Plenarprotokoll 18/23 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 23. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014 I n h a l t : Wahl der Abgeordneten Klaus-Peter Willsch und Swen Schulz (Spandau) als Mitglieder des Kuratoriums Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung 1753 A Wahl der Abgeordneten Nadine Schön (St. Wendel) und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) als ordentliche Mitglieder sowie Wahl weiterer stellvertretender Mitglieder in den Beirat bei der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen 1753 B Wahl der Abgeordneten Dr. Claudia Lücking-Michel als Schriftführerin 1753 C Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 1753 C Absetzung der Tagesordnungspunkte 3 und 9 1754 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen 1754 A Zusatztagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat am 20./21. März 2014 in Brüssel 1754 D Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin 1755 A Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) 1759 A Thomas Oppermann (SPD) 1762 A Heike Hänsel (DIE LINKE) 1763 B Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1764 C Volker Kauder (CDU/CSU) 1766 A Norbert Spinrath (SPD) 1768 C Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1769 C Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) 1770 C Gabriele Groneberg (SPD) 1772 B Michael Stübgen (CDU/CSU) 1773 B Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1774 B Christian Petry (SPD) 1775 A Manfred Grund (CDU/CSU) 1775 D Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) 1777 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 1778 D Manfred Grund (CDU/CSU) 1779 B Tagesordnungspunkt 4: Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2013 (55. Bericht) Drucksache 18/300 1780 A Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 1780 A Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg 1782 A Christine Buchholz (DIE LINKE) 1784 B Heidtrud Henn (SPD) 1786 C Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1788 A Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) 1789 B Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1791 B Dirk Vöpel (SPD) 1792 C Julia Bartz (CDU/CSU) 1793 D Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 1794 D Gisela Manderla (CDU/CSU) 1796 B Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Geburtshilfe heute und in Zukunft sichern – Haftpflichtproblematik bei Hebammen und anderen Gesundheitsberufen entschlossen anpacken Drucksache 18/850 1797 C Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1797 D Hermann Gröhe, Bundesminister BMG 1799 A Birgit Wöllert (DIE LINKE) 1800 D Dr. Karl Lauterbach (SPD) 1802 B Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1803 D Albert Weiler (CDU/CSU) 1804 C Dr. Roy Kühne (CDU/CSU) 1805 A Bettina Müller (SPD) 1806 B Erich Irlstorfer (CDU/CSU) 1807 C Marina Kermer (SPD) 1808 C Dr. Katja Leikert (CDU/CSU) 1809 C Tagesordnungspunkt 19: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Aufhebung des Beschlusses 2007/124/EG, Euratom des Rates Drucksache 18/824 1810 D b) Erste Beratung des von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grund-gesetzes (Artikel 23, 39, 44, 45a, 93) Drucksache 18/838 1811 A c) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Matthias W. Birkwald, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Renten für Leistungsberechtigte des Ghetto-Rentengesetzes ab dem Jahr 1997 nachträglich auszahlen Drucksache 18/636 1811 A d) Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Sabine Leidig, Thomas Lutze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland Drucksache 18/806 1811 A e) Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das psychiatrische Entgeltsystem überarbeiten und das Versorgungssystem qualitativ weiterentwickeln Drucksache 18/849 1811 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Umsetzung der Grundbuchamtsreform in Baden-Württemberg Drucksache 18/70 1811 B Tagesordnungspunkt 20: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. April 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay über Soziale -Sicherheit Drucksachen 18/272, 18/864 1811 C b) Beratung der Beschlussempfehlungen und Berichte des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Hansjörg Durz, Axel Knoerig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Wolfgang