danach. Die Fallgestaltungen, meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind immer unterschiedlich. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Leben ist bunt!) Ich will jetzt nicht Äpfel mit Birnen vergleichen; dennoch müssen wir sehen, dass hier Differenzierungen notwendig sind. Sinnvoll wäre schlicht eine Handhabung, die dem Ansehen der Politik in der Öffentlichkeit, aber auch der Lebenswirklichkeit und einer Normalität im Verhältnis zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gerecht wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir können dieses Thema ja diskutieren; aber ein solches Thema im Wettstreit, ob ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre – es fehlt nur noch der Begriff „auf Bewährung“ –, zu diskutieren, damit tun wir uns bei dieser Debatte auch keinen Gefallen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sollten in öffentlichen Debatten daher darauf achten, nicht zu schnell mit unterstellten Interessenkollisionen zu argumentieren. Es ist zwischenzeitlich zur Mode geworden, den Begriff „Lobbyismus“ aber auch in jedem Zusammenhang als Kampfbegriff zu benutzen. Dabei sitzen in diesem Hause im Prinzip über 600 Lobbyisten, Lobbyisten für ihren jeweiligen Wahlkreis, für die Menschen in ihrer Heimat, für die Arbeitsplätze dort, für die Wirtschaftsbranchen, für die Arbeitnehmer- und Sozialinteressen. Das ist schlicht Politik, und das ist die Aufgabe von Politik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Am 4. Januar erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Kommentar, in dem es hieß, dass „stillschweigend zwischen guten und schlechten Interessen“ unterschieden werde und für die „guten“ Interessen zwischenzeitlich der Begriff der „Nichtregierungsorganisationen“ erfunden worden sei. Ich fand diesen Beitrag nachdenkenswert. Warum sage ich das? Weil die Opposition in ihren Anträgen Bezug nimmt auf, ich sage einmal: Antilobby-Lobbyverbände oder -organisationen. Ich sage einfach einmal: Sie wissen es als Fraktionen eigentlich besser. Deswegen ist es auch nicht notwendig, sich da mit teilweise unrealistischen, praxisfremden Forderungen auf die Bäume jagen zu lassen. Sie selbst wissen es in der Praxis viel besser. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen einen Austausch, einen Austausch zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft – und umgekehrt. Dabei muss es gelingen – das ist richtig –, Interessenkollisionen oder den Anschein von Interessenkollisionen zu vermeiden. Die Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz gilt auch für Politiker. Dabei gibt es zahlreiche Fallgestaltungen. Wir sprechen hier fast ausschließlich vom Wechsel aus der Politik in Unternehmen: große Unternehmen, börsennotierte Unternehmen, private Unternehmen oder staatseigene Unternehmen. Aber auch andere Fälle sind denkbar. Was ist beispielsweise mit dem Gewerkschaftsvorsitzenden, der Arbeitsminister oder Staatssekretär wird und anschließend das Angebot bekommt, in seiner Gewerkschaft wieder an höchster Stelle einzusteigen? Was ist beispielsweise mit dem Anwalt aus einer großen Anwaltspraxis, der nach Beendigung seines politischen Amtes wieder in seine Kanzlei einsteigen will und große Unternehmen, Institutionen aus dem Sozialbereich oder was auch immer berät? Ich will damit nur zeigen, dass das Spektrum schon ein relativ großes ist. Es gibt darüber hinaus Wechsel, die wir politisch begrüßen, weil sie unserem Land nützlich sind. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn zum Beispiel?) Man könnte viele Fälle aufzeigen. Es handelt sich um Wechsel in Institutionen der unterschiedlichsten Art. Ich will nur die Spannbreite zeigen, über die wir hier sprechen. Lassen Sie mich deswegen abschließend sagen: Wir dürfen einen Wechsel nicht so erschweren, dass er in der Lebenswirklichkeit sowie in der wirtschaftlichen und politischen Praxis im Grunde fast gar nicht mehr möglich ist. Das tut auch der Politik nicht gut. Wir wollen nicht, dass eine Entscheidung für die Politik immer eine Entscheidung zum lebenslangen Berufspolitiker ist. Das kann es nicht sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das liegt auch nicht in unserem Interesse. Deswegen wird die Bundesregierung eine angemessene und handhabbare Lösung zu diesem Thema finden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Kaster. – Als Nächste spricht zu uns Halina Wawzyniak für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In den heute vorliegenden Anträgen geht es um Karenzzeiten für ausscheidende Regierungsmitglieder. Wir sprechen nicht über ausscheidende Abgeordnete. Das kommt in der Debatte manchmal durcheinander. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Karenzzeit meint, dass zwischen dem Ausscheiden eines Regierungsmitglieds und dem Wechsel in ein privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen eine gewisse Zeit liegen soll. Das heißt, es soll nicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang gewechselt werden. Dass das Problem existiert, hat die Koalition erkannt. Sie hat es im Koalitionsvertrag erwähnt – ich zitiere –: Um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden, streben wir für ausscheidende Kabinettsmitglieder, Parlamentarische Staatssekretärinnen und Staatssekretäre und politische Beamtinnen und Beamte eine angemessene Regelung an. Herzlichen Glückwunsch, dieses Problem haben Sie schon einmal erkannt. Sie müssen es jetzt noch lösen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Problem sind Interessenkonflikte. Das Problem ist der Verdacht, dass Amtsträger Insiderwissen aus der Regierungstätigkeit nachträglich für sich selbst und natürlich auch für das privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen nutzen. Ein unmittelbarer Wechsel nach dem Ausscheiden aus dem Regierungsamt bedeutet immer auch, dass Zweifel entstehen, ob das Amt vorher frei von wirtschaftlichen Interessen ausgeübt worden ist, und solche Zweifel schaden der Demokratie. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn das Vertrauen in die Unabhängigkeit politischer Entscheidungsprozesse sinkt, dann haben wir alle ein Problem. Deshalb bedarf es einer gesetzlichen Regelung einer Karenzzeit; denn nur diese ist verbindlich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein Wechsel in ein privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen unmittelbar nach dem Ausscheiden aus dem Amt weckt immer Misstrauen, Misstrauen – ich wiederhole mich, aber das ist der Kern der Debatte –, dass vorherige Entscheidungen im Amt allein oder vorwiegend im Hinblick auf die eigene Zukunft oder den zukünftigen Arbeitgeber getroffen wurden. Deshalb hilft nichts anderes als eine gesetzliche Karenzzeitregelung. Um es einmal klar und deutlich zu sagen: Wenn ein Minister vor seinem Amtsantritt beispielsweise Lokführer bei der Deutschen Bahn gewesen wäre und nach seinem Amt in seinen Job als Lokführer zurückkehren würde, würden die Bahnen vermutlich nicht pünktlicher ankommen, aber jegliche Affäre wäre beendet. (Beifall bei der LINKEN) Das war aber wohl nicht gemeint, als Innenminister Schily – ich muss kurz abweichen – und die Deutsche Bahn AG Anfang der 2000er-Jahre das Personalaustauschprogramm Seitenwechsel auf den Weg gebracht haben, welches uns sogenannte Leihbeamte bescherte. Nach einem Bericht an den Haushaltsausschuss vom 30. September 2013 befinden sich noch immer 39 Leihbeamte in Ministerien. Beenden Sie von der Großen Koalition einfach diesen Zustand! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Große Koalition will jetzt also eine Regelung schaffen. Presseberichten zufolge – das ist hier schon erwähnt worden – soll das im Rahmen eines Kabinettsbeschlusses geschehen. Ich finde, jetzt fehlt nur noch eines: Sie müssten sagen: Niemand hat die Absicht, unmittelbar nach dem Ausscheiden aus dem Amt in ein privatwirtschaftliches Unternehmen zu wechseln. Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort. Ich wiederhole: mein Ehrenwort! (Beifall bei der LINKEN) Sie streiten sich jetzt noch – das geht aus der medialen Berichterstattung hervor – über die Karenzzeit, während der ein Wechsel nicht stattfinden soll. Man hört einmal von sechs Monaten und einmal von achtzehn Monaten. Der Kompromiss könnten zwölf Monate sein. Ich frage mich, wie Sie das machen wollen. Wollen Sie würfeln? Wollen Sie Lose ziehen? Wollen Sie Flaschen drehen? (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Flaschen drehen“! Sehr gut!) All diese Zahlen sind doch willkürlich gewählt und kein objektiver Maßstab. Für eine gesetzliche Regelung zu Karenzzeiten ist aber ein objektiver Maßstab notwendig. Eine Karenzzeit stellt im Übrigen immer eine Einschränkung der Berufsfreiheit dar. Diese Einschränkung muss mit dem berechtigten Interesse, die Verquickung von Wirtschaft und Politik auszuschließen und die Mitnahme von Insiderwissen zu unterbinden, in Einklang gebracht werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dieses berechtigte Interesse rechtfertigt die Einschränkung der Berufsfreiheit. Das macht die Einschränkung der Berufsfreiheit angemessen und erforderlich. Angemessen, erforderlich und vor allem aber verhältnismäßig ist aus der Sicht meiner Fraktion eine Karenzzeit, die sich an der Dauer des Regierungsamtes, dem sich daraus ergebenden zeitlichen Anspruch auf Übergangsgeld und der Ressortzuständigkeit orientiert. Wir lösen das Problem konsequent und juristisch sauber. (Beifall bei der LINKEN) Wir werben für unseren Vorschlag einer Karenzzeitregelung für ausscheidende Regierungsmitglieder, weil wir finden, dass dieser Vorschlag angemessen, erforderlich und verhältnismäßig ist. Das sind drei Dinge auf einmal, und das gibt es nicht immer. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Wawzyniak. – Als Nächsten rufe ich Mahmut Özdemir für die SPD auf. (Beifall bei der SPD) Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann an dieser Stelle nur mutmaßen, warum die Kolleginnen und Kollegen von Linken und Grünen die beiden Anträge eingebracht haben, die sich darin erschöpfen, einen Grundkonsens aus dem SPD-Wahlprogramm und dem Koalitionsvertrag, (Lachen des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) zugegebenermaßen mit einer erweiterten Begründung, zu wiederholen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie zu! Das ist gut! Dann haben wir die Mehrheit!) Wenn aktuell medial präsente Einzelfälle diese Debatte auch beeinflusst haben mögen, so sind wir klug beraten, alle Belange ohne Hektik abzuwägen. Organisationen wie Transparency International und LobbyControl weisen hier bereits in die richtige Richtung und zeigen beispielsweise auch die Defizite eines EU-Modells zu Karenzzeiten bei der Kommission auf. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Insoweit stelle ich hier in diesem Hause einen Grundkonsens für Karenzzeiten fest und freue mich, dass Sie diesen Weg mit Ihren Anträgen begleiten wollen. Die Diskussion über Karenzzeiten für ausgeschiedene Regierungsmitglieder – Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierungen sowie Parlamentarische und hauptamtliche Staatssekretäre beziehe ich mit dieser Formulierung bewusst ein – mutet simpel an. Der tatbestandliche Kern wird aber verborgen: zwischen der Berufsfreiheit – hier geht es um ein Freiheitsrecht –, dem Selbstschutz, der Integrität des Regierungshandelns und der Vertraulichkeit und Beeinflussbarkeit parlamentarischer Prozesse des Deutschen Bundestages bis in die Landtage hinein. Mit der Karenzzeit wird daher das Ziel verfolgt, dass Kompetenzen, Erfahrungen und vor allem auch Netzwerke und Kontakte, die auf Kosten des Steuerzahlers erworben worden sind, nicht unmittelbar gewinnbringend in die private Wirtschaft eingebracht werden. Das wollen wir verhindern, damit der Staat keinen Schaden nimmt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]) Die private Wirtschaft hat die Gefahr des Wechsels zur Konkurrenz im weitesten Sinne früh erkannt und Vorkehrungen getroffen. Private Arbeitgeber lassen beispielsweise im Konkurrenzfalle Auszubildende bis hin zu leitenden Angestellten nicht ohne Weiteres ziehen und knüpfen an einen Wechsel auch eine Entschädigungspflicht im privatwirtschaftlichen Sinne an. Aber ob nun zwischen der Politik und der Privatwirtschaft ein Konkurrenzverhältnis besteht, ist nicht die eigentliche Frage. Vielmehr geht es darum, ob periodisch ministeriale Hoheitskenntnisse und -fähigkeiten sprichwörtlich eingekauft und verkauft werden können. Da blendet die Farbenpracht das Auge bei den Linken und den Grünen. Bei der Dauer von gesetzlichen Veränderungen haben diese überlegenen Sachkenntnisse eben eine erhebliche Halbwertszeit. Der Tatbestand, wie ich eingangs formulierte, suggeriert, dass man eine gesetzliche Regelung schon im Hinterkopf hat. Diesem Eindruck möchte ich persönlich widersprechen, weil ich folgenden Widerspruch nicht aufzulösen vermag. Wenn ein Unternehmensvorstandsmitglied in die Spitze des Wirtschaftsministeriums, ein Gewerkschaftsfunktionär in die Spitze des Arbeitsministeriums wechseln könnte und beide dabei nur arbeitsvertragliche Fristen zu berücksichtigen hätten, dann aber aufgrund einer Karenzzeit nicht unmittelbar in ihre ursprünglichen Tätigkeiten zurückkehren könnten, so wäre es im Nebeneffekt potenziert, dass ein Minister- oder Staatssekretärsamt vorübergehend berufliche Perspektiven jenseits der Politik verbaut. Im Ergebnis schmälert dies auch die Attraktivität von Regierungsämtern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Attraktive Stellenangebote haben nun einmal nicht Bewerbungsfristen von mindestens drei bis fünf Jahren im Falle eines freiwilligen oder unfreiwilligen Ausscheidens aus der Regierung. (Zurufe von der LINKEN) – Ich habe Ihnen auch zugehört. – Darüber hinaus führt diese Debatte um Karenzzeiten, wie sie die Fraktionen von Linken und Grünen überspitzt formulieren, in der Konsequenz zu einem völlig realitätsfremden Bild. Eine Karenzzeit ist kein Sprech- oder Handlungsverbot für ein ausgeschiedenes Regierungsmitglied. Langfristige Fernwirkungen eines Regierungsamtes sind niemals völlig auszuschließen, erst recht nicht durch eine überlange Karenzzeit, die im Zweifel genau das Gegenteil bewirkt. Wohl aber können wir kurzfristige Verquickungen in laufenden Gesetzgebungsverfahren, die eine Beeinflussbarkeit politischer Prozesse von Bundesregierung und Bundestag betreffen, in personeller und sachlicher Hinsicht kappen. Dies führt uns zu der Frage, was unmittelbar eigentlich in zeitlicher Dimension auf die Interessenverpflichtung deutet; denn unabhängig davon, über welche Mindestdauer wir hier reden – wir sind hier an dieser Stelle nicht auf einem Basar –, sprechen wir darüber, dass am Ende der Steuerzahler für eine solche Entschädigungspflicht aufkommt. Gerade deshalb mahne ich hier zu mehr Verantwortungsbewusstsein in der Debatte. Wenn die Antragsteller die Einzelfälle emotional für eine gesellschaftliche Akzeptanz zu nutzen versuchen, um sich gegenseitig in der Dauer der Karenzzeit zu überbieten, wenn man glaubt, mit einer stetig erhöhten Dauer der Karenzzeit Wählerstimmen zu fangen, verliert man an dieser Stelle die Bodenhaftung; denn: „Selbst der Gerechte wird ungerecht, wenn er selbstgerecht wird.“ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sinn und Zweck ist der Schutz der Würde der Regierung insgesamt, der Schutz des Bundestages selbst, aber grundsätzlich auch der Schutz der gesellschaftlichen Akzeptanz eines interdisziplinären Wechsels zwischen Politik und Wirtschaft. Da bin ich froh, dass beide Antragsteller das nicht bestreiten und dass hierüber Konsens besteht. Wir Sozialdemokraten haben dies in den Koalitionsverhandlungen sehr deutlich gemacht und auch durchgesetzt. Nun ist ein gemeinsamer Weg möglich, und die Regierungsfraktionen, aber auch alle anderen Fraktionen in diesem Haus sind aufgerufen, eine konstruktive Lösung zu finden. Neben der zeitlichen Dimension gibt es allerdings – jetzt wird es dröge – auch eine sachliche Dimension. Beides ist aus meiner Sicht nur einvernehmlich regelbar. Sofern man einen Bezug zwischen Regierungsamt und ausgeübter Tätigkeit in der Privatwirtschaft verlangt, um eine Interessenverflechtung nachzuweisen, besteht das Problem der Grauzone jenseits von eindeutigen Sachverhalten. Erlauben Sie mir an dieser Stelle ein Gedankenspiel – der Gesundheitsminister ist nicht da, da kann man das Beispiel bringen –: Wenn der Gesundheitsminister in die Automobilindustrie wechseln wollen würde, dann wäre dieser Wechsel als so abwegig gekennzeichnet, dass nach ebenjener Verflechtung schon krampfhaft gesucht werden müsste. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zurück zur Sachlage. Ein beschränktes Berufsverbot wäre demnach in seiner sachlichen Komponente permanentem Streit unterworfen und würde je nach Ministeriumszuschnitt eine potenzielle Ungleichbehandlung der Regierungsämter unter sich bedeuten. Das andere Extrem mit einer zeitlichen Beschränkung, aber einem umfassenden sachlichen Verbot in jeglicher Hinsicht wäre aus Sicht der Gleichbehandlung von Regierungsämtern und Zuschnitten denkbar, aber formulieren Sie mir an dieser Stelle einmal das Gesetz. Da bin ich sehr gespannt, ob Sie das juristisch sauber hinbekommen. (Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen Sie, wenn wir regieren!) Jetzt differenziere ich für Sie noch eine Ebene. Geht man noch eine Differenzierungsebene tiefer und knüpft an konkrete Sachzuständigkeiten an und erhebt dies zum Ausgangspunkt der vorübergehenden Beschränkung der Berufsfreiheit, so mag dies nach einem belastbaren Kriterium klingen. Aber der Vorwurf, dass eine ministerielle Befassung des Betroffenen nicht vorlag, wird angesichts von Dienstbesprechungen und Kabinettssitzungen niemals völlig zu entkräften sein, weil im Mindestmaß die Kenntnis nicht auszuschließen sein wird. Die fehlende Paraphierung eines Vorgangs durch den Betroffenen würde niemals die politische – nicht die juristische – Unschuldsvermutung an dieser Stelle aufheben. Damit hätten wir eine Generalklausel für künftige Streitgespräche an einer Stelle hineinformuliert, wo wir Verbindlichkeit herstellen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Gerade dies zeigt, dass es leichter ist, diesen Gesetzentwurf zu fordern, als ihn vorzulegen. Wenn man ihn schon fordert, dann muss man die Gewissheit haben, dass der Komplex zuverlässig regelbar ist. Ohne eine abschließende Bewertung an dieser Stelle vorzunehmen: Das Panorama zeigt, dass eine tiefgründige Sacharbeit unerlässlich ist, um die Karenzzeiten vernünftig und machbar einzuführen. Genau hierzu lade ich im Namen der Regierungsfraktionen die Antragsteller herzlich ein. Die Debatte hier und heute nehme ich persönlich als notwendige und wichtige Gelegenheit, die äußeren Pole des Komplexes zu definieren. Wir sollten antreten, eine effektive und pragmatische Lösung zu finden, die regelungstechnisch zunächst bei der Selbstverpflichtung ansetzen könnte. Damit plädiere ich darüber hinaus für einen verbindlichen Lösungsansatz, der den Grundkonsens in diesem Hause einstimmig fixiert und darüber hinaus nicht unbedingt konsensfähige Punkte im Rahmen eines Ehrenkodexes bzw. Verhaltenskodexes – dazu sind wir für Gespräche offen – konkretisieren kann. Aber eine verbindliche Regelung für Karenzzeiten ist – daran besteht kein Zweifel – dringend geboten. Die konkrete Frage in sachlicher Hinsicht, ob und wieweit ein fachübergreifender oder fachinterner Wechsel von Politik in Wirtschaft vorliegt, wird allerdings stets eine Einzelfallbewertung bleiben. Dabei möchte ich diese Einzelfallbewertung aber stets der parlamentarischen Kontrolle unterworfen wissen. Schon jetzt gilt § 5 Abs. 1 Satz 2 Bundesministergesetz, der den Bundestag beispielsweise bei der Vereinbarkeit von Regierungsamt und Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat zum Souverän macht. Diese Prägung von Parlamentarismus könnten wir bereichernd in die Beratungen einbringen. Ich fasse zusammen: Die SPD und die übrigen Partner der Regierungskoalition werden den Koalitionsvertrag an dieser Stelle umsetzen und zügig Karenzzeiten einführen. An dieser Stelle ist die Regierung gefordert. Dabei geht es schließlich nicht nur um die Würde von Regierungsämtern, sondern auch um die Integrität des politischen Systems in Deutschland. Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit. Im Ruhrgebiet sagt man auch: Ein herzliches Glückauf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede. Sie haben gesagt: „Jetzt wird es dröge.“ Ehrlich gesagt, ich fand es nicht dröge. Ich fand es ziemlich pfiffig und einladend zu einer lebhaften Debatte und Auseinandersetzung. Ich gratuliere Ihnen sehr zu diesem Einstieg. (Beifall) Als nächsten Redner rufe ich auf Dr. Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, Ihre Argumentationsweise ist höchst widersprüchlich. Auf der einen Seite sagen Sie, Sie wollen am gesetzlichen Status quo nichts ändern. Auf der anderen Seite wird in den letzten Tagen immer wieder an Vorgänge von vor zehn Jahren, an Joschka Fischer und Matthias Berninger, erinnert, die offensichtlich vielen noch lebhaft vor Augen stehen. Wenn es um die Kollegen von Klaeden, Fahrenschon und Pofalla geht, dann ist das alles für Sie kein Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. Wenn es um Gerhard Schröder und Kurt Beck geht, echauffieren Sie sich öffentlich und medial ohne Ende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das ist widersprüchlich und trägt argumentativ nicht. Sie offenbaren damit selbst: Wir brauchen eine solche Regelung. Herr Kollege Özdemir, herzlichen Glückwunsch auch von mir zu Ihrer ersten Rede! Wenn das alles im SPD-Wahlprogramm steht, ist das eine feine Sache. Aber jetzt regieren Sie, und jetzt müssen Sie umsetzen, was Sie ins Wahlprogramm geschrieben und den Menschen versprochen haben. Kaum dass Sie zwei Monate regieren – auf der landespolitischen Ebene wird von Herrn Stegner noch die große Rhetorik angewandt –, sind Sie hier wachsweich und fordern auf einmal Selbstverpflichtungsregelungen. Das ist inkonsequent. So geht es nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ihr habt lange nicht mehr regiert!) Dass wir eine Regelung brauchen, zeigt auch die Kanzlerin. Sie lässt verbreiten, sie selbst habe ihrem Kanzleramtsminister eine Zeit im Abklingbecken empfohlen. Aber er hält sich halt nicht daran. Ihr engster Vertrauter hört nicht auf die Kanzlerin. Daran sehen Sie, wo Sie mit Ihren Selbstverpflichtungen landen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Nummer „Pofalla selbstverpflichtet Pofalla“ oder, um es für Sie ein bisschen anschaulicher zu machen, „Gerhard Schröder selbstverpflichtet Gerhard Schröder“ funktioniert nicht. Deswegen brauchen wir eine gesetzliche Regelung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das Grundproblem der Debatte ist der böse Schein, den solche direkten Wechsel erzeugen. Uns geht es nicht darum, den Wechsel aus einer Regierungsfunktion in die Privatwirtschaft grundsätzlich zu verhindern, schon gar nicht dauerhaft. Um es für uns Grüne noch einmal glasklar zu sagen: Natürlich muss ein Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft möglich sein, insbesondere wenn man nicht will, dass jemand, der einmal Politik macht, immer Politik machen muss. Aber ohne eine entsprechende Regelung – das zeigt doch nun die seit Wochen anhaltende Debatte über den Kollegen Pofalla – nimmt die Glaubwürdigkeit unseres politischen Systems, unserer Demokratie Schaden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Uns geht es darum, für den Fall eines von einem unabhängigen Gremium festgestellten Interessenkonflikts eine Übergangsfrist zu schaffen, die diesen bösen Schein abwendet und dafür sorgt, dass Politik und Wirtschaft nicht in Misskredit geraten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hören Sie endlich auf, diese Diskussion mit Nestbeschmutzeranfeindungen zu führen! Diejenigen, die ein offensichtliches gesellschaftliches Problem ansprechen, sind nicht die Urheber. Die schärfsten Töne in dieser Debatte kommen aus der CDU, und zwar aus dem Kreisverband des Kollegen Pofalla, aus dem schönen Kleve. Das sind die Scharfmacher in der Debatte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es scheint also ein gesellschaftliches Problem zu geben. Noch ein Wort zu dem Vergleich mit Berufsverboten, den ich in den letzten Wochen so oft gehört habe. Wollen Sie ernsthaft behaupten, dass die heute bestehenden Regelungen im Beamtenrecht und im Handelsrecht Berufsverbote sind? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Berufsverbote haben Tausende Bürgerinnen und Bürger von ihrem Anspruch auf Aufnahme in den öffentlichen Dienst aus politischen und ideologischen Motiven dauerhaft ausgeschlossen. Bei den Karenzzeiten für ehemalige Regierungsmitglieder geht es darum, nur für den Fall eines unabhängig festgestellten Interessenkonflikts überschaubare Fristen zu schaffen, um einen Interessenkonflikt zu vermeiden. Ihr Vergleich ist zynisch, unsachlich, und ich weise ihn aufs Schärfste zurück. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, denken Sie ein bisschen an Ihre Redezeit. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Transparenzverpflichtungen, Karenzzeiten und klare Spielregeln sind schon heute internationaler Standard. Entsprechende gesetzliche Vorschläge liegen hier im Hause seit langem auf dem Tisch. Wir fordern Sie noch einmal auf: Beenden Sie den Zustand der Rechtsunsicherheit! Schaffen Sie endlich eine klare gesetzliche Regelung! Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Konstantin von Notz. – Als Nächstem erteile ich das Wort Dr. Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr von Notz, ich möchte Ihnen zunächst einmal empfehlen, ein Interview im Deutschlandfunk zu ebendiesem Thema und zur Causa Pofalla nachzulesen, gegeben von einer gewissen Autorität im deutschen Parlamentarismus, nämlich Heiner Geißler. Lesen Sie es einmal durch! (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe es sogar gehört!) Dann erkennen Sie, dass Sie mit Ihrer Rede das Thema völlig verfehlt haben. Sie wollen eine gesetzliche Regelung, fordern sie mit Inbrunst, unternehmen aber nicht den Hauch eines gedanklichen Ansatzes für den Wortlaut einer solchen gesetzlichen Regelung; denn Sie wissen, dass ein solcher Sachverhalt per Gesetz nicht regelbar ist. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist nicht einfach, aber ich habe Vertrauen in Sie!) Das heißt nicht, dass wir an dieser Stelle kein Problem haben können. Es ist durchaus denkbar, dass Missbrauch möglich ist und dass wir diesem Missbrauch vorbeugen müssen. Aber einer gesetzlichen Regelung ist dieser Sachverhalt kaum zugänglich. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Kühne These!) Warum? Sie sagen anlässlich des ins Gespräch gebrachten Wechsels von Kanzleramtsminister Pofalla zur Bahn, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität staatlichen Handelns sei in Gefahr. Kein Gesetz schützt einen Politiker, der einen solchen oder einen anderen Wechsel vorhat, vor Verleumdung, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Gott! Nicht auf dieser Ebene! Nicht auf diesem Niveau!) Neiddebatten und verwirrten Geistern, die alles durcheinanderbringen. (Beifall bei der CDU/CSU) – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: KV Kleve! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verwirrte Irrlichter!) Der Wechsel von einem Regierungsamt in ein Amt bei der Bahn ist ein Wechsel vom Bund zum Bund. Das ist überhaupt kein Wechsel. Man setzt sich in der Regierung für die Allgemeinheit ein, man setzt sich bei der Bahn für die Allgemeinheit ein, in einem speziellen Fall. (Widerspruch bei der LINKEN) Der Unterschied ist ein anderer. Das verstehen Sie von der Linken nicht. Da geht es um privatwirtschaftliche Strukturen. Das ist auch der Grund, warum die Linke eine grenzenlose Karenzzeit fordert. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie haben es nicht gelesen!) Die Linken laufen nämlich nicht Gefahr, irgendwann von irgendeinem Wirtschaftsunternehmen übernommen zu werden. Mit einem linken Vorstandsmitglied kann man ein Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht allenfalls möglichst zügig in den Konkurs führen, man kann aber nicht kreativ tätig sein. Vizepräsidentin Claudia Roth: Erlauben Sie eine Frage vom Kollegen von Notz? Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Nein, ich gehe gleich auf den Kollegen von Notz ein. Dann kann er seine Fragen sammeln, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Also keine Frage, gut. Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Ich möchte Sie von den Grünen ermahnen, (Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sich die Fälle auch in Ihrer Partei noch einmal vor Augen zu führen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind selbstkritisch, Herr Uhl!) Da gab es diesen bereits zitierten Parlamentarischen Staatssekretär Berninger, der unter anderem für gesunde Ernährung zuständig war. Er wechselte unmittelbar in den Vorstand des Nahrungsmittelkonzerns Mars. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat von Notz doch angesprochen!) Ich stelle anheim, ob wir das unter „gesunde Ernährung“ subsumieren sollten. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat damit nichts zu tun! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das jetzt von Pofalla und von Klaeden?) Ich habe hier eine Liste von allen grünen Politikern, die ich aber nicht alle der Reihe nach aufzählen will. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihre Art, Politik zu machen!) Wir hätten noch unseren Freund Rezzo Schlauch, seinerzeit eine Frohnatur im Deutschen Bundestag, der dann bei EnBW für sein persönliches Fortkommen gesorgt hat. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sorgen Sie für Klarheit, und machen Sie eine Regelung!) Ich meine, wir sollten in aller Ruhe die Fälle auseinanderhalten (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Mit „e“ oder mit „ä“?) und keinesfalls eine Neiddebatte führen, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat niemand gemacht!) von wegen „Es müssten hochdotierte Anschlussverwendungen verhindert werden“ – das ist eine Forderung, die ich bei Ihnen nachgelesen habe. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Haben Sie überhaupt die Anträge gelesen, Herr Uhl?) Es gibt Fälle, da wechselt ein Politiker in eine Nichtregierungsorganisation. Ist das schlimm? (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Uhl, wir reden von Regierungsmitgliedern!) Es gibt Fälle, da wechselt ein Politiker in eine Gewerkschaft oder kommt von derselben. Ihre Posten sind zum Teil hochdotiert, und diese Personen haben viele Aufsichtsratsmandate. Ist das schlimm? Es gibt Fälle, da wechselt ein Politiker in die Spitze der Caritas oder des Roten Kreuzes. Soll man hier mit Karenzzeiten arbeiten? Natürlich hat die Caritas neben dem gemeinnützigen Tätigkeitsfeld auch ein Tätigkeitsfeld mit Gewinnerzielungsabsicht, (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Darum geht es doch nicht!) und der Politiker setzt seine Arbeit in einem Dienstwagen mit Chauffeur fort wie zuvor als Minister. Ist das schlimm? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege Uhl, erlauben Sie eine Zwischenfrage – diesmal nicht von Herrn von Notz, sondern von Frau Haßelmann? Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Ja, gut. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, dass Sie die Frage gestatten. Das geht im Übrigen nicht von Ihrer Redezeit ab. Das sage ich für die Kolleginnen und Kollegen, die neu sind. Daher wundert es mich immer, wenn man keine Fragen zulässt. Ich möchte Sie zu Folgendem fragen: Sie haben eben gesagt, es gebe einen Wechsel vom Bund zum Bund. Deshalb sei das Ganze gar kein Problem. Sie wissen aber schon, dass uns im Parlament und insbesondere den Mitgliedern des Verkehrsausschusses sämtliche Auskunftsrechte, was die Deutsche Bahn AG angeht, verweigert werden, und zwar mit dem Hinweis darauf, dass die Bahn ein Konzernunternehmen, also ein ganz eigenständiges Unternehmen ist. Damit ist das kein Wechsel von der einen Seite der Regierungsbank auf die andere. Vom Bund zum Bund würde bedeuten, dass wir hier alle in einem Haus sind. Die Regeln für die Deutsche Bahn AG sind vollkommen klar. Die Deutsche Bahn AG ist ein Konzern, und wir als Deutscher Bundestag haben nicht einmal ausreichende Kontrollrechte, Eingriffsrechte und Informationsrechte. Das alles haben wir sogar rechtlich prüfen lassen. Deshalb stimmt doch Ihre Analyse an diesem Punkt nicht. Dazu möchte ich gerne von Ihnen eine Aussage haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Nähern Sie sich doch einmal dem Art. 87 e mit seinen fünf Absätzen in der Verfassung. Ich gebe zu, dass es ein komplexes Rechtsverhältnis ist, das zwischen der Bahn, Bereich Schiene, und der Bahn, Bereich Verkehr, besteht. In Abs. 3 steht, dass das Ganze privatwirtschaftlich organisiert wird, in Abs. 4 ist aber die Gemeinwohlabsicht dokumentiert. Das heißt, auch die privatwirtschaftlich organisierte Bahn darf sich nicht am Gemeinwohl vorbei entwickeln. Da ist es Ihre Aufgabe, im Verkehrsausschuss dafür zu sorgen, dass eine solche Fehlentwicklung verhindert wird. Deswegen habe ich Ihrem Kollegen von Notz empfohlen, das Interview mit Herrn Geißler zu lesen; (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe es gehört!) denn darin arbeitet er genau den Punkt heraus, der Ihnen am Herzen liegt. In diesem Interview wird der Vorgänger von Herrn Grube von Herrn Geißler gerügt, weil er das Allgemeinwohl der Deutschen, die mit der Bahn befördert werden wollen, aus dem Auge verloren habe und aus der Deutschen Bahn einen internationalen Logistikkonzern habe machen wollen. Das können Sie verhindern, wenn Sie im Verkehrsausschuss aufpassen, unter Bezug auf Art. 87 e Abs. 4 Grundgesetz. Ich gebe aber zu – ich gebe Ihnen recht –: Das Rechtsverhältnis ist kompliziert. Aber es muss möglich sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Grünen sagen, dass eine möglichst lange Karenzzeit das Problem löst. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen wir nicht! Nicht eine möglichst lange!) – Nicht, gut. Dann werden Sie sich dazu ja noch äußern können. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie unseren Antrag!) Wir haben gemeinsam – anscheinend auch die Grünen – das Ziel, dass ein Wechsel von der Wirtschaft in die Politik und umgekehrt möglich sein soll. Wenn Sie aber eine Karenzzeit durchsetzen – und zwar per Gesetz geregelt, abstrakt, generell; ohne vorher zu definieren, wo die Ausnahmen sein sollen; dazu habe ich von Ihnen überhaupt nichts gehört –, dann kommen wir in eine Situation, wo es einen Wechsel faktisch nicht mehr geben wird. Stellen Sie sich den Manager eines großen Konzerns vor, der von der Bundesregierung gebeten wird, für vielleicht vier Jahre ein Ministeramt zu übernehmen. Und jetzt soll ein Gesetz auf den Weg gebracht werden, in dem steht: Wenn die vier Jahre Ministerzeit vorbei sind, entscheidet über die Frage, ob dieser Manager in sein altes Unternehmen zurückkehren oder in ein anderes Unternehmen gehen kann, eine Ethikkommission. Sie soll darüber entscheiden, ob er seinen Beruf fortsetzen kann. Dieser Manager sagt: Ihr spinnt ja wohl. Ich mache für einen Bruchteil meines bisherigen Gehaltes für vier Jahre Dienst an der Allgemeinheit, weil ihr das so wünscht; ich bin bereit dazu – in Amerika gibt es ja die One Dollar Men –; aber nach vier Jahren bin ich nicht mehr Herr meines Berufslebens, sondern dann entscheidet eine Ethikkommission, die das Parlament einberufen hat. – Meine Damen und Herren, das ist doch grober Unfug. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muten Sie auch Beamten zu!) – Nein. Ich möchte, dass wir mehr Wechsel haben. Es wird doch immer wieder gerügt, dass dieses Parlament falsch zusammengesetzt sei. Da ist doch etwas dran. Es wird gerügt, dass zu viele Beamte, zu viele Juristen, zu wenig Sachverstand aus der Wirtschaft in diesem Parlament vertreten sind. (Beifall des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deswegen sollten wir darauf Wert legen, dass dieses Ziel nicht aus dem Auge verloren wird. (Beifall der Abg. Gisela Manderla [CDU/CSU]) Also werden wir versuchen, der Koalitionsvereinbarung gemäß eine Regelung zu finden, die keine gesetzliche Regelung, keine starre Regelung sein wird, die aber Missbrauch verhindern sollte, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Na, dann können Sie unserem Antrag ja auch zustimmen!) die soziale Kontrolle ausübt, mehr appellierenden Charakter hat, die aber die Vielfalt der Fälle im Auge hat und nicht starr und damit falsch regelt. Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Dr. Uhl. – Es gab gerade körpersprachlichen Protest von den Juristen hier im Haus, als Sie von mangelndem Sachverstand gesprochen haben. (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Ich bin doch selber Jurist!) – Ich gebe ja nur wieder, was ich hier gesehen habe. – Vielen Dank für Ihre Rede. Die nächste Rednerin ist Kollegin Sabine Leidig für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Kollegen Uhl sehr dankbar für diese Steilvorlage; denn ich möchte den speziellen Fall „Pofalla und die Deutsche Bahn“ hier kurz beleuchten. Er zeugt von einem – davon bin ich überzeugt – maroden Politikstil, von dem die Bürgerinnen und Bürger hierzulande zunehmend frustriert sind. (Beifall bei der LINKEN) Vorweg: Wir sind überhaupt nicht dagegen, dass Allgemeinwohlinteressen durch politische Einflussnahme auf Wirtschaftsunternehmen durchgesetzt werden. Dazu ist ein Parlament und dazu ist eine Regierung da. Das gilt natürlich erst recht für ein Unternehmen, das dem Bund gehört, aus Steuermitteln finanziert wird und öffentliche Aufgaben hat, wie es bei der Deutschen Bahn der Fall ist. Aber erstens muss darüber öffentlich beraten und diskutiert werden, die Entscheidungswege müssen transparent sein, und alle gesellschaftlichen Interessen müssen zum Tragen kommen. Zweitens muss in diesem speziellen Fall ein gutes Bahnangebot für alle das Ziel der politischen Einflussnahme sein. (Beifall bei der LINKEN) Zu beiden haben Frau Merkel und Herr Pofalla aber das Gegenteil getan. Ein Exempel dafür ist der unsinnige Tunnelbahnhof Stuttgart 21. Wir erinnern uns: Vor etwa einem Jahr musste man zugeben, dass der Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro um mindestens 2 Milliarden Euro überschritten wird. Ein internes Papier aus dem Verkehrsministerium bestätigte die vielen Zweifel, die längst existierten. Der Vorstand konnte die Wirtschaftlichkeit des Projektes nicht nachweisen. Die Projektpartner wollten keine zusätzlichen Kosten übernehmen. Eigentlich hätte der Aufsichtsrat, der die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu überwachen hat, den geordneten Ausstieg beschließen müssen. Aber es kam anders. Am 5. März entschied der Aufsichtsrat für den Weiterbau. Was war geschehen? Herr Pofalla hatte im Namen der Kanzlerin in Einzelgesprächen massiv auf die drei Staatssekretäre eingewirkt, die für den Bund im Aufsichtsrat der Bahn sitzen. Er hat sie damit zur Untreue an diesem öffentlichen Unternehmen angestiftet. Deshalb ist jetzt übrigens auch ein Strafantrag gegen ihn gestellt worden. Das alles geschah nur, weil die Kanzlerin auf keinen Fall im Wahljahr eine politische Niederlage einstecken wollte. Das ist der eigentliche Skandal. Pofalla wird wohl demnächst von der Bahn bestens bezahlt. Aber ein Lobbyist für den Schienenverkehr ist er nicht. Im Gegenteil: Die 6, 7 oder mehr Milliarden Euro, die bei Stuttgart 21 vergraben werden, fehlen ja für den Ausbau der Bahn in der Fläche. Nun wird gemutmaßt, dass der Vizekanzler, Herr Gabriel, die Kröte Pofalla schlucken wird, damit im Gegenzug ein Pöstchen von ihm zu besetzen wäre. Wenn es stimmt, dass dann Herr Großmann, der Duzfreund von Herrn Schröder, Atomenergieverfechter, Stahlbaron und ICE-Achsenmonopolist, zum Aufsichtsratsvorsitzenden der DB AG werden soll, dann wäre das ein genauso übles Treiben. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Wovon träumen Sie nachts?) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diesem Ansinnen einen Riegel vorzuschieben. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Denken Sie bitte an Ihre Redezeit, Frau Kollegin. Sabine Leidig (DIE LINKE): Ich komme zu meinem letzten Satz. – Wirklich nötig wäre etwas ganz anderes: dass die Zahlen und Pläne der Deutschen Bahn AG veröffentlicht werden, wie es in der Schweiz möglich ist, dass endlich Fahrgast- und Umweltverbände, Behindertenvertreter sowie Regionalbahnen die Ziele und Projekte der Deutschen Bahn bestimmen und daran beteiligt sind. Dieses Unternehmen gehört nämlich uns allen und darf kein machtpolitischer Spielball des Kanzleramtes bleiben. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin rufe ich Sonja Steffen für die SPD-Fraktion auf. (Beifall bei der SPD) Sonja Steffen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte anwesende Gäste! Damit die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ihr Mandat als Vertreter des gesamten Volkes vertrauensvoll ausüben können, müssen sie frei und unabhängig sein. Finanzielle Abhängigkeiten und Interessenkonflikte müssen erkennbar und kontrollierbar sein. Dies ist aber nur möglich, wenn die geschäftlichen Beziehungen und die beruflichen Tätigkeiten der Abgeordneten transparent sind. Nur so können wir das Vertrauen des Volkes in die freie Ausübung des Mandates gewinnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In der Vergangenheit sind schon sinnvolle Regelungen getroffen worden. Ich erinnere beispielsweise an die Regelung unter Rot-Grün aus dem Jahr 2005 in Bezug auf die Offenlegung von Nebeneinkünften. Es gibt allerdings noch viel Regelungsbedarf, zum Beispiel in Bezug auf die Abgeordnetenbestechung, aber auch in Bezug auf die Karenzzeiten für ehemalige Regierungsmitglieder. Die SPD hatte nicht nur in ihrem Regierungsprogramm – darauf hat Herr Özdemir schon hingewiesen – einen entsprechenden Verhaltenskodex vorgeschlagen, sondern auch in der letzten Legislaturperiode einen Antrag mit dem Titel „,Karenzzeit‘ für ehemalige Bundesminister und Parlamentarische Staatssekretäre in Anlehnung an EU-Recht einführen“ ins Parlament eingebracht, der genau dieses Problem zum Inhalt hatte. Wir haben damals gesetzliche Regelungen gefordert, die eine Karenzzeit vorsehen, und zwar in Anlehnung an die Vorschriften, die für die Europäische Kommission gelten. Wir haben darüber schon einiges gehört. Ich will dennoch kurz auf den Inhalt dieser Regelungen eingehen, weil wir uns damals auch darauf bezogen haben. Ein Verhaltenskodex verpflichtet die ehemaligen Kommissare dazu, bei der Aufnahme von Tätigkeiten nach Ende der Amtszeit „ehrenhaft und zurückhaltend“ zu sein. Die Tätigkeit ist der Kommission rechtzeitig zu melden. Darüber hinaus dürfen die ehemaligen Kommissare in der Übergangszeit keine Lobbyarbeit betreiben, die ihren ehemaligen Zuständigkeitsbereich betrifft. In strittigen Fällen entscheidet dann ein Ethik-Komitee, und über die Empfehlungen dieses Ethik-Gremiums wiederum entscheidet die Kommission. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klingt gut!) – Das klingt gut, ja. Übrigens widmet sich auch der Koalitionsvertrag diesem Problem, Herr von Notz. Wir sehen durchaus Handlungsbedarf. Im Koalitionsvertrag heißt es – es ist schon zitiert worden –: Um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden, streben wir … eine angemessene Regelung an. Sicherlich ist das eher allgemein gefasst. Wir fordern Sie dennoch auf, gemeinsam mit uns einen Konsens für eine vernünftige Regelung zu finden. In diesem Zusammenhang sind zwei wichtige Fragen zu klären. Die erste Frage ist: Wie grenzen wir eine angemessene Regelung von einem verfassungswidrigen Berufsverbot ab? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auf diese Frage darf es keine populistische Antwort geben, nach dem Motto „Drei bis fünf Jahre gesetzliches Berufsverbot für ausscheidende Regierungsmitglieder“. (Zuruf von der LINKEN: Wer macht denn das?) Vielmehr bedarf es einer verfassungskonformen Regelung. Vom Grundsatz her ist unser repräsentatives Demokratiemodell so ausgerichtet, dass ein politisches Mandat oder Amt nur für eine beschränkte Dauer ausgeübt wird; darauf hat der Kollege Kaster schon verwiesen. Die Arbeit hier im Parlament und auch in der Regierung ist kein Amt auf Lebenszeit. Es spielt keine Rolle, zumindest meistens, ob und über welche entsprechende Vorbildung wir verfügen. Jeder Ausscheidende ist selbst dafür verantwortlich, dass sein Berufsleben nach der Beendigung des zeitlich begrenzten Mandats weitergehen kann. Viele kehren zu ihrem alten Beruf zurück, und andere wenden sich neuen Aufgaben zu. Dabei muss es legitim sein, dass man sich Aufgaben widmet, die man während der Amtszeit fachpolitisch betreut hat. Wir haben hier schon einige Beispiele gehört. Ich möchte noch ein paar nennen, damit wir erkennen, welche Palette von Problemen wir zu bearbeiten haben. Ist es beispielsweise als Skandal zu bezeichnen, wenn sich eine Fachpolitikerin aus dem Bereich Familienpolitik nach Beendigung ihres Mandats im Bereich des Kinderschutzbundes engagiert? Ist es skandalös, wenn ein verdienter und erfahrener Sozialpolitiker nach seinem Ausscheiden für die Gewerkschaft arbeitet? Dieses Beispiel hatten wir schon. Wird es erst dann skandalös, wenn es sich um einen Unternehmensverband handelt? Ist es nicht legitim, wenn ein Staatssekretär der Bundesregierung als Landesminister seine politische Arbeit fortsetzt? Wo beginnt die Grenze des Klüngels, der dem Vertrauen des Volkes in die Politiker sehr schaden kann? Richtig: Nicht jeder Lobbyismus ist Teufelszeug. Ist die Grenze in jedem Fall überschritten, wenn ein Wechsel in den Lobbybereich der freien Wirtschaft erfolgt oder eine gewisse Gehaltsgrenze überschritten ist? Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kollegin Steffen, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage von der Kollegin Haßelmann zuzulassen? Sonja Steffen (SPD): Nein. – Auf jeden Fall ist die Grenze überschritten, wenn für ehemalige Berufspolitiker ein hochdotierter Posten in einem Wirtschaftsbereich zurechtgeklüngelt wird, den der Politiker während seiner Amtszeit betreut hat. Letztendlich kann man sich nur schwer eine Regelung vorstellen, die auf alle Fälle zutrifft; denn man kommt sehr schnell in den Bereich von verfassungswidrigen Berufsverboten. Ich sehe das ein Stück weit anders als Sie, Herr von Notz, weil alle Entscheidungen im Bereich des Arbeitsrechts und des Handelsrechts letztendlich ihren Ausgangspunkt in Art. 12 GG haben. Die Frage ist, ob in diesem Zusammenhang eine Entscheidung überhaupt möglich ist. Es darf also nicht darum gehen, den Wechsel aus der Politik in andere Tätigkeitsbereiche grundsätzlich zu untersagen, sondern nur dann, wenn schwerwiegende Interessenkonflikte vorliegen. Das ist dann der Fall, wenn durch die Ausübung der neuen Tätigkeit beispielsweise die Interessen der staatlichen Gewalt gefährdet sind oder wenn die konkrete Gefahr besteht, dass ein entscheidender Einfluss auf wichtige Personen in der Politik ausgeübt wird. Die zweite Frage, die gestellt werden muss, ist: Wie lange soll eine Karenzzeit für ehemalige Regierungsmitglieder sein? Sie von den Grünen fordern in Ihrem Antrag eine dreijährige Übergangsfrist. In unserem Antrag aus der letzten Legislaturperiode forderten wir eine Karenzzeit von 18 Monaten. Nach dem Vorschlag der Fraktion Die Linke soll sich die Karenzzeit an dem Zeitraum für die Gewährung des Übergangsgeldes orientieren. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Gute Idee!) Der Vorschlag ist in der Tat gar nicht so schlecht. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sage ich doch!) Darüber sollten wir reden – auf alle Fälle –, aber Sie von den Linken sollten sich schon einigen; Ihre Parteivorsitzende hat nämlich fünf Jahre Karenzzeit gefordert. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie hat dem Antrag zugestimmt!) Da ergibt sich schon ein großer Unterschied. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Kein Problem! Wir sind uns komplett einig!) Karenzzeiten sind mit Rücksicht auf das Grundrecht der Berufsfreiheit nur dann gerechtfertigt, wenn und solange sie notwendig sind, um das Parlament und die Regierung, aber auch die ausscheidenden Regierungsmitglieder in ihrem Ansehen zu schützen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Sie dürfen hingegen nicht eingesetzt werden, um das frühere Regierungsmitglied für eine berufliche Tätigkeit schlicht unbrauchbar zu machen. Bei einer Karenzzeit von drei oder gar fünf Jahren wird sich jeder, der an einem politischen Mandat interessiert ist, zukünftig sehr genau überlegen, ob er sich für die begrenzte Zeit des Mandats in die Politik begibt. Eine längere Übergangsfrist als 18 Monate halten wir vor diesem Hintergrund für verfassungsrechtlich bedenklich. Die Karenzzeit von 18 Monaten entspricht im Übrigen der Regelung auf der EU-Ebene; darauf hatte ich schon hingewiesen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut! Legen Sie ein Gesetz mit „18 Monate“ vor!) Ich hoffe auf einen breiten Dialog hier im Bundestag, weil das letztendlich jeden von uns einmal betreffen kann, und dass wir hier zu einem Konsens kommen und wirklich eine gute Lösung finden. Wir benötigen also möglichst zeitnah verbindliche Regelungen, die die Interessen unseres demokratischen Systems und des staatlichen Handelns ausreichend schützen, die aber auch das ausscheidende Regierungsmitglied nicht übermäßig einschränken. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank, Frau Kollegin Steffen. Jetzt hat der Kollege Helmut Brandt das Wort. – Entschuldigung; die Kollegin Haßelmann hatte gebeten, eine Kurzintervention machen zu dürfen. Helmut Brandt (CDU/CSU): Bitte schön. Ich ziehe mich zurück. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Aber nicht dauerhaft, oder?) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Danke, Herr Kollege Brandt. Nach der Kurzintervention haben Sie natürlich das Wort. – Bitte, Frau Haßelmann. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich habe eine Kurzintervention angemeldet, weil meine Frage nicht zugelassen wurde. – Vielen Dank, Herr Brandt, dass Sie sich kurzzeitig zurückziehen. Frau Steffen, Sie haben uns von den Grünen und unseren Antrag mehrfach angesprochen. Ich erwarte daher, dass Sie sich mit unserem Antrag auseinandersetzen. Sie haben mehrfach Beispiele genannt, in denen es um Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker ging, die zu Vereinen wechseln. Wir haben uns in unserem Antrag zu den Karenzzeiten auf Regierungsmitglieder sowie Staatssekretärinnen und Staatssekretäre bezogen. Wir haben auch nicht einfach irgendetwas formuliert, was irgendwelche Verbände vorschlagen, sondern wir beziehen uns auf § 105 des Bundesbeamtengesetzes. Man sollte sich einmal vor Augen führen, dass für Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte heute längst genau solche Regeln, und zwar sehr klar und sehr scharf formuliert, gelten. Das weiß jede Bundesbeamtin und jeder Bundesbeamte, die oder der nach Ausübung der Beamtentätigkeit etwas anderes machen will. Von daher bitte ich Sie, sich mit unserem konkreten Vorschlag der Bezugnahme auf dieses Gesetz auch einmal in der Sache auseinanderzusetzen. Wir haben nicht von Politikerinnen und Politikern geredet, die ausscheiden – das hat auch 18 Abgeordnete meiner Fraktion beim Wechsel von der 17. zur 18. Wahlperiode getroffen, die hoffentlich alle zeitnah eine neue Berufsperspektive finden –, sondern es geht um Interessenverflechtung und Interessenkonflikte, um die Ausübung einer neuen Tätigkeit von Regierungsmitgliedern sowie Staatssekretärinnen und Staatssekretären in der Wirtschaft. Da bitte ich Sie, dann auch einmal präzise zu sein und dazu zu argumentieren und nicht zu fragen, ob Politikerinnen und Politiker, die hier sitzen, woanders – eventuell ehrenamtlich – tätig sein dürfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt erhält die Kollegin Steffen die Möglichkeit zur Reaktion. Sonja Steffen (SPD): Frau Haßelmann, ich habe mich durchaus mit Ihrem Antrag auseinandergesetzt. Ich glaube, Sie nehmen Bezug auf mein Beispiel der verdienten Fachpolitikerin, die nachher beim Kinderschutzbund arbeitet. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Ich habe in dem Zusammenhang das Wort „Ehrenamt“ nicht erwähnt; aber darum geht es auch nicht. Es war eines von vielen Beispielen, um aufzuzeigen, wie schwierig es ist, eine Grenze zu ziehen: Bis wohin soll eine Tätigkeit erlaubt sein, auch ohne Geschmäckle, und wo fängt der Klüngel an? Das habe ich damit gemeint. Im Übrigen: Auch Staatssekretäre und Regierungsmitglieder sind natürlich Fachpolitiker. Insofern sollten Sie das jetzt nicht so auslegen, dass ich mit diesem Begriff nur die Abgeordneten gemeint hätte. Es war eines von vielen Beispielen, um zu zeigen, was man alles bei der Abfassung eines entsprechenden Gesetzes oder einer entsprechenden Regelung in die Überlegungen einbeziehen muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Brandt, jetzt haben Sie das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Helmut Brandt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Hier ist heute sehr viel – das ist der Ausgangspunkt der Debatte – über den Kollegen Ronald Pofalla gesprochen worden. Auch ich möchte das tun, Herr von Notz. Der Kreisverband Kleve fürchtet zu Recht, dass er einen erwiesenermaßen guten Abgeordneten verlieren könnte, wenn Herr Pofalla tatsächlich in die Privatwirtschaft wechselt. Auch ich persönlich tue das. Ich habe den Kollegen als jemanden kennengelernt – vom ersten Tag meines Abgeordnetendaseins an –, zu dem ich immer gehen konnte, der mich angehört hat, der mir Ratschläge gegeben hat. Das hat sich auch nicht geändert, als er als Staatsminister ins Kanzleramt gegangen ist. Man muss eine solche Persönlichkeit doch auch einmal positiv erwähnen dürfen, statt sie nur als negativen Ausgangspunkt für eine solche Debatte zu wählen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Haßelmann, Sie melden sich hier ja dauernd zu Wort. Sie haben mit Ihrer Rede den Ausgangspunkt dafür gesetzt, auf frühere Zeiten zurückzublicken. Wenn man Ihre Rede verfolgt hat, konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erst 2005 begonnen hat. Das ist aber nicht richtig. Wir hatten vor 2005 eine mehrjährige rot-grüne Mehrheit in diesem Hause, und ich habe nicht feststellen können, dass Sie sich in dieser Zeit dadurch ausgezeichnet hätten, die Anträge einzubringen, die Sie heute vorlegen. Das mag Gründe gehabt haben, die ich nicht kenne. Aber es wirft doch ein bezeichnendes Licht auf die Qualität dieser Debatte. Auf ausgeschiedene Regierungsmitglieder aus den eigenen Reihen lenkt man den Blick nicht, auf andere umso mehr. Insofern, Herr von Notz, habe ich auch eine ganz andere Wahrnehmung als Sie, wenn es darum geht, wann und von wem solche Debatten losgetreten werden. Ich habe eher den Eindruck, dass eine solche Debatte immer dann, wenn einmal Unionspolitiker von einem Regierungsamt in die Wirtschaft wechseln, hochgezogen wird. Ich will deshalb auch weder auf Herrn Fischer noch auf Herrn Berninger eingehen; das haben die Redner vor mir schon hinreichend getan. Aber eins ist mir wichtig – und das ist in der heutigen Debatte zum Glück auch von mehreren Kollegen angesprochen worden; ich danke insofern Herrn Kollegen Özdemir, aber auch Herrn Kaster und Herrn Uhl –: den Blick darauf zu werfen, dass es bei der Debatte und bei der Lösung des Problems – es ist sicherlich ein Problem – nicht nur darum geht, ob jemand aus der Regierung in die Wirtschaft wechselt, sondern auch um den Fall, dass jemand – ein Beispiel ist eben erwähnt worden; das hat es in unserer Geschichte schon gegeben – aus der Wirtschaft in ein Regierungsamt berufen wird. Soll man dann diesem Mann oder dieser Frau dann die Perspektive zumuten, nach wie viel Jahren auch immer beim Arbeitsamt vorstellig werden zu müssen, weil er oder sie keine Möglichkeit hat, in die Wirtschaft zurückzuwechseln, weil es eine wie auch immer geartete Karenzzeit gibt? Das ist nach meiner Auffassung, wenn man das Problem einmal vom Ende her betrachtet, ein Punkt, über den wir dringend reden müssen. Genauso müssen wir über die Frage – die auch schon angeklungen ist – sprechen, ob es einen Unterschied macht, ob jemand wie Herr Ernst, ehemaliger Parteivorsitzender der Linken, früher bei der Gewerkschaft tätig war oder ob jemand aus einem anderen Berufsverband kommt. Man kann nicht so handeln, dass dieser Umstand in einem Fall vernachlässigt wird und in einem anderen Fall skandalisiert wird. Wir in Deutschland haben dahin gehend bislang keine Regelung; das ist zutreffend und ist hier bereits gesagt worden. Deshalb hat man sich im Rahmen der Koalitionsverhandlungen auch damit beschäftigt. Es wäre sehr schwierig, es gesetzlich so zu regeln, ohne dass es nachher wieder zu Diskussionen kommt. Es ist schon auf die Regelungen, die es auf EU-Ebene gibt, hingewiesen worden. Wir haben in der Vergangenheit in Zeiten einer rot-grünen Regierung immer darauf Wert gelegt, deutlich zu machen: Karenzzeit ist ein heikles Thema; denn sie schafft mehr Ungerechtigkeiten als tatsächlich Klarheit. Der Hauptgrund war und ist, dass das Amt als Mitglied der Bundesregierung – anders als das viel erwähnte Beamtenverhältnis – eben nur eine befristete Tätigkeit ist. Folgendes muss ich für die Zuhörerinnen und Zuhörer sagen, da es in der Bevölkerung manchmal falsch gesehen wird: Jemand, der ein Ministeramt innehat, hat keinen Ruhegeldanspruch ab dem Tag, an dem er ausscheidet. Das ist erst dann der Fall, wenn er 65 Jahre und älter ist. Das heißt, er muss doch dafür Sorge tragen können, dass er nach dem Ausscheiden seinen Lebensunterhalt entsprechend verdienen kann. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Er kriegt doch Übergangsgeld!) – Das Übergangsgeld ist auch nicht die Lösung. Darüber werden wir aber vielleicht im Einzelnen noch zu reden haben. Um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden, haben wir – ich habe es gerade schon gesagt – im Koalitionsvertrag vereinbart, dass für ausscheidende Kabinettsmitglieder, Parlamentarische Staatssekretäre und politische Beamte eine angemessene Regelung angestrebt wird. Wie groß die Probleme sind, haben wir heute hier im Ansatz bereits diskutiert. Das werden wir in den nächsten Monaten sicherlich auch noch weiterdiskutieren. Die Regierung ist hier aufgefordert und arbeitet sicherlich auch schon daran, eine Regelung zu finden und vorzuschlagen, die dann auch unsere Zustimmung findet. Das sollten wir abwarten. Es gibt überhaupt keinen Grund, diese Debatte, wenige Wochen nachdem sich die Regierung gebildet hat und dies im Koalitionsvertrag festgelegt worden ist, loszutreten. Die Antragssteller hatten dabei nur eines im Sinn: etwas zu skandalisieren, was keinen Skandal darstellt. Da kann ich auf die Ausführungen des Kollegen Dr. Uhl verweisen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte noch einmal – Herr Özdemir hat es zu Recht getan – Art. 12 unseres Grundgesetzes, die Berufsfreiheit, ansprechen. Das ist nämlich etwas, was hier nicht hinreichend gesehen wird. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!) Ausgerechnet die, die in der Vergangenheit immer gegen vermeintliche Berufsverbote waren, wollen jetzt eine Regelung Platz greifen lassen, die ein echtes Berufsverbot darstellt. Denn wenn jemand, der nur kurzfristig ein Regierungsamt innehatte, den Beruf, den er früher über Jahre hinweg ausgeübt hat, nicht wieder ergreifen darf, dann ist das ein klassisches Berufsverbot. Das wird unsere Zustimmung nie finden. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Einmal überlegen, dann reden! Das würde helfen!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat der Kollege Armin Schuster das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Vielleicht ist es für Sie spannend, wenn ich Ihnen sage: Ich versuche eine Rede zu halten, ohne den Namen eines sehr verdienten nordrhein-westfälischen Bundestagskollegen zu nennen. Denn ich glaube, dass das gar nicht der Sinn dieser Debatte ist. Herr Dr. Uhl, ich bin sehr froh, dass hier Rechtsanwälte neben Ärzten, Gewerkschaftsvertreter neben Beamten und Vertreter der Wirtschaft ihrerseits neben Gewerkschaftern sitzen. Das ist genau der vielfältige Austausch, den ich mir wünsche. Das sollte möglichst so weitergehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Frau Wawzyniak, da sich unsere Regierungsvertreter aus diesen Menschen hier rekrutieren, müssen wir an dieser Stelle über Parlamentarier reden, die keine dauerhafte Funktion haben und auch nicht haben sollen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist richtig! Da sind wir einer Meinung!) Ich kam selber erst vor fünf Jahren mitten aus dem Leben hierher. Ich finde das sehr spannend, möchte aber nicht in eine Einbahnstraße oder Sackgasse geraten. Ein Zeitraum von vier Jahren, für den man vom Wähler legitimiert wird, ist sehr kurz, mir übrigens zu kurz, Herr Hartmann; darüber sollten wir noch einmal sprechen. Das gilt auch für Regierungsämter. Deshalb finde ich es äußerst legitim, dass sich ausscheidende Regierungsvertreter – zumeist vor dem 67. Lebensjahr – Gedanken über ihre Zukunft machen. Wahrscheinlich würde jeder Mitarbeiter einer Arbeitsagentur sagen: Wer nach einem politischen Mandat in eine lange Ruhephase geht, ist selber schuld. Bitte schnellen Anschluss finden! – Insofern muss die Politik dafür sorgen, dass flexible Menschen eine Tätigkeit in der Politik attraktiv finden und nicht das Gefühl bekommen, sie gerieten in eine Einbahnstraße oder gar Sackgasse. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aus meiner Sicht sind die beiden Anträge der Grünen und der Linken eine Navigation in genau diese Sackgasse. Mich stört nicht der Gedanke, dass wir etwas sensibel regeln sollten; aber die hohen Mauern, die Sie hier aufbauen, stören mich ganz gewaltig. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Welche „hohen Mauern“?) Union und SPD haben längst erkannt, übrigens ohne ein aktuelles Problem und ohne Anträge von Grünen und Linken, dass es angemessene Regelungen braucht. Deshalb steht es im Koalitionsvertrag, und deshalb wird die Regierung das jetzt angehen. Das ist nun Sache der Regierung. (Zuruf von der LINKEN: Nein!) Ich möchte einen verdienten hessischen Kollegen zitieren, der sagte: Daraus ein Gesetz zu machen, ist blanker Unsinn. – Dem ist nichts hinzuzufügen. Was hier veranstaltet wird, meine Damen und Herren, ist Hysterie. Ich spreche immer, wenn es um Transparenz und Lobbyismus und so etwas geht, meistens zusammen mit Kollegen Hartmann, und sage immer das Gleiche: Wir schädigen unseren Ruf fortgesetzt selbst, wenn wir nicht aufhören, zu skandalisieren. Sie werden nicht erleben, dass ich das Verhalten von Joschka Fischer oder das Verhalten eines Ex-Kanzlers skandalisiere, auch wenn das Unternehmen, für das er arbeitet, ein bisschen zweifelhaft ist; er hat einen Weg gewählt, und ich finde das okay. Ich möchte aber sagen – das ist ein Argument, das vielleicht noch nicht gebracht wurde –: Unternehmen leiden aus meiner Sicht – ich traue mich mal, das zu sagen – an einem gehörigen Defizit an gesellschaftspolitischer Kompetenz jenseits betriebswirtschaftlicher Erwägungen. Die Bundesregierung hat deshalb 2010 einen Aktionsplan CSR – Corporate Social Responsibility – ins Leben gerufen, um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen zu fördern. Ich sehe es positiv, dass es mittlerweile mehr Unternehmen gibt, die diesen Weg gehen und die nicht ausschließlich Politikprofis für Political-Affairs-Aktivitäten suchen. Es geht ihnen vielmehr darum, mehr sozial-, gesellschafts- und umweltpolitische Kompetenz in ihre Unternehmen zu transferieren. Das ist gut und dringend notwendig. Jetzt möchte ich Ihnen ein Beispiel dafür nennen. Die Deutsche Bahn AG, die heute schon öfter angesprochen wurde, beobachte ich aus bestimmten Gründen sehr genau. Die neue Unternehmensleitung unter Herrn Dr. Grube verfolgt intensiv das Ziel, die gesellschaftspolitische Kompetenz des Unternehmens zu erweitern. Aufgrund der Erfahrung in meinem Wahlkreis weiß ich – ich habe mit dem Ausbau der Rheintalbahn als Teil des Korridors Rotterdam–Genua ein Großprojekt in meinem Wahlkreis –: Es gibt sehr geschätzte ehemalige Kollegen, ohne deren sensibles politisches Gespür – sie arbeiten heute für die Deutsche Bahn AG – es niemals möglich gewesen wäre, Entscheidungen im Sinne unserer Region, der Bürger und der Gemeinden zu treffen. Insofern glaube ich, dass die Menschen, die den Weg aus der Politik in die Wirtschaft gehen, im Hinblick auf das Verständnis politischer Entscheidungsprozesse, die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger und das Interesse des Gemeinwohls eine neue Qualität schaffen. (Beifall des Abg. Bernhard Kaster [CDU/CSU]) Deshalb halte ich dieses Engagement trotz der vorhandenen betriebswirtschaftlichen Kompetenzen in diesem Unternehmen für einen echten Gewinn. Das Thema wird durch die Bundesregierung geregelt werden; so steht es im Koalitionsvertrag. Insofern hätten wir hier gar nicht diskutieren müssen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um eine gesetzliche Regelung!) Ich sehe, dass in der Bundesregierung durchaus eine Sensibilität hierfür vorhanden ist; wir haben es schon im Koalitionsvertrag festgestellt. Deshalb glaube ich, dass wir, wenn die Regelung vorliegt, genau das erreichen, Herr Hartmann, was wir beamtenpolitisch schon lange gemeinsam als Ziel haben: einen flexibleren Austausch zwischen Wirtschaft und Verwaltung. Diesbezüglich ist uns schon einiges gelungen. Diese Arbeit werden wir – hoffentlich – fortsetzen. Wir brauchen diesen flexibleren Umgang und dürfen ihn nicht verhindern, wie das die Grünen und die Linken mit ihren Anträgen erreichen wollen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na!) Ich glaube, dies tut Wirtschaft, Verwaltung, Politik und letztendlich auch den Menschen in diesem Land gut. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/292 und 18/285 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 j auf: 18 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährung einer Umverteilungsprämie 2014 (Umverteilungsprämiengesetz 2014 – UmvertPrämG 2014) Drucksache 18/282 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ZP 2 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Katja Kipping, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MinLohnG) Drucksache 18/6 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Tourismus Haushaltsauschuss b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung Drucksache 18/7 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsauschuss c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) Drucksache 18/52 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsauschuss d) Beratung des Entschließungsantrags der Fraktion DIE LINKE zu der vereinbarten Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA und den Auswirkungen auf Deutschland und die transatlantischen Beziehungen Drucksache 18/56 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsauschuss e) Beratung des Entschließungsantrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der vereinbarten Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA und den Auswirkungen auf Deutschland und die transatlantischen Beziehungen Drucksache 18/65 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimakonferenz in Warschau – Ohne deutsche Vorreiterrolle kein internationaler Klimaschutz Drucksache 18/96 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsauschuss g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Risiko und Haftung zusammenführen – Gläubigerbeteiligung nach EZB-Bankentest sicherstellen Drucksache 18/97 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsauschuss h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsam die Haftung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler beenden – Für einen einheitlichen europäischen Restrukturierungsmechanismus Drucksache 18/98 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsauschuss i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Operation Active Endeavour beenden Drucksache 18/99 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsauschuss j) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (14. SGB V-Änderungsgesetz – 14. SGB V-ÄndG) Drucksache 18/201 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsauschuss gemäß § 96 der GO Es handelt sich hierbei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Bei den Vorlagen zu den Zusatzpunkten 2 a bis 2 j handelt es sich um die im Hauptausschuss nicht erledigten Vorlagen, die nun ohne erneute Aussprache an die Fachausschüsse überwiesen werden sollen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damit ist die Überweisung beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Wahl der Schriftführer gemäß § 3 der Geschäftsordnung Drucksache 18/289 Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Wahl der Schriftführerinnen und Schriftführer liegen Wahlvorschläge der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/289 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit sind diese Wahlvorschläge einstimmig angenommen. Das passiert selten in diesem Haus, aber ab und zu doch. Ich bedanke mich bei Ihnen ganz herzlich. Vor allen Dingen gratuliere ich den gewählten Kolleginnen und Kollegen im Namen des ganzen Hauses und wünsche uns allen eine gute Zusammenarbeit. (Beifall) Ich möchte es aber nicht versäumen, den vorläufigen Schriftführerinnen und Schriftführern für ihren Einsatz ganz herzlich zu danken. (Beifall) Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf: Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gemäß den Artikeln 1 und 2 des Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates Drucksache 18/290 (neu) Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/290 (neu) vor. Auf Drucksache 18/290 (neu) schlägt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen anstelle der Abgeordneten Agnes Brugger die Abgeordnete Annalena Baerbock vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit sind auch diese Wahlvorschläge einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Artikel 45 d des Grundgesetzes Drucksache 18/283 Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Artikel 45 d des Grundgesetzes Drucksache 18/284 Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den gemeinsamen Antrag aller Fraktionen des Hauses auf Drucksache 18/283 zur Einsetzung des Gremiums. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag ebenfalls einstimmig angenommen. Damit ist das Parlamentarische Kontrollgremium eingesetzt und die Mitgliederzahl auf neun festgelegt. Bevor wir zur Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums kommen, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren. Nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt, wer mindestens 316 Stimmen erhält. Die Wahl erfolgt mit Stimmkarte und Wahlausweis. Sie benötigen für diese Wahl Ihren gelben Wahlausweis, den Sie, soweit Sie das noch nicht getan haben, bitte Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby entnehmen. Ich werde darauf hingewiesen, Sie noch einmal darauf hinzuweisen, dass Sie auf jeden Fall darauf achten, dass der Wahlausweis Ihren Namen trägt. Da hat es offensichtlich gelegentlich anderweitige Ergebnisse gegeben. Die gelben Stimmkarten wurden bereits im Saal verteilt. Falls Sie noch keine gelbe Stimmkarte erhalten haben, haben Sie jetzt noch die Möglichkeit, diese von den Parlamentsassistenten zu erhalten. Ich bitte Sie, dies einfach durch Handzeichen kundzutun. – Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Auf der Stimmkarte sind die Namen der vorgeschlagenen Kandidaten aufgeführt. Sie haben neun Stimmen und können zu jedem Kandidatenvorschlag „Ja“, „Nein“ oder „Enthalte mich“ ankreuzen. Wenn Sie bei einem Namen mehr als ein Kreuz oder gar kein Kreuz machen oder andere Namen als die der vorgeschlagenen Kandidaten oder Zusätze eintragen, ist Ihre Stimme ungültig. Die Wahl findet offen statt. Sie können also Ihre Stimmkarte an Ihrem Platz ankreuzen. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen, die bereits aufgestellt sind, werfen, übergeben Sie bitte den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Wahlurnen Ihren Wahlausweis. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht werden. Ich möchte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? – Jetzt sind alle Urnen besetzt. Ich eröffne die Wahl. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich die Wahl, und ich möchte die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird Ihnen später bekannt gegeben. Ich bitte die Kollegen, sich zu setzen und Gespräche, wenn sie zu führen sind, im hinteren Teil des Plenarsaales zu führen. – Das gilt auch für die Kolleginnen. Wir kommen damit zum Zusatzpunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzierung künftiger Kosten des geplanten Rentenpakets der Bundesregierung Ich eröffne die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt und erteile als erster Rednerin Katrin Göring-Eckardt das Wort. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1954, 1958, 1958, 1951, 1954, 1957, 1961, 1955, 1959, 1952, 1956, 1966 – das sind die Geburtsjahrgänge von drei Vierteln der Kabinettsmitglieder dieser Regierung. (Michaela Noll [CDU/CSU]: So jung!) Das sind allerdings zugleich diejenigen Geburtsjahrgänge, die von Ihren geplanten Rentengeschenken profitieren werden. Meine Damen und Herren, ich würde sagen: Hier macht die Große Koalition keine große Reform, das ist eigentlich ganz große Kumpanei mit der eigenen Generation. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Darauf muss man erst einmal kommen!) Die Babyboomer sorgen für sich; dann ist schon mal für viele gesorgt. Das sind ja auch die, die sich am meisten aufregen würden. Angesichts so einer Interessenübermacht hat natürlich kaum jemand sonst eine Chance. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie verschlimmern die Lage der Rentenversicherung. Diese Pläne sind ungerecht, kosten eine Menge Geld und entfalten wirklich fragwürdige Wirkungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieses Paket – Sie haben es selbst ausgerechnet; es ist heute überall zu lesen – wird bis zum Jahr 2020 insgesamt 60 Milliarden Euro kosten. Welches Heu wollen Sie eigentlich zu Gold spinnen, um das am Ende bezahlen zu können, ohne die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bzw. die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu belasten? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich gönnt man jedem den Vorruhestand, ein paar schöne Reisen, noch mal ein Ehrenamt oder etwas anderes probieren; das sei jedem Einzelnen wirklich gegönnt. Was die Bundesregierung macht, ist jedoch Klientelpolitik, bei der es einen Haufen Verlierer geben wird. Es geht Ihnen, Frau Nahles, nicht um Leute wie Ihren Vater, der auf dem Bau hart geschuftet hat und auf den Sie hingewiesen haben. Es geht Ihnen nicht um die Frauen, die nach der Kinderpause weit unter ihrer Qualifikation arbeiten mussten. Es geht Ihnen nicht um diejenigen, die körperlich hart gearbeitet haben. Es geht Ihnen auch nicht um den Gastarbeiter, der Jahr um Jahr am Band gestanden hat. Es geht Ihnen – das sage nicht ich, sondern das sagt der Präsident der Deutschen Rentenversicherung – überwiegend um Leute, die ohnehin schon eine relativ hohe Rente bekommen werden. Das ist nicht gerecht, da werden falsche Prioritäten gesetzt, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die großen Verlierer Ihrer Reform, das sind die kleinen Leute, die hart gearbeitet haben und bei denen im Leben nicht immer alles glattging. Profitieren werden die Kinder des Wirtschaftswunders, die von den Bildungsreformen in der alten Bundesrepublik profitiert haben und denen es schon immer relativ gut ging; denen soll es jetzt im Alter noch ein bisschen besser gehen. Wer sind die Verlierer? Verlierer sind zum einen die Frauen, die von Altersarmut betroffen sein werden, weil sie, da es keine Kinderbetreuungsangebote gab, Teilzeit gearbeitet haben. Diese Frauen brauchen eigentlich eine Garantierente. Das sind Verliererinnen dieser Reform. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verlierer sind die Ostdeutschen, die sich von ABM zu Minijob gehangelt haben, die Befristungen ertragen mussten, die wirklich fleißig waren – fleißig übrigens auch bei der Jobsuche –, die alles Mögliche gemacht haben, um über die Runden zu kommen. Diese Menschen haben Sie vergessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Verlierer sind auch diejenigen, die hart geschuftet haben und dann nicht mehr können. Sie sagen immer, man könne den Dachdecker nicht ans Gerüst ketten. Ihre geplanten Änderungen bei der Erwerbsminderungsrente sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Nach Ihren Vorschlägen sollen diese Änderungen ja nur für Neurentnerinnen und Neurentner gelten. Nein, um diese Menschen geht es Ihnen nicht. Diese Menschen brauchen Rehamaßnahmen und eine anständige Erwerbsminderungsrente. Dann wäre ihnen geholfen, aber nicht mit Ihrem Vorschlag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Verliererinnen und die Verlierer sind die jungen Menschen und die Kinder, egal ob sie vor oder nach 1992 geboren sind. Sie werden die Zeche für das bezahlen, was Sie hier alles vorhaben, was Sie hier bestellt haben. Meine Damen und Herren, Sie belasten, Sie plündern die Rentenkasse. Dabei sind Sie unehrlich. Ab 2019 werden Beiträge wie Steuern steigen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen. Außen vor bei der Finanzierung Ihrer Geschenke sind die Beamten, die Politiker und die Selbstständigen. Ich kann mir das nicht erklären. Das ist der Gipfel der Ungerechtigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verlierer ist übrigens auch die Wirtschaft. Den Unternehmen fehlen schon heute Fachkräfte. Ihnen stehen jetzt wieder Frühverrentungswellen bevor; dabei wissen sie schon jetzt nicht mehr, wo sie die Fachkräfte hernehmen sollen. So viel Zuwanderung können wir gar nicht organisieren, einmal abgesehen von Herrn Seehofers Tiraden, der dadurch die Leute eher von Deutschland fernhalten wird. Nein, das, was Sie hier veranstalten, hat weder mit Gerechtigkeit noch mit Generationengerechtigkeit zu tun, noch wird es denjenigen helfen, die wirklich Hilfe brauchen. Zuletzt: Verlierer ist auch Franz Müntefering, Jahrgang 1940. Der hatte den Mumm und die Vision, für Gerechtigkeit und Ausgleich zwischen den Generationen zu sorgen. Aber wahrscheinlich haben Sie, Frau Nahles, mit ihm noch eine alte Rechnung offen. (Zurufe von der SPD: Oh!) Ich jedenfalls finde, Franz Müntefering hat mit seiner Kritik, dass Ihr Vorhaben eine große Belastung für die Zukunft und für die Gegenwart darstellt, absolut recht. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das soll eine Oppositionsrede gewesen sein?) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Zimmer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die christlich-sozialdemokratische Koalition – (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) ich zögere bei dem Begriff „Große Koalition“, weil ich zwar einen Umschlag von der Quantität ihrer Mitglieder in die Qualität der Arbeit vermute, (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Qualität fehlt noch, das stimmt!) diese aber noch nicht richtig empirisch erhärtet ist – hat sich im Rentenrecht vier große Vorhaben auf die Fahnen geschrieben: die Mütterrente, weil sie eine Gerechtigkeitslücke füllt, die Lebensleistungsrente, weil sie ein Baustein gegen Altersarmut ist, die Erwerbsminderungsrente, weil sie längst überfällig ist, und die Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren, weil sie etwas über den Wert der Arbeit aussagt. Es ist selbstverständlich, dass kritische Nachfragen wie heute in der Aktuellen Stunde gestellt werden; sie sind zum Teil ja auch in der öffentlichen Debatte präsent. Ich will deshalb die Chance nutzen, ein wenig zu dieser Debatte zu sagen, vermutend, dass meine Kolleginnen und Kollegen die verschiedenen Aspekte der Finanzierung genauer beleuchten werden. Überrascht hat mich zunächst eine Überschrift bei Focus Online, die da hieß: Nur Mütter und Geringverdiener profitieren von den Rentenplänen. – Nur? Ich sage: Immerhin. Ich wäre verärgert, wenn es Hotelbesitzer oder Windparkbetreiber wären. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die Hotelbesitzer haben Sie schon vor vier Jahren gesorgt!) Ja, an die Mütter und Geringverdiener haben wir dabei gedacht, aber auch an diejenigen, die sich über Jahrzehnte abgearbeitet haben. Das betrifft natürlich die abschlagfreie Rente nach 45 Beitragsjahren. Dazu kann man sagen, das sei betriebswirtschaftlich Unsinn. Man kann aber auch, wie in der Mindestlohndebatte, fragen: Ist Arbeit nur eine Ware, eine betriebswirtschaftliche Rechengröße, oder ist uns Arbeit etwas wert? Ich meine, Letzteres trifft zu. Denn die abschlagfreie Rente nach 45 Beitragsjahren ist eine Wertentscheidung. Sie ist eine Aussage über den Wert der Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Herr Kollege Kurth, deswegen hat mich Ihre Formulierung „Facharbeiteradel“ auch etwas geärgert. Der Adel war die unproduktive Klasse in Europa, die eben nicht gearbeitet hat. Die Facharbeiter hingegen sind mit ihren Knochen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, der Garant für Wachstum. Sie haben damals Guido Westerwelle zu Recht kritisiert, der von „spätrömischer Dekadenz“ gesprochen hat; denn Dekadenz ist ein Oberschichtenphänomen, das auf Hartz-IV-Empfänger nicht zutrifft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Sie verwechseln aber ebenso die Kategorien, wenn Sie den Adel und die Facharbeiter so umstandslos zusammenwerfen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gewerkschaften! IG Metall!) Das tut im Übrigen auch der Präsident des Verbandes der Familienunternehmer, der vor einer Frühverrentungsorgie warnt: Da ist sie wieder, die spätrömische Dekadenz – diesmal in Form eines abschlagfreien Rentenanspruchs nach 45 Beitragsjahren. Orgien feiern offensichtlich immer nur die anderen. Starke Worte kamen eben auch von der Kollegin Göring-Eckardt, die im Zusammenhang mit der Mütterrente von der Plünderung der Rentenkasse gesprochen hat. Plünderung evoziert zumindest bei mir das Bild marodierender Banden, die sengend und mordend durch Straßen und Gassen ziehen und sich fremdes Gut widerrechtlich aneignen. Nein, Frau Göring-Eckardt, das tun wir mit der Mütterrente nicht. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber laut!) Wir beschaffen keinem einen widerrechtlichen Vorteil, wie es durch den Begriff der Plünderung nahegelegt wird, sondern wir schließen eine Gerechtigkeitslücke. Ich würde mir wünschen, dass wir auch in der Diktion ein wenig mehr darauf achten, was und wie wir es sagen. Unsere Mütter sind keine Erfüllungsgehilfen oder Begünstigte von Plündererbanden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nun muss man sich nicht über jede Meinungsäußerung zu diesem Thema ärgern. Die Reaktionen der Professoren Rürup und Raffelhüschen etwa waren vermutlich eher ihrer Lobbyarbeit für die Versicherungswirtschaft als wissenschaftlicher Redlichkeit geschuldet. Bei den Grünen fällt aber doch ein Muster auf, das ein wenig beunruhigt. So hat Frau Andreae laut taz unter dem Stichwort „Generationengerechtigkeit“ verlangt, jegliche Rentenaufstockung abzulehnen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die taz falsch geschrieben! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie nicht gemeint!) Der Kollege Ströbele habe, so wird berichtet, heftig widersprochen. Dass ich einmal dankbar dafür bin, dass der Kollege Ströbele der Grünenfraktion angehört, nehme ich Ihnen wirklich übel. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Nachdenklich macht mich aber auch, dass sich die Auslassungen und Einlassungen einiger Grüner wie Verlautbarungen aus der Wirtschaft lesen. Ich weiß, man ist heute mit dem Umetikettieren schnell: Aus Raider wird Twix, und aus den Grünen wird Liberalismus 2.0, wird die Partei der Freiheit und der Bürgerrechte, ein wenig reifer und ein wenig abgeklärter als die forsche Truppe der Liberalen, aber schon bis in die Diktion – Stichwort „Facharbeiteradel“ – ähnlich nassforsch wie weiland Westerwelle. Herr Kurth, Frau Göring-Eckardt, die Partei der Besserverdienenden sind Sie ja schon; insofern liegt das auch nahe. Ich freue mich deshalb darauf, in dieser Legislaturperiode beobachten zu können, welche Entwicklung das alles nimmt. Wenn Sie dann irgendwann zu der Erkenntnis kommen, Ihr Platz sei eigentlich auf der rechten Seite des Hauses, dann, ja dann sind Sie endlich dort angekommen, wo das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat der Kollege Birkwald das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Worum geht es heute eigentlich? Die Renten für die vielen Mütter und die wenigen Väter, die vor 1992 geborene Kinder erzogen haben, sollen verbessert werden. Das wollen Union und SPD systemwidrig aus den Beiträgen der gesetzlichen Rentenversicherung finanzieren. Außerdem: Eine Gleichstellung mit den Eltern, deren Kinder nach 1992 geboren wurden oder deren Kinder im Osten erzogen wurden, plant die Große Koalition leider nicht. Das ist schlecht. (Beifall bei der LINKEN) Aber die geplanten Verbesserungen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Immerhin! Dieser Schritt kostet 6,5 Milliarden Euro jährlich. CDU und CSU wollen jedoch um jeden Preis Steuererhöhungen für die Reichen verhindern. Deshalb will diese Große Koalition die Mütterrente aus Rentenversicherungsbeiträgen finanzieren – gegen jede Vernunft. Ich sage Ihnen: Das ist zutiefst ungerecht! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Warum ist das ungerecht? Es ist ungerecht, weil dann die Aldi-Kassiererinnen mit ihren Rentenbeiträgen die gut 28 Euro mehr Mütterrente im Westen bzw. die knapp 26 Euro mehr Mütterrente im Osten für Mütter von uns Bundestagsabgeordneten und von Rechtsanwaltsgattinnen finanzieren. Wir Abgeordnete müssen dafür nichts zahlen, keinen müden Cent. Da sage ich: Das ist sozial ungerecht, das ist grottenfalsch und durch nichts zu rechtfertigen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch die Union sieht das Kuddelmuddel. Fraktionschef Volker Kauder sagte in der Bild-Zeitung – Zitat –: Ab 2018 ist es dann notwendig und sinnvoll, die Mütterrente als gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit zusätzlichen Steuergeldern zu finanzieren. Ich kann nur sagen: CDU/CSU, Herr Kauder, SPD, machen Sie es doch gleich richtig! Die Steuerfinanzierung ist schon heute sinnvoll und notwendig. (Katja Mast [SPD]: Das stimmt!) Das sagt im Übrigen auch der Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, Dr. Herbert Rische. (Katja Mast [SPD]: Auch die SPD!) Er hält nämlich die Beitragsfinanzierung der Mütterrente gar für verfassungswidrig. Ich zitiere: Nur eine Finanzierung aus Steuermitteln gewährleistet, dass alle an der Finanzierung beteiligt werden, auch diejenigen, die nicht gesetzlich rentenversichert sind, und auch die Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze. Schließlich kommen die Kindererziehungszeiten auch Personen zugute, die gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind, sondern beispielsweise in einem Versorgungswerk. Eine Finanzierung aus Beitragsmitteln wäre deshalb verfassungswidrig, weil sie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG verstieße. Meine Damen und Herren von der Koalition, hören Sie auf den Präsidenten der Rentenversicherung! Er hat recht. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb muss die verbesserte Mütterrente aus Steuermitteln finanziert werden; denn Steuern zahlen auch gutverdienende Abgeordnete, Beamtinnen und Beamte, Ärztinnen und Apotheker, Architekten, Unternehmerinnen und Künstler. Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel und Sie, Frau Ministerin Nahles, haben den Aufruf „Vermögensteuer jetzt!“ unterzeichnet. Sehr gut! Eine Abgabe von 1 Prozent auf das Nettovermögen oberhalb von 1 Million Euro brächte jedes Jahr 20 Milliarden Euro in die Kasse des Finanzministers. 20 Milliarden Euro! Mit solch einer Vermögensteuer auf große Vermögen ließe sich zum Beispiel für alle Mütter oder Väter eine entsprechende Rente von 84 Euro monatlich finanzieren. Das wäre der richtige Weg! (Beifall bei der LINKEN) Aber das ist längst noch nicht alles. Wir Linken sagen: Erstens. In die Rentenversicherung müssen alle Menschen mit Erwerbseinkommen einzahlen, auch Beamtinnen und Beamte, Abgeordnete und Selbstständige. Zweitens. Wer 10 000 Euro Gehalt im Monat erhält, soll auch für 10 000 Euro Beiträge in die Rentenkasse einzahlen. Darum gehören die Beitragsbemessungsgrenze aufgehoben und sehr hohe Renten anschließend abgeflacht. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Anstatt an der gefloppten Riester-Rente bis zum Untergang festzuhalten, müssen die Arbeitgeber endlich wieder gerecht an der Rentenfinanzierung beteiligt werden. Das alles würde bedeuten: Die gesetzlichen Renten wären stabil finanziert. Kurz zu den Grünen – auch Kollege Zimmer hat es schon angesprochen –: Frau Andreae, Sie haben kürzlich im Handelsblatt gesagt – Zitat –: Wir Grünen sind die einzigen, die sowohl die Rente mit 63 klar ablehnen und eine gerechte Finanzierung der Mütterrente aus Steuern fordern. Grünes Alleinstellungsmerkmal sei die Generationengerechtigkeit, im Unterschied zur Koalition, aber auch zur Linken. – Frau Kollegin, ich glaube, da haben Sie irgendetwas gründlich missverstanden. Die Kosten für die Mütterrente und die Rente ab 63 werden nicht nur von den jungen Menschen getragen. Nein, sie werden von allen Versicherten bzw. – da sind wir uns einig – von allen Steuerzahlenden gezahlt, also von den 20-Jährigen genauso wie von den 60-Jährigen. Das ist gerecht. (Beifall bei der LINKEN) SPD, Grüne und Union haben das Rentenniveau massiv abgesenkt und die Rente erst ab 67 Jahren eingeführt. Das haben Sie eben sogar gelobt, Frau Göring-Eckardt. Diese gigantischen Rentenkürzungen werden vor allem die nach 1964 Geborenen in einigen Jahren massiv in die Altersarmut treiben. Das war, ist und bleibt der große Angriff auf die Generationengerechtigkeit. Darum sagt die Linke: Rauf mit dem Rentenniveau und weg mit der Rente erst ab 67! Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat die Kollegin Carola Reimann das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Carola Reimann (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir heute bereits zum zweiten Mal in dieser noch jungen Legislaturperiode die Gelegenheit haben, die Rentenpläne der Koalition zu diskutieren. Wir haben uns für die kommenden Wochen viel vorgenommen. Wir werden ein Maßnahmenpaket auf den Weg bringen, das unser bestehendes, bewährtes System weiterentwickelt, Gerechtigkeitslücken schließt und gemeinsam mit den Reformen am Arbeitsmarkt dafür sorgen wird, dass wir Altersarmut effektiv bekämpfen können. Kolleginnen und Kollegen, so sehr ich mich über die Debatte freue, so sehr ärgere ich mich aber über den häufig sehr verengten Blick auf die Rente. Wer nur über die Finanzierung redet, wer nur über Geld redet, verliert die Menschen aus dem Blick, die jahrelang hart gearbeitet haben und die auf eine ordentliche Rente angewiesen sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe über die Leute geredet, die ihr vergessen habt!) Genauso ärgere ich mich über die gelegentlich getroffene Wortwahl: Da wird von verprassten Geldern oder gar – der Kollege hat es schon gesagt – vom schamlosen Plündern der Rentenkasse oder Geschenken gesprochen. Ich finde das unangemessen. Es geht darum, Menschen, die lange und hart gearbeitet haben, einen stabilen und sicheren Übergang vom Erwerbsleben in die Rente zu ermöglichen: Menschen, die nach 45 Jahren ehrlicher und harter Arbeit nicht mehr können, und Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen schon früher auf Leistungen aus der Rentenversicherung angewiesen sind. Richtig, es kostet auch eine Menge Geld, und wir können uns gerne über die Finanzierung streiten. Aber es ist nicht in Ordnung, solche Begriffe zu verwenden, wenn es darum geht, Menschen in teilweise sehr schwierigen Lebenslagen zu helfen. Das ist dann angesichts der Arbeitsleben nicht geschenkt, sondern verdient. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind die, die leer ausgehen! Machen Sie den Leuten doch nichts vor!) Schwierig ist die Lage vieler, die beispielsweise auf die Erwerbsminderungsrente angewiesen sind. Wir alle kennen die Zahlen: Bei den durchschnittlichen Zahlbeträgen gab es zwischen 2000 und 2012 einen Rückgang von bis zu 15 Prozent. Entsprechend gestiegen ist der Anteil der Erwerbsminderungsrentner, die Leistungen der Grundsicherung beziehen. Damit ist nicht mehr gewährleistet, dass diese Rente die Sicherungsfunktion wie geplant erfüllt. Deswegen muss gehandelt werden, und das werden wir tun. Auch das wird Teil des Rentenpakets sein, genauso wie der abschlagsfreie Rentenzugang für langjährig Versicherte. Das ist für die SPD-Bundestagsfraktion ein ganz zentraler Punkt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Weil über die Gruppen geredet wurde, denen das zugutekommt: Die von uns auf den Weg gebrachten Reformen sollen denen zugutekommen, die lange und hart in echten Knochenjobs gearbeitet haben. Einer dieser Knochenjobs – darin werden mir sicherlich Millionen Väter und Mütter recht geben – ist Kindererziehung. Deshalb ist es gut, dass wir auch hier eine Gerechtigkeitslücke schließen und Erziehungsleistungen auch für Mütter und Väter besser anerkennen, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Es ist richtig, dass es sich bei der Mütterrente um eine versicherungsfremde Leistung handelt, und ja: Solche Leistungen sollten über Steuern finanziert werden. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Katja Mast [SPD]: Recht hat sie!) Das ist meine Haltung, und das ist auch die Haltung der SPD-Bundestagsfraktion. Die Ministerin hat deshalb zu Recht in den vergangenen Tagen auf die Notwendigkeit einer steuerlichen Flankierung ab 2018 hingewiesen. Es wundert mich schon, dass sich einige – leider auch bei unserem Koalitionspartner – fragen, warum sich unsere Ministerin auch Gedanken über die Rentenfinanzierung nach 2017 macht. Gerade das zeichnet doch eine gute Ministerin aus, dass sie eben nicht Politik nur mit Blick auf die nächste Wahl macht, sondern über den Tag hinaus denkt, gerade bei der Sozialversicherung. (Beifall bei der SPD – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass sie für die laufende Legislaturperiode die Probleme ausblendet!) Deshalb halte ich die Hinweise von Andrea Nahles für richtig und wichtig; denn wir werden nicht darum herumkommen, diese Leistungen auch durch Steuern zu finanzieren. Es ist kein Geheimnis, dass wir diese versicherungsfremden Leistungen auch lieber sofort ganz über Steuern finanziert hätten. Aber wir haben im Koalitionsvertrag einen Kompromiss geschlossen, und den setzen wir jetzt um, auch weil wir in der Rentenkasse zurzeit noch Spielräume dafür haben. Ohne diesen Kompromiss – das sage ich all denen, die uns das vorwerfen – hätten wir diese Verbesserungen nicht anstoßen können. Leidtragende wären all diejenigen gewesen, über die wir gerade gesprochen haben. Für diese Menschen haben wir diesen Kompromiss geschlossen. Wir sind es ihnen schuldig, das jetzt zügig in Gesetzesform zu bringen. (Beifall bei der SPD) Dass wir nicht allein Politik für das Hier und Jetzt machen, sondern auch über den Tag hinaus blicken und denken, zeigt im Übrigen ein Blick in den Koalitionsvertrag. Wir wollen nicht allein die Ungerechtigkeiten am Ende eines Arbeitslebens korrigieren, sondern – darauf sind wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten besonders stolz – wir werden der Altersarmut auch mit der Bekämpfung der Erwerbsarmut begegnen durch eine veränderte, verbesserte Arbeitsmarktpolitik, unter anderem mit einem gesetzlichen Mindestlohn und mit der Stärkung der Tarifbindung. Das alles werden wir jetzt Schritt für Schritt konsequent umsetzen. Ich bin sicher, dass wir noch Gelegenheit haben, darüber intensiv zu diskutieren. Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat der Kollege Kurth das Wort. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss eines gleich zu Beginn klarstellen: Frau Reimann, Sie sagen, wir müssten etwas für diejenigen tun, die lange und hart gearbeitet haben. Aber wehe, wenn diejenigen, die lange und hart gearbeitet haben, zwischendurch einige Jahre auf ALG-II-Leistungen angewiesen waren! Dann fallen sie nicht unter die Regelung betreffend die Rente mit 63, weil solche Zeiten nach dem bekannt gewordenen Referentenentwurf rentenrechtlich nicht angerechnet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was ist mit den Frauen, die nach der Kindererziehungszeit den Wiedereinstieg in den Beruf nicht richtig geschafft haben? Auch diese werden von der Rente mit 63 nicht erfasst, obwohl sie lange und hart gearbeitet haben. Eines muss ich hier – auch an die Adresse der CDU/CSU – klar sagen: Wie Sie wissen, haben wir uns in der gesamten vergangenen Legislaturperiode – und das tun wir heute noch – für diejenigen eingesetzt, die die größten Schwierigkeiten haben, am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft teilzuhaben. Wir sind neben der Linken die Einzigen gewesen, die konsequent eine Erhöhung des Arbeitslosengeld-II-Regelsatzes gefordert haben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir achten nun darauf, dass die Erwerbsminderungsrente – weil hier die größten Probleme bestehen – tiefschürfender und gründlicher behandelt wird, als Sie das nun tun. Ich lasse mir von Ihnen nicht vorwerfen, dass wir eine Art FDP 2.0 sein werden. Das werden Sie nicht erleben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katja Mast [SPD]: Das hätten Sie in einer Koalition mit der CDU machen können!) Ich muss heute schon an den 3. September 2013 erinnern. An diesem Tag, dem letzten Plenartag vor der Bundestagswahl 2013, warf die damalige SPD-Generalsekretärin Nahles Bundeskanzlerin Merkel vor, sich die Welt so zu malen, wie sie ihr gefalle. In dieser Rede, die wegen einer eigenwilligen Gesangseinlage als Pippi-Langstrumpf-Rede eine gewisse Bekanntheit erlangt hat, sagte sie zur Rente Folgendes: Wir haben an keiner einzigen Stelle eine Aussage darüber gehört, wie zum Beispiel die Mütterrente finanziert werden soll; Weiter heißt es: Ich behaupte, dass es drei Möglichkeiten gibt: Entweder Sie lügen die Leute an und es gibt doch Steuererhöhungen, oder Sie lügen die Leute an und es gibt doch mehr Schulden nach der Wahl, oder – das wäre mein heißer Tipp – Sie greifen in die Sozialkassen. Ich glaube, dass Sie das machen werden. Das Protokoll verzeichnet dort Beifall bei der SPD. Wer hätte gedacht, dass sich Ihre Prophezeiung „Nach dem Wahltag ist Zahltag“ so schnell bewahrheitet und dass Sie die Vollstreckerin Ihrer eigenen Prophezeiung sein würden! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben das alles schon gesagt!) Herr Schiewerling, beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales scheint es sich im Moment nicht mehr um ein gut bestelltes Haus zu handeln, wie Sie noch im Dezember sagten. Vielmehr erinnert das, was sich im Bundesministerium für Arbeit und Soziales abspielt, eher an die Villa Kunterbunt, um im Bild zu bleiben. Das, was bei Pippi Langstrumpf lustig ist, nämlich das Hineinleben in den Tag, das Sich-nicht-Scheren um das Morgen, ist bei der Rentenversicherung fatal. Sie verbrauchen bis 2018 die Rücklagen restlos. Ab 2018 ist dann ein moderates Erklimmen eines höheren Beitragssatzniveaus nicht mehr möglich. Sie türmen eine finanzielle Steilwand für die nächste Regierung auf. Selbst in Ihrer heute bekannt gewordenen Schönwetterkalkulation erfolgt spätestens in fünf Jahren ein sprunghafter Beitragssatzanstieg. Gleichzeitig haben wir einen höheren Bedarf an Steuermitteln zu verzeichnen. Das ist eine Langfristlast von 10 Milliarden Euro jährlich, die wir bis 2030 – das sind überschlägig 160 Milliarden Euro insgesamt – vor uns herschieben und schultern müssen. Besonders dramatisch wird es, wenn man sich vor Augen führt, in welchem Kontext des Koalitionsvertrages sich das Ganze abspielt. Denn Sie sagen im Koalitionsvertrag, Sie hätten noch prioritäre Maßnahmen, die Sie auf jeden Fall umsetzen wollten – und das auch noch ohne Finanzierungsvorbehalt. Wenn man das dazustellt, dann verdüstert sich das Bild endgültig. Sie wollen jährlich zusätzlich 1,4 Milliarden Euro für die Eingliederung Arbeitsuchender bereitstellen, was an sich nicht schlecht ist – ich nenne einfach einmal die Summen –, 600 Millionen Euro zusätzlich jährlich für Städtebauförderung, gar 5 Milliarden Euro pro Jahr versprechen Sie den Städten und Gemeinden für die Finanzierung der Eingliederungshilfe, in der gesamten laufenden Legislaturperiode wollen Sie 2 Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen, 3 Milliarden Euro für außeruniversitäre Forschung, 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Verkehrsinfrastruktur und 6 Milliarden Euro zusätzlich für die Entlastung der Länder. Wer soll das finanzieren? Das glauben Sie doch selbst nicht. Im Ernst: Ich glaube, Sie von der Großen Koalition tun gut daran, sich doch auf die Grundrechenarten der Volksschule Sauerland zu besinnen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann kommt die Rente erst ab 67! Das lassen wir lieber!) Dieser Tage hat Franz Müntefering sehr richtig zu diesen Grundrechenarten gesagt: Daran kann man nicht vorbeikommen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat der Kollege Weiß das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Rednerinnen und Redner der Grünen, die diese Debatte beantragt haben, sind in den letzten Bundestagswahlkampf mit einem Wahlprogramm gezogen. Vielleicht können sich die Frau Spitzenkandidatin Göring-Eckardt und auch Herr Kurth noch daran erinnern. In dem Wahlprogramm der Grünen steht zum Thema Rente: stärkere Anrechnung von Kindererziehungszeiten, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) eine Erwerbsminderungsrente ohne Abschläge, (Beifall der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) eine steuerfinanzierte Garantierente von mindestens 850 Euro für jeden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – klatschen Sie dazu nur Beifall – und die Möglichkeit, die Teilrente bereits ab dem 60. Lebensjahr zu beantragen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Teilrente!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn man allein diese Forderungen der Grünen zusammenrechnet, dann kommt man auf ein größeres Finanzvolumen als für das Rentenpaket der Großen Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt einfach nicht!) Es gibt im deutschen Volksmund ein gutes Sprichwort, das heißt: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Das gilt auch für die Grünen. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Richtig ist: Wir als Große Koalition erwarten von der Bundesregierung ein solides Finanzkonzept für das Rentenpaket, vor allem eines, das im Sinne der Generationengerechtigkeit die im Rentengesetz festgeschriebenen Beitragsziele einhält, sprich, dass der Beitragssatz im Interesse der jungen Generation bis zum Jahr 2020 nicht über 20 Prozent und bis zum Jahr 2030 nicht über 22 Prozent ansteigt. Genau diese Maßgaben werden von dem Referentenentwurf, den Frau Ministerin Nahles jetzt in die Kabinettsabstimmung geschickt hat, eingehalten. Und zwar in der Weise, dass wir in dieser Legislaturperiode mit einem Beitragssatz von 18,9 Prozent auskommen, dem seit 15 Jahren niedrigsten Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das halte ich für eine Leistung. Und zweitens dadurch, dass – wie mit dem Bundesfinanzminister bereits vereinbart worden ist – in den Jahren ab 2019 über vier Jahre zusätzliche Bundesmittel in den Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung gehen. Auch wir wollen, dass die Mütterrente möglichst zu 100 Prozent aus Steuermitteln finanziert wird. Dazu nutzen wir das, was heute noch an Spielraum da ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dazu wollen wir den zusätzlichen Bundeszuschuss haben. Damit ist ein Finanzkonzept entwickelt worden, mit dem die Beitragssatzziele eingehalten werden. Das ist solide gerechnet, und wir als Abgeordnete der Großen Koalition wollen ein solides Rentenkonzept hier im Deutschen Bundestag verabschieden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ein bisschen merkwürdig finde ich, dass die Grünen, wie es an der Medientafel steht, eine Aktuelle Stunde zu den Kosten des Rentenpakets der Bundesregierung beantragt haben, aber nicht zu den Inhalten. Wenn ich von Generationengerechtigkeit spreche, dann hat das verschiedene Perspektiven. Ich finde, dass die Väter und Mütter, die Kinder großgezogen haben, die in der Zukunft unser Rentensystem mit ihren Beiträgen sichern, zu Recht eine bessere Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rente erwarten können. Ich bin froh, dass wir das jetzt endlich ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dass wir die Ansprüche auf eine Erwerbsminderungsrente derjenigen verbessern müssen, die wegen Unfall oder Krankheit vorzeitig aus dem Erwerbsleben aussteigen müssen – nicht wollen, sondern müssen –, ist doch ein dringendes Erfordernis der Zeit, auch um Altersarmut in der Zukunft zu verhindern. Wer wollte an diesem Thema Kritik üben! Eine solche Rente ist selbstverständlich aus Beiträgen zu finanzieren. Insofern ein klares Ja zur Verbesserung des Erwerbsminderungsschutzes. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir wollen – deswegen sind wir für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit –, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesund länger arbeiten können. Allerdings müssen wir ihnen auch dabei helfen. Die Rehaleistungen der Rentenversicherungen sind daher etwas sehr Wichtiges. Es ist höchste Zeit, dass wir die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung für Rehaleistungen erhöhen, um jedem, der es nötig hat, eine Rehamaßnahme zu ermöglichen, damit er länger gesund arbeiten kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jedem, der es nötig hat, das machen Sie nicht! Dann finanzieren Sie den tatsächlichen Bedarf, bitte! – Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zusätzlich wird nach 45 Beitragsjahren ein früherer Renteneintritt abschlagsfrei möglich sein, was ja nicht auf einer Forderung der Union beruht, sondern auf einer der Sozialdemokraten. 45 Beitragsjahre, dem liegt eine großartige Leistung zugrunde, auch deswegen, weil die entsprechenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen das Rentensystem stabilisiert haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich finde, ein kleines Dankeschön kann man diesen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durchaus sagen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ja, es ist richtig, das Ganze muss solide finanziert sein aus Beitragsmitteln und aus Steuermitteln. Dafür sorgen wir. Außerdem müssen die Inhalte stimmen. Ich finde, die Inhalte stimmen. Was die Grünen und die Linken hier vorgetragen haben, geht daneben. Ja, wir handeln beim Rentenpaket an denjenigen Punkten, an denen zu handeln höchste Zeit war. Das, was wir uns vorgenommen haben, wollen wir umsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat der Kollege Claus das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Roland Claus (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Weiß hat soeben behauptet, mit dem Bundesfinanzminister sei eine Verabredung über die Steuerfinanzierung dieser Aufgaben in den Jahren 2018/19 getroffen worden. Wenn ich Wolfgang Schäuble vor wenigen Tagen richtig verstanden habe, so hat er genau dies abgelehnt und hat darauf verwiesen, dass diese Regierung für vier Jahre gewählt ist und dass mit ihm solche Schecks in die Zukunft nicht zu machen sind. Bleiben Sie redlich, Herr Kollege! (Beifall bei der LINKEN – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Hört! Hört! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe einmal davon aus, dass Sie alle redliche Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sind. Stellen wir uns jetzt einmal einen Moment vor, wir nähmen 3 Euro zur Hand. Ich benutze dieses Bild zu einem bestimmten Zweck: Es wird nämlich so sein, dass ab dem Jahre 2017 jeder dritte von diesen 3 Euro in die Stabilisierung der Rentenkassen fließen wird. Das ist eine gigantische Dimension der Verwendung von Steuermitteln, die bei der Grundanlage der Rentenversicherung so natürlich nicht gewollt war, die Sie aber inzwischen herbeigeführt haben. Diese Summe wird – das ist das Schlimme – noch nicht einmal ausreichen, weil Sie gerade dabei sind, die Rentenkassen systemwidrig zu entleeren. Das Gegenteil wäre richtig und vernünftig, nämlich eine Stärkung und Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung statt ihrer Schwächung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Titel der von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde beschreibt präzise, worum es hier geht. Es geht in der Tat um die künftigen Kosten des geplanten Rentenpaketes. Wir wollen dabei nicht vergessen: Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine soziale Erfolgsgeschichte des vorigen Jahrhunderts. Die meisten Länder der Erde haben bis heute keine vergleichbaren Rentenversicherungen. Die Rentenversicherung hat auch die deutsche Teilung überstanden, natürlich auf unterschiedlichem finanziellem Niveau. Aber seit Mitte der 1990er-Jahre wurde die Rentenversicherung mit Niedriglohn, mit Dumpingtarifen, später mit Hartz IV schwer beschädigt. Norbert Blüm konnte noch stolz den Satz sagen – Sie alle kennen diesen Satz noch –: „Die Rente ist sicher.“ Andrea Nahles ist bestimmt alles andere als schüchtern; aber das traut sie sich nicht. Wir haben ein kaputtes Rentensystem. Wie es anders ginge, hat Ihnen mein Kollege Birkwald vorhin erzählt. Aber das traut sich die Koalition natürlich nicht. Sie weiß: Bei den Armen ist nichts zu holen. An die Reichen traut sie sich nicht heran. Deshalb wird auf Dauer immer die Mitte der Gesellschaft belastet. Nun sollen ein paar Beruhigungspillen das Problem lösen. Wir wissen natürlich: Jedes Drehen an der Rentenschraube hat eine Wirkung, die sich über mehrere Jahrzehnte bemerkbar macht. Ich will das einmal durch einen Vergleich des Rentenzuschusses aus dem Bundeshaushalt über ein paar Jahre verdeutlichen – vielleicht fällt Ihnen etwas auf –: 2008 78 Milliarden Euro, 2010 81 Milliarden Euro, 2013 81 Milliarden Euro, 2014 82,5 Milliarden Euro, 2016 87 Milliarden Euro und 2017 90 Milliarden Euro. Daraus lassen sich doch mindestens zwei Erkenntnisse ableiten: Zum einen wird jeder dritte Euro des Steuerzahlers, der dem Bund zufließt, für die Rente verbraucht, ein gigantischer, aber häufig der Öffentlichkeit vorenthaltener Posten. Zum anderen wird es ab 2014 bei diesen Zuschüssen zu einer extremen Steigerung um fast 10 Milliarden Euro kommen. Da muss man doch einmal die Frage stellen dürfen: Sind diese Wohltaten da schon eingepreist gewesen? (Beifall bei der LINKEN) Auch mit dieser Rentenreform wird die Ungleichheit zwischen Ost und West weiter fortgesetzt, und das im 24. Jahr der deutschen Einheit. Eine Mutter aus Leipzig, deren Kind 1971 geboren wurde, bekommt so 700 Euro weniger Rente als eine Mutter in Köln, deren Kind 1993 geboren wurde. Die Angleichung der Rentenwerte Ost und West haben Sie ganz und gar aufgegeben. So wird deutsche Einheit nicht befördert, sondern vergeigt. Deshalb sagt Ihnen die Linke: Wirkliche Einheit geht anders. (Beifall bei der LINKEN) Aber wie kommt so etwas? Ich sage Ihnen: Eine Große Koalition hat immer auch Züge einer Zwangsheirat. Wo politische Zuneigung fehlt, regiert das Schachern: Gibst du mir, gebe ich dir. Die SPD wollte Soziales bei der Rente, die CDU/CSU keine Steuererhöhungen, und das Ergebnis ist das, was uns vorliegt: organisierter Selbstbetrug auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Volker Kauder hat doch ganz offen gesagt: Wir machen das jetzt aus der Rentenkasse, 2018 wird es dann steuerfinanziert. Das heißt doch: Vier Jahre die Rentenkasse belasten und dann nach der Pille danach rufen. Das können wir Ihnen doch nicht durchgehen lassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich habe nichts gegen die Pille danach!) – Ich auch nicht. – Ich habe den Eindruck: Wenn diese Regierung so weitermacht, wird sich eine völlig neue Allianz herausbilden, eine Allianz gegen diesen ungebremsten Populismus. Der Haushaltsausschuss – womöglich in seiner Gänze – und der Bundesfinanzminister werden diesen Spuk vertreiben. Wäre das nicht eine schöne Vision? Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat jetzt die Kollegin Kolbe das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin zugegebenermaßen sehr froh, dass es endlich mit der parlamentarischen Arbeit losgeht – und das dann gleich mit diesem wichtigen Thema der Rente. Vorab möchte ich sagen: Ich bin ebenfalls sehr froh – auch wenn mir die Redebeiträge nicht so gut gefallen haben –, dass in dieser Aktuellen Stunde nicht nur jeweils ein Redner bzw. eine Rednerin von Grünen und Linken zu Wort gekommen ist, sondern zwei, weil es wichtig ist, dass gerade bei aktuellen und komplexen Themen alle Positionen gehört werden und ganz selbstverständlich zu Wort kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Debatte ist dann besser, oder?) Ich bin mir aber auch sicher, dass wir einen lebendigen Austausch innerhalb unserer Koalition, zwischen Union und SPD, haben werden. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist ja schon in vollem Gange!) Bei allen sehr guten Kompromissen in unserem gemeinsamen Koalitionsvertrag werden wir sicher immer ein offenes und ehrliches Wort miteinander pflegen und komplexe Sachverhalte von unterschiedlichen Seiten aus angehen. Das ist dann aus meiner Sicht gar nicht Parteienstreit, sondern das wird, glaube ich, der Sache sehr dienlich sein. Ich jedenfalls freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, liebe Unionskollegen. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Wir auch! – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Sie auch? Das freut mich. Ich glaube, wir müssen uns alle noch ein bisschen daran gewöhnen, aber ich denke, dass wir gerade bei diesem Thema viel auf die Reihe bekommen werden. Der Handlungsbedarf beim Thema Rente ist offensichtlich. Ich will Ihnen das anhand meiner Erfahrungen in meinem Wahlkreis etwas erläutern. Ich komme aus Leipzig. Das ist eine wunderschöne Stadt. Viele sagen, sie ist eine Boomtown, es gibt viele Kinder. Aber das Hauptthema in meinen Bürgersprechstunden ist neben Betreuungsplätzen tagein tagaus, immer wieder: Rente, Rente, Rente. Besonders erschüttern mich die Erzählungen der Älteren, die zu mir kommen. Das sind oft Frauen, die nach einem Leben voller Erwerbsarbeit mit einer Minirente auskommen müssen. Sie kommen allerdings oft nicht wegen der Rente zu mir, sondern weil sie sich den Rundfunkbeitrag nicht leisten können. Sie könnten zum Teil Grundsicherung im Alter beantragen, wozu ich ihnen auch rate, aber das lehnen diese Menschen ab, weil das gegen ihre Würde ist. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, und deshalb brauchen wir die solidarische Mindestrente!) Diese Menschen wollen keine Almosen vom Staat. Sie wollen auch nicht mit Menschen auf eine Stufe gestellt werden, die noch nie oder nur kurz gearbeitet haben. Sie wollen Respekt für ihre Lebensleistung und irgendwie über die Runden kommen. Ob das dann Lebensleistungsrente oder Solidarrente heißt, ist diesen Menschen völlig egal. Die Hauptsache ist, wir gehen das Problem an. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Altersarmut ist nach den offiziellen Zahlen noch kein großes Problem – es betrifft 2,7 Prozent der Rentnerinnen –, aber es ist zu beobachten, dass die Zahlen steigen. Wenn wir uns die Niedriglöhne, die zurückliegende Massenarbeitslosigkeit und die prekären Beschäftigungsverhältnisse vor Augen führen, dann ist klar, dass gerade in den neuen Bundesländern das Problem massiv ansteigen wird. In meinem Wahlkreis kommt als zweites Problemfeld die gefühlte Ungerechtigkeit hinzu, dass es so lange nach der Wiedervereinigung immer noch zwei Rentensysteme gibt. Für viele Berufstätige stellt sich natürlich die Frage: Wie ist das mit meinem Lohn? Bleibt hinterher überhaupt genug Rente? Was passiert, wenn ich berufsunfähig werde? Schaffe ich es überhaupt, so lange zu arbeiten, wie es von mir erwartet wird? Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, kennen doch die fassungslosen Blicke, wenn man mit Erzieherinnen, mit Krankenschwestern, mit Altenpflegern und Arbeitern über die Rente mit 67 spricht, weil ganz klar ist: Diese Menschen arbeiten zwar mit Herzblut, aber sie haben schon Probleme, bis 65 durchzuhalten. Für diese Menschen müssen wir dringend etwas tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt natürlich auch viele Normal- und Gutverdiener, die etwas für das Alter zurücklegen können. Sie sind die Basis unseres Rentensystems. Sie können privat vorsorgen und auch aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine gute Rente erwarten. Diese Bundesregierung wird alles dafür tun, dass wir möglichst viele Menschen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen mit guten Löhnen haben; denn diese Menschen sind die Basis unserer Rentenversicherung. Rentner ist also nicht gleich Rentner. Ich bin sehr froh, dass ich Mitglied einer Koalition bin, die die vor uns liegenden Herausforderungen mutig annimmt. Das, was wir da vorhaben, ist nicht wenig: abschlagsfreie Rente mit 63, Mütterrente, solidarische Lebensleistungsrente, Erwerbsminderungsrente und die Systemangleichung in Ost und West. Das ist mutig, das bedarf einer riesigen Anstrengung. Das ist aber auch notwendig. Wir können das gemeinsam auf den Weg bringen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen, dass das Rentenpaket kommt und dass wir es nachhaltig und sozial gerecht finanzieren. Es ist ganz eindeutig: Dafür sind Steuermittel notwendig, aber ich bin mir sicher, dass wir uns miteinander einig werden und dass unsere Ministerin Andrea Nahles Gesetzentwürfe vorlegen wird, die sowohl uns alle als auch den Finanzminister überzeugen werden. Ich freue mich auf die weiteren gemeinsamen Beratungen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Zech das Wort. Das ist übrigens die erste Rede des Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Tobias Zech (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Große Koalition wird mit dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Rentenpaket zum ersten Mal seit 25 Jahren wieder Leistungsverbesserungen für deutsche Rentnerinnen und Rentner ermöglichen und genau denen wieder etwas zurückgeben, die mit ihrer Lebensleistung, mit ihrer Arbeitsleistung unseren Staat und unser Land wirtschaftlich stabil gemacht haben und damit unsere Solidargemeinschaft aufrechterhalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist deshalb möglich, weil die unionsgeführte Bundesregierung seit 2005 kontinuierlich für ein Anwachsen der Rentenkasse gesorgt hat. Frau Reimann, alles, was wir jetzt beschlossen haben, zahlen wir nicht nur aus der Rentenkasse; denn in den 31 Milliarden Euro, die wir an Reserven haben, stecken 10 Milliarden Euro Steuergelder. Somit können wir eine Mischfinanzierung darstellen. Wichtig ist mir – Frau Reimann, da hatten Sie vorhin recht –: Wir sprechen bei der Rente – das muss uns immer wichtig sein und so müsste hier auch die Kommunikation sein – nicht über Zahlen, sondern es geht um persönliche Schicksale, es geht um Erwerbsbiografien und nicht zuletzt um soziale Gerechtigkeit. Wir sprechen darüber, dass wir Altersarmut bekämpfen, dass wir den fleißigen Menschen, die unseren Wohlstand erarbeitet haben, ermöglichen, im Alter würdig zu leben. Wir sprechen nicht – das ist der Unterschied zu Ihnen – von einem Konflikt der Generationen, erzeugen einen solchen auch nicht bewusst. Konflikte zwischen Alt und Jung helfen hier niemandem. Die Herausforderung bei der Rente besteht darin, dass wir die Probleme mit allen Generationen gemeinsam lösen und somit ein Auskommen und Sicherheit für alle Generationen in diesem Land ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Im Koalitionsvertrag für die nächsten vier Jahre haben wir uns dieser Herausforderung gestellt und trotz aller Schwierigkeiten – Sie haben das angesprochen – aus meiner Sicht auch die richtigen Lösungsansätze gefunden, und zwar – jetzt kommen wir zur Generationengerechtigkeit, Frau Göring-Eckardt – ohne Steuererhöhungen und ohne neue Schulden. Das ist generationengerechte Politik. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis wann? – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten Sie bis 2017, bis die Rücklage weg ist!) Das gefährdet nicht den Wohlstand dieses Landes. Das ist generationengerechte Politik und nichts anderes. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Jetzt lassen Sie mich dazu noch ein paar Punkte sagen. Die Mütterrente. Wir sprechen hier über 330 Euro durchschnittliche Erhöhung pro Jahr für die Frauen, die die derzeitigen Beitragszahler – das sind nämlich die Stützen unseres Sozialsystems – geboren und erzogen haben. Meine Großmutter hat vier Kinder aufgezogen – vier Kinder! – und bekommt so wenig Rente, dass sie ohne die Unterstützung ihrer Kinder nicht gut leben könnte. 27 Euro pro Monat Erhöhung sind für viele hier in diesem Hause nicht viel Geld; für meine Großmutter sind 108 Euro sehr viel Geld, und an Leute wie sie müssen wir denken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist nicht nur die Anerkennung der Lebensleistung, sondern auch ein wirksames Mittel gegen Altersarmut, vor allem gegen verschämte Armut. Es geht dabei nämlich um die Leute, die nicht zur Gemeinde gehen, die nicht zur Sozialkasse gehen, und auch um die müssen wir uns kümmern. Wer auf dem Rücken dieser Mütter einen Generationenkonflikt austragen will, muss sich fragen lassen, wie viel ihm oder ihr die durchwachten Nächte seiner oder ihrer Eltern wert sind. Für uns galt immer: Die Einführung der Mütterrente kommt vor einer weiteren Senkung des Rentenversicherungsbeitrags. Das haben wir im Wahlkampf versprochen. Das werden wir hier jetzt auch einhalten. Die Rente zwei Jahre vor regulärem Renteneintritt bei 45 Beitragsjahren. Das stand nicht als zwingend auf meinem Wunschzettel, aber – das kann ich Ihnen aus meiner Region und aus vielen Diskussionen berichten – insbesondere im Handwerk, bei den Bauberufen, bei den Sozialberufen und bei allen, die ihr Leben lang hier in unserer Gemeinschaft gearbeitet haben, wird schon ein großer Bedarf dafür gesehen, dass man diese Lebensleistung richtig honoriert. Der Maurer, der 45 Jahre am Bau war, fragt nach: Warum muss ich denn jetzt noch länger arbeiten? Wie soll ich das körperlich überhaupt schaffen? Hier geht es darum, dass wir diese besondere persönliche Lebensleistung honorieren und ihr auch gerecht werden. Wichtig dabei ist: Der vorzeitige Renteneintritt stellt hier keine Abkehr von der Rente mit 67 dar, sondern ist die Honorierung der persönlichen Lebensleistung. In der Gesetzgebung müssen wir das mit Verstand und Augenmaß umsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Letzter Punkt. Alle die Maßnahmen, die wir beschlossen haben, über einen Kamm zu scheren und en bloc als schlecht darzustellen, das wird der Sache nicht gerecht. Es geht hier nicht darum, Wahlgeschenke zu verteilen; es geht darum, denjenigen, die dieses Land zu dem gemacht haben, was es jetzt ist, einen guten Lebensabend zu ermöglichen. Das können wir nur gemeinsam umsetzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede! (Beifall) Jetzt hat der Kollege Paschke das Wort. Für ihn ist es ebenfalls die erste Rede. (Beifall bei der SPD) Markus Paschke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden älter und leben länger. Nun sagen einige: Wer länger lebt, muss automatisch auch länger arbeiten. Diese Schlussfolgerung teile ich nicht. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Die zunehmende Leistungsverdichtung in unserer heutigen Arbeitswelt stellt uns vor große Herausforderungen. Und sie fordert ihren Tribut. Der vielzitierte demografische Wandel in unserer Gesellschaft darf nicht dazu führen, dass wir die Bedürfnisse des Einzelnen aus dem Blick verlieren. Viele Menschen sind nicht in der Lage, bis zum 67. Lebensjahr zu arbeiten, und das aus vielerlei Gründen. Ich will nur zwei kurz benennen: In meinem Wahlkreis ist eine der letzten großen Textilfabriken in der Insolvenz, die Deutsche Textilfabrik, vielen wahrscheinlich bekannt unter ihrem früheren Namen ADO; das ist die mit der Goldkante. (Zurufe von der SPD: Ah!) 300 Beschäftigte stehen vor dem Nichts, wissen nicht, wie sie morgen ihre Familien über Wasser halten sollen, und nicht wenige davon haben ihr Leben lang in diesem Betrieb gearbeitet, 35, 40 oder sogar 45 Jahre. Sie sind gut ausgebildet und haben immer ihren Beitrag für die Gesellschaft und für die Sozialkassen geleistet. Aber sie sind in einem Alter, in dem sie wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Manche von ihnen könnten in ein oder zwei Jahren vorzeitig in Rente gehen, aber nur mit hohen Abschlägen. Die Beschäftigten in vielen Handwerksberufen, die Beschäftigten in der Pflege, die Schweißer und Rohrleitungsbauer auf der Werft sind froh, wenn sie 45 Jahre im Beruf überhaupt körperlich durchhalten. In den wenigsten Betrieben ist es bisher möglich, alters- und leistungsgerechte Arbeitsplätze für alle Beschäftigten anzubieten. Ich kenne viele Menschen, die froh wären, wenn sie nach 45 Jahren Arbeit ohne Abschläge in Rente gehen könnten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Neben den Pflichtbeitragszeiten aus Beschäftigung, Selbstständigkeit und Pflege werden wir auch Kindererziehungszeiten anrechnen. Selbstverständlich ist für mich, dass Zeiten, in denen Menschen Lohnersatzleistungen wie zum Beispiel Schlechtwettergeld oder Kurzarbeitergeld bezogen haben, ebenfalls berücksichtigt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) In den letzten Jahrzehnten gab es viele schwierige Zeiten auf dem Arbeitsmarkt: Strukturwandel, Massenarbeitslosigkeit, auch die Wiedervereinigung. Wer einen Übergang von einer Beschäftigung in eine andere gesucht und gefunden hat, dem dürfen wir den Zugang zu einer vorzeitigen abschlagsfreien Rente nicht verbauen. Deshalb müssen wir auch die Zeiten, in denen Arbeitslosengeld bezogen wurde, berücksichtigen. Lassen Sie mich klar sagen: Es ist an der Zeit, dass wir die Lebensleistung der Menschen endlich wieder würdigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das haben die Menschen in unserem Land verdient. Mit den Rentenplänen dieser Bundesregierung wird diese Leistung gewürdigt. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außer sie waren mal längere Zeit arbeitslos!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Thema Rente sind endlich Gerechtigkeitslücken zu schließen. Würdigung von Lebensleistung bedeutet nämlich auch, dass Menschen in Würde von ihrer Rente leben können und dass sie sich mit Mitte 60 noch am gesellschaftlichen Leben beteiligen können. Mal ins Theater, mal ins Kino gehen oder einen Ausflug mit den Enkeln machen, das muss schon drin sein. Wer 35 Versicherungsjahre eingezahlt hat und trotzdem weniger als 850 Euro Rente im Monat bekommt, der kann das alles nicht. Deshalb haben wir uns für eine solidarische Lebensleistungsrente starkgemacht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ja, Arbeit muss sich lohnen. Auch wenn das Einkommen gering war, hat jeder Mensch mit seiner Arbeit seinen Teil zu dieser Gesellschaft beigetragen. Um es klar zu sagen: Wir verteilen hier keine Almosen. Wir würdigen die Lebensleistung der Menschen in unserem Land, ohne Wenn und Aber. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb hat die SPD sich in ihrem Wahlkampf für die Finanzierung aus Steuermitteln starkgemacht. Ich sage Ihnen ehrlich: Ich halte das auch weiterhin für richtig. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und Union auf den Kompromiss einer Teilfinanzierung aus der Rentenkasse verständigt. Die Frage ist also: Wollen wir ernsthaft gute und sinnvolle Reformen gefährden, nur weil wir uns eine andere Finanzierung gewünscht hätten? Ich sage: Nein! Ich halte die Kompromisse der Koalitionsvereinbarungen für gut und für tragbar. Wie Ministerin Nahles bereits sagte, werden wir diese Leistungen spätestens 2019 stärker aus Steuermitteln finanzieren müssen. Das ist auch gut so. Meine Damen und Herren von der Opposition: Klar, mehr geht immer. Aber mein Motto lautet: Lieber heute das Mögliche umsetzen, als Visionen fordern und das Handeln auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Auch Ihnen, Kollege Paschke, herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede. (Beifall – Markus Paschke [SPD]: Vielen Dank, dass ich ein wenig überziehen durfte!) Als Nächster hat Uwe Schummer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Uwe Schummer (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Kollege Claus, wenn über die Verbesserung der Mütterrente diskutiert, geschrieben oder sie kommentiert wird, dann fallen Begriffe, wie auch Sie sie in Ihrem Beitrag benutzt haben, nämlich dass es sich dabei um eine Verteilung von Wohltaten handelt. Andere sagen, es sei ein Geschenk, eine Beglückung der Menschen. Ganz massiv äußerte sich Professor Goeschel im Focus, indem er von einer „Müttermaut“ sprach. Da kann ich nur sagen: Worte sind auch ein Stück weit der Geist, aus dem heraus über Menschen diskutiert wird. Diesen Geist in solche Begriffe zu fassen – bewusst oder unbewusst –, ist zynisch. Das ist ein hoher Grad an Verachtung der Familienarbeit, die wir in der Großen Koalition besser sozial absichern wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Viele haben aufgrund der Erziehungsleistung ihre Erwerbstätigkeit unterbrochen. Sie haben oft eine kleine Rente. Es ist überfällig, die Gerechtigkeitslücke in Bezug auf die Mütter der vor 1992 geborenen Kinder zu schließen und ihnen etwas mehr Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Jetzt kann man wunderbar miteinander ordnungspolitisch philosophieren, indem man sagt: Das ist auch ein Teil der Familienförderung; das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die von daher auch von der gesamten Gesellschaft aus Steuermitteln zu finanzieren ist. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) Das kann ich gut nachvollziehen. Dann gibt es in der christlichen Sozialbewegung folgende bekannte ordnungspolitische Argumentation: Der Generationenvertrag lebt davon, dass die erwerbstätige Generation mit ihren Beiträgen die Generation, die sich in der Alterssicherung befindet, finanziert und auf der anderen Seite über Erziehungsleistungen dafür sorgt, dass der Generationenvertrag im wahrsten Sinne des Wortes lebendig bleiben kann. Erziehungsleistungen und Beitragsleistungen sind bei der Alterssicherung gleichermaßen zu berücksichtigen; auch das ist eine ordnungspolitisch nachvollziehbare Argumentation. Dann wären sie eben einfach „Beitragsmittel“; das wäre auch korrekt. Die katholische Glaubenskongregation hat einen Weg gefunden, wie man das Problem löst. Sie sagt nämlich, dass man die Ordnung der Dinge der Ordnung der Menschen unterstellen muss. Die Menschen, die jetzt leben, wollen jetzt Lösungen haben. Wir wollen daher jetzt dafür sorgen, dass die Gerechtigkeitslücke insgesamt geschlossen werden kann. Letztendlich fließt der Bundeszuschuss in die Rentenkasse; das hat Herr Claus vorgerechnet. In den nächsten Jahren werden es bis zu 90 Milliarden Euro sein. Diese Summe wird auch dadurch gespeist, dass 11,5 Milliarden Euro für die Erziehungsleistungen mobilisiert werden. Allerdings werden nur 6,5 Milliarden Euro für die Erziehungsrente abgerufen. Es verbleiben also 5 Milliarden Euro an Steuermitteln aus dem Bundeszuschuss, die umgeschichtet werden. Auch die Rücklagen von 31 Milliarden Euro haben sich aus diesen nicht abgerufenen Zuschüssen für die Erziehungsrente ergeben. Von daher kann man auch sagen: Hier ist ein Stück weit auch der Steuerzahler mit im Boot. Zum Thema Rente nach 45 Beitragsjahren mit 63. Es ist ein Versicherungsgedanke, dass derjenige, der länger Beiträge einzahlt, hinterher bei der Alterssicherung entsprechend mehr bekommt. Auch das ist ordnungspolitisch vollkommen korrekt. Es muss aber in der Tat sauber finanziert werden. Für mich war im Wahlkampf unsere Aussage, dass wir in den nächsten Jahren, in dieser Legislaturperiode, erstmals seit 1969 einen Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung verabschieden wollen, von zentraler Bedeutung. Damals gab es eine Große Koalition mit Plisch und Plum, mit einem Wirtschaftsminister Karl Schiller von der SPD und einem Finanzminister Franz Josef Strauß von der CSU. Erstmals wollen wir es wieder schaffen – das ist ein Megathema dieser Legislaturperiode –, einen Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung zu verabschieden und eine Kehrtwende weg von der Verschuldungspolitik zu machen. Auch das ist eine Form der Generationensolidarität, die wir in dieser neuen Großen Koalition miteinander durchsetzen werden. Ich bin sehr überzeugt davon, dass wir die Finanzierungsfrage in dieser Großen Koalition – unabhängig davon, wie die endgültige Finanzierung des Rentenpaketes aussehen wird – lösen werden und unsere Ziele bei den beiden Megathemen, Rentenpaket und Stabilität des Bundeshaushaltes, erreichen können. Das lösen wir pragmatisch, aber wir lösen es. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Schiewerling das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Finanzlage der Deutschen Rentenversicherung war lange nicht so gut wie jetzt. Von der mittelfristigen Planung ausgehend müsste der Rentenversicherungsbeitrag jetzt nicht 18,9 Prozent, sondern 19,3 oder 19,4 Prozent betragen, und er würde diese Größenordnung noch länger beibehalten. Tatsächlich haben wir eine exzellente Beschäftigungssituation, eine hervorragende Arbeitsmarktlage und viele Einnahmen in der Deutschen Rentenversicherung. Diese Einnahmen haben zu erheblichen Rücklagen geführt. Wegen der Dramatik der Diskussion, die ich im Augenblick bei denjenigen erlebe, die plötzlich entdecken, dass die Mütterrente 6,5 Milliarden Euro kostet – du meine Güte! –, halte ich es für wichtig, auf Folgendes hinzuweisen: Die Union sagt seit einem halben Jahr, dass das so teuer ist; die Union sagt seit einem halben Jahr, wie es finanziert werden soll. Da kann ich manche öffentliche Aufregung, wie ich sie im Augenblick in den Medien erlebe, überhaupt nicht mehr verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Markus Paschke [SPD]) Das kann ich nur als Automatismus bestimmter Leute verstehen, die nicht wahrhaben wollen, dass wir das tun, was wir vorher sagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, die gute Finanzlage und die Rücklagen in der Rentenversicherung speisen sich aus drei Quellen: Ein Drittel sind Beiträge der Versicherten, ein Drittel sind Beiträge der Arbeitgeber und circa ein Drittel ist der Bundeszuschuss. Der Bundeszuschuss, der gegeben wurde und wird, steht für sogenannte versicherungsfremde Leistungen bereit, aber bei weitem nicht nur dafür. Ich will unterstreichen, was der Kollege Schummer gerade gesagt hat: Die Mittel, die der Bund für die Anerkennung von Kindererziehungszeiten bereitstellt, machen ungefähr 13 Milliarden Euro aus. Wir verausgaben aber seit Jahren nicht 13 Milliarden Euro, sondern rund 6,5 Milliarden Euro. Wir haben also in den Rücklagen Steuermittel, und zwar 10 Milliarden Euro, die es uns ermöglichen, an dieser Stelle reinen Gewissens zu sagen: Wir können die sogenannte Mütterrente und das Paket, das wir geschnürt haben, am Anfang aus der Rücklage finanzieren. Dies ist systemkonform. Als Selbstverwalter, der ich ehrenamtlich in der Rentenversicherung tätig bin, sage ich offen und in aller Deutlichkeit: Das kann ich vertreten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, der Kollege Zech hat heute in seiner Jungfernrede einen wichtigen Hinweis gegeben. Er hat den Blick auf die Menschen gelenkt, die von dem betroffen sind, was wir tun, nämlich zum Beispiel seine Großmutter, die jetzt möglicherweise im Monat 104 Euro mehr Rente bekommt und deswegen nicht mehr auf Grundsicherung oder auf Unterstützung durch ihre Kinder angewiesen ist. Meine Damen und Herren, das hat etwas mit Anerkennung von Erziehungszeiten und Erziehungsleistungen zu tun. Deswegen sage ich Ihnen an dieser Stelle, wie das übergeordnete Thema der ganzen Rentendebatte lautet: Die Zukunft dieses Landes entscheidet sich daran, ob Kinder geboren und zu lebenstüchtigen Menschen erzogen werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dass die Situation heute so ist, wie sie ist, verdanken wir auch der Generation der Mütter und Väter, die vor 1992 Kinder bekommen und großgezogen haben. Es gab damals noch keine Krippenbetreuung und keine Ganztagsbetreuung. Die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf war kein Thema. Trotzdem haben sie Kinder bekommen und erzogen. Als Union und als Koalition erkennen wir diese Leistung an. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Weil immer wieder gesagt wird, dass sich der Untergang der Rente am Horizont abzeichnet, sage ich: Die Deutsche Rentenversicherung hat zwei Weltkriege und eine Inflation überstanden. Sie hat die schwierigsten Situationen gemeistert. Ohne die Deutsche Rentenversicherung wäre die deutsche Einheit nicht so gut gelungen. Das ist eine Solidarleistung aller Menschen in unserem Land. Anstatt Ihnen hier alles im Klein-Klein vorzurechnen – das könnte ich tun –, rate ich uns, den Blick auf die Gesamtleistung unseres Staates und unseres sozialen Sicherungssystems zu richten. Unsere Aufgabe besteht darin, dieses System stabil zu halten. Weil das etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun hat, wollen wir die Generation unterstützen, die damals Kinder erzogen hat. Wir wollen die Lücke ein Stück weit schließen. Aber wir wollen auch durch einen stabilen Haushalt, der ohne Steuererhöhungen auskommt, und durch einen stabilen Beitragssatz einen Beitrag zu einer soliden Finanzierung dieses Vorhabens leisten. Wir befinden uns am Anfang der Diskussion hier im Deutschen Bundestag. Der Gesetzentwurf liegt noch gar nicht vor. Die Diskussion darüber werden wir miteinander führen. Sie können gewiss sein, dass wir als Unionsfraktion den Blick gemeinsam mit unserem Koalitionspartner – da bin ich mir ganz sicher – auf dieses Vorhaben richten werden. Das, was wir auf den Tisch gelegt haben, ist in der Tat sehr ambitioniert. Frau Kollegin Reimann, was wir auf den Tisch legen, ist immer ein Kompromiss. Sie haben sich manches nicht vorstellen können, aber auch wir haben uns so manches nicht vorstellen können. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dennoch haben wir jetzt gemeinsam etwas vor. Lassen Sie uns daher gemeinsam in die Zukunft gehen, zum Wohle der Menschen in diesem Land. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich bekannt geben, dass alle neun Mitglieder, die sich der Wahl zum Parlamentarischen Kontrollgremium gestellt haben, gewählt worden sind.1 Sie haben die nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes erforderliche Mehrheit von 316 Stimmen erreicht. Sie sind damit als Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums gewählt. (Beifall bei der LINKEN) Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verstärkung der integrierten Luftverteidigung der NATO auf Ersuchen der Türkei und auf Grundlage des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung (Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen) sowie des Beschlusses des Nordatlantikrates vom 4. Dezember 2012 Drucksache 18/262 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsauschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat das Wort der Bundesminister Frank-Walter Steinmeier. – Herr Minister, Sie haben das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen: Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Blick in den Nahen Osten müssen wir feststellen: Seit drei Jahren hält das Blutvergießen in Syrien jetzt an. Mehr als Hunderttausend Menschen haben in diesen Auseinandersetzungen ihr Leben lassen müssen. Das sind drei Jahre, in denen Millionen von Menschen aus ihrer Heimat vertrieben worden sind. 2 Millionen Syrer sind in die Nachbarländer geflohen. Noch viel mehr Menschen sind auf der Flucht vor Gewalt und Verfolgung. Nicht nur Syrien und die Syrer, auch die Nachbarländer haben schwer zu tragen an diesen Ereignissen. Das gilt vor allen Dingen für den Libanon und Jordanien, aber nicht zuletzt auch für die Türkei. Wir sind Zeugen der größten humanitären Katastrophe der letzten Jahre, wenn nicht gar der letzten Jahrzehnte, einer Katastrophe, die mit dem monströsen Chemiewaffenangriff auf die syrische Zivilbevölkerung eine neue Dimension erreicht hat. So sehr uns in Deutschland gerade seit jenen Bildern aus Damaskus das Leiden und die Not der Zivilbevölkerung vor Augen stehen, so unübersichtlich erscheinen uns die Fronten der Kämpfenden zwischen dem wankenden Regime auf der einen Seite, der zerstrittenen Opposition auf der anderen Seite, zwischen extremistischen Kräften und jenen demokratischen Kräften in der Opposition, die sich tatsächlich nach Frieden und nach Sicherheit sehnen. Doch ich sage auch: Je unübersichtlicher die Fronten sind, desto klarer muss unsere Überzeugung sein, dass nur eine politische Lösung der Ausweg sein kann. Nur dann, wenn in Syrien die Spirale der Gewalt abebbt und der Wille zu Frieden und Freiheit aufkeimt, wird das Leiden der Menschen dort ein Ende haben. Für diese politische Lösung müssen wir uns mit aller Kraft einsetzen, die Bundesregierung, aber auch das Hohe Haus. Ich danke Ihnen für die Unterstützung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Hat aber lange gedauert!) Vielleicht öffnet sich gerade in diesen Tagen zum ersten Mal die Tür zu einer solchen Lösung auf einem politischen Weg. Vielleicht war der Anfang das, was wir vor einigen Wochen, vor Weihnachten, gesehen haben, nämlich die Initiative zur Vernichtung der Chemiewaffen in den syrischen Waffenlagern. Aus meiner Sicht darf man die Bedeutung dessen, was da zustande gekommen ist, mit Blick auf die Gewaltsamkeit des Konfliktes nicht unterschätzen. Es ist nicht nur gelungen – das ist in einer solchen Situation viel –, die scheinbar unvermeidliche nächste Stufe der Eskalation in dieser Auseinandersetzung zu vermeiden – das ist gelungen, und das ist schon viel –, sondern – ich glaube, das ist noch viel bedeutsamer; das wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen – es ist auch gelungen, die Selbstblockade im Weltsicherheitsrat zu durchbrechen und auch die USA und Russland zu einer gemeinsamen Kooperation – diese ist sehr begrenzt; ich will das nicht überschätzen, aber es ist ein Anfang – im Syrienkonflikt zu bewegen. Es wird weiter gestorben in Syrien, aber die Tür ist jetzt einen kleinen Spalt offen. Wir sind vom Frieden weit, weit entfernt; das weiß ich. Ich befürchte, wir sind auch vom Ende des Blutvergießens noch weit entfernt. Aber aus dem, was da geschehen ist, kann mehr werden, wenn tatsächlich alle zu ihrer Verantwortung stehen, und diese Verantwortung – darauf weise ich hin – trifft auch uns, gerade mit Blick auf die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen. Es ist auch eine Nagelprobe, ob wir auf dem Weg zum Frieden in Syrien in einer zeitlichen Perspektive tatsächlich weiterkommen. Andersherum gesagt: Wenn sich die wenigen Staaten, die über Kapazitäten zur Chemiewaffenvernichtung verfügen, aus ihrer Verantwortung heraushalten und nicht mitmachen, dann wird es auch keine weiteren Schritte auf dem Weg zu einer politischen Lösung geben. Deshalb ist es richtig, dass wir gesagt haben: Wenn die Chance besteht, die Chemiewaffenlager zu räumen, wenn die Chance besteht, die Chemiewaffen aus Syrien abzutransportieren und anschließend zu vernichten, dann dürfen wir uns nicht verweigern, dann müssen wir unser Know-how und unsere Kapazitäten zur Verfügung stellen. – Das haben wir getan, und ich bedanke mich für die breite Unterstützung hier in diesem Haus. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist der eine Teil der Verantwortung. Der andere Teil der Verantwortung ist natürlich, humanitäre Hilfe da zu leisten, wo immer es geht. Das müssen wir in Syrien selbst tun, aber – ich habe es am Anfang angedeutet – den Blick nur auf Syrien zu richten, wäre zu wenig. Wer einmal ein Flüchtlingslager in den Nachbarländern gesehen hat, der weiß ungefähr, wie der Vorhof zur Hölle aussieht. Deshalb sind wir aufgefordert und stehen wir in der Verantwortung, hier Zusätzliches zu leisten. Zu dem, was wir in den Nachbarländern und in Syrien zusätzlich an humanitärer Hilfe leisten, gehört auch, dass wir uns für diejenigen, die Syrien oder die Nachbarländer Syriens verlassen müssen, ein wenig öffnen. Über 30 000 Menschen aus Syrien haben bisher ihren Weg hierher gefunden. Sie sind aufgenommen worden mithilfe der Programme von Bund und Ländern, die es gibt. Wir stehen mit Blick auf die Aufnahmebereitschaft im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten nicht schlecht da. Ich finde, das steht uns auch gut an. Das ist gut und richtig so. Das ist ein kleiner, aber wichtiger Beitrag zur Linderung der Not. Lassen Sie uns aber auch einmal den Ländern Dank sagen, die an der Aufnahme dieser Menschen mitgewirkt haben. Herzlichen Dank von hier aus! (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir tragen Verantwortung, wenn es um die Vernichtung von Waffen geht und wenn es um die humanitäre Hilfe geht, und wir tragen natürlich erst recht am Verhandlungstisch Verantwortung. Wir haben uns bemüht – Sie haben das verfolgt –, die gemäßigte Opposition in Syrien in die Friedenskonferenzen, die jetzt anstehen, tatsächlich einzubeziehen, nach unserer Vorstellung möglichst breit, möglichst flächendeckend. Aber Sie sehen auch: Es gibt in Syrien eine zynische Auseinandersetzung innerhalb der Opposition. Manche sagen: Wer sich jetzt, da wir den Sieg auf dem Schlachtfeld davontragen können, an den Verhandlungstisch setzt, der verrät den Sieg, den wir vor Augen haben. – Ich finde das zynisch, weil der Frieden auf dem Schlachtfeld in Syrien – da bin ich mir ganz sicher – nicht gefunden werden wird. Frieden wird es nur auf dem Weg einer politischen Lösung geben. Deshalb werden wir die syrische Opposition in den nächsten Tagen und Wochen weiterhin auffordern – das haben wir auch bisher getan –, an den Verhandlungen, die jetzt anstehen, teilzunehmen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Verantwortung, meine Damen und Herren, tragen wir auch und nicht zuletzt gegenüber der Türkei. Die Türkei ist ganz unmittelbar betroffen. Eine Dreiviertelmillion Flüchtlinge kam mittlerweile über die Grenzen Syriens in die Türkei. Das ist für den Süden der Türkei natürlich eine Belastung. Deshalb muss sich unsere humanitäre Unterstützung auch dorthin richten. Ich sage das natürlich auch deshalb, weil das nicht nur eine Belastung ist, sondern weil sich daraus auch eine wirkliche militärische Bedrohung für die Türkei ergibt. Deshalb hat uns die Türkei ersucht, mit Patriot-Abwehrsystemen zur Verfügung zu stehen, um die eigene Bevölkerung vor Raketenbeschuss aus Syrien zu schützen. Die Stationierung ist und bleibt – und wird es bleiben – ausschließlich eine Maßnahme der Verteidigung. Die Patriot-Abwehrsysteme unterstehen weiterhin dem NATO-Oberbefehl und dem politischen Mandat des NATO-Rates. Es werden weiterhin maximal 400 Soldatinnen und Soldaten vor Ort bleiben. Die Bedingungen des Einsatzes, so wie ihn das Hohe Haus bereits einmal beschlossen hat, bleiben unverändert. Der Einsatz bleibt rein defensiv. Wir, die Bundesregierung, bitten Sie um Ihre Unterstützung und Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das Wort hat jetzt der Kollege Jan van Aken für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war dieses Wochenende in Syrien. Die Lage vor Ort ist wirklich katastrophal. Wir haben die Flüchtlingsströme gesehen. Teilweise versuchen Menschen, nur mit einer Plastiktüte in der Hand das Land zu verlassen und diesen Krieg irgendwie hinter sich zu lassen. Wir haben mit Menschen gesprochen, die verzweifelt irgendwie versuchen, ihre Heimat noch zu verteidigen. Da war eine Frau, Mitte 20 – sie war vor dem Krieg Hausfrau und hat zu Hause zwei kleine Kinder –, die sich den kurdischen Milizen angeschlossen hat, um ihr Dorf vor den Islamisten zu verteidigen. Das sind Schicksale, die wir uns hier, glaube ich, kaum vorstellen können. Aber – darüber will ich jetzt reden –: Wir haben auch einen Hoffnungsschimmer gesehen. Im Norden Syriens – das ist der Teil, den ich besucht habe; das ist eine Region mit etwa 4 Millionen Menschen, die zum größten Teil von Kurdinnen und Kurden bewohnt ist – haben die Menschen ihr Schicksal in die eigene Hand genommen. Dort haben sie eine Selbstverwaltung aufgebaut. Vor anderthalb Jahren haben sie das Assad-Regime vertrieben. Sie haben in den Dörfern basisdemokratisch Komitees gewählt, die jetzt die Selbstversorgung sicherstellen. Das Wichtigste dabei ist: Daran sind alle Volksgruppen, alle Religionsgruppen und fast alle Parteien in der Region beteiligt. Für dieses Frühjahr plant man dort sogar Wahlen – mitten im Krieg. Das finde ich sehr bemerkenswert. Wir haben mit dem Sprecher der Assyrer – das sind die Christen in der Region – gesprochen. Sie sprechen bis heute Aramäisch – diese Sprache habe ich vorher noch nie gehört –; das ist die Sprache von Jesus. Auch die Christen beteiligen sich an dieser Selbstverwaltung und an der Vorbereitung der Wahlen. Man muss feststellen, dass die Christen dort nicht alles teilen, was die Kurden für die Wahlen planen. Dass für das neue Regionalparlament eine Frauenquote von 40 Prozent gelten soll, sehen die Christen dort kritisch; das geht denen in Syrien nicht anders als den christlichen Parteien hier im Bundestag. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Aber ansonsten beteiligen sich die Christen an der Selbstverwaltung. Dieses demokratische Experiment wird jetzt von zwei Seiten existenziell bedroht, auf der einen Seite durch militärische Angriffe: Die Islamisten, aber auch die Assad-Truppen greifen ständig an und versuchen, das zu zerstören. Auf der anderen Seite ist die Region durch ein striktes Embargo seitens der Türkei und des Irak fast komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Dahinter steht die Politik der Türkei, Herr Steinmeier, die versucht, jede Art von kurdischer Selbstverwaltung in der Region schon im Keim zu ersticken. Deshalb versucht die Türkei, die eine Region in Syrien, die sich gegen den Krieg stellt, die sich demokratisch organisiert, durch eine strikte Blockade in die Knie zu zwingen. Wir waren zum Beispiel in Qamishli, einer großen Stadt im Norden. Dort gibt es kaum noch Medikamente. Ein paar Pappkartons standen dort herum mit einzelnen Packungen von Medikamenten, die privat gespendet worden sind. Chronisch Nierenkranke können nicht mehr versorgt werden, einige von ihnen sind bereits gestorben. – Und das, obwohl nur einen Katzensprung entfernt, vielleicht ein paar Hundert Meter, ein Grenzübergang zur Türkei besteht. Doch die Türkei hat diese Grenze dichtgemacht: Da kommt keine einzige Tablette durch, da kommt kein Sack Reis durch, und da kommt kein Kanister Öl durch. Das einzige, was über die Grenze geht, sind Waffen für Dschihadisten. Herr Steinmeier – das muss ich wirklich sagen –, Ihr Bündnispartner Türkei ist gerade dabei, den einen Hoffnungsschimmer, den wir in Syrien sehen, die eine Keimzelle für ein demokratisches Syrien, kaputtzumachen. Deshalb finde ich es auch falsch, dass die Bundeswehr dort mit Patriot-Raketen stationiert ist; denn das ist doch eine politische Unterstützung für die Türkei. Ich finde es bemerkenswert, Herr Außenminister, dass Sie in der Debatte über eine Bundeswehrstationierung von zehn Minuten Redezeit gerade einmal dreißig Sekunden der Stationierung gewidmet haben – weil Sie genau wissen: Es gibt kein objektives Argument dafür, es geht einzig und allein um politische Unterstützung. Wir alle hier im Raum wissen, dass die Türkei im Syrienkonflikt momentan eher ein Teil des Problems ist. Sie wissen doch auch, Herr Steinmeier, dass über die Türkei Al-Qaida-Kämpfer in das Kampfgebiet einsickern. Sie wissen doch auch, dass über die Türkei Waffen an die Dschihadisten nach Syrien geschmuggelt werden. Ein Abzug der Bundeswehr aus der Türkei wäre ein politisches Signal an Ankara, diese falsche Politik zu stoppen. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte Sie bitten, wirklich alles dafür zu tun, dass die Türkei die Blockade gegen den Norden Syriens aufhebt, dass die Grenzen geöffnet werden für humanitäre Hilfe, aber auch für normalen Handel. Die Menschen dort betreiben Landwirtschaft, in der Region gibt es Öl. Durch Handel könnte dieses demokratische Experiment unterstützt werden. Das ist doch genau das, was wir alle hier wollen: ein demokratisches, ein freies, ein multiethnisches, multireligiöses Syrien, in dem die verschiedenen Volksgruppen friedlich miteinander und nebeneinander leben. Das wird im Norden Syriens gerade versucht, und das müssen wir doch unterstützen. (Beifall bei der LINKEN) Ein letztes Wort. Es gibt eine Sache, die ich wirklich nicht verstehe: Warum eigentlich sollen die Kurden auf der Friedenskonferenz in Genf nicht vertreten sein dürfen? Wenn Sie Frieden für ganz Syrien wollen, dann muss auch ganz Syrien mitverhandeln. Die Kurden sind ein Teil Syriens: 10 bis 15 Prozent der Menschen in Syrien sind Kurden. Das Hohe Kurdische Komitee im Norden verlangt nicht mehr und nicht weniger, als auch eine Delegation entsenden zu dürfen. Ich finde das sehr gut. Denn wenn nur ein Teil der Syrer eingeladen wird, wird man auch nur eine Teillösung für den Frieden bekommen. Deswegen sollten die Kurden mit vertreten sein. (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Gerade an Syrien kann man doch sehen – und ich sage Ihnen: ich habe es persönlich gesehen –, dass deutsche Waffen mitten in einem furchtbaren Bürgerkrieg in die Hände von echten Menschenfeinden gelangen. Damit sollten wir endlich aufhören. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Für die Bundesregierung spricht jetzt Frau Bundesministerin Ursula von der Leyen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der syrische Bürgerkrieg hält uns weiter in Atem. Ja, es ist richtig, dass wir alles tun müssen, um die humanitäre Not der Flüchtlinge zu mildern. Es ist richtig – ich freue mich darüber –, dass wir mit unserem Wissen, unserer Technik und unseren Kompetenzen entscheidend zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen beitragen. Das Mandat, über das wir hier heute diskutieren, ist aber ausgelöst worden, weil wir von einem NATO-Bündnispartner um Hilfe gebeten worden sind. Für uns ist ganz klar: Wir stehen zu unseren Partnern im Bündnis und stehen zu unseren Zusagen. (Beifall bei der CDU/CSU – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Egal, was sie machen?) Die Türkei ist direkt vom Syrienkonflikt betroffen. Der Außenminister hat sehr klar dargelegt, was die politischen Konsequenzen sind, was die Einsätze sind, aber auch wie die politischen Bemühungen aussehen, um Lösungen zu finden. Das heißt aber auch, man darf nicht ausblenden, dass die Türkei, die als Bündnispartner nicht über eigene ballistische Raketen, Abwehrraketen verfügt, unsere Hilfe braucht, wenn sie um Hilfe bittet. (Zuruf des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Zwei Zahlen zur Lage an der syrisch-türkischen Grenze: 70 getötete türkische Zivilisten und 770 000 syrische Flüchtlinge. Das also ist die Lage der Türkei im Augenblick. Sie hat uns in der NATO um Hilfe gebeten. Sie kennen die Fakten. Wir stehen verlässlich an der Seite unserer Partner. Deshalb hat sich Deutschland bereit erklärt, bis zu 400 Soldatinnen und Soldaten zu entsenden. Seit Januar 2013 halten wir zusammen mit den USA und den Niederlanden Flugabwehrraketensysteme vom Typ Patriot in der Türkei im Einsatz. Darüber hinaus sieht der Auftrag für die Bundeswehr vor, an der luftgestützten Frühwarnung im Rahmen der Luftraumüberwachung mitzuwirken. Hier sind in AWACS-Flugzeugen der NATO Soldatinnen und Soldaten eingesetzt. Der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten hat sich bewährt. Bis heute schützen wir erfolgreich die türkische Bevölkerung und das türkische Territorium vor Angriffen mit syrischen Raketen. Ich möchte an dieser Stelle unseren Soldatinnen und Soldaten meinen Dank und meinen Respekt für diesen Einsatz aussprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mein Dank und mein Respekt gebühren auch unseren Partnern in der Türkei für die großen Anstrengungen bei der Versorgung und der Unterbringung unserer Soldatinnen und Soldaten. Wir wissen, dass es am Anfang nicht ganz einfach gewesen ist. Hier hat sich viel zum Positiven verändert. Auch das muss innerhalb unseres Bündnisses einmal ausgesprochen werden. Vor dem geschilderten Hintergrund hat uns die Türkei im November des vergangenen Jahres erneut gebeten, unsere Verstärkung der integrierten Luftverteidigung der NATO fortzusetzen. Unsere Partner USA und Niederlande haben bereits ihre Bereitschaft erklärt. Für die Bundesregierung bitten wir Sie heute um Ihre Unterstützung zur Verlängerung des bestehenden Mandates um weitere zwölf Monate. Die Rahmenbedingungen unseres Einsatzes bleiben dabei unverändert: Der Einsatz ist rein defensiv, also zum Schutz der türkischen Bevölkerung und des türkischen Staatsgebietes. Eine Einrichtung oder Unterstützung einer Flugverbotszone in Syrien ist explizit ausgeschlossen. Der Einsatz, einschließlich von AWACS, erfolgt im Rahmen der integrierten NATO-Luftverteidigung und gliedert sich in die NATO-Kommandostrukturen ein. Die politische Kontrolle ist dadurch jederzeit gewährleistet. Und nach wie vor liegt die Obergrenze der potenziell eingesetzten Soldatinnen und Soldaten bei 400. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Agnieszka Brugger. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach wie vor nehmen wir die Sorge der Türkei ernst, dass sich der schreckliche Krieg in Syrien auch auf das türkische Territorium ausweiten könnte. Wie zu Beginn der Operation Active Fence vor einem Jahr gilt es nun, die Bitte der Türkei, dort Patriot-Abwehrraketen zu stationieren, erneut sorgfältig zu prüfen. Dabei kann der bloße Verweis auf die Bündnissolidarität mit dem NATO-Partner allerdings nicht automatisch einen Bundeswehreinsatz rechtfertigen. Vor einem Jahr haben wir Grüne die Diskussion um das Mandat kritisch begleitet. Wir haben einige Bedingungen formuliert, die aus unserer Sicht erfüllt sein müssen, um zu verhindern, dass Deutschland und die NATO zu Konfliktparteien im syrischen Krieg werden: Die Patriot-Systeme müssen weit entfernt von der syrischen Grenze aufgestellt sein, und ihre Stationierung darf die innenpolitischen Spannungen in der Türkei nicht befördern. Zudem müssen sie dem Kommando der NATO unterstellt sein, und es dürfen keine Operationen auf oder über syrischem Gebiet stattfinden. Und es muss auch klar ausgeschlossen werden, dass sie zur Einrichtung einer Flugverbotszone über Syrien genutzt werden können. Die letzte Bundesregierung ist auf unsere Bedenken und Hinweise eingegangen, und deshalb haben wir Grüne diesem Einsatz mit großer Mehrheit unsere Zustimmung erteilt. Da das nun vorgelegte Mandat in seiner Ausgestaltung mit dem alten identisch ist, sind diese Bedingungen auch weiterhin erfüllt. Damit hat die Stationierung der Patriot-Abwehrsysteme einen rein defensiven Charakter, nämlich den, die Menschen in der Türkei zu schützen. Den Soldatinnen und Soldaten möchte ich auch im Namen meiner Fraktion an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich für ihren Beitrag dazu danken. Sie erfüllen ihre Aufgabe unter nicht immer einfachen Bedingungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, die Debatte um das vorliegende Mandat kann man nicht führen, ohne sich mit dem grauenhaften Kriegsgeschehen in Syrien auseinanderzusetzen. Mittlerweile sind mehr als 120 000 Todesopfer in Syrien zu beklagen. Die stetig eskalierende Gewalt, die unfassbaren Gräueltaten, die schrecklichen Menschenrechtsverletzungen, aber auch die Zerstörung von Lebensgrundlagen und historischen Kulturstätten erschüttern uns Grüne zutiefst. Besonders grausam und verabscheuungswürdig war dabei der Giftgasanschlag im August. Durch die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft sollen die syrischen Chemiewaffen nun bis Mitte dieses Jahres vernichtet werden. Auch die Bundesregierung hat sich endlich nach einigem Zögern dazu bereit erklärt, die chemischen Reststoffe hier in Deutschland zu vernichten. Dieses Angebot ist richtig; denn diese Massenvernichtungswaffen müssen so schnell wie möglich unbrauchbar gemacht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Philipp Mißfelder [CDU/CSU]) Doch so wichtig die vereinbarte Zerstörung der syrischen Chemiewaffen auch ist, sie bietet natürlich noch keine wirkliche Antwort auf die dramatische Lage in Syrien, die uns nach wie vor Tag für Tag mit Grauen erfüllt: das barbarische Vorgehen des Assad-Regimes ebenso wie die Gräueltaten der dort erstarkten islamistischen Gruppen. Von einer Lösung dieses blutigen Konflikts sind wir noch weit entfernt. Große Erwartungen richten sich dabei an die nächste Syrienkonferenz in der kommenden Woche. Diese hat allerdings nur dann eine Erfolgschance, wenn alle Konfliktparteien beteiligt und in die Verantwortung genommen werden. Das gilt natürlich für die syrische Opposition in ihrer ganzen Breite. Das gilt aber auch für den Iran, der mit seiner Unterstützung des Assad-Regimes eine verheerende Rolle im syrischen Kriegsgeschehen spielt und gerade deshalb nicht außen vor gelassen werden darf. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, die Türkei und andere Nachbarstaaten wie der Libanon oder Jordanien sind mit der Versorgung der Flüchtlinge extrem überlastet. Die Lage in den Flüchtlingslagern ist äußerst angespannt. Die Notunterbringung und Grundversorgung der Flüchtlinge erweist sich als schier unmöglicher Kraftakt. Die Zahlen sind erschreckend: In Syrien selbst sind circa 6,5 Millionen Menschen auf der Flucht, und in den Nachbarländern wie dem Libanon, Jordanien und der Türkei sind bisher über 2,2 Millionen syrische Flüchtlinge offiziell registriert; die Hälfte davon sind Kinder. Laut der UN-Organisation für Nothilfe wird sich die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien auf mehr auf 4 Millionen verdoppeln. Die humanitäre Lage wird somit noch desaströser werden. An dieser Stelle geht es um Solidarität und Menschlichkeit. Es geht aber auch um ganz konkrete sicherheitspolitische Notwendigkeiten; denn man braucht wahrlich keine große Fantasie, um sich vorzustellen, dass die katastrophale und angespannte Lage in den Flüchtlingslagern einen neuen Nährboden für Konflikte, Auseinandersetzungen und Radikalisierung bietet. Immer wieder verweisen die Vereinten Nationen und auch andere Organisationen darauf, dass es zur Versorgung der Notleidenden eines viel größeren finanziellen Engagements bedarf; die Schätzungen belaufen sich dabei auf 6,5 Milliarden Dollar. Als eine der reichsten Industrienationen muss Deutschland hier über den bisherigen Beitrag hinaus eine viel, viel größere Unterstützung leisten. Das gilt ebenso bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Bisher haben nur 1 700 Menschen aus Syrien in Deutschland Zuflucht gefunden. Zugesagt hatte die Bundesregierung die Aufnahme von 10 000 Flüchtlingen. Das ist eindeutig zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist allerhöchste Zeit, dass wir der Türkei und auch den anderen Nachbarstaaten Syriens unsere Solidarität in Bezug auf die Flüchtlinge zeigen und nicht nur dann, wenn es um die Stationierung von Patriot-Abwehrraketen geht. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das Wort hat jetzt der Kollege Philipp Mißfelder. (Beifall bei der CDU/CSU) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal freue ich mich, dass wir mit Ausnahme der Linksfraktion dieses Mandat mit großer Unterstützung fortführen wollen. Ich bin mir sicher, dass das eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber unserem wichtigen NATO-Partner Türkei ist; denn die Türkei hat schließlich Ende 2012 um diese Unterstützungsmaßnahme gebeten und diese Bitte im November vergangenen Jahres erneuert. Das zeigt, dass dieses Mandat – das hat mir kürzlich der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt ausführlich berichtet – in der Türkei mehr Zuspruch findet, als es zu Beginn dieses Einsatzes der Fall zu sein schien. Gerade auch für diejenigen in unserem Land, die die Arbeit der Bundeswehr im Ausland mit großem Interesse verfolgen, ist es ein wichtiges Zeichen, dass diese Anfangsschwierigkeiten überwunden worden sind und dass wir insgesamt in Treue zum Bündnis stehen, aber dass auch alle Seiten die Arbeit der Bundeswehr gebührend anerkennen. Das ist eine wichtige Feststellung, die wir erst einmal zu treffen haben. Wir als CDU/CSU-Fraktion werben dafür, dieses Mandat fortzusetzen. Der rein defensive Ansatz stellt für uns eine unterstützende Maßnahme dar, mit der wir dazu beitragen können, dass die Verhandlungen um eine politische Lösung des Syrienkonflikts, über die unser Bundesaußenminister gerade gesprochen hat, weiter ungestört fortgeführt werden können. Von uns hat niemand die Erfolgsaussichten eines militärischen Eingreifens überbewertet. Anders als Teile unserer Verbündeten, die sich öffentlich für einen solchen Einsatz ausgesprochen haben, waren wir immer der Meinung, dass eine politische und diplomatische Lösung der einzig gangbare Weg für die Zukunft Syriens ist. Dieser defensive Ansatz, den wir hier bewusst gewählt haben, steht einer solchen Lösung nicht im Wege; denn alles andere würde in Syrien als Aggression wahrgenommen werden. Aber hier geht es um den Schutz der Zivilbevölkerung in der Türkei. Das halte ich für zentral. Ich möchte etwas zu dem anmerken, was Herr van Aken erklärt hat. Das, was er gesagt hat, halte auch ich nicht für ganz abwegig. Das wird Sie vielleicht überraschen, Herr van Aken. Ich bin der Meinung – da stoßen Sie bei unserem Bundesaußenminister und auch in unserer Fraktion auf offene Ohren –, dass die Kurden hier eingebunden werden müssen. Wir sehen, dass gerade in den Gebieten, in denen die Kurden dominieren, sowohl im Nordirak als auch in Syrien selbst, eine große, konstruktive humanitäre Leistung erbracht wird. Diese gilt es auch weiterhin zu unterstützen. Ich bin auch der Meinung – da möchte ich mich Ihnen insofern anschließen –, dass bei den anstehenden Gesprächen auch kurdische Vertreter eingebunden werden sollten. Ich werde jetzt nicht formalistisch darauf pochen, dass bei jedem Treffen ein bestimmter Repräsentant der Kurden dabei sein muss, aber ich denke, dass in dieser Region die Rolle der Kurden nicht zu unterschätzen ist und dass gerade auch ihr konstruktiver Beitrag von unschätzbarem Wert ist. Diese Anerkennung der Kurden ist bei Herrn Steinmeier und bei unserer Fraktion sowieso schon immer in guten Händen gewesen. Insofern laufen Sie mit ihrer Forderung offene Türen ein. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Der PKK-Freund! – Weitere Zurufe von der LINKEN) – Sie können sich bei den einschlägigen Personen erkundigen. Sie werden dann eine entsprechende Antwort bekommen. Ich denke, dass Sie bisher mit der angebotenen Zusammenarbeit ganz gut gefahren sind, auch im Ausschuss. Wieso sollen wir in der Öffentlichkeit verheimlichen, dass wir über Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten? Ich kann auch in die Rhetorik der Vergangenheit zurückfallen. Auf Wunsch kann ich das auch machen. Ich bin jedenfalls der festen Überzeugung, dass wir eine Zwischenbilanz ziehen müssen, was den schleppenden Friedensprozess für Syrien angeht. Dabei müssen wir natürlich selbstkritisch sagen, dass viele von uns zu Beginn des Konfliktes der Meinung waren, eine friedliche Zukunft für Syrien sei nur ohne Assad vorstellbar. Auch ich selber habe das in Pressemitteilungen und Interviews erklärt. Man sieht, dass wir mit dieser Einschätzung an vielen Stellen falsch lagen. Das kann man bedauern. Tatsache ist aber, dass wir bei künftigen Herausforderungen immer fragen müssen, ob die Lageeinschätzungen, die uns übermittelt werden, und die Eindrücke, die wir teilweise selber sammeln, mit der Realität in Zusammenhang stehen, auch was die langfristige Wirkung angeht, oder ob sie vielleicht auch dadurch geprägt sind, dass wir mit Scheuklappen an manche Dinge herangehen. Eines kann man bei dieser Zwischenbilanz, glaube ich, jetzt schon feststellen, wenn es um Syrien geht, nämlich dass wir uns auch deshalb in einer sehr schwierigen Situation bewegen, weil wir an manchen Stellen oft zu zögerlich waren und an anderen Stellen – mit Blick auf Großbritannien und Amerika zu Beginn der Diskussion um ein mögliches militärisches Eingreifen nach dem Chemiewaffenanschlag – vorpreschen, ohne zu wissen, wohin dieses Vorpreschen führen wird. Das ist ein Punkt beim Syrien-Konflikt, den man sich ganz genau anschauen muss. Weil viele davon sprechen, dass der Syrien-Konflikt möglicherweise ein Stellvertreterkonflikt für andere heraufziehende Konflikte in der gesamten muslimischen Welt ist, muss man das, glaube ich, besonders ernst nehmen und mehr Zeit darauf verwenden, dies tiefgehender zu analysieren. Ich glaube, dass der Weg, den wir heute gehen, in erster Linie auf ziviler und humanitärer Ebene zu wirken und auf der politischen Ebene einen Beitrag zu leisten, dass eine friedliche, diplomatische Lösung denkbar ist, richtig ist. Dafür hat Deutschland in den letzten Monaten sehr viel getan. Ich bin froh, dass die neue Bundesregierung diesen Weg mit der gleichen Entschlossenheit weitergeht, dass wir dort einen richtigen Beitrag leisten und auch gegenüber denjenigen, die militärisch eingreifen wollten, die Überzeugungskraft ausstrahlen, sich dies besser zu überlegen, weil das gerade in Syrien mit unabschätzbaren Folgen verbunden gewesen wäre und uns allen geschadet hätte. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Als letzter Redner in der Debatte spricht jetzt der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Vor einem Jahr haben wir zum ersten Mal das Mandat Active Fence auf den Weg gebracht. Ich kann mich noch gut an die Diskussion damals erinnern. Der Fraktionsvorsitzende der Linken beispielsweise hat vom Einmarsch der Deutschen im Nahen und Mittleren Osten gesprochen und gesagt, dass wir zur Kriegspartei werden. Dagegen hat der Vertreter der Linken heute vergleichsweise abgerüstet und sogar den einen oder anderen nicht ganz uninteressanten Ansatzpunkt gebracht. (Zuruf von der CDU/CSU: Er hat dazugelernt!) Ich hoffe, Herr van Aken, dass Sie bei so viel Lob von der Union heute keine Probleme in Ihrer Fraktion bekommen. Seit letztem Jahr schützt die NATO unseren Partner Türkei mit der Patriot-Raketenabwehr vor Angriffen aus Syrien. Seither sorgt die NATO für die Sicherheit von Millionen türkischen Bürgerinnen und Bürgern und verhindert möglicherweise auch ein Überschwappen des Bürgerkrieges in die Türkei. Eine Verlängerung ist weiterhin nötig; denn das syrische Regime verfügt über ballistische Trägersysteme mit einer Reichweite von 700 Kilometern. Sie können einen Großteil des türkischen Territoriums erreichen. Zuletzt hat der Alliierte Oberbefehlshaber der NATO in seinem Bericht vom Dezember die Bedrohung der Türkei durch Syriens Kurz- und Mittelstreckenraketen als unverändert bestehend bestätigt. Es ist deshalb klar, dass die Türkei auch weiterhin auf die Unterstützung der NATO im Rahmen von Active Fence angewiesen ist. Ich konnte mir wenige Tage vor Weihnachten bei einem Besuch in Kahramanmaras einen persönlichen Eindruck vom Einsatz verschaffen. Die knapp 300 Soldatinnen und Soldaten, überwiegend Angehörige der Luftwaffe, haben dort einen ausgezeichneten Eindruck gemacht und leisten hervorragende Arbeit. Sicherlich gehört die Weihnachtszeit für unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und vor allem für ihre Familien daheim zu den besonders entbehrungsreichen Zeiten. Das sollten wir uns regelmäßig bewusst machen. Fern der Heimat verschaffen sich unsere Einsatzkräfte durch Zusammenrücken und Kameradschaft über die Feiertage ein wenig Ausgleich. Dabei spielt auch die militärische Seelsorge eine wichtige Rolle. Ich möchte deshalb an dieser Stelle der militärischen Seelsorge ganz herzlich für ihre unersetzliche Arbeit gerade in den Einsatzgebieten für alle Soldaten, völlig unabhängig, ob gläubig oder nicht, danken. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Angesichts der verfügbaren ausgebildeten Bundeswehrkräfte auf dem System Patriot und der bisher geplanten Standzeiten im Einsatz wird das aktuelle Kontingent auch im nächsten Jahr wieder zu Weihnachten in Kahramanmaras sein. Das ist eine nicht wirklich attraktive Aussicht für Mitglieder dieses Kontingents. Vielleicht müssen wir uns zu diesen Regelungen einmal grundsätzlich Gedanken machen. Frau Ministerin von der Leyen, Sie haben ja dankenswerterweise das Thema „Attraktivität und Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, das uns im Parlament und in den Ausschüssen schon lange beschäftigt, auf Ihre persönliche Agenda gesetzt. Auch wenn der Soldatenberuf keiner ist wie jeder andere, so gibt es noch viel zu verbessern – da bin ich sicher –, und dabei werden wir Sie gerne unterstützen, Frau Ministerin. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Einsatz in der Türkei ist organisatorisch unter anderem durch den Host Nation Support geprägt. Diese Vereinbarung zwischen NATO und Türkei macht die Gastgeber für die Unterbringung, die Verpflegung und die Sicherheit unserer deutschen Soldatinnen und Soldaten verantwortlich. Vor dem Hintergrund der anfänglichen Schwierigkeiten war es erfreulich, zu sehen und zu hören, dass sich die Situation für unsere Leute doch deutlich verbessert hat und die gröbsten Baustellen geschlossen werden konnten. So wurde beispielsweise das Defizit im Sanitätsbereich durch ein Containermodul, das im Dezember in den Einsatz verlegt wurde und inzwischen nutzbar sein sollte, deutlich verringert. Die Zusammenarbeit mit den türkischen Vertretern vor Ort ist sehr kooperativ und sachorientiert. Hier war zu spüren, dass sich inzwischen wichtiges Vertrauen aufgebaut hat und alle bemüht sind, dass sich die Dinge weiterhin positiv entwickeln. Der Einsatz bei Active Fence zeigt wieder einmal, dass sich unsere Partner im Bedrohungsfall auf uns verlassen können. Grundsätzlich muss die Frage aber erlaubt sein, ob sich die Türkei als wirtschaftlich aufstrebende und erfolgreiche Nation mittelfristig nicht selbst um eine entsprechende Raketenabwehrfähigkeit bemühen muss. Ich begrüße, dass sich Deutschland vergangene Woche bereit erklärt hat, an der Vernichtung der chemischen Stoffe aus Syrien mitzuwirken. Die Bundeswehr, die bei der Beseitigung von Chemiewaffen über große Expertise verfügt, leistet so einen wertvollen Beitrag zur Entschärfung einer gerade für die Zivilbevölkerung unmenschlichen Bedrohung in Syrien. Im Rahmen dieses umfassenden Einsatzes Deutschlands für den Frieden gilt es, das Mandat Active Fence in der Türkei zu verlängern. Zum Schluss bleibt mir, Gottes Segen, Gesundheit und Erfolg für unsere Einsatzkräfte im In- und Ausland für 2014 zu wünschen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ich schließe die Aussprache. – Herr Kollege Ströbele, haben Sie noch eine Frage? Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. – Ich wollte dem Kollegen eine Frage stellen. Aber er war schon bei Gottes Segen angekommen. Das heißt, seine Rede war zu Ende. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Die Redezeit war schon abgelaufen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, deshalb ist das jetzt eine Kurzintervention. – Da der Außenminister noch auf der Regierungsbank sitzt, drängt sich eine Frage auf. Über die Nachrichtenagenturen wird die Meldung verbreitet, dass europäische, insbesondere deutsche, Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes Kontakt zum syrischen Geheimdienst aufgenommen haben. Es gibt bisher keine offizielle Bestätigung dafür. Da wir aber gegenwärtig über Syrien und die dortige Gefahrenlage diskutieren, wäre es richtig und angemessen, wenn vielleicht der Bundesaußenminister dazu drei Worte sagen würde. Stimmt das und wenn ja, was ist der Hintergrund? Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das ist sehr schwierig; denn Sie können sich nur auf einen Diskussionsbeitrag beziehen, Herr Kollege Ströbele. Vielleicht sollten Sie die Frage anders stellen, oder vielleicht ist der Kollege Steinmeier so freundlich, in seinem nächsten Redebeitrag darauf einzugehen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Steinmeier hat schon geredet. Da war ich noch anwesend. Ich musste zwischendurch leider zu einer anderen Besprechung. Es liegt doch im Interesse der Bundesregierung, dazu eine Klarstellung vorzunehmen. (Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: Dann gibt es eine neue Debattenrunde!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Ströbele, das ist so nicht vorgesehen. Wenn wir das jetzt machen würden, würde es eine neue Debattenrunde geben. Das geht nicht, weil wir den Zeitplan einhalten wollen. Ich muss Sie bitten, Ihre Frage später erneut zu stellen. Ich schließe jetzt die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/262 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation Active Endeavour im gesamten Mittelmeer Drucksache 18/263 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsauschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Debatte hat jetzt der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen, dass das Mandat zur Beteiligung der Bundeswehr an der Operation Active Endeavour am 31. Dezember vergangenen Jahres geendet hat. Wir bringen heute einen Antrag ein, mit dem wir um Zustimmung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung, allerdings unter veränderten Bedingungen, bitten. Das ist eine Zäsur, auch wenn einige das vielleicht anders sehen wollen. Es ist kein einfaches Weiter-so. Warum Zäsur? Weil diese Operation, von der ich rede, vor mehr als zwölf Jahren als Reaktion auf die Terroranschläge von 9/11 beschlossen wurde. Sie dient – so sagt es die NATO-Beschlussgrundlage von damals – der Abwehr terroristischer Bedrohung im Mittelmeer. Sie fußte damals auf dem Selbstverteidigungsrecht aus der Charta der Vereinten Nationen und der Beistandsverpflichtung nach Art. 5 des NATO-Vertrags. Ich sage das nur deshalb, weil Sie alle wissen: Die Einsatzrealität – nicht nur heute, sondern seit einigen Jahren – ist eine deutlich andere. Nicht nur von uns, sondern von vielen NATO-Partnern wird die terroristische Bedrohung im Mittelmeer heute als äußerst gering eingeschätzt. Nicht einmal die Einsatzregeln der Operation Active Endeavour sehen Eingriffsbefugnisse zur Bekämpfung terroristischer Bedrohungen vor. Stattdessen hat sich die ganze Operation zu einer Aufklärungs- und Beobachtungsmission entwickelt, sozusagen zu einer Art Kooperationsplattform mit den Mittelmeeranrainern. In dieser Form ist das auch aus meiner Sicht heute eine nützliche und zeitgemäße Mission. Warum nützlich und zeitgemäß? Weil wir ein gemeinschaftliches Interesse daran haben müssen, dass wir ein möglichst lückenloses Lagebild im Mittelmeer haben, dass wir beobachten, wo sich potenzielle Risiken entwickeln können, wo sich wichtige Veränderungen ergeben, die zu beachten sind. Diese Beobachtung und diese Sachaufklärung leistet die Mission, für deren Zustimmung wir heute bei Ihnen werben. Ich sehe es so, dass zwischen dem ursprünglichen Auftrag und der Operation heute eine Lücke klafft. Auf diese Situation müssen wir politisch Einfluss nehmen. Deshalb haben wir Schlussfolgerungen gezogen und einige Änderungen in das Ihnen vorliegende Mandat eingefügt. Zum Beispiel haben wir diejenigen Befugnisse gestrichen, die durch die heutige Einsatzrealität nicht mehr zu rechtfertigen sind. Das betrifft zum Beispiel die Kontrolle des Seeverkehrs, das betrifft die Unterstützung spezifischer Operationen der NATO als Reaktion auf terroristische Aktivitäten, wie es damals hieß. Wir haben die Personalobergrenze von 700 auf 500 Soldatinnen und Soldaten gesenkt. Wir haben die Laufzeit auf elf Monate gekürzt, um auch auf diese Weise deutlich zu machen, dass das so etwas wie ein Übergangsmandat sein soll. Mit diesem Mandatstext entwickeln wir das Mandat weiter; aber wir wollen auch zum Ausdruck bringen, dass wir das Mandat selbst auf eine zeitgemäße Begründung stützen müssen. Der Bündnisfall kann heute, mehr als zwölf Jahre nach 9/11, nicht mehr dauerhaft tragfähige Rechtsgrundlage sein, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl wahr!) sondern wir müssen jetzt die Rechtsgrundlage für eine Beobachtungs- und Überwachungsmission schaffen, wie ich sie vorhin geschildert habe. Es obliegt jetzt dem Außenminister und der Verteidigungsministerin, mit den Kolleginnen und Kollegen der NATO zu verhandeln. Ich glaube, dass wir viel Unterstützung darin bei vielen NATO-Partnern haben. Aber Sie kennen auch das Prinzip der Einstimmigkeit, das in der NATO gilt. Insofern müssen wir unsere Bemühungen jetzt darauf richten, insbesondere zwei NATO-Partner, die in diesem Punkt noch anderer Meinung sind, zu überzeugen, und wir müssen darauf setzen, dass wir bis zum Ende dieses Jahres eine, wie ich finde, zeitgemäße und richtige Rechtsgrundlage für eine Beobachtungsmission schaffen. Ich bitte um Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort Stefan Liebich. (Beifall bei der LINKEN) Stefan Liebich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Steinmeier, das war jetzt die hohe Kunst des Eiertanzes. Es ist für Sie sicherlich nicht einfach; aber wir müssen uns ja auf das beziehen, was Sie uns hier vorlegen, und was Sie uns hier vorlegen, ist nach wie vor die Verlängerung eines laufenden Mandats. Dieses Mandat bezieht sich noch immer auf die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Wie passt das zusammen? Meiner und unserer Meinung nach überhaupt nicht. Den schönen Satz „Meiner und unserer Meinung nach überhaupt nicht“ hat vor gut einem Jahr der Kollege Hellmich von der SPD-Fraktion hier vorgetragen. Die SPD-Fraktion hat bei der Abstimmung über dieses Mandat konsequenterweise mit klarer Mehrheit mit Nein gestimmt. Auch der Abgeordnete Frank-Walter Steinmeier war darunter. Nun beantragt er in neuer Funktion als Außenminister die Verlängerung dieses Mandats. Eine echte Zäsur, Herr Steinmeier, wäre, wenn Sie heute die Beendigung dieses Mandats vorgeschlagen hätten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eigentlich gibt es hier im Parlament – das wissen auch alle – immer noch eine rot-rot-grüne Mehrheit für die Beendigung dieses Mandats. Wir finden immer noch, dass der Kampf gegen den Terrorismus gewonnen werden kann, aber eben nicht mit einem Krieg. Deswegen sind wir als Fraktion Die Linke nach wie vor gegen eine Verlängerung dieses Mandats. (Beifall bei der LINKEN) Zwölfeinhalb Jahre nach den Anschlägen vom 11. September ist die Welt eine andere geworden. Ja, es gibt immer noch internationalen Terrorismus. Aber die Begründung mit dem Bündnisfall ist ja nicht erst seit wenigen Wochen falsch; diese Begründung war von Anfang an falsch. (Beifall bei der LINKEN) Es gab keine kollektive Verteidigungsnotwendigkeit; denn es wurde kein NATO-Mitgliedstaat im Mittelmeer angegriffen. Wir freuen uns aber als Fraktion Die Linke – das will ich schon sagen –, dass Sie wenigstens dies inzwischen einräumen und sich da korrigieren. Noch vor wenigen Wochen hat mein Kollege Wolfgang Gehrcke hier gestanden und versucht, Ihnen zu erklären, dass die Aufhebung des Bündnisfalls dringend notwendig ist. Vonseiten der CDU/CSU-Fraktion wurde hier dagegengesprochen. Gut, dass Sie in dieser Frage klüger geworden sind und uns nun zustimmen. (Beifall bei der LINKEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: So wie bei Syrien auch!) Wenn man fragt: „Warum machen wir eigentlich weiter?“, sagen Sie, man könne nicht einfach aus einer von einem Bündnis beschlossenen Mission aussteigen. Gleichwohl schreiben Sie in Ihrer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dass eine deutsche Beteiligung an OAE explizit gar nicht angefragt worden sei. Das ist doch alles keine Grundlage für eine Mandatierung. Wenn man das einmal zusammenfasst: Niemand in diesem Haus ist inzwischen mehr der Auffassung, dass die Bedrohung durch Terrorismus auf dem Seeweg nach dem 11. September noch besteht. Eine deutsche Beteiligung an OAE ist explizit überhaupt nicht angefragt worden, und noch vor kurzem war auch die SPD-Fraktion grundsätzlich gegen eine Verlängerung dieses überflüssigen Mandats. Es wäre eine gute Gelegenheit, heute hier damit Schluss zu machen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun machen Sie das nicht, also müssen wir vermuten, was der Hintergrund sein kann. Wenn wir uns einmal anschauen, welche weiteren Missionen durch die Bundeswehr noch unterstützt werden, dann sehen wir ein neues Mandat im Mittelmeer: EUROSUR. Sie selber haben eben von der Kontrolle des Seeverkehrs gesprochen, Herr Steinmeier. Wir sind uns nicht sicher, ob hiermit nicht durch die Hintertür die Abwehr von Flüchtlingen im Mittelmeer weiter unterstützt werden soll. Wir können das nicht beweisen; aber wenn man sich die Fakten anschaut, dann gibt es kaum andere Vermutungen. Das ist für uns schon ein Grund, warum wir dieses Mandat ablehnen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Die Abwehr von Menschen in Not, die sich auf den schwierigen und höchstgefährlichen Weg über das Meer machen, weil sie in ihren Heimatländern keinerlei Aussicht auf ein menschenwürdiges Leben sehen oder sogar ihr Leben bedroht sehen, darf nicht gefördert werden. Vielmehr sollten wir dafür kämpfen, den Menschen in ihrer Not zu helfen. Wir sind der Ansicht, dass es keinerlei Gründe gibt, das Mandat um ein weiteres Jahr zu verlängern oder in ein neues Mandat umzuwandeln. Es gibt im Mittelmeer keine Bedrohung für Europa. Sehen Sie das ein, und lassen Sie die Soldatinnen und Soldaten, die Schiffe und Flugzeuge in Deutschland, und sparen Sie uns allen das Geld und die Mühe. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Frau Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Liebich, ich möchte gleich auf Ihre Worte eingehen und Ihnen aufzeigen, dass das Handeln der Bundesregierung insgesamt konsistent ist. Der Kollege Steinmeier hat bereits erklärt, dass wir als Bundesregierung auf die berechtigte Kritik, die aus dem parlamentarischen Raum gekommen ist, eingegangen sind. Erstens. Zu Ihrer Frage, warum wir nicht angefragt worden seien: Wir sind im Januar nicht angefragt worden wegen der Lücke des Mandates, aber wir werden im Februar wieder mit dabei sein. Damit unterstreichen wir unser Bekenntnis zum Bündnis und die unveränderte Bereitschaft, mit einem verlässlichen Beitrag auch die Lasten in der NATO gemeinsam zu tragen. Zweitens. Das Entscheidende ist: Das Mandat ist der Einsatzrealität angepasst und wird sicherlich auch weiter angepasst werden. Im Oktober des vergangenen Jahres hat Deutschland bereits konkrete Vorschläge zur Überarbeitung des Operationsplans eingebracht. Das Ziel ist – das ist eben ausführlich dargestellt worden – die Entkopplung der Operation von Art. 5 des NATO-Vertrages. Mit diesem Ziel forcieren wir dann auch die Weiterentwicklung der Operation auf allen Ebenen. Zur praktischen Auswirkung. Zwei Aufgaben entfallen in Zukunft, nämlich die sogenannte Kontrolle des Seeverkehrs und die Unterstützung spezifischer Operationen der NATO zur Reaktion auf mögliche terroristische Aktivitäten. Das bedeutet konkret für die Bundeswehr: Zukünftig werden deutsche Einheiten nur noch in den integrierten Verbänden der NATO an OAE teilnehmen. Eine unmittelbare Unterstellung deutscher Einheiten im Transit durch das Mittelmeer unter das Kommando des Befehlshabers OAE wird zukünftig nicht mehr stattfinden, und die personelle Obergrenze wird, wie schon erwähnt, von 700 auf 500 Soldatinnen und Soldaten sinken. Das heißt zusammengefasst: OAE soll weiterhin Garant für maritime Sicherheit im Mittelmeer bleiben, aber mit angepasstem Mandat. Dafür bitten wir um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Es spricht jetzt der Kollege Dr. Frithjof Schmidt für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Operation Active Endeavour ist und bleibt eine militärische Sondermission der NATO zur Aufklärung, zur Kontrolle des Seeverkehrs und zur Terrorbekämpfung im Mittelmeerraum. Es ist wichtig, das hier festzuhalten. Sie ist mitnichten inzwischen zu einer Art Kooperationsplattform mit den Mittelmeerländern geworden. Das entspricht nicht dem juristischen Status dieser Mission. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Wir haben seit langem kritisiert, dass die Begründung des Einsatzes mit dem Bündnisfall nach Art. 5 des Nordatlantikvertrages völkerrechtlich hochproblematisch, zumindest jedoch schon lange überholt ist. Wir haben weiterhin kritisiert, dass eine konkrete Bedrohungslage für einen solchen Einsatz seit langem nicht mehr erkennbar ist. Deshalb haben wir ein Ende der Beteiligung an dieser Operation gefordert und fordern es weiter. Diese Position haben wir auch im letzten Jahr gemeinsam mit den Fraktionen der Linken und der Sozialdemokraten hier vertreten. Ich stelle erst einmal fest, dass die Bundesregierung diesen Argumenten und Einschätzungen in der Begründung des uns hier heute vorliegenden Antrages im Wesentlichen folgt und ihnen im Wesentlichen zustimmt. Das ist in der Tat eine wichtige Änderung gegenüber der Position der letzten Jahre. Das ist gut, und das begrüßen wir ausdrücklich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung tritt jetzt für eine Entkopplung von Art. 5 ein und beschreibt die Bedrohungslage in einem Brief an die Fraktionen als „abstrakt“. Das ist wohl ein anderes Wort für „nicht konkret vorhanden“. Sie räumt ein, dass der Operationsplan nach wie vor vom Ziel der Kontrolle des Seeverkehrs ausgeht und von der „Unterstützung spezifischer Operationen der NATO oder weiterer Partner gegen mögliche terroristische Aktivitäten im Mittelmeer“. Deshalb bedarf der Einsatz eines Mandates durch unser Parlament. Das ist wichtig, und das stärkt den Konsens über den Parlamentsvorbehalt im Bundestag. Auch das begrüßen wir ausdrücklich. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was schlagen Sie jetzt konkret in der Sache für den Einsatz der Bundeswehr vor, und warum schlagen Sie es vor? Die Bundeswehr – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – soll sich an einer Sondermission beteiligen, die vor allem der Kontrolle des Seeverkehrs und der Durchführung von Antiterroroperationen dient. Dann legen Sie im Mandat fest, dass sie sich dabei nicht an der Kontrolle des Seeverkehrs und nicht an Antiterroroperationen beteiligen darf. Das ist absurd. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diesen Vorschlag begründen Sie nach wie vor mit der Beistandsverpflichtung nach Art. 5 des Nordatlantikvertrages, die Sie selber erklärtermaßen für überholt halten. Was für ein absurder Kompromisstext der Großen Koalition! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Hier geht es um Gesichtswahrung von SPD und CDU, CSU und nicht um Sicherheit, (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) und dazu werden bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten abkommandiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wenn Sie die völkerrechtliche Grundlage für überholt halten, wenn Sie die Bedrohungslage nicht konkret erkennen können und wenn Sie den Operationsplan in zentralen Punkten für falsch halten, dann dürfen sie die Bundeswehr nicht in diesen Einsatz schicken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das diskreditiert nämlich alles, was wir sonst gemeinsam über Mandatsklarheit sagen. Dieses Mandat umfasst keinen sinnvollen Einsatz, sondern beschreibt ein absurdes militär-diplomatisches Manöver, weil sich die Große Koalition nicht wirklich einigen kann und deshalb nicht die Kraft hat, in der NATO Klartext zu reden und auf die Beteiligung an der Operation Active Endeavour zu verzichten. Deshalb kann ich meiner Fraktion nur empfehlen, diese absurde Konstruktion eines überflüssigen Mandates abzulehnen. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Philipp Mißfelder. (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sind wir uns da schon wieder einig?) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herrn Gehrcke muss ich leider enttäuschen: Wir sind uns an dieser Stelle nicht einig. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich habe es mir gedacht!) In der Tat ist es so: Die völkerrechtliche Grundlage ist umstritten. Das haben wir hier mehrmals besprochen. Auch im Ausschuss war dies mehrmals Gegenstand ausführlicher Beratungen. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP hatte hier eine andere Auffassung als unser neuer Koalitionspartner, die SPD. Gerade deshalb bin ich froh, dass es uns durch diesen Schritt – wenn ich es als Kunstgriff bezeichne, ist das auch Interpretationssache – gelungen ist, einerseits der neuen politischen Konstellation hier im Parlament und andererseits den Verpflichtungen, die wir im Bündnis haben, gerecht zu werden. Wir können ja die bei uns geführte Debatte nicht losgelöst von der Diskussion in anderen NATO-Ländern sehen. Deshalb danke ich der SPD-Bundestagsfraktion, dass sie zu diesem Schritt bereit war. Das muss man an dieser Stelle durchaus positiv erwähnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Mandat hat sich aber verändert. Wir reden jetzt über eine Lagebilderstellung. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, hier darüber zu diskutieren, wie wir die Gefahrenpotenziale, die es in der Mittelmeerregion gibt, insgesamt bewerten. Im Zusammenhang mit diesem Mandat wurde oft der Vorwurf geäußert, dass es nicht zum Einsatz gekommen ist. Ich finde ehrlich gesagt, dass das eher positiv zu sehen ist; denn die langjährige militärische Präsenz in der Mittelmeerregion in Verbindung mit der integrierten Herangehensweise so vieler Staaten hat dazu geführt, dass das Mandat eine gewisse abschreckende Wirkung hat. Stellen Sie sich umgekehrt vor, wir müssten im Zuge dieses Mandats allwöchentlich über spektakuläre negative Vorfälle diskutieren. Ich hoffe, dass hier im Hohen Hause ein breiter Konsens darüber besteht, dass ein Mandat auch erfolgreich ist, wenn nicht geschossen wird, wenn es nicht zu spektakulären negativen Vorkommnissen kommt, wenn man sich nicht über Opfer zu beklagen hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich höre gerade den Zwischenruf, das sei spekulativ. Natürlich ist das spekulativ, weil ich nicht weiß, ob von einer prohibitiven Wirkung des Mandats über einen so langen Zeitraum auszugehen ist oder eben nicht. Trotzdem schließe ich das nicht grundsätzlich aus. Deshalb kann ich dem Deutschen Bundestag ruhigen Gewissens empfehlen – nachdem wir dieses Mandat auf eine verlässliche Grundlage gestellt haben –, das Mandat für weitere elf Monate zu verlängern. Nicht ohne Grund werden Mandate, die sich in diesem Hohen Hause immer wieder einer politischen Bewährungsprobe stellen müssen, zeitlich begrenzt. Das kann in unterschiedlichen politischen Konstellationen – Schwarz-Gelb in der vergangenen Legislaturperiode, Große Koalition jetzt – interpretiert worden sein, und die Veränderungen sehen Sie auch im Mandatstext. Deshalb, glaube ich, ist dieses Mandat zustimmungsfähig. Grundsätzlich sage ich aber auch noch eines zu NATO-Einsätzen insgesamt. Die Kontinuität in der Zurückhaltung unseres Parlaments und auch unserer Regierung und vieler Vorgängerregierungen gegenüber Militäreinsätzen ist etwas Gutes und ist auch eine gute Errungenschaft unserer Demokratie. Die Bewährungsprobe durch den Parlamentsvorbehalt hier im Deutschen Bundestag ist auch eine gut geübte Praxis, die teilweise an ihre Grenzen stößt, aber im Großen und Ganzen die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr nicht eingeschränkt hat. Vor diesem Hintergrund ist das Verfahren, wie wir in gängiger Praxis hier Bundeswehrmandate behandeln, gut geübt und trägt dazu bei, dass Bundeswehreinsätze im Großen und Ganzen auch in der Bevölkerung akzeptiert werden. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das stimmt ja gar nicht!) Ich sage weiter – das wird Sie von der Linksfraktion noch mehr ärgern –, dass die Teilhabe an internationalen Maßnahmen für uns auch ein wichtiger Bündnisbeitrag per se ist. Das heißt, wenn im Bündnis eine gemeinsame Entscheidung vorangetrieben wird, dann stellen wir uns nicht aus grundsätzlichen Erwägungen dagegen, sondern wägen ab: (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das unterscheidet uns!) Was ist im deutschen Interesse? Wie riskant ist das für die Bundeswehr? Wenn wir, wie in diesem Fall, zu der Einschätzung kommen, dass das Risiko und die Chancen der Teilhabe in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen, dann gibt es aus unserer Sicht keinen Grund, uns gegen das Mandat zu stellen. Deshalb: Zustimmung unserer Fraktion. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als vorletzter Redner spricht jetzt der Kollege Klingbeil für die SPD. (Beifall bei der SPD) Lars Klingbeil (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Mißfelder hat es angesprochen: Es ist in der Tat eine veränderte Situation. Wir haben eine neue Bundesregierung. Die SPD-Fraktion hat in den letzten Jahren immer wieder kritische Anmerkungen zu diesem Mandat gemacht, und für uns war wichtig, dass wir erkennen: Unsere Kritik wird in dieser neuen Situation aufgenommen. Sie findet sich auch im Text wieder. (Zuruf des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) – Lieber Kollege Liebich, da kann ich nur raten, an der einen oder anderen Stelle noch einmal genauer hinzugucken. – Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem geänderten Mandat Operation Active Endeavour deswegen zustimmen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, klar! Ihr seid umgefallen!) Wir tun das, weil wir sehen, dass dieses Mandat sich verändert und unsere Kritik aufgenommen wird. Es handelt sich um ein Übergangsmandat, das wir hier beschließen und auf den Weg bringen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Philipp Mißfelder [CDU/CSU] – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das klingt aber nicht sehr überzeugend!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als SPD-Bundestagsfraktion – das ist mehrfach angesprochen worden – haben in der Vergangenheit, seit 2009, dem alten Mandat OAE nicht mehr zugestimmt, weil wir fachpolitische und rechtliche Bedenken hatten. Es hat sich aber nie um Bedenken gegenüber der Mission an sich gehandelt, wenn es darum ging, dass eine Aufklärungsmission im Mittelmeerraum stattfindet; es war in den letzten Jahren ja faktisch eine reine Aufklärungsmission. Unsere Kritik bezog sich auf zwei Punkte. Der erste betraf die Rechtsgrundlage der Mission. Es ist angesprochen worden: Das Mandat hat sich immer noch auf 9/11 berufen, auf die UN-Resolutionen 1368 und 1373 sowie den Art. 5 des Nordatlantikvertrags, also den Bündnisfall. Wir haben schon seit 2009 hier im Parlament angemerkt, dass wir diese Legitimationsgrundlage nicht mehr als gerechtfertigt ansehen. Das hat sich heute, im Jahr 2014, nicht verändert. Der zweite Kritikpunkt, den wir immer wieder auch hier vorgetragen haben, war die veränderte Einsatzrealität im Mittelmeerraum. Es lag länger keine konkrete Gefahrenlage vor, und trotzdem war das Mandat mit exekutiven Befugnissen zur Gewaltanwendung verbunden. Es war die Ausschaltung von terroristischen Einrichtungen, die Terrorismusbekämpfung; es war aber auch das sogenannte Compliant Boarding, bei dem es darum geht, dass Soldaten Schiffe mit Zustimmung der Kapitäne kontrollieren können. Auch das war in der konkreten Ausgestaltung ein Kritikpunkt von uns. Uns war völlig klar, dass wir dem Mandat in der bisherigen Form nicht zustimmen würden, dass wir einer schlichten Verlängerung des Mandats nicht zustimmen würden. Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben hier im November und Dezember des letzten Jahres immer wieder deutlich gemacht, was unsere Kritik ist. Wir haben jetzt gesehen: Das alte Mandat ist zum 31. Dezember 2013 ausgelaufen; es wurde nicht verlängert. Die neue Bundesregierung hat ein Mandat vorgelegt, das gegenüber dem bisherigen maßgeblich verändert ist. Viele unserer Punkte sind aufgenommen worden. Bei der Argumentation der Rechtsgrundlage wird nicht mehr auf die UN-Resolution Bezug genommen, es wird nicht mehr von terroristischen Angriffshandlungen geredet, sondern wir konzentrieren uns auf die Seeraumüberwachung und den Lagebildaustausch. Es wird auch deutlich in diesem Mandat, dass wir als Bundesrepublik eine Entkopplung des Einsatzes von Art. 5 des Nordatlantikvertrags wollen. Eine solche Entkopplung – das hat der Minister gerade angesprochen – bedarf allerdings immer der Zustimmung aller 28 NATO-Staaten. Wir brauchen hier Einstimmigkeit, aber ich bin mir sicher, dass die neue Bundesregierung innerhalb der NATO sehr schnell dafür sorgen wird, dass wir diese erreichen. Es liegen Vorschläge für eine Veränderung des Operationsplanes auf dem Tisch, und ich bin mir sicher, dass es gelingen wird, dieses Ziel zu erreichen. Auch bei den exekutiven Befugnissen der Gewaltanwendung wird das Mandat verändert. Wir sehen andere Rules of Engagement, die weder Compliant Boarding noch die Ermächtigung zur Gewaltanwendung beinhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns ist klar, dass es ein Übergangsmandat ist, das wir hier auf den Weg bringen. Es sind keine zwölf Monate; das Mandat wird kürzer sein. Außerdem sehen wir viele andere Änderungen, die mit diesem Mandat beschlossen werden. Das sogenannte Einmelden von Schiffen auf dem Weg zum Atalanta-Einsatz wird entfallen. Wir konzentrieren uns im Rahmen von OAE auf die ständigen Einsatzverbände der NATO. Wir senken die personelle Obergrenze von 700 auf 500 Soldaten, und es wird insgesamt eine Reduzierung auf eine reine Aufklärungs- und Beobachtungsmission erfolgen. Ich will an dieser Stelle dem Außenminister dafür danken, dass die Kritik der SPD-Bundestagsfraktion aufgenommen wurde. Wir sehen hier eine veränderte Lage. Wir glauben, dass es richtig ist, diesem Übergangsmandat zuzustimmen. Wir sagen aber auch deutlich, dass wir wollen, dass ein weiterer Weg innerhalb der NATO gegangen wird und dass wir bei dem nächsten Mandat, über das wir im Bundestag abzustimmen haben, wiederum eine veränderte Situation haben. Die SPD-Fraktion wird zustimmen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt kommen wir zur Kollegin Julia Bartz, die als letzte Rednerin in dieser Debatte für die CDU/CSU das Wort hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Bartz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2014 feiern wir das 20-jährige Bestehen der Partnerschaft für den Frieden und des Mittelmeerdialogs. Als eine Nation, die gerade einmal 1,1 Prozent der Weltbevölkerung vertritt, brauchen wir Freunde und Bündnispartner. Neben der Europäischen Union ist die NATO das wichtigste sicherheitspolitische Bündnis für Deutschland. Es liegt in unserem Interesse, gemeinsam mit unseren Partnern an einem Strang zu ziehen. Das gilt gerade auch für die NATO-Operation Active Endeavour. Die NATO funktioniert im Grunde wie ein Geländewagen. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie besteht aus verschiedenen Bauteilen, die für ihre Handlungsfähigkeit und ihr Vorwärtskommen verantwortlich sind. Die USA nehmen derzeit eine herausgestellte Rolle als treibende Motorkraft ein. Die Frage ist: Wie lange noch? (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir sind am Arsch!) – Wir sind am Lenkrad. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das wollte ich einmal wissen!) Es zeigt sich, dass dieser Motor zu stottern beginnt. Ein Motor kann zwar antreiben, doch es braucht mehr, um seine Kraft umzusetzen. Die USA können und wollen die globalen Aufgaben aller Nationen nicht mehr übernehmen. Die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton hat deutlich gemacht: Der Weg der USA führt weg von Nordafrika und vom Nahen Osten hin zum Pazifischen Ozean. Dadurch öffnen sich neue Lücken und Freiräume, die von anderen Nationen ausgefüllt werden müssen. Währenddessen reduzieren viele unserer europäischen Partner ihre militärischen Ausgaben. Gleichzeitig sind wir mit einer instabilen Lage in Nordafrika und im Nahen Osten konfrontiert. Unsere Präsenz in diesen Gebieten ist somit weiterhin gefordert. Die Lage in Ägypten bleibt weiter angespannt. Trotz der erfolgreichen Abstimmung über die neue Verfassung ist die Stabilität des Landes noch lange nicht wiederhergestellt. In Libyen geben undurchsichtige Milizen den Ton an. Im gesamten nordafrikanischen Raum breiten sich islamistische Gruppierungen aus, bestückt mit Waffen aus Gaddafis Lagern. Der gesamte Nahe Osten ist weiterhin ein Pulverfass, neben dem das Feuer in Syrien brennt. Die Seeraumüberwachung im Mittelmeer ist also notwendig, um frühzeitig die Entwicklungen vor Ort auf dem Schirm zu haben. Zudem ist es unser Interesse, ein vertrauenswürdiges Verhältnis zu den Anrainerstaaten zu erhalten oder aufzubauen. OAE hat sich in der Vergangenheit bereits als Kooperationsplattform bewährt, zum Beispiel mit der Beteiligung Russlands. OAE hat neben der Informationsgewinnung zweifelsohne weitere positive Sicherheitsaspekte. Diese sind gerade für uns als Handelsnation von Bedeutung. Ich erinnere an die 220 000 Handelsschiffe, die jedes Jahr das Mittelmeer durchkreuzen. Deshalb haben wir als Deutsche und Europäer ein großes Interesse an der Operation Active Endeavour. Ein unilateraler Ausstieg Deutschlands aus der Operation hätte zudem weitreichende Folgen für unsere Stellung in der NATO. Er würde unsere internationale Verlässlichkeit infrage stellen. Wir müssen uns bewusst sein, dass sich unsere Freunde und Partner in EU und NATO auf uns verlassen. Deutschland kann als Anlehnungsmacht fungieren. Als stärkste Wirtschaftsnation Europas sollten wir unserer Rolle gerecht werden und Verantwortung übernehmen. Wir sind ein verlässlicher Partner. (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wer hat das aufgeschrieben?) Gleichzeitig können und wollen wir unsere Rolle in der NATO nutzen, um die Operation Active Endeavour auf neue Füße zu stellen. Das Aufgabenspektrum von OAE hat sich innerhalb der vergangenen Jahre gewandelt. Die einstmals als Antiterrormaßnahme konzipierte Operation ist mittlerweile von einem viel stärkeren präventiven Ordnungsfaktor gekennzeichnet. Unser Ziel ist die Entkopplung der Operation von Art. 5 des Nordatlantikvertrags und die Überarbeitung des Operationsplans. Wir haben dazu im April 2013 einen NATO-Beschluss erwirkt, der eine Perspektive für 2014/2015 aufzeigt. Wir haben den Stein ins Rollen gebracht. Jetzt ist es wichtig, den eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen. Ich bin zuversichtlich, dass wir unser Ziel erreichen werden. Wir müssen uns aber weiterhin unserer Verantwortung stellen. Der vorliegende Antrag der Bundesregierung ist eine vorübergehende, aber notwendige Lösung. Mit diesem Übergangsmandat werden wir unserer bündnispolitischen Verlässlichkeit gerecht. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der koalitionspolitischen vor allen Dingen!) Gleichzeitig machen wir unseren Willen zur gemeinsamen Seeraumüberwachung im Mittelmeerraum deutlich. Mit der Fortsetzung der Operation Active Endeavour übernehmen wir, ganz gemäß unserem Koalitionsvertrag, „Verantwortung in der Welt“. (Lachen bei der LINKEN) Abschließend danke ich allen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr für ihren Dienst an unserem Land, insbesondere all jenen, die für die Operation Active Endeavour eingesetzt wurden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herzlichen Dank, Frau Kollegin Bartz. Das war Ihre erste Rede hier im – – (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Nein! Die zweite!) – Nein, die zweite. Dann habe ich eine falsche Information. Vielen Dank. – Ich hätte Ihnen sonst natürlich noch einmal im Namen des ganzen Hauses gratuliert. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/263 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Vielleicht können wir den Austausch auf den Plätzen etwas schneller vornehmen, Herr Kollege Mißfelder. Wir würden gerne mit den Beratungen weitermachen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Erwerbsminderungsschutzes Drucksache 18/9 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Matthias W. Birkwald, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit dem Jahr 2000 befinden sich die Erwerbsminderungsrenten im freien Fall. Das kann man so ähnlich heute auch in dem Referentenentwurf für das Rentenpaket der Bundesregierung nachlesen. Ich sage: Krankheit darf niemals zum sozialen Abstieg führen. Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, hat der Großen Koalition deshalb ins Stammbuch geschrieben – ich zitiere ihre Presseerklärung –: Die Erwerbsminderungsrentner dürfen von CDU/CSU und SPD nicht weiterhin mit der Beibehaltung der Abschläge bestraft werden. Sie müssen gestrichen werden! Recht hat sie. (Beifall bei der LINKEN) Wir sprechen hier von 1,7 Millionen kranken Menschen. Sie haben es gesundheitlich nicht geschafft, bis 65 Jahre und drei Monate zu arbeiten. Jedes Jahr kommen 180 000 neu dazu, viele von ihnen, weil sie durch katastrophale Arbeitsbedingungen immer kränker werden. Das sagt einer, der weiß, wovon er redet, nämlich Mario Becker, er ist Betriebsratsvorsitzender in einem kleinen Unternehmen südlich von Magdeburg. Er sagt: Bei uns im Betrieb hält kein Kollege länger als bis 58 durch! Die Kollegen produzieren Stachel- und Maschendraht. Sie arbeiten im Zweischichtsystem, und sie werden nach Leistung bezahlt. Jeder von ihnen ist für drei Maschinen zuständig. Um auf 100 Prozent Lohn zu kommen, müssen sie in jeder Achtstundenschicht 50 Rollen heben. Eine Rolle wiegt 35 Kilo. Die Mitarbeiter müssen also pro Schicht fast 2 Tonnen bewegen, um auf ihren vollen Lohn zu kommen. Stellen Sie sich das doch bitte einmal vor! Da ist es doch kein Wunder, dass sie nicht bis 65 durchhalten, geschweige denn bis 67. Die Statistik spricht hier eine deutliche Sprache: Wer heute neu in die Erwerbsminderungsrente gehen muss, ist im Durchschnitt erst 51 Jahre alt. Das zeigt: Die heutigen Arbeitsbedingungen sind oft unmenschlich. Da müssen wir ran, und zwar dringend. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen geht es wie Hape Kerkeling: „Ich habe Rücken.“ Also im Klartext: Bandscheibe, Knie, Hüftoperation. Dachdecker, Bauschlosser oder Stahlwerker sind häufig betroffen – kein Wunder. Alles Männer. Ja, aber derzeit geht schon jede zweite neue Erwerbsminderungsrente an eine Frau, und es werden jedes Jahr mehr. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pflege!) Ob Verkäuferin, Krankenschwester oder Altenpflegerin, die Arbeitsbelastungen nehmen eher zu als ab – bei Frauen und Männern. Das gilt nicht nur für die körperlichen, sondern auch für die seelischen Belastungen. Bei den Gründen für eine Erwerbsminderungsrente liegen die psychischen Krankheiten mit 40 Prozent aktuell an erster Stelle. Frau Ministerin Nahles ist nicht da; daher fordere ich Frau Staatssekretärin Kramme an ihrer Stelle auf: Tun Sie etwas gegen das Überstundenunwesen, sorgen Sie für besseren betrieblichen Arbeitsschutz, und bringen Sie zügig eine Antistressverordnung auf den Weg! Dazu liegen gute Vorschläge der IG Metall und von uns Linken auf dem Tisch. (Beifall bei der LINKEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von den Grünen auch!) Zur nächsten Baustelle. Wir müssen beschämt feststellen: In keinem anderen Industrieland ist es so schwierig, eine EM-Rente zu bekommen, wie in Deutschland. Die Hälfte aller Anträge auf Erwerbsminderungsrente wird abgelehnt. Eine Krankenschwester sagte mir: Es ist reine Glückssache, was für einen Gutachter man bekommt. Der Gutachter des Maurers Jens Eckelmann befand, er müsse sich ja nicht unbedingt bücken. Als Maurer! Das ist absolut unverschämt. Klaus Dieter Bartsch ist seit 42 Jahren Kanalbauer. Er klagte schon vor fünf Jahren – Zitat –: So viel Bürokratie habe ich noch nie erlebt, das steht man kaum durch. Glücklicherweise hat er seinen Kampf um die EM-Rente gewonnen – mithilfe der IG BAU. Deswegen sage ich: Wie gut, dass es starke Gewerkschaften gibt. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, den größten Schock erleben die Betroffenen am Ende der Antragstortur: Die Erwerbsminderungsrente wird dann endlich bewilligt, aber in fast allen Fällen mit horrenden Abschlägen. 96 Prozent sind von Abschlägen betroffen. Meist handelt es sich um die Höchststrafe von 10,8 Prozent. Das sind durchschnittlich mehr als 77 Euro. Bei einer vollen EM-Rente von durchschnittlich nur noch 646 Euro ist das sehr viel Geld. Die durchschnittliche EM-Rente liegt also mehr als 30 Euro unter dem Sozialhilfeniveau. Also: Erst schuften bis zum Umfallen und dann im Stich gelassen und zum Sozialamt geschickt. Ich sage: Das muss aufhören, und zwar sofort. (Beifall bei der LINKEN) Vor der Wahl wollten SPD, Linke und auch Grüne diesen unhaltbaren Zustand beenden. In allen drei Wahlprogrammen war die Forderung nach Abschaffung der Abschläge enthalten. Wir Linken haben deshalb schon im Oktober 2013 diesen Gesetzentwurf eingebracht. Wir fordern schlicht und einfach: Die Abschläge müssen weg! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das würde den Betroffenen monatlich bis zu 82 Euro mehr bringen. Aber die Große Koalition ist auf diesem Ohr taub. Ihr Vorschlag, die Zurechnungszeit um zwei Jahre anzuheben, wirkt so, als wenn die Betroffenen statt bis zum 60. nun bis zum 62. Geburtstag in die Rentenkasse eingezahlt hätten. Das ist ein kleiner Fortschritt. Er bringt den Betroffenen im Schnitt 35 Euro mehr Erwerbsminderungsrente. Aber das reicht vorne und hinten nicht. Wir Linken fordern deshalb, die Abschläge abzuschaffen und die Zurechnungszeiten in einem Schritt um drei Jahre anzuheben. Das brächte nämlich 100 Euro mehr für kranke Menschen. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Das steht aber so gar nicht im Antrag!) Diese 100 Euro würden vielen Betroffenen den Gang zum Sozialamt ersparen. Dafür kämpft die Linke. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den großartigen Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, die Sie sich privat übrigens kaum irgendwo in der gleichen Größe einkaufen können, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt!) gehört: Wenn jemand leider Gottes nicht bis zum Rentenalter durcharbeiten kann, sondern wegen eines Unfalls oder einer Krankheit früher aus dem Erwerbsleben aussteigen muss, obwohl er gerne länger gearbeitet hätte, dann gibt es Rente, und zwar Erwerbsminderungsrente. Das, finde ich, ist eine der großartigsten Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, die wir für die Zukunft erhalten und stärken wollen. Deswegen ist es auch Inhalt des Rentenpakets der Großen Koalition: Wir wollen die Leistungen der Erwerbsminderungsrente für die Zukunft verbessern. Das ist eine wichtige Botschaft an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wie wollen wir das machen? Bislang ist es so, dass ausgerechnet wird, wie viel Rentenanspruch man erwerben würde, wenn man bis zum 60. Lebensjahr durchgearbeitet hätte. Das war übrigens nicht immer so. Bei der letzten Reform der Erwerbsminderungsrente haben wir diese sogenannte Zurechnungszeit von 55 Jahren – früher wurde nur bis 55 gerechnet – auf 60 hochgesetzt. Jetzt wollen wir mit einem Schlag diese Zeit auf das 62. Lebensjahr hochsetzen. Das ist schon eine bemerkenswerte Verbesserung bei der Erwerbsminderungsrente. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Zweitens. Alle Lebenserfahrung zeigt, viele, die einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente stellen – manchmal wird der erste Antrag abgelehnt und ein zweiter Antrag notwendig –, haben in den letzten Jahren vor Eintritt in die Erwerbsminderungsrente schon schlechter verdient, konnten nicht mehr so viel wie in früheren Jahren oder gar nicht mehr arbeiten. Deswegen wollen wir eine ganz neue Regelung einführen, nämlich dass wir die letzten vier Jahre vor Eintritt in die Erwerbsminderungsrente dann für die Berechnung nicht mitzählen, wenn in dieser Zeit schlechter verdient worden ist. Wir wollen die Erwerbsminderungsrente vom besten Verdienst aus berechnen. Auch das bewirkt eine zusätzliche Verbesserung bei der Erwerbsminderungsrente, die notwendig ist, um mit der Erwerbsminderungsrente seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Das ist ein zweiter, wichtiger Reformschritt, den wir in der Großen Koalition verabredet haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dass es notwendig ist, zu handeln, sieht man daran, dass Rentnerinnen und Rentner, die bis zum Renteneintrittsalter arbeiten konnten, in der Regel von ihrer Rente leben können. Gerade einmal 2,5 Prozent müssen Grundsicherung im Alter, also staatliche Stütze, beantragen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aus der Armut sind sie damit nicht heraus!) Bei den Erwerbsminderungsrentnern sieht das schon ganz anders aus. 12 Prozent – Stand heute – derer, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen, können davon nicht leben, sondern müssen zusätzliche staatliche Unterstützung in Form von Grundsicherung beantragen. Deshalb ist diese Reform von so großer Bedeutung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, dass wir noch vor einer zweiten Herausforderung stehen. Wenn wir uns anschauen, warum heute Erwerbsminderungsrenten beantragt werden, dann sehen wir, dass es eine bemerkungswerte Veränderung gegenüber früher gibt. Früher standen vor allen Dingen Erkrankungen des Skeletts und der Muskeln im Vordergrund. Schwere körperliche Arbeit hat die Leute also krank gemacht. Dank der Humanisierung in der Arbeitswelt und moderner Technik ist das Gott sei Dank zurückgegangen. Aber so wie die Zahl dieser Erkrankungen zurückgeht, steigt die Zahl psychischer Erkrankungen dramatisch an. Bereits heute werden über 40 Prozent aller Anträge auf Erwerbsminderungsrente wegen psychischer Erkrankungen gestellt. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da muss man was tun!) Deswegen geht es bei der Frage: „Wie organisieren wir einen guten Erwerbsminderungsschutz?“, nicht nur darum, was wir zahlen, sondern die allerwichtigste Frage lautet: Wie vermeiden wir, dass Menschen wegen psychischer Erkrankungen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das eine tun, ohne das andere zu lassen!) Dazu haben wir im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie, bei der der Bund, die Länder und die Sozialversicherung zusammensitzen, schon wichtige Schritte eingeleitet, und wir haben in der Koalitionsvereinbarung miteinander verabredet, für diesen Bereich zusätzliche Mittel einzusetzen und zusätzlich aktiv zu werden. Dabei geht es um die Fragen: Wie stärken wir das betriebliche Gesundheitsmanagement? Wie stärken wir die Prävention? Wie stärken wir die Beratung und Begleitung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern? (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie verändern wir Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen?) Wir haben eine tolle „Initiative Neue Qualität der Arbeit“ auf den Weg gebracht, bei der es gerade für kleine und mittlere Unternehmen gute Beratung gibt. Um beim Thema „Psychische Erkrankungen im Arbeitsumfeld“ aktiv zu werden, wollen wir auf diesem Gebiet einen Akzent setzen. Ich glaube, die große Herausforderung besteht für uns darin, dass wir, wenn Sie so wollen, einen zweiten Schub, einen zweiten Auftakt der Humanisierung der Arbeitswelt herbeiführen müssen, indem wir nämlich die Voraussetzungen dafür schaffen, dass in unserer Arbeitswelt die notwendige Aufmerksamkeit und die notwendige Hilfe da sind, um psychische Erkrankungen zu vermeiden. Ich finde, eine hochentwickelte Gesellschaft wie die deutsche mit einem tollen Gesundheitssystem darf es nicht hinnehmen, dass psychische Erkrankungen der Hauptgrund für Erwerbsminderungen werden. Wir sollten alle Anstrengungen unternehmen, um da eine Trendumkehr hinzubekommen. Ja, wer psychisch gefährdet ist, muss Hilfe bekommen und in die Lage versetzt werden, wieder ins Arbeitsleben zurückzukehren. Das ist unsere große Herausforderung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Linke sagt natürlich: Schuld an allem sind die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ein Großteil der Lösung!) Dazu nur ein Wort: Wenn es Abschläge bei vorzeitigem Renteneintritt gibt, dann kann man sie bei der Berechnung der Erwerbsminderungsrente nicht einfach weglassen; Punkt eins. Punkt zwei. Der Ausgleich für die Einführung der Abschläge war damals die Erhöhung der sogenannten Zurechnungszeit – bis zu welcher Zeit wird also gerechnet, bis zu der man hätte Beiträge zahlen können? – von 55 auf 60 Jahre. Jetzt erhöhen wir die Zurechnungszeit um zwei weitere Jahre. Damit gleichen wir, verglichen mit dem alten Recht, einen guten Teil der Abschläge aus. Ich finde, wir sind auf dem richtigen Weg. Die Zurechnungszeit wird erhöht, und schlechte Zeiten beim Verdienst werden nicht mitgerechnet. Das führt im Schnitt zu einer um monatlich etwa 45 Euro höheren Erwerbsminderungsrente; das ist für einen Erwerbsminderungsrentner etwas. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Erwerbsminderungsrenten sind im Sinkflug! Das steht sogar in Ihrem Gesetzentwurf!) Gleichzeitig unternehmen wir neue, konzentrierte Anstrengungen, um psychische Erkrankungen im Arbeitsumfeld zu vermeiden und Erwerbsminderungsfälle erst gar nicht aufkommen zu lassen. Das muss unser politisches Ziel sein. Das haben wir in der Großen Koalition verabredet. Das wollen wir in den kommenden vier Jahren hinbekommen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Amen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Es spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen Markus Kurth. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Weiß, ich stimme Ihnen vollständig zu, dass die Zunahme der Zahl psychischer Erkrankungen und die Zunahme bei den Zugängen zur Erwerbsminderungsrente aufgrund psychischer Erkrankung absolut besorgniserregend sind. Wenn wir das betrachten, dürfen wir aber nicht nur allgemein von Prävention reden, sondern – das liegt mir schon am Herzen – dann müssen wir uns auch ganz konkret die Arbeitsbedingungen ansehen: Wie sind eigentlich die realen Bedingungen in der Arbeitswelt, die dazu führen, dass mancherlei Arbeitsverhältnis so unmenschlich ist, dass man es wegen der psychischen Belastung nicht mehr aushält? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Ich sage ganz klar: Dieses Land kann sich auch volkswirtschaftlich nicht leisten, was teilweise auf dem Rücken der Beschäftigten gemacht wird. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Deswegen brauchen wir eine Antistressverordnung. Wir brauchen aber auch ein Durchforsten des Arbeitsrechts. Ich will an dieser Stelle, weil es in meiner Rede ja um die Erwerbsminderungsrente geht, nur einen Punkt nennen: die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Auch die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen setzen Beschäftigte unter Stress und bringen sie in psychische Nöte. Wenn sich so etwas oft genug wiederholt, kann das zu einer Erwerbsminderung führen; das dürfen wir nicht vergessen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Schutz bei Erwerbsminderung hat in der sozialpolitischen Debatte mittlerweile einen prominenten Platz eingenommen. Das kann nicht verwundern, wenn man sieht, dass inzwischen jede fünfte Rente wegen einer Erwerbsminderung bewilligt wird, Tendenz steigend. Seit 2000 sinkt allerdings die durchschnittliche Höhe der Renten Jahr für Jahr, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE], an den Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU] gewandt: Sehen Sie?) vor allen Dingen bei Männern. Erhielten Männer im Westen im Jahre 2000 noch durchschnittlich 836 Euro Erwerbsminderungsrente, so waren es im Jahre 2010 nur noch 679 Euro. Im Osten verläuft die Entwicklung auf etwas niedrigerem Niveau ähnlich. Fast jeder zehnte Erwerbsgeminderte ist neben der Erwerbsminderungsrente auf Grundsicherung angewiesen. Zum Vergleich: Bei der Altersrente sind darauf gerade einmal 2 bis 2,5 Prozent angewiesen. Dass es bei der Erwerbsminderungsrente Handlungsbedarf gibt, ist also deutlich zu erkennen. Noch drastischer sind die Zahlen zur relativen Einkommensarmut: Der Deutschen Rentenversicherung zufolge liegt das Haushaltseinkommen bei 36 Prozent – also mehr als einem Drittel – aller Erwerbsgeminderten unter der sogenannten Armutsrisikogrenze. Die Ursachen für sinkende Renten sind vielfältig. Das lässt sich, lieber Matthias Birkwald, nicht einfach auf die Rentenreformen der vergangenen Jahre zurückführen. Wenn wir hier über die Statistik reden, müssen wir unter anderem berücksichtigen, dass Rot-Grün ermöglicht hat, dass heute auch Menschen Erwerbsminderungsrente beziehen können, die das früher nicht konnten: weil sie Sozialhilfe bezogen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das hat natürlich auch einen absenkenden Effekt auf das durchschnittliche Niveau der Erwerbsminderungsrente; die Deutsche Rentenversicherung veranschlagt ihn sogar relativ hoch. Wenn wir im Ausschuss im Einzelnen darüber diskutieren, müssen wir also, was die Statistik angeht, genau sein. Wir waren uns in der vergangenen Legislaturperiode teilweise fraktionsübergreifend einig, dass Kurskorrekturen erfolgen müssen, wenn wir den Trend des sinkenden Niveaus der Erwerbsminderungsrente aufhalten wollen. Die Pläne der Bundesregierung gehen an dieser Stelle zwar in die richtige Richtung; aber sie bleiben unzureichend. Was insbesondere nottut – in dieser Richtung sind wir uns mit der Fraktion Die Linke einig –: Wer aus gesundheitlichen Gründen auf den Bezug von Erwerbsminderungsrente angewiesen ist, darf nicht auch noch unter Abschlägen leiden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Niemand geht freiwillig aus gesundheitlichen Gründen in die Erwerbsminderungsrente. Diesen systematischen Grundsatz sollten Sie beherzigen und berücksichtigen. Soweit ich den Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, der heute bekannt geworden ist, überblicke, sollen von den erweiterten Zurechnungszeiten nur Neuzugänge profitieren. Was ist denn mit den Bestandsrentnerinnen und Bestandsrentnern, die Erwerbsminderungsrente beziehen? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Ihr Paket für die Erwerbsminderungsrente muss offensichtlich zum Päckchen schrumpfen, damit all die Milliarden für die Mütterrente und die Rente mit 63 finanziert werden können. Wir würden bei den Ausgaben der Rentenversicherung – das haben wir schon in der Debatte heute Mittag gesagt – ganz klar eine andere Priorität setzen. Lassen Sie mich abschließend sagen: Wenn wir über die Erwerbsminderungsrente diskutieren, dürfen wir nicht nur über die Höhe der Geldleistung reden, sondern müssen uns auch Ursachen anschauen. Prävention habe ich bereits angesprochen. Auch die Arbeitsbedingungen sind wichtig. Ebenfalls not tut aber, dass Arbeitgeber, Krankenkassen und Rentenversicherung statt gegeneinander zu kämpfen besser miteinander kooperieren. Das Abwälzen von Kosten auf den jeweils anderen führt häufig dazu, dass Behinderungen sich einstellen, verschlimmern, chronisch werden und den Menschen der Weg zurück zum Arbeitsmarkt abgeschnitten wird. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Drittens ist es notwendig, dass Menschen, die nur teilweise erwerbsgemindert sind, bessere Möglichkeiten zur Teilhabe am Arbeitsmarkt erhalten. Menschen mit gesundheitlichen Handicaps brauchen viel mehr Unterstützung: durch einen sozialen Arbeitsmarkt, durch Assistenz im Berufsleben und durch ein besseres betriebliches Eingliederungsmanagement; das dürfen wir nicht vergessen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Michael Gerdes. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Michael Gerdes (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere soziale Absicherung ist ein hohes und auch notwendiges Gut. Wer arbeitsunfähig wird, braucht die Hilfe der Solidargemeinschaft. Erwerbsgeminderte Menschen können in der Regel nichts für ihre Situation und sind daher in besonderem Maße auf die Solidargemeinschaft der Versicherten angewiesen. Die Hilfe für die Versicherten muss allerdings so gestaltet sein, dass sie auch Armut verhindert. Ich sehe parteiübergreifend – das habe ich der Debatte hier entnommen – viele Übereinstimmungen in der Argumentation. Ich hoffe, dass das nachher bei der Umsetzung des Gesetzes auch so sein wird. Wir haben schon gehört: Jeder vierte Arbeitnehmer muss aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig seinen Beruf aufgeben oder kann gar nicht mehr arbeiten. Und die Zahl derer, die auf Erwerbsminderungsrente angewiesen sind, ist relativ groß. Jährlich werden fast 400 000 neue Anträge auf Erwerbsminderungsrente gestellt. Die Bewilligungsquote – auch das haben wir gehört – liegt bei knapp über 50 Prozent. Aktuell können wir also mit dem Schutz von Erwerbsgeminderten in Deutschland nicht zufrieden sein. Wenn man dann noch weiß, dass die Mehrheit der Bezieher von Erwerbsminderungsrenten aus Tätigkeiten mit geringen Einkommen kommen, dann wird klar, dass auch mit der späteren Altersrente keine großen Sprünge zu machen sind. Schließlich wirken sich schlechtere Entgeltpunkte auch unmittelbar auf die Absicherung im Alter aus. Ich erspare es mir, hier die Zahlen zu nennen. Hinzu kommt, dass eine private Altersvorsorge nicht möglich ist, weil mit einem geringen Erwerbseinkommen eben nicht für eine weitere Absicherung, entweder hinsichtlich der Altersvorsorge oder in Form einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung, Sorge getragen werden kann. Meine Damen und Herren, das Problem ist erkannt. Deshalb hat die Koalition vereinbart, Erwerbsgeminderte besser abzusichern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden die Zurechnungszeiten von 60 auf 62 Jahre anheben. Das stellt eine klare materielle Verbesserung für die Versicherten dar. Eine weitere Verbesserung bringt auch die Günstigkeitsprüfung bei der Rente. Längere Zurechnungszeiten sind ein Schritt in die richtige Richtung. Das sagt auch die Präsidentin des VdK, Frau Mascher. Allerdings – auch das sagt der VdK – dürfen Erwerbsminderungsrentner nicht weiter mit bis zu 10,8 Prozent rentenmathematischen Abschlägen bestraft werden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist das!) Diese Aussage ist aus meiner Sicht richtig. Es ist schließlich ein Unterschied, ob jemand aus gesundheitlichen Gründen früher in Rente geht oder weil es seiner persönlichen Lebensplanung entspricht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Nun stehen wir am Anfang der Legislaturperiode. Die Baustellen sind erkannt. Neben der Verlängerung der Zurechnungszeiten ist mir der Präventionsgedanke wichtig. Unser Ansatz ist, nicht erst aktiv zu werden, wenn es um die Verrentung geht. Wir wollen den Schutz und die Stärkung der psychischen und physischen Gesundheit in belastenden Tätigkeiten deutlich verbessern. Durch adäquate Bedingungen können wir arbeitsbedingte Verschleißerkrankungen, psychische Erkrankungen und damit verbundenes Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess deutlich verringern. Ganz auszuschließen, meine Damen und Herren, ist das Erwerbsminderungsrisiko allerdings auch durch noch so gute Arbeitsbedingungen nicht. Deswegen müssen wir uns gemeinsam mit den Unternehmen fragen, wie wir die Arbeitnehmer vor Berufsunfähigkeit bewahren können. Dabei – das haben wir heute auch schon gehört – ist zwischen physischen und psychischen Belastungen zu unterscheiden. Insbesondere die Zahl der psychischen Erkrankungen ist enorm gestiegen. Das liegt auch daran, dass der Leistungsdruck der Arbeitswelt von heute ebenfalls enorm ist. Das Gesundheitsmanagement der Betriebe und die Eingliederung nach langer Krankheit sind daher große Herausforderungen. Das kann Politik alleine nicht schaffen; das können wir nur gemeinsam mit den handelnden Personen und Akteuren schaffen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch zum Grundsatz „Reha vor Rente“ hat die Große Koalition eine Aussage gemacht: Das Rehabudget der Rentenversicherung muss an den Bedarf der Versicherten angepasst werden. Es geht darum, Rehamaßnahmen zu verstärken, damit die Betroffenen nicht zwangsläufig auf eine Rente angewiesen sind, sondern weiterhin für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Allerdings müssen wir auch bedenken, dass es bei der Verweisbarkeit auf andere Tätigkeiten gewisse Grenzen gibt. Der Arbeitsmarkt ist für Menschen mit gesundheitlichen Problemen vielerorts verschlossen. Zudem macht auch eine Debatte über die Definition von voller und teilweiser Erwerbsminderung, die sich an der möglichen Zahl der Arbeitsstunden orientiert, Sinn; denn diese Unterscheidung ist durchaus umstritten. Die Kritik am Zugang zur Erwerbsminderungsrente dürfen wir nicht außer Acht lassen. Aus Sicht der Betroffenen gibt es viel zu tun. Herr Kurth, wir werden keine Päckchen packen, sondern Pakete schnüren, schnüren müssen. Wir, die SPD, sind dazu bereit. Wir haben, wie ich glaube, die richtigen Konzepte. Wir hätten uns vielleicht an der einen oder anderen Stelle etwas mehr versprochen. Wir sind in einer Großen Koalition. Da muss man auch einmal Kompromisse eingehen. Ich denke, wir werden uns nach vier Jahren daran messen lassen können, was wir für die Betroffenen getan haben. In diesem Sinne: Herzlichen Dank und Glück auf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Es spricht jetzt der Kollege Uwe Lagosky, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Uwe Lagosky (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verbesserungen im Bereich der Erwerbsminderungsrente sind dringend geboten, und wir werden sie, wie im Koalitionsvertrag beschrieben, auch umsetzen. Bei der konkreten Ausgestaltung bis zum 1. Juli 2014 gilt es, erstens darauf zu achten, eine finanzielle Verbesserung für die Betroffenen zu erreichen – das wollen wir, wie eben auch schon geschildert, gerne tun –, und zweitens eine Ausgestaltung zu wählen, die zum derzeitigen Rentensystem passt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, unterscheidet uns voneinander. Deshalb werden wir auf Basis Ihres Antrages nicht zusammenkommen. Die deutliche Besserstellung der Bezieher einer Erwerbsminderungsrente wollen wir, wie bereits ausgeführt, mittels einer Ausweitung der Zurechnungszeit auf 62 Jahre erreichen. Durch diese Gesetzesänderung erzielen wir eine finanzielle Besserstellung der Betroffenen in einer Größenordnung von 45 Euro brutto im Monat, wie das gerade ebenfalls schon ausgeführt wurde. Das wird in der Konsequenz zu Mehrausgaben von 1,7 Milliarden Euro im Jahr 2030 führen. Schon aus diesem Grund bin ich der Auffassung, dass wir die gesundheitlichen Ursachen für die Erwerbsminderung stärker in den Blick nehmen müssen. Dass das angesichts der Unterschiedlichkeiten im Einzelfall nicht überall geht, ist mir dabei völlig klar. Lassen Sie mich dazu folgende Ansatzpunkte betonen: Mit Blick auf die Zukunft der Arbeit und die Arbeit der Zukunft müssen wir darauf hinwirken, dass die verschiedenen positiven Umsetzungen in den Arbeitssicherheitsbereichen der Betriebe weiterhin unterstützt werden; denn hier werden bereits erhebliche Beiträge dazu geleistet, dass die Belastungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verringert werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte an einem Beispiel deutlich machen, warum das so wichtig ist: Mit einem Anteil von 27,6 Prozent waren die Bereiche Skelett, Muskulatur und Bindegewebsprobleme im Jahre 1996 die Bereiche, auf die der größte Anteil der gesundheitlichen Ursachen für Neuzugänge in die Erwerbsminderungsrente entfiel. Durch Arbeitsschutzmaßnahmen und Arbeitssicherheit ist dieser Wert in den letzten Jahren auf 14,2 Prozent stark gesunken. Mittlerweile – auch das ist hier mehrfach angesprochen worden – stehen die psychischen Belastungen an erster Stelle der Gründe für eine Erwerbsminderungsrente, wie aus Studien der Deutschen Rentenversicherung hervorgeht. Seit 1996 bis 2011 hat sich der Wert von 20,1 Prozent auf 41 Prozent mehr als verdoppelt, und die Tendenz ist leider steigend. Unser Koalitionsvertrag trägt dieser Entwicklung durchaus Rechnung. Vor dem Hintergrund einer sich permanent verändernden Arbeitswelt mit ständig neuen Anforderungen für Beschäftigte wollen wir unter anderem die betriebliche Gesundheitsförderung enger mit einem ganzheitlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz verknüpfen. Nach meiner Erwartung und auch Erfahrung können wir in den Betrieben durchaus dafür sorgen, dass leistungsgeminderte Menschen an unterschiedlichen Positionen im Betrieb untergebracht werden, die ihrem Gesundheitsstatus tatsächlich gerecht werden. Je mehr Menschen wir in den Betrieben und in Arbeitsverhältnissen halten können, desto besser. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Angesichts des demografischen Wandels mitsamt dem sich branchenspezifisch wie auch regional verschärfenden Fachkräftemangel greift dieser Ansatz umso mehr. Die Altersgruppe der Anfang 40- bis Ende 50-Jährigen ist bei den Neuzugängen in die Erwerbsminderungsrente die größte. Bezogen auf die Beschäftigten unterstreicht dies vor allem die Bedeutung von wissenschaftlich flankierter Prävention und gegebenenfalls medizinischer Rehabilitation. Auch diesem Thema werden wir uns in der Koalition entsprechend widmen. Diesbezüglich denke ich persönlich auch an eine Klarstellung zum Schutz der psychischen Gesundheit in den Arbeitsschutzverordnungen. Das ist nicht ganz ausgeschlossen, wird aber noch diskutiert. Als Fazit ist zu ziehen: Selbst bei Ausschöpfung aller betrieblichen Maßnahmen werden wir es nicht erreichen, sämtliche Gründe für Erwerbsminderung zu beeinflussen. Aber wir können dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft den Betroffenen so gut wie möglich hilft. Das wollen wir tun, und zwar mit einem verantwortlichen Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Lagosky, nach den mir vorliegenden Informationen war das Ihre erste Rede. Ich darf Ihnen im Namen des Hauses dazu ganz herzlich gratulieren. (Beifall) Das Wort hat jetzt der Kollege Martin Rosemann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Martin Rosemann (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken! Wissen Sie, was der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist? (Zuruf von der LINKEN: Ja!) Sie reden, wir handeln. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir nehmen jetzt Rücksicht, weil das Ihre erste Rede ist!) Das gilt für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland. Das gilt für die armutsfeste solidarische Lebensleistungsrente. Das gilt für die Mütterrente. Das gilt für den abschlagsfreien Rentenzugang ab 63 Jahren für langjährig Versicherte. Das gilt für die Leistungsverbesserungen für Erwerbsgeminderte in unserem Land. (Beifall bei der SPD) Bei all dem zeigt sich: Sie reden über Gerechtigkeit, wir sorgen für mehr Gerechtigkeit. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Oje!) Sie reden über die kleinen Leute, wir machen Politik für die kleinen Leute. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie strapazieren uns jetzt! Unsere Geduld hat Grenzen, auch bei der ersten Rede!) In einer älter werdenden Gesellschaft müssen die Menschen im Durchschnitt auch länger arbeiten. Aber gerade dann müssen wir den unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbedingungen gerecht werden. Das gilt für die Ausgestaltung der Rente wie für die Arbeitsbedingungen in den Betrieben. Beides gehen wir in dieser Legislaturperiode konsequent an. Heute beziehen in Deutschland über 1,6 Millionen Frauen und Männer Erwerbsminderungsrente. Das sind Menschen, die beispielsweise mit einer psychischen Erkrankung, einem orthopädischen Leiden oder einer Krebserkrankung leben müssen. Auch wenn diese Leute länger arbeiten wollen: Sie können es schlicht nicht mehr. Hinzu kommt, dass der Bezug von Erwerbsminderungsrente oft die Ursache von Altersarmut ist. 37 Prozent der Menschen, die in Haushalten von Erwerbsgeminderten leben, sind armutsgefährdet. Altersarmut verhindert man aber am besten, indem man ihre Ursachen bekämpft. Deshalb drängen wir prekäre Beschäftigung zurück. Deshalb führen wir den gesetzlichen Mindestlohn ein. Deshalb setzen wir auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Deshalb arbeiten wir dafür, dass benachteiligte Gruppen auf dem Arbeitsmarkt wieder eine Chance bekommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gleichzeitig werden wir die gesetzliche Rente armutsfest machen. Dazu gehören auch Verbesserungen für Erwerbsgeminderte. Durch die Ausweitung der Zurechnungszeit von 60 auf 62 Jahre werden sie so gestellt, als ob sie zwei Jahre länger gearbeitet hätten. Das bedeutet höhere Renten. Hinzu kommt die Günstigerprüfung. Damit sorgen wir dafür, dass Leute bessergestellt werden, die gerade wegen ihrer Krankheit weniger arbeiten konnten und deshalb vor dem Renteneintritt weniger Geld verdient haben. Mit diesen beiden Maßnahmen verbessern wir ganz konkret die Lebenssituation erwerbsgeminderter Menschen und verringern ihr Armutsrisiko. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Aber lassen Sie mich noch einen anderen Punkt ansprechen, auf den mein Kollege Michael Gerdes bereits hingewiesen hat. Bevor Beschäftigte Erwerbsminderungsrente beantragen, muss doch alles versucht werden, um ihnen den Verbleib im Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Es gilt für uns der Grundsatz „Reha vor Rente“, und wir wollen gute Arbeit in Deutschland, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deshalb setzen wir auf einen besseren Gesundheitsschutz der Beschäftigten am Arbeitsplatz. Vor allem psychische Erkrankungen, die immer weiter zunehmen, erfordern unser Handeln. Prävention und betriebliches Eingliederungsmanagement werden wir deshalb stärken und verbindlicher machen. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, Sie sehen: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten meinen es ernst mit der Bekämpfung der Altersarmut und der Besserstellung erwerbsgeminderter Menschen, (Zurufe von der SPD: Sehr gut!) und wir verbinden die Verantwortung gegenüber der Lebensleistung der älteren Generation mit der Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen. Mein Dank gilt an dieser Stelle unserer Ministerin Andrea Nahles, die sich mit Volldampf um die großen Herausforderungen in der Rentenpolitik kümmert. Wir gehen diesen Weg voller Überzeugung mit, und ich möchte Sie alle einladen, sich konstruktiv daran zu beteiligen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Kollege Rosemann. Es war auch Ihre erste Rede hier, und auch Ihnen darf ich im Namen des gesamten Hauses dazu gratulieren. (Beifall) Es spricht jetzt der Kollege Stephan Stracke, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Stracke (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir lehnen den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke mit dem Vorschlag der Abschaffung der Rentenabschläge ab. Die Rentenabschläge – ich glaube, das kann man in dieser Diskussion durchaus einmal erwähnen – wurden seinerzeit eingeführt, um Ausweichreaktionen von älteren Menschen zu vermeiden. Das war die Realität der 90er-Jahre. Diese Gründe tragen bis in die Gegenwart hinein. Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass gerade jüngere erwerbsgeminderte Versicherte durch die Abschlagswirkungen nicht über Gebühr belastet werden dürfen. Deswegen haben wir die Zurechnungszeiten verlängert. Unter dem Strich führen beide Änderungen zusammen zu einer Verminderung der Rentenhöhe um durchschnittlich 3,3 Prozent im Vergleich zum früheren Recht. Das ist der Hinweis: Es sind 3,3 Prozent und nicht, wie es im Gesetzentwurf der Linken etwas einseitig formuliert ist, 10,8 Prozent, was die Wirkung des Rentenabschlags betrifft. Ich glaube, beides zusammengenommen rückt das Bild entsprechend zurecht. (Beifall bei der CDU/CSU) Richtig ist allerdings, dass die durchschnittlichen Zahlbeträge der Erwerbsminderungsrenten seit Jahren sinken. Heute erhält ein erwerbsgeminderter Versicherter im Vergleich zu vor zehn Jahren im Bundesdurchschnitt rund 70 Euro weniger. Deswegen müssen wir aufpassen, gerade was das Risiko der Altersarmut angeht. Deswegen werden wir auch einen genauen Blick darauf haben. Wenn Grundgesicherte einen Aufwuchs von 12 Prozent haben, dann müssen wir uns das genau anschauen. Die Quote ist damit über viermal so hoch wie bei Altersrentnern ab 65 Jahren. Das macht den unmittelbaren Handlungsbedarf bei den Erwerbsminderungsrenten insgesamt deutlich. Für uns ist klar: Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erwerbstätig sein kann, ist auf die Solidarität der Versichertengemeinschaft angewiesen. Für uns gilt: Wer krank ist, nicht mehr arbeiten kann und vorzeitig in Erwerbsminderungsrente gehen muss, muss im Alter ausreichend abgesichert sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Was haben wir im Einzelnen vor? Heute erhalten die Betroffenen eine Erwerbsminderungsrente, als hätten sie bis zum vollendeten 60. Lebensjahr weitergearbeitet. Wir wollen diesen Schutz verbessern. Erwerbsgeminderte Menschen sollen künftig so gestellt werden, als ob sie mit ihrem bisherigen durchschnittlichen Einkommen zwei Jahre länger, also bis zum 62. Lebensjahr, weitergearbeitet hätten. Im Klartext: Wir wollen die Zurechnungszeit um zwei Jahre verlängern, und zwar entgegen den anfänglichen Überlegungen in einem Schritt. Das kommt den Betroffenen zugute. Das ist der Weg, den wir hier weiter beschreiten wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Zudem stellen wir sicher, dass die letzten vier Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung nicht zählen, wenn sie die Bewertung der Zurechnungszeit verringern. Hintergrund ist, dass die Rentenanwartschaften in den letzten Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung typischerweise deutlich zurückgehen. Häufig ist dies durch unfreiwillig unstetige Arbeitsverhältnisse begründet. Denken Sie beispielsweise an Erkrankungen vor dem Bezug der Erwerbsminderungsrente. Um hier einen Ausgleich zu schaffen, wollen wir eine Günstigerprüfung bei der Rentenberechnung einführen. Beide Instrumente, Günstigerprüfung und die Verlängerung der Zurechnungszeit, kommen den Erwerbsgeminderten deutlich entgegen und verbessern ihre Situation. Darauf wollen wir aufsetzen. Wir wollen durch entsprechende Veränderungen erreichen, dass Prävention einen höheren Stellenwert in dieser Gesellschaft erlangt, gerade wenn es um die betriebliche Gesundheitsförderung geht. Wir haben in der letzten Legislaturperiode einen guten Gesetzentwurf vorgelegt. Es gilt, in dieser Legislaturperiode darauf aufzusetzen, und zwar unter dem spezifischen Blickwinkel der betrieblichen Gesundheitsförderung. Schließlich wollen wir präventiv über eine Modifizierung des Rehabudgets die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Menschen auch im Alter die Belastungen im Arbeitsleben körperlich und psychisch meistern können, also erst gar keine Erwerbsminderungsrente brauchen. Für all diese Vorschläge gibt es große Unterstützung vonseiten der Experten. Das zeigt: Wir sind beim Thema Verbesserung der rentenrechtlichen Situation erwerbsgeminderter Personen bestens aufgestellt. All diese Vorschläge werden Bestandteil des Rentenpakets werden, das die Bundesregierung demnächst vorlegen wird. Ich sehe dem Gesetzgebungsverfahren und insbesondere den entsprechenden Anhörungen zuversichtlich entgegen und freue mich auf die Beratungen im Deutschen Bundestag. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Waltraud Wolff, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten kann, ist natürlich – darin sind wir uns alle heute Abend einig; das wurde fraktionsübergreifend festgestellt – auf Erwerbsminderungsrente angewiesen, keine Frage. Dabei muss es sich um ein ausreichendes Einkommen handeln. Sonst würden wir nicht gemeinsam dieses Gesetzgebungsverfahren in Gang setzen. Schließlich wird niemand freiwillig krank und will diesen Weg freiwillig gehen. Wir wissen aber auch: Es reicht nicht aus. Sonst würden wir uns nicht damit beschäftigen. Man sagt immer: Zahlen lügen nicht. So müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Männer, die 2012 zum ersten Mal eine Erwerbsminderungsrente bekommen haben, im Durchschnitt 15 Prozent weniger Rente haben als diejenigen, die im Jahr 2000 zum ersten Mal Erwerbsminderungsrente bekommen haben. Ich möchte als Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt einen Schwerpunkt auf den Osten Deutschlands legen. Wir wissen, dass da besonders niedrige Löhne gezahlt werden, dass dadurch die Renten besonders niedrig sind und dass auch die erwerbsgeminderte Rente niedriger ausfallen wird, keine Frage. Fakt ist, dass wir dabei nicht weiter zusehen können und nicht zusehen wollen. Wir haben gemerkt, dass wir uns von dem sozialpolitischen Ziel, den Menschen in der Erwerbsminderung ein ausreichendes Einkommen zur Verfügung zu stellen, weit entfernt haben. Das geht so nicht weiter. Wir alle sehen hier Handlungsbedarf. Aber die Maßnahmen sind – das haben alle Vorredner betont – unterschiedlich. Herr Kollege Birkwald, wenn ich Sie richtig verstanden habe, schlägt Ihre Fraktion einzig und allein die Abschaffung der Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente vor. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, nicht einzig und allein!) Es stimmt, dass das auch im SPD-Wahlprogramm stand. Aber wer weiter liest, findet noch mehr, nämlich das, was wir gemeinsam im Koalitionsvertrag vereinbart haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das ist nämlich die Verlängerung der Zurechnungszeit. Jemand, der eine so geringe Rente bekommt, dass sie unter der Grundsicherung liegt, freut sich schon, dass zwei Jahre hinzukommen. Keine Frage. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das streitet niemand ab! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ein richtiger Schritt! Nur zu kurz!) Ich glaube, dass man das wirklich als Erfolg werten kann und dass das gut und richtig ist. Einer Erwerbsminderungsrente geht vielfach voraus, dass die Betroffenen schon schlechtere Arbeitsbedingungen hatten, dass sie weniger verdient haben, dass sie weniger Stunden gearbeitet haben oder dass sie arbeitslos gewesen sind. Darum ist es gut und richtig, dass man die letzten vier Jahre, wenn es da zu schlechten Verdiensten kam, herausrechnet und nur die guten Jahre zählt. Ich glaube, auch das ist ein großer Fortschritt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb ist es nur mit der Abschaffung der Abschläge einfach nicht getan. Wir kehren den Trend mit diesen beiden Maßnahmen um, die ich eben schon genannt habe. Wir gehen damit in die richtige Richtung. Übrigens – mein Kollege Rosemann hat es schon deutlich gesagt – bekämpfen wir das Grundübel in der Erwerbsminderungsrente auch mit guter Arbeit und mit guten Löhnen auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben eine super Besetzung im Ministerium für Arbeit und Soziales, die genau das vorbereitet und mit Hochdruck daran arbeitet. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns alle gemeinsam an diesem Gesetzgebungsverfahren arbeiten und miteinander für die Menschen, die es wirklich nötig haben, Verbesserungen erzielen. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das war gleichzeitig der letzte Beitrag in dieser Aussprache, die ich damit schließe. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/9 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf: a) Erste Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Drucksache 18/185 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bis zur Abschaffung des Optionszwanges vermeiden Drucksache 18/186 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Da?delen, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht Drucksache 18/286 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen ernsthaften Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Er bringt schon den Gesetzestext mit!) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jahre 1999 hat der Deutsche Bundestag unter Rot-Grün eine Staatsangehörigkeitsreform beschlossen, die am 1. Januar 2000 in Kraft trat und die ein wichtiger Schritt in unserem Staatsangehörigkeitsrecht war; denn erstmals konnten die Kinder von Migranten in Deutschland mit ihrer Geburt Deutsche werden. Dieses Gesetz hatte damals allerdings einen großen Makel. Den hat uns der Bundesrat, genauer das Land Rheinland-Pfalz und die FDP, eingebracht. Ich bin froh, dass wir jetzt, nachdem die FDP nicht mehr im Haus ist, diese liberale Hinterlassenschaft einmütig dadurch beseitigen wollen, dass wir, wie es die Koalition beschlossen hat, die Optionspflicht abschaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu will ich ausdrücklich den sozialdemokratischen Kollegen gratulieren; denn das war wahrscheinlich nicht ganz so einfach. Noch im Juni haben die Union und die FDP in namentlicher Abstimmung das einstimmig abgelehnt. Der Parlamentarische Staatssekretär Schröder sagte damals: Wir wollen die deutsche Staatsbürgerschaft nicht verramschen. – Die Optionspflicht sei ein Erfolgsmodell, und er sei gegen eine generelle Hinnahme von Mehrstaatlichkeit. Der Kollege Grindel sagte, wer Ja zu Deutschland sage und gerne hier leben wolle, von dem könne er auch die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft unter Ablegung seiner alten Staatsbürgerschaft erwarten. Gut, dass wir dies nun zumindest bei der Optionspflicht zu den Akten legen. Aber wir haben ein Problem; denn Sie kommen mit Ihrer Gesetzgebung nicht voran. Auch deshalb will ich jetzt mit Lob und Tadel anhand von Zitaten Schluss machen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Auf den Schreibtischen der deutschen Ausländerbehörden liegen gegenwärtig 5 000 Fälle, in denen wegen der bestehenden Optionspflicht weiterhin der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit droht. Sie wollen diesen Unsinn doch beenden. Aber machen Sie jetzt auch Schluss damit? Sie haben es doch selber in der Hand. Deshalb sagen wir: Wir als Bundestag wollen die Länder auffordern – der Bundesinnenminister könnte das in einer entsprechenden Auslegungsentscheidung mitteilen –, dass jeder, der gegenwärtig eine Beibehaltungsgenehmigung beantragt, sie entweder sofort erhält oder dass man das Verfahren ruhen lässt, bis der Gesetzgeber die Optionspflicht abgeschafft hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Bundesinnenminister hat mir gestern in der Befragung der Bundesregierung gesagt: Wir werden zum Thema Optionspflicht sehr schnell, ohne schuldhaftes Zögern, einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem die Koalitionsvereinbarung exakt umgesetzt wird. – Ich verstehe nicht, dass das im BMI so lange braucht; es gibt noch nicht mal einen Referentenentwurf. Es ist gar nicht so schwierig, wie man an dem Gesetzentwurf, den wir hier heute vorgelegt haben, sieht. Nehmen Sie unseren Gesetzentwurf zur Grundlage; dann können wir schnell zu einer Beschlussfassung kommen. Dabei ist mir ein Punkt wichtig: Der Optionszwang war – wir alle sind heute dieser Auffassung – rechtspolitischer, integrationspolitischer Unsinn. Daher darf man diesen Unsinn auch nicht weiter praktizieren, und dann darf man Menschen unter diesem Unsinn nicht weiter leiden lassen. Deshalb fordern wir: Wer jetzt aufgrund der noch fortbestehenden Optionspflicht die deutsche Staatsbürgerschaft verliert oder bereits verloren hat, der muss sie unbürokratisch und gebührenfrei auf Antrag zurückbekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das sieht unser Gesetzentwurf bei der Neufassung des § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes vor. Wer infolge des Optionszwangs in der Vergangenheit seine ausländische Staatsangehörigkeit aufgegeben oder verloren hat, der muss die Genehmigung erhalten, sie wieder zu beantragen. Das ist konsequent. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Beck, Sie denken an die Redezeit? Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Ich komme jetzt zum Schluss, Herr Präsident. Wir wollen nicht, dass noch irgendjemand Opfer dieses politischen Nonsens wird. Überlegen Sie sich einmal: Sie geben mit der Abschaffung des Optionszwangs die Ideologie des Verbots der doppelten Staatsangehörigkeit auf. Bei der Einbürgerung halten Sie allerdings daran fest. Das macht überhaupt keinen Sinn. Wenn man sich den Migrationsbericht, den die Bundesregierung gestern vorgelegt hat, anschaut, dann sieht man: Schon heute ist jede zweite Einbürgerung mit Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit verbunden. Lassen Sie uns beim Thema Staatsangehörigkeit auch den anderen 50 Prozent sagen: Ja, auch ihr dürft euren alten Pass behalten, wenn ihr Deutsche werden wollt; denn ihr seid uns willkommen. – Beim Thema Willkommenskultur hat dieses Land noch einiges nachzuholen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Willkommen, Herr Beck!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Helmut Brandt, CDU/CSU. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Helmut Brandt (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist noch gar nicht lange her, da haben wir hier im Deutschen Bundestag vor der letzten Wahl auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken über dieses Thema, über die Abschaffung des Optionszwangs, gesprochen. Herr Beck, wenn Sie mit Ihren Anträgen auch nur ein paar Wochen gewartet hätten, dann hätten Sie den Gesetzentwurf der Regierung gesehen und ihm hoffentlich mit Freude zugestimmt. Warten wir ihn doch einfach einmal ab. Weil Sie es nicht richtig geschildert haben und weil Sie das, was seinerzeit gemacht worden ist, als Unsinn bezeichnet haben – was ich zurückweise; es war schon sehr sinnvoll –, will ich die Rechtslage noch einmal verdeutlichen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum schaffen Sie es denn ab, wenn es sinnvoll war?) – Das erkläre ich Ihnen auch noch. Sie müssen nur Geduld haben. Voraussetzung für den seit dem Jahr 2000 geltenden Jus-Soli-Erwerb war und ist, dass mindestens ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewünschten Aufenthalt im Inland hat und über ein befristetes Aufenthaltsrecht verfügt. (Rüdiger Veit [SPD]: Oder!) Diese Kinder müssen sich nach Vollendung des 18. Lebensjahres bis zum 23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden, also entweder bei der deutschen verbleiben oder die Staatsbürgerschaft, die sie durch einen der beiden Elternteile erworben haben, beibehalten. Seit 2000 waren davon immerhin 450 000 Kinder betroffen und sind auf diesem Wege deutsche Staatsangehörige geworden. Das ist eine beachtliche Zahl. Für die ersten dieser Kinder, die im Jahre 2008 18 Jahre alt wurden, ist die Optionsphase im vergangenen Jahr abgelaufen. Jetzt ist es interessant, zu sehen, wie sie sich entschieden haben. Weil sich die meisten, nämlich 98 Prozent, für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden haben, muss ich den Vorwurf des Unsinns zurückweisen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt! Es ist großer Unsinn!) Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Für mich ist das ein Beweis dafür, dass diese Optionspflicht, die damals eingeführt worden ist, durchaus Sinn gemacht hat und nach meiner persönlichen Auffassung auch heute noch macht. Denn die Entscheidung für eine der beiden Staatsbürgerschaften als klares Bekenntnis zu einem Land halte ich nach wie vor für einen Menschen, der schon 18 bis 23 Jahre lang hier gelebt hat, für durchaus zumutbar. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber es gibt noch weitere gute Gründe für diese Optionspflicht. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das Optionsmodell nicht verstanden!) – Dass Sie dieser Meinung sind, glaube ich Ihnen gerne. Aber wir können ja noch darüber diskutieren, wer was richtig versteht. Es gibt auch ein gutes Beispiel dafür, weshalb es für die Betroffenen durchaus überlegenswert ist, die zweite Staatsbürgerschaft abzulegen. Sie wissen alle: Wir haben in der letzten Legislaturperiode die Wehrpflicht ausgesetzt – nicht abgeschafft, aber ausgesetzt. Das bedeutet jetzt für türkische Staatsangehörige, dass sie sich in der Türkei freikaufen müssen, wenn sie es denn können. Bei der Strafverfolgung besteht durchaus die Gefahr, dass sich jemand der Strafverfolgung entzieht, indem er in sein zweites Heimatland geht, das ihn nicht ausliefert, weil es kein Auslieferungsabkommen gibt. Es gibt sowohl im Familien- wie auch im Erbrecht Probleme – die können Sie nicht verleugnen –, die durch diese Regelung, die wir bislang hatten, einfacher zu lösen waren. Nicht zuletzt – jetzt komme ich auf den Hauptpunkt – gibt es einen Loyalitätskonflikt, insbesondere dann, wenn in dem Heimatland – wir reden ja nicht nur über die Türkei, aber auch – ganz andere Vorstellungen von Demokratie und vor allen Dingen Religionsfreiheit bestehen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Brandt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mutlu? Helmut Brandt (CDU/CSU): Ja, gern. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine ganz konkrete Frage, Herr Kollege. Sie haben gerade die Punkte Loyalitätskonflikt und Strafverfolgung angesprochen. Ist Ihnen bekannt, dass Deutschland mit 53 verschiedenen Ländern dieser Erde bereits sogenannte Doppelstaatsbürgerschaftsabkommen geschlossen hat? Dabei gibt es keines der Probleme, von denen Sie hier reden. Es gibt niemanden, der sich in einem Loyalitätskonflikt befindet oder der sich der Strafverfolgung entzieht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Helmut Brandt (CDU/CSU): Das ist durchaus zutreffend, aber es gibt darüber hinaus mehr als 100 weitere Länder, mit denen solch ein Abkommen nicht besteht. Von denen habe ich gerade gesprochen. Ich komme zurück zum Loyalitätskonflikt. Ich will einmal, weil die Menschen mit türkischstämmigem Hintergrund hier eine besondere Bedeutung haben, auf die Regierung Erdogan zu sprechen kommen. Sie hat ja bekanntlich eine Behörde ins Leben gerufen, die sich speziell an im Ausland lebende Türken wendet und das Ziel verfolgt, diese im Ausland lebenden Türken für ihre Interessen zu gewinnen. Ich meine, dass dies zumindest ein starkes Indiz dafür ist, dass Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft für Ziele vereinnahmt werden, die in unserem Land keine Rolle spielen, sondern nur in der Türkei. Wenn Ministerpräsident Erdogan sagt: „Geschichte und Schicksal mögen uns in unterschiedliche Länder versetzt haben, aber unsere Herzen schlagen immer zusammen“, dann spricht doch diese Aussage für sich. (Rüdiger Veit [SPD]: Das ist seine Aussage und nicht die der jungen Leute hier!) – Das ist seine Aussage; das ist vollkommen richtig. Aber er übt Einfluss auf die aus, die hier in Deutschland leben. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie sich doch Erdogan nicht zu eigen, auch wenn es Ihre Schwesterpartei ist!) Deshalb gibt es gute Gründe, Herr Beck, die Sie bei Ihren Ausführungen natürlich alle verschwiegen haben, das Optionsmodell nicht als Unsinn zu bezeichnen. Ich muss im Übrigen auch Ihre Einschätzung zurückweisen, Herr Beck, dass heute über alle politischen Lager hinaus Einigkeit darin besteht, dass sich die Optionspflicht nicht bewährt hat. Das ist nicht richtig. Ich hatte das eben ausgeführt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich verwirrt!) Richtig ist, dass CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart haben, die Optionspflicht abzuschaffen bzw. es dem betroffenen Personenkreis leichter zu ermöglichen, die doppelte Staatsbürgerschaft zu behalten. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Aha!) Die Entscheidung zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der des Herkunftslandes der Eltern oder eines Elternteils ist für junge Migranten, die hier geboren sind und hier leben wollen, natürlich ein Problem. Das sehen wir auch. Aber für uns ist nach wie vor von großer Bedeutung, dass wir die Integration dieser Gruppe im Blick behalten. Unser Vorhaben gehört sicherlich zur Willkommenskultur, die wir in unserem Land weiterhin fördern wollen. Wir wollen, dass sich die jungen Menschen, die sich seit ihrer Geburt in Deutschland aufhalten, auf Dauer in unserem Land wohlfühlen und dem Land verbunden bleiben. Deshalb ist die Ermöglichung von gleichen Chancen auf ein gutes Aufwachsen im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Das halten wir für wichtig, damit es bei der Umsetzung des Vertrages nicht zweierlei Meinungen gibt. Frau Künast ist heute leider nicht hier. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin ganz Ohr!) – Entschuldigung, ich habe Sie nicht gesehen. Ich begrüße Sie sehr herzlich. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wahrscheinlich erinnern Sie sich an Ihren Zwischenruf, den sie im letzten Jahr während der Debatte gemacht haben. Sie haben gesagt, die seien doch alle integriert. Aber das ist leider nicht wahr. Wir müssen immer noch feststellen, dass eine große Zahl derjenigen, die hier in Deutschland leben – selbst wenn sie seit ihrer Geburt hier leben –, leider nicht die gleichen Voraussetzungen erfüllen wie Kinder, die aus deutschen Familien stammen. Es ist einfach eine Tatsache, dass in dieser Gruppe ein hoher Prozentsatz – doppelt so hoch wie der Durchschnitt – keinen Schulabschluss macht und später auch keine Berufsausbildung aufnimmt. All das halten wir für nicht akzeptabel. Herr Beck, Sie können es drehen, wie Sie wollen: Wir halten den Druck, den wir ausüben wollen, damit sich die Menschen in Deutschland wirklich integrieren und sich den Möglichkeiten öffnen, die unser Staat bietet, für wichtig. Unser Modell „Integration geht vor Staatsangehörigkeit“ halte ich nach wie vor für richtig. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt denn das jetzt für die Reform?) Lassen Sie mich in dieser Debatte einen weiteren Punkt ansprechen. Seit 2005 haben wir, also die CDU/CSU-geführte Regierung, die Integration in den Fokus gerückt. Wir haben in dieser Zeit beispielsweise Integrationskurse eingeführt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Integrationskurse haben wir eingeführt! In dem Zuwanderungsgesetz!) Seit 2005 haben wir 1 Milliarde Euro für Integration und Sprachkurse ausgegeben. Man sieht, dass es unser hauptsächliches Bemühen ist, die Menschen fit zu machen, um in Deutschland Erfolg zu haben. Das ist und bleibt unser Ziel. Warten wir den Regierungsentwurf ab. Diskutieren wir dann im Innenausschuss, in den Sie jetzt von Ihrer Fraktion entsandt worden sind, über den Inhalt dessen, was wir nach der Vorlage des Regierungsentwurfs tatsächlich umsetzen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Brandt, gestatten Sie noch eine abschließende Zwischenfrage des Kollegen Beck? Helmut Brandt (CDU/CSU): Ja. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Brandt, ich bin aus Ihrer Rede nicht so ganz schlau geworden. (Beifall des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie haben begründet, warum der Optionszwang eine wunderschöne Sache war. Heißt das, der Satz, wie er im Koalitionsvertrag steht, wird von Ihnen teilweise in Zweifel gezogen? Wollen Sie noch Bedingungen an die Aufgabe des Optionszwanges stellen? (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Frieser [CDU/CSU]: Wie durchsichtig!) Sie haben ja gesagt: Jetzt warten wir einmal ab, was da kommt. – Es kann eigentlich nur das kommen, was wir aufgeschrieben haben; vielleicht mit einem anderen Wording. Wollen Sie davon in der Substanz abweichen, und, wenn ja, an welcher Stelle? Helmut Brandt (CDU/CSU): Wir halten uns strikt an das, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist, und werden das auch umsetzen. Ich weiß jetzt nicht, was Sie mit Wording meinen, aber jedenfalls geht es nicht um den Wortlaut, den Sie in Ihren Anträgen benutzt haben. Warten Sie unsere Vorlage ab, und dann diskutieren wir darüber! Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege Brandt. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Petra Pau (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1940 schrieb Bertolt Brecht seine Flüchtlingsgespräche. Darin geht es auch um das Verhältnis von Pass und Mensch, von Staat und Bürger. Ich zitiere: Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Paß niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird. Derselbe Streit – Mensch oder Pass? – steckt letztlich hinter der anhaltenden Debatte über eine doppelte Staatsbürgerschaft. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. René Röspel [SPD]) CDU und CSU favorisieren offenbar den Pass, die Linke favorisiert den Mensch. (Lachen bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht nur die Linke! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist aber eine sehr mutige Aussage, Frau Kollegin!) Deswegen sind wir für eine doppelte Staatsbürgerschaft. (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen wähnten wir uns darin bis vor kurzem einig mit der SPD, (Rüdiger Veit [SPD]: Das ist so und bleibt so!) zumal Sigmar Gabriel erst kürzlich klargestellt hatte – noch ein Zitat –: Ich werde … keinen Koalitionsvertrag vorlegen, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht drin ist. Sie wissen: Es kam anders. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD hat erneut der Pass über den Mensch obsiegt. Ich bedaure das. Ich teile auch die Kritik von Kenan Kolat, dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland; denn herausgekommen ist keine große europäische Lösung, sondern eine kleine deutsche Geste, und die spaltet erneut. Ja, ich erkenne an: Der Optionszwang soll fallen. Hier geborene junge Menschen sollen nicht mehr entscheiden müssen, ob sie Deutsche oder beispielsweise Türken sind. Aber Ältere oder neu Eingewanderte stehen weiter vor der Qual der Wahl. Sie dürfen nicht einfach Mensch sein; über sie entscheidet weiter der Pass. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Natürlich dürfen sie Mensch sein! Das ist doch Quatsch!) Das ist engstirnig und obendrein ungerecht. (Beifall bei der LINKEN) Ich kenne im Übrigen keine triftigen Gründe gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft. In zahlreichen EU-Staaten ist eine doppelte Staatsbürgerschaft längst Usus und obendrein ein Erfolgsmodell; in Deutschland nicht. Es ist wie bei der direkten Demokratie: Auch im Staatsbürgerschaftsrecht ist Deutschland nicht etwa spitze, sondern ein EU-Entwicklungsland. Ich finde, das ist blamabel. (Beifall bei der LINKEN) Nun ist selbst die Abschaffung des unsäglichen Optionszwangs bislang lediglich eine pure Ankündigung der Großen Koalition. Bündnis 90/Die Grünen fordern mit ihrem Antrag ein schnelleres Handeln, und das unterstützen wir natürlich. Aber es bleibt die kleine Lösung auf Koalitionsniveau. Wir als Linke drängen weiter auf weitergehende Änderungen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Sorge! Da kommen unsere Gesetzentwürfe auch noch! Nicht alles an einem Tag!) – Das machen wir dann vielleicht gemeinsam, Kollege Beck; das ist ja in Ordnung. Wir wollen, dass das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht grundlegend modernisiert wird und Einbürgerungen unbürokratisch erleichtert werden. Wir möchten, dass der Pass der Pass bleibt und dass der Mensch – jetzt sind wir bei Ihrem Widerspruch – auch Bürger sein kann, anerkannt und gleichberechtigt. Dazu gehört, dass Bürgerinnen und Bürger, die seit Jahren hier leben, auch ohne deutschen Pass mitbestimmen und wählen können. (Beifall bei der LINKEN) Sie dürfen es bislang nicht, und so bleiben sie Bürger zweiter Klasse. Das lehne ich ab, und das will die Linke grundlegend ändern. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Frau Kollegin Pau. – Es spricht jetzt der Kollege Uli Grötsch, SPD. (Beifall bei der SPD) Uli Grötsch (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die SPD ist klar: Zuwanderung ist eine Bereicherung für Deutschland, und zwar in Bezug auf ausnahmslos alle Mitgliedstaaten und Bevölkerungsgruppen der Europäischen Union ebenso wie der Nationen außerhalb der europäischen Staatengemeinschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Herr Kollege Beck, damit Willkommenskultur nicht nur eine Worthülse ist, bedarf es einer ständigen Weiterentwicklung, eines ständigen gesellschaftlichen Diskurses und auch der politischen Diskussion darüber. Um dieses gesellschaftliche Klima in Deutschland zu fördern, brauchen wir ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Das ist in diesem Haus, so denke ich, weitestgehend unstrittig. Wir haben gesagt – das ist richtig –, wir unterschreiben keinen Koalitionsvertrag ohne die doppelte Staatsbürgerschaft. Aus diesem Grund war es meiner Fraktion und der SPD in ihrer Gesamtheit ein elementares Anliegen, im Koalitionsvertrag festzuschreiben, dass für in Deutschland geborene Menschen der Optionszwang abgeschafft und Mehrstaatigkeit damit akzeptiert wird. Damit ist ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung hin zu einem modernen Staatsangehörigkeitsrecht getan. (Beifall bei der SPD) Natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, liebe Kollegin Pau, wissen wir, dass das allein nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Selbstverständlich sind auch wir der Meinung, dass eine Neuregelung des Staatsangehörigkeitsgesetzes so gestaltet sein muss, dass möglichst viele Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben können. Mehrere Punkte in Ihrem Gesetzentwurf bzw. den vorliegenden Anträgen sind unterstützenswert, etwa die vereinfachte Erteilung von Beibehaltungsgenehmigungen, damit die ausländische Staatsbürgerschaft im Optionsverfahren nicht gewissermaßen automatisch verloren geht. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie doch zu!) – Ich komme noch darauf, Herr Kollege. – Der Umgang damit liegt aber in der Kompetenz der Länder. Deren Prüfungen bezüglich Erleichterungen sollte der Bundestag nicht vorgreifen; ich weiß zumindest von SPD-regierten Ländern, dass daran bereits intensiv gearbeitet wird. Bis zur Neufassung des § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes sind die zuständigen Landesbehörden aufgefordert, auf die bis dahin von der Optionspflicht betroffenen jungen Menschen dahin gehend hinzuwirken, dass diese rechtzeitig einen Antrag auf eine Beibehaltungsgenehmigung stellen. Kritisch sehe ich die Forderungen der Fraktion Die Linke in ihrem Antrag hinsichtlich der Freiwilligkeit von Sprachkursen oder der Gebührenfreiheit von Einbürgerungen. Ich meine, dass es angesichts finanziell oftmals schwacher öffentlicher Haushalte nicht vertretbar ist, auf die entstehenden Gebühren gänzlich zu verzichten, zumal es bereits jetzt gesetzliche Möglichkeiten der Gebührenbefreiung bzw. Gebührenermäßigung gibt. Im Übrigen sollte auch künftig die Lebensunterhaltssicherung ein zu berücksichtigender Aspekt bei der Einbürgerung sein. Weiterhin gleicht die in Ihrem Antrag geforderte Einbürgerung bereits nach fünf Jahren dem Voraufenthalt für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Der Sinn dieses Vorgehens erschließt sich uns nicht und auch nicht, in welchem Verhältnis Niederlassungserlaubnis und das Recht auf Einbürgerung dahin gehend künftig stehen sollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Weiterentwicklung des Staatsangehörigkeitsrechts ist bei der SPD auch in Zukunft in besten Händen; dessen können Sie sich alle sicher sein. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf werden wir Sie prüfen!) – Tun Sie das! (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich erinnere mich an die Wahlslogans!) – Das war bei uns schon in guten Händen, als es einige Parteien in diesem Hause noch nicht in dieser Form gab. (Beifall bei der SPD) Die SPD wird weiter die Triebfeder sein, wenn es darum geht, mit der Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts Deutschland als ein modernes und weltoffenes Land zu präsentieren. Jeder hier im Saal weiß, dass wir von der SPD nicht neu in diesem Thema sind. Wir sind bereits seit 1998 ständig bestrebt, möglichst vielen Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, die Möglichkeit zu geben, im Rahmen einer doppelten Staatsangehörigkeit endgültig alle Rechte und Pflichten wahrzunehmen, (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Lies doch mal deine eigenen Gesetze!) und das steht ihnen meiner Meinung nach auch zu. Auch die Vertreter der türkischen Gemeinden wissen, dass wir bei unserem Koalitionspartner im Wort stehen. Aber wir werden unsere Kraft im Deutschen Bundestag gemeinsam dafür einsetzen – auch ich werde dies tun –, dass wir diejenigen gewissermaßen nachholen, die aufgrund bisheriger Regelungen ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit abgeben mussten. Das verstehe ich unter einer Willkommenskultur. Auch wenn es übereinstimmende Positionen gibt, werden wir den heute zur Abstimmung stehenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ablehnen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade, schade! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für eine Überraschung!) Wir werden mit unserem Koalitionspartner auf Grundlage des Koalitionsvertrages das geltende Recht weiterentwickeln und modernisieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist gut so! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind Sie ja gleich bei der Union!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir würden uns über eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Opposition bei dieser gesamtgesellschaftlich so wichtigen Aufgabe selbstverständlich sehr freuen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unser Beitrag! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb haben wir Ihnen schon etwas mitgegeben!) Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Lieber Herr Kollege Grötsch, das war Ihre erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen dazu und wünsche Ihnen, dass Sie möglichst oft hier im Hohen Hause sprechen können. (Beifall) Nächster Redner ist der Kollege Özcan Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Grötsch, der vorliegende Antrag ist genau das, was Sie einfordern: ein konstruktiver Beitrag zu dieser gesamtgesellschaftlich wichtigen Debatte. Nur weil der Antrag von der Opposition kommt, trauen Sie sich nicht, ihm zuzustimmen, obwohl Sie inhaltlich nichts dagegen gesagt haben. (Rüdiger Veit [SPD]: Was glauben Sie, was wir uns alles trauen!) Ihnen, lieber Herr Kollege Brandt, kann ich nur sagen: Ich hoffe, dass viele Menschen, die aus der Türkei stammen, schon jahrzehntelang in unserem Land leben und längst integriert sind, Ihre Rede nicht gehört haben. Denn mit dieser Rede würden Sie diese Menschen in die Hände von diesem Herrn Erdogan treiben, den Sie hier immer wieder zitieren, wenn Ihnen hinsichtlich der Türkei etwas nicht passt. Mit dieser Rede haben Sie keinen Beitrag dazu geleistet, dass sich diese jungen Menschen endlich zu diesem Land bekennen. Insofern kann ich Ihnen sagen: Sie können viel von Frau Özo?uz lernen, der ich im Übrigen eine glückliche Hand wünsche, weil sie viel mit Ihnen zu tun haben wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei der SPD – Rüdiger Veit [SPD]: Das glaube ich auch!) Ich weiß zudem nicht, woher Sie die Zahl von 98 Prozent nehmen, die Sie hier genannt haben. Ich würde gerne wissen, ob die 98 Prozent, die angeblich freiwillig die – in Anführungszeichen – „Heimatstaatsbürgerschaft“ aufgegeben haben, dies gerne getan haben oder durch den Optionszwang dazu gezwungen waren. Verehrte Damen und Herren, ich gehöre vermutlich zu den wenigen Menschen in diesem Hohen Hause, die sich in ihrem Leben die Frage nach ihrer Staatsangehörigkeit gestellt haben. Die deutsche Staatsangehörigkeit habe ich 1989 im Gegensatz zu Ihnen nicht per Geburt, sondern in einem bewussten Schritt angenommen, weil ich von der deutschen Wiedervereinigung beeindruckt war. Die friedliche Revolution und der Mauerfall waren für mich, der hier in Berlin an der Mauer groß geworden ist, ein wichtiges Signal. Ich wollte für diese Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Ich stehe hier heute mit zwei Staatsbürgerschaften vor Ihnen, und ich sehe da gar keine Probleme hinsichtlich der Loyalität. Aber Sie können das natürlich anders sehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Glauben Sie mir: Diese Entscheidung war keine einfache. Ich fragte mich: Verrate ich meine Herkunft? Was werden meine Eltern, meine Freunde, meine Bekannten sagen oder denken? Als Politiker sage ich Ihnen: Dies beschäftigt mich immer noch. Denn ich frage mich immer noch, warum wir junge Menschen, die in diesem Land geboren, aufgewachsen und heimisch sind, immer wieder vor diese Frage stellen. Deshalb, liebe SPD, haben wir keine Zeit, auf eine Regierungsvorlage zu warten. Sie haben im Wahlkampf auf den Marktplätzen und Straßen versprochen, keinen Koalitionsvertrag zu unterschreiben, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht steht. Diesen Anspruch haben Sie aufgegeben. Bleiben Sie doch wenigstens Ihrer eigenen Forderung, das Optionsmodell abzuschaffen, treu. Sorgen Sie dafür, dass die jungen Menschen, die tagtäglich zwangsweise ausgebürgert werden – nach einer Information der Bundesregierung sind es bereits über 200 junge Menschen –, ihre beiden Staatsbürgerschaften zumindest so lange behalten können, bis Ihr neues Gesetz gilt. In diesem Sinne appelliere ich an Ihre Vernunft: Springen Sie über Ihren Schatten. Lassen Sie an einer so wichtigen Stelle das Spiel zwischen Opposition und Regierung sein, und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf und unserem Antrag zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Es spricht jetzt Michael Frieser, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Frieser (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte war durchaus zu erwarten. Man konnte die Uhr danach stellen. Jetzt wird der Koalitionsvertrag nach Positionen durchsucht, an denen es irgendwelche Missverständnisse geben könnte. Wir müssen deutlich sagen: Nein, auch mit diesen Vorlagen wird es nicht gelingen, einen Keil zwischen die Partner dieser jungen, noch erblühenden Vernunftehe zu treiben. (Rüdiger Veit [SPD]: Wir wollen es jetzt nicht übertreiben! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Zwangsheirat, keine Vernunftehe!) Es ist doch erkennbar, dass man versucht, einen Punkt zu finden, um sagen zu können: Jetzt müssen wir aber einmal auf den Tisch hauen. – Das ist der altbekannte Alarmismus. Zahlen werden in den Raum geworfen. Es ist von 5 000 Menschen die Rede, die ihre Staatsangehörigkeit verlieren. Es handelt sich um ein Optionsmodell, das sich über einen Zeitraum von fünf Jahren erstreckt. Bis zum Ablauf dieses Zeitraums ist definitiv eine Regelung von der Regierung zu erwarten. Es hat sehr lange gedauert, bis man sich auf dieses Optionsmodell geeinigt hat. Es war im klassischen Sinne des Wortes ein Kompromiss; verschiedene Positionen mussten sich aufeinander zubewegen. Eines ist deshalb klar: Nun bedarf selbstverständlich auch das Abwägen der Folgen Zeit. Auch das Beseitigen ungewollter Folgen bedarf seiner Zeit. Gründlichkeit ist angesagt. Auch hier gilt: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Wir sollten definitiv abwarten. Haben Sie Vertrauen in die Länder, die diese Regelungen vollziehen müssen! Ich glaube nicht, dass es zu unabwendbaren Problemen kommen wird. Ich meine, dass wir im Vertrauen auf die föderale Struktur in diesem Land durchaus abwarten können. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hamburg hat es ausgesetzt, aber alle anderen nicht!) Menschen in Deutschland, Autochthone wie Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte, halten dieses Land nach wie vor für ein weltoffenes Land, für ein tolerantes Land, für ein Land, das Zuwanderer, Menschen, die hier leben wollen, willkommen heißt. Trotzdem muss man definitiv sagen dürfen: Die doppelte Staatsangehörigkeit hat nun einmal Nachteile. Reden wir doch nicht drum herum: Selbstverständlich kann man die doppelte Staatsangehörigkeit nur bezogen auf die Länder akzeptieren, mit denen wir hochdiffizile, hochkomplexe Doppelstaatsangehörigkeitsverträge abgeschlossen haben, in denen alle Fragen des täglichen Lebens abgeklopft wurden. Das gilt eben nicht für alle Länder. Ich muss in diesem Zusammenhang Folgendes sagen: Ein politisches Grundsatzprogramm, nach dem jeder alles darf – egal wie lange er hier ist, egal warum er hier ist, er darf an allen Prozessen teilhaben –, klingt zwar angenehm und offen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie doch unseren Antrag! Das steht da nicht drin!) Es bedeutet aber absolute Beliebigkeit, und Beliebigkeit befördert nicht die Zugehörigkeit. Die deutsche Staatsangehörigkeit ist etwas Besonderes, und sie muss etwas Besonderes bleiben, das zu erwerben sich lohnt. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb bleibt es dabei, dass wir versuchen, Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Dass das nicht immer geht, ist doch klar. Wir mussten erkennen, dass es Menschen zerreißt – das ist eine unangenehme Folge des Optionsmodells –, die eine Zuwanderungsgeschichte haben – die haben viele – und andererseits eine Sozialisierung in diesem Land erlebt haben, die es ihnen möglich macht, auch zu diesem Land eine emotionale Verbindung aufzubauen. Genau das haben wir im Koalitionsvertrag geregelt, nämlich dass es eine Mehrstaatigkeit für die Menschen gibt, die hier in diesem Land sozialisiert werden, die hier aufwachsen und definitiv hier in der Schule ihre Sozialisierung erleben. Das ist genau das, was wir tatsächlich wollten. Jetzt den Vorwurf zu machen, man habe sein Wort gebrochen, ist unangebracht. Darum geht es doch überhaupt nicht. Es geht darum, dass man an dieser Stelle deutlich sagt: Die Auswirkungen des Optionsmodells, die wir alle in dieser Härte nicht wollten, können beseitigt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb kann ich nur sagen, dass wir versuchen müssen, den Menschen bei der Umsetzung auch einmal etwas zuzutrauen. Wir trauen nicht nur der eigenen Regierung zu, dass sie in einem angemessenen Zeitraum diese Vorlage, über die wir reden können, machen wird, sondern wir trauen das auch den Ländern zu. Bitte tun Sie uns einen Gefallen: Verwässern wir jetzt nicht das Signal! Das Signal muss heißen: Menschen, die durch ihre Familie eine Zuwanderungsgeschichte haben, sollen sich zu diesem Land zugehörig fühlen, sich hier willkommen und beheimatet fühlen. Das sind sie, wenn sie hier tatsächlich aufgewachsen sind. Diese Menschen wollen wir nicht vor diese Zwangsentscheidung stellen. Das ist die Grundlage eines modernen Staatsangehörigkeitsrechts. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege Frieser. – Es spricht jetzt als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt der Kollege Rüdiger Veit, SPD. (Beifall bei der SPD) Rüdiger Veit (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Frieser, ich muss, damit kein falscher Eindruck aufkommt, vorsorglich einer Ausführung von Ihnen widersprechen. Das von Ihnen angesprochene Aufblühen der guten, engen Beziehungen zwischen CDU/CSU und SPD wird möglicherweise sogar länger als vier Jahre, länger als diese Koalition, dauern. (Michael Frieser [CDU/CSU]: Vernunftehe war der Begriff! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Zwangsehe!) – Vernunftehe, na ja. Darf ich das wiederholen, was Frau Kollegin Jelpke eben schon gesagt hat? Sie benutzte in Erinnerung an einen anderen Debatteninhalt – Stichwort „Spracherwerb vor Ehegattennachzug“ – den Begriff „Zwangsehe“. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Politisch jedenfalls haben wir uns das alle nicht gewünscht, aber wir machen das jetzt so. Wir müssen uns natürlich immer noch ein bisschen daran gewöhnen. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich hier und da noch Zwischenrufe gegenüber Vertretern unseres Koalitionspartners mache und mehr oder weniger begeistert das eine oder andere Mal klatsche, wenn Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen oder der Linkspartei etwas sagen, das mir im Prinzip aus dem Herzen spricht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bei uns kann man immer klatschen! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit haben wir kein Problem!) Gestern hat der Bundesinnenminister gesagt, ein Gesetzentwurf, wie er dieser Koalitionsvereinbarung entspricht, werde unverzüglich vorgelegt. Er hat das dann juristisch völlig korrekt kommentiert und übersetzt, indem er sagte: Unverzüglich heißt ohne schuldhaftes Zögern. Ich würde mir wünschen, dass ein solcher Gesetzentwurf auch ohne jedes unverschuldete Zögern möglichst bald kommt. Aber wenn Kollege Helmut Brandt sagt, dass es in ein paar Wochen so weit ist, dann bin ich da ganz optimistisch. Eines ist doch völlig klar – das brauchen Sie uns nicht immer wieder zu sagen; das wissen wir selber –: Wir wollten – das war schon 1998 so – die generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Das ist ja nun wirklich kein Geheimnis. Übrigens bestand hier in unserer gesamten Partei ein Konsens in einer Breite, wie es bei anderen Themen durchaus nicht immer selbstverständlich ist. (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Darf ich daran erinnern, Volker Beck, dass die FDP uns damals nicht ein Hindernis in den Weg gelegt hatte, sondern dass sie versucht hatte, zu helfen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ihr Preis für die Zustimmung!) Denn aufgrund der veränderten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat hieß es damals: Wenn wir keine Zustimmung im Bundesrat bekommen, ist die gesamte Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, die wir uns vorgenommen hatten, im Eimer. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war ein Preis!) – Es war ein Preis. – Es war ein Kompromissvorschlag des damaligen rheinland-pfälzischen Justizministers Caesar, der uns dann diese Situation eingebrockt hat. Wir wissen doch ganz genau, dass der Wegfall des Optionszwanges bestenfalls nur 50 Prozent von dem darstellt, was wir uns eigentlich wünschen. Aber mehr war in den Koalitionsverhandlungen eben nicht durchsetzbar. Ich bedaure das außerordentlich, aber ich kann es nicht ändern. Ich kann ja niemanden prügeln und sagen, dass er seine Überzeugung gänzlich aufgeben und uns in der Weise entgegenkommen muss, in der wir es für richtig halten. Wir werden weiter Überzeugungsarbeit leisten. Ich persönlich bin übrigens der Auffassung: Wenn klar ist, dass nach jetzt geltendem Recht sowieso über 50 Prozent aller Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit erfolgen (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legal!) und dass alle, die hier geboren werden und dadurch die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben, zwei Staatsbürgerschaften behalten können, dann ist es hoffentlich nur eine Frage der Zeit, bis diejenigen, die das bisher verneinen, ein Einsehen haben und die generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit akzeptieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, nach einem Bericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge – im letzten Jahr herausgekommen – wissen wir, dass zwei Drittel aller potenziellen Einbürgerungsbewerber bzw. des Potenzials derer, die Bürger werden könnten, sagen: Nein, ich stelle keinen Antrag auf Einbürgerung, weil ich meine Staatsbürgerschaft nicht aufgeben möchte. – Zwei Drittel! Bei einem Drittel all derer, die das gemacht haben, ist das Bedauern, dass sie ihre ausländische Staatsbürgerschaft aufgeben mussten, überdeutlich. (Michael Frieser [CDU/CSU]: Das sind aber nicht diejenigen, die unter diese Regelung fallen!) Das heißt also, es handelt sich dabei um ein Einbürgerungshindernis. Einbürgerungshindernisse können wir alle nicht wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen, dass alle, die hier dauerhaft leben, an diesem Staatswesen und seiner Gestaltung mit allen bürgerlichen Rechten und Pflichten teilhaben können. Das setzt nun einmal auch die deutsche Staatsbürgerschaft voraus. Daran sollten wir weiterarbeiten. Wir brauchen im Verfahren allerdings keine weitere Mithilfe. Denn wir haben sofort erkannt, dass in der Übergangszeit, die es bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts zwangsläufig geben wird, die Situation eintreten kann, dass Antragsteller womöglich Gefahr laufen, ihre ausländische Staatsbürgerschaft oder aber ihre deutsche, wenn sie nichts tun, zu verlieren, was im Lichte des neuen Rechts nicht geschehen müsste. Deswegen ist die Methode der Wahl, das zu tun, was schon jetzt im Gesetz steht, nämlich eine Beibehaltungsgenehmigung zu beantragen. (Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Dabei ist allerdings Folgendes zu beachten – gleich, Herr Kollege Beck –: Schon jetzt steht im Gesetz – ich sage im Nachhinein, obwohl ich daran beteiligt war, dass das ein Webfehler gewesen sein mag –, dass die Ausschlussfrist – dieses Wort steht ausdrücklich in Klammern im Gesetzestext –, die Vollendung des 21. Lebensjahres – Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Veit, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck? Rüdiger Veit (SPD): – wenn ich den Satz beendet habe, ja –, dazu führt, dass Menschen, die in der Tat Anspruch auf Beibehaltung ihrer ausländischen Staatsbürgerschaft hätten, diesen Anspruch nicht mehr geltend machen können, wenn sie diese Frist versäumt haben. Kluge Einbürgerungsbehörden, unter anderem das Darmstädter Regierungspräsidium, raten daher vorsorglich schon jetzt wie auch in den vergangenen Jahren jedem, der dafür infrage kommt, rechtzeitig einen Antrag auf Beibehaltungsgenehmigung zu stellen. Das muss nämlich vor Vollendung des 21. Lebensjahres passiert sein; sonst ist der betreffenden Person nicht mehr zu helfen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Insoweit stimme ich mit Ihnen überein. Ich finde allerdings, es wäre Aufgabe des Bundesinnenministers wie der Landesinnenminister, die Ausländerbehörden auf dieses Verfahren so hinzuweisen, dass es zu keinen Entzugsentscheidungen mehr kommt. Ist Ihnen bekannt, dass sowohl Bundesinnenminister Friedrich nach der Bundestagswahl als auch Bundesinnenminister de Maizière auf eine schriftliche Frage von mir geantwortet haben, das gegenwärtige Recht gelte und man habe es gefälligst so zu vollziehen, wie es gilt, und damit gemeint haben, dass die Optionspflicht weiterhin zum Entzug der Staatsangehörigkeit führen soll, bis der entsprechende Gesetzentwurf verabschiedet ist? Ich finde, diese Aussage ist unmöglich. Damit blamieren sich der Gesetzgeber und auch die Exekutive ein Stück weit. Sind Sie wie ich der Meinung, dass es besser wäre, der Bundesinnenminister würde einen Hinweis an die Länder geben, dass sich durch das Verfahren, das Sie beschrieben haben, ein Entzug der Staatsangehörigkeit bei Optionspflichtigen vermeiden lässt? (Michael Frieser [CDU/CSU]: Darf er gar nicht! – Gegenruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich darf er das! – Gegenruf des Abg. Michael Frieser [CDU/CSU]: Er kann einen Brief schreiben!) Rüdiger Veit (SPD): Selbstverständlich, Herr Kollege Frieser, darf der jeweils amtierende Bundesinnenminister die Länderbehörden darauf hinweisen, dass sie das geltende Recht zu beachten haben. Er darf auch auf diese Möglichkeit, die die Vorschriften schon jetzt eröffnen, hinweisen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Die Kollegen wissen das zum Teil; aber man kann darauf noch einmal ausdrücklich hinweisen. Ich habe mir erlaubt, im Kreise der A-Länder-Innenminister schon einmal vorsorglich den Hinweis zu geben: Achtet darauf, dass eure Behörden entsprechend verfahren! – Dann kann bei Beachtung des geltenden Rechts die von uns beiden beklagte Rechtsfolge, dass jemand jetzt noch seine deutsche Staatsbürgerschaft verliert oder aber die ausländische – aus unserer Sicht: unnötigerweise – abgeben muss, vermieden werden. Vielleicht gibt es auch den einen oder anderen, der das, was wir hier besprechen, verfolgt; das sollen öffentliche Bundestagsdebatten ja so an sich haben. Der kann das dann vielleicht auch entsprechend weitergeben. Ich jedenfalls kann nur dringend dazu raten. Ich weiß aus der Praxis, zum Beispiel von dem Leiter der Darmstädter Behörde, dass es höchstärgerlich ist, wenn die Behörde sieht, dass jemand problemlos die ausländische Staatsbürgerschaft behalten könnte, man ihn vor Vollendung des 21. Lebensjahres aber nicht erreicht, sodass er diesen Antrag nicht stellen kann. Es gibt bei vielen anderen Fristen nach allgemeinen Vorschriften die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Diese Möglichkeit gibt es hier nicht. Wir haben sogar – ich habe das schon gesagt – in das Gesetz geschrieben: Klammer auf, Ausschlussfrist, Klammer zu. Deswegen ist eine vorbeugende Beratung der Ausländerbehörden jetzt unbedingt angezeigt. Ich bin aber zuversichtlich, dass sie entsprechend flexibel sein werden. Unter Ausnutzung der letzten mir verbleibenden Sekunden Redezeit will ich noch sagen: Natürlich werden wir uns gemeinsam auch Gedanken darüber machen, wie Menschen, die auf der Grundlage des alten Rechtes eine Staatsbürgerschaft verloren haben, möglicherweise wieder bessergestellt werden können. Ob wir mit unserem Koalitionspartner in dieser Hinsicht weiterkommen, werden wir sehen. Was ich eben andeutungsweise gehört habe – wir würden mit dem Gesetzentwurf die Voraussetzungen für die hier geborenen Kinder nur erleichtern; es sind mittlerweile übrigens 460 000 Optionskinder –, hat mich ein bisschen alarmiert. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Veit, Sie haben gesagt, Sie kommen jetzt zum Schluss Ihrer Rede. Rüdiger Veit (SPD): In der Tat. – Denn die Tatsache, in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen des Aufenthalts der Eltern geboren worden zu sein, ist nicht verwerflich und auch nicht irgendwie rückgängig machbar. Schwierig wäre auch, wenn akribisch nachvollzogen werden müsste – durch wen auch immer –, dass sich der Betreffende die ganze Zeit hier weiter aufgehalten haben muss. Wir müssen – das will ich noch einmal klar und deutlich sagen – aufpassen, dass wir nicht ein Verwaltungsmonster gegen ein neues austauschen. Vielen Dank für Ihre Geduld, Herr Präsident. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Applaus bei der CDU/CSU!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/185 und 18/286 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/186 mit dem Titel „Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bis zur Abschaffung des Optionszwanges vermeiden“. Wer stimmt – ich bitte um das Handzeichen – für diesen Antrag? – Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Wer enthält sich? – Dann stelle ich fest, dass gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken mit den Stimmen von CDU/CSU und der Mehrheit der Stimmen der Sozialdemokraten dieser Antrag abgelehnt ist. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Atomwaffen ächten Drucksache 18/287 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kollegin Inge Höger, Die Linke. – Sie haben das Wort, Frau Kollegin. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Welt frei von Atomwaffen ist keine Utopie, sondern eine konkrete Verpflichtung der Unterzeichner des Nichtverbreitungsvertrages. Die Abrüstungserwartungen dürfen nicht erneut enttäuscht werden. Deutschland kann national und international auf vielfältige Weise einen wirksamen Beitrag zu einer Welt ohne Atomwaffen leisten. So steht es in einem Antrag, den CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen im Jahre 2010 hier beschlossen haben. Leider ist dieser Beschluss bisher folgenlos geblieben. US-Atomwaffen lagern weiterhin in Rheinland-Pfalz. Die Bundeswehr stellt weiterhin Kriegsflugzeuge und Soldaten für den atomaren Erstschlag zur Verfügung. Deutsche Finanzinstitute unterstützen mit Milliarden Firmen, die an der Herstellung von Atomwaffen beteiligt sind. Diesen Wahnsinn akzeptiert die Linke nicht. (Beifall bei der LINKEN) Im Oktober des vergangenen Jahres hat die Bundesregierung noch eins draufgesetzt: Dem Ersten Komitee der UN-Vollversammlung lag eine Resolution zur Verurteilung von Atomwaffeneinsätzen vor. Deutschland hat nicht zugestimmt. Begründet wird die Weigerung mit der Mitgliedschaft in der NATO. Aber andere NATO-Staaten wie Norwegen, Dänemark und Island haben der UN-Resolution zugestimmt. Es geht also auch anders. Mit dieser atomwaffenfreundlichen Politik muss endlich Schluss sein. (Beifall bei der LINKEN) Biologische und chemische Waffen werden bereits international geächtet. Richten Nuklearwaffen etwa weniger Schaden an? Im Gegenteil! Wir brauchen eine internationale Konvention zur Ächtung von Atomwaffen. Wenn die Bundesregierung es wirklich ernst meint mit ihrem Anspruch, international Verantwortung zu übernehmen, dann müsste sie sich den 79 Staaten anschließen, die sich bei der UN bereits für eine Ächtung von Atomwaffen ausgesprochen haben. (Beifall bei der LINKEN) Ihre bisherige Politik hat nicht zu konsequenter nuklearer Abrüstung geführt. Ganz im Gegenteil! Die US-Atomwaffen, die in Deutschland lagern, sollen sogar modernisiert werden, sie sollen noch kriegstauglicher werden. Wenn Sie schon nicht auf die Linke hören, dann hören Sie wenigstens auf die rheinland-pfälzische Landesregierung. Diese fordert nämlich den Abzug der Atombomben. Wenn man die Bomben vor der Nase hat, ist man offensichtlich etwas kritischer als im entfernteren Berlin. (Beifall bei der LINKEN) Die geplante Neustationierung von US-Atomwaffen in Büchel ist schon deshalb ein Skandal, weil dann andere Atomstaaten sich genötigt fühlen, nachzuziehen. Die USA heizen den Rüstungswettlauf weiter an, und Deutschland stellt die Infrastruktur dafür zur Verfügung. Das ist unverantwortlich. Dazu zwei Zitate: Der Rüstungswettlauf dient nur dem Versuch, diejenigen zu täuschen, die größere Sicherheit fordern, als wüssten wir nicht, dass Waffen …, anstatt Lösungen herbeizuführen, neue und schlimmere Konflikte schaffen. Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von Papst Franziskus. Und im Koalitionsvertrag lese ich nun, dass sich die Große Koalition nicht mehr konkret für den Atomwaffenabzug aus Deutschland einsetzen will. Dort steht: Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben. Sie stellen sich ganz offensichtlich voll hinter die NATO-Strategie der nuklearen Abschreckung. Wollen Sie wirklich Ihren außenpolitischen Einfluss mit der Androhung eines Atomkrieges vergrößern? Die Linke und die Mehrheit der Menschen in Deutschland hat ein entschiedenes Interesse an der Ächtung von Atomwaffen und an einer vollständigen und schnellen Abrüstung. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Ingo Gädechens, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Ingo Gädechens (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon wieder beschäftigen wir uns mit einem Antrag – ich könnte auch sagen: mit einem Schaufensterantrag – der Linken, der erneut an einer ernsthaften Diskussion (Zurufe von der LINKEN) über die deutsche Sicherheitspolitik eindeutig vorbeigeht. Generell – das darf ich doch sagen – sind wir uns parteiübergreifend einig, dass sich gerade Deutschland für eine weltweite Abrüstung eingesetzt hat (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist es vorbei?) und weiterhin einsetzen wird. Die CDU/CSU-Fraktion hat – Frau Höger, Sie haben es erwähnt – 2010 auch für den Abzug der taktischen Nuklearwaffen in Absprache mit unseren Bündnispartnern gestimmt. (Inge Höger [DIE LINKE]: Alles Placebo!) Darüber hinaus hat sich die letzte und wird sich die jetzige Bundesregierung mit guten Argumenten und ganzer Kraft im Bündnis für Abrüstungsinitiativen einsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren der Linken, fordern in Ihrem Antrag eine Ächtung von Atomwaffen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!) Hier bin ich ja ein gutes Stück bei Ihnen; denn hier besteht ja, wie gesagt, ein fraktionsübergreifender Konsens im Bundestag. Das wurde in vielen Debatten auch sehr deutlich artikuliert. (Inge Höger [DIE LINKE]: Aber der Weg dahin ist unterschiedlich!) Sie haben es ja erwähnt, aber lesen Sie doch noch einmal ganz in Ruhe nach, was CDU/CSU, SPD, FDP – damals noch – und Bündnis 90/Die Grünen hier mit einem Antrag eingebracht haben. Lesen Sie meinetwegen auch noch einmal die Regierungserklärung der Kanzlerin aus dem März 2009 nach. Das sind ganz konkrete Ansagen. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Das lohnt sich! – Zuruf von der LINKEN) Sie beklagen, dass bis jetzt nichts passiert ist. Anscheinend legen Sie den Antrag immer auf Wiedervorlage. Warum Sie das tun, erkläre ich Ihnen gleich noch. Das ist und bleibt ein Schauantrag. Sie wollen außen- und sicherheitspolitische Fragen nicht und schon gar nicht ernsthaft mit uns erörtern. (Inge Höger [DIE LINKE]: Wir sind die Einzigen, die ernsthaft Frieden wollen!) Sie möchten ausschließlich Ihre Klientel befriedigen, nach dem Motto: Schaut her, wir machen da etwas. – Nein, meine Damen und Herren der Linken, Sie tun nichts. Sie rauben uns die Zeit, in der wir in diesem Hause über Wichtigeres diskutieren könnten. (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wenn es nach Ihnen geht, können wir das Parlament auch abschaffen! Sie rauben uns die Zeit mit Ihrer Rede! – Inge Höger [DIE LINKE]: Haben Sie keine Lust, Abgeordneter zu sein? – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können die Initiativen der neuen Regierung dazu vorlegen!) Eines verrät der Antrag der Linken allerdings sehr deutlich: Sie stellen unsere Bündnispartnerschaft und Solidarität immer und immer wieder infrage. Sie machen das mit System, (Niema Movassat [DIE LINKE]: Schaufensterpuppe!) und zwar deshalb, um so Ihre Anhänger mit fragwürdigen Anträgen und Aussagen zu bedienen. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Welche Anträge wir stellen, entscheiden wir immer noch selber!) Das ist nicht nur billig, sondern wird diesem wichtigen Thema auch nicht gerecht. (Zuruf von der LINKEN: Was ist das denn für ein Demokratieverständnis?) Abrüstung und Nichtverbreitung sind seit jeher ein Schwerpunkt deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. (Inge Höger [DIE LINKE]: Wo rüsten Sie denn ab? Sie rüsten auf!) Friedenspolitik, Rüstungskontrolle und die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen: Das ist seit langem – ich wiederhole mich – Grundkonsens in diesem Haus. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie machen doch nichts!) Wir wollen und werden an dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt festhalten, (Beifall des Abg. Wolfgang Hellmich [SPD] – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Da war ja Westerwelle weiter als Sie!) und wir arbeiten daran. Das haben CDU, CSU und SPD – hier müssen Sie einmal ein bisschen genauer lesen – so auch im Koalitionsvertrag festgehalten. Gleichzeitig ist zu beachten, dass solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, Deutschland ein Interesse daran hat, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Die NATO bestimmt also, was ihr macht!) Wenn man das Ziel einer weltweiten Abrüstung vor Augen hat, dann muss man sich auch die richtigen Wegmarken setzen; denn wir alle wissen, dass Abrüstungspolitik einen langen Atem und viel Diplomatie braucht. Wir benötigen dabei keinen linken Aktionismus, sondern möchten verbindliche und dauerhafte Rüstungskontrollen gemeinsam mit geeigneten multilateralen Anstrengungen erreichen. (Inge Höger [DIE LINKE]: Zum Beispiel bei der UN-Vollversammlung!) Gerade deshalb haben wir uns auch auf dem Gipfel von Chicago gemeinsam mit unseren NATO-Partnern das Ziel gesetzt, die Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen zu schaffen. Nachdem innerhalb der NATO die Anzahl der Nuklearwaffen um 95 Prozent reduziert wurde, mussten wir leider feststellen, dass sich die Zahl der Nuklearakteure und deren Arsenale ebenso wie die Risiken der Proliferation weltweit erhöht haben. Solange das nicht wirkungsvoll verhindert wird und Staaten wie Nordkorea und der Iran über Atomwaffen verfügen oder den Besitz anstreben, besteht auch für uns eine ernstzunehmende Gefahr, der wir entschlossen etwas entgegensetzen müssen. Deshalb ist die NATO-Strategie der nuklearen Abschreckung nach wie vor notwendig. Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zur nuklearen Teilhabe Deutschlands sagen: Unser Land beteiligt sich aus gemeinsamer Verantwortung und Bündnissolidarität an dieser Strategie der Abschreckung, von der wir hoffen, dass sie nie Realität werden wird. Deutschland signalisiert damit Verlässlichkeit. Ein einseitiger Ausstieg hätte eine verheerende Signalwirkung in Bezug auf Deutschlands Solidarität und unser Ansehen in der Welt. Dass den Linken das egal ist, wird heute einmal mehr deutlich. Uns ist das nicht egal. Wir tragen Verantwortung. Deshalb ist der Antrag der Linken abzulehnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Gädechens, ich finde die Debatte um Abrüstungspolitik ist keine Zeitverschwendung, sondern sie ist sehr lohnend. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Diese Schaufensteranträge sind Zeitverschwendung!) Sie können die Zeit ja nutzen, um die konkreten Initiativen der neuen Bundesregierung hierzu darzustellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich finde es schon paradox: Auf der einen Seite will Deutschland sich international für nukleare Abrüstung und für die Vision einer atomwaffenfreien Welt einsetzen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sie nicht?) – Doch, ich auch. Aber auf der anderen Seite sind zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges in Büchel in der Eifel noch immer ungefähr 20 US-amerikanische Atomwaffen stationiert. Statt sie abzuziehen, wollen die USA diese Bomben nun modernisieren. Hinter dem schönen Wort „Modernisierung“ versteckt sich in diesem Fall eine völlig neue militärische Ausstattung dieser Massenvernichtungswaffen. Sie sollen noch schlagkräftiger, noch präziser und, wie ich finde, damit noch gefährlicher werden. Hier wird Abrüstung versprochen und de facto Aufrüstung betrieben und das auf Kosten der Sicherheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zusätzlich werden dem deutschen Haushalt durch die Modernisierung Millionensummen aufgebürdet. Nach wie vor stellt die Bundeswehr mit den Tornados Trägermittel für einen möglichen Einsatz zur Verfügung. Diese müssten für viel Geld diesen neuen Bomben angepasst werden. Das ist finanzieller wie sicherheitspolitischer Irrsinn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch in den Niederlanden lagern US-amerikanische Atomwaffen. Dort hat das Parlament sich aber getraut, diesen Modernisierungsplänen eine klare Absage zu erteilen. Die Abgeordneten haben beschlossen, dass die Kampfflugzeuge in Zukunft keine Atomwaffen mehr transportieren dürfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie herzlich ein, dem niederländischen Beispiel zu folgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Die sind auch in der NATO! – Gegenruf des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wo sollen die denn hin?) Aber der schwarz-roten Bundesregierung fehlt es offensichtlich schon zu Beginn der Legislaturperiode an dem Willen, sich ernsthaft für den Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen. In Ihrem Koalitionsvertrag ist nur von einer Unterstützung der Abrüstungsgespräche zwischen den USA und Russland die Rede. Wollen Sie das ernsthaft eine „neue Dynamik für Abrüstung“ nennen? Das fällt doch sogar weit hinter die Ankündigungen von Schwarz-Gelb zurück, die sich dazu im Koalitionsvertrag klar geäußert hatten. Das finde ich persönlich sehr beschämend. Gerade von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, bin ich wirklich sehr enttäuscht. In den letzten Jahren haben wir an dieser Stelle Schwarz-Gelb immer gemeinsam kritisiert. Wir haben den Modernisierungsplänen eine deutliche Absage erteilt und den Abzug der Atomwaffen gefordert. Sie haben auch im Wahlkampf den Bürgerinnen und Bürgern versprochen, sich bei einem Wahlsieg mit Nachdruck für dieses Ziel einzusetzen. Dass Sie sich jetzt von diesem Ziel verabschiedet haben, finde ich nicht nur mutlos, sondern leichtfertig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Haben wir doch gar nicht!) Was ich in keiner Weise nachvollziehen kann, ist das Handeln der Bundesregierung in einer anderen Frage. Im Oktober letzten Jahres haben 124 UN-Mitgliedstaaten eine Erklärung zu den verheerenden humanitären Folgen eines Atomwaffeneinsatzes unterschrieben. In dieser Erklärung heißt es – ich zitiere –: Es ist im Überlebensinteresse der ganzen Menschheit, dass Atomwaffen nie wieder und unter keinen Umständen eingesetzt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es unfassbar, dass eine deutsche Bundesregierung hierzu die Zustimmung verweigert hat, und zwar mit der Begründung, die Formulierung „unter keinen Umständen“ stünde im Widerspruch zu der Abschreckungskomponente des strategischen Konzeptes der NATO. – Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ungeheuerlich!) Gerade multilaterales und verantwortungsvolles Handeln wäre es doch, diese Erklärung zu unterstützen. Andere NATO-Mitgliedstaaten wie Norwegen, Dänemark und Island haben dieser Erklärung zugestimmt. Ich finde, diesen Weg sollte die Bundesregierung auch gehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist allerhöchste Zeit für eine neue Dynamik des Handelns und nicht des Aufgebens. Wir schulden es nicht zuletzt den nachfolgenden Generationen, dass die US-amerikanischen Atomwaffen endlich aus Deutschland abgezogen werden und wir so auch unseren eigenen Beitrag zu einer atomwaffenfreien Welt leisten. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. René Röspel [SPD]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich erteile jetzt dem Kollegen Wolfgang Hellmich, SPD, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wolfgang Hellmich (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem vorhin das Mobiliar meiner Begeisterung für die Rede des Kollegen Mißfelder nicht standgehalten hat, bitte ich Sie, vorsichtig mit dem Mobiliar umzugehen, damit nicht noch mehr passiert. (Heiterkeit) Ich freue mich, dass es seit dem Oktober letzten Jahres in der Bundesrepublik Deutschland einen Regierungswechsel gegeben hat, und ich freue mich, dass in dem Koalitionsvertrag, der dieser Regierung zugrunde liegt, das Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle als Schwerpunktthema deutscher Außen- und Sicherheitspolitik festgehalten ist. Ziel ist und bleibt die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie langfristig eine nuklearwaffenfreie Welt. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands setzt sich seit ihrer Gründung für Frieden, Sicherheit und Stabilität ein. Dies wird sie auch weiterhin tun, auch in einer Großen Koalition, und das ist deutlich sichtbar. Sehr geehrte Damen und Herren, die drängenden Fragen, die damit verbunden sind, stehen im Fokus dieser Außenpolitik. Ich freue mich, dass dabei die Handschrift unseres neuen Außenministers Frank-Walter Steinmeier sehr deutlich zu erkennen ist. Wir machen wieder Außenpolitik. Wir reden nicht nur darüber. (Beifall bei der SPD) Solange Kernwaffen ein Instrument im strategischen Konzept der NATO sind, so lange wird sich Deutschland an den Diskussionen dazu beteiligen und auch an den Planungsprozessen teilhaben, und das mit einem klaren Ziel: Atomwaffen beseitigen, und zwar nicht nur auf einer Seite, sondern auf allen Seiten. Unsere Bundesregierung muss und wird neue Impulse für Abrüstung und Rüstungskontrolle geben. Lösungen für mehr Transparenz und die Verhinderung von Proliferation werden wir im Bündnis suchen. Zusammen mit unseren Verbündeten können wir langfristig international durchsetzbare Erfolge erzielen, aber eben in diesem Bündnis. Insofern begrüße ich die Worte des französischen Präsidenten François Hollande, der eine engere Zusammenarbeit mit Deutschland in der Verteidigungspolitik anstrebt und angekündigt hat. Frankreichs Staatschef hat erklärt, er wolle eine deutsch-französische Partnerschaft, die sich für ein Europa der Verteidigung einsetzt und gemeinsam Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt übernimmt. Dem kann ich mich nur anschließen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Atomwaffen!) – Warten Sie einen Moment ab! – Dazu muss aber auch gehören, über das französische Potenzial an Nuklearwaffen zu reden. Nehmen wir diese Initiative auf und sprechen wir direkt mit unseren Nachbarn. Auf parlamentarischer Ebene gibt es diese Kontakte und Gespräche. Die Kontakte sind geknüpft. Vielleicht kann jetzt in einem neuen Ansatz zu einem europäischen Weißbuch der Sicherheits- und Verteidigungspolitik das Thema Abbau von atomarer Bewaffnung auch in Frankreich aufgenommen werden. Ich bin angesichts der Diskussion, die es in Frankreich gibt, sehr zuversichtlich. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Hellmich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Brugger? Wolfgang Hellmich (SPD): Selbstverständlich. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, lieber Kollege Hellmich. Ich wollte nur fragen – vielleicht mag auch der Kollege Hahn gleich in seiner Rede darauf eingehen –, ob Sie bereit wären, mit uns allen in diesem Haus gemeinsam eine Entschließung ähnlich der des niederländischen Parlaments einzubringen und zu sagen: Wir wollen nicht, dass die Bundeswehr für die neuen modernisierten Atomwaffen Trägermittel zur Verfügung stellt. Diesen Punkt haben Sie als SPD-Fraktion in den letzten vier Jahren immer wieder auf die Tagesordnung gebracht und diesen Modernisierungsplänen eine klare Absage erteilt. Wir finden, das wäre eine sehr schöne interfraktionelle Initiative. Auch in der letzten Legislaturperiode ist es uns gelungen, mit allen Fraktionen etwas für die Abrüstung und die Vision einer atomwaffenfreien Welt auf den Weg zu bringen, die wir alle teilen. Wolfgang Hellmich (SPD): Frau Kollegin, ich bin sehr gerne bereit, mit allen Fraktionen in diesem Parlament darüber zu diskutieren. Bevor eine Entschließung beschlossen wird, lese ich den Text, und dann rede ich darüber, ob wir das gemeinsam beschließen oder nicht. Auf jeden Fall bin ich mir sehr darüber im Klaren, dass die Grundlage dessen, was wir in der Vergangenheit gemeinsam beschlossen haben – Sie haben vorhin mehrere Beschlüsse zitiert –, ihre Gültigkeit nicht verloren hat und dass wir uns daran orientieren werden. Das ist die gemeinsame Position, die wir formuliert haben. Wir werden sehen, was bei dieser Diskussion herauskommt. Wir werden uns im Laufe der nächsten Monate auch innerhalb des Verteidigungsausschusses – ich denke, spätestens dann, wenn es um die NATO geht – an vielen Stellen über diese Fragen unterhalten, wie wir gemeinsam weiter vorangehen werden. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich nehme Sie beim Wort!) Sehr geehrte Damen und Herren, kooperative Sicherheitsstrukturen sind für mich Strukturen, die immer auch Russland mit einbeziehen müssen. Ein Abbau von Atomwaffen kann nur unter Einbeziehung Moskaus erfolgen. Kooperation beginnt mit Vertrauen. Ohne ein tiefes Vertrauen zwischen Russland, den USA, der NATO und Europa wird eine Abrüstung auch im konventionellen Bereich nicht zu erreichen sein. Einen wichtigen Schritt hat die NATO mit der Einrichtung des Abrüstungsausschusses und der strukturierten Diskussion getan. Wir unterstützen das. Denn wir wissen: 90 Prozent aller Atomwaffen in der Welt entfallen auf die USA und Russland. Die übrigen 10 Prozent und ihre weltweite Verteilung machen die Lage nicht sicherer. Im Gegenteil: Sie machen sie unsicherer. Das ist die Herausforderung, vor der wir zusammen mit unseren Verbündeten stehen. In unserem Koalitionsvertrag steht klar und deutlich, dass Deutschland bei den Abrüstungsgesprächen nicht nur dabei sein wird, sondern sie auch engagiert unterstützen wird, damit es in den Verhandlungen zwischen den USA und Russland einen Fortschritt gibt; denn dort liegt der Schlüssel für die Entwicklung, die wir weltweit in Gang setzen wollen. Das Ziel muss eine Nulllösung sein, auch bei den substrategischen Nuklearwaffen. Vielleicht kennen Sie die neueste Studie des amerikanischen CNS-Instituts, das sich auf Untersuchungen zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen konzentriert. Laut dieser Studie werden die USA in den nächsten 30 Jahren die schwer vorstellbare Summe von 1 Billion Dollar in den Erhalt und die Modernisierung ihres Atomwaffenarsenals investieren. Unter anderem sollen 80 bis 100 neue Überschalllangstreckenbomber für Atomwaffen entwickelt und gebaut werden. Abrüstung sieht für mich in der Tat anders aus. Darauf werden wir hinweisen und darüber werden wir diskutieren müssen. Wir werden unseren Blick in die Türkei wenden müssen; denn fast unbeobachtet von der Weltöffentlichkeit wurde ein Vertrag geschlossen, gemäß dem die Türkei mit einem weiteren Atomkraftwerk aus Japan ausgestattet und die Urananreicherung in der Türkei aufgebaut werden soll, und zwar über das vertraglich vorgesehene Maß hinaus. Es gibt dafür keinen zwingenden Bedarf. Ankara sagt immer: Wir wollen keine Atomwaffen. – Ich bin mir nicht sicher, ob über andere Optionen nachgedacht wird. Auch darüber müssen wir reden, und zwar auch innerhalb der NATO. Schließlich geht es um einen Bündnispartner. Richten wir den Blick nach Osten, dann sehen wir, dass Russland die Aufrüstung im substrategischen Bereich sehr intensiv betreibt. Wenn die russischen atomwaffenfähigen Kurzstreckenraketen vom Typ Iskander nach Westen in die Nähe von Kaliningrad verlegt und entlang der Grenze zu den baltischen Staaten aufgestellt werden, führt das in dieser Region zu einer weiteren Militarisierung sowie zu neuer Angst und mehr Unsicherheit gerade in den baltischen Staaten. Es ist Gegenstand unserer diplomatischen Beziehungen, sich auch damit auseinanderzusetzen und mit Russland darüber zu reden. Reden ist der entscheidende Punkt in diesem Konzept. Es geht darum, miteinander zu sprechen. (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) Wir werden im Rahmen internationaler Bündnisse wie dem NATO-Russland-Rat insbesondere die Anrainerstaaten Russlands bei ihrem Dialog mit Moskau unterstützen. Außerdem muss die Bundesrepublik als Mitglied der Europäischen Union auf mehr Kohärenz in der europäischen Russlandpolitik hinwirken. Russland zufolge wurden die Raketen nach Westen verlegt, um sich gegen einen von den USA in Osteuropa geplanten Raketenschild zu wehren. Im gleichen Atemzug betonen die USA und die NATO, dass ein Raketenschild nicht gegen Russland gerichtet ist und nur der Verteidigung insbesondere gegen iranische Trägermittel diene. Diese Beispiele verdeutlichen, dass sich Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen Russland erzielen lässt. Darauf muss der Dialog aufgebaut sein. Die Fortschritte, die es im Iran gegeben hat, sind schon genannt worden. Sie zeigen – zusammen mit der Entwicklung in Syrien –, dass Fortschritte im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle nicht von heute auf morgen zu erzielen sind. Nur eine breit angelegte Strategie der Konfliktreduzierung und -vermeidung, der Krisenprävention und der Reduzierung von Massenvernichtungswaffen wird über Verträge hinaus zu weniger Atomwaffen – sei es in Form von Bomben, Sprengköpfen oder Munition – führen. Wir werden uns für eine Modernisierung einer verbindlichen und transparenten Rüstungskontrolle in Europa und weltweit einsetzen. Letztendlich wollen wir die vollständige Implementierung des Kleinwaffenabkommens der Vereinten Nationen erreichen; denn Kleinwaffen töten weltweit mehr Menschen als jede andere Waffengattung. Dieser Weg wird von der Bundesregierung verfolgt und ist Linie der Außenpolitik. Weil das der richtige Weg ist, brauchen wir den Antrag der Linken nicht. Wir stimmen ihm nicht zu. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Florian Hahn, CDU/CSU, dem ich hiermit das Wort erteile. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! „Atomwaffen ächten“, das klingt immer gut. Auf den ersten Blick rennen die Linken mit diesem Antrag offene Türen ein. Wir sind uns alle schließlich einig, dass wir den Einsatz von Atomwaffen verurteilen und dass Abrüstung und Nichtverbreitung wesentliche Elemente der deutschen Sicherheitspolitik sind. Sieht man jedoch genauer hin, stellt man fest, dass dieser Antrag undifferenziert ist und meilenweit an der Realität vorbeigeht. Einseitige Aufkündigungen von Vereinbarungen, wie sie die Linke verlangt, sind in einer auf Konsens und Solidarität angelegten NATO nicht möglich, es sei denn, man möchte wie die Linke dieses Bündnis kaputtmachen. Veränderungen der Politik bedürfen eines ordentlichen Abstimmungsprozesses und letztlich einer einvernehmlichen Regelung im NATO-Rat. Deutschland hat sich als Mitglied der NATO zur nuklearen Teilhabe verpflichtet. Das heißt, ungeachtet der Tatsache, dass Deutschland frühzeitig auf Produktion, Herstellung und Einsatz nuklearer Waffen verzichtet hat, sichert sich unser Land damit eine Mitsprache bei der Planung des Einsatzes von nuklearen Einsatzmitteln durch die NATO. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Mitsprache insbesondere zur Zeit des Kalten Krieges sehr wichtig für uns war. Deutschland stand damals an der Nahtstelle zwischen den beiden militärischen Blocksystemen NATO und Warschauer Pakt. Deshalb ist Ihr Vorwurf gegen die Bundesregierung, dem Antrag Neuseelands bei der UN-Vollversammlung nicht zugestimmt zu haben, kurzsichtig; denn eine Zustimmung hätte uns das Mitspracherecht in der Planning Group der NATO gekostet. Nicht nur Deutschland, sondern die Mehrheit unserer NATO-Partner und vor allem unsere engsten Verbündeten Frankreich, Großbritannien und die USA haben diesen Antrag ebenfalls abgelehnt. Deutschland hat sich daher mit 15 weiteren Staaten einer von Australien vorgelegten alternativen Erklärung angeschlossen. Diese äußert ebenfalls große Besorgnis über die Konsequenzen eines Kernwaffeneinsatzes, ohne aber die Legitimität der Abschreckung infrage zu stellen. Sie macht deutlich, dass die Abschaffung der Kernwaffen per Dekret wenig erfolgversprechend ist. Verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich setzt sich die Regierung nach wie vor weiter für Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowohl von konventionellen als auch von Massenvernichtungswaffen ein. Wir wollen jedoch keine einseitige, sondern eine globale Abrüstung. Deshalb haben wir uns gemeinsam mit unseren NATO-Partnern auf dem Gipfel von Chicago zum Ziel gesetzt, die Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen zu schaffen und bis dahin die Rolle von Nuklearwaffen zu reduzieren. So steht es übrigens auch in unserem Koalitionsvertrag. Natürlich unterstützt die Bundesregierung auch das Ziel der Einrichtung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen Osten und setzt sich aktiv für Kompromiss- und Gesprächsbereitschaft ein. Sie wird sich auch dafür einsetzen, dass zwischen den USA und Russland Verhandlungen zur Abrüstung im substrategischen Bereich beginnen. Mit diesen verschiedenen abrüstungs- und allianzpolitischen Fragen setzen wir uns seit Jahren auseinander, und wir werden das auch in Zukunft tun. Das lässt sich nicht alles über Nacht erledigen. Deutschland ist in eine moderne und komplexe Sicherheitsarchitektur eingebunden, die nicht von heute auf morgen komplett abrüsten kann. Wir sind nicht allein auf der Welt. Wir müssen schauen, was andere Länder tun. Was passiert in Russland, was passiert im Iran, was passiert in Pakistan? Wie werden sich die Chinesen in Zukunft positionieren? Ich sage deshalb: Ja, wir wollen abrüsten, jedoch gemeinsam mit unseren Bündnispartnern und im Rahmen einer globalen Abrüstung, wohlüberlegt und abgestimmt und nicht in einem unüberlegten, einseitigen Vorpreschen. Zu dem Vorschlag, den die Kollegin Brugger gemacht hat, kann ich sagen: Wir werden über alle Vorschläge, die Sie machen, diskutieren. Wir haben dazu die entsprechenden Instrumente im Deutschen Bundestag. Ich würde sagen, wir sehen uns dann im Verteidigungsausschuss wieder. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Mit dem Ende der Rede des Kollegen Hahn schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/287 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Freitag, den 17. Januar 2014, 9 Uhr, ein. Danke schön, ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 18.24 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 16.01.2014 Bertram, Ute CDU/CSU 16.01.2014 Binder, Karin DIE LINKE 16.01.2014 Dr. Friedrich, Hans- Peter CDU/CSU 16.01.2014 Gröhler, Klaus-Dieter CDU/CSU 16.01.2014 Heller, Uda CDU/CSU 16.01.2014 Hinz (Herborn), Priska BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.01.2014 Krellmann, Jutta DIE LINKE 16.01.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.01.2014 Mattfeldt, Andreas CDU/CSU 16.01.2014 Post (Minden), Achim SPD 16.01.2014 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.01.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 16.01.2014 Schmidt (Ühlingen), Gabriele CDU/CSU 16.01.2014 Steinbach, Erika CDU/CSU 16.01.2014 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 16.01.2014 Anlage 2 Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Art. 45 d des Grundgesetzes teilgenommen haben Abgegebene Stimmkarten: 596 Ergebnis Abgeordnete/r ja nein enthalten ungültig Clemens Binninger 555 15 23 3 Manfred Grund 522 26 41 7 Stephan Mayer 500 46 42 8 Armin Schuster 522 22 46 6 Gabriele Fograscher 540 15 32 9 Michael Hartmann 527 27 32 10 Burkhard Lischka 543 19 26 8 Dr. André Hahn 371 131 66 28 Hans-Christian Ströbele 344 159 65 28 Namensverzeichnis CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özo?uz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder (Schwandorf) Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Anlagen 1Anlage 2 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 8. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 16. Januar 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 8. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 16. Januar 2014 V Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 512 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 8. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 16. Januar 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 8. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 16. Januar 2014 507