Plenarprotokoll 18/20 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 20. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. März 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Dr. Herlind Gundelach, Dr. Franz Josef Jung und Katharina Landgraf 1517 A Wahl der Abgeordneten Christina Kampmann, Michelle Müntefering und Gerold Reichenbach als Mitglieder für den Beirat der Stiftung Datenschutz 1517 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 1517 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 6 und 14 a 1518 B Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zur Lage in der Ukraine am 6. März 2014 1518 B Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin 1518 C Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) 1522 A Dr. Rolf Mützenich (SPD) 1525 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1527 B Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) 1528 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 1530 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1530 D Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) 1531 D Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) 1533 C Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) 1534 D Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) 1536 D Franz Thönnes (SPD) 1537 A Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) 1538 D Norbert Spinrath (SPD) 1539 D Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Energiewende europäisch verankern Drucksache 18/777 1541 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1541 B Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) 1542 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 1543 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 1544 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 1545 D Wolfgang Tiefensee (SPD) 1546 D Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1548 A Thomas Bareiß (CDU/CSU) 1549 B Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1550 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 1551 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) 1552 A Caren Lay (DIE LINKE) 1552 D Dirk Becker (SPD) 1553 D Alexander Ulrich (DIE LINKE) 1555 C Karl Holmeier (CDU/CSU) 1556 B Dr. Nina Scheer (SPD) 1558 B Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 1559 C Frank Schwabe (SPD) 1561 D Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Hansjörg Durz, Axel Knoerig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Wolfgang Tiefensee, Lars Klingbeil, Matthias Ilgen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Technologie-, Innovations- und Gründungsstandort Deutschland stärken – Potenziale der Digitalen Wirtschaft für Wachstum und nachhaltige Beschäftigung ausschöpfen und digitale Infrastruktur ausbauen Drucksache 18/764 (neu) 1563 B b) Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Herbert Behrens, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Digitale Gründungen unterstützen – Zukunftsfähige Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft schaffen Drucksache 18/771 1563 C Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin BMWi 1563 D Herbert Behrens (DIE LINKE) 1564 D Axel Knoerig (CDU/CSU) 1565 C Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1567 A Christian Flisek (SPD) 1568 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 1569 A Hansjörg Durz (CDU/CSU) 1570 A Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1571 C Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) 1572 C Lars Klingbeil (SPD) 1574 B Thomas Viesehon (CDU/CSU) 1575 C Tagesordnungspunkt 14: b) Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parteispenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden verbieten, Parteispenden natürlicher Personen begrenzen Drucksache 18/301 1577 B Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für mehr Transparenz in der Internationalen Atomenergie-Organisation Drucksache 18/772 1577 B Tagesordnungspunkt 15: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erneute Überweisung von Vorlagen aus früheren Wahlperioden Drucksache 18/770 1577 C b)–h) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 14, 15, 16, 17, 18, 19 und 20 zu Petitionen Drucksachen 18/594, 18/595, 18/596, 18/597, 18/598, 18/599, 18/600 1577 C Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. April 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay über Soziale Sicherheit Drucksache 18/272 1578 B Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) 1578 C Azize Tank (DIE LINKE) 1579 C Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU) 1580 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1581 A Michael Gerdes (SPD) 1582 A Tobias Zech (CDU/CSU) 1582 D Gabriele Schmidt (Ühlingen) (CDU/CSU) 1584 A Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Den Grauen Kapitalmarkt durchgreifend regulieren Drucksache 18/769 1584 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 1585 A Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) 1586 B Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1587 C Dr. Carsten Sieling (SPD) 1588 C Alexander Radwan (CDU/CSU) 1589 D Christian Petry (SPD) 1591 A Mechthild Heil (CDU/CSU) 1592 C Tagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen Drucksachen 18/578, 18/792 1593 C Kees de Vries (CDU/CSU) 1593 D Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 1594 C Dr. Matthias Miersch (SPD) 1595 D Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1597 A Alois Rainer (CDU/CSU) 1598 B Rita Hagl-Kehl (SPD) 1599 D Namentliche Abstimmung 1601 B Ergebnis 1603 A Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Waffenexporte in die Golfregion verbieten Drucksache 18/768 1601 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2012: (Rüstungs-exportbericht 2012) Drucksache 18/105 1601 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien Drucksachen 18/576, 18/793 1601 D Inge Höger (DIE LINKE) 1602 A Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) 1605 B Inge Höger (DIE LINKE) 1606 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1608 A Bernd Westphal (SPD) 1609 D Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 1610 C Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) 1611 C Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 1613 B Nächste Sitzung 1614 D Berichtigung 1614 B/D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1615 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Armin Schuster (Weil am Rhein) und Steffen Bilger (beide CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes: Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen (Tagesordnungspunkt 9) 1615 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Udo Schiefner und Kirsten Lühmann (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absaz 3 des Grundgesetzes: Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen (Tagesordnungspunkt 9) 1616 B Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes: Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen (Tageordnungspunkt 9) 1616 D Josef Göppel (CDU/CSU) 1617 A Hubert Hüppe (CDU/CSU) 1617 B Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) 1617 D Stephan Mayer (CDU/CSU) 1618 A Inhaltsverzeichnis 20. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. März 2014 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zur 20. Sitzung des Deutschen Bundestages. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich zunächst drei Kollegen zu ihren Geburtstagen gratulieren, die sie in den vergangenen Tagen gefeiert haben: zunächst zu ihren „runden“ Geburtstagen den Kolleginnen Dr. Herlind Gundelach und Katharina Landgraf sowie dem Kollegen Dr. Franz Josef Jung, der vor einigen Tagen seinen 65. Geburtstag gefeiert hat. Alle guten Wünsche für die Zukunft! (Beifall) Wir müssen noch eine Wahl durchführen. Für den Beirat der Stiftung Datenschutz schlägt die Fraktion der SPD vor, die Kolleginnen Christina Kampmann und Michelle Müntefering sowie für die ausgeschiedene Kollegin Gisela Piltz den Kollegen Gerold Reichenbach als Mitglieder zu wählen. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die genannten Kolleginnen und der Kollege als Mitglieder des Beirates gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur Abschaffung des Optionszwangs im Staatsangehörigkeitsrecht (siehe 19. Sitzung) ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für mehr Transparenz in der Internationalen Atomenergie-Organisation Drucksache 18/772 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien Drucksachen 18/576, 18/793 ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung einer „Parlamentarischen Kommission zur Überprüfung, Sicherung und Stärkung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ Drucksache 18/775 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Bankenabwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates KOM(2013) 520 endg.; Ratsdok. 12315/13 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Zum Schutz der Allgemeinheit vor Einzelinteressen – Für eine echte Europäische Bankenunion Drucksache 18/774 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsauschuss Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 6 und 14 a werden abgesetzt. Der Tagesordnungspunkt 8 wird nach dem Tagesordnungspunkt 15 und der Zusatzpunkt 5 mit einer -Debattenzeit von 38 Minuten nach dem Tagesordnungspunkt 13 aufgerufen. Ich mache jetzt schon darauf aufmerksam, dass es zum Tagesordnungspunkt 9 eine namentliche Abstimmung geben wird, die dann im Laufe des Nachmittags gegen 16.30 Uhr stattfinden wird. Schließlich mache ich Sie darauf aufmerksam, dass die Überweisung der Unterrichtung der Bundesregierung auf der Drucksache 18/641 Nr. 23 an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zur Federführung sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Ausschuss für Kultur und Medien aufgehoben wird. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zur Lage in der Ukraine am 6. März 2014 Hierzu habe ich den Botschafter der Ukraine eingeladen, der zusammen mit zahlreichen anderen Vertretern weiterer Botschaften unserer heutigen Debatte beiwohnt und den ich auf der Ehrentribüne herzlich begrüße. (Beifall) Das gilt auch für eine Delegation des Abgeordnetenhauses des Königreiches Bahrain, die ebenfalls an dieser Debatte teilnimmt. Seien Sie uns alle herzlich willkommen! (Beifall) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 96 Minuten vorgesehen. – Auch dies ist offenkundig unstreitig. Dann können wir so verfahren. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Jahrhundertelang waren die Beziehungen der europäischen Staaten von Rivalität, wechselnden Bündnissen und immer wieder schrecklichem Blutvergießen geprägt. Daran denken wir gerade in diesem Jahr, 2014, dem Jahr der Gedenktage, ganz besonders. Wir denken an den Ersten Weltkrieg, der vor 100 Jahren ausbrach. Er war die erste große Katastrophe des 20. Jahrhunderts, der alsbald die zweite folgen sollte: der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren mit dem Zivilisationsbruch durch die Schoah. Dass sich an diese Schrecken nunmehr über ein halbes Jahrhundert von Frieden, Freiheit und Wohlstand in weiten Teilen Europas anschloss, das grenzt immer noch an ein Wunder. Mit der europäischen Einigung hat Europa die Lehren aus seiner leidvollen Geschichte gezogen, zunächst im Westen Europas, nach 1989 darüber hinaus. Wir erinnern uns in diesem Jahr auch an den Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren und an den Beginn der EU-Ost-erweiterung vor 10 Jahren. Die europäische Einigung ist und bleibt auch im 21. Jahrhundert das große Versprechen von Frieden, von Freiheit und von Wohlstand. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Längst hat die Globalisierung unsere Welt – unsere Art zu leben, zu arbeiten, zu wirtschaften – bis in den letzten Winkel erfasst. Heute leben über 7 Milliarden Menschen auf der Erde. Sie alle wollen am Wohlstand teilhaben. Niemand kann sich mehr darauf beschränken, nur seine eigenen Belange im Blick zu haben, und wer es doch tut, der schadet sich selbst über kurz oder lang. Das gilt für alle: Das gilt für Deutschland, das gilt für unsere Nachbarn, das gilt selbst für ein so großes und starkes Land wie die Vereinigten Staaten von Amerika, ebenso für China und Russland. Wir sind alle, und zwar stärker und stärker, miteinander verflochten – und eben auch Russland. Ausdruck dessen sind zum Beispiel jährliche deutsch-russische Regierungskonsultationen, der Petersburger Dialog, das Deutsch-Russische Rohstoff-Forum, mehr als 20 bilaterale Abkommen Russlands mit der Europäischen Union, der Ostseerat, unsere Zusammenarbeit mit Russland im Rahmen der G 8 und der G 20, der NATO-Russland-Rat, Verhandlungsmandate im Nahost-Friedensprozess und bei den Nukleargesprächen mit dem Iran und vieles, vieles mehr. Das alles ist gelebte Globalisierung im 21. Jahrhundert. Sie ist Ausdruck der Erkenntnis, dass wir alle in Europa und darüber hinaus uns den großen Aufgaben gemeinsam stellen müssen. Sie ist Ausdruck dessen, dass jeder von uns allein weniger erreicht als gemeinsam. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das Umfeld, in dem wir wie 2008 in Georgien und jetzt mitten in -Europa, in der Ukraine, einen Konflikt um Einflusssphären und um Territorialansprüche erleben, wie wir ihn eigentlich aus dem 19. oder 20. Jahrhundert kennen, einen Konflikt, den wir für überwunden gehalten hatten. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass er ganz offensichtlich nicht überwunden ist, zeigen bereits drei Nachrichten der letzten 14 Tage: 27. Februar. Das Krim-Parlament setzt in nichtöffentlicher Sitzung eine neue Regierung ein und spricht sich in dieser Sitzung für eine Volksbefragung über den künftigen Status der Region aus, zunächst geplant für den 25. Mai. – Diese wurde dann vorverlegt auf den 30. März und schließlich auf den 16. März. Dies ist eine Verletzung der ukrainischen Verfassung, die Sezessionsreferenden in einzelnen Landesteilen ohne Zustimmung des Gesamtstaats nicht erlaubt. 1. März. Der Föderationsrat Russlands stimmt auf Bitten von Staatspräsident Putin in einem Vorratsbeschluss einem Militäreinsatz auf der Krim im Grundsatz zu, nachdem Russland zuvor, wie es heißt, um Beistand gebeten worden sei. 11. März. Das Krim-Parlament beschließt die Unabhängigkeit der Krim von der Ukraine, womit das in der ukrainischen Verfassung vorgesehene Verbot von Sezessionsreferenden umgangen werden soll. Meine Damen und Herren, es ist offenkundig: Die territoriale Unversehrtheit und damit die staatliche Einheit der Ukraine werden ganz offen infrage gestellt und verletzt. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In einer Phase großer Unsicherheit in der Ukraine hat sich Russland nicht als Partner für Stabilität in dem mit ihm historisch, kulturell und wirtschaftlich eng verbundenen Nachbarland erwiesen, sondern nutzt dessen gegebene Schwäche aus. Das Recht des Stärkeren wird -gegen die Stärke des Rechts gestellt, einseitige geopolitische Interessen über Verständigung und Kooperation. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist Handeln nach den Mustern des 19. und 20. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert. Denn noch einmal: Niemand, schon gar nicht die Europäische Union oder Länder wie die Vereinigten Staaten von Amerika oder auch Russland, niemand von uns kann sich heute im 21. Jahrhundert noch darauf beschränken, nur seine eigenen Belange im Blick zu haben. Wenn er es doch tut, dann schadet er sich über kurz oder lang selbst. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist ganz ohne Zweifel beklemmend, was wir derzeit mitten in Europa erleben. Ich fürchte, wir werden einen langen Atem brauchen, um den Konflikt zu lösen. Aber wir können diese für Europa zentrale Herausforderung entschlossen annehmen. Es geht um die territoriale Unversehrtheit eines europäischen Nachbarlandes, um den Respekt vor den Prinzipien der Vereinten Nationen, um Prinzipien und Methoden des Interessenausgleichs im 21. Jahrhundert. Weil in diesen Tagen von dem einen oder anderen der Vergleich mit dem Kosovo-Konflikt gezogen wird – vielleicht auch gleich in dieser Debatte –, erlaube ich mir dazu eine kurze Nebenbemerkung. Nachdem damals die Staatengemeinschaft den sogenannten ethnischen Säuberungskriegen von Milosevic auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien jahrelang mehr oder weniger ohnmächtig zugesehen hatte, nachdem Sanktionen und Verhandlungen keinerlei Wirkung gezeigt hatten, entschloss sich die NATO, ohne UN-Mandat militärisch einzugreifen, auch weil Russland jeden Beschluss des UN-Sicherheitsrates für ein UN-Mandat blockiert hatte. Um es klipp und klar zu sagen: Die Situation damals ist in keiner Weise mit der in der Ukraine heute vergleichbar. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Doch wenn ich mich schon auf diesen aus meiner Sicht beschämenden Vergleich einlasse, dann hat ganz grundsätzlich Folgendes zu gelten: Das Vorgehen Russlands in der Ukraine stellt eindeutig einen Bruch grundlegender völkerrechtlicher Prinzipien dar. Dieser würde nicht dadurch relativiert, wenn es andere Völkerrechtsverletzungen gegeben hätte. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es bleibt ein Bruch des Völkerrechts mitten in Europa, nach dem wir nicht zur Tagesordnung übergehen dürfen und nach dem wir nicht zur Tagesordnung übergegangen sind. In dieser spannungsgeladenen und gefährlichen Situation gilt es, Wege aus der Krise zu finden. Militärisch ist der Konflikt nicht zu lösen. Ich sage allen Menschen, die Angst und Sorge haben: Militärisches Vorgehen ist keine Option für uns. (Beifall im ganzen Hause) Die Politik der Bundesregierung und unserer Partner in der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika folgt vielmehr einem politisch-ökonomischen Dreiklang: Erstens. Wir arbeiten intensiv für die Einrichtung einer internationalen Beobachterkommission und einer Kontaktgruppe bzw. Koordinierungsgruppe; Sie können es nennen, wie Sie wollen. Wir arbeiten damit für einen politisch-diplomatischen Weg aus der Krise. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Ziel der Beobachtermission wäre es, Behauptungen zu überprüfen und ein objektives Bild der Lage überall in der Ukraine zu erreichen. Ziel einer Kontaktgruppe wäre es, einen Gesprächskanal zwischen Moskau und Kiew unter Vermittlung internationaler Partner aufzubauen. In solchen Gesprächen müssten all die Themen auf den Tisch, die zum jetzigen Konflikt geführt haben oder diesen in Zukunft noch anheizen könnten. Natürlich würde es dabei auch um Autonomierechte der Krim und Sprachenfragen gehen. Eines muss dabei aber unmissverständlich klar sein: Die territoriale Integrität der Ukraine steht nicht zur Disposition. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich erwähnt: Auch anderen Staaten, wie der Republik Moldau oder Georgien, gebührt in dieser Situation unsere Solidarität. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Bei ihrem Treffen am 6. März 2014 haben sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zu umfangreichen Hilfen für die Ukraine entschlossen. Wir haben das von der Kommission vorgelegte Unterstützungsprogramm mit einem Gesamtvolumen von 11 Milliarden Euro begrüßt. Dies umfasst auch Maßnahmen der europäischen Förderbanken EIB und EBRD. Schnelle Hilfe ist jetzt gefragt. Dabei ist auch eine enge Abstimmung mit dem IWF für die Unterstützung durch die EU essenziell. Eine IWF- und eine EU-Delegation sind bereits vor Ort in Kiew, um sich ein vollständiges Bild von der Lage in der Ukraine zu machen und erste Vorschläge für ein etwaiges Unterstützungs- und Reformprogramm zu erarbeiten. Wir haben letzte Woche in Brüssel auch gemeinsam beschlossen, den politischen Teil des EU-Assoziierungsabkommens mit der Ukraine bald zu unterzeichnen, der wichtige Impulse vor allem im Bereich der Rechtsstaatsentwicklung gibt. Einige der wirtschaftlichen Vorteile der im Abkommen angelegten umfassenden Freihandelszone will die EU kurzfristig durch einseitige Handelserleichterungen wie eine Senkung von Zöllen zugänglich machen. Äußerst wichtig ist in dieser Situation natürlich auch, die Kontakte der Menschen untereinander zu befördern. Wir wollen die Verhandlungen zu Visaerleichterungen für die Ukraine beschleunigt vorantreiben. Auch im Energiebereich steht die EU bereit, die Ukraine bei einer Stärkung ihrer Energiesicherheit zu unterstützen, etwa durch eine größere Diversifizierung von Energiequellen und Transportwegen und durch Modernisierungsmaßnahmen. Ganz wichtig werden aber auch Signale der Solidarität von Mensch zu Mensch sein – dies auch und vor allem in der Ostukraine. Hier können bestehende Städtepartnerschaften – es gibt eine ganze Reihe davon – und andere zivilgesellschaftliche Kontakte eine ganz wichtige Rolle spielen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Ich möchte die deutschen Städte, aber auch Schulen, Universitäten und Vereine mit Partnern in der Ukraine dazu ermuntern, in dieser besonderen Zeit den Kontakt noch zu vertiefen und zu schauen, ob praktische Hilfeleistungen möglich sind. Wir unterstützen die Übergangsregierung in Kiew darin, eine Regierung für alle Ukrainer zu sein. Es geht darum, Gräben zu überwinden, erste Schritte zur wirtschaftlichen Stabilisierung zu gehen und freie und faire Wahlen im Mai zu ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Ukraine sollte weiterhin ein Ort des friedlichen Zusammenlebens für alle ihre Bürger sein, ganz gleich, ob sie Ukrainisch, Russisch, Tatarisch oder eine der anderen Sprachen sprechen und welchen Glauben sie haben. Wenn dieser Weg des Übergangs erfolgreich gemeistert werden kann, dann kann sich das europäische Angebot einer Reformpartnerschaft erfüllen, so wie sie im -Assoziierungs- und vertieften Freihandelsabkommen niedergelegt ist. Die Zielsetzung ist sehr eng verwoben mit den Erwartungen, die in den Protesten auf dem Maidan zum Vorschein kamen: Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz, mehr Transparenz, weniger Korruption und eine weitere Reduktion der Handelsbeschränkungen. Dieses Angebot zur Modernisierung ist ein Ansatz der Nachbarschaftspolitik, nicht der Geopolitik. Es ist gegen niemanden gerichtet. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich wiederhole in diesem Zusammenhang das, was ich in meiner Regierungserklärung zum EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft am 18. November des letzten Jahres hier im Deutschen Bundestag gesagt habe, nämlich, dass sich weder die Östliche Partnerschaft noch die bilateralen vertraglichen Beziehungen, die die EU mit ihren Partnern abschließen will, gegen Russland richten. Wir müssen – so habe ich damals gesagt – weiter daran arbeiten, dass es kein Entweder-oder zwischen einer Annäherung der Länder der Östlichen Partnerschaft an die EU und dem russischen Bemühen um eine engere Partnerschaft mit diesen Ländern geben sollte. Die Ereignisse in diesen Wochen scheinen darüber hinwegzufegen: Richtig bleibt es trotzdem, auch jetzt nichts unversucht zu lassen, genau diesen Ansatz, für den die EU konkrete Vorschläge unterbreitet hat, weiterzuverfolgen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Von der Stärkung und Modernisierung der Volkswirtschaften unserer osteuropäischen Partner profitierte im Übrigen auch Russland. Daher gehört für uns natürlich auch dazu, mit Russland über vermeintliche Nachteile aus einer ukrainischen Assoziierung für den ukrainisch-russischen Handel zu sprechen. Dazu gehört, zusammen mit Russland an Lösungsansätzen für ungelöste Konflikte in der gemeinsamen Nachbarschaft zu arbeiten. (Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]) Dazu würde auch gehören, mit Russland über ein neues Wirtschaftsabkommen zu beraten. Drittens. Es gilt aber auch: Für den Fall, dass Russland nicht bereit ist, auf den Weg der Zusammenarbeit und des Rechts zurückzukehren, für den Fall, dass Russland unverändert nicht bereit ist, zur Entspannung beizutragen, haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union bei ihrem Treffen in der letzten Woche in Brüssel drei Stufen für ihr weiteres Vorgehen festgelegt. In einer ersten Stufe haben wir die Verhandlungen über ein neues Abkommen zu den Grundlagen der EU-Beziehungen mit Russland und über Visafragen suspendiert. Wenn es in den allernächsten Tagen nicht zu Verhandlungen mit Russland kommt, und zwar zu Verhandlungen, die Resultate hervorbringen und in denen nicht nur auf Zeit gespielt wird, dann werden die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten in ihrem Rat am kommenden Montag, dem 17. März 2014, als zweite Stufe weitere Maßnahmen beschließen. Dazu gehören Einreisesperren, Kontensperrungen und die Absage des EU-Russland-Gipfels. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, es ist in Ihrer aller Namen, wenn ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutze, unserem Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu danken. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich danke ihm für seinen unermüdlichen Einsatz in schier endlosen, leider auch frustrierenden Gesprächen, aber nie nachlassend in unserem gemeinsamen Bemühen, einen Ausweg aus der Krise zu finden. Es versteht sich von selbst, dass sich der nächste reguläre Rat der Staats- und Regierungschefs neben den Punkten auf seiner seit langem geplanten Tagesordnung zu Klima- und Energiefragen natürlich auch mit dem weiteren Fortgang der Ereignisse in der Ukraine befassen wird. Für den Fall, dass Russland die Lage in der Ukraine weiter destabilisiert – auch in der Ostukraine sehen wir besorgniserregende Entwicklungen –, haben die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen am 6. März eine dritte Stufe von Maßnahmen vereinbart, die wir bereit wären, zu ergreifen. Sie könnten in vielfältiger Weise die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland betreffen. Um es unmissverständlich klarzumachen: Niemand von uns wünscht sich, dass es zu solchen Maßnahmen kommt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Doch wir alle wären zu ihnen bereit und entschlossen, falls sie unumgänglich werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir alle, das sind die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union in engster Abstimmung mit unseren trans-atlantischen Partnern und innerhalb der G 7. Gemeinsam haben wir auch in der G 7 in der vergangenen Woche beschlossen, unsere Beteiligung an den Vorbereitungsprozessen für den im Juni geplanten G-8-Gipfel auszusetzen, bis ein Umfeld hergestellt ist, in dem sinnvolle Gespräche im G-8-Rahmen wieder möglich sind. Wenn Russland seinen Kurs der letzten Wochen fortsetzt, dann wäre das nicht nur eine Katastrophe für die Ukraine. Dann empfänden wir das nicht nur als Nachbarstaaten Russlands als eine Bedrohung. Dann veränderte das nicht nur das Verhältnis der Europäischen Union als Ganzes zu Russland. Nein, dann schadete das nicht zuletzt – davon bin ich zutiefst überzeugt – massiv auch Russland, und zwar ökonomisch wie politisch. Denn – ich kann es gar nicht oft genug und nachdrücklich genug sagen – die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen. Interessenkonflikte mitten in Europa im 21. Jahrhundert lassen sich erfolgreich nur dann überwinden, wenn wir nicht auf Muster des 19. und 20. Jahrhunderts zurückgreifen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie lassen sich nur dann überwinden, wenn wir mit den Prinzipien und Mitteln unserer Zeit, des 21. Jahrhunderts, agieren. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, dann machen Sie das doch!) Auch geopolitische Stärke entwickeln, das geht erfolgreich nur mit den Prinzipien und Mitteln unserer Zeit. Uns allen in Europa und der Welt – auch Russland – eröffnen sich auf diesem Weg so sehr viel mehr Chancen als Risiken. Dem folgt der Dreiklang unseres Handelns als Bundesregierung: Gespräche, Hilfen und Sanktionen, indem Deutschland in der aktuellen Krise in enger Abstimmung mit unseren Partnern die jeweils nächsten Schritte geht. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Gregor, du gehst einen schweren Gang!) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Putin will die gesamte Krise in der Ukraine militärisch lösen. Er hat nicht begriffen, dass die Probleme der Menschheit weder mit Soldaten noch mit Gewehren zu lösen sind, ganz im Gegenteil. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Auch die Probleme Russlands lassen sich so nicht lösen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sein Denken und Handeln ist falsch und wird von uns deutlich verurteilt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist aber dasselbe Denken, das im Westen vorherrschte und vorherrscht: bei Jugoslawien, Afghanistan, dem Irak und Libyen. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) An die Stelle der Systemkonfrontation sind die Interessengegensätze der USA und Russlands getreten. Der Kalte Krieg ist beendet, aber solche Interessengegensätze können zu ganz ähnlichen Zügen führen. Die USA wollen mehr Einfluss gewinnen und vorhandenen verteidigen, und Russland will mehr Einfluss gewinnen und vorhandenen verteidigen. Ich sage als Stichworte zu Russland nur: Georgien, Syrien, Ukraine. Auch wenn man Putins Vorgehen verurteilt, muss man sehen, wie es zur gesamten Zuspitzung und Konfrontation kam. Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Alles, was NATO und EU falsch machen konnten, haben sie falsch gemacht. (Beifall bei der LINKEN) Ich beginne bei Gorbatschow im Jahre 1990. Er schlug ein gemeinsames europäisches Haus, die Auflösung der NATO und des Warschauer Vertrages und ein Konzept der „Gemeinsamen Sicherheit“ mit Russland vor. Das hat die NATO ausgeschlagen. Sie hat gesagt: Den Warschauer Vertrag aufzulösen, ist okay, aber die NATO bleibt. Und aus dem Verteidigungsbündnis NATO wurde ein Interventionsbündnis gemacht. Der zweite Fehler: Bei der Herstellung der deutschen Einheit erklärten der amerikanische Außenminister, unser damaliger Außenminister Genscher und andere Außenminister gegenüber Gorbatschow, dass es keine Osterweiterung der NATO geben wird. Dieses Versprechen ist gebrochen worden. Es gab eine vehemente Ausweitung der NATO in Richtung Russland. Der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert -Gates bezeichnete die eilfertige Aufnahme der osteuropäischen Staaten in die NATO als schweren Fehler und den Versuch des Westens, die Ukraine in die NATO einzuladen, als schwere Provokation. Nicht ich, sondern der ehemalige US-amerikanische Verteidigungsminister hat das erklärt. Dann kam drittens der Beschluss, Raketen in Polen und Tschechien zu stationieren. Die russische Regierung sagte: Das tangiert unsere Sicherheitsinteressen; wir möchten das nicht. – Das hat den Westen überhaupt nicht interessiert. Es wurde dennoch gemacht. Zudem hat die NATO im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg das Völkerrecht mehrfach und schwer verletzt. Das räumt inzwischen auch der damalige Kanzler Schröder ein. Serbien hatte keinen anderen Staat angegriffen, und es gab keinen Beschluss des UN-Sicherheitsrates. Es wurde dennoch mit erstmaliger bundesdeutscher Beteiligung nach 1945 bombardiert. Und die Bewohnerinnen und Bewohner des Kosovo durften in einem Volksentscheid die Loslösung von Serbien beschließen. Ich habe damals die Völkerrechtsverletzung schwer kritisiert und Ihnen gesagt: Sie öffnen beim Kosovo eine Büchse der Pandora; denn wenn das im Kosovo erlaubt ist, müssen Sie es auch in anderen Gegenden erlauben. – Sie haben mich beschimpft. Sie haben es nicht ernst genommen, und zwar weil Sie glaubten, solche Sieger im Kalten Krieg zu sein, dass alle alten Maßstäbe für Sie nicht mehr gelten. Ich sage Ihnen: Die Basken fragen, warum sie keinen Volksentscheid machen dürfen, ob sie zu Spanien gehören wollen oder nicht. Die Katalanen fragen, warum sie keinen Volksentscheid machen dürfen, ob sie zu Spanien gehören wollen oder nicht. Natürlich fragen das nun auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Krim. Durch Völkerrechtsverletzung kann man über Gewohnheitsrecht auch neues Völkerrecht schaffen; das wissen Sie. Ich bleibe aber der Meinung, dass die Abtrennung der Krim völkerrechtswidrig wäre, genauso wie die Abtrennung des Kosovo völkerrechtswidrig war. (Beifall bei der LINKEN) Ich wusste aber, dass sich Putin auf den Kosovo berufen wird, und er hat es auch getan. Jetzt sagen Sie, Frau Bundeskanzlerin: Die Situation ist doch eine völlig andere. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sie auch!) – Das kann schon sein. – Sie verkennen aber: Völkerrechtsbruch ist Völkerrechtsbruch. Meine liebe Frau Roth, fragen Sie doch einmal einen Richter, ob ein Diebstahl aus edlerem Motiv im Vergleich zu einem Diebstahl aus unedlerem Motiv kein Diebstahl ist. Er wird Ihnen sagen: Es bleibt ein Diebstahl. – Das ist das Problem. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Struck hat damals erklärt: Die Bunderepublik muss ihre Sicherheit am Hindukusch verteidigen. – Nun erklärt Herr Putin: Russland muss seine Sicherheit auf der Krim verteidigen. – Deutschland hatte am Hindukusch übrigens keine Flotte und war auch wesentlich weiter entfernt. Trotzdem sage ich: Beide Sätze waren bzw. sind falsch. (Beifall bei der LINKEN) Aber es bleibt auch Folgendes: Wenn viele Völkerrechtsverletzer dem Völkerrechtsverletzer Russland vorwerfen, das Völkerrecht zu verletzen, ist das nicht besonders wirksam und glaubwürdig. Das ist die Tatsache, mit der wir es zu tun haben. (Beifall bei der LINKEN) Obama sprach genauso wie Sie, Frau Bundeskanzlerin, von der Souveränität und territorialen Integrität der Staaten. Aber diese beiden Prinzipien wurden in Serbien, im Irak, in Libyen verletzt. Der Westen meinte, das Völkerrecht verletzen zu können, weil der Kalte Krieg vorbei sei. Man hat die chinesischen und die russischen Interessen grob unterschätzt. Sie haben Russland unter Jelzin, der häufig angetrunken war, überhaupt nicht mehr ernst genommen. Aber die Situation hat sich geändert. Sehr spät berufen Sie sich jetzt wieder auf die im Kalten Krieg entstandenen völkerrechtlichen Grundsätze. Ich bin sehr dafür, dass sie wieder gelten – aber dann für alle! Anders geht es nicht. (Beifall bei der LINKEN) Dann gab es das Gezerre zwischen der EU und Russland an der Ukraine. Beide dachten und handelten gleich. Barroso, der Kommissionschef der EU, hat gesagt: Entweder Zollunion mit Russland oder Verträge mit uns! – Er hat nicht gesagt: „Beides“, sondern: „Entweder – oder!“. Putin hat gesagt: Entweder Verträge mit der EU oder mit uns! – Beide haben gleichermaßen alternativ gedacht und gehandelt. Das war ein verheerender Fehler von beiden Seiten. (Beifall bei der LINKEN) Kein einziger EU-Außenminister hat versucht, mit der russischen Regierung zu sprechen und die berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stimmt doch gar nicht!) Russland fürchtet doch, dass nach engeren Beziehungen mit der EU die NATO in die Ukraine kommt. Es fühlt sich immer eingekreister. Aber es wurde nur an der Ukraine gezerrt. Die EU- und NATO-Außenminister haben die Geschichte Russlands und der Ukraine völlig unberücksichtigt gelassen. Sie haben die Bedeutung der Krim für Russland nie verstanden. Die ukrainische Gesellschaft ist tief gespalten. (Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch das wurde nicht berücksichtigt. Diese tiefe Spaltung zeigte sich schon im Zweiten Weltkrieg, und sie zeigt sich auch heute. Die Ostukraine tendiert in Richtung Russland. Die Westukraine tendiert in Richtung Westeuropa. Es gibt derzeit keine einzige politische Persönlichkeit in der Ukraine, die beide Teile der Gesellschaft repräsentieren könnte. Das ist eine traurige Wahrheit. Dann gibt es noch den Europarat und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE. Die haben Sie in letzter Zeit schwer vernachlässigt, Frau Bundeskanzlerin und Herr Außenminister. Die Gelder für diese Organisationen wurden immer mehr zusammengestrichen, weil Sie meinten, dass sie nicht wichtig sind. Das sind aber die einzigen europäischen Organisationen, in denen sowohl Russland als auch die Ukraine organisiert sind. Deshalb müssen wir diese Organisationen wieder stärken – auch finanziell – und dürfen nicht über einen Ausschluss Russlands faseln; das ist völlig daneben. (Beifall bei der LINKEN) Dann erlebten wir eine starke Zuspitzung auf dem Maidan. Wir erlebten Scharfschützen und viele Tote. Es gibt verschiedene Gerüchte. In solchen Situationen wird viel gelogen. Deshalb schlagen wir vor, eine internationale Untersuchungskommission einzusetzen. Wir, aber vor allem die Ukrainerinnen und Ukrainer haben ein Recht, zu erfahren, was dort gelaufen ist und wer dort welche Verantwortung trägt. Ich freue mich, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, das unterstützen. (Beifall bei der LINKEN) Auf dem Maidan gab es viele demokratische Kräfte, aber auch Faschisten. Der Westen machte direkt und indirekt mit. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Bei den Faschisten? – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei den Faschisten, oder was?) Dann haben Außenminister Steinmeier, der französische und der polnische Außenminister mit Janukowitsch und der Opposition einen Vertrag geschlossen. Jetzt sagen Sie, Herr Außenminister, Janukowitsch habe die Vereinbarung durch seine Flucht hinfällig gemacht. Das ist falsch. Die Menschen auf dem Maidan lehnten die Vereinbarung mit großer Mehrheit ab, (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab keine Abstimmung auf dem Maidan!) und Sie, Herr Außenminister, haben auf dem Platz auch nicht für diese Vereinbarung geworben. Erst nach der Ablehnung verließ Janukowitsch Kiew. Dann tagte das Parlament und wählte ihn mit 72,88 Prozent ab. Die Verfassung schreibt aber 75 Prozent vor. Nun sagen Herr Röttgen und andere: Na ja, bei einer Revolution kann man nicht so genau auf die Verfassung achten. Ein paar Prozentchen mehr oder weniger … – Das kann man ja alles machen. Nur, Putin beruft sich darauf und sagt: „Es gab nicht die verfassungsmäßige Mehrheit für die Abwahl“, (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über 80 Prozent, Herr Gysi!) und stützt sich deshalb auf Schreiben, die Janukowitsch ihm sendet. Außerdem: Bei der Abstimmung im Parlament standen lauter Bewaffnete herum. Das ist nicht besonders demokratisch. Bei der Volksabstimmung auf der Krim am kommenden Sonntag stehen auch lauter bewaffnete Soldaten herum. Auch das ist nicht besonders demokratisch. (Norbert Spinrath [SPD]: Aha!) Interessant ist, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, sagen, ein solcher Volksentscheid sei nach der ukrainischen Verfassung verboten. Wann gilt sie denn nun und wann nicht? Bei der Abwahl des Präsidenten gilt sie nicht, und bei der Abstimmung auf der Krim soll sie plötzlich gelten. Sie müssen schon wissen: Akzeptieren Sie die ukrainische Verfassung ganz oder nur in bestimmten Teilen, wenn es Ihnen genehm ist? Das ist die Art, die ich kenne und die ich nicht mag. (Beifall bei der LINKEN) Dann wurde eine neue Regierung gebildet, sofort anerkannt von Präsident Obama, auch von der EU, auch von der Bundesregierung. Frau Merkel! Der Vizepre-mierminister, der Verteidigungsminister, der Landwirtschaftsminister, der Umweltminister, der Generalstaatsanwalt – das sind Faschisten. Der Chef des nationalen Sicherheitsrates war Gründungsmitglied der faschistischen Swoboda-Partei. Faschisten haben wichtige Posten und dominieren zum Beispiel den Sicherheitssektor. Noch nie haben Faschisten freiwillig die Macht wieder abgetreten, wenn sie einmal einen Teil davon erobert hatten. (Zuruf von der CDU/CSU: Wie Kommunisten!) Zumindest die Bundesregierung hätte hier eine Grenze ziehen müssen, schon aufgrund unserer Geschichte. (Beifall bei der LINKEN) Als Haiders FPÖ in die österreichische Regierung ging, gab es sogar Kontaktsperren und Ähnliches. Und bei den Faschisten in der Ukraine machen wir nichts? Swoboda hat engste Kontakte zur NPD und zu anderen Naziparteien in Europa. Der Vorsitzende dieser Partei, Oleg Tjagnibok, hat Folgendes wörtlich erklärt. Ich -zitiere jetzt; Sie müssen sich anhören, was er wörtlich gesagt hat – Anführungsstriche –: Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und andere Unarten. Ende des Zitats. – Ich wiederhole. Dieser Mann hat gesagt – Anführungsstriche –: Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und andere Unarten. Ende des Zitats. – Es gibt jetzt Übergriffe auf Jüdinnen und Juden und auf Linke, und gegen all das sagen Sie nichts? Mit diesen Swoboda-Leuten reden Sie? Ich empfinde das als einen Skandal. Ich muss Ihnen das ganz klar sagen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt wollen Sie – auch das haben Sie angekündigt – Sanktionen verhängen, wenn es nicht anders ginge, wie Sie sagen. Aber die werden Putin nicht imponieren. Das spitzt doch die Situation nur zu. Kissinger, der ehemalige Außenminister der USA, hat recht. Er sagt, die Sanktionen seien nicht Ausdruck einer Strategie, sondern Ausdruck des Fehlens einer Strategie. Das gilt auch für die eskalierenden Militärflüge über Polen und die baltischen Republiken. Was soll das? Konten von Janukowitsch und seinen Anhängern sind gesperrt, weil es gestohlenes Staatsgeld ist. Meine Frage: Das wussten Sie vorher nicht? – Zweite Frage: Warum eigentlich nur deren Konten? Was ist mit dem Milliardenvermögen der Oligarchen, die andere Kräfte unterstützen? Warum machen Sie da nichts? Wie einseitig läuft das eigentlich alles? (Beifall bei der LINKEN) Es gibt nur den Weg der Diplomatie. Erstens. Der Westen muss die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands auf der Krim anerkennen, wie das übrigens auch US-Außenminister Kerry erkannt hat. Es muss ein Status für die Krim gefunden werden, mit dem die Ukraine, Russland und wir leben können. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Russland muss garantiert werden, dass die Ukraine nicht Mitglied der NATO wird. Zweitens. Die Perspektive der Ukraine liegt in einer Brückenfunktion zwischen EU und Russland. Drittens. Es muss in der Ukraine ein Prozess der Verständigung und Versöhnung zwischen Ost und West eingeleitet werden, vielleicht über einen föderalen oder konföderalen Status, vielleicht auch über zwei Präsidenten. Was ich der EU und der NATO vorwerfe: Bis heute ist kein Verhältnis zu Russland gesucht und gefunden worden. Das muss sich jetzt gründlich ändern. (Beifall bei der LINKEN) Sicherheit in Europa gibt es weder ohne noch gegen Russland, sondern nur mit Russland. Wenn die Krise eines Tages überwunden ist, könnte ein Vorteil darin bestehen, dass das Völkerrecht endlich wieder von allen Seiten respektiert wird. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Rolf Mützenich das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es besteht heute kein Zweifel: Dies ist eine ernste internationale Krise, und sie stellt einen tiefen Einschnitt in den Beziehungen zu Russland dar. Genau darauf muss das Schwergewicht in unseren Reden heute liegen, und wir dürfen nicht einem innenpolitischen Reflex folgen, wenn wir über Außenpolitik reden. Wir müssen dieser Situation gerecht werden, indem wir berücksichtigen, über wen wir hier sprechen, und indem wir darüber nachdenken, welche Auswege bestehen, um unser Verhältnis zu Russland letztlich wieder in eine friedliche Kooperation münden zu lassen. Es ist angemessen, auch von dieser Stelle aus zu sagen: Es ist absehbar, dass durch die Vorgänge, die wir auf der Krim und in der Ukraine sehen und in den Beziehungen zu Russland erleben, Unsicherheit und neue Spannungen in Europa leider wieder wachsen werden. Ich persönlich hätte diesen Rückfall in Chauvinismus und das Denken in Einflusszonen nicht erwartet. Gerade von deutscher Seite haben wir viel dafür getan, um der Entspannungspolitik zum Durchbruch zu verhelfen und letztlich eine Verhaltensänderung in der Politik zu erreichen. Insofern müssen wir den Bundesbürgern sagen: Es gibt unterschiedliche Dimensionen. Nicht nur die Ukraine ist unmittelbar betroffen – die Bundeskanzlerin hat es gesagt –; es geht auch um andere Länder, in denen russische Minderheiten wohnen und wo die Unsicherheit möglicherweise wächst, etwa in Bulgarien, im Baltikum, aber auch in Ländern Zentralasiens. Um diese Länder herum werden sich Spannungen aufbauen. Außerdem werden die Vorgänge in der Ukraine – das muss man auch dem russischen Präsidenten sagen – auch Auswirkungen auf Russland selbst haben. Auch dort leben viele Minderheiten, die sich von Putins Politik möglicherweise beeinflussen lassen und eigene Forderungen in Richtung nationale Unabhängigkeit stellen. Natürlich legt auch die russische Politik heute eine andere Messlatte an. Sie spricht nicht mehr allein von russischen Staatsbürgern, sondern mittlerweile auch von ethnischen Russen, vom Slawentum. Das bringt die Gefahr zum Ausdruck, die für unseren Kontinent an dieser Stelle herrscht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir machen uns insbesondere darüber Sorgen, dass sich Regierungen in anderen europäischen Ländern das Vorgehen Russlands möglicherweise zum Vorbild nehmen. Wir dürfen nicht vergessen: Selbst innerhalb der Europäischen Union und auch außerhalb der Europäischen Union gibt es Regierungen, die sich in diesen Denkstrukturen bewegen und überlegen, eigene politische Hasardeurritte in Europa zu unternehmen. Deswegen müssen wir von hier aus sehr deutlich machen: Es ist auch in unserem eigenen Interesse, zu versuchen, diesen Konflikt so gut wie möglich zu bewältigen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Folglich ist die Frage angemessen: Hat der russische Präsident eine Strategie, oder ist er angesichts schwerwiegender innenpolitischer Probleme ein von Schwäche und Willkür Getriebener? Für beides gibt es Hinweise; für beides sprechen Fakten. Genau das ist das große Problem: Jemand, der innenpolitisch getrieben ist und sozusagen Innenpolitik über Außenpolitik machen will, birgt in sich die Gefahr, möglicherweise internationale Spannungen zu produzieren, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auf der einen Seite scheint es aber in der Tat eine Strategie zu geben; die Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen. Die von ihr genannten Daten deuten darauf hin, dass möglicherweise bestimmte Gruppen auf der Krim die Ereignisse frühzeitig für ihre politischen Ziele genutzt haben. Auf der anderen Seite dürfen wir nicht verkennen: Russland ist in einer schweren Wirtschafts- und Modernisierungskrise. Der russische Präsident selbst hat im letzten Jahr in der Rede zur Lage der Nation auf diese Probleme hingewiesen. Hier bietet sich die Möglichkeit, Angebote zu unterbreiten, um ihm bei der Bewältigung der Wirtschafts- und Modernisierungskrise zu helfen und im Grunde genommen also die innenpolitischen Herausforderungen aufzugreifen. Das schlägt uns auch aus der russischen Bevölkerung entgegen. Wir kennen doch die Meinungsumfragen. Das, was die russische Politik heute macht, ist gar nicht so unumstritten. Wir wissen, dass die Bürger in Russland mittlerweile auch Angst vor dieser Situation haben. Nach meinem Dafürhalten sollten wir uns dies in weiteren Gesprächen mit Russland zunutze machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein weiterer Aspekt. Ich wäre froh, wenn wir nicht immer über die Ukraine reden würden und Vorschläge machen würden, wie zukünftig ihre Verfassung aussehen soll oder wie sie sich zukünftig verhalten soll, ob es also zwei Präsidenten und eine Föderalregierung oder anderes geben soll. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das hat doch die Bundesregierung die ganze Zeit gemacht!) Ich würde mich vielmehr freuen, wenn wir die Integrität dieses Landes und die Souveränität der Bürgerinnen und Bürger in der Ukraine anerkennen würden, egal welche politische Verantwortung wir heute im Deutschen Bundestag sehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht deswegen hauptsächlich darum, zu beobachten, was in der Ukraine passiert. Die Proteste waren am Anfang friedlich. Sie waren auch der Ausdruck von Findung einer Nation, die über Sprache, gemeinsames Verhalten und natürlich auch Hoffnungen Orientierung hatte. Natürlich ist Europa für viele dort Vorbild. Aber in erster Linie müssen wir die nationale Identität der Ukraine respektieren; daran müssen wir auch unser politisches Handeln messen lassen. Natürlich hat die Regierung Janukowitsch zur Brutalisierung der Verhältnisse auf dem Maidan beigetragen. Das müssen doch auch Sie vonseiten der Linken anerkennen. Staatliche Institutionen haben mit Brutalisierung und Gewalt auf dem Maidan, aber auch in der Ukraine insgesamt begonnen. Deswegen unterstützen wir die Bundeskanzlerin, wenn sie in ihrer Regierungserklärung fordert: Darüber muss aufgeklärt werden. Auch eine Übergangsregierung muss die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Das ist aber eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft in der Ukraine und eben nicht nur für die Regierung alleine. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, ich bedanke mich ganz herzlich für das, was die Bundesregierung in den vergangenen Tagen und Wochen unternommen hat. Das war Krisenmanagement. Man hat versucht, das Blutvergießen auf dem Maidan und in der Ukraine zu stoppen. Hier haben wir versucht, unsere moralischen Kategorien einzubringen und auch auf diplomatischem Wege den Konflikt auf dem Maidan zu beenden, der möglicherweise zu Schlimmerem geführt hätte. Wir wollten Schlimmeres verhindern. Die Bundeskanzlerin und insbesondere der Außenminister haben das zusammen mit anderen, aber nicht über die Köpfe anderer hinweg unternommen. Dafür gebührt der gesamten Bundesregierung Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Beide haben in den vergangenen Tagen – auch das gehört zu einem Krisenmanagement – versucht, die verschiedenen Interessen der Europäischen Union zusammenzuhalten, zu bedenken und sozusagen auch zum Ausdruck zu bringen. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben das in Telefonaten, aber auch bei Besuchen wie gestern in Polen getan. Der Außenminister war im Baltikum. Gerade das sind ja Länder, die sich von dieser Situation international herausgefordert fühlen. Im Nachhinein kann man natürlich immer sagen, was falsch gemacht worden ist. Aber dass das Blutvergießen gestoppt worden ist, müssen doch auch Sie, Herr Kollege Gysi, an dieser Stelle anerkennen. Genau das hat die Bundesregierung in den Gesprächen mit dem polnischen und dem französischen Außenminister erreicht. Dafür gebührt ihr in der Tat Anerkennung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir dürfen nicht verkennen: Putin kann drohen, aber er kann auf die zivilgesellschaftliche Entwicklung in der Ukraine langfristig keinen Einfluss nehmen. Auch das muss Präsident Putin und den handelnden Akteuren in Moskau klar werden. Deswegen hätte ich mir gewünscht, dass auch die russische Regierung an ihren Worten gemessen worden wäre, auch in der Auseinandersetzung über all das, was falsch gelaufen ist. Auch Präsident Putin hat für Deeskalation geworben, und trotzdem hat er Manöver abgehalten, trotzdem hat er eine Interkontinentalrakete getestet, trotzdem ist er nicht auf den Vorschlag eingegangen, eine Kontaktgruppe zu bilden. Er hat sozusagen all die Wege, die von hier aufgezeigt worden sind, nicht angenommen. Er war eben nicht an Deeskalation interessiert. Ich finde, das, lieber Kollege Gysi, hätte man dem Präsidenten genauso vorhalten müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der Tat: Nach dem Ende des Kalten Krieges hat es Entwicklungen gegeben, bei denen die Interessen Moskaus missachtet wurden – Sie, Herr Kollege Gysi, haben darüber gesprochen –: die NATO-Osterweiterung und vieles andere. Aber es war die letzte Große Koalition, die damals in schwierigen Gesprächen verhindert hat, dass neue Mitgliedstaaten in die NATO aufgenommen werden, weil wir eben die Sicherheitsinteressen Russlands beachtet haben. Ich glaube, man muss doch würdigen, dass das gerade von hier, von der Bundesregierung und vom Deutschen Bundestag, ausgegangen ist. Deswegen bin ich der Meinung: Wir müssen aus beiderseitigem Verhalten lernen. Russland hat eben nicht die Hand ausgestreckt: Bezüglich eines Assoziierungsabkommens traf man in allen Gesprächen, die geführt worden sind, auf Ablehnung von russischer Seite. Insofern will ich Ihnen sehr deutlich sagen, Herr Kollege Gysi: Die Kritik der Linken allein um der Kritik willen wird den außenpolitischen Herausforderungen nicht gerecht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das macht doch niemand!) Ich habe mir mal die Mühe gemacht, nachzulesen, welche Hinweise Sie in der letzten Legislaturperiode dazu gegeben haben, was wir nach Ihrer Meinung alles falsch gemacht haben: Sie haben keine einzige Frage, keinen einzigen Antrag gestellt und keine Debatte im Plenum beantragt, um über die Ukraine und ihr schwieriges Verhältnis zu Russland zu diskutieren. Das ist Ihr Versagen als Opposition an dieser Stelle. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist gut, dass wir auf Konfliktvermeidung achten, dass wir weiter den diplomatischen Weg gehen. Für diejenigen, die immer auch das Empfinden Russlands in ihre Arbeit einbezogen haben, waren die letzten Wochen ein herber Rückschlag; es waren Tage der Verunsicherung und Enttäuschung. Dennoch bin ich der Überzeugung: Wir brauchen eine Entspannungspolitik in Zeiten neuer Spannungen, vor allem über den Tag hinaus. Der Kalte Krieg war ein Übel, das nicht nach Europa zurückkehren darf. Dafür werden wir uns weiter einsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor genau drei Wochen haben wir im Plenum des Deutschen Bundestages schon einmal über die Lage in der Ukraine debattiert. Das war der 20. Februar. Während wir hier debattiert haben, starben auf dem Maidan in Kiew Menschen durch die Schüsse von Scharfschützen. 82 Menschen sind es gewesen, die an diesem Tag zu Tode gekommen sind. Wenn man sich die Biografien dieser Menschen anschaut, dann sieht man: Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft, russisch- wie ukrainischsprachig haben dort ihr Leben gelassen. Einer von ihnen ist Josef Schilling, 61 Jahre alt, Mitglied der jüdischen Gemeinde. An dem Tag, an dem wir hier debattiert haben, wurde ihm in der Nähe des Oktober-Palastes in den Kopf geschossen. Josef Schilling ist einer von 82, die für ihren Wunsch nach Freiheit, nach Demokratie mit dem Leben bezahlt haben. Der Maidan, der Ort der Revolution war, ist Ort des Gedenkens geworden, meine Damen und Herren. Herr Gysi, wenn Sie sich heute hier noch einmal hinstellen und die Maidan-Bewegung diffamieren, (Widerspruch bei der LINKEN – Niema Movassat [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!) wenn Sie sich hier noch einmal hinstellen und so tun, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Fleischgewordene Bigotterie!) als wären es die rechten Kräfte gewesen, die den Maidan bestimmt hätten, (Zuruf von der LINKEN: Sie müssten Ihre Rede ändern, wenn Sie zugehört hätten! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Zuhören!) wenn Sie so tun, als ob in der ukrainischen Regierung diese Kräfte die Oberhand hätten, (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das hat er doch gar nicht gesagt! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Heuchlerin!) dann will ich Ihnen eines sagen: Niemand hier im Haus wird verkennen, dass Swoboda und der rechte Sektor in der Ukraine Kräfte sind, mit denen es bezüglich dem, was wir an Werten und demokratischen Vorstellungen haben, nichts, ja, überhaupt nichts an Übereinstimmung gibt, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es hilft nichts, mit einem Zitat von 2004 zu kommen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und es nicht zu sagen!) Es hilft auch nichts, dabei zu verschweigen, dass wir uns mit Blick auf die Krim schon fragen müssen, warum ausgerechnet Rechtspopulisten aus ganz Europa dort zur Wahlbeobachtung eingeladen werden. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Es sind alle eingeladen!) Das dürfen Sie nicht verschweigen; denn dann ist klar: Die demokratische Bewegung in der Ukraine hat zu Recht unsere Unterstützung bekommen. Wir distanzieren uns in aller Form von den rechtsnationalen Kräften. Und es ist richtig so, dass wir trotzdem sagen: Die Demokratie und die freiheitliche Grundordnung in der Ukraine werden ganz sicher auch damit fertig werden. Das ist der entscheidende Punkt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE]) Ich sage Ihnen: Ich bin sehr dankbar, dass sich Deutschland eben nicht neutral verhalten hat. Es war richtig, dass der deutsche Außenminister und das Weimarer Dreieck nach Kiew gereist sind, um zu vermitteln. Es war notwendig, dass Europa dem schamlosen Bruch des Völkerrechts durch ein Mitglied des Sicherheitsrates weder mit falscher Zurückhaltung noch mit militärischen Drohgebärden, sondern mit Diplomatie und Besonnenheit begegnet ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Diplomatie bedeutet eben auch sichtbare Worte und klare Konsequenzen. Wenn an diesem Wochenende das Referendum auf der Krim den Ausgang nimmt, den wir im Moment vermuten, dann muss man deutlich sagen: Es handelt sich um keine Abstimmung über Unabhängigkeit, sondern um eine ungültige Legitimation für eine völkerrechtswidrige Annexion. Das muss man so nennen. Das muss man so sagen. Das muss auch Frau Wagenknecht verstehen, die Verständnis dafür aufbringt. Ich, meine Damen und Herren, kann dafür kein Verständnis aufbringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es ist beispiellos, wie hier eine Region militärisch besetzt wird, kritische Stimmen unterdrückt und mit Hochdruck Fakten geschaffen werden. Ein so dreister und gefährlicher Rechtsbruch kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Weil wir eben keine EU wollen, die auf dem Zuschauerplatz sitzt, sondern ein einheitliches Vorgehen der EU wollen, kann man nicht zulassen, dass man verzweifelt in Richtung NATO schaut. Deswegen ist es auch richtig, Sanktionen in drei Stufen vorzusehen. Das sind die Mittel, mit denen wir deutlich sagen können, was wir wollen. Sie sind ein Mittel der Diplomatie und nichts anderes. Wenn man sich die Handelsbeziehungen anschaut, dann sieht man, dass es natürlich etwas ausmachen wird. Natürlich wird Russland nicht mehr einfach so weitermachen können wie bisher. Das ist selbstverständlich. Das ist klar. Das ist auch die Perspektive, vor der man steht, wenn man klar und deutlich darüber spricht. Ich möchte noch einen kritischen Punkt ansprechen. Ich glaube, dass wir in Deutschland, wenn wir über Sanktionen reden, tatsächlich über unsere eigene Politik sprechen müssen. Dabei geht es vor allem um unsere Rohstoffimporte. Es ist nicht egal, dass wir eine große Abhängigkeit vom russischen Gas haben. Es ist auch nicht egal, dass wir eine große Abhängigkeit von russischem Öl und russischer Kohle haben. Wenn wir in Deutschland die Energiewende nach wie vor mit angezogener Handbremse, wenn wir die Energiewende nach wie vor so zurückhaltend betreiben, dann wird unsere Abhängigkeit von solchen Rohstoffimporten weiterhin bestehen bleiben. Das ist für mich ein weiterer und ein sehr zentraler Grund dafür, warum wir die Energiewende vehement vorantreiben müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir in Europa über Sanktionen sprechen, dann können wir nicht einfach weiter wie bisher über Rüstungsexporte nach Russland reden. Die Situation in der Ukraine ist nicht nur politisch prekär und wirtschaftlich desolat. Deswegen ist es gut und richtig, dass es Finanzhilfen gibt. Deswegen ist es gut und richtig, dass es Zoll- und Visaerleichterungen geben soll. Es muss eine klare Unterstützung für das Volk der Ukraine geben. Es muss klar und deutlich sein, was „europäische Perspektive“ eigentlich heißt. Diese europäische Perspektive ist nicht gegen jemanden gerichtet. Diese europäische Perspektive heißt vielmehr in allererster Linie, dass die Ukraine selbstständig, allein und eigenständig entscheiden können muss und nicht irgendjemand so tut, als könne man über die Ukraine und über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entscheiden. Das ist der entscheidende Punkt: Eigenständigkeit der Ukraine. Es geht um die Ukrainer, darum, was sie wollen und wohin sie wollen. Unser Angebot muss sein, sie darin zu unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Unsere Aufgabe wird es sein, Konsequenzen zu ziehen und konsequent zu bleiben. Das tun wir mit diplomatischen, mit friedlichen Mitteln. Es geht darum, dass die Menschen in der Ukraine eine klare Perspektive haben. Für Russland, das Verträge unterschrieben hat, in denen die Grenzen der Ukraine nicht nur akzeptiert, sondern auch garantiert werden, muss klar sein: Eine Annexion der Krim hat mit dem Völkerrecht nichts zu tun. Das ist unsere klare Position, und bei der werden wir auch bleiben. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation im Osten Europas ist gefährlich angespannt. Die Ukraine steckt mitten in einer Zerreißprobe. Ich danke Ihnen, verehrte Frau Bundeskanzlerin, für Ihre besonnene und bestimmte Art, für Ihr besonnenes und bestimmtes, klares Handeln in dieser historisch schwierigen Situation. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie haben auch in Ihrer Regierungserklärung eindrucksvoll dargelegt, welche Schritte Deutschland und Europa gehen müssen, damit wieder ein friedliches und selbstbestimmtes Zusammenleben der Völker möglich ist. Dafür möchte ich Ihnen herzlich danken. In diesen Dank schließe ich auch den Bundesaußenminister, Herrn Steinmeier, mit ein. Was Sie in den letzten Wochen und Monaten auf europäischer Ebene durch bilaterale Gespräche und Verhandlungen geleistet haben, verdient unser aller Dank, Respekt und Anerkennung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Menschen in der Ukraine haben in den letzten Wochen großen Mut bewiesen. Sie haben wochenlang unter widrigsten Bedingungen gegen die damalige Regierung demonstriert, zunächst auf dem Maidan, später auch andernorts, im Osten des Landes. Sie haben für Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie demonstriert. Diesen Menschen in der Ukraine, die ein Stück ihres Lebens eingesetzt haben, die immer wieder unter widrigsten Bedingungen für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen sind, gilt unser Respekt, unsere Anerkennung, unsere Solidarität, aber auch unsere Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gerade wir in Deutschland wissen, was es heißt, für Freiheit zu kämpfen. Wir wissen aus eigener Erfahrung: Es lohnt sich. Aber es geht nicht nur darum, zu kämpfen, sondern es geht auch darum, aufrecht zu stehen und immer wieder ein zentrales Menschenrecht einzufordern, nämlich Freiheit und damit auch Demokratie. Die plötzliche Entscheidung des Staatspräsidenten, entgegen vorherigen Ankündigungen, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht zu unterzeichnen, hat gerade jungen Menschen die zunächst sicher geglaubte Zukunftsperspektive genommen. Sie gingen auf die Straße, weil sie genau das wollten, was wir in Europa seit langem haben, nämlich Freiheit, -Sicherheit und Zukunftschancen. In dieser Zeit, denke ich, ist es gut, sich auch daran zu erinnern, welche beeindruckende Attraktivität und Anziehungskraft Europa für uns alle und gerade für die jüngere Generation hat. Nun stehen sich auf der Krim russische und ukrainische Soldaten gegenüber. Russland hat auf die Freiheitsbemühungen von Anfang an mit Gegendruck reagiert, zunächst einmal wirtschaftlich, dann aber auch völkerrechtswidrig. Erst wurden Kreditzusagen zurückgenommen. Dann wurde der Gaspreis eklatant erhöht und damit die wirtschaftliche Daumenschraube zusätzlich angezogen. Schließlich wurde die Krim de facto durch nicht gekennzeichnete Soldaten besetzt. Einige andere Dinge wurden ja schon angesprochen. All das, was in den letzten Tagen und Wochen vonseiten Russlands geschehen ist, war eindeutig eine Verletzung der territorialen Unversehrtheit eines europäischen Staates und verstößt eindeutig gegen das Völkerrecht und gegen bilaterale Verträge. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aus meiner Sicht ist es ganz besonders bitter, dass damit auch all das, was in der Nachkriegsordnung und in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts mit der UN-Charta, der OSZE-Charta, den bilateralen Verträgen und im Europarat an Errungenschaften im europäischen, aber auch im internationalen Bereich aufgebaut wurde, durch so ein Verhalten mit Füßen getreten wird. Das können wir nicht akzeptieren. Das dürfen wir nicht akzeptieren. Das müssen wir auch mit aller Deutlichkeit ansprechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Klar ist, dass dauerhafter Frieden nur mit Russland und nicht gegen Russland möglich ist. Deshalb ist das Gebot der Stunde, dass wir gemeinsam mit unseren Verbündeten und Freunden Russland zu echten Verhandlungen bewegen. Die Bemühungen der Bundeskanzlerin, des Außenministers und ihrer Kollegen auf europäischer Ebene dazu sind bekannt. Das muss gemeinsam mit der Europäischen Union, den G-7-Staaten, der NATO und der OSZE geschehen. Vorrangig sind natürlich Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland. Ich begrüße sehr die Bemühungen um die internationale Kontaktgruppe und um die Beobachtergruppe. Das Ziel dieser internationalen Kontaktgruppe muss sein, Vertrauen zu schaffen und Vertrauen wiederherzustellen, aber vor allem die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine und nicht zuletzt auch Menschenrechte und Minderheitenrechte zu sichern. Wir alle wissen, dass der Weg zur Erreichung dieser Ziele weit und alles andere als einfach ist. Wir wissen, dass dabei Besonnenheit und Diplomatie gefragt sind und ein langer Atem, wie es die Bundeskanzlerin heute ausgedrückt hat, sicher notwendig ist. Bei allem Verständnis für die historischen Entwicklungen und Zusammenhänge und für die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Länder muss dabei ein klarer Kompass sichtbar werden. Dieser Kompass muss meines Erachtens folgendermaßen aussehen: erstens keine Verletzung des Völkerrechts und bilateraler Verträge, zweitens Wahrung der territorialen Souveränität und der Integrität der Ukraine, drittens Sicherung der Freiheitsrechte, der Menschenrechte und der Minderheitenrechte für die Leute dort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zur Erreichung dieses Ziels kann es notwendig sein, Druckmittel einzusetzen; denn mit dem Propagieren von Zielen allein ist es nicht getan. Verhandlungen, Gespräche, das Aufzeigen von Konsequenzen sind das eine – bei den Verhandlungen muss man auch klare Kante zeigen –, aber notfalls müssen eben auch entsprechende Druckmittel eingesetzt werden. Die Stufen, die die Europäische Union vorgegeben hat, sind bekannt. Es gilt aber auch, den Menschen in der Ukraine zu helfen. Es reicht nicht, unsere Solidarität zu bekunden, sondern wir müssen sie auch sichtbar werden lassen durch solidarische Unterstützung auf europäischer, aber auch auf internationaler Ebene. Ich begrüße die Initiativen der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds sehr, vor allem aber auch die Bereitschaft Polens, Frankreichs und Deutschlands, im Verwaltungsbereich gemeinsam Hilfe zur Verfügung zu stellen, was gestern zum Ausdruck gebracht wurde. Das ist Solidarität für die Menschen vor Ort, die sich nicht nur in einer schwierigen politischen, sondern auch in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation befinden. Auch dem müssen wir Rechnung tragen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, ich denke, dies ist letztlich auch die Stunde Europas. Trotz unterschiedlicher Interessen ist es gelungen, immer wieder mit einer Stimme zu sprechen. Das ist auch das Verdienst kluger Außen-politiker, der Bundeskanzlerin und unseres Außenministers. Europa ist das größte Friedens-, Freiheits- und Demokratieprojekt des vergangenen Jahrhunderts und der jetzigen Zeit. Ich denke, jetzt muss Europa zeigen – das kann es auch zeigen –, dass dieses Europa nicht nur eine gut gemeinte Idee ist, dass es weit mehr ist als ein wirtschaftlicher Zusammenschluss, dass diese Gemeinschaft Europa sich nicht darin erschöpft, sich Regelungen für alles Mögliche im Detail auszudenken. Nein, es muss deutlich werden: Wir sind eine Wertegemeinschaft, deren Strahlkraft für Demokratie, deren Strahlkraft für Freiheit über die Grenzen Europas und der Europäischen Union hinausreicht. Deshalb müssen wir hier mit einer Stimme sprechen, mit der Stimme der Freiheit, der Demokratie, des Selbstbestimmungsrechts der Menschen und der Staaten. Da tragen wir alle miteinander eine große Verantwortung. Ich danke Ihnen, verehrte Frau Bundeskanzlerin und Herr Bundesaußenminister, herzlich für das, was Sie bisher geleistet haben, und ich wünsche Ihnen weiterhin eine glückliche Hand. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Marieluise Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über die Ukraine sprechen, sprechen wir auch über die Zukunft Europas. Der große Traum von Michail Gorbatschow, das gemeinsame europäische Haus, war nie so bedroht wie heute. Selbst wenn es so sein mag, dass wir 10 oder 20 Jahre zurückgeworfen werden, und wenn das Vertrauen aktuell tief erschüttert ist: Russland muss um seiner Bürger und Bürgerinnen willen Teil dieses gemeinsamen europäischen Hauses bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es ist die jetzige russische Führung, die auf Gegenkurs zu Europa gegangen ist. Wir alle aber wollen die Tür für Russland offen lassen. Ich glaube, das kann ich für das ganze Haus feststellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Krise um die Ukraine ist zugleich ein Prüfstein für die internationale Politik. Die Ukraine ist ein Land mit ehemals der drittstärksten atomaren Bewaffnung und war freiwillig bereit, diese einseitig abzugeben. Im Gegenzug wurde ihr mit dem Budapester Memorandum die Integrität der Grenzen zugesichert, und zwar durch die USA, Großbritannien und Russland. Nun muss die Ukraine erleben, dass das Papier, auf dem dieser Vertrag steht, nichts wert ist. Dieser Vertrauensbruch wird uns in unserem Bemühen, atomar abzurüsten, weit zurückwerfen. Denn wer wird sich in Zukunft noch auf vertragliche Zusicherungen verlassen wollen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Niemand will eine militärische Antwort auf die Aggression Russlands. Wer aber der neuen Regierung in Kiew abverlangt, stillzuhalten und die Annexion eines Landesteiles zunächst zu erdulden, ohne zu den Waffen zu greifen, der muss dieser Regierung ernsthafte Zusicherungen machen. Es muss klar sein, dass der Kreml für dieses Vorgehen einen hohen politischen und wirtschaftlichen Preis zahlen muss, auch als Abschreckung vor einer möglichen weiteren Intervention in der Ost-ukraine. Die Ukrainer sagen uns: Es geht nicht nur um die Krim, es geht vielleicht sogar nicht nur um die Ost-ukraine, sondern es geht um Kiew im Zusammenhang mit der geplanten Eurasischen Union. Denn eine Eurasische Union wäre ohne die Ukraine nichts wert. Der Dreistufenplan ist richtig, um dem zu begegnen. Ich möchte Ihnen, Herr Gysi, sagen: Ja, es gibt rechte Kräfte in der Ukraine, aber sie werden umso stärker werden, je aggressiver Putin vorgeht. (Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]) Dann werden im Sinne einer Self-fulfilling Prophecy die Rechten in der Ukraine auf der Straße und in der Regierung sein. Das ist das Szenario, das Realität wird, wenn das Völkerrecht nicht auch durch unser entschiedenes Handeln durchgesetzt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, ja! So wie im Kosovo!) Die Marionettenregierung auf der Krim stellt die Bevölkerung vor die Wahl: Russland oder Faschismus. – Herr Präsident. Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Beck würde sich gern mit einer Zwischenfrage oder -bemerkung in die Debatte einschalten. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin, Sie haben gerade das Problem angesprochen, das uns alle besorgt macht: die Auseinandersetzung auch mit rechten Kräften in der ukrainischen Regierung. Die Situation der Juden in der Ukraine macht uns alle besorgt. Dazu gibt es eine sehr unterschiedliche Informationslage. Könnten Sie dem Hohen Hause dazu vielleicht etwas sagen? Ich weiß, dass Sie diese Sorgen teilen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schönen Dank. – Ich bin, nachdem die ersten Alarmrufe bei uns im Deutschen Bundestag angekommen sind, in der Ukraine mehrmals mit unterschiedlichen jüdischen Organisationen zusammengetroffen und habe mich dort informiert. Ich habe Ihnen die Informationen zusammengestellt; alle Kollegen des Hauses können diese von mir erhalten. Vor allen Dingen der Vorsitzende des Vereins Jüdischer Gemeinden und Organisationen in der Ukraine, der gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender des World Jewish Congress ist, Herr Zissels – er wird übrigens nächste Woche hier in Berlin sein –, hat ganz klar dargelegt, dass hier mit einem Stereotyp, dem vermeintlichen ukrainischen Antisemitismus, gearbeitet wird, was sehr stark auf russische Propaganda zurück-zuführen ist, und dass der Antisemitismus zu einem Kampfinstrument in der Desinformationskampagne, die diese Auseinandersetzung begleitet, geworden ist. Diese jüdischen Organisationen haben dargelegt, dass es – das sollten wir in Deutschland uns wirklich genau anschauen – im Jahre 2013 in der Ukraine drei antisemitische Übergriffe mit vier verletzten Personen gegeben hat. Ich wünschte mir, wir hätten in Deutschland solche geringen Zahlen. Außerdem haben sie sehr deutlich -dargelegt, dass die zwei Überfälle auf zwei Synagogenbesucher, die es in den vergangenen Wochen gegeben hat, vermutlich von Provokateuren der Berkut-Kräfte verübt wurden. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ach so!) Schauen Sie sich im Internet an – man kann darin ja dankenswerterweise alles finden –, wie die Facebook-Seiten der Berkut-Kräfte ausgesehen haben! Mit -faschistischen und Nazisymbolen sind dort Julija -Timoschenko, Klitschko, überhaupt der gesamte Maidan versehen worden. Ich glaube, dass wir gerade hier sehr genau hinschauen sollten, dass wir nicht dem Missbrauch des Antisemitismus in diesem Desinformationskrieg folgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin damit gleich beim Thema: Die Marionettenregierung auf der Krim stellt mit ihren Plakaten die Bevölkerung vor die Wahl: Russland oder Faschismus? Das soll die Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg hervorrufen. Aber sie steht heute nicht vor der Wahl: Hitler-Faschismus oder Sowjetunion. Heute geht es um den Konflikt zwischen Demokratie und Autokratie in Europa. Der Maidan ist eine antiputinistische Bewegung. Dort waren auch Armenier und Belarussen, weil es auch um ihre Freiheit geht. Wie sieht das Putin-Russland heute aus? Bürgerrechte werden abgebaut, Homosexuelle werden diskriminiert, die nationalistische Rechte wird immer stärker, der Rassismus gegenüber Minderheiten im Land nimmt zu, und im Netz verbreitet sich die Botschaft: Die Krim war nur der Anfang. – Putin spielt mit dem Geist des großrussischen Nationalismus, und man muss befürchten, dass er selbst Gefangener dieser Rhetorik wird. Es erreichen uns von der Krim Hilferufe, etwa aus Synagogen. Tatsache ist aber auch, dass tatarische Häuser mit Kreuzen gezeichnet werden. 20 Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens – ich weiß wirklich, wovon ich spreche – wird wieder die ethnische Karte gespielt, um territoriale Herrschaftsansprüche militärisch durchzusetzen. Dafür werden Menschen gegeneinander aufgehetzt. Ich wünsche mir, dass die Ukrainer stark genug sind, dagegenzuhalten. Dabei müssen wir sie unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Eines möchte ich noch sagen: Es gibt eine junge Generation in Europa, die sich vernetzt, die sich kulturell nah ist, die Demokratie, Rechtsstaat und offene Gesellschaften möchte. Sie will ein Europa ohne Grenzen. Wir schulden dieser jungen Generation, dass wir keine Mauern aufbauen. Ich bitte das Haus, ich bitte die Bundesregierung und die Europäische Union: Machen Sie für diese jungen Menschen die Türen auf! Ein erster machbarer Schritt wäre: Lassen Sie endlich dieses kleinliche Visaregime fallen! Lassen Sie die jungen Leute reisen! Die Menschen auf dem Maidan sagen: Wir wollen nach Europa. – Wir müssen ihnen sagen: Ihr seid Europa. Seid willkommen! Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn am Sonntag auf der Krim das Referendum über die Loslösung von der Ukraine durchgeführt wird, dann ist das eine neue Stufe der Eskalation, die Moskau betreibt. Das gilt erst recht, wenn dann eine Annexion der Krim durch Russland erfolgt. Welches sind die fatalen Botschaften, die von diesem Verhalten Moskaus gegenüber der Ukraine an die Völkergemeinschaft ausgehen? Erstens. Der Verzicht auf die Atomwaffen, den die Ukraine gegen russische Sicherheitsgarantien eingegangen ist, rächt sich jetzt. Das wird einige Staaten in ihrer Absicht bestärken, sich Atomwaffen anzuschaffen. Das ist die erste fatale Botschaft Moskaus, nicht nur in Richtung Nordkorea oder Iran; es ist die Ermutigung zu nuklearer Proliferation. Zweitens. Russische Sicherheitsgarantien, die Moskau im Budapester Abkommen der Ukraine gegeben hat, stehen bloß auf dem Papier und sind in der Wirklichkeit nichts wert. Drittens. Wenn die Abspaltung der Krim vom Kreml betrieben wird und die Krim von Russland annektiert wird, dann lautet die Botschaft an die Völkergemeinschaft: Für Moskau hat das Völkerrecht ausgedient; es wird willkürlich gebeugt und gebrochen. Ein solches Verhalten Moskaus ist ein gravierendes Vergehen gegen seine Pflichten als ständiges Mitglied der Vereinten Nationen, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. Moskau tut genau das Gegenteil. Und: Das Verhalten Moskaus steht in eklatantem Widerspruch zu den Pflichten eines führendes OSZE-Mitglieds, das Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa fördern und nicht Europa destabilisieren soll. Noch ist es möglich, diese Eskalation zu vermeiden: indem Moskau auf ein Referendum auf der Krim und ihre Abspaltung von der Ukraine verzichtet, dem eine klare Absage erteilt, indem es seine illegal auf der Krim stationierten Truppen zurückzieht, indem es die OSZE-Beobachter ihre Arbeit auf der Krim machen lässt, indem es direkte Gespräche mit der legitimen ukrainischen Regierung führt und indem es der Einsetzung einer Kontaktgruppe endlich zustimmt. Wenn Moskau dazu nicht bereit ist, werden Sanktionen, wie sie die Bundeskanzlerin vorhin als nächsten Schritt beschrieben hat, unverzichtbar. Wir können nicht darüber hinwegsehen, wenn in Europa Völkerrecht gebrochen wird. Wir hoffen, dass Sanktionen nicht erforderlich sind. Wir sagen aber auch: Wenn es erforderlich ist, dann sind wir, dann ist Europa stark genug, Sanktionen zu ergreifen, auch wenn sie uns selbst wehtun. In Richtung der Kritiker von Sanktionen frage ich: Können wir tatenlos zusehen, wenn Völkerrecht gebrochen wird? Sollen wir tatenlos zusehen, wenn ein souveränes Land besetzt wird, nur weil Moskau seine politische Ausrichtung auf das freiheitliche, rechtsstaatliche und politisch wie wirtschaftlich wesentlich attraktivere Europa nicht passt? Was wird der nächste russische Schritt sein, wenn Moskau die Botschaft erhält, dass Völkerrechtsbruch ohne Konsequenzen bleibt? Wird es dann der Osten der Ukraine sein? Was wird es dann sein? Das können wir nicht hinnehmen. Deswegen war die Entscheidung der Staats- und Regierungschefs vom letzten Donnerstag notwendig und richtig. In dieser Situation, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Geschlossenheit innerhalb der Europäischen Union wichtig und unverzichtbar. Denn wir müssen davon ausgehen, dass Russland Gegenmaßnahmen ergreift, allerdings nicht gegen die gesamte EU, sondern dass es sich, wie auch in der Vergangenheit üblich, einige EU-Länder herauspickt – mit dem Ziel, die EU zu spalten – und gegen diese Länder empfindliche Wirtschaftssank-tionen verhängt. Dass Moskau uns auseinanderdividiert, dürfen wir nicht zulassen. Deshalb waren die Besuche von Bundeskanzlerin Merkel in Warschau und von Außenminister Steinmeier in den baltischen Staaten so wichtig. Sie geben das klare Signal: Die EU lässt sich in dieser Frage nicht auseinanderdividieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die politisch stärkste Maßnahme wird allerdings sein, dass wir unsere Kräfte so einsetzen, dass die Ukraine zu einer Erfolgsgeschichte wird; das heißt, dass wir ihre politische und wirtschaftliche Modernisierung entschieden fördern und dies auch den Russen in der Ukraine, auch in der Ost-ukraine, zugutekommt. Denn nichts setzt die Politiker in Moskau mehr unter Druck, als wenn die eigene russische Bevölkerung fragt, warum es den Russen in einer demokratischen und europäischen Ukraine besser geht als den Russen im eigenen Land. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb war es richtig, dass die EU das Hilfspaket in Höhe von 11 Milliarden Euro so schnell zur Verfügung gestellt hat. Die EU hat damit deutlich gemacht, dass sie der Ukraine auf diesem schwierigen Weg nicht nur schöne Worte mitgibt, sondern auch ganz konkret hilft. Deshalb ist es so wichtig, dass gerade auch der Osten der Ukraine von diesen Wirtschafts- und Finanzhilfen profitiert. Denn dann lautet die Botschaft an die Menschen dort: Während Moskau nur mit Truppen droht, leistet Kiew mithilfe der EU konkrete Hilfe. Herr Gysi, wir unterstützen nicht einzelne Politiker, wir unterstützen nicht einzelne Parteien, wir unterstützen auch nicht einzelne Regionen, sondern wir geben der gesamten Ukraine eine wirtschaftliche und politische Perspektive. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Menschen auf dem Euromaidan – das ist verschiedentlich gesagt worden – haben monatelang für das Assoziierungsabkommen mit der EU demonstriert; sie haben sich auch von den Scharfschützen des Janukowitsch-Regimes nicht davon abschrecken lassen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das wissen Sie doch gar nicht!) Es erfüllt uns mit tiefem Respekt, wie diese Menschen für ihre Freiheit, für ihre Zukunft und für die EU-Perspektive ihres Landes eingetreten sind; einige haben dafür sogar ihr Leben gelassen. Deshalb ist es gut, dass die Staats- und Regierungschefs der EU klargemacht haben, dass sie den politischen Teil des Assoziierungsabkommens so bald wie möglich unterschreiben wollen – und auch den Handelsteil –, wenn sichergestellt ist, dass dadurch keine negativen Auswirkungen auf die ukrainischen Exporte nach Russland entstehen. Eine wichtige Maßnahme zur Stabilisierung und Modernisierung der Ukraine sind auch die Finanzhilfen des IWF. Klar ist allerdings auch: Mit diesen Finanzhilfen werden tiefgreifende politische und wirtschaftliche Strukturreformen einhergehen müssen; sonst würden wir viel Geld in ein Fass ohne Boden werfen, statt der Ukraine durch die notwendige Modernisierung eine Zukunftsperspektive zu eröffnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen uns keine Illusionen machen: Diese Reformen werden für die ukrainische Bevölkerung erhebliche Belastungen mit sich bringen, beispielsweise eine deutliche Anhebung der Energiepreise. Es ist klar, dass Moskau diese schwierige Situation mit dem Schüren neuer Unzufriedenheit und mit neuen Demonstrationen ausnützen und jeden Versuch zur Destabilisierung unternehmen wird, um den Eindruck zu erwecken, eine Einverleibung in den Moskauer Machtbereich stelle für die Menschen in der Ukraine eine bessere Alternative dar als die EU-Perspektive. Deshalb ist es so wichtig, dass mit dem Assoziierungsabkommen die Botschaft einhergeht: Die Ukraine hat eine klare EU-Perspektive. Ja, die Ukraine soll, wenn sie es will, eng an die Europäische Union angebunden werden. – Diese Botschaft muss auch konkret untermauert werden, beispielsweise durch eine schnelle Realisierung der Visafreiheit und durch Städtepartnerschaften; die Bundeskanzlerin hat ja eine ganze Reihe konkreter Maßnahmen genannt. Wir wollen ein starkes Russland, wir wollen ein modernes Russland, wir wollen ein friedliches und demokratisches Russland als unseren Nachbarn haben. Wir wollen ein Russland als Partner haben, das die Lösung der globalen Herausforderungen mitgestaltet, statt auf destruktive Nullsummenpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts zu setzen, welche letztlich Russland selbst am meisten schadet. Russland muss erkennen, dass es heute politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich kein international attraktives Modell für andere Länder darstellt, ganz im Gegenteil. Russland muss erkennen – dies gilt auch mit Blick auf Syrien, auf die Transformationsländer der arabischen Welt und andere Problemzonen –: Dieses Russland hat keine Soft Power. Dieses Russland kann zur Lösung internationaler Krisen nicht beitragen. Die Menschen auf dem Maidan haben eben auch zum Ausdruck gebracht: Nach diesem Modell, wie es von Moskau zurzeit propagiert wird, wollen sie nicht leben. Sie wollen europäische Werte, sie wollen Freiheit, sie wollen Souveränität, sie wollen Selbstbestimmung. Mit militärischen Drohungen und Völkerrechtsbruch wird sich Moskau weiter isolieren und sich damit selbst schwächen. Die Politik, die Moskau betreibt, schadet seinen eigenen Interessen und seiner Zukunft. Das ist nicht in unserem Interesse. Wir hoffen, dass Moskau wieder zur Vernunft kommt. Wir wollen, dass Moskau politisch und ökonomisch ein starker Partner ist. Auch ökonomisch kann dieses Russland langfristig kein Partner sein. Es schadet damit seinen eigenen Entwicklungschancen. Deswegen hoffen wir sehr, dass man in Moskau wieder zur Vernunft kommt, (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) eine Partnerschaft wieder möglich wird. Das würde Russland nutzen, das würde uns nutzen, das würde der Ukraine nutzen, das würde Chancen für eine friedliche Gestaltung der Welt des 21. Jahrhunderts bieten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Gernot Erler ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle haben das Gefühl: Die Vorgänge, die gegenwärtig zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation ablaufen, können zur Entstehung neuer Bruchlinien führen – Bruch-linien, die uns allen schaden werden, Bruchlinien, die sehr kostspielig werden können, und zwar für alle Beteiligten, Bruchlinien, die – das haben wir nicht mehr für möglich gehalten – mitten durch unseren Kontinent laufen. Wir sind in einem Prozess, der mit wachsender Wahrscheinlichkeit zu einem fatalen Tabubruch führen wird, nämlich zu einer mutwilligen und rechtswidrigen Veränderung von Grenzen. Wir befinden uns in diesem Jahr in einem Gedenkjahr, in dem an zwei Weltkriege gedacht wird; die Bundeskanzlerin hat daran erinnert. In der Vergangenheit sind Millionen Menschen dafür gestorben, dass Grenzen verändert werden sollten, oder beim Kampf dafür, solche Grenzveränderungen zu verhindern. In Deutschland erinnern wir uns außerdem daran, wie wichtig es friedenspolitisch war, dass unser Land die im Zweiten Weltkrieg neu gezogenen Grenzen anerkannt hat. Ohne diese Anerkennung, ohne die glaubhafte Selbstverpflichtung, diese Grenzen nie wieder verändern zu wollen, hätte es die Ost- und Entspannungspolitik von Egon Bahr und Willy Brandt, die all ihre Nachfolger fortgesetzt haben, nicht geben können. Die schrittweise Grenzveränderung auf der Halbinsel Krim – erst Unabhängigkeitserklärung, dann Referendum, dann Eingliederung in die Russische Föderation, und das alles wahrscheinlich innerhalb von nicht viel mehr als einer Woche – stellt einen gefährlichen Tabubruch dar. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn russische Kolleginnen und Kollegen über die Ukraine sprechen, habe ich immer wieder das Attribut „Brudervolk“ als Ausdruck für eine besondere sprachliche, kulturelle, geschichtliche und auch emotionale Nähe gehört. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder Bevormundung!) Aber wohin soll es führen, wenn man so mit einem Brudervolk umgeht? In der internationalen Politik gibt es Werte, Regeln und Prinzipien, zu denen sich alle bekennen und für deren Kontrolle und Einhaltung wir -Organisationen geschaffen haben, etwa die Vereinten Nationen, den Europarat oder die OSZE. Niemand behauptet, dass diese Regelwerke und Prinzipien immer, auch dem Geiste nach, eingehalten werden; aber sie sind wichtig, ja unverzichtbar für das Zusammenleben auf unserem Planeten und auf unserem Kontinent. Das weiß auch Russland. Es ist noch nicht lange her, dass Moskau in zwei verlustreichen Kriegen die Separation Tschetscheniens im Nordkaukasus gestoppt hat. Wollen jetzt unsere Duma-Kolleginnen und -Kollegen tatsächlich einen Berufungstatbestand für künftige separatistische Bestrebungen schaffen? Ist das wirklich eine vernünftige, nachvollziehbare Vertretung russischer Interessen? Noch eines: Im Budapester Memorandum von 1994 und im bilateralen Vertrag über Freundschaft, Kooperation und Partnerschaft von 1997 hat Russland die Unabhängigkeit und die territoriale Integrität der Ukraine vertraglich garantiert. Wenn in den nächsten Tagen das eintritt, was wir befürchten, dann haben wir es auch mit einem eklatanten Vertragsbruch zu tun, und zwar durch eine sehr starke Macht gegenüber einem Nachbarland, das sich in der Realität nicht dagegen wehren kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich frage unsere Abgeordnetenkollegen in Moskau: Kann es wirklich im Interesse Russlands sein, ein solch schlechtes Beispiel für die internationale Politik zu geben? Wie will derjenige, der selbst vertragsbrüchig wird, noch auf Einhaltung von Verträgen pochen, wenn sie im eigenen Interesse – und da fallen mir einige für Russland ein – sind? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Über all dies muss geredet werden, und zwar zwischen den Betroffenen: zwischen Vertretern Russlands und der Ukraine. Die russische Kontaktsperre gegenüber den Repräsentanten der ukrainischen Übergangsregierung ist der Brisanz der Lage nicht angemessen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Erwachsene Nationen finden einen Weg zum wechselseitigen Dialog, auch wenn Legitimationen infrage gestellt werden. Auch dafür findet man übrigens in der jüngsten deutschen Geschichte Beispiele, die in Moskau wohlbekannt sind. Die Bundesregierung hat gekämpft: sowohl die Bundeskanzlerin als auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Ich glaube, der wichtigste Erfolg war das Abkommen vom 21./22. Februar, weil es die Gewalt in Kiew, die zu vielen Opfern führte, beendet hat. Die Bundesregierung hat für eine Kontaktgruppe zur Überwindung der eskalationsfördernden Sprachlosigkeit gekämpft. Die russische Führung hat nicht einfach Nein gesagt, aber den inzwischen von vielen anderen Ländern unterstützten Vorschlag dilatorisch behandelt. Das hat die Lage verschlechtert, auch deshalb, weil die Realitätswahrnehmungen zwischen Russland und der westlichen Welt immer weiter auseinanderdriften. Dafür hat es auch Beispiele in dieser Diskussion gegeben: Der Maidan ist für die einen ein faschistisch gesteuerter Umsturz mit großen Gefahren für alle russischsprachigen Ukrainer. Für die anderen ist der Maidan ein von mutigen Menschen von unten erzwungener Regime Change, der sich gegen keine andere Gruppe der Bevölkerung wendet. Das sind letztlich zwei unvereinbare Wahrheitsansprüche, die möglicherweise beide korrigiert werden müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir wissen aber aus der Konfliktforschung, dass eine solche Drift von Realitätswahrnehmung tendenziell zu einer gefährlichen Dialogunfähigkeit führt, weil sich jeder in seiner Sicht der Dinge einigelt und damit sein politisches Vorgehen legitimiert. Deswegen noch einmal: Das muss geklärt werden, darüber muss gesprochen werden, und zwar besser heute als morgen. Ich finde, die Politik der Bundesregierung verdient Unterstützung vom ganzen Haus. Die EU hat einen Stufenplan von Sanktionen beschlossen. Niemand sollte sich Illusionen über die Handlungsfähigkeit der EU machen. Zug um Zug wird dieser Stufenplan vollzogen, wenn es keine Änderung der russischen Politik gibt. Wir brauchen und erwarten aber, dass zwischen jedem dieser Schritte eine Tür mit der Aufschrift „Exit“ offen steht, mit der Einladung zur gemeinsamen Suche nach einer politischen Lösung. Es ist nie zu spät, durch diese Tür zu gehen. Das ist mein letzter Appell an die russische Führung und an unsere Kolleginnen und Kollegen aus dem russischen Parlament. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Karl-Georg Wellmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Es droht, in Europa politisch eiskalt zu werden. Wenn wir nicht sehr aufpassen, dann bekommen wir eine neue Eiszeit zwischen der EU und Russland. Ich fürchte, es wird sehr viele Jahre dauern, um wieder zu einem geregelten Miteinander zu kommen. Ich persönlich gehe inzwischen sicher davon aus, dass Russland die Krim annektieren wird. Das widerspricht allem Völkerrecht. Die Bundeskanzlerin hat das Notwendige dazu gesagt. Russland wird es aber trotzdem tun und sich durch nichts davon abbringen lassen. Bisher gibt es keinerlei Zeichen Moskaus für eine politische Kooperation. Damit stoßen sie vor allem jene vor den Kopf, die sich für ein besseres Verhältnis mit Russland eingesetzt haben. Ich darf daran erinnern, dass das die große Mehrheit dieses Hauses ist. In der aktuellen Koalitionsvereinbarung steht ein ganzer Passus, der sich mit der Verbesserung des Verhältnisses mit Russland beschäftigt. Die russische Westpolitik und vor allem die russische Ukraine-Politik sind krachend gescheitert. Man muss sich einmal bei Licht ansehen, was Putin mit seiner Gewaltanwendung auf der Krim bewirkt: Erstens. Er hat eine nie gesehene europäische Dynamik in der Ukraine ausgelöst, vor allem bei der jungen Generation. Putin hat damit das Gesicht der Ukraine nach Westen gedreht. Zweitens. Putin hat mit seiner Politik Entschlossenheit und Dynamik bei der EU hervorgerufen und dafür gesorgt, dass sich die europäische Staatengemeinschaft -herausgefordert fühlt und dass sie ungeahnte, nicht geplante Anstrengungen unternehmen wird, um den Ukrainern zu helfen. Schon nächste Woche soll das Assoziierungsabkommen abgeschlossen werden. Putin hat auch dafür gesorgt, dass alte Vorurteile über die Russen wieder Konjunktur haben, Vorurteile, nach denen die Russen nur eine Sprache verstehen: die Sprache der Macht. Putin hat ironischerweise für eine Revitalisierung der NATO gesorgt. Wer von uns hat geahnt, dass es wieder Bedrohungsgefühle gegenüber dem Osten geben könnte, so große Bedrohungsgefühle, dass wieder NATO-Flugzeuge an die Ostgrenzen verlegt werden? Sogar die harmlosen Schweden fangen jetzt an, darüber zu diskutieren, ob sie nicht größere Verteidigungsanstrengungen unternehmen und ihr Verhältnis zur NATO positiv gestalten müssen. Putin sorgt dafür, dass Europa mit einer Stimme redet. Es war und bleibt richtig, dass Frau Merkel und Herr Steinmeier alles versucht haben, um zunächst diplomatische Möglichkeiten auszuschöpfen. Das ganze Haus sollte Steinmeier und Sikorski dafür danken, dass sie im Februar mit großem physischen und intellektuellen Einsatz das Morden auf dem Maidan beendet haben. Allein dafür hat sich die Mission gelohnt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mir macht die geradezu gespenstische Propaganda Sorgen, die im Moment die Seelen der russischen Menschen vergiftet. Wer russisches Fernsehen sieht, muss wirklich den Eindruck gewinnen, in Kiew hätten die Faschisten die Macht übernommen. (Zuruf von der LINKEN: Ach so!) – Jetzt gibt es den Zuruf „Ach so!“. Ich meine, Gysi hat ja vorhin die russische Propaganda von diesem Platz aus wiederholt. (Widerspruch bei der LINKEN) Danach müsste man dem russischen Militär geradezu dankbar sein, dass es die Menschen vor marodierenden Neonazihorden schützt. – Es wurde im russischen Fernsehen auch darüber geredet, man dürfe in der Ukraine jetzt nicht mehr die russische Sprache benutzen, das sei verboten, und Menschen, die das täten, liefen Gefahr, an der nächsten Laterne aufgehängt zu werden. – Unsäglich! Damit eines klar ist – ich sage es gerne noch einmal, auch wenn das in diesem Haus Konsens ist –: Wir sind strikt gegen irgendwelche rechtsradikalen oder gar antisemitischen Kräfte in der Ukraine. Keiner will sie unterstützen, und das bleibt auch so. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der LINKEN) Es gibt noch viel schlimmere Sachen. Ein führender russischer Politiker sagte, es gebe Hunderttausende von Wahhabiten auf der Krim. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er meint die Tataren!) Ich habe erst gar nicht verstanden, was er damit meinte. Er meint damit die muslimischen Krimtataren. Diese Volksverhetzung, die für die Erreichung militärischer Ziele genutzt wird, ist unglaublich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wie müssen wir reagieren? Es ist richtig, was die Staatschefs in Brüssel kürzlich beschlossen haben. Wir können keine gute Miene zum bösen Spiel machen. Wir müssen über staatliche Sanktionen reden; das muss sein. Aber das kommt von alleine. Es haben schon jetzt deutsche Firmen Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe in Russland storniert, weil sie sagen: In diesem Umfeld können wir nicht investieren. – Banken berichten mir von einem rasanten Abzug von Kapital aus Russland. Ein hochrangiger russischer Gesprächspartner hat mir am Montag gesagt, Russland bereite gerade die Exploration neuer Gasfelder im Nordmeer vor, schon im nächsten Jahr könne die Firma Exxon beginnen, dort Gas zu fördern. – In Washington wird man das gerne hören. Es wird nur eines einzigen Anrufs aus dem Weißen Haus bedürfen, und Exxon wird auf diese Investitionen verzichten. Die Russen werden dann diese Erdgasvorkommen, die für sie so wichtig sind, nicht erschließen können. Mit anderen Worten: Die ökonomischen Kosten dieses militärischen Abenteuers werden für die Russen viel größer sein als der Nutzen, den sie durch die Besetzung der Krim erzielen könnten. Wenn sich das – ich sage das ganz deutlich – zu einem Kalten Krieg auswächst, dann werden die Westeuropäer alles tun, um sich zukünftig noch unabhängiger von Russland zu machen. (Zuruf der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dabei muss man die Tatsache bedenken, Frau Beck, dass die russische Wirtschaft in einem katastrophal schlechten Zustand ist. Putin müsste eigentlich das Gegenteil von dem tun, was er tut. Er schadet sich und den Menschen in seinem Land in hohem Maße. Ich sage noch etwas anderes. Es gibt eine Millionen Köpfe zählende russische Mittel- und Oberschicht. Diese Menschen genießen den westlichen Way of Life, das Dolce Vita, den Luxus des Westens: an der Côte d’Azur, in Kitzbühel. Sie mögen unsere Banken, vor allem die in Zypern. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Und die Banken mögen die Russen!) Die Familien dieser Menschen fühlen sich in London wohl, und sie meinen, dass ihre Kinder in englischen oder schottischen Internaten am besten aufgehoben seien. Damit ich nicht missverstanden werde: Diese Entwicklung ist gut. Das ist Europa. Aber in Russland muss man wissen, was auf dem Spiel steht, wenn man internationale Vereinbarungen auf diese Weise bricht und damit Europa seine Verachtung zeigt. Ich finde das alles tragisch, weil der Westen seit Ende letzten Jahres zu einem echten politischen Dialog mit Russland bereit war. Russland hätte in einem Dialog sehr viel erreichen können, wenn man sich zusammengesetzt und einen stabilen politischen Prozess in Europa initiiert hätte. Ich rede von gemeinsamen Wirtschafts- und Innovationsprojekten, von Handel und Wandel, von dem alle profitiert hätten, und ich rede von Sicherheitsfragen. Es ist inzwischen fast unstreitig, dass man auch über eine mögliche NATO-Mitgliedschaft der Ukraine hätte sprechen können. Auch in der Ukraine ist das inzwischen offenbar herrschende Meinung. Man hätte auch gemeinsam über eine Verfassungsreform reden können: über eine Föderalisierung nach deutschem Modell. Wo welche Sprache in welchen Ämtern oder Schulen gesprochen wird, kann in den Regionen entschieden werden. Wir sollten der jetzigen Regierung auch mit auf den Weg geben, schnell einen öffentlichen Verfassungsdialog zu beginnen und den Menschen in allen Landesteilen den Eindruck zu geben, dass sie gut aufgehoben sind. Ich sage Ihnen noch etwas anderes voraus: Wir werden nächste Woche, wenn es zu dem Annexionsbeschluss gekommen ist, intensive außenpolitische Aktivitäten der russischen Regierung und Angebote an den Westen erleben, und wir müssen überlegen, wie wir damit umgehen. Wir müssen darüber reden, wie wir reagieren, wenn sich die Bevölkerung auf der Krim möglicherweise mit großer Mehrheit für einen Anschluss aussprechen wird. Wir müssen einen kühlen Kopf behalten. Es gibt viele, die jetzt versuchen, mit strammer Haltung scharfe Maßnahmen gegen Russland zu fordern. Das sagt sich von Washington aus möglicherweise leichter als anderswo. Wir müssen auch daran erinnern, dass wir irgendwann wieder Politik machen müssen und nicht alle Türen zuschlagen können. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Wellmann, darf Ihnen der Kollege Dehm eine Zwischenfrage stellen? Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Sehr gerne. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Kollege Wellmann, ich freue mich über die nachdenklichen Töne, die ich von Ihnen im Unterschied zu anderen Beiträgen gehört habe. Sie können sicher sein: Es geht nicht nur in der Bevölkerung jede Sympathie für ethnische und rassistische Vorbehalte zurück, sondern auch in diesem Hause ist mir kein Kollege bekannt, der in der von Ihnen angesprochenen Frage nicht meint, dass es gegen Muslime keine solche Stimmung geben darf. Dennoch möchte ich Sie etwas fragen. Sie haben die Rede des Kollegen Gysi vorhin verfolgt und das Zitat des Swoboda-Vorsitzenden gehört, und Sie wissen, dass die Regierung in der Ukraine 11 Milliarden Euro Unterstützung von der EU bekommen soll. Ist es das Gleiche, mit solchen Geldern eine Regierung, in der in Größenordnung Faschisten vertreten sind – auch viele Provinzgouverneure gehören der faschistischen Partei an –, zu unterstützen, wie eine Regierung zu unterstützen, in der keine Faschisten sind? Können Sie sich vorstellen, dass über verbale Bekundungen hinaus auch erheblicher Druck eingesetzt werden muss, damit in ganz Europa der Faschismus, der sich noch nie freiwillig aus einer Regierung verabschiedet hat, zurückgedrängt wird? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Ich sage es noch einmal: Zwei Dinge sind für uns wichtig. Erstens. Wir werden nie faschistische oder gar antisemitische Politiker, Parteien oder Gruppen in irgendeiner Weise dulden. Wir werden sie bekämpfen. Zweitens. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bewegung auf dem Maidan eine Volksbewegung war. Sie wollten – Herr Erler hat es schon gesagt – einen Regime Change. Herr Gysi, Sie haben vorhin gesagt, eigentlich sei die Absetzung von Janukowitsch verfassungswidrig. Sie wollen doch diesem Hause und der Öffentlichkeit nicht im Ernst vorschlagen, diesen Herrn wieder als Präsidenten zu reinstallieren. (Widerspruch bei der LINKEN – Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!) Das wäre die Konsequenz dessen, was Sie gesagt haben. Ich will Ihrer Frage gar nicht ausweichen, Herr Dehm. Es gibt leider nicht nur in der Ukraine rechtsradikale Tendenzen. Wir machen uns große Sorgen, was in Frankreich bei den nächsten Wahlen passieren könnte. Es gibt sie nach wie vor auch in Italien und Griechenland. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: In der -Regierung!) Wir werden sie bekämpfen. Aber wir können doch nicht deshalb von einer Unterstützung dieser Regierung, die offenbar die breite Zustimmung der Bevölkerung hat, absehen, nur weil es einige unästhetische Figuren gibt, die mit einbezogen werden mussten, um die Maidan-Bewegung zu integrieren. Davon können wir nicht absehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum Schluss. Wenn wir über die Vorschläge, die in der nächsten Woche von der russischen Regierung kommen werden, sprechen, dann muss eines klar sein: Das Ergebnis kann nur sein, dass die Russen letztendlich den europäischen Weg der Ukraine, ihre Integration bzw. Assoziierung, anerkennen müssen. Ohne das wird es nicht gehen. Die russische Regierung hat nun die Wahl zwischen einem neuen Kalten Krieg und einem geregelten, zivilisierten Nebeneinander im Europa des 21. Jahrhunderts. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Franz Thönnes für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Franz Thönnes (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal muss man Handelnde an ihre Worte erinnern, die sie vor kurzer Zeit ausgesprochen haben. Präsident Putin hat am 12. Dezember 2013 in seiner Jahresbotschaft an die Föderale Versammlung der Russischen Föderation unter anderem gesagt: Wir mischen uns nicht in fremde Interessen ein. Wir zwingen uns niemandem auf. Wir sagen niemandem, was er tun oder was er lassen soll. Aber wir werden bestrebt sein, eine Führungsrolle innezuhaben, indem wir das Völkerrecht schützen und uns für die Achtung der nationalen Souveränität, Selbstständigkeit und Eigenart der Völker einsetzen. Für einen Staat wie Russland ist es absolut objektiv und nachvollziehbar – bedenkt man seine große Geschichte und Kultur sowie seine jahrhundertelange Erfahrung –, nicht in sogenannter Toleranz, geschlechtslos und unfruchtbar, sondern in dem organischen Miteinander unterschiedlicher Völker in einem ungeteilten Staat zu leben. Wie die Situation um Syrien und nunmehr um den Iran zeigt, kann und muss jedes internationale Problem ausschließlich mit politischen Mitteln gelöst werden, ohne den Einsatz von Gewalt, die perspektivlos ist und in den meisten Ländern der Welt auf Ablehnung stößt. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie es mich bitte noch einmal unterstreichen: Russland ist bereit, mit allen Partnern im Interesse einer gemeinsamen, gleichen und unteilbaren Sicherheit zusammenzuarbeiten. Wir zwingen niemandem etwas auf. Ich denke, daran muss der Präsident heute erinnert werden, wenn ich sehe, dass auf der Krim Soldaten in Uniform ohne Nationalitätsabzeichen eingesetzt werden. Wir wissen, nachdem die OSZE ihren Bericht vorgelegt hat, dass es sich dabei – das haben wir schon vermutet – um russische Soldaten handelt. Damit werden die Worte des russischen Präsidenten von Dezember 2013 unglaubwürdig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist auch zu kritisieren, dass die Entwaffnung der illegalen Waffenträger in der Ukraine und insbesondere in Kiew gemäß dem Abkommen vom 21. Februar nicht umgesetzt worden ist. Wenn diese sogenannten maskierten Selbstverteidigungskräfte in Uniform ukrainische Kasernen umstellen, ukrainische Soldaten und Polizeikräfte bedrohen und von diesen erwarten, ihre Waffen abzugeben, dann wird der letzte Rest des in der Ukraine existierenden staatlichen Gewaltmonopols zunichtegemacht. Auch das führt die Worte von Präsident Putin ad absurdum. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vor diesem Hintergrund lautet die zentrale Botschaft: Herr Putin, tun Sie das, was Sie im Dezember gesagt haben! Ermöglichen Sie dem ukrainischen Volk ein organisches Miteinander unterschiedlicher Völker in einem ungeteilten Land! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Umsetzung dessen, was im Dezember gesagt wurde, muss nun eingefordert werden. Herr Putin, wenn Sie angeblich bereit sind, mit allen Partnern zu reden, dann fordere ich Sie auf: Stimmen Sie einer OSZE-Vermittlung zu! Stimmen Sie der Einrichtung einer Kontaktgruppe zu! Setzen Sie sich an einen Tisch, und sprechen Sie miteinander! Seien Sie bereit, sich auf Vermittlungslösungen einzulassen! Hören Sie auf, mit Gewalt zu drohen oder Gewalt gar anzuwenden! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In der gleichen Rede vom Dezember wird gesagt, man müsse Russland wirtschaftlich neu aufstellen und es modernisieren. Nun wird all das infrage gestellt, was eingeleitet werden soll; denn der Investitionsstandort Russland wird aufgrund der nun vorgesehenen Maßnahmen unattraktiv. Kapital wird zurückgehalten oder fließt ins Ausland. Der russische Präsident handelt hier gegen die Interessen seines eigenen Landes und widerspricht damit seinen eigenen Worten von Dezember 2013. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen gilt es, im Kern daran zu arbeiten und dafür zu sorgen – das war die Philosophie von Willy Brandt und Egon Bahr –, dass die Stärke des Rechts gilt und nicht das Recht des Stärkeren, dass das, was an Völkerrecht verabredet worden ist, auch eingehalten und das, was am 21. Februar aufgeschrieben worden ist, ebenfalls eingehalten wird. Das heißt für die Ukraine, möglichst bald durch Neuwahlen zu einer inklusiven -Regierung zu kommen, die den wirklichen Willen des Volkes widerspiegelt. Dann löst sich vielleicht das -Problem mit den Nationalisten und Faschisten ganz von alleine. (Widerspruch bei der LINKEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Von alleine löst sich das nie!) Es ist auch notwendig, dass die Rechte neutraler -Minderheiten geachtet werden. Minderheiten müssen das Recht erhalten, ihre Sprache zu sprechen. Militanter Antisemitismus und Rechtsextremismus dürfen in einer Ukraine, die ihren Blick nach Europa richtet, keinen Platz haben. (Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE]) Die tragischen Ereignisse vom Februar dieses Jahres mit rund 100 Toten und mit Hunderten von Verletzten sind aufzuarbeiten, und die Verantwortlichen sind zur Rechenschaft zu ziehen. Für Russland gilt, dass wir erwarten, dass die Integrität der Ukraine respektiert und das Völkerrecht und die bestehenden Abkommen geachtet werden. Die zusätzlichen Truppen auf der Krim sind abzuziehen. Es geht der Appell an die russische Regierung, im direkten Gespräch mit der aus dem Parlament heraus legitimierten Regierung in Kiew zusammenzukommen und zu verhandeln. Präsident und Regierung in Moskau sind nun aufgerufen, der Bildung einer Kontaktgruppe, einer Fact--Finding-Commission und einer OSZE-Beobachtergruppe zuzustimmen. Auch angesichts der angespannten Lage, die wir zurzeit haben, gilt der Rat von Willy Brandt: „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“ (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christoph Bergner, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frau Bundeskanzlerin hat uns in ihrer Regierungserklärung aufgefordert, die Herausforderung dieser schwierigen, krisenhaften Situation entschlossen anzunehmen. Aus meiner Sicht müssen wir die Entschlossenheit auf drei Feldern zeigen. Zum einen besteht die Notwendigkeit, zu einer entschlossenen Reaktion gegenüber der russischen Regierung bereit zu sein, um ihrer völkerrechtswidrigen Einverleibung der Krim in die Russische Föderation entgegenzutreten. Die gleiche Entschlossenheit wünsche ich mir zum anderen aber auch bei der selbstkritischen Analyse der bisherigen EU-Politik der Östlichen Partnerschaft und schließlich, drittens, bei der Frage – das ist sicher besonders wichtig –: Was können wir tun, um der Ukraine, das heißt dem Land und den Menschen, dabei zu helfen, zu Stabilität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu finden? Wenn wir uns dieser letzten Frage zuwenden, so sollten wir die kritische Lage der Ukraine nicht unterschätzen. Medizinisch gesprochen befindet sich das Land -momentan in der Gefahr, ins Koma zu fallen. Gleichzeitig soll eine so ernste Diagnose nicht ausgesprochen werden, ohne auf die Potenziale des Landes hinzuweisen: Die Ukraine ist reich an Kulturen, Sprachen und Landschaften, sie besitzt fruchtbare Böden. Bergbau, Schwerindustrie und Maschinenbau haben in der Ukraine eine lange Tradition, und – das ist wohl das Wichtigste – das Land hat begabte und weltoffene Menschen, die das Glück haben, aus verschiedenen Kulturen gleichzeitig zu schöpfen. Damit will ich zum Ausdruck bringen, dass dieses Land eine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche -Entwicklung hat. Aber zu dieser Feststellung gehört wiederum die Analyse, weshalb das Wirtschaftswachstum dieses Landes im Unterschied zu den meisten anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion unter seiner Produktivität zu Sowjetzeiten liegt. Die Ursachen dafür sind vielfältiger Natur. Die größten Probleme in der Ukraine haben die Menschen zum Protest auf den Maidan gebracht. Es waren Korruption, Selbstbedienungsmentalität der Politiker, Schattenwirtschaft, Oligarchie, und das – meine Damen und Herren, das sollten wir aussprechen – nicht nur in den Zeiten Janukowitschs. Leider hat auch die Orangene Revolution, die gerade in Europa groß gefeiert wurde, nicht die vom Volk erwünschten Erfolge und Fortschritte gebracht. Das begründet Skepsis gegenüber manchen der Protagonisten von damals. Aber diese berechtigte Skepsis darf uns nicht davon abhalten, in der Regierung Jazenjuk gegenwärtig den legitimen Vertreter des Landes zu sehen. Niemand sonst verfügt momentan über eine vergleichbare Legitimität. Meine Damen und Herren, als jemand, der sich über acht Jahre mit europäischer Minderheitenpolitik beschäftigt hat, möchte ich nun eine Sorge noch einmal -besonders aussprechen und vertiefen – das ist eine Sorge, die die Zukunft der Ukraine, aber auch andere Regionen in der ehemaligen Sowjetunion betrifft –: Wir müssen uns in der Debatte über die Krise in der Ukraine kategorisch gegen jeden Versuch der Ethnisierung des Konfliktes wenden. Es ist eine große Gefahr, dass dieser -Konflikt in einen Konflikt zwischen Nationen und -Ethnokulturen umgedeutet wird. Die größte Gefahr dieser Umdeutung geht von einer Propaganda Russlands aus, die die russische Bevölkerung der Ukraine, genauer gesagt: die ukrainischen Russen auf der Krim, über ihre Volkszugehörigkeit für hegemoniale Ziele instrumentalisieren möchte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, Kampf gegen Ethnisierung des Konfliktes bedeutet aber auch, dass wir an die Regierung Jazenjuk appellieren, sich von nationalistischen Radikalen, teilweise auch in den eigenen Reihen, zu distanzieren. Denn es ist kein Konflikt zwischen -Nationalitäten, den wir erleben. Die Ukraine hat trotz schwieriger wirtschaftlicher Situationen – ich habe es über Jahre beobachtet – eine gute Minderheitenpolitik betrieben. Es gibt keine nachweisbare Diskriminierung ethnischer Russen auf der Krim, die Hilferufe nach militärischem Schutz durch den großen Nachbarn rechtfertigen würde. Der Konflikt ist kein Konflikt zwischen -Ethnien. Es ist ein Konflikt zwischen denen, die auf -europäische Werte setzen, und denen, die sich vom Kreml Schutz versprechen. Es ist höchst bedauerlich, dass dieser Konflikt sich so zugespitzt hat. Deshalb lassen Sie uns bitte nicht auf den Leim der russischen Propaganda gehen. Das bedeutet auch: Sim-plifizieren wir den Konflikt nicht dahin gehend, dass wir in der einen Region von einer prorussischen Haltung und in der anderen Region von einer prowestlichen Haltung ausgehen und diese unterstellen. Spaltungsszenarien dürften weiteres Öl in das Feuer der Ethnisierung -gießen. Noch ein Wort zu dem Sezessionsreferendum. Sezessionsreferenden waren nach dem Ersten Weltkrieg eine Methode des Völkerbundes, die neue Grenzziehungen, aber auch neue Minderheiten schufen, die Nachfolgekonflikte und ethnische Säuberungen zum Resultat -hatten. Der Europarat hat mit gutem Grund – sowohl Russland wie die Ukraine sind Unterzeichner des entsprechenden Rahmenübereinkommens – die Sicherung nationaler Minderheitenrechte als eine innenpolitische Aufgabe der Nationen angesehen und nicht als eine Aufgabe, die durch Grenzkorrekturen erfüllt werden sollte. Dies ist ein ausgesprochen wichtiger Punkt, auf den hier hingewiesen werden muss. Wir sollten, wenn wir der Ukraine helfen wollen, der Regierung Jazenjuk die Bereitschaft zur Partnerschaft immer wieder deutlich machen. Aber wir sollten dabei die bisherige Anwendung der Instrumente der Östlichen Partnerschaft der EU selbstkritisch überprüfen. Dazu -gehört die Aufarbeitung der Zuspitzung vor der Ratssitzung in Vilnius. Aber dazu gehört auch die Frage, ob die EU mit dem Assoziierungsabkommen überhaupt die -Erwartungen der leidgeprüften Ukrainer hätte erfüllen können. In der Neigung, komplexe Verhältnisse und mehrschichtige Sachverhalte zu vereinfachen, wurde das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen in der öffentlichen Meinung der Ukraine oft genug als goldener Weg zur Mitgliedschaft im europäischen Klub dargestellt, was es so natürlich nicht ist. Das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen im Rahmen der Östlichen Partnerschaft sollte zwar weitreichende Beteiligungsmöglichkeiten eröffnen, aber keine definitive Beitrittsper-spektive. Auch da müssen wir uns nicht wundern, dass falsche Erwartungen zu eigentlich vermeidbaren Konflikten geführt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Umgekehrt ist zu fragen, ob denn durchaus problematische Spezifika – ich denke beispielsweise an das Phänomen der Oligarchenwirtschaft, das eine Bürde nicht nur für die wirtschaftliche, sondern auch für die zivil-gesellschaftliche Entwicklung ist – in den Instrumenten unserer Partnerschaftspolitik hinreichend berücksichtigt wurden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bei meinem Überdenken der Partnerschaftspolitik mit folgendem Punkt schließen: Die Bemühungen der russischen Regierung um Einverleibung der Krim verfolgen zweifellos ein völkerrechtswidriges Ziel, das wir konsequent zurückweisen müssen. Diese Feststellung und die konsequente Ablehnung des Vorgehens Russlands entheben uns nicht der Frage, wie die EU bei ihrer östlichen Nachbarschaftspolitik mit Inkompatibilitäten mit den Plänen der russischen Regierung umgehen wird. Frau Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen, dass die europäische Einigung der Versuch war, Lehren aus den Katastrophen der Geschichte zu ziehen. Im Jahre 2012 erhielt die Europäische Union den Friedensnobelpreis. Sie erhielt diese Auszeichnung in Würdigung ihrer friedensstiftenden Wirkung bei der Überwindung der Folgen zweier Weltkriege, die unseren Kontinent in Katastrophen stürzten. Wenn die Europäische Union auch einen Beitrag zur Überwindung der Folgen des Kalten Krieges leisten will, dann muss es -gelingen, den Dialog mit Russland fruchtbarer zu gestalten, als es in der jüngeren Zeit der Fall war. Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass die Bundesregierung neben der notwendigen klaren, unzweideutigen Reaktion auf russisches Fehlverhalten die ständige Bereitschaft zu Gespräch und Dialog mit Russland wachhält. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner in dieser Debatte ist der -Kollege Nobert Spinrath, SPD, dem ich damit das Wort erteile. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Norbert Spinrath (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Russland und die EU müssen ab sofort an einem Strang ziehen: zur Verhinderung eines Bürgerkriegs in der Ukraine – im Interesse der demokratischen Kräfte, im Interesse der Menschen in der Ukraine. Das war der Schlussappell meiner letzten Rede zum Thema Ukraine am 20. Februar, am blutigen Donnerstag in Kiew. Die Außenminister des Weimarer Dreiecks aus Frankreich, Polen und Deutschland haben es durch harte Verhandlungen einen Tag später geschafft, das Blutvergießen in Kiew zu beenden. Ihnen ist berechtigterweise dafür heute viel Anerkennung ausgesprochen worden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das von ihnen vermittelte Abkommen vom 21. Februar hingegen wurde in der Ukraine nicht so in die Tat umgesetzt wie vereinbart. Schon am nächsten Tag überschlugen sich durch eine Lawine von Entscheidungen des Parlaments der Ukraine die Ereignisse. An jenem Wochenende war nicht abzusehen, was sich daraus entwickeln würde, und nur drei Wochen später scheint sich dort die Welt vollkommen verändert zu haben. Alle Di-plomatie der letzten Wochen konnte nicht bewirken, die Eskalation der Situation insbesondere auf der Krim zu verhindern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor dem düsteren Hintergrund zweier Weltkriege wurde die Europäische Union geschaffen. Deren wesentliches Fundament und auch deren wesentliches Erfolgsergebnis ist der unerschütterliche Wille der beteiligten Mitgliedstaaten, Konflikte ohne militärische Gewalt zu lösen. Nie wieder soll Krieg in Europa herrschen – diesen Satz haben wir auch in diesem Hause häufig gehört. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU]) Und dies gelingt – in der EU durch Beachtung der nationalen Eigenheiten und der nationalstaatlichen Souveränität, durch engmaschige Verknüpfungen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, durch den Willen zur Angleichung der Lebensstandards, durch das Schaffen selbstgewählter Abhängigkeiten und durch das Monitoring der gemeinsamen Politik. Der Europäischen Union wird nun von interessierter Seite vorgeworfen, dass sie die Lage in der Ukraine falsch eingeschätzt habe, dass sie mit ihrem Drängen auf ein einseitiges Assoziierungsabkommen zur Entwicklung der Situation beigetragen und im Vorgarten Russlands gegrast habe. Jedoch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Welt hat sich in den letzten 25 Jahren, nach dem Zerreißen des Eisernen Vorhangs und dem Ende des Kalten Krieges, verändert. Auch die Europäische Union hat sich entwickelt. Sie hat es verstanden, dem Frieden einen eigenständigen Wert zu geben. Sie hat es verstanden, über einen gemeinsamen Binnenmarkt, durch Freizügigkeit, durch gemeinsame Regelwerke, durch einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und durch Regulierungen ein Geflecht von gemeinsamen Interessen zu knüpfen. Dieses Geflecht macht es nahezu unmöglich, mit den früher üblichen kriegerischen Mitteln Tatsachen zu schaffen. Russland dagegen ist nach Ende des Kalten Krieges noch auf der Suche; es muss seine neue Rolle im Weltgefüge noch definieren und sieht nun sein Projekt der Eurasischen Union durch die Hinwendung der Ukraine zu einer Assoziierung mit der Europäischen Union in Gefahr. Jedoch sage ich mit allem Nachdruck: Wenn sich die Welt verändert hat, dann darf man nicht einfach zu altem Blockdenken zurückkehren. Vielmehr muss man zum Wohle aller Beteiligten bei gemeinsamen Interessen, aber auch zum Wohle der unterschiedlichen nationalen Interessen zusammenarbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vor dem Hintergrund dieses Gebots ist es nicht hinnehmbar, dass Russland mit falschen Behauptungen Schutzinteressen für einen Teil der Krim-Bevölkerung vorgibt. Es ist nicht hinnehmbar, dass Russland die Krim faktisch besetzt hat. Es ist nicht hinnehmbar, dass Russland als Folge des für Sonntag geplanten Referendums die Annexion der Krim plant. Und es ist nicht hinnehmbar, dass Russland trotz aller Warnungen aus dem Rest der Welt dieses Szenario unverändert umsetzt. Europa hat die erste Stufe von Sanktionen in Kraft gesetzt. Weitere werden folgen, wenn Russland nicht auf Absetzung des Referendums hinwirkt. Europa hat diese Konfrontation nicht gewollt. Aber Verletzungen des Völkerrechts sind nie hinnehmbar, gleich, auf welcher Seite sie geschehen. Deshalb müssen wir ihnen Einhalt gebieten, aber ausschließlich mit den Mitteln, die seit fast 70 Jahren Garant für den Frieden in Europa sind, nämlich mit den Mitteln der Demokratie. Es stimmt, was Frau Merkel heute Morgen sagte: Militärisches Vorgehen darf keine Option sein. Russland muss seine eigene Isolation verhindern, muss auf die Gesprächsebene zurückkehren, muss sich einer realpolitischen Diskussion stellen und auf das Angebot der EU zur Zusammenarbeit eingehen. Ziel muss es sein, eine politische Kultur der Kompromisse zu entwickeln, die dann auch in der Ukraine die Grundlage für einen Dialog schafft, der es ermöglicht, das Abkommen vom 21. Februar umzusetzen, das unter anderem rasche Neuwahlen vorsieht, damit es zu einer Übergangsregierung der nationalen Einheit kommen kann. Lieber, werter Kollege Gysi, ich will Ihnen in Bezug auf die Vertreter der Swoboda-Partei durchaus recht geben; sie haben auch nach meinem Empfinden in der Regierung nichts zu suchen. Aber auch deshalb will ich schnelle Parlamentsneuwahlen in der Ukraine: damit die Menschen, die den Protest auf dem Maidan so vorbildlich friedlich begonnen haben, die Chance der Korrektur nutzen können. Ich frage Sie und Ihre Fraktion dann aber auch, wie man mit dieser Situation die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland rechtfertigen kann. Ihre oft kruden Diskussionen der letzten Wochen, Ihre Reminiszenzen an altes Blockdenken und Ihre Nibelungentreue zu alten Freunden machen es mir und vielen in diesem Haus oftmals hinreichend schwer, Sie ernst zu nehmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist nicht wahr! Wir haben uns davon ausdrücklich distanziert!) In den Dialog in der Ukraine müssen alle Bevölkerungsgruppen einbezogen werden, auch die russischstämmigen. Es bedarf dringend der Bildung einer internationalen Kontaktgruppe. Dabei kann und muss Deutschland eine wichtige Rolle als aktiver Vermittler spielen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Spinrath, Sie denken an die Redezeit? Norbert Spinrath (SPD): Gerne. Ich komme zum Ende. – Ich sage aber auch: Es bedarf des sofortigen Handelns durch Russland, nämlich zu bewirken, dass das Referendum auf der Krim abgesagt wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Dank für Ihre Aufmerksamkeit formuliere ich vier Tage vor diesem Referendum: Wenn es gelingt, eine Zusammenarbeit aller Beteiligten nicht gegen, sondern mit Russland zu organisieren, dann kann es auch gelingen, den wichtigsten Grundwert der modernen Demokratie im 21. Jahrhundert zu bewirken und dauerhaft zu sichern – den Frieden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Energiewende europäisch verankern Drucksache 18/777 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Als ersten Redner rufe ich den Kollegen Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen, auf. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer in den vergangenen Wochen und Monaten aufmerksam die Zeitung verfolgt hat, konnte lesen, dass über Großbritannien und Irland über Wochen und Monate immer wieder schwere und schwerste Stürme niedergegangen sind, dass in vielen Regionen seit Monaten Häuser und ganze Ortschaften unter Wasser stehen und dass nach dem fünften schweren Orkan an der Westküste Irlands inzwischen diskutiert wird, welche Ortschaften aufgegeben werden müssen und welche gegen das sich ändernde Wetter und Klima gehalten werden können. Das ist nicht etwas, das in ferner Zukunft passiert, sondern etwas, das gerade jetzt passiert. Wenn wir uns am wunderschönen Frühlingswetter der letzten Wochen erfreuen, sollten wir bedenken – wir hatten am 9. März 2014 einen neuen Temperaturrekord von fast 24 Grad in Nordrhein-Westfalen zu verzeichnen –: Eigentlich ist noch Winter. Temperaturen von 24 Grad im Winter sind mehr als ungewöhnlich. Jetzt mögen Skeptiker argumentieren: Einzelne Wetterereignisse stellen noch keine Klimaveränderung dar. Wenn wir uns aber die Häufung dieser Wetterereignisse – schwerste Orkane und Wirbelstürme in Südostasien, schwerste Überschwemmungen in Großbritannien, Extremstwinter in Nordamerika, extrem warme Sommer bei uns – anschauen, dann erkennen wir, dass diese Ereignisse vollkommen in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der Klimawissenschaft stehen. Diese besagen nämlich, dass die Klimakatastrophe längst begonnen hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist eine ganz entscheidende Aufgabe für uns, die Klimakatastrophe – verhindern können wir sie eh nicht mehr – so zu bremsen, dass die Lebenschancen auf unserem Planeten für künftige Generationen erhalten bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dieses Jahr ist ein ganz entscheidendes Jahr. 2015 findet in Paris die internationale Klimakonferenz statt, und 2014 legt die Europäische Union ihre Klimaschutzziele bis zum Jahr 2030 fest. Es muss uns bewusst sein: Die Klimakonferenz 2015 in Paris wird nur ein Erfolg, wenn Europa ehrgeizige Ziele vorgibt. Nur so haben wir die Chance, die Klimakatastrophe bzw. den Klimawandel zu bremsen, sodass er unsere Ökosysteme und damit unsere Lebensgrundlage nicht überfordert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Was sind die zentralen Bausteine, damit uns das gelingt? Zum einen müssen wir dafür sorgen, dass der CO2-Zertifikatehandel, der sogenannte Emissionshandel, wieder funktioniert. Es kann nicht sein, dass eine Tonne des Klimakillers CO2 nur ein bisschen mehr kostet als eine Schachtel Zigaretten; was zur Folge hat, dass die schmutzige Braunkohle am Markt boomt. Den Emissionshandel müssen wir reparieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Was ist des Weiteren notwendig? Des Weiteren ist notwendig, dass wir starke CO2-Minderungsziele bis 2030 beschließen. Die Bundesrepublik Deutschland darf ihre armseligen nationalen Ziele nicht auf die EU übertragen. Vielmehr brauchen wir ehrgeizige Ziele, Ziele, mit denen wir das sogenannte 2-Grad-Ziel erreichen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist ferner notwendig, dass wir den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen; denn sie sind ein Schlüssel dafür, den CO2-Ausstoß zu senken und uns von Importen fossiler Energien unabhängig zu machen. Es ist dringend notwendig, dass wir die Energieeffizienz verstärken; denn die billigste Kilowattstunde Strom ist die Kilowattstunde, die ich gar nicht benötige. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Die Bundesregierung allerdings ist in den letzten -Wochen und Monaten – man muss leider sagen: in den letzten Jahren – auf EU-Ebene nur durch armselige Lobbypolitik für Ausnahmen innerhalb des EEG aufgefallen. Diese Ausnahmen sind inzwischen so zahlreich, dass sie bald die Regel darstellen. Das ist nicht nur klimaschädlich, sondern das führt auch zu einer Wettbewerbsverzerrung; denn man muss sich fragen: Wer bezahlt für diese Ausnahmen? Das sind jene Unternehmen, die den kompletten Preis zahlen müssen, sowie die Verbraucher. Das ist skandalös. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Koalition behandelt die Energiewende so, als wäre sie nicht in der Lage, ihre Chancen zu erkennen. In der Energiewende liegen große Chancen, aber Sie beharren auf alten Strukturen. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wo liegen die denn?) Ökologie und Ökonomie sind eben kein Widerspruch, wenn ich kluge Politik gestalte. Mit grünen Ideen lassen sich schwarze Zahlen schreiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wo denn? Die sind doch alle pleite!) Die Energiewende kann eine große Chance für die europäische Wirtschaft sein. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Prokon ist das beste Beispiel! – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Ja, genau, eure Firma Prokon! Da seid ihr alle dran beteiligt!) Nehmen wir als Beispiel die Stahlindustrie. Die europäische Stahlindustrie leidet unter massiven Überkapazitäten. Aber diese bekommen Sie dadurch, dass Sie versuchen, den Industriestrom noch etwas günstiger zu machen, nicht in den Griff. (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Sollen wir schließen? – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Machen wir in Deutschland zu!) Überkapazitäten bekommen Sie nur durch eine entsprechende Nachfrage bzw. Investitionen in den Griff. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Deswegen sind die alle pleite!) Wenn Sie eine moderne Windkraftanlage bauen – vielleicht wissen Sie nicht, dass das inzwischen ein großes Industrieprodukt ist –, dann benötigen Sie dafür so viel Stahl wie für 500 Automobile. Man sieht: Investitionen in erneuerbare Energien sind eine Chance für die europäische Stahlindustrie. Deswegen darf der Ausbau nicht gebremst werden. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Alles subventionieren! Klar!) Wenn man es richtig macht, dann passen alte Industrien und neue Energien wunderbar zusammen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: 24 Milliarden Euro Subventionen pro Jahr!) Die Menschen in Deutschland erkennen auch, welche Chancen in einer innovativen Energiepolitik liegen. Deshalb fordern über 80 Prozent von der Bundesregierung, ehrgeizigere Ziele zu setzen; (Max Straubinger [CDU/CSU]: Noch mehr Subventionen!) denn sie wissen, wie wichtig das für die Zukunft ihrer Kinder und für ihre Jobs ist. Es gibt einen weiteren Grund, einen Grund, den ich schon angesprochen habe: Europa importiert für circa 500 Milliarden Euro fossile Energieträger. Allein Deutschland importiert für 33 Milliarden Euro fossile Energieträger aus Russland, Erdgas und Erdöl. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Müssen Sie woanders herkriegen!) Wind und Sonne schicken uns keine Rechnung. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: 24 Milliarden Euro!) Das System Putin schickt uns durchaus eine Rechnung. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist keine Rechnung!) Setzen Sie deshalb auf die Beschleunigung der Energiewende! Setzen Sie auf den Ausbau der erneuerbaren Energien! Dann wird das Geld hier investiert, dann wird lokal investiert. Das ist eine Chance für unser Handwerk, und das macht uns entsprechend unabhängig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Abschluss: Man muss sich vielleicht einmal klarmachen, welche Verantwortung wir hier haben. Ganz Europa und die ganze Welt schauen darauf, ob in Deutschland die Energiewende gelingt. Die ganze Welt schaut darauf, ob sie in Deutschland und in Europa gelingt. Wenn die Energiewende in Deutschland und in Europa, diesem reichen Kontinent, gelingt und die Klimaschutzziele eingehalten werden, dann kann sie weltweit gelingen. Es muss auch weltweit gelingen. Wenn wir nämlich unsere Lebensgrundlagen zerstören, dann hinterlassen wir unseren Kindern und Kindeskindern einen zerstörten Planeten. Das darf nicht unsere Politik sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich gestehe gern zu, dass das kein leichtes Projekt ist. Deutschland und Europa stehen vor großen Herausforderungen. Aber es lohnt sich, diese Herausforderungen anzupacken, für den Klimaschutz, für eine lebenswerte Welt und für unsere und die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE] – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man den Antrag in die Hand bekommt und den Titel „Energiewende europäisch verankern“ liest, dann hört sich das zunächst gut an. Wenn man dann aber den Antrag liest, stellt sich leider heraus, dass der Inhalt eigentlich im genauen Gegensatz zum Titel steht. Die konkreten Vorschläge, die Sie dort machen, sind nämlich keine europäisch verankerte Energie- und Klimapolitik. Sie setzen auf nationale Kleinstaaterei, staatlichen Zwang und planwirtschaftliche Instrumente, die immer nur zu weiteren Belastungen führen, aber sicher nicht im europäischen Sinne sind, statt auf die Harmonisierung von wettbewerblich organisierten und effizienzsteigernden Fördersystemen. Auch auf EU-Ebene wollen Sie ideologiebetriebene Verbots- und Gebotspolitik umsetzen. Sie sprechen sich in Ihrem Antrag beispielsweise gegen die Überlegung der EU-Kommission aus, nur ein Klimaschutzziel festzulegen und dieses entsprechend zu untermauern. Wenn die Lage so ist, wie gerade von Herrn Hofreiter beschrieben, dass nämlich der Weltuntergang in Irland und anderen Ländern der Europäischen Union unmittelbar bevorsteht, dann müsste es doch richtig sein, genau an diesem Ziel anzusetzen und ein europäisches Emissionsreduktionsziel festzulegen, das technologieoffen im Wettbewerb Reduktionen ermöglicht. Genau das aber wollen Sie nicht. Sie wollen, dass in Europa mehrere Ziele nebeneinander bestehen und zum gleichen Ergebnis wie in Deutschland führen, wo sich zahlreiche Ziele gegenseitig konterkarieren. Ein Beispiel dafür ist KWK. Mit großer Mehrheit haben wir hier im Haus 2008 ein KWK-Ziel von 25 Prozent beschlossen. Wir sind weit davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen, weil es durch andere Ziele, beispielsweise das EEG, konterkariert wird. Im Ergebnis führt das dazu, dass heute Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen nicht nur nicht neu gebaut werden, sondern bestehende, sowohl im industriellen Bereich als auch bei Stadtwerken, nicht rentabel sind. – Da bemüht sich jemand schon seit längerem um eine Wortmeldung. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Pfeiffer, sind Sie mit einer Zwischenfrage der Kollegin Baerbock einverstanden? Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Selbstverständlich, gerne. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Pfeiffer, vielen Dank für die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. – Sie haben gerade angeführt, dass Sie es komisch finden, dass wir uns für drei Ziele auf europäischer Ebene einsetzen. Es verwundert mich sehr, dass unser Antrag diesbezüglich bei Ihnen auf Verwunderung stößt. Schließlich hat sich die deutsche Bundeskanzlerin dafür eingesetzt, dass wir bezogen auf das Jahr 2020 eine Zieltrias formulieren, die auch hinsichtlich der Ausbauziele im Bereich der erneuerbaren Energien und hinsichtlich der Ziele in Bezug auf die Energieeffizienz verbindlich ist. Halten Sie die damalige Position Ihrer Bundeskanzlerin für falsch? Wie kann man Ihrer Meinung nach ein ambitioniertes CO2-Ziel umsetzen, wenn man nicht zeitgleich in Energieeffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energien investiert? Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): In der Tat ist es richtig, dass man 2007, glaube ich, die drei 20-Prozent-Ziele festgelegt hat: Reduktion der Emissionen auf europäischer Ebene um 20 Prozent als einseitige Vorleistung, Steigerung der Energieeffizienz um 20 Prozent bis 2020 und ein Anteil der erneuerbaren Energien von 20 Prozent bis 2020. In der Zwischenzeit hat man aber hinzugelernt. Auch die EU-Kommission versucht, hinsichtlich dieser Frage hinzuzulernen. Ich habe das gerade am Beispiel der KWK in Deutschland erläutert: Wir waren der Überzeugung, dass es richtig ist, mehrere verbindliche Ziele festzulegen, stellen jetzt aber bei der Umsetzung fest, dass das so nicht funktioniert, dass sich die Ziele zum Teil gegenseitig konterkarieren. Deshalb ist die Frage: Was ist richtig, wenn wir weiter in die Zukunft denken? Wir haben Ziele festgelegt, die bis 2020 erreicht werden sollen. Damit haben wir die Grundlage gelegt. Wenn es jetzt um die Frage geht, was wir 2030, 2040 und 2050 machen, dann müssen wir auch die Frage stellen – dieser Diskussionsprozess findet gerade in Europa statt –, was sinnvoll ist. Das entscheidende Thema ist der Klimaschutz – darauf komme ich nachher noch einmal zu sprechen –, der nicht nur auf europäischer Ebene realisiert werden muss. Es nützt uns und dem Weltklima nämlich gar nichts, wenn nur wir in Europa Klimaschutz betreiben. Der Klimaschutz muss weltweit betrieben werden. Ein zentrales Element dafür ist der Emissionshandel, der in den betroffenen Sektoren die Zielerreichung entsprechend einem klaren und verbindlichen Reduktionspfad gewährleistet. Das ist der richtige Weg. Selbstverständlich kann man flankierend integrative Ziele vereinbaren – das wird ja auch vorgeschlagen –, zum Beispiel hinsichtlich der Energieeffizienz oder in anderen Bereichen. – Vielen Dank für die Gelegenheit, dies an dieser Stelle etwas zu vertiefen. Jetzt komme ich auf die Emissionen zu sprechen, die Sie auch angesprochen haben. Sie wollen die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent reduzieren. Wie sieht die Realität aus? Die EU hat sich verpflichtet, die CO2-Emissionen bis 2020 um 20 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Sie hat in Aussicht gestellt, die Quote auf 30 Prozent zu erhöhen, wenn es gelingt, ein Kioto-Nachfolgeregime zu vereinbaren. Leider sind wir im Moment von der Festlegung auf ein solches Nachfolgeregime weit entfernt. Ich bin sehr skeptisch, dass es gelingt, im nächsten Jahr in Paris diesbezüglich entscheidend weiterzukommen. Bis 2020 wollen wir die CO2-Emissionen gegenüber 1990 um 20 Prozent reduzieren. In diesen Zeitraum von 30 Jahren fallen die Deindustrialisierung, die quasi stattgefunden hat, und der völlige Neuaufbau der Konver-sionsländer Osteuropas. Das betrifft auch die fünf neuen Bundesländer. In der Quote von 1990 sind auch die damaligen Emissionen in den fünf neuen Bundesländern enthalten, die bereits – das war einmalig – reduziert wurden. Wir sagen: Zwischen 2020 und 2030 wollen wir quasi das Gleiche erreichen, nämlich noch einmal eine Reduktion um 20 Prozent. Ich glaube, das ist mehr als ambitioniert. Sie sagen jetzt, dass Sie eine Reduktion um 55 Prozent bis 2030 erreichen wollen. Ich halte das, ehrlich gesagt, für weltfremd und nicht erreichbar. In Deutschland haben wir die Emissionen bereits um weit über 20 Prozent reduziert. Der Anteil der Emissionen in Deutschland lag 1990 im weltweiten Vergleich bei 4,7 Prozent. Heute beträgt er 2,4 Prozent. Die EU insgesamt hat ihre Emissionen um über 16 Prozent reduziert. Der Anteil der EU am globalen CO2-Ausstoß liegt heute bei gerade einmal 10 Prozent. Das ist die Hälfte der Quote von 1990. Damals lag sie bei 20 Prozent. Das heißt, selbst wenn wir in Europa um 100 Prozent reduzieren – das betrifft alle industriellen Prozesse; da kommt man auch an physikalische Grenzen –, dann würden wir dem Weltklima damit im Ergebnis kaum helfen. Wer etwas anderes suggeriert, der erzählt bewusst etwas Falsches. China hat seit 1990 seine Emissionen vervierfacht, Indien hat seine Emissionen vervierfacht und auch in den ASEAN-Ländern steigen die Emissionen. Insofern nutzt es uns in Europa nichts, Zahlenfetischismus zu betreiben. Vielmehr müssen wir den Rest der Welt davon überzeugen, mitzumachen. Wie machen die anderen Länder mit? Am besten, indem wir hocheffiziente Kraftwerkstechnologien dorthin liefern, sodass in diesen Ländern die Energieeffizienz steigt und der CO2-Ausstoß reduziert wird. Es nutzt nichts, wenn wir die weltweit Klimaschonendsten und Energieeffizientesten sind. – Da möchte schon wieder jemand meine Redezeit verlängern. Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Janecek würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Ich vermute aufgrund seines Hinweises, dass Kollege Pfeiffer diese Zwischenfrage zulässt. (Zuruf von der CDU/CSU: Sein Fanklub steht!) Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist ja schön, dass Sie, Herr Pfeiffer, sich so über den Dialog freuen. – Ich habe, weil Sie es direkt angesprochen haben, eine Frage zu China. Ich möchte Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen, dass China – heute kam die Meldung – mittlerweile mehr Strom aus Windkraft produziert als aus Atomenergie und dass China in diesem Jahr Photovoltaikanlagen mit einer Kapazität von insgesamt 14 Gigawatt installieren will. Das ist fast doppelt so viel wie in der gesamten EU. Daher kann man nicht sagen, dass wir in Deutschland diesen Weg nicht weiter beschreiten sollten, weil die Chinesen die Produktion von Treibhausgasen vorantreiben. Wo auf der Welt ist eigentlich momentan der Pfad gegeben? In China, in Europa und in den USA geht man auf diesem Pfad voran. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Gott sei Dank machen die Chinesen das. Die Chinesen setzen übrigens ohne Scheuklappen auf alle Technologien. Sie bauen die Kernkraft genauso wie die erneuerbaren Energien und Kohlekraft massiv aus; denn sie haben bei der Industrialisierung ihres Landes einen enormen Nachholbedarf. Sie hatten 1990 – ich weiß es nicht genau auswendig – Emissionen in einer Größenordnung von vielleicht 2 oder 3 Tonnen CO2 pro Person. Heute haben sich die Emissionen bereits mehr als verdoppelt. Das gleiche Problem gibt es in Indien. Deshalb ist es natürlich richtig, dass sie die erneuerbaren Energien ausbauen. Aber es gibt in der Welt noch viel mehr Möglichkeiten, wo wir Beiträge dazu leisten können, die Energieeffizienz voranzubringen. Tatsache ist, dass es trotz dieser massiven Investitionen in die erneuerbaren Energien und in die Energieeffizienz, was in China heute durchaus stattfindet – das erkenne ich ja auch an –, zu dieser Vervierfachung der Emissionen gekommen ist. Wenn Sie die Prognosen für die Wachstumsraten in China betrachten, dann sehen Sie, dass die Emissionen dort weiter steigen werden. Den Chinesen gelingt es in den nächsten 20 Jahren vielleicht, das zu erreichen, was wir von 1970 bis 1990 erreicht haben, nämlich das Wirtschaftswachstum vom Emissionswachstum bzw. das Wirtschaftswachstum vom Energieverbrauch zu entkoppeln. Wir haben unsere Energieeffizienz verdoppelt. Das heißt, wir produzieren die gleiche Einheit Bruttosozialprodukt nur noch mit der Hälfte an Energieeinsatz. Das war in China bis 2010 noch nicht der Fall. Dort ist der Energieverbrauch im Vergleich zum Wirtschaftswachstum überproportional gestiegen. Sie sind jetzt massiv dabei, dieses Problem anzugehen. Das ist richtig; denn sonst würden die Emissionen explosionsartig ansteigen. Faktenlage aber ist, dass die CO2-Emissionen weltweit leider nicht gestoppt wurden oder gar rückläufig sind, sondern weiter ansteigen. Es geht jetzt darum, sie zu bremsen. Um Ihnen hier noch eine Zahl zu nennen: In ganz Europa hatten wir im Rahmen des Kioto-Protokolls von 1990 bis 2012 – dieser Zeitraum ist jetzt leider vorbei – CO2-Emissionen in Höhe von rund 350 Millionen Tonnen eingespart. – Ich bin übrigens immer noch bei der Beantwortung der Frage; schließlich hatten Sie mich zu China gefragt. – 350 Millionen Tonnen CO2 sind durch das Kioto-Protokoll in Europa eingespart worden. Wissen Sie, wie viel das ist? Das entspricht genau dem halbjährlichen Zuwachs an Emissionen in China im Jahr 2006. Das heißt, die CO2-Emissionen, die wir in Europa durch das Kioto-Protokoll in 22 Jahren eingespart haben, hat man quasi in China in 2006 in einem halben Jahr dazubekommen. Das ist leider die Realität. Deshalb ist es notwendig, dass wir hier nicht nur einen europäischen Ansatz suchen, sondern einen weltweiten Ansatz. Sie fordern in Ihrem Antrag, dass das EEG mehr oder weniger so erhalten bleibt, wie es jetzt ist, und dass das Einspeiseregime so fortgeführt wird. Dass das nicht funktioniert, haben wir in Deutschland, glaube ich, mittlerweile begriffen. Die jährliche Belastung allein durch die EEG-Umlage beträgt inzwischen 24 Milliarden Euro. Um sich das noch einmal zu vergegenwärtigen: Nach den neuesten Zahlen summiert sich die Gesamtbelastung durch das EEG für die Zeit von 2014 bis 2030 – so die heutige Vorausschau; durch die langen Laufzeiten ist ja vieles schon festgelegt – auf rund 450 Milliarden Euro. Das ist das Eineinhalbfache des Bundeshaushalts. Wenn Sie angesichts dieser Zahlen ernsthaft der Meinung sind, dass wir das in ganz Europa so betreiben können, muss ich Ihnen sagen: Das wird nicht funktionieren. Wir haben gerade erfahren, dass bei dem Aland-Verfahren zwischen Schweden und Finnland der Generalanwalt beim EuGH leider die Meinung vertritt, dass es europarechtswidrig und binnenmarktrechtswidrig ist, wenn man eine Förderung der Erneuerbaren nur national betreibt. Wenn der EuGH so entscheiden sollte, dann würde das bedeuten, dass unser EEG quasi für ganz Europa zur Verfügung stünde. Was das wiederum bedeuten würde, ist, glaube ich, jedem klar: So kann es nicht weitergehen. Deshalb brauchen wir in Europa die Harmonisierung der Fördersysteme im Bereich der Erneuerbaren. Nicht 28 unterschiedliche Regime der Förderung erneuerbarer Energien und am besten noch 28 Kapazitätsmärkte darf es geben. Den Binnenmarkt müssen wir entsprechend stärken. Es gilt, einheitliche Preiszonen – die zentraleuropäische Preiszone ist hier Vorbild – sukzessive auszuweiten, sodass wir einen europäischen Strompreis haben. Dazu brauchen wir Interkonnektoren. Dazu brauchen wir einen europäischen Netzausbau und, wie gesagt, die Harmonisierung der Marktsysteme statt nationaler Kleinstaaterei. Es geht nicht an, zu sagen: „Wir müssen das EEG so erhalten, wie es bisher besteht“, weil es uns dann nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa um die Ohren fliegt. Leider machen Sie in Ihrem Antrag immer die Indus-trie, insbesondere die energieintensive Industrie, für den angeblichen Anstieg der Strompreise verantwortlich und führen das auf eine unsachgemäße Ausweitung des Fördertatbestands zurück; vorhin hat das der Kollege Hofreiter auch wieder so dargestellt. Was ist der Sachverhalt? Wir haben in der Tat die Zahl der durch das EEG Begünstigten 2012 ausgeweitet; das waren vor allem mittelständische Unternehmen. Begünstigt ist jetzt nicht nur eine dreistellige, sondern eine mittlere vierstellige Zahl von Unternehmen. Nur: Die Strommenge, die zusätzlich begünstigt ist, beträgt gerade einmal 10 Prozent. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!) Sie fordern, dass über die EU-Stromkompensationsrichtlinie entsprechend entlastet wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die, die es brauchen!) Was würde das bedeuten? Das würde bedeuten, dass beispielsweise die Bauindustrie oder die Zementindustrie in Deutschland nicht mehr entlastet würde. Was wäre die unmittelbare Folge? Das ist alles nachzulesen; das ist alles untersucht. Rund 60 Prozent der Zementproduktion in Deutschland wären sofort gefährdet, und dann würde aus dem Ausland nach Deutschland geliefert. Dem Klima würde das überhaupt nichts nützen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Wir exportieren doch Zement!) – Natürlich ist es so. Sie wollen die Entlastung abschaffen. Das Ergebnis wäre: Sie würden Hunderttausende von Arbeitsplätzen vernichten, und Sie würden die Wertschöpfungsketten durchtrennen. Wir in der Bundesregierung sind gerade in intensivsten Gesprächen mit der EU-Kommission, damit dies nicht passiert. Sie reden der Deindustrialisierung Deutschlands das Wort. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie betreiben sie!) Vielleicht ist das aber auch der wahre Hintergrund; denn nur dann, wenn Sie die Industrie so vernichten, wie Sie es vorschlagen, können Sie Ihre Reduktionsziele erreichen. In der Tat, wenn wir keine Aluminiumproduktion, keine Stahlproduktion, keine Chemie mehr in Deutschland und Europa haben, können wir diese Reduktions-ziele erreichen. Das ist aber nicht unser Weg. Wir wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien wirtschaftlich vernünftig gestalten, in einem wettbewerblichen Rahmen. Wir wollen den Industriestandort Deutschland und Europa erhalten, und das werden wir auch tun. Das ist das Gegenteil von dem, was Sie in Ihrem Antrag vorschlagen. Diese Bundesregierung wird dies in der nächsten Woche in und mit Brüssel hoffentlich auch erreichen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfeifen im Walde!) Sie bekämpfen mit Ihrem Antrag eher den Standort Deutschland, als dass Sie die europäische Energiepolitik voranbringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Linke erteile ich nun der Kollegin Eva Bulling-Schröter das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es steht viel auf dem Spiel, und wir haben nicht viel Zeit. Europäische Energiepolitik muss deshalb Klimaschutzpolitik sein. (Beifall des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Diese muss sich am 2-Grad-Ziel orientieren. Wenn ich mir aber die Vorschläge der EU-Kommission zum Rahmen der Klima- und Energiepolitik anschaue, muss ich sagen: Ich halte sie für eine Bankrotterklärung. Denn das Ziel einer Minderung um 40 Prozent bis 2030 bedeutet nichts anderes, als dass wir 2050 maximal bei minus 70 Prozent statt bei minus 80 bis 95 Prozent herauskommen. Wenn ich mir dann vorstelle, wie wir als EU-Verhandlungsdelegation nächstes Jahr in Paris dastehen – wir sind ja mit dabei –, kann ich nur sagen: Eigentlich können wir uns da gar nicht blicken lassen. Ich finde das, was hier passiert, ganz peinlich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Statt der nun vorgeschlagenen Reduzierung um 40 Prozent bräuchten wir als Ziel bis 2030 mindestens eine Reduzierung um 55 bis 60 Prozent der CO2-Emissionen gegenüber 1990. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sagen Sie das mal in Brüssel!) Auch der Vorschlag der Kommission im Hinblick auf ein Reförmchen des europäischen Emissionshandels ist absolut ungenügend. An den derzeit 2 Milliarden Überschüssen an Zertifikaten, die eigentlich sofort stillgelegt werden müssten, wird mit der sogenannten Marktstabilitätsreserve eben kaum gerüttelt; das funktioniert alles nicht, Herr Pfeiffer. Deshalb werden die CO2-Preise weiterhin im Keller bleiben; sie sind übrigens sogar niedriger als der Preis für eine Schachtel Zigaretten. Auf gut Deutsch heißt das, dass weitere 10 bis 15 Jahre aus dem Emissionshandel kein Klimaschutz erwachsen wird. Wir rechnen es einmal hoch: Bis 2030 gibt es dann immer noch einen Überschuss von 650 Millionen Zertifikaten. Das kann einfach nicht sein; das funktioniert nicht. Das ist eine weitere Bankrotterklärung. Da kann man nur noch baff sein. Schließlich sollte der Emissionshandel das wichtigste Klimaschutzinstrument sein. Ich sage Ihnen: Er hat absolut versagt. Die Dimension dieses Totalversagens ist bisher aber noch gar nicht so öffentlich. Wir müssen auch die Bevölkerung darüber aufklären, was hier wirklich passiert. (Beifall bei der LINKEN) Vor dem Hintergrund der deutschen Entwicklung bekommen diese EU-Bankrotterklärungen wirklich ein besonderes Geschmäckle. Denn Deutschland verabschiedet sich selbst von den Klimazielen; wir haben es ja gehört, Herr Pfeiffer. Die Bundesregierung tut eben nichts, um die dramatische Entwicklung der Kohleverstromung in Deutschland aufzuhalten. Mit hoffnungsvollen Augen hat man im Ausland auf die deutsche Energiewende geblickt. Sie war bislang ein Modell mit Vorbildfunktion; „Energiewende“ ist ein Wort, das auch im Ausland verwendet wird. Doch die Chance der Erneuerbaren, wegzukommen von monopolistischen Kohle- und Atomkonzernen, hin zu kommunalen Stadtwerken, zur Bürgerenergie, wird gerade verzockt. Ich sage Ihnen: Die massive Kohleverstromung ist nicht der Preis, zu dem wir die Erneuerbaren haben wollten. Das ist Konsens in der Bevölkerung; das wollen die Menschen nicht. Das ist auch nicht nur ein Wermutstropfen beim Ausbau der Erneuerbaren. Das ist eine völlig verfehlte Politik, eine Politik, die vor der Kohlelobby einknickt. Denn während Kohle so billig ist wie nie und die Klimaziele in weite Ferne rücken, sind klimafreundlichere Gaskraftwerke nicht konkurrenzfähig. Wer will ein solches Modell dann in Europa anpreisen? Die Energiewende soll ausgebremst werden, und dadurch soll die Kohleverstromung weiter gestärkt werden. Deshalb fordern wir ein nationales Kohleausstiegsgesetz. Wir wollen uns dabei unter anderem an Großbritannien orientieren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb machen Sie in Brandenburg schon mal neue Tagebaue!) Dort wird für jedes Kraftwerk ein festes CO2-Budget festgelegt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch in Brandenburg?) Somit werden also nicht direkt Kapazitäten begrenzt, sondern produzierte Strommengen. Das ist dringend notwendig. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen: Das würde im Übrigen auch einen erheblichen Teil des Netzausbaus einsparen. Die Proteste werden Ihnen noch große Sorgen machen. Denn die Menschen vor Ort wollen keine Stromleitungen für Kohlestrom, sondern höchstens solche für regenerative Energien. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb machen Sie mal ein paar neue Tagebaue in Brandenburg, ja?) Das ist auch gut so. Es muss diskutiert werden. (Beifall bei der LINKEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem Tagebau in Brandenburg?) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist für die SPD der Kollege Wolfgang Tiefensee. (Beifall bei der SPD) Wolfgang Tiefensee (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem uns vorliegenden Antrag widmen sich die Grünen einem wichtigen Aspekt der deutschen Energiewende, nämlich ihrer europäischen Einbindung. Wir wollen diese Einbindung. Wir wollen genauso wie Sie, Herr Hofreiter, dass der Kampf gegen den Klimawandel in Deutschland Erfolg hat. Wir wollen, dass er in Europa Erfolg hat; wir wollen auch, dass er international Erfolg hat. Mit Blick auf Ihren Antrag müssen wir uns aber zunächst fragen: Was sind eigentlich die Voraussetzungen für eine europäische Einbindung der deutschen Energiewende? Ich will drei Voraussetzungen nennen, die mir zentral scheinen: Erstens. Wir müssen uns vor Augen führen, dass die energiepolitischen Rahmenbedingungen in den Mitgliedsländern der EU unterschiedlich sind. Zweitens. Voraussetzung für eine europäische Verankerung der Energiewende ist ein kritischer Blick auf unsere eigene Energiepolitik, auf unsere Erfolge, die zweifellos vorhanden sind, aber auch auf unsere Irrtümer. Drittens. Nicht zuletzt brauchen wir für die europäische Energiepolitik eine Vorstellung von einem gemeinsamen Rahmen, der den unterschiedlichen Bedingungen in den verschiedenen europäischen Ländern Rechnung trägt und schrittweise ausgebaut wird. Auf diese Unterschiede – das ist meine Hauptkritik – gehen Sie in Ihrem Antrag viel zu wenig ein. Dies führt dann zu unterschiedlichen Einschätzungen, wie die Energiewende auf europäischer Ebene verankert werden kann. Das will ich im Einzelnen ausführen. Deutschland wird sich für eine Reduktion der Treibhausgasemissionen innerhalb der EU um mindestens 40 Prozent bis 2030 einsetzen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel zu wenig!) als Teil einer Zieltrias aus Reduktion der Treibhausgasemissionen, Ausbau der erneuerbaren Energien und Steigerung der Energieeffizienz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Pfeiffer hat eben etwas anderes gesagt!) Die Bundesrepublik macht sich stark für ein verbindliches Ziel für den Ausbau der erneuerbaren Energien – das Ziel sind 30 Prozent –; das ist Bestandteil unseres Koalitionsvertrages, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal etwas zu Herrn Pfeiffer! Er hat eben etwas anderes gesagt!) und das sagt auch die Bundesregierung bzw. der Minister an jeder Stelle. Meine Damen und Herren, wenn wir von Europa reden, dürfen wir nicht nur die Europäische Kommission im Blick haben. Der Ansatz, den ich geschildert habe, deckt sich mit dem des Europäischen Parlaments. Das Europäische Parlament hat im Februar dieses Jahres mit drei verbindlichen Zielen der EU für das Jahr 2030 Akzente gesetzt, nämlich Reduktion der CO2-Emissionen um mindestens 40 Prozent, Ausbau der erneuerbaren Energien auf 30 Prozent und eine Senkung des Energieverbrauchs um 40 Prozent. Die Ziele im Antrag der Grünen sind zum Teil ambitionierter; ansonsten sind wir hinsichtlich der Zieltrias nicht weit auseinander. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ja schon einmal was!) Unseres Erachtens ist es wichtig, sicherzustellen, dass jeder Mitgliedstaat einen verlässlichen Beitrag zum Erreichen dieser Zieltrias leistet. Ich kann Ihnen allerdings nicht zustimmen, wenn Sie die nationale Energiewende auch in Europa verankern wollen, um ihren Fortgang damit effizienter und schneller zu gestalten. Ich fürchte, dass wir bei einer Erhöhung der Geschwindigkeit Gefahr laufen, die Zustimmung der Bevölkerung zu verlieren, weil wir sie und uns überfordern. Die Sicherheit der Energieversorgung und die Bezahlbarkeit von Energie müssen immer im Blick behalten werden. Auch wenn wir Vorreiter sind, müssen wir die Belange unserer Partner berücksichtigen; denn wir sind auf unsere Partner angewiesen. Beispielsweise haben wir die Synchronisationsaufgaben im Rahmen unserer Energiewende noch nicht gelöst, also die Abstimmung von Angebot und Nachfrage. Derzeit bringen wir sozusagen unkontrolliert Strom aus erneuerbaren Energien zu unseren Nachbarn. Das bringt beispielsweise Polen in Schwierigkeiten, weil dann dort die eigenen, konventionellen Kraftwerke heruntergefahren werden müssen und rote Zahlen schreiben. Ein anderes Beispiel ist der EU-Emissionshandel. Die Grünen fordern in ihrem Antrag, die von der EU-Kommission vorgeschlagene Marktstabilitätsreserve schon deutlich vor 2020 einzuführen. Wir sind im Prinzip mit dem Backloading, ja auch mit dem Set-aside einverstanden. Aber wir müssen innerhalb Europas auch die Belange der osteuropäischen Staaten berücksichtigen. Das bereits anvisierte Backloading im Rahmen der vorübergehenden Herausnahme von 900 Millionen CO2-Zertifikaten macht den Staaten in Osteuropa große Sorgen. Die größten Kooperationsmöglichkeiten in den Ländern der EU sehen wir darüber hinaus im Bereich der Energieeffizienz. Deutschland zählt zu den wenigen Industrieländern, die es geschafft haben, wirtschaftliches Wachstum und Energieverbrauch zu entkoppeln. Mit diesem technologischen Pfund wollen wir wuchern. In der zweiten Jahreshälfte wird das Bundeswirtschaftsministerium einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Effizienzrichtlinie in nationales Recht vorlegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein Weiteres: die EEG-Umlage bei energieintensiven Unternehmen. Wir können nicht auf der einen Seite die bestehenden Ausnahmeregelungen für die Industrie als fehlgeleitete Politik bezeichnen und auf der anderen Seite die Bundesregierung auffordern, sich mit Nachdruck für den Fortbestand der gültigen und erfolgreichen Einspeisevergütung für erneuerbare Energien in Brüssel einzusetzen. Auch wir sind für eine Verringerung der Anzahl der Unternehmen, die unter die Ausgleichsregelung fallen. Aber dieser Zusammenhang muss auch mit Blick auf Brüssel gesehen werden. Ein weiterer Punkt betrifft die Einführung der Ausschreibungssysteme. Ja, es stimmt: Derzeit kommen die Ausschreibungssysteme in der Praxis nicht gut weg. Wir sollten aus den Fehlentwicklungen lernen. Wichtig ist, dass wir unser Pilotvorhaben in einer Größenordnung von 400 Megawatt für Photovoltaik-Freiflächenanlagen starten, die Pilotversuche auswerten und dann gemeinsam nach Lösungen suchen, wie wir die kleinen Bürgerwindparks, gegebenenfalls zusammen mit den Stadt-werken, in ein solches Ausschreibungssystem bringen. Dann können wir zum richtigen Zeitpunkt die Einführung von Ausschreibungssystemen diskutieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zurück zu den Voraussetzungen. Ich plädiere dafür, dass wir die unterschiedlichen europapolitischen Rahmenbedingungen im Blick behalten, dass wir einen kritischen Blick auf unsere eigene Energiepolitik bewahren und dass wir eine Vorstellung für einen gemeinsamen europäischen Rahmen entwickeln. Wir lehnen den Antrag ab, da er die deutsche Energiewende unreflektiert in den Mittelpunkt einer europäischen Verankerung stellt (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte? – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schlechter Parlamentarismus!) und durch das Ausblenden der unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Ländern einer europäischen Energiewende nicht förderlich ist. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Julia Verlinden, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin schon etwas verwundert: Heute führen wir eine Debatte über ein solch wichtiges Thema, aber weder die Umweltministerin noch der Energieminister sind anwesend. Das finde ich sehr schade. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie hätten vielleicht zu etwas Aufklärung beitragen können, was die Diskussion über die Zieltrias angeht. Das scheint zwischen den Koalitionspartnern der Großen -Koalition noch nicht ganz geklärt zu sein. Mein Kollege Toni Hofreiter hat es schon sehr treffend beschrieben: Wenn es um mehr Klimaschutz, um mehr erneuerbare Energien und um mehr Energieeffizienz geht, dann ist von der Regierung des größten Landes in der EU, nämlich von unserer Bundesregierung, in Brüssel nichts zu sehen und nichts zu hören. Das finde ich beschämend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ganz anders sieht es aus, wenn es beispielsweise darum geht, neue CO2-Grenzwerte für die Automobilindustrie abzuwenden. Dann nämlich ist unsere Kanzlerin Merkel ganz schnell in Brüssel, um allzu ambitionierte Vorgaben zu verhindern. Liebe Frau Merkel, wollen Sie wirklich von der einst gefeierten Klimakanzlerin jetzt zur Klimaschutzblockiererin werden? Herr Pfeiffer, ich bin sehr irritiert, was Sie zur Ziel-trias gesagt haben. Wie gesagt, ich hätte mir hierzu etwas Aufklärung gewünscht. Ich habe Herrn Tiefensee, aber auch die Umweltministerin in den letzten Wochen und Monaten immer so verstanden, dass sie sich für eine Zieltrias einsetzen wollen. Ich erwarte jetzt Taten. Beim EU-Gipfel gibt es ja die Gelegenheit dafür. Auch -darüber hinaus gibt es sehr viele Möglichkeiten, gute und effektive Klima- und Energiepolitik aus Brüssel zu unterstützen – insbesondere in Bezug auf die Energie-effizienz. Herr Pfeiffer hat das Thema Energieproduktivität angesprochen. Sie sagen, wir seien bei der Energieproduktivität schon sehr viel besser geworden. Herr Pfeiffer, Sie machen bei der Statistik aber einen ganz großen Fehler: Sie rechnen sie schön, wenn die Herstellung der Produkte, die wir importieren, in der Energiebilanz des Auslandes angerechnet wird. Sagen Sie doch einmal ganz ehrlich, wie unsere Energieproduktivität tatsächlich aussieht. Bei der Energieeffizienz haben wir noch sehr viel Potenzial. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Ich fordere von der Bundesregierung also, dass sie sich jetzt mit Nachdruck für ein neues EU-Ziel zur Senkung des Energieverbrauchs einsetzt. Hier fordern wir Grüne auch verbindliche nationale Ziele. Alles andere wären einfach nur fromme Wünsche und keine ambitionierte und verlässliche Politik. Wir wollen auch, dass Sie jetzt endlich die EU-Effi-zienzrichtlinie umsetzen. Es ist doch eine große gesellschaftliche und wirtschaftliche Chance, Einsparpoten-ziale zu nutzen und Innovationen voranzutreiben. Das ist auch das Gegenteil von einer sogenannten Deindustrialisierung, die Sie uns vorwerfen, Herr Kollege Pfeiffer. Es ist Fortschritt, wenn man effizienter wirtschaftet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Effizienz hat immer etwas mit Kosten zu tun! Aber das lernen Sie noch!) – Genau, man spart nämlich Energiekosten, wenn man die Energie effizienter nutzt. Das ist richtig. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Ja, dann versuchen Sie das mal!) Die Bundesregierung hat das Thema Energieeffizienz jahrelang verschlafen, Herr Fuchs, und vernachlässigt es auch weiterhin. Ihr Prinzip lautet offenbar: Zuerst werden die Richtlinien in Brüssel verwässert, und dann werden sie in Deutschland nur leidlich oder verspätet oder als Papiertiger umgesetzt. Das war in der Vergangenheit bei der EU-Gebäuderichtlinie so, und das ist jetzt auch bei der EU-Energieeffizienzrichtlinie zu befürchten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] – Dirk Becker [SPD]: Werden wir ja sehen!) – Ja, das werden wir sehen. Setzen Sie sich dafür ein, Herr Becker. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wer hat die denn blockiert? Rot-Grün hat das blockiert!) Was zusätzlich den Eindruck vermittelt, dass es unserer Bundesregierung mit einer echten Energiewende nicht ernst genug ist – das Thema wurde auch schon angesprochen –: Obwohl die geplanten Vorgaben der EU für neue Beihilferichtlinien noch in der Diskussion sind und Deutschland Einfluss nehmen könnte, plant Minister Gabriel die von der Kommission nur vorgeschlagenen Ausschreibungen für erneuerbare Energien in vorauseilendem Gehorsam schon einmal in seinem Gesetzentwurf zur EEG-Novelle mit ein. Genau das verhindert doch, dass sich auch künftig Bürgerenergiegenossenschaften und kleinere Unternehmen am Ausbau der erneuerbaren Energien beteiligen. Wollen Sie etwa keinen Wettbewerb im Energiemarkt? Das würde mich doch sehr wundern. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mich nicht!) Herr Minister Gabriel – leider ist er jetzt nicht da, aber vielleicht kann Frau Zypries ihm das ausrichten –, ich wünsche mir, dass Sie aufhören, mit dem Finger auf Brüssel zu zeigen und so zu tun, als könnten Sie nichts ausrichten. Das Beispiel der CO2-Grenzwerte für Neuwagen zeigt doch: Deutschland kann sehr wohl Einfluss nehmen. Sie haben es in der Hand, sich mit der Kommission in der EU zu einigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Es gibt ganz aktuell noch einen Punkt, wo Sie Europa in die richtige Richtung lenken können: Wenn Kommissar Oettinger, den Sie ja nach Brüssel geschickt haben, liebe Frau Merkel, jetzt nach Fracking ruft, dann antworten Sie ihm doch einfach: Fracking brauchen wir nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir setzen lieber auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien, auch im Wärmesektor. Nur so schaffen wir dauerhafte Unabhängigkeit von Öl-, Kohle- und -Gasimporten, und nur so erreichen wir Versorgungs-sicherheit als nachhaltige Grundlage für unsere Wirtschaft. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Thomas Bareiß, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zu Beginn möchte ich der Fraktion der Grünen ein Dankeschön für ihren Antrag aussprechen, weil ich glaube, dass wir hier im Parlament viel zu wenig über die Verankerung der Energiewende im europäischen Kontext reden. Nach dem Dankeschön muss ich aber gleich betonen, liebe Frau Verlinden, dass Sie leider wieder auf halber Strecke stehen bleiben. Ich möchte hier nur einmal einen kleinen Satz aus Ihrem Antrag zitieren, weil er Ihre Denke entlarvt und zeigt, dass Sie genau in die andere als in die europäische Richtung gehen wollen. Ich zitiere: Verbindliche nationale Ziele sind zudem … ein wichtiger Schritt, die sich abzeichnende Renationalisierung der Energiepolitik abzuwenden. Das ist genau das Gegenteil dessen, was Sie wollen. Sie wollen keine europäische Energiepolitik. Sie konterkarieren mit diesen Sätzen Ihren guten Ansatz, mehr für Europa zu tun. Wir brauchen gerade in der Energiewirtschaft mehr Europa. Wir brauchen gemeinsame verbindliche Ziele. Wir brauchen eine Harmonisierung der Gesetzgebung. Wir brauchen einen gemeinsamen stärkeren Binnenmarkt. Wir brauchen eine gemeinsame Infrastruktur. Sprich: Wir brauchen mehr und nicht weniger Europa in der Energiewirtschaft. Daran wollen wir gemeinsam arbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Lieber Herr Hofreiter, ich war angesichts Ihrer Rede überrascht. Sie haben gesagt: Wir brauchen eine Beschleunigung der Energiewende. Frau Bulling-Schröter hat von „Totalversagen“ gesprochen. Noch einmal: Wir in Deutschland sind energiepolitisch Vorreiter in Europa. Es gibt kein Land in Europa, es gibt kein Land in der Welt, das so hohe energiepolitische Ziele hat wie Deutschland. Wir wollen bis 2025 den Anteil der erneuerbaren Energien am Strommarkt auf 40 bis 45 Prozent erhöhen, bis 2050 sogar auf 80 Prozent. Im Bereich des Klimaschutzes wollen wir in Deutschland als nationales Ziel bis 2020 die Emission von Treibhausgasen um 40 Prozent reduzieren. Wir wollen im Bereich Energieeffizienz bis 2020 20 Prozent des Primärenergieverbrauchs einsparen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden Sie mit dieser Politik nicht schaffen!) Diese drei Bereiche machen deutlich: Wir sind Schrittmacher in Europa. Wir sind Schrittmacher in der europäischen und weltweiten Energiepolitik. Nicht nur in der Zielsetzung sind wir Schrittmacher und an der Spitze, sondern auch in der Umsetzung. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!) Wir sind Weltmeister im Ausbau von erneuerbaren Energien. Wir haben einen so hohen Anteil an erneuerbaren Energien wie kein anderes Land in der Welt: 24 Prozent in 2013. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!) Wir hatten in den letzten Jahren einen Boom, den noch nicht einmal Sie, Herr Krischer, vorhergesehen haben. Das hat uns nicht immer nur gutgetan; auch das muss man einmal sagen. Aber wir haben in den letzten Jahren enorm viel aufgebaut. Wir sind Weltmeister im Bereich der Energieeffizienz. Keine Volkswirtschaft ist trotz eines starken Wirtschaftswachstums 2011 so effizient wie Deutschland. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Baerbock? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Ja, gerne. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weil Sie gesagt haben, wir seien in allem Weltmeister, auch beim Ausbau der Erneuerbaren und beim Anteil der Erneuerbaren am Strommarkt: Vielleicht können Sie einmal ein paar Zahlen aus anderen Ländern nennen, um zu sehen, wo diese stehen. Ich möchte ein paar Zahlen nennen, die mir bekannt sind: In Costa Rica liegt der Anteil an erneuerbaren Energien am Strommarkt bei fast 100 Prozent, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) in Portugal bei 55 Prozent, und auch Dänemark können Sie in dieser Hinsicht einmal googeln. Was sind denn Ihre Zahlen, um zu vergleichen, wo die anderen Länder stehen? Sie sagen einfach, wir seien hier an der Spitze. Sie könnten das bei einer Wirtschaftsmacht differenzieren. Das haben Sie aber nicht getan. Deswegen möchte ich eine Klarstellung bei solchen Behauptungen, die einfach nicht stimmen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Man kann doch nicht Costa Rica mit Deutschland vergleichen!) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Wissen Sie, Ihre Frage ist zugleich auch eine Antwort. Wenn Sie Costa Rica mit Deutschland vergleichen wollen, dann kann ich nur sagen: Wir sind eines der wichtigsten Industrieländer der Welt. Wir sind Exportweltmeister. Wir haben eine Bevölkerung von 80 Millionen Menschen. (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Sie kann ja dahin ziehen!) Eine solche Volkswirtschaft wie unsere gibt es nicht noch einmal in Europa. Wir sind der Motor Europas. Insofern sage ich: Für uns sind die Zahlen ganz anders zu bewerten als für Costa Rica oder andere Länder. Insofern möchte ich Sie bitten, auch einmal die Größenmaßstäbe zu berücksichtigen. Daher nehme ich die Frage gerne zur Kenntnis. Aber ich kann sie, offen gesagt, nicht ganz ernst nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Man kann die Grünen nicht ernst nehmen!) Wir sind Weltmeister auch im Bereich der Energieeffizienz. Ich möchte es noch einmal betonen: Wir haben trotz unseres Wirtschaftswachstums 2011 – das war sehr gut – den Energieverbrauch um 4,8 Prozent gesenkt. Wir haben die Energieproduktivität seit 1990 um rund 40 Prozent erhöht. Die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer sind in der Welt berühmt und geschätzt für ihre Produkte mit hoher Energieeffizienz. Auch da haben wir die Nase vorn. Wir sind Weltmeister auch im Bereich des Klimaschutzes. Das Kioto-Ziel, das Deutschland vorrangig mit unterstützt, haben wir trotz anderer Aussagen längst übertroffen. Deutschland hatte sich vorgenommen, beispielsweise bis 2012 den Ausstoß der Treibhausgase um 21 Prozent zu reduzieren. Tatsächlich haben wir ihn um 25,5 Prozent reduziert. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist das mit dem CO2-Ausstoß?) Wir sind also nicht nur im Fahrplan mit unserer Reduktion des CO2-Ausstoßes, sondern wir sind sogar über das hinausgegangen, was wir uns vorgenommen haben, liebe Frau Höhn. Ich bitte Sie, anzuerkennen, dass wir hier Vorreiter sind, unsere Ziele nicht nur einhalten, sondern sie sogar übertreffen. Ich fordere Sie nicht auf, darauf stolz zu sein, aber Sie müssen immerhin anerkennen, dass die Zahlen für uns sprechen und dass wir im Bereich des Klimaschutzes wie kein anderes Land nach vorne kommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei all den Zielsetzungen, die wir haben, und bei der Umsetzung tun wir das auch als Industrienation, wie ich vorhin beschrieben habe. Wir wollen auch in den nächsten Jahren Industrienation bleiben, mit einem Industrieanteil von 23 Prozent oder vielleicht sogar noch mehr. Wenn man berücksichtigt, dass mit 50 Prozent ein Großteil des von uns produzierten Stroms in die Indus-trie fließt, dann muss man anerkennen, dass die Energiewirtschaft die Grundlage nicht nur für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Produkte, sondern auch für unsere Arbeitsplätze ist. Deshalb ist es nicht nur unser Anspruch, sondern auch unsere Verpflichtung, verantwortungsvoll mit dem Thema Energiepreise und Energiesicherheit umzugehen. Eine Volkswirtschaft muss auch die Kraft haben, eine solche enorme Herausforderung, wie sie schon von meinen Vorrednern beschrieben worden ist, stemmen zu können. Bei all den Erfolgen, die wir erzielt haben, dürfen wir nicht vergessen: Wir haben beim Ausbau der erneuerbaren Energien meines Erachtens inzwischen die wirtschaftliche und technische Belastbarkeitsgrenze erreicht. Denn Deutschland ist zwischenzeitlich nicht nur Spitzenreiter in allen Ausbauzielen und Umsetzungsmaßnahmen geworden, sondern wir sind auch Spitzenreiter im Bereich der Stromkosten. Im Durchschnitt liegen die deutschen Strompreise 45 Prozent über dem EU-Schnitt. Die Industriestrompreise liegen über 20 Prozent über dem EU-Schnitt. Die neuesten Zahlen zeigen, dass nur noch Dänemark, Malta und Italien höhere Industriestrompreise haben. Deshalb müssen wir jetzt den Schwerpunkt auf Wirtschaftlichkeit und Energiesicherheit legen. Die Phase der Markteinführung von erneuerbaren Energien ist überschritten. Wir müssen jetzt in eine neue Phase kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb besteht auch Änderungsbedarf beim EEG. Aktuell liegen schon Vorschläge vor. Wir brauchen jetzt einen Systemwechsel. Einen verlässlichen Zubaukorridor für erneuerbare Energien packen wir jetzt an. Im -ersten Schritt müssen wir jetzt dafür sorgen, dass die Erzeuger erneuerbarer Energien verpflichtet werden, ihr Produkt direkt am Markt zu platzieren. Damit schaffen wir Systemintegration für erneuerbare Energien, und wir schaffen Markt und Wettbewerb, der auf beiden Seiten dringend gebraucht wird. Im zweiten Schritt müssen wir den zukünftigen Zubau ausschreiben, also auch hier einen Systemwechsel einleiten. Damit bekommen wir Verlässlichkeit für die Planung der Infrastruktur auch im Bereich der fossilen Kraftwerke und im Bereich der Speicher. Wir schaffen darüber hinaus ein System, in dem der Preis für erneuerbare Energien vom Markt statt vom Deutschen Bundestag festgelegt wird. Auch das ist ein ganz wichtiger Systemwechsel, den wir einleiten wollen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Bareiß, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Ja, gerne. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Musst du das denn tun?) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Danke schön. – Sie haben gerade davon gesprochen, dass die Industriestrompreise in Europa so hoch wären. In einem Artikel der Berliner Zeitung von gestern ging es um die Frage, ob die Energiewende die Aluminium-industrie bedroht. Wir beide wissen, Aluminium ist sehr energieintensiv. In dem Artikel steht, dass man in der Aluminiumindustrie selbst in der Energiewende überhaupt keine Bedrohung sieht. Das schreibt die Berliner Zeitung, die ja keine linke oder grüne Zeitung ist. In dem Artikel heißt es weiter – ich zitiere –: Derzeit ist die Energie für Industrieunternehmen so billig zu haben wie seit neun Jahren nicht mehr. Hinzu kommt, dass sich die Alu-Erzeuger von der Ökostrom-Umlage befreien lassen können. Soweit mir bekannt ist, liegen die Strompreise an der Strombörse bei 3,5 Cent. Ich kann mich noch an meine letzte Rede erinnern: Zu der Zeit lag Frankreich mit Atomstrom bei 5 Cent. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Bulling-Schröter, Sie wollten eine Frage stellen. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Meine Frage ist: Sind Sie der Meinung, dass in diesem Artikel gelogen wird? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Ich bin der Meinung, dass dieser Artikel ebenso wie Sie die Lage verzerrt darstellt. Sie müssen sehen, dass der Strombörsenpreis nicht die einzige Grundlage der Stromrechnung ist – das gilt auch für eine Aluminiumhütte –, sondern es kommen noch weitere Faktoren hinzu. Eine Aluminiumhütte zahlt zwar eine vergünstigte EEG-Umlage in Höhe von 0,05 Cent pro Kilowattstunde Strom. Aber diese Umlage ist angesichts eines Stromverbrauchs, der im Terawattstundenbereich liegt, viele Millionen Euro hoch. Damit sind die Kosten pro Arbeitsplatz in einer Aluminiumhütte mit 10 000 bis 20 000 Euro zu veranschlagen. Ich bitte Sie, einfach mit Gewerkschaftsvertretern und Betriebsräten von Aluminiumhütten zu sprechen. Diese werden Ihnen die Situation deutlich darlegen. Dann werden Sie auch verstehen, dass wir hier Wettbewerbsnachteile haben, die wir dringend beseitigen müssen. Sonst gehen die entsprechenden Wertschöpfungsketten verloren. Das ist weder in unserem Sinne noch im Sinne der Energiewende und des Klimaschutzes. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir trauen den erneuerbaren Energien zu, sich dem Markt zu stellen. Wir brauchen in diesem Bereich mehr Markt und Wettbewerb. Die Vorschläge des Ministers liegen nun auf dem Tisch. Wir werden hier den Minister unterstützen und ihm helfen, diese Vorschläge Schritt für Schritt umzusetzen. Je früher wir das anpacken, desto besser ist es für die Energiewende. Angesichts dessen, was wir in den nächsten Wochen anpacken, ist es wichtig, dass wir die Probleme im europäischen Kontext schrittweise lösen. Nur so können wir das Thema Wettbewerb und Markt ganzheitlich angehen. Wir knüpfen mit dem europäischen Gedanken auch an unsere Geschichte an; denn es war immer Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft, die Energieversorgung ganzheitlich zu sehen und die Probleme, die wir bei Energiesicherheit und Bezahlbarkeit der Energie sowie bei Umwelt- und Klimaschutz haben, gemeinsam zu lösen. Ich sehe hier viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit, zum Beispiel beim Zubau von erneuerbaren Energien. Dieser wird oft sehr kritisch gesehen. Aber man muss einfach anerkennen, dass wir in Deutschland durchschnittlich 800 Sonnenstunden im Jahr haben, während es in Spanien 2 600 bis 2 800 Sonnenstunden sind. Deshalb stellt jede Photovoltaikanlage, die in Spanien und nicht in Hamburg oder Berlin gebaut wird, einen viel höheren Gewinn für die gesamteuropäische Energiewende dar. Das wäre viel effizienter und günstiger. Wir müssen daher darüber nachdenken, wie wir gemeinsam die Potenziale Gesamteuropas Stück für Stück besser nutzen können. Wir werden zwangsläufig zu einer schrittweisen Harmonisierung gewisser Fördersysteme kommen müssen. Wir brauchen außerdem einen Ausbau der Infrastruktur. Gerade Deutschland als Herzland in Europa wird von einem Ausbau der Infrastruktur profitieren, insbesondere von einer stärkeren Energiesicherheit, aber auch von mehr Effizienz, die wir dadurch erzielen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Bareiß, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Lenkert? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Also gut, gerne. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Kollege Bareiß. – Ich möchte Sie fragen: Sie schlugen gerade vor, Solarenergie nicht in Deutschland, sondern in Spanien zu produzieren, weil es dort mehr Sonnenstunden gibt. Das stimmt. Aber ist Ihnen bekannt, dass die Entfernung zwischen Spanien und der Bundesrepublik Deutschland etwa 2 500 bis 3 000 Kilometer beträgt und dass pro 1 000 Kilometer mit Übertragungsverlusten in Höhe von 30 Prozent beim Strom zu rechnen ist? Ist Ihnen weiterhin bekannt, dass diese Übertragungsverluste mitnichten von den Solarstromproduzenten und der Großindustrie in Deutschland – diese sind schließlich von den Netzentgelten befreit –, sondern von den Verbraucherinnen und Verbrauchern getragen werden müssen, die an den Stromtrassen leben? Wenn der Stromverlust beim Transport von Spanien nach Deutschland drei mal 30 Prozent beträgt, die Kosten aber nur auf die Verbraucherinnen und Verbraucher umgelegt werden und neue Stromtrassen notwendig werden, ist es dann aus Ihrer Sicht wirtschaftlich noch sinnvoll, Solarstrom aus Spanien mithilfe der bestehenden Netze nach Deutschland zu transportieren? (Beifall bei der LINKEN) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Lieber Kollege, ich erkenne an, dass wir beide anscheinend das gleiche Ziel haben, Strom zu bezahlbaren Preisen zu produzieren. Wenn wir sehen, dass andere Länder in Europa drei- bis viermal so viele Sonnenstunden haben wie wir in Deutschland, dann muss uns das zum Nachdenken anregen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es schon heute Technologien gibt, die die Übertragungsverluste deutlich verringern. Bei einer Hochspannungsgleichstromübertragung liegt der Verlust nicht bei 30 bis 40 Prozent, sondern bei maximal 3 bis 4 Prozent. Angesichts dessen ist es bedenkenswert, ob solche Leitungen in Europa Sinn machen und dafür geeignet sind, zukünftige starke Produktionszentren mit Lastzentren zu verbinden, die zum Beispiel in Süddeutschland liegen. Das machen wir auch schon in Deutschland. Wir versuchen, in den nächsten Jahren den Zubau von Windenergieanlagen in Norddeutschland besser zu organisieren, weil es dort mehr Volllaststunden gibt. Damit der Süden Deutschlands genügend Strom bekommt, brauchen wir aber Gleichstromübertragungsleitungen. Das machen wir auch hier. Deshalb glaube ich, dass wir nicht nur national denken sollten, sondern dass wir mehr europäisch denken sollten. Das betrifft aber auch andere Bereiche, in denen wir die Nase vorne haben. Es macht Sinn, darüber nachzudenken. Unter dem Strich wäre eine solche Lösung vielleicht sogar günstiger als das, was wir heute machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir brauchen neben dem Ansatz einer ganzheitlichen Betrachtung der erneuerbaren Energien auch einen Ansatz, der die konventionellen Kraftwerke berücksichtigt. Wir werden auch in den nächsten Jahren stärker schauen müssen, wie wir den Zubau von effizienten konventionellen Kraftwerken, die wir als Ergänzung zu volatilem Sonnen- und Windstrom auch noch brauchen, gemeinsam in Europa angehen. Wir brauchen gemeinsame Mechanismen – ich möchte nicht von Kapazitätsmechanismen sprechen – und Überlegungen, wie wir nicht nur national, sondern auch international vorgehen. Wir schaffen Instrumente und Rahmenbedingungen, damit die Errichtung von solchen Kraftwerken möglich wird. Wir werden auch in dem zukünftigen Strommix Kernenergie haben, Strom aus Kernenergie wird also auch nach Deutschland gehen. Deshalb müssen wir auch hier gemeinsame Standards finden. Das liegt in unserem gemeinsamen Sicherheitsinteresse. Auch das ist mir ein wichtiges Anliegen. Mein letzter Punkt betrifft den Klimaschutz. Auch den müssen wir gemeinsam anpacken. Das habe ich schon zu Beginn erwähnt. Wir brauchen auch in diesem Bereich gemeinsame europäische Ziele. Der Kollege Pfeiffer hat zu Recht gesagt, wir müssten überlegen, ob wir das CO2-Ziel als oberstes Ziel thematisieren. Wir brauchen nicht zwei oder drei Ziele, sondern es macht sicherlich Sinn, sich auf ein Ziel zu konzentrieren. Andere Ziele werden sich diesem obersten Ziel unterordnen. Unsere Ziele sind anspruchsvoll und eine Herausforderung. Wir haben Enormes vor. Noch einmal: Die Energiewende kann nur gelingen, wenn wir sie besser europäisch einbetten. Wir wollen dieses Projekt gemeinsam starten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege Bareiß. – Ich erteile jetzt der Kollegin Caren Lay, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gerne auf das Thema der Indus-trieprivilegien zu sprechen kommen. Wir haben es gehört: Über 2 000 Industrieunternehmen sind inzwischen von diversen Bestandteilen ihrer Stromrechnung befreit, die dann die Verbraucherinnen und Verbraucher und die nicht befreiten Unternehmen für sie mitbezahlen. Das überprüft gerade die EU. Die Bundesregierung klagt dagegen. Ich habe von den Rednern der Koalition bisher fast nichts dazu gehört, außer dass sie das in der bisherigen Form verteidigt haben; denn sie haben gesagt, das sichere Arbeitsplätze und den Standort Deutschland. Ich finde, wir müssten all denjenigen, die dieser Debatte zuhören, die ganze Wahrheit sagen. Die ganze Wahrheit bedeutet, dass die Anzahl der befreiten Unternehmen nicht nur enorm angestiegen ist, sondern dass die gesamte Konstruktion dieser sogenannten Industrie-rabatte auch erhebliche Pferdefüße hat. Erstens. Sozialpolitisch heißt das nichts anderes, als dass beispielsweise der Hartz-IV-Empfänger oder die alleinerziehende Mutter für den Braunkohlekonzern Vattenfall die Stromrechnung mitbezahlen. Finden Sie das sozial gerecht? Wir nicht. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Großbäckereien sind zum Teil von Stromkosten befreit, der Handwerksbäckerbetrieb an der Ecke ist es aber nicht. Das hat doch nichts mit dem Standort Deutschland zu tun. Das ist einfach nur wirtschaftspolitischer Unsinn. (Beifall bei der LINKEN) So manches Unternehmen nimmt die derzeitige Regelung zu Industrierabatten zum Anlass, um feste Beschäftigung in Leiharbeitsverhältnisse umzuwandeln. Warum? Sie rechnen ihre Arbeitskosten künstlich herunter und können dann als Ergebnis dieser sinnlosen Regelung auch noch Stromkosten auf Kosten aller anderen Verbraucher einsparen. Das hat mit guter Arbeitsmarktpolitik überhaupt nichts zu tun. Das ist eine Einladung zum Lohndumping. Deswegen lehnen wir das ab. (Beifall bei der LINKEN) Andere Firmen rechnen ihre Stromkosten künstlich hoch. Festtagsbeleuchtung am Wochenende, man lässt auch einmal eine Maschine über Nacht laufen. Am Ende wird man auch noch dafür belohnt. Wir sagen: Das ist eine Einladung zur Energieverschwendung. So wie bisher kann es nicht bleiben. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, zur ganzen Wahrheit gehört, dass über 5 Milliarden Euro von Otto Normalverbraucher und Erika Mustermann für die privilegierten Unternehmen an Stromkosten mitbezahlt werden. Wir müssen an die Industrieprivilegien in der bestehenden Form herangehen; denn so kann es nicht bleiben. (Beifall bei der LINKEN) Herr Pfeiffer, wenn Sie hier schon den Standort Deutschland bemühen, dann möchte ich dazu etwas sagen. Wenn wir über Wirtschaftspolitik und Arbeitsplätze reden, dann möchte ich, bitte schön, dass wir auch über die 400 000 Arbeitsplätze sprechen, die im Bereich der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren entstanden sind. Die Vorgängerregierung hat mit ihrer verfehlten Politik dafür gesorgt, dass schon Zehntausende Arbeitsplätze in der Solarbranche eingegangen sind, viele davon in Ostdeutschland. Das ist eine Form von Deindustrialisierung, die wir als Linke ablehnen. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen muss ich auch sagen: Das, was Sie derzeit in Form der EEG-Novelle vorhaben, hat mit einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun. Ich sage: Wenn diese Regierung nur halb so viel -Energie darauf verwenden würde, das System der Industrieprivilegien zu reformieren anstatt den Ausbau der erneuerbaren Energien zu deckeln, dann wären wir schon ein ganzes Stück weiter. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, auch wir Linke lehnen die Industrieprivilegien nicht komplett ab; aber wir wollen sie an sinnvolle Kriterien koppeln. Das erste Kriterium wäre, dass ein Unternehmen tatsächlich im internationalen Wettbewerb steht. Das zweite Kriterium wäre, dass ein Unternehmen technologiebedingt energieintensiv produziert. Entschuldigen Sie, das kann ich weder bei -einer H&M-Filiale noch bei einem Golfplatz noch bei -einer Saunaanlage erkennen. Das dritte Kriterium wäre – da gehen wir über die Vorschläge im Antrag der Grünen hinaus –: (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Logisch! Das kann gar nicht anders sein!) Industrierabatte kann es nur dann geben, wenn es tatsächlich verbindliche Energieeinsparziele gibt. Ansonsten bleibt es nämlich bei dieser Einladung zur Energieverschwendung, und das kann so nicht bleiben. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Dieser Vorschlag wäre EU-konform. Er wäre sozial gerecht und würde uns dieses Beihilfeverfahren ersparen. Mit unseren Vorschlägen zur Energiepolitik, die wir gestern vorgestellt haben, würde eine durchschnittliche deutsche Familie im Jahr über 180 Euro an Stromkosten sparen, ohne dass wir den Ausbau der erneuerbaren Energien aufs Spiel setzen würden. Daran könnten Sie sich vielleicht einmal ein Beispiel nehmen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Dirk Becker, SPD. (Beifall bei der SPD) Dirk Becker (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn so viele Redner vor einem gesprochen haben, -besteht immer das Problem, dass man von seinem Redemanuskript eigentlich abweichen muss, weil es einiges klarzustellen gibt. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist für einen Ostwestfalen doch kein Problem!) – Danke, Herr Staatssekretär. Ich darf feststellen, dass sich die Frage stellt: Wo ist eigentlich der Minister? Während wir hier Anträge beraten, während sich einige lohnenswerte Gedanken machen, verhandelt er derzeit mit der EU. Niemand weiß, wie das Ganze ausgeht. Sie alle wissen ja, bereits seit Dezember wird verhandelt. Also brauchen wir jetzt keine Empfehlung, genau dies zu tun. Wir gehen davon aus, dass wir mit Blick auf die Besondere Ausgleichsregelung relativ zeitnah Erfolg haben. (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Herr Krischer, Sie werden wissen, was die Bundes-regierung will, wenn man sich mit der EU geeinigt hat. Eines ist, strategisch gesehen, relativ clever: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Wenn man unterschiedliche Positionen zueinanderbringen will, dann sollte man den anderen nicht über die -Öffentlichkeit in die eigenen Karten gucken lassen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Seien Sie sich sicher, dass folgende Dinge gelten: Wir brauchen ein europarechtskonformes EEG. Die Besondere Ausgleichsregelung, Frau Lay, ist einer der Punkte, weswegen das EEG-Beihilfeverfahren läuft. Sie haben recht: Die Ausweitung der Besonderen Ausgleichsregelung, die zu Fehlentwicklungen geführt hat – deren Beurteilung ich teile –, ist der Grund dafür. Wir werden dafür sorgen, dass die stromintensiven Unternehmen im internationalen Wettbewerb mit Blick auf die Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben, dass es aber in den Bereichen zu einer Reduzierung kommt, wo eine solche Regelung einfach nicht verantwortbar ist. Das dafür notwendige Vertrauen hat der Minister. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ähnlich wie der Kollege Pfeiffer danke ich den Grünen für diese Debatte. Ich danke ihnen aber auch, weil wir endlich wieder über Klimapolitik und Wirtschaftspolitik reden. Das sind keine Gegensätze, sondern wir müssen sie beide gemeinsam erfolgreich betreiben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass sie Gegensätze sind, das hat auch niemand behauptet! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wirtschaftspolitik können die Grünen nicht!) Frau Verlinden, ich will über das Thema Zieltrias, über die Ziele der Bundesregierung hier jetzt nicht mehr groß reden. Sie haben vom Ministerium eine schriftliche Stellungnahme zu Ihrer Anfrage bekommen. Darin steht, dass die Regierung für die Zieltrias ist. Wir sind also auch hier für ambitionierte Werte. (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Lieber Oliver Krischer, es ist doch so einfach, sich hierhinzustellen und zu behaupten: Die Regierung verhindert, dass die EU sich auf das Ziel festlegt, die CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu reduzieren. Schauen wir einmal zurück auf die Verhandlungen. Das Schlimme ist: Sie wissen ja, wie das Ganze gelaufen ist. Dass überhaupt 40 Prozent erreicht wurden, ist nicht gegen, sondern wegen Deutschland erreicht worden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In den Verhandlungen, in denen die Naturschutzverbände 55 Prozent gefordert haben und wir bei unter 40 Prozent waren, hat es SMS-Verkehr zwischen den -Organisationen und den Verhandlungspartnern gegeben. Dort hieß es: Wenn ihr 40 Prozent abschließen könnt, dann macht das. In diesem Moment ist es dann genug. – Dann kann man sich nicht zwei Stunden später hinstellen und sagen: Es ist alles zu wenig. Hier muss man einmal sagen: Wir danken dieser Bundesregierung, die dies möglich gemacht hat. Das gehört zum Verfahren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich bin aber auch bei Ihnen. Europäische Energiepolitik hört sich super an. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann verstehen, dass es bitter ist, diese Politik zu verteidigen!) – Das Einzige, was bitter ist, ist, dass Sie nicht mitspielen können. Deshalb sind Sie sauer. Opposition ist Mist. Ich weiß das. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Herr Krischer, ich will Ihnen Folgendes sagen. Es ist einfach, sich hierhinzustellen und zu sagen, die Bundesregierung ist schuld, dass die 55 Prozent nicht durch-gesetzt wurden. Das habe ich gerade gesagt. Es ist beispielsweise auch einfach, zu sagen: Ihr müsst sehen, dass das Thema Kernenergie als Klimaschutzinstrument -herausgenommen wird. Ich will eines ganz klar sagen: Ich bin in der Sache bei Ihnen. Aber: Wenn Deutschland sagt: „Wir machen keine Vereinbarungen mit, in denen das Thema Kernenergie als Klimaschutzinstrument steht“, dann versagen uns im Gegenzug die Briten die Zustimmung zu den 40 Prozent. In Europa haben wir ein Einstimmigkeitsverfahren und kein Mehrheitsverfahren. Europa besteht aus mehr Staaten als aus Deutschland. Wir können im Bundestag nicht Richtung Europa gehen und sagen: Macht das mal alle nach. – Die Realität der Energiepolitik in Europa ist eine andere. Gucken Sie nach Polen, -gucken Sie nach England, gucken Sie nach Frankreich. Da ist es zu leicht, zu sagen: Die Bundesregierung ist schuld, dass nichts passiert. – Der Unterschied zu Deutschland ist: Bei uns wird die Energiewende sehr stark von den Menschen im Land getragen. Im Endeffekt hat die Politik das aufgenommen, was die Menschen in diesem Land wollten. Fukushima war der entscheidende Funke, dass alle mitgemacht haben. Nehmen wir doch bitte einmal zur Kenntnis, dass in Polen, Frankreich und Großbritannien die Debatte anders läuft. Gestern hatte ich eine Delegation aus Asien zu Gast. Sie sagten: Wir finden super, was ihr macht. Wir wollen das auch. Bei uns zu Hause interessiert es keinen Menschen. Wie können wir Anreize schaffen? Wenn wir dies politisch durchsetzen wollen, bekommen wir keine Unterstützung. Wenn wir die Ziele in weiten Bereichen teilen, dann müssen wir einen europäischen Prozess in Gang setzen, der von den Menschen getragen wird. Wir Deutsche dürfen nicht sagen: Wir stülpen euch etwas über. – Dafür bekommen wir keine Mehrheit. Das muss man in der realistischen Einschätzung der Europapolitik aussprechen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich möchte kurz auf ein paar weitere Punkte eingehen. Ich habe gerade etwas zur Besonderen Ausgleichs-regelung gesagt. Hier erspare ich mir weitere Ausführungen. Wir haben ein zweites großes Problem: Das ist der Emissionshandel. Der Emissionshandel ist ein Hauptgrund, warum viele andere geplante Maßnahmen zurzeit finanziell erschwert werden. Wir sehen zur Börse. Der Emissionshandel hat unmittelbare Auswirkungen auf den Börsenstrompreis in Deutschland. Es ist aber auch Tatsache, dass der Anteil des Braunkohlestroms und die CO2-Emissionen zunehmen. Es ist doch völlig klar, dass wir dort handeln müssen. Ich verweise auf die Bundesumweltministerin, die das getan hat. Sie hat eindeutig gesagt: Wir müssen beim Emissionshandel nicht die 900 Millionen Zertifikate aus dem Handel nehmen – ich will dem Kollegen Schwabe nicht alles vorwegnehmen; er wird das gleich noch ausführen –, wir brauchen die 2 Milliarden, und zwar schon 2016. Dann muss man in den Verhandlungen die Mehrheiten organisieren. Klar ist doch, dass auch wir diese Entwicklung kritisch sehen. Wenn es so weitergeht, haben wir ein Problem mit den Klimazielen; das muss man einmal aussprechen. Ich sage Ihnen eines: Die EEG-Novelle zu kritisieren, sie würde es an dieser Stelle verhindern, geht fehl. Das ist nicht zutreffend. Diese Bundesregierung hat an mehreren Stellen, auch durch den Bundesminister für Wirtschaft und Energie, deutlich gemacht, dass das Thema Energieeffizienz jetzt wieder den Platz auf der Tagesordnung einnimmt, den es verdient und den es beim letzten Bundeswirtschaftsminister in dieser Form nicht gehabt hat, wenn es bei ihm überhaupt einen hatte. Das will ich zugestehen. Wir werden – das hat der Minister zuge-sagt – bezüglich der Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie so schnell wie möglich liefern. Vielleicht warten Sie die Lieferung ab und entscheiden dann. Ich glaube, dass auch Sie an diesem Punkt viel Übereinstimmung finden werden. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht „sachgerecht umsetzen“! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Koalitionsvertrag steht etwas anderes!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Alexander Ulrich, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon bedauerlich, wie es manchmal so mit dem Gedächtnis ist. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir nicht mit doppelten Standards agieren. Der Beschluss zum Atomausstieg in Deutschland, der mit dem Beschluss verbunden war, viel mehr erneuerbare Energien zu erzeugen, und auch die Bestrebungen der Europäischen Union werden natürlich konterkariert, wenn der Bundeswirtschaftsminister in die Ukraine fährt und sagt, die Europäische Union solle Strom aus der Ukraine importieren. Denn über 90 Prozent der Stromerzeugung der Ukraine stammen aus Kohle und Atom. Wie man dann noch als Energieminister im Deutschen Bundestag eine glaubwürdige Politik betreiben will, ist vollkommen fraglich. (Beifall bei der LINKEN) Eine europäische Energiewende im Interesse der Menschen und der Umwelt hat eine klare Absage an nukleare und fossile Energieträger zur Voraussetzung. Aber Gabriels doppelgleisige Irrfahrt durch die Energie- und Klimapolitik und auch die Vorliebe für nukleare und fossile Energieträger bilden leider keine Ausnahme, weder auf deutscher noch auf EU-Ebene. Eine Schwäche für fossile Energieträger offenbaren die jetzt von der EU-Kommission vorgeschlagenen EU-Energie- und -Klimaziele. Sie spiegeln deutlich die Interessen der energieintensiven Industrie und der Stromkonzerne wider, und zwar zulasten eines sozial-ökologischen Umbaus der europäischen Energieversorgung. Bleibt die EU bei diesem kaum ambitionierten Kurs, blockiert sie damit alle noch verbleibenden Möglichkeiten, den Klimawandel und seine katastrophalen Auswirkungen auf Menschen und Umwelt einzudämmen. (Beifall bei der LINKEN) Ganz offensichtlich ist das von der EU-Kommission aber genau so gewollt. Nicht die Interessen der Menschen und der Umwelt, sondern die Interessen der energieintensiven Industrien und der Atomlobby werden mit solchen Zielen geschützt. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Fracking als europaweite Alternative gehandelt wird. Die Linke lehnt diese Technologie ab, die unverantwortliche Risiken für Bevölkerung und Umwelt birgt, insbesondere auch für das Trinkwasser. (Beifall bei der LINKEN) Weil hier so viel von dem Problem geredet wird, dass unsere Nachbarländer noch auf Atomstrom setzen, möchte ich sagen: Es ist zwingend notwendig, dass wir endlich mit Euratom Schluss machen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es kann doch nicht sein, dass über Euratom in den letzten fünf Jahren fast 4 Milliarden Euro in eine Energieform investiert wurden, die wir eigentlich abschaffen wollen. Deshalb müssen wir aus Euratom aussteigen. Dazu eine Kritik am Grünen-Antrag: Sie wollen die Energiewende europäisch verankern, aber gehen in Ihrem Antrag überhaupt nicht auf Euratom ein. (Beifall bei der LINKEN) Aber man erreicht keine Energiewende, ohne das Thema anzufassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss auch endlich damit Schluss sein, dass wir den Bau von Atomreaktoren in der ganzen Welt mit Hermesbürgschaften finanziell absichern. Wenn das weiterhin betrieben wird, ist das eine unglaubwürdige Politik. (Beifall bei der LINKEN) Der Klimawandel, aus dem globale Probleme erwachsen, ist nur mit konsequenten und ehrgeizigen Klima-zielen zu stoppen. Die Linke fordert deshalb die Bundesregierung auf, sich auf EU-Ebene für eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um mindestens 60 Prozent, (Frank Schwabe [SPD]: Mindestens 60 Prozent?) für eine Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung auf 45 Prozent und für eine Energieeinsparung von 40 Prozent im Endenergieverbrauch bis zum Jahr 2030 einzusetzen. Die Linke fordert eine europaweite Energiewende, bei der auf nachhaltige Energiequellen gesetzt wird, um eine klimafreundliche, für alle Menschen bezahlbare und sichere Energieversorgung zu ermöglichen. Mit der jetzigen EU-Energie- und -Klimapolitik werden wir dieses Ziel jedenfalls nicht erreichen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Morgen wird EU-Energiekommissar Günther Oettinger mit Mitgliedern des EU-Ausschusses sprechen. Seine Zuneigung zu gefährlichen Technologien wie der Atomenergie und dem umstrittenen Fracking ist allseits bekannt. Es bleibt nur zu hoffen, dass seine Amtszeit als EU-Kommissar für Energiefragen in diesem Jahr endgültig abläuft. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Die Energiewende europäisch zu verankern, ist mit einem solchen EU-Kommissar nicht möglich. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächster Redner spricht für die CDU/CSU der Kollege Karl Holmeier. (Beifall bei der CDU/CSU) Karl Holmeier (CDU/CSU): Sehr verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen das Zeitalter der erneuerbaren Energien so schnell wie möglich erreichen. Bis 2050 wollen wir unsere Energieversorgung zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien decken. Gleichzeitig wollen wir aber auch, dass Energie bezahlbar, sicher und umweltverträglich ist und bleibt. Anders als Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, arbeiten wir mit Nachdruck an der Erreichung dieses Zieles. Wir stellen keine Anträge mit inhaltlich verfehlten Forderungen, sondern wir handeln. Deshalb sind wir auch an der Regierung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon sehe ich wenig!) Klar ist, dass es die für den Umbau der Energieversorgung notwendigen Maßnahmen natürlich nicht zum Nulltarif gibt. Daraus haben wir auch niemals einen Hehl gemacht. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir den Kostenanstieg kommen sehen. Hinzu kommt, dass wir uns mit einer Menge von Altlasten aus Ihrer Regierungszeit herumschlagen müssen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie mal! Die CDU regiert seit fast zehn Jahren! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kennen wir von der CSU! Die regiert seit 40 Jahren!) Ich könnte hierbei noch auf die Bereiche Netzausbau, Ersatzkapazitäten und Speicher eingehen. Denn dort haben Sie vieles versäumt. Ich möchte mich auf den Bereich der erneuerbaren Energien beschränken, weil alles andere zum Teil schon angesprochen worden ist. Nehmen wir doch einmal die Photovoltaik und die Entwicklung der Vergütungssätze bei den Freiflächenanlagen als Beispiel. 2003/2004 waren es 45,7 Cent pro Kilowattstunde. 2005 waren es 43,4 Cent pro Kilowattstunde. Nachdem wir das EEG 2009 und 2012 novelliert haben, liegen wir aktuell bei einem Vergütungssatz von 13,5 Cent pro Kilowattstunde. Diese Zahlen muss man wahrscheinlich nicht weiter kommentieren. Einen weiteren wichtigen Schritt zur Beseitigung Ihrer Altlasten und hin zu einer Dämpfung des Kostenanstiegs bei den erneuerbaren Energien gehen wir mit der jetzt anlaufenden Reform des EEG. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meinen Sie die Altlasten von Schwarz-Gelb? Das war die letzte Regierung!) Mit der Einführung der verpflichtenden Direktvermarktung und der Festschreibung des Systemwechsels hin zum Ausschreibungsmodell werden wichtige Grundlagen für eine marktwirtschaftlichere Ausrichtung des künftigen EEG gelegt. Auch wenn es an der einen oder anderen Stelle noch Änderungsbedarf geben wird, gehen die Regulierungen sicherlich in die richtige Richtung. Wir sollten darüber hinaus den Mechanismus zur Berechnung der EEG-Umlage unter die Lupe nehmen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Wenn eine feste Einspeisevergütung gezahlt wird, die erneuerbaren Energien aber gleichzeitig eine strompreisdämpfende Wirkung an den Spotmärkten entfalten, wird die EEG-Umlage zwangläufig immer weiter steigen. Das kann so nicht bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In den Strompreisen wird sich eine Überarbeitung des EEG erst mittel- und langfristig bemerkbar machen. Deshalb müssen wir auch darüber nachdenken, wie wir die Verbraucher kurzfristig entlasten können. Denkbar wäre zum Beispiel, dass die EEG-Umlage bei einem bestimmten Betrag gedeckelt und der durch diese Einnahmen nicht gedeckte Teil der Kosten anderweitig finanziert würde. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die Bayerische Staatsregierung abgelehnt!) Zwei Modelle wären denkbar, auch wenn sie von manchen zurzeit vielleicht noch kritisch gesehen werden. Möglich wären die Zwischenfinanzierung über einen Fonds oder die Finanzierung durch Einnahmen aus der Stromsteuer. Bei der Zwischenfinanzierung durch einen Fonds würde der Betrag, der einen jährlichen Deckel übersteigt, zunächst aus dem Fonds und nicht durch die Stromkunden beglichen. Sobald die EEG-Umlage nominell wieder unter den Deckel sinkt, würde der Fonds seine Auslagen erstattet bekommen. Dazu würde die Umlage so lange bei dem Deckel belassen, bis der Fonds auf null zurückgeführt ist. Denkbar wäre auch eine Finanzierung des den Deckel übersteigenden Betrags durch die Stromsteuer. Warum sollte man in der Debatte zum EEG nicht auch über solche Modelle diskutieren? Auf diese Weise ließe sich die Belastung für den Stromkunden durch die Kosten für das EEG konstant und damit kalkulierbar halten. Das Verfahren würde somit eine Glättung und gegebenenfalls eine zeitliche Streckung der Belastung für die Stromverbraucher bewirken und könnte damit große Belastungsunterschiede zwischen den Generationen vermeiden. Sie sehen dies wahrscheinlich ganz anders, verehrte Damen und Herren von den Grünen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Das zeigt sich auch deutlich an den Forderungen in Ihrem Antrag. Sie bezeichnen das bisherige Einspeisevergütungssystem als effizient und fordern seine Fortsetzung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt die EU genauso!) Zudem fordern Sie die Rücknahme der geplanten Umstellung auf Ausschreibungsverfahren. Man sieht an dieser Stelle deutlich, dass Sie immer noch nicht verstanden haben, worum es eigentlich geht. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen gar nicht, worum es geht!) Das zeigt sich auch am Beispiel der Entlastungen der energieintensiven Industrien. Wir verfolgen den Ansatz, dass wir die Bezahlbarkeit von Energie für alle Verbraucher, das heißt, für unsere Bürgerinnen und Bürger genauso wie für unsere Wirtschaft, gewährleisten wollen. Das ist gerade in der Zukunft absolut notwendig. Hierzu gehört auch, dass wir der energieintensiven Industrie unter die Arme greifen, damit sie ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten kann. Zwischen den Zeilen Ihres Antrags muss ich lesen, dass Sie daran nicht interessiert sind; (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch wohl albern! – Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) denn Sie sprechen sich für Einschränkungen an dieser Stelle aus. Ich frage mich allerdings, wie Sie dann sicherstellen wollen, dass Deutschland ein wettbewerbsfähiger Industriestandort bleibt und unsere Unternehmen – wie von den Linken angesprochen – nicht ins Ausland abwandern. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Ministerpräsident in Bayern gefährdet gerade den Industriestandort Deutschland!) Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Die Chemieproduzenten in Deutschland zahlen 61 Prozent höhere Strompreise als ihre Wettbewerber in Frankreich. Deutschland liegt mit 14 Prozent deutlich über dem Durchschnitt aller 28 EU-Staaten. Diesen staatlich begründeten Wettbewerbsnachteil dürfen wir nicht weiter verschärfen. Es ist interessant, dass gerade Sie von den Grünen diese Entlastungen ständig verteufeln, obwohl Sie diese selbst eingeführt haben; was auch richtig war. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch gar nicht!) Darüber hinaus waren Sie es, die 2003 mit der zweiten Novelle zum EEG die Ausnahmen ausgedehnt haben. Ich darf eine Rede von Herrn Trittin aus der dritten Lesung vom 13. November 2003 zitieren: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz aktuell!) Deswegen haben wir dafür Sorge getragen, dass beispielsweise nicht nur große, sondern auch mittlere Unternehmen von der Härtefallregelung profitieren können … (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir doch auch gar nicht ändern!) Hier sieht man einmal mehr, dass Sie Politik nicht mit Vernunft, sondern nach Belieben machen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt jemand von der CSU! – Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dabei nehmen Sie sogar in Kauf, sich selbst zu widersprechen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seehofer widerspricht sich dreimal am Tag! Das ist CSU!) Wir jedenfalls sind der Meinung, dass es vor dem Hintergrund der neuesten Entwicklungen der EEG-Umlage – sie liegt jetzt bei 6,24 Cent pro Kilowattstunde – umso gerechtfertigter ist, die energieintensiven Indus-trien zu unterstützen. Deshalb setzen wir uns in den laufenden Gesprächen mit der EU-Kommission dafür ein, zu einer angemessenen Lösung zu kommen. Wir wollen das Zeitalter der erneuerbaren Energien so schnell wie möglich erreichen. Wir wollen die Bezahlbarkeit der Energieversorgung auch in Zukunft sicherstellen. Wir sind die Koalition, die das kann. Mit unserer Energiepolitik sind wir auf dem richtigen Weg. Deshalb lehnen wir den Antrag der Grünen ab. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Dr. Nina Scheer, SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Nina Scheer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Energiewende ist eine grenzüberschreitende Aufgabe. Insofern ist, wie alle Vorredner bereits verdeutlicht haben, das Thema des Grünen-Antrags „Die Energiewende europäisch verankern“ richtig und wichtig. Bei der Betrachtung, wie sich dies in und für Europa vollzieht, sollte auch einbezogen werden, welche Mechanismen in der Vergangenheit wie gewirkt haben. Die Thematik verlangt von uns, das Verhältnis zwischen EU-Vorgaben und nationalen Regelungen grundlegend und sinnvoll auszutarieren und die auf europäischer Ebene zu verankernden Regelungsinhalte umfassender und genauer zu benennen. Hierzu zählt auch, eine europaweite Koordinierung der Best-Practice-Erfahrungen vorzunehmen, statt Europa nur als eine Harmonisierung „von oben“ zu begreifen. Der auf Grundlage der Zieltrias für Klimaschutz, erneuerbare Energien und Energieeffizienz etablierte Systemwettbewerb hat sich mehr als bewährt und sollte nicht grundlos aufgegeben werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem EEG und der Vorrangregelung für erneuerbare Energien hat Deutschland bei einigen Erneuerbare-Energien-Trägern, insbesondere bei Wind-Onshore, Photovoltaik, aber auch bei Biogastechnologie und Wasserkraft, entscheidend zur technologischen Weiterentwicklung beigetragen, sodass diese Technologien nun an der Schwelle zum wirtschaftlichen Durchbruch stehen. Allein hierdurch trägt Deutschland schon zu einer europäischen und internationalen Energiewende bei. Um ein effektives Ineinandergreifen zwischen Europäischer Union und nationaler Ebene für die Energiewende zu gewährleisten, hat es sich bewährt, auf der europäischen Ebene die gemeinsame Richtung für die Energie- und Klimapolitik vorzugeben, aber die jeweilige Ausgestaltung den Mitgliedstaaten zu überlassen, sowohl mit Blick auf die sektorale Aufteilung als auch auf die Wahl der Mittel. Dies entspricht auch den Erfordernissen des Vertrags von Lissabon und dem dort festgeschriebenen Subsidiaritätsprinzip. Die Notwendigkeit, das hiermit benannte Verhältnis zwischen EU-Vorgaben und mitgliedstaatlichem Handeln sinnvoll auszutarieren, möchte ich an folgenden Beispielen kurz benennen. Mithilfe des Entwurfs der Beihilfeleitlinien, der unter anderem Ausschreibungen für erneuerbare Energien vorsieht, versucht die Wettbewerbsdirektion derzeit, über einen Beihilferahmen eine Art EU-Förderpolitik für erneuerbare Energien zu etablieren. Dies ist weder systematisch noch politisch akzeptabel und kann mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip auch rechtlich nicht zulässig sein. Insofern, Herr Pfeiffer, möchte ich an dieser Stelle kurz noch einmal klarstellen: Wenn unser Bundeswirtschafts- und -energieminister sich derzeit dafür einsetzt, im Kontext der Besonderen Ausgleichsregelung mit der EU-Kommission zu einer Einigung zu gelangen, dann bedeutet das keineswegs, dass an dieser Stelle Souveränitäts- und Gestaltungshoheiten abgegeben werden sollen und hiermit eine Harmonisierung vorgenommen wird. Diese ist eben nicht Kern des Auftrages, den er dort wahrnimmt. Am Beispiel des Energiebinnenmarktes möchte ich auch noch auf etwas anderes hinweisen: In einem EU-Energiebinnenmarkt können mittels einer verstärkten Vernetzung der Energie- und Strommärkte und durch einen stärkeren Austausch mit den Nachbarstaaten die Kosten für den Umbau unseres Stromsystems deutlich gesenkt werden. Mit einer größeren Verteilung gerade der fluktuierenden erneuerbaren Energien wird die Netz- und Systemintegration erleichtert, da es sowohl bei der Prognose als auch bei der Bereitstellung von Ergänzungskraftwerken zu Ausgleichseffekten kommt. Dieser zutreffende Umstand wird aber leider häufig – fehlgeleitet – als Argument für zentrale Versorgungsszenarien angeführt. An dieser Stelle an meinen Koalitionspartner doch auch die leise Kritik an den von Ihnen, Herr Bareiß, angeführten Szenarien. Dass es effizienter ist, Photovoltaik insbesondere in Spanien auszubauen mit einem Minus hierzulande – so habe ich Sie jedenfalls verstanden –, wage ich doch zu bezweifeln. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Richtigerweise funktionieren die genannten Ausgleichseffekte einer verstärkten Vernetzung aber nur bei einer dezentralen Strom- und Energieversorgung. Das habe ich mit meiner Kritik gerade schon angemerkt. Der Großteil der Strom- und Energiebereitstellung erfolgt nämlich in Regionen, die damit jeweilig die Potenziale für einen gegenseitigen Austausch vorhalten können. Dieser erfolgt zwischen den Regionen. Folglich muss die Möglichkeit zur dezentralen Steuerung für den Ausbau erneuerbarer Energien in den Händen der Mitgliedstaaten liegen. Weil es bei zeitweiligen Stromüberschüssen zu nicht geplanten Übertragungen in benachbarte Stromsysteme kommt – das sind die sogenannten Ringflüsse über Polen und Tschechien bis nach Süddeutschland –, gibt es vonseiten der EU-Kommission derzeit Erwägungen, diesem Umstand in Form einer Abschaffung der einheitlichen Preiszone Deutschland/Österreich Rechnung zu tragen. Damit gäbe es innerhalb Deutschlands unterschiedliche Preiszonen und damit unterschiedliche Großhandelspreise. Eine effektivere Antwort auf die genannte Problematik, die gleichzeitig einen kosteneffizienten Ausbau der erneuerbaren Energien und damit auch eine entsprechende Auslegung der Erneuerbare-Energien-Anlagen gewährleisten würde, wäre die Einführung einer sogenannten Generator- oder G-Komponente, so wie sie auch der Koalitionsvertrag vorsieht. Danach würden sich alle zukünftigen Erzeuger, auch die von erneuerbaren Energien, an den von ihnen mit verursachten Netzausbaukosten beteiligen. Dies vermittelt ein Allokationssignal für die optimale Standortwahl mit den geringsten Gesamtsystemkosten. Die Wahl solcher Instrumente setzt aber voraus, dass die Handlungsoption zur Wahl der besten Mittel für Mitgliedstaaten oder Regionen erhalten bleibt und nicht einzelne Instrumente EU-weit vorgegeben werden; denn das würde der Möglichkeit zur Wahl entgegenstehen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass aufgrund des zunehmenden Anteils erneuerbarer Energien die Regeln für die Ausgestaltung von Ausgleichsenergiesystemen und der Netzentgeltstruktur angeglichen werden müssen. Bei der Ausgestaltung dieser Netzkodizes im Rahmen der europäischen Verankerung der Energiewende muss darauf geachtet werden, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien nicht erschwert bzw. verteuert wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Dem muss man sich insbesondere bei der Bundesnetzagentur – damit möchte ich auch meine Kollegen im Beirat der Bundesnetzagentur ansprechen – widmen. Die Energiewende europäisch verankern heißt also – das sage ich abschließend und zusammenfassend –, das Augenmerk stärker auf die Aufteilung der Verantwortlichkeiten auf den verschiedenen Ebenen zu lenken, auf der europäischen und der nationalstaatlichen Ebene, und den mit der Energiewende veranlassten Systemwandel vorzunehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Frau Kollegin. – Einen schönen guten Tag von mir! – Die nächste Rednerin in der Debatte ist Dr. Herlind Gundelach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zuverlässige Versorgung mit bezahlbarer Energie ist für Europa von ganz entscheidender Bedeutung. Die Herausforderungen – Klimawandel, zunehmende Einfuhrabhängigkeit und höhere Energiepreise – betreffen sämtliche EU-Staaten. Es reicht heutzutage eben nicht mehr aus, energiepolitische Entscheidungen auf nationaler Ebene zu treffen. Das reicht nicht nur nicht aus, sondern wir müssen uns in Europa auf eine gemeinsame Energiepolitik verständigen. Nur eine wirklich europäische Energiepolitik kann dauerhaft für Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Sicherheit der Energieversorgung in ganz Europa sorgen. Deshalb muss Europa gemeinsam handeln, um die Versorgung mit wettbewerbsfähiger Energie nachhaltig sicherzustellen. Diesbezüglich stimme ich auch den werten Kollegen von der Fraktion der Grünen uneingeschränkt zu. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut!) Was mich allerdings schockiert, ist Ihr Wie. Ihr gesamter Antrag wird durchzogen von dem Leitmotiv „am deutschen Wesen soll die Welt genesen“. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir können unsere nationale Energiewendestrategie Europa nicht aufdrängen, selbst wenn wir noch so sehr von ihr überzeugt sind. Sie jedoch fordern das in Ihrem Antrag ausdrücklich. Ich möchte zunächst auf die europäische Rechtslage eingehen. Über Jahrzehnte galt Energiepolitik in der EU vornehmlich als Sache der Mitgliedstaaten, und Vereinbarungen wurden meist bilateral getroffen. Bis zum Grünbuch 2006 gab es gar keine formale Grundlage für gemeinsame Ziele. Erst mit dem Vertrag von Lissabon, also 2009, wurde in den europäischen Verträgen eine explizite Zuständigkeit für Energie normiert. Vorher gab es lediglich Regularien zu Kohle und Atomkraft. Mit dem Art. 194 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union wurde 2009 im Rahmen des Lissabonner Vertrags schließlich eine klare Kompetenz der EU für Energie verankert, die ihr erstmals die Möglichkeit gab, gesetzgeberisch tätig zu werden. Bis zu diesem Zeitpunkt beschäftigte sich die EU vornehmlich mit der Verwirklichung des Energiebinnenmarkts. Dies erklärt auch die bis heute sehr unterschiedlichen nationalen energiepolitischen Strategien, beispielsweise bei der Nutzung von Atomkraft, aber auch bei der Nutzung fossiler Energien und erneuerbarer Energien. Als Ziele und Kompetenzbereiche wurden in Art. 194 folgende Punkte definiert: Vollendung des liberalisierten Energiebinnenmarkts, Versorgungssicherheit, transeuropäischer Netzausbau, weitere Förderung und Ausbau des Bereichs der erneuerbaren Energien sowie die Steigerung der Energieeffizienz. Daraus folgt, dass die Entscheidungshoheit über den nationalen Energiemix und die Wertigkeit der einzelnen Energiearten ausschließlich Sache der Mitgliedstaaten ist und bleibt. Hier kommen wir zu einem wichtigen Punkt. Sie fordern in Ihrem Antrag, dass die Bundesregierung in Brüssel darauf hinwirkt, dass die neuen Beihilferegelungen Großbritannien daran hindern, eine Einspeisevergütung für Strom aus Kernenergie einzuführen, weil sie der Energiewende in Deutschland entgegenstehe. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Europa!) – Die Energiewende ist in dieser Form, glaube ich, momentan ausschließlich in Deutschland ein Projekt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Europäische Ziele!) Kurz: Sie erwarten, dass die Mitgliedstaaten in der Europäischen Gemeinschaft sich an unserer Energiepolitik und unserer Energiewende orientieren, obwohl wir diese ohne die Konsultation unserer europäischen Nachbarn beschlossen haben. Das war rechtlich möglich, eine Konsultation war nicht erforderlich; das möchte ich ausdrücklich betonen. Wir müssen in Deutschland zur Kenntnis nehmen – ob uns das freut oder nicht freut, steht in diesem Zusammenhang nicht zur Debatte –, dass in zahlreichen Ländern Europas und der Welt Kernenergie als nachhaltige Energie betrachtet wird. Auf der ganzen Welt gibt es Lehrstühle, die Sustainable Energy, also nachhaltige Energie, erforschen und dabei zu dem Schluss kommen, dass auch Kernenergie sustainable, also nachhaltig, ist. Diese Sichtweise müssen wir zur Kenntnis nehmen, und wir müssen akzeptieren, dass andere Länder deswegen andere Wege einschlagen. So weit möchte ich dem Kollegen Becker von der SPD durchaus zustimmen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb müssen wir aber keine Beihilfe für Atomkraft akzeptieren!) – Das obliegt dann der nationalen Gestaltung und nicht der europaweiten Gestaltung. Wenn diese Länder das als sustainable einschätzen, dann ist das ihre Sicht der Dinge, genauso wie wir unsere Sicht der Dinge haben. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einfach: Herr Krischer hat recht!) Der Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland war und ist parteiübergreifender Konsens und Wunsch der Bevölkerung. Diese Entscheidung wird heute bei uns von niemandem mehr infrage gestellt. Aber bisher beschreiten wir diesen Weg durchaus als Vorreiter in Europa mit allen Chancen, aber auch mit allen Risiken. Aus meiner Sicht ist für eine erfolgreiche Energiewende immer noch die beste Strategie, andere Länder für unseren Weg zu begeistern, woran wir in diesem Haus gemeinsam arbeiten sollten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen uns auch weiterhin darüber im Klaren sein, dass unsere ambitionierten Klima- und Energieziele nicht so einfach auf ganz Europa zu übertragen sind, insbesondere auch in Anbetracht der finanziellen Lage in vielen Ländern nach der Wirtschafts- und Finanzkrise. Wie wollen Sie zum Beispiel Spanien, Portugal und Griechenland erklären, dass sie noch erheblich höhere Investitionen für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Steigerung der Energieeffizienz tätigen sollen? Selbstverständlich bedeutet das auch neue Beschäftigung im Land. Aber was soll man tun, wenn sich ein Land bereits jetzt die zu erbringenden Maßnahmen kaum leisten kann? Was machen wir, wenn aufgrund unserer strengen Ziele Teile der Industrie abwandern oder Betriebe schließen müssen? Dann haben wir in diesen Ländern letztlich mehr Arbeitslose, weniger Einnahmen und damit auch weniger Geld für den Klimaschutz. Einige Staaten liegen schon heute hinter den Zielen des Klimaschutzabkommens. Schauen wir uns beispielsweise die Förderung der Energieeffizienz im Gebäudebereich an. Mit der EU-Gebäuderichtlinie von 2002 wurden in einigen Ländern erstmals energetische Grundanforderungen im nationalen Baurecht festgeschrieben. Nationale Richtlinien existierten zuvor nur in Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind ja schon ein paar!) Trotz dieser inzwischen einheitlichen Anforderungen herrscht innerhalb der EU noch immer eine riesige Kluft in Bezug auf die Einsparung von Energie. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das ist ein Problem!) So weist Bulgarien im Vergleich zu Dänemark beispielsweise eine zehnfach so hohe Energieintensität auf. So weit zu der höchst unterschiedlichen Gemengelage, die wir in Europa haben. Kehren wir noch einmal zur Rechtslage in Europa und zur europäischen Energiepolitik zurück. Die EU setzt den Rahmen, und die Länder füllen ihn aus. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder auch nicht!) – Das ist ihre Aufgabe. – Folglich brauchen wir eine nationale Politik, die eine integrierte und nachhaltige europäische Strategie befördert und den Energiemarkt und das Netz harmonisiert. Wir müssen unsere Politik in die europäische Energiepolitik einbetten und nicht Europa unsere Politik aufzwingen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen uns auf einen gemeinsamen Weg einlassen; denn sonst droht uns die Gefahr, irgendwann alleine dazustehen. Diese Gefahr ist durchaus realistisch. Derzeit prüfen unsere Nachbarn in Polen und den Niederlanden den Bau von Stromsperren, sogenannten Phasenschiebern, da sie befürchten, dass unser schneller Ausbau der erneuerbaren Energien ihre Netze überlasten und damit zu einem Zusammenbruch ihrer Stromversorgung führen könnte. Wenn ich die Zeitungen heute richtig verstanden habe, dann haben sich die Bundeskanzlerin und ihr polnischer Kollege zu genau dieser Frage auf einen Weg verständigt. Wenn es also unser gemeinsames Ziel ist, unsere Energiewende auf europäischer Ebene dauerhaft und nachhaltig zu verankern, dann müssen wir unsere Instrumente auf den Prüfstand stellen. Dazu gehört auch das EEG. Wir können nicht sagen, dass das EEG sakrosankt ist und sich alle Rahmenbedingungen diesem Gesetz anpassen müssen. Wenn wir davon überzeugt sind, dass der Markt noch immer die erfolgreichsten Lösungen hervorbringt, kann die Devise nicht lauten: „Wir passen den Markt dem EEG an“, sondern sie muss lauten: „Wir machen das EEG marktkompatibel“. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Man muss die Frage stellen: Wie ist der Markt?) In den Eckpunkten von Minister Gabriel, die auch dem in Abstimmung befindlichen Referentenentwurf zur Änderung des EEG zugrunde liegen, ist für neue Anlagen ab einer gewissen Größenordnung und in einem gestuften Verfahren die Direktvermarktung vorgesehen und damit das Verlassen der Schutzglocke. Sollten wir nicht auch darüber nachdenken, wie Bestandsanlagen schneller an den Markt herangeführt werden können? Eine sichere Stromversorgung zu wettbewerbsfähigen und sozial verträglichen Preisen ist mit einer Dauersubvention von Erzeugungskapazitäten nicht zu erreichen. Wer langfristig eine nicht marktfähige Stromerzeugung aufbaut, zementiert Unwirtschaftlichkeit als Prinzip der Energieversorgung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Kollegin, Sie haben es nicht verstanden!) Die letzten beiden Sätze sind nicht meine Worte, sondern das sind die Worte des Vorsitzenden der IG Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, denen ich allerdings voll zustimme. (Frank Schwabe [SPD]: Guter Mann!) Denn ich bin davon überzeugt: Je marktwirtschaftlicher wir das EEG ausgestalten, desto besser werden wir vermutlich auch mit dem EU-Beihilfeverfahren zurechtkommen, das die Kommission gegen die Bundesrepublik wegen des EEG und der damit im Zusammenhang stehenden Besonderen Ausgleichsregelung eingeleitet hat. Sie gehen in Ihrem Antrag auch auf dieses Verfahren ein und weisen es als unberechtigt zurück; denn die Sache sei ja schon entschieden, und das deutsche EEG-Fördersystem sei europarechtskonform. Damit sprechen Sie vermutlich das PreussenElektra-Urteil des EuGH vom März 2001 an. Der EuGH hatte damals festgestellt, dass die gesetzliche Abnahmepflicht der Elektrizitätsversorger zu Mindestpreisen keine unerlaubte staatliche Beihilfe im Sinne des EU-Vertrages darstelle. Wie wir alle wissen, stellt die EU-Kommission aber genau diese Entscheidung heute infrage. Nun möchte ich mir nicht anmaßen, hier festzustellen, ob diese Zweifel berechtigt sind. Fest steht allerdings, dass 2001 der Anteil der Erneuerbaren an der Strom-erzeugung bei nur wenigen Prozent lag; heute liegt er bei knapp 25 Prozent. Von einer Nische – das war damals ein Teil der Argumentation – kann also heute nicht mehr die Rede sein. Insofern kann man sich durchaus die Frage stellen, ob der EuGH heute noch zu dem gleichen Urteil käme. Ich möchte das auch noch durch ein paar Zahlen untermauern, die heute zwar schon gefallen sind, die die Kostendimension aber noch einmal nachdrücklich verdeutlichen: 2001 betrugen die Umlagen nach dem EEG noch 1,6 Milliarden Euro. In 2013 lagen wir bei 22,9 Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2030 bedeuten das knapp 400 Milliarden Euro an EEG-Ausgleichszahlungen, und dabei sind die Netzausbaukosten noch gar nicht eingerechnet. Bei meinen Überlegungen, das EEG durch eine Reform marktkonformer zu machen, möchte ich nicht so weit gehen – das sage ich ganz bewusst – wie die Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung, die die Abschaffung des EEG empfohlen hat. Aber gerade in Anbetracht der gesamteuropäischen Situation müssen wir Anpassungen vornehmen, und diese Anpassungen müssen mit dem EU-Rechtsrahmen übereinstimmen. Ich denke, wir alle hier im Hause sind der Auffassung, dass wir auch weiterhin Besondere Ausgleichsregelungen für unsere energieintensiven und im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen brauchen. Wir brauchen sie gewiss nicht für alle Unternehmen, die heute davon profitieren – da stimme ich mit Ihnen überein –, aber wir brauchen sie auch weiterhin für eine stattliche Zahl, und das erreichen wir nur mit der Kommission gemeinsam und nicht dann, wenn wir mit dem Kopf durch die Wand gehen. Insofern stimme ich der Überschrift Ihres Antrags durchaus gerne zu, nicht aber dem Tenor Ihres Antrags, der aus meiner Sicht wenig europäischen Geist aufweist. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Nächster und letzter Redner in dieser Debatte: Frank Schwabe für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frank Schwabe (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, auch in der Debatte ist deutlich geworden: Die Grünen haben recht mit ihrer Auffassung, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dass das, was wir zum Thema Energiewende in Deutschland diskutieren und auch alle gemeinsam durchsetzen wollen, eng verbunden ist mit dem, was auf europäischer Ebene passiert. Das ist einfach so. Das ist bei den EU-2030-Zielen so. Das ist bei den erneuerbaren Energien so. Das ist auch im Emissionshandel so. Unsere Sorge ist allerdings, auch anlässlich der Debatte innerhalb der Europäischen Union, dass Europa in dem Bemühen, internationaler Vorreiter zu sein, zurückfällt. Dafür gibt es Gründe. Ein Grund ist, dass wir mittlerweile eine sehr heterogene Europäische Union haben – mit 28 Staaten mit ganz unterschiedlichen Interessen; Polen sei nur beispielhaft genannt. Ein Grund ist aber auch – ich kann dem Koalitionspartner nicht ersparen, das zu sagen –, dass wir eigentlich vier verlorene Jahre hatten (Max Straubinger [CDU/CSU]: Ach nein, der Herr Schwabe!) für den Klimaschutz und für eine innovative Klimapolitik in Deutschland und, finde ich, auch in der EU, weil Deutschland ja eine bestimmte Position innerhalb der EU einnimmt. Ich will das der Einfachheit halber einmal der FDP und vielleicht gar nicht der Union zuordnen. (Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sehr einfach!) Es gab durchaus Umweltminister der Union, die das Bemühen zeigten und denen ein gewisser guter Wille nicht abzusprechen war, eine ambitionierte Politik zu machen. Aber die Union war am Ende gefesselt, und zwar europäisch. Das hat dazu geführt, dass sich Deutschland, wenn es um bestimmte energiepolitische und klimapolitische Fortschritte ging, an den entscheidenden Stellen verweigert und mit Nein gestimmt oder sich der Stimme enthalten hat. (Beifall des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich glaube, das ist ein zentrales Argument dafür, dass man der EU-Kommission – jedenfalls ein bisschen – -Hasenfüßigkeit unterstellen kann, was eine ambitionierte Politik für die nächsten Jahre betrifft. Zusammen mit den Kolleginnen Höhn und Baerbock war ich vor einigen Tagen in Washington auf einer Konferenz von GLOBE, einer internationalen Parlamentarierorganisation. Wir haben uns die Ergebnisse einer -Studie über 66 Staaten auf der Welt und ihre Bemühungen im Bereich des Klimaschutzes sowie bei der Entwicklung hin zu einer innovativen, progressiven Energiepolitik vorlegen lassen. Im Juni dieses Jahres wird es eine neue Studie geben – ihre Ergebnisse werden uns in Mexiko vorgestellt –, in der die entsprechenden Bemühungen von über 100 Staaten in der Welt untersucht wurden. Insofern: Wir sind nicht alleine, sondern wir diskutieren über dieses Thema auch in den USA und in China. Wer sich darüber näher informieren will, kann das dort vor Ort tun. Es ist unglaublich spannend, was sich gerade in China auf diesem Gebiet entwickelt. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Geben Sie die Zahlen doch mal an die Kollegen von der Union weiter!) Ich finde, man muss das Wettbewerbsargument zumindest relativieren. Die anderen Länder bewegen sich, auch wenn sie international an vielen Stellen nicht bereit sind, sich zu verpflichten; das hat andere internationale Gründe. Aber sie befinden sich durchaus in einer Entwicklung. Ich finde, es wäre genau richtig und wichtig, wenn Europa eine progressive Klima- und Energiepolitik betreiben würde. Das wäre gut, nicht nur für den -Klimaschutz, sondern auch im Hinblick darauf, dass Deutschland eine innovative Volkswirtschaft sein will; dafür müssen wir auch die politische Kraft haben. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Deutschland, obwohl in den letzten vier Jahren eher Bremser in der Europäischen Union, mittlerweile wieder progressiv ist und auch als progressive Kraft wahrgenommen wird. Ich will schon sagen, auch in Richtung der grünen Fraktion: Ich glaube, man kann nicht bestreiten, dass Deutschland in allen Debatten, die in der Europäischen Union aktuell geführt werden, als eher progressiv wahrgenommen wird (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und dass zur Kenntnis genommen wird, dass Barbara Hendricks als Ministerin deutlich gemacht hat: Wir -wollen ein Sofortprogramm für den Klimaschutz in Deutschland, und wir wollen auch einen Klimaschutzplan mit gesetzlichen Elementen innerhalb Deutschlands. – Außerdem haben wir uns beim Thema Backloading klar positioniert, und zwar schon im Rahmen der Koalitionsverhandlungen. Es gab eine neue und – da bin ich mir sicher – dauerhafte Harmonie zwischen dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium. Das tat unserer Position gut, auch innerhalb der Europäischen Union. Aber – da haben Sie durchaus recht – das reicht nicht. Wenn wir mittelfristig eine Entwicklung weg von fossilen Energieträgern einleiten wollen – ich sage ausdrücklich: nicht sofort, aber mittelfristig sehr wohl –, dann geht das nur mit einem funktionstüchtigen Emissionshandel. Zurzeit ist er schlichtweg nicht funktionstüchtig. Ministerin Hendricks hat vollkommen recht: Um ihn funktionstüchtig zu machen, muss das Backloading dauerhaft sein, brauchen wir eine weitere Herausnahme von 2 Milliarden Zertifikaten, brauchen wir den Mechanismus der sogenannten Marktstabilitätsreserve nicht erst 2021, sondern schon 2016. Ich persönlich füge hinzu: Diejenigen, die einen funktionstüchtigen Emissionshandel haben und das Ganze marktwirtschaftlich regeln wollen, müssten ein Rieseninteresse daran haben. Denn es gibt gar keine Alternative dazu, auch über Mindestpreise, CO2-Steuern und andere Steuerungsmöglichkeiten zu diskutieren, auch im nationalen Kontext; das ist doch völlig klar. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Josef Göppel [CDU/CSU] und Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Wenn der Emissionshandel nicht funktioniert, dann werden wir ganz automatisch andere Diskussionen bekommen, oder wir müssen unsere Klimaschutzambitionen beiseitelegen. In der Tendenz haben die Grünen, glaube ich, recht. Bei den 2030-Zielen ist die Kommission bisher zu unambitioniert gewesen. Deshalb will ich betonen: Es ist die Große Koalition, die sich in Übereinstimmung mit Forderungen des EU-Parlaments im Koalitionsvertrag vorgenommen hat, im Rahmen der zukünftigen Politik der Europäischen Union drei Ziele zu verfolgen: ein CO2-Ziel, ein Ziel hinsichtlich der erneuerbaren Energien und ein Energieeffizienzziel. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Wieso nur drei?) Was das CO2-Ziel angeht, will ich ausdrücklich betonen: Wir reden von mindestens 40 Prozent. Es kann im Zweifelsfall auch ein bisschen mehr sein. Hier geht es nicht um Belieben; wir würfeln uns ja kein Ziel. Das hat vielmehr damit zu tun, dass wir das 2-Grad-Ziel einhalten wollen. Dazu haben wir uns völkerrechtlich verbindlich verpflichtet. Wenn man dieses Ziel einhalten will, dann muss man sich entsprechend bewegen. Auch wenn über den Antrag der Grünen heute noch nicht abgestimmt werden soll, war die Debatte darüber, glaube ich, gut und sinnvoll; denn sie hat deutlich gemacht, dass wir im Bundestag fraktionsübergreifend eine bestimmte Position, eine bestimmte Erwartungshaltung haben. Mit dieser Debatte stärken und ermuntern wir die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin, sich auf dem in der nächsten Woche stattfindenden europäischen Gipfel für zweierlei einzusetzen: Erstens. Wir brauchen, um die Energiewende in Deutschland umsetzen zu können, dringend einen funktionierenden europäischen Emissionshandel. Das ist die Aufgabe, die wir ihr gemeinsam mit auf den Weg geben. Zweitens. Wir brauchen mit Blick auf 2030 starke Ziele für den europäischen Klimaschutz. Solche Ziele täten auch unserer Innovationskraft und unserer Wettbewerbsfähigkeit gut. Glückauf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Schwabe. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/777 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind sicher damit einverstanden. – Ja; ich sehe nichts anderes. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Hansjörg Durz, Axel Knoerig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Wolfgang Tiefensee, Lars Klingbeil, Matthias Ilgen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Technologie-, Innovations- und Gründungs-standort Deutschland stärken – Potenziale der Digitalen Wirtschaft für Wachstum und nachhaltige Beschäftigung ausschöpfen und digitale Infrastruktur ausbauen Drucksache 18/764 (neu) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss Digitale Agenda (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Herbert Behrens, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Digitale Gründungen unterstützen – Zukunftsfähige Rahmenbedingungen für die -digitale Wirtschaft schaffen Drucksache 18/771 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss Digitale Agenda (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch da höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Brigitte Zypries für die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte den Koalitionsfraktionen zunächst Dank sagen für diesen umfassenden Antrag. Er ist eine Zusammenstellung von allen möglichen, quer durch die Ressorts gehenden Themen, die uns diese ganze -Legislaturperiode begleiten werden und an denen wir uns abarbeiten werden. Vor allen Dingen gibt er uns die Gelegenheit, jetzt, kurz nach der Einsetzung des Ausschusses für Digitale Agenda, wieder in diesem Haus über die digitale Agenda zu diskutieren. Das finde ich gut. Dieses Thema ist nämlich hochaktuell. Sicherlich waren die meisten von Ihnen wie ich auf der CeBIT und haben sich dort informiert. Die CeBIT steht in diesem Jahr unter dem Motto „Datability“; das ist ein Kunstwort, das sich zusammensetzt aus „Big Data“, „Responsibility“ und „Sustainability“, also Big Data in Verbindung mit Verantwortung und Nachhaltigkeit. Ich denke, das Kunstwort „Datability“ umreißt sehr gut, vor welche Aufgaben die IT-Branche uns stellt. Es werden inzwischen große Datenmengen verarbeitet, und diese Datenmengen werden immer größer. Bei der Verarbeitung muss die Sicherheit gewährleistet sein. Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Daten nicht unrechtmäßig gebraucht werden. Wenn doch, funktionieren auch zahlreiche Geschäftsmodelle nicht, wie man gerade in den letzten Tagen gut sehen konnte. Von daher, glaube ich, sollten wir uns alle damit beschäftigen, welche Voraussetzungen und Rahmen-bedingungen die IT-Branche braucht. Ich will ein paar Worte sagen zu dem, was die Bundesregierung vorhat. Wir haben in Deutschland, wie in dem Antrag zutreffend dargestellt wird, eine gute -Ausgangslage: Deutschland zählt zu den 15 wichtigsten IT-Standorten, die IT-Branche ist ein enormer Beschäftigungsfaktor und vieles mehr; ich will das jetzt nicht alles wiederholen. Ich will Ihnen sagen, dass die Bundesregierung mit der digitalen Agenda die Rahmenbedingungen dafür schaffen wird, dass geschieht, was Sie in Ihrem Antrag fordern: dass Deutschland zum digitalen Wachstumsland Nr. 1 wird. Am Montag haben sich auf der CeBIT der Wirtschaftsminister, der Innenminister und der Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur zu den zentralen Punkten der digitalen Weiterentwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft erstmals gemeinsam geäußert und damit quasi gemeinsam die notwendigen Punkte für die digitale Agenda vorgetragen. Wir haben in der Bundesregierung die Einrichtung eines festen Koordinierungsmechanismus verabredet, um die verschiedenen Maßnahmen der einzelnen Häuser wirksam aufeinander abzustimmen. Das ist nötig und hat nichts mit Streitereien zwischen den Häusern zu tun, wie der eine oder andere Journalist einem jetzt schon wieder in den Mund legen will; denn selbstverständlich bleiben Überschneidungen nicht aus, wenn alle Häuser irgendwie mit diesem Thema befasst sind. Ich denke zum -Beispiel an die Bereiche digitale Wirtschaft, Ausbau der Infrastrukturen, Datenschutz oder Datensicherheit in Unternehmen. Daran sind notwendigerweise verschiedene Häuser beteiligt. Dafür brauchen wir Mechanismen der Abstimmung. Das kennen wir, und das können wir. Alle Ressorts werden die verschiedenen politischen Vorhaben in ihrem Bereich konkretisieren. Das werden wir dann gemeinsam diskutieren. Wir haben nämlich auch das erklärte Ziel, dass diese digitale Agenda nicht allein an Beamtenschreibtischen in den Ministerien entsteht, sondern wollen sie gemeinsam entwickeln, gemeinsam zunächst mit dem Deutschen Bundestag, wie Sie das in Ihrem Antrag richtig fordern, aber auch gemeinsam mit allen anderen relevanten Akteuren, mit den Gewerkschaften, den NGOs usw. Wir werden dazu auch die bestehenden Plattformen nutzen, sowohl den Nationalen IT-Gipfel wie auch Gremien wie den Beirat „Junge Digitale Wirtschaft“. Gemeinsam wollen wir gleichermaßen innovative wie gesellschaftlich akzeptierte -Lösungsansätze für die Datenwirtschaft und die private Onlinekommunikation erarbeiten. Lassen Sie mich kurz noch einige Stichworte zu den Schwerpunkten sagen, die wir im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie setzen wollen. Ein wichtiger Punkt, der auch auf der CeBIT deutlich adressiert wird, ist das Thema „Industrie 4.0“. Wir werden uns Anfang nächsten Monats auf der Hannover-Messe etwa ansehen können, wie die Datenverarbeitung und die Zuordnung von Internetadressen zu einzelnen Maschinen neue Produktionsmöglichkeiten eröffnet. Das ist ein wichtiges Thema, das wir vorantreiben wollen. Das machen wir auch deutlich durch eine Umorganisation in unserem Hause. Wir wollen das hohe IT-Sicherheitsniveau, das wir in Deutschland schon haben, weiter ausbauen. Sichere -Informationstechnologie Made in Germany soll eines der Markenzeichen werden. Wir wollen natürlich die Unterstützung der jungen kreativen und innovativen Unternehmen und des Mittelstandes. Insofern finde ich, dass der Antrag der Linken zu diesem Thema etwas zu kurz greift; denn er bezieht sich nur auf die Rahmenbedingungen zur Gründung von Start-ups im Bereich der digitalen Wirtschaft. Ich meine aber, dass wir durchaus auch die jungen Kreativen und Kulturschaffenden mit ihren Start-ups mit einbeziehen sollten und nicht nur an die digitale Wirtschaft denken sollten. Wir sehen das Ganze etwas breiter. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das ist kein Problem!) Wir hoffen und wünschen, dass wir in allen Punkten gut zusammenarbeiten werden. Gerade bei den Start-ups sollten wir die Kreativität und die Innovationskraft -locken. Wir wissen ja: Es gibt eine Weiterentwicklung in diesen Technologiefeldern im Grunde nur mit den -jungen innovativen Unternehmen. Das ist uns wichtig. Daran werden wir weiter arbeiten. In diesem Sinne freue ich mich auf einen anregenden Gedankenaustausch mit Ihnen allen in den nächsten knapp vier Jahren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Zypries. – Nächster Redner ist Herbert Behrens für die Linken. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschenleere Fabriken, papierlose Büros oder Laptop-Klassen, das waren früher unsere Vorstellungen, wenn wir uns mit den Bildern der digitalen Welt von morgen befasst haben. Heute kommen das selbstfahrende Auto, der Computer im oder am menschlichen Körper oder die Datenbrille hinzu. Wir machen die Erfahrung, dass so manche Erfindung schneller verschwindet, als deren -Entwicklung dauerte. Dabei wird viel Wissen und Kreativität entwickelt, aber eben genauso viel vernichtet. Wir messen den Wert der Veränderungen in Richtung einer digital geprägten Welt daran, wie die Lebensbedingungen der Menschen verbessert werden. Gute Ausbildung, gute Arbeit und ein gutes Leben sind unsere Maßstäbe für eine digital geprägte Welt von morgen, und zwar nicht nur im eigenen Land und in Europa. (Beifall bei der LINKEN) Kolleginnen und Kollegen, Wünsche allein reichen nicht aus, um die Wirklichkeit zu verändern. Deshalb haben wir hier im Parlament die Chance, aber auch die Pflicht, rechtzeitig, also ab sofort, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die elektronische Vernetzung von der Planung bis zur Auslieferung wird die industrielle Produktion weiter rationalisieren. Das Thema „Industrie 4.0“ wurde eben -genannt. Werkstücke werden durch Chips automatisch gesteuert und fließen fast selbstständig durch die Produktion. Darum müssen junge Menschen anders ausgebildet werden, und die älteren Beschäftigten müssen die Chance haben, sich zu qualifizieren. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen eine Bildungsoffensive, um die digitale Welt zu gestalten. Die Menschen sollen die digitalen Instrumente beherrschen und nicht von ihnen beherrscht werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Bundesländern mehr Studienplätze für Informatik zu schaffen und angrenzende Disziplinen wie Natur-, Kultur- und Technikwissenschaften auszubauen. (Beifall bei der LINKEN) Gründer im Bereich der digitalen Wirtschaft haben viele gute Ideen und oft nur wenig Geld. Nötig ist eine gezielte Initiative der Bundesregierung, damit Gründer finanziell auf die Beine kommen. Sie sollen ihre eigenen Ideen eigenständig entwickeln können, ohne gezwungen zu sein, sie so schnell es geht an den nächsten Investor zu verkaufen. Die Regierungsfraktionen sind in dieser Frage allerdings im vergangenen Jahrhundert stecken geblieben. In den 90er-Jahren sollte Deutschland zu einem führenden Finanzplatz in der Welt gemacht werden. Die Finanzmärkte wurden dereguliert, Hedgefonds und Steuersenkungen bei hohen Einkommen sollten Risikokapital lockermachen. (Sören Bartol [SPD]: Das wird nicht dadurch besser, dass man es wiederholt!) Die Internetwirtschaft boomte, bis die Dotcom-Blase platzte. Viele junge Unternehmen waren von heute auf morgen vom Geldmarkt abgeschnitten. Vor gut zehn Jahren aber waren die Fondsgesellschaften schon wieder am Start. Sie versprachen Risikokapital für Ideen, an die sich Banken und Sparkassen leider nicht herantrauten. Die Bundesregierung unterstützte -Risikokapitalisten seinerzeit mit Steuererleichterungen. Doch schon 2008 kam wieder einmal die Stunde der Wahrheit, als die vermeintlichen Geldvermehrungsmaschinen in sich zusammenfielen. Und heute schon wieder das gleiche Programm: Der Investitionszuschuss Wagniskapital aus der Regierungszeit Merkel/Rösler soll fortgesetzt und die Attraktivität des Fondsstandortes Deutschland für Wagniskapital erhöht werden. Sogar ein eigenes Börsensegment mit dem Titel „Markt 2.0“ soll es geben. Dieser Weg ist falsch. Existenzgründungen brauchen Kapital und kein Risiko, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und die Gründerinnen und Gründer brauchen Sicherheit, um ihre kreativen Ideen in Produkte und Dienstleistungen umsetzen zu können. In der Tat, Frau Zypries, mit dem Antrag der Koalition ist ein umfangreiches Papier vorgelegt worden – aber ohne jegliche Priorität und ohne jeglichen Zeitplan, dafür mit Finanzvorbehalt. Unsere Antworten auf die Herausforderungen lauten: mindestens 1 Milliarde Euro jährlich für den Breitbandausbau, ein Kreditprogramm für private, gemeinwirtschaftliche und kommunale Initiativen für eine flächendeckende Versorgung mit Glasfaser, Mikrokredite, Förderprogramme mit dem Schwerpunkt Teamgründungen und eine stärkere Förderung von Frauen beim Gründungsgeschehen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Flisek [SPD]) Axel Knoerig (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der amerikanische Ökonom Robert Solow hat einmal geschrieben: „Die entscheidende Triebfeder für Wirtschaftswachstum ist nicht Arbeit und Kapital, sondern technologischer Fortschritt.“ – Und genau da setzen wir mit diesem Antrag an. Wollen wir also der Solow’schen Logik folgen, dann müssen wir Technologien und Innovationen massiv fördern. Vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen bei uns in Deutschland muss es nur ein Ziel geben: Wir sind digitales Wachstumsland Nummer eins bis 2017. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die entscheidende Schlüsselbranche dafür ist die Informations- und Kommunikationstechnologie. Sie muss jetzt mit Hochdruck gefördert werden, damit modernste Soft- und Hardware sowie Dienstleistungsangebote entwickelt werden, um die Digitalisierung wirklich in allen Wirtschaftsbereichen voranzutreiben. Wenn wir uns die Entwicklung des IKT-Sektors in Europa und in der Welt anschauen, dann stellen wir fest, dass in Amerika und auch in Asien, zum Beispiel in Indien und Brasilien, Marktzuwächse von 9 bis 14 Prozent möglich sind, während die Rate in Europa bedenklich tief liegt, nämlich bei unter 1 Prozent. Wie können wir also das Innovationspotenzial unserer IKT-Branche optimal ausschöpfen? Bevor wir die Frage beantworten können, müssen wir, wie ich denke, uns als Erstes die speziellen Eigengesetzlichkeiten dieser Branche anschauen und sie entsprechend berücksichtigen. Punkt eins: Im Vergleich zu vielen anderen Wirtschaftszweigen ist hier der Zeitrahmen für Innovationen erheblich enger. Bei Internetunternehmen dauern die Projekte oft nur wenige Wochen. Dadurch entstehen natürlich hohe Forschungs- und auch Entwicklungskosten. Da ist die Frage aufzuwerfen: Liegt es nicht in unserem eigenen Interesse, steuerliche Förderung zur Unterstützung anzubieten? Die Zeit drängt, und wir sollten die Programmförderung diesen schnellen Prozessen entsprechend anpassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Punkt zwei: Im Vergleich zu den USA und Asien sind die meisten IKT-Unternehmen hierzulande kleinere Betriebe. Nur 1 Prozent der Softwarefirmen hat über 100 Mitarbeiter. Wir haben in Deutschland nun einmal keine Internetriesen wie Facebook oder Google. Also sind wir im Grunde genommen gezwungen, uns auf unsere eigenen Stärken zu konzentrieren. Und das sind die klassischen Wirtschaftsbereiche: unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen. Sie betreiben ebenfalls Forschung und Entwicklung auf einem internationalen Spitzen-niveau. Das sollten wir auch entsprechend herausstellen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich stelle fest, dass allein in den letzten vier Jahren 8 Millionen Euro an Forschungsförderung in meinen Wahlkreis geflossen sind. Da sage ich: Das ist nur ein Anfang. Die Mittelstandsförderung muss zukünftig noch intensiver mit der Innovationspolitik verbunden werden. Punkt drei: Wir müssen die IKT-Branche als weltweites soziales Netzwerk begreifen. Da reichen nationale Regelungen nicht aus, insbesondere was die Sicherheit betrifft. Ein Schritt in die richtige Richtung ist das geplante Freihandelsabkommen mit den USA. Daraus werden sich, denke ich, viele wirtschaftliche Impulse für unsere Branche ergeben. Dabei ist entscheidend, wie die Bundeskanzlerin festgehalten hat, dass wir hierbei unsere hohen Sicherheitsstandards beibehalten möchten. Punkt vier: Mehr als andere Branchen ist die IKT-Branche vom Risikokapital abhängig. Gerade Asien und Amerika bieten hier den jungen Hightechunternehmen weitaus günstigere Voraussetzungen. Damit kommt es zur schnelleren Anschlussfinanzierung, um neue Produkte auf die Märkte zu bringen. Daher müssen wir hinterfragen: Warum ist das bei uns nicht annähernd möglich? Sollten nicht auch unsere Banken gerade diesen kleinen und mittleren Unternehmen solche Risikofinanzierungen erleichtern? Dieses muss in Crowdfunding, meinem fünften Punkt, eingebunden werden. Dieses Thema ist erwähnenswert, weil damit die digitale Wirtschaft eine neue Form der Eigenkapitalbeschaffung umgesetzt hat. Es ist zu hoffen, dass diese private Form der Finanzierung von den Start-ups weiter ausgebaut wird und sich damit wirklich eine Alternative zur öffentlichen Finanzierung etabliert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht hierbei aber nicht nur um die IKT-Branche als Kernbranche, sondern sie strahlt wie eine Querschnittstechnologie auch in andere Bereiche hinein: in den Automobilbau, die Elektrotechnik, die chemische Industrie und sogar die Landwirtschaft. Ein Beispiel: Schon heute besteht ein Auto zu 30 Prozent aus elektronischen Bauteilen. Dieser Anteil wird in den nächsten 15 Jahren bis auf 50 Prozent ansteigen. Oder schauen wir uns den Maschinen- und Anlagenbau an: Deutschland ist der führende Fabrikausstatter in der Welt. Hier werden bis zu 200 Milliarden Euro umgesetzt, und dieses Ergebnis sichert fast 15 Millionen Menschen direkt und indirekt Beschäftigung. Deswegen war es zielgerichtet, Frau Staatssekretärin Zypries, dass hier das BMBF über die Forschung gerade das Projekt „Industrie 4.0“ mit unterstützt. Auf 15 Jahre ist dieses Programm angelegt und hat einen besonders hohen Stellenwert, weil wir uns davon versprechen, die Marktführerschaft vor Asien und Amerika zu sichern. Ich denke, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist vorausschauende und verantwortliche Innovationspolitik zur Sicherung von Leitbranchen an unserem Wirtschaftsstandort Deutschland. Deswegen ist es wichtig, dass wir den Ordnungsrahmen der digitalen Wirtschaft international wettbewerbsfähig ausrichten. Dazu gehört natürlich im Allgemeinen, die digitale Infrastruktur in den Bereichen Verkehr, Energie, Gesundheit und öffentliche Verwaltung entsprechend auszubauen. Ich sage als Vertreter des ländlichen Raumes immer wieder gern: Genauso wie es in Ballungszentren selbstverständlich ist, muss es im Grunde genommen auch im ländlichen Raum selbstverständlich sein, dort auf das schnelle Internet zurückgreifen zu können. Hier ist das Stichwort CeBIT gefallen. Allein auf der CeBIT sind dieses Jahr 1 500 Veranstaltungen und Workshops zu IT-Sicherheit und Datenschutz abgehalten worden. In Hannover wurden heute 30 mittelständische Unternehmen im Bereich IT und Softwareentwicklung ausgezeichnet. Trotz alledem stellen wir fest, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass – man höre und staune – durch Cybercrime der deutschen Wirtschaft tagtäglich Schäden in Höhe von einer Viertelmilliarde Euro entstehen. Deswegen müssen wir die mittelständischen Betriebe weiter sensibilisieren und vor allem das neue IT-Sicherheitsgesetz zügig voranbringen. Das ist ein politischer Impuls, der aus den Reihen der Politik kommen muss. Wir brauchen keine Verbundnetze, sondern diesen politischen Impuls. Aber es ist auch wichtig, dass wir die Mitarbeiter mitnehmen. Wir brauchen interkulturelle Kompetenzen. Immer mehr Berufsschulen – zum Beispiel auch die in Syke in meinem Wahlkreis – bieten europäische Ausbildungsangebote an. Die Bundesregierung hat sich ja zum Ziel gesetzt, die Zahl der Auszubildenden, die einen Auslandsaufenthalt absolvieren, zu verdoppeln. Meine Zeit ist abgelaufen. (Heiterkeit) Ich fasse zusammen: In dem ersten Antrag der Großen Koalition zur digitalen Wirtschaft geht es darum, dass wir unsere Ziele in Bildungs-, Forschungs- und Arbeitsmarktpolitik intensiv miteinander verknüpfen müssen. Dann bleibt auch unsere deutsche IKT-Wirtschaft wettbewerbsfähig. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. Ich glaube nicht, dass Ihre Zeit abgelaufen ist, sondern Ihre Redezeit. Ich möchte auf diesen Unterschied hinweisen. Nächster Redner ist Dieter Janecek für die Grünen. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Diese Welt ist in einem rasanten Wandel; wir erleben eine permanente technologische Revolution“ – mit diesen Worten hat der britische Premier David Cameron am vergangenen Sonntag auf der CeBIT den digitalen Wandel, wie ich finde, treffend beschrieben. Aber wir sollten auch bedenken: Als wir Ende Januar die erste Generaldebatte zur Wirtschaftspolitik geführt haben, war ich nach meiner Erinnerung ziemlich der Einzige, der das Thema angesprochen hatte. Wir haben also in diesem Hause im Verständnis für die Digitalwirtschaft noch Nachholbedarf. Mittlerweile – das ist das Positive – hat der Ausschuss Digitale Agenda seine Arbeit aufgenommen, wenn auch gestern leider nicht mit vielen Inhalten, weil wir die Beratung abbrechen mussten. Aber es geht voran. All die Schlagworte wie Big Data, Industrie 4.0 und Internet der Dinge beschäftigen uns. Für manch einen sind das noch wenig greifbare Dinge. Die Kanzlerin hat auf der CeBIT durchaus technologiekritisch die „Selbstbehauptung des Menschen vor seiner Überflüssigkeit“ angemahnt. Ich finde, das ist ein interessanter Punkt. Auch Nachdenkliches gehört zur Debatte. Dafür hat sie meinen vollsten Respekt. Aber bei aller gemeinsamen Analyse zum Beispiel zur Veränderung der Arbeitswelt oder zur fehlenden Exportstärke – ein Großteil der Internetfirmen ist nicht bei uns angesiedelt, sondern in den USA oder in China; das ist ein Problem, das wir angehen müssen – fehlen mir in Ihrem Antrag zwei wesentliche Orientierungen. Das ist die Erkenntnis, dass wir in Deutschland zwei ganz -wesentliche Standortvorteile gegenüber den USA und China haben, die es auszubauen gilt und die auch für die weitere Entwicklung des freien Internets von entscheidender Bedeutung sein werden. Das eine ist das Thema Sicherheit, Daten- und Vertrauensschutz, und das andere ist unsere Technologieführerschaft bei Energieeffizienz und Ressourcenwende. Wer auf der CeBIT mit Unternehmensvertretern gesprochen hat – ich habe mit einer ganzen Reihe gesprochen –, konnte feststellen, dass die informationelle Selbstbestimmung nicht nur ein Grundrecht ist, sondern es inzwischen für viele Unternehmen eine Frage des wirtschaftlichen Erfolgs ist, dass sie die Sicherheit ihrer Daten gewährleisten können. Das heißt auch, dass sich die Verheißungen von Big Data oder Datability – dieses Kunstwort ist jetzt auf der CeBIT aufgetaucht – nur dann verwirklichen können, wenn wir diese Daten konsequent schützen. Nehmen wir das Beispiel WhatsApp: Innerhalb von 24 Stunden hat der kleine Schweizer Konkurrent Threema seine Nutzerzahlen mehr als verdoppeln können und führt nun die iTunes-Charts in Deutschland und Österreich an. Das ist ein Beispiel, wie man Alternativen schaffen kann, wie also auch wir erfolgreich sein können. Laut der jüngst erschienenen Studie des Bundesverbands Digitale Wirtschaft sind der Schutz und die Sicherheit von Daten für 43 Prozent der befragten Unternehmen ein zentrales wirtschaftliches Thema. Es ist damit das zweitwichtigste Thema neben der Netzneutralität. Das heißt, rund um Datenschutz und IT-Sicherheit ergeben sich zahlreiche neue Geschäftschancen, beispielsweise die Anwendungen für sichere Telefonie oder die Abschirmung von Firmennetzwerken. Wir reden auch noch über ein No-Spy-Abkommen und über Spionage. Überall dort haben wir Vorteile, die wir voranbringen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das fehlt mir in Ihrem politischen Handeln – Stichwort „Vorratsdatenspeicherung“. Um glaubwürdig zu sein, muss man insgesamt so agieren, wie man es nach außen darstellt. Es gibt noch einen weiteren Punkt. Wir hatten vorhin eine Debatte zur Energiewende. Auch sie hängt elementar mit der digitalen Agenda zusammen. Ressourcenschonung und Energieeffizienz, das waren auch Themen auf der CeBIT. Stichwort „Smart Housing“: Hier geht es ja um die Frage, wie wir künftig unser Zuhause per intelligenter Energiesteuerung vernetzen und die damit verbundenen Potenziale nutzen. Wir sollten auch über die intelligente Steuerung von Kraftwerken und Netzen reden, über Lastmanagement in der Industrie und Smart Metering in den Haushalten. So funktioniert Energiewende 2.0, also all das vernetzt sich miteinander. Auch das müssen wir strategisch und konsequent nutzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die digitale Kommunikation ermöglicht es, dass wir vieles einfach teilen und nutzen können, anstatt es besitzen zu müssen. Beispiel Carsharing: Am Anfang hat man darüber gelacht. Heute nutzen das viele, und sie können es nutzen, weil sie ein Handy haben, womit eine intelligente Steuerung und Nutzung möglich ist. Auch das sind Potenziale, die wir heben können. Ich komme zum Schluss. Die digitale Wirtschaft ist auch ein Treiber für die ökologische Transformation. Das Auto wird in Zukunft ein rollendes Rechenzentrum sein. VW-Chef Winterkorn hat in seiner Rede auf der CeBIT zwei Herausforderungen für die Automobilindustrie genannt: zum einen das automatische Fahren und zum anderen die Vernetzung des Autos mit der Umwelt. All das müssen wir im Rahmen der Technologieführerschaft, die wir haben und ausbauen sollten, zusammendenken und als Standortvorteile für uns begreifen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner in der Debatte ist Christian Flisek für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Flisek (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Janecek, ich teile Ihre Einschätzung nicht. Ich glaube, die digitale Agenda ist in der deutschen Politik angekommen. Das ist die eindeutige Botschaft, die die Koalition mit dem Koalitionsvertrag aussendet. Das ist die Botschaft, die wir mit der Einsetzung und Konsti-tuierung des Ausschusses Digitale Agenda ausgesendet haben. Das ist auch die Botschaft, die wir mit unserem heutigen Antrag – parallel zur weltgrößten IT-Messe, der CeBIT in Hannover – an die Bürgerinnen und Bürger aussenden. (Beifall bei der SPD) Schon im Koalitionsvertrag haben wir festgeschrieben, dass wir „eine digitale Agenda für die Jahre 2014–2017 beschließen und ihre Umsetzung gemeinsam mit Wirtschaft, Tarifpartnern, Zivilgesellschaft und Wissenschaft begleiten“ werden. Die Konstituierung des neuen Vollausschusses Digitale Agenda vor wenigen Wochen hat deutlich gemacht, dass dieses komplexe Querschnittsthema einen sichtbaren Platz im Herzen des deutschen Parlaments bekommt. Mit unserem Antrag zum Technologie-, Innovations- und Gründungsstandort Deutschland und zu den Potenzialen der digitalen Wirtschaft in Deutschland machen wir einen weiteren Schritt, den Arbeitsauftrag aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Mit unserem Antrag stecken wir wichtige Handlungsfelder für die weiteren Schritte in dieser Legislaturperiode ab. Meine Damen und Herren, wenn wir über die Wachstumspotenziale der digitalen Wirtschaft sprechen, dann sollten wir vor allem die Menschen in den Mittelpunkt stellen, die diese Wachstumspotenziale heben sollen. Das sind zum einen die qualifizierten Fachkräfte, die in den Wertschöpfungsketten der Industrie, in den Dienstleistungsbetrieben und im Handel beschäftigt sind, in Wertschöpfungsketten, die sich immer stärker und schneller digitalisieren. Diese Beschäftigten werden sich auch, egal ob sie in einem Start-up-Unternehmen oder in einem Industriebetrieb arbeiten, in der digitalen Arbeitswelt dafür einsetzen müssen, dass sie nicht nur Arbeit haben, sondern dass sie gute Arbeit haben, mit guter Bezahlung und zu guten Arbeitsbedingungen. Wir Sozialdemokraten werden sie dabei unterstützen. (Beifall bei der SPD) Genau deshalb haben wir in unseren Antrag hineingeschrieben, dass auch in der digitalen Welt, also in einer Welt permanenter Erreichbarkeit, das Prinzip der Kernarbeitszeit nicht ausgehöhlt werden darf. Gute digitale Arbeit immer wieder neu zu definieren und den Veränderungen anzupassen, muss auch in Zukunft im Dialog zwischen Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft intensiv erarbeitet werden. Neben den qualifizierten Fachkräften in der deutschen Wirtschaft prägt eine zweite Gruppe die digitale Wirtschaft wie keine andere. Das sind die Gründer, Menschen jeden Alters, die, mit einer frischen Idee ausgestattet, versuchen, sich auf eigene, auf selbstständige Beine zu stellen, und dabei Verantwortung für sich und ihre Mitarbeiter übernehmen. Hier gibt es viel Licht und Schatten. Wir haben äußerst starke und attraktive Gründerszenen etwa hier in der Hauptstadt und in einigen deutschen Metropolregionen. Es muss uns aber doch alarmieren, dass die Gründerzahlen insgesamt in den letzten fünf Jahren rückläufig waren und dass heute – es liegen Studien und Umfragen vor, aus denen das hervorgeht – von den deutschen Universitätsabsolventen eines Jahrgangs nur noch 7 Prozent sich überhaupt vorstellen können, ein Unternehmen zu gründen. Angesichts dieser Zahlen muss man kein Prophet sein, um festzustellen: Selbstständigkeit verliert vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und eines drohenden Fachkräftemangels zunehmend an Attraktivität. Diesen Trend müssen wir umdrehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Attraktivität der Selbstständigkeit wird man nicht alleine durch einzelne Maßnahmen erhöhen. Das ist meine Überzeugung. Was wir brauchen, ist eine grundsätzlich neue Einstellung in unserer Gesellschaft. Für eine neue Gründerzeit in Deutschland, wie es im Koalitionsvertrag steht, brauchen wir vor allem einen neuen Gründergeist. Wir brauchen eine viel höhere gesellschaftliche Anerkennung der Selbstständigkeit, und wir brauchen eine Kultur der zweiten, der dritten Chance und keine Stigmatisierung des Scheiterns. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Erst dann, meine Damen und Herren, werden wir wieder mehr Gründer bekommen, und zwar solche, die aus Lust gründen und nicht aus Frust. Die Gründer von heute sind der Mittelstand von morgen. Ohne Gründungen werden wir kein Wachstum in Deutschland haben. Neben diesem Mentalitätswechsel braucht es auch klare Bedingungen, um das zu gewährleisten. Geld ist eine davon. Wir müssen deshalb die Finanzierungsbedingungen verbessern, und zwar für alle Phasen einer Gründung, insbesondere für die wichtige Wachstums-phase. Hier haben wir Lücken im deutschen Finanzierungssystem. Es ist angesprochen worden: Alternative Finanzierungsformen wie das Crowdfunding müssen stärker unterstützt werden. Und, ja, es braucht auch ein neues Börsensegment zur Belebung von Börsengängen junger, wachstumsstarker Unternehmen. Wir brauchen einen Rechtsrahmen; insbesondere müssen die Eckpunkte für ein Venture-Capital-Gesetz zügig vorgelegt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Schlussendlich – ich komme zum Schluss – gehört vor allem der Abbau von bürokratischen Hürden dazu. Wer gründet und wer mit Gründern spricht, weiß: Es müssen sehr viele Hürden überwunden werden. Wir sollten daher die bürokratischen Hürden in der Gründungsphase so niedrig wie möglich halten und die Ansprechpartner für Gründer in der Verwaltung konzentrieren; denn eine überbordende Verwaltung und eine überbordende Bürokratie können aus jeder Lustgründung auch wieder eine Frustgründung machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. – Das Wort hat Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über Gründungsbedingungen in der digitalen Wirtschaft, wir reden über Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft. Beide vorliegenden Anträge befassen sich nun mit Themen, die deutlich über die klassischen wirtschaftspolitischen Themen hi-nausgehen. Ich will das einmal benennen: Haftungsregelungen für WLAN-Betreiber, digitale Bildung, Entwicklung von Open Access, Urheberrecht, Open-Data-Gesetz, Medienkompetenz – das alles kommt nicht nur im Antrag der Großen Koalition vor, sondern auch in unserem Antrag. Ehrlich gesagt, ich finde, das spricht alles dafür, dass das federführend im Ausschuss Digitale Agenda behandelt wird und nicht im Wirtschaftsausschuss. (Beifall bei der LINKEN) Es macht, ehrlich gesagt, auch wenig Sinn, hier einen pompösen Antrag vorzulegen, über den dann nächste Woche – nach der vorläufigen Tagesordnung im Übrigen ohne Debatte – abgestimmt werden soll. Das orientiert nicht auf eine seriöse Beratung eines solchen Antrags. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das deutet auf Entschlossenheit!) Digitale Gründungsbedingungen zu verbessern oder die Potenziale der digitalen Wirtschaft auszuschöpfen, beginnt unseres Erachtens in der Schule. Nur wer versteht, wie es funktioniert, wird selbstbestimmt und souverän mit dem Internet und seinen Möglichkeiten umgehen können. Deshalb fordern wir ein Förderprogramm für digitales Lernen und die Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit entsprechender Hardware sowie die Erarbeitung digitaler und offener Lehr- und Lernmate-rialien. Das ist deutlich konkreter als Ihr Allgemeinplatz. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen Netzneutralität gesetzlich festschreiben. Wir sagen auch konkret, wie wir uns das vorstellen, nämlich indem eine Priorisierung unterschiedlicher Dienste- und Inhalteklassen nur bei zeitkritischen Diensten und ausschließlich zur technischen Effizienzsteigerung zulässig sein soll. Ergriffene Netzmanagementmaßnahmen sollen von den Netzbetreibern gegenüber den Nutzerinnen und Nutzern begründet und transparent und nachvollziehbar dargestellt werden. Wenn auch Sie von der Koalition das jetzt fordern, begrüßen wir das. Dann sind wir uns ja einig; denn Netzneutralität ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Gründung von Start-ups. (Beifall bei der LINKEN) Die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft hatte empfohlen, bei Bundesorganen Open-Source-Software zu fördern und ihre Weiterentwicklung gezielt zu unterstützen. Leider ist in Ihrem Antrag davon nicht die Rede. Das finde ich ausgesprochen schade; denn die Förderung und der Einsatz von Open Source sind nicht nur eine wichtige Gründungsbedingung, sondern sie sichern auch die Zukunft mittelständischer digitaler Unternehmen. (Beifall bei der LINKEN) Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass das Urheberrecht wissenschafts- und innovationsfreundlich weiterzuentwickeln ist. Da sind wir uns alle einig. Eine erste Möglichkeit, das umzusetzen, wäre, das aus unserer Sicht -innovationsfeindliche Leistungsschutzrecht für Presseverlage abzuschaffen. (Beifall bei der LINKEN) Zu Recht weisen Sie darauf hin, dass ein Fokus auf die soziale Absicherung der Kreativen zu legen ist. Wie Sie das innerhalb einer Woche durch eine Ausschussberatung klären wollen, ist mir schleierhaft – aber gut. Ein konkreter Weg hierzu wäre beispielsweise, das Urhebervertragsgesetz zu ändern. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Wir haben in der letzten Legislaturperiode einen Vorschlag vorgelegt (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!) – die Grünen auch –, wie die Geltendmachung des Rechts auf angemessene Vergütung von Urheberinnen und Urhebern erleichtert werden kann. (Beifall bei der LINKEN) Zur sozialen Absicherung der Kreativen gehört aber auch, dass diese die Möglichkeit bekommen oder behalten, in die KSK einbezogen zu werden, und dass derjenige, der mit einem Start-up scheitert, nicht in Hartz IV stürzt; denn das ist keine Ermunterung, aktiv zu werden. Eine repressionsfreie soziale Grundsicherung könnte hier ein Anfang sein, um Kreativen eine soziale Ab-sicherung zu bieten. Wir sollten uns darüber hinaus wenigstens dazu entschließen, eine Enquete-Kommission zum bedingungslosen Grundeinkommen noch in dieser Legislaturperiode einzusetzen, um diese Idee, deren Befürworterin ich persönlich bin – sie ist bei uns umstritten; aber ich finde sie gut –, mit ihren Vor- und Nachteilen in Ruhe zu erörtern. (Beifall bei der LINKEN) Sie sehen: Das Themenspektrum ist umfassender. Es gehört in den Ausschuss Digitale Agenda, und es braucht mehr Zeit, es zu behandeln. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Der nächste Redner ist Hansjörg Durz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, heute meine erste Rede vor diesem Hohen Hause über ein Thema halten zu dürfen, das für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland ganz wesentlich ist, nämlich die Frage, wie wir den Technologie-, Innovations- und Gründungsstandort Deutschland stärken und wie wir die enormen Potenziale der digitalen Wirtschaft für Wachstum und nachhaltige Beschäftigung ausschöpfen – ein Ziel, das uns sicher alle eint. Unsere Wirtschaft ist in guter Verfassung und befindet sich auf einem stabilen Kurs. Angesichts der Prognose für das aktuelle Jahr dürfen wir positiv gestimmt sein. Alle Indikatoren deuten auf ein weiteres Wachstum der deutschen Wirtschaft hin. Die Lage und die Stimmung sind gut. Ein Wachstumstreiber der gesamten deutschen Wirtschaft ist die Digitalisierung, auch weil sie immer mehr wirtschaftliche und gesellschaftliche Lebensbereiche durchdringt und verknüpft, weit über die klassischen Bereiche der Informations- und Technologiebranche hinaus. Ein aktuelles und sehr anschauliches Beispiel der unaufhaltsamen Digitalisierung unserer starken Wirtschaft ist die Automobilindustrie. Beim Auto-Salon in Genf wurde einmal mehr deutlich, dass die Digitalisierung die Autoindustrie antreibt. In Genf stand schon beinahe nicht mehr das Auto im Vordergrund, sondern vielmehr die Vernetzung des Autos mit den unterschiedlichen Internetdiensten. Dort wurde von einer revolutionären Entwicklung gesprochen. Volkswagenchef Martin Winterkorn hat dies als einen der größten Umbrüche seit Bestehen des Automobils bezeichnet. Wir können uns also der bahnbrechenden Bedeutung, die diese digitale Entwicklung für unser wirtschaftliches Wachstum und unsere Arbeits- und Lebenswelten mit sich bringt, nicht entziehen; und das wollen wir auch gar nicht. Die Bedeutung der digitalen Wirtschaft wird durch die eindrucksvollen Zahlen in den Monitoring-Berichten der letzten Jahre deutlich unterstrichen. Eine für mich sehr bemerkenswerte Information lautet, dass den Deutschen der Zugang zum Netz 5,6-mal so viel wert ist, wie er sie derzeit kostet. Das zeigt den Stellenwert, den das Netz, den die Digitalisierung für die Menschen mittlerweile einnimmt. Das enorme Potenzial, das uns die Digitalisierung beschert, gilt es beim Schopfe zu packen; denn Deutschland braucht verstärkt Innovationen, um im globalen Wettbewerb weiterhin erfolgreich bestehen zu können. In den vergangenen Jahrzehnten war unser Unternehmertum ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die deutsche Wirtschaft. Ohne die vielen Unternehmer – vom kleinen Betrieb über den Mittelständler bis hin zum global agierenden Unternehmen – stünden wir heute nicht so gut da. Wir haben es neben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor allem den hervorragenden Innovationen, dem Mut und Fleiß, insbesondere aber auch dem besonderen Unternehmergeist zu verdanken, dass wir auch heute wirtschaftlich wieder im Aufschwung sind. Diesen Unternehmergeist brauchen wir auch in Zukunft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch heute gibt es viele junge Menschen, die bereit sind, etwas zu unternehmen. So wurden zum Beispiel seit 2009 jährlich knapp 9 000 Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnik gegründet. Wir müssen und wollen aber die Zahl der Gründungen in den nächsten Jahren deutlich steigern, auch weil wir wissen, dass insbesondere inhabergeführte Unternehmen enorme Innovationskraft haben und Innovationen schaffen. Gerade vor diesem Hintergrund ist es umso dringlicher, dass wir die Chancen und Potenziale der Digitalisierung ergreifen und das Unternehmertum vorantreiben. Die jungen Köpfe in der digitalen Welt bilden das Kapital unserer wirtschaftlichen Zukunft. Sie treiben die Innovationen voran und schaffen Arbeitsplätze. Wir wollen die Gründerkultur und damit den Mittelstand von morgen stärken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nun mangelt es in Deutschland nicht an fleißigen Menschen und auch nicht an guten Ideen. Vielmehr sind es oftmals die Rahmenbedingungen, die es Existenzgründern nicht ganz leicht machen. Dazu gehören -sicherlich Themen wie die Entbürokratisierung der -Antragsverfahren, eine bessere Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft oder der Auf- und Ausbau der Netzwerke für Start-ups. In Bayern besteht beispielsweise ein Netzwerk von 45 Gründerzentren, darunter 23 tech-nologischen. Hier finden Existenzgründer und junge -Unternehmen die Hilfe, die sie in der Gründungs- und Frühphase benötigen. Hier finden auch innovative Entwicklungen den Weg in die Wirtschaftlichkeit. Rahmenbedingungen, die den Erfindergeist aktiv unterstützen, sind sicher der Schlüssel zum Erfolg. Dazu gehört auch, dass genügend Kapital für die Umsetzung neuer, auch wagemutiger Ideen zur Verfügung gestellt wird. Jungen, innovativen Unternehmen ist noch zu häufig der Weg zu den klassischen Finanzierungsquellen versperrt, weil für eine Kreditfinanzierung die Risiken zu hoch und die Sicherheiten zu gering sind. Zweifellos gibt es eine Reihe erfolgreicher Modelle der Förderung innovativer Unternehmen, die fortgesetzt werden müssen. Mit dem High-Tech Gründerfonds II mit einem Fondsvolumen von 301,5 Millionen Euro wurden richtige Weichen gestellt. Auch der Innovationszuschuss Wagniskapital ist sicherlich ein guter Weg, den wir weiter ausbauen müssen. (Beifall des Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU]) Aber wir brauchen ein durchgängiges Angebot an Finanzierungsmöglichkeiten für die unterschiedlichsten Phasen der Entwicklung eines jungen Unternehmens: von der Frühphase bis hin zur Wachstumsfinanzierung. Ich bestätige: Da gibt es Lücken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dabei müssen wir uns neben den Möglichkeiten staatlicher Fördermodelle vor allem um die Gewinnung privater Investoren kümmern. Das im Koalitionsvertrag festgehaltene Instrument des Crowdfunding ist ein Instrument zur Frühphasenfinanzierung, in welchem viele kleine Beträge einer Geschäftsidee zur Umsetzung verhelfen. Es ist ein Modell, das gerade in jüngster Zeit an Dynamik gewinnt. Aber sogenanntes Wagniskapital führt in Deutschland im Vergleich zu anderen Industrienationen immer noch ein Schattendasein. Auch wenn die Venture-Capital-Investitionen in IT-Start-ups 2013 leicht zugelegt haben, haben wir in Deutschland relativ wenig Gründerkapital. Deswegen müssen wir den gesetzlichen Rahmen dafür schaffen, dass mehr Business Angels in junge innovative Unternehmen investieren, dass unseren intelligenten Köpfen mehr Wagniskapital zur Verfügung gestellt wird und dass in einer späteren Unternehmensphase auch Anteile innovativer, wachstumsstarker Unternehmen in einem neu eingeführten Börsensegment gehandelt werden können. Deutschland kann international mit den besten und kreativsten Köpfen konkurrieren. Wir haben die nötige Manpower und hervorragendes Know-how. Wir müssen unsere Ressourcen nur besser nutzen und vor allem die Rahmenbedingungen für Innovationen und Investitionen fördern. In der Digitalisierung stecken für unsere Wirtschaft und für unsere Gesellschaft große Potenziale und Chancen. Gehen wir sie an! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Lieber Herr Kollege, im Namen des ganzen Hauses wünschen wir Ihnen, unserem Augsburger bzw. Neusäßer Kollegen, alles Gute für die nächste Zeit als Abgeordneter und gratulieren Ihnen zu Ihrer ersten und sicherlich nicht letzten Rede im Deutschen Bundestag. (Beifall) Die nächste Rednerin ist Tabea Rößner für Bündnis 90/Die Grünen. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man ein Symbol für die digitale Kompetenz der Großen Koalition bräuchte, wäre dies ein herausgezogener LAN-Stecker. Den bekam man nämlich am Montagnachmittag um Punkt 15 Uhr zu sehen, falls man gerade dabei war, die Pressekonferenz der Minister Gabriel, de Maizière und Dobrindt im Internet zu verfolgen. Da stellen sich die drei Minister hin und wollen Einigkeit und Kompetenz demonstrieren – und nach einer halben Stunde wird ihnen der Stecker gezogen, weil die Leitung für den Stream nicht lang genug reserviert worden war. So viel zur vereinten Internetkompetenz der Minister. In Sachen Netzpolitik schaut man bei der GroKo in die Röhre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gerold Reichenbach [SPD]: Wenn Sie jetzt noch mehr Nonsens erzählen, zieht Ihnen die Präsidentin auch den Stecker!) Aber selbst als der Stream lief, redeten die drei Minister viel und sagten äußerst wenig. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Oh!) Minister Dobrindt blieb beim Breitbandausbau im Vagen – so wie übrigens auch Sie in Ihrem Antrag. Das Ziel, bis 2018 flächendeckend eine Downloadgeschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde zu erreichen, klingt sehr gut; aber schon 2011 hatte Bundeskanzlerin Merkel versprochen, es werde Highspeedinternet für drei Viertel aller Haushalte bis zum Jahr 2014 geben. Jetzt haben wir das Jahr 2014, aber immer noch kein Highspeednetz. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) 2018 ist also das neue 2014. Ist es eigentlich Zufall, dass Sie als Zeitpunkt immer das Jahr nach der Bundestagswahl nennen? Aber gut, das Ziel ist klar; wie Sie es erreichen wollen, ist jedoch nicht klar. Ein Kaffeeklatsch mit den Telekommunikationsunternehmen hilft da auch nicht weiter. Noch immer ist kein Geld da, und auf die Erlöse einer weiteren digitalen Dividende zu setzen, ist nur scheinbar eine Lösung. Es ist völlig unklar, ob es überhaupt hohe Einnahmen geben wird. Das ist ungefähr so, als wollte ich mein Eigenheim mit einem zukünftigen Lottogewinn finanzieren. Das ist unseriös und planlos. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]: Was sind Ihre Vorschläge?) Immerhin gibt es im Antrag zwei Hoffnungsschimmer: Netzneutralität soll gesetzlich festgeschrieben werden, und es soll hinsichtlich der Verbreitung von lokalen und offenen WLAN-Netzen klare Haftungsregelungen geben. Beides darf nicht halbherzig angegangen werden. Es wäre nämlich ein echter Fortschritt, wenn wir das bekämen. Auf die konkrete Umsetzung bin ich allerdings ziemlich gespannt. Ich möchte noch auf einen zweiten Aspekt eingehen: die Kreativwirtschaft. Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass Sie die „Gründer von heute“ als den „Mittelstand von morgen“ bezeichnen. Die Wahrheit ist doch etwas differenzierter; denn das Ergebnis vieler Gründungen durch Kreative im digitalen Bereich sind Klein- und Kleinstunternehmen, und diese haben häufig ganz andere Sorgen. Sie benötigen zum Beispiel für die Gründung oft gar kein großes Risikokapital, sondern eher eine kleine Anschubfinanzierung. Das, Herr Jarzombek, hat auch die Arbeit der Enquete-Kommission ergeben; darüber haben wir schon einige Diskussionen geführt. Hier könnten zum Beispiel Mikrokredite schnell und wirksam helfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ebenso mangelt es oft an Platz, an Räumen für das eigene Unternehmen. Diese Probleme betreffen insbesondere Unternehmen rund um die Kreativwirtschaft, und für die haben Sie auch sonst nicht viel im Angebot. Sie machen keine konkreten Angaben, wie Sie die dringend notwendigen Reformen im Urheberrecht, im Urhebervertragsrecht oder bei der Künstlersozialkasse angehen wollen. Mir fehlt ein Signal, das den Kreativen, den Einzelkämpfern, den Kleinstunternehmern, frei nach dem britischen Künstler Astley, zeigt: Wir werden euch niemals aufgeben, niemals im Stich lassen, verletzen oder verlassen. Liebe SPD-Kollegen, ich kann mich an einen Antrag aus der letzten Legislaturperiode erinnern. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, bitte denken Sie an Ihre Redezeit. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin gleich fertig. – (Gerold Reichenbach [SPD]: Denk an den Stecker!) Ich kann mich an Ihren Antrag zur Kreativwirtschaft 2020 erinnern. Da waren Sie deutlich weiter. Ich verstehe nicht, warum Sie an dieser Stelle jetzt so zögerlich sind. „Agenda“ heißt wörtlich übersetzt: das zu Tuende. Wenn es bei den vielen vagen Andeutungen ohne Konzept dahinter bleibt, dann werden Sie sich mit der digitalen Agenda in dieser Legislatur jedenfalls nicht überarbeiten. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Die nächste Rednerin ist Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute im Plenum über die Potenziale der digitalen Wirtschaft und über die Potenziale für Wachstum, Innovation und Beschäftigung in Deutschland sprechen. Es passt sehr gut, weil gerade zeitgleich in Hannover die CeBIT, die weltgrößte -IT-Messe, stattfindet. Auf der CeBIT wird gezeigt, wie die Zukunft im digitalen Bereich aussieht und welche Produktinnovationen und technischen Innovationen es gibt. Es wäre aber zu kurz gesprungen, wenn wir die -CeBIT nur als Leistungsschau der IT-Branche betrachten würden. Die CeBIT ist viel mehr. Jeder, der da war, wird die gleiche Erfahrung gemacht haben. Man hat auf der CeBIT gespürt, wie radikal die Digitalisierung unser Leben, unser Arbeiten, unseren Alltag, die Gesellschaft und die Wirtschaft verändert. An dieser Veränderung wollen wir teilhaben. Wir waren mit unserem Ausschuss Digitale Agenda, mit dem Ausschussvorsitzenden Koeppen, mit dem Sprecher Jarzombek und mit vielen interessierten Kollegen, vor Ort. Wir haben gesehen, was Digitalisierung im Einzelnen heißt, zum Beispiel miteinander kommunizierende Autos. Wir haben gesehen, dass es Roboter geben wird, die zukünftig sowohl im Weltall als auch in Krisengebieten eingesetzt werden sollen. Wir haben eine Frau mit einer digitalen Handprothese getroffen, die durch diese Handprothese eine ganz neue Lebensqualität gewonnen hat. Wir haben gesehen, wie etwa in meinem Bundesland, dem Saarland, die Antragstellung für den Schwerbehindertenausweis, die Bewilligung und die Korrespondenz mit den Ärzten, also das gesamte Verfahren, digitalisiert wird. Das heißt, die Verwaltung wird schlanker, die Antragstellung wird erleichtert, und dem Betroffenen kann viel schneller geholfen werden. Das alles wurde durch innovative Forschungsinstitute und durch eine Menge Unternehmen ermöglicht, sowohl durch große Player, die man kennt, als auch durch viele innovative Start-ups. Es war schön, zu sehen, dass es sehr viel Forschung und Business made in Germany gibt und dies weltweit erfolgreich ist. Ich finde, darauf können wir sehr stolz sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir waren auch an den Ständen des Partnerlandes Großbritannien und sind durch die Asien-Hallen gegangen. Wir haben also gesehen, wie die Dynamik in diesen Ländern ist. Die Konkurrenz schläft nicht. Deshalb müssen wir künftig noch mehr Kraft und Energie in die digitale Wirtschaft stecken. Der IKT-Standort Deutschland liegt derzeit auf einem guten fünften Platz. Wir sind nach Umsätzen der viertgrößte Standort der Welt. Das ist ein respektables Ergebnis. Wir kennen aber die Dynamik in anderen Ländern. Wir wissen, wie etwa die USA oder China beim Thema Industrie 4.0 Gas geben. Da wollen wir den Anschluss nicht verlieren. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag eine Reihe von Maßnahmen vereinbart, um zum digitalen Wachstumsland Nummer eins zu werden. Im vorliegenden Antrag haben wir vier Schwerpunkte herausgegriffen. Ein Schwerpunkt ist der Breitbandausbau. Frau Kollegin Rößner, Sie haben kritisiert, dass Ihnen das nicht schnell genug geht und dass zu wenig getan wird. Ich hätte mich wirklich sehr gefreut, wenn Sie einen Vorschlag gemacht hätten, wie es denn schneller gehen kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1 Milliarde pro Jahr!) Wir haben die Netzallianz. Wir, das Parlament, werden die Rahmenbedingungen schaffen, damit es noch schneller geht. Wir werden den Unternehmen und auch der Regierung, die die Regulierungen vornehmen muss, die richtigen Werkzeuge an die Hand geben, damit es schneller geht. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Unternehmen wollen nicht investieren!) Wenn Sie in der Zwischenzeit noch konkrete Vorschläge haben, sind wir sehr dankbar und nehmen diese sehr gerne auf. Nur zu meckern, dass es nicht schnell genug geht, aber keinen einzigen konkreten Vorschlag zu machen, Frau Rößner, das ist wirklich zu wenig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tue ich doch gar nicht!) Ein weiterer Schwerpunkt ist das Thema digitale Sicherheit. Auf der CeBIT wurde deutlich, dass die Forschung in Deutschland in diesem Bereich sehr gut ist. Es gibt sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen, die etwa das Kanzlerhandy entwickelt haben oder sehr erfolgreich im Bereich Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sind. Wir haben in Deutschland sichere Router, die von deutschen Unternehmen hergestellt werden. Auf all diese Entwicklungen müssen wir setzen. Die Kompetenz dafür ist in Deutschland vorhanden. Eines muss klar sein: Vertrauen in die Digitalisierung und Vertrauen in IT können wir nur erreichen, wenn wir durch entsprechende Angebote für Sicherheit sorgen. Deutschland hat in diesem Bereich sehr große Chancen. Sicherheit darf aber nicht nur ein Luxus für wenige sein. Ein sicheres Handy gehört nicht nur in die Hände der Kanzlerin und der Minister. Sicherheit muss für alle, die IT nutzen, zum Standard werden; denn nur so werden die Unternehmen und auch die Bürger das notwendige Vertrauen haben, um sich an diesem Prozess zu beteiligen. Nur so werden wir den Anschluss an andere Länder halten können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen verstärkt in Fachkräfte im eigenen Land investieren. Wir müssen aber auch Fachkräfte von außen werben. Außerdem müssen wir – das wurde heute schon sehr oft gesagt – die jungen, innovativen Köpfe in unserem Land weiter fördern. Wir müssen für ein besseres Gründungsklima in unserem Land sorgen. Wir müssen den Menschen Mut machen. Sie sollen nicht nur abhängig beschäftigt arbeiten, sondern ein eigenes Unternehmen gründen, sich selbstständig machen, das eigene Schicksal in die Hand nehmen, Mitarbeiter einstellen und für sich und andere Verantwortung übernehmen. Der IT-Bereich ist dafür sehr gut geeignet. Wir haben in Deutschland eine lebendige Gründungskultur. Das wollen wir weiter unterstützen und fördern. Im Koalitionsvertrag haben wir dafür die Einführung einer „Gründungszeit“ vereinbart. Wir wollen das ganze Gründungsverfahren endlich entbürokratisieren. Wenn man bedenkt, wie lange es in Deutschland dauert, ein Unternehmen zu gründen, und wie schnell und effizient das in anderen Ländern geht, dann wird eines deutlich: Wir als Politiker haben unsere Hausaufgaben zu machen. Wir wollen den Unternehmergeist stärken, wir wollen Gründungen vereinfachen und bei den dafür notwendigen Instrumenten nachbessern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Kollegen von der Linken haben leider nicht so ganz verstanden, wie das heutzutage läuft. Liebe Kollegen von der Linken, es ist zwar richtig, dass es Gründungen in Deutschland gibt. Aber leider können die Unternehmen irgendwann nicht mehr wachsen und sind deshalb gezwungen, ins Ausland, zum Beispiel in die USA, zu gehen, um sich dort von einem Venture-Capital-Unternehmen finanzieren bzw. aufkaufen zu lassen. Sie haben also nur dort eine Zukunft; denn in Deutschland bekommen sie kein Venture Capital. Nun sagen Sie: Venture Capital ist in Deutschland kein Thema, das ist alles Kapitalismus und ganz furchtbar. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Es gibt eine Studie dazu, Frau Schön! Das wissen Sie!) Das ist genau der falsche Ansatz. Wir brauchen das Venture Capital in Deutschland, wir brauchen sogar mehr Venture Capital in Deutschland. Ich weiß nicht, welche Studien Sie zitieren. (Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Wenn Sie auf der CeBIT mit jungen Start-up-Unternehmern sprechen, dann sagen Ihnen alle, dass das Venture Capital, die Wachstumsfinanzierung, das zentrale Problem in Deutschland ist. Die deutschen Unternehmen kommen ab einem gewissen Punkt in Deutschland und auch in Europa nicht mehr weiter. Das wollen wir ändern. Wir brauchen das Venture Capital, wir brauchen das Wachstumskapital. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin. Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Dafür wollen wir sorgen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Genau, und wir brauchen jetzt langsam das Ende Ihrer Rede. Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mich an das Ende meiner Redezeit erinnern. (Heiterkeit) Viele Aufgaben liegen vor uns. Wir wissen, was wir anpacken müssen. Wir haben große Ambitionen. Wir wollen die Neugier in unserem Land stärken und den jungen, aber auch den klassischen Unternehmen dazu verhelfen, dass sie die Chancen der Digitalisierung – Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, das war aber nicht nur ein Erinnern, sondern Sie müssen wirklich zum Ende kommen! Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): – durch Vernetzung und Internationalisierung nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Gute Rede! Da hört man gerne länger zu!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Tja, aber dann muss ich es Ihren Kollegen von der Redezeit abziehen. So ist nun einmal das Leben: gerecht. Jetzt hat das Wort Lars Klingbeil für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lars Klingbeil (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir den Koalitionsantrag zur digitalen Wirtschaft heute im Plenum diskutieren können. Das ist ein wichtiges Signal, das die Große Koalition setzt. Ich will hier auch einmal deutlich sagen: Während Grüne und Linke noch meckern bei der Frage „federführend oder mitberatend“, (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir nicht gemeckert!) hat der Ausschuss angefangen, zu arbeiten, und zusammen mit dem Wirtschaftsausschuss hier einen wirklich wegweisenden Antrag vorgelegt, der sich mit der digitalen Wirtschaft befasst. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn ich mir die Reden von Linken und Grünen anhöre, in denen moniert wird, was alles in diesem Antrag fehlt – es hat mir jetzt gerade noch gefehlt, dass kritisiert wird, dass da nichts zum Thema Genmais drinsteht –, (Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! – Gegenruf des Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ein bisschen souveräner!) dann will ich Ihnen sagen: Das ist ein Antrag, der sich um das Thema „digitale Wirtschaft“ kümmert und der auch andere Themen anschneidet. Aber seien Sie sich sicher: Es wird von der Großen Koalition noch viele weitere Anträge geben, die sich mit Teilaspekten der digitalen Agenda beschäftigen. Staatssekretärin Zypries hat vorhin angesprochen, wie umfassend dieses Thema ist. Es wird jetzt von der Bundesregierung bearbeitet. Auch wir als Parlament werden daran arbeiten. Ich kann Ihnen berichten: Wir haben in der Koalition vereinbart, dass es bald einen Antrag zu dem gesamten Komplex der Datensicherheit und zur Frage der IT-Sicherheit, des Datenschutzes geben wird. Lassen Sie uns heute aber bitte über das diskutieren, wovon dieser Antrag handelt, nämlich über die digitale Wirtschaft und die Frage: Wie können wir eigentlich die Potenziale, die in diesem Bereich liegen, stärken? Wie können wir sie hervorheben? Wie können wir Arbeitsplätze hier in Deutschland, aber auch in Europa schaffen? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie sich den Antrag anschauen, den wir in den letzten Wochen mit Hochdruck erarbeitet haben, dann sehen Sie, dass er im Bereich der digitalen Wirtschaft zwei Schwerpunkte hat. Der eine ist die Frage: Wie können wir Existenzgründungen in Deutschland stärken? Wie können wir die Rahmenbedingungen dafür verbessern? Der andere Schwerpunkt liegt auf der Frage: Wie können wir im Bereich der Wirtschaftsförderung in Bezug auf die klassischen Industriebereiche, die ja auch vor großen Umbrüchen durch die Digitalisierung stehen, zu Veränderungen kommen? Wie können wir hier Digitalisierungsmechanismen fördern und für bessere Rahmenbedingungen sorgen? Es gibt dann aber auch eine ganz spannende dritte Frage, die wir in diesem Antrag anfangen zu beantworten: Wie können wir die unterschiedlichen Bereiche – Start-ups auf der einen Seite und Industrie 4.0 auf der anderen Seite – zusammenbringen? Eine ganz entscheidende Plattform wird der IT-Gipfel sein; das hat die Staatssekretärin vorhin angesprochen. Auch der Wirtschaftsminister hat es im Rahmen der CeBIT gesagt. Wir wollen, dass der Nationale IT-Gipfel breiter aufgestellt wird, dass er geöffnet wird, dass dort auch die klassische Industrie viel stärker vertreten sein wird und dass wir Themen stärker zusammen diskutieren. Wenn wir über digitale Wirtschaft reden, dann müssen wir uns klarmachen: Es ist eine Wirtschaft, die vor allem auf Ideen basiert, auf Innovationen, auf Kreativität. Es ist ganz wichtig, sich das bewusst zu machen, wenn wir darüber nachdenken, wie wir die Potenziale dieser Wirtschaft stärken können. Auf der CeBIT konnte ich mit vielen jungen Gründern sprechen. Man muss schon feststellen: Das ist eine sehr ruhige Branche. Die haben nicht viele Forderungen. Aber wenn man die Gründer fragt: „Was ist für euch wichtig? Welche Rahmenbedingungen müssen verbessert werden?“, erhält man eigentlich immer nur zwei Antworten. Das Erste ist der Zugang zu Kapital, und das Zweite ist die Frage der Fachkräfte. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf der CeBIT sind nicht alle!) Das sind die Fragen, die junge Gründer in Deutschland bewegen. Auch dazu gibt es in diesem Antrag viele Antworten, die wir als Große Koalition geben. Wir wollen den Zugang zu Kapital verbessern. Dabei geht es nicht nur um die Wachstumsphase. Auch hier haben wir Antworten, etwa beim Thema Crowdfunding; das wollen wir rechtlich besser absichern. Aber es geht auch um die Wachstumsphase. Das ist das, was uns Start-ups sagen. Das ist ein großes Problem. Wenn man sich entschieden hat, zu wachsen, wenn die Idee vielleicht auch europäisch oder international interessant werden soll, dann stellt sich nämlich die Frage: Wie kann man dieses Wachstum absichern? Deswegen wollen wir das Venture-Capital-Gesetz auf den Weg bringen. Es soll Eckpunkte dazu formulieren. Wir wollen auch die Einführung eines neuen Börsensegments Markt 2.0 prüfen. Wir wollen den Bereich des Wagniskapitals staatlicherseits ausbauen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den wir mit diesem Antrag auf den Weg bringen und den wir von der Bundesregierung einfordern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das Zweite ist dann in der Tat der Bereich der Fachkräfte. Da geht es um eine Willkommenskultur in Deutschland, auch um die Frage der Zuwanderung, die wir anpacken werden. Wir wollen darüber reden: Wie können wir Fachkräfte herholen? Aber es geht auch um die Fachkräftegeneration von morgen. Das Thema „digitale Bildung“ taucht ebenfalls in diesem Antrag auf, aber noch nicht so ausführlich, wie wir das in dieser Legislatur behandeln wollen, auch gemeinsam mit den Ländern. Aber wir haben damals in der Enquete-Kommission viele gute Beschlüsse zur digitalen Bildung gefasst, etwa wenn es darum geht, dass Schülerinnen und Schüler Zugang zu einem eigenen Laptop oder Tablet haben sollen, dass die Lehrerausbildung verändert werden muss, dass die Bildungsmaterialien digitalisiert werden müssen. In Bezug auf die digitale Bildung und die Fachkräftegeneration von morgen liegt also noch viel Arbeit vor uns. Auch das wollen wir anpacken. Was neben Talents und Capital zur Stärkung von Gründungen und zur Stärkung der Industrie 4.0 gehört, sind die Themen Breitband – das ist schon angesprochen worden – und IT-Sicherheit, die wir in einem eigenen Antrag bearbeiten werden. Ich sage Ihnen: Lassen Sie uns schauen, wie wir gemeinsam die digitale Wirtschaft in Deutschland stärken können. Das sind die Arbeitsplätze von morgen. Das sind neue Arbeitsplätze, auch neue Arbeitsmodelle, die wir fördern müssen. Es geht insgesamt darum, in Deutschland eine neue Gründerzeit beginnen zu lassen. Mit diesem Antrag wollen wir dafür ein deutliches Signal setzen. Ich freue mich auf die Beratung hier im Parlament und auf die Verabschiedung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Herr Kollege. – Letzter Redner in dieser Debatte ist Thomas Viesehon für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Guter Mann!) Thomas Viesehon (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass ich in meiner ersten Rede in diesem Hohen Hause die Gelegenheit habe, zur Bedeutung der digitalen Wirtschaft zu sprechen. Als Mitglied des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur möchte ich dabei den Fokus auf den weiteren Ausbau der digitalen Netze legen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das ist auch wichtig!) Nicht umsonst wurde der Kompetenzbereich des Verkehrsausschusses um dieses Thema ergänzt. Die Einbindung der digitalen Infrastruktur war sinnvoll und wird Früchte tragen. Nachdem es uns in den letzten Jahren gelungen ist, eine fast flächendeckende Internetversorgung sicherzustellen, steht nun der qualitative Ausbau im Mittelpunkt. Denn nicht nur unsere Verkehrsinfrastruktur muss funktions- und leistungsfähig sein; auch die Anbindung an digitale Netze muss diesen Anforderungen -entsprechen. Beide Schwerpunkte unserer Arbeit im Ausschuss sind wesentliche Bausteine der positiven Weiterentwicklung Deutschlands. So werden wir erfolgreich Mobilität und Modernität für unser Land und die hier lebenden Menschen ermöglichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Vorredner sind bereits ausführlich auf die Potenziale, die die digitale Wirtschaft in Deutschland hat, eingegangen. Ich kann mich ihnen nur anschließen. Deutschland muss die Chancen, die sich in der digitalen Wirtschaftswelt bieten, konsequent nutzen. Wir als Verantwortliche im Bund müssen zusammen mit unseren Mitstreitern auf den anderen politischen Ebenen die richtigen Rahmenbedingungen setzen, um auch in Zukunft global wettbewerbsfähig zu bleiben. Neben der Klärung von rechtlichen Fragen, die zum Beispiel im Beihilferecht oder bei der Öffnung von WLAN-Netzen bestehen, gehört zu den Rahmenbedingungen insbesondere die schon genannte flächendeckende und funktionsfähige digitale Infrastruktur. Das Ziel der nächsten vier Jahre ist gesetzt: in allen Teilen Deutschlands leistungsfähige Breitbandanschlüsse mit mindestens 50 Mbit/s, und das so schnell wie möglich. Vom Erreichen dieses Ziels wird insbesondere der ländliche Raum profitieren; denn während in den Ballungszentren der Breitbandausbau mit Glasfaserkabeln zum großen Teil abgeschlossen oder weit fortgeschritten ist, gibt es im ländlichen Raum immer noch Lücken. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Große Lücken!) Hier gilt es, Abhilfe zu schaffen. Ich komme aus dem ländlichen Raum. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß!) Es gibt durchaus auch dort Fortschritte. Diesbezüglich hat die digitale Agenda schon etwas gebracht. Die Digitale Dividende war kein Lottogewinn, sondern sie wurde gezielt eingesetzt, wenn mir das Wort erlaubt ist. Alle unsere Bürgerinnen und Bürger – Sie können sich darauf verlassen, dass das meine Marschrichtung sein wird –, auch die auf dem Land, sollen einen uneingeschränkten Zugang zur digitalen Welt haben, und zwar in dem benötigten Umfang und in der zuvor genannten Zeit. Wir sind uns darüber im Klaren, dass eine flächendeckende Versorgung bis 2018 ausschließlich über Glasfasernetze aufgrund der damit verbundenen Kosten nicht zu realisieren ist. Wie können wir das Versorgungsziel alternativ erreichen? Die Lösung ist die Nutzung von Innovationen im Bereich der bereits vorhandenen Kupferdraht-, Mobilfunk-, Kabel- und WLAN-Netze. Zudem müssen die bisherigen Instrumente für den Breitbandausbau überprüft und neue Ansätze entwickelt werden. Bezogen auf das Festnetz gehört dazu, für alle eingesetzten Technologien eine weitere Reduzierung der Grabungskosten als einem der größten Kostentreiber zu erreichen. Zur vollen Netzabdeckung können wir zudem gering besiedelte Gebiete über den weiteren Ausbau des LTE-Netzes erschließen. Hierfür gilt es weitere Funkfrequenzressourcen im Breitbandbereich vorzuhalten. Dies alles soll verdeutlichen: Nur mit dem richtigen Technologiemix wird es einen schnellen und bezahlbaren flächendeckenden Breitbandausbau geben. Für 2016 ist im Rahmen der Digitalen Dividende 2 die Versteigerung eines weiteren LTE-Frequenzblocks mit guten Ausbreitungsmöglichkeiten geplant. Dieser Zeitplan ist ambitioniert, denn bei diesen Maßnahmen handelt es sich um Frequenzen aus dem Rundfunkbereich. Da stoßen wir schon jetzt auf Widerstände von Rundfunkanstalten und Interessenverbänden, die die klassische Kultur- und Medienlandschaft gefährdet sehen. Deswegen müssen wir frühzeitig den Dialog aufnehmen und gemeinschaftlich Lösungen erarbeiten, damit es nicht zu unnötigen Verzögerungen kommt. Dabei ist auch klar, dass wir die Vergabe der neuen Frequenzen an eine unmissverständliche und eindeutige Versorgungsauflage für den ländlichen Raum koppeln und die Erträge aus der Frequenzvergabe zweckgebunden für den flächendeckenden Ausbau der Netze einsetzen müssen. Das heißt: keine Frequenzvergabe ohne die Sicherstellung der Versorgung ländlicher Räume. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber wir wollen auch den offenen Dialog mit den Verantwortlichen. Deshalb bin ich froh, dass Bundesminister Alexander Dobrindt am vergangenen Freitag mit der Initiative „Netzallianz Digitales Deutschland“ hierfür den Startschuss gegeben hat. Denn nur wenn wir die großen Telekommunikations- und Netzunternehmen mit an den Tisch holen, können wir gemeinsam und auf schnellem Wege unser Ziel der funktions- und leistungsfähigen Breitbandversorgung in ganz Deutschland erreichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns alle diesen Weg beschreiten und die Chancen der Digitalisierung zum Wohle unseres Landes und der hier lebenden Menschen nutzen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, lieber Kollege. Sie hätten eigentlich noch eine halbe Minute weiterreden können. Vielleicht das nächste Mal; denn mit Sicherheit war das nicht Ihre letzte Rede. Auch Ihnen sage ich Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede und wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Arbeit hier im Deutschen Bundestag. Mit Ihnen hat heute ein Kollege seine erste Rede gehalten, der bei der Raiffeisenbank ausgebildet worden ist. Ein anderer Kollege, der vorhin ebenfalls seine erste Rede gehalten hat, war bei der Sparkasse. (Heiterkeit – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Solide Finanzen ist ein wichtiges Merkmal der Union!) Also ist alles gut austariert. Wir sind in guten Händen. Ich gratuliere Ihnen sehr. (Beifall) Wir kommen zu den Abstimmungen über die Überweisungsvorschläge. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 18/764 (neu) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Federführung ist jedoch strittig. Deswegen müssen wir abstimmen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke, also Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Überweisungsvorschlag abgelehnt bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Ablehnung von CDU/CSU und SPD. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Digitale Agenda wollen wir!) – Ja, die wollen wir alle, aber jetzt geht es um die Überweisung. (Heiterkeit) Dieser Überweisungsvorschlag ist angenommen: -Zustimmung von CDU/CSU und SPD, Ablehnung der Linksfraktion und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen jetzt zur Vorlage auf Drucksache 18/771. Sie soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Auch hier ist die Federführung strittig, same procedure. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke, also Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt: Zustimmung von Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen und Ablehnung von der Mehrheit von CDU/CSU und SPD. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD – Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Überweisungsvorschlag angenommen: Zustimmung von CDU/CSU und SPD und Ablehnung von Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 b sowie Zusatzpunkt 2 auf: 14 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Parteispenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden verbieten, Parteispenden natürlicher Personen begrenzen Drucksache 18/301 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für mehr Transparenz in der Internationalen Atomenergie-Organisation Drucksache 18/772 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 h auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 15 a: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erneute Überweisung von Vorlagen aus früheren Wahlperioden Drucksache 18/770 Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Antrag ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des -Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 15 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 14 zu Petitionen Drucksache 18/594 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 14 ist damit einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 15 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 15 zu Petitionen Drucksache 18/595 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 15 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 15 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 16 zu Petitionen Drucksache 18/596 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 16 ist angenommen: -Zustimmung von CDU/CSU und SPD-Fraktion, Neinstimmen der Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 15 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 17 zu Petitionen Drucksache 18/597 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 17 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 15 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 18 zu Petitionen Drucksache 18/598 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer -enthält sich? – Sammelübersicht 18 ist angenommen: Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und Ablehnung der Linken. Tagesordnungspunkt 15 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 19 zu Petitionen Drucksache 18/599 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer -enthält sich? – Sammelübersicht 19 ist angenommen: Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Linken und Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 15 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 20 zu Petitionen Drucksache 18/600 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer -enthält sich? – Sammelübersicht 20 ist angenommen: Zustimmung von CDU/CSU und SPD, Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und Linken; keine Enthaltungen. – Jetzt sind wir damit durch. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung -eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. April 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay über Soziale Sicherheit Drucksache 18/272 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Kollegin Waltraud Wolff für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Am 5. Juli 1930 lief die „Conte Verde“ in Montevideo ein. An Bord -waren die europäischen Teilnehmer der ersten Fußballweltmeisterschaft. Uruguay hatte sich bereit erklärt, die Weltmeisterschaft auszutragen. Als das Schiff am Kai festlag – so ist vom belgischen Schiedsrichter Jan Langenus zu lesen –, empfing uns eine vieltausendköpfige Menschenmenge, deren herzliches Willkommen nur übertroffen wurde von der Geschäftigkeit der Photographen … Deutsche Fußballspieler waren nicht an Bord. Deutschland trat 1930 nicht an. Bis zum Jahr 2014 hat sich sehr viel geändert. Mindestens 10 000 Deutsche und 40 000 Menschen mit deutschen Wurzeln leben in Uruguay. Ich finde, das ist eine ungewöhnlich hohe Zahl, wenn man sich einmal vorstellt, dass die Bevölkerung Uruguays circa 3,4 Millionen Menschen umfasst. Auch die wirtschaftlichen -Beziehungen zu Deutschland sind sehr eng. Wir sind in Europa der größte Abnehmer von Produkten aus Uruguay; weltweit sind wir der sechstgrößte Abnehmer. Heute, meine Damen und Herren, beraten wir in erster Lesung einen Gesetzentwurf über ein Sozialabkommen zwischen Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay. Mit diesem Abkommen vertiefen wir die ohnehin schon sehr gute Zusammenarbeit. Wir schaffen in gegenseitigem Einvernehmen soziale Sicherheit. Dabei geht es um soziale Errungenschaften für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zum Arbeiten in das -jeweils andere Land entsandt werden. Außerdem werden die Rentensysteme koordiniert. Das heißt, Doppelversicherungen sollen vermieden werden, und Lücken im Rentenverlauf werden geschlossen. Das macht es dann natürlich einfacher: für die entsendenden Unternehmen, weil sie mit weniger Bürokratie zu tun haben, und für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, weil sie oftmals von doppelter Beitragsbelastung betroffen sind. Das alles wird besser. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Uruguay hat nach einer sehr schweren Wirtschaftskrise wieder Anschluss an die Weltwirtschaft gefunden. Die Wirtschaft wuchs. 2010 – man wundert sich – gab es ein Wachstum von 4 Prozent. Armut und Arbeitslosigkeit nahmen in dieser Zeit sehr stark ab. In Berichten über Uruguay ist immer von dem Musterknaben in Lateinamerika die Rede. So hat die Wirtschaftswoche 2012 mit Blick auf das krisengeschüttelte Europa zum Beispiel die Frage gestellt, was Griechenland von Uruguay lernen könnte. Dieses Land in Südamerika hat seinen wirtschaftlichen Aufschwung geschafft, indem es notwendige -Reformen beherzt angepackt hat. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Staat dabei ein ganz aktiver Motor war und gehandelt hat. Man hat nämlich gesagt: Wir wollen -Uruguay zur Logistikdrehscheibe Lateinamerikas -machen. – Gleichzeitig hat man das Steuersystem, den Arbeitsmarkt und das Gesundheitssystem reformiert. Im Jahr 2002, als mit der Frente Amplio ein Mitte-Links-Bündnis gewählt wurde, war völlig klar, in welche Richtung man geht. Man wollte die Lebenssituation der -breiten Bevölkerungsschicht verbessern. Die Menschen haben erwartet, im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs an dieser Verbesserung teilzuhaben. 2004 waren in Uruguay noch 40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung im informellen Wirtschaftssektor tätig; das heißt, diese Menschen haben ohne Arbeitsvertrag, ohne Sozialversicherung, ohne irgendwelche Rechte gearbeitet. Deshalb war es dann auch ausgemachtes Ziel der Regierung, genau hier anzusetzen und die Arbeitsmarktreformen so anzulegen, dass reguläre Arbeitsplätze entstehen. Man kann das kaum glauben: Es ist gelungen. Wenn Sie mich danach fragen, wie, kann ich ganz einfach die Antwort geben: Der Staat und die Gewerkschaften haben hier an einem Strang gezogen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die kollektiven Tarifverhandlungen wurden gestärkt. Die Löhne stiegen zwischen 2005 und 2009 um 24 Prozent. Heute arbeiten nur noch 23 Prozent im informellen Sektor. Alle anderen Beschäftigten arbeiten sozialversicherungspflichtig. Ich glaube, das ist ein echter Erfolg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie werden sich jetzt fragen: Warum erzählt Frau Wolff das in epischer Breite? Das kann ich Ihnen sagen: In Deutschland wird immer wieder behauptet, eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte führe dazu, dass Arbeit abwandert. Uruguay erzählt uns eine andere Geschichte. (Beifall bei der SPD) Ich glaube, dieses Land hat gezeigt, dass sich Wirtschaftswachstum und Arbeitnehmerrechte unter einen Hut bringen lassen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Wolff, denken Sie bitte an Ihre Redezeit? Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Ja, ich denke daran; vielen Dank für die Erinnerung. Meine Damen und Herren, wir haben gesehen: Eine gute Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik trägt dazu bei, dass die Menschen am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben. Ich glaube, wir in Deutschland können auch einmal einen Blick über den Tellerrand werfen; deshalb freue ich mich, dass wir die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt nicht zu Protokoll geben. Wenn wir uns fragen: „Wie macht Uruguay das?“, erweitert das vielleicht auch unseren Blick für andere Lösungsmöglichkeiten. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Das Wort hat Azize Tank für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Azize Tank (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soziale Grundrechte sind eine unabdingbare Voraussetzung für ein würdiges Leben, egal in welchem Land. Sie sind auch eine Verpflichtung für Regierungen, ihre Innen- und Außenpolitik mit diesen Rechten in Einklang zu bringen; denn auch soziale Sicherheit gehört zu den Grund- und Menschenrechten. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Durch das Abkommen mit Uruguay können bei Rentenansprüchen die Versicherungszeiten beider Länder berücksichtigt werden. Die deutsche Seite berücksichtigt sogar Rentenansprüche, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU erworben wurden. Fortschrittlich ist auch die Gleichstellung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts der Leistungsempfänger: Ich begrüße, dass das Abkommen die uneingeschränkte Zahlung von Renten in den anderen Staat vorsieht; das ist mit dem sogenannten Leistungsexportprinzip gemeint. Derartige Abkommen zwischen Deutschland und anderen Ländern müssten angesichts der fortschreitenden Globalisierung eigentlich selbstverständlich sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich frage mich: Warum pflegt die Bundesrepublik eine solche Kooperation bei der Sozialversicherung nicht mit allen Staaten, egal ob es lateinamerikanische oder europäische Staaten wie beispielsweise Andorra, Moldawien oder Georgien sind? Es ist erst zwei Monate her, dass der Europäische Ausschuss für Soziale Rechte die Bundesrepublik wegen Verletzungen der Europäischen Sozialcharta gerügt hat, weil Deutschland solche Abkommen mit mehreren Staaten in Europa gerade nicht abgeschlossen hat. Bereits abgeschlossene Rentenabkommen wie das mit der Republik Polen von 1975 dürfen dabei nicht dazu führen, Ghetto-Arbeitern ihre berechtigten Rentenansprüche zu verweigern. Dies ist aber die gegenwärtige Praxis der Bundesrepublik gegenüber polnischen Juden, die in Ghettos gearbeitet haben. Leider sieht der neue Referentenentwurf der Bundesregierung auch hier keine Änderungen vor. Die Gewährleistung des Rechts auf soziale Sicherheit ist in der Europäischen Sozialcharta festgeschrieben, also die Gleichbehandlung von Staatsbürgern verschiedener Staaten in Europa hinsichtlich der Ansprüche bei der sozialen Sicherheit. „Soziale Sicherheit“ heißt es in der Überschrift des Gesetzentwurfs und in dem zugrunde liegenden Abkommen. Sie ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Tat von zentraler Bedeutung. Aber die Vermeidung doppelter Beitragsbelastung und die Berücksichtigung von Versicherungszeiten bei den Rentenansprüchen sind nur ein Teil wirklicher sozialer Absicherung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Soziale Sicherheit ist ein Grund- und Menschenrecht und Bestandteil der sozialen Menschenrechte, wie sie im UN-Sozialpakt von 1966 längst festgeschrieben sind. Deshalb erlaube ich mir, abschließend an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass das Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt endlich auch von der Bundesregierung ratifiziert und umgesetzt werden muss, (Beifall bei der LINKEN) wie dies übrigens schon durch mehrere lateinamerikanische und europäische Staaten geschehen ist. Mit dem Ja zu diesem Gesetzentwurf verbinde ich also den Appell, endlich die überfällige Umsetzung der EU-Sozialcharta und des UN-Sozialpaktes vorzunehmen. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das Wort hat Dr. Martin Pätzold für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt den Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zu dem Abkommen vom 8. April 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay über Soziale Sicherheit. Freier Handel und freier Austausch sind für die Entwicklungen von Volkswirtschaften von besonderer Bedeutung. Dabei sind unsere in Deutschland gelebten sozialen Standards die Richtschnur für internationale Abkommen. Soziale Marktwirtschaft und ihre Errungenschaften schlagen sich bei diesen transnationalen Vereinbarungen nieder. Durch den freien Handel und die Ausweitung unserer internationalen Abkommen und Beziehungen wollen wir durch die Ausnutzung komparativer Vorteile nicht nur uns, sondern auch den Partnerländern einen möglichst hohen Wohlstand ermöglichen. Wir wollen eines: die Chancen der Globalisierung nutzen; (Beifall bei der CDU/CSU) denn die Globalisierung verknüpft die Lebensverhältnisse der Menschen in der ganzen Welt immer enger miteinander. Aber auch hier brauchen wir Regeln, um etablierte Industrien, junge Industrien, strategisch wichtige Industrien und heimische Arbeitsplätze zu schützen. Demnach sollen die deutschen wirtschaftlichen Interessen in der Welt gleichzeitig gefördert, geschützt und weiterentwickelt werden zu einer gerechten und nachhaltigen globalen Wirtschaftskooperation. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Uruguay ist traditionell ein wirtschaftsliberales Land mit entsprechenden Institutionen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es eine der reichsten Volkswirtschaften Lateinamerikas. Nach einer Phase wirtschaftlicher Schwäche – Frau Wolff hat es schon angesprochen – ist Uruguay heute ein aufstrebendes Land mit einem beeindruckenden Wirtschaftswachstum. Egal ob es um Demokratie, Transparenz oder Wettbewerbsfähigkeit geht: Uruguay steht im internationalen Ranking relativ weit vorn. Zu Deutschland pflegt Uruguay traditionell sehr gute Beziehungen. In Montevideo, der Hauptstadt Uruguays, besteht seit 1916 eine Deutsch-Uruguayische Handelskammer mit über 500 Mitgliedern. In Uruguay leben derzeit – das wurde auch schon angesprochen – ungefähr 10 000 Deutsche. Hinzu kommen 40 000 Deutschstämmige. Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist das ein relativ hoher Anteil. Bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben Deutsche dort auch einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung geleistet. Daher ist es wenig überraschend – auch das hat Frau Wolff schon angesprochen –, dass wir in Europa der größte Importeur uruguayischer Waren sind. Laut Statistischem Bundesamt haben wir 2002 Güter im Wert von 291 Millionen Euro aus Uruguay importiert, und gleichzeitig führten wir Waren im Wert von 247 Millionen Euro dorthin aus. Aktuell sind 30 deutsche Unternehmen in Uruguay aktiv, vor allem im Industriebereich – Chemie- und Pharmaindustrie – sowie im Transport- und Logistikbereich. In der Regel versorgen deutsche Unternehmen den Markt dort durch lokale Partner, aber auch aus Drittländern wie Argentinien und Brasilien. All das spricht dafür, dass es gelungen ist, nachhaltige Beziehungen zu Uruguay aufzubauen. Das vorliegende Abkommen verfolgt daher das Ziel, eine Doppelversicherung zu vermeiden und damit eine indirekte Doppelversteuerung zu verhindern. Das ist gleichermaßen im Interesse deutscher Arbeitnehmer und der Arbeitnehmer aus Uruguay. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deshalb stellen die Regelungen für die Zuordnung und Abwicklung von Versicherungsverhältnissen im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung zwischen beiden Staaten einen Vorteil für betroffene Arbeitnehmer, Rentner und Betriebe dar, da es zu Verwaltungsvereinfachungen und weniger Bürokratie kommt. Das Abkommen sieht außerdem die uneingeschränkte Zahlung von Renten in das jeweils andere Land vor. Das Abkommen zwischen der Republik Östlich des Uruguay und der Bundesrepublik Deutschland schließt hier eine Lücke. Rentner aus beiden Ländern können ihre Ver-sicherungsleistungen erhalten und so von diesem Abkommen profitieren. All das sind wichtige Fortschritte für die soziale Sicherheit. Ich habe ja noch ein wenig Redezeit, und deswegen möchte ich die Chance nutzen, noch ein persönliches Wort zu sagen: Uruguay wird in meinem Herzen bleiben, weil ich zu diesem wichtigen Abkommen und zu diesem wichtigen Land meine erste Rede im Deutschen Bundestag halten durfte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) – Danke. – Deswegen werde ich in Zukunft natürlich besonders darauf achten, wie sich Uruguay wirtschaftlich, kulturell und sozial entwickelt. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau!) Ich glaube, dass wir mit diesem Abkommen einen guten Beitrag zu dieser Entwicklung leisten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Dr. Pätzold. Wir alle gratulieren Ihnen zu Ihrer ersten Rede und freuen uns auf Ihre zweite Rede – möglicherweise wieder zu Uruguay. Viel Erfolg bei Ihrer Arbeit als Abgeordneter hier im Deutschen Bundestag. Der nächste Redner ist Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Pätzold, zunächst einmal auch von meiner Seite herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede. Dieses internationale Sozialschutzabkommen gibt uns Gelegenheit, einmal über den Tellerrand zu gucken und generell zu schauen, wie der Sozialstaat jenseits Europas eigentlich wahrgenommen wird und welche Funktion dem Sozialstaat in anderen Ländern, gerade in den wirtschaftlich aufstrebenden Ländern Südostasiens und Lateinamerikas, zukommt. In Gesprächen darüber habe ich sehr interessante Erfahrungen gemacht. Wir als Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales empfangen ja auch regelmäßig Delegationen, zuletzt etwa aus China; aber auch aus -Indonesien und vielen anderen Ländern waren schon Delegationen da. Die soziale Absicherung – dafür sind sozialstaatliche Regelungen notwendig – wird dort als Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg gesehen. Es war für mich wirklich hochinteressant, dass uns die Vertreter und Vertreterinnen dieser Delegationen gesagt haben: Wir brauchen jetzt die soziale Absicherung, um wirtschaftlich weiterzukommen. Es ist ein Wachstumshemmnis, wenn wir nicht die Sozialausgaben steigern und sichere, trittfeste Sozialsysteme etablieren. Dieser Zusammenhang zwischen Sozialstaatlichkeit und Ökonomie wird unmittelbar deutlich, wenn wir uns etwa die gegenwärtige Lage in der Volksrepublik China anschauen. Der dortige Immobilienboom hat elementar etwas damit zu tun, dass es kein vernünftiges Umlagesystem in der Rentenversicherung gibt. Die entstehende Mittelschicht investiert in Wohnungen, von denen inzwischen Hunderttausende, ja sogar Millionen einfach leer stehen. Trotzdem wird in diese Wohnungen investiert, weil es keine andere angemessene Möglichkeit der Altersvorsorge gibt. Das hat man inzwischen auch in China erkannt. Kehren wir zurück zum südamerikanischen Kontinent. Argentinien hat das Umlagesystem zunächst abgeschafft und versucht, es durch ein kapitalgedecktes System zu ersetzen. Das ist gründlich gescheitert. Jetzt etabliert Argentinien wieder ein Umlagesystem. Uruguay hat zu weiten Teilen – wir haben es von Frau Wolff gehört – seinen wirtschaftlichen Erfolg einer Verschlankung, aber vor allen Dingen einer Stützung und Stärkung der sozialstaatlichen Systeme zu verdanken. Wir sehen also, dass die Debatte über Sozialstaatlichkeit in diesen wirtschaftlich aufstrebenden Ländern häufig anders abläuft als hier im medialen Mainstream. Sozialstaat wird hierzulande häufig als Belastung, als Bürde, als Kostgänger der Wirtschaft dargestellt. Dabei sind wirtschaftlicher Erfolg und soziale Absicherung zwei Seiten einer Medaille. Soziale Absicherung ist Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir einen kurzen Blick auf die USA werfen, sehen wir, dass Sozialversicherungen die Wirtschaft entlasten. In den USA gibt es trotz der Ansätze einer gesetzlichen Krankenversicherung keine flächendeckende gesetzliche Krankenversicherung. Die Betriebe müssen dort selbst über Gruppenverträge mit privaten Versicherungen für die Krankenversicherung ihrer Beschäftigten sorgen. Das ist sehr, sehr teuer. Beschäftigte verlieren, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren, auch ihren Gesundheitsschutz. Wir sehen also: Es ist sogar im Sinne des kapitalistischen Wirtschaftens dysfunktional, wenn man – in dem Fall – auf eine gesetzliche Krankenversicherung, auf eine Sozialversicherung verzichtet. Darum wünsche ich mir, dass wir öfters über den Tellerrand hinausblicken, uns die Funktion von sozialer Sicherung vor Augen führen und dies auch in den hiesigen Debatten stärker berücksichtigen. Wir sollten eine schlichte, reduktionistische Sicht auf soziale Sicherung vermeiden und sehen, dass soziale Sicherung und insbesondere auch die Sozialversicherung mit dazu beitragen, dass es uns hier in Deutschland wirtschaftlich relativ gut geht. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Herzlichen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege Michael Gerdes von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Gerdes (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erinnere mich an die vergangene Legislaturperiode: Da sind aus Zeitgründen jede Menge Debattenbeiträge und Reden zu Protokoll gegangen, obwohl es sich bei vielen Themen gelohnt hätte, zu debattieren; nicht nur, um unterschiedliche Argumente auszutauschen oder in der Sache zu streiten, nein, auch, um die vielen positiven Errungenschaften unserer Gesellschaft hervorzuheben und deutlich zu machen. Deswegen freue ich mich, dass ich das heute an dieser Stelle tun kann. Mir ist es wichtig, aufzuzeigen, wie umfangreich die soziale Sicherheit unseres Staates ist, weil sie nämlich die unterschiedlichsten Lebens- und Arbeitsformen berücksichtigt. Das Sozialversicherungsabkommen mit Uruguay scheint für unser politisches Tagesgeschäft weniger wichtig zu sein. Aber es zeigt deutlich, was unser Sozialstaat leistet und wie das Leben im Sinne der Menschen gestaltet werden kann. Waltraud Wolff und Dr. Pätzold haben uns dankenswerterweise das Land dargestellt und seine Strukturen aufgezeigt. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird der soziale Schutz der Staatsangehörigen beider Länder geregelt. (Beifall bei der SPD) Doppelversicherungen und Lücken im Rentenverlauf werden vermieden. Das kann nur von Vorteil sein, insbesondere in einer globalisierten Welt, in der die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer flexibler sein müssen und Arbeitsaufenthalte im Ausland immer häufiger werden, nicht nur bei Ingenieuren oder Monteuren. Auch wenn die Republik Östlich des Uruguay geografisch sehr fern ist, gibt es viele Menschen, wie wir heute gehört haben, für die das Abkommen wichtig ist. Schließlich ist der Anteil der Personen mit deutschem Migrationshintergrund in Uruguay sehr hoch. Somit begrüßen wir das Abkommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zu Uruguay wurde schon sehr viel gesagt. Lassen Sie mich deshalb etwas grundsätzlicher werden. Sozialversicherungsabkommen haben eine gewisse Tradition. Als Bergmann und Abgeordneter aus dem Ruhrgebiet ist mir besonders das Sozialversicherungsabkommen mit der Türkei ein Begriff. Es besteht bereits seit 1964, und wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Gerade bei dem Sozialversicherungsabkommen mit der Türkei spielten die Tarifpartner, insbesondere die damalige IGBE und die Bergbaubetriebe, eine besondere Rolle. Ich erinnere daran, dass die Menschen als Gastarbeiter gerufen wurden. Viele blieben, andere gingen nach dem Arbeitsleben wieder zurück in ihre Heimat. Ohne entsprechende Verträge stünden diese Menschen deutlich schlechter da. Ähnliches gilt für die deutschstämmige Bevölkerung, die beispielsweise aus Polen zu uns gekommen ist, oftmals mit einer nicht unerheblichen Arbeitsbiografie. Dank des Sozialversicherungsabkommens können solche Personen problemlos ihre Altersrente klären und Ansprüche geltend machen. Deutschland hat mit einer Reihe von Ländern zweiseitige Sozialversicherungsabkommen geschlossen. Dazu gehören große Staaten wie die USA und Brasilien, aber auch kleinere Länder wie Montenegro und Mazedonien. Im Grundsatz geht es bei allen Abkommen um den Erwerb von Rentenansprüchen und die Zahlung von Renten in den jeweiligen Staaten. Es geht also um die Vorsorge fürs Alter. Wer zeitlich begrenzt im Ausland arbeitet, aus welchen Gründen auch immer, soll später, wenn es um seine Rente geht, keine Nachteile erleiden. Gleiches gilt im Übrigen für die Unfall-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Frau Tank hat die Frage gestellt: Warum werden nicht mehr Länder mit einbezogen? – Sicherlich ein berechtigtes, aber nicht immer einfaches Unterfangen. Aber ich weiß, dass wir schon mit einer ganzen Reihe von Ländern Sozialversicherungsabkommen geschlossen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sozialversicherungsabkommen sind absolut sinnvoll, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) auch deshalb, weil Deutschland auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen ist. Nur dann, wenn wir es schaffen, ausreichend Fachkräfte für Arbeit und Leben in Deutschland zu begeistern, bleiben wir wettbewerbsfähig und können langfristig unseren Wohlstand und unsere Lebensqualität sichern. Insofern verstehe ich jedes Sozialversicherungsabkommen als Teil einer guten Willkommenskultur. Lassen Sie uns daran arbeiten, dass nicht nur das Sozialversicherungsabkommen mit Uruguay, sondern auch weitere Abkommen hier erfolgreich debattiert werden. In diesem Sinne vielen Dank. Glück auf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Tobias Zech, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Tobias Zech (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kurth, Sie haben vorhin einen sehr klugen und interessanten Blick auf die Welt geworfen und uns mitgeteilt, wie wichtig es ist, dass wir positiv über unser deutsches Sozialsystem sprechen und das auch immer wieder untermauern. Ich freue mich schon darauf, dass Sie das in diesem Hohen Hause wiederholen, wenn wir die Rentenpakete verabschieden werden. Denn auch das gehört zur positiven Sozialpolitik. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ob das alles so gut ist?) Die Unterzeichnung des Sozialversicherungsabkommens zwischen Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay jährt sich nächsten Monat. Damals wurde dieses Abkommen noch von Guido Westerwelle unterschrieben. Es hat sich für uns bis heute vieles verändert, nicht aber die Sinnhaftigkeit und Wichtigkeit dieses Abkommens. Uruguay – das haben wir heute schon mehrmals gehört – ist als Einwanderungsland seit vielen Jahrzehnten eng mit Deutschland verbunden. Über 10 000 Deutsche und 40 000 Deutschstämmige leben in diesem Land. Das ist im Verhältnis zur Größe des Landes – es ist ungefähr halb so groß wie Deutschland – und zur Einwohnerzahl – vergleichbar mit der Berlins – ein ungewöhnlich hoher Anteil. Pro Jahr wandern circa weitere 400 Deutsche ein. Uruguay ist nach dem Global Peace Index Report das friedlichste Land in Lateinamerika. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine der reichsten Volkswirtschaften Lateinamerikas, ist Uruguay nach einer langen Phase wirtschaftlicher Schwäche heute wieder ein aufstrebendes Schwellenland mit einer Mischung aus marktwirtschaftlichen und sozialen Elementen. Uruguay ist trotz seiner geringen Größe eines der wachstumsstärksten Länder der Region. Seit sechs Jahren wächst die Wirtschaft stärker als der lateinamerikanische Durchschnitt. Das Wirtschaftswachstum betrug 2012 3,9 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt erreichte damit knapp 50 Milliarden US-Dollar. Die Wachstumsschätzungen für 2013 belaufen sich auf 3,5 bis 4 Prozent. Uruguay setzt damit seine positive Entwicklung seit dem Krisenjahr 2003 fort und wird zunehmend ein wichtiger Standort für deutsche Unternehmen. Es bestehen enge wirtschaftliche Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten. Deutschland ist in Europa der größte Abnehmer von Waren aus Uruguay; weltweit gehört die Bundesrepublik Deutschland zu den wichtigsten Abnehmerländern. Die gegenseitigen Beziehungen sind von Sympathie und Vertrauen geprägt, sodass beste Voraussetzungen für eine gute und dauerhafte Partnerschaft bestehen. Wir müssen diese Partnerschaft pflegen und weiter ausbauen, um dem politischen Dialog in allen Politikbereichen eine neue Qualität zu verleihen. Neben dem Blick nach China, Indien und Amerika darf der Blick nach Südamerika nicht verloren gehen. Umso erfreulicher finde ich es, dass dieses Abkommen nunmehr seinen gesetzlichen Rahmen findet. Das Abkommen ist ein sogenanntes offenes Abkommen, das auf alle Personen Anwendung findet, für die die Rechtsvorschriften einer der Vertragsstaaten gelten. Inhaltlich bezieht es sich vorrangig auf die gesetzliche Rentenversicherung. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit einer Reihe von Ländern solche zweiseitigen Sozialversicherungsabkommen geschlossen. So werden derzeit zum Beispiel auch Verhandlungen mit Argentinien und den Philippinen geführt. Diese Abkommen regeln im Wesentlichen den Erwerb von Rentenansprüchen und die Zahlung von Renten in dem jeweiligen Staat. Sie enthalten Bestimmungen über das anzuwendende Recht, die Gleichbehandlung der vom persönlichen Geltungsbereich erfassten Berechtigten, über die Wahrung der erworbenen Ansprüche sowie über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe. Die Themen Rente und soziale Sicherheit sind nach wie vor für uns alle Themen mit höchster Priorität. Daher gilt es insbesondere auch den Menschen, die nicht in ihrem Heimatland leben und arbeiten, Sicherheit zu gewährleisten und damit das Arbeiten in einem anderen Land zu ermöglichen. In der heutigen Zeit, in der der Arbeitsmarkt von einem stetigen Austausch mit anderen Nationen lebt, ist die soziale Absicherung besonders wichtig. Das internationale Arbeiten rückt durch weltweit agierende Unternehmen immer mehr in den Fokus. Wir müssen es unterstützen, wenn deutsche Firmen den uruguayischen Markt entdecken und sich dort mit deutschen Arbeitnehmern niederlassen wollen. Im Rahmen solcher Gründungen von Unternehmen und Tochterfirmen wird es immer wieder dazu kommen, dass deutsche Fachkräfte für einige Zeit in Uruguay tätig sind. Mit diesem Abkommen sorgen wir dafür, dass dies so unkompliziert wie möglich vonstattengehen kann. Der deutsche Arbeitnehmer, der in Uruguay arbeitet, kann weiterhin im deutschen Rentensystem bleiben. Das Abkommen unterstützt in höchstem Maße den regen Austausch deutscher und uruguayischer Arbeitnehmer, eine Entwicklung, die wir gerade in Anbetracht unseres Fachkräftemangels nur begrüßen können. Durch dieses Abkommen wird der soziale Schutz der Staatsangehörigen beider Länder innerhalb der jeweiligen Rentenversicherungssysteme sichergestellt und koordiniert. Arbeitnehmer, die bis zu 24 Monate in Uruguay bzw. in Deutschland eingesetzt werden, können im Rentensystem ihres Heimatlandes bleiben. Eine Doppelversicherung und Lücken im Rentenverlauf werden somit verhindert. Darüber hinaus sieht das Abkommen die uneingeschränkte Zahlung von Renten in dem anderen Staat vor. Dies ist für einen aktiven Wechsel der Arbeitnehmer unerlässlich, von dem sowohl Deutschland als auch Uruguay in höchstem Maße profitieren. Es gilt daher, bürokratische Hindernisse abzubauen und einen Übergang in einen neuen südamerikanischen Arbeitsvertrag für Arbeitnehmer so einfach wie möglich zu gestalten. Das ermöglicht dieses Abkommen nunmehr. Aber nicht nur für die deutschen Arbeitnehmer ist diese Sicherheit von besonderer Bedeutung. Gerade unter dem Aspekt der Internationalität des deutschen Arbeitsmarktes ist es unser Anliegen, uruguayische Arbeitnehmer willkommen zu heißen. Wir sind ein offenes Land und können mit diesem Abkommen unsere Willkommenskultur für Fachkräfte nur noch unterstreichen und weiter ausbauen. Der Bildung wird in Uruguay ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt, besonders im Bereich der Informationstechnik. Wir werden hier auch von uruguayischen Fachkräften profitieren können. Es ist an der Zeit, dass wir dieses Abkommen in den parlamentarischen Gremien beider Staaten absegnen und zum Beschluss führen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Zur letzten Rede zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich einer Kollegin das Wort, die ihre erste Rede im Deutschen Bundestag hält. Kollegin Gabriele Schmidt hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gabriele Schmidt (Ühlingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwischen dem Schwarzwald, wo ich herkomme, und dem Cerro Catedral in Uruguay liegen über 11 000 Kilometer Luftlinie. Diese Entfernung hindert aber weder Deutschland noch Uruguay, enge wirtschaftliche Beziehungen miteinander zu unterhalten und vor allem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in das jeweils andere Land zu entsenden, im Gegenteil: Die Bundesrepublik – wir haben einige dieser Informationen heute schon gehört – ist der wichtigste EU-Handelspartner Uruguays, und Deutschland steht auf Platz sechs der wichtigsten Abnehmerländer Uruguays weltweit. Um diese Bindung zu festigen und vor allem um die Bedingungen dafür zu schaffen, wurde das Abkommen über die soziale Sicherheit geschlossen. Mit dem vorliegenden Vertragsgesetz, das heute in der ersten Lesung ist, schaffen wir nun die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Ratifizierung des Abkommens. Die Welt ist global geworden, und die Globalisierung macht auch nicht halt vor der Arbeitswelt. Heute sind es nicht mehr nur Rucksacktouristen und Abenteurer, die ein exotisches Land wie Uruguay besuchen, sondern Kaufleute und Techniker oder Landwirte oder Ingenieure. Die arbeiten dort und erwerben Rentenanwartschaften. Für diese Lebenssituationen bietet das Sozialversicherungsabkommen konkrete Lösungen an. Das auf uruguayische Initiative zustande gekommene bilaterale Sozialversicherungsabkommen, das am 8. April 2013 zwischen dem damaligen Bundesaußenminister und seinem uruguayischen Amtskollegen in Berlin unterzeichnet wurde, hätte genauso gut eine deutsche Initiative sein können; denn beide Seiten werden von der zu erwartenden Verbesserung der bilateralen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen profitieren. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt daher ausdrücklich die -Ratifizierung des Sozialversicherungsabkommens mit Uruguay. Damit wird der soziale Schutz der Staatsangehörigen beider Länder innerhalb der jeweiligen Rentenversicherungssysteme sichergestellt und koordiniert. Wenn Beschäftigte nur vorübergehend in den jeweils anderen Staat entsandt werden, bleibt es beim Versicherungsverhältnis im Heimatstaat. Damit können Doppelversicherungen und Lücken im Rentenverlauf verhindert werden. Der Entsendezeitraum kann dabei bis zu 24 Kalendermonate betragen. Das Abkommen bringt Verwaltungsvereinfachungen für betroffene Arbeitnehmer, Rentner und deren Angehörige und für Betriebe. Wir können davon ausgehen, dass zum Beispiel Ingenieure, Techniker oder Monteure in dieses Land entsandt -werden und dort arbeiten, und das nicht nur für wenige Wochen, sondern vielleicht für viele Monate. Für genau die ist dieses Sozialversicherungsabkommen gedacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Bundesrepublik Deutschland hat mit vielen Ländern Sozialversicherungsabkommen – es sind schon -einige aufgezählt worden –, darunter mit Brasilien und Indien, zwei riesigen Ländern mit Millionen von Arbeitnehmern. Dagegen ist die Republik Östlich des Uruguay, wie der Name des Landes in der korrekten Übersetzung lautet, mit ihren rund 3,4 Millionen -Einwohnern vergleichsweise klein. Uruguay – auch das haben wir schon gehört – hat so viele Einwohner wie Berlin, allerdings auf einer Fläche, die fast 200-mal größer ist. Der Anteil der Deutschen und der Deutschstämmigen ist gemessen an der Einwohnerzahl sehr hoch. Als Einwanderungsland ist Uruguay seit Jahrzehnten eng mit unserem Land verbunden. Damit gibt es eine starke -kulturelle Verbundenheit zwischen Deutschland und Uruguay, und es gibt auch, wie schon mehrfach betont, enge wirtschaftliche Beziehungen. Nach meinem Wissen sind derzeit 30 deutsche Firmen in Uruguay aktiv. Das Land ist nach der Wertehaltung seiner Bürger ein fast europäisches Land. So lag Uruguay im Demokratie-Index Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung auf Platz eins beim Vergleich der Länder Lateinamerikas im Jahr 2013. Wir können also davon ausgehen, dass in Zukunft noch mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das jeweils andere Land besuchen und dort die Arbeit aufnehmen werden. Sie werden von diesem neuen Abkommen profitieren. Das Abkommen verbessert die Vereinbarkeit der beiden Rentensysteme und trägt insbesondere den Interessen der Rentner und einer neuen Migrationsrealität Rechnung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Liebe Frau Kollegin Schmidt, der ganze Deutsche Bundestag gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede und wünscht Ihnen ein fröhliches, lebendiges, diskursreiches parlamentarisches Wirken. (Beifall) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/272 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge dazu? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Den Grauen Kapitalmarkt durchgreifend -regulieren Drucksache 18/769 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Da wir gleich zu Beginn dieser Debatte wieder eine Erstrednerin haben, bitte ich, die Gratulationscour bei Frau Schmidt zügig abzuschließen. Ich erteile das Wort der Kollegin Susanna Karawanskij, Die Linke, zu ihrer ersten Rede. (Beifall bei der LINKEN) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass die Bundeskanzlerin die umfassende Regulierung der Finanzmärkte gefordert hat und ankündigte, dafür zu sorgen. Das war im Jahr 2009. Ich habe damals die Bundestagsreden nicht hier im Plenarsaal verfolgt, sondern, wie so viele, im Fernsehen. Auch wenn dies meine erste Rede hier im Plenarsaal ist, kann ich mit Kritik an der Finanzpolitik der Bundesregierung leider nicht sparen. Der Graue Kapitalmarkt mutet ein wenig an wie ein schwelendes Feuer, aus dem immer wieder einmal eine Stichflamme herauskommt. Die jüngste Stichflamme war Prokon mit seinen Genussrechten, durch die rund 75 000 Anlegerinnen und Anleger rund 1,4 Milliarden Euro zu verlieren drohen. Das ist ein Beispiel des Grauen Kapitalmarkts, welcher seit Jahren hinsichtlich Finanzmarktstabilität und Verbraucherschutz hoch problematisch ist. Anlegern gingen Gelder in Milliardenhöhe verloren. Die vergangenen Bundesregierungen haben, wenn überhaupt, nur zögerlich reagiert. Gewiss gab es in der letzten Wahlperiode einige Verbesserungen, das allerdings in homöopathischen Dosen, die augenscheinlich im Endeffekt nur sehr wenig gebracht haben. Nun, nach dem Insolvenzantrag von Prokon, verkündet die Bundesregierung, Anleger besser schützen zu wollen, indem die Finanzaufsicht, die BaFin, Geschäftsmodelle prüfen und Produktverbote bzw. Vertriebsbeschränkungen aussprechen soll. Die BaFin hingegen spielt den Ball zurück: Es sei nicht ihre Aufgabe, Renditeversprechen von Unternehmen oder gar Geschäfts-modelle zu prüfen. – Ein Hin und Her, ein Nullsummenspiel, bei dem am Ende wie so oft die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Röhre schauen und die Finanzmärkte immer noch unzureichend reguliert sind. Während die Bundesregierung in handlungsunfähiger Starre verharrt, gehen weitere Unternehmen wie Infinus, Quantum, Wölbern und Windwärts in die Insolvenz. Meine Damen und Herren, das kann so nicht weitergehen, das darf so nicht weitergehen. Wir müssen den Grauen Kapitalmarkt durchgreifend regulieren, um die Finanzmärkte zu stabilisieren und die Verbraucherinnen und Verbraucher besser zu schützen. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt dabei noch ein grundsätzliches Problem, und zwar die Tatsache, dass es immer noch ein Aufsichts- und Regulierungsgefälle gibt. Es besteht neben dem sogenannten Weißen, halbwegs regulierten Finanzmarkt ein unregulierter Grauer Kapitalmarkt, und auf dem kaum regulierten Grauen Kapitalmarkt tummeln sich eben auch fragliche und vermehrt unseriöse Anbieter und Abzocker. Die Linke schlägt deshalb vor, jede Geldanlage, jedes Kreditgeschäft und auch jede Vermögensanlage in den einschlägigen, zum Teil schon existierenden Gesetzen zu regulieren und dadurch einem inhaltlichen Prüfungsrecht der Finanzaufsicht, also der BaFin, zu unterstellen. Dazu muss infolgedessen natürlich das Personal bei der BaFin aufgestockt werden. Aber das reicht noch nicht aus. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Es gibt nach wie vor einfach viel zu viel Finanzschrott auf den Märkten, und es wird noch mehr – tagtäglich. Das wiederum liegt daran, dass auf den Finanzmärkten immer noch jedes Finanzinstrument erlaubt ist, das nicht ausdrücklich verboten ist. Es ist ein nahezu unüberblickbarer Wust an Finanzinstrumenten, den weder Profis noch Privatanleger durchdringen. Dieses Dickicht müssen wir lichten; da müssen wir Ordnung hineinbringen. Das geschieht am besten durch die Errichtung eines Finanz-TÜVs. (Beifall bei der LINKEN) Das bedeutet ganz einfach, dass alle Finanzinstrumente, -akteure und -praktiken vor ihrer Zulassung dahin gehend untersucht werden, ob das gesamtwirtschaftliche Risiko beherrschbar ist und ob diese auch verbraucherfreundlich sind. Uns ist es an dieser Stelle wichtig, dass wir die Beweislast umkehren: Es kommt nur das auf den Markt, was ausdrücklich zugelassen wurde, wobei die Beweislast beim Ausgebenden, bei den Emittenten, liegt. (Beifall bei der LINKEN) Hochspekulative bzw. hochriskante, auch intransparente und leider auch unseriöse Finanzinstrumente werden damit erst gar nicht zugelassen oder vom Markt genommen. In der Folge würden wir die Finanzmärkte weniger komplex gestalten, entzerren und in Richtung einer der Realwirtschaft dienenden Funktion entschlacken. Mit einem Finanz-TÜV hätte man schon viel eher die Gefahren des Grauen Kapitalmarkts eindämmen können. Es ist ein präventives Instrument. Was immer Sie gegen einen Finanz-TÜV vorbringen werden: Sie müssen die Frage beantworten, wie man es erreichen kann, dass man den Finanzinnovationen, die auf den Markt drängen, nicht immer hinterherhechelt und dann versucht, diese zu regulieren. Wir Linke sind auf Ihre Antworten sehr gespannt. (Beifall bei der LINKEN) Darüber hinaus setzen wir, die Linke, uns für die Stärkung einer unabhängigen Finanzberatung durch Verbraucherzentralen oder Honorarberatungen ein. Der provisionsbasierte Verkauf von Finanzinstrumenten und der Verkaufsdruck, der durch die produktbezogenen Vertriebsvorgaben auf die Anlageverkäufer entsteht, müssten gesetzlich unterbunden werden. Daher fordere ich Sie auf, meine Damen und Herren von der Regierungsbank: Werden Sie aktiv. Regulieren Sie endlich den Grauen Kapitalmarkt, und zwar durchgreifend. Wir brauchen eine einheitliche und umfassende, effektive -Finanzaufsicht. Wir brauchen einen Finanz-TÜV. Wir brauchen eine unabhängige und qualifizierte Finanzberatung. Schützen Sie die Verbraucherinnen und Verbraucher vor windigen und unseriösen Anbietern. Schützen Sie sie auch vor hochriskanten und intransparenten Geschäftsmodellen auf dem Finanz- und Kreditmarkt. Und sorgen Sie für stabilere Finanzmärkte, indem wirklich kein Finanzinstrument und keine Finanzpraxis unreguliert bleiben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Herzlichen Dank. – Auch Ihnen, liebe Frau Kollegin, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede und eine interessante parlamentarische Zeit. (Beifall) Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Frank Steffel, CDU/CSU-Fraktion. Er ist schon freiwillig zum Rednerpult geeilt. Er ahnte, dass er aufgerufen wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Nicht nur freiwillig, Herr Präsident, sondern besonders gerne, weil ich glaube, dass gerade bei dem Thema neben allen Gesetzen und Regulierungen, die wir teilweise gemeinsam, teilweise nicht ganz gemeinsam in den letzten Jahren verabschiedet haben und in den nächsten Jahren weiter verabschieden werden, die öffentliche Debatte, durch die Aufklärung und Sensibilität bei Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland erzeugt werden kann, ein ganz wichtiger Beitrag ist. Insofern bin ich der Fraktion Die Linke dankbar, dass wir heute wieder einmal die Gelegenheit haben, zu diesem Thema öffentlich zu diskutieren. Wir bleiben seit Jahren, so auch in dieser Legislaturperiode, unserer Devise treu: Kein Finanzprodukt und kein Anbieter dürfen in Deutschland unreguliert bleiben. (Beifall bei der SPD) Diesem Kernsatz ordnen wir alles unter. Das haben wir in den vergangenen vier Jahren getan, und das werden wir auch in den kommenden vier Jahren tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb haben wir bereits Schutzmechanismen, die sich auf dem regulierten Kapitalmarkt bewährt haben, für den sogenannten Grauen Kapitalmarkt übernommen. Unser Ziel ist ja nicht, den Grauen Kapitalmarkt zu regulieren; vielmehr ist unser Ziel, dass es möglichst keinen Grauen Kapitalmarkt gibt, sondern einen Weißen Kapitalmarkt, das heißt einen Kapitalmarkt, von dem die Menschen vorher wissen, was drin ist, was sie kaufen, und wo sie die Risiken kennen, für die sie sich dann – bewusst oder unbewusst – selbst entscheiden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb haben wir Dokumentationspflichten, Sachkundenachweise, die Pflicht zur Haftpflichtversicherung, scharfe Prüfungs- und Registrierungsverpflichtungen aus dem Weißen Kapitalmarkt auf den Grauen Kapitalmarkt weitestgehend eins zu eins übertragen. Aber -natürlich, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, müssen wir wachsam bleiben; denn eines haben wir auch gelernt: Der Kreativität der Anbieter und übrigens auch der Gier der Konsumenten scheinen wenige Grenzen gesetzt zu sein. Insofern ist der Gesetzgeber immer gefordert, zu prüfen: Ist das, was wir gestern beschlossen haben, heute noch aktuell, oder müssen wir möglicherweise nachjustieren oder ganz neue Regelungen einführen? – Aber eines ist auch klar: Wir können nicht aus Angst vor Bankräubern die Banken abschaffen, (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Genau!) sondern müssen schon schauen, dass wir in Deutschland einen normalen Finanz- und Kapitalbetrieb ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU) Gerade weil heute viele junge Menschen zuhören, möchte ich eines sehr deutlich sagen – ich komme gleich noch zum Thema Kreditmarkt –: Wir können nur sicherstellen, dass der Konsument über die Risiken vollumfänglich aufgeklärt ist. Die Entscheidung können wir dem sogenannten mündigen Bürger nicht abnehmen. In Deutschland steht auf jeder Zigarettenpackung wirklich nicht übersehbar, was die Risiken sind, wenn man raucht. Trotzdem gibt es Millionen Menschen, die sich in vollem Bewusstsein und in Kenntnis dieser Risiken dafür entscheiden, Zigaretten nicht nur zu kaufen, sondern auch zu konsumieren. Insofern liegt die Entscheidungsfreiheit schlussendlich beim Konsumenten. Wir können nur die Risiken ausweisen und davor warnen. Aber Schutz und Information sind nach unserem Freiheitsbild wichtiger als Bevormundung. Das heißt, ein Verbot kann nur die Ultima Ratio sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Verbraucher müssen wissen – das sage ich sehr bewusst in öffentlicher Debatte –, dass natürlich der alte Satz gilt: Je höher der Zinssatz, desto höher das Risiko. Man muss wissen: Wenn der Zinssatz der Europäischen Zentralbank bei gut 0 Prozent liegt, lässt sich das Versprechen von 5, 8, 10 oder 15 Prozent Zinsen eben nur mit Produkten erfüllen, die mit einem höheren oder hohen Risiko behaftet sind. Insofern muss der Appell an die Menschen sein: Prüfen Sie insbesondere bei hohen Zinsen, ob das Produkt auf dem Grauen oder Weißen Kapitalmarkt vertrauenserweckend ist, oder entscheiden Sie sich bewusst, eine risikobehaftete Anleihe zu wählen! Ich möchte ein zweites Thema ansprechen, das mir im Grundsatz noch wichtiger ist: die Überschuldung, also die Frage des Kreditmarktes. Wir können hier sehr erfreut zur Kenntnis nehmen, dass die Arbeitslosigkeit, die Hauptursache für Überschuldung, in den letzten Jahren deutlich abgenommen hat. Das heißt, immer weniger Menschen in Deutschland geraten in wirtschaftliche Probleme, weil sie arbeitslos sind. Das ist gut. Gleichzeitig müssen wir jedoch feststellen, dass die Zahl der Fälle, in denen Konsum – also zu viel Konsum – die Ursache von Überschuldung und Privatinsolvenzen ist, dramatisch zunimmt, insbesondere übrigens, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Das heißt, wir haben immer mehr junge Menschen, die – ganz volkstümlich gesagt – mehr ausgeben, als sie einnehmen, also Leasing- und Kreditraten vereinbaren, die höher sind als das zur Verfügung stehende Nettoeinkommen. Mittlerweile sind in Deutschland – die meisten von Ihnen werden es wissen – ziemlich stabil 10 Prozent der über 18-Jährigen überschuldet. Ich finde, das ist eine Zahl, die uns nicht kaltlassen kann. Jeder zehnte Deutsche ist überschuldet; jeder zehnte Deutsche ist damit nicht mehr Herr seines Einkommens, seines Vermögens, mit all den Konsequenzen, die wir hinreichend kennen. Wir müssen hier sehr deutlich machen, dass es eben nicht das Ziel sein kann, dass jeder Junge und jedes Mädchen, jede junge Familie den schönsten Fernseher und das modernste Smartphone hat und versucht wird, diesen Wohlstand mit Ratenkrediten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu finanzieren. Auch hier sind Regulierung und Gesetzgebung wichtige Aspekte; aber der wichtigere Aspekt ist Aufklärung. Hier sind Elternhäuser, Schulen und übrigens auch Unternehmen gefordert. Wir müssen deutlich machen, dass sich gerade junge Menschen jede Entscheidung für Konsumkredite dreimal überlegen müssen, dass sie genau überlegen müssen, was sie sich und ihrer Familie damit zumuten, übrigens vielfach in der Hoffnung, dass die junge Ehe hält. Wir wissen alle: 50 Prozent der Ehen in Deutschland halten nicht. Die mit einer Überschuldung verbundenen Probleme und Konsequenzen wirtschaftlicher und emotionaler Art treffen die junge Familie, übrigens vielfach auch noch die Kinder, zusätzlich. Wir, die Koalitionsfraktionen, werden deshalb die Mittel für die Stiftung Warentest erhöhen. Wir wollen die Verbraucherschutzzentralen mit einer Marktwächterfunktion nicht nur ausbauen, sondern deutlich stärken. Denn wir sind der Auffassung, dass gerade junge Menschen zu Recht von uns erwarten dürfen, dass sie schonungslos über die Risiken eines Kredits aufgeklärt werden, dass wir sie zumindest warnen. Ich möchte von dieser Stelle aus noch einmal appellieren: Man möge es sich gut überlegen, bevor man einen vermeintlich lukrativen Leasing- oder Ratenkreditvertrag unterschreibt. Das bittere Ende trifft zurzeit 10 Prozent der Deutschen. Wir müssen gemeinsam verhindern, dass es jeden Tag mehr werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich Kollegen Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihre Rede, Herr Steffel, war voller Appelle an Unternehmen, an Familien und an alle möglichen Leute. Der Teil, in dem Sie sich damit beschäftigt haben, was hier im Parlament zu tun wäre, ist in Ihrer Rede relativ kurz gekommen. (Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Weil wir schon so viel getan haben!) Wichtig ist aber, dass wir uns über folgende Frage verständigen: Warum müssen wir uns eigentlich in regelmäßigen Abständen mit dem Grauen Kapitalmarkt beschäftigen? Das ist offensichtlich der Fall, weil die letzten Runden der Beschäftigung des Hauses mit diesem Thema nicht ausreichend waren. Wir müssen deshalb die bestehenden Lücken und das, was konkret zu tun ist, ansprechen, statt auf allgemeine Appelle auszuweichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es gibt eindeutig Lücken bei der Aufsichtspraxis und der Rechtsdurchsetzung. Die BaFin hat bereits 2008/2009, als sie gegenüber Prokon das Erbringen eines unerlaubten Bankgeschäftes monierte, Handlungsspielräume gehabt. Sie hätte sie – so sagen mir Juristen – nutzen können, um die Geschäftstätigkeit zu untersagen. Stattdessen aber hat sie eine leichte Veränderung des Geschäftsmodells, und zwar in Form einer erlaubnisfreien Ausgestaltung, angeregt. Es heißt, das sei ständige Verwaltungspraxis. Mich würde an dieser Stelle schon interessieren, in wie vielen anderen Fällen die BaFin das Abtauchen in erlaubnisfreie Geschäfte angeregt hat. Ich meine, wir müssen der Aufsicht hier genauer auf die Finger schauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das gilt auch für die Frage, warum man eigentlich vonseiten der BaFin noch 2013 einen Prospekt von Prokon durchgehen ließ, in dem keine Angaben darüber zu finden waren, dass die Geschäftsführer dieses Unternehmens früher schon Ärger mit der Aufsicht hatten. Ein Prospekt ist doch genau dafür da, dass der Kunde sich ein Bild machen kann. Das kann er aber nur, wenn relevante Aspekte auch wirklich erwähnt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt auch Lücken, die in der Gesetzgebung selbst liegen. Wir müssen zum Beispiel kritisch auf das im Jahr 2012 in Kraft getretene Gesetz zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts zurückblicken. Da gibt es einige Probleme. Im Antrag der Linken wird eine ganze Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, von denen ich zwei hervorheben möchte: Zum einen wird ein Finanz-TÜV gefordert, der alle Finanzinstrumente daraufhin untersuchen soll, ob sie – ich zitiere – „gesamtwirtschaftlich keine unerwünschten Nebenwirkungen haben, ob das gesamt- und betriebswirtschaftliche Risiko beherrschbar ist und ob sie verbraucherfreundlich sind“. Das klingt schön. Ich denke aber, dass es nicht umsetzbar ist. Denn eine solche Wirtschaftlichkeitsprüfung hätte hohe Prognoserisiken. Außerdem könnte ein positives Urteil eines solchen -Finanz-TÜVs praktisch als eine Erfolgsgarantie missverstanden werden. Das halte ich, ganz zu schweigen von der Amtshaftung, die damit einhergehen würde, für problematisch. Es gehört auch nicht zur Aufgabe der BaFin, bei jeder Vermögensanlage eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen. Denn ob das Geschäftsmodell betriebswirtschaftlich sinnvoll ist oder nicht, müssen schon die Anleger selbst überprüfen. Es gibt aber etwas, das die Aufsicht tun muss. An dieser Stelle muss man genau unterscheiden. Ich nenne als Vergleich gern den Lebensmittelbereich, um das klarzumachen. Die eine Seite des Hauses sagt häufig, der Kunde solle bitte mündig sein. Im Antrag wird aber gefordert, dass die Aufsicht praktisch alles überprüfen soll. Hier ist es aber wie im Lebensmittelbereich: Es gibt Sachen, die der Kunde nicht erkennen kann. Die Salmonelle im Eierprodukt oder die Trichine im Fleisch kann der Kunde nicht sehen. Deswegen brauchen wir eine Lebensmittelaufsicht, die sicherstellt, dass hygienisch sauber gearbeitet wird und dass sich der Kunde, wenn Mängel nicht erkennbar sind, darauf verlassen kann, dass er korrekte Produkte bekommt. Es wird zwar nicht jedes einzelne Produkt von der Lebensmittelaufsicht am Verkaufsschalter gegengecheckt. Es gibt aber ausreichend Stichproben, die sicherstellen, dass das Hygieneniveau insgesamt stimmt. Ein solches Verfahren ist genau das, was wir im Finanzaufsichtsbereich brauchen. Gerade das, was ein Kunde nicht sehen kann, muss die BaFin verstärkt in den Blick nehmen, zum Beispiel, wenn Interessenkonflikte bestehen, wenn Partner unter einer Decke stecken, sodass die Erträge nicht dem Kunden zugutekommen, oder wenn ein Geschäftsführer nicht verlässlich ist, weil er schon mehrfach Ärger mit der Aufsichtsbehörde hatte. Wir erwarten, dass es auch hier eine laufende Aufsicht gibt, die sich mit der materiellen Produktprüfung befasst. Wir brauchen aber keinen umfassenden Finanz-TÜV; denn ich glaube nicht, dass das leistbar ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte auf einen weiteren Punkt eingehen. Wir brauchen dringend eine Korrektur in Bezug auf die Aufsicht über den freien Finanzbetrieb. Hier liegt ein Fehler der alten Gesetzgebung vor, der dringend korrigiert werden muss. Ich erinnere an eine Sachverständigenanhörung, in der ein Mitarbeiter der Bremer Gewerbebehörde deutlich gemacht hat, dass er als einzelner Mitarbeiter, der auch noch für alle möglichen anderen Bereiche zuständig ist, zum Beispiel für Eisdielen, für etwa 1 000 Finanzvermittler zuständig ist. So ist ein relevanter Schutz für Kundinnen und Kunden undenkbar. Deswegen bedarf es hier dringend einer Korrektur. Das muss die Finanzaufsicht machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist das Problem von Bremen!) Einen letzten Satz zur Ankündigung des Justiz- und Verbraucherschutzministers, dass es einen stärkeren Anlegerschutz im Bereich des Grauen Kapitalmarktes geben soll. In den letzten vier Jahren hatten wir im Bereich Verbraucherschutz lediglich eine Ankündigungsministerin. Für die nächsten vier Jahre hoffen wir, dass es nicht bei Ankündigungen bleibt, sondern dass es zu relevanten Änderungen in der Praxis kommt. Die Erwartung ist da. Den Kollegen der SPD möchte ich sagen: Ich hoffe, dass manche Forderungen aus der letzten Legislaturperiode nicht plötzlich in irgendeiner Schublade verschwinden, sondern wirklich durchgesetzt werden. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE]) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Carsten Sieling, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Carsten Sieling (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich den letzten Satz des Kollegen Schick aufnehmen und ihm versichern: Darauf können Sie sich verlassen. Schon der Blick in den Koalitionsvertrag hilft; denn dann werden Sie feststellen, dass wir eine ganze Reihe von wichtigen Maßnahmen vereinbart haben, die in der Tat noch umgesetzt werden müssen. Alle hier im Hohen Hause wissen das. Deswegen braucht man das nicht besonders zu betonen. Gegenstand der heutigen Debatte ist der Antrag der Fraktion Die Linke. Dazu möchte ich Folgendes sagen: Es ist sicherlich gut, dass das Thema Prokon und die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten, die es nach wie vor gibt, im Bundestag öffentlich debattiert werden. Wenn man sich den Antrag durchliest, dann gewinnt man aber schon den Eindruck, als hätten Sie unter dem Stichwort „Anlegerschutz“ ein wenig gegoogelt, eine Reihe von Stichwörtern gefunden und diese dann alle in Ihrem Antrag untergebracht. (Beifall der Abg. Mechthild Heil [CDU/CSU]) Ehrlich gesagt, habe ich nicht ganz verstanden, was die Themen Deckung von Verbraucherkreditverträgen, Dispozinsen, Vorfälligkeitsentschädigung und anderes mehr mit dem Fall Prokon zu tun haben. Wir müssen bei unserer Arbeit schon zielgerichteter vorgehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich brauche nicht zu betonen, dass ich die Einschätzung des Kollegen Schick zum Thema Finanz-TÜV teile. Dieses Instrument ist zu unscharf. Wir müssen uns auf Maßnahmen verständigen, die mehr leisten können. Es kann auch nicht sein, dass die Verantwortung an staatliche Behörden delegiert wird. Das ist jedenfalls unsere Herangehensweise in dieser Angelegenheit. Kollege Steffel hat sehr deutlich auf die Beschlüsse und Verabredungen, die in der letzten Legislaturperiode getroffen bzw. durchgesetzt wurden, hingewiesen. Sie werden mir zugestehen, dass ich diesbezüglich naturgemäß nicht ganz so optimistisch bin. Wir brauchen das aber nicht weiter zu vertiefen. Allein die Tatsache, dass wir in unserem Koalitionsvertrag einige Maßnahmen zur Regulierung des Anlegerschutzes und des Grauen Kapitalmarktes vereinbart haben, zeigt doch, dass wir noch nicht so weit sind, alle Märkte, alle Akteure und alle Produkte zu regulieren. Das ist die Aufgabe, vor der wir jetzt stehen, und ich bin froh, dass wir das in dieser Großen Koalition gemeinsam angehen werden. (Beifall bei der SPD) Es wurde behauptet, dass hier nur allgemein geredet und lediglich Appelle formuliert werden. Nein, das ist nicht der Fall. Werfen Sie einen Blick in den Koalitionsvertrag. Ich will Ihnen drei Punkte nennen, die wir konkret vereinbart haben. Erstens – das ist neu – wird die BaFin künftig auch für den Verbraucherschutz zuständig sein. Diese Maßnahme ist notwendig. Die BaFin wird sich quasi als öffentliche Einrichtung darum kümmern und ihre Kompetenzen, die sie in diesem Bereich hat, einsetzen; denn Finanzmarktregulierung und Ordnung an den Finanzmärkten bedeutet auch Schutz für die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land. Zweitens. Wir brauchen einen Finanzmarktwächter. Das haben wir als Sozialdemokraten in der letzten Legislaturperiode mehrfach thematisiert. Ich bin froh, dass dieser Aspekt im Koalitionsvertrag verankert wurde. Kollege Steffel hat das eben positiv hervorgehoben. Der Finanzmarktwächter dient als Frühwarnsystem für den Markt. Dies wird weiterentwickelt werden müssen, damit die Ungleichgewichte zwischen den Anbietern und den Anlegern, den Verbraucherinnen und Verbrauchern, behoben werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich auch den dritten Punkt nennen. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass besonders riskante und risikoreiche Produkte verboten werden müssen und verboten werden können. Das sind die drei Schritte, mit denen diese Koalition beim Verbraucherschutz vorangeht: BaFin als Aufsicht, Marktwächter und Verbot von gefährlichen Produkten. Kollege Schick, das sind mehr als Parolen. Das sind klare Aufträge, an denen sich diese Koalition auch messen lassen wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich möchte zum Schluss noch den Fall Prokon ansprechen, weil das, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt ist. Auch da finde ich, dass der Antrag die Gefahr beinhaltet, zu viele Erwartungen zu wecken. Der Fall Prokon ist ja kein Thema des Grauen Kapitalmarktes im -engeren Sinne. Im Fall von Prokon – Frau Kollegin Karawanskij hat das angesprochen – ist Anlegern massenhaft Kapitalbeteiligung über sogenannte Genussrechte verkauft worden. Das ist größtenteils über den Direktvertrieb von Prokon geschehen. Hier geht es eher nicht um die Frage der Aufsicht, nicht um den Grauen Kapitalmarkt. Es wird vielmehr Aufgabe der Staats-anwaltschaft sein, zu prüfen, ob hier nicht Schwarzer Kapitalmarkt vorherrscht, ob hier nicht gegen Recht und Gesetz verstoßen worden ist, ob hier nicht eine Straftat vorliegt. Prokon ist sicherlich ein richtiger Anstoß, um mehr zu tun. Ich will zum Schluss sagen: Es steht unserer Koalition gut an – ich bin sicher, dass wir da gemeinsam Seit’ an Seit’ stehen –, dass wir aktuelle Entwicklungen aufnehmen, um weiterzudenken und weiterzugehen. Natürlich müssen wir uns auch mit den Aufsichtsfragen -beschäftigen, beispielsweise mit der Tatsache der Zersplitterung der Aufsicht, zum einen gegenüber den Banken und zum anderen gegenüber den freien Vermittlern und Beratern. Ich wäre froh, wenn wir zu dem zurückkämen, was Bundesminister Schäuble Anfang der letzten Legislaturperiode einmal in einen ersten Gesetzentwurf geschrieben hat. Ich glaube, wir haben da viel zu tun und müssen etwas voranbringen. Diese Koalition wird den Verbraucherschutz stärken. Wir als SPD wollen die Rolle wahrnehmen, Motor für die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher zu sein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Nächstes hören wir die Rede eines Kollegen, der schon wichtige Reden im Europäischen Parlament und im Bayerischen Landtag gehalten hat, heute aber seine erste Rede im Deutschen Bundestag hält. Kollege Radwan, Sie haben für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Radwan (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident, besten Dank für die Einführung! Es ist eine Premiere für mich, hier reden zu dürfen, aber nicht, parlamentarisch reden zu dürfen, wie Sie ja schon gesagt haben. Die heutigen Themen sind Prokon und Grauer Kapitalmarkt. Ich wundere mich, warum man das Thema Prokon als Beispiel dafür heranzieht. Herr Schick hat ja -bemerkenswerterweise den Prospekt angesprochen und angeführt, was nicht drinstand. Vielleicht können wir uns auch einmal darüber unterhalten, was drinstand. Dann können wir nämlich feststellen, dass in diesem Prospekt durchaus Risiken herausgearbeitet und dargestellt wurden, (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konkret?) nämlich dass es keine Einlagensicherung gibt, dass es keine Garantie auf Rückzahlung gibt. Darüber hinaus müssen wir uns regelmäßig die Frage stellen: Können Produkte, die eine gewisse Rendite versprechen, ohne Weiteres als risikofrei eingestuft werden? Von daher: Wenn wir das Thema Prokon aufgreifen, sollten wir uns schon die Frage stellen, ob es das richtige Beispiel ist, ob hier die Verbraucherschützer vielleicht sogar rechtzeitig gewarnt haben und wie es dann beim Kunden entsprechend angekommen ist. Zu den Vorschlägen, die jetzt gemacht wurden. Den Finanz-TÜV haben meine Vorredner schon angesprochen. Sehen Sie es mir nach, wenn ich das jetzt ein bisschen salopp sage: Bei TÜV denke ich immer an Autos. Es kommt mir jetzt vor, als bekomme jemand, der für sein Auto das TÜV-Siegel bekommt, damit die Garantie, die nächsten Jahre unfallfrei zu fahren. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sie sollten mal an Stecker denken!) – Jetzt bleiben wir einmal beim Auto. Jetzt rede ich, und dann können wir auch über Stecker reden. – Es ist schon bemerkenswert. Es ist eine Momentaufnahme, und die Welt ändert sich. (Zuruf von der LINKEN: Nein!) – Doch. Vielleicht nicht bei Ihnen, aber für den Rest der Menschen ändert sie sich täglich. Vielleicht ist das das Problem. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber nicht bei neuen Steckern, die auf den Markt kommen!) Von daher ist es schon spannend, zu wissen und nachzuvollziehen: Wie soll ein solcher TÜV eigentlich in langfristiger Perspektive eine entsprechende Sicherheit bringen? Herr Schick hat zu Recht – ausnahmsweise hatte er recht; das hat mich irritiert – die Haftungsfrage angesprochen: Was bedeutet es, wenn ich ein solches Gütesiegel vergebe? Was bedeutet es, wenn es dann doch schiefgeht? Die Instrumente, die in dem Antrag vorgeschlagen werden, sind aus meiner Sicht unbrauchbar, und auch das Beispiel ist unbrauchbar. Im Koalitionsvertrag steht, dass wir uns vorgenommen haben, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen: Kein Produkt ohne Regulierung! Da die Finanzmärkte keine starre Angelegenheit sind – weiß, grau, schwarz –, müssen wir aber aufpassen, dass durch unser Vorgehen in den Bereichen Banken, Versicherungen und Aufsicht – in diesen Bereichen waren wir sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene tätig – keine neuen Grauen Kapitalmärkte als Ausweichmärkte entstehen. Wir müssen ganz gezielt sagen: Die Produkte müssen transparent sein; sie müssen nachvollziehbar sein. Vorhin wurde gesagt, dass die frühere Verbraucherschutzministerin – sie war quasi meine Vorgängerin; das haben Sie jetzt nicht gesagt, Herr Präsident – in diesem Bereich des Verbraucherschutzes nichts gemacht hat. Wenn ich mir anschaue, wie viele Dokumentationspflichten und Vorgaben für den Kapitalmarkt in den letzten vier Jahren erlassen wurden, dann kann ich nicht sagen, dass das nichts ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es wurde viel mehr angekündigt!) Es wurde viel gemacht. Auf diesem Weg gehen wir jetzt weiter. Das Thema Marktwächter wurde bereits angesprochen, auch vom Koalitionspartner. Ich denke, dieses Thema ist wichtig. Wir sollten darauf achten, dass die Wächter eine gewisse Neutralität haben; sie sollten weder dem einen noch dem anderen Lager angehören. Wir sollten sagen können: Sie sind verlässliche Partner. In der nationalen Gesetzgebung wird etwas geschehen. Nach der Wahl zum Europäischen Parlament, nach Einsetzung der Europäischen Kommission wird es auch auf europäischer Ebene ein entsprechendes Vorgehen geben. Die Vorgaben, die wir auf nationaler Ebene haben, sind zusammen mit dem, was sich die Koalition vorgenommen hat, aus meiner Sicht umfassend. Transparenz ist mir wichtig. Die Produkte dürfen nicht nur etwas für akademische Fachkreise sein. Auch der normale Bürger, der sich mit diesen Themen auseinandersetzt, muss nachvollziehen können, was er von diesem Produkt zu erwarten hat. Rückblickend auf meine Tätigkeit im Bayerischen Landtag möchte ich in diesem Zusammenhang Folgendes sagen: Mir ist die Bildung wichtig. Wir müssen ein Bildungsniveau erreichen, das den Umgang mit solchen Produkten ermöglicht. Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Ich glaube nicht, dass der Staat geeignet ist, letztendlich zu entscheiden, welche Produkte richtig und welche falsch sind. Der Verbraucher hat zu entscheiden, welches Produkt er möchte. Er braucht eine Auswahl. Sie wollen ihm keine Auswahl geben. Sie wollen staatlicherseits bestimmen, was richtig für ihn ist. Wir wollen ihm die Möglichkeit geben, ein Produkt zu wählen, das er nachvollziehen kann. Er soll sagen können: Ich gehe ein höheres Risiko ein und erwarte dafür eine höhere Rendite. Oder er soll sagen: Ich möchte ein geringeres Risiko. Wir wollen das nicht von staatlicher Seite vorgeben. Wir sind nicht die besseren Aufseher in diesem Bereich. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Kennzeichnung! Das haben wir bei Lebensmitteln auch!) Vor allen Dingen wollen wir dem Markt letztendlich seine Entwicklungsmöglichkeiten lassen und ihn nicht komplett abwürgen. Besten Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Das ganze Haus gratuliert Ihnen, lieber Herr Kollege Radwan, zu Ihrer ersten Rede hier im Deutschen Bundestag. Glückwunsch! (Beifall) Wir haben einen weiteren Kollegen, der heute seine erste Rede im Deutschen Bundestag hält. Ich erteile das Wort zur ersten Rede hier Christian Petry von der SPD-Fraktion. – Bitte schön, Herr Kollege. (Beifall bei der SPD) Christian Petry (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden heute aufgrund eines Antrags der Linken über den Grauen Kapitalmarkt. Warum sollen wir darüber reden? Das ist natürlich eine Reaktion auf den aktuellen Fall Prokon und eine Reaktion auf die Finanzkrise der vergangenen Jahre; das ist doch klar. Alle Märkte, alle Produkte, alle Akteure stehen unter Beobachtung und sollen stärker reguliert werden. In der Hochphase der Finanzkrise haben dies sogar die Akteure auf dem Finanzplatz gefordert. Jetzt sind sie wieder etwas zurückhaltender. Vielleicht ist das berühmte Spielkasino noch größer und noch offener, als es in der Hochphase gewesen ist. Ob Wertpapiere, Anleihen, Derivate, Geldmarkt- oder Investitionsfonds, ob Börsenhandel, außerbörslicher Handel oder Hochfrequenzhandel – alle Produkte, alle Märkte, alle Akteure stehen auf dem Prüfstand. Wir wollen in all diesen Bereichen mehr Transparenz, mehr Kontrolle, mehr Aufsicht, eine bessere Prüfung bei der Produktzulassung und mehr Stabilität der Märkte. (Beifall bei der SPD) Ziel ist es, einen besseren Schutz der Anleger, einen besseren Verbraucherschutz zu erreichen. Herr Kollege Steffel, das hätte schon in der vergangenen Wahlperiode umgesetzt werden können. Herr Sieling hat in der vergangenen Wahlperiode oft genug darauf hingewiesen. Wir haben jetzt einen Koalitionsvertrag, in dem wir dies Gott sei Dank vereinbart haben. Ich denke, das ist auch gut so. Wir müssen diese Vereinbarung zügig umsetzen. Da sind Sie jetzt mit im Boot, und das ist schön so. Herr Kollege Radwan, natürlich haben wir hier eine stärkere Aufsichtsfunktion gefordert. Das, was Sie eben vorgetragen haben, deckt sich aus meiner Sicht nicht ganz mit dem, was im Koalitionsvertrag steht. Ich denke, darauf sollten wir hinweisen. Wir wollen einen besseren Anlegerschutz und einen besseren Verbraucherschutz. (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir auch! – Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Das wollen wir alle!) – Das glaube ich auf jeden Fall. Da bin ich mir sicher. Deshalb haben wir auch einen gemeinsamen Koalitionsvertrag. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Wir haben es vier Jahre bewiesen!) – Das glaube ich jetzt weniger. Aber das werden wir in den nächsten Jahren sehen. In diesem Zusammenhang kann ich Herrn Dr. Schick beruhigen. Herr Dr. Schick, ich kann Ihnen garantieren: Wir werden uns zügig um die Umsetzung des Koalitionsvertrages bemühen. Die Befürchtung, es werde wieder nicht viel passieren, teile ich nicht. Ich glaube, wir sind hier auf einem guten Weg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Antrag der Linken zum Grauen Kapitalmarkt zielt natürlich auch in diese Richtung. Insoweit ist das der Weg, den auch wir beschreiten wollen. Allerdings ist der Antrag, wie Kollege Sieling gesagt hat, zu unscharf, zu ungenau und nicht treffsicher. Der Vergleich mit der Grubenlampe und den Scheinwerfern ist durchaus berechtigt; diesen nehme ich gerne mit auf. Alle Geschäfte, die vom geregelten Finanzmarkt noch nicht erfasst sind, sollen betrachtet werden. Kritisiert werden die fehlende Transparenz dieses Marktes und die daraus resultierenden Möglichkeiten des Missbrauchs und der Täuschung sowie die Risiken für die Anleger. Natürlich ist hoher Zins eine Folge von Risiko; das ist ja klar. Das lernt man, glaube ich, schon im ersten Semester. Man lernt es sogar in der Schule, wenn man dort aufpasst. (Zuruf des Abg. Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]) – Ja, es haben auch nicht alle studiert. – Trotzdem ist es unsere Aufgabe, den Verbraucher weitestgehend zu schützen, Unseriösität abzuwenden und hier die entsprechenden rechtlichen Grundlagen für Kontrolle und Aufsicht zu schaffen, damit sich nicht jeder auf einem unkontrollierten Markt tummeln kann. (Beifall bei der SPD) Im Antrag wird der vermutete Schaden mit 50 bis 100 Milliarden Euro beziffert. Ich begrüße die Forderung nach einem Prüfrecht, nach einer Produktaufsicht, nach der Unterstellung des Marktes unter die Finanzaufsicht statt wie bisher die Gewerbeaufsicht. Ich begrüße ebenso die Forderung, dass provisionsbasierter Verkauf unterbunden werden soll und dass künftig echte Marktwächter zur Transparenz und Kontrolle beitragen sollen. Frau Karawanskij, nicht erst seit Prokon behandeln wir dieses Thema. Wir befassen uns damit schon seit der Krise. Viele hier im Haus haben sich in der vergangenen Wahlperiode dazu zu Wort gemeldet. Ich denke, darauf sollte hingewiesen werden. Die SPD ist hier die treibende Kraft. (Beifall bei der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Autosuggestion! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) – An Ihrer Reaktion merke ich, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, dass ich damit richtig liege. Danke für diese Reaktion. (Beifall bei der SPD) Ich unterstütze ausdrücklich die Vorstellung von Verbraucherminister Heiko Maas bei der Umsetzung der im Koalitionsvertrag hierzu getroffenen Vereinbarung zur Reform der Finanzmärkte, auch des Grauen Kapitalmarkts. Er plant Aufsichtsbefugnisse auch in diesem -Bereich durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die BaFin, und eine echte Marktwächterfunktion durch Verbraucherschutzorganisationen. In diesem Zusammenhang befürworte ich persönlich auch die Einführung eines Verbandsklagerechts. Viele dieser Maßnahmen sind im Übrigen auch eine Umsetzung von künftigem bzw. bestehendem europäischen Recht im -Finanzdienstleistungssektor. Deshalb müssen zum Beispiel – darüber ist hier nicht diskutiert worden – auch die Verjährungsfristen für diese Produkte angepasst werden. Sie wissen, dass diese sehr kurz sind: drei Jahre, nachdem die Produkte auf dem Markt sind. Zehn Jahre – in anderen Bereichen ist dies bereits geändert worden – wären angemessen. Ich freue mich, dass der Minister, der aus dem Saarland stammt – auch ich komme von dort – und den ich gerne unterstütze, Heiko Maas, dies aufgreift und hier eine entsprechende Rechtsänderung auf den Weg bringen will. (Beifall bei der SPD) Die Verbraucher müssen klar erkennen, auf was sie sich einlassen. Die Aufsicht soll künftig durch die BaFin erfolgen und nicht mehr durch andere. Die BaFin soll nicht nur die Produkte überprüfen, sondern auch die Art und Weise der Bewerbung und der Aufklärung über die Risiken. Eine schärfere Prüfung bei der Zulassung neuer Produkte und die Veränderung der Verjährungsfristen sind hier notwendig und stehen auf der Tagesordnung. Der Antrag der Linken geht in die richtige Richtung. Er geht allerdings nicht weit genug. (Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Jetzt wird es drollig!) Wir werden gemeinsam mit der Bundesregierung, mit Minister Maas, eine Regulierung im Sinne eines echten Verbraucherschutzes auf den Weg bringen, um nicht nur am Grauen Kapitalmarkt Verbesserungen zu erreichen. (Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Wo ist denn Herr Maas?) In der vergangenen Wahlperiode hat die SPD dies immer gefordert. Es ist schön, dass Sie, die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, jetzt mit im Boot sind; das freut mich. Im Koalitionsvertrag haben wir eine Regelung dazu vereinbart. Es freut mich, dass auch die Linken in diese Richtung gehen wollen. Lassen Sie uns dieses Gebiet und diesen Antrag in diesem Jahr gemeinsam mit der notwendigen Gründlichkeit bearbeiten! Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Glück auf! (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Glückwunsch, lieber Herr Kollege Petry, zu Ihrer ersten Rede! Wir wünschen Ihnen alles Gute für die parlamentarische Arbeit. (Beifall) Die liebevolle Bitte des Präsidiums lautet, in Zukunft den Blick nicht nur auf das Manuskript, sondern auch auf die Uhr zu richten. Wir haben Ihnen heute einen -Erstredezuschlag gegeben. Die Kollegin Mechthild Heil, CDU/CSU-Fraktion, hat als Letzte in dieser Debatte zum Grauen Kapitalmarkt das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Mechthild Heil (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Präsident! Anders als die Linken in ihrem Antrag behaupten, ist der Graue Kapitalmarkt nicht unreguliert. Denn auch geschlossene Fonds zum Beispiel sind ab Juli 2014 der Aufsicht unterworfen; dafür haben wir mit dem Kapitalanlagegesetzbuch gesorgt. Aber Regulierung allein hilft den Verbrauchern nicht. Eigenverantwortung ist auch hier – wie in jedem Bereich des Lebens – gefragt. Wir reden von erwachsenen, selbstbestimmten Menschen. Sie behandeln alle Bürger in Deutschland ohne Ausnahme wie kleine Kinder, denen man das Leben in kleinen Häppchen servieren muss, damit sie sich nicht verschlucken. Natürlich kennt sich nicht jeder mit hochriskanten Finanzprodukten aus. Nicht jeder weiß, was ein Genussschein ist und wie diese Anlage funktioniert. Das muss er auch nicht. Aber das ist noch lange kein Grund, solche Anlagen zu verbieten. Wenn allerdings jemand sein erspartes Geld in risikoreichen Produkten anlegt, zum Beispiel in Genussscheinen, dann sollte er sich vorher natürlich informieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Da kann man keinen Verbraucher aus der Verantwortung entlassen. Alleingelassen wird der Verbraucher aber nicht, wie Sie das in Ihrem Antrag an einer Stelle behaupten. Immerhin revidieren Sie diese von Ihnen getroffene Aussage eine Zeile später schon wieder, indem Sie auf die Verbraucherorganisationen hinweisen, die zum Beispiel vor Prokon gewarnt haben. Ja, Verbraucherorganisationen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass Genussscheine im Falle einer Insolvenz ungeschützt sind, dass der Totalverlust des Geldes drohen kann. Die Stiftung Warentest – immerhin die Stiftung Warentest! – hat Prokon deshalb schon im Jahr 2011 auf ihre Warnliste „Geldanlageangebote“ gesetzt. Zur Erinnerung, vielleicht auch für die SPD zur Erinnerung: Wir haben die Stiftung Warentest mit 2 Millionen Euro zusätzlich ausgestattet. Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass die Stiftung Warentest weiterhin Geld bekommt. Wir haben also dafür gesorgt, dass die Verbraucher besser unterstützt und vor unseriösen Produkten gewarnt werden. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linken, fordern nun einen Finanz-TÜV. Wer soll denn all die Finanzprodukte, die es auf dem Markt gibt, prüfen? Wer soll Hunderte, Tausende Finanzprodukte prüfen? Wie soll das seriös funktionieren? Wie sieht es am Ende dann mit der Haftung aus? Ihre Antwort – klar –: Die Verbraucherzentralen sollen prüfen. Die Verbraucherzentralen sind für Sie immer die Allzweckwaffe. Sie sollen nicht nur prüfen; nein, sie sollen dann auch noch die Seite wechseln und gleichzeitig beraten. Konflikte sind damit vorprogrammiert. Ihr Antrag zeigt, dass Sie die Struktur und die Komplexität des Finanzmarktes vollkommen verkennen. Wie immer denken Sie auch hier nur schwarz und weiß. Aber Finanzprodukte kann man nicht einfach in gute und schlechte einteilen. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist das!) Es kommt immer auf den jeweiligen Anleger an. Es kommt immer auf seine Risikofreudigkeit an. Es kommt immer auf seine Kapitaldecke an. Es kommt immer auch auf seine Lebenssituation an. Als Verbraucherpolitikerin ist für mich nicht nur der Geldbeutel der Menschen schützenswert, sondern für mich sind die Entscheidungsfreiheit und die Selbstbestimmung der Menschen genauso schützenswert. Dazu gehört eben auch die Freiheit, in riskante Geldanlagen investieren zu können. Wer hohe Renditen erwartet, geht auch ein hohes Risiko ein. Auch das hat am ganz langen Ende der Fall Prokon wohl gezeigt. Wir haben im Koalitionsvertrag auch darauf hingewiesen und uns darauf verständigt, dass der Verbraucherschutz ein vorrangiges Ziel der Aufsichtstätigkeit der BaFin werden soll. Auch für die Große Koalition ist es ein vorrangiges Ziel, die Rechte der Verbraucher zu stärken – aber eben nicht auf Kosten der Eigenverantwortung und nicht auf Kosten ihrer Wahlfreiheit. Wir sind eben Christdemokraten. Wir sind keine Sozialisten, die es weder mit der Wahlfreiheit noch mit der Eigenverantwortung jemals besonders ernst genommen haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Gut, dass Sie es noch mal gesagt haben!) Unser Ziel ist es, für eine bessere Finanzkompetenz bei den Verbrauchern zu sorgen. Wir können nicht alle Gefahren der Welt wegregulieren. Aber wir können dafür sorgen, dass die Verbraucher besser einschätzen können, welche Produkte für sie infrage kommen und welche nicht. Als Verbraucherschutzbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion setze ich die Verbesserung der Finanzkompetenz als vorrangiges Ziel auf meine Agenda für diese Legislaturperiode. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/769 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen Drucksachen 18/578, 18/792 Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Kees de Vries, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Kees de Vries (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auf Antrag der Fraktion der Grünen steht heute das Thema Honig auf der Tagesordnung, das Naturprodukt Honig, wichtig für unsere Kulturlandschaft und für unsere Landwirtschaft. Die Biene ist nämlich nach Rind und Schwein das drittwichtigste Nutztier in unserer Volkswirtschaft. Durch ihre Bestäubungsarbeit wird in der Landwirtschaft ein Wert geschaffen, der den Erlös aus Wachs und Honig um das 10- bis 15-Fache übersteigt. Landwirtschaft und Imkerei sind dadurch aufs Engste miteinander verbunden. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, mit ihrem Antrag deuten die Grünen an, Pollen nicht als natürlichen Bestandteil des Honigs zu sehen. Es gibt aber mittlerweile eine Klarstellung durch das Europäische Parlament, dass Pollen in der Tat ein natürlicher Bestandteil des Honigs und nicht eine Zutat sind. In zwei informellen Trilogen wurde über die offenen Fragen verhandelt, und es wurde eine Einigung erzielt. Sogar der für den internationalen Handel bedeutsame Honig-Standard des Codex Alimentarius stuft Pollen als natürlichen Bestandteil des Honigs ein. Damit ist, hoffe ich, diese nur schwer nachvollziehbare Diskussion wohl beendet. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Transparenz durch Kennzeichnung von Lebensmitteln und die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf von Lebensmitteln haben für uns als CDU/CSU-Fraktion einen hohen Stellenwert. Daher begrüßen wir die europäische Vorgabe, alle GVO-veränderten Lebensmittel zu kennzeichnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Alle Lebensmittel, die einen GVO-Gehalt von mehr als 0,9 Prozent aufweisen, werden somit gekennzeichnet. Da der Pollengehalt von Honig maximal 0,01 bis 0,5 Gramm – im Normalfall ungefähr 0,03 Gramm – je Kilogramm Honig beträgt, ist eine GVO-Kennzeichnung ohnehin nicht erforderlich. Hinzu kommt: Bei Lebensmitteln, die mit dem Ohne-Gentechnik-Siegel gekennzeichnet werden, liegt die Nachweisschwelle für zugelassene gentechnisch veränderte Bestandteile bei 0,1 Prozent; sogar diese Grenze wird von gentechnisch verändertem Pollen im Honig nicht überschritten. Aber nehmen wir einmal an, Pollen wäre eine Zutat; dann müsste er ab einer Menge von circa 0,00027 Gramm je Kilogramm Honig gekennzeichnet werden. Bei „Fair Trade“- und Ökoprodukten liegt der Schwellenwert für die Kennzeichnung bei 9 Gramm je Kilogramm. Der Schwellenwert für Tofu aus Soja läge also 30 000-mal höher. Außerdem würde ein technisch schwieriger und finanziell aufwendiger Nachweis von Zutaten im Honig erforderlich. Das würde zu einem einfach nicht mehr vertretbar hohen bürokratischen Aufwand führen. Mögliche Kennzeichnungspflichten wurden von den betroffenen Handelspartnern bereits in den zuständigen Ausschüssen der WTO als Handelshemmnis gerügt. Vor diesem Hintergrund wäre bei Einführung einer Kennzeichnung von gentechnisch verändertem Pollen im Honig mit einem WTO-Streitbeilegungsverfahren zu rechnen. Dies wäre – auch wegen der schon erwähnten Regelung im Codex Alimentarius – für die EU und ihre Mitgliedstaaten mit erheblichen Risiken behaftet. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) Es ist gut, dass das Honig-Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das zu großer Verwirrung und Unsicherheit geführt hat, vom EU-Parlament korrigiert wurde und damit zumindest in diesem Punkt Sachlichkeit in diese Diskussion gekommen ist. Mit der Entscheidung von Parlament und Kommission haben wir endlich Klarheit über den rechtlichen Status von Pollen. Das ist wichtig für die Imker, die durch die Diskussion einen nicht unerheblichen Imageschaden haben, aber auch für die Verbraucher, auf deren Rücken hier eine unnötige, ideologische Debatte ausgetragen wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich kritisiere ausdrücklich den Versuch der Grünen, mit dem von ihnen ins Spiel gebrachten Vorschlag die lebensmittelrechtliche Behandlung des Honigs zu ändern. Das führt nicht zur notwendigen Versachlichung der Diskussion, sondern wird nur zu weiterer Verunsicherung und Ängsten bei den Bürgerinnen und Bürgern beitragen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich frage mich: Ist das unseren Kolleginnen und Kollegen von den Grünen nicht bewusst, oder ist es sogar gewollt? Vergessen wir nicht: Pollen aus GVO ohne EU-Zulassung sind in Honig wie in allen anderen Lebensmitteln weiterhin nicht zugelassen. Hier gilt weiterhin die Nulltoleranz. Damit ändert der Kommissionsvorschlag nicht die Vorgabe der EU, dass in Honig nur gentechnisch veränderte Pollen enthalten sein dürfen, die in der EU als Lebensmittel zugelassen sind. Deren gesundheitliche Unbedenklichkeit ist im Rahmen des EU-Zulassungsverfahrens seitens der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, auch für den Pollen in importiertem Honig bereits mehrfach nachgewiesen worden. Aus den genannten Gründen ist der Antrag der Grünen nicht zielführend und deshalb einfach abzulehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächster erteile ich das Wort der Kollegin Frau Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich würde ja gern einmal auf der Besuchertribüne eine Umfrage machen: Wollen Sie Honig essen, in dem Gentechpollen enthalten sind, ohne dass Sie das wissen, weil es nämlich nicht auf dem Etikett steht? (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ein Un-sinn! – Johannes Röring [CDU/CSU]: So ein Schmarrn!) Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Mehrheit das, völlig zu Recht, nicht will. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nach den Änderungsvorschlägen der EU-Kommission zur Honigrichtlinie müsste Gentechnikhonig aber nicht gekennzeichnet werden. Die Linke lehnt das ab. Wir folgen hier dem Europäischen Gerichtshof. Nach einem Urteil von 2011 haben Verbraucherinnen und Verbraucher das Recht auf Kennzeichnung von Honig mit Gentechpollen. Aus meiner Sicht könnte ich meine Rede jetzt eigentlich beenden. Aber ich mache die Erfahrung, dass viele Menschen gar nicht verstehen, worum es bei diesem Streit überhaupt geht. Deswegen möchte ich einmal versuchen, das zu erklären; denn die Kennzeichnungsregeln für Agrogentechnik sind ziemlich kompliziert, oder – besser gesagt – sie sind kompliziert gemacht worden. Bei nicht zugelassenen Gentechpflanzen ist es noch leicht; denn die dürfen in Lebensmitteln nicht vorhanden sein. Hier gilt die Nulltoleranz. Lebensmittel von Tieren, die mit Gentechnikpflanzen gefüttert wurden, müssen nicht gekennzeichnet werden. Aber man kann freiwillig das Label „Ohne Gentechnik“ aufdrucken, wenn die Tiere gentechnikfrei gefüttert wurden. Bei einer Verunreinigung durch zugelassene Gentechpflanzen wiederum müssen Lebensmittel gekennzeichnet werden, es sei denn, sie liegt unter 0,9 Prozent, ist zufällig oder technisch unvermeidbar. Dann muss das Lebensmittel nicht gekennzeichnet werden. Haben alle mitgekriegt, worum es hier geht? (Zurufe von der LINKEN: Ja!) Vermutlich haben es nicht alle verstanden. Warum ist die Kennzeichnung eigentlich nicht einfach und verständlich geregelt? Ich finde, wo Agrogentechnik drin ist, muss es auch draufstehen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann klappt es nämlich auch mit der Wahlfreiheit ganz gut. Doch so viel Transparenz will die EU nicht, weil dann klar wäre, dass in vielen Lebensmitteln ungewollt Agro-gentechnik drin ist. Verunreinigungen sind nämlich an der Tagesordnung. Die Koexistenz zwischen Agro-gentechnik und gentechnikfreier Landwirtschaft hat sich doch längst als Märchen entlarvt. Bei Ernte, Transport, Lagerung, Verarbeitung und Handel sind Verunreinigungen nicht oder nur mit einem hohen Kostenaufwand zu vermeiden. Um das nicht kennzeichnen zu müssen, hat man die 0,9-Prozent-Grenze erfunden. Deshalb muss man eigentlich entscheiden: Will man eine Gentechnik oder eine Kennzeichnung, die Monsanto-freundlich ist, oder will man eine, die im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher ist? (Zuruf von der CDU/CSU: Mein Gott!) Die wollen nämlich zu 80 Prozent keine Lebensmittel aus Agrogentechnik. Das heißt, sie wollen Lebensmittel, die nicht mit Agrogentechnik hergestellt wurden. Deshalb sagt die Linke ganz klar: Wir wollen eine Kennzeichnung im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher, im Interesse der gentechnikfreien Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft sowie im Interesse der Imkerinnen und Imker. (Beifall bei der LINKEN – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Insulin verbieten!) – Insulin ist aber Rote Gentechnik. Da haben Sie etwas verwechselt. Beim Honig ist die Kennzeichnungsfrage noch komplizierter. Dabei geht es nämlich um den Pollen in dem Honig. Stammen Pollen aus Gentechpflanzen ohne -Lebensmittelkennzeichnung, muss der Honig als Sondermüll entsorgt werden. (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Mit oder ohne Insulin?) Bei Pollen von Gentechnikpflanzen mit Lebensmittelzulassung zieht wiederum die 0,9ProzentGrenze nicht, weil Honig nämlich nur bis zu 0,5 Prozent Pollen enthält, also unter 0,9 Prozent. (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Mit Insulin!) Bei dieser Regelung müsste also der Honig nicht gekennzeichnet werden, es sei denn, Pollen würde als Zutat bezeichnet oder die Beimengung von Pollen wäre nicht zufällig oder technisch unvermeidbar – noch einmal: der Pollen wird durch die Bienen eingetragen – oder der -Pollengehalt würde im Verhältnis von Gentechpollen zu natürlichem Pollen berechnet oder – noch strenger – Gentechpollen würde auf den Maispollen bezogen. In all diesen Fällen müsste Honig dann doch gekennzeichnet werden, sagen manche Juristinnen und Juristen. Alles klar? Wenn nicht, dann liegt es ganz bestimmt nicht an Ihnen; denn so etwas ist nicht verständlich. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb hilft eigentlich nur ein klarer Rechtsgrundsatz: Im Zweifel für Verbraucherinnen und Verbraucher und für die Imkerei. Die Linke fordert deshalb klipp und klar: Wenn Gentechpollen im Honig drin sind, muss es auch draufstehen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Von den juristischen Debattierklubs erwarte ich kon-struktive Vorschläge, wie man dieses Ziel erreicht, und keine juristischen Winkelzüge, um es zu verhindern. Dem Antrag der Grünen stimmen wir deswegen zu. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Matthias Miersch, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Miersch (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich vorwegzusagen: Für die SPD-Fraktion steht fest, dass Wahlfreiheit im Bereich der Gentechnologie ein ganz entscheidender Grundsatz für Verbraucherinnen und Verbraucher ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zur Wahlfreiheit gehört auch, dass man Kennzeichnungspflichten hat, die für Verbraucherinnen und Verbraucher nachvollziehbar sind. Insofern freue ich mich, dass es gelungen ist, in diesen Koalitionsvertrag hineinzuschreiben, dass wir darin einig sind, dass die Bundesregierung auf europäischer Ebene für die Kennzeichnungspflicht von Tieren, die mit Gentechnikpflanzen gefüttert worden sind, votieren soll. Das ist ein eindeutiger Fortschritt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmt für unseren Antrag!) Beim Thema Honig – das gehört auch offen gesagt – ist dies aber komplizierter. Ausgehend von einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs haben wir in den letzten zwei Jahren auf vielen politischen Ebenen -intensiv darüber diskutiert. Herr Kollege de Vries, Sie sagen, es gibt nur eine Richtung. Es gibt aber auch noch eine andere. Die andere hat sich aus einer Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs ergeben. Ich sage auch hier ganz klipp und klar: Die Sozialdemokratie hat nicht nur auf nationaler Ebene – nicht nur im Bundesrat und teilweise sogar zusammen mit der CSU –, sondern vor allen Dingen auch im Europäischen Parlament für eine Kennzeichnungspflicht im Sinne der Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs votiert, und das ist nach wie vor auch richtig. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Ebner, jetzt komme ich dazu, was Ihr Antrag beinhaltet. Ich kann nur sagen: Ich kann von einer Bundesregierung nichts verlangen, was sie nicht erfüllen kann. Nach dieser langen Zeit haben wir auf der europäischen Ebene ein sogenanntes Trilogverfahren durchgeführt. Das ist so etwas wie das Vermittlungsverfahren zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat, das wir alle kennen. Dieses Verfahren ist abgeschlossen, und es gibt den Brauch, dass dieses Verfahren auch nicht wieder eröffnet werden kann. Das gab es in der europäischen Geschichte noch nie. Insofern können wir dem Willen der Grünen an dieser Stelle nicht entsprechen, weil wir hier schlichtweg zur Kenntnis nehmen müssen, dass auf europäischer Ebene jedenfalls derzeit die Messe gesungen ist. Es gehört zur Ehrlichkeit dazu, zu sagen, dass dieses Thema auf europäischer Ebene im Augenblick nicht zu bewegen ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Und die Grünen wissen das!) Jetzt kann man natürlich Anträge stellen und eine namentliche Abstimmung fordern; das wissen wir alle, die wir schon mal in der Opposition waren, Herr Ebner. Als Nächstes wird es dann Musterpresseerklärungen in den Wahlkreisen geben, in denen man sagt, der und der sei unglaubwürdig. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht ihr ja nicht!) – Lassen Sie mir zumindest die Möglichkeit, Ihnen einen Vorschlag zu machen. Ich sage, wir sollten uns in diesem Parlament die Frage stellen, wie wir in der Sache weiterkommen. Wir müssen hier in vier Bereichen eine Einigung erzielen: Erstens. Ich habe das schon vor wenigen Wochen -gesagt: Wir haben hier in diesem Haus und auch in den Koalitionsfraktionen offenkundig einen Dissens, wenn es um das Thema Grüne Gentechnik geht. Die CSU- und die SPD-Minister haben zum Beispiel eindeutig gegen die Zulassung votiert, die CDU dafür. Ich glaube, dass wir das ernst nehmen müssen, was wir in den Koalitionsvertrag geschrieben haben, nämlich dass wir die Zweifel der Bevölkerung in Sachen Grüne Gentechnik anerkennen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ich sage auch ganz offen: Wir müssen darum ringen, was das bedeutet. Aus meiner Sicht kann das nicht bedeuten, dass wir uns in Brüssel bei der Abstimmung über eine so zentrale Frage wie die Zulassung enthalten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen erwarten wir, dass wir, wie wir das im Koalitionsvertrag auch vereinbart haben, in den nächsten -Wochen im Einvernehmen miteinander klären, was zukünftig geschieht, wenn die Bundesregierung nicht sprechfähig ist, weil sie widerstreitende Interessen hat. Zweitens. Ich erwarte eine Diskussion darüber, ob es Sinn macht, eine sogenannte Opt-out-Klausel einzuführen, wonach einzelne Mitgliedstaaten, obwohl die Zulassung erfolgt ist, davon absehen können. Im Bundesrat und bei der CSU gibt es tolle Bewegungen dazu, und wie ich jetzt gehört habe, bewegt sich auch die CDU in -Baden-Württemberg, Herr Strobl, sodass der Kurs der Sozialdemokratie hier möglicherweise übernommen werden kann. (Beifall bei der SPD) Ich werbe dafür, dass wir offen darüber reden – im Übrigen auch mit der Opposition. Drittens. Wir müssen schnell das umsetzen, was wir im Koalitionsvertrag hinsichtlich der Kennzeichnungspflicht vereinbart haben, nämlich dass tierische Produkte gekennzeichnet werden müssen, wenn die Tiere mit GVO gefüttert wurden. Dafür müssen wir uns auf europäischer Ebene einsetzen. (Beifall bei der SPD) Viertens. Schließlich geht es um den Honig, über den wir hier diskutieren. Herr Ebner, ich glaube, es passiert nichts, ob der Antrag durchgeht oder nicht. Wir müssen in Brüssel dicke Bretter bohren und uns vor allen Dingen die Frage stellen, was wir hier im Parlament tun können. Auch dazu mache ich Ihnen einen Vorschlag. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hören schon auf, zu kämpfen, bevor es losgeht!) – Nein. Ich nehme zur Kenntnis, wie im Moment der Sachstand ist, Herr Krischer; das wissen Sie so gut wie ich. Frau Künast musste schon vor längerer Zeit, also vor uns, die Erfahrung machen, dass in Brüssel bestimmte Geschichten so sind, wie sie eben sind, und dass man da nicht eingreifen kann. Aber ich lade Sie ein, zu überlegen, wie wir die Imker national durch Regelungen schützen können. Diese vier Bereiche, Zulassung, Opt-out, Kennzeichnung, Fleisch und Imkerei, möchte ich in diesem Parlament offen diskutieren. Ich glaube, wir haben dafür eine Grundlage, indem wir im Koalitionsvertrag festgehalten haben, dass die Skepsis der Bevölkerung anerkannt wird. Diese Debatte fordern wir ein. Ich denke, wir werden sie in den nächsten Wochen gemeinsam mit der CDU/CSU und der Opposition führen. Dazu meine Einladung. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen. (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Untergang des Abendlandes!) Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kürzlich hat die Große Koalition gegen die hier schon zitierten Regelungen im Koalitionsvertrag, haben vor allem SPD und CSU gegen ihre eigenen -Programme gestimmt und einem weiteren Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen Tür und Tor geöffnet. (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Wo? – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Dummes Zeug!) Viele von Ihnen haben dann in den Wahlkreisen beteuert, sie seien selbstverständlich weiterhin gegen Gentechnik, obwohl sie gerade dafür gestimmt hatten. Jetzt wollen Sie die gleiche Nummer ein zweites Mal durchziehen? (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Eigentlich weißt du das besser!) Eigentlich – jetzt komme ich auf das zurück, was Renate Künast erreicht hat – könnten wir dieser Tage ein schönes zehnjähriges Jubiläum feiern. Im April 2004 trat die Kennzeichnungsverordnung der EU für gentechnisch veränderte Lebensmittel in Kraft. Erst seitdem haben wir die Möglichkeit, Lebensmittel mit Zutaten aus gentechnisch veränderten Organismen überhaupt zu erkennen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer war denn dagegen?) Diese Kennzeichnungspflicht für Gentechprodukte ist die Grundlage jeder Wahlfreiheit beim Essen. Seither stehen sie auch nicht mehr in unseren Regalen, und das ist gut so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: 80 Prozent der Lebensmittel sind mit GVO in Berührung gekommen!) Was passiert denn heute? Zehn Jahre später wirkt die Bundesregierung in Brüssel aktiv daran mit, diese Transparenzregelung auszuhebeln. Auf solche Festreden kann die Jubilarin ganz gut verzichten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie auch beim Genmais 1507 liegt leider auch hier der Verdacht nahe – der Kollege de Vries hat es schon bestätigt –, dass hier ein weiteres Stück Verbraucherschutz als Handelshemmnis für die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den USA aus dem Weg geräumt werden soll. Ich sage Ihnen: Verbraucherinnen und Verbraucher und ihr Recht auf Information sind eben keine Handelshemmnisse. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hinter der laufenden Änderung dieser EU-Honigrichtlinie steckt nichts anderes als das Ziel, die Kennzeichnung von Honig mit Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen grundsätzlich zu verhindern und damit – auch Kollege de Vries hat es schon bestätigt – das -sogenannte Honigurteil des EuGH zu unterlaufen oder zu korrigieren. Sie unterstützen das. Damit beschneiden Sie die Freiheit der Menschen beim Einkauf, Honig ohne Gentechnik auswählen zu können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit schränken Kanzlerin Merkel und ihre Koalition die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher und die Lebensmittelkennzeichnungspflicht deutlich ein. Gegen Ihre Transparenz ist die Stahltür von Fort Knox eine Milchglasscheibe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verbraucherinnen und Verbraucher haben aber einen Anspruch auf Transparenz. Wir teilen deshalb das in Ihrem Koalitionsvertrag, Herr Miersch, verankerte Ziel, auch eine Kennzeichnung tierischer Produkte zu erreichen, die mit Genfuttermitteln erzeugt wurden. Doch Sie machen jetzt das genaue Gegenteil dessen. Sie sorgen nicht für mehr, sondern für weniger Kennzeichnung bei tierischen Produkten; denn Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen gelangt eben in unveränderter Form in den Bienenstock und in den Honig mit dem kompletten Erbgut, inklusive aller Veränderungen, die man vorgenommen hat. Damit ist dieser Honig Genfood. Da kommen Sie und wollen den Menschen im Land weismachen, Gentechpollen sei, Herr Kollege, „ein -natürlicher Bestandteil“ von Honig. Solches Gen-techerbgut ist ausnahmslos patentiert. Wir sagen: Eine patentierte Erfindung kann nie und nimmer ein natürlicher Bestandteil eines Lebensmittels sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da wird gern abgewiegelt und erklärt, der Pollenanteil im Honig sei sehr gering. Wenn aber die Menschen keine Gentechnik in ihrem Essen haben wollen, dann ist das ihr gutes Recht. Und Ihre Pflicht als Bundesregierung ist es, durch eine klare Kennzeichnungsregelung echte Wahlfreiheit zu ermöglichen. (Dieter Stier [CDU/CSU]: Nicht alle Menschen sehen das so wie Sie!) Aber was tun Sie? Sie befürworten deren Einschränkung, Frau Connemann. Wir wollen jedenfalls nicht, dass Rapshonig, der vollständig von Gentechpflanzen stammt, ohne jede Kennzeichnung im Regal steht. Das geht nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber das wird die Folge sein. Es wird gesagt, die Messe sei gesungen. Denen, die das erzählen, sage ich: Das stimmt doch gar nicht. Wo waren Sie denn bisher? Wo war die Stimme der CSU, (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Gentechnikgesetz!) wo war die Stimme der SPD gegen die Gentechnik und für die Wahlfreiheit der Menschen? Sie handeln zum wiederholten Mal in Brüssel glasklar gegen die Interessen der Menschen, gegen die Wahlfreiheit beim Essen (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: In welcher Welt leben Sie denn eigentlich?) und auch gegen Ihren eigenen Koalitionsvertrag, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und dann haben Sie die Stirn, uns vorzuhalten, es sei zu spät. Das finde ich unerträglich. Dieser Honig ist noch lange nicht gelöffelt. Denn Trilog hin oder her: Der Rat muss erst noch darüber abstimmen. Dass es unüblich ist, dass man dann gegen das bisherige Abstimmungsverhalten handelt, mag sein. Aber der Rat muss abstimmen. Deshalb kommt unser Antrag zur richtigen Zeit. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wer hat denn zugestimmt?) Ich appelliere an Sie: Denken Sie jetzt gleich bei der Abstimmung an die Menschen in diesem Land! Denken Sie an ihre Wahlfreiheit! Tauschen Sie Ihr Stimmkärtchen noch einmal um! Stimmen Sie mit unserem Antrag für die Wahlfreiheit auch beim Honig! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Alois Rainer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Rainer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Kollege Ebner, ich verkneife es mir, auf Ihre Ausführungen näher einzugehen. Dann würde meine Redezeit nicht reichen; denn ich könnte einiges zum Thema Lebensmittel und Gentechnik sagen und sofort widerlegen, was Sie gesagt haben. Davon stimmt fast gar nichts. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei der Abstimmung vor einigen Wochen ging es um einen Schaufensterantrag wie heute auch. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Es geht um Wahlfreiheit!) Aber heute bleibe ich bei der Sache. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Du bist immer bei der Sache!) – Ja, ich bleibe bei der Sache. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will es klar an den Anfang stellen: Das Wohl der Menschen in unserem Land liegt uns in jeder Hinsicht ganz besonders am Herzen. Wir nehmen die Sorgen und Ängste der Menschen sehr ernst. Das gilt auch für die Bewertung aller modernen Technologien. Oberstes Prinzip bei der Anwendung ist und bleibt die Sicherheit von Mensch, Tier und natürlich auch der Umwelt. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Damit es genau in diesem Verhältnis bestehen bleibt, setze ich mich nach wie vor für eine vernünftige und, meine lieben Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsfraktionen, realistische Kennzeichnung ein. Das Europäische Parlament – das wurde schon gesagt – hat am 15. Januar 2014 klargestellt, dass Pollen ein natürlicher Bestandteil und keine Zutat von Honig ist. Das war eine Reaktion auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach Pollen als Zutat von Honig hätte gekennzeichnet werden müssen. Aus eigener Erfahrung habe ich die Transparenz in der Kennzeichnung von Lebensmitteln und die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf von Lebensmitteln schätzen gelernt. Es ist gut und richtig, dass Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Zutaten enthalten, entsprechend gekennzeichnet werden müssen. Aber schon jetzt gilt: Enthält importierter Honig gentechnisch veränderten Pollen, der in der EU nicht als Lebensmittel zugelassen ist, ist der Honig gar nicht erst verkehrsfähig. Eines muss man klar sagen: Unser regional produzierter Honig ist ein reines Naturprodukt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis jetzt schon noch! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann man auch kennzeichnen!) – Jetzt schon noch. Wenn wir die Opt-out-Regelung ziehen, wird es auch in Zukunft so sein. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verhindern Sie das mal in Brüssel!) Das werden wir sehen. Warten wir es ab! (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hält nicht dauerhaft!) Es ist festgelegt, dass eine Zutat ein Stoff ist, der einem Lebensmittel absichtlich hinzugefügt wird. Darüber hinaus sind Pollen ein unvermeidbarer natürlicher Bestandteil des Honigs. Das Vorhandensein des Pollens im Honig ist zufällig und technisch nicht vermeidbar, weil die Bienen von Natur aus Nektar, Honigtau und Pollen sammeln und dieser Vorgang vom Imker nicht wie bei einer Zutat beeinflusst werden kann. Der Anteil der Pollen im Honig liegt im Normalfall bei 0,003 Prozent. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat der Kollege schon gesagt!) – Stimmt, aber ich wiederhole das gerne, damit Sie sich das merken, Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, wir machen hier Politik!) – Sie waren vorhin genauso sarkastisch. Der Anteil gentechnisch veränderter Pollen liegt gewöhnlich deutlich unter diesem Prozentwert, wie Sie alle wissen. Deshalb kann man nicht davon ausgehen, dass die Bienen nur gentechnisch veränderte Pollen sammeln. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das für eine Argumentation!) Der gültige, für die Kennzeichnung maßgebliche Schwellenwert für gentechnisch veränderte Organismen in Lebensmitteln liegt – das haben wir bereits gehört – bei 0,9 Prozent. Ich wiederhole gerne, was vorhin gesagt wurde: Die Nachweisgrenze für zugelassene gentechnisch veränderte Bestandteile von Lebensmitteln liegt bei 0,1 Prozent. Das gilt auch für das Siegel „Ohne Gentechnik“ oder für das Fair-Trade-Siegel. Eine Pflicht zur Kennzeichnung des Honigs ist in der Praxis auch nicht umsetzbar, da es wegen der extrem geringen Mengen an möglichen gentechnisch veränderten Pollen im Honig derzeit keine zuverlässigen Analysemethoden für die Quantifizierung gibt. Ähnlich schwierig wäre es, ein Zuckerstück im Bodensee zu finden. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das geht sehr gut!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, vielleicht erinnern Sie sich: Im November 2002 war es die damalige Ministerin Renate Künast, die dem Schwellenwert von 0,9 Prozent zugestimmt hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Honig etwas anderes ist!) – Sie sind vorhin auch ausgewichen. Der Anteil des Importhonigs liegt in Deutschland bei 70 bis 75 Prozent. Das heißt, 25 bis 30 Prozent werden national hergestellt. Durch eine zusätzliche Kennzeichnungspflicht würden neue und hohe Analysekosten sowie bürokratische Kontrollaufwendungen auf unsere Imker zukommen. Gerade deshalb bin ich mir sicher, dass eine Ausweitung der Kennzeichnung viele kleine und mittlere Imkereien belasten wird. Zumindest da könnten wir uns einig sein. Wir alle wollen doch, dass die Imker nicht zusätzlich belastet werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Denn gerade das sollte bei einem Anteil des nationalen Honigs von 25 bis 30 Prozent in Deutschland dringend vermieden werden. Bei allem Verständnis für größtmögliche Transparenz ist es in diesem Fall aus den vorgenannten Gründen zurzeit nicht sinnvoll und auch nicht notwendig, eine Änderung der EU-Honigrichtlinie durchzuführen. Dies würde vor allem dem Verbraucher keinen weiteren Nutzen bringen, sondern lediglich unnötige Zusatzkosten und bürokratische Mehraufwendungen für die Imker bedeuten. Im Hinblick auf die besondere Situation sollten wir dringend über eine Zutatenliste diskutieren. Wir müssen uns in Zukunft diesem Thema widmen. Nehmen wir die Emotionen heraus, und treffen wir uns mit Interessenvertretern der Imker und den Verbraucherschützern! (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl! Die werden Ihnen was erzählen!) Machen wir ein tragfähiges Konzept für alle! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mir persönlich ist es sehr wichtig, dass wir über diese Themen sachlich und fachlich diskutieren und nicht den Konsumenten im Zuge von Informationsdefiziten oder Irritationen verunsichern und unnötige Ängste schüren. Wir müssen den Verbrauchern sagen: Kauft deutschen Honig! – Dann haben sie mit Sicherheit jetzt noch gentechnikfreien Honig. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch bekommen! Ich betone: noch! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Noch und weiterhin!) – Noch und weiterhin. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Herzlichen Dank. – Als letzter Rednerin zum Thema Honig, aber zur ersten Rede in ihrem parlamentarischen Leben im Deutschen Bundestag gebe ich das Wort Kollegin Rita Hagl-Kehl. (Beifall bei der SPD) Rita Hagl-Kehl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich auch die Gäste und Bürgerinnen und Bürger auf den Zuschauertribünen des Deutschen Bundestages begrüßen; denn Transparenz ist die Idee, die hinter der Architektur dieses Hauses steht. Die Transparenz von Vorgängen und Prozessen, letztlich die Transparenz von Politik ist die Voraussetzung für demokratisches Handeln. Nicht nur frei entscheiden zu dürfen, sondern auch frei entscheiden zu können, muss das Ziel sein. Heute sprechen wir über Honig und die Änderung der Honigrichtlinie der Europäischen Union. Seit Menschengedenken gehört Honig zu unseren Grundnahrungsmitteln. Die älteste bekannte Darstellung von Bienen ist eine etwa 8 000 Jahre alte Höhlenmalerei in Ostspanien, die einen Honigsammler bei der Ernte zeigt. Bereits die alten Ägypter kannten den Zusammenhang zwischen Bienen und Bestäubung. Zwei Drittel der Verbraucher in Deutschland essen regelmäßig Honig. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Honig liegt bei 1,4 Kilogramm pro Jahr. Aufgrund des hohen Honigverbrauchs kann nur ein kleiner Teil des Bedarfs mit heimischem Honig gedeckt werden. Ich kenne keine Familie, die nicht ein Glas Honig zu Hause hat. Warum ist das so? (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Lecker!) Weil Honig einen Urinstinkt in uns Menschen weckt. Honig steht für Natur und Gesundheit. Genau das möchte der Bürger: ein unverfälschtes Naturprodukt, das ein gesunder Bestandteil der Ernährung ist. (Unruhe) Vizepräsident Peter Hintze: Einen kleinen Moment, Frau Kollegin. Liebe Kollegen, es wäre sehr nett, wenn wir es noch schaffen würden, drei Minuten der Kollegin bei ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag zuzuhören (Beifall) und die sicherlich hochinteressanten und extrem wichtigen Gespräche dann nach der Abstimmung draußen zu führen. Frau Kollegin, bitte schön. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Rita Hagl-Kehl (SPD): Es ist unsere Verantwortung, dass es auch so bleibt. Der Europäische Gerichtshof hat die Rechte der Verbraucher und der europäischen Imker in dieser Frage mit dem sogenannten Honigurteil vom 6. September 2011 grundlegend gestärkt. Ich möchte klarstellen: Der EuGH hat nicht darüber befunden, ob Pollen ein natürlicher Bestandteil von Honig ist. Der EuGH hat entschieden, dass genveränderter Pollen im Honig wie eine Zutat im Sinne der entsprechenden EU-Verordnung zu behandeln ist. Drei Argumente für die Neuregelung der Honigverordnung werden regelmäßig ins Feld geführt. Diese möchte ich einmal in Klartext übersetzen. Das erste Argument lautet, alle Pollen seien natürlicher Bestandteil des Honigs, und deshalb sei Honig per se ein Naturprodukt. Der Satz: „Pollen ist ein natürlicher Bestandteil von Honig“, ist absolut richtig. Kein Imker würde das je bestreiten. Es geht aber hier darum, ob genetisch veränderter Pollen ein natürlicher Bestandteil von Honig ist, und das ist absolut zu verneinen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Satz: „Gentechnisch veränderter Pollen ist ein natürlicher Bestandteil von Honig“, ist falsch. Das zweite Argument lautet, eine fehlende Kennzeichnungspflicht spare Geld, weil Analysen und der Nachweis von Genpollen hohe Kosten verursachen würden. Fakt ist: Die vermeintliche Kostenersparnis bei der Kennzeichnung macht den europäischen Imkern mit ihren wertvollen Qualitätsprodukten und hohen Standards den Markt kaputt. Die Analysetechnik steht nicht nur bei den deutschen Honigimporteuren bereit, sie wird seit dem Honig-Urteil auch genutzt. (Beifall des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zudem ist der Nachweis – der Kollege Rainer sollte vielleicht zuhören; denn genau das hat er gesagt – – (Alois Rainer [CDU/CSU]: Der Kollege Rainer sitzt da!) – Ach so, er sitzt da. Das sind die anderen Kollegen, die ratschen. Jetzt weiß ich es. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Der Kollege Rainer war verdeckt durch die Kollegen, die in der ersten Reihe geratscht haben. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zudem ist der Nachweis über den Abstand des Bienenstocks zu genmanipulierten Pflanzen in Deutschland nahezu kostenfrei über die Standortregister für GVO-Felder möglich. Drittes Argument: Die neue Regelung bringt Bürokratieabbau und Erleichterungen. Klar, wenn ich den TÜV abschaffe, dann können Autos länger gefahren werden. Der Verkehr wird dadurch aber nicht sicherer. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hinter dem Argument des Bürokratieabbaus bei der Honigverordnung versteckt sich die Schwächung des Verbraucherschutzes. In Wirklichkeit wird die Wahlfreiheit der Bürger abgebaut. Noch ein Wort zur Lebensmittelkennzeichnung. Bei der Einführung der Gentechnik unter freiem Himmel wurden den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes drei Dinge versprochen. Um es knapp zu machen – die Zeit drängt –: Die Koexistenz von natürlicher und genetisch manipulierter Produktion ist eines dieser drei Versprechen. Die EU-Kommission kann allerdings nicht erklären, warum Genhonig aus Kanada zu 100 Prozent aus Gentechnik bestehen kann und nach der vorgeschlagenen Neuregelung keine Kennzeichnung benötigt. Zugleich wird dem Import von Honig aus genetisch veränderten Pflanzen Tür und Tor geöffnet. Der Vorschlag der EU-Kommission zur Honigverordnung ist ein Angriff auf die Koexistenz von Gentechnik und natürlicher Produktion. Nun zum Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen. Wie sollen wir mit ihm verfahren? (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zustimmen!) Dieser Antrag fordert im Wesentlichen, dass sich Deutschland im Trilogverfahren für Erhalt der Wahlfreiheit beim Honig einsetzt. Das Trilogverfahren ist abgeschlossen, und das wissen Sie auch. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dieser Antrag ist entweder als grüner Europawahlkampf zu verstehen, oder er kommt einfach zu spät. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die nächste Entscheidung in dieser Sache wird nicht heute im Bundestag gefällt, sondern am 19. März 2014 im Umweltausschuss des Europaparlaments. Den Antrag der Grünen können wir deshalb ohne schlechtes Gewissen ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Das war die erste Rede der Kollegin Rita Hagl-Kehl, zu der wir ihr gratulieren. (Beifall) Sie hatte das Privileg, vor einem vollen Haus zu sprechen, und das Problem, dass nicht alle gründlich zugehört haben. Das ist aber immer das Problem, wenn man kurz vor einer Abstimmung spricht. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen“. Zu der Abstimmung liegen mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/792, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/578 abzulehnen. Auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmen wir nun namentlich über die Beschlussempfehlung des Ausschusses ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. – Darf ich fragen, ob alle Urnen ordnungsgemäß besetzt sind? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2 Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b sowie den Zusatzpunkt 3 auf: 10 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Waffenexporte in die Golfregion verbieten Drucksache 18/768 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Federführung strittig b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2012 (Rüstungsexportbericht 2012) Drucksache 18/105 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien Drucksachen 18/576, 18/793 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch und bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dieser Debatte nicht folgen wollen, sich entweder hinzusetzen oder den Plenarsaal zu verlassen. (Glocke des Präsidenten) Bitte verlassen Sie den Plenarsaal, oder besser: Bleiben Sie hier und lauschen Sie der interessanten Debatte. Als Erste hat die Kollegin Inge Höger, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Exporte von deutschen Waffen in alle Welt sind ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Sie sind eine Bankrotterklärung für eine verantwortungsvolle Außenpolitik. Firmen, die Waffen liefern, und Regierungen, die diese Lieferungen genehmigen, leisten Beihilfe zu Krieg und Mord – weltweit. Das ist ein Skandal. Die Absurdität der deutschen Rüstungsexportpolitik zeigt sich ganz aktuell in der Ukraine. Sollte es tatsächlich zu einem Krieg um die Krim kommen, was niemand von uns hofft, kommen deutsche Waffen, deutsche Munition und deutsche Militärfahrzeuge auf der ukrainischen und der russischen Seite zum Einsatz. Und die -Offiziere beider Seiten werden wahrscheinlich mit deutschen oder anderen NATO-Soldaten gemeinsame Übungen für den Ernstfall absolviert haben. Nun werden ja Sanktionen gegen Russland diskutiert. Die weitere Belieferung der Ukraine wird jedoch trotz Kriegs- und Bürgerkriegsgefahr nicht infrage gestellt. In Spannungsgebiete sollten generell keine Waffen geliefert werden, egal an welche Seite. (Beifall bei der LINKEN) Wenn mehr Waffen mehr Sicherheit bedeuten, wie so oft behauptet wird, dann müsste der Nahe und Mittlere Osten eine besonders stabile Region sein. Das Gebiet rund um den Persischen Golf ist das am stärksten militarisierte Gebiet der Welt. Es ist Kriegs- und Krisengebiet. Die Bundesrepublik ist einer der bedeutendsten Waffenlieferanten dieser Region. Deutsche Waffen kommen weltweit viel zu oft zum Einsatz, nicht selten auf allen Seiten eines Krieges oder Bürgerkrieges. Ich nenne hier nur beispielhaft einige Länder, in die – historisch oder aktuell – tödliche Systeme verkauft wurden: Die Liste reicht vom Iran über den Irak, Indien, Pakistan bis nach Libyen. Überall wurde mit deutscher Rüstungstechnologie Öl ins Feuer gegossen. Dieser Irrsinn muss endlich ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN) Nur ein Stopp der Rüstungsexporte wäre eine verantwortungsvolle Außenpolitik. Von der im Wahlkampf insbesondere von der SPD beschworenen „Kultur der -Zurückhaltung“ hat sich die neue Regierung bereits öffentlich verabschiedet. Es ist nun von einer neuen „Politik der Verantwortung“ die Rede. Bei Waffenexporten soll das Parlament früher und zweimal im Jahr informiert werden. Das Parlament soll aber nach wie vor nicht über die Voranfragen für Rüstungsexporte informiert werden; es wird weiterhin erst im Nachhinein vor vollendete Tatsachen gestellt. Demokratie und Verantwortung sehen anders aus. (Beifall bei der LINKEN) Insgesamt liefert die deutsche Genehmigungspraxis Anlass zu großer Sorge. Lieferungen an Drittländer sollten ursprünglich die Ausnahme sein. Inzwischen werden Panzer, Kriegsschiffe, Maschinengewehre und andere Kriegswaffen mehrheitlich an Staaten außerhalb der EU und der NATO geliefert. Allerdings sind auch Lieferungen an EU- und NATO-Staaten keineswegs unbedenklich. Das gilt nicht nur für Griechenland und die Türkei. Nahezu alle EU- und NATO-Verbündeten befinden sich in Kriegs- und Besatzungseinsätzen. Es gibt schlichtweg keine unbedenklichen Waffenexporte. (Beifall bei der LINKEN) Unter den Top Ten der Empfängerländer finden sich zahlreiche Länder in Spannungsgebieten oder Staaten, die Menschenrechte und Demokratie mit Füßen treten. Mehr als 20 Prozent der Exportgenehmigungen im Jahr 2012 entfielen auf Entwicklungsländer. Diese Länder brauchen Entwicklungshilfe und keine Waffen. (Beifall bei der LINKEN) Der Umfang der genehmigten Exporte von Kleinwaffen wie Maschinengewehre und Pistolen hat sich fast verdoppelt. Damit ist Deutschland inzwischen weltweit der zweitgrößte Exporteur von Kleinwaffen. Kleinwaffen sind die neuen Massenvernichtungswaffen unserer Zeit. Diese Geschäfte sind wirklich beschämend. Warum werden Waffen nach Algerien, Singapur, Südkorea oder in die Vereinigten Arabischen Emirate geliefert? Warum ist zwischenzeitlich Saudi-Arabien der größte Abnehmer deutscher Rüstungsprodukte? Das einzige Kriterium scheint die Zahlungsfähigkeit der Empfängerstaaten zu sein. Ein weiteres Verkaufsargument sind ähnliche Interessen; das ist die neue Merkel-Dok-trin. Aus ähnlichen Interessen können aber in kürzester Zeit Interessengegensätze werden. Die einzigen Profiteure dieser hochriskanten Politik sind Rüstungskonzerne und deren Börsenwerte; die steigen gerade wieder. Ist das die werteorientierte Politik der Bundesregierung? Bei der Lieferung von 70 Schnellbooten, 33 Patrouillenbooten sowie 34 weiteren Booten an Saudi-Arabien geht es angeblich nur um Piraterie- und Terrorismusbekämpfung. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Grenz-sicherung!) Wahrscheinlich wird es eher um die Abwehr von Flüchtlingen gehen. Glaubt hier wirklich jemand, Saudi-Arabien würde Flüchtlinge entsprechend humanitären Regeln behandeln? (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es Flüchtlinge, die freiwillig nach Saudi-Arabien gehen?) Glaubt jemand, Piraten könnten in Saudi-Arabien auf rechtsstaatliche Verfahren hoffen? Und wer garantiert, dass die Schnellboote nicht auch für Interventionen in Nachbarländer wie Jemen oder Bahrain eingesetzt werden? Jeder Export von Waffen ist einer zu viel. (Beifall bei der LINKEN) Politische Verantwortung drückt sich nicht in Militärinterventionen und Rüstungsexporten aus. Es gibt keine Alternative zu einer zivilen Politik des fairen Interessenausgleichs zwischen den Regionen dieser Welt. Deshalb fordert die Linke ein Verbot von Waffenexporten in die Golfregion und alle Teile dieser Welt. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Herzlichen Dank. Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des -Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 –, hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Art. 23 Abs. 3 des Grundgesetzes, mit dem Titel „Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen“, liegt vor: abgegebene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt 448, mit Nein haben gestimmt 110, Enthaltungen 9. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 559; davon ja: 440 nein: 110 enthalten: 9 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Andreas Jung (Konstanz) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Christina Schwarzer Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier-Heite Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Katja Mast Dr. Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özo?uz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Nein CDU/CSU Josef Göppel Hans-Georg von der Marwitz Martin Patzelt DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Enthalten CDU/CSU Steffen Bilger Alexander Hoffmann Armin Schuster (Weil am Rhein) Johannes Selle SPD Gabriele Groneberg Dr. Bärbel Kofler Hilde Mattheis Dr. Nina Scheer Stefan Zierke Das bedeutet – ich sage das für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer –, dass der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt wurde, weil die Beschlussempfehlung die Ablehnung empfohlen hat. Wir fahren mit unserer Tagesordnung fort. Der nächste Redner ist Kollege Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute wieder einmal, wie fast jede Woche, über das Thema Waffenexporte. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie nicht mehr exportieren, dann müssen wir nicht darüber reden! So einfach ist das!) Die Linken haben einen Antrag vorgelegt, der vorsieht, die Waffenexporte in die Golfregion komplett zu verbieten. (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Genau!) Sie haben eben den Vorwurf erhoben, Deutschland würde eine unverantwortliche Rüstungsexportpolitik betreiben. Das ist absurd und geht ins Leere. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Bundesrepublik Deutschland betreibt seit ihrer Gründung eine äußerst verantwortungsvolle Rüstungspolitik, (Inge Höger [DIE LINKE]: Drittgrößter Rüstungsexporteur der Welt!) schon aufgrund der Vorgaben des Grundgesetzes. So lautet Art. 26 Abs. 2: Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. (Inge Höger [DIE LINKE]: Sie genehmigen ja alles!) Deutschland hat unzweifelhaft das weltweit restriktivste Rüstungsexportregime. (Lachen des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf dem Papier! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Deshalb sind wir auch Weltmeister! Exportchampions!) – Wenn wir es doch nur wären! Aber wir sind es nicht. Das ist abwegig. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wenn wir es doch nur wären? Wir exportieren wohl Gummibärchen und Watte!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Pfeiffer, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höger zu? Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Ja, gerne. Bitte schön. Inge Höger (DIE LINKE): Wenn Deutschland eine der restriktivsten Rüstungsexportgenehmigungspolitiken der Welt betreibt, wie kann es dann sein, dass Deutschland der drittgrößte Rüstungsexporteur der Welt ist? (Beifall bei der LINKEN – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Weil wir technologisch top sind! – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Weil wir Rüstungsindustrie haben und andere Staaten nicht!) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Sie wissen genau – weil wir diese Frage schon zigmal debattiert haben –, dass diese Aussage falsch ist. Den Zahlen des SIPRI-Instituts liegen bestimmte Kriterien zugrunde. Zum Beispiel wird gebrauchten Waffen der gleiche Wert zugemessen wie neuen. Insofern ist die Beweiskraft dieser Zahlen mehr als fraglich. (Widerspruch bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Zuhören!) Ich frage Sie in aller Offenheit: (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es interessant!) Selbst wenn wir der größte Rüstungsexporteur wären, wo wäre denn das Problem, wenn wir die zugrunde liegenden Kriterien erfüllten, die eine sorgfältige Abwägung ermöglichen, (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) zum Beispiel bei Dual-Use-Gütern? Da haben wir eine europäische Regelung. Ich wünsche mir im Übrigen eine solche europäische Regelung auch im Bereich des Kriegswaffenexports. Wenn wir eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik betreiben wollen, dann müssen wir nicht nur in Bezug auf den Rüstungsexport von Dual-Use-Gütern, sondern auch in Bezug auf den von Kriegswaffen europäisch denken und gemeinsam handeln. Wenn wir dann die besten Produkte liefern können: Wo ist denn dann das Problem? (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wo ist denn dann das Problem?) Dann sind wir doch froh, dass wir mit deutscher Unterstützung einen Beitrag dazu leisten können, dass Frieden in der Welt erhalten bzw. geschaffen wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie schafft man denn mit deutschen Panzern Frieden in Saudi-Arabien?) Ich komme zu Ihrem Antrag und auf Saudi-Arabien zurück. Falls die Zeit nicht reicht, können Sie gerne eine Zwischenfrage stellen. Dann kann ich das weiter ausführen. Sie fordern jedenfalls ein Totalverbot von Waffenexporten in eine bestimmte Region. (Zuruf von der LINKEN: Ja!) Dies ist weder mit nationalem Recht noch mit dem EU-Ausfuhrkontrollrecht vereinbar. Wie Sie wissen, widerspricht die von Ihnen beabsichtigte pauschale Untersagung dem Gemeinsamen Standpunkt der EU von 2008, der eine Einzelfallprüfung vorsieht. Das käme einem Waffenembargo gleich, was im Übrigen nur der EU-Rat entscheiden kann. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig!) Zentrale Kriterien für die Ausfuhrentscheidung sind Art des konkreten Exportgutes sowie außen-, sicherheits-, technologie- und menschenrechtspolitische Argumente, die im Einzelfall sorgfältig abgewogen werden. (Inge Höger [DIE LINKE]: Es gibt Richtlinien für Rüstungsexporte!) Kommen wir zu Saudi-Arabien bzw. zum Nahen -Osten. Saudi-Arabien ist ja wohl unzweideutig seit Jahrzehnten ein verlässlicher Partner des Westens (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) und auch ein verlässlicher Partner der Bundesrepublik Deutschland. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat dann al-Qaida finanziert? – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Taliban!) Saudi-Arabien ist ein stabilisierender Faktor im Mittleren Osten. Wenn Sie nach Libyen schauen, wenn Sie nach Syrien schauen (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Syrien? Ja?) – Herr Trittin, Sie haben vorhin selber das Thema Iran angesprochen –, dann ist Saudi-Arabien ein moderater und stabilisierender Partner in der Region. (Beifall des Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU] – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich!) Wenn wir der Meinung sind, dass Saudi-Arabien ein stabilisierender Partner ist, dann sollten wir es vielleicht auch in die Lage versetzen, dieser Aufgabe nachzukommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: So ist das!) Wenn Saudi-Arabien Küstenschutz betreibt und – das wurde ja dargelegt – (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Alles -Gotteskinder!) zum Schutz gegen Piraterie am Roten Meer Patrouillenboote ordert – die ordern sie in Deutschland, weil wir hier die geeigneten haben, um die Küsten zu schützen –, wo liegt dann das Problem? (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wo liegt das Problem? Das ist doch kein Problem!) Ganz im Gegenteil: Ich bin stolz darauf, dass wir in der Lage sind, diese an Saudi-Arabien zu liefern. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Meinen Sie das alles wirklich im Ernst, was Sie hier reden? – Gegenruf des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ja, klar!) Wenn Sie sehen, dass auch in die Golfregion – können Sie ja im Rüstungsexportbericht nachlesen – 2011 105 und 2012 118 Ausfuhranträge nach der Prüfung der Kriterien, die zugrunde gelegt wurden, abgelehnt wurden, dann erkennen Sie, dass hier nicht nach Schema F vorgegangen, sondern sehr differenziert untersucht wird, was man erlaubt und was nicht. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein, das wird schon sehr differenziert gemacht!) Das Gleiche gilt beispielsweise für Katar. Es wäre doch absurd, wenn wir Katar bei der Modernisierung seiner Sicherheitskräfte, auch in der Vorbereitung der Fußball-WM 2022, nicht unterstützen würden. Warum sollen wir das denn nicht tun? (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Weil in Katar Zwangsarbeiter unterwegs sind!) Rüstungsexporte sind – ich wiederhole es noch einmal – aus meiner Sicht ein legitimes Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Natürlich!) wenn dafür entsprechende Kriterien vorhanden sind und auch eingehalten werden. Betrachten wir einmal ein aktuelles Beispiel, über das wir in diesen Wochen auch schon diskutiert haben: Mali. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die gute deutsche Tradition fortsetzen!) In Mali sind bisher unsere französischen Verbündeten und zum Teil auch die Bundeswehr im Einsatz. Wenn wir der Meinung sind, dass wir Mali in die Lage versetzen wollen, das Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Dann müssen Sie Waffen liefern!) und dafür sogar die Streit- und Sicherheitskräfte ausbilden, dann müssen wir sie auch so ausstatten, dass sie in der Lage sind, dieses Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen. Alles andere ist verlogen. Die Scheinheiligkeit der Argumentation, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Scheinheilig?) die hier von den Linken und auch von den Grünen in dieser Angelegenheit an den Tag gelegt wird, ist wirklich himmelschreiend. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Unterschied zu Ihnen wissen wir sogar, wo Mali liegt! Nicht am Meer und nicht am Golf!) Es ist auch deshalb im nationalen Interesse Deutschlands, weil wir mit den Rüstungsexporten auch die -Sicherung der Wehrfähigkeit Deutschlands und des Technologiestandortes Deutschland gewährleisten. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sind Sie für eine Spitzenkraft!) Von einstmals 1,5 Millionen Beschäftigten in der Rüstungsindustrie gibt es jetzt gerade einmal noch 400 000 in ganz Europa. In Deutschland waren es einmal 500 000. Jetzt sind es noch 80 000. Ich will nicht abhängig werden von Technologien anderer. Das sehen wir gerade beim Thema Ukraine, über das wir vorhin schon diskutiert haben. Ich will, dass wir in Europa und dass wir in Deutschland weiterhin über Kernfähigkeiten verfügen, um unsere Sicherheits- und Verteidigungsindus-trie dauerhaft am Leben zu halten und uns so auszustatten, dass wir nicht von Technologien anderer, weder von denen unserer Freunde aus Amerika noch von chinesischen oder denen anderer Länder, abhängig werden. Wir nehmen damit auch sicherheitspolitische Interessen und unsere Bündnispflichten wahr, indem wir unsere Verbündeten, sei es innerhalb der NATO, der Europäischen Union oder sonst wo auf der Welt, entsprechend ausstatten. Das halte ich geradezu für natürlich (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Natürlich!) und richtig. Wir sollten nicht nur darüber reden, sondern wir müssen und sollten dieses natürlich auch weiterhin tun. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Eben haben wir über Genhonig abgestimmt! Das ist auch natürlich!) Sie haben vorhin von einer Politik der Verantwortung gesprochen. Wir nehmen diese Politik der Verantwortung ernst. Das heißt: Wenn wir mit unseren Verbündeten zu dem Ergebnis kommen, dass es in unserem gemeinsamen außen- und sicherheitspolitischen Interesse liegt – nehmen wir noch einmal das Beispiel Mali –, uns für die Sicherung des Friedens einzusetzen, dann sind wir auch dazu bereit. Dann können wir aber eben nicht nur mit humanitären Einsätzen agieren, sondern müssen auch bereit sein, einen weiteren Beitrag zu leisten. Wenn ich das richtig sehe, sitzen Soldaten auf der Tribüne. Daher sage ich auch ganz klar: Wenn wir unsere Soldaten nicht in Mali oder an anderer Stelle einsetzen wollen – wir können die Bundeswehr sicherlich nicht im Rahmen aller Militäreinsätzen der NATO oder der UNO einsetzen; denn wir stehen mit dem Einsatz in Afghanistan seit Jahren an der Grenze dessen, was wir leisten können –, dann müssen wir andere Instrumente wählen. Daher ist es selbstverständlich, dass wir unsere Technologien an die Partner liefern, die in der Lage und willens sind, die Politik der Verantwortung vor Ort umzusetzen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Taliban! Al-Qaida!) Insofern sind die linke Moralkeule oder auch die -vereinfachte Weltsicht mancher Gutmenschen in dieser Debatte wirklich fehl am Platz. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutschland wird weiterhin eine verantwortungsbewusste Politik betreiben, die einen richtigen Ausgleich schafft zwischen notwendiger Exportkontrolle und der Wahrung der außen-, sicherheits-, wehr- und industriepolitischen Interessen unseres Landes. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katja Keul das Wort. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Pfeiffer, wenn man Ihnen zuhört, sehnt man sich richtig nach Martin Lindner von der FDP zurück. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ein guter Mann war das!) Wir reden heute über zwei Anträge, die beide darauf zielen, keine Kriegswaffen nach Saudi-Arabien bzw. auf die Arabische Halbinsel zu liefern. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Dann ziehen Sie den Antrag zurück!) Beide Anträge sind berechtigt und wohlbegründet. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein! Nein!) Der Antrag der Linken kritisiert völlig zu Recht den -Export ganzer Waffenfabriken. (Beifall bei der LINKEN) Lizenzen zum Bau von Maschinengewehren wie dem G36 an Drittstaaten zu exportieren, ist wirklich die Krönung der Kurzsichtigkeit. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wir reden doch nicht über G36!) Das bekommen Sie nie wieder unter Kontrolle, egal wer in dem jeweiligen Land die Macht ergreift. Zur Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ist schon viel gesagt worden. Ich will heute ausnahmsweise etwas Positives über Saudi-Arabien vorbringen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!) Im Gegensatz zur Bundesregierung haben die Saudis nämlich inzwischen erkannt, dass es vor allem ihr Nachbar Katar mit der Förderung von islamistischen Kämpfern in allen Krisenländern der Welt – von Mali bis -Syrien – deutlich übertreibt. Während Krauss-Maffei Wegmann demnächst 160 Leo-Kampfpanzer mit Genehmigung der Bundesregierung nach Katar liefert, haben die Saudis ihren Nachbarn mit dem Entzug der Überflugrechte gedroht, wenn sie nicht endlich aufhören, den internationalen Terrorismus zu fördern. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aha! Hört! Hört!) Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Saudi-Arabien verhindert Lieferungen von deutschen Waffen nach Katar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vielleicht sind die aber auch nur sauer, weil sie selbst bislang keine bekommen haben. (Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das bestätigt meine These!) Nichtsdestotrotz gilt ohne Zweifel: Die Arabische Halbinsel ist eine Spannungsregion, und der internationale Terrorismus wird auch aus Saudi-Arabien heraus gefördert. Solange Sie den Wortlaut der Rüstungsexportrichtlinie ignorieren, kann ich es Ihnen leider nicht ersparen, aus ihr zu zitieren: „Der Export von Kriegswaffen“ außerhalb von NATO und EU „wird nicht genehmigt, es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- und sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland … für eine ausnahmsweise Genehmigung sprechen.“ – Zitatende. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Freiheit des Welthandels!) Warum es im sicherheitspolitischen Interesse Deutschlands liegen soll, eine Spannungsregion aufzurüsten, können und wollen Sie bis heute nicht erklären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Und die meisten Rüstungsexporte hat Joschka Fischer unterschrieben!) Zu den Kriegswaffen gehören eben auch Kriegsschiffe, wie die Lürssen Werft sie baut. Es gibt eindeutige Kriterien, nach denen man ein militärisches von einem zivilen Schiff unterscheiden kann. Nicht nur die Bewaffnungsmöglichkeiten, sondern die ganzen Bauteile entsprechen militärischen Standards. Da können Sie noch so oft von Patrouillenbooten sprechen, weil sich das netter anhört, es sind und bleiben Kriegsschiffe. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Die sollen sich ja auch wehren können gegen Piraten!) In der Rüstungsexportrichtlinie steht eben nicht: Alles, was schwimmt, geht. Nein, da steht: Der Export von Kriegswaffen an Drittstaaten ist nicht zu genehmigen. Und das steht aus gutem Grund in der Richtlinie. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was schwimmt, schwimmt und geht nicht!) Die Lürssen Werft baut übrigens auch wunderschöne Luxusjachten. Wenn die Saudis darin investierten, (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Machen sie!) könnten mindestens genauso viele Arbeitsplätze gesichert werden, und weder die Grünen noch Herr Lürssen hätten irgendetwas dagegen. Zur Hermesbürgschaft. Bürgschaften werden in der Regel erteilt, wenn Zahlungsausfälle zu befürchten sind. Jetzt frage ich Sie: Wer in aller Welt rechnet damit, dass Saudi-Arabien kurzfristig seine Rechnungen nicht bezahlen kann? Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst, oder? Und wenn Sie politische Risiken, eine Revolution oder Ähnliches, befürchten, dann dürfen Sie den Waffen-export doch erst recht nicht genehmigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir Grüne finden, Rüstungsexporte sollten grundsätzlich nicht von der öffentlichen Hand abgesichert werden. Die SPD flüchtet sich jetzt in die Aussage, der Wirtschaftsminister sei leider an den Vorbescheid der Vorgängerregierung gebunden und müsse deshalb die Exportgenehmigung erteilen. Das finde ich schon deshalb interessant, weil Sie bislang die Beantwortung unserer Fragen zu Vorbescheiden immer damit ablehnen, dass diese ja noch gar keine abschließende Entscheidung seien und der Entscheidungsprozess nicht gefährdet werden dürfe. Offensichtlich ist es ja wohl so, dass der Vorbescheid doch eine erhebliche Bindungswirkung und -damit auch eine Außenwirkung entfaltet. Merkwürdigerweise war die SPD ja bis September 2013 auch der Auffassung, der Bundestag habe ein Anrecht auf diese -Antworten. Im April werden wir hören, was das Bundesverfassungsgericht dazu sagt. Darauf bin ich sehr gespannt. Dann hat die Koalition freundlicherweise den Rüstungsexportbericht 2012 an den Antrag der Linken angehängt und zu einem Tagesordnungspunkt verbunden. So kann man das natürlich schnell mit erledigen. Wir fordern schon seit langem, dass die Rüstungsexportberichte von der Koalition als eigener Debattenpunkt aufgesetzt werden, wie wir das zum Beispiel vom Abrüstungsbericht kennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Viel Transparenz ist im Vergleich zu den früheren Forderungen der SPD nicht übrig geblieben. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Na, na, na, na!) Man kann die Union schon verstehen. Es ist wirklich nicht schön, zu erklären, warum die Exporte an Drittstaaten immer mehr zur Regel werden, statt die Ausnahme zu bleiben. Auch 2012 sind von den Rüstungsexporten mit einem Wert von 4,7 Milliarden Euro mehr als die Hälfte, nämlich Rüstungsexporte im Wert von 2,6 Milliarden Euro, an Drittstaaten gegangen und davon wiederum die Hälfte an Saudi-Arabien. (Inge Höger [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Alarmierend war 2012 außerdem der Anstieg bei den Kleinwaffenexporten: Maschinengewehre, Maschinenpistolen und Munition im Wert von 76 Millionen Euro, das ist ein Allzeitrekord. Davon gingen Kleinwaffen im Wert von 37 Millionen Euro an Drittstaaten. Während sich das Auswärtige Amt bemüht, in Postkonfliktregionen Waffen einzusammeln, werden sie an anderer Stelle munter und lustig weiter verteilt. Etwas Sinnloseres kann man sich kaum noch vorstellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Hören Sie endlich auf, Exporte von Kriegswaffen in Krisenregionen zu genehmigen. So groß ist der Nutzen für die deutsche Wirtschaft an der Stelle wirklich nicht. Der Schaden auf der anderen Seite ist einfach zu hoch und für uns alle zu teuer. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Bernd Westphal das Wort. (Beifall bei der SPD) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Die Themenreihenfolge hier im Bundestag ist ja manchmal etwas skurril. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Stimmt!) Beim letzten Mal haben wir diese Rüstungsdebatte nach der Debatte über das Schulobstgesetz geführt, dieses Mal führen wir sie nach der Debatte zum Thema Honig. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das sind alles fruchtbringende Debatten!) Wie schön wäre es, wenn man auf der Welt Frieden ohne Waffen schaffen könnte. Wenn man sich die Zeit nimmt und etwas genauer nachdenkt, zeigt sich, dass die Realität oftmals anders aussieht. Die Welt, gerade auch in der Golfregion, ist nicht so friedlich, wie wir sie uns wünschen. Recht und Gesetz lassen sich in der Realität nach dem Ausschöpfen aller diplomatischen Möglichkeiten leider oft nur mit Waffengewalt oder zumindest mit der Androhung von Waffengewalt durchsetzen. Hier irrt die Kollegin Höger mit ihrer Einschätzung gewaltig. Es gibt weltweit einen Bedarf an Waffen. Deshalb werden Waffen produziert und auch exportiert. Auch Deutschland benötigt Waffen zur Landesverteidigung und zur Wahrnehmung seiner internationalen Verantwortung. Wenn Deutschland nicht selbst aktiv in Krisen-regionen eingreift, sollen zuverlässige Partner mit Rüstungsexporten in die Lage versetzt werden, selbst für politische Stabilität zu sorgen; denn der Besitz von Rüstungsgütern führt eben auch aus Gründen der Abschreckung zur Befriedung in den Regionen. (Inge Höger [DIE LINKE]: Funktioniert meist nicht!) Export von Sicherheits- und Rüstungsgütern bedeutet nicht gleich Krieg. Dieser Export geschieht in Deutschland nach klaren Regeln und hohen Maßstäben. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Na ja! Das träumen Sie vielleicht! Das ist aber nicht die Realität!) Die Bundesrepublik Deutschland betreibt seit ihrer Gründung eine verantwortungsvolle Rüstungsexport-politik. Der Export von Rüstungsgütern in Drittländer wird in Deutschland allein durch die Vorgaben im Grundgesetz sehr restriktiv gehandhabt. Die Grundlage für die Entscheidungen der Regierung über den Export von Rüstungsgütern bilden die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Diese wurden 2000 von der damaligen rot-grünen Regierung verschärft und besitzen weiterhin ihre Gültigkeit. Sie stellen die Leitlinien für die Genehmigung von Rüstungsexporten durch die Bundesregierung dar. Die Beachtung von Menschenrechten ist dabei von herausragender Bedeutung. (Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Genehmigungen für Exporte werden laut Exportleitlinien nicht erteilt – ich zitiere –, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression im Sinne des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was ist nun mit Saudi-Arabien?) Außerdem wird durch die Leitlinien sichergestellt, dass in eine solche Prüfung der Menschenrechtsfrage Feststellungen der EU, des Europarates, der Vereinten Nationen, der OSZE und anderer internationaler Gremien einbezogen werden. Auch Berichte internationaler Menschenrechtsorganisationen werden ausdrücklich berücksichtigt. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hält sich die Bundesregierung nicht an den eigenen Menschenrechtsbericht in Bezug auf Saudi-Arabien?) Damit ist ausgeschlossen, dass Waffen an Länder geliefert werden, in denen zum Beispiel Bürgerkrieg herrscht. Unrechtsregime erhalten deshalb keine Waffen, die gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden könnten. Gerade für Staaten außerhalb der NATO und der EU sind die Regeln besonders streng. (Zuruf von der LINKEN: Ja, ja!) Diese deutsche Position hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vor einiger Zeit noch einmal bekräftigt und eine Einzelfallprüfung für jedes Waffengeschäft angekündigt. Dadurch ist sichergestellt, dass das deutsche Exportkontrollsystem auch weiterhin als eines der strengsten weltweit gilt. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Westphal, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehrcke zu? Bernd Westphal (SPD): Bitte. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Schönen Dank, Frau Präsidentin. Schönen Dank, lieber Kollege. – Könnten Sie mir vielleicht erklären, ob ich mit Blick auf Saudi-Arabien künftig nicht mehr von einem Unrechtsregime zu sprechen habe – dort herrscht die Scharia, dort gibt es körperliche Züchtigung, Entfernung von Gliedmaßen als Strafe, in den gesellschaftlichen Versammlungen sind keine Frauen –, sondern von einem Rechtssystem sprechen muss, da nach Saudi-Arabien deutsche Waffen geliefert werden? Erklären Sie mir Ihre Definition von „Unrechtssystem“ und „Rechtssystem“! (Beifall bei der LINKEN) Bernd Westphal (SPD): Ich habe in meinen Ausführungen darauf hingewiesen, welche Kontrollmaßnahmen angewendet werden. Ich gehe davon aus, dass genau die Aspekte, die Sie genannt haben, dort berücksichtigt werden. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt der Hammer! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Peinlich!) Deutsche Rüstungsexporte in die Golfregion sind immer wieder Gegenstand kontroverser Diskussionen. Das sieht man hier im Parlament. Vor allem Saudi-Arabien hat sich in den letzten Jahren zu einem großen Absatzmarkt für deutsche Rüstungsexporte entwickelt. (Inge Höger [DIE LINKE]: Immer schön weggucken!) So waren laut Rüstungsexportbericht 2012 mehr als ein Viertel aller genehmigten Lieferungen für Saudi-Arabien bestimmt. Die Aufträge hatten einen Wert von insgesamt 1,2 Milliarden Euro. Dazu gehört allerdings auch die Sicherung und Befestigung der 9 000 Kilometer langen Grenzanlagen. Das, denke ich einmal, sind keine Kriegswaffen, wie Sie sie hier beschreiben. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Militärische Rüstungsgüter!) Laut der deutschen Rüstungsexportleitlinien werden Ausfuhren von Kriegswaffen nur gestattet, wenn im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen Deutschlands dafür sprechen. Zu berücksichtigen sind zum Beispiel die legitimen Sicherheitsinteressen eines Empfängerlandes. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, der „Bundesrepublik Deutschland“ steht da!) Genau dies ist hier der Fall. Wir haben vor einiger Zeit einen Antrag diskutiert. Da ging es um Boote, die zum Schutz von Hoheitsgewässern, internationalen Seewegen, Häfen oder Offshoreanlagen geeignet sind. Diese Beispiele zeigen anschaulich, dass bei der politischen Bewertung im Bundessicherheitsrat sorgfältig abgewogen werden muss, zumindest wann was und zu welchem Zweck geliefert wird. Nicht jedes Rüstungsgut trägt automatisch zur Eskalation einer Situation bei oder ist eine potenzielle Bedrohung für die heimische Bevölkerung. Bei den Staaten in der Golfregion handelt es sich um souveräne Staaten mit eigenen außen- und sicherheitspolitischen Interessen. Diese Staaten nehmen legitime staatliche Aufgaben wahr und haben das legitime Recht, sich zu schützen. (Inge Höger [DIE LINKE]: Mit deutschen Waffen!) Das legt das Beispiel der Patrouillenboote nahe. Rüstungsexporte sind deshalb ein legitimes Instrument der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Jawohl!) Deutschland hat als Industrie- und Exportnation hier berechtigte Interessen. In der Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie – darauf hat bereits der Vorredner hingewiesen – gibt es mehr als 80 000 Arbeitsplätze für qualifizierte Arbeitskräfte. Aber das ist nicht allein die Legitimation für Rüstungsexporte. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin!) Ich bin mir sicher, dass sich durch die deutschen Rüstungsexportleitlinien eine verantwortungsvolle Politik weiterhin fortsetzen lässt. Da bin ich mir bei unserem Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel sogar sehr sicher. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Bernd Westphal (SPD): Vielen Dank für den Hinweis. – Wir müssen allerdings die Transparenz bei einigen hochsensiblen Entscheidungen zu Rüstungsexporten erhöhen; hierbei stimme ich der Kollegin Keul zu. Die Koalition ist unterwegs, etwas zu vereinbaren, dass wir diesem berechtigten öffentlichen Interesse nachkommen. Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss und danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht jetzt Klaus-Peter Willsch. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, Herr Willsch, der Vorredner ist kaum zu toppen! – Gegenruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Schauen wir mal!) Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Auf die bemerkenswerten Parallelitäten bei der Aufsetzung der Tagesordnung ist mein Kollege Westphal ja schon eingegangen. Das liegt natürlich daran, dass es in diesem Haus eine breite Übereinstimmung gibt, wenn es darum geht, dass wir den Export von Waffen und Rüstungsgütern restriktiv handhaben, dass wir aber nicht daran denken, ihn zu verbieten. Vielmehr wollen wir, dass unsere Firmen die guten Produkte, die sie in diesem Bereich haben, in der Welt verkaufen können. (Inge Höger [DIE LINKE]: Schau mal an! Das war mal anders!) Wir debattieren den 14. Rüstungsexportbericht der Bundesregierung; er bezieht sich auf das Jahr 2012. Nun werden Sie sagen, dass er spät veröffentlich wurde, nämlich gegen Ende des letzten Jahres. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Das habe ich vergessen zu sagen!) Dass wir erst heute über ihn diskutieren, liegt an der Dauer der Regierungsbildung und des Wiederanfahrens des parlamentarischen Normalbetriebs. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Wiederanfahren“?) Aber unabhängig hiervon sind wir schon in den Koalitionsverhandlungen darin übereingekommen – Herr Kollege Westphal hat das angedeutet –, dass diese Berichte zukünftig zügiger vorgelegt werden sollen, und zwar vor der Sommerpause des auf das Berichtsjahr folgenden Jahres. Außerdem soll es auch Zwischenberichte geben. Ich glaube, damit haben wir viel guten Willen gezeigt, dass wir es mit der Information des Parlaments ernst meinen. Gleichzeitig werden der Schutz derer, die nach Genehmigungen fragen, und der Konkurrenzschutz weiterhin gewährleistet. Dass die Rüstungsexportpolitik der Bundesrepublik zurückhaltend ist, ist mehrfach betont worden; das will auch ich unterstreichen. Die politischen Grundsätze, Frau Keul, auf deren Grundlage wir cum grano salis nach wie vor arbeiten, wurden übrigens in der Zeit Ihrer Regierungsbeteiligung, nämlich am 19. Januar 2000, zuletzt verabschiedet und bestätigt. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind nicht das Problem! Die Realität ist das Problem! – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Da haben wir es! Was habt ihr da verzapft? – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können wir die ja gesetzlich verankern, oder?) Ich will für die Öffentlichkeit transparent machen, dass es bei Exportgenehmigungen nicht so ist, als würde sich jemand zum Ablesen des Zählerstandes der Heizung anmelden. Es ist ein kompliziertes Verfahren notwendig, bis man in den Genuss einer Exportgenehmigung kommt. Jede Rüstungsexportgenehmigung ist eine Einzelfallentscheidung. Nach dem Außenwirtschaftsgesetz und der Außenwirtschaftsverordnung ist die Ausfuhr aller Rüstungsgüter genehmigungspflichtig. Einige Rüstungsgüter sind zugleich Kriegswaffen im Sinne von Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes und des Kriegswaffenkontrollgesetzes. Welche Rüstungsgüter dies sind, ist in einer Ausfuhrliste aufgeführt, die der Außenwirtschaftsverordnung beigefügt ist. Dort sind 22 Positionen aufgeführt. Es handelt sich hierbei um Handfeuerwaffen, Bomben, Torpedos, Granaten, Flugkörperabwehrsysteme, biologische und chemische Waffen, Panzer usw., usw. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Kriegsschiffe!) Diese Liste umfasst 28 DIN-A4-Seiten. Hinzu kommt, dass in der Kriegswaffenliste, die dem Kriegswaffenkontrollgesetz beigefügt ist, 62 Positionen von Kriegswaffen enthalten sind. Die Gliederung ist etwas anders, aber inhaltlich ist das weitgehend deckungsgleich. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wollen Sie jetzt aber nicht vorlesen, oder?) Sie sehen also, dass das nicht so einfach ist, nach dem Motto: Wir können da einen großen Deal machen. Jetzt wollen wir mal! – Vielmehr haben wir ein dichtes Regelwerk, das die Entschlossenheit Deutschlands, Genehmigungen in diesem Bereich keinesfalls leichtfertig zu erteilen, unterstreicht. Wir sind uns der Verantwortung, die wir haben, sehr bewusst. Die Prüfung und Genehmigung der Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern obliegt dem Bundessicherheitsrat. Den Vorsitz hat die Bundeskanzlerin. Zusätzlich sind vertreten: Verteidigungsminister, Auswärtiges Amt, Innenminister, die Minister der Bereiche Justiz, Finanzen, Wirtschaft und Technologie, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie der Chef BK. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir alles!) Auch Informationen geheimdienstlicher Art sind dort zugänglich. Diese Entscheidungen können also jeweils unter Beteiligung eines großen Straußes des exekutiven Wissensstandes getroffen werden. Außerdem kann das Ganze so in die wirtschaftspolitischen, außenpolitischen und sicherheitspolitischen Interessen, die wir als Bundesrepublik Deutschland haben, eingefügt werden. Es handelt sich bei der Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung nicht nur um einen formellen Akt. Die Opposition versucht zwar immer, es so darzustellen, als sei das alles ein Kinderspiel. Es besteht aber kein Anspruch auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung. Vielmehr sind die vielen Gesetze und Vereinbarungen, die ich bereits kurz angerissen habe, zu beachten. Wir als Bundesrepublik Deutschland sind darüber hinaus im Rahmen der OSZE und der EU, etwa beim Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren, weitere weitreichende Selbstbindungen eingegangen, weil wir nicht wollen, dass mit diesem Thema fahrlässig umgegangen wird. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen machen Sie es vorsätzlich!) Aber wir wollen eben auch nicht fahrlässig industrielle und sicherheitspolitische Interessen Deutschlands gefährden. Deshalb wird es weiterhin eine Ausfuhr von Rüstungsgütern bzw. von Waffen geben. Ich will – ich bitte Sie, einmal einen Moment darüber nachzudenken, auch wenn das jetzt nicht direkt mit dem Bericht zusammenhängt – auf die Boote für Saudi-Arabien zurückkommen, über die wir kürzlich gesprochen haben. Schauen Sie sich die Region doch an! Das Interesse, auch dort auf Gewässern Grenzsicherung zu betreiben, ist völlig legitim. (Inge Höger [DIE LINKE]: Sind das nicht Kriegswaffen?) – Ja, natürlich; Sie brauchen ja wirksame Mittel, wenn Sie die Grenze sichern wollen. (Inge Höger [DIE LINKE]: Ach so!) Wenn Saudi-Arabien die Grenzsicherung selbst übernimmt, ist mir das, ehrlich gesagt, sehr viel sympathischer, als wenn wir unsere Soldaten dorthin schicken müssten, wie es beim Libanon, wo es keinen wirksamen Küstenschutz gibt, im Rahmen der UNIFIL-Mission der Fall ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Ich finde schon, dass legitime Staaten (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: „Legitim“, das ist ein kniffliges Wort!) wie jedes andere Völkerrechtssubjekt ihre staatliche Existenz sichern dürfen. Wenn sie bei uns nachfragen, ob sie bei uns Technologie erwerben können, die sie dazu in die Lage versetzt, und ob sie sie dafür einsetzen dürfen, dann halte ich das für ein völlig legitimes Interesse. Diese Anfrage ist darüber hinaus ein Ausweis der Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie in diesem Bereich. Ich freue mich, dass auch deutsche Produkte aus diesem Bereich nach wie vor nachgefragt sind – wie Pkw oder Produkte aus dem Maschinenbau oder aus anderen Bereichen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kinderspielzeug!) Das ist ein Ausweis unserer Ingenieurskapazitäten, unserer Leistungsfähigkeit im Bereich der Hochtechnologie. (Zurufe der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Die Rahmenbedingungen haben sich in den vergangenen Jahren nicht geändert, in Bezug auf die Rüstungsexportpolitik ist auf unserer Seite eine große Stabilität festzustellen. Frau Keul, Sie wissen genau, dass das in diesem Jahr berichtete Wachstum des Exportvolumens im Bereich Drittländer – das sind Staaten, die weder zur EU noch zur NATO gehören noch wie Neuseeland und Australien befreundete Staaten sind – im Wesentlichen auf die vom Kollegen Westphal schon angesprochenen Grenzsicherungsanlagen zurückzuführen ist, die allein einen Wert von – wenn ich mich richtig erinnere – 1,3 Milliarden Euro haben. Was ist denn, bitte schön, dagegen zu sagen, dass auch dort versucht wird, Grenzen sicherer zu machen und mögliche Wanderbewegungen im terroristischen Bereich überhaupt erfassen, beobachten zu können und Ähnliches? (Zuruf von der LINKEN: Mit dem Zielfernrohr?) Wir halten dieses Vorgehen für richtig. Wir denken, dass die Bundesregierung mit dem gesetzlichen Rahmenwerk für Rüstungsexporte, das wir alle gemeinsam errichtet haben, verantwortlich umgeht. Wir beglückwünschen die deutsche Industrie, die trotz dieser restriktiven Bedingungen noch Geschäfte machen kann, ausdrücklich dazu. Wir hoffen, dass sich das fortsetzt. Wir sind zuversichtlich, dass die Regierung in diesem Bereich weiterhin eine rationale, an deutschen Sicherheitsinteressen orientierte Politik verfolgen wird. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Ich dachte, an deutschen Wirtschaftsinteressen!) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ute Finckh-Krämer das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Ich freue mich sehr, meine erste Rede im Deutschen Bundestag zu dem wichtigen Thema Rüstungsexportbericht halten zu dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Rüstungsexporte werden zu Recht öffentlich kontrovers diskutiert. Der Dank dafür gilt den engagierten Bürgerinnen und Bürgern, insbesondere denen, die sich in Bündnissen wie der Aktion Aufschrei zusammengeschlossen haben, um ihren Finger immer wieder in diese Wunde zu legen. Die deutschen Rüstungsexportrichtlinien bilden die politische Vorgabe für eine restriktive Rüstungsexportpolitik. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind durch das Außenwirtschaftsgesetz und das Kriegswaffenkon-trollgesetz gegeben. Darüber hinaus gibt es Regularien der Europäischen Union, die jedoch weniger streng sind als die nationalen Richtlinien. Der Rüstungsexportbericht, der jährlich über zurückliegende Rüstungsexporte bzw. positiv beschiedene Voranfragen berichtet, ist unter anderem von kirchlichen Gruppen gefordert und dann von der rot-grünen Koalition eingeführt worden. Dass es ihn gibt, ist ein Fortschritt; allerdings erfüllt er bisher nicht all das, was wir uns im Hinblick auf Transparenz gewünscht und erhofft haben. Der Bericht wurde dem Deutschen Bundestag bisher viel zu spät vorgelegt, teilweise erst anderthalb Jahre nach dem Berichtsjahr. Es macht jedoch politisch wenig Sinn, über Rüstungsexporte zu reden, die weit in der Vergangenheit liegen, während aufgrund von Presseveröffentlichungen in der breiten Öffentlichkeit über aktuell anstehende Entscheidungen oder Lieferungen diskutiert wird. Deswegen wurde im aktuellen Koalitionsvertrag beschlossen, dass der Rüstungsexportbericht noch vor der Sommerpause des Folgejahres erscheinen soll, damit sich der Deutsche Bundestag damit zeitnäher beschäftigen kann. Darüber hinaus soll ein zusätzlicher Zwischenbericht vorgelegt werden. Das sind aus unserer Sicht Schritte in die richtige Richtung. (Beifall bei der SPD – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ganz schön wenig!) Die Koalition verhandelt außerdem darüber, wie die im Koalitionsvertrag vereinbarte größere Transparenz umgesetzt werden soll, und wird dem Bundestag dann einen entsprechenden Vorschlag vorlegen. Deutschland wird in verschiedenen Statistiken und Bewertungen, zum Beispiel von SIPRI oder vom Congressional Research Service des US-Kongresses, als einer der führenden globalen Rüstungsexporteure geführt. Allerdings ist der Umfang der Rüstungsexporte, bezogen auf den Wert der gesamten deutschen Exporte, gering. Er liegt bei ungefähr 1 Prozent. Das muss man bedenken, wenn von der volkswirtschaftlichen Relevanz der Rüstungsexporte gesprochen wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Bundesregierung hat sich in den letzten Jahren für den Internationalen Waffenhandelsvertrag – Arms Trade Treaty, ATT – eingesetzt. Der Vertrag wurde am 2. April letzten Jahres, also nach dem Berichtszeitraum des vorliegenden Berichtes, von der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der überwältigenden Mehrheit der Stimmen der Mitgliedstaaten angenommen. Er bietet erstmalig einen rechtlichen Rahmen für den internationalen Handel mit konventionellen Waffen und wurde noch in der letzten Legislaturperiode vom Bundestag verabschiedet. Das Auswärtige Amt unterstützt Staaten, die dem Vertrag beitreten wollen, beim Aufbau der notwendigen Behörden und der Schaffung der gesetzlichen Grundlagen, damit sie den Vertrag umsetzen können. Darüber wird hoffentlich im nächsten Rüstungsexportbericht der Bundesregierung berichtet. Einen besonderen Akzent in der Diskussion über die deutschen Rüstungsexporte setzt der jährlich erscheinende Bericht der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, GKKE, der eine gute Ergänzung und Bewertung des Rüstungsexportberichtes darstellt. Er erschien im Dezember 2013 in seiner 17. Ausgabe. Er wird von einer Expertengruppe erstellt, die sich aus Fachleuten aus der Friedensforschung und kirchlichen Organisationen zusammensetzt. Den Autorinnen und Autoren möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Bericht der GKKE bewertet die deutschen Rüstungsexporte nach ethischen Maßstäben und bringt damit eine wichtige Dimension in die deutsche Debatte ein. Darüber hinaus entwickelt er auch Vorschläge für den zukünftigen Umgang mit Exporten, die wir in die politische Debatte einfließen lassen sollten. Einen der Vorschläge aus dem aktuellen Bericht der GKKE möchte ich besonders hervorheben: Die Experten schlagen vor, dass eine Bedingung für die Genehmigung von Rüstungsexporten die Unterzeichnung des ATT durch das jeweilige Empfängerland sein soll. Damit würde Deutschland seine Unterstützung für den ATT fortsetzen. Unser Ziel ist es, die Rüstungsexporte mithilfe der restriktiven Rüstungsexportrichtlinien zu reduzieren. Wir haben aber gerade erst mit der Arbeit begonnen. Daher ist es jetzt noch zu früh, die Rüstungsexportpolitik der Großen Koalition zu beurteilen oder schon von vornherein zu verurteilen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede, liebe Frau Kollegin! (Beifall) Damit schließe ich die Debatte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt interfraktionell Übereinstimmung, dass die Vorlage auf Drucksache 18/768 an die Ausschüsse überwiesen wird. Hingegen gibt es keine Übereinstimmung darüber, welcher Ausschuss federführend sein soll. Deshalb müssen wir zunächst darüber abstimmen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen, also Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Wer stimmt diesem Überweisungsvorschlag zu? – Die Linke und die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die SPD-Fraktion und die CDU/CSU-Fraktion. Enthaltungen? – Keine. Damit ist der Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Wer stimmt diesem Überweisungsvorschlag zu? – CDU/CSU und SPD. Wer stimmt dagegen? – Die Linke und die Grünen. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist dieser Überweisungsvorschlag angenommen worden und der Entwurf somit an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie federführend überwiesen. Tagesordnungspunkt 10 b. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/105 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Zusatzpunkt 3. Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/793, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/576 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses angenommen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 14. März 2014, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. (Schluss: 17.42 Uhr) Berichtigung 19. Sitzung, Seite 1459 B, letzter Absatz, zweiter Satz ist wie folgt zu lesen: „Das betrifft Käse, andere Milchprodukte und Fleisch.“ Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 13.03.2014 Alpers, Agnes DIE LINKE 13.03.2014 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13.03.2014 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13.03.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 13.03.2014 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 13.03.2014 Bülow, Marco SPD 13.03.2014 Da?delen, Sevim DIE LINKE 13.03.2014 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13.03.2014 Ernst, Klaus DIE LINKE 13.03.2014 Freese, Ulrich SPD 13.03.2014 FDr. reudenstein, Astrid CDU/CSU 13.03.2014 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 13.03.2014 Gehring, Kai BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13.03.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 13.03.2014 Heller, Uda CDU/CSU 13.03.2014 Krichbaum, Gunther CDU/CSU 13.03.2014 Kunert, Katrin DIE LINKE 13.03.2014 Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 13.03.2014 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 13.03.2014 Dr. Lenz, Andreas CDU/CSU 13.03.2014 Ludwig, Daniela CDU/CSU 13.03.2014 Lutze, Thomas DIE LINKE 13.03.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13.03.2014 Mortler, Marlene CDU/CSU 13.03.2014 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 13.03.2014 Röspel, René SPD 13.03.2014 Rüthrich, Susann SPD 13.03.2014 Schieder (Schwandorf), Marianne SPD 13.03.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 13.03.2014 Stritzl, Thomas CDU/CSU 13.03.2014 Strothmann, Lena CDU/CSU 13.03.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13.03.2014 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 13.03.2014 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Armin Schuster und Steffen Bilger (beide CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes: Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen (Tagesordnungspunkt 9) Der heute zur Beratung vorliegenden Beschlussempfehlung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen können wir in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Unsere Position in der Sache erklären wir wie folgt: Wir haben die Haltung der Bundesregierung im Europäischen Rat, nicht gegen die Zulassung der gentechnisch veränderten Maissorte 1507 zu stimmen, gestützt, und den anderslautenden Antrag der Grünen im Deutschen Bundestag abgelehnt. In den Mitgliedsländern der Europäischen Union und in manchen deutschen Bundesländern gibt es ein uneinheitliches Meinungsbild zur -Anwendung gentechnisch veränderten Saatgutes, viele Mitgliedstaaten wollen den Anbau gestatten. Auch wenn wir dem Anbau dieses Saatguts nicht zustimmen, sind wir prinzipiell gegen eine Bevormundung von oben und für regionale und nationale Wahlmöglichkeiten im Sinne des Subsidiaritätsprinzips. Deshalb setzen wir uns -ausdrücklich für eine Opt-out-Klausel – Möglichkeit -regionaler Anbauverbote in einem Bundesland – und insbesondere für die klare Kennzeichnung von Lebensmitteln ein. Wir unterstützen nachdrücklich und uneingeschränkt die Bestrebungen der Bundesregierung, die Bürgerinnen und Bürger vor dem ungewollten Kauf oder Verzehr von Produkten mit Gentechnik zu schützen. Darum wurde unter anderem durch die unionsgeführte Bundesregierung in der 17. Legislaturperiode ein Ohne-Gentechnik-Logo eingeführt. Damit können die Verbraucherinnen und Verbraucher Lebensmittel erkennen, die im Produktionsprozess ohne Gentechnik auskommen. Außerdem ist es das Ziel der Großen Koalition, dass künftig verpflichtend auch die Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen, die mithilfe gentechnischer Verfahren erzeugt worden sind. Nur so wird eine umfassende Wahlfreiheit sichergestellt. Bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln setzen wir uns dafür ein, dass keine Kompromisse gemacht werden. Da über die heute diskutierte Richtlinie – Richtlinie 2001/101/EG, Honigrichtlinie – noch auf EU-Ebene verhandelt wird, enthalten wir uns. Wir sehen immer noch Chancen, dass sich die Europäische Union zu einer klaren Kennzeichnungspflicht entscheidet. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Udo Schiefner und Kirsten Lühmann (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Arti-kel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes: Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen (Tagesordnungspunkt 9) Der oben genannte Antrag ist nicht sachgerecht und berücksichtigt nicht den Verfahrensstand der EU. Da das beschriebene Problem so nicht gelöst werden kann, lehne ich ihn ab. Mit dem Antrag der Grünen wird die Bundesregierung aufgefordert, sich in den Trilog-Verhandlungen – Beratungen zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission – für die Kennzeichnungspflicht für Honig mit genveränderten Pollen einzusetzen oder zumindest zu verhindern, dass Pollen als „natürlicher Bestandteil von Honig“ definiert werden. Anderenfalls soll der Vorschlag zur Änderung der EU-Honigrichtlinie abgelehnt werden. Die Trilogverhandlungen sind jedoch bereits abgeschlossen. Zudem hat das Europäische Parlament schon im Vorfeld beschlossen, dass Pollen als natürlicher Bestandteil von Honig definiert werden und nicht als Zutat. Durch diesen Beschluss greift die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel hier nicht, selbst wenn Bienen teilweise Pollen von gentechnisch veränderten Pflanzen in den Honig eintragen. Um diese unerwünschten Auswirkungen des oben genannten Beschlusses zu unterbinden sowie grundsätzliche Verbesserungen bei Schutz und Transparenz in Sachen grüner Gentechnik zu erreichen, müssen wir an anderer Stelle ansetzen. Einen entsprechenden Antrag für eine „EU-weite Kennzeichnungspflicht für Erzeugnisse von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden“ beraten wir derzeit mit CDU und CSU. Darin fordern wir – entsprechend unserem Koalitionsvertrag – eine EU-Kennzeichnungspflicht für Erzeugnisse von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert würden. Ebenso beanspruchen wir klare Kriterien für die Ohne-Gentechnik-Kennzeichnung bei Imkereiprodukten. Zudem wollen wir bundesweit einheitliche Regelungen für den Schutz der Imkereien vor gentechnischen Verunreinigungen ihres Honigs. Die Bundesländer sollen dabei die Möglichkeit haben, Regelungen festzulegen, die über die in der Gentechnik-Pflanzenerzeugungsverordnung festgelegten Vorgaben hinaus gehen – wie zum Beispiel größere Mindestabstände zum Schutz vor gentechnischen Verunreinigungen. Damit erzielen wir dann auch die gewünschte Wirkung. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes: Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen (Tageordnungspunkt 9) Josef Göppel (CDU/CSU): Der Europäische Gerichtshof urteilte in der Rechtssache C-442/09 am 6. September 2011, dass Honig mit Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen der Kennzeichnungs- und Zulassungspflicht unterliegt. Das gelte unabhängig vom Anteil des gentechnisch veränderten Materials in dem fraglichen Erzeugnis. Pollen seien normale Bestandteile des Honigs und deshalb als Zutat einzustufen. Die EU-Kommission arbeitet dagegen seit längerer Zeit an einer Änderung der Honigrichtlinie 2001/110/EC und 2012/0260 COD. In Art. 2 soll eine neue Ziffer 5 angefügt werden, wonach Pollen als natürlicher Bestandteil des Honigs nicht als Zutat betrachtet werden können. Deswegen seien Honigerzeugnisse mit gentechnisch veränderten Proteinen oder Spuren gentechnisch veränderter Pflanzen auch nicht besonders zu kennzeichnen oder zuzulassen. In einem informellen Trilog am 7. März 2014 wurde allerdings zusätzlich vorgeschlagen, die Zulassungsbefreiung nur solchen Honigerzeugnissen zu gewähren, die weniger als 0,9 Prozent gentechnisch veränderter Pollen enthalten. Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat seine Stellungnahme zum Trilog-Vorschlag nun am 19. März 2014 unter Punkt acht auf der Tagesordnung. Das Verfahren auf EU-Ebene ist also entgegen anderslautenden Meinungen nicht abgeschlossen. Deswegen stimme ich dem Antrag zur Kennzeichnung von Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen – Drucksache 18/578 – zu. Der Antrag ist ein wichtiger Schritt zu der im Koalitionsvertrag geforderten „Wahrheit und Klarheit“ für Verbraucher. Der Versuch, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs durch bloße Definitionsänderungen zu umgehen, wird weitere Rechtsstreitigkeiten hervorrufen, die wohl mit dem gleichen Urteil enden. Das Vertrauen der Bevölkerung kann nur durch volle Transparenz erhalten werden. Hubert Hüppe (CDU/CSU): Obwohl ich am 30. Januar 2014 entgegen der Mehrheit der Koalitionsfraktionen einem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Inverkehrbringen eines genetisch veränderten, gegen bestimmte Lepidopteren resistenten Maisprodukts – Zes mays L. Linie 1507 – zugestimmt habe, stimme ich im heutigen speziellen Fall dem Antrag zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG in der vorliegenden Form nicht zu. Dies ist nicht, weil ich inhaltlich anderer Meinung bin, sondern weil ich glaube, dass sich der -Antrag an den falschen Adressaten richtet. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Der Europäische Gerichtshof urteilte in der Rechts-sache C-442/09 am 6. September 2011, dass Honig mit Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen der Kennzeichnungs- und Zulassungspflicht unterliegt. Das gelte unabhängig vom Anteil des gentechnisch veränderten Materials in dem fraglichen Erzeugnis. Pollen seien -normale Bestandteile des Honigs und deshalb als Zutat einzustufen. Die EU-Kommission arbeitet dagegen seit längerer Zeit an einer Änderung der Honigrichtlinie 2001/110/EC und 2012/0260 COD. In Art. 2 soll eine neue Ziffer 5 angefügt werden, wonach Pollen als natürlicher Bestandteil des Honigs nicht als Zutat betrachtet werden können. Deswegen seien Honigerzeugnisse mit gentechnisch veränderten Proteinen oder Spuren gentechnisch veränderter Pflanzen auch nicht besonders zu kennzeichnen oder zuzulassen. In einem informellen Trilog am 7. März 2014 wurde allerdings zusätzlich vorgeschlagen, diese Zulassungsbefreiung nur solchen Honigerzeugnissen zu gewähren, die weniger als 0,9 Prozent gentechnisch veränderter Pollen enthalten. Ich sehe den Versuch, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs durch Definitionsänderungen zu umgehen, kritisch, auch wenn dadurch zusätzliche Kennzeichnungspflichten, hohe Analysekosten und bürokratischer Kontrollaufwand vermieden werden. Dies kann weitere Rechtsstreitigkeiten hervorrufen, durch die die geplante Änderung der Richtlinie letztendlich für unwirksam erklärt werden könnte. Außerdem stehe ich klar hinter dem im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vereinbarten Ziel der transparenten Kennzeichnung von -Lebensmitteln und die Umsetzung des Anspruchs der Verbraucher nach „Wahrheit und Klarheit“. Allerdings wurde im Trilog-Verfahren zwischen -Parlament, Kommission und Rat bereits eine Einigung erzielt; die offiziellen Abstimmungen im Umweltausschuss und im Parlament zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EC werden zeitnah erfolgen. Der Antrag der Grünen läuft somit ins Leere und dient eher parteipolitischen Zwecken. Am Zuge sind nun die EU-Parlamentarier, nicht die Bundesregierung. Möglich ist eine Verschiebung der Entscheidung zur Änderung der Richtlinie auf nach den Europawahlen im Mai. Dann bleibt mehr Zeit für fachliche Diskussion und Klärung des komplexen Sachverhalts, beispielsweise ob es überhaupt eine Analysemethode gibt, mit der zuverlässig festgestellt werden kann, ob der im Gentechnikrecht festgelegte Kennzeichnungsschwellenwert von 0,9 Prozent gentechnisch veränderter Pollen am Gesamtpollen überschritten wird und ob möglicherweise Regeln der Welthandelsorganisation durch eine Einstufung von Pollen als Zutat zu Honig gebrochen werden. Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU): Am 6. September 2011 hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache C-442/09 entschieden, dass Pollen, im Sinne von Art. 2 Nr. 13 der Verordnung Nr. 1829/2003 und Art. 6 Abs. 4 Buchst, a der Richtlinie 2000/13, als Zutat im Honig einzustufen sind. Die EU-Kommission möchte nun durch eine Änderung der Honigrichtlinie erreichen, dass Pollen als natürlicher Bestandteil von Honig definiert wird. Der Antrag der Grünen verfolgt das Ziel, dass sich die Bundesregierung in den Trilogverhandlungen für eine Kennzeichnungspflicht von gentechnisch verändertem Pollen in Honig einsetzt. Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments wird am 19. März 2014 über einen Kompromissentwurf abstimmen. In der Folge müssen EP und Ministerrat diesem Kompromissentwurf noch zustimmen. Insofern sehe ich nach wie vor die Möglichkeit für die Bundesregierung, Einfluss auf den Entscheidungsprozess in Richtung Kennzeichnung von gentechnisch verändertem Pollen zu nehmen. Es ist nicht einzusehen, weshalb durch die Änderung der Honigrichtlinie ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs umgangen werden soll. Diese Vorgehensweise schafft weder Klarheit für den Verbraucher, noch dient sie den Imkern. Sie ist nichts anderes als ein Umgehungstatbestand, der allein dem Ziel dient, gentechnisch veränderte Bestandteile des Honigs nicht deklarieren zu müssen. Deshalb werde ich dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/578 zustimmen. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Dem heute zur Beratung vorliegenden Antrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Ich sehe überhaupt keine Notwendigkeit für die -Verwendung von gentechnisch verändertem Saatgut in der Landwirtschaft in Deutschland und insbesondere in der kleinteiligen bäuerlichen Landwirtschaft in Bayern. Außerdem erkenne ich den ausdrücklichen Wunsch an, sowohl der Verbraucherinnen und Verbraucher als auch der Erzeuger, das heißt der Landwirte, in Deutschland, auf die Verwendung von Gentechnik bei der Nahrungsmittelherstellung in unserem Land vollständig und uneingeschränkt zu verzichten. Daher unterstütze ich nachdrücklich und uneingeschränkt die Bestrebungen der Bundesregierung, die Bürgerinnen und Bürger vor dem ungewollten Kauf oder Verzehr von Produkten mit Gentechnik zu schützen. -Darum wurde unter anderem durch die unionsgeführte Bundesregierung in der 17. Legislaturperiode ein Ohne-Gentechnik-Logo eingeführt. Damit können die Verbraucherinnen und Verbraucher Lebensmittel erkennen, die im Produktionsprozess ohne Gentechnik auskommen. Außerdem ist es das Ziel der Großen Koalition, dass künftig verpflichtend auch die Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen, die mithilfe gentechnischer Verfahren erzeugt worden sind. Nur so wird eine umfassende Wahlfreiheit sichergestellt. Die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kritisierte Richtlinie 2001/101/EG – Honigrichtlinie – stellt klar, dass Pollen ein natürlicher Bestandteil von Honig sind. Damit handelt es sich auch weiterhin um ein Monoprodukt, das keines Zutatenverzeichnisses und auch keiner Nährwertkennzeichnung bedarf. Dies ist vor allem auch im Interesse der Imker. Im Normalfall beträgt der Anteil von Pollen im Honig 0,003 Prozent. Da davon ausgegangen werden kann, dass Bienen nicht nur gentechnisch veränderte Pollen sammeln, liegt der Prozentteil gewöhnlich deutlich unter 0,003 Prozent. Wären Pollen als Lebensmittelzusatz gekennzeichnet, wie in dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gefordert, würde noch nicht einmal die Nachweisgrenze für zugelassene gentechnisch veränderte Bestandteile, die derzeit nach dem strengen deutschen Gentechnikgesetz bei 0,1 Prozent liegt, überschritten. Auch in diesem Fall käme es zu keiner Kennzeichnung der Pollen im Honig. Weiterhin ist festzuhalten, dass die Anwendbarkeit des EU-Gentechnikrechts auf Honig mit gentechnisch veränderten Pollen nicht durch die kritisierte Richtlinie beeinträchtigt wird. Das heißt, würde der Honig gentechnisch veränderte Pollen enthalten, die in der EU nicht als Lebensmittel zugelassen sind, ist der Honig grundsätzlich nicht verkehrsfähig. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es sich bei der kritisierten Honigrichtlinie keinesfalls um eine Einführung von gentechnisch veränderten Produkten durch die Hintertür handelt. Transparenz und Wahlfreiheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher sind auch weiterhin gewahrt. Anlagen 1Anlagen 2 bis 4 2Ergebnis Seite 1603 A ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 20. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 13. März 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 20. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 12. März 2014 1597 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 1628 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 20. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 12. März 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 20. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 12. März 2014 1625