Plenarprotokoll 18/24 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 24. Sitzung Berlin, Freitag, den 24. März 2014 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 16: a) Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Sabine Weiss (Wesel I), Katrin Albsteiger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, Axel Schäfer (Bochum), Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: EU-Afrika-Gipfel – Neue Impulse für die entwicklungspolitische Partnerschaft Drucksache 18/844 1891 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten Drucksachen 18/503, 18/871 1891 B Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ 1891 C Niema Movassat (DIE LINKE) 1893 C Dr. Bärbel Kofler (SPD) 1895 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1897 B Jürgen Klimke (CDU/CSU) 1898 C Heike Hänsel (DIE LINKE) 1900 A Christoph Strässer (SPD) 1901 B Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1903 A Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) 1904 A Michaela Engelmeier-Heite (SPD) 1905 D Johannes Selle (CDU/CSU) 1907 C Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 1908 C Charles M. Huber (CDU/CSU) 1909 D Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro Stunde einführen Drucksache 18/590 1911 C Klaus Ernst (DIE LINKE) 1911 D Karl Schiewerling (CDU/CSU) 1912 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 1913 B Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1914 D Kerstin Griese (SPD) 1916 B Jutta Krellmann (DIE LINKE) 1917 D Stephan Stracke (CDU/CSU) 1919 B Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1920 C Markus Paschke (SPD) 1921 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) 1922 D Daniela Kolbe (SPD) 1923 D Jutta Krellmann (DIE LINKE) 1924 B Kai Whittaker (CDU/CSU) 1925 B Ralf Kapschack (SPD) 1926 C Mark Helfrich (CDU/CSU) 1927 D Bernd Rützel (SPD) 1928 D Albert Weiler (CDU/CSU) 1930 A Matthäus Strebl (CDU/CSU) 1931 C Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frauen gerecht entlohnen und sicher beschäftigen Drucksache 18/847 1932 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1933 A Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) 1934 B Cornelia Möhring (DIE LINKE) 1935 C Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 1936 C Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 1937 D Ursula Schulte (SPD) 1939 B Antje Lezius (CDU/CSU) 1940 D Nächste Sitzung 1941 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1943 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 1943 D 24. Sitzung Berlin, Freitag, den 21. März 2014 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bedauerlicherweise haben wir heute weder Geburtstage nachzufeiern noch, woran wir uns schon fast gewöhnt hatten, Wahlen zu Gremien durchzuführen, sodass uns nichts anderes übrig bleibt, als unverzüglich in die Tagesordnung einzusteigen, falls nicht irgendjemand überraschend einen Geschäftsordnungsantrag einbringt. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Heute nicht!) – Heute nicht? (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein!) – Gut. Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Sabine Weiss (Wesel I), Katrin Albsteiger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, Axel Schäfer (Bochum), Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD EU-Afrika-Gipfel – Neue Impulse für die entwicklungspolitische Partnerschaft Drucksache 18/844 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten Drucksachen 18/503, 18/871 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Gesamtzeit von 96 Minuten vorgesehen; das ist uns inzwischen vertraut. – Dazu gibt es offenkundig keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister Gerd Müller. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht heute früh um ein spannendes Thema: Es geht um Afrika. Ich danke den Fraktionen von CDU/CSU und SPD, dass wir dieses Thema heute in der Kernzeit der Bundestagsdebatte behandeln und damit in den Mittelpunkt der Debatte stellen. „Mut ist, zu geben, wenn alle nehmen.“ Woran denken wir alle denn, wenn wir an Afrika denken? Ich denke beispielsweise an einen großen Helden in Bangui – ich glaube, das gilt auch für Dagmar Wöhrl; denn wir waren in der vergangenen Woche zusammen in der Zentralafrikanischen Republik –: Ich denke an den Pfarrer von Bangui, den wir besucht haben. Er hat einfach seine Kirche geöffnet und hilft 20 000 Menschen, die gekommen sind, Flüchtlingen in größter Not. Wir haben Elend gesehen. Wir haben Not gesehen, die zum Himmel schreit. Meine Damen und Herren, wir können helfen. Wir müssen angesichts solcher Situationen helfen. Deshalb haben wir, die Bundesregierung, unser Ministerium, entschieden, dass wir mit Soforthilfen in der Zentralafrikanischen Republik helfen, dass wir Medizin in Krankenhäuser bringen. Es gibt sechs offene Krankenhäuser. Dort wird aber auf dem Niveau von 1948 oder 1950 in Deutschland operiert. Wir können den Menschen sofort helfen. Deshalb leisten wir Soforthilfe. Wir haben auch entschieden, die Zentralafrikanische Republik als Zielland neu in unsere Entwicklungszusammenarbeit aufzunehmen; (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn wir müssen dahin gehen, wo die Not am größten ist. Ich freue mich deshalb ganz besonders, einen neuen Ansatz in der Entwicklungszusammenarbeit mit Frankreich umzusetzen. Zusammen mit dem französischen Entwicklungsminister werden wir Strukturen in den Bereichen Verwaltung, Gesundheit, Schule und Ernährung entwickeln. Frankreich und die Afrikanische Union haben die Sicherheitslage in der Zentralafrikanischen Republik stabilisiert. Dies wird auch in den nächsten Wochen hier eine Rolle spielen bei der Beantwortung der Frage, ob wir ein Mandat für die Bundeswehr beschließen und in welcher Größenordnung wir Soldaten entsenden. Ich wurde nicht nach Soldaten gefragt. Ich wurde nach Entwicklungshelfern, nach Ärzten und nach Hilfe im zivilen Bereich gefragt. Aber ich danke den französischen Freunden, die hier großartige Arbeit leisten. Die Entwicklungszusammenarbeit kommt nicht zuletzt, sie kommt immer zuerst. Deshalb brauchen wir neue Strukturen der Krisenprävention und der Konfliktbewältigung. Vor diesem Hintergrund haben wir in dieser Woche einen strukturell neuen Beschluss gefasst: Wir werden die Afrikanische Union mit Blick auf den EU-Afrika-Gipfel zusätzlich unterstützen und die Hilfe für die African Peace Facility auf 900 Millionen Euro erhöhen. Afrikaner wollen und können ihre Probleme selber lösen; (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) aber wir stehen natürlich an ihrer Seite. Wenn Sie versuchen, ein Bild von Afrika in Ihrem Kopf aufzurufen, dann müssen Sie bedenken: Afrika ist ein Kontinent mit 54 verschiedenen Ländern. Das ist nicht nur der K-Kontinent – Krisen, Katastrophen, Kriege –; das ist nur ein Teil. Sie können auch andere Bilder von Afrika lebendig werden lassen, denn Afrika ist ein faszinierender Kontinent: Wüsten und Regenwald, 2 000 Sprachen und Kulturen, eine pulsierende Jugend, fruchtbarste Böden – nicht nur Wüsten und Trockenheit –, Vielfalt der Arten, die Einzigartigkeit der Natur, das Ökosystem der Tierwelt. Afrika ist ein Kontinent der Schätze, Möglichkeiten und Chancen; unser Nachbarkontinent, ein Chancenkontinent. Wir, das BMZ, sind das Afrika-Ministerium und in 32 Ländern Afrikas mit mehr als 2 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern engagiert. Ich möchte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, insbesondere der GIZ, hier auch einmal herzlich danken. Sie leisten Großartiges in schwieriger Umgebung. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutschland ist ein angesehener Partner. Wir haben viel zu bieten. Wir bauen auf: Verwaltungsstrukturen, politische Strukturen, zivile Strukturen, Demokratie, Rechtsstaat. Wir haben das Modell der dezentralen Lösungen, das vielen hilft. Wir sind Ratgeber, Finanzier und Projektpartner der Wirtschaft. Wir entwickeln Infrastrukturen, großartige Projekte; wir bauen Schulen, Berufsbildungszentren, Krankenhäuser, wie man vor Ort sehen kann. Wir investieren insbesondere in Bildung. Bildung verändert alles. Bildung ist auch in Afrika der Schlüssel für Zukunft. Wir investieren in Gesundheit. Dies alles beinhaltet das neue Afrika-Konzept, das ich gemeinsam mit den Fraktionen, mit Ihnen im Parlament weiterentwickeln möchte. Deshalb bin ich sehr dankbar für den interessanten und guten Vorschlag Ihres Antrages. Wir werden diese Punkte natürlich aufnehmen. Mit dem neuen Afrika-Konzept des Bundesministeriums verstärken wir unsere Arbeit und setzen neue Schwerpunkte. Ich kann hier nur ein paar Ansätze nennen. Wir setzen neue Schwerpunkte mit einer Sonderinitiative für eine Welt ohne Hunger. Das Hungern in der Welt ist sicherlich der größte Skandal. 1 Milliarde Menschen sind übergewichtig. In der Fastenzeit und bei Diäten beschäftigen wir uns mit Verzicht und Abnehmen. Aber 1 Milliarde Menschen sind unterernährt und hungern. 25 000 Kinder sterben täglich. Das ist deshalb ein Skandal, weil es nicht sein muss. Diese Welt, dieser Planet kann 10 Milliarden Menschen ernähren. Dazu müssen wir unseren Beitrag leisten. Deshalb habe ich zusammen mit den Fraktionen eine Sonderinitiative für eine Welt ohne Hunger gestartet. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir werden unser Wissen, unser Können, unsere technologischen Fähigkeiten transferieren und in verschiedenen Ländern Afrikas zehn grüne Innovationszentren aufbauen, um die gesamte Kette der landwirtschaftlichen Wertschöpfung vom Acker bis zum Teller zu stärken. Im Rahmen dieser Leuchtturmprojekte werden wir zeigen, wie sich in Afrika eine nachhaltige Landwirtschaft entwickeln lässt. Wir schließen daran Berufsbildungszentren für ländliche Entwicklung an. Meine Damen und Herren, wir starten eine Zukunftsoffensive für Afrikas Jugend: hundert neue deutsch-afrikanische Partnerschaften – machen auch Sie mit! – mit afrikanischen Schulen, Hochschulen, Kommunen, Kirchen. Wir wollen Tausende afrikanische Studenten an deutsche Universitäten holen. Neue Ausbildungs- und Kammerpartnerschaften wurden und werden mit der deutschen Wirtschaft besprochen. Wir brauchen mehr Hermesbürgschaften für mehr Investitionen für Afrika. Wir planen ein deutsch-afrikanisches Jugendwerk, die Aktion „Sportler für Afrika“ und vieles mehr. Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich richten wir unseren Blick auch auf das Flüchtlingselend. Deshalb werde ich in den nächsten Tagen dorthin gehen, wo die Not am größten ist – in den Südsudan –, und vor Ort die internationalen Organisationen unterstützen. Denn es kommt darauf an, dass wir den Menschen helfen. Es geht nicht darum, korrupte Systeme zu stabilisieren, aber die Menschen brauchen unsere Hilfe. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir in Deutschland stehen für Menschenrechte, für die Gleichberechtigung der Frau, für Demokratie. Ich danke den Fraktionen, allen Kolleginnen und Kollegen, die engagiert und mit viel Idealismus bei der Arbeit sind und mich unterstützen. Ich danke aber auch unserer Bundeskanzlerin, die Afrika trotz aller aktuellen Probleme auf die Tagesordnung gesetzt hat und auch – ich weiß es – im Herzen trägt und deshalb beim EU-Afrika-Gipfel einen Schwerpunkt setzt. Unsere Bundeskanzlerin genießt nicht nur in Europa, sondern auch in Afrika hohes Ansehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nun blicke ich nach vorne: Wie wird Afrika morgen aussehen, was für Bilder gehen einem da durch den Kopf? Afrika ist und wird ein Kontinent der Jugend sein – nicht wie das Parlament hier, sage ich. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist aber die Grenze überschritten!) – Ich nehme das zurück. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gerade noch rechtzeitig!) Mit 50 und besser – in der Generation, der ich angehöre – ist man ja auch noch jung, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na ja!) und wir haben große Verantwortung für die Jugend. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auf dem afrikanischen Kontinent sind 50 Prozent der Menschen – jeder zweite; das ist eine unglaubliche Zahl – jünger als 18 Jahre. Diese Dynamik, diese sprühende Kraft der afrikanischen Länder wollen wir weiterentwickeln. Afrika morgen, das wird ein Kontinent sein, der wächst, mit einer Bevölkerung, die sich bis zum Jahr 2050 verdoppelt. Die Weltbevölkerung wächst jeden Tag um 250 000 Menschen; besonders viele davon kommen in Afrika zur Welt. Afrika ist ein Kontinent des Aufschwungs; das möchte ich ganz besonders in Richtung der deutschen Wirtschaft sagen, die sich dort mehr engagieren muss. Sechs von zehn der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt sind in Afrika. Hier gibt es große Chancen für Investitionen und Partnerschaften. Ich stimme Horst Köhler zu, der sagt: Sprechen wir nicht über, sondern mit Afrika. (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) Hören wir auf mit Lektionen und Urteilen, mit Besserwisserei! Wir müssen mehr zuhören, afrikanische Geschichte, Literatur, Kunst, Kultur verstehen, afrikanische Eigenverantwortung stärken, afrikanische Lösungen ernst nehmen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Niema Movassat für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand hier wird bestreiten, dass wir endlich Beziehungen auf Augenhöhe zu Afrika brauchen. Der EU-Afrika-Gipfel, der im April stattfinden wird und über den wir hier reden, müsste also eigentlich ein echter Schritt hin zu fairen Beziehungen sein. Die Botschaft müsste sein: Wir machen Schluss mit westlicher Besserwisserei und Arroganz. (Beifall bei der LINKEN – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Oh Mann! Diese ollen Kamellen schon wieder!) Die Realität wird aber leider wohl anders aussehen. Das lässt die Themenwahl für den Gipfel schon befürchten; denn die afrikanischen Länder wollen gerne über Handelsfragen reden, die EU aber nicht. Auch die Koalition betont in ihrem Antrag in zentralen Punkten die Themenvorgaben der EU. Einmal mehr diktieren die -Europäer den afrikanischen Staaten die Agenda. Das hat mit Augenhöhe nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Für viele afrikanische Länder sind die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit der EU, die sogenannten EPAs, derzeit ein zentrales Thema. Diese stehen in der Tradition einer jahrzehntelangen fatalen Freihandels-politik. „Freihandelspolitik“ klingt ja ganz nett; dahinter steckt aber ein neoliberales Konzept, das den meisten Afrikanern keinen Wohlstand gebracht hat. Ganz im Gegenteil! Die Länder Afrikas mussten ihre Märkte für westliche Produkte öffnen und Schutzzölle abbauen. Das hatte verheerende Auswirkungen auf die Ernährungs-situation der Bevölkerung. Noch in den 80er-Jahren wiesen die ärmsten Länder der Welt bei Lebensmittelexporten einen Überschuss von 1 Milliarde Dollar auf. Heute weisen sie dagegen ein Defizit von 25 Milliarden Dollar auf. Europa überschwemmt Länder wie Ghana, Burkina Faso und die Elfenbeinküste mit Milchpulver, Tomatenpaste, Geflügel- und Schweinefleisch zu Dumpingpreisen. Die EU fördert das bis heute mit Subventionen. Lokale Märkte in Afrika wurden zerstört, Kleinbauern und lokale Händler wurden arbeitslos und verarmten. Heute sind die Länder stark abhängig von Nahrungsmittelimporten. Die eigenen Bauern können die Nahrungsversorgung nicht mehr gewährleisten. Diese Freihandelspolitik will die EU fortsetzen und verschärfen. Das ist Irrsinn. Es darf so nicht weitergehen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Freihandels- und Strukturanpassungspolitik zwingt Staaten auch, ihre öffentlichen Betriebe zu privatisieren, angeblich, weil es das Beste für die Menschen vor Ort ist. Aber das Gegenteil ist der Fall! Nehmen wir nur den lebenswichtigen Bereich Wasser: Südafrika hat hier fleißig privatisiert. 2007 wurde in Südafrika 10 Millionen Menschen das Wasser abgestellt. Rund 2 Millionen Südafrikaner wurden aus ihren Häusern geworfen, nachdem sie sich wegen der horrenden Wasserrechnungen verschuldet hatten. Teilweise stiegen die Wasserpreise um bis zu 600 Prozent. Von diesen Privatisierungen profitieren Konzerne wie Nestlé, nicht die Menschen. Damit muss endlich Schluss sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sinnvoller wäre es, die EU würde sich, beispielsweise im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, für starke öffentliche Einrichtungen in den Ländern des Südens einsetzen, die die Grundversorgung mit Lebensmitteln, Wasser und Energie sowie im Hinblick auf Bildung und Gesundheit sicherstellen. Das wäre eine Politik für die Menschen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich muss sagen, mir wird richtig unheimlich, wenn unser Herr Bundespräsident sogar noch behauptet, dass sich Freihandel auf Frieden und Warenaustausch auf Wohlstand reime. Das gäbe sprachlich im Deutschunterricht eine glatte Sechs und ist inhaltlich total daneben. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mein Gott, wie ideologisch!) Freihandel und Warenaustausch finden seit vielen Jahrzehnten statt, und zwar meist in der Form, dass sie den wirtschaftlichen Interessen der Industrieländer und nicht den Menschen in den Ländern des Südens dienen. Da wir den afrikanischen Ländern schon so lange den wunderbaren Segen des Freihandels bringen, frage ich mich: Woher kommen eigentlich die ganzen Flüchtlinge? Sie fliehen aus Not und Elend. Der Freihandel schafft eben meist nicht Frieden und Wohlstand. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Blödsinn!) Wenn man schon das Thema Sicherheit in Bezug auf Afrika aufmacht, wie Sie dies im Koalitionsantrag getan haben, dann muss man auch darüber reden, dass die europäische Politik einen Beitrag zur Unsicherheit in Afrika leistet, und zwar durch die aufgedrückte neoliberale Politik, die Hunger und Armut schafft, und durch Waffenexporte, die zur Gewaltanwendung in Konflikten führen. Deutschland ist übrigens drittgrößter Waffen-exporteur. Man sollte sich manchmal auch an die eigene Nase fassen. (Beifall bei der LINKEN) Nach dem Schiffsunglück vor Lampedusa im letzten Oktober, bei dem etwa 350 Menschen starben, war der Aufschrei groß, aber nichts hat sich seitdem verändert. Vielmehr erleben wir eine immer weitere Aufrüstung der europäischen Grenzschutzsysteme. Das ist nicht nur ein Armutszeugnis, das ist menschenverachtend. (Beifall bei der LINKEN) Beim Lesen des Koalitionsantrags frage ich mich zudem: Wer ist eigentlich für den Klimawandel hauptverantwortlich? Auch das ist eine der Fluchtursachen. Im Koalitionsantrag ist einseitig die Rede davon, dass man verhindern müsse, dass in Afrika der CO2-Ausstoß mit steigendem Energiebedarf ansteigt. Welchen Beitrag die EU auf diesem Gebiet leisten muss, benennen Sie aber nicht. (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Haben Sie den -Antrag nicht gelesen?) Wir Industrieländer produzieren bis heute den mit Abstand höchsten CO2-Ausstoß. Deutschland will für Neuwagen bis heute noch nicht einmal Abgasgrenzen einführen, nur um BMW, Audi und Mercedes zu schützen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist auch richtig so!) Wenn wir von Augenhöhe reden, dann gehören auch solche selbstkritischen Worte in einen EU-Afrika-Antrag. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dann weisen Sie in Ihrem Antrag auf das starke Bevölkerungswachstum in Afrika hin. Sie verschweigen dabei aber völlig die Ursachen, wie mangelnde soziale Sicherungssysteme. In den Industrieländern ist das Bevölkerungswachstum auch erst durch wirtschaftliche Entwicklung und durch die Einführung sozialer Sicherungssysteme zurückgegangen. Das ist der richtige Weg, um die Ursachen der Probleme zu bekämpfen. Wir als Linke sagen: Alles, aber auch alles, was die Beziehungen zwischen Europa und Afrika angeht, muss kohärent auf ihre Entwicklungsförderlichkeit ausgerichtet werden. Dazu sind einige grundlegende Veränderungen notwendig: Erstens. Die Handelspolitik und die EPAs müssen auf die Agenda des Gipfels. Eigentlich gehören diese Abkommen gänzlich gestoppt. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Das A und O einer jeden Entwicklung ist, dass die Menschen sich aus eigener Kraft ernähren können. Deshalb brauchen wir endlich umfassende Konzepte der Ernährungssouveränität, die Schluss machen mit Landraub und Nahrungsmittelspekulationen. Drittens. Wir brauchen ein Unternehmensstrafrecht, damit es Sanktionen gegen europäische Konzerne gibt, die Menschenrechtsverletzungen in Afrika und anderswo begehen. Viertens. Wir brauchen eine menschenwürdige Flüchtlings- und Asylpolitik. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Fünftens. Wir brauchen eine Klimapolitik, die sicherstellt, dass zunächst die Hausaufgaben im eigenen Land gemacht werden, bevor man anderen Ländern schlaue Ratschläge gibt. Sechstens. Mit der Militarisierung der deutschen und europäischen Afrika-Politik muss Schluss sein. Es geht dabei immer wieder um Rohstoffinteressen und geostrategische Ziele, die in den Deckmantel von Menschenrechten gehüllt werden. Es gibt keine außenpolitische Verantwortung für mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr. Afrika braucht nicht mehr Soldaten und Waffen. Deshalb müssen auch Rüstungsexporte sofort gestoppt werden. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bärbel Kofler ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Bärbel Kofler (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte auch ich betonen, dass ich froh bin, dass wir das Thema der Beziehungen zwischen -Europa und Afrika hier einmal zu einer prominenten Debattenzeit miteinander besprechen. Ich halte das für dringend nötig und geboten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist im Übrigen genauso nötig und geboten, dass wir auf allen Gipfeln und bei allen Kontakten mit Afrika damit anfangen, auf höchster politischer Ebene mit-einander zu sprechen. Das wünsche ich mir für den EU-Afrika-Gipfel; das wünsche ich mir aber auch für zukünftige Treffen und Kontakte mit afrikanischen Staaten und ihren Staatschefs. Einen Satz, Herr Movassat, kann ich mir nicht verkneifen. Ich habe den Eindruck, Sie haben unseren Antrag einfach nicht gelesen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Natürlich habe ich ihn gelesen! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oder nicht verstanden!) Es tut mir leid, aber unser Antrag enthält eine ganze Menge Themen. Ich werde sie noch ausführen, zum Beispiel das Thema Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und wie wir das ausgestalten wollen. Auch zum Thema Klimawandel findet sich in unserem Antrag eine Menge, gerade auch dazu, wie wir dieses Thema angehen wollen. Sie haben von „Augenhöhe“ gesprochen. Dazu möchte ich einen schönen Satz aus Ihrem eigenen Antrag zitieren, wonach Sie Afrika als „Opfer der kapitalistischen Industrialisierung des Nordens“ bezeichnen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich glaube nicht, dass das etwas mit Augenhöhe zwischen Europa und Afrika zu tun hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau das ist ja das Problem!) Ich bin froh, dass wir den vierten EU-Afrika-Gipfel auf der Tagesordnung haben und über dieses Thema reden. Ich glaube, dass es wichtig ist, ehrlich Bilanz zu ziehen: Was ist in den letzten Jahren passiert? Haben wir wirklich Fortschritte erreicht? Sind wir zwischen Europa und Afrika zu konkreten Vereinbarungen gekommen? Da haben wir großen Nachholbedarf, gerade auch auf den drei Feldern, die auf dem Gipfel angesprochen werden und die wir auch in unserem Antrag thematisieren: Frieden und Entwicklung, Klima und Energie sowie nachhaltiges Wirtschaftswachstum und nachhaltiger Handel; ich unterstreiche das Wort „nachhaltig“. In diesem Bereich haben wir noch sehr viel Konkretisierungsarbeit zu leisten. Einen Beitrag dazu soll unser Antrag leisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frieden ist selbstverständlich eine Voraussetzung für Entwicklung. Der Weltentwicklungsbericht der Weltbank stellt ganz klar fest, dass all die Länder, in denen Staatlichkeit zusammengebrochen ist, in denen Krieg und Krisen herrschen und innere Willkür und Korruption staatliches Leben nicht möglich machen, die Millenniumsentwicklungsziele nicht erreicht haben. Frieden und Sicherheit sind zwingende Voraussetzungen für Entwicklung, und in diesem Sinne müssen wir Entwicklungspolitik als vorausschauende Friedenspolitik begreifen; genau an dieser Stelle müssen wir ansetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin überzeugt, dass wir gerade auch mit Instrumenten, die wir in Deutschland entwickelt haben, ein breites Angebot machen können. Ich nenne in diesem Zusammenhang explizit den Zivilen Friedensdienst, weil er eine hervorragende Möglichkeit ist, um in Postkonflikten, aber manchmal auch schon, bevor Konflikte -ausbrechen, unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zusammenzubringen und Ausgleichsstrukturen und Ausgleichsmöglichkeiten zu schaffen. Es geht aber manchmal auch um den Aufbau von Staatlichkeit und den Aufbau von staatlichen Sicherheitsstrukturen. Natürlich braucht man zum Beispiel eine korruptionsfreie Polizei und Justiz, um die für die weitere Entwicklung notwendigen Strukturen aufbauen zu können. Auch dazu kann Deutschland Beiträge leisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Natürlich müssen wir die Zivilgesellschaft einbeziehen, wenn es um Frieden und Entwicklung geht. Wir haben in unserem Antrag – ich bin sehr dankbar, dass wir das gemeinsam beschlossen haben – explizit auf die UN-Resolution 1325 Bezug genommen. Darin geht es darum, Frauen bei der Beilegung von Konflikten und Auseinandersetzungen mit Waffengewalt gleichberechtigt mit einzubeziehen und das Potenzial von Frauen für eine friedliche Entwicklung zu nutzen und zu stärken. Das darf nicht nur auf dem Papier stehen, sondern das muss unsere Aufgabe im Regierungshandeln, aber auch innerhalb der Parlamente sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was das Thema Klima und Energie angeht, ist es, glaube ich, selbstverständlich und seit der Rio-Deklaration vor über 20 Jahren unumstößlich anerkannt: Frieden, Entwicklung und Umweltschutz bedingen einander und gehören zusammen. Selbstverständlich – das betone ich ausdrücklich – stehen meine Fraktion und ich wie auch, glaube ich, wir alle gemeinsam für das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung, wenn es um das Thema Klimawandel und Klimaschutz geht. Wir haben historische Verantwortung. Afrika ist nicht der Kontinent, der den CO2-Ausstoß und den Klimawandel vorangetrieben hat, leidet aber wie kein anderer Kontinent unter den Folgen des Klimawandels. Wüstenbildung, Wassermangel und künftige Konflikte um Wasser, Konflikte um fruchtbare Böden und Nahrungsgrundlagen sind Folgen des Klimawandels, für den wir Verantwortung tragen. Deshalb haben wir auch eine finanzielle Verantwortung, und wir müssen unserer Verantwortung gerecht werden, was den Know-how-Transfer und die Möglichkeiten zur Vermeidung von CO2-Ausstoß bei uns selbst angeht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal anfangen damit!) Das gilt im Übrigen auch für alle Verhandlungen über Klimaabkommen, die wir voranbringen müssen. Wir müssen das ambitionierte Klimaschutzziel, die Erd-erwärmung auf weniger als 2 Grad zu begrenzen, erreichen. Ich weiß, wie schwierig das ist. Aber es muss gelingen. Und wir müssen als Entwicklungspolitiker das Thema Anpassungsmaßnahmen wesentlich stärker in den Fokus rücken und finanziell entsprechend ausgestalten, um den Menschen in anderen Ländern eine Chance zu geben. Dazu gehört aber auch – wenn man den Antrag genau liest, dann wird das auch deutlich, Herr Kollege Movassat –, dass wir mit Afrika gemeinsam Verantwortung haben, was Afrikas Energiebedarf angeht, um seine eigene Entwicklung vorantreiben zu können und seiner eigenen Bevölkerung die Chance auf Energiezugang zu geben. Wir müssen das gemeinsam vorantreiben. Dazu haben wir zwei Punkte in unseren Antrag aufgenommen. Erstens sind die Zusagen der Europäischen Union einzuhalten, die in der afrikanisch-europäischen Energiepartnerschaft vereinbart wurden. Dabei geht es darum, dass 100 Millionen Afrikaner in den nächsten sieben Jahren Zugang zu Energie erhalten. Dazu müssen wir stehen. Das hat auch finanzielle Auswirkungen, und dazu muss man stehen. Ich freue mich darüber, dass in unserem Antrag steht, dass wir uns bei den eigenen Exportkrediten an Energieeffizienz und dem Einsatz erneuerbarer Energien orientieren müssen, wenn es insbesondere um Afrika geht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Damit haben wir eine gemeinsame Verantwortung mit den Partnerländern; denn eine solche Ausrichtung können wir den Ländern nicht vorschreiben, sondern das müssen wir im Dialog mit ihnen gemeinsam entwickeln. Das muss der Wunsch der Länder auf beiden Kontinenten sein. Zweitens, zum Thema nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und nachhaltiges Handeln. Die EPAs stellen zwar nicht das einzige Instrument dar, spielen aber eine wichtige Rolle. Der Antrag der Linken nimmt nicht den durchaus vorhandenen Wunsch Afrikas auf, Handel mit Europa zu treiben und seriöse, gute Investitionen in ihren Ländern zu erhalten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es wäre schön, wenn Sie nicht nur über die eigene Ideologie, sondern über das redeten, was die Menschen auf anderen Kontinenten wirklich wünschen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) In einem Punkt haben Sie recht: Die europäischen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen müssen entwicklungsfördernd sein und dürfen nicht das Gegenteil von dem bewirken, was wir alle mit Entwicklungszusammenarbeit erreichen wollen. Genau das steht in unserem Antrag: Die Verhandlungen der Europäischen Union mit den afrikanischen Staaten über den Abschluss von Wirtschaftspartnerschafts- und Handelsabkommen müssen dem Ziel der ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltigen Entwicklung sowie der Menschenrechte verpflichtet sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Nur dann erachte ich solche Abkommen für entwicklungsfördernd. Nur dann macht es auch Sinn und ist es im Interesse der afrikanischen Partnerländer. Natürlich entspricht es meinem Selbstverständnis als Parlamenta-rierin, die Regierung aufzufordern, alles zu tun, dass die EU-Kommission, die diese Verhandlungen führt, mehr Flexibilität zeigt und auf die Wünsche der afrikanischen Länder stärker eingeht. Die Regierung ist hier also gefordert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Selbstverständlich finde ich es richtig, dem Wunsch der afrikanischen Länder zu entsprechen, dieses wichtige Thema auch auf dem 4. EU-Afrika-Gipfel zu behandeln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Warum das Ganze? Weil klar ist, dass Wachstum allein Armut nicht beseitigen kann. Das besagt der letzte Bericht der United Nations Conference on Trade and Development. Er macht ganz deutlich: In den am wenigsten entwickelten Ländern – darunter sind 34 afrikanische – sind 80 Prozent der Menschen in schlecht -bezahlten, prekären und unsicheren Jobs in der Landwirtschaft oder im Kleinhandel beschäftigt. Es muss uns darum gehen, Perspektiven für menschenwürdige Arbeit und ein menschenwürdiges Leben auch in Afrika zu eröffnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dazu gehören gerechte Handelsregeln, die Wertschöpfungsketten in afrikanischen Ländern ermöglichen; ich sage das ausdrücklich. Dazu gehört des Weiteren, Exportdumping zu verhindern und afrikanischen Ländern faire Absatzchancen in Europa zu eröffnen; auch das steht in unserem Antrag. Wir brauchen Transparenzregeln, die klarmachen, welche Auswirkungen Finanzströme und Rohstoffeinnahmen auf Finanzen und wirtschaftliches Handeln haben, welche Staaten Einnahmen generieren und welche nicht und wohin die Mittel fließen. Die afrikanischen Länder müssen mit einer Finanzbasis ausgestattet werden. Sie müssen Steuern erheben können, um mit den Einnahmen ein Sozialwesen zu -finanzieren. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, Sie denken bitte an die Zeit. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Herr Präsident, ich komme zum Ende. Man könnte sicher noch eine ganze Reihe von Maßnahmen anführen, die wichtig sind. Ich glaube, wir haben in den nächsten Jahren mit vielen internationalen Konferenzen Gelegenheit, zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe zu kommen. Wir haben die EU-Afrika-Gipfel, wir haben den ganzen Prozess der Weiterentwicklung der Armutsbekämpfung bzw. der Millenniumsziele, wir haben den Klimagipfel in Paris. All das – wie auch die G-8-Präsidentschaft – muss genutzt werden, um die entwicklungsfördernde Zusammenarbeit mit Afrika voranzutreiben. Danke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun der Kollege Uwe Kekeritz das Wort. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es wurde schon gesagt: Der kommende 4. EU-Afrika-Gipfel bietet eine große Chance, deutlich zu machen, dass Afrika ein Kontinent mit großem Potenzial ist, und auch, dass Afrika dieses Potenzial bereits sehr aktiv nutzt. Afrika hat Zukunft. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Probleme in Afrika noch immens sind. Deshalb müssen die Themen „gute Regierungsführung“, „soziale und ökologische Gerechtigkeit“ und das unendlich große Thema der Menschenrechte auf die Gipfelagenda gesetzt werden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die EU muss sich eindeutig gegen die Kriminalisierung von Homosexuellen stellen, die in vielen Ländern Afrikas pogromartige Ausmaße angenommen hat. Der Hass auf Homosexuelle wird inzwischen staatlicherseits gefördert und auch instrumentalisiert. Die EU muss sich hierzu klar positionieren und ihre Politik entsprechend anpassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Auf dem Gipfel muss die EU auch erklären, welchen Beitrag sie denn in Bezug auf jene Menschen leistet, die aus Verzweiflung und Perspektivlosigkeit die Risiken einer Flucht auf sich nehmen. Anstatt die Festung Europa weiter auszubauen, brauchen wir endlich einen humanitären Umgang mit Flüchtlingen. (Beifall bei der LINKEN) Statt Frontex, Eurosur und Abschiebehaft müssen Armutsbekämpfung in den Herkunftsländern und menschenwürdige Aufnahmeverfahren hier in Europa die Richtschnur unserer Politik sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ein weiterer wesentlicher Punkt der Verhandlungen muss natürlich auch die internationale Unternehmensverantwortung sein. Werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, sicherlich erinnern Sie sich noch -daran, wie wir in der letzten Legislaturperiode mit sauguten Argumenten, von der SPD und den Grünen zusammengestellt, die Politik der Bundesregierung diesbezüglich kritisiert haben. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: An die Kritik kann ich mich erinnern, an die guten Argumente nicht!) Die Bundesregierung setzt auf Freiwilligkeit und nicht auf verbindliche Regelungen. Da ist es doch sehr verwunderlich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass ausgerechnet SPD-geführte Ministerien die Minimierung von Verantwortung von Unternehmen unterstützen, die in Krisengebieten tätig sind. Ich spreche von den Ministern Gabriel, Nahles und Maas. Sie unterstützen nach wie vor die EU-Kommission darin, dass dort tätige Unternehmen, also Unternehmen, die in Krisengebieten tätig sind, weniges veröffentlichen und weniges transparent machen müssen. Alles soll nur freiwillig geschehen. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Wir sind Entwicklungspolitiker!) – Ja, ja. Die Unternehmen sollen das freiwillig machen, Frau Kollegin Pfeiffer. – Das halte ich für absurd. Das kann noch nicht einmal Welke toppen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Leitmotiv des Gipfels lautet: Investitionen in Menschen, Wohlstand und Frieden. Ich bin überhaupt kein Freund dieses Titels. Menschlichkeit, Wohlstand und Frieden sind nicht nur eine Frage von Investments. Allerdings ist es schon merkwürdig, dass trotz dieser Überschrift das Wirtschaftsabkommen EPA nicht auf die Tagesordnung des Gipfels kommen soll. Worum geht es bei diesem EPA? Es geht um den afrikanischen Markt, der für die europäische Industrie inzwischen hochinte-ressant geworden ist. Ein weitgehender zollfreier Zugang wäre natürlich auch für die europäische Industrie sehr profitabel. Aber genau diese Zolleinnahmen brauchen die Entwicklungsländer für ihre Entwicklung. Das weiß auch die EU. Die Steuereinnahmen für die ECOWAS werden sich jährlich um circa 1,5 Milliarden Euro reduzieren. Die EU bietet deshalb eine Gegenleistung an. Sie sagt: Ihr bekommt als Ausgleich dafür 6,5 Milliarden Euro, zahlbar innerhalb von fünf Jahren. – Es geht aber nicht nur um Zolleinnahmen; es geht um Arbeitsplätze, die ganze Familien ernähren, die Nachfrage auf dem lokalen Markt schaffen; es geht um kleine Industrien, die den Zellkern weiterer Entwicklung in Afrika in sich tragen. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Steht alles in unserem Antrag!) Endlich wächst eine kleine Industrie in Afrika. Diese Entwicklung darf nicht grob fahrlässig durch Freihandelsabkommen gefährdet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es muss uns doch allen klar sein, dass die afrikanischen Staaten jeden Konkurrenzkampf mit der europäischen Industrie auf dem afrikanischen Markt verlieren müssen. Die EU hat offensichtlich immer noch nicht begriffen, dass soziale Stabilität in allen Ländern der Erde auch in unserem Interesse liegt. Herr Minister Müller, Ihre Forderung, Wertschöpfungsketten in den Ländern zu belassen, ist richtig, wichtig und zentral für die Entwicklung. Die Durchsetzung der EPAs wird aber genau das Gegenteil bewirken und bereits entwickelte Wertschöpfungsketten bedrohen und vernichten. Herr Müller, hier erwarten wir von Ihnen ein klares Veto gegen diese EPA-Verhandlungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die 6,5 Milliarden Euro sind trügerische Silberlinge, die der europäischen Industrie noch nicht einmal wehtun; denn dieses Geld wird von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gezahlt. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, sich in Brüssel umgehend für ein Moratorium der EPAs einzusetzen. Sie sind nicht notwendig. Sie zerstören die langsam wachsende industrielle Produktion, und sie stehen unseren entwicklungspolitischen Zielen diametral entgegen. Wir warten hier auf einen allgäuerischen Donnerschlag, Herr Minister. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Jürgen Klimke hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Im Jahre 2000 hieß es in einer langen Geschichte der Wochenzeitung Die Zeit zum Thema Afrika: Seit vier Jahrzehnten flackert Afrika als Kontinent der Apokalypse über die Bildschirme: eine unendliche Geschichte von Dürre und Hungersnot, Krankheit und Korruption, Terror und Tyrannei, Schulden und Schuld. Meine Damen und Herren, 14 Jahre später gibt es andere, konstruktivere Sichtweisen mit viel Perspektive, was Afrika betrifft. Die GIZ bezeichnet Afrika heute als Kontinent der Zukunft. Die Redewendung vom „Kontinent der Chancen“ ist fast sprichwörtlich geworden. Warum nun dieser Wandel? Hat man nur beschlossen, das vorher halbleere Glas einfach als halbvoll anzusehen? Folgende Punkte scheinen mir wesentlich zu sein: Afrika hat sich selbst auf den Weg gemacht, sich zu entwickeln, und es entwickelt sich. Deutliche Fortschritte sind erkennbar: bei der Armutsbekämpfung, bei der Bildung, bei der Wirtschaftsentwicklung, bei der Stärkung der Staatlichkeit und bei der Kooperation innerhalb Afrikas. Auf die darauf beruhenden Chancen geht unser Antrag ein. Zum Antrag der Linken mit dem schönen Titel „EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten“. Befremdlich an diesem Antrag ist, dass man so tut, als würde die auf Frieden und Gerechtigkeit ausgerichtete EU-Politik heute nicht verfolgt, als müsste man die EU daran erinnern, dies in den Fokus zu stellen. Meine Damen und Herren, die Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika, die verstärkten Investitionen in Bildung, die Leuchtturmprojekte im Bereich der Berufsbildung – ja, dient das alles etwa nicht der Gerechtigkeit? Die Initiativen in der Entwicklungszusammenarbeit für die Herstellung von Transparenz, zum Beispiel bei Rohstoffeinnahmen, sind ebenso gerecht wie unser Einsatz, Kollege Kekeritz, für die Stärkung der Unternehmensverantwortung, CSR; um hier nur einige Beispiele zu nennen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich will damit zeigen: Wir müssen uns mit unserer Politik nicht verstecken. Wir sind auf einem guten und richtigen Weg, gerade in der Entwicklungszusammenarbeit. Deutschland hat viel geleistet; auch das muss man einmal sagen. Ich verweise zum Beispiel auf den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, der Afrika ganz oben in Deutschland eine Stimme verliehen hat und sich auch heute noch in Afrika engagiert. Herr Minister Müller, ich möchte Ihnen besonders ausdrücklich danken und Sie dafür loben, dass Sie Afrika zum Schwerpunkt Ihrer Politik gemacht haben, aber auch solche Fragen aufgreifen wie Corporate Social Responsibility, soziale Unternehmensverantwortung, die Afrika interessieren. Das ist etwas, was für Afrika wichtig ist. Aber lassen Sie mich noch einige Worte als Außenpolitiker sagen, meine Damen und Herren. Wir bekennen uns ganz klar zu einer interessengeleiteten deutschen Außenpolitik. Ich möchte das im Folgenden kurz darlegen. Welche Interessen hat Deutschland, welche Interessen haben die EU-Staaten in Afrika? Ich sehe vor allen Dingen vier Bereiche: geostrategische, wirtschaftspolitische, sicherheitspolitische und innenpolitische Interessen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Genau das haben wir gesagt!) Lassen Sie mich mit dem Letzten, den innenpolitischen Interessen, anfangen. Da geht es darum, unregulierte Zuwanderung nach Europa zu verhindern, weil unsere Gesellschaft nicht in unbegrenztem Maße aufnahmefähig ist. Das ist eine Tatsache. Das ist auch der Grund dafür, dass es Frontex gibt. Wir werden Frontex auch nicht abschaffen, wie es die Linke fordert; ganz abgesehen davon, dass Frontex zum Beispiel Tausende von Menschen aus Seenot rettet. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen aber verstärkt daran arbeiten, dass die Menschen in ihren Herkunftsländern bleiben können, bleiben wollen, (Dagmar G. Wöhrl [CDU/CSU]: Jawohl!) aber nicht müssen und dort Perspektiven haben. Sicherheitspolitisch ist Afrika früher nicht hinreichend ernst genommen worden. Die afrikanischen Verhältnisse waren für uns verwirrend, und die Probleme waren weit weg. Das hat sich nun geändert. Ein Grund dafür ist der globale Terrorismus, der Rückzugsräume auch in Libyen, in Mali und in Mauretanien hat. Gründe dafür sind aber auch die Piratenangriffe am Horn von Afrika und die Bedrohung des Seehandels. Ich komme aus Hamburg und weiß sehr viel darüber, zumal wir auch den Internationalen Seegerichtshof bei uns in der Stadt haben. Wenn wir heute ein Konzept dafür entwickeln, wie fragile Staaten stabilisiert werden können, dann geschieht das auch deshalb, weil die Globalisierung und Vernetzung der Welt voranschreitet. In diesem Zusammenhang begrüße ich es sehr, dass Europa und Deutschland zunehmend bereit sind, sich auch sicherheitspolitisch in Afrika zu engagieren. Wir wissen, dass Sicherheit eine Grundvoraussetzung für Entwicklung ist. Meine Damen und Herren, natürlich hat Deutschland auch wirtschaftliche Interessen in Afrika; ganz klar. Wie kann ein Kontinent mit 1 Milliarde Menschen, dessen Fläche zu 80 Prozent noch nicht intensiv nach Bodenschätzen untersucht worden ist, uninteressant für unsere Wirtschaft sein? Unsere Wirtschaft ist im Zusammenhang mit Afrika auf zweierlei angewiesen: auf den Zugang zu diesen Rohstoffen und auf den Export dieser Rohstoffe in andere Märkte – zusammen mit den afrikanischen Partnern. Afrika ist für deutsche Unternehmen als Handelspartner wichtig und als Investitionsstandort interessant. Es bietet große Chancen. Wenn eine Region den Sprung aus der Armut geschafft hat, dann war es fast immer die freie Wirtschaft, die dazu den Löwenanteil beigetragen hat. Das Beispiel Ost- und Südostasien zeigt das. Wir müssen erreichen, dass sich Unternehmen aus Europa sicher fühlen, damit sie in Afrika investieren. Wenn bei diesen Investitionen auch soziale und ökologische Mindeststandards eingehalten werden, dann spricht nichts dagegen. Beiderseitige Marktöffnung gehört jedoch dazu. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Jürgen Klimke (CDU/CSU): Herr Präsident? Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich hatte den begründeten Verdacht, dass Ihnen nicht aufgefallen ist, dass die Redezeit zu Ende ist. (Heiterkeit) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Gut. Ich darf dann zum Schluss noch eine Bemerkung machen, Herr Präsident, eine Bemerkung vor allem als Vater von vier Kindern und als Entwicklungspolitiker. Unabhängig von den Interessen, die wir haben, müssen wir feststellen, dass in Afrika, zum Beispiel im Niger, noch 114 von 1 000 Kindern im ersten Lebensjahr sterben, während es in Deutschland „nur“ 4 Kinder sind. Das darf uns nicht unberührt lassen. Ich danke deswegen allen, die sich gerade in diesen Fragen durch Spenden oder durch freiwillige Aktionen engagieren und einen Beitrag für Afrika und die Welt leisten. Danke sehr. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Heike Hänsel ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Klimke, Sie sagten, es gehe für die Europäische Union um geostrategische und sicherheitspolitische Interessen. Nichts anderes haben wir in unserem Antrag ganz klar kritisiert. Die soziale und ökonomische Entwicklung steht nicht im Mittelpunkt, sondern die Interessen der Europäischen Union. Genau deswegen lehnen wir diese Politik ab. (Beifall bei der LINKEN) Herr Müller, ich begrüße es, dass Sie jetzt die Entwicklungszusammenarbeit mit der Zentralafrikanischen Republik aufnehmen wollen, dass viel Geld dafür zur Verfügung gestellt wird. Aber wenn sich die Auswahl der Länder jetzt danach richtet, wohin deutsche Soldaten entsendet werden, wird damit in unseren Augen der völlig falsche Weg eingeschlagen. Es geht nämlich darum, zunächst einmal zu fokussieren, wo die Bedürfnisse der Bevölkerung liegen und wo wir Entwicklung fördern müssen. Es darf nicht ausschließlich danach gehen, in welchen Ländern wir militärisch präsent sind. (Beifall bei der LINKEN) Frau Kofler, Sie hatten sich ja über das Wort „Kapitalismus“ in unserem Antrag echauffiert. (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Über das Wort „Opfer“ habe ich mich echauffiert!) – Ja, darüber, dass die Länder des Südens Opfer des Kapitalismus sind. – Ich frage mich: Wie bezeichnen Sie denn diese Wirtschaftsordnung, wenn nicht als kapitalistisch? (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Und? Hat es was geschadet? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: „Opfer des Kapitalismus“ muss in jedem Antrag vorkommen! – Weiterer Zuruf der Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Und „neoliberal“!) Profit, Marktöffnung, Zugang zu Rohstoffen – all das steht vor dem Recht auf Nahrung, vor Ernährungssouveränität. Es geht doch um Profitinteressen. Genau das kritisieren wir. Wir wollen eine andere Weltwirtschaftsordnung, weil nur so Entwicklung ermöglicht werden kann. (Beifall bei der LINKEN – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Genau, wie bei uns! Wir sind das beste Beispiel!) Diese Auseinandersetzung führen wir natürlich jetzt auch im Rahmen des EU-Afrika-Gipfels mit den afrikanischen Ländern. Es wurde erwähnt: Die EU will nicht über diese zentrale Frage der Ausrichtung der Handelspolitik diskutieren. Dabei gibt es massive Kritik aus den Ländern des Südens. Aminata Traoré, die ehemalige Kulturministerin Malis und eine bekannte Globalisierungskritikerin, bezeichnete schon vor Jahren die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen als die „Massenvernichtungswaffen Europas“, weil sie Millionen von Existenzen von Kleinbauern, von Kleinhändlern bedrohen und dadurch mehr Arbeitslosigkeit und mehr Armut entsteht. Das steht ja genau im Gegensatz zu dem, was, wie behauptet wird, durch die EPAs erreicht werden soll, nämlich mehr Entwicklung. Die afrikanischen Länder sollen ihre Märkte weiter öffnen. Ein zentraler Punkt ist eben auch der Abbau von Exportzöllen, zum Beispiel für Rohstoffe. Aber genau diese Exportzölle sind wichtig, um Rohstoffe in den Ländern zu halten und dort eine eigene ökonomische Entwicklung in Gang zu setzen und Wertschöpfungsketten aufzubauen. Herr Minister Müller, das war ja ein zentrales Anliegen Ihrer Antrittsrede. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Und ist Teil unseres Antrages, junge Frau! Lesen!) Sie sagten, die Wertschöpfung in den Ländern des Südens, in Afrika, muss gestärkt werden. Deswegen müssen Sie sich entscheiden; ich erwarte von Ihnen eine klare Positionierung: entweder Freihandel oder Entwicklung und Stärkung der Wertschöpfung in Afrika. Beides zusammen geht nicht. (Beifall bei der LINKEN – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Lesen!) So haben Sie es in Ihrem Antrag auch nicht formuliert, Frau Kofler. Zu den Exportzöllen äußern Sie sich nicht. Sie bleiben nebulös und sagen, dass Sie eine entwicklungsförderliche Handelspolitik wollen. Was ist denn das konkret? Sie müssen dafür sorgen, dass die afrikanischen Staaten ihre Wirtschaft, ihre Ökonomien schützen können. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn wir aber stärker in diese Märkte hineindrängen, dann verhindern wir das. Übrigens: Nicht nur wir, die Linke, kritisieren das seit vielen Jahren, auch viele kirchliche und zivilgesellschaftliche Organisationen tun das. Diese beschweren sich darüber, dass sie nicht an diesen Prozessen beteiligt werden. Ähnlich wie bei den Verhandlungen über TTIP mit den USA fehlt der Zugang zu Informationen. Parlamente werden kaum informiert. Parlamentarier in afrikanischen Ländern haben sich oft bei uns beschwert, dass sie nicht informiert sind und Hunderten von EU-Beamten gegenüberstehen, die sie ganz leicht über den Tisch ziehen können. Das ist keine Partnerschaft auf Augenhöhe. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen fordern wir auch, dass die EPA-Verhandlungen gestoppt werden. Wir wollen dahin kommen, dass es neue wirtschaftliche Beziehungen gibt, die gerecht aufgebaut sind. Jetzt möchte ich noch etwas zu dem ganzen Themenkomplex der Sicherheitspolitik sagen. Der Europäische Entwicklungsfonds der EU ist milliardenschwer. Über diesen Entwicklungsfonds werden auch Militäreinsätze und Polizeieinsätze in Afrika finanziert. Auch das kritisieren wir seit Jahren. Es kann nicht sein, dass Entwicklungsgelder für Militärmissionen missbraucht werden. Deswegen fordern wir das Ende dieser sogenannten afrikanischen Friedensfazilität. (Beifall bei der LINKEN) Für uns ist ganz klar, dass die zivil-militärische Zusammenarbeit in Afrika jetzt verstärkt werden soll. Das heißt, Entwicklungszusammenarbeit und Militärmissionen sollen Hand in Hand gehen; sie sind sozusagen zwei gleichberechtigte Instrumente, um den Zugang zu Rohstoffen unter anderem in den afrikanischen Ländern abzusichern. Auch diese Instrumentalisierung der Entwicklungspolitik lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss. Ich komme aus Stuttgart, und da liegt es nahe, dass ich die US-Kommandozentrale AFRICOM erwähnen muss. Von Stuttgart-Möhringen aus werden die Militäreinsätze und Drohneneinsätze der USA in Afrika koordiniert. Wenn wir etwas für die Menschen in Afrika machen wollen, dann müssen wir diese Zentrale schließen. Dort werden völkerrechtswidrige Angriffe auf Menschen in Afrika – gezielte Tötungen – organisiert. Das ist eine unmenschliche Politik. Deswegen: Schließen wir AFRICOM in Stuttgart! Danke. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Christoph Strässer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auch ich bin sehr froh darüber, dass es gelungen ist, nach den vielen afrikapolitischen Debatten, die in dieser Legislaturperiode schon stattgefunden haben, nunmehr eine zu führen, die sich nicht in erster Linie mit militärischen Interventionen auseinandersetzt. Ich glaube, das ist gut. Eine solche -Fokussierung wäre auch falsch. Sie ist – das habe ich in der Debatte bezüglich Mali bereits gesagt – auch nicht inkludiert, wenn man über Verantwortung in der Außenpolitik redet. Es wäre ein völlig falscher Ansatz. Verantwortung für diese Länder bedeutet in erster Linie Krisenprävention und Einsatz für Menschenrechte. Damit kann verhindert werden, dass es zu solchen Interventionen kommt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist hier schon viel über militärische Intervention gesagt worden. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten über viele Begrifflichkeiten in der Außenpolitik gesprochen. Der Begriff „Verantwortung“ wurde mit Attributen wie zynisch und heuchlerisch kommentiert. Anfang April werden wir hier – es gibt einen entsprechenden Antrag –, aber auch vor Ort des Genozids in Ruanda gedenken. Das sollten wir uns noch einmal in Erinnerung rufen. Sehr viele Menschen nicht nur in diesem Land, sondern auch in anderen Ländern und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen – ich knüpfe an den Aufruf von Amnesty International an – fordern uns dringend auf, nicht wieder wie 1994 sehenden Auges einen beginnenden Genozid zuzulassen. Ich frage Sie allen Ernstes: Ist es heuchlerisch und zynisch, wenn wir sagen, dass die Zentralafrikanische Republik im Moment eine militärische Intervention braucht, damit ein sich anbahnender Genozid verhindert wird? Ich finde, es ist verantwortungsvoll, dass wir darüber nachdenken. Meine ganz persönliche Meinung ist: Die Entsendung von einem oder zwei Transportflugzeugen ist für mich zu wenig. Ich unterstütze die Franzosen bei dem, was sie dort tun, nämlich diesen sich anbahnenden Genozid zu verhindern, damit wir in 20 Jahren nicht wieder hier stehen und darüber klagen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir sprechen hier – das ist völlig richtig – über verschiedenste Formen der Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern. Es ist von Herrn Minister Müller angesprochen worden, dass unser Blick auf Afrika der Situation der Staaten auf dem afrikanischen Kontinent möglicherweise nicht gerecht wird. Natürlich gibt es unterschiedliche Entwicklungen. Natürlich haben wir unterschiedliche Ansätze in Bezug auf die Staatlichkeit, die Rechtsstaatlichkeit sowie auf die Bestrafung von schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Meine Damen und Herren, ich finde es zu einfach, zu sagen, dass die komplette Politik der Bundesrepublik Deutschland und der EU ausschließlich darauf ausgerichtet ist, eigene Interessen zu formulieren und durchzusetzen, und dass die Menschenrechte – quasi als Deckmantel – nur am Rande eine Rolle spielen. Ich finde, das ist eine sehr problematische Diskussion. Das will ich auch an ein, zwei Beispielen deutlich machen. Wir und insbesondere die Kollegin Groth haben im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe in der letzten Legislaturperiode immer sehr deutlich darauf hingewiesen, dass wir mit der Menschenrechtssituation in Ägypten, einem nordafrikanischen Land, das sich in einem schwierigen Transitionsprozess befindet, nicht einverstanden sind. Das gilt insbesondere für den Sinai, wo es Menschenhandel und andere Dinge gibt. Wir haben Gespräche mit dem ägyptischen Botschafter geführt. Ich hatte vor drei Tagen noch einmal – in Anführungsstrichen – das „Vergnügen“. Ich habe mit den Kolleginnen und Kollegen aus Ägypten über die Situation in ihrem Land geredet und ihnen gesagt – das sagen wir alle im Übrigen –: Die Situation auf dem Sinai ist nicht haltbar. Die Situation dort muss verändert werden; denn dort geschehen elementare Menschenrechtsverletzungen. Dabei geht es um Menschenhandel, -Organentnahmen und vieles mehr. – Zeigen wir, wenn wir das kritisieren, etwa mit dem Finger auf andere Länder und wollen nur eigene Interessen umsetzen? Oder verzichten wir darauf, auf Menschenrechtsverletzungen schwerster Art hinzuweisen, wenn sie sich auf dem afrikanischen Kontinent abspielen? Ich habe vorletzte Woche im Menschenrechtsrat in Genf schwer für eine gemeinsame Entschließung mehrerer europäischer Länder gearbeitet, um auf die Situation in Ägypten aufmerksam zu machen. Das ist richtig, und das ist gut. Ich finde, wir haben, gerade in Anbetracht unserer Partnerschaft, nicht nur das Recht, sondern auch die Verpflichtung, über solche Situationen in den afrikanischen Ländern zu reden und natürlich auch darauf hinzuweisen, dass wir den Aufbau von rechtsstaatlichen Strukturen, von Staatlichkeit unterstützen wollen. Dass es diese nicht gibt, ist doch Teil der großen Probleme in vielen afrikanischen Ländern. Es gibt viele Länder, die sich sehr gut entwickeln. Das gilt zum Beispiel für Ghana; es gibt noch andere Beispiele. Es gibt aber eben auch Länder, wo es nicht funktioniert. Wir haben aufgrund der sehr intensiven Zusammenarbeit, auch im entwicklungspolitischen Bereich, das Recht, zu sagen: Wenn es im Osten der Demokratischen Republik Kongo keine Staatlichkeit mehr gibt, dann ist es die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland und der EU, auf Veränderungen hinzuwirken. Diese Veränderungen zu unterstützen, ist keine Einmischung in die Angelegenheiten der Demokratischen Republik Kongo, wo es nach wie vor schwerste Menschenrechtsverletzungen gibt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist auch unsere Verpflichtung, etwas zu tun. Es ist doch eine Verhandlung auf Augenhöhe. Es ist keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes mit Arroganz und westlicher Besserwisserei. Wir mahnen dort die Umsetzung von internationalen Menschenrechtsverträgen an, die all diese Staaten unterschrieben haben. Sie haben sie nicht unter Druck unterschrieben. In Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist die Würde des Menschen klar definiert. Darauf müssen wir diese Länder hinweisen. Im Übrigen kritisieren wir Menschenrechtsverletzungen auch bei uns. Wenn wir das im eigenen Land tun, dann ist es auch unser Recht, dies in Bezug auf andere Länder zu tun. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen – Herr Kekeritz hat das Thema LGBTI angesprochen –: Im Moment ist Alice Nkom in Deutschland zu Besuch. Alice Nkom ist eine Menschenrechtsverteidigerin aus Kamerun. Sie ist ungefähr 70 Jahre alt und war im Jahre 1969 die erste schwarze Frau in Kamerun, die zur Anwaltschaft zugelassen worden ist. Sie hat am Dienstag hier in Berlin den 7. Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International erhalten. Thema war der Kampf gegen Homophobie in Kamerun – nur in Kamerun. Frau Nkom hat gestern Abend im Auswärtigen Amt eine, wie ich finde, beeindruckende Rede über das, was sich in Kamerun entwickelt, gehalten. Ich kann nur sagen – ich weiß, dass die Bundeskanzlerin dieses Thema auf dem EU-Afrika-Gipfel ansprechen wird –: Es kann, gerade unter Geltung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nicht sein, dass wir Homophobie durchgehen lassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bitte Sie, sich intensiv anzuschauen, was sich im Moment in diesem Zusammenhang in einigen afrikanischen Ländern abspielt. Dies betrifft nicht nur Uganda. Es gibt diese Tendenzen – darüber haben wir oft gesprochen – auch in der Demokratischen Republik Kongo und in anderen Ländern. Es gibt dazu – das wusste ich gar nicht – seit 1962 eine Gesetzgebung in Kamerun. Eine aus meiner Sicht klare Botschaft ist: Homophobie, die Verfolgung von LGBTI-Menschen ist nicht nur in Deutschland, wo die Strafbarkeit von homosexuellen Handlungen noch nicht sehr lange abgeschafft ist, sondern auch in Afrika eine ganz wichtige Angelegenheit. Hier müssen wir weiter ansetzen. Wir müssen nicht nur Frau Nkom, die mir gesagt hat, dass sie sich gefährdet fühlt, sondern allen Betroffenen dieser Menschenrechtsverletzungen im Zweifel Hilfe und Unterstützung an-bieten. Das bedeutet auch, denjenigen, die sich damit -befassen, in den Ländern, in denen sie arbeiten, konsularischen und Botschaftsschutz zu gewähren. Sie machen eine ganz wichtige Arbeit in diesem Feld, auch für uns und unsere Werte. Ich finde, das sollten wir insgesamt ganz massiv unterstützen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was lehren uns die Anträge und all die Erklärungen, die wir in den letzten Wochen und Monaten hier abgegeben haben? Ich – Sie haben das gemerkt – sehe die Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent insbesondere unter dem menschenrechtlichen Aspekt. Ich sage: Die Wahrung der Menschenrechte dort wie auch bei uns ist die Basis für vernünftige Beziehungen. Die Basis für vernünftige Beziehungen ergibt sich aber nicht aus Entwicklungen, die wir anderen Nationen, anderen Ländern aufgeben, sondern aus freiwilligen Vereinbarungen in den großen menschenrechtlichen Verträgen. Ich finde, es ist unsere Verpflichtung, auch hier im Parlament darauf hinzuweisen. Ich sage – allerdings nicht mit erhobenem Zeigefinder, sondern in dem Bewusstsein, dass die Umsetzung und Durchsetzung der Menschenrechte in Europa und Deutschland vom Zeitalter der Aufklärung bis zur Einführung des demokratischen Wahlrechts nach dem Ersten Weltkrieg immerhin 250 Jahre gedauert hat –: Wir sollten von diesen Nationen und Menschen nicht erwarten, dass sie innerhalb von wenigen Wochen und Monaten das erreichen, wofür wir und unsere Vorfahren jahrzehntelang gekämpft haben. Wir sollten einen Diskurs führen und durch gemeinsame Anstrengungen dafür sorgen, dass Grundrechte und Menschenrechte weltweit Geltung haben. Dafür sind sie geschaffen worden. Das ist der konstruktive Beitrag, den ich meine, wenn ich sage: Deutsche Interessen gibt es in der ganzen Welt. Ein Teil der deutschen Interessen besteht darin, dazu beizutragen, dass alle Menschen auf dieser Welt unter den gleichen Voraussetzungen, nämlich der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, leben und ihre Würde erhalten bzw. bekommen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat der Kollege Frithjof Schmidt das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei große Themen werden beim vierten EU-Afrika-Gipfel in Brüssel im Zentrum der Gespräche über die politischen Konflikte stehen – es ist wichtig, dass man darüber spricht, dass es da richtige Konflikte gibt –: Viele afrikanische Länder wollen erneut über ihre Kritik an den Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen reden. Sie erinnern sich vielleicht: Der Gipfel 2007 wäre darüber fast geplatzt. Seitdem gibt es hierzu eine lange Geschichte der Auseinandersetzung; sie kommt zurück und holt uns ein. Die afrikanischen Länder wollen keine zu große Marktöffnung, weil sie dann die Existenz ganzer Wirtschaftszweige und damit ihre Stabilität gefährdet sehen; mein Kollege Uwe Kekeritz ist darauf schon ausführlich eingegangen. Die Europäische Union will eigentlich nicht darüber sprechen. Sie wird es aber tun müssen. Sie wird begreifen müssen, dass es dabei auch um Stabilität geht. Die EU will unter anderen Aspekten über Stabilität reden: zum einen über afrikanische Sicherheitsstrukturen – und da im Kern über militärische Fragen – und zum anderen über Migration, das heißt über die große Zuwanderungswelle über das Mittelmeer nach Europa mit ihren vielen Opfern. Dass es wieder einmal im Vorfeld diese Konflikte über die Tagesordnung gegeben hat, zeigt schon vorab, dass der Dialog mit den afrikanischen Staaten seit 2007 durch die Handelspolitik schwer belastet wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das belastet natürlich auch die notwendige Debatte über Frieden und Sicherheit. Es ist sinnvoll, mit der Afrikanischen Union gemeinsam an einem sicherheitspolitischen Konzept für den Krisenbogen in Subsahara-Afrika von Mali über Zentralafrika bis nach Somalia und bis zur Region der Großen Seen und dem Kongo zu arbeiten. Aber eine gemeinsame europäische politische Idee oder Initiative dafür ist bisher nicht erkennbar. Stattdessen soll anscheinend einfach die African Peace Facility umgebaut werden: zu einem Instrument der verstärkten Militärausbildung und einer anderen Lastenteilung bei Militäreinsätzen im Auftrag der Afrikanischen Union oder vielleicht auch der Europäischen Union. Frau Merkel hat das gestern „Ertüchtigungsinitiative“ genannt – ein interessantes Wort. (Heiterkeit des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist eine politische Sackgasse. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das treibt ein jahrelanges Umfunktionieren dieser ehemaligen Institution zur Friedensförderung zu einer Art Dachverband der Militärkooperation auf die Spitze. Die African Peace Facility wird aus dem Europäischen Entwicklungsfonds finanziert. Ihre Aktivitäten gelten als Entwicklungshilfeleistung, zertifiziert vom DAC in Paris. Es ist in der Europäischen Union schlicht rechtswidrig, solche Gelder für Militärausbildung zu verwenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im Antrag der Koalitionsfraktionen kann man dazu konkret kein Wort lesen. Sie ignorieren diesen zentralen Streit. Wie stehen Sie zu diesem Umfunktionieren? Unterstützen Sie das? Herr Minister Müller, was ist denn Ihre Meinung? Wollen Sie das wirklich mitmachen? Das wäre absurd; denn dann würden wir mit Entwicklungshilfegeldern direkt Soldatinnen und Soldaten finanzieren. Das geht doch nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Da wäre doch ein grüner Antrag schön gewesen!) Sicherheitspolitik und Entwicklungspolitik dürfen nicht finanziell vermischt werden, und die Kooperation in beiden Feldern darf auch nicht indirekt mit handelspolitischem Wohlverhalten verbunden werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will noch zum dritten großen Streitthema des Gipfels kommen: zum Umgang mit der rasch wachsenden Migration zwischen Afrika und Europa. Dass Sie auf dieses wichtige Thema in Ihrem Antrag fast gar nicht eingehen, sagt schon etwas aus. Auch diesen Konfliktpunkt des Gipfels ignorieren Sie, wenn es konkret wird. Dabei sterben nach wie vor täglich Menschen im Mittelmeer. Da gibt es massiven Handlungsbedarf. Die Grenzüberwachung durch Frontex muss grundlegend verändert werden. Es ist notwendig, dass sich Frontex an die internationale Seenotrettungskonvention hält. Das muss durchgesetzt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist hier vorhin gesagt worden: Das machen sie. – Aber wir alle wissen: Das machen sie eben nicht konsequent, nicht immer und nicht wirklich. Wenn die Frage gestellt wird: „Wann ist ein Schiff in Seenot?“, dann sagen die Polizeioffiziere von Frontex: Wir haben eine Richtlinie; es ist in Seenot, wenn es unter der Wasserlinie ist. – Aber wenn es kurz vorm Sinken ist, dann darf man es nicht retten? Da läuft etwas ganz grundlegend schief. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Wir brauchen zusätzlich eine Agentur, die sich europaweit um die Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten kümmert und sich als deren Anwältin versteht. Doch bei Migration geht es nicht nur um die Frage der Flüchtlinge. Den afrikanischen Staaten ist es wichtig, die positiven Seiten einer legalen Arbeitsmigration nach Europa in den Vordergrund zu stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Eine legale, befristete Arbeitsaufnahme in Europa muss möglich sein. Das ist eine Frage der Ursachenbekämpfung. Wir müssen es deutlich erleichtern, eine begrenzte Arbeitserlaubnis zum Beispiel für Saisonarbeiter zu erteilen. Der Bedarf ist da, auf beiden Seiten des Mittelmeers. Wir müssen hier dringend neue Wege gehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Davon ist bei der Vorbereitung des Gipfels in Brüssel leider wenig zu erkennen. Wir hoffen, dass im direkten Dialog mit den afrikanischen Staaten doch noch Bewegung in diese Richtung aufkommt. Dafür hätten Sie auch unsere Unterstützung. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun der Kollegin Dagmar Wöhrl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Wochen beherrschen die Entwicklungen in der Ukraine und insbesondere auf der Krim die Nachrichten. Viele sagen, wir stünden davor, in die alte Politik des Nullsummenspiels zurückzufallen, ganz im Sinne der harten Realpolitik der 60er-Jahre, wo es nur Gewinner und Verlierer geben konnte. Ich glaube, sagen zu können: Wir als Deutsche und Europäer werden uns nicht in die Rolle des Kalten Kriegers zurückdrängen lassen. Viele deuten das als Zeichen der faktischen Schwäche. Ich würde sagen: Es zeigt, dass Europa diplomatische Stärke hat. Die tragende Säule unserer Partnerschaften in der Welt war und ist unsere Werteorientiertheit. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Werteorientiertheit?) Auch der jetzt vor uns liegende EU-Afrika-Gipfel gibt uns die Möglichkeit, zu zeigen, dass wir weiterhin eine kooperative Weltpolitik praktizieren und so echte Partnerschaften ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, 14 Jahre ist es nun her, seit der erste EU-Afrika-Gipfel im Jahr 2000 stattgefunden hat. Afrika ist ein Kontinent der permanenten Veränderungen; er ändert sich manchmal schneller als unser eigenes Bild von ihm. In dieser Zeit gab es viele Katastrophenmeldungen, es gab aber auch viele Erfolgsmeldungen. Bei Katastrophenmeldungen denken wir an die große Dürrekatastrophe in der Sahelzone 2012. Nur fünf Jahre vorher gab es in dieser Region große Überschwemmungen und dadurch eine hohe Obdachlosigkeit. In Nordafrika waren wir in den letzten drei Jahren Zeuge des größten demokratischen Aufbruchs, den man sich überhaupt vorstellen kann. Der Arabische Frühling hat auf der ganzen Welt enorme Hoffnungen geweckt. Tunesien hat sich gerade eine der fortschrittlichsten Verfassungen der arabischen Welt gegeben und so in Bezug auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau neue Maßstäbe gesetzt sowie Glaubensfreiheit und Bekenntnisfreiheit verankert. Solche Fortschritte hat man sich vor ein paar Monaten noch nicht vorstellen können. Es gibt auch eine andere Seite. In Ägypten beispielsweise scheint sich die Uhr zurückzudrehen. Hier prägt das Militär die Politik. Nehmen wir das Beispiel Demokratische Republik Kongo. 2003 wurde ein Friedensabkommen verabschiedet, 2007 war das schon wieder obsolet, der Dritte Kongokrieg begann. Nehmen wir als Beispiel die Zentralafrikanische Republik, die ich letzte Woche gemeinsam mit dem Minister besucht habe: 20 Jahre nach dem Genozid in Ruanda ist vor den Augen der Weltöffentlichkeit einer der größten Konflikte zwischen Muslimen und Christen entbrannt. Ein Versöhnungsprozess liegt in ganz weiter Ferne, und es ist auch nicht möglich – das kann man sich nicht vorstellen –, einen Versöhnungsprozess in Gang zu setzen, weil es keine funktionierende Justiz, keine entsprechenden Strukturen gibt. Der Wiederaufbau dieses Landes wird Jahrzehnte dauern. 14 Jahre nach dem ersten EU-Afrika-Gipfel und kurz vor dem vierten Gipfel ist es wichtig, dass wir zurückblicken. Aber wir sollten uns auch fragen: Wo steht Afrika heute? Wie ist das Afrika von 2014? Wie hat sich der Kontinent gewandelt? Welches Afrika-Bild haben wir? Wie soll die Partnerschaft zwischen Europa und Afrika künftig gestaltet werden? Wenn wir ein ehrliches Bild von Afrika wollen, dann müssen wir auch einen ehrlichen Blick zulassen. Das Bild von Afrika ist weder schwarz noch weiß, sondern unwahrscheinlich bunt. Seit dem Jahr 2000 haben sich die Malariafälle um 75 Prozent reduziert. 2002 erhielten nur 50 000 Menschen Arzneimittel gegen HIV und Aids, inzwischen sind es 7,5 Millionen. Die Kindersterblichkeit ist rapide zurückgegangen: um 41 Prozent in 20 Jahren. Das ist immer noch zu hoch, trotzdem ist das eine der spektakulärsten Erfolgsgeschichten unserer weltweiten Entwicklungspolitik. Afrika ist ein Magnet für ausländische Direktinvestitionen. Sie haben sich seit 2003 verdreifacht. Allein 2012 wurden 46 Milliarden Euro in diesen Kontinent investiert. Der Minister hat es vorhin angesprochen: Von den zehn am schnellsten wachsenden Ländern sind sechs aus Afrika. Es wird mit einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 6 Prozent gerechnet. Afrika ist also auch ein Chancenkontinent. Die Liste der Erfolgsgeschichten und Katastrophenmeldungen könnte nicht vielfältiger sein, ebenso wie der Kontinent nicht vielfältiger sein könnte: 54 Länder, 885 Millionen Menschen, 3 000 Bevölkerungsgruppen und 2 000 Sprachen. Wie sieht unsere Rolle, wie sieht die Rolle der EU in Afrika künftig aus? Wer, wenn nicht wir in Europa, kann aufgrund der geografischen Nähe, die wir zu unserem Nachbarkontinent haben, und aufgrund der eigenen Geschichte ein ernsthafter Partner Afrikas sein? Was sind die Ursachen für das permanente Auf und Ab in Afrika? Sind es die Naturkatastrophen, von denen der Kontinent Afrika immer wieder heimgesucht wird? Nein, es sind die Menschen, die für Licht und Schatten Verantwortung tragen. Alle Erfolge und auch die meisten Misserfolge, die ich eben erwähnt habe, sind von Menschen gemacht. Menschen sind es aber auch, die vor Ort lokale Lösungen schaffen für lokale Probleme, die schon seit Jahrzehnten bestehen. Deswegen begrüße ich das Motto des diesjährigen Gipfels: „Investing in People, Prosperity and Peace“. Beachtenswert finde ich, dass die Afrikaner das Wort „People“ auf die Tagesordnung gesetzt haben. Wir sind immer für Hilfe zur Selbsthilfe, aber das darf nicht nur ein leerer Slogan sein. Wir wissen, dass 50 Prozent der jungen Menschen in Afrika jünger als 18 Jahre sind. In sie muss investiert werden. Wenn uns das gelingt, dann sind langfristig auch Prosperity und Peace möglich. Wo führt unsere Partnerschaft wirtschaftlich, kulturell und menschlich hin? Europa ist nach den USA und China der wichtigste Markt für afrikanische Exporte. Umgekehrt repräsentiert Afrika nahezu 10 Prozent des Außenhandels der Europäischen Union. Neben den vielen Milliarden, die nach Afrika geflossen sind, war es für uns immer wichtig, unser Know-how, unser technisches Wissen und unsere Erfahrungen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung zu transferieren. All das hilft, den Kontinent mit aufzubauen. Unser Ziel ist es und wird es immer sein, die Abhängigkeit von Entwicklungsgeldern, die teilweise immer noch besteht, abzubauen. Transparenz, Gleichberechtigung, politische Teilhabe – das ist unsere Vision von Partnerschaft. Der Hass gegenüber Homosexuellen in Uganda, die Homophobie, und die beispiellose Hetzjagd dort – das haben meine Kollegen schon angesprochen – dürfen in unserer Partnerschaft absolut keinen Platz haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen ist es wichtig und richtig, dass die Auszahlung der nächsten Tranche der EU-Budgethilfe von 20 Millionen Euro für Uganda zurückgestellt worden ist. Wir haben eine Vision für Afrika. Afrika ist ein Kontinent der Chancen, der Potenziale, der enormen Möglichkeiten. Wir müssen in die Menschen investieren, damit sie fähig sind, die Zukunft ihres Kontinents selbst in die Hand zu nehmen. Die derzeitige Schulbildung reicht dafür aber nicht aus. Wir müssen viel mehr auf Qualität setzen. Es nützt nichts, wenn die Kinder endlich die Schule besuchen, aber nach fünf Jahren Schulbesuch immer noch nicht rechnen und schreiben können. Wir müssen auf eine bessere Qualität hinarbeiten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Nelson Mandela hat gesagt: Bildung ist die mächtigste Waffe, um die Welt zu verändern. – Ich glaube, auf der Bildung muss zukünftig der Schwerpunkt liegen. Wir wollen der Bevölkerung Afrikas, insbesondere den jungen Menschen, gute Gründe geben, zu Hause zu bleiben und ihr Land aufzubauen und nicht Leib und Leben zu riskieren, indem sie sich auf kleine Flüchtlingsboote quetschen, um nach Europa zu kommen. Herr Minister, wir wünschen Ihnen das Beste. Wir werden Sie beim EU-Afrika-Gipfel unterstützen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, Sie müssen nun aber wirklich zum Schluss kommen. Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Ich wünsche mir nur eines, liebe Kolleginnen und Kollegen: dass wir es wirklich schaffen, bei diesem EU-Afrika-Gipfel hinsichtlich Migration, Post-2015, Klimawandel und ländliche Entwicklung zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Ich hoffe auf konkretere Ergebnisse als die, die der letzte Gipfel hervorgebracht hat. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Engelmeier-Heite hat für die SPD-Fraktion als nächste Rednerin das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michaela Engelmeier-Heite (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach Kairo, Lissabon und Tripolis geht es nun Anfang April erneut um die weitere Zusammenarbeit zwischen der EU und den afrikanischen Staaten, und zwar – das möchte ich in aller Deutlichkeit betonen – um die partnerschaftliche Zusammenarbeit der beiden Nachbarkontinente. Ich betone das insbesondere mit Blick auf den Antrag der Fraktion Die Linke. In diesem stellen Sie den bevorstehenden EU-Afrika-Gipfel in eine neokoloniale Ecke. Ich meine, Sie tun unseren afrikanischen Partnern unrecht, indem Sie sie dadurch implizit als schwächere Seite erscheinen lassen, die auf eine rein von europäischen Interessen geleitete Seite trifft. Das ist eine ganz schön arrogante Haltung, meine ich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nein, in Brüssel trifft nicht ein schwaches Afrika auf ein allmächtiges Europa. Vielmehr treffen sich im kommenden Monat die Vertreterinnen und Vertreter eines starken und selbstbewussten Kontinents, eben Afrikas, mit denen Europas, um die zum großen Teil bereits erfolgreiche Zusammenarbeit seit 2007 zu evaluieren und über die Vertiefung der zukünftigen Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu verhandeln. Ich freue mich, dass kein schwaches Afrika auf ein überstarkes Europa trifft. Das zeigt, dass unsere entwicklungspolitischen Bemühungen durchaus erfolgreich waren und sind, zeugen sie doch von einer sozialdemokratischen Ausrichtung der deutschen Entwicklungspolitik: weg von der Nehmer-Geber-Charakterisierung hin zu einer partnerschaftlichen Beziehung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir legen auch weiterhin großen Wert darauf, die afrikanischen Staaten als gleichwertige Partner bei der Festlegung gemeinsamer Aufgaben und gemeinsamer Ziele zu betrachten. Bei aller ernstgenommenen und zum Teil auch berechtigten kritischen Betrachtung der Fehler in der Vergangenheit betrachten wir den kommenden Gipfel der Europäischen Union und Afrikas als Chance. Das ist eine Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, und das ist eine Chance für neue Impulse in der entwicklungspolitischen Partnerschaft. Dabei bauen unsere afrikanischen Partner insbesondere auf Deutschland. Sie erwarten gerade von uns besondere Impulse für eine nachhaltige Entwicklungspolitik auf ihrem Kontinent. Deutschland und Europa stehen nicht nur in der Pflicht, gemeinsam mit ihren afrikanischen Partnern das gemeinsame Engagement festzulegen und auszubauen; Deutschland und Europa teilen mit ihren afrikanischen Partnern auch das gemeinsame Interesse, die offenen und neuen Herausforderungen gemeinsam anzupacken. Diese Herausforderungen sind nicht zu unterschätzen. Daher begrüßen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den vereinbarten Schwerpunkt „Investieren in Menschen, in Wohlstand und in Frieden“ des kommenden EU-Afrika-Gipfels. Insbesondere der Punkt Frieden ist von zentraler Bedeutung für die Entwicklung des afrikanischen Kontinents. Bewaffnete Konflikte zerstören nicht nur unsere gemeinsamen Entwicklungsbemühungen, sondern sie verhindern sie auch auf lange Zeit, nicht nur für die Dauer des Konflikts, sondern auch in den Folgejahren. Leidtragende dieser Konflikte sind vor allem Frauen und Kinder. Sie sind auch die Leidtragenden in den fragilen Staaten. Dort sind sie von Unterdrückung, mangelnder Beachtung ihrer Rechte und mangelnden Partizipationsmöglichkeiten betroffen. Dabei wissen wir doch alle, dass gerade Frauen eine ganz wichtige Rolle in der Entwicklung der Länder einnehmen und einnehmen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang einen kleinen Blick nach Ruanda. Ruanda ist das Land mit dem höchsten Anteil an Frauen im Parlament – à la bonne heure! Aus diesem Grund müssen wir unser besonderes Augenmerk auf die Förderung von Frauen und Kindern legen. Sie sind es, in die wir investieren müssen. Die Punkte 6 und 11 unseres Antrages betonen unsere Forderung, Perspektiven nicht nur für junge Männer, sondern auch für junge Frauen zu schaffen und allen Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich brauche nicht hervorzuheben, dass Bildung der Schlüssel zu einer zukunftsfähigen Entwicklung ist. Jegliche Investition in Frauen und Kinder muss daher immer als eine Investition in eine nachhaltige Entwicklung und als eine Investition in die Zukunft angesehen werden. Mit Punkt 11 streben wir die explizite Förderung von Frauen als wesentliche Motoren für nachhaltige Entwicklung in unseren Partnerländern an. Die Bundes-regierung wird hierin aufgefordert, beim anstehenden Gipfel auf die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Mädchen, auf den Schutz vor jeglicher Form von Gewalt und auf den Zugang zu Bildung, Eigentum und guten Arbeitsplätzen hinzuwirken. Frauen sollen darüber hinaus künftig stärker an allen Kooperations- und Entscheidungsprozessen aktiv beteiligt werden. An dieser Stelle betone ich noch einmal unseren Wunsch und unser Streben, die Kräfte Afrikas zu mobilisieren und zu stärken, damit wir, Europa und die Welt, unseren afrikanischen Partnern auf Augenhöhe begegnen. Ich möchte nochmals auf den bereits erwähnten Gipfelschwerpunkt „Investieren in Menschen, in Wohlstand und in Frieden“ und damit auf aus meiner Sicht wichtige Aspekte zurückkommen. In Entwicklungsländern sterben täglich etwa 800 Frauen an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt. Es bedarf sicherlich keiner weiteren Erläuterung, wenn ich darauf aufmerksam mache, dass Schwangerschaften, die als Folge sexueller Gewalt, zum Beispiel in Kriegen und gewaltsamen Konflikten, entstehen, für Frauen besonders dramatisch sind. Daher müssen sie unseren besonderen Schutz genießen, aber auch die Kinder, die in Krisengebieten leben. In Art. 6 der UN-Kinderrechtskonvention steht, dass jedes Kind von Geburt an das Recht hat, zu leben. Wir müssen die Ziele der UN-Kinderrechtskonvention unterstützen, um den Kindern in diesen Ländern das Überleben zu sichern. Dazu gehört auch eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung, insbesondere auf unserem afrikanischen Partnerkontinent. Gemeinsam mit unseren afrikanischen Partnern müssen wir dafür sorgen, dass Frauen und Kinder Zugang zu einer menschenwürdigen Gesundheitsversorgung haben. Das Ziel, dass nicht mehr vier von fünf Kindern vor ihrem fünften Geburtstag sterben müssen, müssen wir erreichen. Nach wie vor sind nämlich Lungenentzündung, Komplikationen infolge einer Frühgeburt oder während der Geburt, Durchfallerkrankungen und Malaria mit Abstand die häufigsten Todesursachen. Es sind Fortschritte erreicht worden, aber im Kampf gegen die Kindersterblichkeit wird das UN-Millenniumsziel 4 klar verfehlt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an einen Antrag meiner Fraktion aus der vergangenen Wahl-periode. Sollten wir das darin formulierte Ziel, 2015 zum Jahr der ersten HIV/Aids-freien Generation erklären zu können, erreichen, sind wir einen ganz großen und wichtigen Schritt in die richtige Richtung gegangen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte aber auch noch auf ein weiteres Problem besonders hinweisen: die Registrierung von Kindern. Ebenfalls in der UN-Kinderrechtskonvention ist in den Art. 7 und 8 das Recht verbrieft, dass jedes Kind ein Recht auf seine Identität hat, das Recht hat, zu wissen, wer es ist, zu welchem Staat es gehört und wer seine Eltern sind. Warum ist das so wichtig? Es handelt sich hier nicht nur um einen rein bürokratischen Akt, den man vernachlässigen kann, nein. Weltweit sind rund 230 Millionen Kinder unter fünf Jahren in keinem Geburtsregister eingetragen, mit weitreichenden Folgen: Weder können sie ihre Nationalität nachweisen noch wann sie geboren wurden noch wie sie heißen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, Sie müssen – – Michaela Engelmeier-Heite (SPD): Ja. – In Afrika südlich der Sahara besitzen 56 Prozent der Kinder Geburtsdokumente. In Somalia und Liberia werden aber nur 3 respektive 4 Prozent der Kinder registriert. Eines muss klar sein: Kinder ohne Geburtsschein sind juristisch inexistent und deshalb stärker dem Risiko von Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt ausgesetzt. Nicht registrierte Kinder sind in erhöhtem Maße gefährdet, Kinderhandel, Kinderarbeit oder einem verfrühten Einzug in bewaffnete Konflikte ausgesetzt zu sein. Sie sehen: Es gibt noch viele, vor allem immens wichtige Herausforderungen, denen wir uns auf nationaler Ebene, aber auch auf europäischer Ebene gemeinsam mit unseren afrikanischen Partnern stellen müssen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das war ein hervorragender Schlusssatz. Michaela Engelmeier-Heite (SPD): Der EU-Afrika-Gipfel wird ein Meilenstein auf diesem Weg sein. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält der Kollege Johannes Selle das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Johannes Selle (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit unserem Antrag begleiten wir den vierten EU-Afrika-Gipfel in Brüssel. Dieser Gipfel hat große Bedeutung, unser Antrag ebenfalls. Ich begrüße ausdrücklich, dass wir darüber zu einer Premiumzeit diskutieren können – wie oft haben wir das Thema Afrika in den späten Abendstunden diskutieren müssen! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wer Afrika besucht hat, weiß, dass Afrika ein reicher Kontinent ist. Es ist ein Jammer, dass es nicht gelingen will, den Reichtum dieses Kontinents für die Menschen in Afrika nutzbar zu machen. In diesen Tagen fällt es wieder schwer, die positiven Aspekte zu sehen – zu erdrückend sind die Berichte von Gewalt und Instabilität auf dem afrikanischen Kontinent: chaotische Verhältnisse in Libyen, religiös motivierte „Säuberungen“ in der Zentralafrikanischen Republik, anhaltende Kämpfe und eine wachsende humanitäre Katastrophe im Südsudan. Die Folgen sind verheerend und verstärken den Eindruck von Chaos statt Chancen. Ich möchte an dieser Stelle Bundespräsident Gauck zitieren: Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, wir könnten verschont bleiben von den … Konflikten, wenn wir uns an deren Lösung nicht beteiligen. Flüchtlingstragödien wie die, die uns vor kurzem besonders mitgenommen hat, gibt es nach wie vor. Afrika ist der Nachbarkontinent Europas. Wir sollten es mit unserem geistig-kulturellen Erbe schaffen, den Menschen in Afrika zu würdigen Lebensbedingungen zu verhelfen, in denen sie auch gerne leben – oder sollten wir dazu Anleitung aus entfernteren Regionen benötigen? In vielen Gesprächen mit afrikanischen Gesprächspartnern habe ich immer wieder zu hören bekommen, dass Deutschland gegenüber Afrika nicht so zurückhaltend sein sollte, dass es sich seinem politischen und wirtschaftlichen Gewicht entsprechend mehr engagieren müsse; besonders eindrücklich hat der Außenminister von Togo vor kurzem bei uns im Ausschuss darauf hingewiesen. Das ist ein Appell, der sich gleichermaßen an uns wie an die Wirtschaft richtet. Wir müssen den anstehenden EU-Afrika-Gipfel nutzen, um ein klares Signal auszusenden: das Signal, dass uns an dem Kontinent Afrika sehr viel liegt; das Signal, dass Afrika mit Europa und, bilateral gesehen, Deutschland einen starken Partner an seiner Seite hat. Um die Potenziale des Kontinents im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung ausschöpfen zu können, müssen sich Afrika und Europa gemeinsam einer ganzen Reihe von Herausforderungen stellen. Mit diesem Antrag drücken wir aus, dass wir unser Engagement ausbauen und neue Akzente setzen wollen. Es ist klar, dass staatliche Entwicklungspolitik allein nicht zu den gewünschten Zielen führen wird. Wichtig ist der Ausbau der euro-afrikanischen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. Ohne eine Entwicklung der afrikanischen Wirtschaft gibt es keinen Fortschritt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber gerecht!) Die angestrebten Abkommen für eine Wirtschaftspartnerschaft gehen in die richtige Richtung. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Oh!) Es ist eine Stärke dieses Antrages, deutlich zu machen: Diese Abkommen müssen so ausgestaltet werden, dass sie unseren afrikanischen Partnern zum Vorteil und nicht zum Nachteil gereichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Also Zollsenkungen weg!) Wenn wir von Entwicklung in Afrika sprechen, dann kommen wir an dem Thema „Frieden und Sicherheit“ nicht vorbei. Frieden herzustellen, ist keine einfache Aufgabe. Erst gestern haben wir wieder über eine neue Mission in Somalia gesprochen. Frieden zu erhalten und zu festigen, ist ebenfalls keine einfache Aufgabe. Bei der Mehrzahl der Konflikte, die wir heute in Afrika erleben, handelt es sich um innerstaatliche Auseinandersetzungen, in denen nicht selten ehemalige Nachbarn aus religiösen oder ethnischen Gründen oder vielleicht auch nur aufgrund des Ressourcenmangels aufeinander losgegangen sind. In derartigen Post-Konfliktsituationen werden der beste Friedensvertrag und die schönsten Entwicklungsprojekte nur wenig Bestand haben, wenn die tiefen Gräben nicht überbrückt werden können. Genau dieses erleben wir gerade im Südsudan. In der Euphorie über die 2011 erzielte Unabhängigkeit wurden 40 Jahre Bürgerkrieg nie aufgearbeitet und Verantwortliche nie zur Rechenschaft gezogen. So war es der politischen Elite im vergangenen Jahr möglich, alte Wunden in der Bevölkerung für ihren Machtkampf zu instrumentalisieren und eine noch immer andauernde Welle ethnischer Gewalt loszutreten. Vor dieser grundsätzlichen Problematik stehen wir auch in Mali, in Libyen und in der Zentralafrikanischen Republik. Wenn Entwicklungen in diesen Regionen eine Chance haben sollen, dann müssen umfassende Aussöhnungsprozesse und eine intensive Aufarbeitung der Geschichte den Boden dafür bereiten. Darauf sollten wir auch in unserer Zusammenarbeit achten. Aus diesem Grund bin ich dankbar, dass in unserem Antrag auch die Bereiche Kultur und Medien vorkommen. Kultur und Medien gehören dazu, wenn Gesellschaften auf Augenhöhe miteinander umgehen wollen. Als leuchtendes Beispiel möchte ich das Rwanda Media Project nennen, ein Projekt, das die Unterstützung des BMZ, der GIZ und der Deutschen Welle hat. Ruanda ist es wichtig, die Bereiche Kultur und Medien für die Entwicklung zu nutzen. Aussöhnung ist die große Leistung Europas in den vergangenen Jahrzehnten, eine Leistung, die heute vielen unserer afrikanischen Partner als Vorbild dient. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Jawohl!) Wir können die gewachsene Bedeutung Afrikas für uns und für die EU am besten dadurch deutlich machen, dass die Aktivitäten, die sich aus dem Gipfel und aus unserem Antrag ergeben, eine politisch hochrangige Unterstützung in der Arbeitsphase erhalten. Die permanente hochrangige politische Begleitung ist eine Voraussetzung für das Gelingen und für signifikante Fortschritte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Frank Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren die Vorbereitung und die erwünschten Inhalte des EU-Afrika-Gipfels in wenigen Tagen. Es ist hier einiges zu dem Antrag der Linken gesagt worden. Wir sind nicht nur nicht sehr fröhlich darüber, sondern auch hier fiel mir das Wort „Augenhöhe“ ein; denn ich glaube, wir müssen hier ordentlich miteinander arbeiten. Das Bild, das Sie von Afrika haben, haben wir – auch ich persönlich – nämlich ganz sicher nicht. (Beifall des Abg. Charles M. Huber [CDU/CSU]) Wir haben in den Reden immer wieder gehört: Partnerschaft und Augenhöhe. Das steht in unserem Antrag. Sie haben das offensichtlich nicht gelesen. Es geht uns darum, dass wir gemeinsam etwas entwickeln. Gerade dieser immer wieder so genannte „Chancenkontinent Afrika“ bietet hier sehr viele Möglichkeiten. Erst gestern Nachmittag sprach ich mit einigen Vertretern der Stiftung Partnerschaft mit Afrika, die das von Bundespräsident Köhler geförderte Programm COMENGA durchführt. Hier treffen sich Deutsche und Afrikaner. Sie reden und arbeiten miteinander, und das Wesentliche ist: Sie entwickeln gemeinsam ein Konzept. Dieser Ansatz, Partner beider Seiten ernst zu nehmen und mit einzubeziehen, ist meiner Meinung nach kon-struktiv und ein ausgezeichneter Ausdruck von Partnerschaft. Das ist ein wunderschönes Beispiel dafür, wie wir diesen Gipfel angehen. Dr. Katja Böhler von der Stiftung Partnerschaft mit Afrika sagte: Augenhöhe zu leben, bedeutet, dass deutsche, europäische und afrikanische Partner von der Konzeption bis zur Umsetzung zusammenarbeiten. – Genau das passiert unter anderem – wenn auch am anderen Ende der Skala – für und in Vorbereitung auf diesen EU-Afrika-Gipfel. Dieser Gipfel ist einmal mehr die Chance für einen Austausch und das Finden gemeinsamer Positionen – nicht nur in der übernächsten Woche, sondern auch jetzt in der Vorbereitung – sowie die Stärkung und den Ausbau partnerschaftlicher Beziehungen. Welche Themen im Zusammenhang mit diesem Gipfel – wir haben von dem einen oder anderen gehört, wo er die Prioritäten setzt und was sich in unserem gemeinsamen Antrag wiederfindet – sind besonders wichtig? Ein wichtiges Thema – das ist der erste Punkt – ist hier Bildung; dazu ist schon eine ganze Menge gesagt worden. Die afrikanischen Länder haben das Wort „people“ in den Vordergrund gestellt; wie gesagt: die afrikanischen Partner. Nach Aussage des Europäischen Auswärtigen Dienstes, EAD, könne von afrikanischer Seite im Rahmen des Gipfels mit einer konkreten Initiative im Bereich Bildung gerechnet werden. Gemeinsame Impulse werden auch durch das begleitend stattfindende Jugendforum erwartet. Der zweite Punkt, der mir persönlich sehr wichtig ist, ist das Thema Migration. Wir können nicht nur unsere Mittel, sondern auch die Entwicklungszusammenarbeit insgesamt nutzen, um die Sicherheit und den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten durch entsprechende Maßnahmen zu verbessern. Ich bin auf die angekündigte separate Gipfelerklärung zu diesem Thema gespannt. Ich fordere die Bundesregierung zu mutigen Schritten und Entscheidungen in dieser Hinsicht auf. Der dritte Punkt, der mir persönlich wichtig ist – damit meine ich beide Kontinente, aber auch und gerade unsere Seite –, ist, die Rolle des Privatsektors in der Entwicklungszusammenarbeit zu stärken. Wir brauchen nicht nur kluge Entscheidungen hier in diesem Parlament und von Ihrem Ministerium. Wir brauchen auch unsere Bevölkerung und die Wirtschaft unseres Landes, die wir mitnehmen müssen. Das begleitende Wirtschaftsforum zu diesem Gipfel wird dazu hoffentlich einen guten Beitrag leisten. Insbesondere mit diesen drei Punkten – in unserem Antrag stehen noch viele weitere Punkte – wollen wir der Bundesregierung für ihren Auftritt auf diesem Gipfel Mut machen. Es ist schön, zu sehen, was da an verschiedenen Themen zusammengekommen ist. Ich möchte noch ein Thema, das mich persönlich ganz besonders beschäftigt, ansprechen. Wir wissen, dass das Thema Klima in den nächsten Jahren und in dieser Legislatur eine große Rolle spielt. Ich selber bin Sprecher für das Thema Wasser und habe erlebt, wie an Runden Tischen zum Thema Wasser hier in Berlin die unterschiedlichsten afrikanischen Botschafter zusammenkamen – es waren bis zu 30 Personen – und diskutiert haben, und zwar erlebbar auf Augenhöhe. Dabei haben alle – vielleicht ein Viertel der Anwesenden kam aus Deutschland oder anderen Ländern Europas – miteinander diskutiert: Was könnt ihr einbringen? Was könnt ihr besser machen? In diesen Tagen war das Thema der Nexus, das Zusammenwirken von Ernährung, Wasser und Energie. Ihre ehemalige Staatssekretärin Frau Eid hat dort referiert. Das war ein wirklicher Austausch auf Augenhöhe. Für uns als CDU/CSU und für mich persönlich – das wurde schon von vielen Rednern angesprochen – gilt: Bei aller Gleichberechtigung und Partnerschaft ist uns Deutschen und Europäern die Verknüpfung der Entwicklungszusammenarbeit mit Menschenrechten ganz besonders wichtig. Frau Kofler, Sie haben es erwähnt, und Herr Strässer, auch Sie haben es gesagt: Wir fühlen uns der Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Sie nannten – das geht auch mir sehr nahe – in diesem Zusammenhang die Länder Nigeria, Uganda oder, wie diese Woche mehrfach erwähnt, Kamerun. Ich möchte noch ein anderes Thema nennen – das klang vorhin kurz an –: Religionsfreiheit, und zwar in alle Richtungen. Wir dürfen nicht weiter zuschauen und unkommentiert lassen, dass in der Zentralafrikanischen Republik christliche Milizen mordend durchs Land ziehen; das muss diskutiert werden, da müssen wir etwas tun. Umgekehrt haben wir vom Norden Nigerias erfahren, wie die Boko Haram nicht nur ihre eigenen Reli-gionsgenossen massakriert haben, sondern auch Christen getötet und Kirchen und Moscheen zerstört haben. Ich habe aber auch erlebt, wie Mittel aus der Entwicklungszusammenarbeit an Christen weitergegeben wurden, die diese wiederum mit anderen geteilt haben, um damit Kirchen und Moscheen wieder aufzubauen. Man berichtete mir vor wenigen Wochen, dass ein Pastor einer christlichen Kirche im Norden Nigerias tatsächlich an einem Freitagabend in einer Moschee eine Rede halten durfte. Das ist für mich ein wunderschönes Zeichen, dass Entwicklungszusammenarbeit Menschen trotz aller Unterschiede der Religionen zusammenführen kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich bin für die Priorisierung unseres Themas dankbar, sodass wir, wie Kollege Selle gesagt hat, zur Hauptdebattenzeit unseres Parlaments sprechen können. Ich wünsche mir, dass wir irgendwann nicht mehr nur auf Augenhöhe miteinander reden und Afrika als hilfebedürftigen Nachbarkontinent betrachten, sondern dass wir irgendwann vom großen Bruder Afrika reden. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält der Kollege Charles Huber das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Charles M. Huber (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sicht der Bürger auf Afrika ist in der Regel von den Bildern in den Medien geprägt – das kennen wir alle und haben auch schon mehrfach darüber gesprochen –, das heißt von Bürgerkrieg, Hunger, Korruption und Aids. So kann man sagen: Den „Chancenkontinent Afrika“ im ökonomischen Sinne haben nicht allzu viele auf dem Schirm. Das ist mitunter sicher auch der Tatsache geschuldet, dass, wenn man das Wort Wirtschaft im Zusammenhang mit Afrika bloß erwähnt, einem praktisch postwendend neokoloniale Ambitionen unterstellt werden und einem sofort Begriffe wie Ausbeutung und Vorteilsnahme um die Ohren fliegen. Meine Damen und Herren, so zu argumentieren, mag der Profilschärfung einiger Parteien mit Blick auf deren Wählerschaft dienen. Den Afrikanern hingegen hilft das nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Keine wirtschaftliche Entwicklung bringt keine nachhaltige Stabilität, die dieser Kontinent aber dringend braucht, (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das stimmt!) keine Perspektiven für die Jugend, keine Arbeit für Frauen und Männer, und, perspektivisch gesehen, auch keinen Frieden. Wie verzerrt die Wahrnehmung zum Beispiel beim Thema Hungerbekämpfung in Drittländern ist, zeigt eine Studie der Universität Göttingen. 46 Prozent der Befragten meinten danach, dass allein – wohlgemerkt: allein – eine ökologische Landwirtschaft die Welternährung verbessern würde. Nur 19 Prozent denken, dass dies durch eine Ertragssteigerung in der Landwirtschaft herbeigeführt werden könnte. Wahrlich eine irrwitzige Logik. Die Sozialpsychologie spricht hier von einem sogenannten Halo-Effekt, sprich von einem Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehler, einer Vermengung positiv -besetzter Themen wie hier das Thema Ökologie mit anderen nach dem Motto „Was für die Ökologie gut ist, ist gut für eine verbesserte Welternährungssituation“. Man stelle sich vor: Gar 63 Prozent würden gänzlich dem Umweltschutz Priorität einräumen, wenn es darum ginge, zwischen welchem der beiden Themen man sich entscheiden müsste. Das heißt im Klartext: Einigen von uns erscheint das Liebesleben der Schmetterlinge wichtiger als die Welternährungssituation und die Situation hungernder Menschen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Effizienzsteigerung im Bereich der Landwirtschaft ist der Schlüssel zur Armutsbekämpfung in Afrika. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Deswegen kostet ein Kilo Tomaten in Tunesien 50 Cent und in Westafrika 3 Euro. Warum? Tunesien hat eine besser entwickelte Landwirtschaft, sprich: effizientere Anbaumethoden. Vorhin wurde das Thema Landwirtschaft schon angeschnitten. Frau Hänsel, wenn Sie Afrika in der Realität betrachten, wird deutlich: In der traditionellen Landwirtschaft bewirtschaften Menschen den Acker mit einem Muli statt mit dem Traktor. In der Regel geht es dann auch um saisonale Landwirtschaft. Das heißt, es wird nur zur Regenzeit angebaut. Das kann eine Landwirtschaft nicht dynamisieren. Wenn sich daran nichts ändert, dann haben wir ein Problem mit der Ernährungs-sicherung. Im Allgemeinen sollten Themenbereiche mit Bezug auf Afrika mehr der rationalen Betrachtungsweise und etwas weniger der intellektuellen Folklore unterzogen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Denn auf der anderen Seite des Mittelmeers schlummert eine demografische Bombe. Für 2050 ist für Afrika eine Verdoppelung der Bevölkerung – ich wiederhole: eine Verdoppelung – prognostiziert, die Hälfte davon – das wurde schon angesprochen – unter 18 Jahren. Dazu kommen Wasserknappheit, Klimaveränderung und chronische Engpässe in der medizinischen Versorgung. Das sind wahrlich keine erbaulichen Perspektiven. Mein beschränktes volkswirtschaftliches oder betriebswirtschaftliches Verständnis erlaubt mir, die Feststellung treffen zu können, dass Handel Geld bringt, nicht nur den Europäern, sondern auch den Afrikanern. Wer Produkte verkauft, erwirtschaftet Geld. Er kann dann statt der üblichen 2 Euro pro Tag vielleicht 20 oder 200 Euro pro Tag verdienen und dieses Geld langfristig in eigene Produktionsstätten und Produktionsentwicklungen investieren. Oft stellt das fehlende Know-how in der Produktionsentwicklung ein Problem dar. Dieses Know-how im Sinne der dualen Bildung zu fördern, ist eines der wichtigsten Elemente der Entwicklungszusammenarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein anderes Beispiel: der Export von Milchpulver. Ich kann mich an einen westafrikanischen Frischmilchhersteller erinnern, der nicht dadurch pleitegegangen ist, dass die bösen Europäer Milchpulver in sein Land exportiert haben, sondern dadurch, dass die meisten Leute keinen Kühlschrank hatten und es häufig keinen Strom gab. Das ist echte afrikanische Lebensrealität: wenig bis gar keinen Strom zu haben. Zu den Importzöllen. Oft fallen sogar Hilfsgüter darunter. Diese Zölle nutzen in erster Linie den Eliten, auf die sich einige häufig dann beziehen, wenn man in Afrika die Korruption anprangert. Im Rahmen des vorliegenden Abkommens mit der EU sind nun auf einmal die afrikanischen Eliten gut und die Europäer schlecht; denn der Normalbürger profitiert von niedrigen Preisen und Wettbewerb. Nebenbei gesagt: Afrikanisch-europäischen Subventionen stehen afrikanische Löhne gegenüber, die in der Regel bei 15 Cent pro Stunde liegen. So schnell vollzieht sich hier der Wandel vom Saulus zum Paulus und umgekehrt. Auch die afrikanischen Verantwortlichen selbst müssen aktiver am Aufbau ihrer Volkswirtschaften arbeiten. Manchen gelingt das. Aber ein hoher Prozentsatz der wenigen vermögenden Menschen dort investiert zu wenig im eigenen Land, zu wenig in Produktionskapazitäten und zu viel in rentable Immobilienprojekte in Hauptstadtzentren. Ein effizientes Steuersystem zu implementieren, welches auch gut vernetzte inländische Eliten und nicht nur Exporteure aus dem Ausland zu Abgaben he-ranzieht, wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung; denn einer der Gründe für so manchen kritischen Ansatz einiger afrikanischer Länder in Bezug auf das Abkommen könnte auch dem Protektionismus einiger afrikanischer Politiker zugunsten gutsituierter Unternehmer vor Ort geschuldet sein und weniger den neokolonialen Absichten der Europäer. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Huber, wenn Sie – – Charles M. Huber (CDU/CSU): Ich bin sofort fertig. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wie schön. (Heiterkeit) Charles M. Huber (CDU/CSU): Das wollte ich nicht hören. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich wollte Ihnen gerade anbieten, Sie bei anderer Gelegenheit wieder zur Wort kommen zu lassen, wenn Sie mir versprechen, im Laufe des Vormittags zu Ende zu kommen. (Beifall und Heiterkeit – Niema Movassat [DIE LINKE]: Das ist aber großzügig!) Charles M. Huber (CDU/CSU): Alles in Ordnung. Auf diesen Vorschlag gehe ich ein. Europa ist der größte Geber in der Entwicklungszusammenarbeit; das ist richtig. Dass Rohstoffe ohne Konditionierung auf Menschenrechte nach China oder anderswohin gehen, ist falsch. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Kollege Huber, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen für die weitere parlamentarische Arbeit alles Gute. (Beifall) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/844 mit dem Titel „EU-Afrika-Gipfel – Neue Impulse für die entwicklungspolitische Partnerschaft“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Fraktion der Grünen angenommen. Unter dem Tagesordnungspunkt 16 b geht es um die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/871, diesen Antrag der Fraktion Die Linke abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag mit breiter Mehrheit gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt bzw. die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro Stunde einführen Drucksache 18/590 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Tourismus Auch für diese Aussprache ist nach einer interfrak-tionellen Vereinbarung eine Gesamtdebattenzeit von 96 Minuten vorgesehen. Es wäre schön, wenn sich dieses Zeitmaß, zu dem Sie Ihre Zustimmung gegeben haben, in der anschließenden Debatte auch realisieren ließe, was nicht so einfach ist, wie der Blick auf die Uhr und die Erfahrung der gerade abgeschlossenen Debatte zeigen. – Jedenfalls nehme ich Ihre Zustimmung zu dieser Vereinbarung hiermit zur Kenntnis. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von 2003 bis 2013 sind die Reallöhne in der Bundesrepublik Deutschland um 0,7 Prozent gesunken; das bedeutet 0,7 Prozent weniger für die Arbeitnehmer, obwohl gleichzeitig ein Wirtschaftswachstum von 13,6 Prozent real zu verzeichnen war. Wir haben besonders sinkende Löhne bei denen, die schon niedrige Löhne haben. Ich sage Ihnen: Eine Ursache dafür ist, dass bei uns, obwohl wir seit Jahren dieses Thema debattieren, nach wie vor kein gesetzlicher Mindestlohn vorhanden ist. Deshalb freue ich mich, dass die bei diesem Thema zahlreich anwesende Regierung einen Mindestlohn auf den Weg bringen will. Angesichts der Tatsache, dass das ein zentrales Thema dieser Regierung sein soll, steht die Anwesenheit hier im diametralen Gegensatz zur Bedeutung des Mindestlohns. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das liegt an Ihrem Antrag, nicht am Thema!) Der Mindestlohn ist überfällig. Immer mehr Menschen sind im Niedriglohnbereich. 2012 waren es im Vergleich zu 1995 allein 2,5 Millionen Menschen mehr. Wir haben inzwischen 8,4 Millionen Menschen im Niedriglohnbereich. Da heute Equal Pay Day ist, aber nicht nur deshalb, möchte ich darauf hinweisen, dass es insbesondere Frauen sind, die von diesen Niedriglöhnen betroffen sind. Es ist gut, dass ein Gesetz vorgelegt wurde. Ich finde es auch gut, mit welcher Leidenschaft inzwischen in der Koalition das Thema diskutiert wird. Was ich allerdings ein wenig befürchte, ist, dass zumindest ein Teil der Koalition besondere Leidenschaft den Ausnahmeregelungen widmet und nicht dem schnellen Zustandekommen eines Mindestlohns. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist sehr bedauerlich. Ich möchte Ihnen noch einmal ans Herz legen, warum nach unserer Auffassung diese 8,50 Euro wirklich zu wenig sind und warum wir einen Mindestlohn von 10 Euro dringend sofort bräuchten. Dafür gibt es einige Argumente. Wir wissen, dass mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro die Leute gerade einmal so über das Existenzminimum kommen. Wir wissen aber auch, dass nach einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit 740 000 Menschen, 41 Prozent der alleinstehenden Hartz-IV-Empfänger, trotz einer Vollzeitstelle bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro weiter im Hartz-IV-Bezug wären. Die neueste Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation von 2014 zeigt, dass die Niedriglohnschwelle bei 9,30 Euro liegt. Wenn die Niedriglohnschwelle bei 9,30 Euro liegt, kommt niemand mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro aus dem Niedriglohnsektor heraus. Alle bleiben darin. Deshalb ist es doch logisch, dass 8,50 Euro zumindest dann, wenn man die Leute aus dem Niedriglohnsektor herausbringen will, eindeutig zu wenig sind. Deshalb brauchen wir einen Mindestlohn von 10 Euro. (Beifall bei der LINKEN) Ein weiteres Argument. Wir haben nun auch die Aussage der Bundesregierung, dass 10 Euro notwendig wären, um mehr als die Grundsicherung im Alter zu bekommen, wenn man sein ganzes Leben lang für 10 Euro pro Stunde gearbeitet hat. Wir produzieren also die Leute, die im Alter wieder bedürftig sind. Wir wissen weiter, dass Sie bis 2018 keine Erhöhung des Mindestlohns planen. Die 8,50 Euro Mindestlohn des Jahres 2010 – damals sind die entsprechenden gewerkschaftlichen Forderungen entstanden – werden im Jahr 2017 nach Abzug der Preissteigerungen nur noch 7,38 Euro wert sein. Im Jahr 2017 gibt es also bei weitem mehr Bedürftigkeit als jetzt. Die 8,50 Euro müssten zumindest dynamisiert werden. Daran, dass er nicht dynamisiert wird, übt übrigens auch der DGB heftige Kritik. Ein weiteres Argument. Wir sind das wirtschaftlich stärkste Land in Europa; da liegen 8,50 Euro gerade so im Mittelfeld. Luxemburg, Frankreich, Niederlande, Belgien, Irland – alle liegen mit ihren Mindestlöhnen schon heute darüber. Deshalb sagen wir: Wir brauchen einen Mindestlohn von 10 Euro – sofort. Wir brauchen nach dieser langen Debatte nicht mehr lange herumzudiskutieren; die Debatten sind doch längst gelaufen. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will – das sagen alle Umfragen – 10 Euro und sogar ein bisschen mehr. Nach einer vom Handelsblatt in Auftrag gegebenen Forsa-Umfrage, veröffentlicht am 14. Juli 2013, haben selbst die Manager gesagt, dass 8,50 Euro zu wenig sind. Selbst die Manager haben sich für 8,88 Euro ausgesprochen – im letzten Jahr. Geben Sie sich doch einmal einen Ruck, und knausern Sie an dieser Lohnhöhe nicht so herum! Sie sind eh nicht betroffen; es sind eh die anderen betroffen. Daher könnten Sie an dieser Stelle doch wenigstens einmal das herbeiführen, was die Leute wirklich brauchen, nämlich ein Einkommen, das über der Armutsschwelle liegt – wenigstens das. (Beifall bei der LINKEN) Auch deshalb schlagen wir in unserem Antrag die Koppelung an den Lohnindex vor. Ich weiß überhaupt nicht, wie Sie begründen wollen, dass wir hier im Bundestag beschließen, die Abgeordnetendiäten direkt an den Lohnindex zu koppeln, um damit zu erreichen, dass die Abgeordneten nicht besser-, aber auch nicht schlechtergestellt werden, und dass Sie gleichzeitig diese Ankoppelung an den Lohnindex den abhängig Beschäftigten verweigern, besonders denen, die an der untersten Einkommensschwelle in dieser Republik liegen. Das ist mir so was von unverständlich, und im Übrigen finde ich es auch schofelig. Wie wollen Sie das draußen in Ihren Wahlkreisen begründen? Ich habe den Eindruck, Sie kommen mit den Leuten dort sehr wenig zusammen. (Beifall bei der LINKEN – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist eine starke Unterstellung!) Meine Damen und Herren, geben Sie sich einen Ruck! An dieser Stelle ist noch viel zu verändern. Ich bitte Sie auch, über die von Ihnen geplanten Ausnahmeregelungen nachzudenken. Das Alter 18 Jahre als Untergrenze für den Mindestlohn einzuführen, ist eine Altersdiskriminierung. Ich garantiere Ihnen: Bei Klagen hat diese Regelung vor keinem Gericht Bestand. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Karl Schiewerling, CDU/CSU. Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist nicht die erste Debatte zum Thema Mindestlohn; das wird auch nicht die letzte Debatte zum Thema Mindestlohn sein. Aber es ist wie immer eine Debatte, in der der Kollege Ernst mit blumigen Wörtern ganz viele Nebelbomben so intensiv wirft, dass er hinterher selbst nicht mehr durchblickt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Er hat hier vorgetragen: 747 000 Menschen arbeiten, können aber von dem dadurch verdienten Geld nicht leben und müssen daher aufstocken. – Das ist die erste -Nebelbombe: Unter diesen 747 000 Menschen sind ungleich viele Alleinerziehende, Menschen, die nicht vollzeittätig sind. Auch bei 8,50 Euro Mindestlohn kann man mit einer halben Stelle auf Dauer nicht aus der Grundsicherung herauskommen. (Beifall bei der CDU/CSU) In Deutschland gibt es etwa 50 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte – diese Zahl stammt vom IAB –, die vollzeittätig sind, die alleinstehend sind, die weniger als 8,50 Euro verdienen und damit auf Grundsicherung angewiesen sind. Ich sage Ihnen: Für diese Menschen lohnt es sich, dass wir einen Mindestlohn einführen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Kollege Ernst, Sie haben mit abenteuerlichen Zahlen beschrieben, wer alles einen Mindestlohn braucht. Danach leben jetzt 8,5 Millionen Menschen im Elend. Wenn die Welt so wäre, wie Sie sie beschreiben, hätten Sie bei der letzten Bundestagswahl so viele Stimmen bekommen müssen, dass die Hälfte der Abgeordneten dieses Hauses Linke wären. Tatsache ist, dass die Menschen die Welt anders beurteilen als Sie, und deswegen sind die Wahlergebnisse so, wie wir es erlebt haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das einmal in Demut anerkennen würden. Ich glaube, dass wir in unserer Großen Koalition auf dem richtigen Weg sind. Das, was wir gemeinsam auf den Weg bringen, trägt nicht die Hauptüberschrift „Mindestlohn“, sondern „Tarifpaket“. In dem Tarifpaket wird deutlich, dass für uns die Tarifpartner Priorität haben. Im Mittelpunkt steht zunächst einmal, dass wir das Entsendegesetz so gestalten wollen, dass in Zukunft mehr Branchen ins Entsendegesetz aufgenommen werden und deren dort eingetragene Löhne für allgemeinverbindlich erklärt werden. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Schiewerling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst? Karl Schiewerling (CDU/CSU): Ja, klar. Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Schiewerling, danke, dass Sie die Frage zulassen. – Ist Ihnen bekannt, dass die Bundesagentur mit Datum vom 19. März Folgendes veröffentlicht hat? Zitat: Bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro bleiben nach -Angaben der Bundesagentur für Arbeit auch künftig 740 000 – jetzt kommt es! – Vollzeitarbeitnehmer auf staatliche Unterstützung angewiesen. Wenn das so zutreffend ist – ich gehe davon aus, dass die Bundesagentur das analysiert hat, bevor sie es veröffentlicht –, dann stimmt die Aussage, die ich gerade gemacht habe, dass diese Personen letztendlich auch bei -einem Mindestlohn von 8,50 Euro auf staatliche Unterstützung angewiesen wären. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Kollege Ernst, die Bundesagentur für Arbeit hat mit ihren Zahlen völlig recht. Sie müssen aber die weitere Analyse lesen. Unter den 740 000 befinden sich auch Menschen, die nicht alleinstehend sind, sondern in einem Familien- oder einem anderen Lebensverbund leben und deren Einkommen nicht ausreicht, um ihre vier- oder fünfköpfige Familie zu ernähren, weswegen die Familie oder der Haushalt natürlich auf Grundsicherung angewiesen ist. Selbst mit einem Lohn von 12 Euro kann jemand allein eine Familie nicht ernähren. (Beifall bei der CDU/CSU) Das verbirgt sich hinter den Zahlen. Das ist ein Teil der Nebelbomben, die Sie werfen. Das, was wir auf den Weg bringen, ist das Tarifpaket; ich will an dem Punkt fortfahren. Im Mittelpunkt steht, dass die Tarifverträge Priorität haben. (Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) – Sie können jetzt herumbrüllen, wie Sie wollen; dadurch werden Ihre Aussagen nicht wahrer. Sie werden lauter, aber damit bekommen Sie nicht mehr recht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Frage, um die es geht, ist: Haben bei uns in der Bundesrepublik Deutschland die Ordnungsprinzipien, die ihre Wurzeln in der Verfassung, in Art. 9 Abs. 3, haben – danach sind für die Löhne und Gehälter die Tarifpartner zuständig –, (Beifall der Abg. Jutta Eckenbach [CDU/CSU]) Priorität oder nicht? Wir haben das gemeinsam in der Koalition vereinbart, und so steht es im Koalitionsvertrag. Unter der Überschrift „Gute Arbeit“ geht es gleich los mit: Aufwertung der Tarifautonomie, Erweiterung des Entsendegesetzes, Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen. Das ist der Weg, den wir zuvörderst gehen. Dann haben wir uns dazu entschlossen, dass es ab dem 1. Januar 2015 einen Mindestlohn von 8,50 Euro geben soll. Dieser Mindestlohn soll insbesondere dort gelten, wo keine Tarifverträge vorhanden sind. Die Frage, vor der wir jetzt stehen, lautet, wie wir das konkret ausgestalten. Das wird, glaube ich, relativ zügig beantwortet. Es ist übrigens völlig richtig, dass die Regierungsbank bei der Beratung eines Antrags der Linken nicht stärker besetzt ist. Die Regierungsbank wird voll besetzt sein, wenn wir unser Gesetz verabschieden, weil wir auf das stolz sind, was wir auf den Weg bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, der Mindestlohn, so wie er in der letzten Zeit von den Linken immer propagiert wird, wird sozusagen als Allheilmittel dargestellt. Der Mindestlohn ist kein Allheilmittel. In Ihrem Antrag sagen Sie sogar: Der Mindestlohn muss so hoch sein, dass am Ende nach 45 Beitragsjahren eine Rente dabei herauskommt, die weit oberhalb der Grundsicherung liegt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, nein! Lesen!) Wenn Sie die Lohnpolitik auch noch für die Rente verantwortlich machen wollen, dann möchte ich gern einmal wissen, was die Tarifpartner überhaupt noch zu sagen haben. Sie wollen denen vorschreiben, wie sie es zu machen haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie wollen Rentner in Armut schicken! Das ist die Ansage!) Meine Damen und Herren, wir sind insgesamt auf einem guten Weg, was die Lohnentwicklung angeht; keine Frage. In den letzten Jahren haben wir eine deutliche Veränderung bei den Tarifverträgen hin zu Löhnen und Gehältern, die deutlich über dem Mindestlohn liegen. In den Branchen, wo man immer Probleme hatte, nähert man sich mehr und mehr der Marke von 8,50 Euro; ich könnte zahlreiche Beispiele liefern. Ich bin auch sehr froh darüber, dass Branchen, die bis dahin keine Möglichkeit gesehen hatten oder kein Interesse daran hatten, Tarifverträge auf Bundesebene abzuschließen, mittlerweile solche Verträge abschließen. Ich denke an den durchaus schwierigen Bereich der Friseure, aber auch an den in der Öffentlichkeit als ganz schwierig wahrgenommenen Bereich des Fleischerhandwerks. Ich glaube, dass das, was noch in der letzten Legislaturperiode mit Zustimmung vieler auf den Weg gebracht worden ist, jetzt auch seine Früchte trägt und dass wir damit insgesamt auf einem richtigen Weg sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, mit dem Beschluss, dass die 8,50 Euro am 1. Januar 2015 kommen, wird gleichzeitig – das ergibt sich aus der Tradition der Verantwortung der Tarifpartner – eine Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften kommen, die in Zukunft über die Höhe des Mindestlohnes entscheidet. Das muss dann natürlich durch eine Verordnung der Bundesregierung verbindlich übernommen werden; das ist überhaupt keine Frage. Es liegt aber in der Systematik, dass die Tarifpartner für die Lohnfindung zuständig sind. Wir haben in dieser Koalition gemeinsam einen wichtigen Schritt getan, indem wir ein Paket schnüren, durch das auch klar wird, wie die ordnungspolitischen Linien in Deutschland aussehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Punkte, meine Damen und Herren, die noch offen sind und zurzeit diskutiert werden, werden wir vernünftig miteinander beraten. Das ist überhaupt keine Frage. Man kann unterschiedlicher Auffassung sein. Aus den Reihen des DGB habe ich gestern gehört, dass eine Altersgrenze von 18 Jahren unanständig sei. Ich frage mich da allerdings, was denn Eltern machen, die ihrem 14-jährigen Sprössling, der gerne dies oder jenes kaufen oder ins Ferienlager fahren möchte, sagen: Pass mal auf, verdien dir mal was! Wenn dir dann noch Geld fehlt, geben wir das dazu. Aber streng dich erst einmal an! – Handelt es sich da auch schon um ein Arbeitsverhältnis mit dem 14-Jährigen? Wie gehen wir eigentlich mit solchen Dingen um? Manchmal frage ich mich wirklich, ob wir in der Debatte die Verhältnismäßigkeit der Fragen, die wir hier angehen, im Blick behalten. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Ich glaube jedenfalls, dass wir auch die Frage der Altersgrenze gemeinsam angehen und vernünftig miteinander klären werden. (Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) Dasselbe gilt für das Thema, dass junge Menschen, die eine Ausbildung beginnen, im Schnitt fast 20 Jahre alt sind. Auch das müssen wir miteinander bereden; das müssen wir miteinander klären. Ich bin sicher, dass wir das tun werden. Ich danke Ihnen auf jeden Fall herzlich fürs Zuhören. Gemeinsam werden wir alles dafür tun, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland weiterhin positiv ist. Wir können über Sozialpolitik und Arbeitsmarktpolitik fabulieren, wie wir wollen: Wenn wir keine wirtschaftliche Prosperität haben, wenn es uns nicht weiterhin wirtschaftlich so gut geht wie jetzt, werden viele Dinge, die wir uns vorgenommen haben, keinen Bestand haben. Wir wollen aber, dass sie Bestand haben. Deswegen arbeiten wir gemeinsam daran. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So einfach ist die Welt wirklich nur noch für die Linken: (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Ja!) 10 Euro Mindestlohn sofort, und alle Probleme sind -gelöst: das Mietpreisproblem, das Rentenproblem, das Niedriglohnproblem. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer behauptet denn so etwas?) Ich sage Ihnen einmal, was sofort passieren würde, wenn es Ihren Mindestlohn in Höhe von 10 Euro geben würde: Der Mindestlöhner in München wird weiterhin Wohnkostenzuschüsse beantragen müssen, (Zurufe von der LINKEN) und der Mindestlöhner in Ostdeutschland wird arbeitslos. Herr Ernst, Sie müssen einfach einmal verstehen, dass der Mindestlohn kein sozialpolitischer Tausendsassa ist. Er ist ein Instrument, um Lohndumping zu bekämpfen, und er ist ein Instrument, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Dabei dürfen Sie natürlich den Zusammenhang von Lohnhöhe auf der einen Seite und Arbeitskräftenachfrage auf der anderen Seite nicht völlig außer Kraft setzen. Aber wirtschaftspolitischer Sachverstand gehörte ja noch nie zu den Kernkompetenzen der Grünen. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Eine richtige Erkenntnis zum falschen Zeitpunkt! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genauso ist es!) – Mist, ich meinte: gehörte noch nie zu den Kernkompetenzen der Linken. Also, ich gebe zu: Das war jetzt wirklich ganz doof für mich. Aber geben Sie mir noch einmal eine zweite Chance. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das gehört in die heute-show! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie werden es in die heute-show schaffen!) Lassen Sie mich noch etwas wirklich Wichtiges ansprechen, nämlich den Gesetzentwurf des Ministeriums. Es ist ohne Zweifel ein Etappensieg für die SPD und für Frau Nahles, dass es ihnen gelungen ist, die überbordenden Ausnahmeregelungen, die gefordert worden sind, zumindest im Referentenentwurf außen vor zu halten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Aber man sollte bekanntermaßen, liebe Kollegen von der SPD, den Tag nicht vor dem Abend loben. Das Gesetzgebungsverfahren ist noch lang. Wenn Sie die Zeitungen aufschlagen, können Sie nachlesen, dass die Forderungen nach Ausnahmen nicht vom Tisch sind. Ob wir am Ende einen Mindestlohn haben werden, der tatsächlich alle Beschäftigten vor Lohndumping schützt, oder ob dieses Gesetz durchlöchert wird und damit eine Nie-driglohngrenze unterhalb des Mindestlohns geschaffen wird, werden wir erst bei der Verabschiedung des Gesetzes sehen. Was die Ausnahmen im Referentenentwurf angeht, so will ich Ihnen sagen, dass es für die Ausnahmen für Jugendliche Argumente gibt, die sehr sorgfältig abgewogen werden müssen. Wir Grüne werden dazu ein Fachgespräch führen und das Für und Wider sehr sorgfältig abwägen. Einig sind wir uns allerdings bei dem Ziel: Wir wollen natürlich alle nicht, dass durch den Mindestlohn Anreize geschaffen werden, dass Jugendliche auf Ausbildung verzichten und jobben gehen. Die Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose ist an Absurdität kaum noch zu übertreffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich prognostiziere Ihnen, dass kein Unternehmen mehr einen Langzeitarbeitslosen ohne Lohnkostenzuschuss einstellen wird, und zwar deswegen nicht, weil Sie einen doppelten Anreiz schaffen: Auf der einen Seite bekommt dieser Arbeitslose Lohnkostenzuschüsse, und auf der anderen Seite muss der Arbeitgeber noch nicht einmal den Mindestlohn zahlen. Das ist ein eklatanter Fehlanreiz, der sofort wieder vom Tisch muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber der Gesetzentwurf zum Mindestlohn enthält auch noch weitere äußerst kritische Punkte, die jetzt durch die Debatte über die Ausnahmen weniger Beachtung gefunden haben: Es ist ein riesiger Fehler, dass Sie die Höhe des Mindestlohns bis 2018 einfrieren wollen. 2018 ist der Mindestlohn von 8,50 Euro ungefähr noch 7,50 Euro wert. Wozu setzen Sie eine Mindestlohnkommission ein, wenn Sie sie drei Jahre lang in den Schlafmodus versetzen wollen? Es wäre die Aufgabe dieser Mindestlohnkommission, die Höhe des Mindestlohnes unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und der Lohn- und Preisentwicklung verantwortlich festzusetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was Sie hier machen, ist: Sie treffen eine politische Entscheidung. Gerade die Kolleginnen und Kollegen von der CDU haben immer gesagt: Der Mindestlohn darf nicht politisch festgelegt werden. – Mit dieser Entscheidung legen Sie den Mindestlohn bis 2018 politisch fest. Ferner koppeln Sie die Mindestlöhne von der allgemeinen Lohnentwicklung ab. Damit torpedieren Sie Ihr eigenes Ziel, nämlich dass der Mindestlohn dazu führen soll, dass so wenig Menschen wie möglich zusätzlich auf Hartz IV angewiesen sind. Das ist mit den von mir angesprochenen 7,50 Euro natürlich nicht mehr möglich. Die Kommission, so wie Sie sie konstruieren, hat mit dem britischen Vorbild so gut wie gar nichts mehr zu tun. Sie setzen die Wissenschaftler an den Katzentisch, Sie entziehen ihnen das Stimmrecht. Das Ergebnis ist, dass Sie damit den Mindestlohn eben nicht aus der Kampfarena der Tarifparteien herausholen. Es ist doch die Aufgabe der Mindestlohnkommission, die Wirkung des Mindestlohnes zu evaluieren und wissenschaftsbasiert einen Vorschlag zu erarbeiten. Genau dieses Konzept hat in England zu einer großen Akzeptanz geführt: bei den Arbeitgebern, bei den Gewerkschaften und in der Bevölkerung. Eines kann ich Ihnen sagen: Nur eine derart breite Akzeptanz bietet die Voraussetzung dafür, dass der Mindestlohn auch wirklich durchgesetzt werden kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schade, dass Sie sich diesem Erfolgsmodell nicht anschließen wollen. Wir machen aber noch eine Ausschussreise, um noch einmal mit der Mindestlohnkommission in England zu reden. Ich hoffe, dass Sie auf diese Reise nicht mit einer interessengeleiteten Einsichtsbarriere gehen. Denn dann hätten wir vielleicht noch Chancen, dass sich etwas ändert. Ich komme zum Abschluss. Sehr problematisch finde ich die Ungleichbehandlung zwischen denen, die Tariflöhne bekommen, und denen, die keine Tariflöhne bekommen. Die einen kriegen den Mindestlohn 2015, die anderen kriegen ihn 2017. Ich frage Sie: Was wollen Sie den Beschäftigten des Wach- und Sicherheitsgewerbes, den Wäschereibeschäftigten, den Floristinnen und Floristen, den Gärtnerinnen und Gärtnern und den Tankwarten, die 7,50 Euro in der Stunde bekommen, sagen? Nur weil ihr Lohn in einem Tarifvertrag festgelegt ist, werden sie benachteiligt. Es handelt sich dabei doch aber um genau diejenigen, die sich gewerkschaftlich organisiert und für Tarifverträge gekämpft haben – das wollen Sie doch. Genau die werden jetzt benachteiligt. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Pothmer, Sie haben Ihre Redezeit im Griff, nehme ich an. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme gleich zum Schluss. – Das ist sicher kein Anreizsystem, um das gewerkschaftliche Engagement zu fördern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie sehen: Es gibt noch viele Baustellen. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Sie sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens unseren guten Argumenten nicht verschließen. Wir wollen wirklich, dass der Mindestlohn ein Erfolgsmodell für Deutschland wird. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Bernd Rützel [SPD]: Jawohl, das wollen wir auch: ein Erfolgsmodell für Deutschland!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Als nächstes spricht für die SPD die Kollegin Kerstin Griese. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kerstin Griese (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Pothmer, ich weiß zwar nicht, wie ich das jetzt toppen kann, aber ich werde es versuchen. (Heiterkeit – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es gefährlich! – Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) – Lieber nicht? – Gut. Ich möchte ein herzliches Dankeschön an die Fraktion Die Linke richten, da sie uns mit ihrem Antrag die Gelegenheit gibt, dieses wichtige Thema schon so früh zu diskutieren, und zwar in der Woche, in der von der Regierungskoalition ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht wird. Deshalb ist das ein guter Anlass. Es ist ein wichtiges Thema und eine Herzensangelegenheit für die SPD, einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn durchzusetzen. Dafür haben wir im Wahlkampf gekämpft. Das haben wir versprochen, und das haben wir gehalten. (Beifall bei der SPD) Wir sind froh, dass wir diesen Mindestlohn gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, der CDU/CSU, und – ich will das ausdrücklich erwähnen; denn das ist ein großer Erfolg – auch gemeinsam mit den Gewerkschaften umsetzen und so unser Versprechen halten können. Der Mindestlohn ist ein guter Schritt für viele Menschen in unserem Land und auch ein Erfolg für unsere Ministerin, die das so konsequent und so zielstrebig durchgesetzt hat. Ein herzliches Dankeschön auch dorthin. (Beifall bei der SPD) Wir haben den Mindestlohn versprochen und halten dieses Versprechen. Wir werden die Details in den nächsten Wochen natürlich noch ausführlich beraten. Ich will darauf hinweisen, dass der Mindestlohn ein großer Fortschritt für die Menschen in unserem Land ist. Ich habe nachgeschaut: Allein im Kreis Mettmann in Nordrhein-Westfalen, aus dem ich komme – das ist ein im Durchschnitt wirtschaftsstarker Kreis –, werden etwa 50 000 Menschen positiv von der Entscheidung für einen Mindestlohn betroffen sein. In Nordrhein-Westfalen werden es 1,3 Millionen Menschen und bundesweit 4 bis 6 Millionen Menschen sein, die jetzt endlich einen anständigen Lohn für ihre Arbeit bekommen, auch wenn das nur eine Untergrenze ist und gute Tarife, die darüber liegen, natürlich noch besser sind. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]) In erster Linie ist das ein Erfolg für die Menschen und die Branchen, in denen sie arbeiten. Das gilt auch für die, die in Minijobs arbeiten; denn dort wird viel Missbrauch betrieben. Gerade heute am Equal Pay Day will ich sagen: Es ist auch ein Erfolg für die Frauen, die immer noch in schlechter bezahlten Jobs arbeiten. Auch auf sie wird sich der Mindestlohn positiv auswirken. (Beifall bei der SPD) Der Mindestlohn ist auch ein großer Fortschritt für die Unternehmen, und zwar für die Unternehmen in unserem Land, die anständig zahlen. Denn er bringt mehr Ordnung und mehr Fairness auf dem Arbeitsmarkt. Der Mindestlohn bedeutet für die Unternehmen: Endlich gibt es einen gerechten und fairen Wettbewerb und kein Lohndumping mehr. Die Koalition schlägt einen Mindestlohn von 8,50 Euro vor. Ich wette: Wenn Sie nächstes Jahr mit einem entsprechenden Antrag kommen, Herr Ernst, dann schlagen Sie 12 Euro vor. Das ist ja immer ein Überbietungswettbewerb. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir liegen mit den 8,50 Euro ganz richtig; das ist der Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Wir liegen im europäischen Vergleich genau zwischen Großbritannien mit 7,63 Euro, Irland mit 8,65 Euro und den Niederlanden mit 9,10 Euro. Ich glaube, das ist ein guter und vernünftiger Vorschlag. Ein reiner Überbietungswettbewerb hilft weder den Menschen noch dem Arbeitsmarkt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir schlagen vor, dass künftig – der Kollege Schiewerling hat es schon gesagt – eine Kommission der Tarifpartner, die paritätisch besetzt ist, also mit Vertretern des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, über die weitere Entwicklung des Mindestlohns beschließt. Das machen wir deshalb, weil wir die Tarif-autonomie und die Tarifpartner stärken wollen. Wir wollen nicht weiter im Parlament über den Mindestlohn entscheiden, sondern wir wollen, dass die Tarifpartner dies tun. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Wissenschaft?) Es ist eine gute und kluge Lösung, die wir vorschlagen. Wir wollen, dass es keine politische Festsetzung gibt, sondern eine Festsetzung vonseiten der Tarifpartner. Wie überhaupt das Ziel unseres Gesetzentwurfs ja die Stärkung der Tarifautonomie ist. Deshalb haben wir eine Übergangsfrist von zwei Jahren vorgesehen. Ich muss sagen: Ich kann nicht verstehen, warum Sie sich darüber so aufregen; (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es ungerecht ist!) denn die Übergangsfrist bedeutet doch, dass es endlich in mehr Branchen eine Tarifgebundenheit geben wird. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In der Fleischbranche haben wir das doch gesehen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht darum, was die Menschen im Portemonnaie haben!) Wenn es nicht aufgrund der Mindestlohndebatte Druck gegeben hätte, hätte die Fleischbranche sich doch gar nicht bewegt. Jetzt gilt für sie ein Tarifvertrag, und sie wurde in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen. Der Mindestlohn soll schrittweise auf 8,75 Euro pro Stunde steigen – immerhin. Mit dieser Übergangsfrist wollen wir auch und gerade die Branchen, in denen es noch keine Tarifgebundenheit gibt, auffordern und unterstützen, einen Tarifvertrag abzuschließen; denn darin wird natürlich noch viel mehr geregelt als nur die Lohnhöhe. Deshalb ist das eine gute Sache. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will ausdrücklich sagen: Wichtig ist, dass wir im Vorfeld der Erarbeitung unseres Gesetzentwurfes einen Branchendialog geführt haben. Wir haben im Koalitionsvertrag festgehalten, dass es mit den Branchen, die vom Mindestlohn betroffen sein werden, einen Dialog geben wird. Wir alle haben in diesen Gesprächen viel gelernt. Ich finde, es ist vorbildlich, dass man vorher so intensiv mit den Branchen berät. Die Gespräche haben eines gezeigt: Es gibt ganz -unterschiedlich gelagerte Probleme. Manchmal ist die unterschiedliche Bezahlung ein Ost-West-Problem. Manchmal gibt es Probleme – etwa im Taxigewerbe –, die man gar nicht über den Mindestlohn, sondern nur über Entscheidungen in den Kommunen lösen kann. Oft geht es auch um ganz konkrete Probleme, die man durch begleitende Maßnahmen lösen kann. Das Ergebnis ist – das ist ein großer Erfolg unseres Vorschlags für einen gesetzlichen Mindestlohn –, dass wir keine einzige Branche ausnehmen werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]) Das ist auch deshalb wichtig, weil so kein Missbrauch betrieben werden kann. Wir werden den Branchen, die Probleme haben, beim Übergang helfen. Dann wird es diesen Mindestlohn geben. Ich bin froh, dass der Mindestlohn zum 1. Januar 2015 kommt, mit einer Übergangsfrist bis zum 1. Januar 2017. Dann wird es den Mindestlohn für alle geben: flächendeckend und gesetzlich, beginnend bei 8,50 Euro pro Stunde. Danach werden die Tarifpartner über die weitere Entwicklung entscheiden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir halten, was wir versprechen. Das ist gut für die Menschen, gut für die Arbeitsplätze und gut für die Wirtschaft in unserem Land. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen und ganz besonders auf die Umsetzung dieses Mindestlohns. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Frau Kollegin Griese, auch für die präzise Einhaltung der Redezeit. (Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) Ich erteile jetzt der Kollegin Jutta Krellmann, Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wissen Sie: Gerade wir Linke können machen, was wir wollen – es ist immer alles Mist. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!) – Ich bin noch nicht fertig. – Wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen in Betrieben rede und ihnen sage: „Die Linke fordert 10 Euro Mindestlohn“, dann finde ich niemanden, der sagt, dass das nicht in Ordnung ist, sondern ich bekomme nur Zuspruch. Niemand sagt, dass er einen Mindestlohn in der Höhe, über die im Moment diskutiert wird, möchte. 10 Euro ist richtig, und 10 Euro ist gerecht. (Beifall bei der LINKEN) Der Mindestlohn kommt, sehr verehrte Damen und Herren. Aus unserer Sicht ist er die unterste Haltelinie für alle, genauso wie die unterste Haltelinie im Bundesurlaubsgesetz ist, dass die Menschen Urlaub bekommen. Auch da gibt es keine Abweichung: Bundesurlaubsgesetz ist Bundesurlaubsgesetz. Seitdem wir über den Mindestlohn reden, gibt es aber Debatten darüber, wer alles eine Abweichung braucht und wer alles eine Sonderregelung haben möchte; das ist unglaublich. Das Arbeitgeberlager, die CDU/CSU und das Handwerk fordern seit Wochen Ausnahmen. Ich habe gestern Frühstücksfernsehen geschaut. Da war zu sehen, dass sogar die Spargelbauern in allen möglichen Regionen Abweichungen verlangen, weil sie die Spargelernte sonst, wenn der Mindestlohn eingeführt wird, in andere Länder outsourcen müssen. Das ist doch eine verrückte Geschichte; so etwas geht überhaupt nicht. (Beifall bei der LINKEN) Wir, meine Damen und Herren, sind auch nicht die Ersten in Europa, die einen gesetzlichen Mindestlohn einführen; als 22. Land sind wir fast die Letzten. Nirgendwo hat der Mindestlohn zu Massenarbeitslosigkeit geführt. Dafür gibt es, obwohl alle darüber quatschen, überhaupt keinen Beleg. Das ist auch völliger Schwachsinn; das sind, wie es so nett gesagt wurde, Nebelkerzen. Dabei ist der Mindestlohn in den vergleichbaren europäischen Staaten in der Regel höher als der Mindestlohn, mit dem wir einsteigen werden; das ist eben schon mal gesagt worden. Ein Land, das den höchsten Mindestlohn hat, ist dabei aber leider vergessen worden, obwohl es auch ein Stück weit vergleichbar ist: Luxemburg mit -einem Mindestlohn von 11,10 Euro. Frankreich hat einen Mindestlohn von 9,53 Euro, die Niederlande von 9,11 Euro. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Und wie hoch ist da die Arbeitslosigkeit?) Selbst England hat einen Mindestlohn, der, gemessen in Kaufkraftstandards, höher ist als der, den wir in Deutschland haben werden. (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Können Sie auch die Zahlen zur Jugendarbeitslosigkeit vorlesen?) Noch letzte Woche versprach die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles: Der Mindestlohn kommt ohne Ausnahme. – Jetzt wissen wir: Die SPD ist an dieser Stelle eingeknickt – nichts anderes – und verkauft die vorgesehene Ausnahmeregelung jetzt als Erfolg. (Zuruf von der SPD: Unsinn!) Ausgerechnet für junge Menschen unter 18 ohne abgeschlossene Berufsausbildung soll es keinen Mindestlohn geben. Sie sollen künftig für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden als über 18-Jährige. Damit machen Sie diese jungen Menschen zu Arbeitnehmern zweiter Klasse. Ich habe in der Tarifpolitik dafür gekämpft, dass solche Regelungen aus den Tarifverträgen genommen wurden. Jeder, der sich einmal mit Tarifverträgen im Handwerk beschäftigt hat, kann sich noch daran erinnern, dass fast jeder Handwerkstarifvertrag Lohngruppen für über und unter 18-Jährige hatte. Wir haben lange gebraucht, um dafür zu sorgen, dass das abgeschafft wird, und jetzt wird es durch die Hintertür wieder eingeführt. Das, sehr geehrte Damen und Herren, ist Altersdiskriminierung und überhaupt nicht zu akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN) Angeblich sollen Jugendliche so davon abgehalten werden, lieber einen besser bezahlten Aushilfsjob anzunehmen, statt eine Ausbildung anzufangen. Das ist völliger Quatsch. Frau Nahles und Co sprechen damit den Jugendlichen die Fähigkeit ab, eigene Entscheidungen für ihre Zukunft zu treffen. Die Jugend ist klüger, als wir alle glauben. Ich kenne keinen Jugendlichen, der die Chance hatte, eine Ausbildung zu machen, und sich dann entschieden hat, sie nicht aufzunehmen. Ich denke da an meine Ausbildung: Mein Ausbildungsvertrag sah eine Ausbildungsvergütung von 222 D-Mark vor; nach der Ausbildung hätte ich 1 350 D-Mark verdient. Wenn ich als Angelernter in den gleichen Betrieb gegangen wäre, hätte ich nur 900 D-Mark bekommen. Man muss doch nicht glauben, dass Jugendliche nicht in der Lage sind, auszurechnen, was es für sie bedeutet, wenn sie eine Ausbildung machen: Sie holen die Differenz schnell wieder herein, weil sie nach der Ausbildung mehr verdienen. (Beifall bei der LINKEN) Das Problem ist: Es gibt zu wenige Ausbildungsplätze. 2013 haben nur gut zwei Drittel derjenigen, die einen Ausbildungsplatz wollten, auch einen Ausbildungsplatz erhalten. Es fehlt nicht an der Ausbildungswilligkeit junger Leute; es fehlt an dem politischen Willen der Großen Koalition, für mehr Ausbildungsplätze zu sorgen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Schaffen Sie einen verbindlichen Rechtsanspruch auf eine Ausbildung! Nehmen Sie die Betriebe in die Pflicht! Führen Sie die Ausbildungsplatzumlage ein! Damit würden Sie endlich etwas für die Fachkräftesicherung tun. Stattdessen jammern Sie ständig über den Fachkräftemangel. Es gibt einige Ausbildungsbetriebe, die richtig viel und gut ausbilden. Andere machen nichts außer zu jammern. Bestrafen Sie nicht die Jugendlichen! Das hat mit einem Mindestlohn überhaupt nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Letzter Punkt: Ausnahmeregelungen für Langzeitarbeitslose. Das ist im Grunde – ich habe leider nicht mehr so viel Zeit; deswegen muss ich mich kurzfassen – eine Fortsetzung der Agendapolitik der letzten Jahre. Dass Sie Menschen, die langzeitarbeitslos sind, von dieser Regelung ausschließen, ist nicht erträglich. Frau Pothmer hat bereits ausgeführt, dass das faktisch eine doppelte Unterstützung der Arbeitgeber ist. Das wird eher dazu führen, dass Menschen in Billiglohnjobs gedrängt werden, statt sie aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauszuholen. Deswegen sagen wir: Nein, keine Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose! Das ist zum Ersten nicht gerecht, und zum Zweiten erreicht man damit nicht das, was erreicht werden sollte. (Beifall bei der LINKEN) Gerade demonstrieren Frauen draußen vor dem Reichstag für Equal Pay. Das finde ich total klasse. Aber hier drinnen verwehrt man durch die Ausnahmen beim Mindestlohn gerade den Menschen Equal Pay, die das eigentlich bräuchten, nämlich Jugendlichen und Langzeiterwerbslosen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege Stephan Stracke. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Stracke (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der allgemeine gesetzliche flächendeckende Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro kommt. So haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart, und so wird es umgesetzt. Die Ressortabstimmung über den Gesetzentwurf läuft. Wir machen Politik für die Menschen in unserem Land. Es macht Sinn, die Lebenswirklichkeit der Menschen in den Blick zu nehmen. Wir sind für praxisgerechte Lösungen. Deshalb sind wir mit den Gewerkschaften und Arbeitgebern in einen Dialog getreten, den die Bundesministerin angestoßen hat. Auch wir, die CDU/CSU-Fraktion, stehen mit den betroffenen Branchen im Dialog. Für uns gilt: Harte Arbeit und Leistungswille müssen sich lohnen. Wir als CSU haben immer gesagt: Wer Vollzeit beschäftigt ist, sollte von seiner Arbeit angemessen leben können. Die Menschen in unserem Land sollen von der derzeit positiven wirtschaftlichen Entwicklung profitieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Und so ist es auch: In keinem Industrieland ist die Arbeitslosigkeit zwischen 2007 und 2013 so schnell zurückgegangen wie in Deutschland. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Richtig!) Das ist das Ergebnis unionsgeführter Politik, das ist das Ergebnis guter Wirtschaftspolitik, und genau die wollen wir fortsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu welchem Preis?) Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland profitieren von der guten wirtschaftlichen Entwicklung. Die Gehälter in Deutschland sind in den letzten beiden Jahren um rund 7 Prozent gestiegen bei einer Inflationsrate von 3,5 Prozent. Das zeigt: Die Teilhabe funktioniert sehr gut. Leistung muss fair bezahlt werden. Wir sind entschieden gegen jegliches Lohndumping und Billiglöhne. Aber es ist und bleibt Aufgabe der Sozialpartner, eine faire Bezahlung zu gewährleisten. Dass die Sozialpartnerschaft funktioniert, wurde aktuell in Bezug auf die Fleisch-industrie deutlich. Wir haben viele Diskussionen politisch begleitet und gesagt: „Es muss hier zu Veränderungen kommen“, und genau das ist passiert. Wir werden nun die Fleischindustrie in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen, in dem ein entsprechender Mindestlohn verankert ist. Das zeigt: Die Sozialpartnerschaft funktioniert. Vielleicht muss man an der einen oder anderen Stelle politischen Druck ausüben. Das haben wir in der letzten Legislaturperiode getan. Es ist ein großer Erfolg, dass uns das gelungen ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Sozialpartnerschaft entscheidet über Wohlstand und sozialen Frieden in unserem Land. Sie ist die tragende Säule und darf auch in Zukunft nicht infrage gestellt werden. Deshalb gilt für uns: Einen einheitlichen flächendeckenden Mindestlohn gibt es nur bei Wahrung der Tarifautonomie; beides gehört zusammen. Nicht von ungefähr heißt das Gesetz, das die Ministerin auf den Weg gebracht hat, Tarifautonomiestärkungs- und nicht schwächungsgesetz. Wir wollen die Tarifbindung und die Ordnung des Arbeitslebens durch Tarifverträge stärken. Deshalb werden wir die Allgemeinverbindlicherklärung erleichtern. Wir wollen das Interesse der Tarifpartner möglichst hochhalten und die Voraussetzungen entsprechend erleichtern. Das ist ein guter Ansatz. Die Branchenmindestlöhne liegen derzeit überwiegend über 8,50 Euro; sie haben sich bewährt. Deswegen werden wir das Arbeitnehmer-Entsendegesetz entsprechend ändern. Wir werden es für alle Branchen öffnen. Sie wissen, dass das Arbeitnehmer-Entsendegesetz bislang auf einen bestimmten Katalog begrenzt ist. Diesen Katalog werden wir erweitern. Es ist gut, dass wir hinsichtlich der Branchenmindestlöhne eine große Breite vorsehen. Bei dem Mindestlohn von 8,50 Euro ist entscheidend, dass die zukünftige Anpassung über eine Mindestlohnkommission stattfinden soll. Sie wird mit Vertretern der Tarifvertragsparteien paritätisch besetzt werden. Wir wollen keinen politischen Mindestlohn, sondern einen, bei dem die Tarifvertragsparteien in der Verantwortung stehen. Genau das werden wir garantieren. Dabei gilt es, die nachlaufende Tariflohnentwicklung im Blick zu behalten und die entsprechenden Anpassungen vorzunehmen. Es wird so sein, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben: Wenn die Mindestlohnkommission gesprochen hat, wird das eins zu eins umgesetzt. So stellen wir uns das vor. Darauf haben wir uns verständigt. Wir brauchen einen Mindestlohn mit Augenmaß. Deshalb wurde im Koalitionsvertrag vereinbart, dass mögliche Probleme bei der Umsetzung berücksichtigt werden; beispielhaft genannt wurde die Saisonarbeit. Wir wollen Arbeit schaffen, nicht Arbeitslosigkeit. Wir wollen keine Verwerfungen in den Betrieben, zum Beispiel im Rahmen der Landwirtschaft. Wir müssen immer darauf achten, dass wir die richtige Balance schaffen und wahren. Deswegen haben wir uns mit dem Koalitionspartner verständigt. Wir sind uns im Grundsatz einig, was die Ausnahmen – Auszubildende, Ehrenamtliche und Praktikanten – angeht. Wir müssen aber auch darauf achten, dass der Mindestlohn im Ergebnis nicht nach hinten losgeht. Deshalb gilt es, keine Anreize dafür zu setzen, dass auf eine Berufsausbildung zugunsten einer Beschäftigung mit Mindestlohn verzichtet wird. Wir haben in Deutschland derzeit ein hervorragendes Ausbildungsniveau. Genau das wollen wir erhalten, gerade vor dem Hintergrund des bestehenden Fachkräftemangels. Über die Altersgrenze von 18 Jahren müssen wir sicherlich noch einmal diskutieren. Wenn das Durchschnittsalter der Auszubildenden derzeit bei knapp 20 Jahren liegt, müssen wir darüber reden, ob es sachgerecht ist, die Grenze bei 18 Jahren anzusetzen. Für Langzeitarbeitslose müssen wir besondere Chancen für einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt schaffen. Deswegen ist es richtig, dass wir sie zumindest für eine Beschäftigungszeit von sechs Monaten vom Mindestlohn ausnehmen. Wir müssen darüber diskutieren, ob und inwieweit weitere Regelungen zielführend wären. Entscheidend wird auch sein – so haben wir es im Rahmen des Koalitionsvertrages vereinbart –, dass wir Branchentarifverträge weiterhin berücksichtigen. Bestehende Tarifverträge sollen nicht verdrängt werden. Das gilt für die Übergangszeit bis Ende 2016. Darauf lege ich Wert. Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren wirtschaftlich hervorragend entwickelt. Kein anderes Land steht so gut da wie Deutschland. Deswegen ist es verantwortbar, dass wir den Mindestlohn einführen. Ich weiß, dass damit arbeitsmarktpolitische Unwägbarkeiten verbunden sind, insbesondere in den Regionen, die schwächer aufgestellt sind als die starken Regionen, beispielsweise in Süddeutschland. Aber auch Personengruppen wie Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose müssen wir besonders in den Blick nehmen. Wir müssen hier die richtige Balance schaffen. Das tun wir im Rahmen des Prozesses, der nun ansteht. Ich bedanke mich ganz herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen ist die Kollegin Müller-Gemmeke. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Linke schreibt am Anfang ihres Antrags: Ein gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland ist überfällig. Da haben Sie natürlich recht. (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Die Forderung nach einem Mindestlohn in Höhe von 10 Euro kann ich zum jetzigen Zeitpunkt aber nur kritisieren. Selbst die Linksfraktion müsste doch merken, wie schwer es ist, in Deutschland überhaupt einen Mindestlohn durchzusetzen. Natürlich wissen auch wir, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro Altersarmut nicht verhindern kann. Natürlich muss der Mindestlohn deshalb in den nächsten Jahren zügig steigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es bedurfte aber einer großen Kraftanstrengung, dass sich fast alle gesellschaftlichen Kräfte in Deutschland auf 8,50 Euro einigen konnten. Jetzt geht es darum, dass dieser Mindestlohn endlich kommt, und zwar für alle. In dieser Situation ist Ihr Diskussionsbeitrag nicht zielführend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es wäre besser gewesen, Sie hätten sich in Ihrem Antrag beispielsweise einmal mit der Durchsetzung des Mindestlohns beschäftigt; denn das ist ein äußerst wichtiger Aspekt, auf den auch Arbeitsmarktexperten aufmerksam machen. Studien zeigen nämlich, dass viele Beschäftigte, die weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienen, gar nicht nach Stundenlohn, sondern nach Stücklohn bezahlt werden. Viele haben keine fest vereinbarte Arbeitszeit. Das heißt, für mehr als ein Drittel dieser Beschäftigten fällt unbezahlte Mehrarbeit an. Hier gilt es also, Regelungen zu finden, die die Beschäftigten vor Missbrauch schützen. Es muss gewährleistet sein, dass der bezahlte Lohn auf Stundenbasis ermittelt und umgerechnet werden kann. Wenn eine Mindestlohnstunde zukünftig 90 Minuten dauern würde, dann wäre das katastrophal. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kerstin Griese [SPD]) Grundvoraussetzung dafür ist auch, dass ordentlich kontrolliert wird. Wie das tatsächlich sichergestellt werden soll, sehe ich noch nicht; denn die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die ja letztlich die Einhaltung des Mindestlohns kontrollieren soll, hat schon heute nicht genug Personal. Mehr Personal ist auch nicht geplant. Das hat die Bundesregierung im Finanzausschuss nochmals bestätigt. Hier ist also die Ministerin gefragt. Sie muss zügig schlüssige Regelungen für den Nachweis der Arbeitszeit schaffen und für ausreichend Kontrollpersonal sorgen. Ein Mindestlohn nur auf dem Papier wäre nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine klare politische Linie wünsche ich mir, wie die Linke, auch bei der Diskussion um die Ausnahmen. Ich fand es schon absurd, welche Ausnahmen in letzter Zeit immer wieder diskutiert wurden, beispielsweise bei Minijobs oder bei Rentnerinnen und Rentnern. Ganz aktuell sind dem Arbeitgeberpräsidenten Kramer auch noch Ältere ohne Ausbildung eingefallen. Ist ihre Arbeit weniger wert? Sind sie weniger produktiv? Oder sind sie gar Beschäftigte zweiter Klasse? Minijobs sind doch heute schon eine Niedriglohnfalle. Rentnerinnen und Rentner arbeiten doch vor allem, weil ihre Rente nicht zum Leben reicht. All diejenigen, die solche Ideen verbreiten, kann ich nur fragen: In welcher Welt leben Sie eigentlich? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Die Ministerin muss jetzt beim Mindestlohn klare Kante zeigen. Ausnahmen führen zu Fehlanreizen und Verdrängungseffekten. Warum sollte ein Arbeitgeber einen Mindestlohn zahlen, wenn es billigere Arbeitskräfte gibt? Ein solcher Billigmindestlohn wäre auch völlig sinnwidrig; denn ein Mindestlohn ist laut Definition die niedrigste gesetzlich erlaubte Entlohnung. Darunter gibt es nichts. Nehmen Sie, die Union, das endlich zur Kenntnis! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt viele, die sich mit dem Mindestlohn noch immer unendlich schwertun. Sie übersehen dabei schlichtweg die positiven Aspekte: Erstens. Tarifflucht, OT-Mitgliedschaften, Befristungen, Leiharbeit und auch Werkverträge – alles zusammen hat die Gewerkschaften geschwächt. Der Mindestlohn wird die Tarifpartner und somit auch die Tarifautonomie von unten stärken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) Zweitens. Notwendig ist der Mindestlohn auch für die verantwortungsvollen Betriebe, die ihre Beschäftigten fair und auf Augenhöhe behandeln. Sie wollen beim Wettbewerb um die niedrigsten Löhne nicht mitspielen. Sie brauchen Schutz, damit sie nicht vom Markt gedrängt werden. Der Mindestlohn macht also auch wirtschaftspolitisch Sinn. Drittens. Vor allem aber profitieren die Menschen von dem Mindestlohn. Damit können sie – zumindest die meisten Alleinstehenden – von ihrer Arbeit leben. Sie müssen nicht zum Jobcenter laufen und ihren Lohn, den sie verdient haben, mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken. Es geht auch um den Wert von Arbeit. Aber dazu muss der gesetzliche Mindestlohn wirklich flächendeckend eingeführt werden. Der DGB hat das wunderbar auf den Punkt gebracht: Würde kennt keine Ausnahmen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Markus Paschke, SPD, das Wort. (Beifall bei der SPD) Markus Paschke (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland ist lange überfällig“, so steht es in Ihrem Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken, und bis hierhin kann ich dem auch zustimmen. (Beifall bei der SPD) Mindestlöhne sind Kernelemente sozialer Gerechtigkeit, und sie sind eine Grundvoraussetzung für gute Arbeit. Aber, meine Damen und Herren von den Linken, Sie müssen sich auch einmal entscheiden, welcher Linie Sie folgen wollen. Vor nicht einmal einem halben Jahr haben Sie selbst einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem Sie die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro forderten. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie waren dagegen!) „Einfach mehr fordern“ scheint wieder das Motto zu sein. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das war die Bundesratsinitiative!) Leider ist das Leben nicht so einfach. Etwas durchzusetzen, was man für gut und richtig befindet, ist viel Arbeit. (Beifall bei der SPD – Katja Mast [SPD]: Wo du recht hast, hast du recht!) Man muss Argumente verschiedener Interessengruppen abwägen, sich eine Meinung bilden und Koalitionspartner finden, mit denen man seine Ziele umsetzen kann. (Beifall bei der SPD) Wie gut, dass sich die SPD-Fraktion aufs Arbeiten versteht. (Beifall bei der SPD) Nach nicht einmal 100 Tagen im Amt hat Andrea Nahles diese Woche den Referentenentwurf des Tarifpaketes in die Ressortabstimmung gegeben. Ich zolle der Ministerin und Ihrem Haus für diese Leistung meinen ehrlichen Respekt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie hat damit ein zentrales Anliegen von 5 Millionen Menschen umgesetzt. Es ist auch nicht das erste Gesetz aus ihrem Hause – ich erinnere an das Rentenpaket –, sondern schon das zweite große Vorhaben für mehr Gerechtigkeit in unserem Land. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es muss endlich Schluss sein mit der Subventionierung von Niedriglöhnen! Wenn ich einkaufen gehe, finde ich im Supermarkt meines Vertrauens in den Regalen alles, was ich brauche, und die Ware ist in einem guten Zustand. Mein Friseur leistet gute Arbeit, wie man sieht. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Na ja! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist diskussionswürdig!) Beim Urlaub auf Borkum ist jeder Krümel Sand, den ich ins Hotelzimmer schleppe, am nächsten Tag verschwunden. Hinter all dem stehen Menschen, die einen guten und engagierten Job machen. Die Arbeit all dieser Menschen ist es wert, mit mindestens 8,50 Euro pro Stunde entlohnt zu werden. (Beifall bei der SPD) Um es ganz klar zu sagen: Beim Mindestlohn geht es um die Würde und den Wert von Arbeit für die Menschen in unserem Land. Ist es normal, wenn in einem der reichsten Länder der Erde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesagt wird, ihre Arbeit sei nicht einmal 8,50 Euro pro Stunde wert? Da sage ich deutlich: Nein. Ist es normal, wenn jemand, der Vollzeit arbeitet, zum Amt gehen muss, weil das Geld nicht zum Leben reicht? Da sage ich deutlich: Nein. Wer sein Geschäftsmodell darauf gründet, Beschäftigte unterirdisch zu entlohnen, und darauf baut, dass der Steuerzahler, also wir alle, den Rest bezahlt, der sollte sein Geschäftsmodell noch einmal ernsthaft überdenken. (Beifall bei der SPD) Andersherum wird ein Schuh daraus: Die Arbeitgeber, die anständige Löhne zahlen, werden mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns endlich vom unfairen Wettbewerb durch Dumpinglöhne befreit, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) flächendeckend von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen und von Aachen bis Frankfurt/Oder. Deshalb ist der gesetzliche Mindestlohn ein Meilenstein für eine wirklich soziale Marktwirtschaft. (Beifall bei der SPD) Gesetze müssen einfach und verständlich sein. Jeder, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, muss erkennen können, welche Rechte und Pflichten er hat. Dieser Aufgabe – davon bin ich fest überzeugt – kann ein Gesetz jedoch nur gerecht werden, wenn es ohne große Ausnahmen beschlossen wird. Jedes Wenn-dann, jede Einschränkung schafft Unsicherheit und bietet denen, die danach suchen, ein willkommenes Schlupfloch. Um es klar zu sagen: Wir reden hier von 8,50 Euro als Lohnuntergrenze; das ist die gesetzliche rote Linie, die nach 2017 nicht mehr unterschritten werden darf. Wir reden von Mindestarbeitsbedingungen wie zum Beispiel den vier Wochen Urlaub, die laut Bundesurlaubsgesetz jedem Arbeitnehmer zustehen, oder der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Nach oben sind die Spielräume natürlich offen. Es steht jedem Arbeitgeber frei, mehr zu zahlen, wenn er qualifizierte und engagierte Mitarbeiter haben möchte. (Beifall bei der SPD) Und hier liegt auch der Gedankenfehler in Ihrem heute vorliegenden Antrag, meine Damen und Herren von der Linken. Natürlich wären höhere Löhne wünschenswert, aber das ist Sache der Tarifvertragsparteien. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die wissen am besten, was branchentypisch oder regional möglich ist. Ein Mindestlohn regelt nur das untere Ende, das Mindeste, was Arbeit in Deutschland wert ist. Theodor Storm hat einmal festgestellt: Am Ende pflegen die Idealisten doch recht zu behalten, wenn auch mitunter vielleicht hundert Jahre, nachdem sie begraben sind. So lange wollten wir dann doch nicht warten. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Deswegen haben wir uns auf den Weg gemacht und klargestellt: Eine verlässliche Umsetzung eines gesetzlichen Mindestlohns, der niemanden überfordert, aber auch den Wert der Arbeit anerkennt, gibt es nur mit der SPD, mit niemandem sonst. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und die Erde ist eine Scheibe!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Christel Voßbeck-Kayser, CDU/CSU, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Rützel [SPD]) Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Paschke hat gerade Theodor Storm zitiert. Theodor Storm kam mir auch in den Sinn, als ich den Antrag der Linken gelesen habe, aber in anderer Form. Theodor Storm hat die Geschichte vom kleinen Häwelmann geschrieben. Ich weiß nicht, wer von Ihnen diese Geschichte seinen Kindern vorgelesen hat. Der kleine Häwelmann konnte nie genug bekommen und hat sich in seinem Bettchen herumfahren lassen, bis die Sonne aufging und ihn ins Meer warf. Der kleine Häwelmann sagte immer: Mehr, mehr! Das hat, genau wie Ihr Antrag, Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, mit der Lebens- und Arbeitswirklichkeit der Menschen hier im Land und ihren tatsächlichen Bedürfnissen nur wenig zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn ich mir Ihren Antrag durchlese, wird mir vor allem eines klar: Sie denken dabei nicht an die Langzeit-arbeitslosen und auch nicht an die Erwerbsgeminderten. Genau die Gruppen, zu deren Anwalt Sie sich hier ständig berufen, vergessen Sie also. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie missachten mit Ihrer Forderung eines Mindestlohns von 10 Euro auch sämtliche Erfahrungen, die in anderen Ländern oder auch Studien gemacht worden sind. Ich möchte einmal das Beispiel Frankreich anführen. Frankreich ist ein Musterbeispiel dafür, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten und den Einstieg in den Arbeitsmarkt von vornherein verhindern. Der Mindestlohn in Frankreich betrug zuletzt 9,43 Euro, und die Arbeitslosigkeit der 15- bis 24-Jährigen lag im letzten Jahr nach einer OECD-Studie bei fast 24 Prozent. Vor diesem Hintergrund stellen Sie sich hier hin und fordern einen Mindestlohn von 10 Euro! Da ist die Katastrophe für den deutschen Arbeitsmarkt doch vorprogrammiert. (Beifall bei der CDU/CSU) Um was geht es Ihnen bei Ihrem Antrag? Ich habe das Gefühl, es geht Ihnen einzig und allein darum, Ihr politisches Süppchen zu kochen. Seien Sie aber vorsichtig, Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, dass Ihnen das, was Sie da anrichten, nicht überkocht; denn in Ihrem Forderungstopf ist eindeutig zu viel drin. (Beifall bei der CDU/CSU) Über die Konsequenzen denken Sie anscheinend auch nur wenig nach. Das ist in meinen Augen nur eines: verantwortungslos. Eines ist gewiss: Bei der Einführung einer Lohnuntergrenze ist Sensibilität notwendig. Für die Menschen, für die Wirtschaft und für unser ganzes Land steht zu viel auf dem Spiel. Ja, es ist richtig: Der Mensch soll mit seiner Hände Arbeit wenigstens so viel erwirtschaften, dass er damit eine einfache Existenz sichern kann. Es ist ein Verdienst von beiden Parteien in der Koalition, dass wir uns zusammengefunden haben, gerade weil es uns um die Interessen der Menschen geht und auch, um im Interesse der Menschen zu handeln und zu entscheiden, die nicht die Kraft haben, sich hier durchzusetzen, auch im Interesse der Menschen, die keine Lobby für die Dimension dieser Herausforderung haben. Auch wenn die Koalitionspartner verschiedene Denkansätze verfolgen, die SPD mit ihrem eher staatlich geprägten Denken, wir, die Unionsfraktion, von marktwirtschaftlichen Prinzipien geleitet – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD) diese marktwirtschaftlichen Prinzipien ermöglichen erfolgreiches Wirtschaften in Partnerschaft und haben uns gerade in den Jahren 2008/2009 durch die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise geführt –, so eint uns in der Koalition doch ein gemeinsames Ziel: Wir wollen, dass es den Menschen gut geht und damit unserem Land. Was sagen Sie, Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, jungen Menschen ohne Schulabschluss, Geringqualifizierten, Langzeitarbeitslosen, denen der Einstieg in die Arbeitswelt durch den von Ihnen geforderten Mindestlohn erschwert wird? Ihr Ansatz bringt diesen Menschen keine Lösung. (Beifall bei der CDU/CSU) Gehört nicht auch beim Thema Mindestlohn zur Wahrheit: „Um einen Mindestlohn zu erhalten, muss eine Mindestleistung erbracht werden“? Deshalb sagen wir als Unionsfraktion: Um Langzeitarbeitslosen den Einstieg in die Erwerbstätigkeit zu erleichtern, werden sie in den ersten Monaten ihrer Arbeit aus diesem Mindestlohnmodell herausgenommen; denn sozial ist, was Arbeit schafft. Wichtig ist uns in der Unionsfraktion: Ein Mindestlohn darf kein politischer Lohn werden, sondern muss ein von den Tarifpartnern ausgehandelter Lohn sein. Das hat sich bewährt. (Beifall bei der CDU/CSU) Daher lehnen wir als Unionsfraktion den vorliegenden Antrag ab; denn bei der Problemlösung hilft keine Radikalität. Wir werden eine marktwirtschaftliche Lösung realisieren, sorgsam und mit der Vernunft der Großen Koalition. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Voßbeck-Kayser, das war Ihre erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Meinen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen viele weitere Redebeiträge im Hohen Hause. (Beifall) Nächste Rednerin ist für die SPD die Kollegin Daniela Kolbe, der ich hiermit das Wort erteile. (Beifall bei der SPD) Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin wirklich von Herzen froh, dass er jetzt endlich kommt: ein gesetzlicher einheitlicher Mindestlohn für alle Beschäftigten. Wir wollen ihn einführen. Er wird in Ost und West gleich hoch sein; und das ist auch gut so. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]) Unsere Regierung wird damit das Leben von mehreren Millionen Menschen und ihren Familien verbessern. Viele werden nicht mehr vom Staat abhängig sein. Sehr viele werden weniger vom Staat abhängig sein. Viele Menschen werden sich etwas mehr leisten können. Vor allen Dingen werden sie sich sicherer fühlen. Das wird ihre Lebensqualität in jedem Fall verbessern und unser Land ein richtig gutes Stück gerechter machen. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie müssen schon verstehen, dass es uns darum geht – darauf sind wir stolz wie Bolle –, das Leben von Menschen konkret und Stück für Stück zu verbessern, und dass wir keine Lust darauf haben, ihnen etwas von einem Wolkenkuckucksheim zu erzählen, das wir leider nicht auf direktem Weg erreichen werden. Deshalb ist unser Ansatz, 8,50 Euro als allerunterste Haltegrenze einzuführen plus eine Mindestlohnkommission einzusetzen, die diesen Betrag anpassen wird, der goldrichtige Weg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Warum erst 2017?) Wir wissen schon lange, dass wir ein Problem mit Niedriglöhnen unter 8,50 Euro haben. Bereits im Jahr 2004 hat die SPD in Sachsen das Thema im Landtagswahlkampf aufgegriffen. Wir haben „Mindestlohn statt Billiglohn“ plakatiert, und jetzt endlich führt unsere Bundesministerin Andrea Nahles diesen Mindestlohn für alle in Deutschland ein. (Beifall bei der SPD – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt doch nicht!) Es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass diese Forderung in Sachsen aufgekommen ist. Nach Zahlen des IAQ ist in Deutschland jeder fünfte Arbeitnehmer von Löhnen unter 8,50 Euro betroffen. In den neuen Bundesländern ist es jeder Dritte. In meinem Heimatland Sachsen sind es mehr als 33 Prozent. Das sind mehr als 600 000 Menschen, für die wir ganz konkret etwas tun werden. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Kolbe, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Krellmann? Daniela Kolbe (SPD): Sehr gerne. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Kolbe. Sie haben eben davon gesprochen, dass der Mindestlohn für alle eingeführt wird. Aber es ging vorhin um Ausnahmen. Was sagen Sie denn zu den Ausnahmen, die von Ihrer so tollen Ministerin Nahles auch vorgeschlagen wurden? (Lachen bei der SPD) Daniela Kolbe (SPD): Mit dem vorliegenden Referentenentwurf bin ich persönlich sehr zufrieden, weil wir keinerlei Ausnahmen bei Branchen haben. (Beifall bei der SPD) Die Ausnahmen sind darin aufgeführt. Das ist ein Riesenpunkt. Wir haben bis auf die Gruppe der U 18, die Minderjährigen – worüber man diskutieren kann und wozu ich persönlich auch eine andere Auffassung habe –, keine Ausnahmen für Personengruppen vorgesehen. Ich denke, dass wir damit einen sehr guten Kompromiss gefunden haben, der dem überwiegenden Teil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern helfen und auch keine Ausweichbewegungen zulassen wird. (Beifall bei der SPD) Es war uns ganz besonders wichtig, dass wir das flächendeckend regeln und keinen Flickenteppich schaffen und dass der überwiegende Teil der Menschen davon profitieren kann. Dafür kann ich Andrea Nahles – Sie kennen ja unsere Konstellation hier – ein Riesenkompliment aussprechen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist super. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich war gerade bei den neuen Bundesländern stehen geblieben. Jeder Dritte im Osten wird von der neuen Regelung profitieren. Deshalb werden wir damit auch einen großen Schritt dazu leisten, dass sich die Löhne in Ost und West und dadurch auch die Rentenwerte angleichen. Nach den gestern vorgelegten Zahlen gibt es immer noch einen Unterschied von etwa 8 Prozent zwischen den Renten in Ost und West. Wenn wir den Mindestlohn einführen, wird sich das weiter angleichen und auch einen weiteren Politikansatz, den wir uns vorgenommen haben, wesentlich leichter machen. Wir wollen nämlich auch die Rentensysteme in Ost und West angleichen, und wir machen das jetzt ein ganzes Stück leichter. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bis 2020! Das ist überfällig!) Der gesetzliche Mindestlohn wird klug eingeführt. Ich habe das eben schon erwähnt. Wir machen keine Branchenausnahmen. Im Gegenteil, mit den Branchen, bei denen es Probleme geben könnte, hat Frau Bundesministerin gesprochen und kluge Lösungen vereinbart, ohne jedoch Ausnahmen für Branchen hinzunehmen. Es gibt Branchen, in denen es Probleme geben kann, zum Beispiel im Taxigewerbe, weil sie die Preise nicht selber bestimmen können. Deswegen ist es klug, dass man gemeinsam nach vernünftigen Lösungen sucht und sie dann auch findet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn es ist auch für die Unternehmen richtig und wichtig, den Mindestlohn einzuführen, und zwar ohne Schlupflöcher. Gerade in Ostdeutschland leiden viele ehrliche Unternehmer darunter, dass es eine Schmutzkonkurrenz gibt, bei der nur mit Billiglöhnen konkurriert wird. Dem schieben wir jetzt endlich einen Riegel vor. Auch dass der Mindestlohn für alle Volljährigen gelten wird, ist sehr richtig. Denn wir wollen keine Ausweichbewegungen. Wir wollen nicht, dass die jungen Menschen die Billigheimer der Nation werden und Unternehmen ihre Geschäftsmodelle entsprechend stricken und auf junge Erwachsene ausrichten. Wir wollen, dass junge Menschen eine Berufsausbildung machen bzw. ein Studium aufnehmen. Genau das ist auch der Fall: Die jungen Menschen gehen nach der Schule an die Uni-versität oder in die berufliche Ausbildung, obwohl sie in vielen Bereichen schon jetzt beim Jobben mehr als 8,50 Euro bekommen können. Trotzdem machen sie die Ausbildung oder studieren, obwohl sie auch als Ungelernte jobben könnten. Warum machen sie das? Ungelernt will doch in diesem Land nun wirklich niemand sein. Das ist auch gut so. Das sollten wir unterstützen. Wir wollen das mit Jugendarbeitsagenturen tun, die jungen Menschen dabei helfen, einen Ausbildungsplatz zu finden und Betreuung aus einer Hand zu bekommen. Auch da hat die Große Koalition genau den richtigen Ansatz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum Schluss. Herzlichen Dank an die Linke, dass wir heute über dieses wichtige Thema reden können. Ich freue mich schon auf den Gesetzgebungsprozess. Ich freue mich, ehrlich gesagt, auch riesig auf Silvester; denn ab dann wird es für sehr viele Menschen eine Verbesserung geben. Sogar bis dorthin wird es Verbesserungen geben. Wenn man sich die Tarifentwicklung anschaut, dann stellt man fest, dass es schon in vielen Branchen in die richtige Richtung geht, nämlich nach oben, in Richtung 8,50 Euro, und das ist auch gut so. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege Kai Whittaker. (Beifall bei der CDU/CSU) Kai Whittaker (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem heute schon so viele Gedichte hier vorgetragen wurden, möchte ich dem nicht nachstehen: Wir wandern in der Frühlingszeit Und tanzen Ringelreihen. Es blüht die ganze Welt Und keiner ist alleine. Das war extra für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das ist aber nett!) Zum heutigen UNESCO-Welttag der Poesie schien mir ein Frühlingsgedicht die passende Antwort auf Ihren lyrischen Antrag zum Mindestlohn zu sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dieser Antrag reiht sich in Ihre märchenhaften Forderungen zur Mütterrente und zur Rente mit 60 ein. Erst wollten Sie die Mütterrente gar nicht. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!) Dann, nachdem wir sie beschlossen haben, geht sie Ihnen natürlich nicht weit genug. Die Rente mit 63 überbieten Sie durch die Rente mit 60, verschweigen aber die höheren Kosten. Nun also ein Mindestlohn von 10 Euro. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wir hatten einmal die Rente mit 60!) Schauen wir uns Ihren Antrag einmal ernsthaft an. Sie fordern drei Dinge: Erstens wollen Sie einen Mindestlohn von 10 Euro. Zweitens soll dieser Mindestlohn der Lohnentwicklung angepasst werden. Drittens soll der Mindestlohn für jedes Arbeitsverhältnis gelten. Die eigentliche Frage heute ist doch: Sind 8,50 Euro genug oder nicht? Sie sagen immer wieder, dass es außer bei uns in Deutschland in ganz Europa Mindestlöhne gibt. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit; denn was zählt – das ist eine kleine VWL-Nachhilfe für die Kollegen Ernst und Krellmann –, (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Für Ihre erste Rede ist das eine Frechheit!) ist der effektive Mindestlohn, also das Verhältnis von Mindestlohn zu den mittleren Einkommen. Dieser liegt in Luxemburg, wo man den höchsten Mindestlohn zahlt, bei lediglich 42 Prozent. Mit einem Mindestlohn von 10 Euro läge aber dieser Wert bei uns in Deutschland bei über 70 Prozent, der höchste weltweit. Damit schaden Sie der deutschen Wirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Unternehmer in Ihren eigenen Reihen können davon schon ein Lied singen. Ihre Bundestagskollegin Kerstin Kassner betreibt eine kleine Pension auf der Insel Rügen. Bedauerlicherweise musste sie im Wahlkampf einräumen, dass sie einen Mindestlohn von 10 Euro nicht zahlen kann. Gerne würde sie mehr geben. Aber leider, leider sind die Einnahmen zu gering. So stand es zumindest im Focus. Wenn Ihnen schon Ihre Unternehmer suspekt sind, dann hören Sie doch wenigstens auf die Gewerkschaften. In Ihrem Antrag verweisen Sie aber lediglich auf die NGG, die Saar-Arbeitskammer und Verdi, die mehr als 8,50 Euro fordern. Schön wäre es aber, wenn Sie auch darauf hinweisen würden, dass der DGB, die IG Bergbau und die IG Metall mit 8,50 Euro einverstanden sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber offensichtlich sind Ihnen selbst diese Gewerkschaften zu neoliberal. Deshalb wollen Sie diese auch gleich an die Kandare nehmen. Ich zitiere aus der Märkischen Allgemeinen von letzter Woche: „Die Gewerkschaften sind für höhere Löhne da und basta.“ Es gehe überhaupt nicht, dass „Gewerkschafter als politische Lohndrücker unterwegs sind“. Das klingt ja richtig trotzig. Ihr Parteichef Bernd Riexinger macht anscheindend keinen Hehl daraus, was er von unabhängigen Gewerkschaften hält. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Im alten Griechenland wusste aber schon Sophokles: Im Unglück ist der Trotz nicht förderlich. Gleich zweimal befolgen Sie dieses Sprichwort nicht. In Ihrem -Antrag fordern Sie, dass sich der Mindestlohn der Lohnentwicklung anpassen muss. Wenn ich mir aber Ihre Parteitagsbeschlüsse anschaue, komme ich zu einem ganz anderen Ergebnis. Mit immer höheren Mindestlohnforderungen kompensieren Sie Ihre schrumpfenden Wahlergebnisse. (Beifall bei der CDU/CSU) 2006 haben Sie 8 Euro gefordert, 2010 haben Sie bereits 10 Euro gefordert, und für 2017 stellen Sie 12 Euro in Aussicht. Das ist eine Steigerung von 50 Prozent in elf Jahren. Nennen Sie mir einen einzigen Arbeitnehmer in diesem Land, der auch nur ansatzweise eine solche Lohnsteigerung zu verzeichnen hatte. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) In Wahrheit wollen Sie doch einen politischen Mindestlohn. Das ist mit uns nicht zu machen. Der Mindestlohn muss von der wirtschaftlichen Lage abhängig sein. Da sind wir uns in der Großen Koalition absolut einig. Deshalb definieren wir Leitplanken für die Entwicklung des Mindestlohns. In Ihrer dritten Forderung wollen Sie den Mindestlohn für alle Beschäftigten gelten lassen. Genau da zeigt sich der fundamentale Unterschied zwischen Ihnen und uns. Der Mindestlohn ist kein verteilungspolitisches Allheilmittel. Er soll für fairen Wettbewerb und faire Löhne sorgen. Fair heißt aber nicht gleich. Sie wollen alle Menschen gleichmachen. Für uns aber ist jeder Mensch einzigartig. Daher ist es unsere Pflicht, allen Menschen den Weg in den Arbeitsmarkt offenzuhalten, auch jungen Erwachsenen und Langzeitarbeitslosen. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb halten wir die geplanten Ausnahmen für sinnvoll. Die Bürger verlassen sich darauf, dass wir nicht stupide Parteiprogramme umsetzen, sondern dass wir für sie arbeiten und nachdenken. Darum haben sie uns als Große Koalition in die Regierung gewählt und nicht Sie. (Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Sie haben Sie doch nicht als Große Koalition gewählt!) Zum Schluss, Herr Präsident, möchte ich meinen Kollegen aus der Linksfraktion aber doch noch etwas Hoffnung machen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Jetzt bin ich aber gespannt!) Sie sollen nicht den Eindruck haben, dass wir nicht auch von Ihnen lernen können. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Mir kommen die Tränen!) Ihr großer Vorsitzender Gregor Gysi (Albert Weiler [CDU/CSU]: Der nicht da ist!) hat einmal gesagt: Ich bin eh kein Freund des Tolerierens. Entweder man sagt richtig Ja, oder man sagt richtig Nein. – Wir in der Großen Koalition sagen zu Ihrem Antrag richtig Nein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Whittaker, das war Ihre Premiere hier im Hohen Hause, Ihre erste Rede. Ich gratuliere Ihnen dazu und wünsche Ihnen viele weitere Möglichkeiten, Politik und Literaturkenntnisse zu verknüpfen. (Beifall) Als Nächster spricht der Kollege Ralf Kapschack von den Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD) Ralf Kapschack (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen herzlichen Gruß auch an die Besucher auf der Zuschauertribüne. Wer hätte das gedacht? Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass wir uns heute über die Höhe des Mindestlohns streiten, aber nicht mehr über seine Notwendigkeit? (Beifall bei der SPD) Wir reden heute über das Wie, aber nicht mehr über das Ob. Dass die Bundesregierung jetzt einen gesetzlichen Mindestlohn auf den Weg bringt, ist das Verdienst der SPD. (Beifall bei der SPD) Ohne diese Verabredung hätte es keine Koalition mit der CDU/CSU gegeben; das ist völlig klar. Ich sage auch ganz persönlich: Für mich war das ein zentrales Ar-gument, um in meiner Partei für die Zustimmung zum Koalitionsvertrag zu werben. Also, es ist mittlerweile weitgehender Konsens in diesem Haus, dass wir einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen. Ich gestehe: Ich finde das großartig. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Weiler [CDU/CSU]) Ich weiß allerdings, dass bei dem einen oder anderen Mitglied unseres Lebensabschnittspartners die Begeisterung noch, sagen wir einmal, steigerungsfähig ist. Aber da leisten wir gerne Motivationshilfe, und wir geben auch gerne Tipps für Entspannungsübungen. (Heiterkeit bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, jetzt zu Ihnen. Ich habe so ein bisschen den Eindruck, dass Sie diesen Antrag eingebracht haben, weil Sie Angst haben, dass Ihnen das Thema abhanden kommt, weil wir jetzt konkret handeln. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wir haben es seit 18 Jahren!) Ich will Ihren Beitrag zu der Debatte überhaupt nicht kleinreden, aber wir müssen doch sagen, wie es ist. Sie haben im Oktober die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro gefordert. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das war der Bundesratsantrag!) – Moment! – Sie haben – das ist richtig – gesagt, das sei eigentlich zu niedrig, aber Sie haben auch gesagt, als Einstieg, als erster Schritt sei es richtig. Diesen ersten Schritt machen wir jetzt, nicht mehr und nicht weniger. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie können uns doch nicht ernsthaft erzählen, Herr Ernst, dass sich die Datenlage seit Oktober grundlegend geändert habe – Sie sollten in Ihrer eigenen Argumentation schon stringent bleiben –, es sei denn, es handelte sich im Oktober und auch jetzt um reine Showveranstaltungen. Aber gerade Ihnen, Herr Ernst, will ich das nun überhaupt nicht unterstellen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Beifall des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Wir machen jetzt den ersten Schritt. Dass es in den nächsten Jahren eine deutliche Anpassung geben muss, ist doch völlig unbestritten. Wir sagen: Wer Vollzeit arbeitet, muss von dem, was er am Monatsende auf dem Konto hat, auch leben können. Ich komme aus dem Ruhrgebiet. Von dort stammt ja die Lebensweisheit: „Grau ist alle Theorie – entscheidend ist auf’m Platz.“ (Mark Helfrich [CDU/CSU]: Richtig!) Der Platz, das ist die Lebenswirklichkeit der Menschen. Mehr als 4 Millionen werden vom Mindestlohn, so wie ihn die Bundesarbeitsministerin auf den Weg gebracht hat, profitieren. Das ist eine ganz konkrete Verbesserung der Lebenswirklichkeit vieler Menschen. Das hat auch etwas mit Würde und Gerechtigkeit zu tun. Mit dem Mindestlohn stellen wir sicher, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die nötige Anerkennung für ihre Arbeit bekommen. 8,50 Euro sind nicht das Paradies, das behauptet niemand. Der nordrhein-westfälische Arbeits- und Sozialminister Guntram Schneider hat einmal gesagt: 8,50 Euro, das ist so etwas wie Hartz IV de luxe. – Ich glaube, das trifft es ganz gut. Für meinen Wahlkreis – ich komme aus dem Ruhrgebiet; ich habe es schon gesagt – hat Verdi ermittelt, dass mehr als 30 000 Beschäftigte einen Stundenverdienst von unter 8,50 Euro haben. Mehr als 11 000 Beschäftigte haben einen Stundenverdienst, der unter 6,50 Euro liegt. Sie alle werden von unserem Gesetz profitieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 6,50 Euro, das verdienen zum Beispiel die Taxifahrer in meiner Heimatstadt; um es einmal ganz konkret zu machen. Ein gesetzlicher Mindestlohn hilft aber nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern – das ist schon angesprochen worden –, er hilft auch, um Unternehmen vor Wettbewerb mit Lohndumping zu schützen. Ein Mindestlohn in Deutschland, allgemeinverbindlich und flächendeckend, stärkt die Tarifverträge; das erleben wir gerade. Bei allem Respekt vor der Tarifautonomie: Wenn Tarifpartner dauerhaft nicht in der Lage sind, eine Entlohnung zustande zu bringen, die deutlich über dem Existenzminimum liegt, dann ist der Gesetzgeber gefordert, das sicherzustellen, und das machen wir jetzt. (Beifall bei der SPD) Jede lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Der erste Schritt, den wir mit 8,50 Euro Mindestlohn jetzt gehen, reicht Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nicht; das verstehe ich sogar. Aber er ist ein Riesenschritt. Das zeigt sich, wenn ich mir die Diskussion der letzten Jahre anschaue und wenn ich mir anschaue, wo jetzt an allen Ecken und Enden noch gebohrt und gedrückt wird, um das Konzept des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu durchlöchern. Der renommierte Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch hat den vorgesehenen Mindestlohn „eine der größten Sozialreformen der Nachkriegszeit“ genannt. Ich will ihm da nicht widersprechen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Kollege Kapschack. – Das war auch Ihre erste Rede. Auch Ihnen ganz herzlichen Glückwunsch von allen hier im Hause. (Beifall) Nächster Redner in der Debatte ist Kollege Mark Helfrich, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Mark Helfrich (CDU/CSU): Herzlichen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im November letzten Jahres bin ich als neu-gewählter Abgeordneter hier schon einmal Ohren- und Augenzeuge einer taktisch motivierten Debatte zum Mindestlohn geworden. Damals ging es um den Gesetzentwurf der Linken zur sofortigen Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde. Damals reichten Ihnen 8,50 Euro, um die SPD als GroKo-Partner hier in diesem Plenum vorzuführen. Heute brauchen Sie hingegen 10 Euro, um sich hier im Haus als die sozialere Alternative profilieren zu können. Ein solches Verhalten zeigt, dass wir als CDU/CSU zu Recht immer darauf bestanden haben, dass die Lohnfestsetzung nicht durch die Politik zu erfolgen hat. Die Entlohnung von Menschen taugt schlicht und ergreifend nicht für polittaktische Spielchen. Genau das ist es, was Sie uns hier heute liefern und den Menschen in diesem Land antun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Was Sie uns liefern!) Es geht um viel zu viel. Es geht mit Sicherheit nicht um – wenn ich die Worte der Kritiker des Mindestlohns zitiere – den Untergang des Abendlandes, aber es geht um die berechtigten Hoffnungen und Anliegen von Millionen von Menschen und darum, dass wir diese Hoffnungen am Ende des Tages auch erfüllen können. Wer hart arbeitet, der muss auch ordentlich bezahlt werden. – Für eine solche Aussage werden Sie auf jeder CDU- oder CSU-Versammlung in dieser Republik eine Mehrheit finden; Sie werden ehrlichen Applaus dafür erhalten. Da sind wir alle beieinander. Wir sind aber nicht beieinander, wenn es darum geht, die Augen vor der Realität zu verschließen. Ihr Antrag zeugt meines Erachtens von Realitätsverlust. Fakt ist, dass bereits ein Mindeststundenlohn von 8,50 Euro in bestimmten Branchen und Regionen dieser Republik zu Verwerfungen am Arbeitsmarkt führen kann. Die derzeitige konjunkturelle Hochphase und die günstige Situation am Arbeitsmarkt erlauben es uns – zusammen mit der Übergangsphase 2015/2016 –, diese Verwerfungen in den Griff zu bekommen und den Mindestlohn zu einem Erfolg zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Was ist jetzt Ihre Antwort auf eine wirklich geschichtsträchtige Sozialreform, den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde? Sie satteln obendrauf und kommen mit einer Forderung nach einem Mindeststundenlohn von 10 Euro um die Ecke. Es ist keine Kunst, sozial zu sein, wenn ein anderer zahlt, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linksfraktion. Sie verkennen, dass es bei dem Mindestlohn auch immer eine Finanzierungsseite gibt. Sie brauchen keine Angst zu haben: Ich werde hier heute nicht singen – die Karnevalszeit ist vorbei –, aber trotzdem die Frage stellen: Wer soll das bezahlen? (Lachen des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Die Menschen in diesem Land haben große Sympathien für gerechte Löhne und auch für den Mindestlohn – das zeigen alle Umfragen –, aber sie haben am Ende des Tages auch Verantwortung für ihr persönliches Haushaltsbudget. Wenn wir bei der Höhe des Mindestlohns übertreiben, dann werden wir massive Ausweichbewegungen erleben: Es werden weniger Blumensträuße gekauft. Die Haare werden häufiger auf Basis der Nachbarschaftshilfe geschnitten. Zeitungsabos werden schlicht und ergreifend gekündigt. Unternehmen, die Löhne oberhalb des Mindestlohns zahlen, werden im Lohngefüge entsprechend stärker unter Druck geraten. Es werden stärkere Rationalisierungsbemühungen in den Unternehmen entstehen. Auch die Missbrauchsanfälligkeit wird steigen. Es wird mehr unbezahlte Überstunden geben. Da muss man dann nachkontrollieren; Sie haben vorhin skizziert, wie Ihre Vorstellung dazu ist. Ich glaube, wir hätten dann am Ende des Tages den Beschäftigten in diesen Branchen einen sozialen Bärendienst erwiesen, und das kann keiner wollen. Wenn wir den Mindestlohn hingegen richtig – das soll heißen: moderat – justieren – das kann in diesem Zusammenhang genau übersetzt werden mit: 8,50 Euro –, dann werden viele profitieren: die Beschäftigten von höheren Löhnen, die Unternehmen von fairem Wettbewerb – der Wettbewerb wird dann nicht mehr über Lohndumping geführt – und nicht zuletzt die öffentlichen Haushalte dadurch, dass es weniger ergänzende Hartz-IV-Leistungen geben wird. Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass auch ich das Phänomen des Aufstockens in der Masse bedrückend finde, dass das aber nicht per se Ausdruck einer sozial kalten Gesellschaft ist, sondern im Gegenteil eine Errungenschaft dieser Gesellschaft. Das ist etwas, was Sie völlig verkennen. (Beifall bei der CDU/CSU) Unsere Aufgabe ist jetzt, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass es den Menschen in unserem Land konkret besser geht. Es wird nur besser gehen, wenn Wachstum und Beschäftigung nicht unter dem leiden, was wir beschließen. Es darf nicht sein, dass durch die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns Menschen ihre Arbeit verlieren bzw. andere nicht die Gelegenheit haben, aus der Arbeitslosigkeit auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Sie sehen hier heute eine CDU, die in der Tradition Ludwig Erhards steht, die für soziale Marktwirtschaft einsteht, die sich auch ordnungspolitisch sehr weit bewegt hat. Es sollte Ihnen in dieser Stunde etwas wert sein, dass Sie das hier so erleben. Wir sind als CDU/CSU nicht bereit, die arbeitsmarktpolitischen Erfolge der letzten Jahre leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Für sozialpolitische Blütenträume stehen wir nicht zur Verfügung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Auch Ihnen die besten Glückwünsche; denn es war auch Ihre erste Rede heute. Herzlichen Glückwunsch im Namen des ganzen Hauses. (Beifall) Für die SPD-Fraktion hat jetzt Bernd Rützel das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]) Bernd Rützel (SPD): Der Arbeitslohn … muß es dem Arbeiter und seiner Familie ermöglichen, zu einem wahrhaft menschlichen Lebensniveau im materiellen, sozialen, kulturellen und geistigen Bereich Zugang zu erhalten. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Zitat stammt von Papst Johannes Paul II. Des Weiteren schrieb er am 14. September 1981 in der Sozialenzyklika „Laborem exercens“: Durch Arbeit muß sich der Mensch sein tägliches Brot besorgen, und nur so kann er beständig zum Fortschritt von Wissenschaft und Technik sowie zur kulturellen und moralischen Hebung der Gesellschaft beitragen … Das war vor gut 30 Jahren. Vor über 120 Jahren, nämlich 1891, hat der Arbeiterpapst Leo XIII. in der Mutter aller Sozialenzykliken, „Rerum novarum“, geschrieben, „dass der Lohn nicht etwa so niedrig sei, dass er einem genügsamen, rechtschaffenden Arbeiter den Lebens-unterhalt nicht abwirft.“ Ich bin heute aus zweierlei Gründen sehr erfreut und dankbar dafür, dass nun die Einführung eines gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohnes zum Greifen nahe ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Einmal, weil es um die Würde und die Wertschätzung des Menschen geht. Der Mensch muss vom Lohn seiner Vollzeitarbeit leben können, ohne auf staatliche Fürsorge angewiesen zu sein. Ein anständiges Einkommen, das die Existenz sichert, ist auch ein Zeichen des Respekts für die geleistete Arbeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zum anderen ist ein Mindestlohn auch ökonomisch sinnvoll. Ich bin häufig in meinem Wahlkreis bei mittelständischen Firmen und werde dort oft angesprochen, dass der flächendeckende und einheitliche Mindestlohn schnell eingeführt werden muss. Diese Unternehmen fürchten nämlich den Dumpingwettbewerb, der zulasten anständiger Unternehmen wie dieser geht, die ordentliche Löhne zahlen, aber unter dem Druck stehen, dass die Konkurrenz das nicht tut und damit Aufträge gewinnt. Wir verbessern mit dem Mindestlohn auch die Wettbewerbssituation eben der Unternehmen, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fair behandeln und dies auch in Zukunft tun möchten. Wir tragen mit diesem Mindestlohn damit zu Ordnung und Fairness im Wettbewerb bei. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit unserem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn stellen wir also einen Mindestschutz bereit, der einerseits Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und andererseits Unternehmen vor unfairer Konkurrenz mit unangemessen niedrigen Löhnen bewahrt. Und wir geben die finanzielle Verantwortung für existenzsichernde Löhne dorthin, wohin sie gehört: zu den Unternehmen. Denn sie profitieren von der Arbeit ihrer Mitarbeiter – nicht die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Es ist also widersinnig, wenn diese dafür bezahlen sollen, dass die Armutslöhne der Beschäftigten aufgestockt werden. Das sind versteckte Subventionen, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Nach genau dieser Logik sorgte vor fast auf den Tag genau 100 Jahren der Automobilhersteller Henry Ford für eine Sensation: Er verdoppelte auf einen Schlag den Lohn für seine Beschäftigten; zugleich kürzte er die Arbeitszeit von neun auf acht Stunden. Man hat ihn dafür fast für verrückt erklärt. Damit schuf er aber die Voraussetzung dafür, dass sich nun seine Arbeiter selber die Autos kaufen konnten, die sie hergestellt und gebaut haben. Viele von uns kennen ja den Satz: Autos kaufen keine Autos. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Damit hat er seinen Absatz vervielfacht. Was Henry Ford wusste und was auch heute noch richtig ist: Anständige Löhne kurbeln die Binnenwirtschaft an. Sie sorgen für mehr Nachfrage, und Sie wirken sich auch positiv auf die Konjunktur aus. Wir schaffen mit dem von uns geplanten Mindestlohn noch etwas – das haben wir heute bereits gehört –: Wir stoppen die Erosion der Tarifbindung, die in den letzten Jahren zu der raschen Ausbreitung des Niedriglohnsektors beigetragen hat. Wir legen eine Untergrenze fest, die nicht unterschritten werden darf, darüber hinaus ist es wieder das Handwerk der Tarifpartner. Mit dieser Tarifautonomie stärken wir die Höhe des Mindestlohnes für den jeweiligen Geltungsbereich. Ich habe heute früh die Zeitung aufgeschlagen und bin froh darüber, dass die Arbeitgeber und Gewerkschaften schon vor 2018, nämlich 2017, den Mindestlohn, diesen Einstieg, erhöhen wollen. Das ist ein gutes Zeichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Damit setzen wir die Tarifpartnerschaft in den Vordergrund. Es ist kein politischer Mindestlohn, den wir haben. Abschließend, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann ich mich nur den Worten der Kolleginnen und Kollegen der Linken anschließen. Wir haben es heute schon zweimal gehört; ich will es noch einmal sagen, weil es mir sehr gefällt. Ich habe den Gesetzentwurf vom 23. Oktober 2013 dabei. Das ist fünf Monate her. Dort heißt es: Wir sind für einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Begründet wird dies damit: Diese untere Grenze hat das Ziel, vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein ihre Existenz sicherndes Einkommen zu gewährleisten und eine angemessene Teilhabe am soziokulturellen Leben zu ermöglichen. – Ich habe es mir sogar markiert. Es hat mir sehr gut gefallen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Abschließend möchte ich einen Satz zu meiner Vorrednerin von der Union sagen, die gesagt hat: Sozial ist, was Arbeit schafft. Dieser Satz stimmt nicht. Er gefällt mir nicht. Sozial ist, was gute Arbeit schafft. Das ist ein Unterschied, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Als Letztes: 8,50 Euro. Es wird Zeit, die Zeit ist gekommen: Weniger ist zu wenig. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Wir haben heute nur Premieren. Auch Ihnen einen ganz herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede, Herr Kollege Rützel. (Beifall) Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Albert Weiler, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Albert Weiler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Können Sie mal ganz kurz warten? Albert Weiler (CDU/CSU): Ja. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Könnte die Gratulation etwas schneller und leiser vonstatten gehen? Der Kollege Weiler hält heute auch seine erste Rede und hätte es gerne, dass Sie die Aufmerksamkeit ihm schenken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Albert Weiler (CDU/CSU): Danke schön, Frau Präsidentin. – 10 Euro, 12 Euro, 12,50 Euro? Ich frage Sie: Wer bietet mehr? (Zuruf von der LINKEN: 14!) – 14, höre ich. Wer bietet mehr? (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt müssen wir wirklich mal die Kirche im Dorf lassen. Wir sind doch hier nicht auf einem Jahrmarkt. (Beifall des Abg. Mark Helfrich [CDU/CSU]) Der hier vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke ist eine Überbietungsdebatte, die meines Erachtens jeglicher Grundlage entbehrt und ihresgleichen sucht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zwar begrüßen die Linken das Vorhaben der Großen Koalition vom Grunde her – das ist schon einmal ein Ansatz –, fordern dann aber total überzogene Mindestlöhne. Wir haben es eben schon gehört. Selbst in Ihren eigenen Reihen gibt es Abgeordnete, die es beim Mindestlohn gegenüber den eigenen Mitarbeitern nicht ernst nehmen. Frau Kassner wurde genannt. Sie zahlte ihren Pensionsmitarbeitern auf der Insel Rügen nicht einmal die 8,50 Euro. Wasser predigen, Wein trinken: Das scheint mir Ihre populistische Methode zu sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wird dürfen das Rückgrat unserer deutschen Wirtschaft, nämlich die zahlreichen kleinen und mittelständischen Unternehmen, nicht überfordern. Sie werden es nicht glauben: Lohn muss erwirtschaftet werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liegt der Lohn über den Kosten für den jeweiligen Arbeitsplatz, meine lieben Kollegen von der Linken, droht dessen Wegfall. Das wollen wir doch wohl alle nicht haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das war aber betriebswirtschaftlich!) – Ja, das war betriebswirtschaftlich, aber auch volkswirtschaftlich. Wenn wir uns nicht in die Tasche lügen wollen, müssen wir festhalten, dass es mit der Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns Branchen geben wird, die an den 8,50 Euro schwer zu knabbern haben werden. 10 Euro oder gar mehr würden derzeit unüberwindbare Probleme bedeuten. Es ist naiv, zu glauben, keinerlei negative Effekte zu erleben. Wir müssen hier ehrlich bleiben. Schaue ich als junger Bundestagsabgeordneter beispielsweise auf das Gastgewerbe in unseren ländlichen Gebieten, so stelle ich fest, dass wir bei zweistelligen Mindestlöhnen mit Entlassungen bzw. mit Schließungen von Gaststätten zu rechnen haben werden. Unser Gastgewerbe setzte 2013 weniger um als im Jahr zuvor. Die Beschäftigtenzahl sank um 1,3 Prozent. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten ging im Vergleich zu 2012 um 2,6 Prozent zurück. Das wollen Sie mit Ihren Forderungen nach einem Mindestlohn von 10 Euro jetzt noch maßlos verschärfen. Ich sage Ihnen: Nicht mit uns! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerade bei den Betrieben in strukturschwachen Gebieten wird es zu Preiserhöhungen und zum Wegfall von Arbeitsplätzen für Geringqualifizierte kommen. Zudem wären Saisonarbeiter und Erntehelfer nicht mehr bezahlbar. Aber auch diese werden gebraucht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Richtig ist – das will ich hier ganz klar sagen –: Wer Vollzeit arbeitet, muss auch davon leben können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Große Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag auf einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro verständigt. So werden wir das auch umsetzen. Hierbei dürfen wir die kleinen und mittelständischen Unternehmen aber nicht überfordern. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro bedeutet Gehaltssteigerungen im zwei- bis dreistelligen Bereich. Dies muss unter gleichen wirtschaftlichen Bedingungen erst einmal erwirtschaftet werden. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Im dreistelligen Bereich? Also wirklich!) Als gelernter Elektriker, Lokomotivführer und im zweiten Bildungsweg studierter Leiter einer Verwaltung kommt mir persönlich bei der gesamten Mindestlohndebatte folgender Aspekt zu kurz: Wer einen Mindestlohn ohne Ausnahme will, muss gleichzeitig sagen, was ihm eine ausgebildete Fachkraft mindestens wert ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Meines Erachtens kann es nicht sein, dass ein ungelernter Hilfsarbeiter den gleichen Mindestlohn erhält wie ein junger Geselle im Handwerk, der sich jahrelang angestrengt, Leistungswillen bewiesen und gearbeitet hat. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der soll doch auch mehr kriegen! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Der soll mehr kriegen! Das stimmt!) Jugendliche dürfen durch Mindestlöhne nicht dazu verleitet werden, auf eine Berufsausbildung zu verzichten. Das ist der falsche Weg. Ausbildung und Leistung müssen sich lohnen. Ihre falschen Anreize sind auch mit Blick auf die Sicherung zukünftiger Fachkräfte von überragender Bedeutung. Diesen negativen Trend wollen Sie mit Ihrer Forderung nach einem Mindestlohn von 10 Euro noch verstärken, meine Damen und Herren von der Linken. Das ist nicht gut. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 19-Jährige hätten dann beispielsweise die Wahl zwischen einer Aushilfstätigkeit in Vollzeit mit einem Monatsgehalt von circa 1 600 Euro und einer ordentlichen Berufsausbildung mit einem Monatsgehalt von circa 700 bis 800 Euro. Es gehört wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass viele Jugendliche dieser finanziellen Versuchung eben nicht widerstehen können und sich für die zunächst besser bezahlte Aushilfstätigkeit entscheiden. Das würde den Fachkräftemangel ins Uferlose treiben. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns einen vernünftigen Mindestlohn einführen, der wirtschaftlich geboten und nicht wie auf einem Jahrmarkt durch den Höchstbietenden ausgefeilscht ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich fasse zusammen: Erstens. Leistung und Ausbildung müssen sich lohnen. Zweitens. Ein Mindestlohn von 10 Euro überfordert unsere kleinen und mittleren Betriebe. Drittens. Die Folge Ihres Antrags wäre, dass Ausbildungs- und Arbeitsplätze verloren gehen. Das können und wollen wir uns nicht leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Rützel [SPD]) Daher empfehle ich Ihnen an dieser Stelle, den Antrag der Linken abzulehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das war, wie gesagt, Ihre erste Rede. Herzlichen Glückwunsch! Damit hatten wir sechs Premieren in dieser Debatte. (Beifall) Wenn die Glückwünsche ausgesprochen sind, darf der Kollege Matthäus Strebl von der CDU/CSU diese Debatte beschließen. – Herr Kollege Strebl. Matthäus Strebl (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Thema Mindestlohn dürften sich alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien einig sein: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen von einer Vollzeitbeschäftigung leben können. Wir alle wissen aber auch, dass das längst nicht überall der Fall ist und dass hier dringend nachgebessert werden muss. Ein Schritt auf dem Weg ist die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns. Dieser Mindestlohn – diese Behauptung kann hier aufgestellt werden – wird kommen, und er wird bei 8,50 Euro in der Stunde liegen. Allerdings hat die Fraktion Die Linke nun den Antrag eingebracht, einen Mindestlohn in Höhe von 10 Euro einzuführen. Darüber werden wir heute befinden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie dürfen mir glauben, wenn ich sage: Auch ich gönne den Beschäftigten eine solche Lohnuntergrenze. Allerdings habe ich bei aller Sympathie für einen Lohn von 10 Euro in der Stunde als Mindestlohn die Realität nicht aus den Augen verloren. Das zwingt uns, diesen Antrag der Linken abzulehnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es heißt immer – wohl auch zu Recht –: Deutschland ist ein reiches Land; der Wirtschaft geht es gut. Richtig ist: Es geht uns besser als anderen, und Vergleiche hinken bekanntlich immer. Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass es in der Europäischen Union Länder gibt, die ihre Erfahrungen mit dem Mindestlohn bereits gemacht haben. Dies sind 21 von 28 Ländern mit höchst unterschiedlichen Mindestlöhnen. Spitzenreiter ist Luxemburg, das heute schon erwähnt wurde, mit 11,10 Euro, gefolgt von Frankreich mit 9,53 Euro. Da möchte ich kurz verweilen. Wie es um die französische Wirtschaft und den dortigen Arbeitsmarkt bestellt ist, muss ich hier nicht unbedingt erläutern. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das liegt aber nicht am Mindestlohn!) Ein hoher Mindestlohn ist also keineswegs Indiz für gesamtwirtschaftliches und persönliches Wohlergehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Große Koalition ist keine Klientelkoalition, sondern muss das gesamtwirtschaftliche Umfeld im Auge behalten. Wir sind uns dieser Verantwortung bewusst. Wir wägen ab und werden dementsprechend richtig entscheiden, wenn die Diskussion dann so weit gediehen ist. Es gibt genügend seriöse Experten, die uns in Gesprächen immer wieder gesagt haben: Bereits bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro könnten bestimmte Betriebe ins Straucheln kommen und damit Arbeitsplätze gefährdet werden. Das gilt umso mehr, meine sehr verehrten Kollegen von der Linksfraktion, bei einem Mindestlohn von 10 Euro. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns darf nicht dazu führen, dass einige etwas mehr verdienen, viele aber ihren Arbeitsplatz verlieren. Dabei könnten wir es uns einfach machen und der Forderung der Linken folgen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ja, versuchen wir es doch mal!) Beifall bekämen wir dann von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Aber Applaus ist bekanntlich nur das Brot, von dem Schauspieler leben – in einer fiktiven Welt. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Realität sieht nämlich anders aus. Deshalb verzichten wir in diesem Fall auf den Beifall und orientieren uns an dem, was unserer Wirtschaft und den Beschäftigten gleichermaßen guttut. Machen wir uns nichts vor: Bereits heute gibt es innerhalb der Großen Koalition berechtigterweise Diskussionen, aber vor allen Dingen Einvernehmen darüber, dass es bei der Einführung eines Mindestlohns eng begrenzte Ausnahmen geben wird, um nicht Arbeitsplätze zu gefährden. Ausnahmen könnte es beispielsweise bei Rentnern, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, nein, nein! Keine Ausnahme bei Rentnern!) Auszubildenden oder Langzeitarbeitslosen geben. Darüber diskutieren wir derzeit noch. Wenn wir eine Lösung gefunden haben, werden wir entscheiden und das Richtige tun. Die Meinungen über den Mindestlohn in der Gesellschaft reichen von Befürwortung bis hin zu Ablehnung; das muss man gerechterweise sagen. Die Wirtschaft sorgt sich, dass bei einem Mindestlohn zu wenig junge Menschen eine Ausbildung beginnen. Der Bauernverband fürchtet zum Beispiel um die Gurkenproduktion. Vieles andere wurde heute schon genannt. In München wurde darauf verwiesen, dass es schließlich auch Abiturienten geben soll, die in Ausbildungsberufe streben. Gegen jegliche Altersbeschränkung spricht sich zum Beispiel auch der Chef der IG Bergbau, Chemie, Energie aus. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende unseres geschätzten Koalitionspartners wiederum hält die Altersgrenze von 18 Jahren für „sehr gut begründbar“. Der Chor derer, die sich in unterschiedlichster Weise äußern, ist also groß und sehr vielfältig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Mindestlohn kommt. Er ist wichtig. Er darf aber keinesfalls derart attraktiv sein, dass junge Menschen auf eine Berufsausbildung verzichten. Ein Mindestlohn von 10 Euro, wie er im Antrag der Linksfraktion gefordert wird, würde einer solchen Entwicklung aber Vorschub leisten. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, denken Sie an die Zeit? Matthäus Strebl (CDU/CSU): Ich denke an die Zeit, Frau Präsidentin, und komme langsam zum Ende. (Heiterkeit) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Mindestlohn von 8,50 Euro hilft dem Einzelnen. Er kann auch als gewaltiges Investitionsprogramm bezeichnet werden. Wenn es stimmt, was das hannoversche Pestel-Institut berechnet hat, kommt es durch den Mindestlohn zu einem Kaufkraftzuwachs von gut 19 Milliarden Euro und damit zu einem Investitionsschub, der die Binnennachfrage stärkt. Machen wir mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro einen Anfang. Setzen wir gemeinsam ein Zeichen, dass wir uns für die Gesamtgesellschaft ebenso verantwortlich wissen wie für jede einzelne Arbeitnehmerin und -jeden Arbeitnehmer. Die 10-Euro-Forderung der Linksfraktion ist keine gute Grundlage für eine verantwortungsvolle Politik. Wir lehnen den Antrag deshalb ab. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/590 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frauen gerecht entlohnen und sicher beschäftigen Drucksache 18/847 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Wiederspruch. Dann ist so beschlossen. Die Debatte wird von der Kollegin Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen, eröffnet. Bitte schön. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum sechsten Mal gibt es – gerade jetzt parallel am Brandenburger Tor – eine Kundgebung zum Equal Pay Day. Zum sechsten Mal wird die bestehende Lohnlücke beklagt. Und zum sechsten Mal hören wir von einer Bundesregierung blumige Ankündigungen. Das kann nicht wirklich Ihr Ernst sein. Es ist doch keine Bagatelle, dass Frauen noch immer 22 Prozent weniger verdienen als Männer. Betroffene Mienen und Symbolpolitik bringen uns kein Stück weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Appelle allein – das haben wir gesehen – sind nicht geeignet, um die Welt zu verändern … Das Ziel ist, dass der Equal Pay Day nicht irgendwann Mitte März, sondern in Zukunft am 1. Januar stattfindet. Darum geht es. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, jetzt müssten Sie eigentlich heftig klatschen; denn das sind nicht meine Worte, sondern die von Frank-Walter Steinmeier; er hat es vor einem Jahr an dieser Stelle gesagt, bei der Debatte zum Equal Pay Day 2013. Und wir meinen: Er hat recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Katja Mast [SPD]: Ja, er hat immer recht!) Die Forderungen der Regierungsfraktionen beim Thema Entgeltgleichheit sind aber enttäuschend. Hier hat die Union ganze Arbeit geleistet. Anders ist der Antrag von letzter Woche nicht zu deuten. Die Ankündigungen sind zwar wortreich, aber die geplanten Maßnahmen sind schwammig und wenig ambitioniert. Es ist also gut, dass wir diese Debatte zu unserem Antrag auf die heutige Tagesordnung setzen konnten. So werden wir übrigens dem Equal Pay Day gerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Unsere erste Forderung ist eine gerechte Bewertung von Arbeit und eine gesellschaftliche Aufwertung von Berufen mit hohem Frauenanteil. Nichts anderes meint der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, wenn er dieser Tage eine deutlich bessere Bezahlung von Pflegekräften fordert: Der Lohn müsse dem guter Handwerker entsprechen. Der Unterschied ist aber, dass es uns nicht nur um Pflegekräfte geht. Arbeit darf nicht willkürlich und auch nicht inte-ressengelenkt bewertet werden. Es reicht auch nicht aus, wenn die Regierungsfraktionen die Bewertung von Arbeit mit den Tarifpartnern voranbringen wollen. Wir brauchen endlich allgemeingültige geschlechtsneutrale Kriterien. Nur so werden wir dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ gerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im zweiten Punkt fordern wir, dass Entgeltregelungen überprüft werden und insbesondere Entgeltdiskriminierungen verbindlich beseitigt werden. Im Antrag der Regierungsfraktionen steht das zwar auch, aber die Unternehmen werden nur aufgefordert. Ansonsten setzen sie auf mehr Transparenz bei Unternehmen ab 500 Beschäftigten. Transparenz, Freiwilligkeit, Selbstverpflichtung – das alles haben wir schon hundertmal gehört. Das ist einfach zu wenig. Ohne verbindliche Regelungen ist eines sicher: So treffen wir uns in den nächsten Jahren wieder hier zum Equal Pay Day, und zwar nicht im Januar, sondern wieder im März. Wir brauchen ein Entgeltgleichheitsgesetz, alles andere ist Symbolpolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) In unserem dritten Punkt geht es darum, dass wir die betroffenen Frauen stärken wollen. Deshalb fordern wir ein Verbandsklagerecht, damit die Frauen zukünftig nicht mehr alleine klagen und ihren Job gefährden müssen. Die Regierungsfraktionen planen dazu gerade einmal einen individuellen Auskunftsanspruch. Das hilft aber nicht wirklich weiter. Außerdem ist Entgeltdiskriminierung kein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches Problem. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Der vierte Punkt liegt mir besonders am Herzen. Frauen brauchen gerechte Löhne, aber sie brauchen auch soziale Sicherheit. Sie sind häufig von Befristungen betroffen. Die Folgen sind allseits bekannt: Unsicherheit, fehlende Lebensplanung, wenig Weiterbildung und Arbeitslosigkeit. Vor allem erhalten befristet Beschäftigte auch noch deutlich weniger Lohn. Deshalb wollen wir die sachgrundlose Befristung abschaffen. Im Koalitionsvertrag wird das Thema mit keinem einzigen Wort erwähnt. Ich muss das immer und immer wieder sagen; denn hier fehlt der Großen Koalition jegliche Empathie, und das ist nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die Zahlen sind doch allseits bekannt: Abteilungsleiterinnen mit Hochschulabschluss erhalten im Schnitt 3 700 Euro, Männer in derselben Position 5 200 Euro, das sind satte 1 500 Euro mehr. Entgeltdiskriminierung ist also kein Nischenpro-blem der klassischen Frauenberufe. Die Physikerin verdient weniger als ihr männlicher Kollege. Ebenso wird die frauendominierte Pflege schlechter bezahlt als andere gleichwertige Tätigkeiten. Es ist wirklich an der Zeit, dass Frauen für das, was sie leisten, gerecht bezahlt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es liegen vielfältige Vorschläge auf dem Tisch. Geben Sie sich einen Ruck! Notwendig sind gesetzliche Regelungen; denn es muss endlich Schluss damit sein, dass es Arbeit von Frauen zum Schnäppchenpreis gibt. Schalten Sie nach den heutigen Beileidsbekundungen also nicht wieder in den Ruhemodus bis zum siebten Equal Pay Day. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ – so ist übrigens ein Flugblatt der SPD überschrieben. Unten steht groß und fett: „Andere reden über Frauenpolitik – die SPD handelt“. Wir nehmen Sie beim Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Machen wir auch!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Sabine Weiss, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Eingangs eine kleine Anmerkung: Ich bin mir relativ sicher, dass eine ganze Menge Kolleginnen und Kollegen bei diesem Tagesordnungspunkt gerne hier sitzen und zuhören würden. Ich weiß, dass ganz viele jetzt draußen am Brandenburger Tor sind und im Rahmen der Kundgebung ihre Unterstützung für das Anliegen bekunden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Verehrte Kollegin Müller-Gemmeke, ja, es ist tatsächlich unfassbar – das sehen auch wir so –, dass wir im Jahr 2014 immer noch über eine Lohndifferenz von 22 Prozent zwischen Männern und Frauen sprechen, und das sechs Jahre nach Einführung des Equal Pay Day. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tun Sie doch was!) – Ganz ruhig, ganz gelassen. Dazu komme ich gleich. Wir werden etwas tun. – Das ist in Zeiten, in denen Frauen mindestens so gut ausgebildet sind wie Männer, einfach nicht zu glauben. Die Gründe für diese Entgeltungleichheit sind vielfältig und daher schwierig zu bekämpfen: Berufswahl, längere Erwerbsunterbrechungen oder Teilzeitarbeit wegen der Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen, geringere Entlohnung in frauentypischen Berufen – die Liste der Gründe ist eben lang, und die Gründe können nicht einfach in Schwarz und Weiß differenziert werden. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht auch niemand!) Ganz wichtig: Weniger Erwerbseinkommen führt zu weniger Rente. So einfach diese Gleichung ist, so gravierend sind die Folgen für die Frauen. Die Rentenlücke zwischen Männern und Frauen beträgt fast 60 Prozent. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Skandal!) – Richtig. Wir haben, Frau Müller-Gemmeke, der Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen den Kampf angesagt: Ausbau der Betreuung, Aufwertung sozialer Berufe, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn?) Unterstützung von Unternehmen bei der Betreuung, Heranführen von Mädchen an typische Männerberufe, verbesserte Mütterrente und, und, und; ein ganzes Maßnahmenbündel nehmen wir in die Hand, um die vielfältigen Gründe zu beseitigen. Das sind eben keine blumigen Ankündigungen, Frau Kollegin Müller-Gemmeke. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen stundenlang mit viel Empathie – auch die wollten Sie uns absprechen – darüber diskutiert und sind zu diesen Ergebnissen gekommen. Wir wollen zeitnah einen Anspruch auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit schaffen, damit diejenigen, die familienbedingt zeitweilig weniger arbeiten möchten oder müssen, nicht in der Teilzeitfalle landen. Auch einen individuellen Auskunftsanspruch werden wir festlegen, um mehr Transparenz bei der Entlohnung zu erreichen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Transparenz reicht aber nicht aus!) Das alles sind nach unserer festen Überzeugung zielführende Maßnahmen, die wir im Kampf um mehr Entgeltgleichheit brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Neben den politischen und gesetzlichen Möglichkeiten ist jedoch auch ein Umdenken in unseren Unternehmen nötig, um diese Ungerechtigkeit endlich zu beenden. Das wahre Leben ist aber dies: Jedes Paar trifft individuelle Lebensentscheidungen. „Tritt ein Partner für die Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen beruflich kürzer oder nicht?“, das ist eine Frage, die in den meisten Beziehungen irgendwann diskutiert wird. In diese persönlichen Entscheidungen hat sich der Staat nicht einzumischen; denn das geht ihn nichts an. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich akzeptiere und befürworte es, wenn Familien zu dem Schluss kommen, dass ein Partner familienbedingt kurzfristig oder dauerhaft auf ein Erwerbseinkommen verzichtet. Das ist ihr gutes Recht und ihre ureigenste Entscheidung. Ich akzeptiere aber nicht, dass Familien zu dem Schluss kommen müssen, dass sie keine andere Wahl haben, weil sie ihre Kinder oder andere Angehörige versorgen müssen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt aber nicht wirklich das Thema der heutigen Debatte!) Frauen bekommen aber nun einmal die Kinder, und daran wird auch der medizinische und technische Fortschritt in den nächsten Jahrzehnten nichts ändern. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Mal sehen!) Frauen werden leider häufig für das Kinderkriegen oder die Pflege ihrer Angehörigen und die damit in der Regel verbundene berufliche Auszeit bestraft, und das ist nicht richtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie haben es gerade gesagt, Frau Müller-Gemmeke: Bei Berufen mit einem deutlich niedrigeren Erwerbseinkommen handelt es sich vielfach, wenn auch nicht nur, um typische Frauenberufe. Heute stand im Übrigen in der Zeitung, dass der Unterschied bei Steuerberatern am größten ist: Die Frauen erzielen im Schnitt nur 56 Prozent des Bruttogehalts der Männer. Es gibt allerdings eine Ausnahme, die wir heute auch einmal erwähnen sollten: Bei den Postboten liegen die Frauen tatsächlich mit rund 100 Euro vorne. (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Na super!) Es wäre toll, wenn wir das demnächst auch in vielen anderen Bereichen vorweisen könnten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine Lohndifferenz von 22 Prozent ist nicht hinnehmbar; aber noch weniger ist für mich die Lohndifferenz von 7 Prozent hinnehmbar, die auch dann bleibt, wenn man Kriterien wie Arbeitszeit, Berufswahl oder Erwerbsunterbrechungen berücksichtigt. An diese Problematik müssen und werden wir schnell und konsequent herangehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich stimme nicht mit allen Forderungen im Antrag der Grünen überein. Wir lehnen zum Beispiel, weil Sie, Frau Müller-Gemmeke, es erwähnt haben, ein Verbandsklagerecht und die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ab. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre aber richtig!) Dennoch sollten wir den heutigen Tag zum Anlass nehmen, gemeinsam Lösungen zu finden, um diese Ungerechtigkeit endlich zu beenden. Dann können wir den Equal Pay Day entweder am 1. Januar begehen, oder wir verzichten darauf, weil wir ihn dann überhaupt nicht mehr brauchen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Cornelia Möhring, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Cornelia Möhring (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt wiederkehrende Ereignisse, die uns Freude machen, Rituale, Gedenktage, die wir gerne begehen. Es gibt aber auch Tage, deren sich wiederholender Anlass, ehrlich gesagt, überhaupt kein Grund zur Freude ist, so auch der Equal Pay Day. Jedes Jahr stellen wir Mitte März, nämlich am Equal Pay Day, fest, dass der Lohn-unterschied, auch Gender Pay Gap genannt, unverändert bei 22 Prozent liegt. Übrigens übertreffen nur Österreich und Estland diesen Lohnraub innerhalb Europas. Unverändert sind seit vielen Jahren auch die Analysen. Zu zwei Dritteln liegen die Gründe für die ungleichen Löhne in der miesen Bezahlung in den sogenannten Frauenberufen und in der Tatsache, dass Frauen in mittleren und höheren Führungsebenen seltener als Männer vertreten sind, sowie darin, dass der Anteil von Frauen bei den Teilzeitbeschäftigten oder im Niedriglohnbereich immer noch 80 Prozent beträgt. Das letzte Drittel kommt zustande, weil Frauen auch für gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden. Das ist und bleibt ein riesiger Skandal. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Machen wir es doch einmal ganz konkret: Eine Großhandelskauffrau erhält in 40 Jahren Erwerbstätigkeit 271 000 Euro weniger als ein Großhandelskaufmann. Bei einer Köchin beträgt die Differenz 100 000 Euro. Einer Ärztin entgehen in nur 35 Jahren 441 000 Euro, nur weil sie eine Frau ist. Der Lohnunterschied zwischen einer Erzieherin und einem Maschinenschlosser beträgt auf das Berufsleben gerechnet 231 000 Euro. Ich frage Sie: Warum bekommt eigentlich die Kollegin, die sich um das Wohl unser aller Nachwuchs kümmert, eigentlich so viel weniger, obwohl sie doch faktisch sogar mehr Verantwortung übernimmt? (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das kann so nicht weitergehen. Es muss endlich gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit geben. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Bis zur Rente wird aus dem 22-prozentigen Gender Pay Gap ein 40,8-prozentiger Gender Pension Gap; das ist die Rentenungleichheit zwischen Frauen und Männern. Um dieser zunehmenden Altersarmut zu begegnen, müssen wir bei gerechten und guten Löhnen anfangen. Ich will jetzt nicht zur vorherigen Debatte zurückkommen; aber ich glaube, wir haben gute Anknüpfungspunkte, um zu begründen, warum es einen deutlich höheren Mindestlohn geben muss. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist ein weiterer wichtiger Gedenktag, nämlich der Internationale Tag zur Überwindung von Rassendiskriminierung. Der erwähnte Gender Pay Gap würde noch viel schlimmer aussehen, wenn wir die illegale Arbeit einbeziehen würden. Die Forschungslage ist dünn, aber sie ist existent. In -einer Studie der Uni Hamburg wurde die Situation papierloser Menschen in der Hansestadt untersucht. Dort erfahren wir von Haushaltshilfen, die in einer Sechstagewoche 280 Euro verdienen, und von einem durchschnittlichen Stundenlohn von 4 Euro, der in der Gastronomie bezahlt wird. Auch dafür – das sage ich ganz deutlich – brauchen wir dringend Lösungen, damit papierlose Frauen nicht weiter dieser doppelten Diskriminierung ausgesetzt sind. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was will nun die Große Koalition gegen diese Ungerechtigkeiten unternehmen? Es soll Lageberichte zur Frauenförderung und Entgeltgleichheit in Betrieben mit über 500 Beschäftigten und ein individuelles Auskunftsrecht geben. Da zittert schon der Equal Pay Day vor seiner Auflösung. Diese Vorschläge suggerieren nämlich, dass der Gender Pay Gap auf eine tragische Ansammlung von Einzelschicksalen zurückgeht. Doch genau das ist falsch. Es geht um massenhaften Lohnraub, um strukturelle Diskriminierung von Frauen; es geht um politisches Versagen seit Jahren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es eigentlich nicht erstaunlich, dass das in dem Antrag der Grünen geforderte wirksame Instrument gegen diese Vereinzelung und gegen das politische Versagen, nämlich ein Verbandsklagerecht, von der Großen Koalition abgelehnt wird. Individuell gegen Diskriminierung klagen ist ein Hindernislauf: Es ist aufwendig, es ist langwierig, es ist teuer, es ist mühsam. Könnten aber Verbände und Gewerkschaften oder sogar die Antidiskriminierungsstelle Klage führen, müssten Frauen eben nicht mehr vereinzelt um ihre Rechte kämpfen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und mehr würden davon profitieren!) – Sie würden davon sehr stark profitieren, ja. Die in dem Antrag der Grünen vorgeschlagenen Kriterien und Bewertungssysteme, um gleichwertige Arbeit verbindlich vergleichbar zu machen und Berufe aufzuwerten, sind sehr sinnvoll. Wir teilen das. Ich erinnere bei dieser Gelegenheit daran, dass auch die SPD da schon einmal weiter war – vor GroKo-Zeiten. Denn was ist das für ein fragwürdiger Maßstab: Geht es um das Wohl der Menschen, wird mies bezahlt, geht es um Ex-traprofite und Wachstumswahn, wird Arbeit höher geschätzt. Das schadet uns allen, und das muss sich ändern. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Pflegerische und sorgende Arbeit muss dringend aufgewertet und besser bezahlt werden. Sorgen Sie endlich dafür, dass wir den Equal Pay Day am 1. Januar feiern können! (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Spätestens!) Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Für die SPD spricht jetzt Gabriele Hiller-Ohm. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Meine hoch geschätzte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauen müssen im Schnitt immer noch 80 Tage länger arbeiten, um auf den Jahreslohn von Männern zu kommen. Das – da sind wir uns alle einig – ist beschämend. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wo, so frage ich Sie, bleibt der laute Aufschrei in unserer Bevölkerung bei so hartnäckiger und langanhaltender Verletzung unseres Grundgesetzes? Meine Damen und Herren und auch sehr verehrte Damen und Herren auf den Tribünen, ich spreche oft mit Schülergruppen, und dann spreche ich auch dieses Thema an. Ich habe festgestellt, dass das Thema Lohndiskriminierung überhaupt nicht so wahrgenommen wird. Ich habe mich gefragt: Wie kann das sein? Warum ist keine Empörung zu hören bei den jungen Frauen, aber auch bei den jungen Männern? Die Mädchen und jungen Frauen fühlen sich überhaupt nicht benachteiligt oder diskriminiert. Sie sind erfolgreich in der Schule, in der Ausbildung und im Studium. Sie haben die jungen Männer inzwischen in vielen Bereichen überholt. Da fällt es offensichtlich nicht nur den jungen Frauen schwer, sich vorzustellen, dass die ganzen Mühen einmal in Altersarmut enden könnten. Das Problem, meine Damen und Herren, ist in seiner Tragweite in den Köpfen der Menschen überhaupt noch nicht angekommen. Blicken wir auf die letzten Jahre zurück: Wir haben uns auf politischer Ebene bei der Beantwortung der Frage von mehr Gerechtigkeit für Frauen in der Regel gestritten. Es gab keine breite Übereinstimmung in unserer Gesellschaft, Diskriminierung von Frauen abzuschaffen. Jetzt, meine Damen und Herren, haben wir eine gute Chance, diesen dringend notwendigen Konsens zu erreichen. Wir haben es geschafft, die CDU/CSU zu überzeugen, und werden es dann auch schaffen, Frauen in Deutschland endlich das zukommen zu lassen, was ihnen zusteht: Gerechtigkeit. (Beifall bei der SPD) Wir haben lange Zeit auf Freiwilligkeit gesetzt. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie immer noch!) Die Wirtschaft hat uns dafür nur den Finger gezeigt, und nichts hat sich verbessert. Wir brauchen also klare gesetzliche Regeln, damit die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt beseitigt werden kann. Ein Entgeltgleichheitsdurchsetzungsgesetz, wie auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, es in Ihrem Antrag fordern, haben wir bereits in unserem Koalitionsvertrag festgeschrieben. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt jetzt aber nicht! Da steht nichts von einem Entgeltgleichheitsgesetz! Auch nicht in dem Antrag von letzter Woche!) Wir wollen im ersten Schritt alle Unternehmen ab 500 Beschäftigten dazu verpflichten, einen Bericht über den Zustand der Entgeltgleichheit in ihrem Betrieb vorzulegen. Darüber hinaus brauchen wir ein gesetzlich festgelegtes individuelles Auskunftsrecht, und Regelungen zu verbindlichen Verfahren, wie Unternehmen Entgeltdiskriminierung beseitigen können, müssen ebenfalls festgeschrieben werden. Wichtig ist natürlich auch, über Sanktionen nachzudenken, damit das Gesetz dann auch Wirkung entfalten kann. Unsere Familienministerin Manuela Schwesig wird schon sehr bald Eckpunkte für dieses wichtige Gesetz vorlegen. Aber Sie haben recht: Das reicht natürlich noch nicht. Ein weiterer Hemmschuh sind die Minijobs, die für viele Frauen – besonders für die, die verheiratet sind und Kinder haben – eine verheerende Teilzeitfalle darstellen. Minijobs sind für viele Frauen zunächst sehr attraktiv, um nach einer Familienphase wieder in das Berufsleben einzusteigen. Man arbeitet Teilzeit, bezahlt keine Steuern, braucht keine Abgaben an die Sozialversicherungen zu entrichten und kann sich beitragsfrei über den Partner krankenversichern lassen. Die Zahlen bestätigen das: 84 Prozent der Frauen, die ausschließlich in einem Minijob arbeiten, sind verheiratet. So verlockend der Einstieg in eine Beschäftigung durch einen Minijob ist, so verheerend ist der Klebe-effekt: einmal Minijob, immer Minijob! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Weg in die Altersarmut ist oft vorgegeben, vor allem, wenn die Ehe auseinandergeht, und inzwischen wird fast jede zweite Ehe geschieden. Wer Vollzeit gearbeitet hat und wegen der Familie auf Teilzeit gegangen ist, muss deshalb ein Recht auf Rückkehr in den Vollzeitjob haben. Dieses Rückkehrrecht wird unsere Arbeitsministerin Andrea Nahles jetzt gesetzlich verankern, und das ist gut so; (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]) denn damit schaffen wir eine Alternative zum Minijob. Wir helfen damit auch den Vätern; denn genauso, wie sich viele Frauen wünschen, mehr arbeiten zu können, wünschen sich immer mehr Männer, weniger zu arbeiten, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben, und auch das ist gut so. Das müssen wir unterstützen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider werden Frauen trotz guter Bildungsabschlüsse noch immer mit schlecht bezahlten Jobs abgespeist. Sieben von zehn Beschäftigten im Niedriglohnbereich sind Frauen. Ich freue mich deshalb, dass Ministerin Nahles jetzt – wahrlich im Eilzugtempo – ihre Vorschläge für ein Mindestlohngesetz vorgelegt hat. Eins ist sicher: Ein gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn wird vielen Frauen zu besseren Löhnen verhelfen, und auch das ist gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gut für Frauen ist außerdem, dass wir uns im Koalitionsvertrag auf eine Quote für Frauen in Führungspositionen einigen konnten. Auch an dieser wichtigen Stelle haben wir den politischen Streit beendet und setzen jetzt auf Konsens. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich in unserer Gesellschaft endlich ein neues Bewusstsein entfaltet und Frauen genauso selbstverständlich Führungsaufgaben wahrnehmen können wie Männer. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit der Bundestagswahl ist gerade einmal ein halbes Jahr vergangen. Wie sieht es aus? Wir haben im Koalitionsvertrag viele Verbesserungen für die Menschen durchgesetzt, und wir haben eine Regierung, die voll durchstartet. Diesmal ist mir um die Frauen und Männer in unserem Land nicht bange. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Frau Dr. Freudenstein, Sie haben jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Equal Pay Day schwebt die Zahl 22 als Symbol der Ungerechtigkeit über allen Debatten und Forderungen. Diese Zahl löst bei vielen Wut und bei fast allen zumindest Unverständnis aus. Frauen verdienen im Schnitt etwa 22 Prozent weniger als Männer. Wir alle hier finden das vermutlich ungerecht, und doch können wir Gerechtigkeit – so viel Ehrlichkeit muss in der Debatte sein – mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln so einfach nicht herstellen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Man tut in Debatten, gerade wenn sie durch Wut aufgeladen sind, immer gut daran, sich zunächst die Ur-sachen für einen solchen Unterschied anzusehen. In -diesem Fall sind das die häufigen und oft langen fami-lienbedingten Erwerbsunterbrechungen von Frauen, Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die hohe Teilzeitquote von Frauen, der nach wie vor geringe Anteil von Frauen in Führungspositionen und die Wahl des Berufs oder der Branche. Die FAZ fasste das vor wenigen Tagen in dem prägnanten Titel zusammen: „Zu lange raus, zu viel Teilzeit, der falsche Beruf“. Dort, wo gesellschaftliche Rahmenbedingungen für die Lohnunterschiede ursächlich sind, haben wir bereits einiges auf den Weg gebracht und viele Verbesserungen erreicht. Wir haben die Betreuungsangebote ausgebaut, das Elterngeld mit Partnermonaten kombiniert und Programme zum beruflichen Wiedereinstieg nach der Familienpause aufgelegt. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Betreuungsgeld macht es Frauen leichter, bei sich zu Hause eine sehr flexible Kinderbetreuung zu organisieren, und hilft damit beim Wiedereinstieg in den Beruf. Wir sind also auf einem guten Weg, haben aber noch einiges vor. So haben wir in der Großen Koalition vereinbart, das Teilzeitrecht zu reformieren und damit die Rückkehr zur Vollzeitstelle nach der Familienphase zu erleichtern; das wird Frauen helfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist völlig klar: Elternschaft darf natürlich kein Karrierehindernis sein. Ganz im Gegenteil: Wir müssen viel mehr dahin kommen, dass Arbeitgeber noch mehr als bisher erkennen, dass gerade Frauen, die Familie und Beruf unter einen Hut bringen, oft hochmotiviert, unwahrscheinlich schnell und bestens organisiert sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Einer der wesentlichen Faktoren für geschlechtsbedingte Lohnunterschiede ist nach wie vor die Berufswahl von Frauen. 70 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor sind Frauen. Sie sind besonders häufig von Niedrigstlöhnen betroffen. 90 Prozent der Friseure sind Friseurinnen. In der Erziehung und in der Pflege arbeiten sogar zu mehr als 93 Prozent Frauen zu oft niedrigen Löhnen. Das sind nur einige Beispiele. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie dagegen?) Dass Frauen aber trotz Girls’ Days und Infotagen nach wie vor scharenweise in typische sogenannte Frauenberufe gehen, müssen wir hier alle zur Kenntnis nehmen, auch wenn es uns nicht unbedingt gefällt. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was können wir tun?) Nun wäre es einfach, wenn man hier allein mit Aufklärung viel erreichen könnte. Ich weiß aber aus eigener beruflicher Erfahrung an der Uni gut, dass gerade die jungen Abiturientinnen sehr gut wissen, was sie tun. Sie wissen sehr gut, dass sie als Grundschullehrerin nicht reich werden. Aber sie wissen eben auch sehr gut, dass dieser Beruf mit nahezu jeder familiären und örtlichen Lebenslage ausgezeichnet zu vereinbaren ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Die jungen Frauen wissen sehr gut, dass sie ein Germanistikstudium selten in die höchsten Führungsetagen der deutschen Wirtschaft führt. Sie studieren es trotzdem, weil es ihnen Spaß macht (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll uns das denn jetzt sagen?) und weil sie bekanntlich besser und mehr lesen als die männlichen Kollegen. Junge Frauen wissen durchaus, dass soziale Berufe längst nicht so gut bezahlt sind, wie wir uns das wünschen würden und wie es angemessen wäre. Sie werden trotzdem Sozialarbeiterin, Erzieherin, Altenpflegerin. Ich begrüße das. Der Gender Pay Gap, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, über die wir heute diskutieren, ist für junge Frauen, die einen Beruf wählen, kein sehr großes Thema, zumindest keines, das sie in ihrer Entscheidung ganz wesentlich beeinflussen würde. Das ist vielleicht einer der wesentlichen Gründe für diese 22 Prozent Lohn-unterschied. Wir müssen auch anerkennen, dass die Arbeitgeber, die in dieser Diskussion gelegentlich als vermeintlich Schuldige dargestellt werden, mit der jetzigen Situation häufig selbst nicht sehr glücklich sind. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: Die Maschinenfabrik Reinhausen, einer der größten Arbeitgeber in meiner Stadt Regensburg, bemüht sich seit Jahren ganz gezielt darum, junge weibliche Auszubildende und junge Ingenieurinnen zu bekommen, weil man dort sehr genau weiß, wie gut gemischtgeschlechtliche Teams arbeiten und welche zusätzlichen Kompetenzen durch Frauen in den Betrieb kommen. Der Erfolg ist mäßig. Das Interesse junger Frauen an Berufen in der ausgesprochen gut bezahlten Metall- und Elektroindustrie ist überschaubar, obwohl es dort sehr flexible Arbeitszeitmodelle und ausgesprochen sichere Arbeitsplätze gibt. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie damit sagen? Ist das die Schuld der Frauen? – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außerdem ist das nicht das Thema!) Symbolpolitik wird uns also nicht weiterbringen. Wichtiger ist es, die Folgen pragmatisch und lebensnah abzufedern. Der Mindestlohn wird, so hoffe ich, gerade den Frauen nützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit der Mütterrente verbessern wir die Lage vieler Frauen, die Kinder großgezogen und auf Erwerbsarbeit verzichtet haben und heute mit niedrigen Renten leben müssen. Die Erziehung von Kindern ist übrigens eine Lebensleistung, die unsere Mütter ganz und gar unentgeltlich erbracht haben. Mit der Mütterrente würdigen wir die Erziehungsleistung von Frauen und verkleinern damit zugleich die größte finanzielle Gerechtigkeits-lücke, die es zwischen Frauen und Männern im Rentenalter gibt. (Beifall bei der CDU/CSU) Hat man alle äußeren Faktoren, die Lohnunterschiede erklären können, berücksichtigt, so wird aus der verstörenden Zahl von 22 Prozent die Zahl 7. Es bleibt immer noch eine Lohnlücke von etwa 7 Prozent zwischen Frauen und Männern, die wir uns nicht wirklich erklären können. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie haben Sie das denn ausgerechnet?) Bei gleicher Qualifikation und gleicher Berufserfahrung werden Männer auf gleichen Positionen oft besser bezahlt. Das wollen wir nicht hinnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Daher müssen wir auch weiter an den Ursachen arbeiten. Denn für gleiche Arbeit muss es selbstverständlich gleiches Geld geben. Niemand von uns wird bestreiten wollen, dass wir nach der Gleichberechtigung die Gleichbezahlung brauchen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag hat jetzt die Kollegin Ursula Schulte von der SPD. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ursula Schulte (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie alle kennen sicher das Buch „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende. Manchmal denke ich, dass die Beschäftigung mit der rechtlichen Gleichstellung von Frauen und Männern genau in diese Kategorie passt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn das Thema steht schon sehr, sehr lange auf der politischen Agenda. Sicherlich, wir haben schon viel erreicht. Aber als ich vor genau 30 Jahren mit meiner kommunalpolitischen Arbeit anfing, habe ich nicht im Traum daran gedacht, dass wir im Jahr 2014 von einer wirklichen Gleichstellung von Männern und Frauen noch so weit entfernt sein würden. Ein wichtiges Thema für meine Fraktion und mich sind vor allem die erheblichen Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen. Auch im 21. Jahrhundert gibt es da bei uns in Deutschland nach wie vor ein deutliches Gefälle. Von einer Entgeltgleichheit kann nicht die Rede sein. Die Gründe sind sicher vielschichtig. Aber Frauen verdienen immer noch bis zu 22 Prozent weniger, einfach deshalb, weil sie Frauen sind. Das ist beschämend, nicht akzeptabel und muss geändert werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber es kommt noch schlimmer. Im Laufe ihrer Erwerbsbiografie und vor allem mit steigendem Alter verändert sich dieser Einkommensunterschied weiter zulasten der Frauen. Für diese Gerechtigkeitslücke gibt es verschiedene Ursachen. Der Erste Gleichstellungsbericht nennt insbesondere die familienbedingte Erwerbsunterbrechung und vor allem die geringen Verdienstmöglichkeiten in frauentypischen Berufen sowie das Fehlen von Frauen in bestimmten Berufen und auf höheren Führungsebenen. Deshalb kann ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, nur beipflichten, wenn Sie in Ihrem Antrag fordern – ich zitiere –: Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ muss endlich durchgesetzt werden, damit Frauen gerecht entlohnt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht also darum, typische Frauenberufe aufzuwerten, die Teilzeitfalle zu durchbrechen, die prekären Beschäftigungsverhältnisse abzuschaffen sowie ein Verfahren in Gang zu setzen, das Transparenz über die Entgeltstrukturen in Betrieben und bei den Tarifvertragsparteien sicherstellt. Genau das sieht der Koalitionsvertrag vor. Die Regierungskoalition hat sich unter anderem darauf verständigt, die direkte Lohndiskriminierung zwischen Männern und Frauen zu beseitigen, indem Unternehmen gesetzlich verpflichtet werden, einen Bericht zur Entgeltgleichheit vorzulegen, ein individuelles Auskunftsrecht einzuführen und sich verbindlichen Prüfverfahren zu unterziehen. Unsere zuständige Ministerin ist – da bin ich vollkommen sicher – ein Garant dafür, dass dies auch umgesetzt wird. (Beifall bei der SPD) Was wir in der Tat benötigen – darauf möchte ich ganz besonders hinweisen –, ist ein aussagekräftiges Prüf- und Bewertungsverfahren zur Messung von Lohnungleichheit. Wir brauchen effektive Prüfsteine, die möglichst viele Diskriminierungstatbestände erfassen. Es soll aber nicht nur bei Transparenz und Prüfung bleiben. Wenn es tatsächlich einen Hinweis auf Entgeltdiskriminierung gibt, benötigen wir auch Mittel und Wege, damit Betriebe und Tarifvertragsparteien aktiv werden müssen. Und wir benötigen Maßnahmen zur Durchsetzung sowie entsprechende Sanktionsmöglichkeiten, um diese Diskriminierung abzubauen. Wir brauchen also klare gesetzliche Regelungen. (Beifall bei der SPD) Wenn wir Entgeltdiskriminierung aufdecken und angehen wollen, müssen wir alle handelnden Akteure ins Boot holen. Es geht nicht gegeneinander, sondern nur miteinander. Wenn wir hier und heute klare Signale an die Unternehmen senden, müssen wir ebenso dafür sorgen, dass das Prinzip der Entgeltgleichheit auch in andere Politikbereiche einbezogen wird. Dazu zähle ich die Reform der Minijobs, die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns, die Diskussion über das Betreuungsgeld und insbesondere ein geschlechtergerechtes Steuersystem, Stichwort Ehegattensplitting. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In all diesen Bereichen besteht weiterhin sehr großer Handlungsbedarf, wenn wir die Entgeltgleichheit und die Gleichstellung von Männern und Frauen wirklich realisieren wollen. Lassen Sie mich hier und heute das Thema Entgeltgleichheit noch aus einer ganz anderen Perspektive beleuchten, die mir persönlich sehr am Herzen liegt. Als Abgeordnete für den Kreis Borken vertrete ich – wie es so schön heißt – den ländlichen Raum. Hier stellen sich manchmal Probleme bzw. Fragen doch ein wenig anders dar. Ein Kernthema im ländlichen Raum, mit dem ich als langjährige Kommunalpolitikerin häufig zu tun hatte, sind die Leistungen pflegender Angehöriger. Wenn ich von pflegenden Familienangehörigen spreche, meine ich in erster Linie Frauen. Ich nenne sie inzwischen die vergessenen Frauen. Sie pflegen nach der Kindererziehung in der Mehrheit oft die eigenen Eltern oder Schwiegereltern, gar nicht so selten beide Elternpaare, ohne dass diese Leistung gesellschaftlich anerkannt wird. Diese Frauen und auch die wenigen pflegenden Männer sind für unsere Gesellschaft eine wesentliche Stütze. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ohne sie würde das System der Pflege zusammenbrechen, allein weil uns die finanziellen und personellen Ressourcen fehlen. Fakt ist, dass mir die Entscheidung, ob ich als pflegender Angehöriger noch berufstätig sein kann oder nicht, vielfach durch den Grad der Pflegebedürftigkeit abgenommen wird. Bei schwer demenzerkrankten Menschen mit Weglauftendenz oder bei Menschen mit schweren körperlichen oder geistigen Behinderungen ist eine Berufstätigkeit für die Pflegenden kaum denkbar. Deshalb benötigen wir neben einer neuen Wertschätzungskultur – diese bitte nicht nur in Sonntagsreden – eine stärkere Berücksichtigung dieser Leistung bei den Rentenansprüchen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es kann nicht sein, dass wir diese Frauen am Ende in die Grundsicherung schicken. Hier tragen wir alle unmittelbar Verantwortung. Auch das gehört für mich zu einer gerechten Entlohnung von Frauen. Ich könnte noch viele andere Themen ansprechen. Aber ich habe meine Redezeit schon überzogen, wie ich gerade sehe. (Heiterkeit bei der SPD) Zum Schluss möchte ich doch noch einen Wunsch äußern. Ich wünsche mir, dass spätestens die Generation meiner Enkelin Charlotte, die jetzt neun Jahre alt ist, nach Leistung und Qualifikation bezahlt wird. Sie soll sich keine Gedanken mehr darüber machen müssen, wie sie Familie und Beruf miteinander vereinbaren kann. Kurz: Sie soll ein gleichberechtigtes, vielfältiges Frauenleben führen. Dafür lohnt es sich doch zu kämpfen. Herzlichen Dank, dass Sie mir zugehört haben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Frau Kollegin Schulte. Dass ich die Zeit-überschreitung geduldet habe, war jetzt das Privileg der ersten Rede. Das darf aber nicht zur Gewohnheit werden. Trotzdem herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede. (Beifall) Wir haben heute noch eine Premiere. Auch für die Kollegin Antje Lezius ist es die erste Rede. Sie haben jetzt das Wort, Frau Lezius. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Antje Lezius (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So viel Zeit muss sein: Ich darf den Landrat und einige Ortsbürgermeister aus meinem Wahlkreis Birkenfeld auf der Tribüne begrüßen. Herzlich willkommen! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein Aspekt, der zur Ungleichheit führt, ist die Berufswahl junger Frauen. In meiner ehemaligen Funktion als Vorsitzende des Frauennetzwerkes BPW in Wiesbaden habe ich festgestellt, dass es oft noch festgefügte Vorstellungen über die klassische Rollenverteilung in den Köpfen gibt. Hier müssen wir nach wie vor ansetzen und Förderprogramme wie zum Beispiel den Girls’ Day weiterhin hochhalten. Ein weiteres Best-Practice-Beispiel ist hier die Fahrzeugbranche, die Ingenieure in die Schulen schickt, um Mädchen für technische Berufe zu gewinnen, und die Führungskräfte schult, um Verhaltensmuster und Vorurteile, die in vielen von uns stecken, zu hinterfragen und Diversity Management zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Das ist eine konstruktive Art, mit diesen Problemen umzugehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sagen jungen Frauen, dass sie selbstverständlich für technische Berufe geeignet sind und dass eine Berufstätigkeit als Anlagenmechanikerin oder Tischlerin genauso sinnstiftend ist und Freude bringen kann wie die Arbeit als Erzieherin oder Bürokauffrau. Es gibt aber auch zahlreiche Frauen, die nicht voll arbeiten möchten, zum Beispiel weil sie mehr Zeit für ihre Familien haben wollen. Ein flexibler Arbeitsmarkt, den Sie immer gern kritisieren, funktioniert auch in die andere Richtung, nämlich mit maßgeschneiderten Arbeitsangeboten, die moderne Unternehmen heute für und mit ihren Mitarbeitern gemeinsam gestalten. Wir trauen den Frauen mehr zu, als Sie es tun. (Beifall bei der CDU/CSU) An dieser Stelle zeigt sich wieder einmal die grüne Bevormundungspartei. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Wir wollen Frauen, die ihre eigene Erwerbsbiografie besser planen, um ein Klebenbleiben in atypischen Arbeitsverhältnissen zu vermeiden. Dies geht freilich mit einer guten Ausbildung besser. Durch eine verstärkte Nutzung der dualen Teilzeitausbildung kann zum Beispiel fast 50 Prozent der jungen Mütter zwischen 16 und 25 Jahren ohne Berufsausbildung geholfen werden, sich eine Zukunft aufzubauen. Gleichzeitig setzen wir auf ein gesellschaftliches Umdenken. So möchten 60 Prozent der jungen Paare und Familien Erwerbsarbeit partnerschaftlich umsetzen, aber nur 14 Prozent schaffen dies. Hier sind wir alle gefordert, die Ursachen von Erwerbsungleichheit im Sinne eines partnerschaftlichen Miteinanders zu beseitigen und echte Wahlfreiheit im Lebenslauf zu ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Schließlich wollen wir Frauen, die selbstbewusst ihre Anliegen vertreten. Dazu setzen wir neben geschlechtergerechter Berufswahl auch auf die individuellen Fähigkeiten der Frauen, ihre Bedürfnisse und Anliegen offensiv gegenüber ihren Arbeitgebern zu vertreten. Frauen können viel, trauen sich aber oft selbst wenig zu. Wir werden in punkto Entgeltgleichheit gemeinsam mit den Tarifpartnern Muster struktureller Ungleichheit in Tarifverträgen diskutieren und beseitigen. Gleichzeitig werden wir uns konkret an Unternehmen wenden, um im Einvernehmen mit den Mitarbeitervertretungen Lohndiskriminierungen aufzuspüren und zu beseitigen. Wir halten diesen Weg für gangbarer als das von Ihnen geforderte Verbandsklagerecht. Wir vertrauen darauf, dass die Beteiligten ihr Unternehmen besser kennen und gemeinsam im Dialog mit Mitarbeitern und Tarifpartnern bessere Lösungen finden. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Hat auch immer gut geklappt bisher!) Wir als Große Koalition sagen auch in aller Klarheit: Wir wollen gemeinsam mit der Wirtschaft etwas gegen den Fachkräftemangel tun. Dazu müssen wir weibliches Potenzial finden und fördern; denn die Betriebe können es sich gar nicht mehr leisten, auf gut ausgebildete Mitarbeiter, weibliche oder männliche, zu verzichten. (Beifall bei der CDU/CSU) In den Unternehmen kommt diese Erkenntnis mittlerweile verstärkt an. Laut „Unternehmensmonitor Fami-lienfreundlichkeit 2013“ schätzen 80 Prozent der befragten Unternehmen das Thema Familienfreundlichkeit im Unternehmen als wichtig ein. 2003 waren es lediglich 47 Prozent. Sie sehen: Wir sind auf einem guten Weg. Allerdings dürfen wir hierbei auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen nicht außer Acht lassen. Kleine Unternehmen müssen andere Anstrengungen vollziehen, um ihren Mitarbeitern maßgeschneiderte Lösungen, etwa in Form flexibler Arbeitszeitmodelle, zu bieten als große. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel ist es, den Equal Pay Day jedes Jahr am 1. Januar zu begehen. Das ist ein großes Ziel, aber ein erreichbares. Ich bin der Meinung, dass das allerdings nicht mit Verboten, sondern nur im ständigen und konsequenten Dialog geht. Da ist jede Frau gefordert, für sich und andere Frauen einzustehen und sich gegenseitig zu unterstützen. Liebe Kolleginnen, gerne gebe ich allen Frauen mit auf den Weg: Die Decke ist gläsern, und ich gebe zu bedenken: Wie leicht bricht Glas. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, herzlichen Glückwunsch! Das war nicht nur Ihre erste Rede, (Beifall) sondern Sie waren auch die letzte Rednerin in dieser Debatte. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/847 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 2. April 2014, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen ein nicht zu arbeitsreiches Wochenende. (Schluss: 13.40 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 21.03.2014 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.03.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 21.03.2014 Becker, Dirk SPD 21.03.2014 Da?delen, Sevim DIE LINKE 21.03.2014 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 21.03.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 21.03.2014 Gottschalck, Ulrike SPD 21.03.2014 Grindel, Reinhard CDU/CSU 21.03.2014 Groß, Michael SPD 21.03.2014 Hampel, Ulrich SPD 21.03.2014 Held, Marcus SPD 21.03.2014 Hintze, Peter CDU/CSU 21.03.2014 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.03.2014 Krichbaum, Gunther CDU/CSU 21.03.2014 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 21.03.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.03.2014 Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 21.03.2014 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 21.03.2014 Dr. Middelberg, Mathias CDU/CSU 21.03.2014 Noll, Michaela CDU/CSU 21.03.2014 Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.03.2014 Poß, Joachim SPD 21.03.2014 Rupprecht, Albert CDU/CSU 21.03.2014 Rüthrich, Susann SPD 21.03.2014 Schieder (Schwandorf), Marianne SPD 21.03.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 21.03.2014 Schummer, Uwe CDU/CSU 21.03.2014 Stritzl, Thomas CDU/CSU 21.03.2014 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.03.2014 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.03.2014 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.03.2014 Veith, Oswin CDU/CSU 21.03.2014 Vogler, Kathrin DIE LINKE 21.03.2014 Werner, Katrin DIE LINKE 21.03.2014 Widmann-Mauz, Annette CDU/CSU 21.03.2014 Dr. Wilms, Valerie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.03.2014 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 920. Sitzung am 14. März 2014 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 (Beitragssatzgesetz 2014) – Erstes Gesetz zur Änderung des Schulobstgesetzes – Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (14. SGB V-Änderungsgesetz – 14. SGB V-ÄndG) Der Bundesrat hat hierzu ferner die folgende Entschließung gefasst: 1. Der Bundesrat begrüßt, dass mit dem Vierzehnten Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch die im Koalitionsvertrag vereinbarten wichtigen arzneimittelpolitischen Maßnahmen kurzfristig umgesetzt werden sollen, um den Ausgabenanstieg in der Arzneimittelversorgung zu begrenzen und der pharmazeutischen Industrie Planungssicherheit zu geben. 2. Der Bundesrat begrüßt die vorgesehene Aufhebung der frühen Nutzenbewertung für Arzneimittel des Bestandsmarktes, da die Einbeziehung solcher Arzneimittel in die Nutzenbewertung mit einem deutlich zu hohen methodischen und administrativen Aufwand sowohl für die pharmazeutischen Unternehmen als auch für den Gemeinsamen Bundesausschuss und das Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen verbunden wäre. Zudem bestünde für die pharmazeutischen Unternehmen eine große Planungsunsicherheit, ob und gegebenenfalls wann ihre Produkte des Bestandsmarktes einer solchen Nutzenbewertung unterzogen werden. Hinzu kommt, dass die Produkte des gegenwärtigen Bestandsmarktes in wenigen Jahren ihren Patentschutz verlieren und dann einem preissenkenden Generika- beziehungsweise Biosimilarwettbewerb ausgesetzt sein werden. 3. Der Bundesrat hält es für erforderlich, mit der vorgesehenen Aufhebung der Nutzenbewertung für Arzneimittel des Bestandsmarktes auch diejenigen Verfahren zu beenden, die sich auf Grundlage eines Bestandsmarktaufrufs nach § 35a Absatz 6 SGB V bereits im Stadium der Preisverhandlung nach § 130b SGB V befinden. Nach Auffassung des Bundesrates würde andernfalls eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von einigen wenigen pharmazeutischen Unternehmen geschaffen, für deren Produkte (namentlich Gliptine) der Bestandsmarktaufruf weiter fortwirken würde. 4. Nach Auffassung des Bundesrates hätte die bessere gesetzgeberische Lösung darin bestanden, die Umstellung des Preismoratoriums als ein „reales“ Preismoratorium auszugestalten, das heißt, es den pharmazeutischen Unternehmen zu gestatten, die seit 2009 eingefrorenen Preise für das Jahr 2014 und die Folgejahre maximal bis zur Höhe der Inflationsrate des Vorjahres zu erhöhen (Inflationsausgleich). Nach Auffassung des Bundesrates kommt als geeignete Referenzgröße sowohl der Erzeugerpreisindex für gewerbliche Produkte als auch der Index für die Lebenshaltung der privaten Haushalte in Frage, die sich von 2009 bis 2013 in etwa gleichförmig verändert haben. Vor dem Hintergrund, dass sowohl die Herstellungskosten pharmazeutischer Produkte als auch insbesondere die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen für neue, zukünftig auf den Markt kommende Wirkstoffe seit 2009 gestiegen sind, wäre die unveränderte Fortführung des Preismoratoriums nicht sachgerecht. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang an den so genannten „Generationenvertrag“, nach dem die Erlöse aus dem Vertrieb der Bestandspräparate zur Entwicklungsfinanzierung der nächsten Arzneimittel-Generation verwendet werden müssen. Eine unveränderte Fortschreibung des Preismoratoriums würde die Forschungstätigkeit der Unternehmen einschränken und insofern die Attraktivität des Pharmastandorts Deutschland für Innovationen beeinträchtigen. 5. Auch der Bundesrat sieht, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, Klarstellungsbedarf bei der Adjustierung der Handelszuschläge für Großhändler und Apotheken für innovative Arzneimittel nach erfolgter früher Nutzenbewertung und Erstattungsbetragsverhandlung. Die im Vierzehnten Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch enthaltene Änderung geht in dieser Hinsicht jedoch über eine technische Umstellung der Handelszuschläge hinaus. 6. Der Bundesrat befürchtet, dass – wenn der Erstattungsbetrag den bisherigen Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers ersetzt – der ausgewiesene Listenpreis als „Preisanker“ im internationalen Referenzpreissystem bedeutungslos würde. Folgen könnten einerseits eine Preiserosion mit wirtschaftlich nachteiligen Effekten für betroffene pharmazeutische Unternehmer sein, ohne das deutsche Gesundheitssystem finanziell zu entlasten, und andererseits eine unter Umständen schlechtere Versorgung der Patientinnen und Patienten in Deutschland mit innovativen Arzneimitteln. 7. Es stellt sich daher die Frage, ob vor diesem Hintergrund die Streichung der Rabattlogik in § 130b Absatz 1 Satz 2 bis 5 SGB V und § 78 Absatz 3a AMG erforderlich ist und die notwendige Klarstellung der Handelszuschläge durch eine Änderung des Arzneimittelgesetzes beziehungsweise der Arzneimittelpreisverordnung erreicht werden kann. Der Bundesrat wird diese für die Arzneimittelstandortpolitik wichtige Regelung kritisch begleiten. 8. Der Bundesrat begrüßt die im Gesetz vorgesehene jährliche Überprüfung der Höhe des Herstellerabschlags. Er befürchtet jedoch, dass der Herstellerabschlag von der finanziellen Lage der gesetzlichen Krankenversicherung abhängig gemacht wird. Dies lässt befürchten, dass Budgetprobleme der gesetz-lichen Krankenversicherung unabhängig davon, ob sie einnahmeseitig bedingt sind oder ausgabenseitig aus anderen Leistungsbereichen als dem der Arzneimittelversorgung resultieren, auf Kosten der pharmazeutischen Industrie gelöst werden sollen. Eine solche Interpretation hielte der Bundesrat nicht für sachgerecht. 9. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, zeitnah die durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011 geschaffenen befristeten Regelungen im Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (§§ 302 Absatz 7, 313 Absatz 8 SGB VI) bis 2019 zu verlängern. Begründung: Durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011 hat der Bundesgesetzgeber aus Vertrauensschutzgründen befristete Regelungen geschaffen, um die Aufwandsentschädigungen für kommunale Ehrenbeamte, für ehrenamtlich in kommunalen Vertretungskörperschaften Tätige und für Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane, Versichertenälteste oder Vertrauenspersonen der Sozialversicherung bis zum 30. September 2015 weiterhin nicht als Hinzuverdienst zu werten, soweit kein konkreter Verdienstausfall ersetzt wird (§ 302 Absatz 7, § 313 Absatz 8 SGB VI). Die Vertrauensschutzregelung gilt sowohl für Bestandsrenten als auch für neue Rentenfälle. Ziel ist es, die Umsetzung eines durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts motivierten Beschlusses der Deutschen Rentenversicherung Bund zur Berücksichtigung der Einkünfte von ehrenamtlich Tätigen als Hinzuverdienst bei Renten der gesetzlichen Rentenversicherung zeitlich befristet abzufedern, um Härten für die Betroffenen zu vermeiden. Die Umsetzung des Beschlusses der Deutschen -Rentenversicherung Bund hätte eine Berücksichtigung des steuerpflichtigen Teils der Aufwandsentschädigungen aus den genannten ehrenamtlichen Tätigkeiten zur Folge gehabt. Zuvor waren diese Aufwandsentschädigungen von den Rentenversicherungsträgern nur in der Höhe als Hinzuverdienst berücksichtigt worden, in der sie einen konkreten Verdienstausfall ersetzten. Weil das Betriebsrentenrecht den Beginn eines Anspruchs auf eine Betriebsrente an den Beginn einer Altersvollrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung koppelt, hätte die Berücksichtigung der Aufwandsentschädigungen als Hinzu-verdienst dazu führen können, dass neben einer ge-gebenenfalls empfindlichen Zurückstufung der vorgezogenen Altersvollrente auf eine Teilrente oder eines Wegfalls der Altersrente auch der Beginn einer Betriebsrente verschoben werden muss. In ihrer Stellungnahme vom 10. Mai 2012 (vergleiche BR-Drucksache 287/12) zu der Entschließung des Bundesrates zur Nichtberücksichtigung von Aufwandsentschädigungen aus einem Ehrenamt als Hinzuverdienst im Rentenrecht, vergleiche BR-Drucksache 752/10 (Beschluss), lehnte es die damalige Bundesregierung ab, einer Forderung des Bundesrates nachzukommen und eine dauerhafte Regelung zum Schutz des Ehrenamtes zu schaffen. Zur Begründung führte die damalige Bundesregierung unter anderem aus, eventuell negative Auswirkungen der Hinzuverdienstregelungen könnten durch Anwendung des geplanten Kombirentenmodells gemindert werden. Derzeit erhielten Rentnerinnen und Rentner, die die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht hätten und die entsprechende Hinzuverdienstgrenze überschritten hätten, im Rahmen von starren monatlichen Grenzen nur eine Teilrente. Schon ein geringes Überschreiten dieser Grenzen führe zu einer unverhältnismäßigen Rentenkürzung. Nach dem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für ein Gesetz zur Anerkennung der Lebensleistung in der Rentenversicherung würden Teilzeitarbeit und vorgezogene Rente künftig besser kombinierbar. Zu einer gesetzlichen Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand ist es in der 17. Legislaturperiode allerdings nicht mehr gekommen. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode haben die regierungstragenden Parteien vereinbart, lebenslaufbezogenes Arbeiten zu unterstützen und den rechtlichen Rahmen für flexiblere Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand zu verbessern. Falls eine solche gesetzliche Flexibilisierung nicht zeitnah geschaffen wird, besteht die Gefahr, dass eine Regelung erst nach dem 30. September 2015 getroffen wird, wenn die bestehenden Übergangsregelungen bereits ausgelaufen sein werden. Insofern ist bei den betroffenen Personen erneut große Rechtsunsicherheit entstanden, die eine Verlängerung der Übergangsfrist erforderlich macht. Eine dauerhafte Lösung kann dann im Zusammenhang mit der Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand getroffen werden. – … Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und … Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes – … Strafrechtsänderungsgesetz – Erweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung – Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2014 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2014) Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Finanzausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Elfter Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung Drucksachen 16/13768, 18/641 Nr. 32 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwölfter Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung Drucksachen 17/14800, 18/641 Nr. 29 Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2011 bis 2014 (24. Subventionsbericht) Drucksachen 17/14621, 18/641 Nr. 26 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Haushaltsausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.72 Ratsdokument 11641/13 Drucksache 18/419 Nr. A.73 Ratsdokument 11672/13 Drucksache 18/419 Nr. A.76 Ratsdokument 14048/13 Drucksache 18/419 Nr. A.77 Ratsdokument 15457/13 Drucksache 18/419 Nr. A.78 Ratsdokument 16089/13 Drucksache 18/544 Nr. A.28 Ratsdokument 17869/13 Drucksache 18/544 Nr. A.29 Ratsdokument 17872/13 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 18/642 Nr. A.8 EP P7_TA-PROV(2014)0042 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 18/419 Nr. A.160 Ratsdokument 11275/13 Drucksache 18/419 Nr. A.161 Ratsdokument 12336/13 Drucksache 18/419 Nr. A.163 Ratsdokument 12347/13 Drucksache 18/419 Nr. A.164 Ratsdokument 12355/13 Drucksache 18/419 Nr. A.165 Ratsdokument 12369/13 Drucksache 18/419 Nr. A.166 Ratsdokument 12370/13 Drucksache 18/419 Nr. A.167 Ratsdokument 12372/13 Drucksache 18/419 Nr. A.168 Ratsdokument 12375/13 Drucksache 18/419 Nr. A.169 Ratsdokument 12378/13 Drucksache 18/419 Nr. A.171 Ratsdokument 13253/13 Drucksache 18/419 Nr. A.172 Ratsdokument 13812/13 Anlagen 1940 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 24. Sitzung, Berlin, Freitag, den 21. März 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 24. Sitzung, Berlin, Freitag, den 21. März 2014 1941 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 1946 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 24. Sitzung, Berlin, Freitag, den 21. März 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 24. Sitzung, Berlin, Freitag, den 21. März 2014 1945