Plenarprotokoll 18/17 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 17. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 I n h a l t : Wahl der Abgeordneten Volkmar Vogel und Ulrich Hampel als Mitglieder im Stiftungsrat der Bundesstiftung Baukultur 1203 A Wahl der Abgeordneten Dietmar Nietan und Hiltrud Lotze als ordentliche Mitglieder sowie Dr. Lars Castellucci und Christina Kampmann als stellvertretende Mitglieder im Stiftungsrat „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ 1203 B Wahl der Abgeordneten Tabea Rößner und Dr. Julia Verlinden als persönlich stellvertretende Mitglieder des Beirats bei der Netzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen 1203 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 1203 C Absetzung des Tagesordnungspunktes 16 c 1203 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Eidesleistung des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft 1203 D Christian Schmidt, Bundesminister BMEL 1204 A Appell zur friedlichen Beilegung des Konflikts in der Ukraine 1204 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Vereinbarte Debatte: zur Lage in der Ukraine 1204 D Niels Annen (SPD) 1204 D Stefan Liebich (DIE LINKE) 1205 D Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) 1206 C Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1207 C Heike Hänsel (DIE LINKE) 1208 B Franz Thönnes (SPD) 1209 A Andrej Hunko (DIE LINKE) 1210 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1210 D Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1211 A Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) 1212 A Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 1212 D Norbert Spinrath (SPD) 1213 D Florian Hahn (CDU/CSU) 1215 A Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1215 D Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) 1216 D Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 1217 C Tagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bekräftigung der Empfehlungen des Abschlussberichts des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode „Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund“ Drucksache 18/558 1218 D Clemens Binninger (CDU/CSU) 1218 D Petra Pau (DIE LINKE) 1221 A Dr. Eva Högl (SPD) 1222 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1223 D Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 1224 D Martina Renner (DIE LINKE) 1226 C Heiko Maas, Bundesminister BMJV 1227 C Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1228 C Clemens Binninger (CDU/CSU) 1229 C Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) 1230 B Sönke Rix (SPD) 1231 D Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 1232 D Ulrike Bahr (SPD) 1233 D Martin Patzelt (CDU/CSU) 1235 B Susanne Mittag (SPD) 1236 D Tagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mieterhöhungsstopp jetzt Drucksache 18/505 1237 D b) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mietenanstieg stoppen, soziale Wohnungswirtschaft entwickeln und dauerhaft sichern Drucksache 18/504 1238 A c) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Marktmacht brechen – Wohnungsnot durch Sozialen Wohnungsbau beseitigen Drucksache 18/506 1238 A Caren Lay (DIE LINKE) 1238 B Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) 1239 C Caren Lay (DIE LINKE) 1240 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1242 C Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB 1243 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1244 B Heidrun Bluhm (DIE LINKE) 1245 A Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) 1246 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1248 B Dennis Rohde (SPD) 1249 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1250 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 1251 B Dirk Wiese (SPD) 1252 D Yvonne Magwas (CDU/CSU) 1254 C Michael Groß (SPD) 1255 D Mechthild Heil (CDU/CSU) 1256 D Ulli Nissen (SPD) 1258 B Tagesordnungspunkt 4: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksachen 18/436, 18/602 1259 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/615 1259 D Dr. Rolf Mützenich (SPD) 1260 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 1261 D Peter Beyer (CDU/CSU) 1262 D Christine Buchholz (DIE LINKE) 1264 B Peter Beyer (CDU/CSU) 1264 B Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1264 C Thomas Hitschler (SPD) 1265 B Heike Hänsel (DIE LINKE) 1266 D Henning Otte (CDU/CSU) 1267 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1269 B Henning Otte (CDU/CSU) 1269 D Christine Buchholz (DIE LINKE) 1270 A Henning Otte (CDU/CSU) 1270 B Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1270 C Dr. Gerd Müller (CDU/CSU) 1271 D Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1272 B Julia Bartz (CDU/CSU) 1272 C Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) 1274 B Namentliche Abstimmung 1275 B Ergebnis 1277 D Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen Drucksache 18/578 1275 C Tagesordnungspunkt 22: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesregierung: Erste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Drucksachen 18/299, 18/413 Nr. 2, 18/516 1275 D b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz: Übersicht 1 – über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/593 1276 A c)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 7, 8, 9, 10, 11, 12 und 13 zu Petitionen Drucksachen 18/507, 18/508, 18/509, 18/510, 18/511, 18/512, 18/513 1276 A Tagesordnungspunkt 5: a) Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ Drucksache 18/560 1276 D b) Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der „Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum“ Drucksache 18/561 1276 D c) Wahl der Mitglieder des Beirats für Fragen des Zugangs zur Eisenbahnin-frastruktur (Eisenbahninfrastrukturbeirat) Drucksache 18/562 1277 A d) Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Drucksache 18/563 1277 A e) Wahl der Mitglieder des Beirats zur Auswahl von Themen für die Sonderpostwertzeichen ohne Zuschlag beim Bundesministerium der Finanzen (Programmbeirat) Drucksache 18/564 1277 A f) Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates und des Verwaltungsrates der Deutschen Welle gemäß der §§ 31 und 36 des Deutsche-Welle-Gesetzes (DWG) Drucksache 18/565 1277 B g) Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates und der Vergabekommission der Filmförderungsanstalt gemäß der §§ 6 und 8 des Filmförderungsgesetzes (FFG) Drucksache 18/566 1277 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Wahl der Mitglieder des Beirats für die grafische Gestaltung der Sonderpostwertzeichen beim Bundesministerium der Finanzen (Kunstbeirat) Drucksache 18/567 1277 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung bei der Zulassung der Genmaislinie 1507 und zur Sicherstellung der Wahlfreiheit in Bezug auf gentechnikfreie Lebensmittel 1280 A Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1280 A Dr. Maria Flachsbarth, Parl. Staatssekretärin BMEL 1281 C Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 1282 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD) 1283 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1284 D Kees de Vries (CDU/CSU) 1286 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 1287 A Dr. Matthias Miersch (SPD) 1288 A Artur Auernhammer (CDU/CSU) 1289 C René Röspel (SPD) 1290 D Rita Stockhofe (CDU/CSU) 1292 A Hermann Färber (CDU/CSU) 1293 B Tagesordnungspunkt 6: a) – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens der malischen Regierung sowie der Beschlüsse 2013/34/GASP und 2013/87/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbindung mit den Resolutionen 2071 (2012), 2085 (2012) und 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksachen 18/437, 18/603 1294 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/616 1294 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 19./20. Dezember 2013 in Brüssel Drucksachen 18/196, 18/531 1294 C Niels Annen (SPD) 1294 C Christine Buchholz (DIE LINKE) 1295 D Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) 1296 D Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1297 D Gabi Weber (SPD) 1299 A Michael Vietz (CDU/CSU) 1299 D Florian Hahn (CDU/CSU) 1301 A Namentliche Abstimmung 1301 D Ergebnis 1303 C Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unabhängige Patientenberatung stärken und ausbauen Drucksache 18/574 1302 A Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1302 B Reiner Meier (CDU/CSU) 1306 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) 1307 C Helga Kühn-Mengel (SPD) 1308 D Dr. Roy Kühne (CDU/CSU) 1309 D Bettina Müller (SPD) 1311 B Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung Drucksache 18/559 1312 B Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 1312 B Annette Groth (DIE LINKE) 1313 A Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) 1314 A Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1315 B Carsten Träger (SPD) 1316 B Matern von Marschall (CDU/CSU) 1317 B Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 1318 A Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige abschaffen Drucksache 18/556 1319 B Klaus Ernst (DIE LINKE) 1319 B Bettina Kudla (CDU/CSU) 1319 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 1321 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1322 C Metin Hakverdi (SPD) 1323 C Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 1324 C Klaus Ernst (DIE LINKE) 1325 C Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 1326 B Klaus Ernst (DIE LINKE) 1327 A Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 1327 C Uwe Feiler (CDU/CSU) 1327 D Tagesordnungspunkt 10: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten -Gesetzes zur Änderung des Fünften -Buches Sozialgesetzbuch (14. SGB VÄnderungsgesetz – 14. SGB V-ÄndG) Drucksachen 18/201, 18/606 1328 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/617 1328 D Hermann Gröhe, Bundesminister BMG 1329 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) 1330 B Hilde Mattheis (SPD) 1331 B Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1332 B Stephan Stracke (CDU/CSU) 1333 B Martina Stamm-Fibich (SPD) 1334 B Michael Hennrich (CDU/CSU) 1335 A Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Heizkosten sparen – Energiewende im Gebäudebereich und im Quartier voranbringen Drucksache 18/575 1336 C Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1336 D Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 1337 D Heidrun Bluhm (DIE LINKE) 1339 C Dr. Nina Scheer (SPD) 1340 B Tagesordnungspunkt 12: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 (Beitragssatzgesetz 2014) Drucksachen 18/187, 18/604 1341 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/618 1341 C b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) Drucksachen 18/52, 18/604 1341 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten Drucksache 18/503 1342 B Tagesordnungspunkt 14: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Schulobstgesetzes Drucksachen 18/295, 18/601 1342 C Katharina Landgraf (CDU/CSU) 1342 C Karin Binder (DIE LINKE) 1343 B Jeannine Pflugradt (SPD) 1344 B Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1345 C Alois Rainer (CDU/CSU) 1346 C Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien Drucksache 18/576 1347 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1347 D Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) 1348 D Inge Höger (DIE LINKE) 1351 A Bernd Westphal (SPD) 1352 B Nächste Sitzung 1354 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1355 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübingen), Monika Lazar, Peter Meiwald, Beate Müller-Gemmeke, Lisa Paus, Corinna Rüffer, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 4) 1355 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 4) 1356 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 4) 1356 C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Dörner, Katharina Dröge, Uwe Kekeritz, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmink, Ulle Schauws (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 4) 1357 A Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 4) 1358 B Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Peter Meiwald, Corinna Rüffer, Hans-Christian Ströbele (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens der malischen Regierung sowie der Beschlüsse 2013/34/GASP und 2013/87/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbindung mit den Resolutionen 2071 (2012), 2085 (2012) und 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 6 a) 1358 D Anlage 8 Erklärung nach 31 GO des Abgeordneten Frank Tempel (DIE LINKE) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 13 zu Petitionen Drucksache 18/513 (Tagesordnungspunkt 22 i) 1359 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 (Beitragssatzgesetz 2014) – Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Matthäus Strebl (CDU/CSU) 1360 B Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 1361 A Markus Paschke (SPD) 1362 A Dr. Martin Rosemann (SPD) 1362 C Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 1363 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1364 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten (Tagesordnungspunkt 13) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 1364 D Charles M. Huber (CDU/CSU) 1365 C Dr. Bärbel Kofler (SPD) 1366 D Niema Movassat (DIE LINKE) 1368 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1369 A Inhaltsverzeichnis 17. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 Beginn: 09.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, haben wir heute noch einige Wahlen durchzuführen. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, dass im Stiftungsrat der Bundesstiftung Baukultur für den ausgeschiedenen Kollegen Peter Götz als Nachfolger der Kollege Volkmar Vogel als Mitglied gewählt wird. Die SPD-Fraktion schlägt für dieses Gremium als Nachfolger der Kollegin Petra Müller den Kollegen Hampel, Ulrich vor. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Kollegen Vogel und Hampel als Mitglieder des Stiftungsrates gewählt. Die Fraktion der SPD schlägt vor, im Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung für den ausgeschiedenen Kollegen Wolfgang Thierse als Nachfolger den Kollegen Dietmar Nietan als ordentliches Mitglied und als dessen Nachfolger als stellvertretendes Mitglied den Kollegen Dr. Lars Castellucci zu wählen. Als weiteres ordentliches Mitglied soll die Kollegin Hiltrud Lotze für den ausgeschiedenen Kollegen Lars Lindemann und als weiteres stellvertretendes Mitglied die Kollegin Christina Kampmann für den ausgeschiedenen Kollegen Patrick Kurth gewählt werden. Darf ich auch hierzu Ihr Einvernehmen feststellen? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die genannten Kolleginnen und Kollegen als Mitglieder und stellvertretende Mitglieder des Stiftungsrates gewählt. Schließlich schlägt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, für den Beirat bei der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen die Kollegin Tabea Rößner als persönliches stellvertretendes Mitglied der Kollegin Katharina Dröge und die Kollegin Dr. Julia Verlinden als persönliches stellvertretendes Mitglied des Kollegen Oliver Krischer zu wählen. – Auch hierzu kann ich keinen Widerspruch erkennen. Dann sind die beiden Kolleginnen als persönliche stellvertretende Mitglieder des Beirats gewählt. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Umgang in der Bundesregierung und im Deutschen Bundestag mit den Vorwürfen gegen Sebastian Edathy (siehe 16. Sitzung) ZP 2 Eidesleistung des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft ZP 3 Vereinbarte Debatte zur Lage in der Ukraine ZP 4 Wahl der Mitglieder des Beirats für die grafische Gestaltung von Sonderpostwertzeichen beim Bundesministerium der Finanzen (Kunstbeirat) Drucksache 18/567 ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung bei der Zulassung der Genmaislinie 1507 und zur Sicherstellung der Wahlfreiheit in Bezug auf gentechnikfreie Lebensmittel Dabei soll wie immer, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen werden. Die als Zusatzpunkt 3 vorgesehene vereinbarte Debatte zur Lage in der Ukraine soll vor dem Tagesordnungspunkt 2 aufgerufen werden und eine Stunde dauern. Außerdem wird der Tagesordnungspunkt 16 c abgesetzt. Sind Sie auch damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Eidesleistung des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft Der Herr Bundespräsident hat mir mitgeteilt, dass er am 17. Februar 2014 gemäß Art. 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland auf Vorschlag der Frau Bundeskanzlerin den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Herrn Dr. Hans-Peter Friedrich, aus seinem Amt als Bundesminister entlassen und Herrn Christian Schmidt zum Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft ernannt hat. Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 vorgesehenen Eid. Herr Schmidt, ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir bitten. (Die Anwesenden erheben sich) Herr Minister, ich bitte Sie, den im Grundgesetz vorgesehenen Eid zu leisten. Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde, so wahr mir Gott helfe. Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie haben den im Grundgesetz vorgesehenen Eid geleistet. Ich darf Ihnen im Namen des ganzen Hauses und persönlich alle guten Wünsche für Ihr neues Amt aussprechen. (Beifall im ganzen Hause – Bundesminister Christian Schmidt nimmt Gratulationen entgegen) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte bei dieser Gelegenheit dem Kollegen Dr. Hans-Peter Friedrich im Namen des Hauses für seine Tätigkeit in der Bundesregierung herzlich danken. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lieber Kollege Friedrich, auch und gerade die gestrige Debatte hat deutlich gemacht, dass unbeschadet mancher kritischer und selbstkritischer Hinweise Sie sich im ganzen Hause einer großen persönlichen Wertschätzung erfreuen. Deswegen freuen wir uns auf die weitere Zusammenarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Nachrichten und Bilder aus Kiew und anderen Orten der Ukraine in den letzten Tagen haben uns alle schockiert. Wochenlange friedliche Proteste Hunderttausender Bürger sind umgeschlagen in blutige Gewalt mit brennenden Straßenzügen und Barrikaden, mit zahlreichen Verletzten und inzwischen auch mindestens zwei Dutzend Toten aufseiten der Demonstranten wie auch der Sicherheitskräfte. Der Deutsche Bundestag hat nicht zu entscheiden, welchen Weg die Ukraine gehen will und in welche Richtung. Aber wir haben das Recht und die Pflicht, für das Grundrecht der Menschen in diesem Land wie überall auf der Welt einzutreten, selbst darüber zu entscheiden, wie sie leben und von wem sie regiert werden wollen. (Beifall im ganzen Hause) Wir bewundern den Mut und die Entschlossenheit von immer mehr Menschen, von immer mehr Frauen und Männern, auch gegen Drohungen und Repressionen ihr eigenes Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ihnen gelten unsere Unterstützung und unsere Solidarität. (Beifall im ganzen Hause) Alle Beteiligten, in den Behörden wie auf den Straßen, auf beiden Seiten der Barrikaden, müssen einsehen, dass sich weder gewünschte Veränderungen durch Gewalt erzwingen noch notwendige Veränderungen dauerhaft mit Gewalt verhindern lassen. Deshalb fordern wir alle auf, auf Gewalt zu verzichten. Wir unterstützen die Bemühungen der Europäischen Union, insbesondere auch die Mission der Außenminister, die sich in diesen Stunden darum bemühen, zur Deeskalation der Lage beizutragen, und appellieren an die Verantwortlichen, schnellstmöglich zur friedlichen Beilegung des Konflikts auf dem Verhandlungswege zurückzukehren. Die ukrainische Regierung steht in einer besonderen Verpflichtung, die sie nicht länger verweigern darf. Unsere Erwartung an den Staatspräsidenten ist klar und unmissverständlich: Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht! Halten Sie weiteren Schaden vom eigenen Land und von Ihren Bürgern ab! Vor allem: Lassen Sie endlich eine offene Debatte über die seit langem geforderte Verfassungsreform zu! (Beifall im ganzen Hause) Unser Respekt gilt allen aufrechten Demokraten. Unser tief empfundenes Mitgefühl gilt allen Opfern der Gewalt und ihren Angehörigen. Ich rufe unseren Zusatzpunkt 3 auf: Vereinbarte Debatte zur Lage in der Ukraine Nach einer interfraktionellen Vereinbarung, die wir vorhin bestätigt haben, sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Kollegen Niels Annen für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Niels Annen (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir die Nachrichten über die Toten, die Verletzten, die Verwundeten in der Ukraine betrachten, dann dürfen wir eines nicht vergessen: Diese Tragödie betrifft auch uns, weil das, was dort passiert, in unserer unmittelbaren Nachbarschaft stattfindet. Deshalb ist es gut, dass während dieser Debatte die Außenminister Polens, Frankreichs und Deutschlands in Kiew bei Präsident Janukowitsch sind und dort den erneuten Versuch unternehmen, zu einer politischen Lösung des Konfliktes beizutragen und für eine Atempause zu sorgen. Ich danke Außenminister Steinmeier für diese Initiative; denn es ist vielleicht der vorerst letzte Versuch, eine weitere Eskalation zu verhindern. Die Nachricht von einem Gewaltverzicht, die uns gestern am späten Abend erreicht hat, gibt Hoffnung, dass der heutige Besuch tatsächlich etwas bewirken kann. Aber Sie alle haben in den letzten Stunden und Minuten vielleicht die Nachrichten von weiteren Schusswechseln auf dem Maidan gehört. Es ist wirklich eine angespannte Situation, und die Lage steht auf der Kippe. Es ist völlig klar: Bei einem weiteren Rückschlag werden die EU-Außenminister in Brüssel gar nicht umhinkommen, Sanktionen zu beschließen. Ich bin mir sehr bewusst darüber, dass Sanktionen natürlich nicht die Lösung des Problems darstellen. Unsere Politik der Östlichen Partnerschaft steht am Scheideweg. Wir dürfen in der Ukraine nicht wieder den Eindruck erwecken, das Land müsse sich quasi zwischen Russland und Europa entscheiden. Diese Nullsummenlogik müssen wir überwinden. Aber damit gar kein Missverständnis aufkommt: Die Hauptverantwortung für die Eskalation tragen Präsident Janukowitsch und seine Entourage. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Er hat es seit Wochen in der Hand, den Weg für umfassende Reformen freizumachen. Die Vorschläge dafür liegen seit langem auf dem Tisch. Seiner Hinhaltetaktik haben wir es letztlich zu verdanken – das ist auch ein Teil der Wahrheit –, dass die extremistischen Kräfte innerhalb der Opposition immer mehr Zulauf bekommen haben. Die Gewalt der letzten Tage ist ganz besonders bitter, weil wir doch ein wenig Anlass zur Hoffnung hatten. Nach Vermittlung durch die OSZE haben die Demonstranten das Kiewer Rathaus geräumt. Die Voraussetzungen für eine Amnestie sind geschaffen worden. Vielleicht ist es auch die Furcht vor einer in Sichtweite kommenden politischen Lösung, die extremistische Kräfte auf beiden Seiten angestachelt hat, jetzt eine Lösung zu verhindern. Wir kennen das von anderen Konflikten. Auch die gewaltbereiten extremistischen Kräfte innerhalb der Opposition tragen somit Verantwortung für die Lage. Die Leidtragenden dieser Eskalation sind wieder einmal die Menschen, junge Menschen, alte Menschen, zum Teil ganze Familien – wir alle haben die Bilder noch im Kopf –, die seit Wochen und Monaten auf der Straße für etwas kämpfen, das wir für selbstverständlich halten. Sie wollen Teil dieses Europas sein, und das ist auch ihr gutes Recht. Deshalb müssen wir hier im Hohen Hause unterstreichen: Wir stehen an ihrer Seite. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn es jetzt keine Lösung gibt, werden sie zerrieben zwischen dem brutalen, rücksichtslosen Vorgehen der ukrainischen Sicherheitskräfte auf der einen Seite und dem martialisch auftretenden sogenannten Rechten Block auf der anderen Seite. Präsident Janukowitsch hat es in der Hand, die Gewaltspirale zu stoppen. Aber dafür muss er Schluss machen mit seiner Politik des Hinhaltens und Täuschens und endlich wie der Präsident des ganzen Landes handeln. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dem Gewaltverzicht müssen eine Rückkehr zur Verfassung von 2004 und vorgezogene Neuwahlen noch in diesem Jahr folgen. Mein Appell richtet sich an Präsident Janukowitsch: Nutzen Sie die Atempause der gestrigen Vereinbarung! Setzen Sie eine Verfassungskommission ein, und bilden Sie unverzüglich eine repräsentative Übergangsregierung! Ziehen Sie Ihre Sicherheitskräfte zurück, und stoppen Sie die Offensive Ihres Geheimdienstes! (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident, schaffen Sie endlich die Voraussetzung für eine Wiederaufnahme des politischen Prozesses. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Stefan Liebich für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Stefan Liebich (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Brennende Barrikaden und Zelte, brennende Verwaltungsgebäude, Soldaten, die in die Menge schießen, Demonstranten, die Molotowcocktails auf Soldaten und Polizisten werfen – das sind die Bilder, die uns allerdings nicht mehr nur aus der Hauptstadt Kiew erreichen. In Lwiw haben Demonstranten einen Panzerwagen in Brand gesteckt, in Ternopil stürmten sie das Büro der Staatsanwaltschaft. Verletzte und Tote sind zu beklagen. Die Nacht von Dienstag zu Mittwoch war die blutigste, die die Ukraine seit langer Zeit erlebt hat, und man muss befürchten, nachdem der Gewaltverzicht offenkundig nicht eingehalten wird, dass sich die Situation kurzfristig nicht verbessern wird. Wer das Schwert nimmt, wird durchs Schwert umkommen. Wer die Kalaschnikow nimmt, hat mit einem Kopfschuss zu rechnen. … Wer andere willkürlich der Freiheit beraubt, hat bald selbst keine Fluchtwege mehr. … Deshalb müssen wir, die wir hier versammelt sind, strikt das Prinzip der Gewaltlosigkeit vertreten. Das gilt auch gegenüber von Provokateuren, die in unseren Reihen sind. Diese Worte sprach am 25. September 1989 beim Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche der Pfarrer Christoph Wonneberger. Viele, vor allem jene, die in der DDR gelebt haben, denken angesichts der Bilder aus der Ukraine an diese Zeit zurück. Wir sind dankbar, dass uns das 1989 erspart blieb. Wir wissen, dass auch friedlicher Protest Veränderungen erzwingen kann. Unser Appell an alle Beteiligten des Konflikts in der Ukraine lautet daher: Keine Gewalt! (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei kommt der Regierung eine herausgehobene Verantwortung zu. Präsident Janukowitschs Auffassung, Demokratie sei es nur, wenn man das Wahlergebnis akzeptiere, ist falsch. Es kommt erstens darauf an, was man aus seinen Wahlergebnissen macht, und zweitens gehören Meinungsfreiheit und friedliche Proteste dazu. Rosa Luxemburg hat 1918 in ihrem Text zur Russischen Revolution formuliert: Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. (Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Aber auch die Opposition trägt Verantwortung. Eine kleine Gruppe zum Teil rechtsradikaler und neofaschistischer Hooligans darf nicht das Bild von den Protesten prägen. Ihr Mittel, die Gewalt, wird von der Mehrheit der Demonstranten abgelehnt. Wer Gewalt ausübt, von welcher Seite auch immer, muss strafrechtlich belangt werden. Aber allgemeine Sanktionen – da habe ich eine andere Meinung als Niels Annen –, die im schlimmsten Fall den Teil der Menschen treffen, die mit demokratischen Mitteln für ihre Meinung streiten, lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN) Wer Sanktionen fordert, der scheidet als Vermittler in einem Konfliktlösungsprozess aus. So hat es Staatssekretär Dr. Ederer gestern früh im Auswärtigen Ausschuss gesagt. Da muss ich ihm recht geben. (Beifall bei der LINKEN) Statt größerer Abgrenzung müssen wir unsere Türen endlich für die Ukrainerinnen und Ukrainer öffnen. Visafreiheit für die Europäische Union, das wäre eine sinnvolle Botschaft an die Demonstrantinnen und Demonstranten auf dem Maidan. (Beifall bei der LINKEN) Auch wenn einer der Schlüssel für die Lösung des Konflikts in Moskau liegt: Gerade wir Deutschen dürfen mit Blick auf unsere Geschichte gegenüber der Ukraine im letzten Jahrhundert nicht einfach über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg nach vermeintlichen Lösungen suchen. Die OSZE oder der Europarat, wo Russland, die Ukraine, Deutschland und die anderen EU-Mitgliedstaaten gleichberechtigte Mitglieder sind, können und müssen eine aktive Vermittlerrolle einnehmen. Die Bundesregierung sollte sie dabei aktiv unterstützen. Am Ende des Prozesses kann ein politischer Neuanfang stehen. Hier gilt es zuallererst, eine Lösung für den Konflikt um die Verfassung zu finden. Noch viel wichtiger als all dies ist aber: Das Land braucht endlich eine Regierung und eine Opposition, die nicht zuerst an sich oder an die Gunst schwerreicher Oligarchen denken, sondern an ihre Bürgerinnen und Bürger, die in großer Zahl in bitterer Armut leben. (Beifall bei der LINKEN) Und die Ukraine braucht Nachbarn, die nicht zuerst auf Einflusssphären und Absatzmärkte schauen, sondern an einer wirklichen Partnerschaft arbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Andreas Schockenhoff ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind zutiefst erschüttert über die Eskalation der Gewalt in der Ukraine. Wir trauern um die Opfer der blutigen Zusammenstöße. Wir sprechen dem ukrainischen Volk unsere Anteilnahme aus und sichern ihm unsere volle Solidarität zu. Wir sind froh, dass es jetzt die Chance für einen Waffenstillstand gibt. Wir fordern alle Verantwortlichen auf, das Ihre dazu beizutragen, dass dieser Waffenstillstand hält. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Zur Stunde ist Außenminister Steinmeier mit seinem französischen und seinem polnischen Kollegen in Kiew. Damit sind zwei Botschaften verbunden: Erstens. Die Europäische Union ist bereit, zu vermitteln, um das Land aus dieser existenziellen Krise herauszuführen. Zweitens. Die Europäische Union muss bereit sein, über die Östliche Partnerschaft hinaus der Ukraine in einem schwierigen Transformationsprozess zu helfen. Die Vermittlung ist notwendig, weil die Konfliktparteien selbst nicht aus der Sackgasse herausfinden, zumal Präsident Janukowitsch in den letzten Tagen zu einem echten Dialog nicht wirklich willens war. Wir brauchen deswegen einen fortgesetzten, anhaltenden Vermittlungsbeitrag. Dazu kann, wie gerade gesagt wurde, die OSZE beitragen. Dazu kann auch ein Hoher Vertreter der Europäischen Union einen Beitrag leisten. Wenn es in diesem Zusammenhang die Aufforderung aus Moskau gibt, sich nicht von außen in Angelegenheiten der Ukraine einzumischen, dann müssen wir das als eine zynische Unterstellung zurückweisen, zumal da gerade Moskau vor Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens durch offene Erpressung zur Eskalation der politischen Krise in der Ukraine mit beigetragen hat. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will nachdrücklich unterstützen, was der Kollege Annen gesagt hat: Wir dürfen uns keine Nullsummenlogik aufzwingen lassen. Russland gewinnt nicht, wenn die Ukraine die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union aufkündigt. Wir gewinnen nicht, wenn die Ukraine nicht mit Russland zusammenarbeitet. Wir gewinnen entweder alle durch zunehmende Kooperation und Integration in Europa, oder wir verlieren alle durch Instabilität und Unsicherheit in Europa. Wahr ist auch, dass es in der Ukraine inzwischen um einen echten Systemkonflikt geht. Zur Wahrheit gehört, dass Moskau für die Menschen auf dem Maidan und für einen großen Teil der Zivilbevölkerung in der Ukraine für den Status quo steht. Aber die Menschen wollen anders leben. Die Menschen wollen in Freiheit leben. Die Menschen wollen in einem Rechtsstaat mit freien und fairen Wahlen, mit unabhängigen Gerichten, mit Meinungsfreiheit und unabhängigen Medien leben. Die Menschen sind nicht länger bereit, eine systemische Korruption hinzunehmen, mit der sich die Machthaber exzessiv bereichern. Wenn Präsident Putin die Ukraine als ein Brudervolk bezeichnet, dann muss es uns zu denken geben, dass Russland für viele Menschen in der Ukraine an Anziehungskraft verloren hat. Das ist für uns kein Grund zur Genugtuung, im Gegenteil. Wir haben in der Europäischen Union mit der Finanzkrise, mit der Überwindung der Ungleichgewichte und mit unseren inneren strukturellen Problemen genügend Probleme zu lösen. Aber dass die Menschen in der Ukraine eine europäische Perspektive brauchen, dass das, was wir an Hilfen anbieten, eben nicht wertneutral ist, sondern mit einem Leben in Freiheit nach den Idealen der sozialen Marktwirtschaft, mit Gerechtigkeit verbunden ist, zeigt sich in diesen Tagen ganz besonders. Diese europäische Perspektive muss über eine kurzfristige Lösung hinaus für die Menschen spürbar bleiben. Zu einer kurzfristigen Lösung gehören erstens ein anhaltender Waffenstillstand, zweitens eine sofortige Umsetzung der Amnestie, drittens die Bildung einer nationalen Übergangsregierung und viertens die Rückkehr zur Verfassung von 2004 mit echten Parlamentsrechten. Dazu gehört, dass wir für die Menschen Europa erlebbar machen, etwa durch Studienprogramme und durch Stipendienprogramme vergleichbar zu ERASMUS. Dazu gehört auch, dass wir – wie für die Republik Moldau – den Menschen in der Ukraine durch eine Perspektive auf Visafreiheit zeigen, dass Europa spürbar und erlebbar bleibt. Nur das ukrainische Volk selbst kann aus dieser Krise herausfinden. Es gibt im Europa der souveränen Staaten kein Zurück zu privilegierten Einflusszonen. Dabei braucht die Ukraine die Hilfe der Europäischen Union. Wir sind bereit, darüber mit anderen zu reden. Eine Rückkehr zum Status quo ante gibt es nicht. Wir sind vor allem bereit, darüber auch mit Russland zu reden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa ist unser Schicksal. – Das hat vor zwei Wochen einer der Protestierenden auf dem Maidan zwischen den Barrikaden in der Kälte mitten in der Nacht zu mir gesagt. Vor zwei Wochen bestand noch viel Hoffnung, dass die Beharrlichkeit helfen würde, eine Ukraine zu schaffen, die offen ist, demokratisch und europäisch. Seit vorgestern Abend ist diese Hoffnung schwer erschüttert. Manche sagen auch: Sie ist völlig versiegt. Wir alle sind betroffen von den Bildern. Wir denken an die Toten, wir trauern mit den Angehörigen. Wir denken an die Verletzten, an die Verfolgten und auch an die Helferinnen und Helfer, die sich selbst in Gefahr bringen. Kirchen sind zu Lazaretten geworden. Der evangelische Pfarrer der deutschen Auslandsgemeinde sagte in einem Interview: „Ich halte die Steinwürfe für eine gezielte Provokation.“ Es falle schon auf, dass die Polizei darauf sofort mit massiver Gewalt geantwortet hat. Auch in seiner Kirche in der Mitte von Kiew ist ein Lazarett eingerichtet. Meine Damen und Herren, das Regime Janukowitsch hat verhindert, dass im Parlament überhaupt noch über eine Verfassungsänderung, über mehr demokratische Rechte, über die Möglichkeit des Machtwechsels debattiert wird. Genau das war der Auslöser für die Eskalation. Gleichzeitig hat die Regierung Janukowitsch die Zugeständnisse der Opposition, nämlich beispielsweise die Räumung des Rathauses, als Schwäche deklassiert. Dann kam die Räumung des Maidan, und dann wurde die Eskalation auf die Spitze getrieben. Gestern Abend gab es wieder einen Funken Hoffnung auf einen Waffenstillstand. Er ist heute Morgen, so scheint es jedenfalls, vorbei, und eine Lösung ist nicht in Sicht. Angesichts von Toten und Verletzten und angesichts ausufernder Gewalt hoffe ich sehr, dass das Signal der EU-Außenminister heute so deutlich ausfällt, wie es die Lage gebietet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu gehört auch, dass die kriminellen Geldflüsse der Verantwortlichen gestoppt werden, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dazu gehört, dass Auslandskonten gesperrt und Visasperren für einzelne Beteiligte ausgesprochen werden. Die Vereinigten Staaten haben hier einen ersten Schritt getan. Freilich, Frau Merkel: Man ist hinterher immer schlauer. Ich maße mir nicht an, anders gehandelt zu haben. Aber was wäre passiert, wenn der Druck in dieser Woche auch aus Deutschland schon stärker gewesen wäre, als Vitali Klitschko und Arsenij Jazenjuk hier gewesen sind, und wir deutlicher gemacht hätten, dass Sanktionen auch sehr bald ausgesprochen werden können? Ich glaube, wir haben tatsächlich eine Verantwortung. Nicht nur auf europäischer Ebene müssen wir Position beziehen. Ich finde, Deutschland kann in diesem Konflikt keine neutrale Position einnehmen, meine Damen und Herren, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und zwar, weil es um Europa geht, weil es um Freiheitsrechte geht, nach denen die Menschen streben, für die sie kämpfen und für die sie so viel aufs Spiel setzen. Es geht nicht darum, naiv zu sein. Es geht nicht darum, so zu tun, als ob es nicht auch nationalistische Kräfte auf dem Maidan gebe. Natürlich gibt es die. Trotzdem müssen wir in aller Klarheit auf der Seite der europäischen Werte und der Freiheitsrechte stehen und stehen bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn ich mir anschaue, wie viele klare Worte dazu gefallen sind – aus der Europäischen Union, aus den Vereinigten Staaten –, dann hoffe ich sehr, dass auch wir uns zu solch klaren Worten durchringen können. Frau Merkel, es war vorhin eigentlich sehr schön, dass Sie bei dem Satz des Präsidenten, dass die Ukraine frei entscheiden können muss, aus Versehen – weil Sie das auf der Regierungsbank nicht dürfen – geklatscht haben. Ja, genau darum geht es. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Göring-Eckardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hänsel? Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr gerne. Heike Hänsel (DIE LINKE): Danke schön. – Frau Göring-Eckardt, Sie sagten gerade: Wir können keine neutrale Position einnehmen. – Ich möchte bezweifeln, dass Deutschland bereits eine neutrale Position eingenommen hat. Wir wissen doch, dass die Opposition, zum Beispiel Klitschko, beste Kontakte pflegt und seine Partei, die UDAR, seit Jahren von der Konrad-Adenauer-Stiftung finanziert und unterstützt wird. Das heißt doch nicht, dass wir eine neutrale Position hätten. Was die Eskalation angeht, wurde hier von mehreren Rednern und Rednerinnen festgestellt, dass die Gewalt auch von den Demonstranten und Demonstrantinnen ausging. Ich möchte Sie fragen: Wie würden Sie reagieren, wenn es von Parteien Aufrufe gibt, dass alle, die registrierte Waffen haben, auf den Maidan kommen sollen? Ich möchte von Ihnen gerne wissen: Wie würden Sie darauf reagieren? Wollen Sie verhindern, dass der gewalttätige Teil der Demonstrantinnen und Demonstranten weiter ermuntert wird, indem Sie einseitig Sanktionen aussprechen? Was haben Sie denn für eine Vorstellung von Politik, wenn Sie nur gegen einen Teil Sanktionen aussprechen wollen? (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was würden Sie denn machen? Was wollen Sie denn?) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Hänsel, sorry, aber wenn wir über Sanktionen wie Geldflüsse-Stoppen reden, wenn wir über Sanktionen im Hinblick auf Konten reden, mit denen Janukowitsch, seine Familie, sein ganzer Clan auch Gelder für Unterstützung ins Ausland geschafft haben, (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Milliarden!) dann trifft das genau die Richtigen; da bin ich mir ganz sicher. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Natürlich brauchen auch die Regierungsleute einen irgendwie geordneten Rückzug; aber damit sie sich nicht aus dem Staub machen können, um sich in Westeuropa ein schönes Leben zu machen, finde ich es richtig, dass man hier Visasperren verhängt, meine Damen und Herren und Frau Hänsel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Opposition auf dem Maidan, in Lemberg und in vielen anderen Orten der Ukraine ist zum großen Teil friedlich (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Na ja! – Gegenruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oi, oi, oi!) und hat sich von den nationalistischen Kräften distanziert. Diese Opposition auf Twitter zu diffamieren mit den Worten „Faschos in Militärkleidung“, wie es eine Ihrer Kolleginnen gemacht hat, das geht nicht, Frau Hänsel. Das sind Leute, die für die Freiheit kämpfen und die alles riskieren dafür. (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, wenn wir über Klarheit reden, dann heißt das auch, dass wir klare Worte in Richtung Russland, in Richtung Putin sagen müssen. Man kann nicht in Sotschi den weltgewandten Gastgeber spielen und gleichzeitig Janukowitsch decken, stützen und unterstützen, während er den Protest niederwalzt. Meine Damen und Herren, auch hier ist von unserer Seite und vonseiten der EU Klarheit gefragt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, Europa ist unser Schicksal. Wir denken bei Europa manchmal zuerst an Bürokratie, Glühbirnenverbot, Hilfspakete, Lobbyismus oder ich weiß nicht was. Die meisten Menschen, die auf dem Maidan stehen, und diejenigen, die sie unterstützen, finden: Europa ist eine Verheißung von Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Wir dürfen nicht versagen, wenn es um die Freiheit geht. Dazu brauchen wir eine klare Haltung, den nötigen Druck und konsequentes Handeln. Das sind wir den Menschen auf dem Maidan genauso wie der europäischen Idee schuldig. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Franz Thönnes für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Franz Thönnes (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war am Sonntag und am Montag in Kiew, um politische Gespräche mit Vertretern der Parteien und der Zivilgesellschaft zu führen. Auf dem Weg zum Maidan am Sonntagabend kam ich am Rathaus vorbei, das entsprechend den Verabredungen gerade geräumt wurde, damit am Tag darauf das Amnestiegesetz umgesetzt werden konnte. Wir alle kennen die Bilder vom Maidan, die durch die Medien gegangen sind. Die Atmosphäre, die ich vorgefunden habe, war einerseits ruhig und offen, andererseits aber auch von Anspannung und Bereitschaft geprägt. Es macht betroffen, wenn man an der von Kerzen beleuchteten Gedenkstätte für die – zu diesem Zeitpunkt noch vier – Toten steht und sieht, welche Opfer gebracht worden sind und welche Folgen die gewalttätigen Auseinandersetzungen hatten. Neben dem freundlichen und friedlichen Erscheinungsbild habe ich leider auch sehr wehrbereite Erscheinungsformen gesehen von radikalen Gruppen, die zur Gewalt bereit sind. Das ist nicht die Mehrheit – man darf es auch nicht so hinstellen –; aber man darf auch nicht verschweigen, dass es so etwas gibt. Wir müssen allen Provokateuren, egal auf welcher Seite sie stehen, die Stirn bieten; denn sie stehen einem fairen Verhandlungsprozess im Wege. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Ich habe bei den Menschen Müdigkeit, Anspannung und Sorge gesehen; aber ich habe auch Hoffnung gesehen: die Hoffnung auf eine freiheitliche, auf eine rechtsstaatliche Zukunft, auf eine Zukunft in Europa, in der man einen guten Platz hat, in der man auch ein Stück weit Hoffnung auf ein wenig Wohlstand haben kann. Um Hoffnung ging es auch in den Gesprächen, die sich angeschlossen haben: Hoffnung auf Rückkehr zur Verfassung von 2004, Hoffnung darauf, im Parlament, am Verhandlungstisch zu einer friedlichen Lösung zu kommen, Hoffnung auf Unterstützung durch die Europäische Union und auch Hoffnung auf Sanktionen, durch die die andere Seite dazu bewegt wird, Interesse an einer Einigung zu zeigen, aber auch Hoffnung auf Verhinderung des angesichts der angespannten wirtschaftlichen Situation drohenden ökonomischen Zusammenbruchs. Diese Hoffnungen habe ich mitgenommen, als ich weggefahren bin, aber auch das Bewusstsein, dass das gegenseitige Vertrauen dort gering ausgeprägt ist. Dort ist nur ein Funke notwendig, um eine Explosion auszulösen. Das alles haben wir seit Dienstag leider erlebt: das Abgehen vom Kurs des Verhandelns, das Verlassen des Verhandlungstischs, die Provokation, die Verfassungsdebatte im Parlament, die verabredet war, von der Tagesordnung abzusetzen. Wir haben eine unverhältnismäßige Reaktion der Sicherheitskräfte erlebt, als die Demonstranten zum Parlament zogen, und wir haben Provokationen auf beiden Seiten gesehen, die an dieser Stelle keinen Platz haben. Scharfschützen auf den Dächern haben genauso wenig etwas in einem vernünftigen Verhandlungsprozess zu suchen wie Menschen, die mit Benzinkanistern in Parteizentralen hineingehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Deutlich wurde auch die Hoffnung, dass man einen guten Weg für die Ukraine findet. Doch die Brutalität, mit der die Sicherheitskräfte vorgegangen sind, hat diesen Funken Hoffnung am Ende zerstört. Wir müssen deutlich sagen: Diese Brutalität ist für uns inakzeptabel; sie ist intolerabel. Verantwortlich dafür sind der Staatspräsident Janukowitsch und die Verantwortlichen in den Sicherheitskräften. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Über 1 000 Verletzte und inzwischen 30 Tote: Das sind die Folgen. Unsere Gedanken sind bei ihren Familienangehörigen. Ich glaube, es war notwendig und wichtig, dass gestern sehr intensiv versucht worden ist, über alle möglichen Kanäle einzuwirken: über die deutsch-französischen Regierungskonsultationen, über Telefonate, über Gespräche, über Kontakte und auch über die klare Aussprache von Sanktionen. Ich denke, dass das Telefonat der Bundeskanzlerin ebenso wie die Gespräche, die der Bundesaußenminister am vergangenen Donnerstag und Freitag in Moskau geführt hat, dazu beigetragen haben, dass über Nacht der Hauch einer Chance für einen Waffenstillstand entstanden ist. Dass heute Morgen festzustellen ist, dass das Fundament, auf dem diese Hoffnung beruht, sehr dünn ist, sollte uns nicht entmutigen, sondern wir sollten jetzt auch einen Funken Hoffnung in die Mission der drei EU-Außenminister setzen. Vielleicht ist es ein ermutigendes Zeichen, dass sich hier genau die Länder darum bemühen, weiter eine friedliche Entwicklung in Europa zu ermöglichen, die am stärksten von den Folgen des Zweiten Weltkrieges betroffen worden sind. Bei der Ukraine haben wir es mit dem zweitgrößten Flächenstaat in Europa zu tun; dort leben über 45 Millionen Menschen. Es gilt daher, eine Perspektive zu entwickeln, die nicht „entweder-oder“ lautet, sondern die der Ukraine ihren Platz in Europa, inmitten der Europäischen Union und mit Russland, ermöglicht. Es muss Freiraum dafür geschaffen werden, dass die Menschen in der Ukraine unter freiheitlichen und rechtsstaatlichen Bedingungen selbst bestimmen können, welchen Weg sie gehen. Das heißt, sie müssen zur Verfassung von 2004 zurückkehren und freie Wahlen durchführen können, in der sie über ihre Volksvertretung und ihren Präsidenten entscheiden. Wir haben als Mitgliedsland der Europäischen Union die Aufgabe, gemeinsam mit Russland dafür zu sorgen, dass es gelingt, die Ukraine in die Europäische Gemeinschaft, in diese Staatengemeinschaft, aufzunehmen, wenn sie es will, und Formen zu finden, mit denen ein friedliches Zusammenleben in Europa, auf unserem Kontinent, möglich ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke. Andrej Hunko (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt niemanden, dem die Bilder der letzten Tage aus der Ukraine und die Eskalation der Gewalt nicht nahegehen und der die Opfer auf allen Seiten nicht bedauert. Das geht auch mir so als jemandem, dessen Familie in der Ukraine dem Bürgerkrieg in den 20er-Jahren, dem Massenhunger in den 30er-Jahren und den Zwangsumsiedlungen in den 40er-Jahren weitgehend zum Opfer gefallen ist. Ich wünsche mir sehr, dass das 21. Jahrhundert für die Ukraine besser wird, als es das 20. Jahrhundert war. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Voraussetzung dafür ist aber, dass die Spirale der Eskalation durchbrochen wird und dass die Ukraine nicht in einen Bürgerkrieg abgleitet. Wir müssen alles tun, um diese Eskalationsspirale zu durchbrechen. Ich glaube nicht, dass es zielführend ist, wenn die komplexe Situation in der Ukraine einseitig dem Präsidenten Janukowitsch angelastet wird und dabei verharmlost und verschwiegen wird, welche Kräfte zum Teil auch auf dem Maidan aktiv sind. (Beifall bei der LINKEN) Ich glaube auch nicht, dass es zielführend ist, wenn, wie heute, der französische, der polnische und der deutsche Außenminister mit der Androhung von Sanktionen nach Kiew fahren. Ich war im Herbst 2012 Wahlbeobachter des Europarates in Kiew. Mein Eindruck der Situation ist, dass dieses Land sozial zutiefst gespalten ist, dass sich in den letzten 20 Jahren eine kleine Schicht unglaublich bereichert hat und dass diese kleine Schicht extremen Einfluss auf die Politik nimmt. Das ist – wir haben es in die Erklärung des Europarates aufgenommen – eine Oligarchisierung der Politik in der Ukraine. Sie betrifft alle geostrategischen Orientierungen. Sie betrifft sowohl die sogenannten prowestlichen Parteien als auch die prorussischen Parteien. Ich sage ganz klar, dass wir an der Seite der Ukrainer und Ukrainerinnen stehen, wenn es darum geht, diese Oligarchisierung der Politik und diese soziale Spaltung in der Ukraine zu überwinden. (Beifall bei der LINKEN) Leider ist es so, dass die Entwicklung in der Ukraine nach dem Scheitern des Assoziierungsabkommens sehr stark von geostrategischen Interessen überlagert wird, und zwar sowohl von der russischen Seite als auch von europäischer und US-amerikanischer Seite. Es ist leider so, dass von beiden Seiten massiver Druck dahin gehend ausgeübt wird, die Ukrainer in die eigene Einflusssphäre zu ziehen und sie aus der anderen Einflusssphäre herauszuholen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Hunko, darf Ihnen der Kollege Sarrazin eine Zwischenfrage stellen? Andrej Hunko (DIE LINKE): Ja, bitte schön. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrter Herr Kollege Hunko, ich möchte Ihnen eine ganz simple Frage stellen. Glauben Sie eigentlich, dass Herr Präsident Putin – Sie haben gerade vom Einfluss der Vereinigten Staaten von Amerika und der Russischen Föderation geredet –, als er vor drei Tagen die ersten Tranchen für das Regime, die Regierung in der Ukraine freigegeben hat, die Möglichkeit gehabt hätte, Einfluss auf Herrn Janukowitsch dahin gehend zu nehmen, eine Räumung des Maidan zu unterbinden? Glauben Sie, dass Herr Putin die Möglichkeit gehabt hätte, auf Herrn Janukowitsch Einfluss zu nehmen, um zu verhindern, dass der Maidan geräumt wird, was der entscheidende Schritt zur Eskalation war? Andrej Hunko (DIE LINKE): Ich sage deutlich: Ja, es gibt eine Einflussnahme von russischer Seite auf Präsident Janukowitsch. Es gibt aber ebenso eine Einflussnahme von europäischer und von US-amerikanischer Seite auf die Opposition. Da fordere ich ganz eindrücklich, dass die Kooperation mit faschistischen Kräften auf dem Maidan beendet wird. (Beifall bei der LINKEN) Ich will verdeutlichen, was damit gemeint ist. Die Partei Swoboda, die leider gegenwärtig zusammen mit dem rechten Block die organisatorisch und ideologisch dominante Kraft auf dem Maidan ist, wird vom Jüdischen Weltkongress als neonazistisch eingestuft. Die europäischen Bündnispartner dieser Partei sind die Jobbik in Ungarn, die British National Party in Großbritannien oder in Deutschland – Vertreter von Swoboda waren einmal hier gewesen – die NPD in Sachsen. Das ist die politische Ausrichtung dieser Partei. Wir fordern ganz klar, dass die Kooperation mit solchen Kräften beendet wird. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun möchte Ihnen die Kollegin Haßelmann eine Frage stellen. Andrej Hunko (DIE LINKE): Gerne. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Hunko. Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Hunko, ich möchte Sie aus aktuellem Anlass bitten, uns Ihre Position zu folgendem Sachverhalt zu erläutern. Ich will Sie fragen, ob Sie sich von dem Tweet Ihrer Kollegin Sevim Da?delen, die die aktuelle Debatte anscheinend nicht im Plenum, sondern vielleicht aus ihrem Bundestagsbüro verfolgt und kommentiert, an die Grünen distanzieren. Ich lese Ihnen den Tweet einmal vor und bitte Sie, sich dazu zu positionieren und davon zu distanzieren: Unerträglich diese verwelkten Grünen, die die Faschisten in der #Ukraine verharmlosen, die antisemitische Übergriffe begehen. Ein Tabubruch! Ich finde es unerträglich, in dieser Art und Weise unsere Debatte zu kommentieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Davon gehört es sich zu distanzieren, wenn man als Sprecher der Linken hier redet. Andrej Hunko (DIE LINKE): Frau Kollegin, ich kann mich schlecht zu Tweets äußern, die ich nicht kenne. (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie hat es doch gerade vorgelesen!) – Nun hören Sie einmal zu! – Aber ich will schon sagen, dass ich es tatsächlich problematisch finde – das habe ich eben auch ausgeführt –, dass Kräfte wie die Swoboda-Partei als Teil des Oppositionsbündnisses in der Ukraine akzeptiert und toleriert werden. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht doch überhaupt niemand! Was fällt Ihnen ein! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr gestörtes Verhältnis zur Freiheit ist nicht unser Problem! Das ist ein Problem im Verhältnis zur Ukraine! Hören Sie mal zu, was gesagt wird! Erzählen Sie nicht so einen Quatsch!) – Ich habe die Debatte so wahrgenommen. Mir geht die hier stattgefundene Distanzierung von diesen Kräften nicht weit genug. Seit den Parlamentswahlen im Oktober 2012, die ich beobachtet habe und bei denen ich das auch schon gesagt habe, sind die Vaterlandspartei, die Klitschko- oder UDAR-Partei und die Swoboda-Partei in einem gemeinsamen Oppositionsbündnis. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Nein! Das ist doch falsch! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) Ich kritisiere das, und ich fordere eine Distanzierung von solchen Parteien. (Beifall bei der LINKEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit Da?delen überhaupt nichts zu tun, was Sie hier erzählen!) – Mag sein, dass Sie das anders wahrnehmen. Ich sehe das so, und ich will jetzt mit meiner Rede fortfahren. Ich glaube, wir brauchen gegenüber der Ukraine und gegenüber Osteuropa eine andere Ostpolitik. Die Ukraine ist nach wie vor ungefähr hälftig an Russland und hälftig an der Europäischen Union orientiert. Wenn die Spannungen zwischen der EU und Russland weiter verschärft werden, dann wird das auf dem Rücken der Ukraine und der Menschen dort ausgetragen, und das Land wird in einen Bürgerkrieg getrieben. Ich fordere eine neue Ostpolitik, die vor allen Dingen auf Kooperation mit Russland setzt. Ich fordere auch eine Wirtschaftspolitik, die vor allen Dingen auf die soziale Entwicklung in der Ukraine setzt statt auf die Öffnung der Märkte für europäische Konzerne. Vor allen Dingen fordere ich – das hat mein Kollege Liebich vorhin schon gesagt; dazu werden wir auch eine Initiative einbringen –, dass endlich das restriktive Visaregime gegenüber den Menschen in der Ukraine aufgehoben wird und dass es eine Visaliberalisierung gibt, (Beifall bei der LINKEN) damit sich die Zivilgesellschaft in der Ukraine mit der europäischen Zivilgesellschaft austauschen kann. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mir zu dem gerade stattgefundenen Vorgang eine knappe Bemerkung erlauben. Nach meinem Stilempfinden sollte es sich von selbst verbieten, dass jemand, der an einer Debatte nicht teilnimmt, aus welchem Grund auch immer, gleichzeitig über welches Medium auch immer diese Debatte kommentiert. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Röttgen für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte nach diesem Beitrag in der Debatte als Mitglied der CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich mein Bedauern darüber ausdrücken, dass die Fraktion der Linken diese Debatte nicht dazu genutzt hat, sich von der Methode zu distanzieren und sie zurückzuweisen. Dass einzelne Stimmen, die es in dieser Opposition gibt, dazu benutzt werden, die Opposition und ihr Eintreten für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte insgesamt zu diffamieren, lehnt das Haus ab. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben die Chance verpasst, sich davon zu distanzieren. Ich bedaure das auch deshalb – ich möchte bewusst damit beginnen –, weil die politische Situation in der Ukraine auch in der politischen Debatte, die wir heute führen, zunächst und zuallererst eine zutiefst menschliche Dimension und menschliche Seite hat. Wenn Todesopfer zu beklagen sind, dann gehört unser Mitgefühl den Opfern von Gewalt und deren Angehörigen, und zwar den Opfern jeglicher Gewalt. Wir differenzieren nicht. Gewaltanwendung jeglicher Art muss unterbunden werden. Das ist unsere erste Forderung. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit wird sichtbar, dass das, was die menschliche Seite betrifft, auch zutiefst politisch ist. Das Eintreten für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie hat den Sinn, den Menschen in seiner Freiheit und Unversehrtheit zu schützen. Deshalb ist von allen erneut die Forderung zu erheben – das geschieht auch –: ein Ende der Gewalt, unbedingt, sofort und auf allen Seiten! Wie verfahren die Situation aber ist, wird schon dadurch deutlich, dass man, wenn man sie genauer analysiert, wahrscheinlich zu dem Urteil kommen muss, dass ein weitgehender Kontrollverlust auf den unterschiedlichen Seiten eingetreten ist. Es gibt wahrscheinlich nicht mehr die Instanz, die allein entscheiden kann. Es ist natürlich nicht die Opposition. Es ist nicht die EU, aber es sind auch nicht Moskau und die Regierung Janukowitsch allein. Unter anderem das macht die Lage so verfahren und kompliziert. Als Ergebnis der Eskalation haben wir es mit einem weitgehenden Kontrollverlust der Lage zu tun. Dennoch haben Präsident Janukowitsch und seine Regierung die entscheidende Verantwortung und die Möglichkeit, Macht auszuüben. Sie müssen ihre Macht endlich einsetzen, Gewalt zu unterbinden und Gewaltanwendung wirksam zu verbieten. Janukowitsch muss alles tun, was noch in seiner Macht steht, um Gewalt zu unterbinden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Ende der Gewalt ist die Voraussetzung dafür, dass das zur Geltung kommt, was die unverhandelbare Grundlage einer Konfliktlösung ist, nämlich die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des ukrainischen Volks; darum geht es. Man muss wieder zu einem politischen Prozess zurückkehren, der Verfassungsreformen beinhaltet und an dessen Ende die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch Neuwahlen zum Präsidentenamt und zum Parlament steht. Damit bin ich beim Parlament angekommen. Da wir hier eine Debatte im Parlament führen, fordere ich die Mitglieder des ukrainischen Parlaments, die Mehrheit, die darüber entscheidet, auf: Stehen Sie nicht länger einer Debatte über eine Verfassungsreform im ukrainischen Parlament im Wege! Die Verweigerung einer Debatte über eine Verfassungsreform im ukrainischen Parlament war der Auslöser der Gewalteskalation. Als Kolleginnen und Kollegen des ukrainischen Parlaments sollten sie endlich wieder bereit sein, eine Debatte über Verfassungsreformen zu führen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was können wir tun? Diese Frage wird immer kritischer an uns gestellt. Was müssen wir tun? Was muss der Westen tun? Diese Fragen sind gar nicht so einfach zu beantworten. Ich glaube, auch das ist ein Teil der Wahrheit, die wir aussprechen müssen. Auf der einen Seite haben wir – das ist sehr lobenswert und zu begrüßen – Entschlossenheit, Geschlossenheit und Klarheit gezeigt. Es muss klar sein – das ist es auch –, wo wir stehen. Wenn in der Mitte Europas Menschen für europäische Werte demonstrieren und ihr Leben einsetzen, dann muss die europäische Politik klarmachen – das tut sie auch –, auf welcher Seite wir stehen, nämlich auf der Seite europäischer Werte und der Menschen, die für sie eintreten. Das ist die Klarheit unserer Position. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Röttgen, darf der Kollege Alexander Neu Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Ja, bitte. Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Herr Kollege, Ihnen ist bekannt, dass es bereits 2004 eine Verfassungsreform im Sinne der heutigen Opposition gegeben hat. Wollen Sie dementsprechend immer, wenn die Opposition, die gerade dem Westen genehm ist, eine Verfassungsreform fordert, auch eine Verfassungsreform einfordern? Sie selber haben das Selbstbestimmungsrecht angesprochen. Das Selbstbestimmungsrecht erfordert auch, dass sich die Bundesregierung und die Konrad-Adenauer-Stiftung bei der Parteinahme zurückhalten und den politischen Kampf den Menschen in der Ukraine überlassen und nicht von außen steuern. Auch das ist ein Teil des Selbstbestimmungsrechts. Teilen Sie diese Auffassung, ja oder nein? Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Genau weil wir diese Auffassung teilen, treten wir dafür ein und kämpfen die Menschen dort dafür, dass das Selbstbestimmungsrecht, die Möglichkeit, politische Freiheiten wahrzunehmen, friedlich zu demonstrieren, seine Meinung frei zu äußern und frei zu wählen, auch Ausdruck und Absicherung in einer Verfassung findet. Eine solche Verfassung gibt es aber im Moment nicht. Die Rückkehr zur Verfassung von 2004 ist das Mindeste, um in einem ersten Schritt zu einem politischen Neuanfang in der Ukraine zu kommen. Dafür sollen sich auch die Machthaber einsetzen. Es geht darum, Herr Kollege, dass es zu einer Verfassung kommt, die Freiheit und Demokratie gewährleistet. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und auf dieser Seite stehen auch wir. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ich möchte noch eine Nachfrage zur Verfassungsreform von 2004 stellen! Sie ist von dem Mann ausgegangen, der heute sozusagen für die Opposition steht! Mit anderen Worten: Sie favorisieren also ständige Verfassungsreformen im Sinne der prowestlichen Opposition! – Gegenruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht zu fassen! – Weiterer Gegenruf des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Die Verfassung ist doch außer Kraft gesetzt!) – Ich glaube, es wird nicht besser, auch wenn Sie es permanent wiederholen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich frage mich die ganze Zeit, warum Sie als Parlamentarier so reden. Wir sind hier als Parlamentarier, weil wir Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie haben. Sie sind Teilnehmer der Demokratie, Sie sind Parlamentarier. Ich frage mich, warum Sie das alles in Zweifel ziehen, warum es Ihnen so schwerfällt, den Wunsch nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in einem europäischen Land zu akzeptieren. Welche Probleme haben Sie eigentlich damit, dass auch andere Demokratie und Freiheit haben wollen? Ich verstehe Ihre Position an dieser Stelle nicht, diese Ignoranz. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]) – Vielleicht gehen Sie einmal in sich und denken über Ihre Position nach, anstatt hier zu reden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will einen letzten Punkt ansprechen, weil ich glaube, dass die Klarheit unserer Position durch Gesprächsinitiative und Gesprächsbereitschaft auch mit Russland ergänzt werden muss. Auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts müssen wir ins Gespräch mit der russischen Regierung kommen. Ich sage auch durchaus selbstkritisch aus europäischer Perspektive: Wir müssen die fatale Psychologie des Entweder-oder durchbrechen und durch eine Ratio von Gespräch, Diplomatie und Kooperation ersetzen. Wir machen uns nicht altes, überkommenes Einflusssphärendenken zu eigen, aber wir wissen und respektieren sehr wohl, dass es in der Ukraine einen beachtlichen Bevölkerungsteil gibt, der sich Russland kulturell und traditionell verbunden fühlt. Darum müssen wir auch mit Russland darüber reden, weil keiner ein Interesse daran hat, wenn die Ukraine brennt. Darum müssen wir darüber reden, weil gute Nachbarschaft im Interesse von beiden ist, des Nachbarn EU und des Nachbarn Russland. Diese Gesprächsinitiative, diese diplomatische Initiative muss stärker werden. Entweder-oder ist eine Sackgasse sowohl für die Ukraine selber, wenn sie gezwungen wäre, einer Alternative den Vorzug zu geben, als auch für die außen- und europapolitische Situation. Diese fatale Situation, die in der Perzeption in Russland und der Ukraine vorherrscht, müssen wir überwinden. Wir müssen zu einem kooperativen Verhältnis kommen. Es gibt, wenn wir den Weg des Entweder-oder und der Gewalt fortsetzen, nur Verlierer, keine Gewinner. Wenn wir von der westlichen Seite und der östlichen Seite zu einer partnerschaftlichen und guten Nachbarschaft mit der Ukraine kommen, wird das für alle ein Gewinn sein. Ich glaube, für diesen neuen, auch diplomatischen Ansatz müssen wir uns einsetzen. Klarheit müssen wir einbringen; gleichzeitig darf uns nichts zu schade sein. Es muss alles eingesetzt werden, was wir an diplomatischen und außenpolitischen Möglichkeiten und Potenzialen haben. Es geht um Friede, Freiheit, Menschenwürde und Demokratie, und sie verlangen jeden Einsatz von uns. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Norbert Spinrath ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Norbert Spinrath (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die dramatische Entwicklung der letzten Tage in Kiew hat uns sehr deutlich gemacht, wie wichtig es ist, jetzt zu handeln. Die Welt hat seit Wochen aufmerksam nach Kiew geschaut und sich mit diplomatischen Initiativen bemüht, ihren Beitrag zu leisten, um den Konflikt zu beenden. Ich denke, das hat alle demokratischen Kräfte miteinander vereint. Dies heute als fehlgeleitet zu geißeln, bezeugt Ihre Auffassung von Demokratie, aber auch von Menschenrechten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das haben wir in Hamburg ja gesehen!) Die ukrainische Regierung hat sich dagegen auf unverantwortliche Weise ins Abseits manövriert. Sie versucht mit unverhältnismäßigen und brutalen Mitteln, den Maidan zu räumen. Dabei wird sie immer dreister. Nach einer blutigen Nacht vorgestern voller Gewalt mit 26 Toten und mehr als 1 000 Verletzten wollte sie gestern eine Antiterroraktion starten. Die Sicherheitskräfte seien von den Oppositionellen zum Eingreifen provoziert worden, behauptet die Regierung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin gelernter Polizist. In meinem anschließenden Studium befähigte man mich unter anderem auch zur Bewältigung polizeilicher Großlagen. Mehrere Jahre war ich als Einsatzleiter bei kleinen und großen Lagen unterwegs. Daher weiß ich, dass es in einer Demokratie nicht hinnehmbar wäre, auf eine Provokation durch Demonstranten in der in Kiew gesehenen Weise zu reagieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Daher weiß ich auch, dass es nicht möglich ist, innerhalb von Minuten nach einer Provokation durch Demonstranten spontan in dem Umfang zu reagieren, wie wir ihn in Kiew gesehen haben. Daher weiß ich auch, dass es einer präzisen Einsatzplanung und umfangreicher logistischer Vorbereitungen bedarf, um einen verbarrikadierten Platz wie den Maidan zu räumen und um, wie vorgestern und gestern geschehen, die gesamte Stadt Kiew abzuriegeln und damit den Zustrom weiterer Demonstranten zu unterbinden. Das lässt für mich eben nur einen Schluss zu – ich bitte die ganz linke Seite hier, einmal genau zuzuhören –: Die Eskalation war keine Reaktion auf Provokationen; das war eine geplante und gut vorbereitete Aktion der Sicherheitskräfte im Auftrag der Regierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Europäische Union stützt sich insgesamt in ihrem Bestand wesentlich auf ihre friedensstiftende und friedensbewahrende Wirkung. Sie hat mit ihrem Europäischen Auswärtigen Dienst von Beginn der Auseinandersetzungen in der Ukraine an deutliche Bemühungen unternommen, diesen Konflikt positiv zu beeinflussen. Allerdings wurde das nicht hinreichend öffentlich. Gestern hat sich die Europäische Union, gestern haben sich aber auch die USA zur Androhung von Sanktionen entschlossen. Heute werden die Außenminister des sogenannten Weimarer Dreiecks auf dieser Grundlage in Kiew verhandeln. Viele Menschen tun sich damit schwer, mit Sanktionen zu operieren, weil deren Wirksamkeit oft sehr begrenzt ist, wie die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigen. Aber auch die Diplomatie – das haben wir in den letzten Wochen ebenfalls erlebt – kann eine sehr eng begrenzte Wirkung haben. Zumindest die Abläufe des gestrigen Tages zeigen auf, dass die Androhung von Sanktionen ein Mittel zum Einlenken sein kann. Denn jetzt und sofort gilt es deutliche Signale zu setzen. In der letzten Nacht erreichte uns dann die Eilmeldung, dass sich Präsident und Opposition auf eine Aussetzung der Gewalt geeinigt hätten. Dies könnte Hoffnung für die Menschen in der Ukraine bringen. Doch schon die Bilder von heute Morgen zeigen, dass die Auseinandersetzungen wieder begonnen haben, als sei gestern Abend nichts geschehen. Ich denke, das zeigt uns auf, wie wichtig es ist, unsere Bemühungen um die Herbeiführung einer friedlichen Lösung fortzusetzen und bei diesen eben nicht nachzulassen. Neben Sanktionen muss aber unabdingbar die Diplomatie weitergehen. Sie muss die Wirkung von Worten verstärken. Sie muss stärker auf diplomatische Floskeln verzichten, um mit der notwendigen Schärfe den Druck auf Janukowitsch aufzubauen. Es gilt, den Staatspräsidenten an der Herbeiführung eines blutigen Bürgerkriegs zu hindern. Es gilt aber auch, die letzte Chance zu nutzen, bevor extremistische Kräfte endgültig die Oberhand über die anfangs so vorbildlich friedliche Opposition auf dem Maidan gewinnen. Die Europäische Union muss nun entschlossen auftreten. Da geht es gar nicht darum, wer Sieger wird. Wie mein Kollege Niels Annen eben schon gesagt hat, darf es nicht darum gehen, dass sich die Ukraine entscheiden muss zwischen Russland und der EU. Die Ukraine ist Teil Europas. Sie braucht aber gleichermaßen verlässliche Handelsbeziehungen zu Russland. Jenseits von Szenarien zu Machtordnungen in Osteuropa müssen alle Anstrengungen darauf gerichtet sein, eine Regierung, die sich ins Abseits manövriert hat, davon abzuhalten, die Lösung des Konflikts in brutaler Gewalt zum Nachteil ihrer Gesellschaft zu suchen und dabei einen Bürgerkrieg herbeizuführen. Im Vordergrund müssen Deeskalation und Befriedung stehen. Zwecks Rückkehr zu von allen Seiten getragenen demokratischen Lösungen muss aber auch – dazu fordere ich die Außenminister auf, die heute in Kiew sind – in Moskau deutlich gemacht werden, dass die Ukraine kein Spielfeld für Machtinteressen und Machtoptionen sein darf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meinen Dank für die Aufmerksamkeit verbinde ich mit meinem letzten Gedanken: Russland und die EU müssen ab sofort an einem Strang ziehen: zur Verhinderung eines Bürgerkriegs in der Ukraine – im Interesse der demokratischen Kräfte, im Interesse der Menschen in der Ukraine. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Waffenstillstand, der gestern ausgehandelt wurde und uns noch Hoffnung gegeben hat, wurde offensichtlich nicht eingehalten. Reuters meldet aktuell zehn weitere Tote. Das Treffen mit den Außenministern des Weimarer Dreiecks, das hoffnungsvoll anvisiert war, hat nicht stattgefunden; auch das läuft gerade über Reuters. Da angesichts dieser Entwicklungen die Fraktion Die Linke mit gerade einmal elf Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus diesen Zirkus hier veranstaltet und offensichtlich diese Debatte nicht ernst nimmt, frage ich: Wo ist Herr Gysi? Wo ist Frau Wagenknecht? Wo ist Frau Kipping? Wo ist die Führung der Fraktion Die Linke? Ich finde das unglaublich! (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist keine zwei Jahre her, da haben Menschen auf dem Maidan und in der ganzen Ukraine die Fußballeuropameisterschaft gefeiert. Seit Wochen erreichen uns nun erschütternde Bilder von den gleichen Stellen. Der traurige Höhepunkt war in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch mit etwa 30 Toten auf allen Seiten. Wir müssen befürchten, dass dieses Land in den Bürgerkrieg hineinrutscht. Mit der Erstürmung des Maidan durch die Polizei mit Wasserwerfern, mit Blendgranaten, mit unglaublicher Brutalität hat die ukrainische Regierung die Gewalteskalation ganz bewusst in Kauf genommen. Circa 30 Menschen sind getötet worden, jetzt noch einmal 10. Das dürfte eine der blutigsten Nächte in Osteuropa seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gewesen sein. Die Verantwortung dafür trägt in der Hauptsache das Regime Janukowitsch. Die Rede Janukowitschs anlässlich dieser Krawalle muss sich für die Opfer und für die Familien der Opfer wie Hohn und Spott anhören. Er nennt sich selbst einen Feind der Gewaltanwendung. Wir wissen aus vielen Quellen, dass Oppositionelle geschlagen, gefoltert werden oder gar einfach verschwinden. Er wirft der Opposition vor, sie würde die Grundsätze der Demokratie missachten. Es ist sein Regime, das die Versammlungs- und Meinungsfreiheit der Bürger in der Ukraine einschränkt. Es ist sein Regime, das eine Debatte im Parlament nicht zulässt, in der die Opposition mögliche Verfassungsänderungen diskutieren will. Der Präsident macht nur eines deutlich: Er will seine Macht nicht abgeben. Das ist bitter; denn in den letzten Wochen ist es den gemäßigten Oppositionsführern wie Klitschko gelungen, die Gewaltbereiten in ihren eigenen Reihen immer wieder zu beruhigen. Jetzt gibt es Brandanschläge gegen Büros der Opposition im ganzen Land. Offensichtlich wollen Kräfte Gewalt erzeugen – regierungsnahe Kräfte. Wenn das so weitergeht, kommt es zum Bürgerkrieg. Deshalb müssen wir alle Beteiligten an den Verhandlungstisch zurückbringen, und diese müssen ernsthaft verhandeln. Um das zu erreichen, müssen wir den Druck auf das Regime weiter erhöhen. Sanktionen, vor allem gegen die Oligarchen im Hintergrund, müssen greifen, können womöglich das entscheidende Quäntchen ausmachen, damit sich nun etwas tut und wir eine weitere Eskalation verhindern. Die nächsten Schritte für eine bessere Zukunft der Ukraine müssen sein: ernsthafte Verhandlungen mit allen Beteiligten, eine Übergangsregierung ohne Janukowitsch, Neuwahlen. Es muss auch verhindert werden, dass dieses Land weiter gespalten wird. Die Oligarchen müssen entmachtet und Korruption muss bekämpft werden. Hier wollen wir und hier müssen wir der Ukraine helfen. Den vielen mutigen Menschen, die aktuell für Frieden, Freiheit und Demokratie in der Ukraine kämpfen, sollten wir von hier aus zurufen, dass sie durchhalten sollen, so friedlich wie möglich. Gerade wir Deutschen wissen, dass sich dieser Mut lohnen kann. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Manuel Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht leicht, hier zu reden. Im Internet ist von sieben Toten die Rede, die allein heute früh in Kiew zu beklagen sind. Es ist auch deswegen nicht leicht, weil man nicht weiß, wie es weitergeht, wenn die Mission des Weimarer Dreiecks, so wie es jetzt aussieht, erfolglos ist und die Minister wieder abreisen müssen. Es ist auch nicht leicht, vor dem Hintergrund der Ereignisse der Linkspartei heute zuzuhören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Ich habe Angst vor dem, was passiert. Ich habe Angst davor, dass es eine Lage geben könnte, in der Stabilität nicht schnell wiederherzustellen ist. Wer die Verantwortung dafür trägt, kann man klar benennen. Die Verantwortung zeigt sich auch darin, dass spätestens mit dem Einsatz zur Räumung des Maidan die Legitimität von Wiktor Janukowitsch in der Ukraine nicht mehr die ist, die sie vor drei Tagen noch war. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Glauben Sie wirklich, wenn Sie hier von Stabilität reden, dass man mit diesem Präsidenten noch in der Lage sein wird, Stabilität in der Ukraine wiederherzustellen? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Meine Damen und Herren, ich glaube, dass heute Berlin, Budapest, Posen, Stettin, Danzig, Leipzig und Vilnius auf Kiew schauen. Ich glaube, dass viele Menschen, die die Ereignisse in Zentraleuropa im 20. Jahrhundert miterlebt haben, heute auf Kiew schauen. Ich denke – mit Verlaub –, dass Ihre Einlassungen hier, so sehr auch ich Herrn Liebich beispielsweise schätze, damit zu erklären sind, aus welcher Tradition Ihre Partei kommt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Ich möchte aber auch sagen: Die Ukraine hat ein Recht darauf, auch von der deutschen Außenpolitik zuerst aus ihrer eigenen Perspektive betrachtet zu werden, mit ihren eigenen Interessen und mit ihrer eigenen Situation wahrgenommen zu werden. Die Ukraine hat ein Recht darauf, dass die deutsche Außenpolitik sagt: Wir stehen zu den Menschen, die sich für dieses Land einsetzen. Wir stehen zu denen, die seit Monaten friedlich auf dem Maidan bei klirrender Kälte für Demokratie, für Freiheit und auch für den Nationalstaat gekämpft haben. – Das müssen sich auch der deutsche Außenminister und die deutsche Kanzlerin zu sagen trauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man sich die Äußerungen der letzten Stunden und Tage anschaut – des polnischen Ministerpräsidenten, des Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei, des schwedischen Außenministers, der konservativen litauischen Präsidentin und auch Obamas –, glaube ich, dass hier vielleicht früher mehr Klarheit und Deutlichkeit gut gewesen wären. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem Befehl zur Räumung des Maidan ist, wie ich glaube, die Legitimität von Wiktor Janukowitsch nicht mehr gegeben. Mit der Entscheidung, den Maidan zu räumen, hat sich der Charakter des Vorgehens der ukrainischen Regierung verändert. Seitdem handelt es sich eher um eine Niederschlagung denn um einen Teil einer politischen Lösung. Wenn ich daran denke, wie meine Freunde in Lemberg empfinden, glaube ich, dass es nicht einfach möglich sein wird, Stabilität mit einer Rückkehr zum vorherigen Status wiederherzustellen. Deswegen gehört es doch zur Wahrheit dazu – das ist auch ein Beitrag zur Lösung der Situation –, zu sagen: Die Verantwortung für diese Desintegration des Staates Ukraine, die viele schreckliche Bilder erst möglich macht – Bilder, die keiner von uns gutheißt, auch wenn Sie uns das unterstellen –, trägt das Regime, da es diese Desintegration erst durch das Aussitzen und die fehlende Bereitschaft, zu einer politischen Lösung beizutragen, herbeigeführt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herrn Janukowitsch muss doch klar sein, wenn er denn noch derjenige ist, der dort das Sagen hat, dass er diese Legitimität nicht wieder herbeiführen kann, indem er einzig und allein eine Anlehnung an den Kreml versucht. Ich glaube sogar, vor dem Hintergrund des Einflusses, den der Kreml natürlich in der Ukraine geltend gemacht hat, wie wir in den letzten Monaten erleben konnten, ist es notwendig, dass auch die Europäische Union Einfluss geltend macht. Ich teile in dieser Hinsicht die Einschätzung, dass die Europäische Union nicht ein Mittler ist, der sozusagen neutral verhandeln kann. Aber Russland ist auch nicht ein Mittler, der neutral verhandeln kann. Was Sie letztlich vorschlagen, ist, (Stefan Liebich [DIE LINKE]: OSZE haben wir vorgeschlagen!) dass der russische Einfluss in der Ukraine bestehen bleiben soll, sich aber die Europäische Union und der Westen schön zurückhalten sollen. Das ist keine Lösung für die Ukraine. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist nicht richtig! Wir haben OSZE vorgeschlagen! Sie müssen auch zuhören! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Seien Sie mal ruhig! Sie haben allen Grund, ruhig zu sein! – Gegenruf des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das entscheiden Sie nicht!) Ich glaube, wir dürfen in dieser Situation eines nicht vergessen: Wer glaubt, dass die Ukraine jetzt wie im 20. Jahrhundert in einer Art Glacis sei, wo die Einflüsse der Nachbarn durch klare Grenzen eindeutig aufgeteilt werden könnten, der bewegt sich in der Logik des 20. Jahrhunderts. Das ist nicht meine Sicht auf die Ukraine, aber auch nicht auf Russland oder auf uns. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Sarrazin. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. – Ich glaube, wir müssen deutlich machen, dass die Reaktion darauf, dass diese Region im 20. Jahrhundert unter den schwersten Verbrechen gelitten hat, weil sie immer Objekt der Machtpolitik ihrer Nachbarn war, sein muss, dass wir dafür sorgen, dass die Menschen in der Ukraine selber entscheiden können. Den friedlichen Demonstranten, die seit Monaten auf dem Maidan für dieses Ziel einstehen, möchte ich von dieser Stelle aus sagen: Djakuju! Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Karl-Georg Wellmann ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gewalt in Kiew ist furchtbar. Eben wird gemeldet, dass vor dem Hotel „Ukraine“ die Leichen von sieben erschossenen Demonstranten liegen. Ich fürchte, das ist heute noch nicht das Ende. Wenn die Gespräche der Außenminister erfolglos verlaufen sind, dann wird das weitergehen. Gewalt ist keine Lösung und mit den Anforderungen der modernen Welt nicht kompatibel. Wir müssen Janukowitsch sagen: Diese Form von Gewalt bringt dich politisch ins europäische Mittelalter zurück. Es ist ausweglos. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Er muss wissen: Die Welt schaut auf Kiew. Ich möchte Sie mit einem sehr skandalösen Vorgang vertraut machen. Wir informieren uns vielfach über Webcams. Viele dieser Webcams sind in Deutschland gesperrt mit Hinweis darauf, dass die GEMA keine Rechte zur Nutzung erteilt habe. Ich habe mit der GEMA gesprochen. Sie sagt: Es ist nicht die GEMA, sondern es ist Google, das über YouTube diese Webcams sperrt. – Die Webcams sind ein ganz wichtiges Instrument für Transparenz. Sie sind wichtig dafür, dass sich die Welt informieren kann, dass sie zusehen kann, was dort passiert. Es kann nicht sein, dass die Amerikaner, die uns sonst so gerne über Menschenrechte belehren, nicht dafür sorgen, dass diese Webcams freigeschaltet werden. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Ich kann nur an die Bundesregierung appellieren, dass sie bei der amerikanischen Regierung interveniert, dass diese Webcams freigeschaltet werden. Das ist ganz wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wahr ist: Allein Sanktionen oder allein die Absetzung eines Präsidenten sind noch kein Konzept. Wir brauchen für die Ukraine ein umfassendes politisches und ökonomisches Konzept. Wahr ist auch: Wir werden nicht gegen Russland eine nachhaltige Lösung für die Ukraine zustande bringen. Die Russen haben allerdings kein erkennbares eigenes Konzept. Es reicht nicht, sich immer nur gegen eine imaginäre Verschwörung zu wenden und uns zu sagen: Mischt euch nicht ein! – Vielmehr müssen sie selbst Verantwortung wahrnehmen. Wenn Russland Teil des großen Europas sein will und mitreden will, muss es Verantwortung übernehmen und ein Konzept, wie es in der Ukraine weitergeht, mit uns besprechen; mit uns heißt: mit der EU, mit Deutschland, Polen, Frankreich und den anderen Ländern. Wir müssen Russland sagen: Wartet nicht, bis die ganze Ukraine in Flammen steht. Der Konflikt ist ja auch nicht im Sinne Russlands. Es würde ein gespaltenes Land übernehmen. Es müsste alles bezahlen; das tut es im Moment schon. Es gäbe keine eigene politische Struktur. Und es hätte weiter mit dieser ukrainischen Regierung zu tun. Auch die Politik Russlands ist ausweglos. Wir müssen Russland sagen: Kommt endlich an den Verhandlungstisch und sprecht mit uns, mit der EU, über konstruktive Konzepte. Die Krise hat vor allem politische Ursachen; das hat Norbert Röttgen schon gesagt. Wir brauchen endlich einen vertrauenswürdigen Ministerpräsidenten. Wir brauchen ein nationales Rettungsprogramm für die Ukraine. Wir brauchen deeskalierende Schritte. Janukowitsch muss dafür sorgen, dass die Spezialeinheit „Berkut“ zurück in die Kasernen kommt und wir nach und nach deeskalierende Schritte in Kiew durchführen können, (Beifall des Abg. Niels Annen [SPD]) am Ende auch die Räumung von Gebäuden und Barrikaden. Das Ziel aber ist der Verfassungsdialog. In der Ukraine muss ein öffentlicher Verfassungsdialog geführt werden, durch den die Defizite, die im Moment in der Verfassung bestehen, behoben werden. Dieser Verfassungsdialog muss demokratische Standards herbeiführen, mit denen die Ukraine eine echte Zukunftsperspektive in Europa hat. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Bernd Fabritius für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Nachrichten und die Bilder der letzten Tage, ja der letzten Minuten, machen zutiefst betroffen. Reuters meldet im Minutentakt weitere Opfer – Verletzte und Tote. Solche Bilder erinnern mich persönlich schmerzlich an Selbsterlebtes, und zwar an die Bilder aus Rumänien im Winter 1989. Es muss sich nicht alles wiederholen, wenn Menschen ihr Schicksal im Kampf um Demokratie und Selbstbestimmung in die eigenen Hände nehmen. Wir haben es hier mit einer schwerwiegenden Krise mitten in Europa zu tun, die sich inzwischen zu einem Bürgerkrieg entwickelt hat. Gestern erreichten uns erste Meldungen darüber, dass sich das Militär in der Ukraine auf eine Intervention vorbereite. Die humanitäre Lage ist prekär: Schulen sind geschlossen, der Nahverkehr steht still, die Krankenhäuser sind übervoll. Der polnische Ukraine-Vermittler Aleksander Kwasniewski spricht bereits von einem ukrainischen Tiananmen. Die tragische Zuspitzung der Lage in der Ukraine kann ich nur auf ein gezieltes unverantwortliches Vorgehen der aktuellen Regierung zurückführen. Präsident Janukowitsch gibt sich uneinsichtig und spricht von einem Staatsstreich. Zum Schein geht er noch am Wochenende auf die Opposition zu, um dann gezielt und geplant, also gar nicht kurzfristig – das wurde heute schon dargestellt –, volle Härte zu zeigen. Von Terrorabwehr ist plötzlich die Rede. Heute Nacht gab es nun ein Gewaltverzichtsabkommen. Die aktuellen Nachrichten zeigen allerdings, dass es nicht hält. Als verlässlicher Verhandlungspartner hat sich Janukowitsch in den letzten Monaten wahrlich nicht erwiesen – weder im Verhältnis zur Europäischen Union noch zur Opposition im eigenen Lande. Medien sprechen zwar von Provokationen, aber auch davon, dass die Demonstranten auf dem Maidan vielleicht „gezielte Störenfriede“ selbst im Griff hatten. Trotzdem räumt die Regierung diese Wirkungsplattform einer nach Demokratie schreienden Menschenmenge, steckt deren Zelte in Brand und schießt wild um sich. Mit Demokratie, mit Verständnis für die eigenen Bürger oder auch nur dem Wohl des eigenen Landes hat das wenig zu tun. Ich muss schon sagen: Dass man das in diesem Hohen Hause mit Rosa-Luxemburg-Zitaten hinterlegt, kann ich nicht verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Die Ukraine, meine Damen und Herren, scheint von Russland vor die Wahl gestellt zu werden, sich zwischen der eurasischen Zollunion Putins und einer Annäherung an die Europäische Union entscheiden zu müssen. Nicht anders können die Maßnahmen verstanden werden, die letztlich zum Aussetzen der Assoziierungsverhandlungen und zum Scheitern des Gipfels der Östlichen Partnerschaft in Vilnius geführt haben. Es kann aber auch nicht um ein Entweder-oder im Sinne Russlands gehen. Für die Ukraine erscheint dieser Konflikt schier unlösbar, wenn nicht alle Akteure einschließlich Russlands an einer friedlichen Lösung mitwirken. Die Ukraine und Russland sind eng verbunden. Kiew ist als altes Zentrum des ostslawischen Großreichs, der Kiewer Rus im 9. Jahrhundert, gleichsam die Wiege und Keimzelle russischer Staatlichkeit und daher Russland historisch nicht gleichgültig. Die Ukraine ist das wichtigste Bruderland. Sie ist damit Ausgangspunkt und als ehemalige Sowjetrepublik Wegbegleiter der gemeinsamen Geschichte. Sie ist aber auch ein Land mit einer zutiefst christlichen und in weiten Teilen proeuropäisch orientierten Bevölkerung, das einen europaorientierten sicherheitspolitischen Kurs und gute Kooperation mit der NATO pflegt. Es muss daher eine ukrainische Lösung im Sinne eines Sowohl-als-auch – selbstverständlich mit der von den Menschen in der Ukraine gewünschten deutlichen Annäherung an die Europäische Union – geben, die von einer breiten demokratischen Mehrheit getragen würde. Wie können wir dazu beitragen? Deutschland sollte gemeinsam mit den europäischen Partnern über bewährte Institutionen wie die OSZE und den Europarat den Konflikt positiv beeinflussen und hierbei auch Russland in die Pflicht nehmen. Sanktionen, die vornehmlich – das hat Herr Kollege Hahn zutreffend aufgezeigt – Regierung und Oligarchen und nicht etwa die Menschen in der Ukraine treffen sollen, sind dringend angezeigt. Vor allem vom heutigen Treffen der EU-Außenminister erhoffe ich mir ein klares Signal. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind schon wieder abgereist! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Die sind noch da!) Als zusätzliche Chance sehe ich die Einbindung unserer polnischen Freunde, die wir darin bestärken sollten, zur deutlichen Mäßigung in ihren Nachbarländern beizutragen. Unsere Außenminister, Frau Kollegin, sind nicht abgereist. N-tv berichtete gerade, dass sie noch miteinander sprechen. Nehmen Sie das als Zeichen einer hitzigen Situation. Wir brauchen vor allem eine schnelle und nachhaltige Lösung. Es hat oberste Priorität, weitere Opfer, egal auf welcher Seite, zu verhindern. An Zuständen wie in Syrien kann in Europa niemand Interesse haben: weder Russland noch die Ukraine und schon gar nicht die Europäische Union. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Fabritius, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratuliere, verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere Arbeit. (Beifall) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bekräftigung der Empfehlungen des Abschlussberichts des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode „Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund“ Drucksache 18/558 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Kollegen Clemens Binninger für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Clemens Binninger (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute erneut über Ergebnisse eines Untersuchungsausschusses debattieren und den dazu vorliegenden Antrag mit hoher Wahrscheinlichkeit einvernehmlich beschließen werden, ist keine Selbstverständlichkeit. Dass die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses ungekürzt in den Koalitionsvertrag übernommen wurden, ist auch keine Selbstverständlichkeit. Dafür bedanke ich mich noch einmal bei den Parteivorsitzenden; dies war ein wichtiges Zeichen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dass wir uns heute als 18. Deutscher Bundestag noch einmal mit den Ergebnissen befassen und die Empfehlungen beschließen und damit ein Zeichen für deren Umsetzung geben, ist ein ebenso wichtiger Punkt. Heute soll es nicht darum gehen, die Fehleranalyse noch einmal fortzusetzen. Heute soll der Startpunkt sein für die Umsetzung unserer Empfehlungen. Eines will ich aber vorwegschicken – das müssen wir uns immer wieder in Erinnerung rufen –: Dass es einem Verbrechertrio gelungen ist, über mehr als zehn Jahre hinweg in Deutschland 10 Morde, 2 Sprengstoffanschläge und 14 Banküberfälle zu begehen, ohne dass überhaupt jemand den Zusammenhang erkannt hat, ohne dass jemand diesem Trio auch nur ansatzweise auf die Spur gekommen wäre, war nicht nur eine Niederlage für die Sicherheitsbehörden. Es war mehr: Es war eine Niederlage für unsere Gesellschaft. Dies darf sich nicht wiederholen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir uns die Ursachen noch einmal vor Augen halten, dann kann man sie sehr komprimiert in fünf Punkten zusammenfassen: Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaften bei den Delikten, die die Ländergrenzen überschritten haben, war nicht optimal. Die föderale Sicherheitsarchitektur wurde sehr schnell an ihre Grenzen geführt. Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz war schlecht; man muss das in dieser Deutlichkeit sagen. Die Informationsweitergabe geschah nur bruchstückhaft, zu spät oder gar nicht. Das frühe Festlegen auf eine Ermittlungsrichtung bei diesen Delikten – es muss sich um organisierte Kriminalität handeln – und daran über fast zehn Jahre festzuhalten, war ein weiteres Problem. Der teilweise problembeladene Umgang mit den Opfern und den Familien der Opfer, der diese fast noch einmal zu Opfern gemacht hätte, war ein großer Kritikpunkt und darf sich nicht wiederholen. Wer Opfer eines schweren Verbrechens wird, darf nicht durch die Ermittlungen noch einmal zum Opfer werden. (Beifall im ganzen Hause) Auch der Einsatz der V-Leute war problematisch. Ich sage gleich dazu: Wir können auf dieses Instrument nicht verzichten. Aber so, wie dieser Einsatz im Bereich des Rechtsextremismus in diesen 15 Jahren ablief, standen Aufwand und Risiko, das man dabei eingeht, und Nutzen in keinem Verhältnis. Er hat nicht dazu beigetragen, diese Serie zu stoppen oder sie gar aufzuklären. Auch das ist eines der Probleme, die wir klar benennen müssen, damit so etwas nicht noch einmal vorkommt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Welche Empfehlungen sprechen wir aus? In dem Antrag, der uns heute hier vorliegt, sind insgesamt 50 genannt. Ich will nur auf ein paar wenige eingehen; ich gehe davon aus, dass die Kollegen nachher ganz gezielt bestimmte Punkte ansprechen werden. Wir sagen zum einen: Wir wollen an der föderalen Sicherheitsarchitektur festhalten. Aber wenn Ermittlungen über Ländergrenzen hinweg, in mehreren Bundesländern, geführt werden müssen, dann kann es nicht sein, dass fünf Polizeien, dass fünf Staatsanwaltschaften parallel zuständig sind und man am Ende ein Kunstgebilde erfinden muss, um die Ermittlungen abzustimmen. In solchen Fällen brauchen wir aufseiten der Polizei wie aufseiten der Justiz eine Stelle, die federführend ist und auch das Sagen hat; das ist eine der entscheidenden Veränderungen, die wir empfehlen. Wenn das umgesetzt wird, dann werden die Ermittlungen hier besser vorankommen. Ein weiterer Punkt. Wir brauchen einen besseren Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz unter Beachtung des Trennungsgebots. Ich weiß, dass das nicht einfach ist. Beim Verfassungsschutz unterliegen viele Informationen – nahezu alle – der Geheimhaltung. Aber es gibt Möglichkeiten, und bei Mordermittlungen, bei Kapitalverbrechen wäre dies auch in der Vergangenheit schön möglich gewesen. Der Austausch der Informationen muss hier besser werden. Ich glaube, dass wir mit der Einrichtung der Rechtsextremismusdatei, die wir schon in der letzten Legislaturperiode beschlossen haben, einen wichtigen Schritt gemacht haben. Das ist eine der Empfehlungen, die wir geben. Die Sicherheitsbehörden in unserem Land, die den Aufrag haben, gemeinsam für die Sicherheit der Menschen in diesem Land zu sorgen, müssen vom Gesetzgeber in die Lage versetzt werden, zusammenzuarbeiten und Informationen auszutauschen. Auch das ist ein wichtiger Punkt, den wir umsetzen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe es gesagt: Wir wollen das Instrument der V-Leute nicht abschaffen. Es gibt Szenen und Phänomenbereiche, die so abgeschottet sind, dass man ohne dieses Instrument gar keine Informationen bekommen würde. Dazu gehört aber auch: V-Leute sind keine Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden. Es sind Angehörige einer kriminellen oder extremistischen Szene, und das bleiben sie auch. Sie sind nur gegen Geld bereit, mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Deshalb braucht es hier klare Regeln, mit wem man zusammenarbeitet und mit wem nicht. Wenn man, wie hier geschehen, VLeute auswählt, die wegen versuchten Mordes verurteilt sind und sich dann selber als V-Mann bei einer Verfassungsschutzbehörde andienen, und über viele Jahre führt, dann überschreitet man im Rechtsstaat, wie ich finde, eine rote Linie. Auch das darf sich nicht wiederholen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]) Wir müssen aber auch Empfehlungen aussprechen, die über diesen Bereich hinausgehen. Wir alle haben diese Mordserie nicht erkannt, auch wir Fachpolitiker nicht. Ich gehöre seit 2002 dem Deutschen Bundestag an, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir uns im Innenausschuss vor dem Auffliegen des NSU jemals ausführlich mit dieser Mordserie befasst hätten. Auch wir haben es also nicht gesehen. Auch viele Journalisten, die vom Fach sind, haben diesen Zusammenhang nicht gesehen. Auch über den zu Recht zum Unwort des Jahres gewählten Begriff „Döner-Morde“ hat sich interessanterweise niemand empört, bevor der NSU aufgeflogen ist – dann zu Recht, aber vielleicht zu spät. Insofern gilt, dass die Empfehlungen nicht nur an die Sicherheitsbehörden gehen; sie gehen auch an uns, an die verantwortlichen Parlamentarier. Dies betrifft auch ein Feld, mit dem wir uns gerade befassen, auch ich in meiner neuen Funktion als Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums: Auch die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste muss reformiert werden, damit sie effektiver, zielgenauer und ergebnisorientierter durchgeführt werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) An wen richten sich diese Empfehlungen? Sie richten sich nicht nur an den Bundesinnenminister. Sie richten sich an den Bereich der Polizei, aber auch an den Bereich der Staatsanwaltschaften. Insofern ist auch der Bundesjustizminister gefordert. Ich finde es gut, Herr Maas, dass Sie hier heute kurz reden. Vielleicht durchbrechen Sie da die Tradition Ihrer Vorgängerin, die zwar gerne Vorschläge eingebracht hat, vorwiegend für andere Ressorts, aber hier eher selten gesprochen hat. Sollte es zu einer solchen Umkehr kommen, dann ist das ein guter Start, um zu Ergebnissen zu kommen. Aber nicht nur die Bundesbehörden, sondern auch die Behörden der Länder sind in hohem Maße betroffen. Deshalb müssen wir darauf setzen, dass auch die Länder unsere Empfehlungen beherzigen. Die Bundesratsbank ist heute zwar nur überschaubar gefüllt, trotzdem gilt die Botschaft: Ohne Reformen bei den Sicherheitsbehörden der Länder wird sich nur wenig verbessern. Wir haben es immer so gehandhabt, dass wir parteiübergreifend dort Kritik geäußert haben, wo sie notwendig war. Nun muss ich Kritik an der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg üben. Ich habe nicht den Eindruck, dass man den bestehenden Reformbedarf dort wirklich erkannt hat. Ich will das begründen. Innenminister Gall hat vor einigen Tagen seinen Bericht zur sogenannten Ermittlungsgruppe Umfeld vorgestellt. Es ging darum, Bezüge des NSU nach Baden-Württemberg aufzuklären. Ich will gleich hinzufügen: Ich kritisiere nicht die Arbeit der Beamten dieser Ermittlungsgruppe, die mit hohem Einsatz und trotz begrenzter Möglichkeiten das Beste daraus gemacht haben. In dem Bericht wird festgestellt – und das lässt aufhorchen –, dass von jenen Personen, die Kontakt zum NSU-Trio oder zu dessen Unterstützern hatten, 52 Personen – ich wiederhole: 52 Personen – Bezüge nach Baden-Württemberg haben. In keinem anderen Bundesland haben wir eine solche Häufung feststellen können. Schon allein aufgrund dieser Feststellung finde ich die Ergebnisse, die Herr Gall präsentiert, sehr mutig. Er legt sich sehr fest in Bezug darauf, was es alles angeblich nicht gibt. Es ist wenig Selbstkritik zu erkennen. Die Ergebnisse der EG Umfeld machen nur einen kleineren Teil des Berichts aus. Auf über 40, 50 Seiten setzt sich der Bericht mit den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses auseinander, relativiert diese, weist darauf hin, dass doch alles immer gut war und gut lief. Aber die Krönung für mich war – ich sage das, damit Sie sehen, warum ich ein bisschen enttäuscht und verärgert bin –: Auf Seite 102 des Berichtes von Herrn Gall – insgesamt umfasst er 150 Seiten – geht es um die Rolle des Gründers des Ku-Klux-Klans in Baden-Württemberg. Man muss bedenken, welche Rolle dieser Mensch sonst noch gespielt hat. Beim Verfassen des Berichtes war man sich der Sensibilität dieses Themas offenbar nicht bewusst. Man zitiert ernsthaft den Ku-Klux-Klan-Gründer und führt aus, dass auch er seine Rolle immer bestritten hat. Unterschwellig heißt das doch: Dann wird es wohl so gewesen sein. – Was ist das für ein Bericht zur Aufarbeitung der Vorgänge, wenn trotz der gewonnenen Erkenntnisse die Aussage des Ku-Klux-Klan-Gründers zitiert wird? Hier ist offenkundig mehr Aufklärung gefragt und nicht weniger. (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir waren kollegial immer eng beieinander. Liebe Kollegen der beiden angesprochenen Fraktionen, vielleicht haben Sie die Möglichkeit, darauf hinzuwirken, dass das eine oder andere noch nachgearbeitet wird. Ich wäre Ihnen wirklich sehr verbunden. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu kann der Bundesinnenminister beitragen!) Heute gilt es zu betonen, dass wir uns im Parlament einig darüber sind, was zu tun ist. Heute setzen wir den Startpunkt für die Umsetzung der Empfehlungen. Nicht bei allen Empfehlungen wird uns dies von heute auf morgen gelingen. Aber wir müssen dort Veränderungen vornehmen, wo sie dringend notwendig sind. Wir alle sind hier gefragt: der Bund, die Länder, aber auch wir im Parlament. Von dieser Debatte sollte das Signal ausgehen, dass Menschen, egal woher sie kommen, in unserem Land sicher und frei von Angst vor Verbrechen leben können, dass sie nicht fürchten müssen, dass sie aufgrund ihrer Herkunft oder Religion Opfer einer Straftat werden, und dass wir als Parlament alles dafür tun, dass die Bedingungen dafür geschaffen werden. Das ist ein Versprechen, das wir heute geben. An ihm müssen wir uns messen lassen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Petra Pau erhält nun das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Petra Pau (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Nazitrio namens NSU, Nationalsozialistischer Untergrund, war 13 Jahre lang raubend und mordend durch Deutschland gezogen. Nach dem 4. November 2011 flog es auf. Das allgemeine Entsetzen war groß, auch über die Ignoranz und Arroganz in Sicherheitsbehörden. Was lange ausgeblendet wurde, weil nicht sein sollte, was nicht sein darf, wurde manifest: Es gibt tödlichen Rechtsterrorismus in Deutschland, und es gibt Opfer – ebenfalls viel mehr, als bis dato eingestanden wurde. Vor allem ihnen gilt unser erstes Augenmerk. Der damalige Bundestag einigte sich fraktionsübergreifend auf einen Untersuchungsausschuss. Ich arbeitete für die Fraktion Die Linke mit. Am 2. September 2013 – der Kollege Binninger hat das eben schon vorgetragen – hatte derselbe Untersuchungsausschuss, wiederum fraktionsübergreifend, einen Abschlussbericht vorgelegt. Die Linke hatte ihm zugestimmt. Der Abschlussbericht enthält zugleich unsere weiter gehenden und auch abweichenden Positionen. Grundsätzlich sind das vor allem drei: Erstens halten wir die Ämter für Verfassungsschutz für nicht kontrollierbar und deshalb auch nicht für reformierbar. (Beifall bei der LINKEN) Sie waren Teil des NSU-Desasters. Wir sind der Auffassung, sie sollten deshalb als Geheimdienste aufgelöst werden. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens ist die staatliche Unterstützung für gesellschaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus völlig unzureichend. Wir brauchen folglich ein neues, ein anderes Fördersystem. Drittens muss der grassierende Rassismus in der Gesellschaft und institutionell endlich als akutes Problem anerkannt und politisch bekämpft werden. Ignoranz hilft da niemandem. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Militanter Rechtsextremismus hat außerdem eine internationale Dimension, auch für eine soziale und demokratische Europäische Union. Nationalismus und Rassismus töten die europäische Idee, und das will die Linke nicht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Mit dem Schlussbericht des Untersuchungsausschusses waren wir uns allesamt einig: Keiner der NSU-Morde und keiner der Anschläge ist schlüssig geklärt. Es bleiben viele Fragen. Wir haben ebenso beklagt, dass der Aufklärungswille in den meisten Bundesländern und Landesparlamenten zu wünschen übrig lässt. Es wird blockiert, übrigens ganz egal welche Parteifarben gerade regieren. Ich hatte zwar erwartet, dass Innenminister und auch Sicherheitsbehörden ein bisschen mauern. Ich gestehe – das diskutiere ich auch mit meinen Kolleginnen und Kollegen in den Ländern –: Dass aber Parlamentarier kneifen, finde ich schlimmer. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nun komme ich zu der Frage: Was ist seit dem Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages wahrnehmbar passiert? Dazu drei Beispiele: Erstens wurde die sogenannte Extremismusklausel, mit der Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus von Staats wegen kriminalisiert wurden, abgeschwächt. Das ist ein Anfang. Zweitens hat sich der Kölner Polizeipräsident bei den Betroffenen des NSU-Bombenanschlages anno 2004 in der Keupstraße dafür entschuldigt, dass sie im Zentrum der Ermittlungen standen. Ich sage: endlich! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Drittens. Die Bundesregierung hat seit 1990 knapp 60 Tote rechtsextremer Gewalt eingeräumt. Seriöse Recherchen registrieren 150 bis 180 Tote. Die Diskrepanz soll nun überprüft werden. Das ist überfällig. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles ist zu wenig. Niemand, keine Regierung, keine Behörde – weder im Bund noch in den Ländern –, war daran gehindert, die Schlussfolgerungen, die Empfehlungen aus dem Bericht des Untersuchungsausschusses umzusetzen. Dies geschah bislang kaum. Das verlängert das Desaster. Die Todesspur gewalttätiger Nazis geht übrigens quer durch die Bundesrepublik, West und Ost, Nord und Süd, und ist auch nicht auf das NSU-Netzwerk reduzierbar. In Sachsen-Anhalt begann diese Woche ein Prozess gegen gewalttätige Nazis. Sie hatten 2013 in Bernburg einen Imbiss überfallen, den Betreiber rassistisch beschimpft und halb totgeschlagen. Es waren Wiederholungstäter, vorbestraft und landesweit bekannt. Trotzdem tun sich Polizei und Justiz schwer damit, überhaupt ein politisches Motiv zu erkennen. Ich könnte ähnliche Fälle aus den vergangenen Monaten aufzählen: aus Bayern, Baden-Württemberg und immer wieder aus Sachsen. All das sind ernste Hinweise darauf, dass zu viele die Lektion NSU noch immer nicht gelernt haben, und das muss sich ändern. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine aktuelle Zahl möge die Brisanz des militanten Rechtsextremismus zusätzlich unterstreichen: Laut einer Antwort aus dem Bundesinnenministerium wurden in den Jahren von 2003 bis 2012 mindestens 1 794 Angriffe registriert, bei denen Nazis Waffen eingesetzt haben oder damit gedroht haben. Mit anderen Worten: Im statistischen Schnitt gibt es bundesweit jeden zweiten Tag eine bewaffnete Attacke durch Rechtsextremisten. Kurzum: Die Gefahr ist nicht gebannt. Sie ist ungebrochen hoch. Auch deshalb dürfen wir das Kapitel NSU nicht schließen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In diesem Zusammenhang: Behauptungen aus Sicherheitsbehörden, die ich gelegentlich höre, der Ermittlungsdruck habe die militante Naziszene eingeschüchtert, sind schlicht falsch. Im Gegenteil: Die NPD und die autonome Naziszene machen in Wort und Tat bundesweit mobil, vor allem gegen Menschen in Not, gegen Flüchtlinge und Asylsuchende, wie in den Pogromjahren 1991 und 1992. Daher sollten wir, sollten alle demokratischen Parteien alles vermeiden, was von diesen Nazis und Rassisten als aufmunternd verstanden werden könnte. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch deshalb müssen die 50 Schlussfolgerungen aus dem Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses endlich umgesetzt werden. Das wird im aktuellen Antrag gefordert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es drängt. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Eva Högl hat nun das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sehr gut, dass wir heute Morgen hier zusammenkommen, um noch einmal die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses mit Nachdruck zu bekräftigen. Ich bedanke mich bei allen, die hier im Deutschen Bundestag an dieser Debatte teilnehmen, und bei allen, die diese wichtige Debatte verfolgen. Herr Präsident, wir setzen damit eine Anregung von Ihnen um. Denn Sie waren es, der uns am Ende der letzten Legislaturperiode im Kreise der Obleute, die wir uns bei Ihnen versammelt hatten, empfohlen hat, zu Beginn der neuen Legislaturperiode, wenn wir dem Deutschen Bundestag wieder angehören, die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses noch einmal auf unsere Tagesordnung zu setzen und damit diesen neuen Deutschen Bundestag zu verpflichten, die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen. Das machen wir heute. Es ist ein ganz starkes, gutes und wichtiges Signal, dass wir dies verabredet haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Große Koalition hat verabredet – ich begrüße ganz ausdrücklich, dass uns dies gelungen ist –, alle Empfehlungen des Untersuchungsausschusses umzusetzen. Dort, wo der Bund betroffen ist, werden wir das zügig und engagiert machen. Dort, wo die Länder betroffen sind – das sind zahlreiche Empfehlungen –, werden wir das in einem konstruktiven Dialog mit den Bundesländern – wir können ihnen nichts vorschreiben, aber wir können Dinge anregen – gemeinsam auf den Weg bringen. Es sind mittlerweile mehr als zwei Jahre vergangen, seit wir den NSU und die fürchterlichen Zusammenhänge entdeckt haben. Es ist in diesen zwei Jahren schon einiges geschehen; das ist gut. Es bleibt aber noch ganz viel zu tun. Darum soll es hier heute in unserer Debatte gehen. Ich möchte gleich zu Beginn sagen, dass eines geschafft wurde – dafür sage ich ganz herzlich Danke in Richtung der Bundesregierung, und zwar der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig und dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière –: Es wurde, quasi als erste Amtshandlung, gemeinsam die Extremismusklausel abgeschafft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr de Maizière, schütteln Sie nicht mit dem Kopf. Das war ein starkes Signal. Es ist für alle Verbände und Initiativen in unserem Land, die sich gegen Rechtsextremismus und für unsere Demokratie engagieren, sehr wichtig, dass diese Klausel verschwunden ist und durch eine andere Erklärung ersetzt wurde. Ich begrüße das ganz ausdrücklich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch die Bundesländer haben schon einiges auf den Weg gebracht. Ich nenne nur wenige exemplarisch – niemand möge beleidigt sein, wenn sein Bundesland nicht genannt wird –: Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen reformieren den Verfassungsschutz ganz engagiert. Hier in Berlin steht eine Reform der Polizei auf der Tagesordnung. Ich sage auch etwas zu Baden-Württemberg – Clemens Binninger hat zu Recht kritisiert, dass die Aufarbeitung dort etwas schleppend verlaufen ist –: Gerade in Baden-Württemberg haben wir viele Verbindungen gefunden. Es gibt dort eine sehr vernetzte rechtsextreme Szene. Natürlich hat der Mord an Michèle Kiesewetter in Heilbronn viele Fragen aufgeworfen, die weit davon entfernt sind, aufgeklärt zu sein. Aber ich möchte auch sagen: Ich begrüße ganz ausdrücklich, dass jetzt beschlossen wurde, dass sich eine Enquete-Kommission bzw. ein Sonderausschuss des Landtags – ähnlich einem Untersuchungsausschuss, wollen wir einmal sagen – die ganzen offenen Fragen noch einmal vornimmt und sie aufarbeitet. Wir sollten Baden-Württemberg von dieser Stelle aus auf jeden Fall dafür danken, dass es in dieser Richtung weitermacht, und diese Bemühungen ganz tatkräftig unterstützen, damit vielleicht auch dort noch die eine oder andere offengebliebene Frage geklärt werden kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zwei Themen möchte ich ganz kurz ansprechen: Verfassungsschutz und Polizei. Es ist so, dass wahrscheinlich – jetzt benutze ich einen Superlativ – am meisten Vertrauen beim Verfassungsschutz erschüttert wurde. Auch zwischen den Fraktionen gibt es die größten Unterschiede, was den Verfassungsschutz angeht. Der Verfassungsschutz ist also ein wichtiges Thema. Wir als SPD sagen ganz klar: Wir brauchen einen Verfassungsschutz; wir brauchen auch V-Leute. Aber wir wissen auch – deswegen müssen wir ihn ganz grundlegend reformieren –: Ein Verfassungsschutz kann nur dann erfolgreich arbeiten, wenn er das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger hat. Ein Verfassungsschutz braucht einen festen Platz in unserer Demokratie. Ich werbe deshalb von dieser Stelle aus bei allen, die mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten und mit den Reformen befasst sind, dafür, mehr Kontrolle bzw. parlamentarische Kontrolle nicht als Misstrauen zu verstehen, sondern als richtige Konsequenz aus dem, was wir im NSU-Untersuchungsausschuss aufgeklärt und herausgearbeitet haben, nämlich sich selbst an die Spitze der Bewegung zu setzen und den Verfassungsschutz grundlegend zu reformieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich werbe von dieser Stelle aus auch ganz ausdrücklich bei der Polizei, bei allen, die bei der Polizei arbeiten, dort Verantwortung tragen und mit der Arbeitsweise der Polizei befasst und mit den Reformen betraut sind, dafür, auf unsere Empfehlungen nicht reflexartig nach dem Motto zu reagieren: Bei uns gibt es keine Vorurteile; bei uns gibt es keine institutionelle Diskriminierung. Wir haben partei- und fraktionsübergreifend feststellen müssen – das war eine bittere Erkenntnis –: Wenn die Opfer andere Opfer gewesen wären, wäre anders ermittelt worden. Das war, wie gesagt, eine ganz bittere Erkenntnis. Deswegen sagen wir gemeinsam – wir drücken das unterschiedlich aus –: Es gab institutionelle Diskriminierung. Sie war in Teilen rassistisch motiviert; man muss das so deutlich ausdrücken. Ich bitte diejenigen, die uns kritisieren, weil wir das ihrer Meinung nach nicht deutlich genug ausdrücken, und sagen: „Das war institutioneller Rassismus“, uns nicht unter Druck zu setzen. Ich bitte die Verantwortlichen bei der Polizei, die Fehler nicht zu negieren, sondern zu sagen: Ja, es ist etwas schiefgelaufen. Der Untersuchungsausschuss hat das herausgearbeitet. Wir müssen alle gemeinsam aus diesen Fehlern lernen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eine allerletzte Bemerkung, meine Damen und Herren. Es darf nie wieder passieren, dass, wie in Hoyerswerda geschehen, ein junges Paar, das sich aktiv gegen Rechtsextremismus engagiert, von der Polizei gesagt bekommt: Wir können euch nicht schützen; ihr müsst bitte wegziehen. – Das darf es nie wieder geben in unserem Land! (Beifall im ganzen Hause) Wir müssen die Polizei so stark machen, dass sie alle Bürgerinnen und Bürger schützen kann. Wir müssen an der Seite aller Bürgerinnen und Bürger stehen und es alle gemeinsam als unsere Aufgabe betrachten, uns überall, an jeder Stelle, zu jedem Zeitpunkt gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Deswegen darf der Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses nicht in einer Schublade verschwinden, sondern muss für uns eine Handlungsempfehlung sein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Christian Ströbele das Wort. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße ganz besonders die Vertreterinnen und Vertreter der Amadeu-Antonio-Stiftung und der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt hier im Raume; ich freue mich, dass Sie unserer Diskussion heute folgen wollen. (Beifall im ganzen Hause) In dieser Debatte geht es um den Bericht des Untersuchungsausschusses. Wenn ich mich mit den Vorgängen um den NSU beschäftige, bin ich noch immer empört und fassungslos. Ich habe versucht, Erklärungen dafür zu finden, warum die Sicherheitsbehörden in Deutschland – Verfassungsschutz und Polizei – bundesweit mehr als zehn Jahre lang, so unendlich lange, so dramatisch versagt haben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt leider!) – Leider. – Wir haben nicht den einen Grund dafür feststellen können; aber wir haben eine ganze Reihe von Gründen gefunden, die immer wieder eine Rolle gespielt haben – ich will einige davon aufzählen –: bürokratische Ignoranz, so nach dem Motto „Sind wir überhaupt zuständig?“, Inkompetenz, Konkurrenzdenken, Vorurteile, aber auch das Selbstverständnis des Verfassungsschutzes: „Wir sind doch nicht zur Unterstützung der Polizei da! Wir sind doch eine eigene Polizei. Was mischen die sich hier ein? Wir sind ein eigener Sicherheitsbereich. “ Wir haben auch in Teilen der Sicherheitsbehörden – nicht überall, aber in Teilen; das muss man so sagen – institutionellen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gefunden. Der Fall ist mit dem Aufdecken des skandalösen Versagens der Sicherheitsbehörden nicht beendet. Gestern hat mich ein Journalist vom MDR angesprochen – ich glaube, Sie auch, Herr Binninger –, weil man herausbekommen hat, dass Uwe Böhnhardts Handy drei Wochen nachdem er untergetaucht war abgehört worden ist. Wir fragen uns: Warum eigentlich nur für knapp einen Monat? Über dieses Handy hat sich eine ganze Reihe von Personen bei ihm gemeldet, die alle zum NSU-Umfeld gehören; einer von ihnen sitzt inzwischen beim Oberlandesgericht München auf der Anklagebank. Diese Maßnahme ist dann abgebrochen worden. Am selben Tag, als sie abgebrochen wurde, sind die Aufnahmen gelöscht worden. Keiner weiß, warum. Die Aufnahmen sind jedenfalls nicht ausgewertet worden. Gegen die Personen, die man identifizieren konnte, ist nichts unternommen worden. – Da fragt man sich, wie so etwas kommt. In solchen Situationen fällt es mir schwer, an das Zusammentreffen so vieler Zufälle zu glauben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Wir haben der Öffentlichkeit in Deutschland und insbesondere den Angehörigen der Opfer versprochen, möglichst alles aufzuklären. Wir waren uns beim Verfassen des Untersuchungsausschussberichtes natürlich einig, dass wir damit nicht alles aufgeklärt haben. Ein Teil muss jetzt beim Oberlandesgericht München weiter aufgeklärt werden. Wenn ich solche Sachverhalte erfahre wie gestern, dann weiß ich, dass auch wir Abgeordnete weiter aufklären müssen, und das verspreche ich auch der Öffentlichkeit. Dafür brauchen wir nicht gleich einen neuen Untersuchungsausschuss, sondern das können wir im Innenausschuss und müssen wir im Parlamentarischen Kontrollgremium tun. Und um diese Aufklärung müssen sich auch die Bundesregierung und die Länderregierungen kümmern. Deshalb sollten wir einfordern, dass auf der Tagesordnung unserer parlamentarischen Institutionen regelmäßig Berichte zur Entwicklung des Rechtsextremismus – vor allen Dingen des gewaltbereiten und gewalttätigen Rechtsextremismus – in Deutschland stehen, in denen es um folgende Fragen geht: Was machen die da? Was machen V-Leute da? Inwieweit sind V-Leute in solche Taten möglicherweise verwickelt? Welche V-Leute hat man da überhaupt angestellt? In den neuesten Veröffentlichungen aus Berlin und Thüringen tauchen immer neue V-Leute auf, die im Umfeld des NSU-Trios tätig gewesen sind. Der Verdacht erhärtet sich, dass sie eine größere Rolle gespielt haben als nur die, ihren V-Leute-Führern hin und wieder einen Tipp zu geben. Was haben sie dazu beigetragen, dass dieses NSU-Trio so lange verborgen bleiben konnte? Haben sie nicht zumindest bei den Behörden, denen sie berichtet haben, die Gewissheit gefördert, die gewaltbereite rechtsextreme Szene im Griff zu haben, weil sie dort ja ihre V-Leute eingesetzt haben? Dabei wurde allerdings übersehen, dass diese nie etwas berichtet haben, was zur Aufdeckung der Zusammenhänge oder gar zur Festnahme dieses Trios geführt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist der Einsatz von V-Leuten im rechten Bereich nicht zu vertreten. Sie kosten nicht nur viel Geld, sondern sie schaden auch mehr, als sie nützen, weil sie eine Sicherheit vortäuschen, die letztlich gar nicht gegeben ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grünen haben in einem Sondervotum eine ganze Reihe von Punkten aufgelistet, um die sich die Behörden zusätzlich kümmern müssen. In Bezug auf den Verfassungsschutz sind wir anderer Auffassung als die Mehrheit. Das will ich hier jetzt im Einzelnen nicht mehr darlegen. Ich erwarte nun, ein halbes Jahr nach der Vorlage des Berichtes, vom Bundesinnenminister, dass er uns von ersten Maßnahmen und auch darüber berichtet, was im Innenministerium geschehen ist, um solches Versagen in Zukunft zu verhindern. Ich erwarte auch, dass wir – nicht nur, weil wir es den Angehörigen der Opfer versprochen haben, sondern auch, weil wir es uns selbst und unserer Gesellschaft schuldig sind – alles tun, um aufzuklären und solches Versagen mit solchen entsetzlichen Folgen in Zukunft zu verhindern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat Herr Bundesinnenminister Dr. de Maizière das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Mordtaten der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ bleiben, wie wir gehört haben, für uns alle, für den Deutschen Bundestag und für die Bundesregierung, Mahnung, Warnung und Auftrag. Aus Hass und Verachtung haben die Täter das Leben von zehn Menschen zerstört und noch mehr Menschenleben gefährdet. Sie haben unendliches Leid über die Familien der Opfer gebracht. Die Täter hatten aber auch zum Ziel, in ganz Deutschland Terror und Unsicherheit zu stiften und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu erschüttern. Dieser Zusammenhalt beruht ganz wesentlich auf dem Respekt vor der Würde des jeweils anderen. So hat es auch Eingang in unsere Verfassung gefunden: Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar. – Das unterstreicht unsere Verantwortung. Viele haben es schon gesagt: Wir müssen alles dafür tun, dass jede und jeder in unserem Land sicher leben kann, in dem Vertrauen, Teil einer freien und toleranten Gesellschaft zu sein, ohne Diskriminierung und ohne jede Zurücksetzung. Das gilt selbstverständlich auch für Flüchtlinge und Asylbewerber, unabhängig davon, welche Staatsbürgerschaft sie haben, und sogar unabhängig davon, ob sie sich hier legal oder illegal aufhalten. (Beifall im ganzen Hause) Deshalb ist schon die Verhinderung und Bekämpfung extremistischer Ideologien und erst recht der daraus erwachsenen Straftaten eine der Kernaufgaben der Bundesregierung. Aber nicht nur in den Regierungen, in den Parlamenten und in der Justiz, sondern auch in der Bevölkerung muss diese Verantwortung tief verankert sein. Die Zivilgesellschaft in Deutschland, die Gesellschaft freier Bürger, muss stark und selbstbewusst sein, damit sich Hass und menschenverachtendes Gedankengut bei uns gar nicht erst entwickeln und verbreiten können. Es wäre falsch, diese Aufgabe den Sicherheitsbehörden alleine zu überlassen. Ich bin überzeugt: Nur wenn wir als Bürgergesellschaft und als wehrhafte Demokraten zusammenstehen, um Toleranz, Vielfalt und friedliches Zusammenleben in unserem Land zu schützen, wird dies eine nachhaltige Wirkung haben, und zwar nicht nur in Not- und Krisenzeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Högl hat ein schönes Beispiel aus Hoyerswerda genannt. Der Schutz von Menschen, die dort leben und die sich in ihrer Umgebung nicht mehr sicher fühlen, darf nicht alleine der Polizei überlassen werden, sondern dies ist eine Aufgabe für die Gesellschaft der Bürgerinnen und Bürger von Hoyerswerda, von Sachsen und von ganz Deutschland. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung wird aus den Verbrechen der NSU wichtige Lehren für die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden ziehen. Hier sind Fehler offenbar geworden, die der Untersuchungsausschuss eingehend analysiert hat. Ich möchte erneut dem Untersuchungsausschuss, aber auch den Mitarbeitern des Untersuchungsausschusses für ihre fraktionsübergreifende Arbeit herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch dem Vorsitzenden!) Ich finde es auch großartig, dass bei dieser Debatte die Fraktionsvorsitzenden fast aller Fraktionen außer der der Linken da sind. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Dafür ist die Parteivorsitzende da!) Der Untersuchungsausschuss stellte eine Reihe von Versäumnissen und Organisationsmängeln bei den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden fest, des Bundes und der Länder. Festgestellt – das wurde hier schon gesagt; ich will es mit meinen Worten formulieren – wurde auch eine Art Gleichgültigkeit oder ein Mangel an Empathie mit Opfern und Angehörigen. In diesem Untersuchungsausschuss fiel in diesem Zusammenhang ein sehr schöner Begriff: eine unzureichende Arbeitskultur. Wir müssen im Bund und in den Ländern dafür sorgen, dass künftig Ermittlungen nicht eindimensional geführt werden, Menschen nicht vorschnell verdächtigt werden und Hassmotive bei Straftaten systematischer untersucht und aufgeklärt werden. Die Analysekompetenz muss verbessert werden. Zu alledem hat der NSU-Untersuchungsausschuss einen umfassenden Bericht mit 50 sehr konkreten Empfehlungen verfasst. Diese Empfehlungen richten sich – das ist vielleicht in der Debatte ein bisschen zu kurz gekommen – nicht nur an Polizei, Justiz und Verfassungsschutz in Bund und Ländern. Vielmehr richten sie sich auch an die Gesellschaft. Sie richten sich auch an uns, was die Verstetigung der Programme zur Stärkung der Demokratie betrifft – dazu sage ich gleich ein Wort – und die bessere Einbindung der Zivilgesellschaft in die Konzeption dieser Programme. Diese Empfehlungen sind für die Bundesregierung, nicht nur weil es im Koalitionsvertrag steht, Richtschnur für die Zukunft. Frau Kollegin Pau, ich weiß, es gab ein Minderheitenvotum Ihrer Fraktion, was die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden angeht. Aber wenn man gut und frühzeitig gegen Tendenzen gegen unsere Verfassung vorgehen will, lange bevor Straftaten verübt werden, dann braucht man einen besseren Verfassungsschutz, nicht die Abschaffung des Verfassungsschutzes. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Kollege Maas und ich werden dem Bundeskabinett einen Bericht vorlegen, in dem umfassend beschrieben wird, wie es um die Umsetzung der Empfehlungen steht. Dieser Bericht, Herr Kollege Ströbele, wird dem Bundeskabinett in der nächsten Woche vorgelegt (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) und dann auch dem Parlament zugeleitet. Heute reicht meine Redezeit nicht aus, um die einzelnen Umsetzungsschritte vorzutragen. Der Bericht zeigt, dass die Bundesregierung unmittelbar nach der Aufdeckung der Mordserie erste umfassende Maßnahmen getroffen und Konsequenzen gezogen hat. Diese reichen von der nachrichtendienstlichen Früherkennung bis zur Strafverfolgung; auf die Datei hat Herr Binninger schon hingewiesen. Diese Maßnahmen umfassen die Verbesserung der internen Abläufe wie auch strukturelle Verbesserungen bei der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. In dem Bericht werden auch die Maßnahmen beschrieben, die zur Förderung der Demokratie und zur Stärkung der Zivilgesellschaft bereits getroffen wurden. All dies stellt eine gute Grundlage dar, um den begonnenen Reformprozess in enger Zusammenarbeit mit den Ländern fortzusetzen. Für die Umsetzung der Empfehlungen werden wir auch gesetzliche Änderungen brauchen. Wir bereiten zurzeit eine Novellierung des Gesetzes über das Bundesamt für Verfassungsschutz vor. Ziel ist eine effizientere Abstimmung und Arbeitsteilung mit dem Verfassungsschutzverbund. Es geht auch um eine bessere Analysefähigkeit im Bundesamt für Verfassungsschutz selbst. Das wollen wir, und wir können es nur erreichen – so hat es der Untersuchungsausschuss gesagt –, wenn wir das Bundesamt für Verfassungsschutz als eine Zentralstelle sowie seine Rolle bei der Koordinierung der Verfassungsschutzbehörden der Länder stärken. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Das werden wir frühzeitig mit den Ländern besprechen und mit ihnen – und nicht gegen sie – umsetzen. Aber dass es so bleibt, wie es jetzt ist, wird keine Lösung sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte um Ihrer aller tatkräftige Unterstützung bitten, auch der Innenminister der Union und der SPD, damit wir diese Reformbemühungen erfolgreich umsetzen können. Andere Aufgaben, insbesondere der Wandel – ich nenne noch einmal den Begriff der Arbeitskultur – der Sicherheitsbehörden, werden sicher länger brauchen. Hierbei geht es um Führung, um Sensibilität, um offene Augen ohne Vorurteile. Ich bin zuversichtlich, dass die angestoßenen Veränderungen das Problembewusstsein der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Führungskräfte nachhaltig schärfen. Letztlich werden wir die Probleme nur gemeinsam mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Maßnahmen eindämmen können. Dazu gehört auch Förderung. Dazu gehören auch die Angebote, die die Bundesregierung in verschiedenen Ressorts in einem ganzheitlichen Ansatz denjenigen unterbreitet, die sich für unsere offene und demokratische Gesellschaft engagieren. Frau Högl, Sie haben gesagt, die Extremismusklausel sei abgeschafft worden. Dabei habe ich ein bisschen mit dem Kopf gewackelt. Denn zur vollen Wahrheit gehört, dass wir zwar die Erklärung, die die Antragsteller unterschreiben mussten, abgeschafft haben, aber zugleich in die Förderbescheide eine Nebenbestimmung aufnehmen: die Bedingung, dass sie alles dafür tun, dass mit staatlichem Geld keine Extremisten gefördert werden. Frau Kollegin Schwesig und ich haben exakt das in einer gemeinsamen Presseerklärung unterstrichen. Wir wollen nicht, dass mit staatlichem Steuergeld Extremisten von rechts oder links gefördert werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist gut!) Deswegen war Ihr Satz zwar richtig, aber nicht ganz vollständig. Das musste ich auch für unsere Seite noch einmal erklären. Meine Damen und Herren, die Vergangenheit ist hinreichend aufgeklärt. Die Geschehnisse sind analysiert. Wir müssen jetzt nach vorne blicken und Konsequenzen ziehen. Darin sind wir uns einig. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns dabei alles in allem auf einem guten Weg befinden, alles zu tun, damit sich eine solche Mordserie nicht wiederholt, damit Hass in unserem Land keine Chance hat, und alles zu tun, was den Zusammenhalt unseres Landes stärkt. Das ist das Mindeste, was wir den Opfern dieser Mordserie schuldig bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat Martina Renner als nächste Rednerin das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Martina Renner (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen Abgeordnete! Es geht darum, ein Versprechen einzulösen, das Politik und Regierung gegeben haben: restlose Aufklärung im NSU-Komplex. Denn für die Angehörigen der vom NSU Ermordeten und die Verletzten der Sprengstoffanschläge gilt noch immer, was Aysen Tasköprü im Februar 2013 an Bundespräsident Gauck geschrieben hat. Sie schrieb: „Alles, was ich noch möchte, sind Antworten.“ Wenn wir heute über Konsequenzen und Schlussfolgerungen aus dem Untersuchungsausschuss sprechen, dann müssen wir nicht nur zu den Vorschlägen Bilanz ziehen, die von allen Fraktionen gemeinsam unterbreitet wurden und auf deren vollständiger Umsetzung wir bis heute harren. Wir müssen auch über schmerzhafte Erkenntnisse sprechen, die viele von uns in den letzten zweieinhalb Jahren gewonnen haben. Ich war Mitglied des Thüringer Untersuchungsausschusses. Ich bin unzufrieden, dass wir bis heute nicht wissen, warum die Fahndung nach dem mutmaßlichen Kerntrio des NSU seit 1998 erfolglos blieb. Ich bin unzufrieden, dass wir noch immer nicht wissen, was das Motiv für die Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn war. Ich bin unzufrieden, dass wir noch immer nicht wissen, welche Rolle die V-Leute im NSU-Unterstützernetzwerk tatsächlich innehatten und was am 4. November 2011 in Eisenach tatsächlich geschah. Aber meine offenen Fragen sind nichts gegen das nicht eingelöste Versprechen auf Aufklärung, wie es die Angehörigen der durch den NSU Ermordeten beklagen, und die mangelnde Bereitschaft, über Rassismus zu sprechen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will anhand von drei aktuellen Beispielen meine Zweifel zum Ausdruck bringen, ob wir wirklich alles, aber auch alles unternehmen, damit menschenverachtende Einstellungen, Rassismus und daraus folgende Gewalttaten zurückgedrängt werden. Erstens. Ich erwarte beim Thema Neonazigewalt endlich eine neue Ermittlungskultur der Polizei. Wenn wie vorletztes Wochenende in Thüringen 15 bis 20 Neonazis eine Veranstaltung im Gemeindesaal von Ballstädt überfallen und ein Dutzend Menschen zum Teil schwer verletzen, dann will ich keine Erstmeldungen mehr lesen, in denen zielgerichtete, organisierte Neonaziangriffe als Kirmesschlägerei unter Alkoholeinfluss verharmlost und entpolitisiert werden. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens. Ich erwarte auch von den Staatsanwaltschaften ein anderes Umgehen mit der tödlichen Dimension neonazistischer Gewalt. Ende April beginnt vor dem Landgericht Kempten der Prozess gegen mehrere Thüringer Neonazis, die im Sommer 2013 einen 34-jährigen Mann aus Kasachstan auf einem Volksfest in Kaufbeuren zu Tode geprügelt haben sollen. Einer der Tatverdächtigen hatte die Opfer des NSU im sozialen Netzwerk Facebook verhöhnt. Die Staatsanwaltschaft Kempten ist sich schon vor Prozessbeginn sicher, dass kein ausländerfeindliches, rassistisches oder rechtsextremes Motiv vorliegt. Da fühle ich mich an die Justizakten der 90er-Jahre zu schweren Neonazigewalttaten erinnert, die wir alle gelesen und kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen haben. So etwas darf sich nie wieder wiederholen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drittens. Und die Politik? Das Innenministerium in Stuttgart hat gerade einen Bericht vorgelegt; ich muss den Titel nicht wiederholen, da ihn Herr Binninger bereits genannt hat. Darin wird jede rassistische Ermittlungspraxis gegen Angehörige der Roma-Minderheit nach dem Mord an Michèle Kiesewetter in Heilbronn klipp und klar geleugnet. Das ist Reinwaschen in Reinkultur. Von der geforderten neuen Fehlerkultur keine Spur! Auch das müssen wir klar benennen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kurzum: Das Aufklärungsversprechen von Bundeskanzlerin Merkel treibt mich und, wie ich gesehen habe, auch viele Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus weiter um. Wir alle unterliegen sicherlich parteipolitischen Zwängen. Aber wir werden so lange weiterfragen – das versprechen wir –, notfalls jahrelang, bis sich etwas ändert und Aysen Tasköprü endlich Antworten hat. Danke. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat der Bundesjustizminister Heiko Maas das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die schrecklichen Verbrechen des NSU sind uns mittlerweile seit mehr als zwei Jahren bekannt. All das, was dort geschehen ist, muss uns nach wie vor mit doppelter Scham erfüllen, zum einen Scham darüber, dass in Deutschland wieder Menschen wegen ihres Glaubens und ihrer Herkunft planvoll ermordet wurden, und zum anderen Scham deshalb, weil der Staat und die Behörden fast 14 Jahre nicht in der Lage waren, diese Taten zu erkennen, aufzuklären und vor allem zu verhindern. Das unsägliche Leid, das die Terroristen des NSU angerichtet haben, kann niemand wiedergutmachen. Aber wir haben die Pflicht, gemeinsam dafür zu sorgen, dass sich solche Taten nie wieder wiederholen. Nie wieder dürfen Justiz und Polizei blind sein gegenüber rassistischen und fremdenfeindlichen Motiven. Nie wieder dürfen bei der Aufklärung terroristischer Gewalt die Erfahrungen des Generalbundesanwalts ungenutzt bleiben. Und nie wieder dürfen Verbrecher von unklaren Zuständigkeiten bei der Justiz profitieren. Das ist Auftrag aus den Empfehlungen des Untersuchungsausschusses zum NSU. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages hat viele konkrete Empfehlungen erarbeitet. Lassen Sie mich das einmal sagen als einer, der damals die Arbeit von außen beobachtet hat. Nicht nur die Aufklärungsarbeit des Bundestages in diesem Zusammenhang hat Maßstäbe gesetzt; auch die Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen, die gegeben worden sind, sind wegweisend. Deshalb wollen wir diese auch umsetzen. Wir wollen die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts erweitern und sicherstellen, dass er zukünftig frühzeitig eingeschaltet wird, wenn es um rassistische oder fremdenfeindliche Taten geht. Herr Binninger, mein Ministerium wird hierzu noch vor Ostern einen Gesetzentwurf vorlegen. Also, ich fordere mich hier nur selber zum Handeln auf und nicht andere. Damit dokumentiere ich, dass uns die Ergebnisse dieses Ausschusses wichtig sind und wir sie sehr schnell umsetzen wollen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In dem Entwurf soll Folgendes geregelt sein: Erstens. Der Generalbundesanwalt soll künftig immer dann die Ermittlungen an sich ziehen können, wenn objektiv ein besonders bedeutendes Staatsschutzdelikt vorliegt. Die subjektive Seite, die Motive der Täter bleiben einstweilen außen vor; denn die sind zu Beginn der Ermittlungen oft noch gar nicht bekannt. Zweitens. Wenn die Staatsanwaltschaften der Länder Anzeichen dafür haben, dass der Generalbundesanwalt für einen Fall zuständig sein könnte, dann müssen sie den Generalbundesanwalt in Zukunft unverzüglich informieren. Das wollen wir im Gesetz klarstellen, und damit wollen wir vor allen Dingen erreichen, dass die Experten vom Generalbundesanwalt frühzeitig in die laufenden Ermittlungen eingebunden werden können und ihre Erfahrung dort genutzt werden kann. Drittens. Der Generalbundesanwalt soll – das halte ich für ganz wesentlich – zukünftig auch Streitigkeiten über die Zuständigkeiten – das ist eines der Probleme in diesem Zusammenhang gewesen – entscheiden können. Wenn es, wie im Fall des NSU, mehrere Taten in verschiedenen Ländern gibt und die Staatsanwaltschaften sich nicht einig werden, ob und wo die Ermittlungen konzentriert werden, dann soll zukünftig darüber der Generalbundesanwalt entscheiden. Es darf einfach nicht sein, dass Konkurrenzdenken und Eifersüchteleien Ermittlungen in solchen Fällen behindern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen außerdem die Opfer einer Straftat über ihre Rechte im Strafverfahren besser informieren – das tun wir ohnehin bei der Umsetzung der EU-Opferrichtlinie im nächsten Jahr –, und wir wollen auch das Strafgesetzbuch ändern. Wir werden sicherstellen – das ist in der Debatte angesprochen worden –, dass rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Motive bei der Strafzumessung stärker berücksichtigt werden können. Damit sensibilisieren wir zugleich die Ermittlungsbehörden. Es geht eben nicht nur darum, was jemand getan hat, sondern es geht an der Stelle auch um die Frage, ob ermittelt werden muss, aus welchen Motiven ein Täter gehandelt hat; denn nur dann können die Gerichte die sogenannte Hasskriminalität auch angemessen bestrafen. Klare Regeln und Gesetze sind notwendig und wichtig, aber es gibt auch den menschlichen Faktor, auch bei Ermittlungen von Behörden. Damit alle unsere Sicherheitsbehörden wirksam gegen rassistische und fremdenfeindliche Taten vorgehen, brauchen wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das haben, was wir heute interkulturelle Kompetenz nennen. Wer den Betreiber eines Dönerlokals nicht als engagierten Unternehmer sieht, sondern ihn in erster Linie schnell mit Mafia, Menschenhandel oder Drogen in Verbindung bringt, der hat nichts verstanden und dem wird es vor allen Dingen kaum gelingen, einen Fall vernünftig aufzuklären. (Beifall im ganzen Hause) Deshalb müssen wir Vorurteile und falsche Klischees überwinden, und deshalb kommt es auch darauf an, wie unser Personal in den Behörden zusammengesetzt ist. Ich meine, wir brauchen in Justiz und Polizei nicht nur Kollegen, die Heiko oder Thomas heißen, sondern wir brauchen auch Mehmet und Ayse; denn auch das wird der Aufklärung zuträglich sein. (Beifall im ganzen Hause) Rund 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben heute einen Migrationshintergrund. Diese Vielfalt unserer Gesellschaft muss sich auch beim Personal von Justiz und Polizei niederschlagen. Ich weiß, dass hier vor allem die Länder gefordert sind. Aber auch das ist eine ganz wichtige Konsequenz aus dem, was der Untersuchungsausschuss herausgearbeitet hat, und auch das müssen wir in unsere Behörden tragen. Ich meine, das sind wir den Opfern des NSU und ihren Angehörigen schuldig. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Irene Mihalic das Wort. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wie sind die Ereignisse in der Öffentlichkeit damals eigentlich angekommen? Am 4. November 2011 fahndete die Polizei in Eisenach nach Bankräubern, und sie fand die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot in ihrem Wohnmobil. Sie hatten vorher, unterstützt von Beate Zschäpe, bei 14 Raubüberfällen insgesamt 600 000 Euro erbeutet. Bis zu ihrem Tod konnten Böhnhardt und Mundlos nicht gestellt werden. Fast 13 Jahre blieben die NSU-Terroristen unentdeckt. Fast 13 Jahre konnten sie mit einfachen Mitteln ein unbehelligtes Leben führen, Freundschaften zu Nachbarn aufbauen, ja sogar Urlaub an der Ostsee machen. In 13 Jahren haben sie zehn Menschen kaltblütig exekutiert, unentdeckt, unbehelligt und völlig ungestört. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben angesichts des rechtsextremistischen Terrors dramatisch versagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Der Verfassungsschutz konnte den Terror von rechts weder erkennen noch analysieren. Der NSU-Terror folgte eben nicht dem klassischen Muster mit Führungsspitze und Bekennerschreiben, welches man zum Beispiel von der RAF kannte. Durch das Denken in solchen Stereotypen war der Verfassungsschutz völlig blind für den Terror von rechts, und diese Blindheit, Herr Minister, lässt sich nicht wegreformieren. Deshalb muss der Verfassungsschutz in seiner heutigen Form aufgelöst werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber auch die Polizei hat schwere Fehler gemacht. Ein rechtsextremistischer Hintergrund wurde bei den Ermittlungen von vornherein stets ausgeschlossen. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Auch in Köln!) Stattdessen bestimmten allzu oft rassistische Vorurteile gegenüber den Opfern die Ermittlungsarbeit. Ein mafiöser Hintergrund bei so einem Mord – na klar! Ein Ehrenmord – immer vorstellbar im Migrantenmilieu! Das Label der Boulevardpresse war „Döner-Morde“. Aufklären sollte eine Soko „Bosporus“. Wenn der Fokus der Ermittlungen allein auf den Opfern liegt, dann ist es kein Wunder, dass man die Täter nicht findet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße sehr, dass wir hier heute noch einmal das interfraktionelle Ergebnis des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum NSU gemeinsam beschließen wollen. Damit setzen wir ein ganz wichtiges Zeichen, vor allem mit Blick auf die Familien der Opfer. Wir alle schämen uns dafür, dass die NSU-Morde lange Zeit so gravierend falsch eingeordnet wurden. Zu Recht fordern daher die Opferfamilien, dass nicht bereits zwei Jahre nach Aufdeckung des NSU-Terrors das große Abhaken beginnt. Nein, wir stehen gerade erst am Anfang, und deshalb kann der gemeinsame Beschluss auch nur der erste Schritt sein. Wir müssen deutlich weiter gehen, wenn wir dem Rechtsextremismus den Nährboden für die Saat von Gewalt und Terror entziehen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dafür brauchen wir eine neue Polizei- und Behördenkultur. Allzu oft wurden gerade die Familien der Opfer mit ihren Anliegen nicht ernst genommen. Sie wurden verhöhnt und waren selbst übelsten Verdächtigungen ausgesetzt. Wir brauchen hier einen Neustart in den Strukturen und in der Ausbildung. Dort, wo personelles Versagen nachweisbar ist, muss es auch zu dienstlichen Konsequenzen kommen, in erster Linie natürlich bei denjenigen, die in leitenden Positionen standen und heute teilweise noch stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Strukturen des Verfassungsschutzes haben die Aufdeckung des rechten Terrors vereitelt, weil sie den falschen Mustern gefolgt sind. Er muss daher in seiner heutigen Form aufgelöst werden. Wir brauchen stattdessen eine völlig neu strukturierte Inlandsaufklärung mit einer deutlich verbesserten parlamentarischen Kontrolle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Der Einsatz von V-Leuten, gerade in der rechten Szene, muss ein für allemal beendet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben dem Rechtsextremismus mit diesem Instrument sowohl Geld als auch Struktur gegeben, anstatt wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen. Auf der anderen Seite waren die letzten Regierungen – man muss es sagen – eher geizig, wenn es um die finanzielle Unterstützung von Initiativen gegen rechts ging, insbesondere was die Verlässlichkeit einer Finanzierung anging. Wir fordern eine verbindliche Zusage des Bundes, diese Initiativen mit jährlich mindestens 50 Millionen Euro zu unterstützen; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn diese Mittel werden für Opferberatungsstellen, Ausstiegsprojekte und vieles mehr ganz dringend gebraucht. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Binninger? Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Selbstverständlich. Clemens Binninger (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Kollegin Mihalic. – Keine Sorge, ich will das Bild unserer interfraktionellen Einigkeit nicht trüben; ich habe einfach eine Bitte an Sie. Sie haben den Großteil Ihrer Redezeit auf das Thema der Abschaffung des Verfassungsschutzes verwandt. Das ist das Sondervotum von Grünen und Linken gewesen; da hatten wir keinen Konsens. Sie kommen aus dem Polizeipräsidium Köln. In Köln gab es ja den Sprengstoffanschlag in der Keupstraße, bei dessen Aufklärung im Jahr 2004 wirklich eine Menge schieflief und es ein Bündel an Fehlern gab, wie wir sie sonst in keinem Fall gefunden haben. Ich möchte Sie einfach nur fragen: Wären Sie bereit, vielleicht aus Ihrer eigenen Erfahrung damals, als Sie dort Dienst gemacht haben, ein paar Sätze dazu zu sagen? (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Geheimnisverrat!) – Natürlich kein Geheimnisverrat, Frau Kollegin, nur etwas, was öffentlich ist. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da gibt es wahrscheinlich gar keine Geheimnisse! In Köln gibt es keine Geheimnisse!) Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Keine Sorge! Ich werde keine Geheimnisse verraten, Kollege Binninger, selbstverständlich. Sie haben natürlich völlig recht mit Ihrer Kritik – Sie werden es auch meinen Ausführungen vorhin entnommen haben –, dass nicht nur beim Verfassungsschutz ein eklatantes Versagen festgestellt worden ist. Es ist schon bei meinen Vorrednerinnen und Vorrednern angeklungen: Wir müssen natürlich auch bei der Polizei in die Strukturen hinein. Wir müssen auch da dafür sorgen, dass sich solche Ereignisse, wie sie damals in Köln passiert sind – es hat auch da eine falsche Einordnung der Dinge gegeben –, nicht wiederholen. Ich denke, in der Frage, an diesem Punkt sind wir uns alle einig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich noch einen Aspekt ansprechen, und zwar was die Arbeit der zivilgesellschaftlichen Initiativen angeht, die durch die unsägliche Extremismusklausel immer noch massiv behindert wird. Da ist es eben nicht von Belang, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Frau Högl, ob das Bekenntnis zur Verfassung wie bisher durch Unterzeichnung einer solchen Klausel oder in einem verbindlichen Begleitschreiben erfolgt. Diese Klausel muss ganz verschwinden; denn sie ist eine völlige Verkehrung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn wir den zivilgesellschaftlichen Initiativen ständig Knüppel zwischen die Beine werfen, dann unterstützen wir indirekt Hass und Gewalt von rechts. Letztlich darf der Staat für die rechte Gefahr nicht länger blind sein. Das muss uns beim dringend notwendigen Umbau der Sicherheitsarchitektur leiten. Kollege Binninger, also auch da der Blick ganz klar auf die Polizei gerichtet! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Konsequenzen aus den Verbrechen des NSU gehören zu den wichtigsten parlamentarischen Aufgaben für diese Legislaturperiode. Lassen Sie uns da gemeinsam an die Arbeit gehen, Punkt für Punkt! Dabei gilt: Kosmetik und gute Vorsätze reichen nicht aus. Die Struktur hat versagt, und deshalb muss die Struktur verändert werden. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Armin Schuster das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Öffentlichkeit schockiert, Zuwanderinnen und Zuwanderer verunsichert, die Menschen im Land erschüttert, Sicherheitsexperten sprachlos – das wurde ja schon beschrieben –, so war jetzt lange der Zustand oder ist der Zustand immer noch. Deshalb, finde ich, sollten wir das ganz starke Signal, dass wir überfraktionell diese Einigkeit haben, nicht überlagern durch eine Debatte, in der vielleicht hier noch ein bisschen eigenes Votum betont wird, Frau Pau, vielleicht dort noch ein bisschen Votum betont wird, Frau Mihalic. Dass der Deutsche Bundestag so einig zusammensteht, ist ein unglaublich gutes Signal. Ich will Ihnen helfen. Ich würde Ihnen nicht die Frage stellen, ob wir das PP Köln abschaffen sollen; das machen wir natürlich nicht. Ich glaube einfach, dass es eine Nummer zu hart ist, zu sagen: Wir schaffen den Verfassungsschutz ab, bauen ihn dann neu auf. – Gehen Sie doch mit uns den Weg der Reform! Da können Sie im Prinzip das Gleiche tun. Wir haben ja nicht gesagt, wie stark wir reformieren. Frau Pau, es ist nicht wertlos, wenn ich Ihnen sage: Es wäre schon wahnsinnig gut, wenn die Linke einmal ihr Verhältnis zu dem Begriff „Nachrichtendienst“ entdecken würde. Wir sprechen von Nachrichtendiensten und nicht von Geheimdiensten. (Martina Renner [DIE LINKE]: Das ist doch das Gleiche!) Ich könnte mir sogar vorstellen, einen Geheimdienst abzuschaffen; aber nicht einen Nachrichtendienst. Den braucht dieses Land. (Beifall bei der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Euphemismus!) Wer den Empfehlungskatalog intensiv studiert, erkennt unendliche Chancen, die Sicherheitsarchitektur Deutschlands weiterzuentwickeln. Es ist nötig. Wir haben im September 2013 von einem erheblichen Systemversagen der deutschen Sicherheitsdienste gesprochen, nicht nur der Polizei und des Verfassungsschutzes, sondern auch der Justiz, der Gesellschaft, der Parlamente und der Regierungen in Bund und Ländern. Wenn man ein solch hartes Urteil fällt, wartet man natürlich auf das Echo der Menschen draußen. Ich reise viel zum Thema NSU durch das Land. Vor allem nach den Vorträgen sagen die Leute mir: Sie haben recht. – Vorher sind sie alle ziemlich angefasst, als würde man in einer Wunde herumstochern. Wenn man mit ihnen spricht, dann merken die Leute, dass sich etwas tun muss. Der Bundespräsident hat den Untersuchungsausschuss im Januar 2013 gefragt: Was ist das wichtigste Ziel Ihrer Arbeit? – Wir haben übereinstimmend gesagt: Dass das Thema in der 18. Wahlperiode unverändert wieder auf der Tagesordnung ist und wir nicht zur Tagesordnung übergehen. Das haben wir in drei Punkten erreicht. Erstens. Der Bundesinnenminister hat es vorgetragen. Sehr wohltuend waren die Äußerungen des Bundesjustizministers, die mir gut gefallen haben, weil der Aspekt der Justiz sehr stark im Vordergrund stand. Zweitens. Der Koalitionsvertrag beinhaltet das Thema geradezu prominent. Das hätte ich mir gar nicht so gut vorstellen können. Herzlichen Dank an die Verhandler! Drittens. Dass wir die Empfehlungen heute in einem fraktionsübergreifenden Antrag behandeln, bekräftigt die Ernsthaftigkeit unseres Vorhabens. Wir wollen unbedingt weitermachen. So scharf, wie es einige vor mir getan haben, formuliere ich das jetzt einmal nicht. Ich versuche es noch auf die konziliante Art. Wir brauchen die Länder – wenngleich ich da, Stichwort Baden-Württemberg, so meine Zweifel habe –, wir brauchen ihre Bereitschaft, wir brauchen ihre Mitwirkung. Dieser überfraktionelle Konsens ist auch deshalb so wichtig, weil Sie alle mithelfen können, weil Sie überall mitregieren. Bitte nutzen Sie Ihre Vernetzung und Ihre Kontakte. Wir müssen die Länder bewegen. Wer hochflexible Ermittlungsgruppen in überregionalen Verfahren möchte, muss eine Lösung zwischen Bund und Ländern finden. Wer eine Zusammenarbeit zwischen den Ländern, zwischen Bund und Ländern, zwischen Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaften erreichen und dabei noch das Trennungsgebot verfassungskonform weiterentwickeln will, braucht eine große Übereinstimmung. Die Aus- und Fortbildung von Mehmet und Aischa müssen wir deutschlandweit in 16 Ländern und im Bund harmonisieren. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Und von Heiko und Thomas auch!) – Von Heiko und Thomas auch. – So etwas konnten wir bisher. Ich hoffe, von der Innen- und Justizministerkonferenz Impulse für das Land zu bekommen. Meine Damen und Herren, der Fall des NSU ist für die föderale Sicherheitsstruktur nicht einzigartig. Wenn wir uns den spektakulärsten ungelösten Fall organisierter Kriminalität in diesem Land vornehmen und analysieren würden, was würden wir feststellen? Die Täter operieren länderübergreifend, nutzen ganz stark IT-Strukturen. Die Zuständigkeit unserer Behörden würde sich wahrscheinlich über eine Vielzahl von LKA, Staatsanwaltschaften, den Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutzämter etc., etc. erstrecken. Wo liegt der Unterschied? Nicht nur aus dem NSU-Bericht, sondern auch aus den künftigen und heute schon vorhandenen Bedrohungsszenarien ziehe ich meine Motivation, die Forderung zu erheben, besser überregional zu kooperieren, bessere gemeinsame Best-Practice-Standards zu etablieren, verlässlichere Kommunikations- und Führungsstrukturen in diesem Land zu schaffen. Qualität ist ein Markenzeichen Deutschlands. Qualität entsteht am besten dezentral. Deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass die föderale Struktur für uns gut ist. Um es mit den Worten von Tomasi di Lampedusa zu sagen: Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert. Deshalb möchte ich weiter Finger in Wunden legen. Deshalb sind jetzt, vor allen Dingen in den Parlamenten und Regierungen, Vorbilder gefragt, die sich nicht abgrenzen, sondern kooperieren wollen. Deshalb möchte ich die Arbeit an der deutschen Sicherheitsarchitektur sogar institutionalisieren. Herr Bundesinnenminister, ich fand Ihre Idee richtig – ich lobe Sie in jeder Rede für den damaligen Vorschlag –, die Sicherheitsarchitektur in Deutschland von einer Kommission analysieren und bewerten zu lassen. Ich würde mich freuen, wenn es dazu wieder käme. Ich könnte mir übrigens auch vorstellen, dass, wenn Sie ressortübergreifend und Bund-Länder-übergreifend 50 Empfehlungen in Sachen NSU-Folgerungen zu koordinieren haben, auch da eine symbolhafte Institutionalisierung in Form einer Geschäftsstelle, eines Beauftragten das deutliche Signal – nach innen wie nach außen – senden könnte: Wir meinen es ernst. Meine Damen und Herren, wer die Sicherheitsarchitektur fortentwickeln will, hat zwei gute Gründe: erstens die modernen Erscheinungsformen der Kriminalität und zweitens das Versprechen, das wir einzulösen haben, das Versprechen, das wir den Hinterbliebenen der Opfer des NSU-Terrortrios hier in diesem Hause gegeben haben: Wir wollen erst ruhen, wenn alle Empfehlungen, die wir geben konnten, umgesetzt wurden, sodass das nie wieder passiert. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Sönke Rix das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sönke Rix (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich hatte ich – nichts gegen Sie, Frau Präsidentin! – gehofft, dass Herr Lammert noch im Präsidium ist. Als ich meine Rede vorbereitet habe, wusste ich, dass die Debatte in der Kernzeit stattfindet, in der normalerweise der Bundestagspräsident den Vorsitz hat. Nun hat sich der Beginn unserer Debatte wegen der Ukraine-Debatte verschoben. Aber ich wollte Herrn Lammert noch einmal danken; vielleicht können Sie ihm den Dank ja ausrichten, aber er wird es möglicherweise auch hören. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Das will ich gerne machen. Sönke Rix (SPD): Danke schön. – Als die Mitglieder des Untersuchungsausschusses – Frau Högl hat es heute schon einmal gesagt – bei ihm waren, hat er die Initiative für ein Nachdenken über die Frage ergriffen: Wie gehen wir als Parlament mit den Erkenntnissen, die wir im Untersuchungsausschuss gewonnen haben, um? Wir wissen ja: So mancher Untersuchungsausschussbericht, so mancher Bericht einer Enquete-Kommission sowie andere Dinge verschwinden in Schubladen. Ich finde es richtig, dass wir als neugewähltes Parlament mit der heutigen Beschlussfassung noch einmal bekräftigen, was wir in diesem Bericht überwiegend gemeinsam festgehalten haben, auch wenn es einige Einzelvoten gibt. Aber der gemeinsame Bericht ist ein gutes Zeichen auch für diese Wahlperiode und ein guter Auftrag an die Bundesregierung und an uns als Parlament. Herzlichen Dank dafür. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will ganz kurz auf das kleine Streitthema „Extremismusklausel“ eingehen. Denen, die da nur die halbe oder zumindest nicht die ganze Wahrheit gesagt haben, will ich an dieser Stelle sagen: Es gibt jetzt – dafür bin ich Ihnen, Herr de Maizière, und auch Frau Schwesig sehr dankbar – eine gemeinsame Linie der Bundesregierung, wie man mit Projekten umgeht, die staatliche Mittel zur Förderung von Demokratie haben wollen. Das ist schon einmal sehr wichtig. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das gab es vorher auch!) Die gab es vorher nämlich nicht. Vorher gab es quasi eine Einzelbewertung aus dem Hause der Familienministerin. Sie hat darum gebeten, dass die Klausel unterschrieben wird. Diese Unterschrift ist nun nicht mehr erforderlich. Es wird natürlich den Hinweis geben, dass alles auf rechtlicher Grundlage basiert. Das ist aber eine Selbstverständlichkeit, und darüber hat sich im Zusammenhang mit den Projekten aus den Häusern auch vorher niemand beschwert. Ich finde es richtig, dass die Unterschrift nun wegfällt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben uns im Untersuchungsausschuss nicht immer nur mit der Frage beschäftigt, was die Sicherheitsbehörden und die Justiz falsch gemacht haben. Wir haben uns, als wir mit Zeugen gesprochen und Sachverständige eingeladen haben, auch intensiv mit der Frage beschäftigt: Wie kann es eigentlich passieren, dass wir als Gesellschaft einen Boden bereitet haben, auf dem aus Rechtsextremismus sogar Rechtsterrorismus entstehen konnte? Wie konnte es passieren, dass, wie im Falle von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, junge Menschen, die, wie wir erfahren haben, eine gewisse Perspektive hatten, in den Rechtsextremismus abgewandert und sogar zu Rechtsterroristen geworden sind? Wir müssen uns vorstellen: In den 90er-Jahren brannte in Rostock ein Asylbewerberheim, und die Nachbarn haben geklatscht. Die Sicherheitsbehörden waren überfordert. Diese Situation ist für uns heute immer noch unbegreiflich. Ich hoffe, dass es nie wieder zu solch einer Situation kommt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben im Rahmen unserer Untersuchungen leider erkannt, dass einer der im Rahmen des NSU-Prozesses Beschuldigten Mitglied bei der Bundeswehr war und dort offen zu Protokoll gegeben hat – das ist aktenkundig –, dass er sich als nationalsozialistisch bezeichnet. Bei der Bundeswehr sind daraus damals keine Konsequenzen gezogen worden. Er wurde sogar noch zum Gefreiten befördert und bekam ein relativ durchschnittliches Dienstzeugnis. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. Auch an dieser Stelle fehlte die Sensibilisierung in einem Bereich unserer Gesellschaft. In den 90er-Jahren wurden die Anti-Antifa Ostthüringen und der Thüringer Heimatschutz gegründet, in denen auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe Mitglied waren. Die Staatsanwaltschaft Gera ging damals jedoch nicht von einer kriminellen Gesamtstruktur aus. Auch das ist wieder ein Beweis dafür, dass die Sensibilität gegenüber diesen Taten und vor allem gegenüber dem Rechtsextremismus nicht vorhanden war. Unser Eindruck ist, dass es die Bereitschaft dazu in der Bundeswehr, der Gesellschaft und den Medien nicht gab; Herr Binninger hat das angesprochen. Deshalb ist es nach wie vor eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sich gegen Rechtsextremismus zu wehren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin froh, dass wir in unserem Abschlussbericht geschrieben haben, dass wir die Zivilgesellschaft an dieser Stelle weiterhin stärken wollen. Dazu gehören nicht nur der Umgang mit der Extremismusklausel – mit Unterschrift oder ohne –, sondern auch die Bereitstellung von mehr Mitteln, um diese dauerhafte Aufgabe einer dauerhaften Finanzierung zuzuführen. Deshalb bin ich dankbar, dass wir heute diesen gemeinsamen Antrag beschließen werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Sensburg das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast anderthalb Jahre hat der NSU-Untersuchungsausschuss gearbeitet. Es ist ein starkes Zeichen, dass sowohl die Einsetzung als auch die Beschlussempfehlung und der Abschlussbericht einstimmig erfolgten und dass wir hier im Deutschen Bundestag große Einheit zeigen. Es ist ein wichtiges und richtiges Zeichen. Genauso richtig ist es, dass wir dieses Thema in der 18. Wahlperiode quasi nicht als Akte zuklappen, sondern aufgeklappt lassen. Das ist ein starkes und gutes Zeichen; das haben meine Vorredner bereits hinreichend bekundet. Mich freut, dass die Kolleginnen und Kollegen – insbesondere Frau Kollegin Högl, als es um Baden-Württemberg ging – hier jetzt nicht in Klein-Klein verfallen, sondern wir uns einig sind, gemeinsam an dem Ziel zu arbeiten, dass weiter aufgeklärt wird. Ich freue mich, dass wir nicht in Fraktionsdiskussionen verfallen, sondern gemeinsam an einem Strang ziehen. Ich finde, das ist ein sehr starkes Zeichen. Ich finde es genauso wichtig, dass wir in enger Zusammenarbeit mit den Bundesländern die weiteren notwendigen Aufklärungen betreiben. Viele Maßnahmen sind nun einmal in den Bundesländern zu treffen. Ich bin daher ein wenig traurig, dass die Bundesratsbank, die sonst auch nicht besonders gut gefüllt ist, heute bei diesem Thema leider auch recht leer ist. Die ersten Kolleginnen und Kollegen gehen schon, obwohl die Debatte noch nicht zu Ende ist. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesratsbank gerade heute etwas stärker gefüllt ist. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Leider wahr!) Die besondere Einigkeit, die hier zutage tritt, ist bei einem Untersuchungsausschuss keine Selbstverständlichkeit. Es ist in der Regel ein scharfes Schwert der Opposition, um zu ermitteln. Wenn man aber genauer hinschaut, dann erkennt man, dass ein Untersuchungsausschuss eigentlich ein zentrales Recht des Parlaments, der parlamentarischen Demokratie ist. Auch an dieser Stelle gilt daher: Es ist ein gutes Zeichen, dass dieser Untersuchungsausschuss als ein zentrales Instrument des gesamten Parlaments genutzt worden ist. Ich danke allen Mitgliedern des Untersuchungsausschusses, die in diesen fast anderthalb Jahren intensiv gearbeitet haben: mit doppelter Sitzungszeit, mit vielen Sitzungen und einer hohen Schlagzahl. Das war eine intensive Arbeit. Ganz herzlichen Dank an alle, dass Sie hier so intensiv gearbeitet haben. Ich danke aber auch den Mitgliedern der Bundesregierung und der Behörden. Es war nicht immer leicht im Untersuchungsausschuss. Es war nicht mit allen Behörden einfach. Aber im Ergebnis ist es dann doch gelungen. Gerade auch der Innenminister Thüringens, Herr Geibert, der uns viele Erkenntnisse über den Thüringer Verfassungsschutz vermittelt hat, hat dazu beigetragen, dass der Untersuchungsausschuss arbeiten konnte. Von der einen oder anderen Seite wurden die Polizei und der Verfassungsschutz intensiv kritisiert. Dazu ist viel gesagt worden. Vieles ist richtig. Ich möchte aber auf das eingehen, was der Kollege Binninger erwähnt hat. Wenn wir den Polizei- und Sicherheitsbehörden Blindheit vorwerfen, dann müssen wir auch sagen, dass wir alle blind waren. Das ist eine Lehre des Untersuchungsausschusses. Nicht nur Polizei- und Sicherheitsbehörden haben es nicht gesehen, sondern auch in der Berichterstattung der Presse konnten wir nichts von einem deutlichen Fingerzeig nach rechts lesen. Auch in unseren Debatten gab es keinen Hinweis in diese Richtung. Ausnahmsweise muss ich einmal die Linke loben, was ich sehr selten tue. Sie hat deutlich gesagt, dass auch sie trotz erster Nachfragen nicht weitergebohrt hat. Die Erkenntnis, dass wir zu wenig gemacht haben, muss uns alle bewegen. Das ist ein ganz wesentliches Fazit dieses Untersuchungsausschusses. Wir müssen wachsamer sein. Wir müssen erkennen, dass in den letzten Jahren – Frau Kollegin Pau hat es gesagt – 60 Menschen getötet worden sind. Vor kurzem wurde vor dem Landgericht Halle ein Fall verhandelt, der sich in Eisleben ereignete. Dort wurden auf grausamste Weise Menschen zusammengeschlagen, weil sie einen Migrationshintergrund haben. Das muss uns einfach stutzig machen und zum Nachdenken anregen. Ich danke daher allen Vereinigungen, Gruppen und Gesellschaftsgliederungen, die immer wieder auf rechts zeigen, Sensibilität wecken und sich einsetzen. Auch wir wollen mit den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses da ansetzen, wo Toleranz, Kompetenz und Sensibilität gefordert werden. Das ist ein wesentlicher Bestandteil des Untersuchungsberichtes. Es sind auch Fehler gemacht worden. Bei einigen wurde der Finger in die Wunde gelegt. Ich möchte nicht mehr auf den polizeilichen Bereich eingehen, sondern ich möchte auf den Bereich der Justiz eingehen. Wir müssen feststellen, dass in vielen Bereichen der Justiz Sachverhalte nicht richtig verfolgt wurden oder nicht zur Anklage gebracht wurden. Es kann nicht sein, dass Böhnhardt 1993 in U-Haft weitere Taten vollbringen konnte – gemeinsam mit Sven R. und zwei weiteren folterte er einen Mithäftling – und dies keine strafrechtlichen Konsequenzen hatte und es auch nicht zur Anklage kam. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben 1996 Fotos einer Kreuzverbrennung im Stil des Ku-Klux-Klans gefunden. Als später die Zeugin Zschäpe vernommen wurde, hat sie konkrete Personen, die den Hitlergruß und den Kühnengruß zeigten, benannt. Auch hier wurde wieder nicht strafrechtlich ermittelt und die Sache zum Abschluss gebracht. Das kann nicht sein. Wir müssen hier stärker sensibilisieren. Ich hoffe, dass wir aus den Ergebnissen den Schluss ziehen, dass Aus- und Fortbildung bei der Polizei und der Justiz intensiviert werden müssen. Auch das EDV-Wirrwarr zwischen den Bundesländern muss aufgelöst werden, damit wir effektiv und intensiv arbeiten können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, uns muss es gelingen, alle Empfehlungen aus dem Untersuchungsausschuss umzusetzen. Wir werden das gemeinsam mit der Bundesregierung tun. Ich freue mich, dass heute zwei Minister gesprochen haben. Wir werden die Umsetzung als Parlament begleiten. Ich hoffe, dass wir in dieser Legislaturperiode konkrete Erfolge erzielen. Das sind wir den Opfern schuldig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat die Kollegin Ulrike Bahr das Wort. (Beifall bei der SPD) Ulrike Bahr (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Über 50 Jahre alt ist dieser Satz aus Bertolt Brechts Arturo Ui. Man könnte meinen, über eine so lange Zeitspanne hätte er Staub ansetzen und an Aktualität einbüßen können. Doch weit gefehlt. Dies haben gerade die Ergebnisse des NSU-Untersuchungsausschusses uns allen wohl in erschreckendem Ausmaß vor Augen geführt. Umso wichtiger ist es, diesen Bericht nicht in der Schublade verschwinden zu lassen. Das Wiederaufgreifen und der Entschluss zur Bekräftigung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses setzen hier ein wichtiges und vor allem ein dringend notwendiges Zeichen im Hinblick auf eine funktionierende, verantwortungsbewusste und wehrhafte Demokratie. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir müssen uns in der Tat wehren, und leider nicht im Sinne von „Wehret den Anfängen!“. Denn dieser Punkt ist bereits weit überschritten: Rechtsextreme und antisemitische Einstellungen sind längst in unserer Mitte angekommen. Jeder zehnte Deutsche neigt laut der letzten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2012 zu rechtsextremem Denken. Dies zeichnet, wie ich finde, ein sehr alarmierendes Bild der Situation in Deutschland, einem Land, das ich persönlich viel lieber als weltoffen, tolerant und bunt wahrnehmen würde. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der erschreckende Blick in die braunen Sümpfe in Deutschland darf aber über eines nicht hinwegtäuschen: Es gibt sie – jene, die immer und immer wieder gegen rechtsextreme Aufmärsche, gegen Rassismus und Antisemitismus aufstehen, die sich von rechten Drohungen nicht einschüchtern lassen. In ganz Deutschland wehren sich Bürgerinnen und Bürger, unzählige Vereine und Initiativen sowie viele Kommunen gegen rechte Umtriebe. Sie sagen: Wir sind bunt, und das soll so bleiben. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) Dieses Netz von bunten Städten und Gemeinden zieht sich mittlerweile über ganz Deutschland, und darauf dürfen alle Beteiligten wirklich stolz sein. Genau hier sind wir auf dem richtigen Weg. Denn das A und O für einen nachhaltigen und effektiven Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ist eine lebendige Zivilgesellschaft. Wo Menschen erfahren, was man miteinander bewegen kann, werden sie für extremes Gedankengut weniger empfänglich. Hier sind auch wir als Politikerinnen und Politiker gefragt. Politik muss wieder erlebbar und nahbar sein, nah am Menschen. Demokratie ist für viele zu abstrakt, zu weit entfernt von ihrem Alltag. Es ist unsere Aufgabe, zivilgesellschaftliches Engagement zu fördern, uns selber daran zu beteiligen und uns immer und immer wieder dafür starkzumachen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Martina Renner [DIE LINKE]) Dann wird auch wieder verständlicher, was Demokratie im Kern ausmacht: das Recht auf Beteiligung. In Anlehnung an die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses findet sich auch im Koalitionsvertrag ein klares Bekenntnis zur Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements, um rechtsextremistischen Strömungen entgegenzuwirken. Dafür ist es unbedingt notwendig, die vielen Projekte, die die Demokratie vor Ort hochhalten, auf eine sichere finanzielle Basis zu stellen. Wie wir aus dem letzten Jahr wissen, machte die Angst vor dem finanziellen Aus auch vor so renommierten Projekten wie Exit-Deutschland nicht halt, und das darf nicht wieder passieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Wertschätzung, die den Initiativen bei diversen Feierlichkeiten immer und immer wieder pathetisch versichert wird, muss sich auch in ihrer Finanzausstattung widerspiegeln. Zusätzlich muss es unser Ziel sein, erfolgreiche Projekte zu verstetigen, um den Initiativen vor Ort das regelmäßig wiederkehrende Zittern um Förderzusagen zu ersparen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn für ihre wichtige Arbeit brauchen sie vor allem eines: Planungssicherheit. Die im Koalitionsvertrag festgehaltene Aufstockung der Haushaltsmittel ist hier ein wichtiger Schritt, um eine ausreichende Finanzierungssicherheit zu gewährleisten. (Beifall bei der SPD) Gerade in diesem Bereich sollte zudem nicht immer gelten: Wer zahlt, schafft an. Wir brauchen dringender denn je zivilgesellschaftliches Engagement. Deshalb müssen wir eine Partnerschaft fördern, und zwar eine Partnerschaft auf Augenhöhe und mit Beteiligungsformen, bei denen die Expertise aus der Zivilgesellschaft aufgegriffen wird, um das Engagement konsequent weiterzuentwickeln. Ein wichtiges Signal im Hinblick auf eine gleichberechtigte Partnerschaft ist hier auch die gemeinsame Entscheidung des Familien- und des Innenministeriums, bei den Bundesprogrammen zur Demokratieförderung zukünftig auf die sogenannte Extremismusklausel zu verzichten. Die Parallelität des gemeinsamen Kampfes gegen Rechtsextremismus und des gleichzeitigen Generalverdachts, damit linksextremen Einstellungen nahezustehen, ist weder zeitgemäß, noch entspricht dies einem partnerschaftlichen Verständnis im Verhältnis zwischen Politik und Zivilgesellschaft. Im Kampf gegen rechts können und müssen wir Parteilinien überspringen. In meinem Wahlkreis gibt es beispielsweise ein „Bündnis für Menschenwürde“, in dem sich alles vereint, was in Augsburg aktiv ist. Hier kämpfen Altlinke Seite an Seite mit wackeren Christsozialen, Jung neben Alt, Kirche mit Gewerkschaften und Polizei gemeinsam gegen rechte Umtriebe und zeigen Flagge, wenn, wie womöglich am kommenden Wochenende wieder, Nazis aufmarschieren. Gerade hier spielt der Bereich der Bildung eine ganz wesentliche Rolle. Denn Bildung und Aufklärung sind mächtige Schutzwälle gegen extremes Gedankengut. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vor dem Hintergrund unserer Geschichte müssen wir Kindern und Jugendlichen helfen, ihre Persönlichkeit zu stärken. Wir müssen ihnen vermitteln, dass unsere Demokratie ein wichtiges Gut ist und dass unsere Gesellschaft ohne Solidarität und Respekt niemals eine gute sein kann. Zivilcourage kommt nicht von selbst, aber sie entsteht, wenn man weiß, wofür wir sie brauchen. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass wir alle wieder bewusst zu schätzen wissen, was es heißt, in einer Demokratie zu leben. Erst dann gibt es für Rechtsextreme keinen Nährboden mehr. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Das war die erste Rede der Kollegin Bahr, und gleich zu einem Thema, das uns alle sehr bewegt. (Beifall) Als nächster Redner hat der Kollege Martin Patzelt das Wort. Auch für ihn ist das seine erste Rede. (Beifall bei der CDU/CSU) Martin Patzelt (CDU/CSU): Sie meinen: vor diesem Hause! (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Gut gesagt!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher hier im Bundestag! Die Demokratieförderung ist zwar die letzte Empfehlung, die der Untersuchungsausschuss in seinem Abschlussbericht gegeben hat, aber sie ist nicht die letzte in ihrer Bedeutung. Aus meiner Sicht ist sie von grundlegender Bedeutung. Die Bundesregierung hat Bemühungen um Förderung von Demokratie und Menschenfreundlichkeit und gegen faschistische Ideologien und extremes Verhalten seit dem Jahr 2000 gefördert. Seit 2008 wurden rund 377 Millionen Euro aus verschiedenen Ressorts zusammengelegt, um die Kommunen bei spezifischen Programmen zu unterstützen. Ich konnte in kommunaler Verantwortung erleben, wie durch eine wachsende, sich profilierende Begleitung und Beratung die Ratlosigkeit und die Ohnmacht der Menschen in meiner Stadt angesichts öffentlicher rassistischer Übergriffe und einer sich etablierenden Szene von rechtsradikalen Jugendlichen sich wandelten. Ich konnte erleben, wie in einer deutsch-polnischen Doppelstadt mit vielen ausländischen Studenten aus hilflosen und spontanen Aktivitäten der Bürgerinnen und Bürger ein bedachter Widerstand gegen fremdenfeindliche Übergriffe organisiert wurde und ein friedliches und tolerantes Miteinander in der Stadt wuchs. Es waren insbesondere die vom Bund bereitgestellten finanziellen Mittel, die uns dabei halfen. Wir müssen die Absicht zur Verstetigung der Förderung und Entwicklung flächendeckender Beratungsstrukturen unterstützen und, wo nötig und sinnvoll, auch entsprechende Mittel aufstocken, damit die gewonnenen spezifischen Erfahrungen und Kompetenzen nicht verlorengehen. Meine Vorrednerin hat das ausführlich begründet. Frau Pau, ich kann in diesem Zusammenhang keine Uneinigkeit im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses finden. Für mich war beim Lesen gerade in diesem Punkt eine große und bewundernswerte Einigkeit erkennbar. Die bislang geforderte Kofinanzierung von besonders erfolgreichen Modellprojekten soll auf den Prüfstand gestellt werden. Man überlegt, ob man nicht auf den kommunalen Anteil verzichten könnte, falls die Kommunen kein Geld dafür haben. Davor warne ich ganz entschieden. Ohne einen finanziellen Beitrag der Länder und Kommunen laufen diese Gefahr, ihre eigene Verantwortlichkeit zu unterschätzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD]) Die Menschen müssen an ihren Lebensorten gemeinschaftlich um Demokratie und Toleranz ringen und sich Fremdenhass und politischem Extremismus entgegenstellen. Dies muss man sich etwas kosten lassen. Sie müssen verstehen lernen, dass es ihr Ding ist, diesen unermüdlichen Einsatz für demokratisches Zusammenleben zu gestalten. Ausgaben für einen solchen Einsatz sind genauso wichtig oder vielleicht sogar noch wichtiger als andere Ausgaben, die Kommunen tätigen müssen, etwa für gereinigte Straßen, gepflegte Grünanlagen oder Politessen. Der Bund kann und soll dauerhaft helfen, aber er darf nicht die Verantwortung vor Ort mindern. Denn nur an den Lebensorten selbst wird Erziehung und Bildung zu demokratischem Verhalten vollzogen. Die Lebenskontexte sind geeignet, die Alternativlosigkeit und die Wertschätzung demokratischen Lebens überhaupt erfahrbar zu machen und demokratisches Zusammenleben geradezu zu trainieren. Gedenk- und Feiertagsrituale, Stundentafeln und Bildungsreisen sind wichtig, aber sie reichen bei weitem nicht aus. Sie können nicht die widersprüchlichen Alltagserfahrungen, die Konflikte und Frustrationen als Lernfelder ersetzen. Direkte Begegnungen mit fremden, mit schwachen, mit hilfebedürftigen Menschen, die Übernahme von Verantwortung für Menschen und für Lebensbereiche, kurzum: die Partizipation junger Menschen am Leben der Erwachsenengeneration, das sind die geeigneten Orte der Begleitung und Förderung junger Menschen und auch für spezifische Projekte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sind noch am Üben; denn auch verbale Gewalt wird als Gewalt empfunden. Strukturelle Gewalt, zum Beispiel im Verwaltungshandeln, führt zu Ohnmachtserfahrungen, und ein andauernder Entzug von Aufmerksamkeit und Zuwendung führt zu Vereinsamung. Ich konnte in Vorbereitung dieser Rede nicht darauf verzichten, noch einmal meinen Blick auf die Täter zu richten. Ich habe in der ausgezeichneten Recherche von Christian Fuchs, Die Zelle, versucht, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum gerade Mittelstandskinder, ohne materielle Not und ohne erkennbare soziale Verwerfungen aufgewachsen, sich in dem Gestrüpp nationalsozialistischer Ideologien verfangen konnten und warum sie zu so furchtbaren und systematischen Morden fähig wurden. Der Untersuchungsausschuss konnte und wollte auf solche Fragen keine Antworten geben. Dabei sind das die Fragen, die vor allen pädagogischen und politischen Interventionen stehen. Unsere Förderung darf nicht als ein Feuerwehr- oder Reparaturprogramm verstanden werden, sondern es muss auch nach den Ursachen und den diesbezüglichen Bedingungen des Aufwachsens gefragt werden. Fehlende Empathie, ungenügende Frustrationstoleranz, keine Konfliktkompetenz und ungezügelte Aggression sind Warnzeichen. In diesen Zusammenhängen ist es unerlässlich, nach den Entwicklungsbedingungen von Kindern in der Drehtür zwischen familiärer und öffentlicher Erziehung zu fragen. Die anthropologischen Wissenschaften geben uns dazu heute gute Antworten – wenn wir sie nur hören wollen. Die beabsichtigten Evaluationen von erfolgreich geförderten Programmen stimmen hoffungsvoll. Ich bin der Bundesregierung dankbar, dass sie sich in dem Koalitionsvertrag so einmütig und so geschlossen zur Fortsetzung und Evaluierung dieser Programme entschlossen hat. Noch ein Wort an uns alle: Vielleicht sind es gerade unsere unbewältigten und verdrängten Konflikte und Ängste, die es der nachfolgenden Generation schwer machen, in eine lebbare Zukunft zu gehen. Vielleicht führt unser unbedarfter Zugriff auf Ressourcen jeder Art zu einer Situation, die jungen Menschen Angst macht, die sie fragen lässt, wie sie in Zukunft leben sollen. Eine junge Generation, die nicht vom Beispiel und vom Optimismus der Älteren getragen und bewegt wird, kann kein Vertrauen in die Zukunft entwickeln. Deshalb brauchen junge Menschen vor allem ältere und authentische Kontaktpersonen – angefangen bei den Eltern bis hin zum Nachbarn, zum Ausbilder, zum Lehrer –, die sie annehmen mit ihren Eigenheiten und Fehlern, mit ihren Schwächen, mit ihrer anstrengenden eigenen Sprache und ihrer eigenen Kultur, die ihre Ängste und Fähigkeiten ernst nehmen, die Wertschätzung vermitteln und ihnen bei Problemen helfen, die mit ihnen im dauernden Gespräch bleiben und dabei erfahren, dass solch eine Kommunikation auch ihnen selbst helfen kann, ihre Ideologien aufzubrechen. Das bleibt schwer. Hier kann und soll professionelle Beratung aus Sackgassen und Engpässen heraushelfen. Wir selbst müssen mit Blick auf unsere Kultur des Umgangs im Deutschen Bundestag das Miteinander immer wieder neu üben – daran entscheidet sich, ob und wie Demokratie gelingt, ob sie wirklich und tatsächlich die Ultima Ratio unseres Zusammenlebens ist –, indem wir in der Sache scharf die Klingen kreuzen, der Person aber immer die gute Absicht unterstellen; denn immer neues, auch nach Enttäuschung investiertes Vertrauen ist die beste Alternative zu Gewalt und Kraft. Das ermöglicht uns eine gute individuelle Zukunft und eine gute Zukunft unseres Landes und unserer Erde. Vielleicht ist es tatsächlich an der Zeit, eine eigene Jugendpolitik zu entwickeln, so wie es im Koalitionsvertrag schon anklingt. Ein erster Schritt könnte sein, dass wir die Kinderkommission um eine Jugendkommission erweitern. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat die Kollegin Susanne Mittag das Wort. (Beifall bei der SPD – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wir gratulieren dem Kollegen Patzelt zur ersten Rede!) – Ich hatte schon darauf hingewiesen. Ich sage es aber noch einmal: Das war die erste Rede des Kollegen vor diesem Hause. (Beifall) Susanne Mittag (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hoffe, als Schlussrednerin kann ich Ihre Aufmerksamkeit noch ein bisschen bannen. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe waren das, was sich deutsche Sicherheitsbehörden anscheinend jahrelang nicht vorstellen konnten: eine rechtsextremistische Terrorzelle. Erst nach dem Banküberfall und den darauf folgenden Suiziden von Böhnhardt und Mundlos im November 2011 endeten die Mordanschläge, ohne dass die Sicherheitsbehörden auch nur ahnten, wen sie da tot im brennenden Wohnmobil vorgefunden haben. In den darauffolgenden Wochen und Monaten machte sich Fassungslosigkeit auch bei den Ermittlungsbehörden breit. Die Frage, die wir uns alle gestellt haben, lautete: Wie war es nur möglich, dass dieses Trio ungehindert jahrelang mordend durch diese Republik ziehen konnte? Die strafrechtlichen Fragen klärt derzeit die Justiz; dafür ist der Deutsche Bundestag nicht das richtige Gremium. Allerdings war es bei all diesen gravierenden Fehlern, Pannen und fragwürdigen Ermittlungsansätzen unerlässlich, dass wir als Politik klären, was genau schiefgelaufen ist und was wir ändern müssen, damit wir als Gesellschaft solche terroristischen Umtriebe künftig schneller erkennen und auch bekämpfen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Der Deutsche Bundestag ist der zentrale Ort für die politische Auseinandersetzung. Hier ringen wir um Positionen – das haben wir heute Morgen schon gemerkt –, suchen Mehrheiten, und wir streiten, manchmal auch härter, als es eigentlich sein müsste. Ganz anders war es im NSU-Untersuchungsausschuss. Die Aufarbeitung dort war geprägt vom Willen aller Fraktionen, gemeinsam die Missstände aufzuklären und konstruktive Vorschläge zur Beseitigung zu erarbeiten. Dafür möchte auch ich mich bei allen Beteiligten, die dem Ausschuss zum Erfolg verholfen haben, ganz herzlich bedanken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die im Untersuchungsausschuss geübte Praxis, dem Phänomen des Rechtsterrorismus gemeinsam zu begegnen, muss weiterverfolgt werden. Mir als neugewählter Abgeordneten des 18. Deutschen Bundestages ist es wichtig, dass wir hier und heute die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses fraktionsübergreifend bekräftigen und als Arbeitsprogramm mit in diese neue Legislaturperiode nehmen. Ich denke, alle neuen Abgeordneten werden mir da zustimmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das sind wir den Opfern, aber auch unserer Demokratie schuldig. Meine Vorredner Eva Högl und Sönke Rix haben als Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses die beschämenden Ergebnisse mit vorgestellt und klare Forderungen an die Politik in Bund und Ländern, an die Sicherheitsbehörden, aber auch an uns alle als Gesellschaft formuliert. Das ist eben schon vorgetragen worden. Bei allem, was wir in den kommenden Jahren in Bund und Ländern als Politik verabschieden werden, ist mir eines besonders wichtig: Lassen Sie uns nicht diejenigen vergessen, die es dann auf der Straße umsetzen sollen. Als ehemalige Polizeibeamtin weiß ich, wovon ich spreche. Wir dürfen also nicht immer nur neue Strukturen, andere Herangehensweisen sowie Eigen- und Fremdkontrollen bei Ermittlungsabläufen in den Behörden einfordern, sondern wir müssen gleichzeitig auch sagen, wie die Kollegen vor Ort das leisten sollen. Denn oftmals fehlt es an Zeit, an Möglichkeiten und an Personal. Ich sage hier ganz klar und deutlich: Wir werden in Bund und Ländern nicht umhin kommen, mehr Geld für Sachmittel und Personal auszugeben, wenn wir unsere Forderungen hier ernst meinen. Wir haben ja bald Haushaltsberatungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte noch auf einen mir wichtigen Aspekt eingehen und klarstellen: Der teilweise erhobene Vorwurf, die Polizei und die Sicherheitsbehörden seien durchgängig rassistisch und hätten ein frühzeitiges Erkennen des NSU-Terrors bewusst verhindert, weise ich für die SPD zurück. Gleichmacherei bringt uns hier kein Stück weiter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielmehr haben sich in den Sicherheitsorganen unbewusste Verdachts- und Vorurteilsstrukturen, Eitelkeiten und mangelnder Informationsaustausch so potenziert, dass sich hier alles zu einem Berg von Fehlern aufgetürmt hatte, der kaum zu begreifen ist. Daher halte ich es für vollkommen richtig, dass nun in den Bundesländern die Altfälle aus den Jahren 1990 bis 2011 nach bisher unentdeckten rechtsextremistischen Hintergründen erneut überprüft werden. Ich gehe davon aus, dass mit gleichem Nachdruck auch den Altfällen nachgegangen wird, bei denen sich keine rechtsextremen Anhaltspunkte ergeben, sondern andere, sei es organisierte Kriminalität oder seien es Anhaltspunkte aus dem näheren Umfeld des Opfers. Die Lehre aus dem NSU-Terror ist, dass jedes Opfer einer Straftat das gleiche Recht auf bestmögliche Ermittlungen hat, frei von Vorurteilen und Unterstellungen. Das gilt unabhängig von Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, Sprache und Religion, unabhängig von politischen und sonstigen Anschauungen, nationaler oder sozialer Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, unabhängig von Vermögen oder sonstigem Status. Denn jedes Opfer einer Straftat ist dem Staate und unserer Gesellschaft ja wohl gleich viel wert und verdient unsere Unterstützung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Auch für die Kollegin Mittag war es ihre erste Rede. (Beifall) Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den interfraktionellen Antrag auf Drucksache 18/558 mit dem Titel „Bekräftigung der Empfehlungen des Abschlussberichts des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode ,Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund‘“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag einstimmig angenommen worden – ein gutes Zeichen für dieses Haus. (Beifall im ganzen Hause) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mieterhöhungsstopp jetzt Drucksache 18/505 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mietenanstieg stoppen, soziale Wohnungswirtschaft entwickeln und dauerhaft sichern Drucksache 18/504 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Marktmacht brechen – Wohnungsnot durch Sozialen Wohnungsbau beseitigen Drucksache 18/506 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das auch so beschlossen. Damit eröffne ich die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Kollegin Caren Lay das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werfen Sie mit mir gemeinsam einen Blick auf den deutschen Wohnungsmarkt: Wer ein Studium in Heidelberg aufnimmt, der darf sich auf eine saftige Kaltmiete von etwa 10 Euro pro Quadratmeter gefasst machen. Eine Rentnerin, die in Prenzlauer Berg wohnt und dort vielleicht auch ihren Lebensabend verbringen will, weil sie seit 50 Jahren in ihrem Kiez zu Hause ist, muss damit rechnen, bei der nächsten Modernisierung vor die Tür gesetzt zu werden. Eine junge Familie in der Dresdner Neustadt muss damit zurechtkommen, dass ihre Miete in wenigen Jahren um 30 Prozent gestiegen ist. Verdrängung, Gentrifizierung und Mietenexplosion auf der einen Seite, Spekulation mit Wohnraum und hohe Renditen aufseiten der Vermieter auf der anderen Seite, das ist die Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt. Hier muss dringend etwas passieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, es wäre die erste gute Tat dieses neu gewählten Bundestages, wenn wir gemeinsam festhalten könnten, dass die Vorgängerregierung komplett versagt hat, als es darum ging, die Mieterinnen und Mieter vor einer Mietenexplosion zu schützen, und dass wir hier gemeinsam etwas auf den Weg bringen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Union und FDP haben doch tatenlos zugesehen! Sie haben zugelassen, dass die Zahl der Sozialwohnungen in zehn Jahren um ein Drittel zurückgegangen ist. Sie haben die Privatisierung öffentlicher Wohnungen nicht nur nicht gestoppt, sondern sie auch selber mit betrieben; noch im letzten Jahr wurden 11 000 Wohnungen, die im Besitz des Bundes waren, ohne Not an eine Heuschrecke verkauft. Sie haben zugelassen, dass der deutsche Wohnungsmarkt zu einem Eldorado für die internationale Spekulantenszene geworden ist. Die CDU/CSU zuckt da mit den Achseln und sagt: So ist sie eben, die Marktwirtschaft. – Das Gegenteil ist der Fall: Sie haben die Rechte der Mieterinnen und Mieter weiter reduziert, und zwar im Rahmen des sogenannten Mietrechtsänderungsgesetzes. Deswegen sagen wir als Linke ganz klar: Die oberste Pflicht muss es jetzt sein, dafür zu sorgen, dass Wohnen in Deutschland bezahlbar bleibt – auch und gerade für Menschen mit geringem Einkommen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) – Ich freue mich über den Applaus aus Reihen der SPD. – Wir haben als Linke heute ein ganzes Maßnahmenpaket vorgelegt. Eine ganz wichtige Forderung ist die Forderung nach einer Mietpreisbremse. Eine andere Forderung betrifft einen Neustart im sozialen Wohnungsbau; meine Kollegin Frau Bluhm wird gleich näher darauf eingehen. Aber zurück zur Mietpreisbremse: Ich freue mich, dass die Idee einer Mietpreisbremse im Wahlkampf eine Rolle gespielt hat, dass dieser Begriff verwendet wurde und dass es im Koalitionsvertrag Aussagen dazu gibt. Mit Blick auf die Vorstellungen der Koalition verdient die Mietpreisbremse jedoch ihren Namen nicht. (Beifall bei der LINKEN) Die Koalition will nämlich, dass die Mieten bei Wiedervermietung nicht stärker als um 10 Prozent steigen, gemessen an der örtlichen Vergleichsmiete. Wir fragen uns: Warum soll die Miete bei einer Wiedervermietung überhaupt steigen, wenn an der Wohnqualität überhaupt nichts verbessert wurde? (Beifall bei der LINKEN) Das ist doch völlig unlogisch: Frau A. wohnt in einer Wohnung, für die sie 500 Euro Miete zahlt. Wenn jetzt Frau B. in diese Wohnung einzieht, soll sie 550 Euro bezahlen. – Warum soll das so sein? Das kann mir wirklich niemand erklären. Kommen wir zum zweiten Pferdefuß: Diese „Mietpreisbremse“ soll auch nur für fünf Jahre gelten und auch nur dann, wenn die Länder bereit sind, sie umzusetzen. Da stellen sich zwei Fragen: Was passiert nach diesen fünf Jahren? Und, viel wichtiger: Was passiert eigentlich, wenn die unionsregierten Länder sagen: „Nein, wir setzen das nicht um, wir wollen in unseren Ländern keine Mietpreisbremse haben“? Meine Damen und Herren, das macht wirklich keinen Sinn. Sie delegieren hier die Verantwortung an die Länder und wollen Ihre Hände in Unschuld waschen. Das verdient den Namen „Mietpreisbremse“ nun wirklich nicht. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Grober Unverstand!) Mit einer solchen „Mietpreisbremse“ kann man die Mieten genauso bremsen, wie man einen Lkw mit einer Fahrradbremse bremsen kann. Wir als Linke schlagen etwas rigidere Regeln vor, die die Mieterinnen und Mieter schützen. (Beifall bei der LINKEN) Wir sagen: Erstens. Mieterhöhungen nur aufgrund von Wiedervermietung darf es überhaupt nicht mehr geben; dafür gibt es nun wirklich keinen Grund. Zweitens. Wenn die Miete erhöht wird, soll sie nur im Rahmen des Inflationsausgleiches steigen dürfen. Das wäre der erste Schritt dahin, dass Wohnen in Deutschland bezahlbar bleibt. Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass unsere Forderung, bei Maklerverträgen ein Bestellerprinzip einzuführen, jetzt von der Koalition aufgegriffen wird. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Reden Sie doch einmal zu Ihren Anträgen!) Anders macht das wirklich keinen Sinn. Wer beispielsweise in Berlin eine Wohnung sucht, der muss erst einmal mindestens anderthalb Kaltmieten an den Makler zahlen, selbst wenn der Vermieter ihn bestellt hat. Da frage ich Sie: Welcher Rentner, welche Studentin kann sich das denn überhaupt leisten? Das muss endlich geändert werden. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, in der Mietenpolitik muss etwas passieren. Wir fordern eine echte Mietpreisbremse und einen Neustart im sozialen Wohnungsbau. Wir wollen die Spekulation mit Wohnraum eindämmen. Die Privatisierung von öffentlichem Wohnraum muss endlich ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN) Die Mietenpolitik ist eine der größten sozialen Herausforderungen der nächsten vier Jahre. Wir als Linke werden hier Druck machen; das darf ich Ihnen versprechen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt hat der Kollege Dr. Luczak das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Wiese [SPD]) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Lay, Sie haben recht: Auf dem Mietwohnungsmarkt muss etwas passieren; aber – das kann ich Ihnen vorab schon einmal sagen – das, was Sie vorschlagen, das wird jedenfalls nicht passieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Man muss sich nur einmal ansehen, welche Wortwahl die Linke in ihren Anträgen bei der Aufstellung ihrer Forderungen benutzt. Da heißt es: „Mieterhöhungsstopp jetzt“, „Marktmacht brechen“, „Wohnen in der City [wird] zum elitären Statussymbol“. Meine Damen und Herren, das sind die Schlagworte, die die Linke in ihren Anträgen verwendet. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie sollten noch mehr zitieren! Das würde Ihre Rede besser machen!) Ich muss sagen: Angesichts dieser Wortwahl – sie findet sich eigentlich ständig in den Anträgen der Linken – kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren: Ihnen geht es nicht um die Sache, sondern allein um populistische Forderungen und um Stimmungsmache. Damit werden Sie den Menschen in diesem Lande nicht gerecht, meine Damen und Herren von den Linken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es verwundert ja auch schon, dass Sie gerade jetzt mit Ihren Vorschlägen um die Ecke kommen. Sie wissen doch ganz genau, dass wir in wenigen Wochen einen ersten Referentenentwurf bekommen werden, in dem wir uns dezidiert und explizit mit diesen Forderungen zum Mietrecht auseinandersetzen werden. Auch das zeigt wieder einmal, dass es Ihnen nicht um die Sache geht, sondern dass Sie an dieser Stelle Krawall machen wollen. (Zurufe von der LINKEN: Oh!) Ich rate Ihnen: Warten Sie den Entwurf ab, und setzen Sie sich konstruktiv damit auseinander. Dann können wir ja vielleicht über das eine oder andere miteinander reden. Aber was machen Sie stattdessen? Sie legen uns hier heute – das kann ich gar nicht anders formulieren – ein Sammelsurium an Unsinn vor. (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Das ist Komplexität!) Sie lassen in Ihren Forderungen jegliche Kenntnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen vermissen. Sie werfen Zerrbilder an die Wand und machen vor allen Dingen eines deutlich: Sie sind immer noch nicht in der sozialen Marktwirtschaft angekommen, sondern leben noch immer in Ihren sozialistischen Fantasien. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie sprechen in Ihren Anträgen zum Beispiel von der „monopolartigen Dominanz des Privateigentums“ (Zurufe von der LINKEN) und von Eigentümern, die die angespannte Marktsituation „hemmungslos“ ausnutzen. Sogar das Wirtschaftsstrafgesetz wollen Sie jetzt für Eigentümer verschärfen. Bei Ihnen ist immer noch der Eigentümer der Böse. Begreifen Sie doch endlich einmal: Eigentum ist nichts Schlechtes, sondern die Grundlage unserer gesellschaftlichen und auch verfassungsrechtlichen Ordnung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich muss sagen, ich finde es sehr schade, dass Sie sich in dieser Art und Weise mit der Mietenproblematik auseinandersetzen; denn das Thema ist wirklich sehr wichtig. Ich finde, am Anfang einer solchen Diskussion muss immer eine nüchterne Bestandsaufnahme stehen. Ja, es gibt eine dynamische Mietpreisentwicklung. Ja, es gibt auch Menschen, die sich ihre Wohnung nach einer Mieterhöhung nicht mehr leisten können. Aber zur Wahrheit gehört doch auch, dass diese Phänomene nicht überall zu finden sind. Vielmehr ist das doch vor allen Dingen ein Problem von Ballungszentren, von großen Städten und von Universitätsstädten. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das nutzt den Leuten überhaupt nichts!) Auf dem platten Land, in weiten Teilen der neuen Bundesländer und in vielen anderen strukturschwachen Regionen, werden Sie oftmals genau die umgekehrte Situation finden: Dort gibt es flächendeckenden Leerstand und Vermieter, die überhaupt nichts mehr in ihre Wohnungen investieren. Herrscht also einerseits Wohnungsknappheit, werden an anderen Orten Hunderte Wohnungen abgerissen. Insofern: Der Wohnungsmarkt ist sehr differenziert, und deswegen müssen die Antworten auf diese Fragen auch sehr differenziert ausfallen, und das vermisse ich in Ihren Vorschlägen hier völlig. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lay? Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Ja, sehr gerne. Caren Lay (DIE LINKE): Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie eine Zwischenfrage zulassen. – Sie haben darauf verwiesen, dass die Situation in den verschiedenen Städten und Regionen in Deutschland unterschiedlich ist. Das ist in der Tat richtig und auch völlig unbestritten. Ich darf Sie trotzdem fragen: Was nutzt es eigentlich jemandem, der in Berlin, Frankfurt oder München händeringend eine Wohnung sucht, weil dessen Arbeitsplatz nun einmal in der Großstadt ist, dass meinetwegen in der Uckermark oder auch im Bayerischen Wald die Mieten noch bezahlbar und günstig sind? Vielleicht können Sie das dem Hohen Hause einmal erklären. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Liebe Frau Lay, das erkläre ich Ihnen sehr gerne. Es geht darum, dass wir nicht alles über einen Kamm scheren, (Zuruf von der LINKEN: Wenn die Mietpreise nicht überall steigen, scheren wir nicht alles über einen Kamm!) sondern dass sich die Differenziertheit des Wohnungsmarktes tatsächlich auch in den Lösungsvorschlägen niederschlägt. Es macht eben schon einen Unterschied, ob man sich mit der Situation in großen Städten oder in Ballungszentren oder mit der Situation auf dem platten Land oder in strukturschwachen Regionen auseinandersetzt. Dort müssen wir jeweils andere Lösungen finden. Deswegen haben wir ja zum Beispiel – das haben Sie gerade erwähnt – in unserem Mietrechtsreformgesetz der letzten Legislaturperiode in Bezug auf die Kappungsgrenzen, also die Möglichkeit, Mieterhöhungen innerhalb eines laufenden Mietvertrages vorzunehmen, gesagt: Wir geben den Ländern die Möglichkeit, zu entscheiden, wo sie das machen wollen, weil die Länder natürlich am besten wissen, wo Wohnungsknappheit herrscht. – Es macht doch keinen Sinn, alles über einen Kamm zu scheren und gleichzumachen. Ich weiß, das ist immer Ihre Politik, aber das führt an dieser Stelle nicht weiter, sondern wir müssen uns zielgenaue Regelungen überlegen. Das haben wir in der letzten Legislaturperiode getan, und das werden wir in dieser Legislaturperiode genauso machen, Frau Lay. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will in Bezug auf steigende Mieten aber auch sagen: Für die Union und auch für mich persönlich ist es ganz wichtig, dass die Menschen – gerade junge Familien – nicht aus ihren angestammten Kiezen verdrängt werden dürfen. Die soziale Ausgewogenheit des Mietrechts war und ist für die Union immer eine Selbstverständlichkeit. Um uns daran zu erinnern, brauchen wir Sie von den Linken nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Das haben die letzten Jahre gezeigt!) Die entscheidende Frage ist nur: Wie können wir Mietsteigerungen nachhaltig dämpfen? Sie schlagen uns – das haben Sie ja gerade gesagt – ein ganzes Maßnahmenbündel vor: Sie schlagen vor, dass Mieterhöhungen ohne Wohnwertverbesserung nur noch zum Ausgleich der Inflation zulässig sind. (Caren Lay [DIE LINKE]: Ja!) Bei der Wiedervermietung einer Wohnung wollen Sie es Eigentümern grundsätzlich verbieten, die Miete zu erhöhen. (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Und warum?) Mieterhöhungen ohne adäquate Gegenleistung sollen zukünftig sogar strafbar werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Vorschläge – es gibt noch viel mehr, die ich hier erwähnen könnte – zielen im Kern darauf ab, privates Eigentum, private Investitionen und letztlich die soziale Marktwirtschaft auf dem Wohnungsmarkt abzuschaffen und durch ein staatlich reguliertes Mietensystem und staatlichen Wohnungsbau zu ersetzen. Da sage ich ganz klar: Das wird es mit der Union nicht geben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Für uns ist völlig klar und eindeutig: Das beste Mittel gegen steigende Mieten ist immer noch der Bau von mehr Wohnungen; (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) denn das ist letztlich die Ursache für steigende Mieten: Es gibt schlechterdings zu wenig Angebote auf dem Wohnungsmarkt. Natürlich, auch hier ist der Staat in der Pflicht. (Caren Lay [DIE LINKE]: Ja!) Er muss den Wohnungsbau fördern. Das tun wir umfangreich mit diversen Förderprogrammen, zum Beispiel mit den Mitteln des Bundes für die soziale Wohnraumförderung. Hier stellt der Bund den Ländern immerhin bis zum Jahre 2019 jedes Jahr über eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung. An dieser Stelle sage ich: Wir als Bund haben die klare Erwartung, dass diese Mittel zweckentsprechend eingesetzt werden und wirklich für den Bau neuer Wohnungen verwandt werden, nicht für andere Sachen. Da können Sie sich einmal an die eigene Nase fassen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken. Sie haben in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung hier in Berlin mit diesem Geld über zehn Jahre lang alte Schulden getilgt. Von diesem Geld ist keine einzige neue Wohnung gebaut worden. Also: Fassen Sie sich mal an Ihre eigene Nase! (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) Klar ist jedenfalls: Angesichts knapper Haushaltskassen werden wir das Problem nicht allein über staatliche Förderung lösen können; vielmehr sind wir dabei zwingend auf private Investitionen angewiesen. Hier geht es auch gar nicht so sehr um die großen Finanzinvestoren, auf die Sie immer so gerne schimpfen, sondern es geht vor allen Dingen um die privaten Kleinvermieter: Über 60 Prozent der Wohnungen in unserem Lande werden von privaten Eigentümern angeboten. Das ist etwa der Handwerksmeister, der vielleicht Mitte 50 ist, der sich eine Wohnung oder zwei Wohnungen als Altersvorsorge angeschafft hat und diese dann vermietet. Solche Menschen brauchen wir, wenn es auch zukünftig genügend Wohnraum in unserem Land geben soll. Diese Menschen investieren natürlich aber nur dann in den Wohnungsneubau, wenn sich das für sie irgendwie rechnet. (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Ja, eben!) Man muss wissen: Als Anlageform ist die Vermietung von Wohnungen – bei allen Unterschieden, die es da gibt – im Kern relativ renditeschwach. Die Durchschnittsrendite bei diesen privaten Kleinvermietern – noch einmal: sie bieten 60 Prozent der Wohnungen in unserem Land an – liegt bei gerade einmal 2,14 Prozent. Was würde nun passieren, wenn wir Ihre Vorschläge umsetzten? Dieser Handwerksmeister würde sich sehr genau überlegen, ob er sein Geld dann nicht lieber aufs Tagesgeldkonto legt, statt sich mit Mietnomaden und Ähnlichem herumzuärgern. (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN) Unter dem Strich würde es weniger Investitionen in den Wohnungsneubau geben. Weniger Investitionen bedeuten aber weniger Wohnungen, und weniger Wohnungen bedeuten weniger Angebote; weniger Angebote bedeuten steigende Mieten – so sind die Zusammenhänge in der Marktwirtschaft. Das, was Sie uns als Linke vorschlagen, würde die Mieten also nicht senken. Diese Vorschläge würden umgekehrt dazu führen, dass die Situation mittelfristig noch viel schlechter wird. Ich sage Ihnen eines: Die Mieterinnen und Mieter in unserem Land werden sich bei Ihnen bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU) Es geht noch weiter – ich glaube, darin sind wir uns alle einig –: Neben dem Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, wollen wir auch Wohnraum haben, der energetischen Ansprüchen genügt und den Anforderungen einer älter werdenden Gesellschaft gerecht wird. Beides ist mit Blick auf die demografische Entwicklung und auf unser gesamtgesellschaftliches Ziel des Klimaschutzes völlig unabdingbar. Natürlich, auch hier gilt wieder: Der Staat muss seiner Verantwortung gerecht werden. Insofern haben wir im Koalitionsvertrag – das ist gut und richtig – vorgesehen, zum Beispiel die Mittel der KfW-Programme zur energetischen Sanierung aufzustocken und das Verfahren deutlich zu vereinfachen. Aber trotzdem: Öffentliche Förderung bzw. staatliche Mittel sind begrenzt. Umso mehr brauchen wir Rahmenbedingungen, die Eigentümer nicht von Investitionen abhalten. Wir brauchen auch bei der energetischen Sanierung und beim altersgerechten Umbau privates Kapital, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn wir nun die Modernisierungsumlage, so wie Sie das vorschlagen, auf 5 Prozent reduzieren und diese dann letztlich sogar abschaffen, dann frage ich Sie: Welcher Eigentümer soll zukünftig noch investieren? Welcher Eigentümer soll denn noch Geld in die Hand nehmen, wenn sich das für ihn überhaupt nicht mehr rechnet? Niemand wird das mehr machen. Die Folge wäre, dass privater Wohnraum dem Verfall ausgesetzt wäre. Die Folge wäre, dass weniger Wohnungen energetisch modernisiert und altersgerecht umgebaut würden. Wozu das führt, konnte man bis 1990 in der damaligen DDR beobachten. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich will zu der Situation nicht zurück, die wir da gehabt haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Richtig ist, dass wir genau das Gegenteil machen müssen: Wir müssen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass mehr in den Wohnungsneubau und in die Modernisierung des Wohnungsbestandes investiert wird. Deswegen bedarf es für Investitionen wirtschaftlicher Anreize und nicht zusätzlicher Hürden. All das, was ich gerade ausgeführt habe, gilt natürlich auch für die Vorschläge, die unser Justizminister Maas in wenigen Wochen vorlegen wird. Deswegen sage ich an dieser Stelle ganz klar: Ja, die Mietpreisbremse aus dem Koalitionsvertrag wird kommen, weil sie ein Instrument ist, um kurzfristig gegen steigende Mieten vorzugehen. Aber klar muss auch sein, dass die Mietpreisbremse nur bei den Symptomen ansetzt. Die Ursache für steigende Mieten, nämlich zu wenig Wohnungsneubau, wird damit in keiner Weise beseitigt, im Gegenteil: Mit der Mietpreisbremse werden die Rahmenbedingungen für Eigentümer, in Wohnungsneubau zu investieren, sogar verschlechtert. Deswegen sage ich ganz klar: Wir müssen die Mietpreisbremse so ausgestalten, dass sie nicht zu einer Investitionsbremse wird, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Gleiche gilt auch für die geplanten Änderungen bei der Modernisierungsumlage. Hier müssen wir zum Beispiel sehr genau im Blick behalten, ob das, was wir geplant haben, nämlich die Umlagefähigkeit bis zum Zeitpunkt der Amortisation zu befristen, richtig ist. Ich persönlich halte das für eine Regelung, die in der Praxis kaum umsetzbar sein wird. Ich glaube, sie wird auch in gewisser Weise einen Systembruch darstellen, weil mit einer Modernisierung immer eine Erhöhung des Wohnwertes einhergeht. Dieser Wohnwert bleibt schließlich bestehen, wenn die Modernisierungskosten sich amortisiert haben. Im Kern würde diese Regelung also bedeuten, dass ein Mieter die Wohnwertsteigerung nach Erreichen der Amortisation zum Nulltarif hätte. Damit wäre, glaube ich, das Äquivalenzprinzip in einem sehr wesentlichen Punkt ausgehebelt. Deswegen müssen wir uns sehr genau überlegen, ob das der richtige Weg ist. Zum Schluss, meine Damen und Herren von den Linken: Sie sehen also: Die Wohnungsmarktpolitik ist sehr komplex und vielschichtig. Ihre einfachen und populistischen Parolen leisten überhaupt keinen Beitrag dazu, hier zu angemessenen Lösungen zu kommen. Deswegen werden wir Ihre Anträge ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Christian Kühn das Wort. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Rängen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Thema Wohnen geht es nicht um ein x-beliebiges Produkt oder eine Ware wie eine Zahnbürste, eine Dienstleistung oder ein Möbelstück. Wohnen ist ein hohes Gut. Die Lage einer Wohnung entscheidet heute über die Kreditwürdigkeit und den Zugang zu Arbeit, Bildung, Gesundheit und Sicherheit. Ein Stadtteil oder eine Straße sind nicht nur eine Postanschrift; sie sind für viele Menschen Identität, soziales Umfeld und Heimat. Mit einer Wohnung erhält man einen grundrechtlich garantierten Schutz. Spricht man mit obdachlosen und wohnungslosen Menschen bei den Vesperkirchen im Land, die gerade ihre Tore geöffnet haben, dann kann man erahnen, was es bedeutet, wenn man den Rückzugsraum und Schutzraum Wohnung nicht mehr hat. Wohnen ist viel mehr als Markt und Ware. Deswegen ist es unsere Pflicht, Wohnraum zu schützen und ihn eben nicht rein marktwirtschaftlichen Gesetzen zu überlassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Wohnungsmärkte in den großen Städten boomen. Ich finde es ein bisschen untertrieben, das eine normale dynamische Entwicklung zu nennen. Gerade in den Ballungsräumen und Universitätsstädten läuft das aus dem Ruder. Sie können täglich nicht nur in Berliner Zeitungen, sondern auch in anderen nachlesen, wie stark die Mietanstiege in diesen Ballungszentren sind. Immer mehr Menschen ziehen in die Städte, und das ist auch gut so. Aber der Platz wird knapp, und dadurch steigen eben die Preise. Dieser Effekt wird durch die Niedrigzinspolitik verstärkt: Bei den niedrigen Zinsen legen immer mehr Menschen ihr Geld in Betongold, also in Immobilien, an und wollen dafür eine Rendite, zum Teil auch eine hohe Rendite. An diesem Montag hat eine Meldung der Bundesbank uns Wohnungspolitiker aufhorchen lassen: In den Großstädten weichen die Preise für Wohnimmobilien um 25 Prozent nach oben ab. Sogar eine Immobilienblase ist bei lang anhaltender Niedrigzinspolitik nicht mehr auszuschließen. Deswegen ist es richtig, jetzt in die Wohnungsmärkte einzugreifen. Dabei kann man nicht von einer dynamischen Entwicklung sprechen. Vielmehr laufen in Teilen Deutschlands die Märkte aus dem Ruder. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Unser Mietrecht lässt einen Spielraum für Mietpreissteigerungen zu, der gerade in den wachsenden Regionen ausgenutzt wird. Das heißt dann: Wer genügend Geld hat, kann in den Städten wohnen bleiben. Die wachsenden Märkte sind überhitzt. Ich finde, wir brauchen dringend eine Abkühlung bei den Mietmärkten, und zwar schnell, damit wir der Polarisierung und sozialen Entmischung in unseren Städten etwas entgegensetzen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grünen stehen für lebenswerte, durchmischte Städte, in die man gerne investiert, in denen man aber auch gerne lebt. Dafür brauchen wir grundsätzlich ein umfassendes wohnungspolitisches Konzept, das an unterschiedlichen Stellschrauben dreht. Staat, Mieterinnen und Mieter sowie Eigentümerinnen und Eigentümer müssen gemeinsam daran arbeiten, die drei großen Herausforderungen zu bewältigen: altersgerechter Umbau, energetische Sanierung und sozialer Ausgleich. Leider sehe ich ein solch umfassendes Konzept bei der Großen Koalition nicht. Bei Ihnen fehlen nämlich die Investitionsanreize, Herr Luczak. (Bettina Hornhues [CDU/CSU]: Bei Ihren Vorschlägen fehlen die Investitionsanreize!) – Nein, bei Ihnen fehlen die Investitionsanreize. Wir finden die Mietpreisbremse als ein Instrument, das schnell eingeführt wird, richtig. Sie ist im Kern ein Rettungsschirm, der schnell aufgespannt werden muss. Sie sagen nun aber: Das verhindert den Neubau. – Das ist falsch. Für den Neubau gilt sie gar nicht. Ich rate Ihnen, einen Blick in den eigenen Koalitionsvertrag zu werfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Bitte lesen! Das steht da drin!) Ich rate Ihnen: Rücken Sie von Ihren Wahlversprechen nicht ab! Führen Sie die Mietpreisbremse ein! Bleiben Sie hier standfest, wie man auf dem Bau sagt. Bei der Modernisierungsumlage bin ich sehr skeptisch, was die geplante zeitliche Begrenzung angeht. Wenn Sie diese einführen, werden Sie sich in juristischen Fallstricken verheddern. Deswegen sage ich Ihnen: Schwenken Sie auf unser Konzept und die inhaltliche Beschränkung auf den altersgerechten Umbau und die energetische Sanierung um. Wir brauchen echte Anreize. Auch wir wollen die KfW-Programme verstetigen. Wir wollen sie aus dem nicht funktionsfähigen Emissionshandel herauslösen, der letztlich die Finanzierungsbasis dafür bildet. Die Mittel für diese Programme müssen auf mindestens 2 Milliarden Euro jährlich erhöht werden. Zudem müssen Sie in die Quartierssanierung mehr investieren. Mir fehlen hier die Zahlen der Großen Koalition. Ich bin gespannt, ob Sie am Ende bei den Haushaltsberatungen wirklich liefern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beim sozialen Wohnungsbau sollten wir uns als Wohnungspolitiker ein bisschen ehrlich machen: Die Federführung der Gesetzgebung liegt bei den Ländern. Wir als Bund zahlen die Entflechtungsmittel. Wenn man wirklich etwas Substanzielles ändern will, dann muss man in eine neue Föderalismusreform einsteigen, dies dort als Thema gezielt setzen und darüber nachdenken, wie der soziale Wohnungsbau in Deutschland neu organisiert werden soll. Ihnen in der Großen Koalition fehlt die Kraft, dieses Thema wirklich anzugehen. Das finde ich schade. Das ist eine vertane Chance für die Wohnungspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Was halten Sie von den Anträgen der Linken?) Wir Grünen stehen für eine neue, innovative Wohnungspolitik, in der alle wohnungspolitischen Instrumente aufeinander abgestimmt sind. Es geht um die Energiewende, den demografischen Wandel und den sozialen Zusammenhalt in Deutschland. Beim Wohngeld – das ist ein Beispiel dafür, was wir unter einer neuen Wohnungspolitik verstehen – wollen wir einen Klimazuschuss obendrauf setzen; denn wenn wir den Heizkostenzuschuss wieder einführen, zahlen wir letztlich die Heizkosten für schlecht isolierte Wohnungen. Das macht weder volkswirtschaftlich noch haushalterisch Sinn. Deswegen bedarf es eines Klimazuschusses beim Wohngeld. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist das, was wir Grünen mit einer klimafreundlichen und bezahlbaren Wohnungspolitik meinen. Die Anträge der Linken verstehen wir in Teilen sehr gut. Wir werden sie in den nächsten Wochen weiter prüfen. Heute ist die erste Lesung. Wir werden darüber im Ausschuss weiter beraten. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wohnen“ kommt aus dem Althochdeutschen und bedeutet „zufrieden sein“. Wenn ich mir die Entwicklung gerade in Ballungsräumen und in vielen Universitätsstädten anschaue, dann muss ich feststellen: Viele Menschen sind mit ihrem Wohnumfeld nicht mehr zufrieden. Sie sind nicht mehr zufrieden damit, dass die Mieten bei Wiedervermietung in Städten zwischen 20 und 50 Prozent ansteigen, ohne dass tatsächlich irgendetwas an der Wohnung gemacht wurde. Die Menschen sind unzufrieden damit, dass sie, wenn sie eine Wohnung – auch auf angespannten Wohnungsmärkten – gefunden haben, 2,3 Monatsmieten als Maklergebühren zahlen sollen. Sie verstehen nicht, warum das so sein muss. Wir als Große Koalition haben darauf reagiert. Unser Koalitionsvertrag gibt – das ignoriert die Linke in ihren Anträgen komplett – abgestimmte, zielgenaue Antworten auf die Probleme. Erstens erzielen wir Verbesserungen beim Mietrecht, indem wir die Mieterinnen und Mieter deutlich besser schützen. Zweitens regen wir Investitionen an. Wir wissen, dass es auf angespannten Wohnungsmärkten mehr Wohnungsbaus bedarf. Wer sich die aktuellen Entwicklungen anschaut, sieht, dass die Investitionen in den Wohnungsneubau anziehen und dass dies zu einer Entspannung führt. Das sind Themen, die wir angehen wollen. Die Bundesregierung und insbesondere das neue Umwelt- und Bauministerium, wenn ich die Kurzformulierung benutzen darf, haben sich vorgenommen, in einem Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen alle Aspekte, die hier auch von den Vorrednern angesprochen worden sind, zusammenzubringen. Wir brauchen energetisch sanierte Wohnungen, wir brauchen altersgerecht gestaltete Wohnungen, wir brauchen aber auch bezahlbaren Wohnraum für viele Menschen, die heute Sorge haben, ob sie sich als Rentnerinnen und Rentner ihre Wohnung noch leisten können. Auch der Polizeibeamte oder die Krankenschwester machen sich Sorgen, dass sie die nächste Mietsteigerung nicht mehr tragen können und deswegen ausziehen und an den Stadtrand ziehen müssen. Für all diejenigen wollen wir etwas machen. Ich finde, wir haben in dem Koalitionsvertrag wirklich ganz tolle Dinge aufgeschrieben, die wir Stück für Stück umsetzen werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele? Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Gerne. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Staatssekretär. – Ich habe eine Frage: Trifft es zu, dass die Bundesregierung beabsichtigt, eine Mietpreisbremse einzurichten, diese aber zeitlich zu befristen, auf beispielsweise fünf Jahre? (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das hat die Kollegin Lay schon gesagt!) Wenn das zutrifft, glauben Sie dann nicht mit mir, dass für die Mieter die Aussicht, dass in fünf Jahren die Miete völlig freigegeben wird und ohne jede Einschränkung erhöht werden kann, keine Perspektive, sondern ein Horror ist? Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Lieber Kollege Ströbele, wir haben bei jeder Mietrechtsänderung, die wir in diesem Hause machen, eine zeitliche Befristung von vier Jahren; denn jede neue politische Konstellation kann das bestehende Mietrecht verändern. Wir haben uns in der Großen Koalition darauf verständigt, diese Mietpreisbremse unter bestimmten Bedingungen einzuführen. Erstens. Wir wollen sie regional ausgestalten, weil wir wissen, dass es das Problem, dass es bei Wiedervermietung zu solchen Sprüngen kommt, nur bei 10 bis 15 Prozent der Wohnungsmärkte überhaupt gibt. Zweitens. Wir wollen die Mietpreisbremse zeitlich befristen, um zu sehen, ob das ein Instrument ist, das auch tatsächlich wirkt und funktioniert. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir eine Periode von fünf Jahren vorsehen, um dieses Instrument zu testen. Sollte es sich als wirkungsvoll herausstellen, ist es der nächsten Koalition doch völlig unbenommen, diese zeitliche Befristung aus dem Gesetz herauszunehmen und ein bewährtes Instrument – ich bin überzeugt davon, dass es das ist – weiter fortzuführen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich möchte gerne noch auf den Redebeitrag von der Kollegin Lay eingehen. Warum kommen wir auf den Gedanken, bei der Wiedervermietung nicht die ortsübliche Miete zugrunde zu legen, sondern einen Betrag, der 10 Prozent darüber liegt? Dem liegt doch eine ganz praktische Überlegung zugrunde, die jeder, der sich einmal mit der Vielfältigkeit von Vermietungen beschäftigt hat, sofort erkennen muss. Es gibt eine ganze Menge von Vermieterinnen und Vermietern – die sind angesprochen worden –, die die Miete nicht erhöhen. Es gibt eine ganze Menge, die kleinere Maßnahmen beim Mieterwechsel durchführen, die nicht unter die Modernisierungsumlage fallen. Weil wir verhindern wollen, dass permanent ein Druck zu Mieterhöhungen besteht, und weil wir nicht wollen, dass kleinere Maßnahmen unterbleiben, wollen wir bei der Wiedervermietung einen gewissen Spielraum bieten, damit so etwas auch gemacht wird. Wir wollen dafür sorgen, dass es zu einem ausgewogenen Verhältnis kommt. Unser Ziel ist es, Exzesse zu verhindern. Wir wollen verhindern, dass es, ohne dass etwas an der Wohnung gemacht worden ist, auf einmal zu Steigerungen von 20 bis 50 Prozent kommt. Das werden wir mit dieser Mietpreisbremse erreichen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir werden gleichzeitig eine weitere Sorge aufgreifen: Viele Mieterinnen und Mieter haben selbst bei an sich sinnvollen Dingen wie zum Beispiel der energetischen Sanierung Sorge, dass die Wohnung luxusmodernisiert wird und dass sie sich die Wohnung nicht mehr leisten können. Das Problem wollen wir angehen, indem wir eine Härtefallklausel für Mieterinnen und Mieter schaffen, wie es im Koalitionsvertrag steht, und indem wir darüber reden, wie wir eine vernünftige zeitliche Befristung hinbekommen und welcher Anteil umgelegt werden kann. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das scheint ja noch strittig zu sein! Wo ist denn der Entwurf?) – Zunächst einmal gilt der Koalitionsvertrag, und wir werden ihn umsetzen. Dieses Projekt wird unter der Federführung des Justizministeriums zügigst auf den Weg gebracht. (Beifall bei der SPD) Sie werden das hier sehr schnell auf den Tisch bekommen, und dann können wir uns darüber unterhalten. Letzter Satz, Frau Präsidentin; Sie ermahnen mich schon. Wir werden dafür Sorge tragen, dass wir einen vernünftigen Mix aus sozialer Wohnraumförderung, aus mietrechtlichem Schutz und aus Investitionstätigkeit hinbekommen, damit für alle Menschen in der Bundesrepublik Deutschland das Wort „wohnen“ mit dem Wort „genießen“ wieder in Übereinstimmung gebracht wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Heidrun Bluhm das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Mietanstieg stoppen, soziale Wohnungswirtschaft entwickeln und dauerhaft sichern“, „Mieterhöhungsstopp jetzt“, „Marktmacht brechen – Wohnungsnot durch Sozialen Wohnungsbau beseitigen“: Herr Kollege Luczak, ich wiederhole das sehr gerne. Ich finde es extrem arrogant, wenn Sie sich hier vorne hinstellen und allein die Titel unserer Anträge so disqualifizieren. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Disqualifiziert haben Sie sich selber!) Wissen Sie überhaupt, wie viele Bürgerinnen und Bürger genau so die Wohnungspolitik empfinden und in diesem Parlament ein Sprachrohr brauchen? Dass Sie nur die Vermieterseite vertreten und so tun, als wenn Sie die Mieterseite ebenfalls bedienten, das kennen wir seit Jahren. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ihre populistischen Bemerkungen gehen an der Sache völlig vorbei!) Hier muss noch einmal deutlich klargestellt werden, dass dem nicht so ist. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung vor ungefähr einem Monat versprochen, im Mittelpunkt des Regierungshandelns stehe für sie der Mensch. Im Zweifel müsse man sich für die Menschen entscheiden. Nun, wie es scheint, hat die Bundesregierung noch etwas Zeit, sich mit sich selbst oder sich nur mit ganz speziellen Menschen zu beschäftigen, bevor sie dazu kommt, sich mit den Problemen der Menschen im Allgemeinen zu beschäftigen – (Beifall bei der LINKEN) Zeit, die die Menschen im konkreten, im richtigen Leben aber nicht haben. Auch können die Bürgerinnen und Bürger nichts dafür, dass die Regierung so lange braucht, um zum Handeln zu kommen, und dass wir zwischenzeitlich durch andere Aufgaben dabei aufgehalten werden, uns ihnen zuzuwenden. Wir haben die Zeit genutzt und haben unsere Anträge mit diesen Überschriften heute hier so vorgelegt. Herr Luczak, die Analyse, von der Sie sprechen und die Sie gern durchgeführt sähen, liegt seit langem vor. Es gibt mehrere Wohnungsmarktberichte, die wir bereits in den vergangenen Legislaturen zur Kenntnis genommen haben. Es gibt die Studie des Pestel-Instituts vom Oktober 2013, in der festgestellt wird, dass in Ballungsgebieten 30 bis 50 Prozent aller Haushalte Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, also auf eine sozial gebundene Wohnung, hätten. Das entspricht einem Bedarf von circa 5,6 Millionen Sozialwohnungen oder rund 28 Prozent des Mietwohnungsbestandes. Ende der 1970er-Jahre lag der Bestand an Sozialwohnungen in Deutschland bei knapp 30 Prozent. Heute beträgt er nur noch 7 Prozent am gesamten Wohnungsmarkt, und dieser Anteil ist weiter sinkend. Angesichts dieser Fakten ist die im Koalitionsvertrag angekündigte „Wiederbelebung“ des sozialen Wohnungsbaus nicht zu erreichen. Mit 518 Millionen Euro jährlich, befristet bis 2019, lassen sich nicht einmal die zukünftigen Verluste an Sozialwohnungen ausgleichen. Auch das ist keine Trendwende. Selbst wenn die von uns in unseren Anträgen geforderten 700 Millionen Euro jährlich fließen würden, reichten sie dafür allein nicht aus; (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Genau! Deswegen warten wir auf weitere Investitionen! Richtig!) aber sie wären wenigstens ein Signal an die Länder und die private Wohnungswirtschaft, dass wirklich Wiederbelebung und nicht nur Notbeatmung gemeint ist. (Beifall bei der LINKEN) Wenn die Länder dann mit gleicher Summe kofinanzieren, könnten wir die Entwicklung auch umkehren. Was wir vor allem und dringend brauchen, ist ein Paradigmenwechsel in der politischen Einstellung der Regierung. Angesichts der aufgestauten Probleme durch den demografischen Wandel, durch die Klimaveränderung oder aber auch durch die Zuwanderung von Migranten und Flüchtlingen nach Deutschland darf sich der Bund nicht länger hinter dieser Länderzuständigkeit verschanzen. Die ausschließliche Marktorientierung der bisherigen Politik in der Wohnungswirtschaft muss insgesamt auf den Prüfstand gestellt werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke will kommunale und genossenschaftliche Wohnungswirtschaft wieder deutlich stärken und der Renditelogik der Immobilienmärkte weiter entgegenstellen. Herr Luczak, auch das ist Eigentum; das ist öffentliches und solidarisches Eigentum. Es muss genauso geschützt werden wie das Privateigentum. (Beifall bei der LINKEN) Aber die Tendenz Ihrer Politik entwickelt sich immer noch in die entgegengesetzte Richtung: Die Privatisierung nimmt weiterhin ihren Lauf. Anstelle einer „Maas-vollen“ Mietpreisbremse des Justizministers brauchen wir eine radikale Privatisierungsbremse. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wohin die bisher geübte Praxis der Wohnungsprivatisierungen führt, zeigt uns sehr anschaulich das Beispiel der ehemals bundeseigenen TLG-Wohnungen in Ostdeutschland: Nach kurzer Schamfrist hat die TAG Immobilien Aktiengesellschaft, die Käuferin der TLG Wohnen, die Mieten flächendeckend angehoben, die Bestands- und erst recht die Wiedervermietungsmieten, in Dresden zum Beispiel um 20 Prozent. Die zahnlose, mit der vorherigen Bundesregierung ausgehandelte Sozialcharta und die steuerfinanzierte Ombudsstelle haben keine der Mieterinnen und Mieter davor geschützt. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, beteiligt sich jetzt die unter Aufsicht des Bundesfinanzministeriums stehende Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder, VBL genannt, also eine Anstalt des öffentlichen Rechts, an der privaten TAG Immobilien Aktiengesellschaft, die diese Mietenpolitik betreibt. Mit über 10 Prozent Aktienanteil ist die VBL einer der größten Aktionäre bei der privaten Aktiengesellschaft TAG geworden, die von ebendiesem Finanzministerium rund 11 500 Wohnungen in Ostdeutschland gekauft hat – und das noch unter Umgehung der Grunderwerbsteuer. Nicht nur, dass die VBL dadurch mit Beitragsgeldern der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der TAG Immobilien Aktiengesellschaft hilft, den Kaufpreis für die vom Bund erworbenen Wohnungen zu refinanzieren; sie wirkt nun auch noch darauf hin, dass ihr finanzielles Engagement sich über steigende Mieten rentiert. Das ist so paradox, so krank wie das ganze System. (Beifall bei der LINKEN) Aber die Bundesregierung hält das alles, wie sie uns in ihrer Antwort auf unsere entsprechende Kleine Anfrage in der vergangenen Woche wissen ließ, für legal und völlig normal, eben für systemkonform. Dieses System der Wohnungswirtschaft muss sich grundlegend ändern. Das Entstehen monopolartiger Strukturen auf dem Wohnungsmarkt muss verhindert werden. Ein weiteres Wuchern von rein renditeorientierten Finanzinvestoren in der Wohnungswirtschaft muss unterbunden und zurückgedrängt werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Wohnungswirtschaft muss verändert und mindestens um das Element eines nicht renditeorientierten Sektors erweitert werden. Der soziale Wohnungsbau, so wie die Linke ihn versteht, muss zum Kern eines neuen, gemeinwohlorientierten Segments in der Wohnungswirtschaft entwickelt werden, (Beifall bei der LINKEN) nicht durch Enteignung, sondern durch Hinzufügung auf dem Wohnungsmarkt. Mit den Ländern sollten dazu differenzierte Vereinbarungen geschlossen werden, die sowohl Neubau als auch Sanierung oder auch den Ankauf von Belegungsrechten ermöglichen. Wichtig ist: Die Zweckbindung muss unbefristet und damit dauerhaft festgeschrieben sein. (Beifall bei der LINKEN) Herr Luczak, Sie haben heute daran appelliert, mit den Ländern solche Vereinbarungen zu verabreden. Ich muss Ihnen sagen: Herr Schäuble hat sie im letzten Jahr geopfert und aufgegeben. Mittel müssen überall dort in den sozialen Wohnungsbau fließen, wo Wohnungsnot besteht, und zur Herausbildung eines dauerhaften sozial gebundenen Bestandes in der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungswirtschaft verwendet werden. Das wäre eine wirksame Alternative zur rein marktwirtschaftlich aufgestellten Wohnungswirtschaft. Nur so wird es uns gelingen, die bestehenden wirtschaftlichen und rechtlichen Ungleichgewichte zwischen Anbietern und Nachfragern, also zwischen Vermietern und Mietern, auf dem Wohnungsmarkt aufzuheben. Erinnern wir uns an das, was Frau Merkel in ihrer Regierungserklärung gesagt hat: Wir wollen im Zweifel für die Menschen sein. (Beifall bei der LINKEN) Ich bin sehr gespannt auf die Gesetzesinitiativen der Regierung. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächster erteile ich das Wort unserer Kollegin Sylvia Jörrißen, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Sylvia Jörrißen (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir das Antragspaket der Linken heute nutzen, um über die Wohnungssituation zu sprechen. Klar ist aber, dass die Situation deutlich komplexer ist, als von den Kollegen ausgemalt. Erlauben Sie mir, in dieser Debatte darauf hinzuweisen, dass die Wohnungspolitik kein Politikfeld ist, das für parteipolitische Punktsiege missbraucht werden sollte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir reden beim Thema Wohnung über das unmittelbare Zuhause, das Heim der Menschen. Entscheidungen, die wir treffen, haben unmittelbaren Einfluss auf dieses engste und persönliche Umfeld; da stimme ich dem Kollegen Kühn von den Grünen absolut zu. Aber gerade deshalb muss alles gut überlegt sein. Die Maßnahmen, die wir treffen, dürfen nicht Ausfluss populistischer Forderungen sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn ich mir den Wohnungsmarkt in unserem Land anschaue, dann sehe ich ein Erfolgsmodell. In anderen Ländern war der Immobilienmarkt der Auslöser der Wirtschafts- und Finanzkrise, bei uns wirkt er bis heute stabilisierend. Seine Mischung aus Eigentum, Miete und genossenschaftlichem Wohnen macht den entscheidenden Unterschied. Eine sichere Wohnsituation bedeutet Lebensqualität für die Menschen in unserem Land. Das haben sich CDU/CSU und SPD auf die Fahnen und in den Koalitionsvertrag geschrieben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auf der einen Seite gibt es in Deutschland eine ganze Reihe von wirtschaftlich starken und aufstrebenden Regionen. Sie sind attraktiv für Zuzüge. Hier passen regionales Wohnungsangebot und Nachfrage aktuell nicht immer zusammen. Auf der anderen Seite – das lassen Sie in Ihrem Antrag bewusst aus – gibt es vor allem in strukturschwachen Regionen einen massiven Wohnungsleerstand. Diese regional völlig gegensätzlichen Probleme lösen Sie mit Ihrer Pauschalforderung nach 150 000 neuen Sozialwohnungen nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Einzige Lösung ist – da bin ich mir sicher –, dass sich die regionalen Wohnungsteilmärkte den veränderten Bedingungen anpassen. Dazu brauchen wir Wohnungsneubau – kommunalen, genossenschaftlichen und privaten – und gerade keine Privatisierungsbremse, wie Sie sie fordern, Frau Bluhm. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Groß [SPD]) Dafür muss die Politik in allen drei Bereichen passgenaue Anreize schaffen. Seit der Föderalismusreform 2006 sind die Länder für die soziale Wohnraumförderung verantwortlich. Wir verschanzen uns nicht hinter dieser gesetzlichen Regelung; vielmehr wird der Bund die Länder dabei bis Ende 2019 mit jährlich 518 Millionen Euro unterstützen. Ich sage ausdrücklich: unterstützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es wird kritisch zu beobachten sein, ob und wie die einzelnen Länder ihrer Verantwortung gerecht werden. Die Selbstverpflichtung zur Zweckbindung ist für mich dabei selbstverständlich. Das Geld muss in den sozialen Wohnungsbau fließen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es geht nicht an, dass es zum Stopfen selbst verursachter Haushaltslöcher verwendet wird. Ich erwarte aber auch, dass sich die Bundesländer mit eigenen Mitteln beteiligen. Ursprünglich war die soziale Wohnraumförderung hälftig angelegt. Der Bund hat klare und gesetzliche Zusagen gemacht. Auf die Antwort der Länder bin ich sehr gespannt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Licht ins Dunkel wird der Immobilienwirtschaftliche Dialog bringen, den wir ausbauen und an dem wir nun auch die Länder beteiligen. Für mich zeigt die Debatte auf Bundesebene, dass wir unseren Blick viel stärker darauf richten müssen, was die Länder vor Ort zur Problemlösung beitragen. Ich bedaure sehr, dass das im Gesetz zu den Kompensationsmitteln nicht zu regeln war. Jetzt müssen wir dringend einen anderen Weg finden, um Transparenz herzustellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wünschenswert und wichtig sind ausreichende Anreize für den Wohnungsneubau. Private Investoren wollen mit Verkauf oder Vermietung Geld verdienen. Das ist aber, anders als teilweise dargestellt, nichts Verwerfliches. Der gesellschaftliche Nutzen liegt in einem ausgeglichenen Wohnungsmarkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD]) Auch hier wollen wir entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Entbürokratisierung und Verschlankung von Genehmigungsverfahren sind das eine. Steuerliche Anreize wären das andere. (Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Sehr gut!) Diese sind im Koalitionsvertrag nicht erwähnt, (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!) aus unserer Sicht ausdrücklich aber auch nicht ausgeschlossen. Auch hier kommt es wieder darauf an, wie sich die Länder verhalten. Wir sollten uns diese Option je nach Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt offenhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Anforderungen an den Wohnungsbau unterscheiden sich nicht nur regional, sondern vor allem auch hinsichtlich der Zielgruppen. Es werden spezialisierte Wohnraumlösungen gebraucht. Wohnen im Alter, Familienwohnen oder auch studentisches Wohnen sind nur einige Beispiele, die aber die Vielschichtigkeit der Herausforderungen verdeutlichen. Der viel beschworene demografische Wandel stellt auch an den Wohnungsmarkt neue Anforderungen. In vielen Wohnungsteilmärkten heißt das neben dem Neubau vor allem auch Umbau von Bestandswohnungen für bezahlbares und vor allem altersgerechtes Wohnen. Wir wollen selbstbestimmtes Wohnen und damit ein Höchstmaß an Lebensqualität in allen Lebensaltern. Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken, schlagen eine planwirtschaftliche Verordnung von 150 000 neuen, mietpreisgebundenen Wohnungen sozusagen als Allheilmittel vor. Wir dagegen wollen individuelle und regional angepasste Anreize schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ziel ist für mich ein gesunder Wohnungsmarkt, der die Nachfrage bedient und auf Veränderungen selber reagiert. Die Maßnahmen zur Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus und die Mietpreisbremse, auf die meine Vorredner zur Genüge eingegangen sind, sind erste konkrete Projekte, die wir auf den Weg bringen wollen. Weitere regional angepasste und zielgruppenorientierte Maßnahmen und Programme zur Förderung des Wohnungsneubaus und -umbaus werden folgen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, seien Sie versichert: Dieses Thema ist bei CDU/CSU und SPD in guten Händen – auch ohne den Schaufensterantrag der Linken. Wir setzen auf ein vielschichtiges Programm, zielgruppengerechte und regionale Förderung und gezielte Anreize. So sieht gute Politik für Deutschland aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Das war die erste Rede unserer Kollegin Sylvia Jörrißen im Deutschen Bundestag. Wir gratulieren ihr dazu herzlich (Beifall) und wünschen ihr und uns weiterhin spannende parlamentarische Debatten. Als Nächster erteile ich das Wort der Kollegin Lisa Paus, Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesbank hat in ihrem jüngsten Monatsbericht festgestellt, dass die Immobilien in deutschen Großstädten um 25 Prozent überbewertet sind. Das kann man nicht wegdiskutieren und auch nicht wegrelativieren durch irgendwelche Verweise; vielmehr muss man den Menschen in dieser akuten Situation helfen. 25 Prozent Überbewertung – das ist nicht nichts, sondern ein dramatisches Zeichen. Da herrscht Not, und dagegen müssen Sie etwas tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Folgen dieser Überbewertung, die, wie schon gesagt wurde, ihre Ursache in der Euro-Krise und in der Krisenpolitik, die von der Bundesregierung mit zu verantworten ist, hat, diese Folgen kann man auch hier in Berlin erleben: Häuserzeilen, die in den letzten zehn Jahren drei-, vier-, fünfmal verkauft worden sind, – Menschen, die wegen Luxussanierung aus ihrem Kiez an den Stadtrand verdrängt worden sind –, Rentnerinnen und Rentner, die sich ihre aktuelle Wohnung, die für sie inzwischen eigentlich zu groß ist, nicht mehr leisten können, die es sich aber auch nicht leisten können, umzuziehen, weil die neue, kleinere Wohnung wegen der nicht vorhandenen Mietpreisbremse bei der Neuvermietung um 30 bis 40 Prozent teurer wird, und die deshalb zur Schuldnerberatung gehen müssen. Das ist die Situation in Berlin, und deswegen müssen wir jetzt etwas tun in diesem Lande. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie haben gesagt, dass Sie die Mietpreisbremse einführen wollen. Wir sind da gespannt. Nach allem, was ich bisher gehört habe, kommt sie mir wie ein löchriger Schweizer Käse vor. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Da gibt es die Fünfjahresregelung; das Thema ist schon angesprochen worden. Und auch für Erstvermietungen soll die Mietpreisbremse nicht gelten. Darüber hinaus soll es weitere Ausnahmen geben. Wir werden sehen, wie bremsend diese Mietpreisbremse tatsächlich wirken wird. Vor allen Dingen aber ist das zu wenig. Sie haben auf all das verwiesen, was Sie noch machen wollen. Aber dabei ist deutlich geworden, dass Sie sich innerhalb der Koalition nicht in allen Punkten einig sind. Es braucht ein Gesamtpaket. Die Bauministerkonferenz zum Beispiel hat unisono darauf hingewiesen, dass der Heizkostenzuschuss ein wichtiges Thema ist, um das sich die Bundesregierung kümmern sollte – bis jetzt Fehlanzeige. Ein weiteres Thema ist die Modernisierungs- und Instandsetzungsumlage. Darüber gibt es offenbar Streit in der Koalition, und das ist möglicherweise der Grund dafür, dass sie in dem Gesetzentwurf nicht enthalten ist. Es gibt aber überhaupt keinen Grund, warum es in dieser Zeit historisch niedrigster Zinsen nach wie vor möglich ist, jedes Jahr 11 Prozent der Kosten auf die Mieterinnen und Mieter umzulegen. Das ist ein zentraler Kostentreiber, und deswegen sollten Sie diesen Punkt in dem Gesetzentwurf, den Sie im März vorlegen wollen, mit unterbringen. Ansonsten helfen Sie den Menschen in diesem Lande eben nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Bereich der sogenannten zweiten Miete machen Sie ebenfalls gar nichts. Sie haben zwar angesprochen, dass das wichtig ist und Sie zu Runden Tischen einladen. Konkret ist es aber so, dass Sie diesen Punkt in den Koalitionsverhandlungen am Ende rausgenommen haben. Es gibt eben keine Erhöhung des KfW-Förderprogramms. Es gibt keine steuerliche Förderung bei der energetischen Gebäudesanierung. An dieser Stelle machen Sie gar nichts. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das haben Ihre Kollegen letztes Jahr im Bundesrat mit abgelehnt!) Deswegen wird bei den Menschen effektiv nichts ankommen. Deswegen haben es die Menschen weiterhin mit einer Überbewertung der Immobilien von 25 Prozent zu tun. Schnüren Sie ein vernünftiges Paket, und schnüren Sie es zügig, um den Menschen tatsächlich zu helfen! Dann haben Sie auch unsere Unterstützung. Aber das, was bisher vorliegt, ist einfach deutlich zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Warten Sie doch mal ab!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Dennis Rohde von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dennis Rohde (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Wohnungsangebot in Deutschland ist derzeit sehr unterschiedlich und wenig einheitlich. In Großstädten, Ballungsräumen und Universitätsstädten ist Wohnraum rar und oft unerschwinglich teuer. In ländlichen Gebieten hingegen stehen Wohnungen leer, und die Immobilienpreise befinden sich im Sinkflug. Der Anteil der Mieterinnen und Mieter in Deutschland liegt bei circa 50 Prozent. Wohnungen sind Lebens- und Rückzugsraum. Bezahlbares Wohnen sicherzustellen, ist ein soziales Kernthema und damit etwas, was uns Sozialdemokraten ganz besonders antreibt. (Beifall bei der SPD) Soziale Schieflagen zu beseitigen, ist bei weitem nicht nur ein Thema der Sozial- und Steuerpolitik. Wir sind nicht ohne Grund vor der Bundestagswahl nie müde geworden, auch auf die alarmierende Situation auf dem Wohnungsmarkt aufmerksam zu machen. Für mich steht fest: Qualitativ gutes und bezahlbares Wohnen darf kein Luxus sein, weder in München noch in Berlin noch in Leipzig oder Stuttgart, weder auf dem Land noch in der Stadt. (Beifall bei der SPD) Es ist Aufgabe der Politik, es ist unsere Aufgabe, die Rahmenbedingungen für einen lebendigen Wohnungsmarkt so zu gestalten, dass dort, wo die Menschen zu Hause sind, dort, wo ihre Heimat ist, ausreichend guter und bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht. Wir Sozialdemokraten setzen dabei auf eine Stärkung der Investitionstätigkeit sowie auf die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus. Dies flankieren wir mit ausgewogenen mietrechtlichen und sozialpolitischen Maßnahmen: Wir werden erstens die Mietsteigerungen begrenzen. Wir werden zweitens die Investitionen in den sozialen Wohnungsbau stärken. Wir werden drittens die energetische Sanierung weiter vorantreiben und viertens den familien- und altersgerechten Umbau von Wohnungen unterstützen. All das muss man zusammendenken und darf es nicht isoliert betrachten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist Gefahr in Verzug, und zwar nicht erst seit gestern. Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel dafür bringen, was auf dem Wohnungsmarkt los ist: Meine Heimatstadt Oldenburg hat 160 000 Einwohner. In den letzten fünf Jahren haben wir bei Wiedervermietungen einen Anstieg der Mietpreise von gut 25 Prozent erlebt. Kostete die kleine 40-Quadratmeter-Wohnung im Jahr 2008 noch gut 285 Euro kalt, so muss man heute durchschnittlich 360 Euro auf den Tisch legen. Das macht monatlich 75 Euro weniger im Portemonnaie. Das sind stolze 900 Euro im Jahr. Für viele ist das ein ganzer Nettomonatslohn weniger, der nun für Miete draufgeht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei solchen Fehlentwicklungen dürfen wir nicht wegsehen. Hier müssen wir schnell handeln. (Beifall bei der SPD) Die Folgen sind schon jetzt offensichtlich. In vielen städtischen Räumen werden sozial Schwächere durch die Preisexplosionen in Vororte und Randgebiete gedrängt, oftmals weit weg von ihrem Arbeitsplatz und von der Schule der Kinder. Sie sind damit raus aus dem Viertel, in dem sie aufgewachsen sind. Das ist nicht mein Verständnis einer sozialen Demokratie. Das ist auch nicht mein Verständnis eines ausgewogenen Sozialgefüges. Das ist nicht sozial gerecht. Das ist nicht in Ordnung. Ich sage: Das gehört verändert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Wir alle wissen doch: Meistens trifft es die Schwächsten. Ich habe vor meiner Wahl in den Deutschen Bundestag unter anderem anderthalb Jahre in einer Schuldnerberatungsstelle gearbeitet. Ich weiß sehr genau: Altersarmut ist kein Thema, das uns erst in 10 oder 20 Jahren droht. Ich habe viele Fälle erlebt, in denen insbesondere ältere Menschen ihr vertrautes Zuhause verlassen mussten, entweder aufgrund mangelnder Barrierefreiheit oder weil ihr Zuhause für sie allein einfach zu groß geworden ist. Es sind genau diese Menschen, die dann auf einen Mietmarkt treffen, der aus den Fugen geraten ist. Sie leben oftmals von einer kleinen Rente und finden dort keine Wohnung mehr, wo sie ihr Leben lang daheim waren. Gerade für diese Generation brauchen wir zeitnahe Lösungen. Wir werden deshalb zur Förderung des generationengerechten Umbaus mit dem Programm „Altersgerecht Umbauen“ einen neuen Weg gehen. Im CO2-Gebäudesanierungsprogramm möchten wir bei zusätzlichen Maßnahmen zum altersgerechten und barrierefreien Umbau einen Förderbonus verankern. Gemeinschaftliche Wohnformen für Ältere wollen wir unterstützen und fördern. – An diesen und vielen anderen Beispielen wird klar: Es hat zu lange zu vieles brachgelegen. Ich freue mich deshalb, dass die Große Koalition nun handelt und Lösungen umsetzt. So stelle ich mir praktische Politik vor. Wie ich mir praktische Politik nicht vorstelle, kann man im Übrigen ausgezeichnet an den Anträgen der Linksfraktion sehen, um die es in dieser Debatte geht. Sie haben immer ganz viele, ganz konkrete Ideen, wo man noch ein paar Milliarden ausgeben könnte. Wenn es aber darum geht, diese vermeintlich tollen Ideen auch solide zu finanzieren, dann bleibt es immer reichlich leer in Ihren Anträgen, wie auch in den heute vorliegenden. Ich sage Ihnen: So geht das nicht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Im Gegensatz zu Ihren Anträgen, werte Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, wird das Maßnahmenpaket, welches Bundesminister Maas noch vor der Sommerpause in den parlamentarischen Prozess einbringen wird, dem verfassungsrechtlichen Konflikt gerecht, nämlich der Eigentumsfreiheit auf der einen und dem Sozialstaatsprinzip auf der anderen Seite. Wir werden die Preiserhöhungen auf maximal 10 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete bei Neuvermietung beschränken und damit nachhaltig auf die Bremse für Mietpreise treten, ohne dabei potenzielle Investoren abzuschrecken; denn uns ist auch klar: Das vorhandene Angebot an Wohnraum in Ballungsräumen ist längst nicht ausreichend. Es braucht Investitionen, die wir nicht blockieren, sehr wohl aber ordnen werden. Die Initiative zur Schaffung zusätzlichen studentischen Wohnraums setzen wir übrigens ebenfalls fort. Lassen Sie mich auch das noch sagen: Zur guten Ordnung gehört auch, dass derjenige, der eine Leistung bestellt, diese auch bezahlt. Von uns würde niemand auf die Idee kommen, in einer Gaststätte das teuerste Gericht zu bestellen und die Rechnung dann wie selbstverständlich an den Nebentisch zu reichen. Von daher wird auch in Zukunft für den Wohnungsmarkt gelten: Wenn der Vermieter einen Makler beauftragt, dann wird er die Bezahlung nicht mehr auf die Mieterinnen und Mieter abwälzen dürfen. Was ganz normal ist, gilt dann auch im Maklerrecht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei Maklerleistungen werden wir zudem für klare bundeseinheitliche Rahmenbedingungen sorgen und Möglichkeiten der Qualitätssicherung abwägen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Wohnen ist ein Grundrecht. Dieses Recht anzuerkennen und zu stärken, muss selbstverständliche Aufgabe hier im Parlament sein. Wenn fehlende Regelungen, undurchsichtige Berechnungsvorgänge und ungleiche Entwicklungen dazu führen, dass viele Mieter an die Seite gedrängt werden, dann ist es ordnungspolitisch geboten, dies abzustellen. Die Mietpreisbremse ist dabei der erste Schritt, den die Große Koalition geht. Der zweite und der dritte werden folgen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Das war die erste Rede des Kollegen Dennis Rohde, SPD-Fraktion, im Deutschen Bundestag. Herr Rohde, wir gratulieren Ihnen zu Ihrer Rede und wünschen für die weitere parlamentarische Arbeit alles Gute. (Beifall) Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn am Anfang des Monats die Miete überwiesen werden muss, dann ist es den Leuten egal, wie hoch die Kalt- oder die Warmmiete ist. Sie müssen nämlich die gesamte Miete überweisen. Wir haben hier sehr viel über die Kaltmiete geredet. Aber wir müssen auch die Mietnebenkosten beachten; denn diese steigen ebenfalls dramatisch. Wir haben nicht nur bei der Kaltmiete Unterschiede zwischen Berlin, München, dem Ruhrgebiet oder dem ländlichen Raum, sondern eben auch bei der Warmmiete. Das betrifft auch die Heizkosten. Wir müssen daher viel stärker daran denken, endlich damit aufzuhören, das Geld buchstäblich aus dem Fenster zu verheizen, wenn die Fenster nicht dicht sind oder wenn Einfachverglasung vorhanden ist. Das führt nämlich dazu, dass die Leute viel zu hohe Mietnebenkosten haben, und das wollen wir ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch in diesem Zusammenhang sind die Leute unterschiedlich betroffen: Die einen können sich eine Dreifachverglasung oder einen Passivhausstandard leisten, die anderen haben Ölheizungen und müssen deshalb erheblich mehr zahlen. Allein in den letzten zehn Jahren sind die Kosten für das Heizöl um 140 Prozent gestiegen. Das bedeutet, dass eine Familie, die 2002 noch 1 000 Euro im Jahr für ihre Heizung bezahlt hat, plötzlich 2 400 Euro bezahlt. Das ist eine Steigerung von weit über 100 Euro im Monat; das macht weit mehr aus als die Inflationsrate. Dies gilt übrigens nicht nur für Heizöl, sondern auch für Erdgas oder Fernwärme. Das, meine Damen und Herren, müssen wir angehen; ansonsten subventionieren wir etwas, was immer teurer wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 6,9 Millionen deutsche Haushalte geben mehr als 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Energie aus; 17,3 Prozent der Haushalte, also fast jeder fünfte Haushalt, sind davon betroffen. Ich finde, das ist nicht hinnehmbar. Es geht hier auch darum, den Anteil der Heizkosten an den Kosten der Unterbringung zu senken; denn von den 13 Milliarden Euro, die von den Kommunen und der öffentlichen Hand dafür gezahlt werden, entfallen allein 2 Milliarden Euro auf die Heizkosten. Wir wollen das ändern, und zwar vor Ort, in den Kommunen, weil wir glauben, dass die Leute dort am besten wissen, was getan werden kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen das ändern, indem wir den Kommunen Mittel aus dem Energieeffizienzfonds zur Verfügung stellen. Es gilt nämlich, Förderinstrumente und steuerliche Förderungen anzubieten. Dazu haben wir hier übrigens einen Antrag gestellt, den Schwarz-Gelb damals abgelehnt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen eine steuerliche Förderung, und wir wollen Mittel aus dem Energieeffizienzfonds gerade für Investitionen in Mietshäuser. Wir wollen mehr Geld für Sanierungen bereitstellen. Programme zur Erhöhung der Energieeffizienz sind auch Konjunkturprogramme. Sie schaffen Arbeitsplätze und bringen den Menschen, die eine Warmmiete zahlen, Entlastung. Sie schaffen mehr Wertschöpfung hier in Deutschland und führen dazu, dass Kommunen und die öffentliche Hand entlastet werden. Gerade deshalb wollen wir diesen Weg gehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Was wir nicht wollen – das wäre zynisch –, ist, nur auf warme Winter zu hoffen. Im Übrigen werden wir eine ganze Menge kalter Winter bekommen; denn wir können nicht davon ausgehen, dass wir davon profitieren, wenn wir selber das Klima aufheizen. Das PIK hat nämlich festgestellt: Der Klimawandel wird verstärkt dazu führen, dass wir hier kalte Winter bekommen. Was jetzt in Nordamerika passiert, wird auch bei uns häufiger passieren; wir haben es zwei Jahre hintereinander erlebt. Tun wir also etwas dagegen, dass die Menschen in kalten Wohnungen sitzen, weil sie sich Wärme nicht mehr leisten können! Auch das gehört zum Thema Miete. Wir wollen, dass die Wohnung genau das ist, was mehrfach gesagt worden ist: das Heim, der Ort, an dem sich die Leute wohlfühlen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächster erteile ich der Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich meine erste Rede in diesem Hause zu einem Thema halten darf, das für unsere Gesellschaft von großer Bedeutung ist. Deutschland ist ein Land der Vermieter und Mieter. Über 40 Prozent der Deutschen wohnen zur Miete. Die Wohnung, in der man lebt, ist für jeden von uns ein wichtiger Rückzugsort. Für uns, die CDU/CSU, hat die Wohn- und Lebensqualität der Menschen deshalb einen hohen Stellenwert. Ausreichender und bezahlbarer Wohnraum sowie ein ausgewogenes Mietrecht sind dabei unerlässlich. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sind uns diesbezüglich unserer politischen Verantwortung sehr bewusst. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag ausdrücklich festgehalten, dass wir das Mietrecht ändern, den sozialen Wohnungsbau stärken und mehr Anreize für Investitionen schaffen wollen; das ist ganz wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dabei binden wir alle relevanten Akteure ein, von den Kommunen über die Länder bis hin zu den Wohnungsgesellschaften und den privaten Immobilienbesitzern. Eines ist mir dabei ganz besonders wichtig: Wir arbeiten für eine lebenswerte Heimat in ganz Deutschland, und zwar in der Stadt und auf dem Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Wohnungsmarkt in Deutschland entwickelt sich sehr unterschiedlich. In immer mehr Groß- und Hochschulstädten unseres Landes haben wir die angespannten Wohnungsmärkte, von denen gerade viel berichtet wurde, mit steigenden Mieten und steigenden Preisen. Ich kann mich an viele Berichte von jungen Studenten erinnern, die entweder gar keine Wohnung oder nur eine völlig überteuerte Wohnung finden. Doch wir stellen auch eine gegenteilige Entwicklung fest – das muss man ganz klar sagen –: In den ländlichen Räumen, in manchen Bereichen der neuen Bundesländer oder auch in meiner fränkischen Heimat, gibt es auch Wohnungsleerstände. Auf diese Unterschiede am Wohnungsmarkt brauchen wir passgenaue, regionale Antworten und keinen Einheitsbrei, der von oben verordnet wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Frau Bluhm, ich möchte ganz klar sagen: Wir verschanzen uns, anders als Sie es gerade beschrieben haben, nicht hinter der Länderzuständigkeit, sondern wir geben mit der regionalisierten Mietpreisbremse genau die richtige Antwort. Damit geben wir den Ländern bei Wiedervermietungen in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten die Möglichkeit, Mieterhöhungen auf maximal 10 Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete zu beschränken. Die Mietpreisbremse wirkt eben genau dort, wo sie wirken muss. In den Ländern kennt man die Situation vor Ort am besten und kann so die Mietpreisbremse zielgerichtet einsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es wurde behauptet, dass wir nur die Vermieterseite vertreten. Das ist einfach nicht wahr. Auch wir nehmen die Ängste der Menschen sehr ernst, die befürchten, ihre Wohnungen und ihre vertraute Umgebung verlassen zu müssen, weil sie sich die Miete schlicht nicht mehr leisten können. Mit unseren Vorschlägen überlassen wir die Menschen eben nicht den marktwirtschaftlichen Mechanismen, wie das gerade beschrieben wurde. Unsere Mietpreisbremse ist vielmehr das richtige Instrument gegen die immer weiter steigenden Mieten. Das ist soziale Marktwirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU) Es kommt darauf an, wie man die Mietpreisbremse ausgestaltet. In ihrem Antrag fordern die Linken, dass Mieterhöhungen nur noch in Höhe des Inflationsausgleichs zulässig sind. Da kann ich nur sagen: Bei Ihnen fehlen die Investitionsanreize. Das ist nicht nur eine Mietpreisbremse, sondern auch eine Investitionsbremse. Das können Sie doch nicht wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn das, was die Linken vorschlagen, Gesetz würde, würde sich die Situation am Wohnungsmarkt noch weiter zuspitzen, weil dann keiner mehr in neue Wohnungen investieren würde. Dadurch würden die Mieten noch weiter steigen. Ich sage Ihnen: Der beste Mieterschutz ist immer noch der Bau neuer Wohnungen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir wollen, dass ausreichend neue Wohnungen gebaut werden, dann brauchen wir private Investoren. Hierbei denke ich nicht an renditeorientierte Finanzinvestoren, wie die Linken sie nennen, sondern an die Millionen privater Kleinanbieter auf dem Wohnungsmarkt, die mehr als 60 Prozent der Wohnungen in Deutschland halten. Diese investieren aber nur, wenn es sich für sie wirtschaftlich lohnt. Das wird bei einer Mietpreisbremse, wie die Linken sie wollen, nicht der Fall sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch wir denken an die Menschen mit geringem Einkommen. Wir wollen ihnen gutes Wohnen ermöglichen. Seit Jahren sinkt die Zahl der Wohnungen mit Mietpreisbindung. Diesen Trend wollen wir umkehren. Deswegen unterstützen wir die Länder weiterhin und stellen ihnen bis 2019 jährlich 518 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung. Wir erwarten aber von den Ländern, dass sie diese Mittel zweckgebunden für den sozialen Wohnungsbau einsetzen. Denn es kann doch nicht sein, dass der Bund den Ländern Millionen Euro an Bundesmitteln für den sozialen Wohnungsbau überweist und manche von ihnen, zum Beispiel das Land Berlin in den letzten Jahren, davon nur Altverbindlichkeiten tilgen und keine einzige neue Sozialwohnung bauen. (Beifall bei der CDU/CSU) Hier sind die Länder in der Verantwortung. In Bayern zum Beispiel funktioniert das mit der zweckgebundenen Verwendung von Mitteln sehr gut. Deshalb werden wir darauf hinwirken, dass sich die Länder verpflichten, die Mittel zweckgebunden in den Wohnungsbau zu investieren. Als Umweltpolitikerin ist es mir besonders im Hinblick auf den Klimaschutz wichtig, dass wir Anreize für Investitionen in energetische Modernisierungsmaßnahmen setzen. Auf diesem Gebiet müssen wir allerdings noch viel tun. Aus meiner Erfahrung als ehemalige Europaabgeordnete weiß ich, dass wir in Bezug auf das Thema Energieeffizienz, im Unterschied zum Ausbau erneuerbarer Energien und der Verringerung von Treibhausgasemissionen, die Einsparziele auf europäischer Ebene bis 2020 nicht erreichen werden. Der Gebäudesektor kann einen enormen Beitrag zur Steigerung der Energieeffizienz leisten. Allein 40 Prozent der Energie wird im Gebäudesektor verbraucht. Hier gibt es Einsparpotenziale, die wir nutzen müssen. Wir müssen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, damit Vermieter in die energetische Sanierung investieren. Frau Höhn, in diesem Punkt gebe ich Ihnen absolut recht. Energetische Sanierung nutzt nicht nur dem Klima, sondern sie nutzt auch den Mietern, weil sie durch die sinkenden Energie- und Heizkosten bares Geld im Bereich der Nebenkosten sparen. Deshalb werden wir das erfolgreiche KfW-geförderte Gebäudesanierungsprogramm weiter fortschreiben, aufstocken und verstetigen. Das sind die Investitionsanreize, die wir geben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Abschließend möchte ich noch etwas zur Städtebauförderung sagen. An dieser Stelle sind wir uns gar nicht so fern. Ich freue mich außerordentlich darüber, dass wir die Mittel der Städtebauförderung auf ein neues Rekordniveau aufstocken, nämlich von 455 Millionen Euro auf 700 Millionen Euro jährlich. Das ist ein starkes Signal an unsere Städte und Gemeinden. Im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, dass wir das Programm „Soziale Stadt“ aufwerten, um damit Gebiete mit besonderen Integrationsanforderungen zu unterstützen. Als Abgeordnete aus dem ländlichen Raum möchte ich – wie zu Beginn meiner Rede; da schließt sich der Kreis –, eines abschließend betonen: Wir können unsere wirtschaftspolitischen Ziele nicht erreichen, wenn wir nur auf die Metropolregionen und die Städte setzen. Wir brauchen auch die ländlichen Räume. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb ist es wichtig, dass wir auch weiterhin nicht nur die Städte von der Städtebauförderung profitieren lassen, sondern eben auch – wie in der Vergangenheit – die ländlichen Räume. Das ist ganz wichtig; denn wir wollen gleichwertige Lebensbedingungen in allen Teilen Deutschlands schaffen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Die Kollegin Dr. Weisgerber hat viele Reden im Europäischen Parlament gehalten; im Bundestag war es heute die erste. Dazu gratulieren wir herzlich. (Beifall) Wir begrüßen Sie bei uns und freuen uns auf die weitere parlamentarische Zusammenarbeit. Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Dirk Wiese, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Durchsicht der Anträge vonseiten der Opposition zu meiner Linken zur heutigen Debatte fiel mir spontan ein bekanntes Zitat eines ehemaligen Nationalspielers ein: Zu fünfzig Prozent haben wir es geschafft, aber die halbe Miete ist das noch nicht. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wer war das?) So einst Rudi Völler nach kräftezehrendem Spiel. Die Sinnhaftigkeit dieser treffenden Analyse unseres ehemaligen Nationalspielers erschließt sich auch dem leidenschaftlichen Fußballfan nicht auf Anhieb. So ist das heute auch mit Ihren Anträgen. Ist es doch die jetzige Bundesregierung aus SPD, CDU und CSU, die im Koalitionsvertrag – auf die Seite 80 ff. des ausgehandelten Koalitionsvertrags darf man durchaus selbstbewusst hinweisen – in einem sehr sozialdemokratischen Passus zum guten und bezahlbaren Wohnen viele richtige und wichtige Weichenstellungen zur Besserstellung von Mieterinnen und Mietern vereinbart hat, und das ist gut so; (Beifall bei der SPD) denn wir können auf alles Mögliche verzichten, auf das iPad, auf das Handy, auf den Fernseher, aber nicht auf ein Dach über dem Kopf für uns und unsere Familie. Eine Familie mit Kindern braucht eine ordentliche Wohnung und eine funktionierende Heizung. Das ist eine Existenzfrage und eine Frage der Würde. Deshalb hat die Politik die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Wohnraum bezahlbar ist, auch wenn man weniger Geld zur Verfügung hat. (Beifall bei der SPD) Die alte Bundesregierung – gestatten Sie mir die kleine Anmerkung – hat eher wenig dafür getan. Darum ist es gut, dass die SPD jetzt mit in der Regierungsverantwortung ist und wir die Situation und die rechtliche Stellung von Millionen Menschen verbessern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Allerdings muss man dazu bereit sein, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Ich glaube, daran fehlt es bei den Antragstellern. (Beifall bei der SPD) Lukas Siebenkotten, Direktor des Deutschen Mieterbundes, brachte es in einem Kommentar wie folgt auf den Punkt: Die große Koalition kommt beim Mietrecht gleich zur Sache. Was haben wir im Detail vor? Wir geben den Ländern die Möglichkeit, eine Mietpreisbremse einzuführen. Das ist dringend notwendig. Die Vermieter wollen und sollen ordentlich Geld verdienen – keine Frage –, aber man muss auch Maß halten und darf die Not anderer Menschen nicht schamlos ausnutzen, wie es vor allem in einigen Großstädten geschieht. Geld verdienen ist völlig in Ordnung, aber nicht mit Wuchermieten. Gegen Wuchermieten kann man etwas tun, indem man die Mietpreisbremse zieht, und das machen wir jetzt in der Großen Koalition. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]) Künftig sollen nur noch höchstens 10 Prozent der Modernisierungskosten auf die Miete umgelegt werden dürfen. Wir passen die Härtefallklausel an, um Mieter vor finanzieller Überforderung bei einer Sanierung zu schützen. Für alle Mietverhältnisse wird klargestellt werden, dass nur die tatsächliche Wohn- und Nutzfläche Grundlage für die Festlegung der Miethöhe sein kann. Oder um es einmal umgangssprachlich auf den Punkt zu bringen: Wenn die Bude 100 Quadratmeter zum Wohnen hat, dann sollen die Leute auch nur für 100 Quadratmeter Miete zahlen. Alles andere ist aus meiner Sicht Betrug. (Beifall bei der SPD) Uns geht es darum, dass sich Städte an den Bedürfnissen, Ansprüchen und Möglichkeiten ihrer Bewohner orientieren müssen. Für diese Form der Bürgernähe fehlte in der letzten Legislaturperiode an der einen oder anderen Stelle leider die nötige Sensibilität. Darum lassen wir das Programm „Soziale Stadt“ wieder aufleben. Das ist genau der richtige Weg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vor welchen Herausforderungen stehen wir jetzt? Nach den Daten des Statistischen Bundesamtes sinkt die Bevölkerungszahl – so wird es prognostiziert – in den kommenden Jahren rapide. Gibt es daher weniger Nachfrage für ein gleichbleibendes Angebot mit der Folge, dass die Mietpreise sinken? Weit gefehlt. Boomenden Regionen auf der einen Seite stehen auf der anderen Seite Regionen gegenüber, die von einem massiven Bevölkerungsrückgang betroffen sind. Trotzdem steigt in beiden Regionen die Wohnungsnachfrage tendenziell an, da der Trend zur Individualisierung immer mehr zu einer kleineren Personenzahl pro Wohneinheit führt. Darum ist es wichtig, den Wohnungsbau in den Ballungszentren, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, zu stärken und die Initiative zur Schaffung von zusätzlichem studentischem Wohnraum fortzusetzen. Eine Zeit meines Studiums habe ich in Münster verbracht. Ich kann Ihnen eines sagen: Machen sie niemals den Fehler, eine Anzeige für ein freies WG-Zimmer aufzugeben. Als ich das einmal gemacht habe, dachte ich, vor dem Haus fände eine Demonstration statt, so groß war der Andrang. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Aber – auch das muss man an dieser Stelle sagen – es gibt Regionen, in denen die Bevölkerungszahl schrumpft. Die Leute sterben weg oder ziehen weg. Zurück bleiben Häuser und Wohnungen, die niemand braucht, niemand will und niemand nutzt. Sie stehen leer, obwohl sie in einem guten Zustand sind. Wenn wir nichts tun, werden sie verrotten. Es wäre aus meiner Sicht ein Trauerspiel, wenn unsere schönen und lebenswerten Dörfer, Kleinstädte und ländlichen Regionen eine solche Zukunft hätten. Deswegen müssen wir etwas unternehmen, damit unsere Dörfer und gerade die kleinen Städte im ländlichen Raum so lebenswert bleiben, wie sie es heute sind. Auf die entsprechenden Programme hat mein Kollege Dennis Rohde vorhin schon hingewiesen. In meinem Heimatwahlkreis, dem Sauerland, in Südwestfalen – übrigens ist dies mittlerweile die größte Industrieregion von Nordrhein-Westfalen; hier schlägt heute das industrielle Herz von NRW –, ist das eine der größten Herausforderungen für die kommenden Jahre. (Zuruf von der CDU/CSU: Warum wohl?) Noch einmal zurück zu Ihren Anträgen. Herr Luczak, Sie sind vorhin auf die Überschriften eingegangen. Sie müssen aber auch einmal den Inhalt der Anträge betrachten. Ausführungen über „die monopolartige Dominanz des Privateigentums“ oder die Konservierung der herrschenden Verhältnisse mögen in Ihren Reihen, den Reihen der Linken, vielleicht bei dem einen oder anderen einen romantisierenden Seufzer des heraufzubeschwörenden Klassenkampfes hervorrufen, ändern aber nichts am Ergebnis. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn Phrasen bringen, ehrlich gesagt, keine Veränderungen. In den kommenden Wochen werden wir als Große Koalition die entscheidenden Verbesserungen im Miet- und Maklerrecht umsetzen. Damit lösen wir eines unserer zentralen Wahlversprechen ein und zeigen, warum es die richtige Entscheidung der SPD war, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Endlich können wir das tun, was wir am besten können: die Lebenswirklichkeit der Menschen in diesem Land verbessern und Perspektiven schaffen. (Beifall bei der SPD) Zum Abschluss sage ich: Das ist insgesamt wesentlich mehr als die halbe Miete. Das sind Verbesserungen für Millionen von Menschen. Ich glaube, an dieser Stelle wäre auch Rudi Völler begeistert. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Das war die erste Rede unseres Kollegen Dirk Wiese im Deutschen Bundestag. Wir wünschen ihm für seine parlamentarische Arbeit alles Gute. (Beifall) Die Frage, Herr Kollege Wiese, wo genau das industrielle Herz Nordrhein-Westfalens schlägt, wird wahrscheinlich noch weiter behandelt werden, (Heiterkeit) aber das kann ja in späteren Debatten erfolgen. Ich erteile das Wort der Kollegin Yvonne Magwas, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Yvonne Magwas (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner haben schon eine ganze Reihe von Aspekten angesprochen, die die Wohnsituation in Deutschland betreffen. Wer die Debatte in den letzten Monaten verfolgt hat, der weiß, dass wir im Wohnbereich einige offene Baustellen haben. Dazu brauchen wir aber keine Anträge der Linken. Ein Blick in den Koalitionsvertrag reicht aus, um zu sehen, dass wir als Koalition das Thema angehen, und zwar gründlich und ohne Schnellschüsse. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dass es sich beim Wohnen um keine Bagatelle handelt, kann man schon dem Ursprung des deutschen Wortes „wohnen“ entnehmen. Der Staatssekretär hat uns ja schon darauf hingewiesen, dass es so viel wie „zufrieden sein“ bedeutet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sind uns sicherlich alle einig, dass wir den Wert des Wohnens und einer guten Wohnung sehr schätzen. Schließlich ist das Wohnen eines der Grundbedürfnisse der Menschen. Es ist daher gut und richtig, dass sich der Staat mit diesem Thema auseinandersetzt bzw. beschäftigt und auch gesetzliche Regelungen vorhält. Meine Damen und Herren, wie sieht es denn nun wirklich mit der Wohnzufriedenheit der Mieter in Deutschland aus? Da sagen nämlich viele Studien unisono, dass sich über 80 Prozent der Mieter ihre Wohnung leisten können und mit ihrer Wohnsituation zufrieden sind. Deutschland ist wohl ein Land, in dem sich die Mieter grundsätzlich wohlfühlen. (Beifall bei der CDU/CSU) Uns ist aber auch bewusst, dass Menschen, sei es verschuldet oder unverschuldet, in Situationen geraten können, in denen sie sich eine angemessene Wohnung nicht mehr leisten können. Für diese Fälle halten wir eine Reihe von Werkzeugen vor, die sozial schwache Bürgerinnen und Bürger unterstützen. Wir tun als öffentliche Hand bereits eine Menge. Ich finde, wir sollten bei allen diskussionswürdigen Punkten auch dies einmal positiv zur Kenntnis nehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie man vielleicht hört, komme ich aus Sachsen. Meine Heimat ist das ländlich geprägte Vogtland. Sie gehört sicherlich nicht zu den Gebieten, wo Schlagworte wie „Mietpreisbremse“ oder „rasante Mietsteigerungen“ in Diskussionen breiten Raum einnehmen. Ganz im Gegenteil: Der demografische Wandel führt bei uns eher dazu, dass wir mit Wohnungsleerstand zu kämpfen haben. Das Schrumpfen der Bevölkerungszahl hat aber auch die Folge, dass die Wohnqualität für die verbleibenden Menschen stagniert oder sogar sinkt. Welcher Vermieter will noch investieren, wenn morgen vielleicht der Mieter nicht mehr da ist? Das ist eine große Herausforderung für uns im ländlichen Raum. Ich denke, gegenüber dem Thema Mietpreisbremse darf das Problem des Leerstandes nicht kleingeredet werden. Wir als Koalition tun das nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, staatliche Hilfen im Wohnbereich sind natürlich für den ländlichen Raum genauso wichtig wie für die urbanen Zentren. Drei Förderwerkzeuge möchte ich kurz hervorheben. Es handelt sich um die Kosten der Unterkunft und Heizung im Rahmen des Bezuges von ALG II, die Mietkostenübernahme im Rahmen der Grundsicherung und den Bezug von Wohnkostenzuschüssen in Form des Wohngeldes. Alle drei Formen der staatlichen Unterstützung ermöglichen es einkommensschwachen Bürgerinnen und Bürgern, ihren Wohnraum zu finanzieren. Kurz zu den Zahlen. Allein für die KdU sind im Jahr 2012  1,12 Milliarden Euro bereitgestellt worden. Für das Wohngeld waren es im gleichen Jahr 591 Millionen Euro. Das sind aber nur die Mittel des Bundes. Hinzu kommen noch die Mittel der Länder, die ebenfalls diese Höhe haben. Ich denke, Bund und Länder meistern hier eine solidarische Aufgabe im Sinne des Gemeinwohls. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In letzter Zeit konnten wir aber auch beobachten, dass die Haushaltsmittel für das Wohngeld nicht zur Gänze ausgeschöpft wurden. Das kann sicherlich verschiedene Gründe haben. Die gute wirtschaftliche Lage spricht sicherlich auch dafür, dass viele ehemalige Bezieher von Wohngeld durch einen beruflichen Wiedereinstieg nicht mehr auf die Unterstützung angewiesen sind. Hinzu kommt aber auch eine Art Verdrängungseffekt, nämlich dass über die Wohnkostenvollfinanzierung beim ALG II potenzielle Wohngeldbezieher faktisch abgeschöpft werden; denn der Bezug von ALG II und der Bezug von Wohngeld schließen sich aus. Was heißt das nun für uns? Wir müssen diese Entwicklung ernst nehmen und das Förderinstrument Wohngeld überprüfen, verbessern und neu justieren. Deswegen haben wir dies im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Unser Ziel bleibt es, mit dem Wohngeld denjenigen zu helfen, die eigentlich in der Lage sind, auf eigenen Beinen zu stehen, denen sozusagen nur ein Quäntchen an finanzieller Kraft fehlt. Damit meine ich beispielsweise ältere Menschen mit einer geringen Rente oder kurzfristig Arbeitslose. Da dies aber keine alleinige Aufgabe des Bundes ist, muss es hier eine enge Abstimmung mit den Ländern geben. Nach dem, was man aus der Bauministerkonferenz hört, bin ich guter Dinge, dass wir einvernehmlich zu Lösungen kommen. Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zum Thema Energie sagen. Ich weiß, es wird darüber diskutiert, ob man dem Wohngeld wieder einen Energie- und Heizkostenzuschuss aufschlagen sollte. Wenn man diese Diskussion aufnehmen würde – wofür ich durchaus Verständnis hätte –, dann müsste man sicherlich vorrangig über eine sinnvolle und vor allem finanzierbare dauerhafte Lösung sprechen, eine Lösung, bei der auch Aufwärts- und Abwärtsentwicklungen der Energiepreise berücksichtigt wären. Darüber hinaus gibt uns die Energiewende auf, auch über Anreize zum Energiesparen nachzudenken; das müsste in einer Diskussion über einen Energie- und Heizkostenzuschuss meiner Meinung nach auch zum Tragen kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Koalitionsvertrag unter das Motto „Deutschlands Zukunft gestalten“ gestellt. Als Solidargemeinschaft, die den Wert der sozialen Marktwirtschaft fest im Blick hat, werden wir auch im Wohnbereich Lösungen finden. Wir werden die Probleme eindämmen, ohne dabei die Grundlagen eines intakten Wohnungsmarktes außer Acht zu lassen. Wir tun dies für die Menschen und für die Zukunft in unserem Lande. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen und danke Ihnen recht herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war die erste Rede der Kollegin Yvonne Magwas im Deutschen Bundestag. Wir gratulieren ihr herzlich zu ihrer Rede. Ich wünsche Ihnen und uns eine interessante parlamentarische Zeit. (Beifall – Abgeordnete der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gratulieren der Abg. Yvonne Magwas [CDU/CSU]) – Wir können noch einen kleinen Moment abwarten; mit Verlauf der Debatte wird die Gratulationscour immer größer. (Heiterkeit) Wenn es eine größere Feier wird, würde ich es nach draußen verlegen; (Heiterkeit) sonst werden wir hier weitermachen wollen. Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Michael Groß von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Michael Groß (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß, wo das industrielle Herz in Deutschland liegt. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Baden-Württemberg!) Ich bin da noch Traditionalist: Es liegt zwischen Duisburg und Dortmund. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Da wollte ich noch einmal betonen: Wir haben noch eine riesige Wertschöpfung in diesem Bereich, und das prägt natürlich auch das Leben. Uns wurde hier vorgeworfen, dass wir beim Thema Mietpreisentwicklung unsere Hände in Unschuld waschen wollten und dass wir hier untätig seien. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn in den ersten 100 Tagen ein Gesetzentwurf für eine Mietpreisbremse eingebracht wird, muss man doch sagen: Schneller geht es wirklich nicht. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der LINKEN: Wo ist er denn?) Besonders wichtig ist uns, dass ein sozialer Ausgleich zwischen Vermietern, Investoren und Mietern hergestellt wird. Wir werden dafür sorgen – auch im Zusammenhang mit der Modernisierungsumlage, die wir kappen wollen –, dass die soziale Funktion des Mietrechts wieder gestärkt wird. Das ist unsere Ambition, unsere Zielsetzung, und das werden wir umsetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir Sozialdemokraten haben uns in den letzten Jahren insbesondere für gutes Wohnen und Leben in den Städten eingesetzt. Die „Soziale Stadt“ gehört zur Daseinsvorsorge. Wir wollen eben nicht, dass sich in den Städten Armen- bzw. Reichenghettos bilden, sondern wir wollen, dass die Menschen integriert in den Städten leben können, ein Zuhause finden; man kann es als Heimat bezeichnen. In einigen Regionen besteht in Bezug auf bezahlbarem Wohnraum ohne Zweifel ein Nachholbedarf, und in allen Landesteilen gibt es einen Mangel an generationengerechten und familiengerechten Wohnungsangeboten – und das insbesondere für die Empfänger unterer und mittlerer Einkommen. Es wurde schon mehrfach festgestellt, dass die Wiedervermietungsmieten in Wachstumsregionen doppelt so stark steigen wie die Bestandsmieten. Das ist insbesondere in den Städten mit über 500 000 Einwohnern zu beobachten. Die Einkommen haben mit dieser Entwicklung natürlich nicht standgehalten. 35 Prozent der Mieterhaushalte haben ein monatliches Nettoeinkommen von unter 1 300 Euro, und sie müssen 30 bis 40 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben. Hinzu kommt noch das Thema Energiearmut; Frau Höhn ist darauf eingegangen. Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Wir müssen alles dafür tun, dass auch die Energie bezahlbar bleibt. Wir dürfen die Menschen aber natürlich nicht damit überfordern, dass die Baukosten und die Modernisierungskosten durch zu hohe Anforderungen in den Verordnungen in die Höhe getrieben werden, wodurch die Modernisierung unbezahlbar wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir brauchen also ein Maßnahmenbündel, das gerade schon vorgestellt worden ist: Uns ist wichtig, dass wir das genossenschaftliche Wohnen unterstützen. Der soziale Wohnungsbau soll mit über 500 Millionen Euro pro Jahr weiter gefördert werden, und wir Sozialdemokraten erwarten hier auch einen zweckgebundenen Mitteleinsatz. Ich komme aus NRW und könnte mich natürlich hier hinstellen und sagen: Das haben wir schon immer getan. – Es gibt aber eben auch andere sozialdemokratische und nicht nur CDU-regierte Länder, die dafür stehen. Die Mittel für die Städtebauförderung – das ist ein wichtiges Thema – werden aufgestockt. Für das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ werden 150 Millionen Euro bereitgestellt. Das ist für uns ein Herzensthema. Das Wohngeld muss dringend angepasst werden. Die Zahl der Haushalte, die Wohngeld empfangen, nimmt deutlich ab. Fünf Jahre nach der letzten Wohngeldanpassung hat sich deren Wirkung halbiert. Hier müssen wir unbedingt etwas tun. Wir brauchen Verlässlichkeit bei der energetischen Gebäudesanierung; das ist deutlich gesagt worden. Modernisierung mit Augenmaß ist notwendig, und wir brauchen eben auch eine Kommission, um die Baukostenentwicklung zu überprüfen; diese wollen wir einsetzen. Die Linke fordert, dass wir gemeinsam mit den Städten und Ländern Aktionspläne zur Behebung akuter Wohnungsengpässe erarbeiten. Wir Sozialdemokraten wollen mehr: Wir wollen ein Bündnis für bezahlbares Wohnen mit allen Akteuren auf dem Wohnungsmarkt – von der Wohnungswirtschaft über die Gewerkschaften bis zum Mieterbund – und sehr passgenaue individuelle Lösungen finden. Sie können sich übrigens das Bündnis für Wohnen in NRW angucken. Das ist ein Erfolgsmodell. Herzlichen Dank. Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Mechthild Heil, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mechthild Heil (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke fordert: „Mieterhöhungsstopp jetzt“. Dabei müssten Sie doch eigentlich wissen – und das nicht erst seit der heutigen Debatte –, dass unser Minister Maas schon im Frühjahr einen Gesetzentwurf zur Mietpreisbremse und zur Maklerprovision vorlegen will. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Bremschen!) Sie als Linke wollen jetzt noch schnell auf den Zug aufspringen. Dass Sie damit nicht glaubwürdig sind und Sie damit auch keiner ernst nimmt, versteht sich von selber. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir sagen: Mieten müssen auch in Ballungsräumen bezahlbar bleiben. – Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, den sozialen Wohnungsbau neu zu beleben. Dazu unterstützen wir die Länder mit sage und schreibe 518 Millionen Euro. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wow!) Diese Mittel sind zweckgebunden für den Bau neuer Sozialwohnungen und für die Sanierung des Bestandes. (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Das stimmt nicht! Das ist die Unwahrheit!) Die Länder müssen nämlich einen Teil der Finanzierung mittragen und dürfen sich nicht wieder aus der Verantwortung schleichen. Wir werden verhindern, dass diese Mittel, wie in der Vergangenheit geschehen, von den Ländern zweckentfremdet werden. Wir denken an die Menschen mit geringem Einkommen. Deshalb werden wir die Regelungen zum Wohngeld weiter verbessern. Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage von der Frau Kollegin Bluhm zu akzeptieren? Mechthild Heil (CDU/CSU): Von den Linken? – Nein. Ich meine, die haben heute genug gesagt. Danke. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Total souverän! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unverschämt! Eine Dreiviertelstunde Große Koalition und dann so etwas!) Wir werden die kostenlose Energieberatung für Haushalte mit einem niedrigen Einkommen ausbauen. Sie von den Linken fordern eine kostenlose Mieter- und Energieberatung für alle. Ich frage: Warum sollen denn leistungsfähige Mieter keinen Eigenanteil bezahlen? Es ist vernünftig, wenn sie einen Eigenanteil zahlen. Deshalb werden wir das so ins Gesetz schreiben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da klatschen noch nicht einmal die Regierungsparteien!) Ziel unserer schwarz-roten Koalition ist, ausreichend Wohnraum zu schaffen und in Ballungsräumen die Mieten bezahlbar zu halten. Unser Ziel ist es aber nicht, eine Investitionsbremse einzuführen. Wir wollen auch keinen deutschlandweiten Einheitswohnungsmarkt schaffen. Es ist nun einmal ein Unterschied, ob ich in der wunderschönen, aber dafür dünn besiedelten Eifel, aus der ich komme, wohne oder baue oder eben in München. Dieser Unterschied muss sich widerspiegeln und spiegelt sich auch immer im Mietpreis wider. Wir wollen eine Mietpreisbremse, aber bei der Ausgestaltung werden wir genau hinsehen. Es darf nicht dazu kommen, dass weniger Wohnraum gebaut wird, und es muss am Ende auch in den Wohnungsbestand investiert werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Günstige Mieten bringen nämlich überhaupt nichts, wenn es keine Wohnungen mehr zu vermieten gibt oder die Wohnungen verkommen sind. Billigen, aber maroden Wohnraum zuhauf – das kennen wir aus der ehemaligen DDR. Das müsste Ihnen doch eine Lehre sein. Wir müssen aufpassen, dass uns das Ziel, günstigen Wohnraum zu schaffen, nicht am Ende einen ganzen Markt kaputtmacht. Natürlich sieht das die linke Seite dieses Hauses anders. Sie wollen die Bundesregierung auffordern – ich zitiere aus Ihrem Antrag –, geeignete Schritte gegen die Einflussnahme ausschließlich renditeorientierter Finanzinvestoren auf dem Wohnungsmarkt zu unternehmen … (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Genau! Ist das falsch?) Das ist weder sozial noch marktwirtschaftlich. Wer soll denn in den Wohnungsbau investieren? Der Staat? Soll der Staat Wohnraum für 80 Millionen Menschen bereitstellen, am besten mietfrei und mit einem Einheitssofa? (Zurufe von der LINKEN) Sie blenden vollkommen aus: Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist vielschichtig, vom Häuslebauer mit Einliegerwohnung über gemeindliche und genossenschaftliche Gesellschaften bis zu weltweit agierenden Bauträgern – das alles bildet unser deutscher Wohnungsmarkt ab. Gerade weil ich Verbraucherpolitikerin bin, kann ich Ihre Marktskepsis überhaupt nicht nachvollziehen. Den Verbrauchern und in diesem Fall den Mietern ist nicht geholfen, wenn man die Investoren vertreibt. Stattdessen müssen wir für Investoren Anreize schaffen, damit sie mehr in Wohnungsbau investieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn nämlich das Angebot größer ist, erhöht sich auch der Wettbewerb um die Mieter, und die Mietpreise sinken. Das passiert aber eben nur, wenn es sich lohnt, in Wohnungsbau zu investieren. Ich bin der Überzeugung: Fairer Wettbewerb ist an dieser Stelle der beste Verbraucherschutz. Als Abgeordnete einer ländlichen Region möchte ich noch einen anderen Aspekt in die Debatte einbringen. Die Entscheidung, insbesondere die Ballungsgebiete bzw. die Städte mit positiver Einwohnerentwicklung zu fördern, würde die ländlichen Räume benachteiligen. Im ländlichen Raum haben wir einen großen Vorteil, und der heißt: preiswerter Wohnraum. Damit können wir punkten. Städte dagegen können mit guter Infrastruktur, mit flächendeckender medizinischer Versorgung, manchmal auch mit einer großen Vielfalt kultureller oder gastronomischer Angebote punkten. Die Höhe der Mietkosten ist Teil der Entscheidung, ob jemand aufs Land zieht oder nicht. Auf diesen Wettbewerbsvorteil will ich nicht verzichten. Wir sehen an anderen Ländern, welche Probleme eine starke Zentralisierung bringt. Schauen wir nach Paris oder nach London. Eine solche negative Entwicklung will ich in Deutschland nicht haben. Ich will nicht, dass unsere ländlichen Regionen weiter entvölkert werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Der ländliche Raum braucht deshalb unsere Aufmerksamkeit, die Aufmerksamkeit der Politik. Aber die Linke zwingt uns auch heute wieder eine Debatte auf, in der es ständig und ausschließlich um das städtische Lebensmilieu gehen soll, (Lachen bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Müssen Sie da nicht selber lachen? Wir haben es gemacht! Sie reden nur!) und zwar mit drei zum Teil inhaltsgleichen Anträgen zu einem Thema, das wir schon längst auf der Agenda haben. (Zuruf von der LINKEN: Aber nichts gemacht!) Im Gegensatz zu Ihnen, sehr verehrte Kollegen von den Linken, wollen wir bezahlbaren Wohnraum schaffen, ohne unser marktwirtschaftliches System aus den Angeln zu heben, und wir wollen genauso Anwalt der Ballungsräume sein wie der ländlichen Räume. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sind eben nicht auf einem Auge blind. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nein, auf beiden!) Der Wohnungsmarkt ist nämlich ein sozialer und ein ökonomischer Raum. Beides ist untrennbar, auch wenn die Linke das nie verstehen wird, obwohl sie es eigentlich aus ihrer Geschichte längst hätte lernen müssen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Zur letzten Rede in dieser Debatte erteile ich das Wort der Kollegin Ulli Nissen, SPD-Fraktion, die jetzt wiederum ihre erste Rede im Deutschen Bundestag hält. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ulli Nissen (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern vor 95 Jahren hat das erste Mal eine Frau in einem deutschen Parlament gesprochen: Marie Juchacz. Sie war Sozialdemokratin, Sozialreformerin, Frauenrechtlerin und Gründerin der Arbeiterwohlfahrt. Heute darf ich, Ulli Nissen, Sozialdemokratin, Frauenpolitikerin und, nicht zu vergessen, AWO-Mitglied, meine erste Rede im Deutschen Bundestag halten, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und dann noch zum wichtigen Bereich Wohnen. Es ist für mich wirklich eine sehr große Ehre, heute hier reden zu dürfen. Ich kann mir kein Thema vorstellen, zu dem ich lieber reden würde. Denn für mich als Frankfurter Abgeordnete ist ausreichender bezahlbarer Wohnraum von zentraler Bedeutung. Es gibt immer mehr Regionen in Deutschland, wo Wohnraum knapp wird. Seit Jahren erleben wir in Städten wie München, Frankfurt und Hamburg, dass gutes Wohnen immer mehr zum Luxus wird. Ich erlebe es vor Ort in meinem Wahlkreis. Frankfurt ist einer der teuersten Ballungsräume Deutschlands. Inzwischen ist es fast der Normalfall, dass 30 bis 40 Prozent des Haushaltseinkommens für Wohnen ausgegeben werden. Bei manchen einkommensschwachen Familien ist es schon jeder zweite Euro. Die Bevölkerung Frankfurts wächst, wie die vieler anderer Städte auch, jährlich um mehr als 10 000 Menschen. Wir haben jetzt schon nicht genügend Wohnraum für diese Personen. Was bedeutet es, wenn wir nicht handeln? Die Mieten steigen weiter. Wer eine neue Wohnung braucht, weil sich zum Beispiel die Lebensumstände ändern, kann kaum mehr im angestammten Umfeld bleiben. In Frankfurt zum Beispiel kommen bei einer attraktiven Lage einer Wohnung mehr als 100 Bewerberinnen bzw. Bewerber auf eine Wohnung. Zum Teil werden bei Wiedervermietungen mehr als 50 Prozent aufgeschlagen. Wer kann sich das noch leisten? Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Mieten ins Unermessliche steigen, ganze Stadtteile komplett umstrukturiert werden und sich deren Charakter verändert. Familien, Rentner, Studenten und Normalverdiener in Frankfurt – ich denke, auch in vielen anderen Großstädten – können sich viele Stadtteile nicht mehr leisten. Das haben wir gerade in Frankfurt durch den Neubau der Europäischen Zentralbank erlebt: Den „betroffenen“ Stadtteil Ostend kann sich kaum noch ein Mensch leisten. Ich bin sehr viel im Wahlkreis vor Ort unterwegs, und immer wieder kommen Menschen verzweifelt auf mich zu, die mir sagen: Ich kann mir meine Wohnung nicht mehr leisten. – Dazu tragen auch Luxussanierungen bei. Gentrifizierung ist eine Folge. Dagegen müssen wir vorgehen. Wir brauchen nicht nur mehr bezahlbaren Wohnraum, sondern auch dringend Regulierungen. Denn die Situation in den betroffenen Gebieten wird nicht besser, auch bedingt durch die steigende Zahl von Einpersonenhaushalten. Aufgrund des demografischen Wandels brauchen wir auch – das ist heute schon öfter angesprochen worden – dringend mehr generationengerechte Wohnungen. Wir müssen dringend handeln, und das tut die rot-schwarze Bundesregierung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Im ersten Schritt kommt die Mietpreisbremse. Bei einer Wiedervermietung kann künftig in Ballungsräumen die Mieterhöhung auf maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete beschränkt werden. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Aspekt, insbesondere für Frankfurt. Dass dies eines der ersten Vorhaben der rot-schwarzen Koalition ist, zeigt, wie wichtig uns Mieterinnen und Mieter sind. Sinnvoll wäre es, auch beim Mietspiegel Änderungen vorzunehmen, indem bei der Berechnung der Vergleichsmiete alle Mieten und Mieterhöhungen herangezogen würden. Die Maklergebühren müssen dringend neu geregelt werden. Wichtig ist: Wer bestellt, bezahlt. Die dementsprechende Änderung müssen wir ganz dringend vornehmen, und ich bin froh, dass wir das machen. Die Modernisierungskosten sollen künftig nur noch in Höhe von bis zu 10 Prozent auf die Mieter umgelegt werden, und dies auch nur bis zur Amortisation der Kosten. Dies haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten lange gefordert. Ich bin froh, dass wir das in die rot-schwarze Koalitionsvereinbarung aufgenommen haben. (Beifall bei der SPD – Henning Otte [CDU/CSU]: Andersrum!) Durch eine Neuregelung des Wohngelds wollen wir die Leistungen verbessern und es an die Bestandsmieten- und Einkommensentwicklung anpassen. Notwendig ist hier auch wieder eine Energiekostenkomponente. Verbesserungen beim Programm „Soziale Stadt“ werden dazu beitragen, dass mehr Brennpunkte Hilfe erhalten. Die letzte Bundesregierung hatte die Mittel dieses erfolgreichen Programms drastisch gekürzt. Ich bin sehr froh, dass wir das ändern; denn das hatte fatale Folgen in vielen Stadtteilen. Zusätzlich setzen wir auf die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus. Wir unterstützen diesen bis Ende 2019 mit jährlich 518 Millionen Euro. Diese Mittel müssen aber zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum genutzt werden und dürfen nicht für die Förderung von Wohneigentum verwendet werden; die letzte CDU-Landesregierung in Hessen hatte diese Mittel ja „fremdverwandt“. (Beifall bei der SPD) Außerdem setze ich mich natürlich dafür ein, dass es keine weiteren Privatisierungen von öffentlichem Wohneigentum gibt. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, dass die schwarz-rote – Verzeihung – rot-schwarze Koalition das angeht. (Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ich wollte meinen Kollegen von der Großen Koalition ein kleines Bonbon geben. Ich freue mich auf die Umsetzung und darauf, dass wir etwas im Sinne der Menschen tun. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Wir gratulieren der Kollegin Ulli Nissen zu ihrer ersten Rede. (Beifall) Ich bin sicher: In der Koalition wird die Frage der Nomenklatur im Hinblick auf die Farbreihenfolge noch geklärt werden können. (Heiterkeit bei Abgeordneten im ganzen Hause) Ich schließe hiermit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/505, 18/504 und 18/506 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksachen 18/436, 18/602 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/615 Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Es wäre übrigens schön, wenn die Kolleginnen und Kollegen, deren Aufmerksamkeit sich nicht auf diesen Tagesordnungspunkt richtet, uns jetzt verlassen oder sich wieder entspannt hinsetzen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Rolf Mützenich von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion hatte in dieser Woche eine ausführliche Aussprache auch über Auslandseinsätze, aber insbesondere über die aktuellen Herausforderungen in der internationalen Politik, vor allem über die Entwicklung in der Ukraine; das war am Dienstag. Die schlimmen Bilder, die schlimmen Berichte und all das, was man in den letzten Minuten und Stunden gehört hat, beschäftigen uns im Deutschen Bundestag den ganzen Tag über, also nicht nur heute Morgen, und überschatten in der Tat auch diese Debatte. Es ist schrecklich, wie viele Menschen getötet und verletzt wurden. Gleichzeitig will ich daran erinnern, wie gut es ist, dass nach Beendigung des Ost-West-Konflikts die Nachfolgestaaten der Sowjetunion auf Atomwaffen verzichtet haben. Wie schlimm wäre die internationale Situation heute, wenn ein Land, das innenpolitisch so zerrissen ist wie die Ukraine, noch über Atomwaffen verfügen würde! Deswegen können wir sagen, dass wir zweimal großes Glück hatten, zum einen mit der deutschen Wiedervereinigung, zum anderen mit der friedlichen Wiedervereinigung Europas und darüber hinaus. Als wir in dieser Woche in meiner Fraktion über Auslandseinsätze gesprochen haben, waren sowohl neue Abgeordnete als auch viele, die schon länger Mitglied des Deutschen Bundestages sind, gemeinsam der Auffassung: Wir Außenpolitiker können zwar fachlichen Rat geben, aber wir können dem einzelnen Abgeordneten nicht die Gewissensentscheidung abnehmen. – Das gilt heute genauso wie in Zukunft. Der große Wert solcher Debatten wie der heutigen besteht somit im fachlichen Ratschlag, der Einordnung in das Völkerrecht, der Auskunft über die internationalen Rahmenbedingungen und der Vergewisserung darüber, ob es eine außenpolitische Strategie für den Einsatz von Soldatinnen und Soldaten gibt. Letztlich muss aber eben jeder selbst die Entscheidung treffen. Ich glaube, egal ob man mit Ja oder Nein stimmt, manchmal bleibt doch bei dem Einzelnen ein leichter Zweifel über das, was in den nächsten Monaten passiert. Umso mehr muss man bei Auslandseinsätzen darauf achten, sie ernsthaft durchzuführen. Es geht hier nämlich nicht nur um ein kulturelles und politisches Vermächtnis Deutschlands; auch andere europäische Parlamente schauen sehr ernsthaft auf den Deutschen Bundestag, weil sie das Recht, das der Bundestag hat, gerne für sich selbst hätten; zum Teil haben sie es ja auch schon erkämpft. Ein Resultat dieser Ernsthaftigkeit ist, dass Raum für eine Demokratisierung der Außen- und Sicherheitspolitik geschaffen wird; denn im Gegensatz zu früher nimmt das Parlament auch in diesem Bereich mehr und mehr Verantwortung wahr, nicht mehr nur über Haushaltsfragen, sondern auch ganz konkret bei einzelnen Entscheidungen. In der Tat unterscheiden sich die jeweiligen Auslandseinsätze. Sie haben unterschiedliche Voraussetzungen, und es gibt unterschiedliche Einflussmöglichkeiten. Immer wieder müssen wir uns vergewissern, ob auch wirklich alle nichtmilitärischen Mittel ausgeschöpft worden sind. Auf der einen Seite muss das große Risiko, das der Einsatz von Soldatinnen und Soldaten in militärischen Auslandseinsätzen birgt – darin unterscheiden sie sich ja von anderen Einsätzen –, immer im Verhältnis zu den Erfolgsaussichten abgewogen werden. Auf der anderen Seite müssen wir jede Möglichkeit nutzen, auf andere Instrumente, insbesondere Instrumente der politischen und zivilen Konfliktbearbeitung, zurückzugreifen. Diese Debatte über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes ist auch eine besondere Debatte; denn über das Mandat in diesem Rahmen wird heute das letzte Mal im Deutschen Bundestag in namentlicher Abstimmung abgestimmt. Über dieser Debatte liegt aber natürlich wie auch in den letzten Jahren der Schatten des 11. September. Zwar wissen wir in Deutschland und in Europa, dass der 11.09. die Strukturen der internationalen Politik nicht verändert hat, aber persönlich wissen viele von uns noch genau, wo sie sich am 11. September aufgehalten haben, als diese schrecklichen Bilder die gesamte Welt erreicht haben. Die USA dagegen stehen nach wie vor unter dem Eindruck dieser Bilder und treffen so weiterhin politische Entscheidungen, die zum Teil zu kritisieren sind. Ich will ganz deutlich sagen: Damals war die Unterstützung für den Afghanistan-Einsatz in der Tat größer. Deswegen müssen wir Lehren daraus ziehen, auch für zukünftige Auslandseinsätze. Insbesondere wäre die Schlussfolgerung richtig, dass man gerade bei so herausragenden Entscheidungen des Deutschen Bundestages – das bezieht sich sowohl auf die Regierung als auch auf das Parlament – in Zukunft etwas bescheidener formuliert. So erhält man auch ganz andere Möglichkeiten. Man sollte vor allem die Abstimmung mit anderen Partnerländern frühzeitiger auf den Weg bringen und durchaus bereit sein, Fehler einzugestehen. Hinzu kommt, dass man das Land, das um Hilfe bittet, und dessen Bewohner respektvoll behandelt. Bezüglich Afghanistan sollte man sich immer vor Augen führen, dass es sich nicht nur um ein Land im Bürgerkrieg handelt, sondern auch um ein Land mit einer langen Geschichte und einer reichen Kultur und dass viele Menschen dort versuchen, eine bessere Zukunft aufzubauen. Dabei können wir helfen. Wir sollten unseren Respekt von dieser Stelle aus bekunden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Gesamtschau bleibt der Afghanistan-Einsatz in der Tat umstritten und widersprüchlich. Wir sollten Schwarz-Weiß-Malerei, zu der vielleicht der eine oder andere neigt, vermeiden und uns stattdessen ernsthaft damit befassen und schauen, wo es Verbesserungen gibt, wo es Rückschritte gegeben hat, wo es Unterlassungen gab, aber auch, wo sich möglicherweise in den nächsten Monaten neue Chancen ergeben. Ich glaube, keiner von uns ignoriert, dass es weiterhin Gewalt und Korruption gibt und dass der Drogenanbau dieses Land belastet. Andererseits ist es mithilfe der internationalen Gemeinschaft – dazu gehören sowohl die militärische Komponente als auch die zivilen Helferinnen und Helfer – gelungen, an der einen oder anderen Stelle dafür zu sorgen, dass Grundbedürfnisse nach Wasser, Medizin und Bildung befriedigt werden können. Wir vergessen oft, dass es für ein Land wie Afghanistan, das wahrscheinlich im Jahr 2050 doppelt so viele Menschen wie heute hat, selbst dann eine Herausforderung wäre, diese Grundbedürfnisse zu befriedigen, wenn es keinen Bürgerkrieg gäbe. In dem geschaffenen Sicherheitsumfeld muss nun dafür gesorgt werden, dass das Land vorankommt und es einer besseren Zukunft entgegengeht, indem einerseits kleine Betriebe und die Landwirtschaft gedeihen können, auf der anderen Seite aber auch eine kritische Öffentlichkeit entsteht. Wir vergessen oft, dass zurzeit eine kritische Öffentlichkeit mit Erfolg versucht, auf Korruption und viele andere Mängel hinzuweisen. Wir haben in den letzten Jahren große und kleine Helden gesehen. Kleine Helden sind zum Beispiel diejenigen, die auch dann zur Schule gegangen sind, wenn ihre Eltern letztlich bedroht wurden. Frau Kakar, die wir hier im Deutschen Bundestag empfangen durften, wurde umgebracht, weil sie ihren Polizeidienst ausgeübt hat. Sie war eine Mutter von sechs Kindern, die gegen Taliban, aber auch gegen den Drogenanbau in Kandahar massiv vorgegangen ist. Alles das verbindet sich letztlich mit diesem Mandat, und auch, dass auf dieser Basis nach den Wahlen, die in den nächsten Wochen durchgeführt werden, der erste demokratische Machtwechsel in diesem Lande garantiert werden könnte. Unter anderem das zeigt, wie wichtig es ist, diesem Land in den nächsten Wochen seine Aufmerksamkeit zu schenken und es zu unterstützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, zum zu beschließenden Mandat: Es beinhaltet einen deutlichen Rückgang der Zahl der einzusetzenden Soldatinnen und Soldaten. Dabei sollten wir anerkennen, wie aufwendig der Abzug aus Afghanistan ist, wie viel Energie gerade von der Bundeswehr in die Logistik gesteckt werden muss, damit er ungehindert ablaufen kann. Gleichzeitig findet die Ausbildung der Sicherheitskräfte statt. Herr Minister Müller hat uns bei der Einbringung des Antrags ja noch einmal eindringlich darauf hingewiesen, dass wir dieses Land gerade im Hinblick auf den zivilen Aufbau – das haben wir in den letzten Jahren immer wieder betont – nicht vergessen dürfen. Ich will gegen Ende meiner Rede auch noch einmal auf die diplomatischen und politischen Rahmenbedingungen hinweisen, unter denen wir diesen Afghanistan-Einsatz durchführen. Da brauchen wir in dieser Großen Koalition keine Nachhilfe. Außenminister Steinmeier hat bereits beim G-8-Gipfel in Heiligendamm bewiesen, wie wichtig diplomatische Vorgänge gerade für diese Region waren. Dort haben sich nämlich ein pakistanischer und ein afghanischer Außenminister zum ersten Mal getroffen, um überhaupt einmal über die Sicherheitsbedürfnisse in ihren Ländern zu reden. Wir wollten das Ganze ja immer politisch begleiten. Erst die Obama-Administration – die USA sind der größte Truppensteller dort – hat aber erlaubt – auch das ist noch nicht so lange her –, diese politischen Gespräche zu führen. Die Herstellung regionaler Rahmenbedingungen und die diplomatischen Anstrengungen, die die Bundesregierung in der Vergangenheit unternommen hat, aber auch jetzt und auch in Zukunft unternimmt, sind also sehr wichtig. Wir müssen uns dabei darauf verlassen, dass die Regionalmächte im unmittelbaren Umfeld Afghanistans auch in Zukunft ihre Verantwortung für dieses Land tragen und nicht erneut einen Konflikt auf afghanischem Gebiet austragen. Ich glaube, das im Blick zu behalten, gehört zu einer klugen Außenpolitik dazu. Zum Abschluss. Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Kollege Gysi – gerade sehe ich ihn leider nicht; er hat ja bei der Einbringung des Antrags eine sehr schwarz-weiß gehaltene Rede vorgetragen, die nach meinem Dafürhalten allein innenpolitische Bedürfnisse bedient hat –, hat eine interessante Bemerkung gemacht; Herr Kollege Gehrcke, vielleicht können Sie darauf eingehen. Herr Gysi hat zum Beispiel gesagt, es sei unter Umständen wichtig, zu überlegen, ob das kommende Mandat nach Kap. VI der UN-Charta gezeichnet werden könnte. Darüber müssen wir diskutieren. Das hängt mit dem Truppenstellerstatut und vielem anderen zusammen. Vielleicht könnten Sie uns heute hier im Deutschen Bundestag die Frage beantworten, ob die Linke, wenn dieser Einsatz in Zukunft nach Kap. VI der UN-Charta mandatiert wird, bereit ist, diesem Mandat beizutreten. Das könnte eine interessante Debatte nach sich ziehen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Strategiewechsel, Herr Kollege!) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Natürlich bekommt der Kollege Mützenich von mir eine Antwort. Was denn sonst? Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe ich zu Afghanistan argumentiere, möchte ich schon noch einen Appell loswerden; schließlich befinden wir uns in einer außenpolitischen Debatte. Bei allen Bildern aus der Ukraine, die man sieht, und bei allen Differenzen, die wir sicherlich miteinander haben, müsste von diesem Parlament ein Appell ausgehen: Gewalt, wer auch immer sie anwendet, gehört nicht nach Europa. Gewalt muss aus dem Zusammenleben der Völker insgesamt und der innenpolitischen Auseinandersetzung auf alle Fälle ausgeschlossen werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das wollte ich zu Anfang noch einmal sagen, damit das klargestellt ist. Jetzt zum Afghanistan-Mandat. Ich möchte, dass wir uns als Erstes darüber verständigen, was hier beantragt ist. Es wird so getan und argumentiert, als sei es ein Abzugsmandat. Tatsächlich ist beantragt, dass über 3 000 Bundeswehrsoldaten, nämlich bis zu 3 300, in Afghanistan bleiben – mindestens bis Ende des Jahres. Dass es das letzte Mal ist, lieber Herr Kollege Mützenich, dass wir hier über ein Mandat für Afghanistan sprechen, bezweifle ich in hohem Maße; denn es wird ein Anschlussmandat geben, kein ISAF-Mandat, sondern ein anderes, das die UNO formulieren muss. Dafür sollen – so ist vorgesehen – 8 000 bis 12 000 NATO-Soldaten bleiben, darunter 600 bis 800 Bundeswehrsoldaten. Das steht im Fortschrittsbericht. Das werden wir hier bereden müssen. Wir sind also nicht an einem Endpunkt der Debatte über die Afghanistan-Einsätze. Wir sind für sofortigen Abzug und vollständigen Abzug, (Beifall bei der LINKEN) aus einem Hauptgrund: Es geht nur über Verhandlungen, auch mit den Taliban. Diese Verhandlungen sind angeleiert worden; sie finden statt. In Afghanistan ist das Gefühl, dass das Land von ausländischen Truppen besetzt ist, das Hauptargument, das den Taliban und anderen immer wieder die Leute zutreibt. Man muss deswegen die Besatzung beenden, sichtbar beenden, wenn man über Verhandlungen Erfolge erreichen will. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Wir sind auf Einladung da und nicht als Besatzer!) Das ist unser Motiv dabei. Dafür streiten wir von Anfang an. Heute ist jeder für Verhandlungen. Der arme Herr Steiner wurde als Botschafter strafversetzt, weil er das in Gang gebracht hat. Zu Beginn der Mandatierung sind wir verhöhnt und verspottet worden, als wir gesagt haben: Man kann das nur mit Verhandlungen lösen. – Da waren Verhandlungen tabu. Bekennen Sie sich dazu! Wir waren in dieser Frage weitsichtiger. Das finde ich gar nicht bedeutsam, aber immerhin: Wir haben es gesagt. Das Zweite ist: Hier muss Klarheit darüber geschaffen werden, wo die grundsätzlichen Differenzen liegen. Ich zitiere für eine Mehrheit hier im Bundestag einmal den Bundespräsidenten, Herrn Gauck. Er hat in München gesagt: „Der Einsatz der Bundeswehr war notwendig …“ – Meine Position, die Position meiner Fraktion, ist: Der Einsatz der Bundeswehr, der Eintritt Deutschlands in diesen Krieg, war moralisch schändlich, politisch falsch und antihuman. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Schlimm! Schlimm! Schlimm!) Das sind die grundsätzlichen Differenzen, und darüber kommen wir nicht hinweg. Das werden wir miteinander zu diskutieren haben. (Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Wir ignorieren das!) Wir werden auch zu diskutieren haben, wer Verantwortung dafür trägt, dass in diesem Konflikt 70 000 Menschen umgekommen sind. Ich möchte auch, dass den Opfern von Kunduz hier von diesem Platz endlich Respekt entgegengebracht wird und dass man um Verzeihung bittet für das, was man dort angerichtet hat. Auch das müsste zur deutschen Politik gehören. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt muss ich Ihre Frage beantworten. Entschuldigung, das ist jetzt ein bisschen Eigenwerbung. Lesen Sie mein Buch darüber, (Henning Otte [CDU/CSU]: Um Gottes willen!) wie der Bundestag in den Afghanistan-Krieg reingelogen worden ist! Auf Seite 20 ist eine Rede von mir von 2001, in der ich vorgeschlagen habe, dass statt eines Kriegseinsatzes nach Kap. VII ein nach Kap. VI der UN-Charta mandatierter Einsatz, also ein Blauhelmeinsatz, das Adäquate wäre, um die Konflikte in Afghanistan zu beenden. Von Ihnen hat keiner zugestimmt. Von Ihnen hat keiner Interesse daran gehabt. Ihnen ging es gar nicht darum, den Konflikt anders zu lösen. Man hatte sich entschieden: Die Bundeswehr wird geschickt. Das soll so gelöst werden. Was Sie jetzt fordern, habe ich also schon 2001 vorgeschlagen. Jetzt werden wir einmal sehen, was die UNO beschließt. Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Sie sind aber gar nicht an einer inhaltlichen Debatte zur Lösung interessiert, sondern nur daran, möglicherweise bei uns bestehende Konflikte zu eskalieren. Das geht schief. Wir sind uns in der Frage einig. Was Sie jetzt vorbringen, wurde schon 2001 von mir gesagt. Hätten Sie mein Buch gelesen, hätten Sie es gewusst. Danke sehr. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Rainer Arnold [SPD]: Das war der Werbeblock!) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Peter Beyer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Beyer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welches Bild haben wir Deutsche heute von Afghanistan? Seit zwölf Jahren kämpfen deutsche Soldatinnen und Soldaten am Hindukusch. Der ursprüngliche Aufbaueinsatz sah sich zunehmend mit kriegsähnlichen Zuständen konfrontiert. Es wäre verfehlt, zu glauben, Soldatinnen und Soldaten würden in ein Kriegsgebiet geschickt und beschäftigten sich dort vor allem mit dem Bohren von Brunnen und dem Bau von Mädchenschulen. Wir haben 2001 Verantwortung übernommen. Diese gibt es nicht zum Nulltarif und auch nicht ohne Risiko. Einmal übernommene Verantwortung kann man nicht einfach wieder abgeben, nur weil einem die Sache unangenehm wird. Ein solches Handeln wäre verantwortungslos. Wer Einfluss auf die weitere Entwicklung in Afghanistan nehmen will, muss einen Beitrag für den Erfolg der gemeinsamen Sache leisten, und zwar zivil wie militärisch. Das hat Deutschland in den letzten gut zehn Jahren getan, und zwar mit vorbildlichem Engagement unserer Soldatinnen und Soldaten. Sie haben Ausgezeichnetes geleistet und viel für die Menschen in Afghanistan geschaffen. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege – – Peter Beyer (CDU/CSU): Ja, bitte. Vizepräsident Peter Hintze: Es gibt den Wunsch der Kollegin Buchholz von der Fraktion der Linken nach einer Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung. Möchten Sie die zulassen? Peter Beyer (CDU/CSU): Im Moment nicht. Dafür spreche ich an dieser Stelle den deutschen Soldatinnen und Soldaten meinen ausdrücklichen Dank aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage auch: Die Entscheidung, die der Bundestag am 16. November 2001 getroffen hat, war richtig. Es war auch richtig, was Peter Struck seinerzeit gesagt hat: dass deutsche Interessen auch am Hindukusch verteidigt werden. Denn der Kern der Mission ist nach wie vor, Frieden und Sicherheit zu schaffen, für stabile Verhältnisse zu sorgen und ein durch jahrzehntelange Kriege zerrüttetes Land wieder aufzubauen. Damals wie heute gab und gibt es keine einfachen Lösungen für Afghanistan. Es ist eine Politik der kleinen, deshalb aber nicht weniger wichtigen Schritte. Das hat gerade die kontroverse Debatte in erster Lesung in der vergangenen Sitzungswoche in diesem Haus gezeigt. Unsere Ziele für den Einsatz in Afghanistan waren in der Tat hochgesteckt, mit den heutigen Erfahrungen vielleicht zu hoch. Dennoch geht es heute nicht um das, was nicht erreicht werden konnte, und ebenfalls nicht um das, was versäumt wurde. Wir entscheiden heute vielmehr über die Zukunft. Vielleicht erscheint es aus unserer hochtechnologischen Perspektive als zu wenig, wenn eine neugebaute Brücke oder instandgesetzte Straße in der afghanischen Berg- und Steppenwelt einem Kind den Weg zu Bildung oder einer schwangeren Frau den Weg zu medizinischer Versorgung ebnet. Es mag für uns nahezu unvorstellbar sein, ohne Strom und fließendes Wasser zu leben. In Afghanistan beschreibt das leider immer noch zu häufig die Normalität. Meine Damen und Herren, der Westen muss sich endlich von der viel zu lange aufrechterhaltenen Illusion befreien, Afghanistan nach westlichem Vorbild modernisieren zu wollen und dabei zu glauben, kulturelle Unterschiede ebenso überwinden zu können wie 100 Jahre technologischen Rückstands aufzuholen. Vielmehr muss es zukünftig darum gehen, eine erneute Machtübernahme der Taliban zu verhindern. Es gibt hoffnungsvoll stimmende Anzeichen dafür, dass die Taliban verstanden haben, dass sie das Land nicht, wie einst 1996, mit einem Handstreich einnehmen können, und dass sie wissen, dass ihre zukünftige Rolle eine politische sein wird – beispielsweise bei den Vorbereitungen für die Präsidentschaftswahlen im April dieses Jahres, auch wenn die Taliban keinen eigenen Kandidaten aufstellen. Sie unterstützen die Wahl zwar nicht, rufen aber auch nicht zu ihrem Boykott auf. Das lässt aufhorchen. Bildung ist einer der Schlüssel bei allen Aktivitäten. 98 000 Lehrerinnen und Lehrer wurden in den vergangenen Jahren aus- und fortgebildet. Darüber hinaus wurde der Neubau bzw. die Instandsetzung von über 550 Grund- und weiterführenden Schulen finanziert. Heute gehen in ganz Afghanistan über 9,2 Millionen Kinder zur Schule. 39 Prozent davon sind Mädchen. Diese neu entstandene ISAF-Generation ist alphabetisiert, die Jungen und Mädchen können lesen und schreiben. Zum Wichtigsten zählt, dass selbsttragende Sicherheitsstrukturen geschaffen werden. Ein Beispiel aus dem Polizeiaufbau: Allein im laufenden Jahr wurden in Kabul und Masar-i-Scharif zwölf Ausbildungsprojekte abgeschlossen und dabei über 460 Trainees im Rahmen von Mentoring-Projekten und Professionalisierungskursen aus- und fortgebildet. Und doch: Niemand ist ehrlich bei der Betrachtung und Bewertung Afghanistans, der die Probleme beschönigt oder gar verschweigt. Die Regierung von Hamid Karzai ist korrupt. Die staatlichen Institutionen funktionieren noch nicht wie erhofft. Es fällt zunehmend schwerer, sich das Katz-und-Maus-Spiel Karzais mit der NATO und insbesondere mit den Amerikanern länger anzuschauen. Der deutsche Botschafter in Kabul, Martin Jäger, äußerte erst kürzlich, dass Karzai die amerikanisch-afghanischen Beziehungen einer schwerwiegenden Belastungsprobe aussetze. Das liege nicht allein an dessen Verweigerungshaltung bei der Unterzeichnung des bilateralen Sicherheitsabkommens, BSA, mit den USA, sondern auch an der Antiamerika-Propaganda. Unter anderem warf Karzai den US-Truppen vor, die Taliban durch ihre Operationen zu stärken. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Recht hat er!) Kürzlich hat er sogar angedeutet, die USA steckten hinter einigen schweren Anschlägen. Das ist inakzeptabel und nicht konstruktiv. Meine Damen und Herren, wahr ist aber auch, dass es jetzt das falsche Signal wäre, anzudrohen, die Unterstützung nach dem auslaufenden ISAF-Mandat im Dezember dieses Jahres gänzlich einzustellen. Der afghanische Präsident muss begreifen, dass wir sehr zeitnah ein klares Bekenntnis erwarten, spätestens nach den Wahlen im April. Vor dem Land liegt ein bedeutungsvolles Jahr. Im Juli 2013 wurde mit der Reform der Wahlgesetze die notwendige rechtliche Grundlage für demokratische Wahlen geschaffen. Die Wahlvorbereitungen sind auf einem guten Weg. In den Zentren hängen flächendeckend Wahlplakate, und es finden öffentliche Diskussionen der Kandidaten statt; insgesamt elf Kandidaten stellen sich zur Wahl. Von dieser Wahl hängt letztlich auch die Zukunft Afghanistans ab. Wir sollten Vertrauen haben; denn die Dinge haben sich in den Köpfen vieler Menschen zum Positiven verändert. Deshalb teile ich die oft vernommene Einschätzung nicht, dass die ISAF-Mission insgesamt gescheitert ist. Nun liegt es auch an uns, die positive Stimmung zu erhalten und dazu beizutragen, eine rasche Klärung der rechtlichen Grundlage für die Nachfolgemission „Resolute Support“ herbeizuführen. Denn wenn wir als Teil der internationalen Gemeinschaft dieses Land und seine Menschen moralisch, ökonomisch und politisch alleine ließen, wenn wir wegschauten und insgeheim oder ganz offen froh wären, dass wir 2014 zu mehr oder weniger großen Teilen raus sind aus der Sache, dann machten wir einen folgenschweren Fehler. Deshalb möchte ich – hoffentlich zum letzten Mal – um Ihre Zustimmung zu einer Verlängerung des ISAF-Mandats werben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Christine Buchholz, Fraktion Die Linke. Christine Buchholz (DIE LINKE): Herr Kollege Beyer, Sie haben hier über Verantwortung gesprochen. Sie wissen wie ich, dass es in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 auf Befehl der Bundeswehr einen Angriff gab, durch den in der Region Kunduz bis zu 142 Menschen zu Tode gekommen sind. Sie wissen wie ich, dass es bisher keine angemessene Entschädigung der Opfer gibt, und Sie wissen wie ich, dass es keine Entschuldigung seitens der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Hinterbliebenen und ihren Familien gegeben hat. Ich frage Sie: Was werden Sie tun, damit die Hinterbliebenen endlich eine angemessene Entschädigung bekommen? (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Mögen Sie darauf antworten, Kollege Beyer? Peter Beyer (CDU/CSU): Herr Präsident, das möchte ich in aller Kürze. – Ich habe vollstes Vertrauen in die Bundesregierung, dass sie das verantwortungsvolle Handeln, das sie bisher gezeigt hat, fortführt und sich dieser Sache ernsthaft annimmt. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Seit ein paar Jahren schon!) Das sollte unser aller Überzeugung sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 15. April 2010 wurde Oberstabsarzt Dr. Thomas Broer von Taliban getötet, als er Verwundeten helfen wollte. Er war 33 Jahre alt und ein werdender Vater. Am 24. Dezember 2010 wurde zwischen Kholm und Kunduz in der Provinz Balkh ein Berater der KfW Entwicklungsbank von Taliban erschossen. Er verbrachte Heiligabend ohne seine Familie, weil er den Bau einer Straße in einer strukturschwachen Gegend betreute. In der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 starb Sanaullah auf einer Sandbank im Kunduz-Fluss, als zwei entführte Tanklastwagen bombardiert wurden. Er wurde zehn Jahre alt. Vor wenigen Wochen, am 23. Januar 2014, wurden in der Provinz Laghman fünf Kinder von den Taliban erschossen, weil sie Volleyball spielten. Kann man nach all den Opfern zufrieden sein mit dem, was wir erreicht haben? Ist der Einsatz nach zwölf Jahren nicht als gescheitert zu betrachten, weil wir nun abziehen und nicht einmal mit Gewissheit sagen können, ob die afghanischen Institutionen in der Lage sind, die Sicherheit selbst zu tragen? Es ist beileibe nicht alles schlecht in Afghanistan. Es ist viel erreicht worden. Nur, wir hätten viel mehr erreichen können, und wir hätten auch viel mehr erreichen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass das nicht geschafft wurde, lag nicht an zu wenig Militär. Es lag an zu wenig Diplomatie, an zu wenig ziviler Aufbauarbeit, an zu wenig Staatlichkeit und an zu wenig Koordination. Nun geht ISAF zu Ende. Meine Fraktion hat seit längerem eine Abzugsperspektive gefordert. Nun wird sie vollzogen. Das ist auch richtig so. Es ist allein deswegen richtig, weil die völkerrechtliche Grundlage für ISAF Ende 2014 nicht mehr gegeben ist. Wir als Fraktion werden dem ISAF-Mandat dieses Mal deshalb mehrheitlich zustimmen. Weil es die letzte Debatte ist, möchte ich die Chance nutzen, einigen zu danken. Ich möchte selbstverständlich der Bundeswehr danken. Kein Einsatz hat die Bundeswehr so verändert wie dieser. Ich möchte aber nicht nur den Uniformierten danken, wobei man niemals die Polizei vergessen darf, die in Afghanistan unglaublich viel getan hat; das kommt in den Debatten immer zu kurz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Wir dürfen auch die vielen Tausend Helferinnen und Helfer nicht vergessen, die als Diplomaten, als Entwicklungs- und Aufbauhelferinnen und -helfer und in anderen Funktionen in Afghanistan waren. Sie haben viel Kraft, Herzblut, Zeit und Mühe investiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Wir dürfen auch ihre Familien nicht vergessen, die in dieser Zeit viele Opfer gebracht haben. Mein größter Dank aber geht an die Afghaninnen und Afghanen, allen voran an die Afghaninnen. Sie leben seit über 40 Jahren in einem Kriegsland. Sie haben Krieg und Entbehrung erlebt und wagen es dennoch immer wieder, Hoffnung zu schöpfen. Sie arbeiten unermüdlich am Wiederaufbau ihres Landes. Sie sind zu Recht stolz auf das, was in den letzten Jahren erreicht worden ist, allerdings leider Gottes fast nur in urbanen Zentren. Diese Menschen haben Freiheit erlebt. Es ist eine neue Generation herangewachsen, die erlebt hat, wie es ist, in einem Konflikt auch einmal eine Atempause haben zu können. Diese Menschen dürfen wir nicht vergessen. Das Wichtigste ist, dass von hier aus die Botschaft ausgeht, dass unsere Solidarität nach ISAF nicht enden wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Mardom mohtaram Afghanestan, payane ISAF payane hambastegiye ma nist. Ma shoma ra faromoush nakhahim kard. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstes erteile ich das Wort dem Kollegen Thomas Hitschler, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Thomas Hitschler (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen heute zum letzten Mal über die Verlängerung des ISAF-Mandats ab. (Zuruf von der LINKEN: Warten wir es doch mal ab!) Als einige von Ihnen das erste Mal über das ISAF-Mandat abstimmten, war ich 19. Der Einsatz der Bundeswehr hat damit fast mein gesamtes bisheriges politisches Leben begleitet und auch in besonderer Weise das Leben von vielen Menschen in unserer Gesellschaft verändert und beeinflusst. Am 11. September 2001 habe ich zu Hause auf der Couch den feigen Anschlag auf die amerikanische Nation verfolgt und gesehen, wie das World Trade Center in sich zusammengefallen ist. Ich war mir damals der Tragweite dieses feigen Anschlages in keiner Weise bewusst. Wir haben erlebt, wie der Konflikt und der Krieg zum Teil unserer Realität wurden. Plötzlich war von Krieg und von gefallenen deutschen Soldaten die Rede. Allein die öffentliche Auseinandersetzung über die Begrifflichkeit des gefallenen deutschen Soldaten hat viel in unserer Gesellschaft verändert. Heute, fast 13 Jahre später, diskutieren wir im Bundestag zum letzten Mal über die Verlängerung des ISAF-Mandates. Ich bin mir sicher: Keiner von Ihnen hat sich die Entscheidung zu diesem Mandat bisher einfach und leicht gemacht, und das ist auch gut so. Selbst wenn der Krieg Einzug in unseren politischen Alltag gehalten hat, darf er immer nur der letzte Ausweg in einem Konflikt sein. Ich bin mir sicher, dass es eine besondere Errungenschaft des deutschen Parlamentarismus ist – um die uns übrigens viele andere Staaten beneiden –, dass diese Einsatzfragen hier von uns Volksvertreterinnen und Volksvertretern beraten und beschlossen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese besondere Errungenschaft, der wir uns zu jedem Zeitpunkt bewusst sein sollten, müssen wir auch in Zukunft bewahren und verteidigen. Nur der Deutsche Bundestag soll darüber entscheiden dürfen, ob unsere Soldatinnen und Soldaten in Kampfeinsätze gehen. Wenn wir heute nach Afghanistan schauen, sehen wir ein Land, das sich sechs Wochen vor einer wichtigen demokratischen Entscheidung befindet. Wahlen werden vorbereitet, und man hat den Eindruck, die Menschen freuen sich darauf. Sie wollen wählen und wollen an ihrem Staat mitwirken. Dies zeigen nicht nur die millionenfachen Registrierungen für das Wählerregister, sondern auch die Berichte, die uns unsere Einsatzkräfte vor Ort bei vielen Gelegenheiten gegeben haben. Die Wahlen werden in eigener Verantwortung und in anscheinend relativer Sicherheit durchgeführt. Drücken wir den Menschen in Afghanistan die Daumen und wünschen ihnen viel Erfolg für diese wichtige Entscheidung, vor der sie stehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Afghanistan hat sich aber auch auf den Weg gemacht, eigene institutionelle Prozesse in Gang zu bringen, eine eigene unabhängige Verwaltung zu schaffen und damit auch ein Stück Rechtsstaatlichkeit herzustellen. Es entwickelt damit hoffentlich langfristig ein Fundament, um friedlich leben zu können. Nebenher entsteht eine echte Zivilgesellschaft. Wer hätte das vor 13 Jahren gedacht, liebe Kolleginnen und Kollegen? Zusätzlich stellt man fest, dass nach jahrzehntelanger fundamentalistischer Bildungsfeindlichkeit heute wieder mehr junge Frauen und Männer Zugang zu Bildung haben. Dies ist die beste Voraussetzung und der optimale Grundstein für eine langfristige positive Entwicklung in diesem Land. In afghanisch-deutscher Kooperation wurden Krankenhäuser gebaut, um das Gesundheitssystem wieder auf stabilere Beine zu stellen. Die enorm hohe Säuglingssterblichkeit zeigt dennoch, dass wir Deutsche weiterhin Unterstützung leisten sollten, um den Afghanen eine positive Zukunft zu geben. (Zuruf von der LINKEN: Jawohl!) Derzeit dienen etwa 3 000 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Ihnen und den zahlreichen zivilen Helferinnen und Helfern – mein Vorredner hat es gerade gesagt – gilt mein besonderer Dank und, wie ich hoffe, auch unsere besondere Anerkennung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen aber mehr tun, als einfach nur Danke zu sagen. Wir müssen uns darum kümmern, dass diejenigen, die ihr Leben in unserem Auftrag riskiert haben, nach ihrer Heimkehr die verdiente Anerkennung erhalten. Wir müssen uns darum kümmern, dass diejenigen, die es nicht unversehrt nach Hause geschafft haben, von unserem Staat dennoch eine gute Lebensperspektive erhalten. Und wir dürfen diejenigen nicht vergessen, die im Einsatz gefallen sind. Meine Damen und Herren, der Einsatz in Afghanistan ist von besonderer Komplexität. Wir alle müssen gemeinsam anerkennen, dass Fehler gemacht wurden, und sicherstellen, dass die richtigen Schlüsse aus diesen Fehlern gezogen werden. Zeigen wir Respekt gegenüber der Leistung unserer Soldatinnen und Soldaten, und erkennen wir an, was noch zu tun ist und vor uns liegt. Am 31. Dezember dieses Jahres wird der Kampfeinsatz enden. Niemand von uns darf naiv sein und glauben, ab diesem Zeitpunkt ist Afghanistan eine Demokratie nach westlichem Muster. Es wird in Afghanistan – auch für die Bundeswehr – noch viel zu tun geben. Wir werden auch künftig als Partner zur Seite stehen und Aufbauhilfe leisten. Wir werden als Partner bei der Entwicklungszusammenarbeit und dem zivilen Aufbau eine wichtige Rolle spielen müssen. Lieber Kollege Gehrcke, wir werden in Verhandlungen eintreten. Im Übrigen hat 2007 der Südpfälzer Kurt Beck und nicht die Linkspartei den Vorschlag unterbreitet, die Taliban an den Gesprächen zu beteiligen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen aber auch erkennen, dass die Diskussion über Afghanistan noch lange Zeit Teil unseres Alltags sein wird. Junge Menschen, die heute in Afghanistan ungefähr so alt sind, wie ich es war, als der Einsatz begann, können sich nicht mehr an ein Leben ohne Krieg erinnern. Für sie stellt der Übergang vom Kampfeinsatz unserer Streitkräfte hin zu einer Unterstützungsmission einen wichtigen Wegpunkt dar – hoffentlich hin zu Frieden, Freiheit und Demokratie. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Teenager im Jahr 2001 habe ich sicher keine Sekunde daran gedacht, einmal vor Ihnen um die Zustimmung für die finale Verlängerung des ISAF-Mandates bitten zu können. Nehmen Sie bitte die bisherige Bilanz des langen Einsatzes wohlwollend zur Kenntnis. Gehen Sie auch den letzten Schritt gemeinsam mit uns. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Das war die erste Rede des Kollegen Thomas Hitschler im Deutschen Bundestag. Dazu gratulieren wir Ihnen herzlich. (Beifall) Ich nutze den kurzen Moment der Gratulation, um auf Folgendes hinzuweisen: Der Kollege Nouripour hat am Schluss seiner Rede die Fremdsprachenkenntnisse der Kolleginnen und Kollegen ein wenig überschätzt. Es ist nett, wenn man zu einem solchen rhetorischen Mittel greift; nur sollte man vielleicht auch die Übersetzung anfügen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe die Übersetzung vorangestellt, Herr Präsident!) – Das haben wir alle hier oben nicht mitbekommen. Da bitte ich um Nachsicht. Es ist jedenfalls auf alle Fälle so zu halten. Danke. Wir hören als Nächste unsere Kollegin Heike Hänsel von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Laut dem jüngsten Bericht der UN-Mission in Afghanistan, UNAMA, ist 2013 das schlimmste Jahr für afghanische Frauen, Mädchen und Jungen seit 2009, mit der höchsten Zahl an getöteten und verletzten Frauen und Kindern. Erneut wurden Hunderte Zivilisten von der sogenannten internationalen Schutztruppe ISAF getötet, davon allein 19 Prozent durch Luftangriffe. Was das konkret bedeutet, zeigt die Aussage eines Arztes über ein vierjähriges Mädchen, das nach einem Luftangriff in ein Krankenhaus gebracht wurde: Fast ohne Gesicht, beide Augen verloren; ihre gesamte Familie wurde getötet, als das Fahrzeug, in dem sie fuhren, bei einem Luftangriff bombardiert wurde. – In Afghanistan wird täglich getötet und gestorben, und deswegen fordert die Linke seit 13 Jahren ein Ende dieses Krieges und einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Die Taliban töten auch!) – Genau, weil wir in einer Kriegssituation sind. Übrigens sind allein im letzten Jahr 4 600 afghanische Soldaten und Polizisten getötet worden. Ich finde, das muss man hier, weil Sie jetzt immer auf die Sicherheitsstrukturen der Afghanen setzen, auch mal erwähnen. Auch das zeigt, wie brutal es dort zugeht und wie die Sicherheitslage ist. Jetzt sterben eben afghanische Soldaten, und auch das lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN) Im Hinblick auf die Erreichung all der Ziele, die Sie zur Rechtfertigung dieses Krieges hier immer wieder angegeben haben und auch immer noch angeben – Entwicklung, Frauenrechte, Demokratie, Frieden –, sind Sie gescheitert. Der Afghanistan-Krieg hat mindestens 70 000 Menschen das Leben gekostet. Das Land zählt immer noch zu den ärmsten Ländern der Erde, und das trotz milliardenschwerer Entwicklungsprogramme. Das zeigt, dass wir unter der Bedingung von Besatzung und Krieg keine nachhaltige Entwicklung ermöglichen können; das muss doch die Erkenntnis sein. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Und was habe ich letzte Woche von Außenminister Steinmeier gehört? Seine Erkenntnis aus dem Afghanistan-Krieg ist: Wir müssen jetzt bessere Militäreinsätze planen, müssen uns besser koordinieren und die zivil-militärische Vernetzung verbessern. – Das ist doch keine angemessene Konsequenz aus diesem Krieg. Die Konsequenz muss sein, dass wir die Bundeswehr generell nicht ins Ausland schicken und militärische Interventionen ablehnen. (Beifall bei der LINKEN) Alle danken hier immer – ich muss sagen, sehr ritualhaft – den deutschen Soldatinnen und Soldaten. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gar nicht ritualhaft, sondern tatsächlich!) Ich möchte heute einmal den Friedensaktivisten danken, die sowohl in Deutschland – übrigens auch heute vor dieser Debatte wieder – als auch in Afghanistan und weltweit über Jahre hinweg auf die Straße gegangen sind und gegen diesen Krieg demonstriert und protestiert haben, die afghanische Friedenskräfte vor Ort unterstützen und über 13 Jahre hinweg versucht haben, Alternativen zu entwickeln und zu zeigen, dass es nicht darum gehen kann, den Krieg zu gewinnen; wir müssen den Frieden gewinnen. (Beifall bei der LINKEN) Sie reden jetzt viel von internationaler Verantwortung. Ich frage mich: Warum übernehmen Sie nicht erst einmal Verantwortung für das, was in Afghanistan passiert ist, für die Tausenden von Toten, für die auch die ISAF-Schutztruppe verantwortlich ist? Meine Kollegin hat es angesprochen: Für die Angehörigen der Opfer, der Toten des Kunduz-Angriffes – Sie sprachen von einem „verantwortungsvollen Handeln“ der Bundesregierung, Herr Beyer – gab es eine Entschädigung von 5 000 US-Dollar. Das darf ja wohl nicht wahr sein. Sie verstecken sich hinter Gerichtsbeschlüssen. Das ist wirklich beschämend. Das ist keine menschenwürdige Unterstützung für die Hinterbliebenen. (Beifall bei der LINKEN) Warum übernehmen Sie eigentlich keine Verantwortung für den schmutzigen Drogenkrieg, den die USA in der Grenzregion Pakistan/Afghanistan, und übrigens auch in Afrika, führen? Er wird auch von deutschem Boden aus geführt, nämlich von den US-Kommandozentralen AFRICOM und EUCOM in Stuttgart. Das könnten Sie hier unterbinden. Ich frage mich, warum diese Einrichtungen nicht längst geschlossen worden sind; denn sie sind verantwortlich für diesen schmutzigen Krieg und den Tod von Hunderten von Zivilisten in Afghanistan und Pakistan. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Linke fordert einen vollständigen Abzug aus Afghanistan und keine dauerhafte Besatzung mit US-Truppen von bis zu 10 000 Soldaten über Jahre hinweg, wie das geplant ist. Man spricht vom Jahr 2024, und falls es die Sicherheitssituation erfordert, auch noch über diesen Zeitraum hinaus. Wir wollen einen vollständigen Abzug aus Afghanistan und keine dauerhafte Besatzung. Wir wollen, dass afghanische Friedenskräfte, die eine mutige Arbeit machen, aber bislang wenig unterstützt werden, endlich die Unterstützung bekommen, die sie benötigen. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Henning Otte, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Henning Otte (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir im Deutschen Bundestag zum letzten Mal die Mandatierung des Bundeswehreinsatzes im Rahmen der ISAF. Der Kampfeinsatz der Bundeswehr zusammen mit vielen Nationen zur Befriedung Afghanistans wird Ende 2014 beendet sein. Bevor man ein Fazit aus ISAF zieht, sollten wir uns vergegenwärtigen, dass der Gesamteinsatz für die Sicherheit Afghanistans noch lange nicht zu Ende sein wird. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Die internationale Gemeinschaft ist bereit, weiterhin einen Beitrag zur Stabilisierung zu leisten – sofern das Land Afghanistan dies will, sofern die Bedingungen für die deutschen Soldaten stimmen und sofern die USA als unsere Partner dies leisten wollen. Was wäre wohl aus diesem Land und der gesamten Region geworden, wenn die internationale Gemeinschaft nicht bereit gewesen wäre, Verantwortung zu tragen? Frau Hänsel, Sie haben von Besatzung gesprochen. Überlegen Sie bitte: Was war denn mit den Steinigungen in den Stadien? (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Und heute gibt es keine Steinigungen mehr?) Was war denn mit den Anschlägen in New York mit den vielen Toten? Die nehmen Sie offensichtlich billigend in Kauf. Das ist beschämend. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der internationale Terrorismus hätte Deutschland weiterhin bedroht. Der Beitrag der Bundeswehr und der alliierten Streitkräfte hat zu einer Befriedung Afghanistans und damit zur Stärkung der Sicherheit auch Deutschlands beigetragen. Das ist ein Erfolg. Wir danken dafür unseren Soldatinnen und Soldaten. Wir danken dafür den Polizisten und auch den zivilen Helfern aus Deutschland, die bereit waren, für die Sicherheit unseres Landes diesen sehr herausfordernden Dienst zu leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege Otte, der Kollege Ströbele hat den Wunsch nach einer Zwischenfrage bzw. einer Zwischenbemerkung. Wollen Sie das zulassen? Henning Otte (CDU/CSU): Ich würde gerne mit meiner Rede fortfahren, Herr Präsident. Viele Fortschritte – die sollte sich Herr Ströbele erst anhören – (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) sind in diesem Land erzielt worden. Beispielsweise wurde im deutschen Zuständigkeitsbereich ein Flughafen als Lebensader gebaut. Freie Parlamentswahlen stehen unmittelbar bevor. Das Land Afghanistan ist, so wie von unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel gefordert, bereit zur Übernahme der Verantwortung für das eigene Land. Wir können feststellen, dass sich die Situation in Afghanistan grundlegend verbessert hat. Das haben gestern im Verteidigungsausschuss nicht zuletzt die Ausführungen des zuständigen deutschen Generals im Regional Command North mehr als verdeutlicht. Aus dem Ansatz der vernetzten Sicherheit, der von Deutschland aus in der NATO und damit auch in Afghanistan implementiert worden ist, ist eine weitgehend selbsttragende Sicherheitsstruktur entstanden, die von den Afghanen nun selbst permanent weiterentwickelt werden muss. Sie wollen diese Sicherheitsstruktur auch weiterentwickeln. Die Menschen in Afghanistan sind nicht zuletzt durch die Unterstützung Deutschlands in die Lage versetzt worden, ihr Leben selbst zu gestalten. Das ist ein Fortschritt. Diesen Fortschritt müssen wir weiter begleiten. Es geht darum, dass ein Land, das zu scheitern und zu zerfallen drohte, befähigt wird, eigene starke und belastbare Staatsstrukturen zu schaffen – auch ein Gewaltmonopol –, die Wachstum und Fortschritt ermöglichen. Einen wesentlichen Beitrag dazu hat die Bundeswehr geleistet: mit Profession, mit Motivation, ja, auch mit Leidenschaft. Leider mussten wir auch Opfer bringen. Ich denke gerade in dieser Stunde auch an die 55 Gefallenen und deren Familien. Wir werden sie nicht vergessen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Sie sind uns gleichsam Mahnung und Verpflichtung, wenn es um die zukünftige deutsche Sicherheitspolitik geht. Wir müssen uns zukünftig stärker von vornherein darüber klar werden, wo und wofür wir uns engagieren. Diplomatie und Entwicklungshilfe müssen immer Vorrang vor militärischen Mitteln haben. Aber wenn Soldaten eingesetzt werden, dann müssen die Handlungsanweisungen klar und am Auftrag orientiert sein. Auch hier haben wir gelernt. Die Einsätze auf dem Balkan, aber vor allem die Einsätze in Afghanistan haben aus der Armee der Einheit eine Armee im Einsatz gemacht. Die Ausrüstung ist mit großer Kraftanstrengung auf ein Niveau gebracht worden, welches auch den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Hier sind wir top. In diesem Zusammenhang möchte ich von einem Truppenbesuch im letzten Jahr in Afghanistan berichten. Wir wurden von dem militärischen Seelsorger gebeten, am Ehrenhain für gefallene Soldaten eine Kerze anzuzünden. Die Kollegin der Linken hat dies verweigert. Ungeachtet der Leistungen und der Opfer, die unsere Soldaten für die Sicherheit und den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger erbracht haben, sieht sich die Fraktion Die Linke nicht in der Lage, Menschlichkeit und Anteilnahme zu zeigen. (Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Jetzt überlegen Sie doch mal!) Stattdessen bedienen Sie sich auch heute um Ihrer selbst willen Klischees. Damit erhalten Sie sich offensichtlich eine feste Wählerstruktur. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Genau darum geht es denen nur!) Sie sind als Linke nicht in der Lage, Verantwortung für unser Land zu tragen. (Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Diese Verantwortung wollen wir nicht!) Die Bundeswehr ist in der Lage, der Politik die Mittel und Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen, die für Einsätze im Sinne einer vernetzten Sicherheit je nach Intensität und zeitlicher Dauer erforderlich sind. Das ist exemplarisch in Afghanistan zu sehen: Wir bilden beispielsweise ANA-Kräfte aus, es gibt Kampfeinsätze, es gibt aber auch begleitende Schulungen für die Sicherheitskräfte. Um der Politik diese Möglichkeiten an die Hand zu geben, muss die Bundeswehr auch zukünftig über das gesamte Spektrum der Fähigkeiten verfügen. Das ist der Grund, warum die Neuausrichtung der Bundeswehr an dem Ordnungsmerkmal „Breite vor Tiefe“ ausgerichtet ist. Diese Ausrichtung erfolgt anhand der sicherheitspolitischen Notwendigkeit, der sicherheitspolitischen Realität und des sicherheitspolitischen Anspruchs. Deutschland profitiert wie vielleicht kein anderes Land von der freien Welt. Wir müssen bereit sein, uns dafür einzusetzen, dass die Welt so frei und so gut es geht auch sicher bleibt. Daher bin ich den Rednern, insbesondere unserem Bundespräsidenten, unserer Verteidigungsministerin und unserem Bundesaußenminister, für die Worte bei der Sicherheitskonferenz in München dankbar. Das Prinzip der Rahmennation hat sich bewährt und spiegelt sich in der zukünftigen Struktur der Bundeswehr wider, die wir entsprechend weiterentwickeln wollen. Wir haben ein sehr tragfähiges Gleichgewicht zwischen sicherheitspolitischer Verantwortung und finanzieller Reichweite erreicht. Wir haben die richtigen politischen und strukturellen Schlüsse gezogen. Es hat sich auch gezeigt: Die Menschen in Deutschland verstehen den Einsatz der Bundeswehr, wenn wir ihnen mit Klarheit und Wahrheit erklären, warum und wo unsere Streitkräfte eingesetzt sind. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Warum tun Sie das dann nicht?) Wir haben am KFOR-Einsatz gesehen, dass die Einsätze nicht als beendet erklärt werden können, ehe nicht alle Soldaten wieder nach Hause, zurück in unser Land gekommen sind. In diesem Sinne müssen die zukünftigen Mandate für Afghanistan sorgfältig an der tatsächlichen Lage ausgerichtet sein. Das vorliegende Mandat erfüllt diesen Anspruch. Daher wird die CDU/CSU-Fraktion zustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir werden jetzt noch zwei Kurzinterventionen hören, bevor wir in der Debatte fortfahren. Kollege Otte, Sie haben die Möglichkeit, auf diese zu reagieren. Als Erstes hat der Kollege Hans-Christian Ströbele das Wort zu einer Kurzintervention. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Hätte mich auch gewundert, wenn nicht!) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. – Ich habe mich gemeldet, Herr Kollege Otte, weil das Ziel, der Sinn, der Zweck dieses Kriegseinsatzes der Bundeswehr nicht nur von den verschiedenen Rednern unterschiedlich dargestellt worden ist, sondern in Ihrem Beitrag sogar gewechselt hat. Geht es beim Kriegseinsatz der Bundeswehr dort darum, die Konsequenzen aus dem 11. September 2001 zu ziehen – das ist lange her –, oder geht es darum, Straßen und Brücken zu bauen, oder geht es darum, freie Wahlen zu ermöglichen? Zu all dem findet sich in dem ursprünglichen Auftrag der UNO überhaupt nichts. Ich bin ja von Anfang an dabei und kenne auch die Debatten seit dem November 2001. Deshalb habe ich eine Frage. Diese Frage wollte ich Ihnen während Ihrer Rede stellen; jetzt mache ich es im Rahmen einer Kurzintervention. Wir stimmen hier nicht über ein Abzugsmandat ab. Wir stimmen hier heute in der namentlichen Abstimmung über die Fortsetzung des Kriegsmandates ab. Soll weitere zehn Monate wie bisher in Afghanistan Krieg geführt werden? Das heißt, werden weiterhin gezielte Tötungsaktionen, sei es durch US-Drohnen im deutschen Verantwortungsbereich, sei es durch Kommandounternehmen im deutschen Verantwortungsbereich – möglicherweise mit deutscher Beteiligung –, und andere kriegerische Einsätze durchgeführt? Darum geht es hier. Für einen Abzug brauchen Sie kein Bundestagsmandat. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wird das jetzt eine Rede oder eine Kurzintervention?) Die deutschen Soldaten können jederzeit abziehen, wenn der Krieg zu Ende ist oder das Ende des Krieges erklärt wird. Das heißt, wir müssen uns darüber im Klaren sein: Jeder, der hier für dieses Mandat stimmt, übernimmt die Verantwortung für die Tötung weiterer Menschen, Zivilisten, Angehöriger der afghanischen Sicherheitskräfte, aber auch der deutschen Bundeswehr oder anderer NATO-Streitkräfte, im deutschen Verantwortungsbereich. Das ist die Frage, um die es jetzt geht. Es darf nicht darum herumgeredet werden. Die Verteidigungsministerin, die ja bezeichnenderweise hier heute nicht dazu spricht, hat zu keinem Zeitpunkt gesagt, was es eigentlich bedeutet, dass wir den Krieg dort jetzt noch weitere zehn Monate fortführen, obwohl wir wissen, dass der Krieg verloren ist. Für die weiteren Tötungen, die dort stattfinden, gibt es damit überhaupt keine Berechtigung. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur Erwiderung. Henning Otte (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Ströbele, es handelt sich hierbei nicht um einen Kriegseinsatz. Ich empfinde auch Ihr Vokabular angesichts des Fortschritts dort und der Sorge um das Wohl der Menschen in Afghanistan als völlig unakzeptabel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Heuchler!) Dieses Mandat basiert auf einem Beschluss der Vereinten Nationen; er wird von vielen Nationen getragen. Ich möchte sagen: Zwei Dinge unterscheiden uns, glaube ich, ganz besonders von Ihnen. Wir setzen uns weiterhin für die Sicherheit in einer freien Welt ein, und wir – im Gegensatz zu Ihnen – würden die Menschen dort nicht im Stich lassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer weiteren Kurzintervention hat die Kollegin Christine Buchholz das Wort. Christine Buchholz (DIE LINKE): Herr Otte, Sie wissen ganz genau, dass meine Kollegin auf der Delegationsreise nach Afghanistan an der Gedenkveranstaltung teilgenommen hat. Das ist auch richtig so; denn die Linke trauert selbstverständlich um jeden einzelnen Soldaten, der in Afghanistan zu Tode gekommen ist. (Beifall bei der LINKEN) Allerdings messen wir nicht mit zweierlei Maß. Wir trauern genauso um die Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz auf Ihre politische Entscheidung hin ihr Leben lassen oder traumatisiert, an Seele oder Körper verwundet nach Hause kommen, wie wir auch um die Menschen trauern, die als Zivilistinnen und Zivilisten in Afghanistan gestorben sind – durch ISAF, durch die Bundeswehr. Deswegen haben wir uns selbstverständlich auch an den Gesprächen über ein Gedenken für die gestorbenen Soldaten beteiligt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn das so weitergeht, wird es mit Rot-Rot-Grün nie etwas! – Gegenruf des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie doch glücklich sein!) Gleichzeitig sagen wir aber auch: Wir beteiligen uns nicht an einer Zweiteilung dieses Gedenkens. Wir wollen, dass derer, die den Einsatz durchführen, und der zivilen Opfer gleichermaßen gedacht wird. Wir nehmen zur Kenntnis, dass unsere Vorschläge, beispielsweise der Vorschlag, hier im Bundestag eine Gedenkveranstaltung für die Opfer von Kunduz durchzuführen, von Ihnen vom Tisch gewischt wurden. Von daher: Versuchen Sie nicht, uns so darzustellen, als gingen die Opfer unter denjenigen, die letztendlich die politischen Entscheidungen, die Sie hier vorbereiten, ausführen, an uns vorbei! Auch wir möchten, dass die Soldatinnen und Soldaten unversehrt bleiben. Das Beste ist, Sie holen sie zurück, und zwar sofort. Dann wird nämlich niemand weiter traumatisiert, und dann wird auch niemand weiter zu Tode kommen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Otte, Sie haben das Wort. Henning Otte (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Buchholz, die Dauer Ihrer Kurzintervention zeigt, dass Sie nach Argumenten dafür suchen, warum es Ihnen in Ihren Reden nicht gelungen ist, deutlich zu machen, dass auch Sie für gefallene deutsche Soldaten Trauer empfinden, (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wie bitte? Das ist schäbig!) und dass es Ihnen unangenehm ist, dass ich dies angesprochen habe. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ach was! Sie können doch gar nicht argumentieren!) Das mag so sein. Aber die deutsche Öffentlichkeit muss erfahren, in welcher politischen Ecke Sie stehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, ja! Und das sagen ausgerechnet Sie! Bei Ihnen weiß sie das ja schon!) Vizepräsidentin Petra Pau: Bevor wir mit der Debatte fortfahren, bitte ich die schon zahlreich erschienenen Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen und dafür zu sorgen, dass wir auch den weiteren Rednerinnen und Rednern mit der notwendigen Aufmerksamkeit folgen können. Sie können mir glauben: Wir haben hier im Saal für jeden Kollegen und für jede Kollegin einen Stuhl. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Uwe Kekeritz das Wort. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Woche hat Entwicklungsminister Müller hier Stellung bezogen. Um es ehrlich zu sagen: Bei sehr vielen Themen ist Herr Müller sehr klar. Beim Thema Afghanistan war er meines Erachtens ziemlich konturlos. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? Unglaublich!) In Anbetracht der schwierigen Lage in Afghanistan wäre es aber zwingend notwendig, dass sich der Entwicklungsminister klar und deutlich positioniert. Der Minister müsste belegen, dass sich die Bundesregierung kohärent, abgestimmt und intensiv auf die Zeit nach dem Truppenabzug vorbereitet. Hierfür gibt es verschiedene Szenarien. – Herr Minister, ich habe Sie nicht gesehen; sonst hätte ich Sie direkt angesprochen. – Es eilt; denn nicht nur der aktuelle Fortschrittsbericht zeigt, wie viel zu tun bleibt. Nur zwei Beispiele: Die Zahl der Binnenflüchtlinge ist inzwischen auf über 600 000 angestiegen. Der Drogenanbau und der Drogenhandel greifen um sich wie nie zuvor. Wir alle kennen natürlich die weiteren Probleme, die wir gemeinsam mit den Menschen vor Ort strukturiert und vor allen Dingen geplant angehen müssen. Heute rächt sich, dass die von uns seit Jahren gestellte Forderung nach einer unabhängigen Evaluierung des zivilen Engagements in Afghanistan schlicht ignoriert wurde. Die möglichen Erkenntnisse einer qualifizierten Evaluation würden sich in der zukünftigen Zusammenarbeit mit Afghanistan sehr schnell auszahlen. (Beifall des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Weigerung, eine solche Evaluierung heute durchzuführen, halte ich, Herr Minister, für einen ganz großen Fehler. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Anstatt zu evaluieren, plant das BMZ eine Kurzstudie zu Evaluierungsoptionen. Vielleicht ist ein Fachmann oder eine Fachfrau da, der bzw. die erklären kann, was das bedeutet. Was auch immer da herauskommen soll, eine Kurzstudie kann nicht die Grundlage der Arbeit nach dem Abzug in Afghanistan liefern. Es scheint so, als ob das BMZ die Bedeutung von Evaluierungen noch nicht begriffen hat. Wer darauf verzichtet, erhöht das Risiko eines entwicklungspolitischen Fehlschlages. So etwas dürfen und wollen wir uns einfach nicht leisten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Verzicht auf Evaluierung ist unprofessionell. Herr Müller, nehmen Sie den gewaltigen Umbruch, der uns in Afghanistan im Herbst bevorsteht, sehr ernst und lassen Sie sich bitte auch diesbezüglich nicht falsch beraten! Gleiches gilt für die Sicherheit der zivilen Kräfte. Herr Minister Müller, Sie haben im Spiegel angekündigt, die zivilen Kräfte ohne militärischen Schutz vor Ort arbeiten zu lassen. KfW und GIZ sehen das allerdings ganz anders: Beide Organisationen haben mir auf Anfrage schriftlich mitgeteilt, dass sie ohne militärischen Schutz ihr Engagement nicht wie bisher fortsetzen können. Herr Minister Müller, ich kann Ihnen nur raten: Setzen Sie sich rasch mit Vertretern der Durchführungsorganisationen zusammen und klären Sie das! (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das muss geklärt werden, Herr Müller, nicht in fünf Monaten, sondern heute. Viele NGOs positionieren sich übrigens ganz anders als KfW und GIZ: Die Deutsche Welthungerhilfe, Misereor und die EKD teilen mir mit, dass sie auf jeden Fall wie bisher weiterarbeiten werden und dass sie auch in Zukunft keinerlei Arbeitsbeziehung zur Bundeswehr bzw. NATO wünschen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das sind Beispiele, die deutlich machen, wie notwendig Vorbereitung und kohärente Abstimmung in den Ministerien für diese Zukunftsaufgabe sind und wie wichtig es ist, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft eine Strategie für Afghanistan zu entwickeln. In Afghanistan müssen wir zeigen, was internationale Verantwortung für uns bedeutet: mehr Diplomatie, mehr ziviles Engagement, mehr kohärente und mit anderen Staaten abgestimmte Entwicklungszusammenarbeit. Herr Minister, Sie sind in der Verantwortung; wir werden Sie da nicht rauslassen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das weiß er! Er will ja gar nicht raus!) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Julia Bartz hat für die CDU/CSU – – (Volker Kauder [CDU/CSU]: Halt! Kurzintervention!) – Es tut mir leid: Mir ist keine Kurzintervention angezeigt worden; dann kann ich das auch nicht erahnen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Vom Platz aus! – Weiterer Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU], an den Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU] gewandt: Willst du eine Kurzintervention machen? – Bitte!) – Bei mir ist nichts angemeldet. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch, ich melde es hiermit an!) – Ich danke dem Fraktionsvorsitzenden der Unionsfraktion, dass er gerade die Arbeit des Parlamentarischen Geschäftsführers übernommen hat. Bevor ich das Wort zur Kurzintervention erteile, mache ich darauf aufmerksam, dass wir selbst ohne Kurzintervention noch circa 13 Minuten Debattenzeit haben. Es gibt also keine Veranlassung, jetzt hier auf dem Sprung zu stehen. Nehmen Sie bitte Platz, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sollten Sie der Debatte nicht folgen können oder wollen, führen Sie notwendige Gespräche bitte außerhalb des Saales, sodass wir hier auch allen Beiträgen folgen können. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut! Aber jetzt!) Das gilt ausnahmslos für alle Fraktionen hier im Hause. – Machen Sie es Ihren Fraktionsvorsitzenden und Ihren Parlamentarischen Geschäftsführern doch bitte nicht so schwer. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Bei uns funktioniert es!) – Hinten in den Reihen der Fraktion Die Linke stehen auch noch zwei. (Volker Kauder [CDU/CSU]: He, Frau Lötzsch! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an den Abg. Volker Kauder [CDU/CSU] gewandt: Sie gehorcht dir!) – Die Zusammenarbeit zwischen Frau Wawzyniak und Herrn Kauder funktioniert schon. Ich nehme an, dass Frau Wawzyniak ihm demnächst behilflich ist, auch noch die Kollegen in den Reihen der Unionsfraktion zum Hinsetzen zu bewegen. Ich erteile das Wort zur Kurzintervention. Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich mache es auch ganz kurz, meine Damen und Herren. Nachdem ich eben mehrfach angesprochen wurde und hier in dem sehr relevanten Bereich der Sicherheit Vorwürfe in den Raum gestellt wurden – dass wir die Sicherheit der Partnerorganisationen, der GIZ, der Deutschen Welthungerhilfe oder der vielen anderen, die in Afghanistan großartige Arbeit leisten, nicht ausreichend berücksichtigen würden –, muss ich richtigstellen: Die Sicherheit – der Soldatinnen und Soldaten wie der Kolleginnen und Kollegen der Entwicklungszusammenarbeit – hat für uns selbstverständlich oberste Priorität. Die ISAF und die Soldatinnen und Soldaten haben hier in den vergangenen Jahren großartige Arbeit geleistet. Die Zusammenarbeit war sehr gut und reibungslos. Es gibt selbstverständlich ein Konzept der vernetzten Sicherheit zwischen dem Außenministerium, dem Verteidigungsministerium und dem Entwicklungsministerium. Auf diesem Konzept bauen wir auf und werden wir die Zusammenarbeit fortsetzen. Wir alle haben klargestellt, dass wir Karzai und die Regierung auffordern, das Sicherheitsabkommen mit den Vereinigten Staaten zu unterzeichnen. Ich habe aber auch gesagt – und das sage ich jetzt auch hier noch einmal –: Die Entwicklungsarbeit hat vor ISAF begonnen, und sie wird auch nach ISAF fortgeführt werden, unabhängig davon, wie die Entscheidungen im militärischen Bereich aussehen werden und wie sich Karzai und die Afghanen aufstellen. Sie wird es auch danach geben; sie ist ein unabhängiger Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Auch dafür gibt es natürlich ein Sicherheitskonzept, das so auf die Gefährdungslage abgestellt ist, dass – ich sage es einmal so – die Sicherheit der zivilen Helfer in Afghanistan gewährleistet ist. Das ist sehr wichtig. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Kekeritz, Sie haben die Möglichkeit, dem Kollegen Müller zu antworten. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, danke für Ihre Antwort. – Ich habe nicht gesagt, dass Sie gar nichts tun. Darum geht es nicht. Ich habe Sie aufgefordert, das Verfahren, das Sie in Zukunft anwenden wollen, transparent zu machen und vor allen Dingen auch mit der NGO-Szene zu besprechen. Sie werden ja sicherlich nicht nur ein Szenario vorbereiten. Kein Mensch weiß, wie es im November, im Dezember und in den darauf folgenden Monaten in Afghanistan ausschauen wird. Sie werden also mindestens drei Szenarien vorbereiten müssen. Diese müssen bitte schön nicht nur zwischen den Ministerien, zwischen dem BMZ, dem Verteidigungsministerium und dem Außenministerium, sondern vor allen Dingen auch mit der NGO-Szene abgesprochen sein. Das ist ein ganz wichtiges Kriterium, das Sie erfüllen sollten. Dafür ist die Zeit jetzt nicht mehr sehr lang. Hier müssen Sie in die Puschen kommen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihre Aussage, dass das Konzept der vernetzten Sicherheit großartig und erfolgreich war, wage ich zu bezweifeln. Es war kein vollkommener Fehlschlag, aber es ist doch so, dass viele NGOs heute sagen: Das war der falsche Ansatz. Für uns wäre ein anderer Ansatz richtiger gewesen. Um in Zukunft solche Probleme zu vermeiden, bitte ich um Transparenz, und zwar sehr schnell. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Julia Bartz hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Bartz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Heute und vergangene Woche haben wir hier im Hohen Hause über die vielen positiven Entwicklungen, die ISAF bewirkt hat, gesprochen. Den Menschen in Afghanistan geht es heute zum überwiegenden Teil deutlich besser als vor zwölf Jahren. Die Kindersterblichkeit hat sich halbiert, die Lebenserwartung hat sich erhöht, und das Bruttoinlandsprodukt hat sich binnen zehn Jahren verdoppelt. Für mehrere Millionen Menschen gibt es neue Straßen und Brücken, Stromversorgung, Trinkwasser und Internetanschlüsse. Im afghanischen Parlament sitzen 28 Prozent Frauen. Bei den Provinzratswahlen im April treten über 300 Frauen an. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist ja mehr als bei der CDU!) Unter den 200 000 ausgebildeten Lehrkräften sind 61 000 Frauen. Während 2001 nur knapp 1 Million Jungen in Afghanistan zur Schule gingen, lernen heute 9,2 Millionen afghanische Schulkinder Lesen und Schreiben – darunter 39 Prozent Mädchen. Auch wenn es im Bereich der Frauenrechte in Afghanistan noch großen Verbesserungsbedarf gibt: Hier wächst eine gebildete und vielversprechende Generation heran, die eines Tages Verantwortung in ihrem Land übernehmen muss. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist allerdings anders als bei der CDU!) Die junge Generation, die mit Unterstützung der ISAF heranwächst, gibt Anlass zur Hoffnung. Trotzdem zeigt uns der Fortschrittsbericht der Bundesregierung viele Bereiche auf, die aktuell und auch in Zukunft eine große Herausforderung bedeuten und unsere Anwesenheit weiterhin sinnvoll machen. Die aktuelle Lage entspricht sicherlich nicht in allen Bereichen den Zielen, die wir mit unseren Verbündeten auf dem gemeinsamen Weg formuliert haben. Nicht immer haben wir die Ereignisse treffend beurteilt. Mitunter haben wir, daraus ableitend, Ziele zu hoch gesetzt, auch wenn wir viel erreicht haben. Deutschlands historisch gewachsene Erfahrung in Afghanistan und die noch 2001 bestehenden institutionellen sowie persönlichen Kontakte beschränkten sich damals im Wesentlichen auf Kabul sowie den paschtunischen Osten des Landes. Gleichwohl ließen wir uns aufgrund der dort seinerzeit herrschenden vermeintlich schlechteren Sicherheitslage dazu hinreißen, einer Stationierung in dem als ruhiger wahrgenommenen multiethnischen Norden zuzustimmen. Wir setzen künftig auf eine stärkere Vernetzung. Zukünftig könnten uns auch mehr Gelassenheit bei der Lagebeurteilung und das Ertragen von zum Teil künstlich aufgebautem Druck durch unsere Verbündeten in eine bessere Position bringen. Genau das tun wir. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was soll das heißen? – Gegenruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das weiß sie doch selber nicht! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Das hat man ihr aufgeschrieben!) Damit meine ich, dass unsere Bündnispartner manchmal dazu neigen, uns vorzuwerfen, wir würden uns „too little, too late“, also übersetzt: zu langsam, zu wenig beteiligen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Oh ja!) Wir sind jedoch der zweitgrößte Beitragszahler in der NATO. Andere Staaten nutzen die NATO für ihre Interessen ganz klar aus. Wir tun das nicht. Wir haben auch innerhalb der NATO-Befehlsstruktur nicht die Posten inne, die eigentlich unserem finanziellen Beitrag entsprechen würden. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Worum geht es jetzt eigentlich?) Das liegt aber auch daran, dass wir nicht die Ersten sind und ganz sicher auch nicht die Ersten sein wollen, die „boots on the ground“ sofort Soldaten entsenden. Mit „mehr Gelassenheit bei der Lagebeurteilung“ meine ich: Wir zahlen erstens unseren Beitrag, nutzen zweitens unsere Macht nicht für unsere Zwecke aus und haben drittens eine Parlamentsarmee. Wir entscheiden also nicht von heute auf morgen, unsere Truppen zu entsenden, sondern wir entsenden erst, nachdem das Parlament entschieden hat. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Anders geht es auch nicht! Das wäre rechtswidrig!) Dass Krieg nicht erst nach Ausrufen des Verteidigungsfalles für deutsche Soldatinnen und Soldaten zur Tagesrealität werden kann, wissen wir seit unseren Einsätzen auf dem Balkan. Wie wichtig, ja überlebenswichtig eine moderne Ausrüstung ist, mussten wir in Afghanistan erleben. Bei unseren Rüstungs- und Ausrüstungsprojekten sollten wir stets im Blick haben, was unseren Soldatinnen und Soldaten die bestmögliche Umsetzung ihres Auftrags bei höchster Sicherheit ermöglicht. Genau das tun wir auch. (Beifall bei der CDU/CSU) Kommen wir dem nicht nach, werden wir zukünftig immer größere Schwierigkeiten haben, Menschen für den faszinierenden, für die Sicherheit unseres Staates unabdingbaren, aber auch lebensgefährlichen Beruf der Soldatin oder des Soldaten zu gewinnen. Bei der zukünftigen Formulierung konkreter Einsatzziele sollten wir stets deren Umsetzbarkeit und Erreichbarkeit vor Augen haben und diese auch entsprechend kommunizieren. Darauf werden wir besonders achtgeben. Diese Schlüsse ziehen wir aus unserer bisherigen Beteiligung in Afghanistan für ihre Fortsetzung sowie für mögliche zukünftige Missionen andernorts. Kommendes Jahr jährt sich der erste offizielle deutsche Kontakt mit Afghanistan durch die Niedermayer-Mission zum hundertsten Mal. In diesem vergangenen Jahrhundert hat Deutschland über viele Jahre hinweg zu den Stämmen am Hindukusch Kontakt gehalten, die wir heute als Afghanistan kennen, die wir aber in unserer Wahrnehmung – stark verkürzt – erst seit 2001 betrachten. Lange Zeit waren wir in der Entwicklungs- und Wirtschaftshilfe in Afghanistan tätig. Wir wollen diese alte freundschaftliche Verbundenheit zum afghanischen Volk fortsetzen. Bundesminister Gerd Müller hat dazu vergangene Woche den Fahrplan für 2015 und darüber hinaus aufgezeigt. Bis 2016 werden wir bis zu 430 Millionen Euro pro Jahr in die wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung Afghanistans investieren. Das ist wichtig und richtig, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich darf daran erinnern: Fast auf den Tag genau heute vor 25 Jahren verließ die Rote Armee Afghanistan, nach neun Jahren Besatzung, die sie selbst als Hilfe deklariert hatte. Sie ließ das afghanische Volk im Stich. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Hätte sie dableiben sollen? Was ist das für eine Logik?) Die Folgen waren Bürgerkrieg, Unsicherheit und hunderttausendfacher Tod. Diesen Fehler sollten wir nicht wiederholen, und das werden wir auch nicht. Unsere Aufgabe in Afghanistan ist noch nicht beendet. Es ist auch unsere moralische Pflicht, den Prozess der vollständigen Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die 350 000 afghanischen Sicherheitskräfte geordnet zu Ende zu führen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Damit schaffen wir die Voraussetzung, dass sich das Erreichte manifestiert und darauf aufbauend dem afghanischen Volk eine gute Zukunft ermöglichen kann. Diesen Prozess möchten wir auch über 2014 hinaus begleiten. Innerhalb der NATO planen wir dazu eine Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Bartz, achten Sie auf die Zeit? Sonst geht das auf Kosten der Kollegin Pfeiffer. Julia Bartz (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. – Sehr geehrte Damen und Herren, mit meinem Werben für eine Verlängerung des Mandats würdige ich insbesondere den unermüdlichen Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten, aber auch den unserer zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit größtem Engagement und unter größten Strapazen für sie selbst und ihre Familien haben sie in Afghanistan ein Umfeld geschaffen, in dem sich wie schon in den 20er-, 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts erste Erfolge bei Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung entwickeln konnten. Es gilt, diesen Erfolg gerade nach den von uns selbst gemachten Erfahrungen in Afghanistan zukünftig abzusichern und auch der nächsten afghanischen Regierung dabei zu helfen, den beschrittenen Weg fortzusetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass ich hier stehe, hat, denke ich, Symbolcharakter. Denn wir werden auf diese Art und Weise dokumentieren, was wir auch praktisch umsetzen: den Übergang von militärischer Stabilisierung zur Entwicklungspolitik. Das wird dadurch sichtbar, dass als letzte Rednerin zur ISAF-Debatte eine Entwicklungspolitikerin redet. Das ist nicht selbstverständlich; das wissen wir auch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie sind doch am Ende der Kette!) – Wir sind nicht am Ende der Kette, sondern am Anfang, liebe Kollegin Hänsel. Denn wir Entwicklungspolitiker kommen jetzt erst richtig in Schwung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Davon bin ich fest überzeugt, vor allen Dingen, wenn wir die Entwicklungspolitik so machen, wie wir sie uns vorstellen, wie sie unser Bundesminister Müller vorgibt und wie wir sie als Große Koalition unterstützen werden. Machen wir uns nichts vor: Die Situation in Afghanistan wird nicht besser, jedenfalls nicht sofort. Denn in nächster Zeit werden wir erst einmal schwierige Zeiten zu bestehen haben. Das eine ist nämlich, dass Afghanistan vor Wahlen steht. Was das in Afghanistan heißt, wissen wir nicht. Die Afghanen wählen einen neuen Präsidenten für ihr Land. Wir wissen definitiv jetzt schon, dass es nicht bei einem einzigen Wahlgang bleiben wird. Das heißt, es wird zu einer Stichwahl kommen müssen, und es wird ein Machtvakuum geben. Die Frage ist: Welche Kräfte haben mittlerweile auf die Wahl eingewirkt? Wie demokratisch wird diese Wahl? Welche terroristischen Kräfte wie die Taliban und andere haben darauf eingewirkt? Es kann unter Umständen sein, dass es ein relativ großes Machtvakuum geben wird, was ich uns nicht wünsche, weil es unsere Arbeit erschweren und die Arbeit der Entwicklungspolitik stören würde. Es wäre für die Zukunft Afghanistans mit Sicherheit nicht hilfreich. Das Zweite wird sein, dass wir mit unseren Truppen peu à peu aus Afghanistan abziehen. Parallel dazu brauchen wir dann das bilaterale Sicherheitsabkommen. Im Gegensatz zu Ihnen, lieber Herr Gehrcke, Kollege Kekeritz und Herr Ströbele, fordern wir den Einsatz der Regierung nicht nur dann, wenn es darum geht, unsere Hilfskräfte zu unterstützen und zu schützen. Vielmehr ist es Aufgabe auch von uns Parlamentariern, unsere Entwicklungshelfer vor Ort nicht im Stich zu lassen, sie zu unterstützen und zu schützen. Das ist die zweite große Aufgabe, die wir zu erledigen haben und die wir als Parlamentarier auch gerne erledigen wollen. Wenn es nun zu einer instabilen Lage in Afghanistan kommt: Was ist dann zu tun? Was ist zu tun, wenn die Wahl nicht demokratisch abläuft? Was passiert, wenn irgendwelche terroristischen Gruppierungen die Wahl torpedieren? Wir müssen von uns aus die Regierung unterstützen und für Klarheit in der Zusammenarbeit sorgen. Wir müssen das von uns aus in die Hand nehmen. Wir müssen mit den Afghanen die Rahmenbedingungen schaffen, die wir schon in Tokio vereinbart haben. Es geht darum, dass die Afghanen selber Verantwortung übernehmen. Daran müssen wir sie erinnern. Die Afghanen müssen aber nicht nur für ihre eigene Sicherheit, sondern auch für die Sicherheit unserer Entwicklungshelfer, Unterstützer und Experten Verantwortung übernehmen. Wir sehen aber noch offene Baustellen in Afghanistan. Eine davon stellt für meine Begriffe das größte Entwicklungshemmnis dar: die Korruption. Wir müssen als Parlamentarier und Regierungsmitglieder darauf hinweisen, dass wir Korruption ablehnen und dass dagegen etwas getan werden muss. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn Korruption hemmt eine positive Entwicklung und schadet den Afghanen vor Ort. Auch wir tun uns schwer, die Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan zu rechtfertigen, wenn es dort Korruption gibt. Schließlich sind wir unseren Steuerzahlern verpflichtet. Natürlich stellt sich grundsätzlich die Frage, ob wir mit korrupten Regierungen zusammenarbeiten sollen. Nein, das tun wir nicht. Deshalb müssen wir Bedingungen stellen und ihre Einhaltung einfordern. Erst dann können wir eine ordentliche Aufbauarbeit leisten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen zum Wohle aller Afghanen, dass die Menschenrechte und insbesondere die Frauenrechte in Afghanistan eingehalten werden. Wir wollen ein Land ohne Terror und Unterdrückung. Wir wollen den Menschen Perspektiven durch eine funktionierende Wasser-, Energie- und Gesundheitsversorgung sowie Bildungsmöglichkeiten geben. Deshalb engagieren wir uns für die Afghanen. Sie haben unsere Unterstützung verdient. Wir sagen sie ihnen zu und freuen uns auf die Zusammenarbeit mit ihnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 18/602 zu dem Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 18/436 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Während dies geschieht, mache ich darauf aufmerksam, dass mir mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegen, die wir entsprechend unseren Regeln zu Protokoll nehmen.1 Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an Ihrem Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Vorsorglich bitte ich schon einmal die Kolleginnen und Kollegen, die an unseren weiteren Beratungen nachher nicht teilhaben wollen, uns den Blick in den Saal freizumachen, damit wir nach Abschluss dieser Abstimmung den nächsten Tagesordnungspunkt geordnet aufrufen und abwickeln können. Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, welches seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2 Wir sind noch immer beim gleichen Tagesordnungspunkt und kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Ich bitte, dem Präsidium zu ermöglichen, die Abstimmungsergebnisse zweifelsfrei feststellen zu können. Dieser Appell richtet sich sowohl an die Regierungsbank als auch an die Fraktionen. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/608. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/609. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen Drucksache 18/578 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Es handelt sich um eine Überweisung im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 i auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 22 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Erste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Drucksachen 18/299, 18/413 Nr. 2, 18/516 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/516, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 18/299 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 22 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Übersicht 1 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/593 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 22 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 7 zu Petitionen Drucksache 18/507 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 7 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 22 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 8 zu Petitionen Drucksache 18/508 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 8 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 22 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 9 zu Petitionen Drucksache 18/509 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 9 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 22 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 10 zu Petitionen Drucksache 18/510 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 10 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 22 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 11 zu Petitionen Drucksache 18/511 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 11 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 22 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 12 zu Petitionen Drucksache 18/512 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 12 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 22 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 13 zu Petitionen Drucksache 18/513 Hierzu liegt mir eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung des Kollegen Frank Tempel vor. Diese Erklärung nehmen wir entsprechend unseren Regeln zu Protokoll.3 Wer stimmt für die Sammelübersicht 13? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 13 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 g sowie den Zusatzpunkt 4 auf. Es geht um Wahlen zu Gremien. Tagesordnungspunkt 5 a: Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ Drucksache 18/560 Es liegen Wahlvorschläge aller Fraktionen auf Drucksache 18/560 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 5 b: Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der „Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum“ Drucksache 18/561 Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Die Linke auf Drucksache 18/561 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 5 c: Wahl der Mitglieder des Beirats für Fragen des Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur (Eisenbahninfrastrukturbeirat) Drucksache 18/562 Dazu liegen Wahlvorschläge aller Fraktionen auf Drucksache 18/562 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 5 d: Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Drucksache 18/563 Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/563 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 5 e: Wahl der Mitglieder des Beirats zur Auswahl von Themen für die Sonderpostwertzeichen ohne Zuschlag beim Bundesministerium der Finanzen (Programmbeirat) Drucksache 18/564 Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/564 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 5 f: Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates und des Verwaltungsrates der Deutschen Welle gemäß der §§ 31 und 36 des Deutsche-Welle-Gesetzes (DWG) Drucksache 18/565 Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/565 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 5 g: Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates und der Vergabekommission der Filmförderungsanstalt gemäß der §§ 6 und 8 des Filmförderungsgesetzes (FFG) Drucksache 18/566 Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/566 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4: Wahl der Mitglieder des Beirats für die grafische Gestaltung der Sonderpostwertzeichen beim Bundesministerium der Finanzen (Kunstbeirat) Drucksache 18/567 Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/567 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen. Ich nehme an, dass ich für das gesamte Haus spreche, wenn ich all den Kolleginnen und Kollegen, denen wir gerade verantwortungsvolle Aufgaben übertragen haben, im Übrigen immer einstimmig, viel Erfolg in ihrer Arbeit wünsche. (Beifall) Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 599. Mit Ja haben 498 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 84 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, und es gab 17 Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 599; davon ja: 498 nein: 84 enthalten: 17 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Fritz Güntzler Dr. Herlind Gundelach Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Carsten Körber Markus Koob Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Uli Grötsch Gabriele Groneberg Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoguz Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder (Schwandorf) Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Peer Steinbrück Christoph Strässer Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GR ÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Ekin Deligöz Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Dieter Janecek Tom Koenigs Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Markus Tressel Jürgen Trittin Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Norbert Schindler SPD Klaus Barthel Bärbel Bas Marco Bülow Dr. Ute Finckh-Krämer Michael Groß Wolfgang Gunkel Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Cansel Kiziltepe Daniela Kolbe Hilde Mattheis Christian Petry Dr. Wilhelm Priesmeier Kerstin Tack Rüdiger Veit Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. Andre Hahn Dr. Rosemarie Hein Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GR ÜNEN Sylvia Kotting-Uhl Christian Kühn (Tübingen) Monika Lazar Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Lisa Paus Corinna Rüffer Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Enthalten SPD Sönke Rix Ewald Schurer Sonja Steffen BÜNDNIS 90/ DIE GR ÜNEN Agnieszka Brugger Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Matthias Gastel Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Irene Mihalic Özcan Mutlu Ulle Schauws Dr. Julia Verlinden Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung bei der Zulassung der Genmaislinie 1507 und zur Sicherstellung der Wahlfreiheit in Bezug auf gentechnikfreie Lebensmittel Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Harald Ebner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vorab herzliche Glückwünsche an unseren neuen Minister Schmidt! – Er ist nicht da. Was für ein Start der Großen Koalition! Nach rekordverdächtigen 59 Tagen ist der erste Minister weg, und in der letzten Woche hat sie schon die erste historische Chance verpasst, in Europa eine Ablehnung der Gentechnik zu erreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verpasst! Versemmelt! Auf Ihre Kappe geht es, wenn im nächsten Jahr gentechnisch veränderter Mais auf unseren Äckern wächst. Es ist kurios, wie Sie sich jetzt herausreden wollen. Sie tun so, als ob Ihr Abstimmungsverhalten im Rat in Brüssel keine Rolle gespielt hätte. Das Ergebnis lehrt uns anderes. 19 von 28 Staaten haben gegen die Zulassung gestimmt. Das ist eine überwältigende Mehrheit. Nur 50 Stimmen haben gefehlt, davon 29 von Deutschland. Die Bundeskanzlerin war doch bei den CO2-Grenzwerten für Pkw auch nicht zimperlich, Deutschlands Gewicht in die Waagschale zu werfen. Aber hier hat sie die Hände in den Schoß gelegt, um sie hinterher in Unschuld zu waschen. Das lassen Ihnen die Menschen in diesem Land nicht durchgehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Gänzlich unbeschwert kommt jetzt die CSU daher. Ich zitiere: Die CSU sagt klipp und klar Nein zu den Genmais-Beschlüssen der EU. … Bayern muss frei bleiben von Gentechnik. … Was auf unseren Äckern und Feldern angebaut wird, bestimmen wir selbst und nicht EU-Bürokraten … (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Jawohl!) So der Bayernkurier am Samstag. Wo sind wir denn? Sind wir bei Grimms Märchen? Wollen Sie Ihre Kanzlerin jetzt als EU-Bürokratin abkanzeln? Sie ist doch für die Zulassung verantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Statt wie bei Ausländermaut und Flüchtlingen Europa-Bashing zu betreiben, hätten Sie doch jetzt zu Ihrer Verantwortung stehen und mit Ihrem Lieblingskoalitionspartner SPD einen Beschluss gegen den Genmais herbeiführen müssen. (Ute Vogt [SPD]: Was für eine Trauerarbeit!) In Brüssel dafür, in Bayern dagegen: Das ist doch nur noch peinlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bevor Sie weiter Sprüche à la „in Bayern nicht“ klopfen, schenken Sie den Menschen doch reinen Wein ein. Für regionale Anbauverbote gibt es doch überhaupt keine Rechtsgrundlage. Sie gackern über ungelegten Eiern. Aber es kommt noch besser: Für ein nationales Anbauverbot wollen ja weder der CSU-Agrarminister noch die SPD-geführten Ministerien – Wirtschaftsministerium, Umweltministerium – die notwendigen Daten erheben. Ihnen reicht die Bewertung der EFSA. Was denn jetzt? Sie sind gegen die Zulassung, aber für die EFSA-Bewertung. Wer soll denn das jetzt glauben? Schauen wir einmal auf die Fakten. Pollen der Genmaislinie 1507 sind 350-mal giftiger als die des Vetters MON 810, der unter Kanzlerin Merkel wegen Risiken für die Umwelt verboten worden ist. Sogar die gentechnikfreundliche EFSA hat Auflagen zum Schutz von Naturschutzgebieten und Schmetterlingen gefordert. Die fehlen im Zulassungsvorschlag der Kommission. Das Bundesamt für Naturschutz stellt fest: Es gibt keine ausreichende Risikoprüfung, es gibt kein ausreichendes Risikomanagement. Von der Glufosinattoleranz will ich noch gar nicht reden. Und Sie wollen den Menschen weismachen, alles wäre in Ordnung? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Statt die eigene Fachbehörde zu ignorieren und die Zulassung durchzuwinken, hätte die Bundesregierung in Brüssel entschlossen mit Nein stimmen müssen. Das ist das, was die Menschen von Ihnen erwartet hätten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wer braucht denn den Merkel-Mais? „Report München“ brachte es am Dienstag auf den Punkt. Hinter den Heilsversprechen der Gentechlobby steckt genau: nichts. Die Wirksamkeit gegen Maisschädlinge ist in Brasilien schon nach zwei Jahren dahin. Dort werden mehr Pestizide eingesetzt, nicht weniger. Jahr für Jahr steigt die Anwendung. Was nutzt denn der ganze Zirkus? Das braucht kein Mensch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir brauchen nicht noch mehr industriellen Maisanbau in Europa. Wir brauchen vernünftige Fruchtfolgen und Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz. Glaubt die Kanzlerin denn ernsthaft an die Märchen der Gentechlobby von höheren Erträgen und trockentoleranten Wunderpflanzen? Nach 20 Jahren Gentechanbau herrscht hier völlige Fehlanzeige. Wir haben genug normal gezüchtete Maissorten am Markt, die trockentolerant sind, aber nur eine einzige gentechnisch veränderte. Wenn Sie also wirklich etwas für die Welternährung tun wollen, dann kümmern Sie sich um die Umsetzung des TAB-Berichts zur Welternährungsforschung und des Weltagrarberichtes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Abstimmung im Rat haben Sie jetzt verbockt. Wir wollen für alle in diesem Land die Wahlfreiheit, sich auch künftig für gentechnikfreie Produkte entscheiden zu können. Da geht es demnächst auch um die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderten Honig. Wir erwarten von Ihnen die Prüfung der Möglichkeiten einer Klage gegen die Zulassung von Genmais, den Schutz der Honigrichtlinie vor Aufweichung und die Aussetzung der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen EU und USA, weil mit diesem Abkommen die europäischen Gentechnikstandards umgangen werden könnten. Damit können Sie etwas für die Gentechnikfreiheit und für die Wahlfreiheit in Europa tun. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten) Dr. Maria Flachsbarth, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Tagung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten am 11. Februar, also in der letzten Woche, wurde der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Anbauzulassung für die gentechnisch veränderte Maislinie 1507 erörtert. Da der Ministerrat am 11. Februar mangels formaler Abstimmung keine Stellungnahme abgegeben hat, liegt die endgültige Entscheidung über die Anbauzulassung nun in den Händen der Europäischen Kommission. Deutschland hat sich im Rat für Allgemeine Angelegenheiten aufgrund unterschiedlicher Auffassungen innerhalb der Bundesregierung der Stimme enthalten. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch Landwirte in unserem Land verbinden mit einem Anbau der gentechnisch veränderten Maislinie 1507 wesentlich mehr Sorgen als die Hoffnung auf einen möglichen Nutzen. Diese Sorgen nimmt die Bundesregierung sehr ernst. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schön! Aber es gibt ja noch nichts!) Auf der anderen Seite, liebe Kollegen von den Grünen, ist zu berücksichtigen, dass sich die EU-Kommission bei ihrem Vorschlag auf insgesamt sechs Stellungnahmen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, also der EFSA, stützen kann, wonach im Ergebnis der Anbau der gentechnisch veränderten Maislinie 1507 keine höheren Risiken für die Umwelt zur Folge hat als der Anbau von herkömmlichem Mais. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also verteidigen Sie das jetzt! Halten Sie den jetzt für harmlos?) Außerdem wurde in den Beratungen darauf hingewiesen, dass es in der EU bereits rund 30 gentechnisch veränderte Maislinien gibt, die eine Zulassung als Lebens- und Futtermittel haben, darunter eben auch diese Maislinie 1507, die 2005 als Futtermittel und 2006 als Lebensmittel zugelassen worden ist. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das macht es aber nicht besser!) Eine erforderliche Mehrheit gegen die Anbauzulassung der Maislinie 1507 ist dann im Rahmen des im Rat für Allgemeine Angelegenheiten unter den Mitgliedstaaten eingeholten Meinungsbildes nicht zustande gekommen. Sie wäre übrigens auch nicht zustande gekommen, lieber Herr Kollege Ebner, wenn Deutschland gegen die Zulassung votiert hätte. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn dafür getan? – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage nur: CO2-Grenzwerte!) Es ist nun vielmehr davon auszugehen, dass die Kommission den Vorschlag zur Zulassung des Anbaus dieser Maislinie veröffentlicht. Dabei bleibt abzuwarten, wann das definitiv passieren wird. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach der Europawahl!) Unser Haus, das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, geht davon aus, dass aufgrund der zeitlichen Verläufe der Mais in dieser Legislaturperiode ganz sicher nicht mehr angebaut werden wird. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Sie warten erst noch die Wahl ab!) Ein möglicher Anbau würde dann 2015 – das wissen Sie – auf sehr restriktive Haftungsregeln des Gentechnikgesetzes in Deutschland treffen, die wir hier aus gutem Grund miteinander verabschiedet haben. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: MON 810 wurde auch angebaut!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bundesregierung tritt für eine EU-Kennzeichnungspflicht für Produkte von Tieren ein, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert werden. Das haben die Regierungsparteien, also die Unionsparteien und die SPD, im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart. Darüber hinaus hat die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass an der Nulltoleranz gegenüber nichtzugelassenen gentechnisch veränderten Bestandteilen in Lebensmitteln und an der Saatgutreinheit selbstverständlich festgehalten wird. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An der Nulltoleranz? Das wäre schön!) Die derzeit geltenden gemeinschaftsrechtlichen Kennzeichnungsregelungen gehen nach der Auffassung der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen aber nicht weit genug. Denn danach erfolgt der Schutz der Rechte der Verbraucher durch die nach EU-Recht geltende Zulassungspflicht sowie durch die daneben bestehende Kennzeichnungspflicht von Futter- und Lebensmitteln, die aus gentechnisch veränderten Organismen entweder direkt hergestellt werden, diese enthalten oder aus diesen bestehen. Ausgenommen von der Kennzeichnungspflicht sind Futter- und Lebensmittel – das ist wahrscheinlich bekannt –, deren gentechnisch veränderter Anteil zufällig oder aber technisch unvermeidbar und nicht höher als 0,9 Prozent ist. Diese Ausnahmen gelten selbstverständlich nur für solche gentechnisch veränderten Organismen, die auf europäischer Ebene zugelassen sind und somit kein Sicherheitsrisiko darstellen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass Milch- und Fleischprodukte von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, ebenfalls gekennzeichnet werden müssen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir warten auf Sie!) Eine solche umfassende Positivkennzeichnung würde eine vollständige Verbrauchertransparenz im Hinblick auf die Verwendung von Gentechnik in der Lebensmittelproduktion bewirken. Um bereits vor der Einführung einer solchen umfassenden Kennzeichnung auf europäischer Ebene – Sie wissen, wie lange das dauern kann – mehr Klarheit über die Verwendung von Gentechnik in der Lebensmittelproduktion zu schaffen, ist in Deutschland schon am 1. Mai 2008, also nunmehr vor sechs Jahren, die nationale Regelung mit der freiwilligen „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung in Kraft getreten. Diese Kennzeichnung ermöglicht Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich durch ihre Kaufentscheidung für Produkte mit dem „Ohne Gentechnik“-Siegel gezielt gegen den Anbau und gegen die Verwendung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen als Lebensmittel oder Futtermittel aussprechen zu können. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben das nicht finanziell unterstützt! Das ist armselig!) Zur Erhöhung von Transparenz und Information und zur Stärkung der Wahlfreiheit unterstützen die Bundesregierung und insbesondere mein Haus, das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, deshalb die breitere Anwendung der „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Meine Damen und Herren von der Union, ich verstehe Ihren Phantomschmerz bei diesem Thema. Ich glaube, dass Sie gerade in dieser Debatte die FDP schmerzlich vermissen. Aber die Kanzlerin tritt ja dieses politische Erbe an, wie wir aus gut unterrichteten Kreisen vernommen haben. Zu dumm nur, dass mit der deutschen Enthaltung in Brüssel der Koalitionsvertrag schon gebrochen ist, kaum dass die Tinte richtig trocken ist. Die Demontage des Agrarministers hat auch gleich stattgefunden, der ja explizit gegen die Zulassung des Mais 1507 war. Schlimmer ist aber, dass sich damit Deutschland in der EU isoliert. 19 Mitgliedstaaten haben die Anbauzulassung abgelehnt, nur fünf waren dafür, darunter Schweden und Finnland, deren Maisanbau, wie man sagen muss, ein sehr übersichtliches Ausmaß hat. Schade, dass das Zulassungsverfahren für diesen Mais noch nach den vor den Lissabonner Verträgen geltenden Regularien stattfindet. Danach kann die EU-Kommission noch allein entscheiden, weil keine Zweidrittelmehrheit der Stimmen der Mitgliedstaaten gegen die Zulassung gegeben ist. Nach den neuen Lissabonner Regeln müsste der EU-Agrarrat, also alle Landwirtschaftsminister der Mitgliedstaaten, mit EU-Parlament und unter Vermittlung der EU-Kommission in einen sogenannten Trilog treten. Das ist ein kleiner, wenn auch durchaus wichtiger demokratischer Fortschritt, zumal das EU-Parlament gerade klar gefordert hat, alle Zulassungsanträge für Genmais oder für gentechnisch veränderte Pflanzen auf Eis zu legen. Diese Position teilen wir von den Linken vollständig. (Beifall bei der LINKEN) Das Brüsseler Abstimmungsergebnis zeigt vor allen Dingen drei Dinge: Erstens. Es geht gar nicht um diesen Mais. Dessen Zulassung soll vielmehr der Türöffner sein für sieben weitere Anbauzulassungen, die noch in der Pipeline sind. Das muss verhindert werden. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Deutschland hat mit seiner Enthaltung die Anbauzulassung erst ermöglicht. Deutschlands Nein allein hätte keine qualifizierte Mehrheit dagegen bedeutet, aber die Kanzlerin – sie ist auch sonst nicht so bescheiden – hat doch politisches Gewicht in Europa und in der Welt. Deshalb wäre es ein starkes Signal gewesen, wenn Deutschland Nein gesagt hätte. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dies gilt übrigens auch für das Freihandelsabkommen mit den USA. Vielleicht war gerade dieses Signal nicht gewollt. Genau das ist inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Gerade weil das EU-Parlament künftig ein Mitspracherecht hat, sage ich für die Linke: Augen auf bei der EU-Wahl! (Beifall bei der LINKEN) Die Befürworter der Gentechnik und ihre Freunde von der CDU behaupten, die Agrogentechnikgegnerinnen und -gegner hätten keine Ahnung und seien ideologisch so verblendet, dass sie die Beglückungen der Agrogentechnik nicht erkennen würden. Deswegen reden wir doch einmal Klartext. Der Mais 1507 macht die Kritik übrigens besonders leicht. Selbst viele Länderagrarminister haben die Gefolgschaft verweigert. Der Mais 1507 hat gleich zwei gentechnische Veränderungen: Zum einen ist er resistent gegen den Unkrautvernichter Glufosinat. Wozu ist das gut? Man kann mit Glufosinat alle Pflanzen auf dem Acker totspritzen. Nur der gentechnisch veränderte Mais kann auf diesem Acker wachsen. Ich finde das gruselig. Aber es kommt noch viel absurder: Glufosinat ist schon seit November 2013 in Deutschland für den Maisanbau und ab 2017 in der gesamten EU verboten, weil es so giftig ist. Wer braucht – außer Pioneer – einen solchen Mais? Zum anderen produziert der Mais ein Bakterientoxin, das die Raupen des Maiszünslers abtöten soll. Das ist so ähnlich, als ob man eine Kuh genetisch verändert, damit sie ihr eigenes Antibiotikum produziert. Das ist absurd und unverantwortlich. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber es geht noch absurder. Ein ähnliches Toxin produziert der Mais MON 810 – Herr Ebner hat gerade darauf hingewiesen –, dessen Anbau die Bundesregierung aus gutem Grund längst verboten hat. Das Gift wirkt nicht nur gegen den Maiszünsler, sondern auch gegen nützliche Insekten. Mais 1507 produziert aber noch sehr viel mehr Bakterientoxin. Deswegen ist es völlig logisch, dass man den Anbau dieser Maislinie jetzt ablehnt. Report München hat am vergangenen Dienstag sehr eindrucksvoll berichtet, dass in Brasilien wenige Jahre nach der Anwendung von Mais 1507 Resistenzen aufgetreten sind. Auch hier wieder: Wer braucht diesen Mais außer Pioneer? Abschließend noch zur Behauptung, die Wissenschaft habe alles geprüft und hielte das für unbedenklich. Es gibt seit Jahren massive Kritik am Zulassungsverfahren. Um nur die Hauptdefizite zu nennen: Es fehlen Langzeituntersuchungen und unabhängige Studien. Es fehlt Transparenz im Verfahren. Es fehlen Folgeabschätzungen für die gentechnikfreie Land- und Lebensmittelwirtschaft. Aber auch diese Defizite sind noch nicht alles. Die zuständige Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, steht unter dem klaren Verdacht, zu große Nähe zur Gentechniklobby zu haben. Also: Geprüft und für gut befunden? Das ist absurd. Für die Linke sage ich ganz klar: Wir haben die Bundesregierung agrogentechnisch geprüft, aber nicht für gut befunden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen! Ich gehe jetzt nicht auf die Haltung der Bundesregierung ein. Mir ist es wichtig, etwas zur Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher zu sagen. Die Frau Staatssekretärin hat dieses Thema bereits gestreift. Ich denke, es ist wichtig, dass wir zu einer sachdienlichen Arbeit zusammenfinden, an deren Ende Lösungen stehen, von denen die Verbraucherinnen und Verbraucher auch profitieren. Es muss jetzt darum gehen, dafür zu sorgen, dass hier kein gentechnisch veränderter Mais angebaut wird. Es ist schon gesagt worden: In diesem Jahr wird der Mais 1507 nicht mehr angebaut. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nicht Ihr Verdienst!) Aber wir müssen die Zeit nutzen, damit wir rechtzeitig zur nächsten Aussaat eine rechtssichere Regelung haben. Zum Thema Opt-out und regionale Anbauverbote ist in der Presse viel zu lesen. Eine Ausstiegsmöglichkeit für einzelne Mitgliedstaaten ist aber immer nur die zweitbeste Lösung; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn die GVO-Verunreinigungen machen nicht an der Landesgrenze halt. Deshalb müssen wir uns auch weiterhin auf EU-Ebene für die Verbraucherinnen und Verbraucher einsetzen, die nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen EU mehrheitlich die Agrogentechnik ablehnen. Wir sollten auch aufpassen, dass da keine Missverständnisse entstehen. Auf EU-Ebene liegt aktuell ein Vorschlag für eine Opt-out-Regelung vor. Er ist aus unserer Sicht indiskutabel. Denn er sieht vor, dass Mitgliedstaaten, die keinen GVO-Anbau wollen, mit dem Unternehmen, das den Antrag auf Zulassung einer Sorte gestellt hat, darüber verhandeln. Ich denke doch, da sind wir alle uns einig: Das wollen wir nicht. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann setzen Sie sich durch in der Koalition!) Eine Regierung darf doch nicht vom Entgegenkommen eines Unternehmens abhängig sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das entspricht nicht unseren Vorstellungen von Souveränität und Demokratie. Aus guten Gründen hat deshalb auch die schwarz-gelbe Vorgängerregierung diese Regelung abgelehnt. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Fraktion gehören Sie an?) – Bitte hören Sie zu. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Ausgang solcher Verhandlungen ist absehbar; schließlich beantragt das Unternehmen ja gerade die Zulassung auf EU-Ebene, damit das Produkt auch angebaut werden kann. Ohne Gegenleistung geht da also gar nichts. Eine mögliche Gegenleistung könnte dann die Zustimmung der Regierung zur Zulassung auf EU-Ebene sein. Wollen Sie das? – Ich denke, das müssen wir ablehnen. (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Wenn wir eine Opt-out-Lösung, also eine Ausstiegsklausel wollen, dann sollte sich diese an den am 5. Juli 2011 vom Europäischen Parlament mit großer Mehrheit angenommenen Vorschlägen orientieren. Denn darin hat das Europäische Parlament die Vorlage für eine rechtssichere Begründung von Anbauverboten in einzelnen Mitgliedstaaten geliefert. Eine andere Stellschraube bei der Sicherung der Wahlfreiheit ist Transparenz. Die bekommt man als Verbraucherin oder Verbraucher aber nur, wenn man beim Lebensmittelkauf selbst erkennen kann, ob ein Produkt GVO-verändert ist oder nicht. Wir, CDU, CSU und SPD, haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass wir für eine EU-weite Kennzeichnungspflicht für Produkte von Tieren sind, die mit genveränderten Pflanzen gefüttert worden sind; die Staatssekretärin hat es auch schon erwähnt. Ich finde, das muss jetzt aktiv angegangen werden. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht mal einen Zeitplan!) Denn wo landet der gentechnisch veränderte Mais? Na, klar: im Futtertrog. Aber leider können wir das nicht erkennen, wenn wir die Produkte kaufen; denn bei Milch, Eiern, Käse, Fleisch oder daraus gefertigten Produkten muss nicht angegeben werden, dass bei der Fütterung der Tiere GVO-veränderte Pflanzen verwendet worden sind. Sie kennen die Umfragen, nach denen die Mehrheit der Bevölkerung GVO-Pflanzen ablehnt, auf dem Acker wie auch auf dem Teller. Ich finde, die Verbraucher sollen beim Einkauf endlich selbst entscheiden können, was sie kaufen wollen. Das können wir nur mit einer entsprechenden Kennzeichnung erreichen. Dafür setzen wir, CDU/CSU und SPD, uns gemeinsam ein. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie gegen Gentechnik insgesamt beim letzten Mal!) Das wird die Bundesregierung auf EU-Ebene angehen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wünsche ich gutes Verrichten!) Vizepräsidentin Petra Pau: Gratulation zur Punktlandung! Das muss man heute wirklich vermerken. – Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, es ist wichtig, hier in der Debatte einmal zu sagen, dass es ein Riesenerfolg ist, dass Deutschland frei von Agrogentechnik ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das haben wir aber nicht den Grünen zu verdanken!) Diesen Erfolg, meine Damen und Herren, gäbe es nicht ohne das Gentechnikgesetz, ohne das von Renate Künast geschaffene Standortregister. Das ist die Grundlage dafür, dass wir in diesem Land keine Agrogentechnik haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Eben nicht! Künast hat sich auf der EU-Ebene genauso enthalten!) Ich freue mich, dass das, was Grüne vor zehn Jahren vertreten haben, in der Politik inzwischen weitgehender Konsens ist. Wenn man einmal in die Wahlprogramme, in die Regierungsprogramme schaut, dann muss man zur Kenntnis nehmen: Viereinhalb von fünf Parteien in diesem Haus wollen keine Gentechnik, wollen keine Agrogentechnik. Im Koalitionsvertrag findet sich eine eindeutige Aussage dazu. Man kann sie nur so verstehen, dass Sie selbstverständlich nichts zulassen wollen. Jetzt passiert aber das Verrückte: Deutschland enthält sich in Brüssel bei der Abstimmung über den Genmais 1507 und ermöglicht so seine Zulassung. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht gar nicht! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unmöglich!) Meine Damen und Herren, ich hätte erwartet, dass Sie für Mehrheiten kämpfen, dass Sie das, was in Deutschland Realität ist, europaweit möglich machen. Aber davon habe ich überhaupt nichts gemerkt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Drobinski-Weiß, es ist ja schön, dass Sie hier die Kämpferin gegen Gentechnik mimen. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie hier so ehrlich gewesen wären wie im ARD-Morgenmagazin. Dort haben Sie gesagt, wie es wirklich ist – ich zitiere –: „Die Kanzlerin will den Genmais.“ (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist falsch!) Damit haben Sie zugegeben, dass es völlig egal ist, was in Wahlprogrammen, in Parteitagsbeschlüssen oder im Koalitionsvertrag steht. Am Ende zeigt Mutti, wo der Hammer hängt, und am Ende entscheidet sie: Wir wollen Gentechnik in Europa. (René Röspel [SPD]: Da gibt es eine Richtlinienkompetenz der Kanzlerin! Das darf man auch nicht vergessen!) Ich kann Ihnen von CDU/CSU und SPD nur sagen: Bei diesem Thema liegen Sie flach auf dem Boden. Das ist keine Koalition, das ist Kapitulation! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) Anstatt jetzt aber zuzugeben: „Ja, allen schönen Worten zum Trotz haben wir das Thema versemmelt, jetzt kommt die Zwangsbeglückung mit Gentechnik“, kommen nur Ausflüchte. Jetzt sind Opt-out-Regelungen im Gespräch, die es den Ländern ermöglichen sollen, sich herauszuwinden. Das ist aber keine Lösung, schon allein deshalb nicht, weil Pollen über große Strecken durch die Luft fliegen können und bekanntlich vor Ländergrenzen keinen Halt machen. Sie sehen: Opt-out-Regelungen helfen uns nicht weiter. Wir brauchen ein flächendeckendes Verbot von Gentechnik. Darum müssen Sie sich kümmern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Opt-out-Regelung und all die anderen Vorhaben, die jetzt diskutiert werden, sind nicht nur von der Sache her, sondern auch juristisch absurd. Wir wollen keinen Flickenteppich in Europa und erst recht keinen Flickenteppich in Deutschland, der entsteht, wenn jedes Bundesland seine eigenen Regelungen trifft. Das macht überhaupt keinen Sinn. Dahinter steckt Prinzip. Das haben wir beim Thema CCS schon einmal erlebt. Auch damals standen Sie unter dem Druck, Entscheidungen treffen zu müssen. Vor Ort haben Sie dann so getan, als seien Sie die größten Kritiker. Es wurde vereinbart, dass sich die Länder von den Regelungen verabschieden können. Juristisch ist das alles wackelig. Bei der Gentechnik wird es am Ende auch so sein: Es braucht nur einer zu klagen, dann kippen die Regelungen. Dann haben Sie mit Zitronen gehandelt und dem Schutz der Verbraucher vor Gentechnik einen absoluten Bärendienst erwiesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Thema setzt sich fort. Es geht nicht nur um Genmais 1507. Demnächst müssen wir darüber abstimmen, wie Honig gekennzeichnet werden soll. Es stellt sich die Frage: Gibt es die Möglichkeit, klar zu kennzeichnen, dass eine Honigsorte aus Pollen von gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt wird? Auch hier muss ich davon ausgehen, dass Sie wieder umfallen werden. Ich mache mir die allergrößten Sorgen, wenn ich an das Freihandelsabkommen denke. Wenn Sie mit dieser Position und unter dem Druck, den die Kanzlerin ausübt, verhandeln, dann wird am Ende durch das Freihandelsabkommen der Gentechnik die Tür nach Europa geöffnet. Aber dagegen werden wir mit allem Nachdruck kämpfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir auch!) Ich sage Ihnen zum Schluss: Weder die Menschen in unserem Land noch die Menschen in Europa wollen Agrogentechnik auf ihren Tellern. Wir werden dagegen ankämpfen, dass die Menschen durch den Pro-Gentechnik-Kurs von Angela Merkel, der nun auch öffentlich so benannt worden ist, zwangsbeglückt werden. Vielmehr sollen sie vor Gentechnik geschützt werden. Wir wollen in Deutschland weiterhin eine gentechnikfreie Landwirtschaft und eine gentechnikfreie Ernährung. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Kees de Vries das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Kees de Vries (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute in dieser Aktuellen Stunde auf Antrag der Grünen wieder über die Maissorte 1507, die sich vor dem Maiszünsler schützt, dessen Raupen jedes Jahr weltweit bis zu 4 Prozent der Maisernte zerstören. Dafür sorgt ein Gen, das aus dem Bakterium Bacillus thuringiensis stammt, kurz: BT. Ich gebe gerne zu: Es gibt eine Alternative. Man kann dieses BT-Toxin, wie es übrigens im Biolandbau praktiziert wird, auch spritzen. Dann hat man nicht das Risiko, dass auch andere Insekten und Schmetterlinge abgetötet werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt aber nicht!) Nebenbei bemerkt ist diese Maissorte gegen das für Maisanbau in Europa nicht zugelassene Herbizid Glufosinat resistent. Im Übrigen wird der deutsche Landwirt diese Maissorte wegen der gesetzlich geregelten verschuldensunabhängigen gesamtschuldnerischen Haftung nicht anbauen können. (Beifall des Abg. Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU] – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch das stimmt nicht! Das wissen Sie auch genau!) Damit ist klar, dass es hier im Grunde nicht um den Mais 1507 geht. Nein, es geht um die Frage, ob wir die Forschung an der Grünen Gentechnologie auch in Europa fortsetzen und damit die Zukunft in eigenen Händen behalten oder uns von der weltweiten Entwicklung abkoppeln und dieses Feld anderen überlassen. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch jetzt um eine Anbauzulassung und nicht um Forschung!) Ich spreche mich klar und deutlich dafür aus, dass wir diese Entscheidung ausschließlich auf der Basis wissenschaftlicher Bewertungen treffen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Natürlich sind dabei die Risiken von genveränderten Organismen abzuwägen, aber auch die damit verbundenen möglichen Chancen für die Landwirtschaft, die von Einsparungen bei den Pflanzenschutzmitteln bis hin zu sicheren Erträgen in benachteiligten Gebieten reichen. Vielleicht können wir uns die Meinung „Wir brauchen Grüne Gentechnik nicht!“ in Deutschland zurzeit leisten. Aber es gibt andere Länder, auch in Europa, und es wird andere Zeiten geben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie einmal den Bericht zur Welternährung! Lohnt sich!) In der Position der Fraktion der Grünen kommen die Ängste hinsichtlich neuer Techniken, unbekannter Pflanzen oder Organismen zum Ausdruck. Diese sind sehr ernst zu nehmen, weil ein großer Teil der Bevölkerung diese Ängste teilt. Deshalb ist es wichtig, die Emotionen in dieser Diskussion herunterzufahren und uns auf verlässliche wissenschaftliche Untersuchungen zu stützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die CSU ist es auch eine ethische Frage!) Der US-Hersteller DuPont Pioneer hat 2001 die Zulassung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, für die Maislinie 1507 beantragt. Seitdem gab es in 2005, 2006, 2008, 2011 und 2012 Gutachten, die keine wissenschaftlichen Anhaltspunkte ergaben, dass diese Maissorte eine Gefahr für Mensch, Tier oder Umwelt ist. Die Kommission hat aufgrund dieser Unbedenklichkeitsbescheinigungen dem Antrag auf Anbau dieser Maissorte nach Maßgabe des Jahres 2012 stattzugeben. Vergessen wir aber nicht: In den letzten zwölf Jahren hatten alle die Chance, ihre Bedenken vorzutragen, gehört zu werden und den Vorschlag unter allen Gesichtspunkten zu diskutieren. Alle Argumente konnten in dieser Zeit ausführlich ausgetauscht werden. Trotzdem: Es gab und gibt keine Mehrheit für und es gab und gibt keine Mehrheit gegen den Vorschlag der Kommission. Da es auch in unserer Koalition Meinungsverschiedenheiten gab, musste sich Deutschland logischerweise der Stimme enthalten. Das hat übrigens auch Ministerin Künast 2004 bei dem Mais MON 863 getan. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ute Vogt [SPD] – Zuruf von der LINKEN: Was es nicht besser macht!) Lassen Sie mich zum Schluss auf Folgendes hinweisen: Wenn wir die Menschen ehrlich informieren wollen und wenn wir die auf Emotionen basierenden Ängste abbauen wollen, dann brauchen wir eine lückenlose Prozesskennzeichnung in der Lebensmittelproduktion, aber das nicht nur für Produkte tierischer Herkunft. Nur so kann jeder die Fakten erkennen, und nur so werden wir Ängste, die gar nicht sein müssten, abbauen können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege de Vries, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich und wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit. Auch das sei vermerkt – viele schaffen das nicht –: Sie sind in der vorgegebenen Redezeit geblieben. (Beifall) Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 88 Prozent der Bevölkerung hier in diesem schönen Land lehnen Lebensmittel, die genmanipuliert sind, ab. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ute Vogt [SPD]) Jetzt höre ich: Das wissen wir. – Dann frage ich Sie: Warum enthalten Sie sich in Brüssel? Ich muss Ihnen vorwerfen: Sie haben sich mit daran beteiligt, Sie waren zumindest mit schuld, dass jetzt dieser Genmais eingeführt wird. Es gibt ja drei Parteien in der Koalition. Ich habe Ihr Interview sehr genau verfolgt, in dem Sie sehr armselig sagen mussten: Wir wollten ja, aber wir durften nicht. – (René Röspel [SPD]: Das ist der Unterschied zu den Linken: Ihr wollt nicht, und ihr dürft auch nicht!) Die CSU hat dann ein Flugblatt herausgebracht: Kein Genmais nach Bayern! – Das ist ja schön. Sie wissen, dass die Bayern natürlich auch gegen Genmais sind. Der CSU-Generalsekretär sagt dazu ein klares Nein. Ich frage mich: Warum setzen Sie sich in dieser Koalition nicht durch? (Beifall bei der LINKEN) Vor der Bundestagswahl hat Horst Seehofer gesagt: Mit unserer Maut setzen wir uns durch. – Dann ging es um den Koalitionsvertrag. Da hat er wieder gesagt: Wir setzen uns durch wie bei der Maut. – Ich frage mich: Warum setzen Sie sich nicht durch? Sie verteilen solche Flugblätter in Bayern, geben Presseerklärungen heraus, in denen Horst Seehofer und Marcel Huber zitiert werden, die eigentlich alle gegen Genmais sind. Ich sage den bayerischen Wählerinnen und Wählern: Die CSU ist in der Regierung und nicht in der Opposition. – Sie machen das schon seit vielen Jahrzehnten so: Schon unter Franz Josef Strauß hat man gegen die in Bonn geschimpft, dann gegen die „Preißn“ in Berlin und so getan, als sei man nicht beteiligt. Sie sind aber an der Regierung beteiligt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das haben die noch nicht gemerkt! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Und zwar erfolgreich!) Jetzt ist die Frage: Warum ist die CDU so dafür? Das fragen sich ja viele. Ich habe den Eindruck: Es ist wieder einmal ein Kotau vor den USA, ein Vorgriff auf das TTIP-Abkommen. Wenn ich mir anschaue, was in den USA passiert, sehe ich, dass dort ein Gesetz verabschiedet wird, welches es den Gentechnikherstellern ermöglicht, sich über gerichtlich angeordnete Verkaufsstopps für Saatgut hinwegzusetzen. Tolle Demokratie! Es gibt dort die FDA, die Food and Drug Administration, die für den Schutz der öffentlichen Gesundheit zuständig ist. Wenn man einmal genauer hinschaut, merkt man, dass ein Großteil der Beamten dort ehemalige Führungskräfte aus Gentechnikunternehmen sind. Das ist interessant. Die Linke hat dazu schon 2006 eine Anfrage gestellt: Auch bei uns gibt es in den Ministerien Vertreter der Pharmakonzerne. Eine Recherche der Initiativen „Kein Patent auf Leben!“ und der „Coordination gegen BAYER-Gefahren“ belegt, dass zum Beispiel Bayer, aber auch andere Konzerne zu den weltweit führenden Anbietern der Grünen Gentechnik aufgeschlossen haben. Pioneer ist der umsatzstärkste; aber die anderen Konzerne liegen dicht dahinter. Jetzt rede ich über Patente, die in München genehmigt werden: Von rund 2 000 Patenten, die das Europäische Patentamt in den letzten 20 Jahren auf transgene Pflanzen gewährt hat, besitzt der Bayer-Konzern 206. Dabei geht es um Mais, Weizen, Reis, Gerste, Soja, Baumwolle und sogar genmanipulierte Bäume. Bayer liegt auf Platz eins, noch vor Pioneer mit 179, BASF mit 144, Syngenta mit 135 und Monsanto mit 119 Patenten. Es werden immer mehr. Es gibt dann zum Beispiel die Genmaus und das Genschwein. Wir demonstrieren immer wieder dagegen. Die Leute wollen das nicht. (Beifall bei der LINKEN) Ich zitiere Ruth Tippe von „Kein Patent auf Leben!“: Bei Pestiziden und Saatgut besitzen die zehn größten Agro-Unternehmen schon heute einen Marktanteil von über 70 %. Ziel dieses Oligopols ist es, den Markt unter sich aufzuteilen und letztlich die Ernährungsgrundlagen der Menschheit zu kontrollieren. Patente auf Pflanzen und Tiere sind dabei ein zentrales Hilfsmittel. Ich sage Ihnen: Die Menschen wollen das nicht. Ich bin der Meinung, Sie sollten das endlich akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch wenn Sie eine Große Koalition sind und eine 80Prozent-Mehrheit haben: 88 Prozent der Menschen in Deutschland wollen das nicht. Da nutzt das, was Sie jetzt alles fordern, nichts. (Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Ach ja? Haben Sie alle 80 Millionen gefragt? Was maßen Sie sich eigentlich an, für alle anderen zu entscheiden?) – Sie können mir ja eine Frage stellen, wenn Ihnen das nicht passt. Wen bzw. welchen Konzern vertreten Sie? (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich möchte Ihnen jetzt noch etwas vorlesen: die Eidesformel des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers und der Bundesminister: Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden … werde. Ich sage Ihnen: Tun Sie das endlich! (Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Oh ja! Das müssen Sie gerade sagen!) Einen Schaden durch Gentechnik wollen wir nicht. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe Ihnen hier einen Biomais mitgebracht. Wir wollen solchen Mais, aber nicht den, den Sie wollen – im Interesse der Konzerne, die Sie vertreten, und ihrer Profite. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Guten Appetit!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Frage einen offenen Dissens innerhalb der Bundesregierung. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die SPD hat verloren!) Wir haben, Frau Kollegin Lemke, eine Erfahrung gemacht, die auch Ihnen, glaube ich, nicht ganz fremd ist, wenn man politische Verantwortung übernimmt. Ich glaube sogar, Sie waren damals, als es um die Novellierung des Gentechnikrechts ging, Berichterstatterin, und ich war als Sachverständiger im Deutschen Bundestag. Ich habe den Eindruck, bei den damaligen Entscheidungen wollten die Grünen andere Regelungen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat die SPD damals nicht auch schon verloren? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da stand die SPD ganz woanders!) Aber Sie waren in Verantwortung, und Sie mussten Kompromisse schließen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit der SPD, Kollege Miersch!) – Mit der SPD. Trotzdem finde ich, wir haben ein Gentechnikrecht – eben haben Sie es noch gelobt –, das richtig klasse ist. Darauf können wir auch stolz sein. (Beifall bei der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heißt das also, wenn die SPD die Regierung führt, dann ist sie für Gentechnik, und wenn sie der kleinere Partner ist, dann ist sie dagegen? Das ist doch Heuchelei!) Was ich sagen will, ist: Wenn man politische Verantwortung übernimmt, dann kann man sich in bestimmten Punkten durchsetzen. Aber es gibt eben auch Themen, bei denen man sich vielleicht nicht durchsetzen kann. Dann muss man um den besten Weg ringen, Herr Hofreiter; dazu lade ich Sie ein. Denn eines steht fest: Wir haben in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben, dass die unterzeichnenden Parteien die Vorbehalte des Großteils der Bevölkerung gegenüber der Grünen Gentechnik anerkennen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Es wäre schön gewesen, wenn Sie das auch gemacht hätten!) Ich kann nur sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages kann ich es nicht akzeptieren, wenn sich die Bundesregierung bei einer zentralen Zulassungsfrage enthält. Das ist keine Haltung. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Koalitionskrise! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie hat denn die SPD abgestimmt, als wir das Thema im Bundestag hatten? – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn damals mit Ja gestimmt?) Ich glaube, dass es legitim ist, dass der Ball dann, wenn sich die Bundesregierung nicht verständigen kann, wieder beim Parlament liegt, dass wir dann offen darum ringen müssen, was es für uns heißt, dass wir die Vorbehalte anerkennen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben unseren Antrag damals abgelehnt! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie haben Sie denn im Bundestag abgestimmt, Herr Miersch?) Ethische Fragen sind die Sternstunden des Parlaments. Deswegen, Herr Hofreiter: (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wie haben Sie denn nun hier im Parlament abgestimmt? – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Der ist schon bei Schwarz-Grün!) Ich lade Sie ein – das wäre meine Bitte –, dass wir gemeinsam überlegen, wie wir eine solche Situation künftig verhindern können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hätten Sie anders abstimmen müssen!) Ich bin fest davon überzeugt, dass von dieser Brüsseler Entscheidung ein Signal ausgehen wird und wir in den nächsten Wochen mehrere Anträge auf Zulassung bekommen werden. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Richtig!) Ich möchte diese Debatte nicht vor dem Hintergrund eines Antrags der Grünen, der Linken, der SPD oder der CDU/CSU führen – denn dann müssten wir alle wieder in unsere Gräben –, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das hat doch damit gar nichts zu tun! Lasst uns das doch sachorientiert machen!) vielmehr ist mir diese Frage so wichtig, dass ich Sie – alle zusammen – einladen möchte, Herr Ebner, gemeinsam mit uns nach einer Lösung zu suchen. Bei den Biopatenten haben wir das zusammen geschafft. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Das war gut!) Lassen Sie uns in den nächsten Wochen überlegen, ob wir hier eine breite Debatte über die Fragen der Ethik hinbekommen, auch über die Fragestellung, die Herr de Vries angesprochen hat. Ich habe dazu eine völlig andere Meinung, auch aus anwaltlicher Erfahrung: zum Beispiel in dem Fall, dass Landwirt gegen Landwirt steht. Ich möchte mit Ihnen gerne über eine Konsultationspflicht reden: dass dann, wenn man sich innerhalb der Bundesregierung nicht verständigen kann, das Parlament zumindest befragt werden muss. Ich bin mir sicher: Jeder von uns hat eine Haltung, und zwar keine Enthaltung, sondern eine klare Position: ja oder nein. Diese Debatte wünsche ich mir, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Augenwischerei! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben das Parlament befragt!) Ich bitte die Bundesregierung darüber hinaus, Frau Staatssekretärin, zu prüfen, ob die Gründe, die Ministerin Aigner damals bei der Maissorte MON 810 angeführt hat, nicht auch jetzt zutreffen: ob die Gesundheitsrisiken nicht derart massiv sind, dass man für ein nationales Anbauverbot plädieren muss. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie machen keine Debatte!) Das Dritte, was ich mir von dieser gruppenübergreifenden Debatte wünsche, ist ein Diskurs darüber, wie wir die europäische Rechtsetzung zukünftig mit beeinflussen wollen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn ihr nicht einmal diese Abstimmung hinkriegt?) Ich glaube, dass man über eine Opt-out-Klausel, wie sie die CSU, aber auch SPD-Agrarminister wie Till Backhaus jetzt ins Spiel bringen, zumindest debattieren muss, wenn die Zulassung auf europäischer Ebene in die Hose gegangen ist. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hättet ihr doch was gestalten können!) Diese Debatte, Herr Ebner, wünsche ich mir. Ich glaube, wenn wir sie in diesem Haus sachlich führen, werden wir dem großen Thema „Gentechnik in der freien Natur“ gerecht. Ich lade alle ein, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Gentechnikgesetz einmal zu lesen. Ich bin mir sehr sicher: Uns allen wird bewusst, dass es ähnlich wie in der Debatte über Stammzellen oder über das Klonen um urethische Fragestellungen geht, die wir in diesem Parlament dringend diskutieren müssen, wenn wir unserer Aufgabe als Abgeordnete gerecht werden wollen. Wir können uns bei dieser wichtigen Frage nicht enthalten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Artur Auernhammer hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Artur Auernhammer (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich diesem Hohen Hause jetzt acht Jahre nicht angehört habe, mache ich heute eine Feststellung: Die Sachkenntnis in manchen Redebeiträgen von den Grünen hat nicht zugenommen, im Gegenteil: Sie hat abgenommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auweia! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dann machen Sie es mal besser! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Herr Oberlehrer! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja spannend, was jetzt an Sachkenntnis kommt!) Im Jahre 2004/2005 hat in Deutschland flächenmäßig der größte Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen stattgefunden. Wer war damals in der Regierungsverantwortung, wer war damals Bundeslandwirtschaftsministerin? Mir fällt der Name gerade nicht ein. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat MON 810 zugelassen? – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie damit jetzt beweisen? – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Sachkenntnis pur, Herr Kollege!) Ich bitte Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren: Kehren wir zurück zur Sachlichkeit! Kehren wir zurück zum Thema: zur eigentlichen Gentechnik. Bei der Gentechnik haben wir eigentlich drei Themenbereiche: Bei der sogenannten Roten Gentechnik geht es darum, Krankheiten zu heilen. Sicherlich ist keiner von Ihnen dagegen, Schlaganfallpatienten, Krebskranken oder Zuckerkranken zu helfen oder sie zu heilen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber reden wir heute gar nicht! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt werfen Sie alles in einen Topf! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genmais ist Rote Gentechnik? Was ist das für eine Sachkenntnis? Ich dachte, wir wollen mit Sachkenntnis diskutieren! Bei Genmais geht es nicht um Weiße Gentechnik!) Es besteht sicherlich Einigkeit in diesem Hause: Wir wollen bei der Roten Gentechnik weiterkommen. Bei der sogenannten Weißen Gentechnik müssen wir feststellen, dass davon schon sehr viel in unseren Lebensmitteln enthalten ist. Dass viele Verarbeitungsprozesse durch die Weiße Gentechnik unterstützt werden, ist, glaube ich, auch bekannt. An der Grünen Gentechnik scheiden sich jetzt die Geister. Warum? Weil es bei der Grünen Gentechnik jetzt um den Schritt raus aus dem Labor, raus aus der Forschung, hin aufs freie Feld geht. Da müssen wir – darüber sind wir uns in diesem Hause wahrscheinlich noch nicht ganz einig – besonders achtgeben. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Rede mit dem Wort „Sachkenntnis“!) Wobei ich gleichzeitig sagen muss: Zulassung bedeutet nicht gleich Anbau. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Wir haben, nicht nur in Süddeutschland, eine sehr klein strukturierte und damit vielfältige Agrarstruktur – mit bäuerlichen Familienbetrieben – und auch sehr vielfältige Vermarktungsstrukturen. Auf der Grünen Woche haben wir gerade wieder erlebt, wie vielfältig unsere Landwirtschaft in Deutschland sein kann. Diese zu erhalten und zu fördern, ist auch Aufgabe der Politik. Vieles haben wir in Deutschland den Naturwissenschaften zu verdanken. Wir sind ein Volk der Dichter und Denker. Wir sollten uns aber auch fragen: Müssen wir all das tun, was die Naturwissenschaften ermöglichen? Brauchen wir in dem einen oder anderen Bereich nicht auch ethische Leitplanken? Dazu, dieses zu diskutieren, lade ich Sie ein. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Sachkenntnis!) Ich selbst kann Ihnen als praktizierender Landwirt sagen, dass mir der Anbau gentechnisch veränderter Organismen auf meinem Feld nichts nutzt. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!) Denn wenn über 80 Prozent der deutschen Bevölkerung – ob es 80 oder 85 Prozent sind, ist zweitrangig –, also die große Mehrheit, sagen: „Wir wollen keinen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland“, kann ich als Landwirt doch nicht etwas produzieren, was der Verbraucher mir nicht abkaufen will. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie nicht, aber andere tun es dann!) Stellen Sie sich einmal vor: Die deutsche Automobilindustrie würde etwas produzieren, was niemand kaufen will. (Ute Vogt [SPD]: Das passiert zuweilen!) Ich als Landwirt stehe ja am Beginn der Wertschöpfungskette. Das möchte ich hier auch noch betonen. Vorrangig der Landwirt und Produzent sollte für diese Arbeit honoriert werden – und nicht irgendwelche Konzerne, die vielleicht in Nordamerika sitzen. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam nach Lösungen suchen, um mit der Gentechnik verantwortungsbewusst umzugehen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt „verantwortungsbewusst“?) Dazu zählt für mich eine wirklich umfangreiche Kennzeichnung aller GVO-Produkte. Hier sollten wir gemeinsam nach einer europäischen einheitlichen Kennzeichnung suchen. Schließlich soll letztendlich der Verbraucher entscheiden dürfen, was er einkauft. Aber auch der Verzicht auf die Nutzung von Gentechnik in Deutschland gehört für mich dazu. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön!) Die Initiativen für gentechnikfreie Anbauregionen sind deshalb zu begrüßen. Ich hoffe, wir erreichen die sogenannte Opt-out-Lösung und werden in Zukunft hier in Deutschland, wie bisher auch, gentechnikfrei bleiben können. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Hoffnung stirbt zuletzt, Herr Kollege! Sie müssen auch was dafür tun!) Ich lade Sie deshalb nochmals dazu ein, mit der nötigen Sachkompetenz gemeinsam nach Lösungen zu suchen – auch die Kolleginnen und Kollegen der Grünenfraktion. Es geht um das Wohl des deutschen Volkes und auch um das Wohl der deutschen Bäuerinnen und Bauern. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine von Sachkompetenz geprägte Rede!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege René Röspel hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) René Röspel (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viele Jahrzehnte haben Bäuerinnen und Bauern – Ökobauern wie konventionelle Landwirte – dann, wenn der Maiszünsler ihr Maisfeld befallen hat, auf ein Mittel zurückgreifen können, das sich Bt-Toxin nennt. Das ist das Proteingift aus einem Bodenbakterium, das in einer inaktiven Form ausgebracht werden kann. Wenn es von den Schadinsekten aufgenommen wird, wandelt es sich im Verdauungstrakt in eine aktive Form um und führt dazu, dass der Schädling stirbt. Das nicht verbrauchte Toxin wird über Sonnenlicht und anderes degradiert, also unschädlich gemacht. Das hat lange Jahre funktioniert. Irgendwann kamen kluge Wissenschaftler auf die Idee, sich zu fragen: Wie wäre es, wenn wir aus dem Bodenbakterium das Gen für dieses Gift herausnehmen und zum Beispiel in eine Maispflanze einbauen, mit dem Vorteil, dass diese Maispflanze dieses Gift dann ständig produziert? – Das ist in der Tat wissenschaftlich hoch spannend und funktioniert – jedenfalls mit unterschiedlichen Auswirkungen –, hat aber eben nicht nur Vorteile, sondern auch eine Reihe von Nachteilen: Die aktive Form dieses Giftes wird während der gesamten Vegetationsdauer permanent in der Pflanze produziert. Es wird nicht nur von Schadinsekten aufgenommen, sondern auch Nützlinge – sogenannte Nichtzielorganismen – nehmen dieses Gift auf. Dadurch, dass das Gift permanent produziert wird, ist natürlich die Gefahr sehr groß, dass Resistenzen entstehen, und die Wahrscheinlichkeit dafür wird sogar immer größer. Es gibt also eine Reihe von Fragezeichen, die sich mit dieser Technologie in Verbindung bringen lassen. Herr Auernhammer, Sie haben von Wissenschaftlichkeit gesprochen. Ich nehme diesen Ball auf. – Es gibt eine ganze Reihe von Studien – wir haben das in den letzten Jahren immer wieder diskutiert –, die die Unbedenklichkeit dieses Maises bzw. dieser Technologie darlegen. Meistens werden diese übrigens von Unternehmen, die dahinter stehen, finanziert und sehr gut ausgestattet. Sagen wir einmal so: Das ist mittlerweile ein recht hoher Stapel. Aber es gibt eben auch wissenschaftliche Arbeiten, die das in Zweifel ziehen, in denen Bedenken geäußert werden, ob das unproblematisch ist, oder in denen gefragt wird: Was passiert eigentlich, wenn nach einer solchen Vegetationsperiode das Gift immer noch im Boden vorhanden ist und nicht abgebaut wird? – Das ist vielleicht ein etwas kleinerer Stapel, weil dies die Ergebnisse meist öffentlich finanzierter Forschung sind. Wir haben in den letzten Jahren gemeinsam versucht, zu erreichen, dass diese kritische Forschung stärker berücksichtigt wird. Aber dann hat man eben zwei unterschiedliche wissenschaftliche Positionen. Mir ist es noch nicht gelungen – ich beobachte die Szene relativ gut –, eine eindeutige wissenschaftliche Positionierung herauszufinden. Dann sage ich an dieser Stelle – weil es eben eine politische Entscheidung geben muss –: Politik muss eine Entscheidung treffen, wenn wissenschaftlich nicht eindeutig ist, was passiert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Die SPD hat diese Entscheidung vor vielen Jahren getroffen, nämlich vor dem Hintergrund folgender Frage: Was passiert eigentlich, je nachdem, wie wir uns entscheiden? Wenn wir jetzt den Anbau zulassen und wir in 20 Jahren feststellen, dass tatsächlich Probleme auftreten, ist es nicht mehr umkehrbar. Dann sind diese Pflanzen „draußen“. Das wäre dann so wie bei der Atomenergie: Wir werden zeit unseres Lebens und darüber hinaus im Atomzeitalter leben. Vor diesem Hintergrund – da gebe ich Matthias Miersch völlig recht – sage ich: Angesichts der Tatsache, dass wir hier Entscheidungen treffen müssen, bei denen es nicht möglich ist, sie in der nächsten Legislaturperiode oder vielleicht zwei Generationen später wieder rückgängig zu machen, hat sich die SPD – und übrigens nicht nur sie, sondern auch die Grünen und die Linken – dafür entschieden, diesen gentechnisch veränderten Pflanzen in Deutschland noch keinen Raum zu geben. Diese Haltung hat eben auch Auswirkungen in der Abstimmung der SPD-geführten Ministerien innerhalb der Bundesregierung. Das Wirtschaftsministerium unter Sigmar Gabriel hat bei der Zulassung des Genmaises mit Nein gestimmt. Das Umweltministerium unter Barbara Hendricks hat bei der Zulassung des Genmaises mit Nein gestimmt. Und das Justizministerium, auch SPD-geführt, hat ebenfalls Nein gesagt. Die Position der SPD ist also ziemlich klar. Wir sind für diese Haltung auch in diesem Hause als „gentechnikfeindlich“ und „Technikgegner“ jahrelang beschimpft worden; wie auch immer. Interessanterweise hat auch das CSU-geführte Landwirtschaftsministerium mit Nein gestimmt, gegen die Zulassung. Ich hätte heute gerne eine Begründung dafür gehört, aber diese habe ich leider nicht vernommen. Aber immerhin: Es war ein Nein. Jetzt haben aber Kanzleramt und alle CDU-geführten Ministerien wie das für Gesundheit und das für Forschung mit Ja gestimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und von den Linken, wären Sie an unserer Stelle, wäre es genauso gekommen, (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!) mit einer Ausnahme: Da eure Fraktionen kleiner sind, hätte es nicht aus drei Ministerien ein Nein gegeben, sondern vielleicht nur aus zwei, weil ihr nicht so viele Ministerien gehabt hättet. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am Ende entscheidet die Kanzlerin!) Aber am Ende ist nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien auf europäischer Ebene eine Enthaltung herausgekommen. Das finden wir sehr bedauerlich und schlecht. Ich hätte mir auch ein deutliches Wort der Kanzlerin im Sinne der Richtlinienkompetenz gewünscht: Will sie nun gentechnisch veränderte Pflanzen zulassen oder nicht? (Beifall bei der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch deutlich!) Da mogelt man sich ein bisschen durch; das muss ich so sagen. Deswegen kann ich Ihnen versprechen, dass wir uns als SPD weiterhin auf diesem Kurs bewegen und versuchen, alles dafür zu tun, dass gentechnisch veränderte Pflanzen in Deutschland nicht angebaut werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Rita Stockhofe für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Rita Stockhofe (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Warum beschäftigen wir uns so intensiv und so gegensätzlich mit diesem Thema? Sicherlich tragen Umfragen wie die von Greenpeace ihren Teil dazu bei. Das Resultat: 88 Prozent der deutschen Bevölkerung sind gegen genmanipulierte Pflanzen in unserem Land; (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Da gibt es auch andere, nicht nur von Greenpeace!) das haben die Kollegin von der Linken und auch andere vorhin schon erwähnt. Wie kam es zu diesem Ergebnis? Bei den Antwortmöglichkeiten gab es „Ja“, „Nein“, „Weiß nicht“. Viele von Ihnen haben sicherlich häufiger E-Mails in Ihrem Postfach, in denen zur Teilnahme an solchen Umfragen aufgefordert wird. Ich weiß nicht, wie Sie sich da verhalten – ich antworte nur dann, wenn ich meine Antwort begründen kann, weil ich finde: Alles andere ist unseriös. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nichtsdestotrotz ist es so, dass viele Menschen diesem Thema gegenüber kritisch sind. Woran liegt das? Viele Menschen sind unsicher. Woher kommt diese Unsicherheit? Wenn bei der Berlinale der Film Tante Hilda! gezeigt wird, der eine manipulierte Pflanze zeigt, die eigentlich der Bekämpfung des Welthungers dienen soll, dann aber zu einer Umweltkatastrophe beiträgt, schürt das Ängste. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie doch gleich den Herrn Kosslick verhaften!) Ist es demgegenüber nicht besser, wenn wir sachlich fundierte Argumente bringen, um diese Unsicherheiten und Ängste zu nehmen? Wenn dann noch der Vergleich mit der Atomenergie kommt, macht das die ganze Geschichte natürlich nicht besser. Es gibt über 1 000 wissenschaftlich fundierte Studien, die belegen, dass weder für Mensch und Tier noch für die Umwelt Risiken bestehen, wenn genveränderte Pflanzen angebaut oder konsumiert werden. Selbst das Verdauungssystem der Bienen ist analysiert worden, und sogar darüber gab es keine negativen Erkenntnisse. Bereits seit 18 Jahren wird Gentechnik von Landwirten genutzt. Weder ein Mensch noch ein Tier oder die Natur sind in dieser Zeit dadurch zu Schaden gekommen. Auch Herr Ebner kennt sicherlich niemanden, der dadurch zu Schaden gekommen ist. Die wenigsten Menschen wissen, dass sie regelmäßig Produkte konsumieren, die gentechnisch veränderte Bestandteile enthalten, und das, obwohl wir eine Kennzeichnungspflicht haben. Lebensmittel von Tieren, die mit gentechnisch verändertem Futter gefüttert werden, müssen nicht gekennzeichnet werden, und zwar deswegen, weil keine gentechnischen Veränderungen festgestellt werden können. Forscher aus München haben zwei Jahre lang Kühe mit gentechnisch verändertem Mais gefüttert, in der Milch aber keine gentechnischen Veränderungen festgestellt. Somit findet auch hier keine Kennzeichnung statt. Über 80 Prozent des Sojas, das weltweit hergestellt wird, ist gentechnisch verändert. Da Soja ein wichtiger Proteinlieferant ist, ist es Bestandteil nahezu jeder Futterration von Schweinen. Auch in der Rinderhaltung wird es regelmäßig eingesetzt. Zur Geflügelhaltung, in der das nicht gemacht werden soll, ist vorgestern eine Pressemitteilung herausgegeben worden, dass gar nicht genug GVO-freies Soja zur Verfügung steht, um das Geflügel gentechnikfrei zu ernähren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir alle essen also bereits seit Jahren genveränderte Lebensmittel, egal ob aus konventioneller Erzeugung oder aus der Biobranche. Bioanbieter nutzen häufig die CMS-Technik. Dabei werden nützliche Gene zwischen Arten transferiert. Biochicorée enthält beispielsweise die Erbsubstanz der Sonnenblume und Brokkoli Gene des japanischen Rettichs. Das hat nichts mit einer Wertung zu tun; das ist einfach Realität. Enzyme, Hefen und Geschmacksstoffe werden ebenfalls gentechnisch hergestellt. Wenn wir nun die Forschung anderen Ländern überlassen, stehlen wir uns aus der Verantwortung und vertun Chancen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es kann doch nicht sein, dass die Angst, die aus Unsicherheit und mangelnder Aufklärung entsteht, über der Vernunft steht, die auf einem fundierten Forschungsergebnis beruht. Ein Artikel aus der Zeit Online trifft den Nagel auf den Kopf mit der Aussage – Zitat –: Es geht nicht um das Ende der Welt, es geht um eine mit 20 Jahren noch immer junge Technologie, die kritisch hinterfragt werden sollte, aber kein Grund zur Panik ist. In der Medizin sind genveränderte Produkte mittlerweile anerkannt. (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das ist die Rote Gentechnik!) Das war nicht immer so. Aber durch den großen Nutzen bei der Behandlung von Krankheiten ist die Akzeptanz in den Köpfen der Bevölkerung angekommen. Als bekanntes Beispiel möchte ich Insulin nennen. Aus diesem Grund haben wir die Möglichkeit, diese Medikamente nun in Deutschland selber herzustellen und auch weiterzuentwickeln. Diese Chance haben wir in der Grünen Gentechnik nicht. Mittlerweile gibt es gentechnisch veränderte Lebensmittel wie den Goldenen Reis, die Krankheiten vorbeugen können. Durch die Aufnahme von Vitamin A in diesen speziellen Reis können Sehstörungen und Blindheit, die in Asien häufig durch Vitamin-A-Mangel ausgelöst werden, vermieden werden. Hier sind wir jetzt bei einem neuen Thema, dem Welthunger. Es gibt keine einheitliche Meinung, die besagt, dass der Welthunger durch genveränderte Pflanzen bekämpft werden kann. Aber die Chance dazu sollten wir uns offenhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir in Deutschland haben Lebensmittel im Überfluss. Das ist nicht selbstverständlich, und das ist auch nicht überall so, im Gegenteil. Abschließend möchte ich festhalten: Ich bin davon überzeugt, dass wir es uns nicht leisten können, die Gentechnik zu ignorieren, auch im Hinblick auf die rapide wachsende Weltbevölkerung. Es muss selbstverständlich sein, dass wir verantwortungsvoll damit umgehen. Dazu könnte eine neue transparente Kennzeichnungspflicht beitragen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Stockhofe, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir gratulieren Ihnen dazu herzlich und wünschen Ihnen Erfolg in Ihrer Arbeit. (Beifall) Das Wort hat der Kollege Hermann Färber für die CDU/CSU-Fraktion. Hermann Färber (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle sind uns bewusst, dass ein Großteil der Bevölkerung die Gentechnik kritisch betrachtet, dieser neuen Technologie kritisch gegenübersteht. Für mich ist ganz klar: Jeder, der für sich die Gentechnik ablehnt, hat das gute Recht dazu. Er muss sich deshalb auch gegenüber niemandem rechtfertigen. Wir als Abgeordnete aber müssen Entscheidungen für andere treffen. Deshalb haben wir auch die Pflicht, zu erklären, wie wir zu unseren Entscheidungen kommen. Für mich können Entscheidungsgrundlagen in Fragen der Gentechnik nur wissenschaftliche Erkenntnisse sein. Wir können uns hier nicht auf Emotionen oder auf unser Bauchgefühl berufen. Wir brauchen eine objektive und verlässliche Grundlage. Diese bietet uns die Wissenschaft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben in Deutschland und auch in Europa renommierte Forschungsinstitute. Ich denke an die Helmholtz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft. Sie garantieren gerade im sensiblen Bereich der Gentechnik eine verantwortungsbewusste Forschung, und zwar – das ist sehr wichtig – unter rechtsstaatlicher Kontrolle. (Beifall bei der CDU/CSU) Es muss auch klar sein: Wer diese Forschung in Deutschland verhindert, treibt sie lediglich in andere Länder, und zwar in Länder, wo es weniger Kontrolle und Schutz gibt und wir keinerlei Einfluss darauf haben, in welche Richtung die Forschung geht und wie die dazugehörige Sicherheitsforschung aussieht. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei den Maissorten, die bisher zur Debatte standen, bietet die gentechnische Veränderung im Moment überhaupt keinen Vorteil bei einem Anbau in Deutschland. Bei unseren Fruchtfolgen, die wir Landwirte praktizieren, kommen wir mit den konventionellen Sorten hervorragend klar. Wie gesagt, ist der Anbau genveränderter Pflanzen schon allein wegen der Abstands- und Haftungsregelungen in Deutschland völlig unattraktiv. Ich sehe im Moment auch keine Gefahr bzw. keinen Anlass, dass dieser Anbau bei uns stattfinden wird. Ich kann es auch keinem empfehlen, schon allein deshalb nicht, weil es gar keinen Sinn machen würde. Mit anderen Worten – das sage ich Ihnen an dieser Stelle als praktizierender Landwirt –: Wir brauchen den Mais 1507 derzeit bei uns nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich kann verstehen, dass ein Konzern wie Monsanto bei vielen Menschen Unbehagen auslöst. Es ist aber sachlich nicht angemessen, die Diskussion über die Gentechnik allein auf die Problematik und die Patentlizenzen von Monsanto zu reduzieren. Ich bin der Ansicht: Die Debatte über die Gentechnologie muss von der Debatte über Patentinhabe und Vermarktungswege getrennt geführt werden. Wir brauchen in dieser Diskussion aber auch mehr Ehrlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Dazu gehört – das haben schon meine Vorredner gesagt –, dass wir anerkennen, wo bisher in Europa und in Deutschland Gentechnik schon eingesetzt wird. Das ist nicht nur in der Medizin und bei einem großen Teil von Geschmacksstoffen, Hefen und Enzymen der Fall, sondern auch bei Futtermitteln. Heute wurde schon gesagt: Weltweit werden 80 bzw. 81 Prozent des gesamten Sojaanbaus mit gentechnisch verändertem Saatgut durchgeführt. Seit knapp zwei Jahrzehnten – auch das muss uns bewusst sein – werden diese Sojabohnen in die Europäische Union importiert; sie werden bei uns an Tiere verfüttert, und in unseren Läden finden sich Milch und Fleisch dieser Tiere. Der bekannte Schaden aus der Produktion ist gleich null. (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch einen Satz zu diesem Thema anfügen. Es muss auch gesagt werden: Lebensmittel hier in Deutschland sind heute so gut und so sicher, wie sie es noch nie in unserer Geschichte waren. Auch das ist Ergebnis wissenschaftlicher Forschung. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte zum Schluss kommen. Ich wünsche mir einfach eine sachliche Debatte, eine Debatte, die im Einzelfall durchaus Chancen und Risiken betrachtet. Ich habe Respekt vor jedem hier, der eine andere Ansicht hat; ich erwarte aber auch den Respekt vor meiner Position. Ich schlage Ihnen vor: Lassen Sie uns offen über die bisherige Forschung und über die bisherigen Erfahrungen aus dem Anbau diskutieren, und zwar ohne Scheuklappen, ohne Vorurteile in die eine oder andere Richtung! Lassen Sie uns dann auf wissenschaftlicher Basis verantwortbare Entscheidungen für jeden Einzelfall treffen! Ich freue mich auf die Gespräche mit Ihnen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herzlichen Dank, Herr Kollege Färber. Das war Ihre erste Rede. Ich gratuliere Ihnen dazu im Namen des gesamten Hauses. (Beifall – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Eine wohltuend sachliche Rede!) Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens der malischen Regierung sowie der Beschlüsse 2013/34/GASP und 2013/87/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbindung mit den Resolutionen 2071 (2012), 2085 (2012) und 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksachen 18/437, 18/603 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/616 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 19./20. Dezember 2013 in Brüssel Drucksachen 18/196, 18/531 Zu dem Antrag der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie jetzt bitten, die Plätze wieder einzunehmen. Dann könnte ich die Aussprache eröffnen und den ersten Redner aufrufen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Niels Annen, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Niels Annen (SPD): Verehrte Frau Präsidentin, vielen Dank. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erinnern wir uns: Vor gut einem Jahr waren islamistische Rebellen aus dem Norden Malis auf dem Vormarsch in Richtung Hauptstadt Bamako. Wären sie damals nicht durch das entschlossene Eingreifen von Frankreich am Weitermarsch gehindert worden, dann könnten wir heute nicht über die Fortschritte beim Wiederaufbau auch der staatlichen Strukturen im Norden des Landes miteinander diskutieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]) Vermutlich wäre ein weiterer afrikanischer Staat zu einem Failed State geworden und in die Hände islamistischer Rebellen gefallen. Das ist glücklicherweise nicht eingetreten. Die Tatsache, dass sich der politische Prozess gut entwickelt hat, dass Fortschritte beim Wiederaufbau des Landes erzielt werden konnten, dass Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattgefunden haben und eine neue Regierung ihre Arbeit aufnehmen konnte, hat auch damit zu tun, dass die internationale Gemeinschaft Mali eben nicht im Stich gelassen hat. Außerdem hat es damit zu tun, dass wir mit EUTM Mali und mit der UN-Mission MINUSMA unsere Entschlossenheit zum Handeln demonstriert haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die außenpolitische Debatte der vergangenen Wochen hat zum Teil fast skurrile Züge angenommen. So wurde unterstellt, Deutschland beabsichtige jetzt, quasi routinemäßig überall und gerade in Afrika Soldaten einzusetzen. Ich will an dieser Stelle klar sagen: Das ist eine bewusste Verdrehung der Tatsachen. Eine Zahl macht das deutlich: Auf dem Höhepunkt unseres Engagements – wir hatten heute eine Debatte zu Afghanistan – hatte Deutschland 10 000 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz. Heute liegen wir bei unter 5 000, mit fallender Tendenz. Statt mehr Soldaten schicken wir weniger Soldaten ins Ausland. Dennoch beschließen wir heute mit der Verlängerung des EUTM-Mali-Mandates eine geringfügige Erhöhung der Mandatsobergrenze von 180 auf 250 Soldaten. Ihr Auftrag ist es, die malischen Streitkräfte so auszubilden, dass sie zukünftig in der Lage sind, im eigenen Land für Sicherheit zu sorgen. Seit Februar 2013 konnten bereits knapp 3 000 malische Soldaten ausgebildet werden. Ich finde, auch das ist ein Anlass, den deutschen Soldatinnen und Soldaten zu danken, die diese schwierige Aufgabe bewältigt haben und weiter bewältigen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was machen wir in Mali? Wir stärken malische Eigenverantwortung, indem wir die taktischen Fähigkeiten der malischen Soldaten verbessern. Darüber hinaus leisten deutsche Soldatinnen und Soldaten Sicherungsaufgaben sowie Sanitätsdienste. Wir begrüßen den Beschluss, Teile der Deutsch-Französischen Brigade in Mali einzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dies ist der erste gemeinsame Einsatz in Afrika. Er ist auch ein politisches Bekenntnis zur revitalisierten Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern. Unser Engagement ist keineswegs auf den militärischen Part begrenzt. Für die Lösung des komplizierten innermalischen Konfliktes ist der politische Prozess entscheidend; jeder von uns ist sich darüber im Klaren. Die Verhandlungen müssen fortgesetzt werden. Gerade die Einbeziehung der Tuareg ist eine komplexe Aufgabe. Ziel muss es sein, die Gruppen miteinander auszusöhnen, in die staatlichen Strukturen, die reformbedürftig sind – das haben die Ereignisse der letzten Monate gezeigt –, mit einzubeziehen. Nur dann kann langfristig eine Stabilisierung gelingen. Ich habe hier vor drei Wochen mit dem malischen Versöhnungsminister sprechen können. Ich kann Ihnen sagen: Die Erwartungen an uns sind hoch. Wir werden sie gar nicht alle erfüllen können. Umso wichtiger ist es, dass wir auch im Deutschen Bundestag zu prominenter Zeit darüber diskutieren. Wir müssen unsere Anstrengungen verstetigen und auch weiter intensivieren. Das gilt auch für die Entwicklungszusammenarbeit. Ich will die Gelegenheit nutzen, hier nicht nur den deutschen Soldatinnen und Soldaten zu danken, sondern auch den Diplomaten, den Entwicklungshelfern. Ich will aber auch die deutschen Stiftungen erwähnen, die vor Ort sind. Sie leisten ihre Arbeit in keiner ganz einfachen Situation. Für unsere Expertise hier im Deutschen Bundestag haben sie wichtige Beiträge geleistet. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich begrüße die Bestrebungen für eine zivile GSVP-Mission in Mali. Das unterstreicht auch den politischen Charakter dessen, was wir hier miteinander diskutieren: dass es um eine frühzeitige und um eine nachhaltige Stärkung funktionstüchtiger, demokratischer, legitimer Strukturen geht. Es ist also ein umfassender Ansatz, über den wir hier reden. Außenminister Steinmeier hat in seiner Rede in München zu Recht darauf hingewiesen, dass Deutschland bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen. Mali ist ein Beispiel dafür, wo wir Verantwortung in einem umfassenden Sinne übernehmen. Ich glaube, es kann uns allen miteinander nicht gleichgültig sein, wenn Staaten zerfallen und in die Hände extremistischer Kräfte gelangen. Lassen Sie uns, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, darüber reden, was unser Beitrag zur Stabilisierung dieser Region sein kann! Lassen Sie uns über die notwendigen politischen und entwicklungspolitischen, diplomatischen und, wie in diesem Falle, bescheidenen militärischen Mittel reden! Lassen Sie uns dieses Mandat verlängern und in die notwendige Diskussion darüber eintreten, wie wir die krisenhaften Teile des afrikanischen Kontinents unterstützen können! Ich bitte um Zustimmung und danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Christine Buchholz. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit großem Tamtam hat Angela Merkel gestern in Paris die Ausweitung des Militäreinsatzes in Mali verkündet und das auch noch als einen großen Beitrag zur deutsch-französischen Freundschaft verkauft. Richtig ist: Frankreich und Deutschland haben ein gemeinsames Ziel. Paris will Einfluss in Afrika halten; die Bundesregierung will ihren Einfluss vergrößern. Doch die Haushalte in beiden Ländern sind klamm. So macht man einen Deal: Paris hat die Militärbasen und die Beziehungen zu den nicht selten korrupten Machthabern in Afrika; Berlin wird eingeladen, Lasten zu übernehmen. Dafür darf die Bundeswehr im Huckepack in die Kriegsgebiete. (Henning Otte [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch nicht wirklich!) Militärpartnerschaft ist nicht das, was wir Linke unter der deutsch-französischen Freundschaft verstehen. (Beifall bei der LINKEN) Die militärische Ausbildungsmission der EU in Mali geht an der Lösung der Probleme im Land vorbei: Erstens. Die Ausbildungsmission ist von dem Kampfeinsatz der französischen und der afrikanischen Truppen nicht zu trennen. Die malischen Pioniere, Sanitäter und nun auch bald Infanteriekräfte, die die Bundeswehr ausbildet, werden für den Krieg im Norden eingesetzt. Zweitens. Man kann Terror nicht mit Krieg bekämpfen, (Beifall bei der LINKEN) im Gegenteil: Experten schätzen, dass von den circa 2 500 Aufständischen und Dschihadisten, die 2012 den Norden kontrolliert haben, circa 1 500 getötet oder verhaftet worden sind, aber an die 1 000 sich in den Bergen und in den Dörfern weiter versteckt halten. Sie sind also nicht weg. Sie beantworten die entscheidende Frage nicht: Was sind die wirtschaftlichen und sozialen Wurzeln des Widerstands und des Dschihadismus in Mali? Warum hat der malische Staat so wenig Unterstützung in weiten Gebieten des Nordens? Die Menschen, die in die Nachbarländer geflohen sind – 160 000 –, können nicht zurück. Medienberichten zufolge genehmigt die malische Regierung ihnen nicht die Rückkehr. Gestern mutmaßte der Vertreter des Auswärtigen Amtes im Verteidigungsausschuss, warum. Er sagte, die malische Regierung würde vor Angst, Aufständische könnten in das Land zurückkehren, die Rückkehr der Flüchtlinge verzögern. Das zeigt doch nur, dass Ihr Ansatz keine Lösung bietet. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Es hat bereits vor 2012 militärische Ausstattungshilfe und Ausbildung durch die Bundeswehr gegeben, übrigens auch von Frankreich und den USA. Das hat die Krise nicht verhindert. Vielmehr sind mit Unterstützung Frankreichs und der internationalen Gemeinschaft die sozialen und politischen Kräfte gestärkt worden, die vor 2012 das Sagen im Land hatten und damit mitverantwortlich für die Entwicklung der letzten Jahre sind. Viertens. Wir sind gegen diesen Einsatz, weil das militärische Handeln nicht von den wirtschaftlichen Interessen zu trennen ist. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Gott! Jetzt hören Sie doch mal auf! Das ist einfach unerträglich!) Mali – das müssen auch die Grünen zur Kenntnis nehmen – ist der drittgrößte Goldproduzent in Afrika. Das Land sitzt auf reichen Öl- und Gasvorkommen, und in der Region gibt es Uranabbau. Der Bergbauminister Boubou Cissé erklärte im September 2013, dass alle Verträge zwischen Mali und den internationalen Bergbaukonzernen sowie alle Lizenzen auf den Prüfstand kommen. Aber über wie viel Unabhängigkeit verfügt eine Regierung, die zur Herstellung ihrer Macht in der Hand jener Länder ist, aus denen die Bergbaukonzerne stammen? (Dagmar Ziegler [SPD]: Was ist denn nun Ihr Vorschlag?) Cissé erhielt sogleich Gegenwind: von Richard Zink, dem Vertreter der Europäischen Union, aber auch von dem Vertreter des Bergbauverbands in Mali, Abdoulaye Pona. Die Revision der Bergbauverträge müsse im Interesse der Investoren sein, sagte dieser. – Das ist definitiv eine Position, die wir als Linke nicht teilen. (Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Welche Haltung haben Sie eigentlich?) Lassen Sie mich eines sagen: Herr Arnold von der SPD hat mir in der letzten Debatte vorgeworfen, es sei eine Ungeheuerlichkeit, darauf hinzuweisen, dass die Bundeswehr nicht nur die malische Armee trainiere, sondern auch sich selbst. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Er hat recht! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist mir zu viel! Das ist ja unerträglich!) Bitte verkaufen Sie die Öffentlichkeit nicht für dumm! (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das machen Sie schon!) Natürlich muss die Bundeswehr, wenn sie in mehr afrikanische Einsätze geschickt werden soll, dort Erfahrungen sammeln, um fit zu werden. Das ist der Effekt, der ja genau in Ihre außenpolitische Strategie passt, eine Strategie, um im Rahmen von europäischen und anderen multilateralen Einsätzen deutsche Soldaten in die Welt zu schicken. Was mit Transport, Ausbildung und Sanitätern beginnt, kann mit Kampfeinsätzen enden. Wir halten diese Strategie für falsch. Deswegen werden wir auch heute gegen die Beteiligung an EUTM Mali stimmen. (Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist doch eine Unterstellung! Sie arbeiten nur mit Unterstellungen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Es spricht jetzt der Kollege Dr. Andreas Nick, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Mali, der heute erneut zur Beratung und zur endgültigen Beschlussfassung ansteht. Im Kern beschließen wir die Verlängerung des Mandats bis zum 28. Februar 2015 und die Anhebung der Personalobergrenze von 180 auf bis zu 250 Einsatzkräfte. Lassen Sie mich noch einmal betonen: Es handelt sich bei EUTM Mali ausdrücklich nicht um einen Kampfeinsatz, sondern um eine Trainingsmission. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das wissen alle!) Schwerpunkt des Einsatzes bleibt die Pionierausbildung für malische Soldatinnen und Soldaten. Bis Mai 2014 werden planmäßig vier Gefechtsverbände die Ausbildung durchlaufen haben. Einige dieser Verbände haben bereits erfolgreich zur Verbesserung der Sicherheitslage im Norden des Landes beigetragen. Damit verbunden sind ebenso die Erweiterung um Beratungsleistungen für das Verteidigungsministerium und die Führungsstäbe in Mali wie notwendige Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der Mission selbst. Im Mittelpunkt des Mandats steht also ganz eindeutig die Befähigung lokaler Sicherheitskräfte mit dem Ziel eines langfristig stabilen Staates. Teil des Mandats ist auch die sanitätsdienstliche Unterstützung der deutschen Einsatzkräfte und der beteiligten malischen Streitkräfte. Dabei ist auch das Lazarettregiment 21 „Westerwald“ aus Rennerod in meinem Wahlkreis als Leitverband für das fünfte Kontingent in Mali vorgesehen, welches im August 2014 startet. Vorgänger dieses Verbandes waren bereits am allerersten Auslandseinsatz der Bundeswehr überhaupt beteiligt, nämlich im Jahre 1960 an der humanitären Hilfe nach dem verheerenden Erdbeben von Agadir in Marokko, ebenfalls auf dem afrikanischen Kontinent. Ich nutze deshalb besonders gern die Gelegenheit, allen an der Mission EUTM Mali beteiligten Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr herzlich für ihr Engagement und die Mitwirkung an diesem wichtigen Einsatz zu danken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Mission EUTM Mali ist ein gutes Beispiel dafür, wie Deutschland seiner gewachsenen internationalen Verantwortung gerecht wird. Wir handeln hier erstens gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union. Soldaten aus 23 europäischen Ländern sind im Rahmen der Mission im Einsatz. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt ausdrücklich die gestrige Entscheidung, in Mali die Deutsch-Französische Brigade erstmals auch im Rahmen einer EU-Mission einzusetzen. Wir handeln zweitens auf Bitten der malischen Regierung, die im Übrigen über den Rahmen des derzeitigen Mandats hinaus auch die Ausbildung von weiteren vier Gefechtsverbänden anstrebt. Darüber wird zu gegebener Zeit zu entscheiden sein. Wir handeln drittens im Rahmen eines Mandats der Vereinten Nationen. Die EU-Mission erfolgt parallel zu der VN-geführten Mission MINUSMA, deren Einsatzkräfte überwiegend von Soldaten afrikanischer Staaten gestellt werden, insgesamt etwa 6 400 Soldaten. Die Verteidigungsministerin hat vergangene Woche auf das eindrucksvolle Beispiel des aus Ruanda stammenden Offiziers Jean Bosco Kazura verwiesen, der 1994 den Völkermord in seiner Heimat Ruanda – Ruanda ist übrigens das Partnerland meiner Heimat Rheinland-Pfalz – miterleben musste und der heute als Kommandeur der VN-Mission MINUSMA in Mali aktiv ist. Ich will unterstreichen: Wir unterstützen damit in Mali auch die weitere Entwicklung regionaler Sicherheitsstrukturen, innerhalb derer die afrikanischen Staaten selbst die vorrangige Verantwortung für Stabilität auf ihrem Kontinent übernehmen. Die Entwicklung in Afrika kann uns nicht gleichgültig sein. Das ist nicht nur eine Frage der humanitären Verantwortung, sondern auch Ausdruck unseres wohlverstandenen Eigeninteresses. Wir wollen in unserer europäischen Nachbarschaft Sicherheit, Stabilität und nachhaltige Entwicklung ermöglichen. Unser Engagement muss eingebettet sein in das Gesamtkonzept einer Afrika-Strategie. Dabei müssen wirtschaftliche Zusammenarbeit, Entwicklungshilfe, der Aufbau staatlicher Strukturen und, wo nötig, militärische Unterstützung Hand in Hand gehen. Ich freue mich, dass der frühere Bundespräsident Horst Köhler mit seiner großen Glaubwürdigkeit bei diesem Thema und mit seiner persönlichen Leidenschaft für Afrika unsere Fraktion bei der weiteren Entwicklung einer Afrika-Strategie unterstützen wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, Deutschland profitiert wie kaum ein anderes Land auf der Welt von der offenen, freien und sicheren Weltordnung. Es ist deshalb das überragende strategische Interesse unseres Landes, diese Ordnung zu bewahren und weiterzuentwickeln. Dazu leisten wir auch mit der Mission EUTM Mali einen Beitrag. Deshalb bitte ich Sie um die Unterstützung des vorliegenden Antrages. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Kollege Nick, das war Ihre erste Rede in diesem Hause. Auch Ihnen gratuliere ich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen. (Beifall) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Cem Özdemir. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen, dass die Bundesregierung eine öffentliche Debatte über die Verantwortung und das internationale Engagement Deutschlands angestoßen hat. Richtig ist auch, dass die Bundesregierung eine neue Afrika-Strategie entwickelt. Aber wenn Sie eine neue Afrika-Strategie entwickeln wollen, dann müssen Sie uns, dem Hohen Haus, auch die Ziele und vor allem die Interessen benennen. Das gehört zu einer ehrlichen Debatte dazu. Ich habe eine herzliche Bitte: Wir dürfen die Debatte – das gilt für die Befürworter, zu denen ich mich ausdrücklich zähle, ebenso wie die Mehrheit unserer Fraktion, als auch die Gegner – nicht auf die militärischen Mittel und die Militäreinsätze reduzieren. Aus dem umfassenden Werkzeugkasten der Außenpolitik darf eben nicht immer nur der Hammer der militärischen Intervention benutzt werden; manchmal brauchen wir auch den Schraubenzieher oder den Lötkolben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu verantwortungsvollem Engagement gehören Diplomatie, Demokratieförderung, zivile Konfliktprävention, humanitäre Hilfe und schließlich die Entwicklungszusammenarbeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Trainings- und Ausbildungsmission der EU in Mali ist ein positives Beispiel dafür. Sie hat bislang einen hilfreichen Beitrag zur Stabilisierung geleistet und damit auch mitgeholfen, den erneuten politischen Dialog und den Versöhnungsprozess in Mali zu ermöglichen. Der Aufbau des Sicherheitssektors in Mali ist noch längst nicht abgeschlossen; das wissen wir. Wir wissen auch, dass die Situation im Norden des Landes gerade für die Zivilbevölkerung nach wie vor angespannt ist. Wir, Bündnis 90/Die Grünen, werden mehrheitlich dem Mandat zustimmen, gerade weil dieses Mandat eine klare Aufgabenbegrenzung für die deutschen Soldatinnen und Soldaten vorsieht. Frau Buchholz, die Argumente der Linken hätten mehr Glaubwürdigkeit, wenn Sie sagen würden: Bei diesem Einsatz, den die UN, die Gemeinschaft afrikanischer Staaten, die Nachbarstaaten und die Menschen im Land befürworten, sind auch wir dafür; bei anderen sind wir dagegen. Dann wäre es spannend, Ihnen zuzuhören und Argumente auszutauschen. Aber bei einer Fraktion, die zu jedem Einsatz, egal was die Vereinten Nationen sagen, prinzipiell Nein sagt, (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Wir machen doch nicht dieselben Fehler wie die Grünen!) lohnt es sich auch nicht, die Argumente anzuhören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Denn dann ist das einfach Ideologie pur und hat mit den Menschen vor Ort nichts zu tun. Ich bin nicht bei der Linkspartei, sondern bei den Grünen, aber ich habe in den linken Lehren Internationalismus anders gelernt. Es geht um Internationalismus, nicht um Nationalismus, meine Damen und Herren von der Linkspartei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich sehe den Einsatz der Deutsch-Französischen Brigade auch im Rahmen dieser Mission als einen Schritt hin zu mehr Abstimmung in der Europäischen Union, und die brauchen wir. Frau Ministerin, allerdings hätten wir da noch eine Frage. Die Brigade ist ja bekannt als eine schnelle Eingreiftruppe. Da würden wir gerne wissen, was genau die konkrete Aufgabe dieser Brigade in Mali sein soll. Ich finde – das muss in einer solchen Debatte ehrlich gesagt werden –, dass zu jedem Einsatz, also auch zu diesem, eine Evaluierung durchgeführt werden muss. Wir wollen wissen, wie viele Soldatinnen und Soldaten in Mali konkret von der Bundeswehr ausgebildet worden sind, und natürlich auch, wie der weitere Bedarf hinsichtlich der militärischen Kapazitäten der malischen Armee ist. Es muss künftig zu jeder Debatte in diesem Haus gehören, dass wir anschließend gemeinsam auswerten und ehrlich sagen, was richtig gelaufen ist, was falsch gelaufen ist und wo möglicherweise Konsequenzen gezogen werden müssen. Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine weitere Bitte an Sie. Vergessen Sie bitte nicht: Der Demokratisierungsprozess in diesem Land ist noch längst nicht abgeschlossen. Es stehen noch Kommunalwahlen an. Die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes in Mali muss noch hergestellt werden. Der Versöhnungsprozess im Land muss endlich in Gang gebracht werden. Bei diesen Aufgaben muss die Bundesrepublik Deutschland mindestens dasselbe Engagement zeigen wie bei der Ausbildungsmission. Schließlich müssen wir uns um die Flüchtlinge kümmern. Es handelt sich um mehr als eine halbe Million Menschen, wenn wir die Binnenvertriebenen mitzählen. Dies birgt ein hohes Störpotenzial für die Region und kann die Region destabilisieren. Auch hier sind wir gefordert. Darum wünsche ich, dass wir auch zur humanitären Hilfe aktiv beitragen. Die Vereinten Nationen haben uns als Bedarf 6,73 Prozent der entsprechenden Hilfe mitgeteilt. Es wird Zeit, dass wir unseren Beitrag leisten und uns nicht hinter anderen verstecken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Wir brauchen eine strategische Koordination der Maßnahmen unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft in Mali. Das betrifft insbesondere die Frauen, weil vor allem sie über die Zukunft des Landes entscheiden werden. Wir brauchen ausdrücklich eine Einbeziehung der Nachbarländer – ich nenne nur Algerien und Mauretanien –; ohne sie gibt es keine Friedenslösung. Frau Ministerin, wir wollen auch, dass die Trainings- und Ausbildungsmission der EU in die Afrika-Strategie eingebunden wird. Was wir im Land brauchen, ist Ernährungssicherheit, Demokratisierung, Bestärkung der Rolle der Frauen und Korruptionsbekämpfung. Wir stimmen diesem Einsatz zu. Das ist unser Beitrag, unsere Verantwortung gegenüber Mali. Das machen wir auch aus der Opposition heraus; denn wenn etwas gemacht wird, was richtig ist, dann fällt uns kein Zacken aus der Krone, das auch zu sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabi Weber, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabi Weber (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Es ist schön: Ich bin schon die vierte Rednerin, die sich darüber freut, dass erstmals Teile der Deutsch-Französischen Brigade im Rahmen des deutschen Kontingents an einer EU-Mission beteiligt werden. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Die ist doch schon da! Die haben wir gerade besucht!) Wenn wir in der Welt mit einer starken europäischen Stimme wahrgenommen werden wollen, dann dadurch, dass dies nicht nur ein symbolischer Ansatz ist, sondern ein erster Schritt zu einer wirklich gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir verlängern heute das Mandat für die Bundeswehr in Mali – hoffentlich. Unsere Bundeswehrsoldaten und soldatinnen bilden dort malische Streitkräfte aus. Bisher liegt die personelle Grenze bei 180 Soldatinnen und Soldaten; mit dem neuen Mandat wird diese Zahl um 70 auf dann 250 Einsatzkräfte erhöht. Von einer Invasion Afrikas, wie es in den vergangenen Tagen einige Male anklang, kann also absolut keine Rede sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Gegenteil: Wir werden im Verbund mit den europäischen Partnern auch weiterhin auf Bitten der malischen Regierung im Land sein. Völkerrechtliche Grundlage dafür ist ein einstimmiger Beschluss des UN-Sicherheitsrates, letztmalig erneuert im vergangenen April. Darin verurteilt der Sicherheitsrat die von terroristischen, extremistischen und bewaffneten Gruppen geführte Offensive gegen den Süden Malis. Dort wird betont – ich zitiere –, „dass der Terrorismus nur durch einen nachhaltigen und umfassenden Ansatz besiegt werden kann, bei dem alle Staaten und die regionalen und internationalen Organisationen sich aktiv beteiligen und zusammenarbeiten, um die terroristische Bedrohung einzudämmen, zu schwächen und zu isolieren“. Frankreich hat letztes Jahr schnell reagiert und die Offensive rasch zurückgedrängt. Die Existenz und Einheit des malischen Staates standen auf dem Spiel. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Staat Mali zusammenbrach, war hoch. Diese Gefahr ist bis heute nicht ganz gebannt. Die Kolleginnen und Kollegen aus der Entwicklungszusammenarbeit, aber auch viele andere Fachleute wissen, wie schwer es ist, ein funktionierendes Staatswesen wieder aufzubauen, wenn es einmal zerstört wurde. Dafür ist Afghanistan zurzeit sicher ein schlimmes und tragisches Beispiel. Was tun wir nun in Mali? Und was bedeutet dies für uns? Ganz sicher keine Kampfeinsätze. Nein, seit letztem Jahr beteiligt sich Deutschland im Rahmen der EU und als Teil des internationalen Engagements – das betone ich noch einmal – an der Ausbildung der malischen Armee. Wenn wir eines aus Afghanistan gelernt haben, dann dass wir nicht früh genug mit der Ausbildung der einheimischen Sicherheitskräfte beginnen können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ziel der Ausbildung ist es, dass der malische Staat selbst für Sicherheit und Stabilität innerhalb seiner Grenzen sorgen kann. Das Motto lautet ganz unspektakulär: Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei können wir aber nicht stehen bleiben. Durch unsere Beteiligung an der militärischen Ausbildung kommt uns auch eine Verantwortung gegenüber dem Land und den Menschen zu. Dieser werden wir uns mit mittel- und langfristigen Maßnahmen im wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Bereich stellen. Ein Beispiel für die zivil-militärische Zusammenarbeit könnte ein Beitrag der Bundeswehr zur Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sein. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Um Gottes willen!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Malis neue Regierung nimmt bereits die Verantwortung in die eigenen Hände. Eine wichtige Aufgabe ist dabei, den Versöhnungsprozess im Land zu unterstützen. Bildung ist ebenfalls eine Riesenherausforderung. Bildung fördert Deutschland über seine Beiträge an die EU und bilateral bei der Lehrerausbildung für benachteiligte Kinder. Im Bereich der Wasserversorgung kooperieren wir verstärkt mit Mali, insbesondere auch im ländlichen Bereich. Wasser ist die Basis für Landwirtschaft und Leben. Bei über 500 000 Flüchtlingen brauche ich nicht weiter auszuführen, welche humanitäre Katastrophe potenziell droht, wenn wir hier unser Engagement zurückfahren würden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf die demnächst anstehenden Haushaltsdebatten möchte ich abschließend darauf hinweisen, dass wir langfristig unser entwicklungspolitisches Engagement erhöhen müssen. Mit militärischer Ausbildung allein ist es dort nicht getan. Auch deshalb ist es wichtig, die Mission jetzt zu verlängern und darüber hinaus die Anstrengungen im Entwicklungsbereich nicht zu vernachlässigen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Es spricht jetzt der Kollege Michael Vietz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Vietz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mali steht vor einer wahren Herkulesaufgabe: Sicherheit, Stabilität, Frieden. Leicht gesagt, schwer in der Umsetzung; gerade aufgrund der komplexen Situation vor Ort. Bei dieser Aufgabe stehen wir und unsere Partner an der Seite der Republik Mali. Mit einem vergrößerten Kontingent in der EU-Ausbildungsmission wollen wir auch weiterhin an der Seite der Bevölkerung und zu unserer Verantwortung stehen. Lassen Sie mich an dieser Stelle, anschließend an meine Kollegen, einen herzlichen Dank an alle ausrichten, die für uns in Mali unterwegs sind und ihre Aufgaben im Dienste unseres Landes treu erfüllen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Diese Mission basiert auf dem Ersuchen der malischen Regierung, auf Beschlüssen der Europäischen Union und Resolutionen des UN-Sicherheitsrates. Wir sind Teil einer verantwortungsbewussten Gemeinschaft. Deutschland ist ein verlässlicher Partner innerhalb der EU und der Vereinten Nationen. Aus dieser Partnerschaft ergibt sich eben auch eine sichtbare und aktive Rolle. Wie diese Rolle dann mit Leben und Charakter gefüllt wird, liegt in unserem Ermessen, wird jeweils im Einzelfall geprüft und letzten Endes richtigerweise hier von uns im Bundestag entschieden. In den letzten Wochen wurde leidenschaftlich und vielfältig über die drei Münchner Reden diskutiert. Sowohl im Ausland als auch von Teilen dieses Hauses wurden diese geradezu reflexhaft mit „mehr deutsche Soldaten an die Front“ gleichgesetzt. Pawlow wäre begeistert gewesen. Diese Reflexe sagen aber im Regelfall deutlich mehr über die jeweiligen Interpreten aus als über die Realität und die tatsächliche Außenpolitik Deutschlands. Da mag der Wunsch Vater des Gedankens gewesen sein. Lassen Sie uns daran erinnern: 2012 – das ist gar nicht so lange her – stand Mali kurz davor, zu zerreißen und zur Beute islamistischer Terroristen gemacht zu werden. Nachdem Frankreich dies durch sein Eingreifen verhindert und erst einmal grundlegend für Stabilität gesorgt hat, gilt es nun Mali zu ertüchtigen, damit es wieder selbst für Sicherheit, Stabilität und Frieden in seinen Grenzen sorgen kann, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) getreu dem Grundsatz: Hilfe zur Selbsthilfe. Je sicherer und stabiler die Region ist, desto effektiver gestaltet sich der Wiederaufbau staatlicher und ziviler Strukturen. Nach einem guten Jahr ist in Mali noch lange nicht alles gut, aber es ist deutlich besser als zu Beginn, mit guten Prognosen für die zukünftige Entwicklung. Die Alternative wären eskalierende Konflikte und ein blutiger Bürgerkrieg gewesen. Sicherheit, Stabilität und Frieden sind Grundvoraussetzungen für eine anhaltende stabile Entwicklung der Region, damit humanitäre Nothilfe wirken kann, Entwicklungszusammenarbeit Früchte trägt und der Aufbau einer funktionierenden Zivilgesellschaft gelingt, damit das volle Instrumentarium unserer Außenpolitik – von Entwicklungshilfe über wirtschaftliche Zusammenarbeit und alle diplomatischen Wege, die wir haben – wirkungsvoll zur Geltung gebracht werden kann. Idealerweise wird dieser Dreiklang aus Sicherheit, Stabilität und Frieden von Mali selbst gewährleistet. Es sollte im Grunde für jeden einsichtig und verständlich sein, dass die Menschen Perspektiven vor Ort brauchen, um sich eine Zukunft aufzubauen, um aus eigener Kraft aus der Armutsspirale auszubrechen, um einen wie auch immer gearteten bescheidenen Wohlstand zu erlangen, um nicht letzten Endes als Flüchtlinge auf dem Mittelmeer ihr Leben zu riskieren, aber auch, damit die Region nicht zum Rückzugsort für internationalen Terrorismus wird. Das liegt sowohl in unserem ureigensten Interesse wie auch in dem unserer Partner und der malischen Bevölkerung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das bisher Erreichte darf nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Alle Beteiligten in der Region leisten Außergewöhnliches und sind doch immer wieder mit Rückschlägen konfrontiert. Mali ist immer noch unsicheres Terrain. Jüngstes Beispiel ist die Entführung von fünf Mitarbeitern des Roten Kreuzes, die seit Anfang Februar vermisst werden. Mittlerweile hat sich eine islamistische Gruppe zu der Entführung bekannt; die Suche nach den Entführten ist bislang erfolglos. Solche Meldungen schockieren, gerade wenn wir sehen, in welchem Ausmaß Mali auf Unterstützung angewiesen ist. Es sollte unstrittig sein, dass für den Einsatz von humanitärer Hilfe und den Quasineustart des Staates etwas getan werden muss, damit Institutionen, NGOs und deren Mitarbeiter ihren Job machen können. Auch deren Arbeit gedeiht am besten, wenn Sicherheit, Stabilität und Frieden langfristig durch Mali selbst gewährleistet werden. Dazu gehört, weitere Gräueltaten an der Zivilbevölkerung zu verhindern und die systematische Zerstörung von Kulturgütern, wie etwa in Timbuktu, zu stoppen. Konfliktpotenzial birgt dabei nicht allein der Nord-Süd-Konflikt, sondern auch die grundlegende Zerrüttung der Zivilgesellschaft. Jahre der Korruption und der Machtkämpfe um Einnahmen aus Drogenschmuggel, Waffen- und Menschenhandel haben ihren Teil zu dem Konflikt beigetragen. Hier muss die strukturelle Aufbauhilfe ansetzen. Es liegt meines Erachtens auf der Hand, dass Pläne für eine positive wirtschaftliche Entwicklung und eine Genesung Malis erst dann greifen können, wenn die Gewalt beigelegt ist, wenn die malischen Streitkräfte dies aus eigener Kraft gewährleisten können. (Zuruf von der LINKEN: Ja, genau!) Hierauf liegt nach wie vor der Fokus der internationalen Gemeinschaft. Derzeit brauchen die malischen Streitkräfte einfach noch Unterstützung, um in ihrem eigenen Land langfristig selbst für Sicherheit, Stabilität und Frieden sorgen sowie dem Terrorismus Einhalt gebieten zu können. Es fehlt derzeit noch stark an Training, Logistik, Ausrüstung und Erfahrung. Diese Lücke schließt die Ausbildungsmission, an der wir uns beteiligen. Darum ist die Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung ein richtiger und wichtiger Schritt im Sinne einer verantwortungsvollen Außenpolitik. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Herr Kollege Vietz, das war heute Ihre erste Rede im Bundestag. Ich gratuliere Ihnen im Namen aller. Als vorletzter Redner vor einer namentlichen Abstimmung zu reden, ist eine besondere Herausforderung. Herzlichen Glückwunsch! (Beifall) Letzter Redner in der Debatte ist jetzt der Kollege Florian Hahn, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vieles ist schon gesagt worden. Vermutlich werde ich manches wiederholen, aber das lässt sich als letzter Redner zu einem Thema, über das so große Einigkeit herrscht, nicht ganz vermeiden. Im Zweifel gelingt es vielleicht doch noch, den ein oder anderen von der Fraktion Die Linke zu überzeugen, dem Einsatz zuzustimmen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein, die sollen gar nicht mitstimmen!) Wir geben die Hoffnung nie auf. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Januar 2013 hat sich Frankreich entschlossen, die malischen Truppen im Kampf gegen islamistische Einheiten im Norden zu unterstützen. So konnte in letzter Minute ein Vordringen der Rebellengruppen, die für Flucht und Vertreibung von Hunderttausenden verantwortlich sind, in die Hauptstadt Bamako verhindert werden. Deutschland unterstützt Frankreich im Rahmen der EU-Mission durch Ausbildung und Beratung der malischen Armee sowie im Rahmen der UN-Friedensmission MINUSMA durch Transportflugzeuge. Das Mali-Mandat kann als ausgesprochen erfolgreich bewertet werden. Ausbildung und Beratung tragen Früchte. Die Lage in Mali insgesamt hat sich vergleichsweise beruhigt. Unser Engagement im militärischen Bereich beinhaltet die Ausbildung von Sicherheitskräften. Sie sollen in die Lage versetzt werden, selbst dauerhaft für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Das ist ein wichtiger Teil unseres vernetzten Ansatzes, der auch den Aufbau von staatlichen und demokratischen Strukturen sowie wirtschaftliche Entwicklung beinhaltet. Im Zuge der Verlängerung des Mandats wollen wir die Mandatsobergrenze um 70 auf 250 Soldatinnen und Soldaten erhöhen. Dies ist meiner Ansicht nach richtig und verhältnismäßig, wobei wir im Blick behalten müssen, dass die Zahl Französisch sprechender Soldaten in der Bundeswehr begrenzt ist. Deshalb ist es gut, dass gestern in Paris der Einsatz der Deutsch-Französischen Brigade vereinbart wurde. Kolleginnen und Kollegen, wir müssen unseren Einsatz in Mali verlängern, um militärische Strukturen aufzubauen, die nachhaltig und selbstständig funktionieren. Auch wenn wir das Mandat immer nur um ein Jahr verlängern, sollten wir dafür sorgen, die Infrastruktur für unsere Soldaten deutlich zu verbessern und auf ein längeres Engagement auszurichten. Der Einsatz in Mali zeigt, dass wir bereits erfolgreich Verantwortung in Afrika übernehmen. Aber die Verantwortung besteht nicht allein in der Bereitstellung von Militär oder Kampftruppen. Es gibt weitere Krisenregionen in Afrika, die uns bereits beschäftigen oder noch beschäftigen werden. Ich bin der Meinung, dass wir insgesamt unser Augenmerk verstärkt auf den Kontinent Afrika richten müssen. Die CDU/CSU-Fraktion wird zu diesem Thema einen eigenen Kongress durchführen; denn Afrika muss differenziert betrachtet werden, als Kontinent, der sehr pluralistisch und heterogen ist. Wann immer es um einen erneuten Einsatz oder mehr Engagement geht, sollten wir intensiver als bisher folgende Fragen beantworten: Welche Interessen leiten uns in Deutschland oder Europa? Was wollen wir in welchem Zeitraum erreichen? Können wir das überhaupt erreichen? Wie wollen wir das erreichen? Welche Instrumente wollen wir einsetzen? Haben wir dafür überhaupt ausreichende Ressourcen? Das gilt gerade für den Bereich Personal. Wir wissen beispielsweise, dass die Einsatzbelastung in Teilbereichen der Bundeswehr schon jetzt sehr hoch und manchmal auch grenzwertig ist. Wir, das Parlament, wollen zusammen mit der Regierung Antworten auf diese Fragen erarbeiten, bevor wir neue Einsätze bestreiten. Auf diesen Prozess freue ich mich. Er setzt viel Bereitschaft zu Transparenz und Kommunikation bei allen Seiten voraus. Abschließend möchte ich allen deutschen Sicherheits- und Hilfskräften speziell in Mali für ihren Einsatz danken und alles Gute, Erfolg und Gottes Segen wünschen. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Mandat. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 18/603 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Mali. Zu dieser Abstimmung liegen drei Erklärungen gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung schriftlich vor.4 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 18/437 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, ihren Platz einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist noch nicht der Fall. – Jetzt sind alle Plätze besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.5 Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/610. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag gegen die Stimmen der Grünen mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 19. und 20. Dezember 2013 in Brüssel. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/531, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/196 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unabhängige Patientenberatung stärken und ausbauen Drucksache 18/574 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Die Aussprache eröffnet die Kollegin Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin und – gerade bei diesem Thema – ehemalige Gesundheitsministerin! Wir bringen an dieser Stelle als Grüne den Antrag „Unabhängige Patientenberatung stärken und ausbauen“ ein. Warum tun wir das? Seit dem Jahr 2000 gibt es in Deutschland eine unabhängige Patientenberatung, gefördert mit Mitteln der GKV, auf den Weg gebracht durch die damalige rot-grüne Regierung, und zwar als Modellprojekt mit einer zehnjährigen Modellphase, die dann mit den Stimmen aller Fraktionen in diesem Parlament 2011 als Regelaufgabe im Sozialgesetzbuch verankert worden ist. Diese Entscheidung haben tatsächlich alle Fraktionen hier im Bundestag begrüßt, wenngleich man sagen muss: Die FDP musste vonseiten der Union durchaus zum Jagen getragen werden. Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum das Potenzial der unabhängigen Patientenberatung nicht so entfaltet werden konnte, wie es nach dieser Modellphase vielleicht möglich und nötig gewesen wäre. Gleichwohl kann man sagen: Nach einer Ausschreibungsphase und dem Zuschlag hat dann die neue UPD 2011 ihren Betrieb aufgenommen. Wir müssen sagen: Wir blicken heute auf eine echte Erfolgsgeschichte zurück. Es hat sich gezeigt, dass viele Patientinnen und Patienten sowohl telefonisch als auch persönlich diese Beratungsstellen, bundesweit das gesamte Netz, in Anspruch nehmen. Sie suchen neutrale und gut informierte Beratung bei medizinischen Fragen, bei psychosozialen Fragen und bei rechtlichen Fragen. Es geht also im Kern um die Wahrnehmung sozialer Bürgerrechte, die Patientinnen und Patienten zustehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr häufig geht es an dieser Stelle um die Leistungsentscheidungen der Krankenkassen, aber es geht natürlich auch um das gesamte Versorgungsgeschehen im medizinischen Bereich. Gleichzeitig ist verankert worden, dass die Beratungsstellen der UPD eine Art Seismograf sind, um Veränderungsbedarf im Gesundheitswesen gerade bezogen auf die Patienten anzuzeigen und uns als Politik hilfreiche Tipps zu geben: Wo müssen wir gegensteuern? Wo müssen wir darauf achten, dass die Versorgung besser und patientengerechter wird? Wo müssen wir als Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür schaffen? Meine Damen und Herren, wir müssen an dieser Stelle doch alle das Interesse haben, das, was wir über viele Jahre aufgebaut und zum Erfolg geführt haben, durch passende und zielführende gesetzliche Rahmenbedingungen zu erhalten und auszubauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das genau wollen wir mit unserem Antrag erreichen. Warum bringen wir den Antrag jetzt ein? Derzeit läuft die Vorbereitungsphase der Ausschreibung für den neuen Vertragszeitraum. Wir wissen durch die Begleitforschung und durch die Rechenschaftsberichte, welche Dinge wir verändern müssen, und sollten jetzt zumindest die Chance ergreifen, das anzugehen. Dabei geht es um den Ausbau der Beratungsstellen, es geht um die Verlängerung der Vertragslaufzeiten, und es geht um die Stärkung der Unabhängigkeit. Zum ersten Punkt. Wir haben derzeit 21 Beratungsstellen im gesamten Bundesgebiet. Das heißt übersetzt: In Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland, haben wir drei Beratungsstellen. Daran sieht man: Die Ausstattung ist nicht besonders fürstlich. Wir meinen, wir müssen von heute 21 Beratungsstellen auf eine Zielmarke von 31 kommen. Das entspricht in etwa einer Relation von 2,5 Millionen Versicherten zu einer Beratungsstelle. Weiterhin können wir sagen: Durch die enorme Inanspruchnahme haben wir leider den Zustand, dass viele dieser Beratungsstellen telefonisch kaum noch erreichbar sind. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass nur noch 42 Prozent der Anrufenden direkt durchkommen können. Das ist ein zentrales Indiz dafür, dass wir jetzt tätig werden müssen, die Anzahl der Beratungsstellen auszubauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens geht es darum, sich noch einmal die Vertragslaufzeiten anzuschauen. Vergegenwärtigen Sie sich einmal: 2011 ist der Zuschlag erteilt worden; heute, 2014, denken wir schon wieder über die neue Ausschreibung nach. Das zeigt ganz deutlich: Wir müssen die Vertragszeiträume verlängern. Wir schlagen vor, sie von derzeit fünf auf zehn Jahre zu verlängern. Für das Funktionieren der Beratungsstellen sind ein enormer Entwicklungsaufwand und eine enorme Qualifizierung notwendig. Das sollten wir nicht durch zu enge Vertragslaufzeiten gefährden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens müssen wir die Unabhängigkeit stärken. Es ist ja nicht ohne Grund so, dass wir keine Gewinnorientierung haben, dass es um kostenfreie und unabhängige Beratung geht. Wir müssen sicherstellen, dass die Trägerschaft diese Unabhängigkeit tatsächlich unterstützt. Derzeit ist der GKV-Spitzenverband zuständig. Wir meinen, das ist nicht die richtige Adresse, um zum Beispiel das jetzt laufende Ausschreibungsverfahren zu begleiten. Immerhin werden in 50 Prozent der Beratungsfälle Leistungsprobleme, beispielsweise der Krankenkassen, angesprochen. Daran können wir ganz klar sehen: Hier gibt es ein Spannungs- bzw. Konfliktfeld. Das sollten wir ausräumen, indem wir die Trägerschaft neu ordnen und sie einer wirklich unabhängigen Stelle, beispielsweise dem Bundesversicherungsamt, übertragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) All diese Punkte sind geeignet, den Charakter der unabhängigen Beratungsstellen weiter zu profilieren, das Angebot auszuweiten, in die verschiedenen Bevölkerungsgruppen weiter hineinzureichen und gleichzeitig sicherzustellen, dass unser Gesundheitswesen den Patienten dient und den Wünschen der Patienten durch unabhängige Beratung und Hilfe gerecht wird. Im Koalitionsvertrag haben Sie dazu, wie wir meinen, durchaus den einen oder anderen richtigen Schritt formuliert. Bitte schauen Sie sich unseren Vorschlag im weiteren Beratungsverfahren ergebnisoffen an. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor ich dem Kollegen Reiner Meier, CDU/CSU-Fraktion, das Wort erteile, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung – Drucksachen 18/437 und 18/603 – bekannt geben: abgegebene Stimmen 591. Mit Ja haben gestimmt 526, mit Nein haben gestimmt 61, Enthaltungen 4. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 590; davon ja: 525 nein: 61 enthalten: 4 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Annette Schavan Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Dr. Karl-Heinz Brunner Marco Bülow Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Uli Grötsch Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoguz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder (Schwandorf) Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Markus Tressel Jürgen Trittin Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Dr. Matthias Zimmer SPD Klaus Barthel Dr. Ute Finckh-Krämer Cansel Kiziltepe Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Andre Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Peter Meiwald Corinna Rüffer Hans-Christian Ströbele Enthalten SPD Petra Hinz (Essen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Monika Lazar Dr. Harald Terpe Dr. Julia Verlinden Jetzt hat der Kollege Reiner Meier das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Reiner Meier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das System der Gesundheitsversorgung in Deutschland gehört zu den besten und leistungsfähigsten Systemen weltweit. Gleichzeitig hatten die Patienten in unserem Land noch nie so viele verbriefte Rechte wie heute. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr ist das Patientenrechtegesetz in Kraft getreten und hat die Grundlage dafür geschaffen, dass der Patient gleichberechtigter Partner im Gesundheitssystem geworden ist. Dabei ist gelungen, was im Gesundheitswesen selten genug passiert, nämlich dass eine für alle Akteure tragbare Lösung herausgekommen ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Stichworte hierzu heißen „Transparenz“ und „Rechtssicherheit“. Zum ersten Mal in seiner über 100-jährigen Geschichte gibt es im Bürgerlichen Gesetzbuch eine klare gesetzliche Regelung des medizinischen Behandlungsrechts. Die Zeiten des kunstvollen, aber ungeschriebenen Richterrechts sind jetzt vorbei. Wer zum Arzt geht, hat ein Recht darauf, alles zu erfahren, was für die Behandlung relevant ist. Das beginnt bei der Diagnose und geht über die Folgen und Risiken der Behandlung bis hin zu alternativen Heilungsmöglichkeiten. Die Kosten sind transparenter geworden; denn der Arzt muss bei individuellen Gesundheitsleistungen den Patienten vorher aufklären und informieren, wie viel er zuzahlen muss. Es gibt jetzt klare gesetzliche Maßstäbe für die ärztliche Dokumentation; gleichzeitig hat der Patient grundsätzlich das Recht, seine Patientenakte jederzeit einzusehen. Bei Behandlungsfehlern ist das oberste Ziel die Gesundheit des Patienten. Meine Damen und Herren, auch im medizinischen Bereich passieren – leider – Fehler, ganz einfach weil hier Menschen am Werke sind. Heute kann jedoch ein Arzt Behandlungsfehler gegenüber dem Patienten zugeben und korrigieren, ohne gleich befürchten zu müssen, strafrechtlich belangt zu werden. Diese neue Fehlerkultur gilt auch im stationären Bereich. Neben einem verpflichtenden Beschwerdemanagement gibt es eine Förderung für Fehlermeldesysteme in Kliniken. Auch da gilt: Fehler werden wir nie verhindern können; aber wir können aus Fehlern lernen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wie Sie sehen, hat es etliche Verbesserungen für die Patienten gegeben, und das ist gut und richtig. Wir wissen aber auch, dass viele Menschen Fragen zu den Vorgängen im Gesundheitswesen haben. Sie wollen zum Beispiel mehr zur Behandlung, zu Kassenleistungen, zu ihren Rechten als Patienten wissen. Dabei brauchen sie Unterstützung und Beratung. Genau deshalb haben wir die Unabhängige Patientenberatung von Anfang an unterstützt und konsequent weiterentwickelt. Es war nämlich zu Zeiten der christlich-liberalen Bundesregierung im Jahr 2011, als aus dem Modellversuch „Patientenberatung“ eine Regelleistung gemacht wurde. Das sollten wir auch nicht vergessen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der CDU/CSU) Die UPD leistet seitdem einen wichtigen Beitrag dazu, das Leitbild des mündigen und selbstbestimmten Patienten Schritt für Schritt zu verwirklichen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese Gelegenheit nutzen, um eine Lanze für die vielen engagierten Mitarbeiter der Unabhängigen Patientenberatung zu brechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist ihre Arbeit, die von den Patienten zu Recht so gut angenommen wird. Dafür gebührt ihnen unser aller Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren von den Grünen, in Ihrem vorliegenden Antrag fordern Sie den kontinuierlichen Ausbau der UPD. Ich gestehe, da sind wir gar nicht weit auseinander. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Prima!) Wir sollten aber auch nicht vergessen, dass es die UPD in der heutigen Form gerade einmal drei Jahre gibt. Lassen Sie uns doch erst einmal abwarten, wo sich der Beratungsbedarf einpendelt, bevor wir am Geldhahn der Versicherten drehen. Wir sind uns darin einig, dass wir gezielt auf jene Menschen zugehen müssen, die besondere Unterstützung brauchen. Die UPD hat darauf hingewiesen, dass vor allem ältere Menschen, Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen und Bürger mit Migrationshintergrund besonderen Beratungsbedarf haben. Dem gerecht zu werden werden wir uns selbstverständlich bemühen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich freue mich an dieser Stelle übrigens ganz besonders darüber, dass Sie das Motto der CSU „Näher am Menschen“ so gut verinnerlicht haben. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kennen wir schon länger!) Ihre Forderung, die Zahl der Beratungsstellen von 22 auf 31 Büros auszubauen, halte ich dennoch für verfrüht. Natürlich liest sich das auf dem Papier zunächst gut, aber auch wenn Sie den Antrag dreimal einbringen, wird er dadurch nicht stichhaltiger. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einmal stichhaltig etwas dagegen!) Bei den allermeisten Patienten ist völlig unklar, ob am Ende eine spürbare Verbesserung erreicht wird. Nach den aktuellen Zahlen der UPD wählen etwa 80 Prozent der Ratsuchenden das Telefon als Beratungsmedium. Sie selbst schreiben, dass von allen Anrufern bei der UPD – Sie sagten das vorhin auch – nur noch durchschnittlich 42 Prozent tatsächlich eine Beratung bekommen. Der Rest – immerhin 58 Prozent der Anrufer – bleibt in der Wartschleife hängen. Das ist ein Anstieg um 24 Prozentpunkte seit 2010. Da müssen wir, glaube ich, ansetzen. Das Geld sollte dorthin, wo es am meisten hilft, nämlich zur Telefonberatung. Lassen Sie uns an dieser Stelle nicht vergessen, dass auch andere Stellen viel Gutes in der Patientenberatung leisten. Ich denke dabei in erster Linie an die Ärzte, aber auch an die freien Beratungsstellen, die zum Teil ehrenamtlich arbeiten. Auch das muss in dieser Diskussion einmal gesagt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie schlagen in Ihrem Antrag vor, die bewährte Finanzierungsstruktur der UPD umzubauen. Das überzeugt mich, ehrlich gesagt, nicht. Ihnen schwebt doch nichts anderes vor als eine gesetzlich verordnete Zwangsfinanzierung durch die Krankenkassen. Wie Sie das schaffen wollen, dazu steht in Ihrem Antrag allerdings keine Silbe. Private Krankenversicherungen können Sie nämlich nicht einfach zur Gewährung einer entsprechenden Regelleistung zwingen. Sie begründen das alles mit Konfliktpotenzial, mit möglicher Beeinflussung, mit angeblich fehlender Neutralität. Ich sage Ihnen: Die Behauptung allein ist zu wenig. Schon heute ist es den Kassen gesetzlich verboten, die Beratung der UPD inhaltlich oder dem Umfang nach zu beeinflussen. Mir liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Krankenkassen in die Beratungstätigkeit der UPD inhaltlich einmischen würden. Ebenso wenig gibt es übrigens belastbare Hinweise darauf, dass sie ihren Finanzierungsaufgaben nicht nachkämen. Bevor ich bereit bin, die organisatorische Konstruktion der UPD anzutasten, erwarte ich von Ihnen mehr als bloße Behauptungen und Mutmaßungen, ganz besonders dann, wenn ein Verstoß gegen ein Gesetz im Raum steht. Wir haben vor drei Jahren das Modell zur Regel gemacht und stehen selbstverständlich weiterhin unabdingbar hinter der Unabhängigen Patientenberatung. Ein weiterer Garant für die Unabhängigkeit der UPD ist der Patienten- und Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann. Die Patientenberatung ist aber auch ein lernendes System. Dazu gehört, das System auch lernen zu lassen und nicht voreilig und unüberlegt daran herumzubasteln. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben – damit möchte ich auch schließen – in den letzten Jahren viel für die Patienten erreicht. Wo es sinnvoll ist, sind wir auch immer für Gespräche offen. Ein gesunder Mensch hat viele Wünsche, ein kranker nur einen Wunsch. Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass wir viele Wünsche haben. Aber deswegen ist der Deutsche Bundestag noch lange kein Wunschkonzert. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das war Ihre erste Rede. Herzlichen Glückwunsch im Namen aller Kolleginnen und Kollegen dazu! (Beifall) Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Lieber Herr Kollege Meier, auch ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede hier im Haus. Wozu ich Ihnen nicht gratulieren kann, ist diese ultimative Lobhudelei, (Tino Sorge [CDU/CSU]: Nun machen Sie mal einen Punkt! – Rudolf Henke [CDU/CSU]: Ein bisschen auf die Atmosphäre eingehen! Ein bisschen situationsabhängig sprechen!) die Sie gerade auf das sogenannte Patientenrechtegesetz der letzten Koalition vorgetragen haben, aber dazu später. Die Unabhängige Patientenberatung, wofür brauchen wir die eigentlich? Zu mir kam neulich ein Bürger ins Wahlkreisbüro zur Sprechstunde, der sich von verschiedenen Ärzten, von seiner Krankenversicherung, vom Medizinischen Dienst schlecht beraten und schlecht behandelt gefühlt hat. Er hatte durchaus erstzunehmende Hinweise darauf, dass er einen Arbeitsunfall erlitten hatte, der nicht richtig diagnostiziert und nicht richtig behandelt worden ist. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So etwas gibt es!) In der Folgezeit haben sich seine Beschwerden verschlimmert. Er hat inzwischen dauerhaft Schmerzen. Inzwischen ist er Erwerbsunfähigkeitsrentner mit einer so kleinen Rente, dass er davon noch nicht einmal seine Krankenkassenbeiträge bezahlen kann. Also eine komplexe Problemlage, bei der auch ich als Bundestagsabgeordnete nicht alle offenen Fragen beantworten konnte. Da war ich natürlich froh, dass es nicht nur für diesen Bürger, sondern auch für viele Tausend andere das Angebot der Unabhängigen Patientenberatung, der UPD, gibt. Dieses Angebot ist kostenlos. Es wird inzwischen bis zu 80 000-mal jährlich in Anspruch genommen: (Dr. Roy Kühne [CDU/CSU]: Das bestreitet niemand!) entweder an der gebührenfreien Telefonhotline oder persönlich in den Beratungsstellen. Ich habe also die Hotline angerufen und musste feststellen, dass man da sehr schwer durchkommt. Mein Ratsuchender wird keine der Beratungsstellen aufsuchen können, obwohl seine Fragen eigentlich im persönlichen Gespräch hätten geklärt werden müssen; denn von meiner Heimatstadt sind es bis zur nächsten Beratungsstelle in Dortmund oder Bielefeld 80 Kilometer. Er kann sich die Fahrtkosten in Form eines Bahntickets einfach nicht leisten. So geht es vielen der allein bei uns im Münsterland lebenden 1,5 Millionen Menschen. Die Beraterinnen und Berater der UPD leisten seit vielen Jahren eine hervorragende Arbeit. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Aber ihre Erreichbarkeit für die Menschen, die nicht in unmittelbarer Nähe einer Beratungsstelle leben, ist tatsächlich auch aus unserer Sicht verbesserungswürdig. (Beifall bei der LINKEN) An der Hotline ist oft kein Durchkommen. Da müssen sich die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes die Finger wundwählen, weil es einfach zu wenig Beraterinnen und Berater gibt. Wir haben es schon gehört: Nur ungefähr 42 Prozent der Anrufenden kommen innerhalb der ersten Stunde durch. Deswegen meint auch die Linke: Die UPD braucht dringend mehr Personal für die telefonische Beratung und für den Ausbau des Beratungsnetzes. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darauf haben wir übrigens gemeinsam mit den Grünen schon vor vier Jahren hingewiesen. Das Modellprojekt, das 2010 ausgelaufen ist, wurde damals in ein Regelangebot überführt, nur leider viel zu spät, sodass bis zur erneuten Ausschreibung schon viele Strukturen weggebrochen waren, da sich zum Beispiel Beraterinnen und Berater wegbeworben hatten. Deshalb war der Neustart in den Beratungsstellen ausgesprochen mühsam. Auch dass die Mittel für die Beratung nicht erhöht und nicht an die allgemeinen Kostensteigerungen angepasst wurden, war ein Schönheitsfehler, den auch wir schon damals kritisiert haben. Die Grünen fordern in ihrem Antrag, zunächst einmal 10,5 Millionen Euro für die UPD bereitzustellen. Das ist bei insgesamt 200 Milliarden Euro im Gesamttopf keine sehr große Summe, aber das würde doch einige Verbesserungen ermöglichen. Weil die Beratungsstellen nicht danach fragen, ob jemand privat oder gesetzlich versichert ist, finde ich es nur logisch, auch die privaten Versicherungen verpflichtend mit in die Finanzierung einzubeziehen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch ein längerer Förderzeitraum von jeweils zehn Jahren wäre gut; denn damit könnte besser geplant werden, und auch die Beschäftigten hätten eine bessere Perspektive. Qualifiziertes Personal könnte auch langfristig gehalten werden. Wir unterstützen auch die Idee, dass die Finanzierung unabhängig von den Krankenkassen erfolgen soll. Schließlich sind es in vielen Fällen die Krankenkassen, mit denen die Ratsuchenden Probleme haben. Deswegen sind sie nicht neutral. Ergänzend schlage ich vor, dass wir auch eine Lösung für das Problem der Fahrtkosten für Bedürftige suchen, damit der Besuch von Beratungsstellen nicht weiter zum Privileg für Großstädter und Besserverdienende wird. Insgesamt ist zu sagen, dass die Grünen einen Antrag vorgelegt haben, der die wichtigsten Probleme korrekt benennt und vernünftige Lösungsvorschläge unterbreitet. Die Linke unterstützt diese Forderungen, und zwar wirklich von ganzem Herzen. Ich hoffe, dass wir in den Ausschussberatungen gemeinsam auch die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen davon überzeugen können. Denn nur gut informierte und selbstbewusste Patientinnen und Patienten, die ihre Rechte kennen, können sich heute im Dschungel des Gesundheitswesens zurechtfinden. Wenn es uns dann noch gelingt, diese Koalition dazu zu bringen, endlich ein Patientenrechtegesetz zu erarbeiten, das diesen Namen wirklich verdient, wäre das ein richtig guter Tag für die Patientinnen und Patienten in diesem Land. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Helga Kühn-Mengel. (Beifall bei der SPD) Helga Kühn-Mengel (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen es: Das Wort „Patient“ ist lateinischen Ursprungs und hat zu tun mit Dulden, Leiden und Geduldhaben. Das wird auch in diesem Gesundheitssystem verlangt. Es ist zwar sehr gut ausgestattet und steht im Prinzip auch weltweit gut da, aber die Patientinnen und Patienten bzw. die Versicherten, die sich in diesem Gesundheitssystem bewegen, müssen teilweise sehr viel Geduld haben. Sie müssen etwa lange warten, wenn sie Einsicht in Behandlungsunterlagen nehmen wollen, oder sie erleben, wenn sie das endlich tun konnten und die rechtliche Klärung eines Behandlungsfehlers angehen wollen, wie sie von den Gutachtern der Gegenseite immer wieder gefordert und in ganz schwierige Situationen gebracht werden. Sie müssen Geduld haben beim Warten auf einen Facharzttermin. Psychisch kranke Menschen, die Psychotherapie benötigen, müssen warten, wenn sie zu der Gruppe der – ich sage das in Anführungsstrichen – „nicht Wartezimmer-fähigen“ Patienten gehören, ein Ausdruck, über den man wirklich nachdenken muss. Sie müssen Geduld haben als gestresste, körperlich und seelisch kranke Mütter, deren Antrag auf eine Mutter-Kind-Kur abgelehnt wurde. Sie müssen sich als Privatversicherte damit auseinandersetzen, dass ihnen bestimmte Leistungen, zum Beispiel eine ambulante Reha oder die Komplexleistung Frühförderung, verwehrt werden. Demenziell Erkrankte, die eine gerontopsychiatrische Reha haben müssten, erhalten sie nicht. Ganz schwierig wird es im zahnärztlichen Bereich, wo Patientinnen und Patienten gar nicht mehr durchblicken, was Regelleistung und was IGeL-Leistung ist und warum sie hohe Zuzahlungen leisten müssen. Die UPD stellt in diesem Zusammenhang fest, dass nirgendwo so viel begutachtet wird wie im privatärztlichen Bereich. Nicht zuletzt gibt es auch die Patientinnen und Patienten, die sehr viel Geduld haben müssen, wenn sie im Krankengeldbezug sind, aber von der Krankenkasse in den Rentenbezug abgedrängt werden sollen. Und viele wollen nach ihrem Krankenhausaufenthalt wissen, wie es weitergeht. Wir kennen die Studien: Über 50 Prozent wissen an dieser Stelle nicht, was dann folgt. Wir alle müssen viel Geduld haben, wenn zum Beispiel der Gemeinsame Bundesausschuss sechs bis sieben Jahre braucht, um eine neue Leistung in den Leistungskatalog aufzunehmen. Denken wir zum Beispiel an die Knochendichtemessung. Wenn so etwas endlich Leistung der Krankenkasse wird, dann erleben wir, wie geschehen, dass auf einmal in diesem Bereich doch wieder eine IGeL-Leistung angeboten wird, die mehr bringt als die Kassenleistung. In diesem Bereich herrscht also sehr viel Intransparenz. All die Fälle, von denen wir als Gesundheitspolitiker und -politikerinnen Kenntnis erhalten, laufen erst recht und in größerer Zahl bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland auf. Diese erfreut sich über die Jahre hinweg zunehmender Akzeptanz. Wie gesagt handelte es sich um ein rot-grünes Projekt, zunächst ein Modellprojekt, das dann vor ein paar Jahren in die Regelleistung überführt wurde. Es ist nun Bestandteil einer ganzen Kette zur Stärkung von Patientenrechten. Dazu gehört auch die Stärkung der Selbsthilfe. Ich rechne auch das IQWiG und vor allem die dritte Bank im Gemeinsamen Bundesausschuss dazu. Ich wünsche mir, dass endlich auch die Patientenvertreter und -vertreterinnen ein Stimmrecht bekommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber nicht alles, was wir uns wünschen, konnten wir im Koalitionsvertrag durchsetzen. Auf jeden Fall ist festzustellen, dass die UPD enorme Kompetenzen in diesen Jahren entwickelt hat. Dazu zähle ich Qualitätssicherung, hohe Standards und Evaluationen, zum Beispiel Auseinandersetzungen mit der Frage, welche Patienten wir erreichen und welche nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Natürlich muss sich die PKV stärker beteiligen. Natürlich müssen wir über die Beziehungen zu den Krankenkassen reden. Ich stimme dem Kollegen Meier zu, dass die Erhöhung der Anzahl der regionalen Beratungsstellen auf 31 nicht die Lösung ist. Die Verdichtung des Telefonnetzes scheint auch mir sinnvoller zu sein. Die Menschen wollen nun einmal sprechen. Den Förderzeitraum auf zehn Jahre zu erweitern, mag verwaltungstechnisch und mit Blick auf die Mitarbeiter sinnvoll sein, ist aber von der Steuerung und der internen Planung her nicht unproblematisch. Auch wir sind für eine Stärkung der UPD. Das ist zwar nicht im Koalitionsvertrag verankert; aber Koalitionspartner und -partnerinnen können sich damit auseinandersetzen, hierbei bewegen und für Veränderungen sorgen. Festgehalten im Koalitionsvertrag ist auf jeden Fall – das ist ganz entscheidend für die Versorgungslandschaft – das neue Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Entscheidend für Patienten und Patientinnen ist, dass dieses Institut in seinem Internetauftritt Krankenhausvergleiche und viele Informationen zum Gesundheitssystem auf evaluierter, harter Faktenbasis zur Verfügung stellen wird. Das ist ein wichtiger Punkt in der Versorgungslandschaft. Natürlich kann alles noch besser werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Roy Kühne. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland, kurz UPD, ist, wie bereits mehrfach gesagt, ein erfolgreicher Baustein zur Stärkung der – wir kennen das Wort inzwischen – selbstbestimmten und selbstbewussten Patienten. Dies sollte der oberste Tenor aller Diskussionen werden. Seit ihrer Überführung von einem Modellvorhaben in die Regelversorgung und der Sicherstellung der Finanzierung durch die GKV im Jahre 2011 – es wurde bereits mehrfach gesagt, wer das veranlasst hat – steht die UPD den ratsuchenden Patientinnen und Patienten in Deutschland als kompetenter Partner mit Rat und Tat zur Seite; das bestreitet niemand. Die Fragestellungen der Menschen sind vielfältig und spiegeln im Grunde die alltäglichen Probleme, die es im Gesundheitswesen gibt, wider. Ich glaube, wir alle kennen aus unserem eigenen Umfeld und wahrscheinlich auch aus eigener Anschauung genau die Probleme, die ich jetzt im Sinn habe. Man muss dabei bedenken: Qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich durch Fortbildungen bemüht haben, sich ihren Stand zu erarbeiten, versuchen in den Beratungsstellen oder am Beratungstelefon, fachkundige und wissenschaftlich fundierte Hilfestellung zu geben. Dafür gebührt ihnen selbstverständlich höchster Respekt. (Beifall bei der CDU/CSU) So konnten 2013, wie schon gesagt wurde, in über 80 000 Beratungsgesprächen beispielsweise Fragen zu den Themen Patientenrechte, Behandlungsfehler, finanzielle Absicherung, aber auch zu psychischen Krankheiten erörtert werden. Die Patientinnen und Patienten sind im täglichen Umgang mit den Akteuren in unserem Gesundheitswesen in der Tat verschiedensten Szenarien ausgesetzt. Wie gesagt, schlechte Beratung, Probleme beim Zugang, Wartezeiten – ich glaube, wir kennen das – wurden eindeutig im „Monitor Patientenberatung 2013“, einem sehr interessanten Werk, von der UPD genannt. Diese Berichte und Daten der UPD sollten in der Tat Anstoß für die Politik sein. Sie sollten als Grundlage dienen, um Problemstellungen im Gesundheitswesen zu benennen. Ross und Reiter sollten ruhig beim Namen genannt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das Problem ist – ich glaube, das können wir alle nachvollziehen –, dass momentan die Daten und Berichte von der UPD selber kommen. Es sollte ruhig betont werden: Als Grundlage für Anpassungen sollten diese Daten unabhängig erhoben werden und evidenzbasiert sein. Wir sollten schauen, dass auch dieses Produkt neutral beobachtet wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist nicht so, dass die Ergebnisse der UPD in letzter Zeit keine Auswirkungen gehabt hätten. Sie kennen das: Patienten können reagieren. Wir haben die Zahlen mehrfach genannt. Ein weiteres Beispiel ist das im Jahr 2013 in Kraft getretene Patientenrechtegesetz, das auch in der Praxis sehr dazu beigetragen hat, bei den Menschen Unsicherheiten abzubauen und – ich sage das ganz offen – bei denen, die Medizin veranstalten, Vorsicht aufkommen zu lassen. Der Patient hat Rechte, und diese werden gestärkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es geht aber nicht nur um den Leistungsanbieter – nennen wir ihn Arzt, Apotheker, Physiotherapeuten oder Logotherapeuten –, sondern das größte Problem ist häufig die Situation bei den Krankenkassen. Hier ist es oftmals so, dass Wartezeiten unnötigerweise entstehen. Ich denke, genau hier sollten das Gesetz und natürlich auch die unabhängige Patientenberatung ansetzen; denn die dortigen Entscheidungen müssen tagtäglich an die Patienten herangetragen und schneller umgesetzt werden. Keiner hat Lust, sechs Monate oder auch nur sechs Wochen auf Entscheidungen zu warten, die ihn unmittelbar betreffen und in seiner Lebensqualität durchaus nachhaltig negativ beeinflussen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die UPD bietet somit einen geschützten Raum für die Ratsuchenden, und das ist gut so. Dort sollen das Selbstbewusstsein und das Wissen der Patienten gestärkt werden. Daher ist die Unabhängigkeit der Beratung das entscheidende Element der UPD. Diese Unabhängigkeit der Patientenberatung haben wir in § 65 b SGB V festgelegt. Auch sind hier die Kriterien für die Förderung dieser Einrichtungen genannt. Diese Kriterien sind eindeutig. Zudem werden die Ausschreibung und die Vergabe an zukünftige Träger – ich habe das heute noch einmal ganz genau nachgelesen – einvernehmlich mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten sowie Bevollmächtigten für Pflege durchgeführt, sodass auch hier die Unabhängigkeit und damit die Qualität gewährleistet werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit der erstmaligen Ernennung eines Staatssekretärs für Patientenrechte und Pflege hat die jetzige Bundesregierung ganz deutlich gezeigt – ich denke, darauf können wir stolz sein –, wie sehr ihr das Wohl der Patientinnen und Patienten in Deutschland am Herzen liegt. Es ist nicht mehr nur ein MdB, der diese Aufgabe ehrenamtlich erfüllt. Damit haben wir eine große Stärkung im System erreicht, und zwar für alle Seiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Jährliche Berichte des GKV-SV legen die Entwicklung der UPD dar und zeigen mögliche Handlungspotenziale auf. Wenn hier ein nachweisbar erhöhter Förderbedarf besteht, dann kann und muss auch entsprechend gehandelt werden. Der Förderzeitraum von fünf Jahren – dies ist sicherlich überlegenswert – und die anschließende erneute Ausschreibung dienen auch als Kontrollfunktion. Von dieser Seite her wird sich erweisen, ob die Träger der Unabhängigen Patientenberatung erfolgreich sind. Sie werden sich, wenn sie gute Arbeit leisten, gegen Neubewerber auch wieder durchsetzen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Dieser Prozess sollte in jedem Fall transparent sein. Wir dürfen nicht vergessen, dass im Rahmen der UPD Beiträge der Versicherten ausgegeben werden. Es geht um Beiträge der Bürgerinnen und Bürger, und wir haben verdammt noch mal die Pflicht, damit sorgsam umzugehen. Wenn sich ein entsprechender Bedarf ergibt, ist dem Ausbau der Beratungsstrukturen der UPD auch nichts entgegenzusetzen. Er muss allerdings – auch das ist schon mehrfach gesagt worden – bedarfsgerecht und nach Abwägung und Ausnutzung aller Effizienzreserven erfolgen, und es darf nicht einfach nur Geld ins System gesteckt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Abschließend möchte ich festhalten: Die UPD hat sich sicherlich als ganz konkrete Hilfestellung für ratsuchende Menschen erwiesen, und sie muss sich in Deutschland weiter beweisen. Herr Meier hat es gesagt: Sie ist seit drei Jahren am Start. Da kann man so ein Baby noch nicht beurteilen. Auf diesem Weg sehen wir aber zunächst die Evaluierung und Optimierung der bestehenden Strukturen und die Optimierung und Konsolidierung der Prozesse im Vordergrund. Man darf Geld nicht einfach nur in ein System stecken, an dessen internen Management man durchaus noch arbeiten kann. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das war Ihre erste Rede. Auch Ihnen die herzlichsten Glückwünsche aller Kolleginnen und Kollegen. (Beifall) Die erste Rede ist es auch für die letzte Rednerin in dieser Debatte. Das ist die Kollegin Bettina Müller, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bettina Müller (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Viele der Kolleginnen und Kollegen, die heute hier sitzen, sind, mit Verlaub, alte Hasen im Gesundheitswesen. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Es sind auch junge Hüpfer dabei!) Trotzdem müssen auch sie manchmal noch aufwendig recherchieren, was wo wie geregelt ist, welche Leistungsansprüche bestehen, welche Leitlinien oder Richtlinien gelten. Für Neulinge in der Gesundheitspolitik wie mich gilt das noch viel mehr, und das, obwohl ich als Anwältin mit den Schwerpunkten Betreuungs- und Sozialrecht sehr viel an der Schnittstelle zwischen Versicherten, Kostenträgern und Leistungserbringern gearbeitet habe. Wie soll es da erst den – so nenne ich sie mal – Otto Normalversicherten gehen? Wie sollen sie alle Leistungsansprüche kennen und die dann auch noch mit Nachdruck durchsetzen? Wie sollen sie den Durchblick im dichten Dschungel des Gesundheitswesens wahren, einem Dickicht, bei dem Behandlungs- und Therapievorschläge noch dazu oft interessengeleitet sind? Daher hat die SPD seinerzeit die Unabhängige Patientenberatung erfolgreich gestartet. Sie wird von niemandem mehr angezweifelt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die hohen Kontaktzahlen in den 22 Beratungsstellen unterstreichen die große Bedeutung dieses Angebotes. Aber natürlich gilt auch hier: Was gut ist, kann noch besser werden. Ob uns dabei die fünf Vorschläge des Antrags der Grünen weiterbringen, müssen wir in den Ausschussberatungen noch diskutieren. Die Vorschläge laufen ja im Kern darauf hinaus, die Zahl der regionalen Beratungsstellen um 50 Prozent zu erhöhen, die Fördersumme zu verdoppeln und einen unterstellten, vermeintlichen Einfluss der Kostenträger zu reduzieren. Nun zeigen uns die vorliegenden Daten der Evaluierungsberichte aber Folgendes: Nur etwa 10 Prozent der Beratungsleistungen erfolgen vor Ort in den regionalen Beratungsstellen. Die telefonische Beratung liegt bei 80 Prozent. Die meisten Anrufe landen nicht bei den regionalen Beratungsstellen, sondern bei der bundesweiten Hotline. Auch die Beratung über das Internetportal steigt stetig an. Ob daher die Erreichbarkeit durch neun zusätzliche Standorte in der Praxis zu einer nennenswerten Verbesserung der Situation führt, ist zweifelhaft. Dazu sind gerade die Wege im ländlichen Raum zu weit, die Mobilität von älteren und kranken Menschen – mit ihnen haben wir es ja weitgehend zu tun – zu eingeschränkt. Daher sollten wir in den anstehenden Ausschussberatungen noch einmal prüfen, mit welchen Strukturen die Beratung am besten gewährleistet werden kann. Wir sollten das vor allem deshalb ernsthaft prüfen, weil wir in der Großen Koalition einige Veränderungen planen, die sich auf die Beratungsintensität auswirken werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Denken Sie nur an die Termingarantie bei Fachärzten, oder denken Sie an den Anspruch auf eine Zweitmeinung bei stationären Behandlungen. Auch hier wird die Nachfrage nach Beratung eher noch steigen; denn die Leute wollen natürlich wissen, welcher Arzt, welche Klinik hierfür infrage kommt. Wir müssen uns also Gedanken machen, wie wir die Unabhängige Patientenberatung in die geplante Qualitäts-offensive der Großen Koalition einbinden und nutzen wollen. Qualität ist schließlich eine der wesentlichen Säulen der Wirtschaftlichkeit. Und für eine qualitativ gute Behandlung ist die Mitwirkung des Versicherten wichtig. Mündige, unabhängig und gut informierte Patienten wirken besser mit als ratlose und verunsicherte. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Es ist sinnvoll, die Weiterentwicklung der UPD in das Konzept der Qualitätsverbesserung einzubinden. Über die Instrumente dafür werden wir uns in den nächsten Monaten im Ausschuss unterhalten. Dazu zählt unter anderem – das ist schon gesagt worden – auch ein Institut für Qualitätssicherung, das insbesondere im stationären Bereich Krankenhäuser bewerten und diese Ergebnisse auch an die Versicherten weitergeben soll. Die Koalition plant also umfangreiche Vorhaben mit mehr Information und Beteiligung von Patienten als zentralem Baustein. Das alles muss dann ohnehin mit bestehenden Informationsangeboten vernetzt werden. Die UPD sollte dann in diese Angebote passgenau eingefügt sein. Deshalb gilt: Das neue Qualitätsinstrumentarium muss von der Koalition jetzt zügig gesetzlich umgesetzt werden. Dann muss es seine Wirkung entfalten. Daran anschließend sind unabhängige Beratungsangebote wie die UPD in dieses System zu integrieren. Dafür sollten wir uns, meine Damen und Herren, Zeit nehmen. Eine erneute Ausschreibung und eine Laufzeit von weiteren fünf Jahren lässt Raum für sinnvolle Beratungsangebote, wenn notwendig sogar für eine grundsätzliche Neuausrichtung der Beratungsangebote. Wir sind ja nicht gezwungen, damit bis 2020 zu warten. Wir können auch schon 2016 oder 2017 beginnen. Ein Schnellschuss führt am Ende zu keiner wirklichen Verbesserung, und für Experimente ist uns, ist der SPD die Unabhängige Patientenberatung einfach zu schade. Ich bedanke mich. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank und herzlichen Glückwunsch von allen zur ersten Rede! (Beifall) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/574 an den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung Drucksache 18/559 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie verfügt die Bundesregierung nun schon seit über zwölf Jahren über eine bewährte und sich ständig weiterentwickelnde Strategie für eine Politik, die darauf abzielt, heute und in Zukunft allen Menschen die Chance auf ein Leben in Wohlstand, Gerechtigkeit und einer intakten Umwelt zu ermöglichen. Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie wird bereits in der vierten Legislaturperiode und über drei verschiedene politische Koalitionen fortgeführt. Der Grund für den anhaltenden Erfolg dieser übergreifenden Politikstrategie liegt sicher in den grundlegenden und langfristigen Fragen zur Erhaltung der Lebensgrundlagen, der Lebensqualität und der Gerechtigkeit, auf die die Strategie Antworten sucht und finden will. Es liegt aber auch daran, dass Nachhaltigkeit die gesamte Gesellschaft etwas angeht. Nachhaltigkeit lebt vom persönlichen und vom zivilgesellschaftlichen Engagement. Von Beginn an wurden gesellschaftliche Gruppen mit einbezogen. Wenn man einmal zurückblickt: Vor zwölf Jahren war das schon ziemlich innovativ, und das hat sich bewährt. Die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zu den Grundprinzipien der nachhaltigen Entwicklung – das machen die Veranstaltungen, die Onlinedialoge und die direkten Gespräche der vergangenen Jahre deutlich – ist weiterhin sehr groß. Generationengerechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Zusammenhalt und internationale Verantwortung sind die Grundziele der Nachhaltigkeitsstrategie, die die Menschen heute und auch in Zukunft weiter beschäftigen und die sie als wichtig erachten. Für die Bundesregierung war und ist die Mitwirkung des Parlaments bei der Umsetzung des Leitbilds einer nachhaltigen Entwicklung von großer Bedeutung. Seit 2004 wurden viele der Vorschläge und Anregungen des Parlamentarischen Beirats aufgenommen oder gaben der Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitspolitik wichtige Impulse. Ich erinnere zum Beispiel an den Austausch des Ziels und des Indikators beim Thema „Kriminalität und persönliche Sicherheit“ im vergangenen Fortschrittsbericht 2012. Dieses Ziel liegt dem Beirat und uns sehr am Herzen. Es zeigt auch, wie die Ausrichtung eines solchen Indikators zu mehr Zielschärfe führt und den ganzen Prozess verbessert. Auch international steht die Nachhaltigkeitspolitik vor großen Herausforderungen, sei es bei der Weiterentwicklung der EU-Nachhaltigkeitsstrategie im Spannungsfeld mit der EU-2020-Strategie oder den Verhandlungen über die Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Auf diesen Ebenen wird sich der Beirat sicher wie schon in der Vergangenheit engagieren. Ich begrüße insbesondere, dass sich der Beirat mit der Nachhaltigkeitspolitik der Vereinten Nationen stärker befassen will. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber erst mal EU!) Dies ist ein wichtiger Rahmen und Impuls für die Bearbeitung der Zukunftsfragen unserer Bürgerinnen und Bürger, unserer Volkswirtschaft und Gesellschaft. Aus diesen Gründen ist die Fortsetzung der Arbeit des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung auch in der aktuellen Legislaturperiode der Bundesregierung ein sehr wichtiges Anliegen. Wir begrüßen den heute vorliegenden Einsetzungsbeschluss und unterstützen den Beirat bei seinen Aufgaben. Nachhaltigkeit kann nur gemeinsam gelingen. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit zur wirksamen Umsetzung des Leitbildes; denn sowohl national als auch international wie global trägt Nachhaltigkeitspolitik auch dazu bei, den Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen und gleichzeitig unser gemeinsames natürliches Erbe, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten und zu schützen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Es spricht jetzt die Kollegin Annette Groth, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Annette Groth (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Finanzkrise, Euro-Krise, Klimakatastrophe, Sterben der Arten, Ressourcenkrise, Energiekrise, Ernährungskrise, jährlich über 40 Millionen Tote als Folge von Hunger und sozialen Krisen. Der Theologieprofessor Ulrich Duchrow beschreibt diese Krisen im Publik-Forum, einer katholischen Zeitschrift – ich zitiere –: Meine These ist, dass alle diese Krisen eine zentrale Ursache haben: Es ist die Zivilisation des Kapitalismus. Ich sage ausdrücklich: Es ist nicht nur die kapitalistische Ökonomie, sondern die gesamte Zivilisation. Denn alle Bereiche des Lebens, Denkens und Fühlens sind inzwischen unter die Herrschaft des Geldes in der Form des Kapitals geraten. Und dieses hat nur ein Ziel: zu wachsen – ohne Rücksicht auf die Folgen. … Unsere Zivilisation zerstört die Lebensgrundlagen der Menschheit und der Erde. Die Frage ist deshalb nicht, ob wir eine neue Kultur des Lebens entwickeln müssen, sondern ob wir sie noch aus Einsicht gestalten wollen – oder ob wir erst durch immer größere soziale und ökologische Katastrophen zur Umkehr gezwungen werden müssen. Mit anderen Worten: Wenn wir Nachhaltigkeit diskutieren und Vorschläge machen, wie Nachhaltigkeit umgesetzt werden kann, müssen wir uns wohl oder übel mit unserem kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem auseinandersetzen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh nee!) – Doch. (Heiterkeit) Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon heute wissen wir, dass das 2-Grad-Ziel von Kioto nicht erreicht werden wird. Der Klimawandel wird viele Hundert Millionen Menschen zu Klimaflüchtlingen machen. Trotzdem setzt die Kohlelobby weiterhin auf das massenhafte Verbrennen von Kohle für die Stromproduktion. Trotzdem wird der Flottenverbrauch der hochtechnisierten und hochgerüsteten Autos nicht relevant abgesenkt. Trotzdem wird eine Wachstumsstrategie für den Luftverkehr, beim Ausbau von Flughäfen und bei der Subventionierung von Flugbenzin wider besseres Wissen weiterverfolgt. Neulich war zu lesen: „Peking unbewohnbar“ – wegen der wahnsinnigen Luftverschmutzungswerte, jeden Tag weit über 400 Milligramm; 10 Milligramm in der Luft wären eigentlich erlaubt. Dieses „unbewohnbar“ dürfte auch auf viele andere chinesische Städte zutreffen. Immer mehr Menschen wehren sich gegen umweltschädliche Projekte wie zum Beispiel Stuttgart 21. Ein explosionsartiger Bürgerprotest entwickelt sich gerade in der Oberpfalz. Ja, Sie haben richtig gehört: in der beschaulichen Oberpfalz. Dort wird jetzt ein Teil der 450 Kilometer langen Stromtrasse Süd-Ost gebaut. Man muss sich das so vorstellen: 75 Meter hohe Masten, 40 Meter breite Querträger, und in den armdicken Leitungen soll Gleichstrom mit 500 000 Volt fließen. Links 500 000 Volt, rechts 500 000 Volt. Jetzt regt sich Widerstand, da die Menschen in der Region direkt davon betroffen sind. Ich selbst komme aus Stuttgart und bin davon überzeugt, dass S 21 ein absolut widersinniges und ökologisch schädliches Großprojekt ist. Mit Nachhaltigkeit hat das nun wirklich gar nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Verkehrsausschuss ist eines der Hauptthemen der Transport. Über 10 Prozent des Verkehrs entfallen allein auf den Transport von Nahrungsmitteln. Nahrungsmittel werden durch die Welt gefahren, obwohl viele davon auch regional bezogen werden könnten. Das ist der völlige Wahnsinn und das Gegenteil von Nachhaltigkeit. (Beifall bei der LINKEN) Hier bin ich wirklich für eine ganz starke Regionalisierung. Das heißt, mein Joghurt und mein Gemüse sollen aus der Nachbarschaft kommen. Auch darum spricht sich die Linke gegen das Freihandelsabkommen EU/USA aus, das noch viel mehr solcher Transporte nach sich ziehen würde. Für uns Linke bedeutet Nachhaltigkeit, dass wir Gesellschaft und Ökonomie so gestalten müssen, dass ökologische, soziale und wirtschaftliche Gesichtspunkte gleichermaßen berücksichtigt werden. Heutige gesellschaftliche und politische Entscheidungen müssen den nächsten Generationen die Chance auf eine möglichst intakte Natur eröffnen und ihnen Grundlagen für ein gesellschaftlich verträgliches Wirtschafts- und Sozialsystem übergeben. Die Fraktion Die Linke begrüßt die Einrichtung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung und wird ihre Aufgabe darin sehen, immer wieder die soziale Dimension in die Nachhaltigkeitsdebatte einzubringen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Es spricht jetzt Andreas Jung, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung wird in diesem Jahr nach den Jahren 2004, 2006 und 2010 zum vierten Mal eingesetzt. Damit ist er im zehnten Jahr seines Bestehens. Das ist ein rundes Jubiläum. Er hat damit zwar noch nicht ganz die Volljährigkeit erreicht, aber wir können, glaube ich, sagen, dass der Nachhaltigkeitsbeirat damit aus dem Gröbsten heraus ist. Er hat sich ganz sicher einen festen Platz im parlamentarischen Gefüge erarbeitet und ist etabliert. Das ist gut und richtig, weil wir die gemeinsame Überzeugung haben, dass ein Querschnittsthema wie Nachhaltigkeit auch ein Querschnittsgremium braucht. Deshalb begrüße ich es und freuen wir uns, dass wir heute über einen Einsetzungsantrag beschließen, den alle Fraktionen des Deutschen Bundestages gemeinsam einbringen. Dafür eine möglichst breite Mehrheit zu finden, knüpft an unsere von Konsens geprägte Arbeitsweise an. Denn wir wissen: Je mehr wir uns einig sind, desto stärker ist unser gemeinsames Eintreten für nachhaltige Entwicklung. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will den Einsetzungsbeschluss und diese Debatte zum Anlass nehmen, um folgende Frage zu stellen: Warum brauchen wir ein solches Gremium für Nachhaltigkeit überhaupt? Wir brauchen ein solches Gremium deshalb, weil die Politik sowie jede und jeder Einzelne ständig in der Versuchung sind, mehr an die nächsten Tage als an die nächsten Jahrzehnte zu denken, in der Versuchung sind, zu glauben, dass kurzfristige Effekte langfristiges Denken überlagern. Wir als Nachhaltigkeitsbeirat verstehen uns als Wachhund für Nachhaltigkeit im Parlament, der immer dann aufbellt, der immer dann Laut gibt, der immer dann dazwischengeht, wenn Entscheidungen drohen, die dieser langfristigen Verantwortung nicht gerecht werden, wenn Entscheidungen drohen, die später zum Bumerang werden könnten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das wird auch in Zukunft notwendig sein. Wir können dabei an unsere Arbeit der letzten Jahre anknüpfen. Diese möchte ich kurz damit umschreiben, dass wir jedes einzelne Gesetz auf Nachhaltigkeit prüfen. Wir haben in der letzten Wahlperiode den Nachhaltigkeitscheck eingeführt und untersuchen jede einzelne Gesetzesvorlage darauf, ob Ausführungen zu nachhaltiger Entwicklung darin enthalten sind und ob dieses konkrete Vorhaben mit den Vorgaben der Nachhaltigkeitsstrategie tatsächlich vereinbar ist. Wir haben damit – ich glaube, das können wir für uns in Anspruch nehmen – Pionierarbeit geleistet. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Wir haben einen Beitrag dazu geleistet, dass die Gesetzgebung besser wird, dass sie nachhaltiger wird. Nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten ist es uns zum Ende der letzten Legislaturperiode gelungen, dass bei den Gesetzentwürfen der Bundesregierung tatsächlich diesem formalen Erfordernis Rechnung getragen wird. Unsere Aufgabe wird jetzt sein, zu überlegen, wie wir über diese formalen Prüfungen hinaus tatsächlich in medias res gehen können, in die materielle Prüfung eintreten können. Da spielt die Musik. Darüber werden wir uns im Beirat unterhalten. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das soll nicht heißen, dass wir bisher nicht auch schon dort tätig waren, wo die Musik spielt, und dass wir bei dieser Musik nicht auch mitgespielt haben. Wir haben solche Themen, die wir als besonders wichtig angesehen haben, die über die einzelnen Fachbereiche hinausgehen, herausgegriffen. Ich will unsere Initiativen zur nachhaltigen Mobilität, unsere Anträge zu Umwelttechnologien, unsere Eingaben zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme ansprechen. An diesen Themen sollten wir dranbleiben und uns Schwerpunkte suchen, bei denen wir in besonderer Weise auf nachhaltige Politik drängen. Unsere Kernaufgabe ist – das ist auch im Einsetzungsbeschluss beschrieben – die Begleitung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie und der EU-Nachhaltigkeitsstrategie. Ich glaube, das ist eine besonders wichtige Aufgabe. Es ist vorhin gesagt worden: Vor zwölf Jahren hat Deutschland als eines der ersten Länder eine solche Nachhaltigkeitsstrategie eingeführt. Sie ist seitdem immer wieder verbessert worden. Unser Anspruch sollte sein, die Nachhaltigkeitsstrategie erstens weiterzuführen und zweitens neue Impulse zu geben, sie zu verbessern und besser zu verzahnen, auch mit den Aktivitäten der Europäischen Union und in den Ländern. Wir sollten tatsächlich eine konsistente Politik für Nachhaltigkeit liefern und ein Vorbild für andere abgeben, wie das Fortkommen, wie der Fortschritt bei der nachhaltigen Entwicklung tatsächlich transparent gemacht werden kann. Das sollten wir hier tun und damit ein Beispiel für andere geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da ich von der nationalen Ebene und der EU gesprochen habe und davon, ein Beispiel für andere zu geben: Eine Aufgabe sehe ich in der schon angesprochenen Beteiligung an der internationalen Debatte. Heute leben 7 Milliarden Menschen auf der Erde, 2050 sollen es 9 Milliarden Menschen sein. Diese werden selbstverständlich ihr Recht auf Nahrung, auf Wasser, auf Energie und auf Rohstoffe geltend machen. Wir wissen: Wenn nichts passiert, wenn die Entwicklung ausgehend vom Status quo einfach fortgeschrieben wird, wenn es uns nicht gelingt, das Ruder hin zu globaler nachhaltiger Entwicklung herumzureißen, dann wird uns diese Welt um die Ohren fliegen, dann wird sie im wahrsten Sinne des Wortes explodieren. Deshalb müssen wir einen Beitrag leisten. Ich finde, wir Deutsche haben eine besondere Verantwortung, die wir als Parlament wahrnehmen müssen. Wir erwarten von der Regierung, dass das Eintreten für eine globale nachhaltige Entwicklung die Leitlinie der deutschen Außenpolitik wird. Deutschland muss in besonderer Weise als Vorreiter, als Dränger auftreten, andere mitnehmen und international zu solchen Ergebnissen kommen. Das ist mehr als nötig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das alles können wir nur, wenn wir selber glaubwürdig sind. Dazu gehört die Fortschreibung der Nachhaltigkeitsstrategie. Dazu gehört aber auch, dass wir in den einzelnen Fachbereichen glaubwürdig sind und den Punkt „nachhaltige Entwicklung“ umsetzen. Dazu gehört auch – in der mir verbleibenden Redezeit kann ich nur noch zwei Beispiele nennen – die Finanzpolitik. Wir müssen die Nullverschuldung erreichen, weil Schulden Sünde an den nächsten Generationen sind. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Unsere besondere Aufgabe ist – hier schaut alle Welt auf uns –, dass wir die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien und Energieeffizienz zum Erfolg führen. Wir müssen den Anstieg der Treibhausgase stoppen. Der Klimawandel bleibt global gesehen die wichtigste Herausforderung in unserem Jahrhundert. Es gibt viele Aufgaben. Ich freue mich, diese Aufgaben mit den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen anzugehen. Die Union stimmt dem Einsetzungsbeschluss zu. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. Schönen Abend von mir. – Jetzt hat Dr. Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Kollege Jung, Sie haben sehr deutlich dargestellt, wie wir in den letzten vier Jahren gearbeitet haben. Wir haben beide schon in diesem Gremium gesessen. Werte Kollegin Groth, ich bin über Ihre Ausführungen ein bisschen erstaunt. Wir haben einen gemeinschaftlichen Antrag aller Fraktionen vorliegen, und Sie haben gerade Revue passieren lassen, wo es im Nachhaltigkeitsbeirat hingehen soll. Dann landen Sie jedoch auf einmal bei der Kapitalismuskritik. Ich fühlte mich in eine andere Welt versetzt. Vielleicht erinnern Sie sich daran: Heute vor einer Woche haben wir über Wachstum geredet. Heute versuchen wir, das Ganze etwas anders einzuordnen. Wir reden nämlich über Nachhaltigkeit. Bei Nachhaltigkeit geht es nicht um das Gegenteil von Wachstum, sondern um die ökologische und soziale Flankierung des Wachstums. Darum geht es und nicht um Nullwachstum oder gar kein Wachstum, was uns die Vertreterin der Linkspartei versucht hat zu erläutern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Über diese ökologische und soziale Flankierung hätte der Wirtschaftsminister bei seiner Rede zum Jahreswirtschaftsbericht am Donnerstag letzter Woche reden sollen oder, besser gesagt: müssen. Heute ist vom Wirtschaftsministerium erstaunlicherweise niemand anwesend. Die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, die es in der letzten Wahlperiode gab und der einige von uns angehörten, hat gut zwei Jahre lang daran gearbeitet. Der Bundestag hat beschlossen, dass bei jeder Wachstumsdebatte auch über soziale und ökologische Fortschritte oder Rückschritte geredet werden soll. Das habe ich letzte Woche nicht gehört. Die Debatte vor einer Woche hat gezeigt, dass die von der Enquete-Kommission entwickelten zwanzig W3-Indikatoren, die Wohlstandsindikatoren, bislang in der Politik wirklich niemanden interessieren. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!) Der Witz war, dass sie vormals hochgelobt wurden, aber die Redner zum Jahreswirtschaftsbericht letzte Woche keine Ahnung davon hatten. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Damit die ökosoziale Flankierung aber nicht verloren geht, gibt es im Deutschen Bundestag, wenn wir nachher abgestimmt haben, endlich wieder den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung. Er begleitet schon seit zehn Jahren die nationale Nachhaltigkeitsstrategie und wirft auch einen Blick auf Europa. Wenn man sich die Nachhaltigkeitsstrategie dort ansieht, dann gruselt es einen manchmal. Man ist da irgendwie auf verlorenem Posten. Wir erstellen zudem regelmäßig einen Bericht zu einer entsprechenden Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes. Das ist der Unterschied zu dem, was die Enquete-Kommission gemacht hat: In der Nachhaltigkeitsstrategie haben wir nicht nur Indikatoren, sondern auch konkrete Ziele vorgegeben. So enthält die Nachhaltigkeitsstrategie beispielsweise im Hinblick auf die Reduzierung der Treibhausgasemissionen ein Ziel; sie sollen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Der Indikatorensatz der Enquete-Kommission soll nur dafür sorgen, dass irgendwo ein Lämpchen, ein Warnlämpchen oder ein Hinweislämpchen, blinkt. Meine Damen und Herren, bitte nicht lachen! Jene, die das in der letzten Wahlperiode beschlossen haben, meinten das wirklich ernst. Das ist das Traurige an dieser Geschichte. Werte Kolleginnen und Kollegen, damit der Nachhaltigkeitsbeirat in jeder Legislaturperiode neu eingesetzt werden kann, braucht es in jeder Fraktion Befürworter; wir haben sie gefunden. Wir haben einen gemeinsamen Entwurf zustande gebracht. Vor zehn Jahren haben wir die parlamentarische Begleitung der Umsetzung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie im Beirat in Gang gesetzt. Aber ich habe heute in dieser kurzen Debatte gemerkt: Kaum ein Wort wird derart missbraucht wie das Wort „nachhaltig“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb soll hier nochmal für alle buchstabiert werden, was das bedeutet: Bei einer nachhaltigen Entwicklung geht es darum, eine in sich geschlossene Wirtschafts- und Lebensweise zu finden, die die Würde des Menschen als Arbeitnehmer achtet – nicht nur hier, sondern weltweit – sowie die ökologischen Grenzen unseres Planeten respektiert. Kurz gefasst: Wir brauchen eine dauerhaft tragfähige Wirtschafts- und Lebensweise für jetzige und künftige Generationen gleichermaßen. Daran, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns in den nächsten vier Jahren arbeiten, mit neuen Projekten. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Carsten Träger ist der nächste Redner für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Carsten Träger (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als mittlerweile fünfter Redner stehe ich hier, und ich kann nicht anders: Auch ich werde das Hohelied der Nachhaltigkeit singen. Wie die vier Kolleginnen und Kollegen vor mir bin natürlich auch ich von dem Konzept überzeugt. Wie die vier Kolleginnen und Kollegen halte auch ich Nachhaltigkeit für unerlässlich, ja, für das entscheidende Kriterium für gute Politik. Ich sehe es aber ein bisschen so wie Frau Dr. Wilms: In dem allumfassenden Konsens liegt auch eine gewisse Gefahr. Wir führen den Begriff Nachhaltigkeit mittlerweile so häufig, bei so vielen Gelegenheiten, und das oft so unreflektiert, dass sich der geneigte Zuschauer unter Umständen manchmal gelangweilt abwendet. Es gibt inzwischen einen geradezu inflationären Gebrauch des Begriffs Nachhaltigkeit. Das Wort schmückt Hochglanzbroschüren von Konzernen. Keine politische Grundsatzrede kommt ohne einen Absatz zur Nachhaltigkeit aus. Auch was wir konsumieren, ist mittlerweile nachhaltig; Mode, Autos, sogar Urlaubsreisen sind nachhaltig. Der Begriff läuft Gefahr, fast alles zu meinen und damit dann auch wieder nichts. Hubert Weiger, der Vorsitzende des BUND, der übrigens auch aus meiner schönen Heimatstadt Fürth stammt, spricht sogar von einem Missbrauch des Begriffs. Ich zitiere: Ein bisschen weniger Straßenbau wird als nachhaltiger Straßenbau bezeichnet, ein bisschen weniger Schulden werden als nachhaltiges Haushalten charakterisiert. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht aber nicht!) Ich schlage vor, dass wir hier verbal ein bisschen abrüsten und dem Begriff wieder Trennschärfe geben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte jetzt nicht alles wiederholen, was meine Vorredner schon gesagt haben. Stattdessen möchte ich Ihnen kurz sagen, warum ich Nachhaltigkeit für wichtig halte. Worauf sollte sich ein enger gefasster Begriff von Nachhaltigkeit konzentrieren? Wo setzen wir die Schwerpunkte? Wir alle, die wir hier sitzen, kennen natürlich den Ursprung des Begriffs: Fälle niemals mehr Holz, als angepflanzt wird. – Das ist ein schönes, griffiges Bild, das zum Ausdruck bringt: Wirtschaftliches Handeln ist erlaubt, aber bitte nur mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit und auf das Gemeinwohl. Übertragen auf heute heißt das – das wurde schon gesagt –: Wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern ein intaktes ökologisches, ökonomisches und, ich betone, soziales Gefüge hinterlassen. In der öffentlichen Wahrnehmung steht im Zusammenhang mit dem Begriff Nachhaltigkeit meist die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie im Vordergrund. Ich schlage vor, dass wir den Fokus ein kleines bisschen hin zum sozialen Aspekt verschieben. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Bereiche Ökologie und Soziales eng miteinander verknüpft sind. Nachhaltigkeit kann es nur geben, wenn die Bereiche Soziales, Umwelt sowie wirtschaftliche Interessen gleichermaßen berücksichtigt werden. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass wir keine abgehobene Diskussion über das Thema Nachhaltigkeit führen. Sie sollte nicht bloß auf Gutverdiener abzielen, die im Biomarkt einkaufen können oder Hybridautos fahren. Im Gegenteil: Ich möchte, dass wir unseren Blick ein bisschen drehen und uns fragen: Wer sind die Leidtragenden von nicht nachhaltiger Politik? Das sind die Menschen, die an einer stark befahrenen Straße wohnen, weil die Mieten dort billiger sind, die aber unter Abgasbelastung und Lärm leiden müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das sind jene Menschen, die keine Bioprodukte kaufen, und zwar nicht, weil sie es nicht wollen; vielmehr können sie es nicht, weil die Produkte ein bisschen teurer sind. Nach meiner Vorstellung bedeutet mehr Nachhaltigkeit mehr soziale Gerechtigkeit, und mehr soziale Gerechtigkeit bedeutet mehr Nachhaltigkeit. So gesehen ist nachhaltige Politik nicht nur gute Politik, sondern auch sozialdemokratische Politik und christliche Politik, sie ist auch sozialistische Politik und grüne Politik. Hier schließt sich der Kreis. Denn wir alle beanspruchen für unsere Politik den Ansatz einer zukunftsfähigen Verbindung von Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Wir sind uns nicht nur heute, sondern generell einig, dass Nachhaltigkeit sehr wichtig für uns ist. Ich freue mich auf die Diskussion im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung. Wir sollten daran arbeiten, den Fokus zunächst ein bisschen und dann ein Stück weiter zu verschieben. In diesem Sinne übergebe ich jetzt an den sechsten Redner dieser Debatte. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. Übergeben dürfen Sie nicht, das darf nur ich. Wir gratulieren Ihnen von Herzen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünschen Ihnen viel Erfolg in diesem sehr wichtigen, auf die Zukunft bauenden Bereich. (Beifall) Jetzt übergebe ich das Wort dem nächsten Redner und begrüße Matern von Marschall für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Matern von Marschall (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wissen: Die Krise der Europäischen Union, die durchaus eine Krise der Nachhaltigkeit ist, ist keineswegs überwunden. Bedrückender finde ich heute allerdings eine ganz andere Krise. Mit Blick auf die Ukraine kann ich nur sagen: Derzeit befindet sich ganz Europa in einer Bewährungskrise. Wenn die Union ihren östlichen Nachbarn eine Partnerschaft anbietet, muss sie dafür sorgen, dass die Länder, denen sie die Partnerschaft anbietet, diese auch annehmen können, sonst ist eine Außenpolitik, die nachhaltig sein soll, nichts wert. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wäre nicht mehr als eine Worthülse. Darüber ist vorhin schon gesprochen worden. In der Ukraine kann es in allerletzter Minute vielleicht noch gelingen, das Allerschlimmste abzuwenden. Es kann der Weg in die Rechtsstaatlichkeit noch gebahnt werden, wenn die Europäische Union Klarheit und Entschlossenheit zeigt. Ob aber die Europäische Union auf Dauer, das heißt nachhaltig, stark ist, darüber entscheiden ihre Bewohner. Wenn ich einige Tage zurückschaue und mir den Volksentscheid in der Schweiz ansehe, erkenne ich, dass dort Ängste vor einer Außenwelt, die man als Bedrohung empfindet, zum Ausdruck gebracht wurden. Das muss uns als Warnhinweis dienen, auch für die Europäische Union, auch in die Europäische Union hinein. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Ängste auch bei uns vorhanden sind. Wir dürfen sie nicht ignorieren, sondern wir müssen den Menschen erklären, welchen Wert diese starke und stabile Europäische Union hat. Das ist eine Frage der Nachhaltigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Unser Ansatz ist also weder Rückzug noch Abschottung. Unser Ansatz ist nicht ein Kurs der Konfrontation, sondern ein Kurs der Kooperation, und zwar, weil wir überzeugt sind – das ist in unserem Menschenbild verankert –, dass der Mensch zur Zusammenarbeit, zur Kooperation geschaffen ist – und zur Toleranz. Das ist der Weg der Nachhaltigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Europäische Union hat gezeigt, dass sie Zukunft friedlich gestalten kann. Nach zwei Weltkriegen leben wir unterdessen fast 70 Jahre in Frieden – das gilt für eine halbe Milliarde Menschen auf diesem Globus – in freiheitlichen, in solidarischen, in friedlichen Rechtsstaaten. Zu dieser Europäischen Union gehören zum Beispiel auch Rumänien und Bulgarien. Stellen Sie sich einen Moment lang vor, in welcher Situation diese Länder sich befinden würden, wenn sie heute nicht Mitglieder der Europäischen Union wären. Stellen Sie sich einmal vor, wie zum Beispiel in Polen über diese Frage heute gedacht wird. Unsere Friedensgemeinschaft ist also – das sehen wir in diesen Tagen mit großer Bestürzung – nicht selbstverständlich, sondern wir müssen täglich daran arbeiten, sie täglich neu beleben und die Menschen von ihrem Wert überzeugen. Das ist nachhaltige Politik. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will auf die vielen anderen Politikfelder, die auch zur Nachhaltigkeit gehören und hier angesprochen worden sind, nicht näher eingehen: die soliden Haushalte, die Energiepolitik, die ganz wichtigen Themen, die Sie alle kennen. Ich wollte auf dieses aktuelle Thema in besonderer Weise eingehen, auf eine nachhaltige Außenpolitik. (Beifall bei der CDU/CSU) Schlüssel zum Erfolg einer Nachhaltigkeitspolitik – das möchte ich zum Schluss sagen – ist die Subsidiarität. Das heißt, wir müssen die Menschen vor Ort mitnehmen, einbeziehen und dürfen nicht ex cathedra eine Lehre von oben verkünden; das geht nicht. Wir müssen also die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Gegebenheiten vor Ort berücksichtigen. Nur dann kann Nachhaltigkeit gelingen. Der Parlamentarische Beirat bemüht sich darum. Wir möchten seine Arbeit stützen. Ich bitte Sie von Herzen: Tun Sie das auch. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. Wir gratulieren Ihnen von Herzen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag und hoffen, dass Sie in diesem Gremium, in diesem Bereich sehr viel Erfolg haben beim grenzüberschreitenden Denken und bei der Suche nach nachhaltiger Politik. (Beifall) Der letzte Redner in dieser Debatte ist Dr. Andreas Lenz für die CDU/CSU. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es schon gehört: Zum vierten Mal setzen wir heute den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung ein. Gibt man in der Suchmaschine Google den Begriff „Nachhaltigkeit“ ein, erscheinen ungefähr 6 590 000 Treffer. Gibt man den englischen Begriff „Sustainability“ ein, erscheinen gar 38 Millionen Treffer. Das sind Zahlen, die man sonst nur von Haushaltsberatungen gewohnt ist, die aber auch zeigen, dass der Begriff Relevanz hat, auch wenn er mittlerweile, wie wir schon gehört haben, inflationär verwendet wird. Der Begriff der Nachhaltigkeit stammt ursprünglich – wir wissen es alle – aus der Forstwirtschaft und beschreibt hier den Umstand, dass der Natur auf Dauer nicht mehr Ressourcen entnommen werden können, als sie imstande ist, selbst zu reproduzieren. Im sogenannten Brundtland-Bericht von 1987 wird Nachhaltigkeit als dann gegeben betrachtet, wenn die gegenwärtige Generation ihre Bedürfnisse befriedigt, ohne die zukünftigen Generationen zu gefährden. Die Konferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro 1992 definierte Nachhaltigkeit als ein Gleichgewicht unter Berücksichtigung ökologischer, ökonomischer und sozialer Faktoren. Diese Definition ist mittlerweile sehr weit verbreitet. Sie ist jedoch auch in ihren Zielkonflikten zu verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Beirat für nachhaltige Entwicklung übernimmt seit 2001 die langfristig angelegte Aufgabe, die nationale Nachhaltigkeitsstrategie dauerhaft parlamentarisch zu begleiten. Eine seiner wichtigsten Aufgaben ist die Nachhaltigkeitsprüfung bei Gesetzesfolgenabschätzungen. Der Beirat prüft sämtliche Gesetzentwürfe und Verordnungen der Bundesregierung unmittelbar nach Zuleitung an den Bundesrat auf ihre Nachhaltigkeit. Schauen wir uns einige politische Handlungsfelder im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung an. Zunächst einmal ist die finanzielle Nachhaltigkeit zu erwähnen. Gerade die Haushaltskonsolidierung kann als Teil einer nachhaltigen Politik für die folgende Generation verstanden werden. Hier leisten wir mit der Vorlage eines ausgeglichenen Haushalts ab 2015 einen wichtigen Beitrag. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Im Übrigen ist hier ein gesellschaftlicher Prozess zu spüren, der eine nachhaltige Haushaltspolitik ausdrücklich unterstützt. Nachhaltigkeit heißt aber auch Ressourcenschonung. Ein wichtiges Thema diesbezüglich ist der Flächenverbrauch, der immer noch zu hoch ist. So werden in Deutschland täglich rund 80 Hektar – das sind circa 120 Fußballfelder – neu versiegelt. Ein weiteres Handlungsfeld ist die Stärkung der Kreislaufwirtschaft. Unser Land ist hier bereits sehr gut aufgestellt und genießt weltweit hohes Ansehen. Müll ist in Deutschland eine wichtige Ressource. Lassen Sie mich das Potenzial, das wir hier haben, am Beispiel der Handyaltgeräte aufzeigen. In Deutschland liegen rund 106 Millionen Handyaltgeräte in den Schubladen der Bundesbürger. Diese Geräte enthalten viele wertvolle Rohstoffe wie Gold, Silber, Palladium oder Kupfer. Bei diesen besagten 106 Millionen Handys sind dies 3 Tonnen Gold, 30 Tonnen Silber, 1 900 Tonnen Kupfer, 151 Tonnen Aluminium und 105 Tonnen Zinn. Hinzu kommen Seltene Erden, die sonst in hohem Maße auf anderen Wegen beschafft werden müssen. Das bedeutet: Wir müssen das Potenzial der Kreislaufwirtschaft noch stärker nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber auch der Verbraucher hat mit seiner Kaufentscheidung enormen Einfluss darauf, welche Produkte sich auf dem Markt behaupten. Es wird deswegen künftig noch stärker darauf ankommen, das Bewusstsein für nachhaltige Produkte zu schärfen. Dies kann auch durch mehr Transparenz – Stichwort „Kennzeichnung“ – geschehen. Da es um die Zukunft der nächsten Generation geht, beinhaltet eine nachhaltig angelegte Politik immer auch eine moralische Komponente. Jede Nachhaltigkeit braucht ein Stück weit Gemeinsinn und – vor allem deshalb, weil sie in die Zukunft gerichtet ist – Verantwortung. Nachhaltigkeit bedeutet auch Rücksicht auf die kommenden Generationen und ein Hintanstellen egoistischer und kurzfristiger Bedürfnisse. Vielleicht heißt nachhaltiges Wirtschaften auch ein Stück weit Verzicht. Für die Arbeit des Parlamentarischen Beirats für Nachhaltigkeit wird weiterhin entscheidend sein, dass wir uns über die Fraktionsgrenzen hinweg auf langfristige Ziele verständigen. Dass dies zeitintensiv ist, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Aber, ich glaube, es lohnt sich, dass wir miteinander um diesen Konsens ringen. Ich habe heute im Laufe des Tages mitgezählt, wie oft das Wort „Nachhaltigkeit“ vor dieser Debatte verwendet wurde und bin auf 25 Mal gekommen. Daran sieht man – das wurde ja schon gesagt –, wie inflationär das Wort verwendet wird, aber auch, wie wichtig das Wort ist. „Nachhaltigkeit“ ist ohne Zweifel ein Modewort geworden, auch ein Schlagwort, und manchmal ist es, wie wir gehört haben, eine Worthülse. Lassen Sie uns versuchen, den Begriff mit neuem Leben zu füllen. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit im Beirat mit nachhaltigen Ergebnissen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. – Auf die nachhaltigen Ergebnisse freuen wir uns alle. Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den interfraktionellen Antrag auf Drucksache 18/559 zur Einsetzung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist einstimmig angenommen. Ich wünsche von Herzen eine gute Arbeit in diesem wirklich wichtigen Gremium. Damit ist der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung eingesetzt. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke! Sehr schön!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige abschaffen Drucksache 18/556 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Der erste Redner in der Debatte ist Klaus Ernst für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute sprechen wir die zweite Woche hintereinander über dieses Thema. Trotzdem noch einmal: Um was geht es uns? Es geht uns darum, dass wir die strafbefreiende Selbstanzeige abschaffen wollen. Warum? Es gibt eigentlich in § 370 der Abgabenordnung die klare Regelung: Steuerhinterziehung wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft, in besonders schweren Fällen sogar mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Ich weiß nicht, ob das auch Ihnen aufgefallen ist. Mir ist aufgefallen, dass, obwohl wir dauernd von schweren Fällen der Steuerhinterziehung hören, niemand sitzt. Keiner! Offensichtlich gibt es bei uns Möglichkeiten, sich bei Steuerhinterziehung von der Strafe zu befreien, sozusagen die Möglichkeit der Strafhinterziehung. Meine Damen und Herren, ich denke, dass wir dieses Thema sehr ernst nehmen müssen, weil in der Bevölkerung langsam der Eindruck entsteht: Die Großen lässt man laufen, und die Kleinen gehen in den Knast. Warum ist das so? Warum kann man sich bei Steuerhinterziehung sozusagen der Strafe entziehen? Weil wir die §§ 371 und 398 a der Abgabenordnung haben, die besagen, dass es automatisch – das unterscheidet diesen Punkt von vielen anderen – zu keiner Strafe kommt – automatisch! –, wenn der Steuerhinterzieher sich selbst anzeigt, die Steuern nachzahlt – nicht alles, sondern nur für einen bestimmten Zeitraum – und in besonders schweren Fällen 5 Prozent Strafsteuer zahlt. Dann wird von einer Strafverfolgung automatisch abgesehen. Das heißt, man ist auch nicht vorbestraft. Man muss im Gegensatz zu vielen anderen, die eine Straftat begangen haben, vor keinen Richter. (Zuruf von der CDU/CSU: Zinsen muss man auch zahlen! – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Steuerschulden muss man ja auch nachzahlen!) – Ja, Zinsen muss man auch zahlen. Wer die zahlt, wird sich hinterher wahrscheinlich vom Balkon stürzen. Meine Damen und Herren, da fragt man sich als Bürger natürlich: Ist das eigentlich gerecht? Natürlich fragt sich auch der kleine Ladendieb, der vor den Richter muss: Ist das in Ordnung? Der Verkehrssünder, der Zechpreller, der Kleinkriminelle, alle fragen sich: Ist das eigentlich okay? Auch wenn es um relativ geringe Beträge geht, müssen sie zumindest vor den Richter. Der Richter hat dann die Möglichkeit, zu entscheiden: Ist das ein ganz besonders schlimmes Vergehen? Muss der in den Knast oder nicht? – Bei Riesenbeträgen greift aber die Automatik, dass man sich nicht einmal für seine Tat zu verantworten hat. Meine Damen und Herren, unser Antrag will – deshalb stellen wir ihn – wieder Gleichheit vor dem Recht für alle Bürger herstellen; das ist das Ziel unseres Antrags. Das haben wir gegenwärtig nämlich nicht. Genau aus diesem Grund erscheint die Straftat Steuerhinterziehung dem Bürger nach wie vor als Kavaliersdelikt. Ich habe in der letzten Woche viele Reden gehört, in denen es hieß: Ja, aber wir wollen nicht, das ist kein Kavaliersdelikt. (Margaret Horb [CDU/CSU]: Das haben wir gar nicht gesagt!) Durch die Straffreiheit machen wir Steuerhinterziehung jedoch zum Kavaliersdelikt. Deshalb müssen wir das Ganze ändern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir schlagen vor, die Strafbefreiung bei Selbstanzeige abzuschaffen; dann ist alles wieder im Lot und jeder wird gleich behandelt. Ich freue mich, dass der Kollege Andreas Schwarz von der SPD in der Debatte letzte Woche gesagt hat: Wer trotz der aktuellen Debatte künftig Steuern hinterzieht und somit den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land Schaden zufügt, der sollte sich nicht mehr auf Strafbefreiung verlassen dürfen. Genau darum geht es. Dann kann der Richter abwägen, wie schwer die Straftat eigentlich ist; aber es gibt keine Automatik mehr. Herr Schwarz hat eine Übergangsfrist für das Auslaufen der aktuell gültigen Regelung vorgeschlagen. Das kann man machen für eine bestimmte Zeit; aber dann muss Schluss sein. Natürlich müssen wir Bagatellen regeln: Wenn einer bei seiner Steuererklärung eine Frist nicht eingehalten hat, ist das sicherlich anders zu werten, als wenn einer Millionenbeträge hinterzogen hat. Über einige Argumente in der letzten Debatte habe ich mich gewundert, meine Damen und Herren. Hans Michelbach hat letzte Woche gesagt: „Es ist nicht verboten, Geld im Ausland anzulegen.“ Der ist aber schlau! Als wäre es in der Debatte darum gegangen, dass man kein Geld mehr im Ausland anlegen dürfe. Also, mit welcher Ernsthaftigkeit manchmal die Debatten hier geführt werden, da dreht es einem ja wirklich langsam den Magen um. Dann hat er gesagt: Damit wären wir beim eigentlichen Thema der heutigen Aktuellen Stunde. Diese Debatte mit der Attitüde des Klassenkampfes zu führen … Also wenn man fordert, dass sich bitte schön auch Steuersünder vor dem Kadi zu verantworten haben, dann ist das schon Klassenkampf? Für jemanden, der so denkt, muss dann eine Ansammlung von drei Bürgern mit Plakaten schon Bürgerkrieg sein. Da kann ich wirklich nicht mehr folgen, meine Damen und Herren. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie wollten eine sachliche Debatte führen! Mann, Mann, Mann!) – Dann gehen Sie einmal zu Herrn Michelbach; er hat die Debatte so begonnen. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Ich denke, ich höre Sie jetzt!) Herr Graf Lerchenfeld, ich habe auch Ihnen genau zugehört. Sie haben gesagt, auch Brandstifter könnten Strafbefreiung bekommen: wenn sie löschen. Das Einzige, was mir an diesem Argument gefällt, ist, dass Sie Steuerhinterzieher mit Brandstiftern vergleichen. An diesem Vergleich ist was dran: Das eine betrifft vielleicht ein Häuschen, das andere das Klima in der Gesellschaft. Sie haben jedoch vollkommen vergessen, darauf hinzuweisen, dass derjenige, der ein Haus angezündet hat, sich in jedem Fall vor einem Richter verantworten muss, der prüft, ob er auch anständig gelöscht hat und nicht nur ein wenig gespritzt hat. Genau das ist das Problem bei der strafbefreienden Selbstanzeige: Kein Richter prüft, was der Steuerhinterzieher eigentlich wirklich gemacht hat. Meine Damen und Herren, warum hat sich denn Herr Hoeneß angezeigt, Herr Graf Lerchenfeld? Weil er tätige Reue zeigen wollte? War es tätige Reue bei Herrn Hoeneß? Herr Graf, das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Herr Hoeneß hat sich angezeigt, weil er aufgeflogen war. Er hat zu diesem Mittel gegriffen, um sich letztendlich vor dem Knast zu retten. Vielleicht gelingt ihm das jetzt nicht – das ist eine andere Frage –; aber das war sein Motiv. Mit der Strafbefreiung bei Selbstanzeige hat das nur insofern etwas zu tun, als dass sie dazu beigetragen hat, dass der Fall in die Öffentlichkeit kam. Ein letztes Argument; dann bin ich auch gleich fertig, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja – ein letztes! Klaus Ernst (DIE LINKE): Da ging es um die Frage „Volle Kassen statt voller Gefängnisse“. Wenn das im Strafrecht zu Ihrem Prinzip wird, dann bin ich gespannt darauf, wie unser Land künftig aussieht. Ich sage zum Schluss: Wir brauchen Rechtsgrundsätze, die für alle gelten, und wir brauchen ein Klima in unserem Land, das so beschaffen ist, dass es den reicheren Bürgern auch nicht gelingt, sich von Strafverfolgung freizukaufen – so wie es jetzt Tatbestand ist. (Beifall bei der LINKEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ach nein! – Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU]: Wir sind alle gleich!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. Als Nächste hat das Wort Bettina Kudla für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Metin Hakverdi [SPD]) Bettina Kudla (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke – wir haben es gerade von Herrn Ernst gehört – fordert in ihrem Antrag die Abschaffung der angeblichen Straffreiheit bei Steuerhinterziehung bei einer Selbstanzeige. Als Begründung führen Sie an, dass keine Strafverfolgung erfolgen würde. Bemerkenswert ist: Die Erzielung von Steuereinnahmen zuzüglich Zinsen durch das Eintreiben von hinterzogenen Steuern spielt in Ihrem Antrag überhaupt keine Rolle. Steuerhinterziehung ist eine Straftat, und wer bei Steuerhinterziehung durch die Strafverfolgungsbehörden erwischt wird, hat sich in Deutschland strafrechtlich zu verantworten. Leider wird Steuerhinterziehung in vielen Fällen aber nicht entdeckt. Daher wurde vor Jahrzehnten das wirksame Instrument der Selbstanzeige geschaffen. Die Finanzbehörden sind nämlich darauf angewiesen, dass der Steuerpflichtige richtige und vor allem vollständige Angaben macht. Die Abschaffung der Selbstanzeige würde nicht zwangsläufig zu weniger Steuerhinterziehung führen. Im Gegenteil! Die Finanzbehörden können Steuerhinterziehung nämlich in der Regel nicht aufdecken, wenn der Steuerpflichtige nicht mitwirkt. Das Instrument der Selbstanzeige wurde vor fast drei Jahren durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz verschärft. Die Selbstanzeige ist folglich nicht mehr als Gestaltungsinstrument für Steuerhinterziehung nutzbar. Selbstverständlich muss die Selbstanzeige aber weiterhin als Korrekturmöglichkeit, insbesondere bei der Umsatzsteuer, bestehen bleiben. Durch den Strafzuschlag von 5 Prozent bei größeren Beträgen stellt sich der Steuerhinterzieher schlechter als der steuerehrliche Bürger. Das ist der springende Punkt, und den haben Sie in Ihren Ausführungen verschwiegen, Herr Ernst. Wer gegen Steuerhinterziehung vorgehen will, muss sich vor allem aber auch dem Thema Steuervermeidung widmen. Wir leben in einer globalisierten Volkswirtschaft. Internetunternehmen und Unternehmen mit einem hohen Exportanteil haben es etwas leichter, die Steuerpflicht von einem Land in ein anderes zu verschieben. Sie können sich also viel leichter der Besteuerung entziehen als andere Unternehmen. Wir müssen daher gegen aggressive Steuergestaltung vorgehen. Das Regelwerk, welches die OECD zum automatischen und grenzüberschreitenden Informationsaustausch vergangene Woche vorgelegt hat, wurde von der Bundesregierung begrüßt, und auch der Koalitionsvertrag enthält in dem Kapitel „Steuerhinterziehung bekämpfen – Steuervermeidung eindämmen“ wichtige steuerpolitische Ziele, wie zum Beispiel die Bekämpfung der doppelten Nichtbesteuerung und des doppelten Betriebsausgabenabzugs. Die DBAs sollten diesbezüglich überprüft werden. Insbesondere der Betriebsausgabenabzug bei Geschäftsbeziehungen mit Briefkastenfirmen ist ebenfalls kritisch zu hinterfragen. Wir brauchen mehr Transparenz in Steuersachen, und zwar insbesondere in den Branchen, in denen Steuerhinterziehung besonders leicht möglich ist, nämlich in der Finanzbranche und in der Rohstoffbranche. Wir wollen Besteuerungslücken schließen. Das schaffen wir insbesondere mit einem verbesserten Informationsaustausch. Es gilt, diesen Teil des Koalitionsvertrages trotz aller Komplexität und Hürden zügig umzusetzen; (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) denn das liegt nicht nur im Interesse der öffentlichen Haushalte, sondern das ist auch eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit. Kleine und mittelständische Unternehmen sind hier gegenüber großen Unternehmen häufig benachteiligt, da sich große Unternehmen leichter der Besteuerung entziehen können. Ich warne allerdings vor einem Generalverdacht und vor einer zu emotionalen Debatte. Nicht jeder große Konzern begeht Steuerhinterziehung. Grundsätzlich gilt: Ziel aller Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung ist meines Erachtens nicht, die Leute unbedingt in den Knast zu bekommen, Ziel der Maßnahmen ist in erster Linie, die Steuern einzutreiben. Der Staat muss das eintreiben, was ihm gesetzlich zusteht. Die Steuergesetze müssen eingehalten werden. Wir müssen uns immer fragen: Was steht denn jetzt im Vordergrund: die strafrechtliche Verfolgung oder die Zahlung von Steuern? Steuern stehen der Allgemeinheit zu. Wer hier die Abschaffung der Selbstanzeige fordert, der verhindert Steuereinnahmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zusatzfrage oder Bemerkung von Herrn Ernst? Bettina Kudla (CDU/CSU): Bitte schön. Vizepräsidentin Claudia Roth: Kollege Ernst, bitte. Klaus Ernst (DIE LINKE): Herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Wenn ich Sie richtig verstehe, ist bei Ihnen das oberste Motiv des Strafrechts, die Einnahmen des Staates zu erhöhen, oder habe ich Sie da falsch verstanden? (Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie falsch verstanden!) Sie haben gerade gesagt: Wir wollen mit diesem Instrument dazu beitragen, zu möglichst hohen Einnahmen für den Staat zu kommen. Das ist gut und schön; das wollen wir ja auch. Aber es handelt sich hier um eine Straftat, die unterschiedlich behandelt wird. Wenn dieser Grundsatz prinzipiell gelten würde, dann wäre es nicht das oberste Ziel der Strafverfolgung, künftige Straftaten durch Androhung einer Strafe zu vermeiden, sondern das oberste Ziel wäre es dann, die Einnahmen des Staates zu fördern. Würde das dann allgemein gelten oder nur bei Steuerhinterziehung? Bettina Kudla (CDU/CSU): Sie führen die Diskussion ideologisch. (Zuruf von der LINKEN: Niemals!) Oberstes Ziel der Steuergesetze ist es, die Steuern einzutreiben. Wie ich bereits sagte: Steuerhinterziehung ist strafbar. Die Selbstanzeige ist ein Instrument, das zu mehr Steuerehrlichkeit beiträgt. Machen wir uns nichts vor: Wenn wir das Instrument der Selbstanzeige abschaffen, dann werden wir der Steuerhinterziehung kaum beikommen. Wir werden diese Straftaten schlichtweg nicht aufdecken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nach wie vor gilt die Regelung: Wer Steuern hinterzieht, macht sich strafbar. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wird aber nicht besteuert!) Durch die Zahlung des Strafzuschlages von 5 Prozent erlangt der Steuerpflichtige zwar Straffreiheit, aber er muss diese Strafe zahlen. Damit ist es für den Staat erheblich günstiger. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Er ist nicht einmal vorbestraft!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut, danke schön. Weiter in Ihrer Rede! (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Bettina Kudla (CDU/CSU): Lassen Sie mich noch ein paar Worte zur Schweiz sagen. Die Ausgangslage für Gespräche mit der Schweiz ist nach der Ablehnung des bilateralen deutsch-schweizerischen Steuerabkommens durch den Bundesrat und auch nach dem aktuellen Schweizer Referendum zur Zuwanderung nicht einfacher geworden. Trotzdem sollte man hier den Willen des Volksentscheids akzeptieren. Aber die Europäische Kommission sollte gleichzeitig die Gespräche mit der Schweiz über die Revision des Zinsbesteuerungsabkommens fortsetzen. Fazit: Es gilt, den Koalitionsvertrag umzusetzen und die Regelungen zur Selbstanzeige gegebenenfalls zu verschärfen, sobald die Vorschläge der Arbeitsgruppe, welche von der Finanzministerkonferenz eingesetzt wurde, vorliegen. Keinesfalls darf die Verschärfung aber dazu führen, dass die Selbstanzeige wirkungslos wird und dass sich faktisch niemand mehr anzeigt. Die Regelung zur Selbstanzeige ist übrigens nicht mit der Zielrichtung der Abschaffung in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden, – Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit. Bettina Kudla (CDU/CSU): – sondern mit der Absicht, diese zielgenauer auszugestalten. Der Antrag der Linken ist abzulehnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist Lisa Paus für Bündnis 90/Die Grünen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ging in Hessen am Amtsgericht Eschwege ein Prozess gegen drei Jugendliche zu Ende. Den dreien drohte bis zu fünf Jahren Gefängnis, und zwar dafür, dass sie im Juni letzten Jahres weggeworfene Lebensmittel aus einem Abfallcontainer eines Supermarktes genommen haben sollen, um auf die Verschwendung von Lebensmitteln aufmerksam zu machen und sie der Tafel für Bedürftige zu übergeben. Fünf Jahre Gefängnis! (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Haben sie ja nicht bekommen!) Gegen dieses Strafverfahren hat sich aus meiner Sicht völlig zu Recht eine Welle der Empörung entwickelt. Vor gut zwei Stunden ist nun der salomonische Urteilsspruch erfolgt: Die drei Jugendlichen sind aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Das ist die gute Nachricht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber das Entwenden von Lebensmitteln aus Müllcontainern ist weiterhin eine schwere Straftat. Das ist die schlechte Nachricht, meine Damen und Herren. Warum erzähle ich das heute? Weil sich an diesem Fall einmal mehr zeigt, wie sich das Gerechtigkeitsempfinden und geltendes Recht einander in Deutschland widersprechen. Es ist kaum zu vermitteln, dass Alice Schwarzer straffrei davonkommt, weil sie ihre Steuerhinterziehung selbst beim Finanzamt angezeigt hat, während die Staatsanwaltschaft junge Menschen wegen einer Weiterverwendung bereits weggeworfener Lebensmittel anklagt. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Linken, es greift dennoch deutlich zu kurz, jetzt einfach im Umkehrschluss ebenso drakonische Strafen schon für kleinste Steuerhinterzieher einzufordern, (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das wollen wir nicht!) zumal die Abschreckungswirkung von hohen Strafen ohnehin zweifelhaft ist. Entscheidend ist das Entdeckungsrisiko. Daran wollen wir arbeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grünen wollen die strafbefreiende Selbstanzeige nicht abschaffen. Aber wir wollen sie überflüssig machen. Das geht zunächst einmal, indem wir das Entdeckungsrisiko deutlich erhöhen. Das schaffen wir erstens mit Transparenz, zweitens mit mehr Transparenz und drittens mit noch mehr Transparenz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Philipp Graf Lerchenfeld [CDU/CSU]: Das ist ja super! Klasse!) In diesem Zusammenhang ist uns Grünen zusammen mit der SPD mit der Verhinderung des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens ein entscheidender Durchbruch für eine europäische Dynamik zugunsten von mehr Transparenz gelungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Antje Tillmann [CDU/CSU]: Es fehlen jetzt 10 Milliarden!) Denn seitdem wissen die Steuerbetrüger: Es wird in Deutschland keine anonyme Amnestie für Steuerhinterziehung im Ausland geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber es muss weitergehen. Die Instrumente dafür liegen auf dem Tisch: Erstens. Wir brauchen einen automatischen Informationsaustausch nicht nur für Zinsen, sondern für alle Kapitalerträge in der EU und im Übrigen auch mit Nicht-EU-Ländern wie der Schweiz. Zweitens. Wir machen einen automatischen Informationsaustausch in allen Doppelbesteuerungs- oder Steuerinformationsabkommen mit anderen Staaten verpflichtend. Drittens. Wir wollen die Abschaffung der Abgeltungsteuer in Deutschland, damit auch in Deutschland Kapitaleinkünfte nicht mehr anonym bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber auch die derzeitigen Regelungen für die strafbefreiende Selbstanzeige gehören auf den Prüfstand. Denn nach den derzeitigen Regelungen ist der Ehrliche noch immer zu oft der Dumme. Wer wie Alice Schwarzer über 20 Jahre Steuern auf Erträge von Auslandskonten nicht gezahlt hat und sich dann selber anzeigt, für den hat es sich wegen der geltenden Verjährungsfristen eben doch noch gelohnt, Frau Kudla. Das ist nicht in Ordnung, und das wollen wir ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Von der strafbefreienden Selbstanzeige darf kein zusätzlicher Anreiz zur Steuerhinterziehung ausgehen. Wir wollen auch über die Höhe des Steuerzuschlages und darüber reden, warum ein Zuschlag erst ab 50 000 Euro fällig wird. Schließlich wollen wir auch über die Mindeststrafen reden. Wir wollen sie überprüfen, damit wir diese klare Dreiteilung haben. Der Steuerehrliche muss belohnt werden. Das ist das, was wir wollen. Die strafbefreiende Selbstanzeige ist etwas dazwischen. Wer trotz alledem immer noch weiter Steuern hinterzieht, muss mit entsprechenden Strafen rechnen. Für eine entsprechende Reform stehen wir bereit und hoffen, dass Sie das in den nächsten Wochen entsprechend angehen werden. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. Jetzt kann ich die Redezeit, die Sie nicht gebraucht haben, niemand anderem gutschreiben. Aber gut. Nächster Redner in der Debatte ist Metin Hakverdi für die SPD. (Beifall bei der SPD) Metin Hakverdi (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema strafbefreiende Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, deren Abschaffung die Linke heute wieder einmal fordert, haben wir im Rahmen der Aktuellen Stunde in der letzten Woche ausführlich besprochen. Die wesentlichen Argumente wurden vorgetragen und ausgetauscht. Wir können das jede Woche wiederholen, wenn Sie wünschen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir haben einen Antrag gestellt! Das ist doch ein Unterschied!) – Ich komme gleich darauf zurück, durchaus versöhnlich, Herr Ernst. Die Debatte hat aufgezeigt – das kann man im Protokoll nachlesen –, dass wir durchaus einen Konsens im Hause haben, dass wir alle gemeinsam mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland wollen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Steuergerechtigkeit ist eines der Kernanliegen der SPD-Fraktion. Auch wir wollen an dem Erreichen des Ziels mehr Steuergerechtigkeit konsequent weiterarbeiten. Keine Einigkeit haben wir darüber erzielt, wie dieses Ziel mehr Steuergerechtigkeit erreicht werden kann. Mit der Union haben wir uns zuerst darauf geeinigt, die Steuerhinterziehung stärker zu bekämpfen. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart – darüber war schon einiges zu hören –, dass wir gegen grenzüberschreitende Gewinnverlagerungen von international operierenden Unternehmen vorgehen werden. Wir haben vereinbart, dass wir auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene weiter konsequent gegen Steuervermeidung durch Nutzung von Offshorefinanzplätzen vorgehen wollen. Außerdem haben wir vereinbart, dass wir im Lichte des Berichts der Finanzministerkonferenz die Regelung zur strafbefreienden Selbstanzeige, deren Abschaffung Sie eilfertig fordern, weiterentwickeln und verschärfen wollen. Wenn man das Ziel mehr Steuergerechtigkeit konsequent ansteuert, dann genügt es eben nicht, einen einzelnen Baustein aus dem System der Steuergestaltung zu betrachten und zu kritisieren. Mehr Steuergerechtigkeit werden wir nur dann erreichen, wenn wir ein Bündel verschiedener Maßnahmen weiterentwickeln und aufeinander abstimmen. Die Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige allein wird eben nicht zu mehr Steuergerechtigkeit führen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit der Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige allein werden Steuerbetrüger nicht zu rechtschaffenen Bürgern, die sich in die Schlange vor dem Finanzamt einreihen, um ihre Steuern zu zahlen. (Beifall bei der SPD) Wenn die strafbefreiende Selbstanzeige allein abgeschafft würde, würden in diesem Land künftig – so paradox das klingen mag – mehr Steuern hinterzogen. Wenn wir Ihrem Antrag heute folgen würden: Was würde sich für die Menschen, die bisher Steuern hinterzogen haben, ändern? Durch die ersatzlose Streichung der strafbefreienden Selbstanzeige machen wir die Tür zu, durch die diese Menschen bisher gehen können, um ihrer Steuerpflicht nachzukommen. Hierdurch bekommt der Staat Einnahmen in nennenswerter Höhe: 3 Milliarden Euro. Das ist viel Geld. Wenn wir allein das Institut der Selbstanzeige abschaffen würden, bekämen wir auch mit dem Ankauf von Steuer-CDs eine so hohe Summe nicht herein. Die strafbefreiende Selbstanzeige ist in weiterer Hinsicht nützlich. Durch sie bekommen wir wichtige Hinweise auf weitere Steuerstraftaten; denn in diesen Verfahren sind die Steuerbürger zur Mitwirkung bei der Aufklärung verpflichtet. Es gibt kein Zeugnisverweigerungsrecht. Alle Steuersachen müssen lückenlos aufgedeckt werden. Solche wichtigen Informationsquellen würden verschüttgehen, wenn wir dem Antrag der Linken folgten. (Beifall bei der SPD) Die Steuerfahnder würden in der Praxis tatsächlich weniger Steuerstraftaten aufdecken. Im Ergebnis muss man also fragen: Worauf kommt es uns bei der Steuergerechtigkeit an? Wollen wir gesinnungsethisch oder verantwortungsethisch entscheiden? Ist es uns bei der Steuergerechtigkeit wichtiger, sagen zu können: „Wir haben die richtige Gesinnung“, oder ist es uns wichtig, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen tatsächlich ihre Steuern zahlen? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Wahrheit ist: Wir wollen beides. Wir wollen auch dem Gerechtigkeitsempfinden der Gesellschaft Rechnung tragen. Der Bericht der Bund-Länder-Fachgruppe zur Evaluierung der §§ 371 und 398 a der Abgabenordnung hat gute Vorschläge gemacht. Diese sollten wir aufgreifen und fortentwickeln. Zum Beispiel sollen bei einfacher Steuerhinterziehung vollständige Angaben zu dem für die Nachversteuerung relevanten Zeitraum gemacht werden. Mit Blick auf diese Erkenntnisse sollten wir darüber diskutieren, ob wir die strafbefreiende Selbstanzeige in Fällen schwerer Steuerstraftaten tatsächlich abschaffen wollen. Das haben wir schon vor einigen Jahren vorgeschlagen. Wir wollen keinen Ablasshandel für Superreiche und Schwerkriminelle, die sich teure Berater bei der Selbstanzeige und beim Zuschlag leisten können. Das Papier der Bundesländer enthält weitere Vorschläge, über die wir diskutieren und die wir für eine Novellierung dieses Instruments heranziehen sollten. Im Ergebnis ist festzuhalten: Solange wir ein internationales Umfeld von sogenannten Steueroasen haben, ist es richtig, wenigstens die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige zu haben. Aber die Steuergerechtigkeit und das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung verlangen, dass wir die Brücke zur Straffreiheit durch die Selbstanzeige neu justieren. Hierfür ist der Bericht der Bund-Länder-Facharbeitsgruppe zur Evaluierung der §§ 371 und 398 a der Abgabenordnung eine gute Diskussionsgrundlage. Wir werden Ihren Antrag deshalb ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Metin Hakverdi. Das ganze Haus gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. (Beifall) Nächster Redner in der Debatte ist Philipp Graf Lerchenfeld. (Beifall bei der CDU/CSU) Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Wissen Sie, Kollege Ernst, durch ständiges Behaupten von Halbwahrheiten werden Tatsachen und Fakten nicht verändert, und falsche Behauptungen werden einfach auch nicht wahrer. (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wieder eine gräfliche Lebensweisheit!) Vielleicht erziele ich mit der Wiederholung meiner Darstellung aus der Aktuellen Stunde der letzten Woche einen gewissen Lernerfolg bei Ihnen. Man sagt ja: Repetitio est mater studiorum. Frei übersetzt: Die Wiederholung ist die Mutter des Lernerfolgs. Oder: Wenn ich es Ihnen oft genug sage, kapieren auch Sie es vielleicht einmal. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will es noch einmal ganz deutlich sagen: Steuerhinterziehung ist nicht die einzige Straftat, bei der eine Selbstanzeige zur Straffreiheit führen kann. Sie haben das Beispiel des Brandstifters selbst genannt. Hier sollten Sie in das Gesetz schauen. Dort steht nämlich, dass schon der Versuch des Löschens dazu führen kann, dass Straffreiheit gewährt wird. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Kann, Herr Graf, aber nicht muss!) Gleiches gilt für die Hinterziehung von Sozialabgaben, bei Geldwäsche, bei Geldfälschung, bei Subventionsbetrug, und es gibt, worauf ich hingewiesen habe, sogar eine Straffreiheitsregelung im Parteiengesetz. Wir sind uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg einig, dass Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt ist. Steuerhinterziehung ist Betrug an der Gesellschaft und muss deshalb entsprechend verfolgt und bestraft werden. In Ihrem Antrag, Kollege Ernst, wird auch korrekt darauf hingewiesen, dass das Steuerstrafrecht in der letzten Legislaturperiode erheblich verschärft worden ist. Außerdem haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart – das haben Sie allerdings nicht in Ihren Antrag geschrieben –, dass wir weitere Maßnahmen für notwendig halten. Nun aber wegen der spektakulären Fälle, die in letzter Zeit durch die Medien gegangen sind, gleich die Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige zu fordern, heißt doch, das Kind mit dem Bad auszuschütten, und ist wirklich nichts anderes als schnöder Populismus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, Ihnen geht es doch gar nicht darum, vermeintliche Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Sie versuchen, mit Ihrem Antrag alle finanziell besser situierten Bürgerinnen und Bürger erst einmal unter einen Generalverdacht zu stellen. In Ihrer Vorstellungswelt ist anscheinend jeder, der Vermögen besitzt, per se ein Straftäter, den der Staat durch die strafbefreiende Selbstanzeige schützen will. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist doch Unsinn! Woher haben Sie die Weisheit, Herr Graf?) Sie sprechen vom gleichen Recht für alle. Bei Steuerhinterziehungen, bei denen durch eine umfassende Selbstanzeige Straffreiheit gewährt wird, geht es doch nicht nur um die spektakulären Fälle, sondern es geht zum Beispiel auch um Eltern, die weiter Kindergeld beziehen, weil sie das Alter ihrer Kinder in der Steuererklärung nicht angegeben haben. Es geht auch um den Rentner, der glaubt, seine Rente nicht versteuern zu müssen, oder um den Lehrer, der wider besseres Wissen ein Zimmer seines Hauses als Arbeitszimmer angibt, oder um die eigentlich ehrlichen Bürger, die in Unkenntnis unseres wirklich komplizierten Steuerrechts fehlerhafte Erklärungen abgeben. In allen diesen Fällen hilft die Strafbefreiung bei Selbstanzeige, den Weg zur Steuerehrlichkeit wieder zu öffnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Finanzbehörden sind gehalten, alle steuerlichen Sachverhalte zu erfassen. Es ist schon gesagt worden, dass hierzu die Mitwirkung der Steuerpflichtigen notwendig ist und eine Strafbefreiung auch dazu führt, dass bei einer Selbstanzeige alle Tatsachen aufgeklärt werden. Sonst hätte der Steuerbetrüger ein Aussageverweigerungsrecht, und wir würden nicht zu den angestrebten Ergebnissen kommen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung vom Kollegen Ernst? (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Nein, nicht schon wieder!) Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Vom Kollegen Ernst immer besonders gerne. Vizepräsidentin Claudia Roth: Echt? Gut, dann Kollege Ernst. Klaus Ernst (DIE LINKE): Danke schön. – Das scheint der Beginn einer grenzenlosen Freundschaft zu werden. Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Das müssen wir noch abwarten, würde ich sagen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Klaus Ernst (DIE LINKE): Ich wollte Sie, Herr Graf, darauf hinweisen, dass wir genau die Delikte, die Sie ansprechen, mit der Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige nicht erfassen wollen und sie deshalb ausnehmen. Wenn Sie unseren Antrag gelesen hätten, wüssten Sie das. Vielleicht ist es Ihnen auch entgangen. Es heißt dort – ich möchte zitieren –: Die Institution der strafbefreienden Selbstanzeige dient auch als Korrekturmöglichkeit von nicht absichtlich begangenen Fehl- oder Falschangaben. Dies betrifft insbesondere den Bereich der komplexen umsatzsteuerlichen Melde- und Erklärungspflichten. Leichtfertige Steuerverkürzung ist nicht gleichzusetzen mit bewusster Steuerhinterziehung. Genau diesen Punkt greifen wir also auf. Wir wollen nicht, dass Steuerhinterziehung in Millionenhöhe mit der Tat von jemandem gleichgesetzt wird, der vielleicht vergessen hat, seine Steuererklärung rechtzeitig abzugeben. Genau das wollen wir nicht. Insofern stimme ich Ihnen vollkommen zu, dass wir das Ganze entsprechend regeln müssen. Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Wenn Sie mir so weit zustimmen, dann könnte das mit der Freundschaft vielleicht noch etwas werden. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Eben, eben!) Ich möchte Ihnen nur sagen: Sie fordern gleiches Recht für alle. Gleichzeitig sagen Sie, dass die reichen und superreichen Steuerbetrüger stärker als die anderen bestraft werden sollen. Steuerhinterziehung ist grundsätzlich eine Straftat, und das gilt für jeden, in welcher Höhe er auch immer Steuern hinterzieht. Wir brauchen eine Strafbefreiung, damit Steuerhinterziehung geahndet werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte noch auf eine Sache hinweisen, auf die ich auch in der letzten Rede hingewiesen habe: Das Steuergeheimnis ist auch ein Dienstgeheimnis. Wir haben in der letzten Zeit sehr viel von Dienstgeheimnissen gehört und viel darüber gesprochen. Ich meine, dass es notwendig ist, dass jeder, der ein Steuergeheimnis verletzt, unnachgiebig verfolgt wird. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ins Gefängnis!) Es kann nicht sein, dass jemand in der Öffentlichkeit durch den Dreck gezogen wird, weil man bei ihm Steuerhinterziehung vermutet oder weil an bestimmte Fernsehanstalten die Information weitergegeben worden ist, dass eine Hausdurchsuchung stattfindet. So kann man mit vermeintlichen Steuerhinterziehern nicht umgehen. Solches Fehlverhalten muss genauso geahndet werden wie die Steuerhinterziehung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Kann man sich da auch durch Selbstanzeige befreien?) Wir können über eine Verschärfung der Regeln zur Selbstanzeige durchaus reden. Aber wir müssen die andauernde Verletzung von Steuergeheimnissen ebenso ins Kalkül ziehen. Eine Abschaffung der Selbstanzeige für alle Steuerdelikte, wie es die Linke in ihrem populistischen Antrag fordert, ist ebenso unsinnig wie kontraproduktiv und geht an der eigentlich zu führenden Debatte vorbei. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. Ich hoffe, das tut unserer Freundschaft keinen Abbruch. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Steuer verbindet. – Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist Lothar Binding für die SPD. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linke hat die Begriffe Straftat, Strafverfolgung, Strafrecht und Gerechtigkeit sehr stark strapaziert. Ich denke, es ist klug, wenn man nur Vergleichbares miteinander vergleicht. Schauen wir einmal, wie der Antrag der Linken eigentlich beginnt: Keine Schwarzfahrerin, kein kleiner Betrüger kann durch Selbstanzeige einen gesetzlich zugesicherten Anspruch auf Straffreiheit geltend machen. Das stimmt. Interessanterweise wird in diesem Antrag mit der Überschrift „Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige abschaffen“ ein Schlupfloch für die kleinen Leute gefordert. Da steht nämlich, Bagatelldelikte sollten künftig nur als Ordnungswidrigkeit behandelt werden. Es geht dabei um genau diejenigen kleinen Leute mit ihren kleinen Fehlern, auf denen Sie die Begründung Ihres Antrags aufbauen. Dann müssten Sie konsequenterweise auch eine Bagatellgrenze für Schwarzfahrer und für Betrüger fordern. Sie müssen Gleiches mit Gleichem vergleichen. Dass Sie das nicht tun, führt in Ihrem Antrag zu einem logischen Fehler. Eigentlich ist Ihr Antrag gar nicht schlecht. – Ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu. – (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Interessanterweise haben Sie in der 17. Legislaturperiode etwas anderes vorgelegt, nämlich einen Antrag ohne die Forderung nach dieser Bagatelldeliktregelung. Das ist doch bemerkenswert. Interessanterweise haben wir vor zwei Jahren ebenfalls beantragt, die pauschale Straffreiheit nach einer Selbstanzeige abzuschaffen. Das geschah teilweise auch, um bestimmte Leute zu erschrecken; das stimmt. Damals hatten wir nämlich schon im Hinterkopf, dass es sich bei manchen Vergehen um Kavaliersdelikte handelt. Von Jugendsünden war die Rede. – Ich assoziiere mit „Jugendsünde“ ganz andere Sachen. (Heiterkeit) Steffen Kampeter hat am 26. April 2013 etwas gesagt, was auch in der Rückschau ganz anders klingt – Martin Gerster hat es hier schon einmal zitiert; ich wiederhole es gern noch einmal –: Der Fall Hoeneß ist doch nur ein Einzelfall – ein Zierfisch, ein dicker, fetter Zierfisch. Über einen Zierfisch könnte man ja diskutieren. Aber ich würde es doch als zu weitgehend bezeichnen, von einem Einzelfall zu sprechen, weil es nach dem Bekanntwerden dieses Falles zu 50 000 Selbstanzeigen gekommen ist. Ein Einzelfall ist es also nicht. Hier merkt man, warum die Selbstanzeige nicht funktioniert, wenn man sie nicht mit Straffreiheit verknüpft. Warum? Wenn man die Straftäter ganz korrekt verfolgen würde, würde man größenordnungsmäßig vielleicht 2 000 Straftäter finden können. Sie können die Verwaltungen aber noch so sehr aufrüsten mit noch so vielen Steuerfahndern, Buchführungshelfern, Buchprüfern, Bilanzprüfern: Sie würden immer nur eine bestimmte Zahl von Straftätern finden – nämlich die angenommenen 2 000 –; aber die anderen 50 000 würden sie nie entdecken. Sie hätten einen doppelten Schaden. Sie würden die Gauner, die Nichtentdeckten, belohnen. Die blieben nämlich straffrei, obwohl sie straffällig geworden sind; das Entdeckungsrisiko ist nämlich nahe null. Gleichzeitig hätte der Fiskus große Ausfälle. Auch das ist eine große Ungerechtigkeit. Deshalb glauben wir: Die Strafbefreiung bei der Selbstanzeige ist ein Instrument, das auf dem Entdeckungsrisiko aufbaut, sodass insgesamt Gerechtigkeit hergestellt wird. Wir haben ja gesehen, wie es funktioniert: Wir kaufen eine CD. Einige Prominente werden entdeckt. Durch diese Kombination werden alle anderen Steuersünder sich selbst anzeigen, werden damit offen sichtbar. Dadurch kommt sozusagen eine selbstinduzierte Steuergerechtigkeit zustande. Das ist eine ganz gute Sache, um das so zu rechtfertigen. Ich glaube, an der Stelle muss man das beachten, was Metin Hakverdi gesagt hat. Er hat nämlich gesagt: Man muss ein bisschen aufpassen, dass die Verantwortungsethik nicht hinter der Gesinnungsethik zurückbleibt. – Wir sind der Meinung: Die Verantwortungsethik gegenüber dem Staat ist so hoch, dass sich die Strafbefreiung bei der Selbstanzeige für den Staat nicht nur rechnet, sondern auch dazu führt, die Kriminellen, die andernfalls unentdeckt bleiben würden, zu entdecken. Deshalb lohnt es nicht, ein solches Gesetz, wie von Ihnen vorgeschlagen, zu beschließen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir werden natürlich eine Verschärfung der Regeln bei der Selbstanzeige herbeiführen. Wir wollen die Grenze von 50 000 Euro absenken. Wir wollen den Zuschlag, also den Strafzins, erhöhen. Wir wollen überlegen, wie wir die Menschen stärker sensibilisieren, sodass sie selbst dahin kommen, weniger Steuern zu hinterziehen. Ich glaube, dass wir auf einem sehr guten Weg sind, ein Gesetz zu erarbeiten. Wir wollen die Gesetzeslage verschärfen. Wir wollen aber nicht die Straffreiheit bei der Selbstanzeige abschaffen – aus den genannten Gründen. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Binding. – Das Wort für eine Kurzintervention hat der Kollege Klaus Ernst. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Viermal war der schon dran!) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Kollege Binding, vielleicht leihen Sie mir noch kurz Ihr Ohr. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Hier!) Ich wollte nur darlegen, wie wir das mit den Bagatelldelikten sehen. Der wesentliche Unterschied zur strafbefreienden Selbstanzeige ist der, dass das Gesetz vorschreibt, dass der Steuerhinterzieher straffrei bleibt. Wenn jemand schwarzfährt, dann kann der Richter zum Beispiel die Lebensumstände des Straftäters berücksichtigen. Ich meine, der Richter würde die Tatsache berücksichtigen, dass der Straftäter deshalb schwarzgefahren ist, weil – ein Beispiel – seine Mutter überraschend ins Krankenhaus gekommen ist und er kein Geld in der Tasche hatte. Wenn der Richter einen Steuerhinterzieher vor sich hat und verurteilen muss, sollte er auch berücksichtigen können, was dessen Motiv war. Vielleicht musste er für irgendetwas sparen, weil zum Beispiel eine große Operation bevorstand, sodass er seine Steuern gar nicht zahlen konnte. Es müsste der Einzelfall berücksichtigt werden. Der wesentliche Unterschied zur – wie haben Sie das im Zusammenhang mit der Straffreiheit bezeichnet? – selbstinduzierten Steuergerechtigkeit besteht darin, dass ein Richter diesen Straftäter nicht einmal zu sehen bekommt. Sonst könnte er sagen: Der hat viel hinterzogen – im Gesetz ist ja auch ein Rahmen für das Strafmaß vorgesehen: sechs Monate bis zehn Jahre –; danach richtet sich, welche Strafe er bekommt. – Aber dass der Steuerhinterzieher im Fall der Selbstanzeige von vornherein per Gesetz straffrei bleibt, obwohl er Straftäter ist, das ist ein Unterschied auch zum Brandstifter. Darauf wollte ich nur noch einmal hinweisen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Au! Au! Au! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Binding, wenn Sie mögen, können Sie darauf antworten. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Ich will nur eine ganz kurze Erwiderung geben. – Vergleichbarkeit wäre erst dann hergestellt, wenn man in den von Ihnen genannten Fällen eine automatische Strafzahlung vorsehen würde. Das ist aber nicht so. Jemand kommt vor den Richter, und dann wird sein Fall verhandelt. Aber bei der Steuerhinterziehung ist es anders. Hier zeigt sich jemand selbst an. Er muss Mitwirkungspflichten erfüllen – eine ganz harte Strafe; das ist doch klar. Aber viel schlimmer ist, dass er eine Strafzahlung leisten muss, und zwar automatisch. Diese wollen wir erhöhen oder auch staffeln, damit jemand, der wenig Steuern hinterzieht, eine geringere Strafe zu zahlen hat als jemand, der viel Steuern hinterzieht. Deshalb können wir uns auch vorstellen, dass jemand, der sehr viel Steuern hinterzieht, auch sehr hohe Strafzahlungen leisten muss, und zwar automatisch. Durch die Selbstanzeige verpflichtet er sich dazu. Das macht für mich den großen Unterschied zu den von Ihnen vorgetragenen Fällen aus, die damit nicht vergleichbar sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Binding. – Als letztem Redner in dieser Debatte gebe ich das Wort Uwe Feiler für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Uwe Feiler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn man durch die öffentliche Berichterstattung der vergangenen Wochen einen anderen Eindruck gewinnen könnte, schicke ich eines vorweg: Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sind kein Volk von potenziellen Steuerhinterziehern. (Beifall bei der CDU/CSU) Bis auf wenige Ausnahmen zahlen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner, die Unternehmerinnen und Unternehmer und, Herr Ernst, auch Vermögende in Deutschland brav ihre Steuern. Das kann ich Ihnen aus meiner 28-jährigen Tätigkeit in der Finanzverwaltung versichern. Das sagen aber auch alle Statistiken. Damit versetzen die Bürgerinnen und Bürger nicht zuletzt uns als Abgeordnete in die Lage, mit ihrem Geld die Aufgaben des Staates zu finanzieren. Gerade deshalb ist es ja wichtig, dass alle ihren Beitrag dafür leisten. Jeder Steuerpflichtige muss bei der Steuererklärung versichern, dass seine Angaben richtig und vollständig sind. Die Finanzbehörden haben diesen Angaben, soweit sie schlüssig und glaubhaft sind, zu folgen. Diejenigen, die sich nicht an die steuerlichen Vorschriften halten, unrichtige oder unvollständige Angaben machen und dadurch Steuern verkürzen, begehen eine Straftat. Diese Straftat muss – das ist in diesem Hause unstreitig – verfolgt und geahndet werden, so man sie denn erkennt. Aber genau hier liegt das Problem. Wie in kaum einem anderen Rechtsgebiet ist der Staat bei der Steuerfestsetzung auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen angewiesen. Straftaten müssen folglich erkannt und die strafbare Handlung des Täters nebst der Besteuerungsgrundlagen ausermittelt werden. Das erfordert Zeit, enormen Aufwand und vor allem qualifiziertes Personal in unseren Finanzämtern. Dabei stellt das Delikt der Steuerhinterziehung durch das Verschweigen etwaiger Zinseinkünfte nur einen kleinen Ausschnitt aus der Bandbreite möglicher Fallgestaltungen dar. Das Institut der strafbefreienden Selbstanzeige wurde vor knapp 100 Jahren eingeführt, um dem Steuerhinterzieher unter tätiger Reue den Weg zurück in die Gemeinschaft der ehrlichen Steuerzahler zu ermöglichen. Sie ist aber auch – das muss man ehrlicherweise dazusagen – eine deutliche Arbeitserleichterung für die Finanzbehörden. Meinem Heimatland Brandenburg bescherten diese Selbstanzeigen immerhin zusätzliche Einnahmen von knapp 4,2 Millionen Euro seit dem Jahr 2010. Da mutet es schon seltsam an, dass das von einem linken Minister geführte Finanzministerium in Brandenburg öffentlich eine neue Rekordzahl von Selbstanzeigen feiert, das Geld gerne nimmt und gleichzeitig die Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige fordert. (Beifall bei der CDU/CSU) Unsere Abgabenordnung eröffnet dem Steuerpflichtigen nach § 371 die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige unter gewissen Bedingungen. So muss für den nicht verjährten Zeitraum die Steuer verzinst, nachentrichtet und ein etwaiger Strafaufschlag nach § 398 a der Abgabenordnung bezahlt werden. Der Ankauf von Steuer-CDs hat zweifelsohne den Druck auf die Täter erhöht und ist in Fällen, in denen kein automatischer Informationsaustausch von Steuerdaten möglich ist, auch vertretbar. Dennoch bleibt hier ein hoher Ermittlungsaufwand bestehen. Was würde eigentlich passieren, wenn wir die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige gänzlich abschaffen würden? Das kann man sich gut am Beispiel des gescheiterten Steuerabkommens mit der Schweiz vor Augen führen. Ich bitte bereits jetzt um Nachsicht für das von mir verwendete Bild des Staates als Fischer. Mit diesem Abkommen wäre es möglich gewesen, mit einem großen Schleppnetz alle Fische zu fangen, zugegeben zum Preis der Straffreiheit und zum Preis, die Fische nicht einzeln beim Namen zu kennen. Dieses Netz wurde gekappt. Nicht zuletzt mit dem Kescher der Selbstanzeige wurden immerhin noch einzelne, mitunter auch große Fische gefangen. Diesen Kescher wollen Sie von der Linken nun auch noch über Bord werfen. Stattdessen wollen Sie es mit der Angelrute versuchen und darauf hoffen, dass ein Fisch anbeißt. (Beifall bei der CDU/CSU) Da kann ich Ihnen nur viel Glück wünschen; die Ausbeute wird wesentlich schlechter sein. Wir sollten uns vielmehr darüber unterhalten, wie wir das Mittel der Selbstanzeige modifizieren können. Ich könnte mir vorstellen, den Zeitraum, für den sich der Steuersünder zu erklären hat, auszuweiten. Wichtig wäre auch, den Aufschlag nach § 398 a AO zu erhöhen, um zu vermeiden, dass der von vornherein ehrliche Steuerzahler schlechter gestellt wird als derjenige, der sich selbst anzeigt und darauf vertraut, durch die Verjährung trotz des Aufschlages einen finanziellen Vorteil zu erlangen. Der Vorschlag der Linksfraktion ist in meinen Augen vollkommen ungeeignet, die Steuerehrlichkeit und Steuergerechtigkeit zu erhöhen, die Einnahmen zu sichern und die Finanzbehörden in ihrer Arbeit zu unterstützen. Verlassen Sie daher Ihren Irrweg, denn – frei nach Erich Kästner – nicht jeder, der nach Indien fährt, entdeckt Amerika. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Feiler. Das ganze Haus gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Bundestag. (Beifall) Bleiben Sie der Literatur verbunden. Sie haben gerade von Fischen und von Steuerpolitik geredet. Ich empfehle eine Geschichte von Bert Brecht: „Wenn die Haifische Menschen wären“. Das ist auch eine schöne Geschichte; sie gefällt Ihnen sicherlich. Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/556 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (14. SGB V-Änderungsgesetz – 14. SGB V-ÄndG) Drucksache 18/201 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/606 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/617 Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und begrüße den Bundesminister für Gesundheit, Hermann Gröhe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wer krank ist, hat Anspruch auf bestmögliche Versorgung und damit auch auf die besten Medikamente. Im Krankheitsfall gilt nicht der Geldbeutel, sondern das Solidarprinzip unseres Gesundheitswesens. Diese Grundidee, die sich seit Jahrzehnten bewährt hat, funktioniert deshalb so gut, weil wir in der Politik stets aufs Neue die Rahmenbedingungen überprüft haben mit dem Ziel, sie unter Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten jeweils neuen Herausforderungen anzupassen. Das gilt gerade auch für die Arzneimittelversorgung. Wir alle wollen im Krankheitsfall die besten Medikamente. Eine patientenorientierte Arzneimittelversorgung, die auf Qualität, auf Innovation, auf Bezahlbarkeit und auf Zuverlässigkeit setzt, wird deshalb wie in den vergangenen Jahren auch in dieser Legislaturperiode unser Ziel sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit dem 14. SGB-V-Änderungsgesetz, das wir heute abschließend beraten, knüpfen wir dabei an die Arzneimittelpolitik der letzten Jahre an. Uns geht es in diesem Gesetz um eine nachhaltige, finanzierbare Arzneimittelversorgung für Deutschland als wichtigen Bestandteil unserer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung, eine Arzneimittelversorgung, die die Menschen im Krankheitsfall mit der besten und wirksamsten Arznei versorgt, die Preise und Verordnungen wirtschaftlich und kosteneffizient gestaltet und die schließlich auch verlässliche Rahmenbedingungen für Innovation schafft. In der letzten Legislaturperiode haben wir mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz bereits eine gute Grundlage dafür geschaffen, diese Zielsetzungen zu erreichen. Wir haben dabei stets betont, dass das AMNOG ein lernendes System ist und wir Erfahrungen sammeln müssen und sie einfließen lassen müssen in die Weiterentwicklung stabiler Rahmenbedingungen der Arzneimittelversorgung. Mit dem vorliegenden Gesetz lösen wir diese Ankündigungen ein; denn es hat sich inzwischen gezeigt, dass wir für die Bereiche Bestandsmarktbewertung, Preismoratorium, Herstellerrabatte und Erstattungsbetrag angepasste Lösungen finden müssen, um Rechtssicherheit zu schaffen und der Versorgungswirklichkeit unseres Arzneimittelmarktes gerecht zu werden. Wir legen im Rahmen des Gesetzes solide Lösungen für diese Bereiche vor. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Beispiel Bestandsmarktbewertung. Im Gegensatz zu der inzwischen bewährten frühen Nutzenbewertung für neue Arzneimittel, die seit 2011 auf den Markt gekommen sind, mussten wir erkennen, dass die Bestandsmarktbewertung für patentgeschützte Arzneimittel, die vor 2011 ihre Marktzulassung erhalten haben, eine Reihe von Problemen hervorruft. Dabei handelt es sich um Probleme, die sowohl rechtlicher als auch praktischer Natur sind und die die Frage aufwerfen, ob der Aufwand im richtigen Verhältnis zu den Entlastungen steht, die wir uns für die gesetzlichen Krankenkassen oder die privaten Krankenversicherer versprechen. Wir haben deshalb beschlossen, die Bewertung des Bestandsmarktes zu beenden. Bereits gefasste Beschlüsse in diesem Zusammenhang behalten ihre Gültigkeit. Unsere Entscheidung, das Preismoratorium zu verlängern, sollte eine breite Unterstützung finden. Nicht nur, dass wir hier mit dem Votum der Patientenverbände, des GKV-Spitzenverbandes und des Gemeinsamen Bundesausschusses übereinstimmen, auch der Bundesrat hat im Dezember kurzfristig – dafür waren wir sehr dankbar – in einem ersten Schritt der Verlängerung des Preismoratoriums bis zum 31. März 2014 zugestimmt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Am Preismoratorium halten wir nun bis 2017 fest. Das bedeutet: Für Medikamente, die bislang unter die Bestandsbewertung fallen würden, gilt wie für alle anderen Arzneimittel der Preis vom 1. August 2009 bis zum Jahr 2017 fort. Ausgenommen sind die Arzneimittel, für die ein Festbetrag gilt. Zugleich werden wir den Herstellerrabatt von 6 auf 7 Prozent erhöhen. Auch von dieser Regelung sind Arzneimittel ausgenommen, die patentfrei und wirkstoffgleich sind, da in diesem Bereich ein guter Wettbewerb für eine entsprechende Preisregulierung sorgt. Damit greifen wir ein Ergebnis der Anhörung ausdrücklich auf. (Maria Michalk [CDU/CSU]: So ist es!) Mit diesen Regelungen sparen wir bei der gesetzlichen Krankenversicherung rund 650 Millionen Euro im Jahr und stellen eine bezahlbare Arzneimittelversorgung auf hohem Niveau sicher. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) In diesem Sinne wollen wir weiterarbeiten. Ich werde deshalb mit der Pharmaindustrie in einen Dialog eintreten; denn bei aller Kostendiskussion, die notwendig ist, wollen wir uns immer wieder vor Augen führen: Ohne die Innovationsfähigkeit unserer forschenden Arzneimittelhersteller müssten die Menschen auf viele Verbesserungen im Arzneimittelbereich verzichten, auf Innovationen, auf die wir zukünftig gerade im Hinblick auf Mehrfacherkrankungen im Zuge der demografischen Entwicklung dringend angewiesen sein werden. Nur gemeinsam mit der forschenden Arzneimittelindustrie können wir eine moderne Arzneimittelversorgung für die Menschen in unserem Land sicherstellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen, meine Herren, neben guten Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Arzneimittelversorgung setzen wir mit dem vorliegenden Gesetz noch ein weiteres Zeichen für eine gute Patientenversorgung; denn wer krank ist, braucht seine Hausärztin oder seinen Hausarzt. (Stephan Stracke [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Dieser Wunsch kann aber nur erfüllt werden, wenn eine ausreichende Anzahl an Hausärzten vorhanden ist. Mit dem vorliegenden Gesetz treffen wir deshalb weitere Entscheidungen, um die hausärztliche Versorgung in unserem Land für die Zukunft zu sichern. Mit den Neuregelungen in § 73 b SGB V erweitern wir die Gestaltungsspielräume der Vertragspartner. Wir machen damit den Weg frei für verbesserte Versorgungs- und Vergütungsstrukturen im Bereich der hausarztzentrierten Versorgung. Hiermit schaffen wir Rahmenbedingungen und Perspektiven gerade für den hausärztlichen Nachwuchs, auf den wir dringend, nicht zuletzt für die Hausarztversorgung auf dem Land, angewiesen sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir bringen also heute ein für die Arzneimittelversorgung wichtiges Gesetz zum Abschluss und stärken zugleich die Hausarztversorgung in unserem Land. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Minister Hermann Gröhe. – Das Wort hat Kathrin Vogler für die Linken. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Minister, der Titel des Gesetzentwurfs, über den wir heute debattieren, macht nicht besonders neugierig auf den Inhalt. Aber ich finde, es lohnt sich, beim 14. SGB V-Änderungsgesetz hinter die Kulissen zu schauen. Worum geht es? In ihrem Koalitionsvertrag haben Union und SPD einen aus meiner Sicht äußerst fragwürdigen Deal zugunsten der Pharmaindustrie und zulasten der Patientinnen und Patienten und der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler ausgehandelt. Vor anderthalb Stunden habe ich in der Debatte über die UPD, bei der es um wenige Millionen Euro ging, gehört, dass Vertreter der Union sehr sorgsam mit Versichertengeldern umgehen wollen. Jetzt schenkt die Große Koalition den Pharmakonzernen etwa 2 Milliarden Euro jährlich, natürlich nicht aus ihrer eigenen Tasche; denn dann wäre die geplante Diätenerhöhung ziemlich rasch verbraucht. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!) Sie greifen wieder einmal in die Taschen der Versicherten, also der Beschäftigten, der Rentnerinnen und Rentner und aller Kassenmitglieder. Damit sie das nicht so bemerken, nehmen Sie den Pharmafirmen wieder ein bisschen weg; aber nicht mehr als eine halbe Milliarde Euro. Das macht alles in allem eine Belastung von 1,5 Milliarden Euro. Die durchschnittliche Beitragszahlerin in der gesetzlichen Krankenversicherung wird also in jedem Jahr circa 30 Euro draufzahlen müssen. Wie machen Sie das? Die Krankenkassen erhalten von den Pharmafirmen einen gesetzlichen Herstellerabschlag, den sogenannten Herstellerrabatt. Bis Ende des letzten Jahres lag er bei 16 Prozent. Dann fiel er auf 6 Prozent, weil weder die alte noch die neue Koalition etwas unternahm, um die Dauer dieser Regelung zu verlängern. Jetzt erzählt uns Minister Gröhe etwas von einer Erhöhung auf 7 Prozent. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Taschenspielertrick: linke Tasche rein, rechte Tasche raus. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. (Beifall bei der LINKEN) Zudem wollen Sie für die patentgeschützten und die besonders teuren Medikamente, die vor 2011 auf den Markt gekommen sind, die Nutzenbewertung abschaffen. Das ist wirklich ärgerlich, weil dadurch einige Hundert Millionen Euro aus den Taschen der Versicherten in andere Taschen wandern. Das wäre schon ein ausreichender Grund, zu diesem Gesetz Nein zu sagen. Uns geht es aber vor allem um die Behandlungsqualität. Die Patientinnen und Patienten haben ein Recht darauf, dass es für ihre Arzneimittel eine Bewertung des Nutzens und des Zusatznutzens aus Patientensicht gibt; denn leider haben die meisten teuren Präparate keinen Nutzen, außer für diejenigen, die damit Geld verdienen wollen. Passend zur Zweiklassenmedizin schaffen Sie auch noch Zweiklassenmedikamente. Die ganz neuen Medikamente müssen sich der Prüfung unterziehen, die nicht ganz so neuen bleiben außen vor. Dafür haben Sie in der öffentlichen Sachverständigenanhörung jede Menge Kritik bekommen. Nicht nur die Vertreter der Kassen, sondern auch die Ärzteschaft und Patientenorganisationen unterstützten den Änderungsantrag der Linken, die Nutzenbewertung im Bestandsmarkt fortzusetzen. Sie argumentieren, dass die bisherige Regelung zu kompliziert und rechtlich angreifbar gewesen sei. Ich meine, wenn das so ist, muss man die Regelung einfacher, klarer und juristisch weniger angreifbar machen. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Die Abschaffung der Bewertung ist aus Patientensicht der falsche Weg. Deswegen lehnen wir den Gesetzentwurf ab. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir hätten auch mindestens einen Lösungsvorschlag. Die Linke fordert seit Jahren ein Studienregister, in das alle Studien zu Arzneimitteln vor Beginn verpflichtend eingetragen werden müssen. Das gilt auch für die Studien, die später abgebrochen werden. Sämtliche Ergebnisse müssen öffentlich zugänglich sein. Wenn wir auf diese Art und Weise die gesamten Informationen transparent haben, dann würde auch die Nutzenbewertung mit geringerem Aufwand möglich sein, und die Hersteller könnten die Ergebnisse nicht mehr so leicht frisieren. Das fordern auch die Grünen in ihrem Entschließungsantrag. Dieser Forderung schließen wir uns an. Lassen Sie uns entsprechende Regelungen gemeinsam auf den Weg bringen; denn damit wäre ein großer Schritt zu mehr Transparenz und Qualität in der Arzneimittelversorgung getan. Ich werbe hier jetzt ausdrücklich um Ihre Zustimmung zu unseren Änderungsanträgen. Wir wollen die Nutzenbewertung des Bestandsmarkts erhalten und den Herstellerrabatt für die teuren patentgeschützten Arzneimittel bei 16 Prozent fortschreiben. Grundsätzlich halten wir die Preiskontrolle mit dem Rasenmäher – nichts anderes sind diese Herstellerrabatte – allerdings nicht für optimal. Deswegen wollen wir die Regelung bis Ende 2015 befristen und die Zeit nutzen, um einen anderen, nutzenorientierten Mechanismus der Preisbildung zu schaffen. (Stephan Stracke [CDU/CSU]: Und wie schaut der aus?) Ihrem Gesetzentwurf können wir in der jetzigen Form nicht zustimmen. Für Taschenspielertricks zulasten der großen Mehrheit der Menschen steht die Linke nicht zur Verfügung. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das Wort hat die Kollegin Hilde Mattheis für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Hilde Mattheis (SPD): Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Vogler, ich bin für meine große Toleranz bekannt, was die Linke anbelangt; aber nicht immer ist eine starke Behauptung besser als ein Beweis. Ich erkläre Ihnen gerne noch einmal, was wir jetzt hier machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Gut! – Weiterer Zuruf von der SPD) – Ja, das ist meine pädagogische Langmut. Wir haben uns im Koalitionsvertrag wirklich eine Menge vorgenommen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nicht alles ist gut, was Sie sich vorgenommen haben!) Wir wollen uns da an drei Zielen messen lassen: Erstens wollen wir die Versorgungsqualität für Patientinnen und Patienten verbessern. Zweitens wollen wir die Situation der Beschäftigten im Gesundheitswesen stärken. Drittens wollen wir sicherstellen, dass unser System bezahlbar bleibt. Mit diesem 14. SGB-V-Änderungsgesetz stellen wir die Weichen in diese Richtung. – Das AMNOG ist ein lernendes System; da gebe ich Ihnen gerne recht. Mit dem vorliegenden Gesetz wollen wir dafür sorgen, dass eine hohe Qualität in der Arzneimittelversorgung gewährleistet bleibt. Auf der anderen Seite wollen wir die rapiden Kostensteigerungen bei Arzneimitteln einschränken und dafür sorgen – das sage ich als SPD-Politikerin auch sehr gerne –, dass Arbeitsplätze in mittelständischen Unternehmen, zum Beispiel bei Generikaherstellern, nicht gefährdet werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir wollen die Herstellerabschläge auf die Abgabepreise pharmazeutischer Unternehmen sowie das Preismoratorium erhalten. Diese beiden Instrumente haben sich bei der Dämpfung der steigenden Ausgaben bei Arzneimitteln wirklich bewährt. Deshalb wollen wir das Preismoratorium bis zum 31. Dezember 2017 verlängern und den allgemeinen Herstellerrabatt – auch wenn es Sie nicht freut – von 6 auf 7 Prozent erhöhen. Sie wissen doch: Der Rabatt von 16 Prozent auf patentgeschützte Arzneimittel wäre jetzt sowieso ausgelaufen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber man hätte ja verlängern können!) Ohne die Neuregelung, die wir im Gesetz vornehmen, würden die Ausgaben für Arzneimittel im Jahr 2014 um 2 Milliarden Euro steigen. Mit unseren Maßnahmen verhindern wir also einen überproportionalen Anstieg der Ausgaben und leisten einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ferner haben wir mit dem Gesetz eine rechtliche Klarstellung vorgenommen. Denn durch die Änderung der Arzneimittelpreisverordnung stellen wir sicher, dass der vereinbarte Erstattungsbetrag die Berechnungsgrundlage für die Handelszuschläge des Großhandels und der Apotheken ist. Damit schließen wir eine gesetzliche Lücke und stellen sicher, dass für die Zuzahlungen der Patientinnen und Patienten in der Apotheke der niedrige Rabattpreis maßgeblich ist und nicht der höhere Listenpreis. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Was die Nutzenbewertung anbelangt, sind wir alle uns vielleicht darüber einig, dass wir mehr darüber wissen müssen, welchen Nutzen ein Arzneimittel tatsächlich für Patientinnen und Patienten hat. Darauf komme ich gerne später noch einmal zu sprechen. Was uns auch sehr wichtig ist, ist der Änderungsantrag zur Stärkung der hausarztzentrierten Versorgung, den wir in den Ausschuss eingebracht haben; das ist einer der wesentlichen Punkte. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir sind es den Patientinnen und Patienten schuldig, dass wir unmissverständlich – auch über die Fraktionsgrenzen hinweg – die Versorgungssicherheit im Blick haben. Deshalb ist dieser Antrag einer der wesentlichen Bestandteile unseres Vorhabens. Durch ihn bestätigen wir, dass wir den hausärztlichen Nachwuchs fördern wollen. Das ist ein wichtiges Signal an die Hausärztinnen und Hausärzte: Wir wollen die jungen Ärzte ermutigen, sich als Hausärzte niederzulassen. Das ist ein ganz zentraler Punkt. Sie, Frau Vogler, und auch andere hier wissen doch: Wenn man mit den Bürgern über Gesundheitsvorsorge spricht, dann stellt man fest, dass die Versorgungsstruktur ein wichtiges Thema ist. Lassen Sie mich auf den Bereich Generika zu sprechen kommen. Nach der Anhörung im Ausschuss war uns klar: Wir müssen das, was wir in erster Lesung vorgelegt haben, nachbessern. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!) Ein wichtiger Punkt ist: Wir dürfen nicht die Rabatte auf 17 Prozent erhöhen. Wir müssen deutlich machen: Der Generikamarkt leistet zur Wirtschaftlichkeit unseres Gesundheitssystems einen wichtigen Beitrag. Dass die beiden Änderungsanträge für eine Stärkung sorgen, ist unstrittig. Das kam nicht nur in der Anhörung zum Ausdruck. Auch die beiden Oppositionsparteien haben – ich meine, zu Recht – immer deutlich gemacht: Ja, das brauchen wir. Zur Nutzenbewertung. Ich gebe gerne zu: Wir haben erkannt, dass die Nutzenbewertung einen hohen verwaltungstechnischen Aufwand bedeutet. Deshalb sind wir bereit, uns in einem der nächsten Gesetzgebungsverfahren mit diesem Thema noch einmal auseinanderzusetzen. Es geht in diesem Zusammenhang nämlich auch um Qualität und Sicherheit. Wenn wir uns über dieses Ziel einig sind, wäre es doch schön, all die wichtigen Änderungen in Bezug auf die Finanzierbarkeit unseres Gesundheitssystems heute gemeinsam auf den Weg zu bringen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Das Wort hat Kordula Schulz-Asche für Bündnis 90/Die Grünen. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahre 2011 gelang es in Deutschland endlich, zumindest teilweise ein hehres Ziel zu erreichen: Für neu zugelassene Medikamente und bereits auf dem Markt befindliche patentierte Arzneimittel wurde eine Nutzenbewertung eingeführt. Ich betone: Bei der Nutzenbewertung geht es um den Nutzen für die Patientinnen und Patienten. Das war längst überfällig. Frau Mattheis, ich möchte daran erinnern: Die SPD hat das damals genauso gesehen. Wir beide haben ursprünglich mehr gefordert, als dann tatsächlich beschlossen wurde. Das war längst überfällig; denn laut der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft haben viele der bei uns zugelassenen Arzneimittel keinen Nutzen bzw. keinen Zusatznutzen für Patientinnen und Patienten. Umso erstaunlicher ist es nun, dass eine der ersten Maßnahmen der Großen Koalition ist, die Bewertung des Nutzens von Medikamenten im sogenannten Bestandsmarkt abzuschaffen. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Bei allem Verständnis für die Interessen der Pharmaindustrie: An erster Stelle bzw. im Mittelpunkt der Gesundheitspolitik müssen immer die Interessen der Patienten stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist bei CDU/CSU und SPD offensichtlich nicht der Fall. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Das ist das erste Armutszeugnis Ihrer Gesundheitspolitik. Dass wir damit hinter die europäischen Standards zurückfallen, ist ein zweites Armutszeugnis. Ein drittes Armutszeugnis für die Gesundheitspolitik der Großen Koalition konnte gerade noch verhindert werden. Wir erinnern uns gut, dass Sie im Dezember versucht haben, die jetzt vorliegende Gesetzesänderung im Schnellverfahren ohne Anhörung durchzuziehen. (Hilde Mattheis [SPD]: Ach, das ist ja nun nicht wahr! – Gegenruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Doch, das ist wohl war!) Wäre das so geschehen, Frau Mattheis, dann hätten Sie durch die vorgesehene Einbeziehung von Generika in den Herstellerrabatt und das Preismoratorium einer ganzen Branche der Pharmaindustrie schweren Schaden zugefügt. Das ist der Fall gewesen. Sie wollten diese Anhörung, die jetzt stattgefunden hat, nicht. Unter Ihren Maßnahmen hätte der Generikamarkt schwer gelitten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir freuen uns, dass Sie das eingesehen haben und bereit sind, mit einer Änderung diesen schweren Fehler zu korrigieren. Die Regierungskoalition hat sich bei diesem Gesetzentwurf selbst unter extremen Zeitdruck gesetzt. Das zeigt sich nicht nur bei den Generika. Das zeigt sich auch daran, dass die Anhörung, die vor einer Woche stattgefunden hat, von Ihnen offensichtlich noch nicht umfassend ausgewertet wurde. Diejenigen, die bei der bestehenden Regelung zur Bestandsmarktbewertung zu Recht rechtliche Umsetzungsprobleme benannt haben, zum Beispiel die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, der Verbraucherzentrale Bundesverband, das IQWiG sowie die Einzelsachverständigen Professor Wille und Professorin Niebuhr, haben Änderungsvorschläge gemacht, die wir Grünen für sehr sinnvoll halten und daher in unseren Entschließungsantrag aufgenommen haben. Dabei geht es uns erstens darum, eine Nutzenbewertung für alle patentgeschützten Medikamente mit neuem Anwendungsbereich bzw. neuer Anwendungsform durchzuführen. Lassen Sie mich anmerken, dass seitens der Koalition gestern im Ausschuss angekündigt wurde, dass auch auf Ihrer Seite Änderungsbedarf gesehen wird. Das zeigt aber auch, dass Sie die Anhörung bisher tatsächlich kaum ausgewertet haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dadurch, dass Sie diese Änderung nicht jetzt vornehmen, sondern wieder verschieben, schaffen Sie neue Ungerechtigkeiten. Auch das zeigt, wie wenig Gedanken Sie sich gemacht haben. Wir müssen in Ruhe entscheiden. Hier ist nicht mit Schnellschüssen zu arbeiten. Das zeigt, wie wichtig gerade bei einer Großen Koalition eine Opposition ist. Wenn man so eine satte Mehrheit hat, dann gehen einem offensichtlich manchmal die Pferde durch, und es kommt zu Schnellschüssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zweitens – auch das steht in unserem Entschließungsantrag – halten wir die Nutzenbewertung des Bestandsmarkts in den Fällen des Wettbewerbsaufrufs für die Vergleichbarkeit und bei biotechnologischen Medikamenten weiter für notwendig. Drittens fordern wir eine gesetzliche Verpflichtung der Hersteller zur Herausgabe von Studienberichten, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss oder das IQWiG anfragt. Viertens – auch das gehört dazu; das ist schon erwähnt worden – fordern wir eine verpflichtende Registrierung und Veröffentlichung der Ergebnisse aller Arzneimittelstudien, auch derjenigen, die wegen mangelnder Erfolgsaussichten abgebrochen wurden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Dadurch können wir hinsichtlich der Nutzenbewertung Patientensicherheit herstellen. Denn sowohl bei der Nutzenbewertung von Medikamenten als auch bei der Information über Forschungsergebnisse geht es im Wesentlichen um Transparenz. Arzneimittelstudien dürfen nicht in Schubladen verschwinden, sondern müssen veröffentlicht werden, um auf einer soliden Basis Einschätzungen zum Nutzen von Wirkstoffen gewinnen und überflüssige Studien vermeiden zu können. Eventuell wird es weitere Nachbesserungen durch die Große Koalition geben. In der vorliegenden Form können wir dem Gesetzentwurf leider nicht zustimmen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Das Wort hat Stephan Stracke für die CSU/CDU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Stephan Stracke (CDU/CSU): Guten Abend, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beenden wir insbesondere den Bestandsmarktaufruf bei patentgeschützten Arzneimitteln und stärken die hausarztzentrierte Versorgung. Dabei setzen wir wesentliche Vereinbarungen um, die wir im Rahmen der Koalitionsvereinbarungen getroffen haben. Wir reden zu Recht viel über die Koalition, über ihre Funktionsweise und ihre Arbeitsweise. Wenn wir sagen, dass diese Koalition sich zumindest derzeit als Arbeitsverhältnis definiert, dann nutzen wir dieses Arbeitsverhältnis, um die Chancen zu verbessern, dass für die Patientinnen und Patienten sachgerechte und passgenaue Lösungen gefunden werden, damit die Versorgungssituation in Deutschland besser wird. Und genau das tun wir. Den Grundpfeiler dafür bildet der Koalitionsvertrag, den wir stringent umsetzen. Unser Bundesgesundheitsminister, Herr Gröhe, verfügt über große Umsicht und zeigt praxisgerechte Lösungen auf, die in diesem Gesetzentwurf ihren Niederschlag finden. Genau so wollen wir weitermachen. Dafür sage ich Ihnen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Preismonopol im patentgeschützten Arzneimittelmarkt gehört der Vergangenheit an. Der Zusatznutzen von Medikamenten steht im Mittelpunkt und bestimmt den Preis. Die frühe Nutzenbewertung, mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz eingeführt, ist ein wirkungsvolles Instrument, das sich bewährt hat. Patienten wollen, dass Innovationen möglichst schnell auf den Markt kommen. Gleichzeitig wollen Beitragszahler, dass ihre Beiträge für wirkliche Innovationen ausgegeben werden und nicht für bloße Innovationsglobuli, das heißt für diejenigen Innovationen, die tatsächlich halten, was sie versprechen. Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen müssen einen nachweisbaren Zusatznutzen gegenüber der Vergleichstherapie aufweisen. Daran halten wir fest. Wir sagen auch: Das AMNOG – der Minister hat es deutlich gemacht – ist ein lernendes System. Deshalb werden wir den Bestandsmarktaufruf beenden. Wir beenden ihn, weil der Aufruf mit hohen Risiken und Unsicherheiten verbunden ist. Wir sorgen nun für Planbarkeit und Rechtssicherheit. Dafür gibt es gute Gründe. Die Anhörung hat dies noch einmal deutlich gemacht. Ein Grund ist die Studienlage. Die einschlägigen Studien sind gerade bei Arzneimitteln, die schon sehr lange auf dem Markt sind, zum Teil sehr alt. Dies führt zu problematischen Bewertungen, gerade auch hinsichtlich der Marktdurchdringung und der Abwägungen in diesem Bereich. Es gibt auch ganz pragmatische Gründe: Wenn der Aufwand sehr hoch ist und das Verfahren mit sehr hohen rechtlichen Risiken behaftet ist, macht es Sinn, den Bestandsmarktaufruf zu beenden. Gleiches gilt für den Wettbewerbsaufruf. Jetzt können Sie sagen: Das ist uns egal, egal, was Rechtsrisiken angeht, und egal, was den Aufwand betrifft. Hauptsache die Ökonomie stimmt in irgendeiner Weise. – Darauf muss man Ihnen, insbesondere den Kolleginnen und Kollegen von den Linken, sagen: Der Patentschutz für alle infrage kommenden Arzneimittel läuft 2018 aus, sodass wir in dieser Beziehung einen unglaublichen Zeitdruck haben. Die Erwartungen, die gerade hinsichtlich des Einsparpotenzials damit verknüpft sind, können nicht in dem Maße erfüllt werden. Das bezieht sich auch gar nicht auf die Qualität. Denn wir haben natürlich sehr wohl Möglichkeiten, die Qualität weiterhin sicherzustellen, gerade was die Therapiehinweise, die Verordnungsausschlüsse oder die Bildung von Festbetragsgruppen angeht. Ich möchte noch zu einem weiteren Aspekt ausführen und Stellung nehmen: Das betrifft die Hausarztverträge. Sie stellen ein sinnvolles und effektives Instrument zur Förderung der hausärztlichen Versorgung dar. Wir haben in Deutschland eine qualitativ hochwertige Hausarztmedizin, und es ist unbestritten: Unsere Hausärzte sind das Rückgrat der medizinischen Versorgung. Der niedergelassene Hausarzt gerade im ländlichen Raum ist häufig der einzige wohnortnahe ärztliche Ansprechpartner. Als Generalist übernimmt er oftmals auch eine Lotsenfunktion. Wir haben uns jetzt darauf verständigt, § 73 b SGB V zu verändern. Damit stärken wir die hausärztliche Versorgung. Wir streichen die Vergütungsbeschränkungen im Hausarztvertrag. Dies hat sich in der Praxis als großes Hemmnis für den Abschluss herausgestellt. Dieses Hemmnis beseitigen wir nun. Wirtschaftlichkeit und Qualität spielen weiterhin eine hervorragende Rolle. Die Vertragspartner sind nun gefordert, entsprechende Vereinbarungen zu treffen. Vor allem die Refinanzierungsklausel hat sich in der Praxis als ein großes Problem herausgestellt. Jetzt gilt eine Vierjahresregel, in der die Wirtschaftlichkeit nachgewiesen werden muss. Dies schafft auch den notwendigen Spielraum. Das ist ein wichtiges Signal für die ökonomische Perspektive angehender Hausärzte und wird die Bereitschaft junger Ärzte, sich der hausärztlichen Tätigkeit zuzuwenden, weiter fördern. In der Gesamtschau: ein gutes Gesetz. Lasst es uns beschließen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. – Das Wort hat Martina Stamm-Fibich für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Martina Stamm-Fibich (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Verehrter Herr Bundesgesundheitsminister Gröhe! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich inhaltlich nur meiner Fraktionskollegin Hilde Mattheis anschließen. Als neu in den Bundestag gewählte Abgeordnete freut es mich ganz besonders, dass ich einen Aspekt hervorheben kann. Zusätzlich zum Gesundheitsausschuss bin ich auch Mitglied im Petitionsausschuss. Petitionen sind auf Bundesebene ein hervorragendes Instrument der Demokratie. Umso mehr möchte ich auf den Änderungsantrag zu § 129 SGB V verweisen, der die Ersetzung eines Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches neu regelt. Ein Ursprung dieser Neuregelung ist eine Petition der 17. Wahlperiode. Im Jahr 2010 lieferte die Deutsche Schmerzliga e. V., vertreten durch Dr. Marianne Koch, den Anstoß. Die Petition fand mit 72 000 Unterzeichnern eine breite Unterstützung und wurde demzufolge auch öffentlich in diesem Haus beraten. Hauptanliegen der Petentin war, Betäubungsmittel aus der automatischen Austauschpflicht herauszunehmen. Begründet wurde diese Forderung damit, dass die Umstellung von einem Präparat auf ein anderes nicht nur in Einzelfällen, sondern bei der Mehrzahl der Patienten zu erheblichen Problemen führe. Die Umstellung sei daher kein sinnvoller, dafür aber ein sehr teurer Prozess, da auch die entstehenden Folgekosten nicht außer Acht gelassen werden dürften. Dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband wurde die Möglichkeit gegeben, sich über eine sachgerechte Lösung zu verständigen. Letztendlich verliefen die Verhandlungen der beiden Akteure aber nicht zufriedenstellend. Die Kolleginnen und Kollegen der 17. Wahlperiode mussten die Akteure wiederholt zum Handeln auffordern. Um wieder mehr Bewegung in die stockenden Verhandlungen zu bringen, verabschiedeten die Gesundheitspolitiker aller Fraktionen im Juni im Gesundheitsausschuss eine Entschließung, die eine Frist zur Einigung bis 1. August 2013 vorsah. Bis dahin sollten die Rahmenvertragspartner, GKV-Spitzenverband und DAV, übereinkommen. Auf nur zwei Wirkstoffe konnte man sich letztlich einigen. Vor diesem Hintergrund wird das Problem jetzt mit diesem Änderungsantrag von uns auf eine andere institutionelle Entscheidungsebene gehoben. Die Änderung sieht konkret Folgendes vor: Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt erstmals bis 30. September 2014 die Arzneimittel, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ausgeschlossen ist. Dabei sollen insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden. Falls bis 30. September keine Liste vorliegt, besteht die Möglichkeit einer Ersatzvornahme durch das Bundesministerium für Gesundheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ziel ist es, den Therapieerfolg und die Sicherheit der Patienten nicht durch den unnötigen und ausschließlich ökonomisch begründeten Austausch von Medikamenten zu gefährden. Die Koalition handelt an dieser Stelle und erteilt einen klaren Auftrag. Es freut mich außerordentlich, dass der Änderungsantrag eine breite Mehrheit im Ausschuss gefunden hat. Ich möchte mich für die Unterstützung ausdrücklich bedanken. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, für mich steht fest: An erster Stelle steht das Wohl des Patienten. Mit diesem Änderungsantrag gehen wir in die richtige Richtung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das ganze Haus gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede. (Beifall) Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Arbeit im Petitionsausschuss und im Gesundheitsausschuss. Nächstes Mal dürfen Sie Ihre Redezeit mit großer Lust ausfüllen. Alles Gute! Die Debatte wird mit Michael Hennrich für die CDU/CSU-Fraktion abgeschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Michael Hennrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Herr Minister Gröhe, es freut mich, dass Ihr Haus nahezu in Bestbesetzung angetreten ist. Auch die beiden Staatssekretärinnen darf ich ganz herzlich begrüßen. Das dokumentiert, wie wichtig und ernst Sie diese Debatte nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Frau Vogler, als ich Ihren Redebeitrag gehört habe, ist mir das Bild von der Kuh in Erinnerung gekommen, die im Himmel gefüttert und auf Erden gemolken wird. Das Motto lautet: Die Pharmaindustrie hat’s ja; da können wir es locker mitnehmen. – Es gibt da aber eine gewisse Widersprüchlichkeit: Sie sagen selber, dass im Bereich der Generika Preismoratorium und erhöhter Herstellerabschlag gravierende Folgen für die Industrie haben könnten. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich gesagt!) Preismoratorium und erhöhter Herstellerabschlag können für die forschende Arzneimittelindustrie aber genauso gravierende Folgen haben. Deswegen war es richtig, dass wir den erhöhten Herstellerabschlag von 16 Prozent auf 6 Prozent gesenkt haben. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber die billigen Generika werden mit 16 Prozent belastet, die teuren Medikamente mit 7 Prozent!) – Das gehört dazu. Frau Vogler, Sie müssen eines bedenken: Als wir den erhöhten Herstellerabschlag im Jahr 2009 beschlossen haben, mussten wir davon ausgehen, dass wir im Gesundheitssystem im Jahr 2013 ein Defizit von rund 15 Milliarden Euro haben. Heute haben wir einen Überschuss von 30 Milliarden Euro. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ach ja, die Kassen haben es ja! Das weckt natürlich Begehrlichkeiten!) Schauen Sie einmal in die europäische Transparenzrichtlinie, wie da die Regelungen sind! Ihre Kollegin Frau Bunge, die ich sehr geschätzt habe, hätte das sicherlich etwas präziser und besser dargestellt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, über die Beendigung des Bestandsmarktaufrufes kann man diskutieren. Ich gebe ganz offen zu, dass mich die Äußerungen von Professor Ludwig von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft schon nachdenklich gestimmt haben. Er hat gefragt: Macht das Sinn? Wir müssen den Nutzen bewerten, auch von den Produkten, die im Bestand sind. Die Beendigung des Bestandsmarktaufrufes war aber eine Abwägungssache. Wir haben auf der einen Seite in der Tat das Problem, dass wir auch für den Bestandsmarkt eine Bewertung wollen. Aber es war kein originärer Wunsch der Politik, den Bestandsmarktaufruf zu beenden. Dieser Wunsch wurde zum einen vom Gemeinsamen Bundesausschuss an uns herangetragen, zum anderen auch von den Kassen. Mich hat schon erstaunt, dass der GKV-Spitzenverband das Einsparvolumen durch den Bestandsmarktaufruf auf maximal 230 Millionen Euro geschätzt hat. (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Das war für mich ein Signal, dass auch die Krankenkassen gesagt haben: Für den großen Aufwand, den wir da treiben, haben wir zu wenig Erfolg. Man muss auch sehen, mit welchen Problemen wir tatsächlich zu kämpfen gehabt hätten. Da gibt es rechtliche Probleme: Wie bekommt man den Bestandsmarktaufruf diskriminierungsfrei hin? Was hat es für Folgen für den Wettbewerb, wenn einzelne Produkte aufgerufen werden, die Unternehmen dafür Dossiers erstellen müssen, diese Produkte einen schlechten Preis bekommen, andere Produkte aber nicht? Das kann man nicht einfach so regeln, wie das hier einige formuliert haben, sondern das ist eine komplizierte Materie. Ferner stellen sich methodische Probleme: Wie sollen denn die passenden Vergleichsstudien aussehen? Bei der Bestandsmarktbewertung handelt es sich in der Regel um Produkte, die heute den Therapiestandard darstellen. Wenn ein solches Produkt bewertet werden soll, stellt sich die Frage: Soll dieses Produkt mit sich selbst verglichen werden? Auch darauf gibt es keine vernünftige Antwort. Ein letzter Aspekt ist, was der Bestandsmarktaufruf für den Gemeinsamen Bundesausschuss und das IQWiG an Arbeitsbelastung bedeutet hätte. Von daher glaube ich, es war richtig, dass wir uns dazu entschlossen haben, den Bestandsmarktaufruf zu beenden, zumal – das ist für mich ganz wichtig – trotzdem die Möglichkeit besteht, Arzneimittel zu bewerten oder sie von der Verordnung auszuschließen. Ich sage als Stichworte nur: Therapiehinweise, Leitlinien. Wir haben mit dem AMNOG eingeführt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss von den Unternehmen neue klinische Studien einfordern und einzelne Produkte von der Verordnung ausschließen kann. Wenn man das alles gegeneinander abwägt, kommt man zu dem Schluss, dass wir heute die richtige Entscheidung getroffen haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Edgar Franke [SPD] – Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich habe jetzt noch 20 Sekunden. Ich hätte gern noch einiges zum Erstattungsbetrag gesagt. Auch den Erstattungsbetrag haben wir neu geregelt; wir sorgen für mehr Transparenz. Auch das stellt für die Industrie eine Belastung dar. Ich hätte auch gern noch etwas zu der Substitutionsausschlussliste gesagt, einer guten Regelung, die Sie wunderbar dargestellt haben. Auch das ist ein wesentlicher Aspekt, für den wir einen guten Ansatz gefunden haben. Ich glaube, wenn man das alles zusammen betrachtet, sieht man, dass wir ein gelungenes Gesetz vorgelegt haben. Es wäre schön, wenn die Opposition zustimmen würde. Aber das hat sie schon beim AMNOG nicht getan; (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat die SPD aber auch nicht zugestimmt!) deswegen verwundert es uns nicht, wenn sie auch heute nicht zustimmt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. – Wir werden gleich sehen, wer wie abstimmt. Wir kommen damit zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurf eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/606, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/201 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/621? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition aus CDU/CSU und SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung der Antragsteller abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/622? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Abstimmungsergebnis abgelehnt, also mit der Mehrheit von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung der Antragsteller. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD und Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und den Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Will sich jemand enthalten? – Nicht. Der Gesetzentwurf ist damit durch die Mehrheit von CDU/CSU und SPD angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/623. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung der Antragsteller und Enthaltung der Linken abgelehnt. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend – der Abend ist noch lange nicht vorbei – und übergebe an meinen Kollegen Singhammer. Vizepräsident Johannes Singhammer: Guten Abend! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Heizkosten sparen – Energiewende im Gebäudebereich und im Quartier voranbringen Drucksache 18/575 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die zu diesem Tagesordnungspunkt einen Beitrag leisten werden, Platz zu nehmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Präsident. – Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der für die Energiewende zuständige Minister Sigmar Gabriel hat in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag 22 Minuten lang über die Energiewende und die Wirtschaftspolitik gesprochen, dabei aber leider nichts Substanzielles zur energetischen Gebäudesanierung gesagt. Es ist bis heute unklar, wer in der Großen Koalition und zwischen den Häusern bei der energetischen Gebäudesanierung den Hut aufhat. (Sören Bartol [SPD]: Das Parlament!) Ich finde, das geht so nicht weiter. Mit dem Kompetenzgerangel auch zwischen den Ministerien muss endlich Schluss sein. Wir haben heute Abend diesen Antrag auf die Tagesordnung gesetzt, damit Sie sich zur energetischen Gebäudesanierung verhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht hier nicht nur um die Energiewende oder den Klimaschutz, sondern auch um die Heizkostenbelastung der Menschen in Deutschland. Es geht im Kern um die Frage der sozialen Gerechtigkeit. Die Heizkosten stiegen dreimal so schnell wie die Löhne, beim Öl sogar achtmal so schnell. Unser Vorschlag ist: Machen Sie aus Ihrem Bündnis für bezahlbares Wohnen, das Sie hier angekündigt haben, ein Bündnis für klimafreundliches und bezahlbares Wohnen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nehmen Sie mehr Akteure mit auf, etwa die Umweltverbände! Nehmen Sie diejenigen mit auf, die sich mit Heizungsanlagen auskennen, die die Produkte verkaufen, also den Mittelstand, damit dieses Bündnis endlich auch ein Bündnis für Klimaschutz und bezahlbares Wohnen wird, auch hinsichtlich der Heizkosten. Wenn Sie in diesem Bündnis nicht auch das Thema Gebäudesanierung im Kern behandeln, dann wird dieses Bündnis scheitern; denn Klima- und Sozialpolitik gehen hier Hand in Hand. Wenn Sie dem Thema energetische Gebäudesanierung in dieser Großen Koalition keine Aufmerksamkeit schenken, dann zeigen Sie nicht nur den Menschen mit hohen Heizkosten die kalte Schulter, sondern eben auch dem Mittelstand, der große Hoffnungen in Sie setzt, gerade bei der Frage des energetischen Umbaus von Gebäuden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat eine Studie herausgebracht, die besagt, dass bereits bei einer Sanierungsrate von 2 Prozent 30 000 Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen werden können. Ich finde, das ist ein Wort. Deswegen sollten wir uns alle gemeinsam dieser Frage widmen. Ich frage Sie aber: Wie wollen Sie die Sanierungsrate steigern, wenn Sie keine planbaren und verlässlichen Mittel für die energetische Gebäudesanierung zur Verfügung stellen? Rein über Beratung und Information wird das nicht gelingen. Hier müssen Sie als Große Koalition deutlich mehr Substanz liefern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe CDU, tun Sie endlich etwas für den deutschen Mittelstand! Liebe SPD, tun Sie etwas für die Mieterinnen und Mieter hinsichtlich der Heizkosten! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Wir haben euch doch vorhin schon erklärt, wie das geht!) Wenn Sie bei der energetischen Gebäudesanierung versagen, dann versagen Sie bei der Wohnungspolitik insgesamt. Immer nur nach Neubau zu rufen, reicht nicht aus. Wir müssen auch bei den Bestandsgebäuden vorankommen. Das Gebot der Stunde heißt eben nicht nur „Bauen, bauen, bauen“, sondern auch „Sanieren, sanieren, sanieren“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Thema Sanieren will ich Ihnen sagen: Machen Sie nicht den gleichen Fehler wie ihre Vorgänger. Bis jetzt haben wir leider zu viel Polystyrol an der Wand, aber zu wenig intelligente, innovative Konzepte. Entwickeln Sie schlaue, innovative Konzepte, und bringen Sie diese natürlichen und ökologischen Bau- und Dämmstoffe auf die Baustellen und in die Häuser. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen eine ganzheitliche Betrachtung bei der Wärmeversorgung, bei der ganze Quartiere in den Blick genommen werden. Wir brauchen eine Offensive bei den Wärmenetzen und auch im Bestand. Bauministerin Hendricks spricht immer davon, dass sie die Sanierungsrate auf 2,5 Prozent erhöhen will. Die Realität ist: Zwei Drittel der Fassaden und ein Drittel der Dächer sind ungedämmt; vier Fünftel aller Gas- und Ölheizungen sind nicht auf dem neusten Stand der Technik. Das ist eine immense Leerstelle, zum einen in der Gesellschaft – damit müssen wir uns beschäftigen – und zum anderen in Ihrer Politik, weil Sie hier keine Substanz liefern. Ich hoffe – ich sage Ihnen ganz klar: die Hoffnung stirbt zuletzt –, dass Sie bei den Haushaltsberatungen deutlich nachlegen werden, dass Sie Zahlen liefern, dass sich die beiden Ministerien, die sich hier zuständig fühlen, einigen werden. Dann können wir gemeinsam hier im Bundestag etwas für Mieterinnen und Mieter und die Gebäudeeigentümer tun. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bin gespannt auf Ihre Ausführungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Herlind Gundelach, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der sich wie ein Wunschkatalog kurz vor Weihnachten liest. Das ist das gute Recht der Opposition; denn sie muss sich in der Regel über die Finanzierung keine Gedanken machen. Ob das allerdings zu einer höheren Akzeptanz bei den Wählern führt, wage ich in diesem Punkt zu bezweifeln. Wir als Koalition von CDU/CSU und SPD tragen die Gesamtverantwortung, und das heißt für uns – für uns in der CDU/CSU ganz besonders –, dass wir nicht mehr Geld ausgeben wollen, als wir einnehmen. Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, würden vermutlich sagen – das haben Sie vor der Wahl auch ausreichend getan –: Lassen Sie uns doch einfach mehr einnehmen, dann können wir auch mehr ausgeben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie geben einfach nur mehr aus!) Das aber ist nicht unsere Politik. Wir wollen weder unseren Bürgern noch unserer Wirtschaft höhere steuerliche Belastungen zumuten. (Beifall bei der CDU/CSU) Nun aber zu Ihrem Antrag. Unter Ihren Forderungen findet sich der Wunsch nach einer steuerlichen Förderung der energetischen Modernisierung als zusätzlicher Anreiz. Meine Damen und Herren von den Grünen, es zeugt schon von einer ganz besonderen Chuzpe, dass gerade Sie die steuerliche Förderung als einen der Königswege fordern, nachdem Sie in der vergangenen Legislaturperiode alles dazu beigetragen haben, diese im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss durch immer neue Forderungen an die Wand fahren zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht! Wir haben den Antrag eingebracht, und Sie haben dagegen gestimmt!) Wir waren schon immer der Auffassung, dass die steuerliche Förderung einer der erfolgversprechendsten Wege ist. Aber wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt – das hat in den Verhandlungen auch eine ganz erhebliche Rolle gespielt –, dass wir keine Steuererhöhungen wollen. Die Kehrseite davon ist allerdings, dass wir uns auch keine Steuermindereinnahmen leisten können, wenn wir unsere politischen Vorhaben nicht gefährden wollen. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir den Pfad der steuerlichen Förderung wieder betreten wollen, sobald finanzielle Spielräume dies zulassen. Ich jedenfalls werde mich dafür einsetzen. Meine Damen und Herren, ich denke, wir alle in diesem Hause sind uns darin einig, dass die Energieeffizienz neben dem Ausbau der Erneuerbaren eine tragende Säule der Energiewende ist. Deshalb werden wir noch in diesem Sommer, wie die Vertreterin der Bundesregierung gestern im Ausschuss vorgetragen hat, unsere Maßnahmen zur Umsetzung der EU-Effizienzrichtlinie vorlegen. Wir sind uns in der Koalition auch darüber einig, dass wir in unserer Politik und unseren Maßnahmen der Steigerung der Energieeffizienz noch mehr Gewicht beimessen wollen; denn wie wir alle wissen, sind die Einsparpotenziale vor allem im Gebäudebereich riesig. Daher wollen wir neben der sachgerechten Umsetzung der EU-Energieeffizienz-Richtlinie Märkte für Energieeffizienz entwickeln, 2014 einen Nationalen Aktionsplan für Energieeffizienz erarbeiten, die KfW-Programme verstetigen und vor allem auch vereinfachen, eine fundierte und unabhängige Energieberatung ermöglichen und selbstverständlich auch das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz im Einklang mit der Energieeinsparverordnung fortentwickeln. Dabei ist für uns wichtig, dass wir ohne ordnungsrechtlichen Zwang und ohne Eingriff in Eigentum fördern; denn das geht nach hinten los, wie wir alle wissen. Eine Steigerung der Sanierungsrate ist damit jedenfalls nicht verbunden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich auf einen Punkt zu sprechen kommen, den Sie gerade angesprochen haben und der für mich als ehemalige Wissenschaftspolitikerin von ganz besonderer Bedeutung ist. Wir müssen auch in der Forschungspolitik einen Schwerpunkt auf die Förderung von Effizienztechnologien und Innovationen legen. Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Forschungsprogramme aus den letzten Legislaturperioden zielgerichtet fortführen. Präferenzen für eine bestimmte Technik oder Zwang hemmen Investitionen, statt sie zu fördern. Genau so haben wir in den letzten Jahren mit unseren Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz bereits viel erreicht. Betrachten wir beispielsweise den Zeitraum von 2008 bis 2011: In diesen Jahren haben wir die Energieeffizienz um durchschnittlich 2 Prozent pro Jahr verbessert und liegen damit nur knapp unter der Zielmarke von 2,1 Prozent. Wir haben dafür das energetische Gebäudesanierungsprogramm ausgebaut und jährlich 1,8 Milliarden Euro an Fördermitteln zur Verfügung gestellt. Das war so viel wie bei keiner Regierung zuvor. Dieses Programm werden wir aufstocken, verstetigen und vor allem deutlich vereinfachen. Auch darauf haben wir uns im Koalitionsvertrag verständigt. Im Rahmen dieser Förderung wurden zum Beispiel auch Einzelmaßnahmen wie Heizungserneuerungen gefördert. In Anbetracht der Kosten für eine umfassende Sanierung eines durchschnittlichen Einfamilienhauses von circa 60 000 bis 75 000 Euro ist dies ein ganz wichtiger Punkt. Denn setzen wir bei der Gebäudesanierung den bisherigen Hebel von 1 : 12 an, haben wir damit Energieeffizienzinvestitionen in Höhe von 21 Milliarden Euro angeschoben. Wir haben außerdem das Mietrecht angepasst, um dem sogenannten Vermieter-Mieter-Dilemma zu begegnen. So konnten wir sowohl erreichen, dass den Eigentümern das energieintensive Sanieren erleichtert wird, als auch, dass die Mieter über sinkende Nebenkosten von energetischen Sanierungsmaßnahmen profitieren und nicht überfordert werden. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem steigen die Heizkosten!) Bei einer Mieterquote von 57 Prozent in Deutschland war diese Mietrechtsanpassung von enormer Bedeutung. Lassen Sie mich aber noch einen weiteren Punkt Ihres Antrags ansprechen. Sie fordern auch ein weiteres KfWProgramm. Wissen Sie, wie viele Programme zur Förderung der Erneuerbaren und der Energieeffizienz es bereits gibt? Allein in der Datenbank des Bundeswirtschaftsministers finden Sie 180 Programme von EU, Bund und Ländern. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem passiert nichts!) Laut einer kürzlich erfolgten Umfrage vom Dachverband Deutscher Immobilienverwalter und der KfW führt dies dazu, dass eine hohe Prozentzahl der Eigentümer genau wegen dieser Fülle von Programmen und der komplizierten Antragstellung keine Förderung in Anspruch nimmt. Deswegen wollen wir hier für mehr Vereinfachung und mehr Übersichtlichkeit sorgen. Außerdem fordern Sie eine Absenkung der möglichen maximalen Erhöhung des Mietzinses von 11 auf 9 Prozent nach einer Sanierung. Vor der Mietrechtsnovelle in der letzten Legislaturperiode hatten wir immensen Sanierungsstau. Es war für Eigentümer schlichtweg unmöglich, eine energetische Sanierung wirtschaftlich durchzuführen; denn es gab geradezu absurde Regelungen, welche zum Beispiel eine Mietminderung durch den Mieter von bis zu 50 Prozent zuließen, wenn im Sommer während der energetischen Modernisierung die Heizung nicht richtig funktionierte. Daher war unsere Mietrechtsnovelle dringend geboten. Wir haben diese auch sozialverträglich ausgestaltet, beispielsweise durch Härtefallregelungen, um sicherzustellen, dass sich die Mieter auch nach der Sanierung ihre Wohnung noch leisten können. Eine maßvolle und gerechtfertigte Mietzinsanpassung nach einer Sanierung steht dazu nicht im Widerspruch. Zahlreiche Studien belegen, dass sanierungsbedürftige Mehrfamilienhäuser durchaus warmmietenneutral saniert werden können; denn eine Mieterhöhung wird durch Einsparungen bei den Nebenkosten weitestgehend ausgeglichen. Das gilt im Übrigen nicht nur für Einzelobjekte, sondern auch für ganze Quartiere, wie wir in Hamburg-Wilhelmsburg – Wilhelmsburg ist ein Stadtteil mit einem sehr geringen Durchschnittseinkommen – durch ein Projekt im Rahmen der Internationalen Bauausstellung im vergangenen Jahr unter Beweis gestellt haben. Eine erneute Absenkung der zulässigen maximalen Mieterhöhung würde sich erneut als Hemmschuh erweisen, da viele Eigentümer schlichtweg befürchten müssten, wieder alleine für die Kosten einer energetischen Sanierung aufkommen zu müssen. Darüber hinaus zeichnen Sie ein Bild von deutschen Vermietern, das schlichtweg falsch ist. Entgegen der häufigen Darstellung sind diese eben keine Spekulanten. In der Praxis werden Mieten nach einer Sanierung durchschnittlich um circa 80 Cent pro Quadratmeter angehoben. Durch eine energetische Sanierung kann ein durchschnittlicher Haushalt bis zu 1 000 Euro Nebenkosten im Jahr einsparen. Eine erneute Anpassung des Mietrechts ist also nicht erforderlich und wäre aus unserer Sicht auch kontraproduktiv. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie doch!) Es gibt bei der energetischen Sanierung und bei der Energieeffizienz keinen Königsweg. Wir müssen neben standardisierten Methoden individuelle und angepasste Lösungen finden und zulassen. Wir müssen dabei vor allem offenbleiben für Fortschritt und Innovation. Damit unterstützen wir zugleich unsere mittelständische Wirtschaft; denn sie ist der Innovationstreiber in unserer Gesellschaft. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Dr. Gundelach, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich beglückwünsche Sie dazu, insbesondere zum Zeitmanagement, und wünsche Ihnen weitere erfolgreiche Reden hier im Hohen Hause. (Beifall) Nächste Rednerin ist die Kollegin Heidrun Bluhm, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen trifft in ihrem Antrag viele richtige Feststellungen und erhebt Forderungen, die meinem Anliegen und dem meiner Fraktion in Sachen Heizkostenersparnis und energetische Sanierung weitgehend entsprechen. Heizkosten sind keine rein fiskalische Frage für Familien und Haushalte im Land, sondern sind eine zutiefst soziale Frage der Daseinsvorsorge. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen. Neben viel Zustimmung zum Antrag Ihrer Fraktion, Herr Kühn, habe ich einen Kritikpunkt und kleine Änderungswünsche. Die Kritik zum Anfang: Meine Kritik richtet sich gegen den Vorschlag, die Mieterhöhung nach Modernisierung von 11 auf 9 Prozent jährlich zu senken, wie Sie das in Ihrem Antrag fordern. Die damit möglicherweise beabsichtigte wirtschaftliche Entlastung der Mieterinnen und Mieter ist von der Tendenz her sicherlich richtig. Aber das Prinzip der Modernisierungsumlage ist aus unserer Sicht grundfalsch. Zum einen ist die Modernisierungsumlage auf die Modernisierungskosten fixiert. Auf diese haben die Mieterinnen und Mieter vor Modernisierung leider fast keinen Einfluss. Zum anderen bleibt der Nutzen der Modernisierungsmaßnahme, nämlich der Wertzuwachs der Immobilie, beim Immobilieneigentümer, nachdem die Mieterinnen und Mieter diesen Wertzuwachs vollständig bezahlt haben, egal ob sie das in neun Jahren wie bisher, in zehn Jahren, wie es die Koalition vorhat, oder in elf Jahren, nach Ihrem Antrag, abzustottern haben. Nach unseren Vorstellungen sollte die Höhe der Modernisierungsumlage nicht an den Kosten orientiert werden, sondern am Nutzen, den die jeweilig Beteiligten am Prozess daraus ziehen. (Beifall bei der LINKEN) Mieterinnen und Mieter sollen Kosten in der Höhe tragen, in der sie Einsparungen bei der Heiz- und Energiekostenrechnung am Ende des Jahres tatsächlich erzielen können. Vermieterinnen und Vermieter sollen den Wertzuwachs ihrer Immobilie tragen, und der Nutzen, den die ganze Gesellschaft durch die energetische Gebäude- und Quartiersentwicklung erlangt, soll auch gemeinschaftlich aus öffentlicher Förderung finanziert werden, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) dann aber aus Sicht der Linken mehr über Zuschüsse und weniger über Kredite, die auch wieder nur die Gesamtrechnung belasten. Die Linke will auf 5 Prozent der Modernisierungskosten absenken, aber nur um in Stufen aus der ungerechten Modernisierungsumlage zu einem späteren Zeitpunkt ganz auszusteigen; denn wir wissen, dass wir von 11 Prozent ausgehen und nicht von jetzt auf gleich auf null Prozent senken können. Damit bin ich bei meinen Ergänzungswünschen. Ein wirklich tragfähiges Klimaschutzkonzept im Gebäudebereich braucht ein nachhaltig tragfähiges Finanzierungskonzept. Die Größenordnung, die im vorliegenden Antrag angepeilt wird, nämlich 2 Milliarden Euro Bundesmittel jährlich für die Gebäudesanierung bereitzustellen und 3 Milliarden Euro jährlich in einen Energiesparfonds einzuspeisen, deckt sich mit dem, was auch wir für notwendig halten. Aber warum trennen Sie die Mittel in zwei Fonds? Wäre es nicht flexibler, auch für diejenigen, die darauf zurückgreifen wollen, wenn dazu eine Position im Haushalt mit insgesamt 5 Milliarden Euro veranschlagt wäre und dann sicher für viele Jahre zur Verfügung stünde? Der zweite Wunsch, den ich hätte: Heiz- und Energiekosten zu sparen und dabei die erneuerbaren Energien voranzubringen, hat auch mit der kostengünstigen, flächendeckenden Versorgung mit solchen Energien zu tun. Neben einem bedarfsgerechten, nicht renditeorientierten Trassenausbau gehören auch nachhaltige Konzepte zum Ausbau regionaler Energieversorgung in den Werkzeugkasten der Energiewende. Auch das zu unterstützen, muss von der Bundesregierung verlangt werden. Ansonsten – Herr Kühn, Sie ahnen es –: Wir stimmen dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu. Wir werden uns darüber in den entsprechenden Ausschüssen noch unterhalten. Ich hoffe, dass wir am Ende darüber abstimmen und unsere Änderungswünsche gegebenenfalls Berücksichtigung gefunden haben werden. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Nina Scheer, SPD. (Beifall bei der SPD) Dr. Nina Scheer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Energiewende im Wärmebereich ist eine sozial- wie auch umweltpolitisch herausragende Aufgabe. Insofern ist die mit dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vorgenommene Thematisierung der Energiewende im Gebäudebereich gut und zu begrüßen. Die Bedeutung der Energiewende im Wärmebereich findet sich auch im Koalitionsvertrag wieder, dem der vorliegende Antrag in vielen Punkten inhaltlich entspricht. (Sönke Rix [SPD]: Da haben sie gut abgeschrieben!) Wenn es nun aber um die Umsetzung weiterer Schritte der Energiewende im Wärmebereich geht, eröffnet dies auch die Chancen auf ein Umdenken der Politik im Wärmesektor. Ein Umdenken fehlt im Antrag der Grünen. Ein Umdenken ist notwendig auf der Grundlage bisheriger Erfolge und Erfahrungen bei der Steigerung der Energieeffizienz sowie dem Ausbau erneuerbarer Energien. (Beifall bei der SPD) Ein Umdenken ist aber auch mit Blick auf die kommende neue Rolle des Wärmesektors erforderlich. Während der technologischen und akteursbezogenen Entwicklungen der letzten Jahre zeichnete sich ab, dass der Wärmesektor als kostengünstige, effiziente und somit sinnvolle Flexibilitätsoption für den Ausbau fluktuierender erneuerbarer Energien im Strombereich genutzt werden kann. (Beifall bei der SPD) Um diese ökonomisch sinnvollen Ansätze sowie umweltpolitischen Chancen zu nutzen und darin enthaltene Synergien auszuschöpfen, ist bei der Konzeption einer Wärmestrategie und einer Politik für eine Wärmeenergiewende mehr Systemdenken abzuverlangen. Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus den beiden genannten Punkten? Um die CO2-Reduktionsziele von mindestens 40 Prozent im Jahr 2020 und langfristig eine vollständige Dekarbonisierung zu erreichen, müssen die ökonomischen Rahmenbedingungen für die Wärmeenergiewende verbessert werden. Gemäß einer Studie des BBSR, des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, vom März 2013 wurde ermittelt, dass es für die Zielerreichung 2020 erstens auf Maßnahmen im Gebäudebestand ankommen wird und, zweitens, bei einer Haushaltsfinanzierung jährlich 6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden müssten. Es dürfte allen Vertretern des Hauses klar sein, dass dies gerade bei Gesprächen mit den Haushältern kein politischer Selbstläufer ist. Nichtsdestotrotz wird man in der Koalition offen darüber reden müssen, auf welchem Weg die offenkundig notwendigen Verbesserungen der ökonomischen Rahmenbedingungen erreicht werden können: ob mit haushalterischen Finanzmitteln oder mit haushaltsunabhängigen Instrumenten oder mit einem Mix aus beidem. Bei den Effizienzmaßnahmen hat man in den letzten drei Jahrzehnten viele kostengünstige Potenziale zum Teil schon gehoben. Weitere Potenziale sind zwar noch vorhanden, aber unabhängig davon, wie sehr man die Effizienzmaßnahmen verstärkt und auch verhältnismäßig teurere Potenziale erschließt: Am Ende wird man so oder so den Restwärmebedarf durch erneuerbare Energien decken müssen. (Beifall bei der SPD) Man wird also heute schon die Maßnahmen für erneuerbare Energien im Wärmesektor verstärken müssen, um den aktuellen Stillstand aufzubrechen. Insofern springt es zu kurz, schlicht die Sanierungsrate zu erhöhen. Hiermit ist für sich genommen keine Aussage über sinnvolle Effizienz- oder gar Wärmeenergiewende-Maßnahmen getroffen. Die deutsche Wärmepolitik ist bisher sehr stark von dem Fokus auf das einzelne Gebäude geprägt. Nutzt man aber die Chance, den Wärmesektor als kostengünstige Flexibilitätsoption zu erschließen, muss der Fokus auf das einzelne Gebäude verändert werden. (Beifall bei der SPD) Stärker müssen größere kommunale Einheiten, Quartiere oder Stadtteile, bei der Wärmeversorgung in den Mittelpunkt rücken; denn die sehr enge Systemgrenze des Gebäudes kann zu Ineffizienzen führen. Auch wenn der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen die Quartiere benennt, lässt er eine solche systemisch-umdenkende Betrachtung nicht erkennen. Es gilt, durch Nah- und Fernwärmenetze größere Wärmequellen zu erschließen und diese gleichzeitig zu flexibilisieren, etwa mit Wärmespeichern und einer bivalenten Auslegung von Kraft-Wärme-Kopplung. Der Kraft-Wärme-Kopplung sowie der großtechnischen Anwendung von Solarthermie und Großwärmepumpen in Quartieren und Stadtteilen wird damit eine größere Bedeutung zukommen. Dänemark bietet ein gutes Beispiel dafür. Dies bedeutet aber auch, dass man sich das Planungsrecht von Bund und Ländern genau anzuschauen haben wird und den Städten und Gemeinden bei der Planung der Wärmeversorgung eine größere Rolle zugestanden werden muss. (Beifall bei der SPD) Gute Ansatzpunkte hierzu finden sich etwa im Erfahrungsbericht zum Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz. Bei der verstärkten Vernetzung des Stromsektors mit dem Wärmesektor wird man sich auch die geltenden Gesetze und Verordnungen anzusehen haben, um bestehende Hemmnisse für eine verstärkte Nutzung von sogenanntem Power-to-Heat abzubauen. An dieser Stelle sei nur kurz auf die Energieeinsparverordnung und die Berechnung des Primärenergiefaktors hingewiesen. Zusammen mit einer verbesserten Finanzierung der Wärmeenergiewende und der eventuellen Schaffung neuer Instrumente, etwa im Rahmen der noch vorzunehmenden Umsetzung des Art. 7 der Energieeffizienz-Richtlinie, ergeben sich mit diesem neuen Fokus neue Geschäftsfelder und Geschäftsmodelle, die durch neue, vielfältige und dezentrale Akteure und Dienstleister bereitgestellt werden können. So kann und sollte eine neue Aufbruchdynamik bei der Wärmeenergiewende geschaffen werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Dr. Scheer, das war Ihre erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich dazu und wünsche Ihnen weitere erfolgreiche Redebeiträge im Hohen Hause. (Beifall) Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/575 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 (Beitragssatzgesetz 2014) Drucksache 18/187 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/604 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/618 b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) Drucksache 18/52 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/604 Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Alle Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Damit kommen wir zur Abstimmung über den von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/604, den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/187 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Ich stelle fest, dass das die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke sind. Wer stimmt dagegen? – Dagegen stimmt Bündnis 90/Die Grünen. Damit kann ich mir die Frage, wer sich der Stimme enthält, sparen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Linken gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/611. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Linken und Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Fraktion Die Linke eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/604, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/52 abzulehnen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten Drucksache 18/503 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Diese Reden sollen ebenfalls zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, dass alle damit einverstanden sind. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/503 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe auch dazu Einverständnis. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 14 auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Schulobstgesetzes Drucksache 18/295 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/601 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kollegin Katharina Landgraf, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Katharina Landgraf (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt sie also doch, die gute Nachricht aus Brüssel. Als Berichterstatterin für gesunde Ernährung habe ich die Botschaft der Kommission und die folgende Aktion des Bundesrates mit Wohlwollen aufgenommen. Die Länder sollen für das Schulobstprogramm mehr Geld erhalten und selber weniger dafür zahlen. Der Kofinanzierungsanteil von 50 Prozent wird jetzt also auf 25 Prozent gesenkt. Das klingt gut und verführerisch. Das trifft auch auf die aktuelle Ankündigung zu, dass Brüssel die Obst- und Schulmilchprogramme zusammenführen will, sodass man künftig gegebenenfalls gar nichts mehr zuzahlen müsste. Mit den heutigen Gesetzesänderungen zum Schulobst öffnen wir für die Interessenten in Deutschland weit die Tore und Türen. Das ist erst einmal die wichtigste Voraussetzung dafür, den symbolisch aus Brüssel angebotenen Apfel annehmen zu können, mehr nicht. Ich kann es mir hier getrost sparen, etwas zu den einzelnen Fristveränderungen zu sagen. Das geht schon in Ordnung. Einen neuen Sündenfall müssen wir da nicht befürchten. Jetzt kommt es aber darauf an, etwas daraus zu machen. Bei der praktischen Umsetzung sollte darauf geachtet werden, dass vor allem Obst und Gemüse in die Schulen kommt, das auch in den betreffenden Regionen gewachsen ist. Für eine solche Entscheidung brauchen wir keine Brüsseler und auch keine Berliner Bürokratie. Wenn sich die Europäische Union dafür einsetzt, die gesunde Ernährung der jungen Generation zu unterstützen, so haben wir damit das eigentliche Ziel noch längst nicht erreicht. Die Begeisterung für die tägliche Portion Obst und Gemüse wird mit einem aus EU-Mitteln finanzierten Programm zwar durchaus positiv begleitet, geweckt wird sie damit aber eher nicht. Auf den Geschmack kommen Mädchen und Jungen im wahrsten Sinne des Wortes doch wohl erst, wenn in ihren frühen Jahren die entsprechenden Nerven dafür sensibilisiert worden sind. Das wiederum kann die Politik nicht wirklich leisten. Das können nur die Erwachsenen, die die Schutzbefohlenen auch in Sachen Nahrung betreuen und erziehen. Unsere Kompetenz als Politiker ist da eher begrenzt. Wir können lediglich die entsprechenden Rahmenbedingungen organisieren. Das tatsächliche Leben mit Obst und Gemüse wird vor Ort entschieden: in den Familien, Kindertagesstätten und Schulen. Dass es da läuft, hängt einzig und allein von der Kompetenz der Akteure, der Eltern und Pädagogen, ab. Der Idealfall wäre, wenn Vater und Mutter selbst mit dem Thema gesunde Ernährung und vor allem mit Obst aufgewachsen sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die eigene Erfahrung, die man in seiner persönlichen Entwicklung, in seiner Umgebung, in seiner Familie gemacht hat, ist die beste Wissens- und Handlungsgrundlage. Ist das nicht gegeben, so braucht man eine entsprechende pädagogische Begleitung. Klar ist, dass der Idealfall im Alltag eher unüblich ist. Deshalb kann ich ein Obst- und Gemüseprogramm in den Kitas und Schulen nur begrüßen. Wünschenswert ist, dass die Schulen ein solches Angebot nicht als ein von oben verordnetes Übel ansehen, das nur mehr Arbeit macht. Das Programm sollte Bestandteil des gesamten Schulbetriebs und des Unterrichtsprogramms sein. Kurzum: Es sollte zum ganz normalen Alltag in den Schulen und Einrichtungen gehören. Wie das entwickelt wird, ist Sache der Träger. Da können wir von hier aus nur Appelle aussenden und allen Akteuren vor Ort danken, die sich wirklich für eine gesunde Ernährung in Kitas und Schulen engagieren. Ich persönlich wünsche mir, dass nach den heute zu beschließenden Veränderungen des Gesetzes möglichst alle Bundesländer das Angebot annehmen und sie nicht ständig den bürokratischen Aufwand solcher Programme dagegen aufwiegen. Mein Dank gilt letztlich dem Bundesrat wie auch dem Freistaat Bayern dafür, dass sie die Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht haben. Danke sage ich auch den Landfrauen für ihr Engagement. Den Damen und Herren aus der Opposition danke ich im Voraus dafür, dass sie mitziehen; denn es gibt sie wirklich: gute Nachrichten aus Brüssel. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als Nächstes spricht die Kollegin Karin Binder, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! 918 582 Kinder haben laut der Pressemitteilung vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Schuljahr 2012/2013 an dem EU-Schulobstprogramm teilgenommen. Das ist eine tolle Zahl; aber es ist leider nur ein Bruchteil der Kinder, die in Deutschland in die Kindergärten und Schulen gehen. Es sind über 11 Millionen Kinder; das heißt, über 10 Millionen Kinder kamen leider nicht in den Genuss dieses Programms. Dabei wissen wir alle: Obst und Gemüse sind unerlässlich für eine ausgewogene und gesunde Ernährung. Wer schon als Kind Obst und Gemüse gegessen hat, wird diese schöne Gewohnheit sicherlich nicht so schnell aufgeben und ein Leben lang davon profitieren. Übergewicht und ernährungsbedingten Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird hier gut vorgebeugt. Die Linke unterstützt deshalb dieses Schulobstprogramm der EU, und wir unterstützen auch den vorliegenden Gesetzentwurf, wonach der Finanzierungsanteil entsprechend steigen soll. Allerdings wünschen wir uns deutlich mehr Engagement vom Bund. (Beifall bei der LINKEN) Mit unserem Entschließungsantrag fordern wir deshalb die Bundesregierung auf, sich um die Kofinanzierung zu bemühen. Der Anteil würde vorerst wahrscheinlich nur ungefähr 5 Millionen Euro betragen, aber wir würden weit mehr Kinder erreichen als bisher. Für die Kofinanzierung gibt es mehrere gute Gründe: Erstens hat der Bund eine Fürsorgepflicht gegenüber allen Kindern und Jugendlichen in diesem Land (Beifall bei der LINKEN) und trägt auch die Verantwortung für die Gesundheitsvorsorge. Zweitens ist dieses Schulobstprogramm Teil eines Absatzförderungsprogramms für die Landwirtschaft. Das ist wunderbar; auch wir begrüßen das. Wir sind sehr dafür, dass regionale Landwirtschaft und Gartenbaubetriebe unterstützt werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Absatzförderung ist aber aus meiner Sicht eine Aufgabe des Bundes. Drittens nehmen bisher leider nur sieben Bundesländer an diesem Programm teil. Grund dafür ist, dass viele Bundesländer schlichtweg die Mittel nicht mehr haben, um sich an der Finanzierung zu beteiligen. Ein weiterer Grund liegt in der Bürokratie. Im Moment kann nicht die Rede davon sein, dass bundesweit gleichwertige Verhältnisse bestehen. Eine Aufgabe des Bundes ist doch die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Nord und Süd, Ost und West. Wir von den Linken fordern den Bund auf, sicherzustellen, dass alle Kinder und Jugendlichen an diesem Programm teilnehmen können. Deshalb brauchen wir die Kofinanzierung des Programmes durch den Bund und nicht über die Länder alleine; denn allen Schulen muss die Möglichkeit eröffnet werden, daran teilzunehmen. Wichtig ist auch, die bürokratische Hürde herunterzusetzen. (Beifall bei der LINKEN) Ich höre den Amtsschimmel ganz laut wiehern angesichts dessen, dass Lehrerinnen und Lehrer nach Vorgaben der EU-Bürokratie nicht mitessen und um Himmelswillen nicht in den Obstkorb greifen dürfen. Das Gegenteil muss doch der Fall sein: Die Lehrer sollen als Vorbilder fungieren; sie sollen den Kindern zeigen, dass Obst und Gemüse toll schmecken, und sie ermuntern, hineinzubeißen. Einen solchen bürokratischen Unsinn kann ich überhaupt nicht verstehen. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, diesem ein Ende zu setzen und ihr ganzes Gewicht in die Waagschale zu werfen, damit das auf europäischer Ebene geändert wird. (Beifall bei der LINKEN) Abschließend ein weiterer Punkt. Wir müssen erreichen, dass in den Schulen Trinkwasserbrunnen aufgestellt werden, damit sich die Kinder nicht auf dem Klo das Glas Wasser füllen müssen. Das machen Kids oder Teenager bestimmt nicht gerne. Die Möglichkeit, Trinkwasser aus Trinkwasserbrunnen zu nehmen, führt dazu, dass Kinder keine süße Limonade oder gesüßte Säfte zu sich nehmen; denn auch das hat – das wissen wir alle – einen erheblichen Anteil an der Entstehung von Übergewicht. Trinkwasser kostenfrei und flächendeckend in den Schulen zur Verfügung zu stellen, ist eine wichtige Forderung. Davon hätte der Bund ganz viel Gewinn, nämlich gesunde Kinder und gesunde Erwachsene mit weniger Übergewicht. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Jeannine Pflugradt, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jeannine Pflugradt (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der Verabschiedung des deutschen Schulobstgesetzes Ende September 2009 fand Deutschland eine Antwort auf das von der Europäischen Union eingeführte Schulobstprogramm. Das Schulobstgesetz ist die Voraussetzung dafür, dass sich deutsche Schulen an dem von der EU mitfinanzierten Programm beteiligen können. In Deutschland sind, wie schon erwähnt, die Bundesländer für die Umsetzung des Programms zuständig. Momentan beteiligen sich sieben Bundesländer – Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen – am EU-Schulobstprogramm. Ab dem Schuljahr 2014/2015 wird voraussichtlich Niedersachsen in das Programm mit einsteigen. Heute sprechen wir über das Schulobstgesetz, weil die EU ab 2014 die Mittel für das Schulobstprogramm für alle Mitgliedstaaten auf 150 Millionen Euro erhöht. Das sind 60 Millionen Euro mehr als im vorigen Jahr; das ist eine ganze Menge. Für Deutschland werden für das nächste Schuljahr voraussichtlich 19,7 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Die EU übernimmt 75 Prozent der Kofinanzierung statt bisher 50 Prozent. Der Eigenanteil der Länder sinkt somit auf – in Anführungszeichen – „nur noch“ 25 Prozent. Damit die Mitgliedstaaten von den Änderungen auf EU-Ebene profitieren können, wurde die Frist für die Einreichung der Strategien von Ende Januar 2014 auf Ende April 2014 verschoben. Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates nimmt diese Neuerungen auf und passt sie an das deutsche Recht an. Bis zum 3. April dieses Jahres haben die Bundesländer nun noch Zeit, ihr Interesse beim Bundesministerium zu bekunden. Bis Ende April muss der Bund schließlich seine regionale Strategie bei der EU-Kommission eingereicht haben. Ohne die vorgeschlagenen Veränderungen könnten die teilnehmenden Bundesländer die erwartete Erhöhung des Kofinanzierungsanteils nicht in Anspruch nehmen. Zusätzlich enthält der vorliegende Entwurf eine Verordnungsermächtigung für das zuständige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, das in Zukunft durch Rechtsverordnung auf solche Mittel- und Friständerungen der EU zeitnah reagieren soll. Die zur Verfügung gestellten Mittel sollen für den Ankauf von Obst und Gemüse und dessen Verteilung an Schulen, Kindergärten und anderen Vorschuleinrichtungen sowie – ganz wichtig – für begleitende Informationsmaßnahmen verwendet werden. Ziel ist eine dauerhafte Erhöhung des Konsums von Obst und Gemüse bei Kindern, um einen Beitrag zur gesunden Ernährung zu leisten. Momentan haben 1,9 Millionen Kinder in Deutschland Übergewicht. Meine Damen und Herren, das ist eine besorgniserregende und, wie ich finde, eine erschreckende Zahl. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Neben dem Angebot einer gesunden Ernährung müssen deshalb auch die Ernährungsbildung verbessert und vor allem das Bewegungsangebot optimiert werden; denn das Wissen um eine ausgewogene Ernährung allein reicht nicht aus, um das tatsächliche Ernährungsverhalten zu verändern. Beispielsweise sollten die Kinder lernen, woher die Nahrung kommt, die gerade verzehrt wird, wie gesunde und ausgeglichene Ernährung funktioniert oder wie mit Lebensmitteln umgegangen werden soll. 90 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer, der Schulleiterinnen und Schulleiter der in Deutschland beteiligten Schulen sagen übereinstimmend, dass ein Schulobstprogramm ohne große Probleme in den Schulalltag integriert werden kann. Wichtig ist jedoch ein kostenfreies Angebot für die Kinder, damit niemand aus sozialen Gründen ausgeschlossen wird. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein gemeinschaftlicher Verzehr beeinflusst maßgeblich sowohl das Zusammengehörigkeitsgefühl als auch die Denkweise über die Ernährung. Ich persönlich halte gesunde Essgewohnheiten von klein auf für enorm wichtig und auch für eine Grundlage für einen gesunden Lebensstil. Obst und Gemüse sind dabei unentbehrlich für eine vollwertige und ausgeglichene Ernährung. Diese Lebensmittel enthalten neben Vitaminen, Mineralstoffen, Ballaststoffen sowie Kohlenhydraten auch einen hohen Wasseranteil. Ein hoher Verzehr von Obst und Gemüse hat eine positive Wirkung bei der Vorbeugung von zahlreichen Erkrankungen. Schulobstprogramme können und sollen einen direkten Einfluss auf die Ernährungsgewohnheiten der Schüler nehmen. Sie sollen helfen, Kindern Obst und Gemüse schmackhaft zu machen. Gerade in der heutigen Zeit ist die Schule auch ein Lernort für gesellschaftliche Aufgaben geworden. Schulen müssen mehr Verantwortung übernehmen, da viele Eltern sich leider aus dieser Verantwortung aus den verschiedensten Gründen zurückziehen. Wertevorstellungen werden nicht nur von den Eltern weitergegeben, sondern auch von Lehrern und Mitschülern. Wenn in einer Familie nicht regelmäßig Obst und Gemüse auf dem Tisch stehen, kann der Verzehr als geplante Routine während der Schulzeit neue Essgewohnheiten schaffen. Durch die Einführung von Schulobstprogrammen übernimmt der Staat eine wichtige Mitverantwortung für eine gesunde Ernährung von Schulkindern. Deshalb sehe ich auch den Vorschlag der EU-Kommission zur Zusammenlegung der beiden EU-Programme „Schulobst“ und „Schulmilch“ sehr positiv. Wie Sie bereits wissen, haben die ersten Beratungen im Europäischen Rat stattgefunden. Es wird vorgeschlagen, einen gemeinsamen rechtlichen und finanziellen Rahmen für die Verteilung von Obst und Gemüse sowie Milch an Schulkinder zu generieren und durch verstärkte pädagogische Maßnahmen zu unterstützen. Die bereitgestellten Mittel sind sicherlich nicht ausreichend, um das Gesamtproblem von Übergewicht und Fettleibigkeit in den Griff zu bekommen. Programme wie die Verteilung von Obst, Gemüse und Milch an Schulen sind da sicherlich nur ein Anstoß. Aber dieser ist meiner Meinung nach sehr wichtig. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich appelliere hier an dieser Stelle an alle Bundesländer, sich an diesem für unsere Kinder und Jugendlichen sehr wichtigen Programm zu beteiligen. Und an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, appelliere ich, sich in Ihrem jeweiligen Bundesland und Wahlkreis über dieses – gute – Programm weiter intensiv zu informieren. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir müssen heute dieses Geld in unsere Kinder investieren; denn dadurch minimieren wir unkalkulierbare hohe Kosten aufgrund gesundheitlicher Probleme unserer Mitmenschen, die unsere Gesellschaft auf Dauer belasten können. Nur gesunde Kinder sind leistungsfähig, und die Wahrscheinlichkeit, ein dauerhafter Leistungsempfänger zu werden, sinkt durch eine gesunde Ernährung. Einen persönlichen Wunsch habe ich anschließend: Lassen Sie uns gemeinsam nach Wegen suchen, dieses Programm zu erweitern, und beziehen wir die vielen Sportvereine ein. In diesen Sportvereinen betätigen sich die Kinder in ihrer Freizeit oder im Rahmen von Ganztagsschulen. Auch das fördert ihre Gesundheit. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Pflugradt, das war Ihre erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Meinen Glückwunsch dazu! Ich wünsche Ihnen, dass Sie hier zahlreiche weitere Reden halten können. (Beifall) Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Ostendorff, Bündnis 90/Die Grünen. (Abg. Jeannine Pflugradt [SPD] nimmt Glückwünsche entgegen – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Solange die Redezeit noch nicht läuft!) – Die Glückwünsche werden noch abgewickelt und minimieren nicht die Redezeit. – (Heiterkeit) Ich würde vorschlagen, dass wir jetzt doch starten, Herr Kollege Ostendorff. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beabsichtigten Änderungen im Schulobstgesetz finden die Unterstützung unserer Fraktion. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Es ist gut, dass die von den Ländern für die Kofinanzierung aufzubringenden Mittel durch die Aufstockung der EU-Mittel zukünftig stark absinken werden. Die Schulen sind wichtige Multiplikatoren. Unsere Kinder sind die Verbraucher von morgen. Hier müssen Gesundheitserziehung und Ernährungsbildung ansetzen. Hier müssen die Leitbilder nachhaltigen und regionalen Wirtschaftens vermittelt werden. Meine Damen und Herren, wir Grünen wollen keine krankmachenden, verdorbenen Erdbeeren aus China von Sodexo für 8 Cent pro Kilo, wo doch bei uns Pflaumen, Äpfel, Birnen, Kirschen und die ganze Vielfalt an Früchten an den Bäumen hängt, das Gemüse auf den Feldern wächst oder in unseren Lagern liegt. Wir Grüne wollen lokal produzierte Lebensmittel. Wir wollen eine regionale handwerkliche Verarbeitung und eine gesunde Esskultur. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen aber auch die Folgen einer globalisierten Nahrungsproduktion problematisieren. All das lässt sich durch intelligent gestaltete Schulernährungsprogramme erreichen. Es geht darum, dass sich die Kinder die Bauernhöfe mit den Obstbäumen und Gemüsefeldern anschauen können und sehen, wie ihre Nahrungsmittel produziert werden. Es geht darum, den Bezug zu den Lebensmitteln und ein Gefühl ihrer Wertschätzung zu erreichen. Das kann kein Lehrbuch vermitteln, sondern nur das eigene Erfahren, Entdecken und Erschmecken. Es geht also nicht um Abfüttern, sondern um Gesundheits- und Ernährungserziehung. Ich sage nur: Der Spruch „An apple a day keeps the doctor away“ gilt hier immer noch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In Deutschland beteiligen sich leider erst sieben, zukünftig acht Bundesländer an diesem hervorragenden Programm. Wer hätte denn gedacht, dass sich auf europäischer Ebene Italien am stärksten engagiert? Ich habe die Umsetzung dieses Programms, mit dem Regionalität und Qualität sehr gut umgesetzt werden, in Nordrhein-Westfalen, dem Vorreiterland bei der Schulobsternährung, von Anfang an begleitet. Zentral für ein erfolgreiches Schulobst- und -gemüseprogramm ist die Auswahl der Anlieferer; das ist die zentrale Frage. Die Auswahl erfolgt nicht über eine Ausschreibung, die nur den billigsten Anbieter fördert und am Ende zu besagten chinesischen Erdbeeren oder zu einem Lieferanten führt, der am Großmarkt zum Schluss den Ramsch abräumt. Die Anbieter aus der Region – sie müssen die Lieferanten sein. Das sind oft Bauern und Bäuerinnen, die direkt vertreiben, oder auch lokale Händler. Sie werden von den Schulen in NRW vorgeschlagen, beruhend auf guter Erfahrung und Zusammenarbeit. Die Zulassung erfolgt zentral auf Landesebene. Die Vergütung erfolgt in NRW nach einem Festpreismodell. Wichtig ist auch die Einbindung von Eltern, Lehrkräften und ehrenamtlichem Engagement in das Programm. Dies ist notwendig, weil das Obst und Gemüse – wenn es geht, in Bioqualität – ordentlich gewaschen und geschnitten präsentiert werden muss. Leider essen die wenigsten Kinder einen ganzen Apfel. Mein Dank geht hier ausdrücklich – es wurde eben schon erwähnt, aber auch ich will es sagen – an die Landfrauen, die oftmals die praktische Umsetzung dieses Programms mit ermöglicht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, das ist der Weg, den wir weitergehen müssen, um zu verhindern, dass unsere Schulen in Zukunft von den gerade vorgestellten neuen Paketen von Amazon Fresh beliefert werden. Bei der Schulverpflegung mit den unmoralisch niedrigen Tagessätzen pro Kind sind wir leider längst noch nicht bei ausgewogenen, qualitativ hochwertigen Mahlzeiten angelangt. Viele Kinder sind heutzutage leider von morgens bis abends aus dem Haus und daher oft in der Auswahl ihrer Ernährung auf sich allein gestellt und der irreführenden Werbung der Ernährungsindustrie ausgeliefert. Deshalb müssen wir uns in der Politik viel stärker um das Thema ausgewogene Ernährung kümmern. Für uns alle gilt: Hier gilt es, anzusetzen, um Bewusstsein für gesunde Ernährung auszubilden und regionale Versorgung flächendeckend umzusetzen. Das heißt für uns: grüne Ernährungswende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Alois Rainer, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Alois Rainer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht wird es Sie überraschen, dass gerade ich als Metzgermeister (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in meiner ersten Rede zum Thema Schulobst sprechen darf. Aber unbestritten ist, dass eine gesunde und vor allem ausgewogene Ernährung ein wichtiger Beitrag zu mehr Lebensqualität ist. Obst und Gemüse sind unentbehrlich für eine vollwertige Ernährung. Vitamine und Mineralstoffe sind besonders für Kinder und deren Entwicklung wichtig. Leider müssen wir in der heutigen Zeit oft feststellen, dass viele Kinder und Jugendliche wenig bis gar kein Obst oder Gemüse essen. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man aber ändern! Da haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht!) In vielen Familien ist es nicht selbstverständlich, dass frisches Obst und Gemüse regelmäßig auf den Tisch kommen. Umso wichtiger ist es, dass die Kinder dort, wo sie sich lange aufhalten, nämlich in der Schule, Obst und Gemüse zu sich nehmen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn regelmäßige Obst- und Gemüsemahlzeiten in der Schule beeinflussen das Ernährungsverhalten der Kinder langfristig positiv. Eine gesunde Esskultur beginnt von klein auf. Wir alle kennen doch den Ausspruch: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der heute vorgesehenen Änderung des Schulobstgesetzes stellen wir langfristig die Weichen für eine bessere Verteilung der Gemeinschaftsbeihilfe unter den Ländern. Das Schulobstgesetz regelt das Verfahren zur Durchführung des EU-Schulobstprogramms. Insbesondere regelt es die Fristen für die jährlich einzureichenden Strategien der Länder und die Verteilung der Gemeinschaftsbeihilfe. Das bisherige Gesamtbudget der EU für das Schulobstprogramm wird von 90 Millionen Euro auf 150 Millionen Euro jährlich erhöht. Damit wird der Kofinanzierungsanteil für die Mitgliedstaaten von 50 Prozent auf 25 Prozent gesenkt. Ich hoffe, dass sich das dann das eine oder andere Land auch leisten kann, liebe Frau Kollegin. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Aufgrund dieser Änderung hat die Europäische Kommission die Frist für die Einreichung der Strategien für das aktuelle Schuljahr vom 31. Januar auf den 30. April 2014 verschoben. Damit es den Ländern bereits im kommenden Jahr möglich ist, von dieser Verbesserung zu profitieren, hat der Bundesrat am 19. Dezember 2013 beschlossen, einen Gesetzentwurf einzubringen, durch den insbesondere die Fristen angepasst werden. Die Mittelaufstockung der EU und die Reduzierung des Kofinanzierungsanteils für die Mitgliedstaaten von 50 Prozent auf 25 Prozent machen das Schulobstprogramm noch viel attraktiver. Das müsste eigentlich für alle Länder Grund genug sein, das Programm durchzuführen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bayern hat hier von Anfang an die Initiative dazu ergriffen. Als immer noch amtierender Bürgermeister kann ich bestätigen, dass wir das Programm an unseren Schulen schon durchgeführt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich freue mich, dass sich die Länder Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt dem angeschlossen haben und weitere Länder mit Sicherheit folgen werden. Ich würde mich riesig freuen, wenn sich dem Programm alle Länder anschließen; (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir alle wollen, dass unsere Kinder frühzeitig an gesundes Essen herangeführt werden und sich die Ernährungsgewohnheiten damit langfristig ändern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dies ist und muss uns sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene ein wichtiges Anliegen sein. Ich möchte mich abschließend bei allen bedanken, die sich schon jetzt für dieses Programm einsetzen, bei den Landfrauen – sie sind schon genannt worden –, den Obst- und Gartenbauvereinen und den vielen freiwilligen Helfern. Wir sind bereits auf einem guten Weg. Lassen Sie uns darum die erforderliche Gesetzesänderung beschließen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Rainer, Sie haben es erwähnt: Sie haben als Metzgermeister Ihre erste Rede zum Schulobstgesetz gehalten. Ich beglückwünsche Sie dazu und wünsche Ihnen weitere erfolgreiche Reden im Hohen Hause. (Beifall) Die Glückwünsche werden noch entgegengenommen. Ich darf aber schon mitteilen, dass damit die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt geschlossen ist. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Schulobstgesetzes. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/601, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 18/295 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung von allen Fraktionen des Hohen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Gesetzentwurf mit Zustimmung aller Fraktionen angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/612. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15, den letzten in unserer heutigen Tagesordnung, auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien Drucksache 18/576 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 8. Juli 2011 forderte Sigmar Gabriel hier im Plenum in Bezug auf die Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien die Vorgängerregierung dazu auf – ich zitiere –, „die Genehmigung zur Ausfuhr entweder zurückzuziehen oder, wenn sie noch nicht endgültig gefallen ist, nicht zu erteilen“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch im Februar 2013 griff Herr Oppermann Schwarz-Gelb massiv an, weil es Saudi-Arabien – auch hier wieder ein Zitat – „total hochrüsten“ wolle und „aus den öffentlichen Protesten gegen Waffenlieferungen in dieses Land nichts gelernt“ habe. Ich würde sagen: Damit haben die beiden völlig recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, lassen Sie diesen schönen Ankündigungen jetzt, wo Sie Teil der Regierung sind, konkrete Taten folgen. Heben Sie den Vorbescheid für den Export von Patrouillenbooten und insbesondere auch den für die Panzerlieferung an das Königreich Saudi-Arabien auf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich könnte noch viel mehr Zitate der SPD anführen, die belegen: Eigentlich sind Sie – soll ich besser sagen: waren Sie? – gegen Rüstungsexporte (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Man lernt halt auch dazu!) in Länder, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Nun versuchen Sie, sich hinter Schwarz-Gelb zu verstecken, und verweisen auf die in der Vergangenheit getroffenen Beschlüsse. Aber das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Denn jenseits schöner Ankündigungen in Interviews besteht Ihre erste wahrnehmbare Handlung in Regierungsverantwortung bei den Rüstungsexporten darin, dass Sigmar Gabriel federführend und aktiv Hermesbürgschaften für die Lieferung von Patrouillenbooten nach Saudi-Arabien auf den Weg bringt. (Beifall des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU] – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ungeheuerlich!) Statt dieses von Ihnen kritisierte Geschäft zu stoppen, geben Sie nun also auch noch ganz bewusst die Zustimmung, diesen Deal mit deutschen Steuergeldern durch Hermesbürgschaften abzusichern. Liebe Genossinnen und Genossen, Sie verhalten sich wie ein Fähnchen im Wind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren von Union und SPD, hören Sie endlich auf, Rüstungsexportpolitik als Wirtschaftspolitik zu betreiben! Denn das ist ein ziemlich kurzsichtiger und riskanter Kurs. Zu den Hauptabnehmern deutscher Waffen gehören neuerdings vor allem die zahlungskräftigen Staaten der Arabischen Halbinsel. Die Kanzlerin bezeichnet diese Länder als strategische Partner, die wir mit deutschen Waffen ertüchtigen müssen. Doch damit rüstet Deutschland eine sicherheitspolitisch höchst instabile Region hoch und heizt die Rüstungsspirale an. Neben dem Risiko, dass diese Waffen für innere Repression eingesetzt werden, wissen wir doch alle auch, dass islamistische Kämpfer von diesen Regimen auf der Arabischen Halbinsel finanziert und ausgerüstet werden, wie zum Beispiel in Syrien und Mali. Sie sehen, meine Damen und Herren: Diese sicherheitspolitische Kurzsichtigkeit von Kanzlerin Merkel ist aus vielen Gründen höchst gefährlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auch die Forderung nach mehr Transparenz und parlamentarischer Beteiligung bei der Kontrolle von Rüstungsexporten müsste den Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion ebenso wie die Äußerungen zu den Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien doch sehr bekannt vorkommen. Denn bis vor ein paar Monaten waren dies noch Ihre eigenen Vorschläge. Aber auch hier sind Sie sehr schnell eingeknickt und haben der Union nachgegeben. Nun wird es aufgrund Ihrer Untätigkeit kein gesondertes Gremium im Bundestag geben, das über Rüstungsexporte unterrichtet wird und die Regierung an dieser Stelle kontrollieren kann. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der gesamte Bundestag wird unterrichtet! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Genau!) Gerade solche sensiblen und kritischen Entscheidungen wie die Genehmigung von Waffengeschäften muss eine Regierung doch begründen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein!) Sie kann sich dabei nicht hinter den verriegelten Türen des Bundessicherheitsrates verstecken. Es muss endlich Schluss sein mit dieser Geheimniskrämerei. Ich finde, das ist ein unwürdiger Zustand in einer Demokratie, auch im Hinblick auf uns Abgeordnete. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen in der Koalition, halten Sie sich an Ihre eigenen Rüstungsexportrichtlinien, halten Sie sich an Ihre Versprechen und Ihre moralischen Ansprüche! Seien Sie kein Fähnchen im Wind, sondern eine verlässliche Beschützerin der Menschenrechte, egal ob Sie regieren oder ob Sie opponieren! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Willsch, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kollegen! Es ist schön, dass wir nach dem Schulobst noch zu den Patrouillenbooten vor Saudi-Arabien kommen. Frau Brugger, ich will einfach einmal erklären, um was es eigentlich geht. Es geht um einen Auftrag, den der Innenminister von Saudi-Arabien deutschen Schiffsbauern erteilen möchte. Saudi-Arabien möchte seine Grenzschutzflotte modernisieren und aus diesem Grund 146 Boote verschiedenen Typs bei uns kaufen: 2 Führungsboote, 33 Patrouillenboote, 79 schnelle Einsatzboote und 32 Arbeitsboote. Dafür gibt es in Saudi-Arabien natürlich auch einen konkreten Bedarf. Die Boote sollen im Roten Meer und im Persischen Golf eingesetzt werden: zur Überwachung von Küstenlinien, zur Kontrolle und zum Schutz der Hoheitsgewässer und der internationalen Seewege, zum Schutz von Hafenanlagen und zur Unterbindung von Piraterie, Sabotage und Terrorismus. Saudi-Arabien will auch seine Tanker und Ölplattformen bzw. die seiner Kunden vor Piraten und Terroristen am Horn von Afrika und im Persischen Golf schützen und seine Grenzregionen gegen Terror jeglicher Art sicherer machen. Ich halte es für völlig legitim, dass Saudi-Arabien das tut. Ich freue mich darüber, wenn Saudi-Arabien dafür deutsche Technologie einsetzen will. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD]) Wir müssen uns einmal vor Augen führen, in welcher Region Saudi-Arabien liegt; (Inge Höger [DIE LINKE]: Genau, das müssen wir uns mal vor Augen führen!) diese Region ist ja nun alles andere als eine Insel der Glückseligen: Hier liegen Afghanistan, Iran, Irak, Ägypten, Sudan, Somalia, und es gibt Stützpunkte des internationalen Terrorismus, zum Beispiel von Terrorgruppen wie al-Qaida. Aber diese Region ist auch – das wissen wir; deshalb sind auch wir selbst dort tätig – für den Welthandel von herausragender Bedeutung. Die vielbefahrenen Handelsrouten, auf denen die Tanker das Öl nach Europa und in die USA bringen, liegen in diesem Raum und brauchen Schutz. Die Straße von Hormus vor der Küste Irans und der Suezkanal zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer sind Achillesfersen des Öltransports. Durch die relativ schmalen Wasserstraßen schleusen die Tanker einen Großteil des weltweit verbrauchten Öls, viele Millionen Barrel täglich. Wenn einer der angrenzenden Staaten oder Terrororganisationen diese Wege blockieren, gehen bei uns die Lichter aus. Deshalb ist es wichtig, dass dort Ordnung gehalten wird. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Undemokratische Ordnung!) Wir sollten uns über jeden, der daran mitwirkt, freuen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD]) Dass die Piraterie in diesem Bereich ein großes Problem darstellt, sollte Ihnen nicht entgangen, sondern aufgrund der allgemeinen Nachrichten und unserer Mitwirkung an den entsprechenden Mandaten durchaus geläufig sein. Saudi-Arabien hat in den zurückliegenden Jahren nach Schätzungen 100 Millionen Dollar allein an Lösegeld verloren, das man dort an Piraten zahlen musste. Ich halte es für absolut legitim, dass Saudi-Arabien als souveräner Staat seine Küsten optimal schützen möchte; ich finde, wir müssen dafür Verständnis haben. Wenn deutsche Hightechfirmen dafür die geeigneten Gerätschaften haben und sie dorthin verkaufen können, sollten wir sie dabei unterstützen. Das tun wir. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie doch gerade schon mal gesagt! Ihre Rede dauert einfach zu lange! – Gegenruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Aber nur, damit ihr es auch versteht!) Wir können uns unsere Handelspartner natürlich nicht immer aussuchen oder sie nach unseren Vorstellungen malen. Aber wenn Sie sich einmal die Rolle Saudi-Arabiens in der Region anschauen, dann werden doch wohl auch Sie konzedieren, dass Saudi-Arabien sowohl beim Friedensprozess im Nahen Osten als auch beim Antiterrorkampf auf unserer Seite stand. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Also ein strategischer Partner?) Bei Einmischungen in die Innenpolitik anderer Staaten sollten wir uns eine gewisse Zurückhaltung auferlegen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass nicht überall eine Situation herrscht wie bei uns in Westeuropa, wo wir seit Jahrzehnten Frieden, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit haben. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie auch gleich den Menschenrechtsbericht der Bundesregierung einstampfen!) Wenn wir das zur Voraussetzung für den Handel in der Welt machen würden, hätten wir nicht mehr viele Partner. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird nicht besser!) Saudi-Arabien ist bei aller berechtigten Kritik an seiner inneren Verfasstheit (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist Ihnen ja egal!) – darüber brauchen wir nicht zu streiten; das ist doch völlig klar – ansonsten ein stabiler Faktor für die Zusammenarbeit, ein stabilisierender Faktor im Nahen Osten und insofern ein wichtiger Partner. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD]) Nehmen Sie zum Beispiel die arabisch-israelische Friedensinitiative von 2002. Damals war Abdullah noch Kronprinz; heute ist er der König von Saudi-Arabien. Er hat diese Initiative angestoßen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echter Friedensengel!) Nehmen Sie den Schlichtungsversuch 2011 im Jemen. Auch in Ägypten spielt Saudi-Arabien eine konstruktive Rolle. Außerdem ist Saudi-Arabien Gründungsmitglied und Sprachrohr der Arabischen Liga. Insbesondere in seiner Politik gegenüber Syrien und beim Nahost-Friedensprozess agiert es hauptsächlich im Rahmen der Beschlüsse der Arabischen Liga. Im außenpolitischen Konzept der Bundesregierung vom Februar 2012 mit dem Namen „Globalisierung gestalten – Partnerschaften ausbauen – Verantwortung teilen“ heißt es ganz konkret: Kein Staat der Welt kann heute nur mit militärischen Mitteln oder allein für seine Sicherheit sorgen. Hierbei misst die Bundesregierung insbesondere der Entwicklung und weiteren Vertiefung sicherheitspolitischer Partnerschaften mit Staaten in entfernten Regionen sowie deren jeweiligen Regionalorganisationen (z. B. im Rahmen der Afrikanischen Union, AU, oder der Arabischen Liga, AL) große Bedeutung zu. Genau dafür steht auch hier Saudi-Arabien. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht sollten Sie auch einmal die Rüstungsexportrichtlinien lesen!) Deutschland hat in Sachen Export von Rüstungsgütern hohe Hürden, hohe Standards. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen sind wir Exportweltmeister!) Wir liefern keine Waffen an solche Länder, die weitläufig als Schurkenstaaten bezeichnet werden. Wir verkaufen keine Waffen an Regierungen, bei denen wir davon ausgehen müssen, dass sie diese gegen ihre eigene Bevölkerung richten. Das spielt aber in diesem Kontext überhaupt keine Rolle, weil wir von Booten reden. Frau Brugger von den Grünen hat den Wirtschaftsminister zitiert, den Koalitionswunschpartner der Grünen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Also Ihren Partner!) Ich will jetzt auch einmal Sigmar Gabriel zitieren: Die Debatte um die Bürgschaft sei nicht besonders ehrlich, hat er gesagt; denn mit Patrouillenbooten könne man nicht auf Plätzen die eigene Bevölkerung unterdrücken. – Genau so ist das. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sah Oppermann aber vor ein paar Monaten noch anders!) Ich will den Blick einmal zurückrichten auf die Zeit, als die Grünen selbst Verantwortung trugen. Rot und Grün haben zwischen 1998 und 2002 Genehmigungen für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien im Wert von 125 Millionen Euro erteilt. (Henning Otte [CDU/CSU]: Was? – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Darunter waren Teile für Feuerleiteinrichtungen, Kampfflugzeuge, Schießanlagen, Pistolen, Maschinenpistolen, Herstellungsausrüstung für Maschinenkanonen usw. (Klaus-Dieter Gröhler [CDU/CSU]: Schon vergessen?) In der zweiten Wahlperiode von Rot-Grün, von 2002 bis 2005, beliefen sich die Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, obwohl es nur drei Jahre waren, auf 130 Millionen Euro, darunter Pistolen, Gewehre, Scharfschützengewehre, Maschinenpistolen, Dekontaminationsausrüstung, Munition usw. usw. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ist ja nicht zu fassen! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das wollen wir jetzt gar nicht kritisieren!) Das sind also Oppositionsspielchen, mit denen uns die Grünen heute Abend die Zeit stehlen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverschämtheit! Hier stiehlt man keine Zeit! Ein bisschen mehr Respekt!) Wir reden heute über Boote für den Küstenschutz. Ich habe Ihnen gerade all das vorgelesen, wozu Sie Ja gesagt haben. Ich will gar nicht kritisieren, wozu Sie Ja gesagt haben; ich mahne nur ein bisschen Ehrlichkeit an: dass Sie hier nicht den einen Tag so handeln und den nächsten Tag anders reden. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber man kann ja aus Fehlern lernen! – Gegenruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Nein, das war ja gut!) Die zentralen Merkmale der deutschen Rüstungsexportpolitik sind seit Jahrzehnten konstant. Sie sind ähnlich wie die Außenpolitik, wenn überhaupt, nur geringfügigen Schwankungen unterworfen. Natürlich haben wir auch ein kommerzielles Interesse: Wir wollen, dass unsere Hightechfirmen mit dem Export Geld verdienen können. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Inge Höger [DIE LINKE]) Unsere Bundeswehr ist als Nachfrager inzwischen nämlich allein nicht mehr in der Lage, ihre Systemfähigkeit in verschiedenen Bereichen zu erhalten. Wir müssen deshalb versuchen, andere Märkte mit zu erschließen, damit wir systemfähig bleiben und damit die Fähigkeit zur Herstellung eigener Verteidigungstechnologie erhalten. Zur Situation in Mecklenburg-Vorpommern: In der Peene-Werft in Wolgast freut man sich auf diesen Auftrag; es geht um 1,4 Milliarden Euro. In einer Region, die als strukturschwach zu bezeichnen ist und in der es eine große Schiffbautradition gibt, freut man sich, dass mit diesem Auftrag die Tradition fortgeschrieben werden kann. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In Mecklenburg-Vorpommern betrug die Arbeitslosenquote im Januar 2014 13,2 Prozent. Die Firma Lürssen, zu der die Peene-Werft in Wolgast, die den Auftrag bekommen soll, gehört, hat 1 400 Mitarbeiter. Allein durch diesen Auftrag werden bis zu 500 Schiffbauer für mindestens zwei Jahre beschäftigt sein. (Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist doch was! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die bauen auch schöne Jachten! – Gegenruf des Abg. Henning Otte [CDU/CSU]: Die können sich nur die Grünen leisten!) Das sind wichtige Argumente, finde ich; das sollte man bei so einer Gelegenheit auch einmal erwähnen, ehe man sich hier zu einer moralisch vermeintlich überlegenen Position aufschwingt und die Dinge sehr einseitig beleuchtet. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen die Saudis schon!) Seien Sie froh, dass unsere Produkte – ob es Schiffe sind, ob es Boote sind, ob es Panzer sind, ob es Haubitzen sind, ob es Pkw sind – in aller Welt gefragt sind. Wir liefern Spitzentechnologie; darauf können wir stolz sein als Deutsche. Wir sehen keinen Grund, warum wir die in Aussicht gestellte Genehmigung für die Zusammenarbeit zwischen Saudi-Arabien und Lürssen infrage stellen sollen. Wir freuen uns darüber. Danke sehr. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Inge Höger, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Die wollen nur nach Kuba Waffen exportieren!) Inge Höger (DIE LINKE): Wir wollen gar keine Rüstungsexporte! (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Oder nach Nordkorea! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind schon einige Zitate von Herrn Gabriel genannt worden. Ich möchte noch ein anderes nennen. Noch vor kurzem sagte er: „Es ist eine Schande, dass Deutschland zu den größten Waffenexporteuren gehört.“ Dem kann ich nur zustimmen. Umgekehrt sollte Herr Gabriel dem hier vorliegenden Antrag zustimmen – zumindest wenn er das, was er verschiedentlich gesagt hat, ernst meint. Selbst wer nicht grundsätzlich wie die Linke gegen Rüstungsexporte ist, muss doch sehen, dass Waffenlieferungen an Saudi-Arabien falsch sind. Dagegen sprechen sowohl die Menschenrechtslage als auch die Spannungen in dieser Region. Die deutschen Rüstungsexportrichtlinien wurden eben zitiert, aber nicht richtig. Sie sind hier nämlich eindeutig: Genehmigungen für Waffenexporte dürfen nicht erteilt werden, wenn interne Repression und Menschenrechtsverletzungen zu befürchten sind oder wenn durch zusätzliche Waffen bestehende Spannungen und Konflikte aufrechterhalten oder verschärft werden könnten. – Beides trifft auf Saudi-Arabien zu. Deshalb ist mein dringender Appell an die Bundesregierung: Nehmen Sie wenigstens die eigenen Richtlinien ernst. (Beifall bei der LINKEN) Waffenlieferungen in diese Region sind ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Auf Nachfragen erhielt ich wiederholt die Antwort, Saudi-Arabien sei für die Bundesregierung ein wichtiger Partner bei der Lösung regionaler Konflikte. Saudi-Arabien ist aber Teil der regionalen Konflikte. Eine weitere Aufrüstung dieses Landes bringt keine Lösung, sondern verschärft die Spannungen. Oder glauben Sie wirklich, dass eine Aufrüstung Saudi-Arabiens den Iran zur Abrüstung motivieren könnte? Deutsche Waffengeschäfte beschleunigen die Aufrüstungsspirale im gesamten Nahen und Mittleren Osten. Wir brauchen aber Initiativen für Abrüstung. Dazu gehört zum Beispiel die UN-Initiative für einen Nahen und Mittleren Osten ohne Massenvernichtungswaffen. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Sie müssen erst einmal den Iran abrüsten!) Auch ich begrüße die arabische Friedensinitiative, die König Abdullah 2002 angestoßen hat. Das könnte tatsächlich ein Weg zur Lösung des Nahostkonfliktes sein. Ich weiß aber auch, dass sein Land Israel nach wie vor nicht anerkannt hat. Ich habe mit Erschrecken die Satellitenbilder einer saudischen Raketenbasis zur Kenntnis genommen, die der Telegraph im letzten Sommer veröffentlichte. Die dort stationierten ungelenkten Raketen sind auf zwei Ziele ausgerichtet: auf Tel Aviv und auf Teheran. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Partner!) Mit diesem Land, das als Teil seiner Militärstrategie auch Angriffe auf Israel plant, wollen Sie tatsächlich Rüstungsgeschäfte machen? Ich finde das unerträglich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Vier Linke weniger, dann gibt es keinen Beifall mehr!) Es ist wirklich peinlich, dass Saudi-Arabien inzwischen der wichtigste Abnehmer deutscher Waffen ist. Dieses Geschäft mit dem Tod wird auch noch durch staatliche Ausfallbürgschaften abgesichert. Ich frage Sie: Warum hat die Lürssen-Werft überhaupt eine Hermesbürgschaft beantragt? Zweifelt sie an der Zahlungsfähigkeit des saudischen Königreiches? Wohl kaum! Offensichtlich hält das Werftmanagement einen Zahlungsausfall aus politischen Gründen durchaus für möglich. Niemand weiß, wie lange sich das repressive politische System in Saudi-Arabien noch an der Macht halten kann. Doch mit umfangreichen Waffenlieferungen und mit Überwachungstechnologie aus Deutschland können sich die saudischen Eliten auf jeden Fall etwas sicherer fühlen. Wenn der innenpolitische Druck eines Tages doch zu stark wird, ist es für die Rüstungsunternehmen ein sogenannter politischer Schadensfall. Für die saudische Bevölkerung ist das weniger schön. Das könnte einen blutigen Bürgerkrieg nach sich ziehen, bei dem deutsche Panzer und deutsche Gewehre gegen Demonstrierende eingesetzt werden. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Von Booten reden wir heute, nicht über Panzer!) – Es geht um Panzer und Boote. Beides ist nicht notwendig, sondern erhöht nur die Spannung in dieser Region. Ein Risiko für deutsche Rüstungsschmieden gibt es allerdings nicht, weil hier die staatliche Hermesbürgschaft einspringt. Die Absicherung weltweiter Rüstungsgeschäfte durch Hermesbürgschaften muss endlich beendet werden. (Beifall bei der LINKEN – Michaela Noll [CDU/CSU]: Ihre Rede auch!) Rüstungsgeschäfte sind menschenverachtend. Ich fordere die Regierung auf, ihre eigenen Ansprüche ernst zu nehmen. Zu einer verantwortungsvollen Außenpolitik, von der in der letzten Zeit immer viel gesprochen wurde, gehört auch, Rüstungsgeschäfte mit Saudi-Arabien künftig nicht mehr durchzuführen. Außerdem bin ich für ein Verbot von sämtlichen Rüstungsexporten, ganz egal in welches Land. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ich bin für ein Verbot der SED!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Bernd Westphal, SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mir für meine erste Rede hier im Deutschen Bundestag eine andere Tageszeit gewünscht. Aber da ich einmal in einem Dreischichtbetrieb gearbeitet habe, bin ich Nachtschichten durchaus gewohnt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Frage, ob Rüstungsgüter exportiert werden sollen, darf für Politiker nie eine leichte Entscheidung sein. Jeder muss sich der Verantwortung und der Tragweite seiner Entscheidung bewusst sein, gerade deshalb, weil die Geschäftspartner oft in hochsensiblen Regionen zu finden sind. Der Export von Rüstungsgütern in Drittländer wird in Deutschland restriktiv gehandhabt, und das ist gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Grundlage für den Export bilden die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“, die übrigens von der damaligen rot-grünen Regierung beschlossen wurden und in der Fassung vom 19. Januar 2000 weiterhin Gültigkeit besitzen. Auch im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU ist verankert, dass die Bundesregierung eine zurückhaltende und verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik betreibt. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutschland verpflichtet sich im Koalitionsvertrag, keine Waffen an Länder, in denen Bürgerkrieg herrscht, zu liefern. Auch Unrechtsregime erhalten deshalb keine Waffen, die gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden können. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat diese Position vor wenigen Tagen noch einmal bekräftigt und sich klar für eine restriktive Haltung beim Waffenexport ausgesprochen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Minister hat angekündigt, dass er für jedes Waffengeschäft eine Einzelfallprüfung vornehmen wird, und rechnet insgesamt mit einem weiteren Rückgang von Rüstungsexporten. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das wäre schlecht!) Deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien sorgen immer wieder für kontroverse Diskussionen. Von daher ist der Antrag der Grünen richtig; denn er ermöglicht es, dass es hier in diesem Hause eine Debatte darüber gibt. Es steht außer Frage, dass sich Saudi-Arabien in den letzten Jahren zu einem großen Absatzmarkt für deutsche Rüstungsexporte entwickelt hat. Der Rüstungsexportbericht 2012 zeigt, dass mehr als ein Viertel der genehmigten Lieferungen für Saudi-Arabien bestimmt war – Aufträge mit einem Wert von insgesamt 1,2 Milliarden Euro. Dazu gehört allerdings auch eine Anlage zur Sicherung der 9 000 Kilometer langen Grenze des Wüstenstaates. Allein dieses Geschäft hat ein Volumen von 1,1 Milliarden Euro. Daher muss man bei der politischen Bewertung schon berücksichtigen, wann was an wen und wohin geliefert wird. Es ist also irreführend, sehr geehrte Kollegin Brugger, wenn man alle Waffen in einen Topf wirft. Genau diesen Fehler begehen aber die Grünen mit ihrem Antrag. In dem Antrag wird gefordert, dass die Rüstungsexportgenehmigung für Saudi-Arabien aufgehoben werden soll, berücksichtigt wird dabei aber nicht, dass eine Lieferung von Patrouillenbooten an Saudi-Arabien ein völlig anderer Fall ist, als wenn es Leopard-2-Panzer wären. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kriegswaffen! Kriegsschiffe!) Kann ich die Kritik an einer Lieferung von Leopard-2-Panzern durchaus nachvollziehen, weil dabei eben nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Panzer unter Umständen gegen die eigene Bevölkerung einsetzt werden können, so stellt sich beim Verkauf von Patrouillenbooten die Situation völlig anders dar. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da muss man differenzieren!) Die Boote sollen vor allem zur Erkundung und Aufklärung eingesetzt werden. Das saudi-arabische Innenministerium beabsichtigt, die Patrouillenboote zum Schutz seiner Küsten im Roten Meer und im Arabischen Golf einzusetzen. Da Saudi-Arabien ein souveräner Staat ist, ist dies ein legitimer Wunsch. Saudi-Arabien hat darüber hinaus auch eine hohe strategische Bedeutung für die weltweite Energieversorgung. Die Boote sollen deshalb auch Hoheitsgewässer, internationale Seewege, Offshoreöl- und -gasfelder sowie Hafenanlagen schützen. Weitere beträchtliche Probleme stellen die in dieser Region starke Piraterie und der latente Terrorismus dar, wodurch die internationalen Seewege massiv beeinträchtigt werden. Ich erinnere an die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft, die Seewege vor den Küsten Somalias zu schützen. Auch die Bundesmarine leistet dort eine sehr gute Arbeit, um den Piraten und Terroristen Einhalt zu gebieten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Saudi-Arabien könnte mit dieser Ausrüstung einen eigenen Beitrag zum Schutz vor diesen Gefahren leisten und die internationalen Streitkräfte dabei unterstützen. Es handelt sich hierbei also um legitime staatliche Aufgaben Saudi-Arabiens, die letztlich auch im deutschen und internationalen Interesse sind. Deutschland hat auch als Industrie- und Exportnation durchaus berechtigte Interessen. Die Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie in Deutschland ist mit fast 80 000 hochqualifizierten Arbeitskräften und mehreren Hunderttausend Beschäftigten in der Zulieferindustrie ein großer Beschäftigungsfaktor. Der Wunsch der saudi-arabischen Regierung, Patrouillenboote von einem deutschen Hersteller zu erwerben, zeigt die hohe Qualität und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Der Auftrag wird auch in ganz erheblichem Maße zum Erhalt von Arbeitsplätzen an den Standorten der Lürssen Werft und bei ihren Zulieferern beitragen. Die positiven Arbeitsplatzeffekte betreffen insbesondere strukturschwache Gebiete. Aber ich gebe Ihnen recht: Das allein begründet nicht die politische Legitimation der Lieferung. Es ist trotzdem ein wichtiges Argument. Der Blick auf den Einsatzzweck der Boote rechtfertigt allerdings nach Ansicht der SPD-Fraktion diesen Rüstungsexport. Es kann ausgeschlossen werden, dass mit Patrouillenbooten gegen die eigene Bevölkerung vorgegangen werden kann. Allerdings halte ich eine Hermesbürgschaft für die Lieferung der Boote aufgrund der wirtschaftlichen Stärke Saudi-Arabiens für nicht erforderlich. Diese Bürgschaft sollte die Bundesregierung neu bewerten. In diesem Punkt ist die Formulierung im Antrag richtig. In anderen Bereichen allerdings fallen die Formulierungen weit hinter unsere Bewertung zurück. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die Frage der Parlamentsbeteiligung eingehen. Für die SPD steht fest, dass wir die Transparenz bei diesen hochsensiblen Entscheidungen der Rüstungsexporte dringend erhöhen müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei geht es ausdrücklich nicht um die Vermischung zwischen Exekutive und Legislative. Das lässt schon das Grundgesetz nicht zu. Die Verantwortung für Rüstungsexporte trägt allein die Bundesregierung. Wir müssen aber dafür sorgen, dass das Parlament mehr Interventionsrechte erhält, verbunden mit größtmöglicher Transparenz. Zwei Punkte sind dabei aus meiner Sicht besonders bedeutsam: Erstens. Es muss dem Parlament und der Öffentlichkeit grundsätzlich zeitnäher berichtet werden. Wir fordern deshalb die Veröffentlichung des jährlichen Rüstungsexportberichtes noch vor der Sommerpause des Folgejahres und einen unterjährigen Zwischenbericht. Zweitens. Über die abschließenden Genehmigungsentscheidungen im Bundessicherheitsrat soll die Bundesregierung den Deutschen Bundestag innerhalb einer Frist von 14 Tagen informieren. Diese Maßnahmen erhöhen zweifelsfrei die Transparenz und sollen – so beinhaltet es der Koalitionsvertrag – in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Glück auf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das war die letzte Rede in dieser Debatte und zugleich die erste Rede des Kollegen Bernd Westphal, den ich dazu beglückwünsche. (Beifall) Ich bin zuversichtlich, dass er auch bald zu anderen Tageszeiten Reden halten wird. Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/576 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Besonderheit ist jedoch dabei, dass die Federführung strittig ist. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht die Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Federführung beim Auswärtigen Ausschuss – abstimmen. Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag an den Auswärtigen Ausschuss? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD abstimmen, die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie anzusiedeln. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken federführend an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie überwiesen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen. Ich danke allen und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Freitag, den 21. Februar, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 22.41 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 20.02.2014 Alpers, Agnes DIE LINKE 20.02.2014 Barthle, Norbert CDU/CSU 20.02.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 20.02.2014 Dr. Brantner, Franziska BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20.02.2014 Brase, Willi SPD 20.02.2014 Da?delen, Sevim DIE LINKE 20.02.2014 Gabriel, Sigmar SPD 20.02.2014 Gutting, Olav CDU/CSU 20.02.2014 Heller, Uda CDU/CSU 20.02.2014 Dr. Lauterbach, Karl SPD 20.02.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20.02.2014 Dr. Malecha-Nissen, Birgit SPD 20.02.2014 Post (Minden), Achim SPD 20.02.2014 Rüthrich, Susann SPD 20.02.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 20.02.2014 Dr. Schlegel, Dorothee SPD 20.02.2014 Schmidt (Wetzlar), Dagmar SPD 20.02.2014 Dr. Steinmeier, Frank-Walter SPD 20.02.2014 Stritzl, Thomas CDU/CSU 20.02.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20.02.2014 Weinberg, Harald DIE LINKE 20.02.2014 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübingen), Monika Lazar, Peter Meiwald, Beate Müller-Gemmeke, Lisa Paus, Corinna Rüffer, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 4) Wir unterstützen die Pläne, den ISAF-Einsatz bis zum Jahresende zu beenden und die Kampftruppen der Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen. Nach über 12 Jahren eines Einsatzes, der zumindest die Ziele, mit denen der Einsatz ursprünglich begründet wurde, alle verfehlt hat, ist dies eine richtige und überfällige Entscheidung. Auch wenn die Truppen in Afghanistan bis Ende des Jahres stark mit der Vorbereitung des Abzuges beschäftigt sein werden, ist das Mandat doch kein ausschließliches Abzugsmandat. Die Bundesregierung beantragt auf Drucksache 18/436 die „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Internationalen Sicherheitsunterstützung in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF)“. Der Auftrag der Streitkräfte beinhaltet neben dem Rückbau militärischer Infrastruktur und damit einhergehender Aufgaben die Fortführung des bisherigen Auftrags. Wir haben den militärischen Einsatz in Afghanistan im Kern nie für richtig gehalten, auch wenn vor allem in den ersten Jahren bis 2003 durchaus vereinzelt Verbesserungen für die Situation der afghanischen Bevölkerung realisiert wurden. Die enge Verbindung des ISAF-Mandats mit dem Mandat zur Terrorismusbekämpfung OEF hat jedoch viele Bemühungen der ISAF-Truppen zum Aufbau von Infrastruktur und Schutz der Bevölkerung zunichte gemacht. Der Bevölkerung war es nicht möglich, zwischen Soldaten, die sie bekämpften, und Soldaten, die sie beschützten, zu unterscheiden. Heute bleibt zu konstatieren, dass die Sicherheitslage weiterhin besorgniserregend ist und sich seit 2003 zum Teil enorm verschlechtert hat. Laut UNAMA ist die Anzahl der zivilen Opfer in den ersten acht Monaten des Jahres 2013 wieder um 16 Prozent angestiegen. Unsere Fraktion bringt zum Antrag der Bundesregierung einen Entschließungsantrag ein, den wir mittragen. Wir können nachvollziehen, dass Fraktionskolleginnen und kollegen dem jetzt beantragten Mandat, das den Abzug beinhaltet, zustimmen. Wir lehnen das Mandat ab, da es für uns in der Konsequenz der Mandate seit 2001 steht, mit mehr negativen als positiven Folgen für die Bevölkerung Afghanistans. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 4) Der Deutsche Bundestag stimmt heute über den Abzug der deutschen Kampftruppen aus Afghanistan bis zum Ende des Jahres 2014 ab. Damit wird nach über 12 Jahren der militärische Einsatz Deutschlands in Afghanistan beendet, den Bundeskanzler Schröder 2001 im Parlament nur mit der sogenannten Vertrauensfrage durchsetzen konnte. Ich stimme dem heute vorliegenden Mandat zu, damit der in Afghanistan unter deutscher Beteiligung geführte Krieg und die falsche Afghanistan-Politik der Bundes-regierung endlich beendet werden. Das ursprünglich mit dem Ziel Sturz der Taliban und Terrorbekämpfung begonnene Mandat OEF hat vor 12 Jahren eine grundsätzlich falsche Strategie in der deutschen Afghanistan-Politik begründet. Das später hinzugefügte Ziel, mit militärischen Mitteln in Afghanistan den Aufbau von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Frieden zu unterstützen, war durch die andauernde Verknüpfung mit dem ursprünglichen Kriegsmandat zum Scheitern verurteilt. Trotzdem oder gerade deshalb spreche ich mich dafür aus, nach dem Ende des ISAF-Einsatzes Afghanistan und die Menschen dort nicht erneut sich selbst zu überlassen. Ich habe den deutschen Bundestag 2002, ein Dreivierteljahr nach Beginn des deutschen Militäreinsatzes verlassen. Ich habe den Wunsch und die große Hoffnung, dass das Bekenntnis von der Verantwortung, die Deutschland für diese Region übernommen hat, kein leeres war. Das wird sich erst jetzt zeigen; in den kommenden Jahren gilt es, den schwierigen wirtschaftlichen und institutionellen Aufbau in Afghanistan zu begleiten und den Menschen in Afghanistan tatsächlich langfristige Unterstützung zu geben. Andernfalls bliebe von den vollmundigen Bekenntnissen mehrerer deutscher Regierungen und zumindest im Jahre 2001 großer Teile der öffentlichen Meinung zum zivilen demokratischen Aufbau letztendlich nur ein militärisches und unverantwortliches Abenteuer übrig. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 4) Wir haben uns stets für eine geordnete Beendigung des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr bis spätestens Ende 2014 eingesetzt. Deshalb stimmen wir der letztmaligen Verlängerung des ISAF-Mandates der Bundeswehr und damit verbunden einem Abzug der deutschen Kampftruppen zu. Dies ist eine Gewissensentscheidung. Auf der Londoner Afghanistan-Konferenz 2010 haben die an ISAF beteiligten Nationen die Beendigung des Einsatzes bis Ende 2014 beschlossen. Die Entscheidung, den ISAF Militäreinsatz zu beenden und die Sicherheitsverantwortung vollständig an die afghanische Regierung zu übergeben, war und bleibt richtig. Damit wird dem politischen Prozess endlich Vorrang gegeben. Denn nur politisches und ziviles Engagement kann der afghanischen Bevölkerung eine wahrhaft nachhaltige Perspektive bieten. Nur zivile Aufbauhilfe kann zum Aufbau von Verwaltungsstrukturen, eines Justiz-, Bildungs- und auch Gesundheitssystems beitragen. Nur durch die zivilen Anstrengungen kann sich eine nachhaltige Wirtschaftsperspektive entwickeln. Die zivile Aufbaustrategie darf militärischen Zielsetzungen nicht untergeordnet werden. Die Bundesregierung hat ein ISAF-Mandat vorgelegt, das den Einsatz deutscher Kampftruppen in Afghanistan bis spätestens 31. Dezember 2014 beenden wird. Dieses letzte ISAF-Mandat ist ein klares Abzugsmandat und von möglichen Folgemandaten entkoppelt. Sollte es kein Mandat auf einer neuen völkerrechtlichen Grundlage für ein Engagement ab Januar 2015 geben, endet Ende 2014 das gesamte deutsche militärische Engagement in Afghanistan. Der Entschließungsantrag unserer Fraktion findet unsere Unterstützung und legt unsere Position im Hinblick auf Afghanistan näher dar. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Dörner, Katharina Dröge, Uwe Kekeritz, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Ulle Schauws (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 4) Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen haben. Sie fordert wie kaum eine andere das Gewissen und Herz der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Dem Engagement der in Afghanistan eingesetzten zivilen Helferinnen und Helfer, Soldatinnen und Soldaten sowie ihren Familienangehörigen gilt unser Dank und unsere Wertschätzung. Die jahrelange Dominanz militärischer Zielsetzungen gegenüber zivilen Lösungsansätzen und eine fehlende entwicklungspolitische Strategie waren die zentralen Fehler der deutschen Afghanistan-Politik. Auch in diesem Einsatzjahr findet das deutsche militärische Engagement in einem Umfeld gezielter Tötungen durch Kommando-aktionen und Drohnenangriffe anderer ISAF-Nationen statt. Diese Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung lehnen wir entschieden ab. Sie konterkariert eine Verhandlungslösung und steht somit einer friedlichen Lösung des Konfliktes entgegen. Da der ISAF-Einsatz zur Gewalteskalation in Afghanistan beigetragen hat, haben einige von uns dem -Mandat in der Vergangenheit nicht zugestimmt. Das vorliegende Mandat beinhaltet die letzte Verlängerung dieses Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan. Damit soll zum Ende des Jahres 2014 der Abzug der deutschen Kampftruppen aus Afghanistan erfolgen. Dies ist ein richtiger Schritt, den wir seit Jahren fordern. Da der -Einsatz nun in erster Linie die Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte umfasst, werden wir das Mandat nicht ablehnen und uns bei der Abstimmung enthalten. Unser Votum richtet sich nicht gegen die in Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten, sondern gegen die langjährige falsche Afghanistan-Politik der Bundesregierungen der letzten Jahre. Auch und gerade nach dem Ende des ISAF-Einsatzes dürfen wir die Zukunft der Menschen in Afghanistan nicht aus dem Blick verlieren. Die deutsche Verantwortung reicht über 2014 hinaus, denn der Weg hin zu -Frieden und Sicherheit, politischer Mitbestimmung, wirtschaftlichem Aufschwung und der Achtung der Menschrechte muss weiterhin mit zivilen Mitteln und aller Tatkraft begleitet und unterstützt werden. Strategie der Aufstandsbekämpfung ist gescheitert: Seit über einem Jahrzehnt beteiligt sich die Bundeswehr am ISAF-Einsatz in Afghanistan. Doch noch immer ist die Sicherheitslage sehr angespannt, unberechenbar und besorgniserregend. Laut UNAMA ist die Anzahl der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2013 erneut um 23 Prozent gestiegen. Die vergangenen Jahre waren geprägt von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen ISAF-Truppen und afghanischen Sicherheitskräften auf der einen Seite und den Taliban und anderen Aufständischen auf der anderen. Für die meisten zivilen Opfer sind die Anschläge der Aufständischen verantwortlich. Aber auch die Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung durch die ISAF-Truppen hat zu einer zunehmenden Eskalation beigetragen. Die in den letzten Jahren vor allem von den USA und anderen ISAF-Nationen durchgeführten -gezielten Tötungen mit unzähligen zivilen Opfern in -Afghanistan und Pakistan tragen nach wie vor maßgeblich zur Eskalation der Gewalt bei. Der Einsatz von -bewaffneten Drohnen fordert zahlreiche zivile Opfer, zerstört den Rückhalt in der afghanischen Bevölkerung und fördert die Radikalisierung und den Zulauf bei den Aufständischen. So werden die Bemühungen um eine Verhandlungslösung, die Stabilisierung der Sicherheitslage und der Erfolg des Transitionsprozesses in Afghanistan konterkariert. Die Strategie, mit militärischen Mitteln den Frieden in Afghanistan erzwingen zu wollen, ist gescheitert. Wir unterstützen, dass der ISAF-Einsatz beendet und die Kampftruppen der Bundeswehr mit Auslaufen des vorliegenden Mandates zum Jahresende abgezogen werden. Nachdem zu lange auf eine militärische Lösung des Konfliktes gesetzt wurde, ist es richtig, der afghanischen Regierung nun die vollständige Sicherheitsverantwortung zu übergeben. Doch die Herausforderungen, die die Afghaninnen und Afghanen in den nächsten Jahren zu bewältigen haben, sind nach wie vor enorm. Versöhnung und Wiederaufbau verlässlich unterstützen: Für einen nachhaltigen Frieden in Afghanistan muss ein breiter Versöhnungsprozess stattfinden und der wirtschaftliche und institutionelle Wiederaufbau des Landes vorangetrieben werden. Menschenrechtsverletzungen, ungeachtet von welcher Seite, müssen aufgedeckt und aufgearbeitet werden. Nur so gibt es eine Chance, dass der Versöhnungsprozess in der nach wie vor traumatisierten und zerrissenen afghanischen Gesellschaft gelingen kann. Ein Waffenstillstand reicht nicht aus, um -Frieden zu schaffen. Auch wenn dies im von Krieg und Gewaltherrschaft geprägten Afghanistan schwierig ist und schmerzhafte Kompromisse abverlangt, müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um ein größtmögliches Maß an Gerechtigkeit walten zu lassen. Die Afghanistan-Politik der letzten Jahre hat es versäumt, sich den mit einem echten Versöhnungsprozess verbundenen Herausforderungen zu stellen. Wiederaufbau und Versöhnung gehören hierbei ins Zentrum. Doch die Unterstützung bei der Entwicklung grundlegender Staatsstrukturen und einer funktionierenden Verwaltung wurde vernachlässigt. Dem Engagement insgesamt hat es an einem Gesamtkonzept und einer sinnvollen Schwerpunktlegung für die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans gefehlt. Diese müssen sich an den Bedürfnissen der afghanischen Bevölkerung und den Gegebenheiten vor Ort orientieren. Der für die afghanische -Wirtschaft zentrale landwirtschaftliche Sektor und die Modernisierung des afghanischen Bildungssystems müssen dabei im Vordergrund stehen. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus ist die Stärkung der Zivilgesellschaft, insbesondere von Frauen. Afghanistan nach dem ISAF-Einsatz: Auf dem langen und steinigen Weg zu einem nachhaltigen Frieden in Afghanistan ist eine langfristige und verlässliche Unterstützung durch die internationale -Gemeinschaft unabdingbar. Der zivile Aufbau Afghani-stans muss auch nach dem Ende des ISAF-Einsatzes tatkräftig unterstützt werden. Da das Land noch viele Jahre auf erhebliche Hilfe von außen angewiesen sein wird, müssen die auf der Tokio-Geberkonferenz gemachten Zusagen eingehalten und die zivile Unterstützung mindestens auf dem zugesagten Niveau von 430 Millionen Euro jährlich fortgeführt werden. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in -Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 4) Dem Antrag der Bundesregierung stimme ich nicht zu. Ich stimme mit Nein. Das Mandat ist kein reines Abzugsmandat, sondern ein Mandat zur Verlängerung des Kampfeinsatzes der Bundeswehr im Krieg im Norden Afghanistans. Das bedeutet, dass im deutschen Verantwortungsbereich und auch mit deutscher Beteiligung weiter – wie in den letzten Jahren – Kriegseinsätze durchgeführt werden. Es werden insbesondere nächtliche Kommandounternehmen stattfinden mit dem Ziel, Menschen gefangen zu nehmen oder zu töten, oder Drohneneinsätze mit dem Ziel, Menschen nach einer Todesliste zu töten. Damit wird der Krieg eskalieren, der Hass in der Bevölkerung wird weiter geschürt, und es werden Terrorangriffe provoziert. Eine friedliche Entwicklung in Afghanistan wird damit verhindert, und Verhandlungen über Waffenstillstand und Frieden werden erschwert. Insbesondere die schleppendenden Verhandlungen der afghanischen Regierung mit einem Teil der Aufständischen, die einzige realistische Chance, einen Übergang zu weniger Krieg und Gewalt zu erreichen, werden damit konterkariert. Der Krieg in Afghanistan kann von der NATO nicht gewonnen werden. Er ist verloren. Die Sicherheitslage hat sich im letzten Jahr für die Bevölkerung verschlechtert. Die Anzahl der Opfer an Menschenleben und die Anzahl der Verletzten, vor allem auch bei den afghanischen Sicherheitskräften, ist im Jahr 2013 dramatisch zweistellig angestiegen. Auch in der Hauptstadt Kabul haben Anschläge von Aufständischen mit vielen Opfern zugenommen. Ausufernde Korruption bis in die höchsten Regierungskreise und die Zunahme des Anbaus und Handels mit Mohn und Opium prägen die Lage. Eine funktionierende staatliche Verwaltung gibt es in weiten Teilen des Landes nicht. Gerichte und Gerechtigkeit gibt es in der Regel nur für Reiche, die die Justiz bezahlen können. Die Sicherheit von Frauen vor Gewalt ist nicht gewährleistet. Konsequente faire Verhandlungen mit allen, die dazu bereit sind, bieten eine Chance für die Vermeidung eines Bürgerkrieges nach Abzug der NATO-Truppen. Die Fortsetzung des Krieges bis zum Abzug bringt viele weitere Opfer an Menschen und weitere Zerstörungen. Die Alternative wäre ein Abzugsmandat mit einem Waffenstillstandsangebot und Verhandlungen sowie Waffengebrauch nur zur Notwehr und Nothilfe, wie das ISAF-Mandat ursprünglich 2001 mal konzipiert war. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Peter Meiwald, Corinna Rüffer und Hans-Christian Ströbele (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens der malischen Regierung sowie der Beschlüsse 2013/34/GASP und 2013/87/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbindung mit den Resolutionen 2071 (2012), 2085 (2012) und 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 6 a) Den Antrag der Bundesregierung, weiterhin Bundeswehrsoldaten zur Ausbildung und Beratung der dortigen Armee nach Mali zu entsenden, lehnen wir ab und stimmen mit Nein. Mali braucht einen staatlichen Neubeginn unter möglichst stabilen Rahmenbedingungen. Dies steht außer Frage, und wir stimmen mit der Bundesregierung völlig überein, dass unser Land hier aufgefordert ist, substanziell Verantwortung für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen Malis zu übernehmen. Festzustellen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dass sich im Nachgang der bisherigen militärischen Intervention afrikanischer und europäischer Truppen zwar die direkte militärische Gefährdung des malischen Staates nicht mehr so darstellt wie vor zwei Jahren. Allerdings ist ebenso zu konstatieren, dass das aktuelle Mandat der Bundeswehr trotz aller Bemühungen auch nicht dazu geführt hat, die drängende Herausforderung des staatlichen Wiederaufbaus Malis entscheidend voranzubringen. Im Gegenteil. Da ein echtes Gesamtkonzept zur Rückgewinnung staatlicher Souveränität einer legitimen Regierung für ganz Mali, welches vom malischen Volk, seiner gewählten Regierung – unterstützt durch die internationale Gemeinschaft – getragen wird, weiterhin eklatant fehlt, besteht aus unserer Sicht das große Risiko, dass sich die mit deutscher Militärhilfe gestärkte malische Armee nicht unbedingt als stabilisierendes Element im Entwicklungsprozess positionieren muss, sondern als eigenständiger Akteur in auch zukünftig noch drohenden Machtkämpfen agieren könnte. Diese Befürchtung besteht auch deshalb, weil die Armee Malis schon einmal bis 2012 von deutschen Soldaten monatelang ausgebildet worden war, dann aber gegen die damals legitime Regierung geputscht hatte. Danach kam es zu blutigen Auseinandersetzungen innerhalb dieser Armee. Die damalige Bundesregierung hatte deshalb die Militärhilfe eingestellt. Wenn auch der Putschistenführer inzwischen in Haft ist, zeigt die damalige Entwicklung, dass deutsche Militärausbildung keineswegs zur Demokratisierung, Disziplinierung oder Loyalität der Soldaten gegenüber der legitimen Regierung und Stabilität des Landes führt. Die vom deutschen Militär ausgebildete Armee soll sogar an schweren Menschenrechtsverletzungen während ihres Einsatzes im Norden Malis gegen die dort ansässige Zivilbevölkerung beteiligt gewesen sein. Im Sinne eines echten Capacity-Building-Ansatzes für den fragilen Staat Mali stehen wesentliche andere Aufgaben auf der Agenda als die militärische Ausbildung einzelner Einheiten. Beispielhaft seien genannt: Moderation und Unterstützung des Versöhnungsprozesses, wirtschaftliche Aufbauhilfe, die Stärkung der polizeilichen Kräfte im Land, Korruptionsbekämpfung, Bildung und Ausbildung. Hierzu sind aus unserer Sicht die Instrumente der staatlichen und nichtstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit, der politischen Stiftungen und der polizeilichen Ausbildung sowie die Stärkung regionaler, afrikanischer Initiativen deutlich besser geeignet als der im EUTM-Mandat geplante Bundeswehreinsatz. Daneben sehen wir ein weiteres ernstes Problem mit dem vorgelegten Mandat. Auf die weiterhin sehr instabile Lage in der Nordregion um die Stadt Kidal herum gibt das EUTM-Mandat keine Antwort. Eine echte Friedens- und Versöhnungsinitiative für Mali, die letztlich die Grundlage für einen staatlichen Wiederaufbau darstellt, wird auch für diese Region Antworten geben müssen, damit sie nicht von vornherein die Probleme lediglich verschiebt oder verlagert. Eine Rechtfertigung über die Responsability to Protect, RTP, ist vor diesem Hintergrund für das vorgelegte Mandat nicht gegeben. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Frank Tempel (DIE LINKE) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 13 zu Petitionen Drucksache 18/513 (Tagesordnungspunkt 22 i) Petition 2-17-15-2127-015279 und andere: Der Petitionsausschuss hat in seiner Mehrheit aus Union und SPD beschlossen, die Petition zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten vom 21. Oktober 2010 abzuschließen. Ich möchte nachfolgend begründen, warum ich dieser Empfehlung nicht folgen werde. Cannabiskonsum ist entgegen der realistischen und unstrittigen Gefahreneinschätzung in Deutschland kriminalisiert. Immer wieder erreichen mich Berichte von Bürgerinnen und Bürgern, die aufgrund ihres freizeitlichen Cannabiskonsums strafrechtlich verfolgt werden. Ebenso erreichen mich regelmäßig Meldungen von Konsumentinnen und Konsumenten, welche aus medizinischen Gründen auf Cannabis angewiesen sind, und oftmals besitzen sie keinerlei Ausnahmegenehmigung vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM. Eine erst kürzlich von mir gestellte Schriftliche Frage an die Bundesregierung (vergleiche Drucksache 18/298) ergab in diesem Zusammenhang, dass das BfArM kaum Ausnahmegenehmigungen erteilt, obwohl die Anträge auf medizinische Verwendung von Cannabis stark angestiegen sind. Dabei sind die monatlichen Therapiekosten bei vorhandener Ausnahmegenehmigung für Cannabispatienten sehr hoch und liegen bei bis zu 1 500 Euro im Monat (vergleiche Drucksache 17/3810). Diese werden von den Krankenkassen nicht übernommen. Die Linksfraktion hat vor zwei Jahren ein Fachgespräch zum Antrag „Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs“ (Drucksache 17/7196) durchgeführt. Dabei bestätigten die geladenen Experten, dass die Repression keinen Einfluss auf das Konsumverhalten besitzt. Der Deutsche Hanfverband sprach von circa 100 000 Strafverfahren im Jahr. Ich selbst habe als Polizeibeamter Cannabiskonsumierende strafrechtlich verfolgen müssen. Dabei wurden nachweislich Berufskarrieren zerstört, auch wenn die eigentliche Strafverfolgung wegen der sogenannten Regelung zur geringen Menge eingestellt wurde. Die Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin betonten im Fachgespräch, dass der moderate Konsum von Cannabis nicht schädlich ist. Die Annahme, dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei, wurde bereits 1998 durch eine Studie, die vom damaligen Gesundheitsminister Seehofer in Auftrag gegeben wurde, widerlegt. Zahlreiche weitere Studien kamen zu eben jenem Ergebnis. Ausschlagend für Drogenkonsum seien vielmehr Faktoren wie Wohn-regionen, Preis der Substanz, gesundheitliche Aspekte, -Lebensplanung und Einfluss der Freunde, so Nicole -Krumdiek von der Universität Bremen auf dem damaligen Fachgespräch. Vier Jahre hat die Bearbeitung der Petition im Peti-tionsausschuss gedauert. Dabei wurden 32 000 Unterschriften für die Petition gesammelt und zwischenzeitlich 20 Mehrfachpetitionen in diesem Zusammenhang eingereicht. Ebenso existiert mittlerweile eine Resolution von 122 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren an die Abgeordneten im Deutschen Bundestag, in welcher sie die Einrichtung einer Enquete-Kommission des Bundestages zum Thema „Erwünschte und unbeabsichtigte Folgen des geltenden Drogenstrafrechts“ fordern. Sie bezeichnen in dieser Resolution den Zweck der Prohibition als „systematisch verfehlt“, bezeichnen die Prohibition als schädlich für die Gesellschaft, die Konsumierenden sowie unverhältnismäßig kostspielig. Es ist also ziemlich offensichtlich, dass ein dringender Handlungsbedarf in der bisherigen Drogenpolitik und im aktuellen diesbezüglichen Strafrecht besteht. Die anhaltende Kriminalisierung von Cannabiskonsumierenden muss endlich beendet werden. Länder wie Uruguay, Portugal, Niederlande, Belgien, verschiedene Bundesstaaten der USA und andere Länder zeigen, dass ein anderer Weg möglich ist. Verhindern Sie nicht die notwendige Debatte, sondern stellen Sie sich endlich dieser, und sorgen Sie für eine Regulierung des Cannabiskonsums in Deutschland unter Verwendung des bestehenden Jugend- und Verbraucherschutzes. Ihre eigentlichen Kritiker werden dann nur noch die illegalen Verkaufsstrukturen sein, die seit Jahrzehnten durch die Illegalität gut verdienen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 (Beitragssatzgesetz 2014) – Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Wir reden in abschließender Debatte über das „Gesetz zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 (Beitragssatzgesetz)“. Hinter dem Beitragssatzgesetz verbirgt sich ein ausgesprochen wichtiger und zentraler Baustein für die Zukunft unseres Rentensystems. Dabei zeigt die Große Koalition bereits zu Beginn der Legislaturperiode, dass sie für eine Politik der Solidarität, der Generationengerechtigkeit und der Nachhaltigkeit steht. Wir stärken das solidarische Rentensystem, indem wir für eine nachhaltig gute Finanzlage sorgen. Die Nachhaltigkeit der Deutschen Rentenversicherung ist mit gesetzlicher Rentenversicherung, privater Vorsorge und betrieblicher Altersvorsorge nach einem internationalen Vergleich der OECD eines der besten. Wir wollen dafür sorgen, dass dies auch so bleibt, damit sich die Menschen in Deutschland auf die Stabilität unseres Rentenversicherungssystems verlassen können. Wir gewährleisten eine größere Planungssicherheit für Beitragszahler, Arbeitgeber und für Rentner. Damit vermeiden wir ein jährliches und von den Bürgern nicht mehr nachvollziehbares Auf und Ab der Beiträge. Wir treffen gleichzeitig Vorsorge, damit die Beiträge bei einem Abflachen der Konjunktur und einem Rückgang der Beitragszahler nicht automatisch erhöht werden müssen. Wir sorgen dafür, dass das Grundsystem für die beitragsfinanzierten Rentensysteme stabil und berechenbar bleibt, und leisten damit einen Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Wir schaffen gleichzeitig auch die Grundlage dafür, dass notwendige Leistungserweiterungen, die im Interesse unserer solidarischen Gesellschaft liegen, auf den Weg gebracht werden können: Dazu nenne ich die Mütterrente, für die wir uns besonders stark gemacht haben. Hier verbessern wir für viele Mütter und auch Väter ihre Rentenanwartschaften bzw. sorgen dafür, dass sie höhere aktive Renten erhalten. Damit schließt die Große Koalition eine Gerechtigkeitslücke und honoriert die gesamtgesellschaftliche Erziehungsleistung von Müttern und Vätern. Wir schaffen klare und nachvollziehbare Regelungen, damit Menschen, die 45 Jahre lang gearbeitet und in die Rentenkassen einbezahlt haben, bereits ab dem 63. Lebensjahr in Rente gehen können. Wir erkennen die Lebens- und Beitragsleistung dieser Menschen ausdrücklich an und honorieren sie. Es ist richtig, solidarisch und gerecht, dass Menschen nach einem langen und harten Berufsleben die Möglichkeit haben, mit 45 Beitragsjahren in Rente zu gehen. Gleichzeitig hat die Große Koalition hier einen wichtigen Beitrag geleistet, um die Gefahr der Altersarmut zu vermindern. Ich bin auch davon überzeugt, dass es eine richtige Entscheidung ist, die Beiträge zur Rentenversicherung stabil auf 18,9 Prozent zu halten. Die letzten Beitragssenkungen waren 2012 von 19,9 Prozent auf 19,6 und 2013 dann von 19,6 auf 18,9 Prozent. Die Große Koalition hat den Verlockungen einer kurzfristigen Senkung widerstanden, denn dieser Senkung hätte nach kurzer Zeit eine deutlichere Erhöhung folgen müssen. Die Koalition hat auch den Versuchungen widerstanden, die Rentenbeiträge jährlich um 0,2 Prozent zu steigern, wie dies vonseiten des DGB gefordert wurde. In guten und vertrauensvollen Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD wurde hier ein vernünftiger Weg gefunden, um die demografischen Herausforderungen anzunehmen und für die nächsten Jahre Planungssicherheit zu haben. Abschließend glaube ich sagen zu können, dass die Große Koalition auch in Sachen Altersvorsorge für Stabilität und Verlässlichkeit steht. Wir stellen heute mit diesem Gesetz unter Beweis, dass dies nicht nur ein bloßes Lippenbekenntnis ist, sondern auch ein Markenzeichen für eine zukunftsorientierte Renten- und Sozialpolitik für unser Land. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Verlässlichkeit ist in der gesetzlichen Rentenversicherung ein zentraler Faktor. Denn ohne Verlässlichkeit gibt es kein Vertrauen, und ohne Vertrauen kann ein generationenübergreifendes System wie die gesetzliche Rentenversicherung keinen Bestand haben. Wenn von Verlässlichkeit die Rede ist, meinen die heutigen und die künftigen Rentnerinnen und Rentner an erster Stelle, dass sie sich darauf verlassen können, dass die wohlverdiente Rente pünktlich auf ihrem Konto eingeht. Bei vollen Rentenkassen, bei einer Rücklage von 32 Milliarden Euro, wie wir sie heute haben, scheint das wie eine Phantomdebatte. Aber die Realität hat gezeigt, dass politisches Versagen die Rente in die Zahlungsunfähigkeit manövrieren kann, wie dies im Herbst 2005 der Fall war. Damals musste der Staat in Vorkasse treten, damit die Rentnerinnen und Rentner nicht mit leeren Händen dastanden – und so etwas wollen wir auch für die Zukunft unbedingt vermeiden. Damals hatten auch Sie politische Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, und nicht wir. Heute haben wir, ungeachtet mehrerer Beitragssatzsenkungen, über Überschüsse in der Rentenversicherung politisch zu entscheiden. Angesichts dessen wundern mich manche Anwürfe ausgerechnet aus der grünen Ecke, wir würden die Rentenversicherung destabilisieren. Das betrifft allerdings auch den für die damalige Misere Hauptverantwortlichen, der zuletzt auch meinte, Ratschläge erteilen zu müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, als 2001 unter Ihrer politischen Verantwortung erhebliche Einschnitte beim Erwerbsminderungsschutz vorgenommen wurden, die die Rentenkassen um Milliardenbeträge entlastet haben, hat keiner von Ihnen dieses angeprangert. Kompensiert wurden diese Entlastungen durch geringere Ansprüche der Versicherten und steigende Grundsicherungsverpflichtungen der öffentlichen Hand. Jetzt fährt der Zug mal in die andere Richtung, was die Mütterrente betrifft, und das nur für eine sehr begrenzte Zeit. Und das Lamento ist riesengroß. Neben der Mütterrente wollen wir auch den Schutz in der Erwerbsminderungsrente verbessern, der unter den eben dargestellten Umständen stark eingeschränkt wurde. Wir wollen dies, ohne Fehlanreize zu setzen. Durch die angestrebten Änderungen insbesondere bei den Zurechnungszeiten werden die seinerzeitigen Einschnitte zielgerichtet abgemildert. Betroffene erhalten rund 40 Euro im Monat zusätzlich. Die meisten können das Geld sehr gut gebrauchen. Die ebenfalls geplanten verbesserten Leistungen in der Rehabilitation werden die Rentenversicherung sogar mittel- und langfristig entlasten. Denn die konsequente Umsetzung des Grundsatzes „Reha vor Rente“ hat nicht nur eine humanitäre Komponente, weil sie die Wiederherstellung der Gesundheit einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers vor eine in der Praxis recht bescheidene Alimentation stellt. Zugleich entlastet sie spürbar die Rentenversicherung. Man kann sinnvolle Projekte wie mehr Gerechtigkeit bei der Mütterrente angehen, man kann sich aber auch von gestaltender Sozialpolitik, auch in der Rentenversicherung, verabschieden, das alles mit Hinweis auf große Zukunftsaufgaben lassen und sich ganz auf die Höhe der Beitragssätze fixieren, wie Sie das tun. Diesen Ansatz kannten wir bisher eher aus einer anderen Richtung. Er ist eindimensional und greift damit zu kurz. Tatsächlich geht es um einen Dreiklang der Ziele, die wir – zugegebenermaßen manchmal mit Mühe – unter einen Hut bringen müssen. Wir haben die solide Finanzierung der Rentenversicherung im Blick – wir haben die Generationengerechtigkeit im Blick –, aber – das unterscheidet uns – wir haben auch Gerechtigkeit im „Jetzt“ im Blick und die Sicherungsfunktion der gesetzlichen Rentenversicherung. Wir alle wissen um die Bedeutung der zweiten und dritten Säule. Basis ist aber eine funktionsfähige erste Säule, und wenn diese nicht trägt, funktioniert das ganze System nicht mehr. Nun sind wir wenigstens in der Frage der Verstetigung des Beitragssatzes, um die es heute eigentlich geht, nicht so weit auseinander, und dabei haben wir auch Rückendeckung von Sachverständigen. Wenn wir jetzt den Beitragssatz senken würden, würde die Nachhaltigkeitsrücklage von 0,2 Monatsausgaben in absehbarer Zeit unterschritten werden, und die Beiträge müssten sehr schnell wieder steigen. Mit unserem Gesetz können wir davon ausgehen, dass die Beiträge in den kommenden vier oder sogar mehr Jahren stabil bleiben. Stabilität bei den Sozialversicherungsbeiträgen bedeutet Sicherheit für die Kalkulation unserer Betriebe und bedeutet auch Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist nicht inhaltlicher Gegenstand dieses Beitragssatzgesetzes, sollte aber weiter diskutiert werden, wie wir auch mit Veränderungen bei den Interventionsschwellen der Nachhaltigkeitsrücklage zu einer Verstetigung und Stabilisierung des Beitragssatzes beitragen können. Insbesondere ist eine Untergrenze für die Nachhaltigkeitsrücklage von 0,2 Monatsausgaben der Rentenversicherung sehr knapp genäht. Diese rührt aus der bereits angesprochenen Zeit, als die Rentenversicherung aus dem letzten Loch pfiff. Für dieses Projekt brauchen wir allerdings kein Hauruckverfahren, denn aufgrund unserer erfolgreichen Politik – in Verbindung mit den Auswirkungen des vorliegenden Gesetzes – werden wir in den kommenden Jahren nicht einmal in die Nähe dieser Marge gelangen. Ich freue mich, dass sich nach anfänglichem Zögern alle Fraktionen des Deutschen Bundestages für einen stabilen Beitragssatz von 18,5 Prozent in der gesetzlichen Rentenversicherung aussprechen. Auch die Grünen, die in der ersten Lesung anders argumentierten, sprechen sich jetzt in einem Entschließungsantrag für den Beitragssatz von 18,5 Prozent aus. Sichere und stabile Rentenfinanzen – das ist unser Ziel. Das Beitragsgesetz, das wir heute verabschieden, dient diesem Ziel. Verlässlichkeit – das ist das Markenzeichen einer guten Politik. Markus Paschke (SPD): Jeder, der sich schon mal intensiver mit unserer Rente beschäftigt hat, stellt zwei Dinge fest: Erstens. Mittel- bis langfristig wird der Beitragssatz steigen. Allein die demografische Entwicklung und die Gebundenheit an das Erwerbseinkommen lassen keinen anderen Schluss zu. Zweitens. Wir haben in unserem heutigen System einige Gerechtigkeitslücken, die es zu schließen gilt. Um den zweiten Punkt kümmern wir uns mit dem Rentenpaket, das demnächst auch hier beraten wird. Heute geht es um die Beiträge. Die bisherigen Reden zeigen: Hier im Haus herrscht in den wesentlichen Punkten Einigkeit, denn wir sind uns einig bei dem Ziel, den Beitragssatz der Rentenversicherung zu stabilisieren und Planungssicherheit zu schaffen. Laut einer Forsa-Umfrage, die der DGB in Auftrag gegeben hat, wird dies von 84 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Dass wir auf dem richtigen Weg sind, zeigte auch die Expertenanhörung am Montag zu dem Gesetzentwurf. Unser Vorhaben fand große Zustimmung bei fast allen Experten. Einigkeit im Parlament, Zustimmung in der Bevölkerung und Zustimmung der Experten – wir machen da offensichtlich wirklich etwas richtig. Zudem liegen wir mit dem aktuellen Beitragssatz immer noch unter dem, was 2011 von vielen erwartet wurde. Um es klar zu sagen: Eine Beitragssenkung wäre nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich. Die Expertenanhörung hat dies deutlich gemacht. Bei einer Beitragssenkung hätte ein durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer knappe 9 Euro mehr in der Tasche gehabt. Doch um welchen Preis? Wie sähe die Alternative aus? Das Institut für Makroökonomie und Konsumforschung hat in der Anhörung zutreffend formuliert: Jetzt eine Senkung, später eine deutliche Erhöhung – das macht man normalerweise nicht. Planbarkeit und Verlässlichkeit sind nach Aussage der Experten wesentlich wichtiger als die kurzfristige Senkung um ein paar Euro. Wir schaffen jetzt Planungssicherheit für Beschäftigte und Unternehmen. Und es ist richtig, dass wir die Beibehaltung des Beitragssatzes per Gesetz regeln und nicht per Verordnung. Damit verschaffen wir dem Vorhaben eine größere Offenheit und Legitimation. Mir ist es wichtig, dass wir transparent handeln und die Menschen in unserem Land mitnehmen; denn für sie tun wir das hier alles. Nebenbei gesagt: Ich finde es gut, dass sich auch die Linken unserem Gesetzentwurf im Ausschuss angeschlossen haben. Eine Kontrolle der Regierung und eigene Anregungen sind wichtig; aber sinnvolle Maßnahmen kann man auch aus der Opposition heraus unterstützen. In den Gemeinden funktioniert das gut. Warum soll das nicht auch im Bundestag klappen? Ich fasse also zusammen: Alle Fraktionen halten das wesentliche Ziel des Gesetzes für richtig. Umfragen in der Bevölkerung belegen die Akzeptanz, und wir haben die breite Zustimmung der Experten. Besser kann parlamentarische Arbeit doch gar nicht laufen. Dr. Martin Rosemann (SPD): Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits die in der vergangenen Legislatur-periode vorgenommenen Beitragssenkungen abgelehnt. Folgerichtig sorgen wir jetzt in der Regierungsverantwortung der Großen Koalition mit dem Beschluss des vorliegenden Gesetzentwurfs für eine Stabilisierung des Beitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung auf 18,9 Prozent im Jahr 2014. Die Gründe hierfür waren und sind dieselben: Zunächst wäre es unverantwortlich, den Beitragssatz heute auf 18,3 Prozent zu senken, um ihn dann zu einem späteren Zeitpunkt umso deutlicher zu erhöhen. Dies wäre falsch für die mittelfristige Planungssicherheit der Unternehmen wie der Beschäftigten und damit auch konjunkturpolitisch ein falsches Signal. Die SPD-Bundestagsfraktion verbindet mit der Stabilisierung des Beitragssatzes auch Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung, die im ersten Rentenpaket von Bundesministerin Andrea Nahles enthalten sind: erstens die Anerkennung von Zeiten kurzfristiger Arbeitslosigkeit bei der Wartezeit für den vorzeitigen abschlagsfreien Rentenzugang, zweitens das Vorziehen des vorzeitigen abschlagsfreien Rentenzugangs für langjährig Versicherte, drittens die demografiefeste Ausgestaltung des Rehabudgets – immer nach dem Motto „Reha vor Rente“ und viertens die von uns allen hier im Hause ja gemeinsam geforderten Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente. Damit ist auch unsere Haltung zum Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen klar: Sie lehnen wesentliche Teile dieser Leistungsverbesserungen ab. Deshalb lehnen wir ihren Entschließungsantrag ab. Am Montag dieser Woche hat der Ausschuss für Arbeit und Soziales eine öffentliche Anhörung zum Gesetz zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 durchgeführt. Ich bin ja neu in diesem Parlament, aber ich habe mir von meinen Kolleginnen und Kollegen sagen lassen, dass noch selten ein Gesetzentwurf von der Breite der Sachverständigen so eine positive Beurteilung erfahren hat. Das gilt für die Sache selbst, die Beitragssatzstabilität. Es gilt aber auch für den gewählten Weg eines Gesetz-gebungsverfahrens anstatt der Verordnungen. Ebenso hat die Anhörung erbracht, dass keiner der Sachverständigen eine Abschaffung der Obergrenze für die Schwankungsreserve empfohlen hat. Hier sehen wir zumindest weiteren Diskussionsbedarf und werden daher den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke ablehnen. Wir haben es in einer Großen Koalition natürlich auch mit großen Kompromissen zu tun. Das gilt unzweifelhaft auch für die Rentenpolitik. Als SPD-Bundestagsfraktion waren und sind wir der Auffassung, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten konsequent und vollständig durch Steuermittel finanziert werden müssen. Mit Blick auf den dabei gefundenen Kompromiss mit unserem Koalitionspartner ist unser Bauchweh daher schon recht groß – und es ist durch die Anhörung am Montag mit Sicherheit nicht kleiner geworden. Lassen Sie mich aber eines deutlich sagen: Der Vorwurf, die Große Koalition würde die zusätzliche Berücksichtigung von Erziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder ausschließlich über Beiträge finanzieren, ist falsch. Erstens befinden sich in der Rücklage der Rentenversicherung auch Steuermittel. Zweitens verhindert die Beitragssatzstabilisierung auch die Reduzierung der Bundeszuschüsse. Allein für das Jahr 2014 geht es dabei um rund 1,2 Milliarden Euro. Und zum Dritten sieht das Rentenpaket von Andrea Nahles ab dem Jahr 2019 vor, dass sich der Bund mit zusätzlichen Mitteln beteiligt, die bis zum Jahr 2022 auf rund 2 Milliarden Euro jährlich anwachsen. Für die SPD-Bundestagsfraktion kann ich zusammenfassend festhalten: Insgesamt haben wir mit dem heute hier debattierten Gesetzentwurf zur Beitragssatzstabilität und dem ersten von der Bundesregierung vorgelegten Rentenpaket ein gutes Konzept auf den Weg gebracht: Wir sorgen für Beitragssatzstabilität und damit für Planungssicherheit. Wir sorgen für notwendige und von der Bevölkerung gewollte Leistungsverbesserungen. Wir bauen Gerechtigkeitslücken konsequent ab. Und wir sorgen damit wieder für mehr Vertrauen in die gesetzliche Rente. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Auch die Linke ist ausnahmsweise mal mit der Bundesregierung einer Meinung: Der Beitrag zur Rentenversicherung darf nicht auf 18,3 Prozent gesenkt werden. Ihn bei 18,9 Prozent zu belassen, ist vernünftig und zumutbar! Es ist zumutbar, weil wir derzeit den niedrigsten Rentenversicherungsbeitrag seit 18 Jahren haben! Und es ist vernünftig, weil wir im Kampf gegen die Altersarmut jeden Cent in der Rentenkasse brauchen! Denn nicht nur der Blick auf den Lohnzettel zählt, sondern auch der Blick auf die jährliche Renteninformation. Und der ist für viele leider kein Augenschmaus! Der Grund: Union, SPD und Grüne haben in den vergangenen 13 Jahren die Renten real drastisch gekürzt: Der „Riesterfaktor“ und der „Nachhaltigkeitsfaktor“ senken seit der Jahrtausendwende das Rentenniveau deutlich. Damit wurde die Rentenanpassung von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Das heißt auf Deutsch: Zwischen 2001 und 2030 verlieren die Renten ein Fünftel ihres Wertes. Eine Rente von ehedem 1 000 Euro wird dann nur noch einen Wert von 800 Euro haben, in heutigen Zahlen natürlich. Das bedeutet, dass viele Junge von heute morgen die armen Alten sein werden, und das wird die Linke niemals -akzeptieren! Die Bundesregierung behauptet, bei steigenden Löhnen sei das sinkende Rentenniveau kein -Problem. – Die steigen aber nicht, die sinken sogar leicht! Gerade heute hat das Statistische Bundesamt die aktuellen Zahlen vorgelegt: Die Reallöhne sind vergangenes Jahr um 0,2 Prozent gesunken! Das heißt: Die Preise fressen die Löhne auf, und der Riesterfaktor frisst die Renten auf! Deshalb, meine Damen und Herren von der Koalition: Führen Sie endlich den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ein. Sofort! Denn wir haben keine Zeit mehr, auf ihn bis 2015 oder noch später zu warten! Und wir müssen dringend zurück zum Rentenniveau des Jahres 2001. Das waren 53 Prozent Sicherungs-niveau vor Steuern. Nur so können wir den Lebens-standard im Alter sichern. Mit Riester wird das nix. Ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau kommt den Alten und den Jungen zugute. Um das zu finanzieren, ist ein stabiler Beitragssatz ein kleiner erster und richtiger Schritt. Aber: Die Bundesregierung ist eigentlich verpflichtet, den Beitrag zu senken, wenn sich die Rentenkasse auf mehr als 1,5 Monatsausgaben füllt. Das ist unsinnig; denn wir brauchen jeden Cent in der Rentenkasse! Deshalb hat die Linke schon im November 2013 – also weit vor der Bundesregierung – ein Gesetz eingebracht, das weitergehend ist. Wir wollen die Höchstgrenze bei der Nachhaltigkeitsrücklage streichen! Selbst Herr Gunkel von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat am Montag in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales gesagt: „Es ist widersprüchlich, dass die Bundesregierung den Gesetzentwurf der Linken nicht unterstützt, dass die Nachhaltigkeitsrücklage mehr als 1,5 Monatsausgaben betragen muss, aber die Beitragssatzfestlegung auf 18,9 Prozent macht.“ Recht hat er. Und es gibt noch einen Grund, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen: Die SPD hatte schon im September 2012 in ihrem Gesetzentwurf für ein sogenanntes „Demografiefondsgesetz“ die Streichung der Höchstnachhaltigkeitsrücklage gefordert. Exakt die Forderung aus unserem Antrag. Schon vergessen? Schade! Ich komme zum zweiten Aber: Die zusätzlichen -Beiträge werden jetzt sofort und völlig systemwidrig von Ihnen für die Ausweitung der sogenannten Mütterrente verpulvert. Nur damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Wir Linken sind für die bessere Anerkennung der -Kindererziehungszeiten. Aber Kindererziehung ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das weiß jedes Kind. Deshalb muss die Mütterrente komplett aus Steuermitteln finanziert werden. Das haben auch alle Sachverständigen und alle Verbände in der Ausschussanhörung am vergangenen Montag einhellig betont! Und Linke und Grüne sind sich hier ebenfalls völlig einig. Die Medien auch. Dafür müssen alle zahlen und nicht nur die Beitragszahlenden, weil auch die Mütter von Beamtinnen und Beamten, Rechtsanwälten, Politikern und Ärztinnen und Ärzten die Mütterrente erhalten! Und die Große Koalition? Will die „Mütterrente“ systemwidrig aus Beiträgen finanzieren. Die murmelt von rechts weiter: Keine Steuererhöhung! Oder sitzt links bedröppelt da. Zulasten der nächsten Generationen! Denn: Würden wir die „Mütterrente“ aus Steuern -finanzieren, hätten wir sechseinhalb Milliarden Euro jährlich im Kampf gegen die laut heranrauschende Welle neuer Altersarmut. Wir könnten damit locker die Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel streichen, damit das -Rentenniveau stabilisieren und auch noch die Abschläge bei den Erwerbsminderungsrenten für dauerhaft Kranke abschaffen. Dafür lohnte es sich, die Beiträge nicht abzusenken! Würden wir dann noch die sinnlose Riesterförderung abschaffen, hätten wir weitere 3,5 bis 4,5 Milliarden Euro jährlich zur Verfügung und könnten endlich Schluss machen mit dem Rentenkürzungsprogramm Rente erst ab 67! Wichtige Schritte, die alle in Ihrem Rentenpaket fehlen, Frau Ministerin! Wichtige Schritte, die auch bei der jungen Generation wirken würden, und wichtige Schritte, die Sozialverbände, Gewerkschaften und die Linke deshalb weiter fordern werden! Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung verzichtet in ihrem Gesetzentwurf auf die gesetzlich vorgeschriebene Beitragssatzsenkung, um einen großen Teil des von ihr versprochenen Rentenpakets zu finanzieren. Dazu gehören die höheren Rentenanwartschaften für Kindererziehungszeiten, die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren ab 63 und kleinere Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente und beim Reha-Budget. Auch Bündnis 90/Die Grünen wollen keine Absenkung des Rentenbeitragssatzes. Zum einen ist – bedingt durch die demografischen Veränderungen – auch langfristig mit weiter steigenden Beiträgen zu rechnen. Für diesen absehbaren Beitragsanstieg sollte schon heute Vorsorge getroffen werden, um die Auswirkungen für die Wirtschaft und auch für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler abzufedern. Deswegen sollte eine höhere Nachhaltigkeitsrücklage gebildet werden. Da es der Bundesregierung aber eindeutig um die -Finanzierung ihrer Wahlversprechen geht, wird das höhere Beitragsaufkommen und gleichzeitig das Geld der Rücklage ausgegeben, das dann später an anderer Stelle fehlt. Wir lehnen diese falsche Prioritätensetzung zulasten der finanziellen Stabilität der Rentenversicherung ab und werden den Gesetzentwurf der Bundesregierung daher ablehnen. Die öffentliche Anhörung zum Beitragssatzgesetz 2014 am 17. Februar 2014 im Arbeits- und Sozialausschuss offenbarte, dass zehn von zwölf Sachverständigen die Obergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage von 1,5 Monatsausgaben für zu niedrig einschätzen. Für eine gänzliche Abschaffung der Obergrenze gab es indes keine Mehrheit. Nach unserer Auffassung sollte die Rücklage dazu verwendet werden, den Rentenbeitragssatz auch über 2020 hinaus möglichst lange unter 20 Prozent bei einem gleichzeitig angemessenen Rentenniveau zu halten. Zugleich steht die Rente auch auf der Leistungsseite vor großen Herausforderungen. Bei den beitragsfinanzierten Leistungen sind vor allem Verbesserungen bei Erwerbsminderung und Rehabilitation notwendig. Die von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen zur Verbesserung der Erwerbsminderungsrente gehen in die richtige Richtung, reichen aber nicht aus. Die Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten sollten abgeschafft werden, wenn der Zugang allein aufgrund medizinischer Diagnose und Prüfung erfolgt. An den Abschlägen auf Erwerbsminderungsrenten hält die Bundesregierung aber ausdrücklich fest. Aktuell stehen zudem nicht ausreichend Mittel zur Rehabilitation zur Verfügung. Wird das Reha-Budget nicht umgehend bedarfsgerecht ausgestaltet, wird die Zahl der Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner absehbar steigen. Auch der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke tritt für eine Beibehaltung des Beitragssatzes ein. In der Begründung heißt es, dass ansonsten „dringend notwendige systemgerecht zu finanzierende Leistungsverbesserungen … wie Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten und des Leistungsniveaus … auf längere Zeit erschwert oder gar verhindert würden“. Außerdem soll die Obergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage gänzlich aufgehoben werden. Wir lehnen den Gesetzentwurf der Linken ab, da wir – ähnlich wie die meisten Sachverständigen – eine gänzliche Abschaffung der Obergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage für nicht sinnvoll erachten. Ohne eine Obergrenze würde es an einer Systematik für eine Beitragssatzfestsetzung fehlen. Zudem geht es den Linken einseitig um Verbesserungen des Leistungsniveaus. Wir hingegen möchten die finanziellen Spielräume gleichermaßen für einen gedämpften Beitragssatzanstieg sowie für ein angemessenes Rentenniveau verwenden. Hierzu stellen wir einen eigenen Entschließungsantrag. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten (Tagesordnungspunkt 13) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Gute Afrika-Politik, ob nun durch die Bundesregierung oder die Europäische Union, muss die Menschen in den Mittelpunkt stellen. Der 4. EU-Afrika-Gipfel im April in Brüssel greift dieses Prinzip schon im Titel auf: „Investieren in Menschen, Wohlstand und Frieden“. Nun machen gute Titel noch keine gute Politik. Der vorliegende Antrag ist ein Paradebeispiel dafür. Ihren Titel „EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten“ können die meisten hier mittragen – bei allem was darüber hinausgeht, gerade auch was Gerechtigkeit betrifft, verweise ich lieber auf die Eckpunkte, die Bundesminister Gerd Müller für sein Ministerium abgesteckt hat: Gerecht ist, die Investitionen in Bildungsprojekte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zu steigern! Gerecht ist, auf diese Weise mehr Chancengleichheit zu schaffen! Gerecht ist demnach die Erhöhung der Mittel für Grundbildung, den Aufbau beruflicher Ausbildungszentren und tertiäre Bildung auf mindestens 400 Millionen Euro, die Minister Müller angekündigt hat! Bei seinem Antrittsbesuch bei der Afrikanischen Union Anfang des Monats sind Leuchtturmprojekte im Bereich der beruflichen Bildung vereinbart worden. Das schafft Gerechtigkeit. Das ist genau der Ansatz, der am Menschen orientierte und in zukünftigen Wohlstand investierende Politik ausmacht! Das schlägt sich auch in den Themen des 4. EU-Afrika-Gipfels nieder, bei dem Bildung und Ausbildung als zentrale Themen genannt werden. Mit den weiteren geplanten Themenschwerpunkten des Gipfels wie der Jugend- und Frauenförderung, der Stimulierung von Wachstum, der Schaffung neuer Arbeitsplätze und der Friedensicherung sind alle Elemente genannt, die die Basis für mehr Wohlstand legen können. Nur wenn durch positive Entwicklungen in diesen Bereichen bessere Lebensperspektiven vor Ort geschaffen werden, wird auch ein anderes dringendes Thema in der EU-Afrika-Politik einer Lösung näher kommen: Solange fehlende Sicherheit und mangelnder Wohlstand Flucht- und Migrationsanreize setzen, werden verzweifelte Menschen versuchen, den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer anzutreten. Solange positive Perspektiven noch fehlen, müssen nachhaltige Anstrengungen durch die gemeinsame EU-Afrika-Politik zur Verbesserung der Situation unternommen werden. Und so lange müssen sehr wohl auch die bestehenden Schutzsysteme einbezogen werden. Frontex und EUROSUR gehören dabei nicht, wie von den Linken verlangt, etwa abgeschafft, sondern gestärkt. Auch im vorliegenden Antrag wird deren wichtiger und für die Beamtinnen und Beamten alles andere als einfache Einsatz in ein falsches, schlechtes Licht gerückt. Dabei hat Frontex allein im Zeitraum von Oktober 2013 bis Januar 2014 16 700 Personen aus Seenot gerettet. Der Einsatz ist sinnvoll und notwendig! Ich wünsche mir, dass sich durch den kommenden Gipfel auch das Verhältnis der Partner EU und Afrika weiter angleicht, dass Abhängigkeiten weiter abgebaut werden und dass auch die angestrebten Projekte zunehmend von einer Partnerschaft auf Augenhöhe geprägt sind. Ausdruck einer neuen Partnerschaft sind unter anderem die immer weiter fortschreitenden Verhandlungen zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, zu deren baldigem Abschluss der Gipfel hoffentlich beitragen wird. Mehrere wichtige Zielmarken der Millenniumsentwicklungsziele sind erreicht oder können, realistisch beurteilt, in der Frist bis 2015 erreicht werden. Einige Ziele werden aller Voraussicht nach in manchen Regionen nicht erreicht werden. Mit einer Post-2015-Agenda müssen wir die Millenniumsziele deshalb fortschreiben. Dazu soll der Gipfel beitragen. Auch hier wird die Arbeit verstärkt von Partnerschaft geprägt sein, von Zusammenarbeit und Kooperation und nicht, wie Sie in Ihrem Antrag unterstellen, von Bevormundung. Überall dort, wo wir dazu beitragen können, dass Menschen sich selbst helfen, sollten wir diesen Ansatz verfolgen. Eine gemeinsame EU-Afrika-Strategie und ein Gipfel unter dem Motto „Investieren in Menschen, in Wohlstand und in Frieden“ ist deshalb genau richtig. Charles M. Huber (CDU/CSU): Afrika hat im Moment circa 1 Milliarde Einwohner, Tendenz steigend. 2050 sollen es bereits doppelt so viele sein, im Jahr 2100 dann um die 3,5 Milliarden. Afrika steht zweifellos vor einer großen Herausforderung, und wenn wir und die Afrikaner nichts tun, nicht das Richtige tun, wird ein Großteil der Bewohner dieses Kontinents nicht unter menschenwürdigen Umständen leben können, gesetzt den Fall, dass sie überhaupt überleben. Trotzdem gibt es, wie wir wissen, auch andere Perspektiven auf Afrika. Es gibt Staaten mit einem Wachstum von über 5 Prozent, an der Spitze Angola mit 11 Prozent. Aber es gibt natürlich auch Staaten wie Somalia und die Zentralafrikanische Republik, Staaten, in denen es kaum mehr Strukturen gibt, nie gab, wo Leid und Elend den Alltag der dort lebenden Menschen bestimmen. Es hilft der Entwicklung dieser Länder natürlich nicht, wenn man in diesem Hause einen Dialog führt, der sich darauf beschränkt, was man in Afrika alles nicht tun darf. Da, glaube ich, wird jeder einsehen, dass sich die Afrikaner davon nichts kaufen können und dies auch keinen Menschen inspiriert, in Afrika zu investieren. Das dürfen jetzt einige von der Linkspartei gerne als Vorwurf verstehen; so ist es auch gemeint. Wer jeden Ansatz in Richtung einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten, die diese wohlgemerkt dringend benötigen und auch explizit wünschen, in eine Grundsatzdiskussion ausarten lässt, der dokumentiert hier nur eines: dass er nämlich kein eigenes Konzept hat und hier lediglich versucht, seinem destruktiven Naturell eine objektive Legitimation zu verleihen. Als etwas anderes kann ich das nicht verstehen. Karl Marx hat es hier nicht gerichtet, und er wird es auch in Afrika nicht richten, schon gleich dann nicht, wenn die ehemalige Sowjetunion als potenzieller Handelspartner praktisch ausfällt. Afrika ist nicht Europa, und Europa funktioniert nicht wie Afrika. Es soll Ihnen hier gesagt sein, dass ein paar Delegationsreisen nach Afrika nicht ausreichen, um zu verstehen, wie dieser Kontinent tickt, sprich: wie sich diese Thesenpapiere dann in der afrikanischen Realität niederschlagen. Ich als Deutscher mit afrikanischen Wurzeln, bei dem der eine Teil aus einer afrikanischen Politikerfamilie stammt, habe 10 Jahre gebraucht, um Afrika zu verstehen. Aber schön, dass es Menschen gibt, die mit schier geballtem interkulturellen Einfühlungsvermögen dies in viel kürzerer Zeit tätigen können. Dieses Thema ist zu ernst, um es am Pranger der parteipolitischen Profilierungssucht zu opfern, und die Zeit, in der man das Rad noch herumdrehen kann, ist knapp. Hier müssen Verantwortung und Empathie dem parteipolitischen Kalkül vorgehen. Wer sagt, dass Afrika keinen Handel will, sagt etwas anderes als einem die Afrikaner selbst sagen, sowohl in Afrika als auch hier. Mich würde interessieren, was passieren würde, wenn jemand solche Thesen einmal in einem afrikanischen -Slumgebiet erzählen würde. Da hätte ich gerne vorher etwas Zeit, mich von dieser Gruppe zu entfernen. Aus Handel entsteht Wertschöpfung, da aus Handel finanzielle Ressourcen entstehen, womit sich eben später die Möglichkeit ergeben kann, selbst als Produzent von Produkten verschiedenster Art aufzutreten. Das Problem des afrikanischen Binnenhandels ist nicht die Ausbeutung durch die Europäer, sondern das einer fehlenden Verkehrsinfrastruktur. Für manche Produkte, welche Afrikaner gerne verzehren oder gebrauchen, gibt es in Afrika kein Know-how in der Herstellung. Gebraucht werden sie trotzdem. Wo werden da nun lokale Produzenten in die Ecke gedrängt? Ein Bauer im ländlichen Bereich hat weder Zugang zu EU-Hühnchen noch kann er selbst genug produzieren, um Hühnchen im großen Stil zu verkaufen. Ich muss Ihnen einmal sagen, Deutschland genießt hohes Ansehen in Afrika. Das ist Tatsache. Man hat lange auf uns gewartet, aber wir haben Afrika erst dann wahrgenommen, als die Schwellenländer sich schon ausreichend für diesen Kontinent interessiert haben, allen voran China. Wir sollten die Chance jetzt noch ergreifen, neben der klassischen und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit, welche gerade in Krisenregionen extrem wichtig ist, durch Wirtschaftsinitiativen zu optimieren und keinesfalls zulassen, dass man durch Mangel an Weitsicht und, was die praktische Seite des Ganzen anbelangt, durch ein oberflächliches Wissen in der Sache einen ganzen Kontinent seiner Zukunftschancen beraubt. Es muss einfach aufhören, dass jeder, der im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit das Wort Wirtschaft in den Mund nimmt, Gefahr läuft, als Ausbeuter tituliert zu werden, und jede Aktion, welche der Stabilisierung fragiler Staaten dient und dies, wohlgemerkt, auf deren ausdrücklichen Wunsch sowie in Übereinstimmung mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, mit einem neokolonialem Einmarsch verglichen wird. In manchen Ländern mit Bürgerkriegsgeschichte beträgt die Vergewaltigungsrate bei Frauen über 70 Prozent. Mir fehlen da ehrlich gesagt die Worte. Ruanda: Der Gedächtnisschwund in Zeiten zahlreicher und vielschichtig kommunizierter Medienereignisse scheint hier wohl seinen endgültigen Höhepunkt erreicht zu haben. Den 11. September vergisst auch keiner. Oder war Ruanda auch nur eine Verschwörungstheorie? Deutschland ist der Wunschpartner des afrikanischen Kontinents, sowohl im Zuge einer entwicklungspolitischen Kooperation im klassischen Sinne als auch in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Wir gelten in beiden Bereichen als präzise und verlässlich. Den Mitarbeitern staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen möchte ich bei dieser Gelegenheit auch meinen Dank dafür aussprechen, dass sie sich auf dem Kontinent meines Vaters, teils sogar unter Lebensgefahr, eingesetzt haben und immer noch einsetzen. Wir müssen Afrika helfen, politische und ökonomische Unabhängigkeit zu erlangen. Dazu gehören politische Stabilität, Handel und Wertschöpfung. Keine Partei in Europa hat das Recht dazu, im Stile kolonialer Bevormundung den Leuten zu verbieten, sich selbst zu entwickeln – auch nicht, wenn sie von links kommt. Ob diverse Schwellenländer, in deren Hände man Afrika durch eine rein negativ formulierte Analyse deutscher und europäischer Bemühungen treibt, mehr sozio-ökonomische oder gar ökologische Standards bei ihrer Entwicklungspolitik in afrikanischen Ländern ansetzen als wir, sei schon einmal dahingestellt. Eine gemeinsame Strategie wäre hier der Sache dienlich. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Im Jahr 2007 haben sich afrikanische und europäische Regierungschefs in Lissabon auf Ziele und Handlungsfelder der Zusammenarbeit geeinigt. Der anstehende EU-Afrika-Gipfel in Brüssel sollte jetzt zum Anlass genommen werden, um über Erreichtes und vor allem nicht Erreichtes zu sprechen und eine verstärkte Zusammenarbeit in den Fokus zu rücken. Zurzeit erleben wir eine interessante Debatte um die neue Ausrichtung unserer auswärtigen Politik. Afrika steht dabei im besonderen Fokus, die Einbindung in den europäischen Kontext ebenso. Das bedeutet, dass wir mit dem bevorstehenden Gipfel vor einer zentralen Aufgabe stehen, nämlich Afrika als einen Kontinent mit vielen Chancen zu begreifen, der zudem ganz in unserer Nähe liegt, sowie eine stärkere Koordinierung der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit voranzutreiben. Afrika ist bereits Schwerpunktregion der Entwicklungszusammenarbeit. Ich bin aber überzeugt, dass wir unser Engagement noch weiter ausbauen können und vor allem auch sollten. Lassen Sie mich einige Punkte nennen, die für uns Sozialdemokraten wichtig sind: Erstens. Für Afrika ist die Bewältigung der Folgen des Klimawandels von besonderer Bedeutung. Trotz des geringen CO2-Ausstoßes leidet der Kontinent besonders unter der Erderwärmung. Wichtige Stichworte sind auch die Energiearmut und der Erhalt der globalen öffentlichen Güter. Diese Global Commons müssen gemeinsam fortentwickelt und stabilisiert werden; denn Klimaschutz kennt keine Grenzen. Entscheidend dabei ist, den Zugang zu Energie in den afrikanischen Ländern zu verbessern. Die EU hat versprochen, einen Beitrag zu leisten, dass 100 Millionen Afrikaner Zugang zu Energie erhalten, und zwar bis zum Jahr 2020. Nach meinem Verständnis sind Versprechen dazu da, auch gehalten zu werden. In puncto nachhaltige und moderne Energieversorgung müssen wir aber auch die Energieeffizienz und die erneuerbaren Energien voranbringen, national wie international. Denn nur so schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass unsere Klimaschutzziele und die der internationalen Gemeinschaft tatsächlich erreicht werden können. Zweitens. Wir Sozialdemokraten wollen im Bereich Wirtschaft und Handel Institutionen stärken und Transparenzinitiativen voranbringen. Rohstoffe dürfen nicht Fluch, sondern müssen Segen für die afrikanischen Länder werden. Diesem Punkt muss eine noch viel stärkere Aufmerksamkeit gewidmet werden, damit die Ressourcen den Bevölkerungen Afrikas auch zugutekommen. Der EU-Agrarkommissar Dacian Ciolo? hat erst vor knapp einem Monat auf der Grünen Woche in Berlin angekündigt, die fragwürdigen Agrarsubventionen für Nahrungsmittelexporte nach Afrika abzuschaffen. Diese Subventionen erlauben es bislang, in Europa produzierte Überschüsse zu Dumpingpreisen auf die Märkte der Entwicklungsländer zu werfen. Auch unser Kollege im -Europaparlament, Norbert Neuser, hat dieses schädliche Instrument schon seit langem kritisiert. Hauptkritikpunkt ist, dass es durch die Agrarsubven-tionen zu Verzerrungen vor allem auf dem afrikanischen Markt kommt. Lokale Erzeuger können mit den subventionierten Produkten nicht mithalten. So werden regionale wirtschaftliche Anstrengungen von Kleinbauern zunichte gemacht. Klar ist, dass nur eine kohärente EU-Politik zu Verbesserungen führt. Wir brauchen genau solche fairen EU-Entscheidungen für wirtschaftliche Entwicklung, die letztlich nämlich beiden Partnern, Afrikanern wie EU-Bürgern, zugutekommt. Bei der Ressourcennutzung geht es uns um Transparenz und Verteilungsgerechtigkeit. Hier ist zum Beispiel die Transparenzrichtlinie der EU ein erster wichtiger Schritt. Denn nur, wenn zugängliche und verständliche Informationen über Zahlungen von zum Beispiel Bergbau- oder Erdölfirmen an staatliche Stellen vorliegen, können die Bürger der Länder, in denen abgebaut wird, die Einnahmen ihres Staates kontrollieren und die Fragen der Verteilung, also der sinnvollen Einnahmenverwendung, in ihrer Gesellschaft diskutieren. Für staatliche Institutionen – wie zum Beispiel die Steuerbehörden – ist das ebenfalls von immenser Bedeutung. Auch bei den Verhandlungen der EU mit den Staaten in Afrika, Asien und im pazifischen Raum über den Abschluss von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, den sogenannten EPAs, erheben wir Sozialdemokraten selbstverständlich die Forderung, dass diese Abkommen entwicklungsfördernd sein müssen. Drittens. Wir wollen die Stabilität in Afrika erhöhen, denn in fragilen Staaten leidet die Bevölkerung besonders – unter großer Armut, Gewalt und politischer Willkür. Betroffen hiervon sind Frauen, Kinder und ethnische oder religiöse Minderheiten. Fragile Staaten können die Sicherheit der Bevölkerung und deren Zugang zu sozialen Grunddiensten nicht gewährleisten. Sie weisen nicht nur ein höheres Maß an Armut und sozialer Ungleichheit auf, sondern stellen auch ein regionales und internationales Sicherheitsrisiko dar. Die Staatengemeinschaft darf diese Länder – trotz der schlechten Regierungsführung – nicht von jeglicher Zusammenarbeit ausschließen, sondern muss behutsam auf eine Verbesserung der Lage hinwirken. Dabei spielt die Entwicklungspolitik eine wichtige Rolle. Je nach Land beinhaltet diese Zusammenarbeit, Not leidende Bevölkerungsgruppen zu schützen, Selbsthilfe zu fördern, Reformkräfte zu stärken und bei Regierungen Verhaltensänderungen zu bewirken. In unserem Koalitionsvertrag haben wir festgeschrieben, dass die globalen Herausforderungen nur in internationaler Zusammenarbeit und in einem koordinierten Einsatz aller Instrumente der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zu bewältigen sind. Diese ressortübergreifende Kooperation wollen wir ausdrücklich auch in der Friedenspolitik stärken, etwa bei der Krisenprävention und der Konfliktbewältigung. Daher wollen wir auch die deutschen Institutionen für Friedensförderung und Friedensforschung – wie das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, ZIF, das Forum Ziviler Friedensdienst, forumZFD, die Bundes-akademie für Sicherheitspolitik und die Deutsche Stiftung Friedensforschung – künftig noch stärker in die -Politikberatung einbeziehen. Im Bereich der zivilen Krisenprävention ist es auch Auftrag und Mahnung, die UN-Resolution 1325 mit Leben zu füllen. In ihr wurden erstmals Konfliktparteien dazu aufgerufen, die Rolle der Frauen zu stärken und ihre herausragende Bedeutung bei Konfliktschlichtung und Wiederaufbau stärker zu nutzen, sie bei Friedensverhandlungen besser zu berücksichtigen und einzubeziehen. Viertens. Wir wollen die Interessen und Anliegen Afrikas stärker in den Fokus der internationalen Beratungen und Gipfel stellen. Das geht vom EU-Afrika-Gipfel in Brüssel im April 2014 über die deutsche G-8-Präsidentschaft im nächsten Jahr bis hin zum MDG/SDG-Prozess. Dabei sollte auch die Zivilgesellschaft besser einbezogen werden. Zum Schluss meiner Rede auch noch einige Anmerkungen zum Antrag der Linken: Man könnte Ihren Anträgen mehr abgewinnen, wenn Sie mal verbal abrüsten würden. Ich zitiere als Beispiel nur folgenden Satz Ihres Antrags: „Die Menschen Afrikas sind ein weiteres Mal Opfer der kapitalistischen Indus-trialisierung des Nordens“. Süd-Süd-Kooperationen sind – nebenbei bemerkt – auch nicht „antikapitalistisch“; es kommt bei allem wirtschaftlichen Handeln darauf an, dass das, was in einem Land erarbeitet wird, auch der Bevölkerung zugutekommt. Gerade deshalb sind ja solche Initiativen wie die EU-Transparenzrichtlinie von großer Bedeutung. Sie zeichnen mit solchen Sätzen auch ein sehr eindimensionales Bild von Afrika, von dem ich nicht glaube, dass es den Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent gerecht wird. Niema Movassat (DIE LINKE): Im kommenden April findet der EU-Afrika-Gipfel statt. Wir sagen mit unserem Antrag heute: Die deutsche und europäische Afrika-Politik muss sich grundlegend verändern. Bis jetzt ist der Fokus oft darauf gerichtet, Zugang zu den Rohstoffen und Märkten in afrikanischen Ländern zu erhalten, statt wirksam gegen Armut zu kämpfen. Zudem heizen deutsche und europäische Rüstungsexporte Konflikte an. Wir brauchen stattdessen eine Afrika-Politik, die in ihr Zentrum Solidarität, Partnerschaft und Gewaltfreiheit stellt. Dazu muss zuallererst Schluss sein mit der wirtschaftlichen Ausbeutung afrikanischer Länder. Leider bedeutete das Ende des Kolonialismus in Afrika nicht das Ende der Ausbeutung. Jahrzehntelang üben die Industrieländer schon Druck auf afrikanische Länder aus, ihre Märkte zu öffnen, ihre staatlichen Betriebe zu privatisieren und ihre Schutzregelung für die eigene Wirtschaft abzubauen. Die Interessen und Bedürfnisse der Afrikanerinnen und Afrikaner stehen dabei nicht im Mittelpunkt. Das alles hat Afrika nicht den versprochenen wirtschaftlichen Aufschwung gebracht. Ganz im Gegenteil: Durch diese Politiken werden soziale Sicherungssysteme zerstört. Arbeits- und Umweltstandards werden verhindert. Es finden Mittelkürzungen bei Bildung und Gesundheit statt. Staatliche Strukturen werden geschwächt nach dem Motto: „Privat vor Staat“. Es ist diese Politik der Industrieländer, die einen enormen Anteil an der Armut in Afrika hat, eine Politik, die zwar von Demokratie redet, sich aber, wenn es um ihre Interessen geht, auch gerne mal mit korrupten Eliten verbündet. Vor allem stehen immer wieder die Profite der europäischen Konzerne. Da muss endlich ein Kurswechsel her. Der bleibt aber aus. Das neuste Zaubermittel sind Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Klingt ganz toll, aber bedeutet die knallharte Fortsetzung der bisherigen Politik. Ein Beispiel: Ghana hat dem Druck der Industriestaaten nachgegeben und auf Freihandel gesetzt. Das Ergebnis: Das Land wurde überschwemmt mit Dumping-Geflügelimporten. Die eigene Geflügelproduktion konnte der steuersubventionierten Konkurrenz aus Europa nicht standhalten und brach zusammen. Unzählige Menschen wurden arbeitslos und das Land ist heute abhängig von Geflügelimporten. Nigeria zeigt, dass es anders geht. Es hat keinen Freihandelsvertrag abgeschlossen. Stattdessen hat es hohe Importzölle erhoben und so seine Geflügelproduktion geschützt. Heute wird der heimische Bedarf aus eigener Produktion gedeckt. Das ist der richtige Weg. Stattdessen aber wird die europäische Freihandels-politik immer aggressiver. Sie will auf Teufel komm raus europäischen Unternehmen neue Märkte in Afrika erschließen. Dazu verbietet die EU beispielsweise im Rahmen dieser Abkommen den Ländern, Zölle zu erheben, um ihre Märkte vor Billigimporten zu schützen. In vielen Ländern Afrikas wächst der Widerstand dagegen. Und was macht die EU? Sie setzt auf Erpressung. So weigert sich Kamerun, dass Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu unterzeichnen. Die Folge: Die EU droht mit Entzug der Zugangserleichterungen zum europäischen Markt. Oft steht zudem die Drohung im Raum, Gelder der Entwicklungszusammenarbeit zu streichen. Das ist ein Unding. Es muss Schluss sein mit solchen Verträgen und Erpressung. Das A und O einer jeden Entwicklung ist, dass die Menschen sich aus eigener Kraft ernähren können. Hier verlaufen alle Bemühungen im Sande, wenn nicht endlich wirksame Maßnahmen gegen Landraub, Nahrungsmittelspekulation und Raubfischerei ergriffen werden. Deshalb brauchen wir Sanktionen gegen europäische Konzerne, die Menschenrechtsverletzungen in Afrika begehen. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln gehört komplett verboten. Raubfischerei muss strafrechtlich verfolgt werden. Und auf die Länder Afrikas darf kein Druck ausgeübt werden, Fischfangquoten an europäische Länder abzutreten. Alle hier sind entsetzt, wenn sie Bilder von Flüchtlingen sehen, die beim Versuch, aus Afrika nach Europa zu gelangen, sterben. Aber Empörung reicht nicht. Das Sterben geht doch Tag für Tag weiter. Weiter ertrinken Menschen im Mittelmeer. Das ist ein Skandal. Machen Sie endlich Schluss mit der menschenverachtenden europäischen Grenzschutzpolitik! Menschen fliehen niemals freiwillig, sondern aus Not und Elend. -Europa als Friedensnobelpreisträger stünde es gut zu Gesicht, diesen Menschen zu helfen, statt sie mit allen Mitteln abzuwehren. Wir erleben seit geraumer Zeit eine zunehmende Militarisierung der europäischen Außenpolitik. Das heißt auch: mehr deutsche Soldaten ins Ausland. Ich sage ihnen: Militärische Einsätze lösen keinen Konflikt. Und oft werden sie geführt, weil Rohstoffinteressen im Hintergrund stehen und nicht das Wohl der Menschen. Zuallererst müssen Rüstungsexporte beendet werden, und zwar sofort. Denn auch deutsche Waffen finden sich bei fast jedem Konflikt in Afrika. Das ist beschämend. Unsere Vorschläge sind auch ein Beitrag für die angekündigte neue Afrika-Strategie. Wir wollen eine friedliche und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Afrika und Europa. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unter der mehr als fraglichen Überschrift „In Menschen, Wohlstand und Frieden investieren“ will der 4. EU-Afrika-Gipfel in Brüssel die Partnerschaft zwischen den beiden Kontinenten vertiefen. Im Vorfeld des Gipfels hat die EU allerdings schon einmal den afrikanischen Partnerstaaten gezeigt, was sie darunter versteht. Ich spreche von den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, den EPAs. Nicht ohne Grund ziehen sich die Verhandlungen zu diesen umfangreichen Freihandelsabkommen seit Jahren hin. Hier nur ein Beispiel, warum viele afrikanische Staaten nicht unterzeichnen wollen: Europa will die Rohstoffe billig haben und will diesen Staaten nicht erlauben, auf ihre eigenen Rohstoffe Exportsteuern zu erheben. – Ja, es geht eben um Wohlstand, es fragt sich nur für wen. Europa und Deutschland singen seit langem das Mantra der Handelsliberalisierung. Dieses Mantra muss endlich entsorgt werden. Wir brauchen keinen Freihandel, sondern eine Freiheit des Handels und des Handelns, eine Freiheit, die den Eigentümern der Rohstoffe die Entscheidungsfreiheit lässt. Deshalb brauchen wir vor allem endlich den fairen Handel. Thema Landwirtschaft. Die Afrikanische Union hat gerade das Jahr der Landwirtschaft ausgerufen. Hier müssen Deutschland und die EU ihrer Verantwortung gerecht werden, anstatt im Schulterschluss mit der -Agrarlobby Weltpolitik zu betreiben. Die Entwicklungszusammenarbeit muss andere Wege gehen und die Länder auf den Weg zu ihrer Ernährungssouveränität begleiten. Wir müssen die bäuerliche und ökologisch-nachhaltige Landwirtschaft unterstützen und gleichzeitg den Auf- und Ausbau von Wertschöpfungsketten und sozialen Sicherungssystemen fördern. Hierzu erwarten wir deutliche deutsche und europäische Bekenntnisse. Minister Müller hat im geschützten Raum bereits solche Bekenntnisse abgegeben. Überzeugender wäre es, wenn Herr Müller sich für die Unterzeichnung des Weltagrarberichts 2008 einsetzen würde, was immer noch von der Agrarlobby verhindert wird. Themenwechsel: Mit dem uns vorliegenden Antrag bleibt sich die Linke treu. Da haben Sie viel mit der katholischen Kirche gemein. Sie machen nach wie vor ein Dogma zum Leitmotiv Ihrer Politik: Militär ist schlecht und böse. Leider gibt es zu viele Belege in der Geschichte und in der Gegenwart, die dieses Dogma stützen. Allerdings würde dies auch bedeuten, dass die Menschheit nichts dazulernen kann. Es muss heute unsere Aufgabe sein, zu beweisen, dass wir Militäreinsätze kontrollieren und zielgerecht einsetzen können, und zwar zum Schutz von Menschen und ihrer Rechte. Ein Völkermord wie in Kambodscha oder in Ruanda, ein Massenmord wie in Srebrenica darf nie wieder zugelassen werden. Der Dogmatismus der Linken würde aber diesem Ziel entgegenstehen. Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand ist immer an eine nachhaltige Entwicklung geknüpft. Die globalen Herausforderungen wie Klimawandel, fragile Staaten, Welternährung, Rohstoffverknappung, soziale Ungleichheit, Menschenrechte, Schulden- und Finanzmarktkrisen verdeutlichen, dass wir neue Konzepte und Regeln für die globale Zusammenarbeit brauchen. Aber genau diese vermisse ich beim vorliegenden Antrag, allerdings auch bei der deutschen Bundesregierung. Gerade der EU-Afrika-Gipfel böte die Möglichkeit hier Neues zu beginnen. Zum Beispiel müssen die indirekten EU-Agrarsubventionen verschwinden; auch sie zerstören die Ernährungssouveränität. Oder lassen Sie uns verbindliche Offenlegungspflichten für die Unternehmen verankern. Es liegen viele gute Ansätze auf dem Tisch. Der EU-Afrika-Gipfel bietet die Chance einer neuen Partnerschaft. Verschenken Sie diese Chance nicht. 1Anlagen 2 bis 6 2Ergebnis Seite 1277 D 3Anlage 8 4Anlage 7 5Ergebnis Seite 1303 C ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1275 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 1382 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1383