Tiefensee, Lars Klingbeil, Matthias Ilgen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Technologie-, Innovations- und Gründungsstandort Deutschland stärken – Potenziale der Digitalen Wirtschaft für Wachstum und nachhaltige Beschäftigung ausschöpfen und digitale Infrastruktur ausbauen Drucksachen 18/764 (neu), 18/872 1811 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Herbert Behrens, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Digitale Gründungen unterstützen – Zukunftsfähige Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft schaffen Drucksachen 18/771, 18/873 1811 D c)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 21, 22, 23, 24, 25, 26 und 27 zu Petitionen Drucksachen 18/785, 18/786, 18/787, 18/788, 18/789, 18/790, 18/791 1812 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der „Stiftung Denkmal für die ermordeten -Juden Europas“ Drucksache 18/845 1812 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Antrag auf Genehmigung zur Fortführung eines Strafverfahrens in der 18. Wahlperiode Drucksache 18/876 1813 A Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Antrag auf Genehmigung zur Fortführung eines Strafverfahrens in der 18. Wahlperiode Drucksache 18/877 1813 A Katja Kipping (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) 1813 B Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) (Erklärung nach § 31 GO) 1814 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Erklärung nach § 31 GO) 1814 D Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) 1815 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1816 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE  LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Drucksache 18/843 1816 C Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 1816 D Martina Renner (DIE LINKE) 1818 B Dr. Eva Högl (SPD) 1819 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1821 A Clemens Binninger (CDU/CSU) 1822 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1823 D Christian Flisek (SPD) 1824 C Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) 1826 D Tagesordnungspunkt 6: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption durch Lebenspartner Drucksache 18/841 1828 B b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Ulle Schauws, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze im Bereich des Adoptionsrechts Drucksache 18/577 (neu) 1828 C c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Europäischen Übereinkommen über die Adoption von Kindern (revidiert) Drucksache 18/842 1828 C Heiko Maas, Bundesminister BMJV 1828 D Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 1829 D Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 1830 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1832 B Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 1833 C Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) 1834 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 1835 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1836 C Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchens der somalischen Regierung mit Schreiben vom 27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie der Beschlüsse des Rates der Europäischen Union 2010/96-GASP vom 15. Februar 2010 und 2013/44-GASP vom 22. Januar 2013 in Verbindung mit der Resolution 1872 (2009) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksache 18/857 1837 B Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg 1837 C Jan van Aken (DIE LINKE) 1838 C Michael Roth, Staatsminister AA 1839 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1841 D Florian Hahn (CDU/CSU) 1842 D Thorsten Frei (CDU/CSU) 1843 D Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Höhere Löhne in den Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen absichern Drucksache 18/795 1844 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 1845 A Oswin Veith (CDU/CSU) 1846 A Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1847 C Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) 1848 D Alois Karl (CDU/CSU) 1851 B Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1852 B Wilfried Oellers (CDU/CSU) 1853 A Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Einsetzung einer „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Agnieszka Brugger, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung einer „Parlamentarischen Kommission zur Überprüfung, Sicherung und Stärkung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ Drucksachen 18/766, 18/775, 18/870 1854 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einsetzung einer „Parlamentarischen Kommission zur Überprüfung, -Sicherung und Stärkung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslands-einsätzen der Bundeswehr“ Drucksache 18/839 (neu) 1854 B Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) 1854 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 1855 C Dr. Rolf Mützenich (SPD) 1857 B Stefan Liebich (DIE LINKE) 1858 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 1858 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1859 D Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) 1861 B Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) 1862 B Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: -Urteil des Bundesverfassungsgerichts ernst nehmen – Bundesberggesetz unverzüglich reformieren Drucksache 18/848 1863 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1864 A Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 1865 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 1868 A Bernd Westphal (SPD) 1868 D Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) 1869 D Johann Saathoff (SPD) 1871 C Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Sechste Verordnung zur -Änderung der Verpackungsverordnung Drucksachen 18/496, 18/526 Nr. 2, 18/830 1872 C Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Den NATO-Bündnisfall umgehend beenden Drucksachen 18/202, 18/349 1872 D Thomas Hitschler (SPD) 1873 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 1874 B Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 1875 B Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1876 B Julia Bartz (CDU/CSU) 1877 A Tagesordnungspunkt 14: a) Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Tom Koenigs, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verantwortung übernehmen – Zügig mehr syrische Flüchtlinge aufnehmen Drucksache 18/846 1877 D b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine schnelle und unbürokratische Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland und in der EU Drucksache 18/840 1877 D Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1878 A Nina Warken (CDU/CSU) 1879 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) 1880 A Christina Kampmann (SPD) 1880 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) 1882 A Absetzung des Tagesordnungspunktes 15 1883 C Nächste Sitzung 1883 C Berichtigung 1883 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1885 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu den Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu: Antrag auf Genehmigung zur Fortführung eines Strafverfahrens in der 18. Wahlperiode (Zusatzpunkt 7) Antrag auf Genehmigung zur Fortführung eines Strafverfahrens in der 18. Wahlperiode (Zusatzpunkt 8) 1885 C Sonja Steffen (SPD) 1885 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1885 D Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1886 A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Sechste Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung (Tagesordnungspunkt 13) 1886 C Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) 1886 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 1887 A Michael Thews (SPD) 1888 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) 1889 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 1890 A 23. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zur 23. Plenarsitzung des Deutschen Bundestages. Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, müssen wir auch heute noch einige Wahlen durchführen. Als Mitglied des Kuratoriums Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Kollegen Klaus-Peter Willsch und die SPD-Fraktion den Kollegen Swen Schulz vor. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Damit sind die beiden genannten Kollegen als Mitglieder des Kuratoriums gewählt. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt für die Wahl der Mitglieder des Beirats bei der Bundesnetzagentur für Elek-trizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen vor, als ordentliches Mitglied die Kollegin Nadine Schön als Nachfolgerin des Kollegen Bernhard Kaster und als ihren persönlichen Vertreter anstelle des Kollegen Dr. Michael Fuchs den Kollegen Patrick Schnieder zu wählen. Der Kollege Dr. Michael Fuchs soll seinerseits anstelle der Kollegin Nadine Schön persönlicher Stellvertreter des Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer werden. Das wird Ihnen sicher einleuchten. Schließlich soll die Kollegin Barbara Lanzinger dem Kollegen Karl Holmeier als neue persönliche Stellvertreterin des Kollegen Dr. Georg Nüßlein nachfolgen. Die SPD-Fraktion schlägt für dasselbe Gremium vor, die Kollegin Waltraud Wolff als ordentliches Mitglied für den Kollegen Thomas Jurk und als ihren persönlichen Stellvertreter den Kollegen Thomas Jurk anstelle der Kollegin Michelle Müntefering zu wählen. Die Kollegin Michelle Müntefering soll ihrerseits für den Kollegen Dr. Hans-Joachim Schabedoth neue persönliche Stellvertreterin des Kollegen Klaus Barthel werden. Schließlich soll die Kollegin Andrea Wicklein für den Kollegen Johann Saathoff als neue persönliche Stellvertreterin der Kollegin Dr. Nina Scheer berufen werden. Sind Sie mit all diesen gerade vorgetragenen Vorschlägen einverstanden? – Ich höre keinen hinreichend eindeutigen Widerspruch. Damit sind die genannten Kolleginnen und Kollegen als Mitglieder oder persönliche stellvertretende Mitglieder des Beirats gewählt. Schließlich schlägt die Fraktion der CDU/CSU vor, die Kollegin Dr. Claudia Lücking-Michel für den Kollegen Volkmar Klein als neue Schriftführerin zu wählen. Können Sie sich auch das vorstellen? – Es sieht ganz danach aus. Dann ist die Kollegin Claudia Lücking-Michel hiermit als neue Schriftführerin gewählt. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur Verlängerung von Laufzeiten für Atomkraftwerke in Deutschland (siehe 22. Sitzung) ZP 2 Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 20./21. März 2014 in Brüssel ZP 3 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 19) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Umsetzung der Grundbuchamtsreform in Baden-Württemberg Drucksache 18/70 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ZP 4 Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ Drucksache 18/845 ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Drucksache 18/843 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einsetzung einer „Parlamentarischen Kommission zur Überprüfung, Sicherung und Stärkung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ Drucksache 18/839 (neu) Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 3 und 9 werden abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen im Ablauf der heutigen Plenarsitzung. Ich mache schließlich noch auf nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Die am 13. März 2014 (20. Sitzung) überwiesenen nachfolgenden Vorlagen sollen zusätzlich dem Ausschuss Digitale Agenda (24. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Auswirkungen der §§ 30a und 42a des Bundesdatenschutzgesetzes Drucksachen 17/12319, 18/770 Nr. 5 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale Agenda Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Tätigkeitsbericht 2011 und 2012 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit – 24. Tätigkeitsbericht – Drucksachen 17/13000, 18/770 Nr. 6 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Sportausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gem. § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung (TA) Konzepte der Elektromobilität und deren Bedeutung für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt Drucksachen 17/13625, 18/770 Nr. 16 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gem. § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung (TA) Zukunft der Automobilindustrie Drucksachen 17/13672, 18/770 Nr. 17 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda Unterrichtung durch die Bundesregierung Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm) Drucksachen 17/8965, 18/770 Nr. 27 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda Darf ich auch dazu Ihr Einvernehmen feststellen? – Das ist ganz offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 2 unserer Tagesordnung: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 20./21. März 2014 in Brüssel Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor (Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel begibt sich zum Rednerpult) – den die Kanzlerin nicht verlesen wird. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie sind aber billig zu erheitern!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 96 Minuten vorgesehen. – Auch dazu stelle ich Einvernehmen fest. Damit erteile ich nun das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung der Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auf der Tagesordnung eines Frühjahrsrates der europäischen Staats- und Regierungschefs steht in der Regel die Frage, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken und damit die Grundlagen für Wachstum und Beschäftigung verbessern können. Das wird auch dieses Mal so sein, und doch steht dieser Rat auch wieder ganz im Zeichen anderer Ereignisse; er steht im Zeichen der Entwicklungen in der Ukraine. Die Entwicklungen führen uns nachdrücklich vor Augen, wie verletzbar der Schatz von Frieden in Freiheit in Europa auch über ein halbes Jahrhundert nach Unterzeichnung der Römischen Verträge ist. Wir hatten geglaubt, dass sich 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer der Friedensauftrag der europäischen Einigungsidee gleichsam umfassend erfüllt habe, und wir haben schon beinahe vergessen, dass der letzte Krieg auf dem europäischen Kontinent, dem westlichen Balkan, noch keine Generation her ist. Es grenzt an ein Wunder, dass sich viele Völker Europas nach Jahrhunderten des Blutvergießens und den Schlachten vor fast 60 Jahren zu ihrem Glück vereint haben. Wie kostbar dieses Glück ist, erleben wir gegenwärtig in der Ukraine. Das sogenannte Referendum am vergangenen Sonntag auf der Krim entsprach weder den Vorgaben der ukrainischen Verfassung noch den Standards des Völkerrechts. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan van Aken [DIE LINKE]) Die Stellungnahmen von OSZE und Europarat dazu sind eindeutig; Russland ist in allen internationalen Organisationen weitgehend isoliert. Das Ergebnis dieser sogenannten Abstimmung auf der Krim wird die internationale Völkergemeinschaft nicht anerkennen. Es handelt sich um einseitige Veränderungen von Grenzen. Die Annahme eines entsprechenden Resolutionsentwurfs im UN-Sicherheitsrat scheiterte, wenig überraschend, am russischen Veto. Dass alle anderen Sicherheitsratsmitglieder für die Resolution stimmten oder sich, wie China, enthielten, spricht jedoch eine deutliche Sprache. Die Europäische Union hat am vergangenen Montag beim Rat der Außenminister mit ersten gezielten Sanktionen reagiert und gegenüber 21 Personen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine bedrohen oder unterminieren, Reisebeschränkungen und Vermögenssperren ausgesprochen. Einen Tag später erfolgten die Anerkennung der sogenannten Unabhängigkeit der Krim durch Russland und der Vertragsschluss zu einem Beitritt der Krim zur Russischen Föderation, also weitere völkerrechtswidrige Schritte gegen die Einheit der Ukraine. Sie erfordern die entschlossene wie geschlossene Antwort Europas und seiner Partner: Erstens. Auf dem heute beginnenden Europäischen Rat werden die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union weitere Sanktionen der von uns vor zwei Wochen beschlossenen Stufe 2 festlegen. Dazu gehört eine Ausweitung der Liste von verantwortlichen Personen, gegen die Reisebeschränkungen und Kontensperrungen in Kraft gesetzt werden. Darüber hinaus werden wir Konsequenzen für die politischen Beziehungen zwischen der EU und Russland sowie in den nächsten Tagen auch der G 7 zu Russland ziehen. Denn es ist doch offenkundig: Solange das politische Umfeld für ein so wichtiges Format wie die G 8, so wie im Augenblick, nicht gegeben ist, gibt es die G 8 nicht mehr, weder den Gipfel noch das Format als solches. Ich ergänze: In der Abwägung zwischen notwendigen Gesprächskontakten einerseits, für die wir uns immer einsetzen werden, und Formaten, die definitiv ein anderes Umfeld als das jetzige erfordern, auf der anderen Seite wird die Bundesregierung entscheiden, ob und, wenn ja, gegebenenfalls in welcher Form deutsch-russische Regierungskonsultationen Ende April stattfinden werden. Außerdem wird der EU-Rat heute und morgen auch deutlich machen, dass wir bei einer weiteren Verschärfung der Lage jederzeit bereit sind, Maßnahmen der dritten Stufe einzusetzen. Dabei wird es ganz ohne Zweifel auch um wirtschaftliche Sanktionen gehen. Zweitens. Um eine internationale Kontrolle insbesondere in der Ost- und Südukraine zu ermöglichen, setzt sich die Bundesregierung für eine starke OSZE-Mission ein. Der Bundesaußenminister und ich haben in den letzten Tagen zusammen mit vielen anderen, insbesondere dem Schweizer Vorsitz, sehr viel getan, um den Beschluss zu einer solchen Mission hinzubekommen, aber die Verhandlungen sind zäh und schwierig. Der Bundesaußenminister hat gestern noch einmal gesagt, binnen 24 Stunden sollte und müsste eine solche Mission zustande kommen. Sie kann nach unserer festen Überzeugung auch zustande kommen. Wir werden auch den heutigen Tag nutzen, um das hinzubekommen. Außerdem setzen wir uns für die notwendigen Gespräche zwischen der russischen und der ukrainischen Regierung ein. Drittens. Deutschland und die Europäische Union werden die Ukraine mit konkreter Hilfe unterstützen. Der IWF führt mit Hochdruck Gespräche mit der ukrainischen Regierung über ein IWF-Programm. Die ersten Schritte des Hilfsprogramms der EU-Kommission müssen jetzt schnell umgesetzt werden. Wir werden zudem auf dem heute beginnenden Europäischen Rat den politischen Teil des Assoziationsabkommens mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten unterzeichnen. Dieser politische Teil gibt wichtige Impulse, vor allem für die Rechtsstaatsentwicklung, und wir geben damit ausdrücklich ein politisches Signal der Solidarität und der Unterstützung für die Ukraine. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, im Lichte der aktuellen Ereignisse in der Ukraine wird einmal mehr deutlich, wie kostbar das Werk der europäischen Einigung ist. Daran konnte und kann auch die europäische Staatsschuldenkrise nichts ändern, so groß die Herausforderung auch war und im Übrigen immer noch ist. Wenn wir wollen, dass die Europäische Union auch für kommende Generationen ihr Versprechen von Frieden, Freiheit und Wohlstand erfüllen kann, dann müssen wir jetzt die Weichen richtig stellen. Wenn wir wollen, dass unser einzigartiges europäisches Wirtschafts- und Sozialmodell auf Dauer im globalen Wettbewerb erfolgreich ist, dann dürfen wir jetzt in unseren Anstrengungen nicht nachlassen. Nur eine wirtschaftlich erfolgreiche, wettbewerbsfähige Europäische Union kann ihre Werte und Interessen in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts auch nach außen selbstbewusst vertreten. Wir werden uns deshalb beim Europäischen Rat heute und morgen weiter damit beschäftigen, wie wir unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken und damit die Grundlagen für Wachstum und vor allen Dingen Beschäftigung – das ist das zentrale Thema, mit dem wir uns, insbesondere mit Blick auf die jungen Menschen, in den nächsten Jahren auseinandersetzen müssen – verbessern können. Die Europäische Union tut gut daran, gerade in diesen Zeiten engagiert daran zu arbeiten, stärker aus der Staatsschuldenkrise herauszukommen, als wir in sie hi-neingegangen sind. Wir können auch sagen, dass die Euro-Zone als Ganzes jetzt, im Frühjahr 2014, nach schweren Jahren zum ersten Mal die Rezession verlassen hat. Die Kommission rechnet für 2014 mit einem Wachstum von ungefähr 1,2 Prozent. Das ist etwas mehr, als noch im Herbst erwartet wurde, aber wir wissen auch: 1,2 Prozent können noch gesteigert werden. Neben Spanien konnte auch Irland im Dezember sein Programm erfolgreich beenden. Die Leistung der Iren verdient unseren großen Respekt. Portugal und Spanien konnten langjährige Leistungsbilanzdefizite im Jahr 2013 in Überschüsse umwandeln und werden diese in diesem Jahr noch ausbauen. Portugal hat zum Beispiel wieder ein Wirtschaftswachstum zu verzeichnen. Auch die Investoren blicken mit mehr Zuversicht auf die Euro-Zone, als sie das in den vergangenen Jahren getan haben. Die Renditen für die Staatsanleihen der besonders von der Krise betroffenen Mitgliedstaaten sind deutlich gesunken. Für italienische, spanische und irische Anleihen etwa liegen diese im Umfeld der niedrigsten Stände seit der Einführung des Euro. Meine Damen und Herren, das sind gute Nachrichten. Doch so erfreulich die Fortschritte auf dem Weg zu mehr Stabilität und Wachstum auch sind: Wir müssen uns trotzdem im Klaren sein, dass der Aufschwung keineswegs schon gesichert ist. Deshalb müssen wir uns natürlich weiter um die Ursachen der Krise kümmern und Vorsorge für die Zukunft treffen. Wir haben zu diesem Zweck in den vergangenen Jahren die wirtschafts- und finanzpolitischen Überwachungsverfahren innerhalb der Euro-Zone und innerhalb der Europäischen Union immer weiter verbessert. Ich glaube, wenn wir dieses In-strumentarium schon vor der Krise zur Verfügung gehabt hätten, dann wäre vieles von dem, was wir durchleben mussten, so nicht passiert. Umso wichtiger ist es, dass wir die von uns selbst herausgearbeiteten Verfahren jetzt auch konsequent anwenden. Da gibt es das Europäische Semester, das sich in den letzten vier Jahren etabliert hat. Es ist heute weitreichender und konkreter, als es jemals war. Ich begrüße das; aber ich glaube, wir dürfen dabei nicht stehen bleiben, sondern müssen uns gerade in der Euro-Zone in den nächsten Monaten weiter für die wirtschaftspolitische Koordinierung in den nationalen Politikbereichen einsetzen. Nur so können wir in einer Kombination aus fiskalischer Solidität und wirtschaftspolitischer Koordinierung die Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion nachhaltig stärken. Ich habe es in diesem Plenum oft gesagt: Jacques Delors hat schon vor Einführung des Euros darauf hingewiesen, dass Fiskaldisziplin allein nicht ausreicht, um eine gemeinsame Währung auf Dauer stabil zu halten. Wir werden auf diesem Rat eine Bestandsaufnahme vornehmen und über übergreifende Schwerpunkte des diesjährigen Europäischen Semesters diskutieren. Es geht dabei um wachstumsfreundliche Konsolidierung, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Steigerung von Beschäftigung, vor allem der Jugendbeschäftigung, sowie Arbeitsmarktreformen. Es zeigt sich, dass die Reformen, die in vielen Mitgliedstaaten beschlossen wurden, zu wirken beginnen; aber dennoch gehört zu der augenblicklichen Lage auch ein Stück Vertrauensvorschuss. Deshalb werben wir für einen umfassenden Ansatz – Strukturreformen und mehr Wettbewerbsfähigkeit – und vor allen Dingen dafür, dass die EU-Institutionen, insbesondere die Kommission, die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen. Wir sind alle in der Pflicht. Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken. Wir glauben, dass die Ergebnisse der Analysen im Rahmen des makroökonomischen Ungleichgewichteverfahrens, die von vielen Mitgliedstaaten noch umgesetzt werden müssen, wirklich konsequent umzusetzen sind. Wir begrüßen, dass die Kommission, die sich mit den deutschen Ungleichgewichten befasst hat, nämlich mit den Leistungsbilanzüberschüssen, deutlich gemacht hat, dass sie nicht schädlich für die Euro-Zone sind. Das entspricht nach meiner festen Überzeugung den Tatsachen. Wichtig ist, dass wir sicherstellen, dass Unternehmen auch weiterhin in Europa produzieren. Hier haben wir eine Vielzahl von Herausforderungen zu bestehen. Ich kann jetzt nicht auf alle Details eingehen, möchte aber sagen: Es gibt eine ganze Reihe von Bereichen in Europa, bei denen wir Sorge haben müssen, ob wir im weltweiten Wettbewerb wirklich noch führend sind. Wenn ich mir die gesamte digitale Wirtschaft anschaue, stelle ich fest, dass wir einen erheblichen Nachholbedarf haben. Deshalb werden wir uns von deutscher Seite sehr stark dafür einsetzen, dass der digitale Binnenmarkt möglichst schnell geschaffen wird. Wir wissen, dass wir Rahmenbedingungen schaffen müssen – in Form von Forschung und Entwicklung –, und wir wissen, dass wir etwas tun müssen, um die Bürokratie abzubauen. Deshalb begrüßen wir die Initiative REFIT der Europäischen Kommission, mit der zum ersten Mal Bürokratie abgebaut wird, und deshalb weisen wir darauf hin, dass alle Verfahren, die in diesen Zeiten, in denen der weltweite Wettbewerb wirklich hart ist, die Lage für unsere Unternehmen erschweren, wirklich unterbleiben müssen. Dazu gehören auch sehr harte Diskussionen über den Umgang mit der energieintensiven Industrie, die von uns im Zusammenhang mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und der Frage des Beihilfeverfahrens jetzt geführt werden, insbesondere vom Bundeswirtschaftsminister. Ich kann nur sagen: Da die Energiepreise in den Vereinigten Staaten von Amerika heute deutlich niedriger sind als in Europa – um die Hälfte, zum Teil weniger als die Hälfte –, müssen wir die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen – das muss uns die Europäische Kommission ermöglichen –, dass zumindest die Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen und in Europa wettbewerbsfähig sind, im internationalen Wettbewerb bestehen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es macht doch keinen Sinn, wenn wir auf der einen Seite über die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und über neue, gute, qualifizierte Arbeitsplätze sprechen und auf der anderen Seite die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Unternehmen im weltweiten Wettbewerb erkennbar nicht bestehen können. Deshalb hat die Bundesregierung deutlich gemacht, dass sie die EEG-Umlage insgesamt nicht als Beihilfe sieht. Trotzdem müssen wir natürlich vorsorglich mit der Kommission verhandeln. Denn unsere Unternehmen brauchen Investitionssicherheit, und die notwendigen Befreiungsbescheide müssen im Sommer des Jahres verschickt werden. Ansonsten werden Investitionen unterbleiben. Die Verhandlungen sind kompliziert. Ich bitte ganz einfach um breite Unterstützung auch aus diesem Hause. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir werden uns bei diesem Europäischen Rat zudem dafür einsetzen, dass die EU eine führende Rolle bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Steuerhinterziehung einnimmt und jetzt zügig die Erweiterung der Zinsbesteuerungsrichtlinie verabschiedet sowie die Verhandlungen mit den europäischen Drittstaaten entschlossen voranbringt. Wir haben hier positive Signale aus Luxemburg, und wir werden schauen, dass wir möglichst schnell vorankommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, wir sind, glaube ich, in diesem Hause mit sehr breiter Mehrheit davon überzeugt, dass die Erfordernisse einer starken und wettbewerbsfähigen europäischen Industrie einen ambitionierten Klimaschutz beinhalten, dass sich diese beiden Dinge also nicht widersprechen, sondern sehr gut in Einklang zu bringen sind. Darum geht es auch in der laufenden Diskussion über die zukünftige Ausrichtung der europäischen Klima- und Energiepolitik. Hier ist der heutige Europäische Rat, wenn es auch noch keine abschließende Beschlussfassung geben wird, eine wichtige Etappe. Er ist eine wichtige Etappe, weil es auch um die internationalen Klimaverhandlungen und die internationale Klimakonferenz am Ende des nächsten Jahres in Paris geht, die wir durch unsere europäischen Beschlüsse natürlich auch unterstützen wollen. Die Europäische Kommission hat im Januar dieses Jahres eine EU-interne Treibhausgasminderung um 40 Prozent bis 2030 gegenüber 1990 und einen Anteil der erneuerbaren Energien von mindestens 27 Prozent vorgeschlagen. Diese Vorschläge sind die Basis für unsere Beratungen. Es ist kein Geheimnis, dass wir uns in einigen Teilen ambitioniertere Vorschläge der Kommission hätten vorstellen können, insbesondere beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber wir werden vor allen Dingen darum ringen müssen, dass wir zu einer gemeinsamen Beschlussfassung kommen. Deutschland setzt sich hier sehr intensiv ein. Wir wollen, dass ein starkes Signal von Europa ausgeht, um besagte Klimakonferenz in Paris deutlich zu unterstützen. Dass diese Verhandlungen schwierig werden, auch innerhalb der Europäischen Union, kann ich Ihnen jetzt schon voraussagen. Aber wir werden dafür werben, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Meine Damen und Herren, wir werden beim Europäischen Rat natürlich auch über die Energieversorgungssicherheit sprechen. Gerade im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Ukraine spielt dieses Thema insbesondere für unsere östlichen Nachbarn eine große Rolle. Wir müssen mit Nachdruck und Hochdruck an einem europäischen Energiebinnenmarkt arbeiten. Hier sind in den letzten Jahren, auch durch die Initiativen des EU-Kommissars Günther Oettinger, vielfältige Verbesserungen erfolgt. Aber unsere Anstrengungen müssen fortgesetzt werden, um unsere Energiebezugsquellen und Transportwege weiter zu diversifizieren und unsere Importabhängigkeiten weiter zu verringern. Dazu müssen wir neben den Möglichkeiten des Energieimports auch die Möglichkeiten der Energieeffizienz ins Auge fassen. Die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien ist natürlich auch ein Beispiel dafür, wie man unabhängiger wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Der Netzausbau ist eine zentrale Voraussetzung, das Ziel eines EU-Energiebinnenmarkts zu verwirklichen; deshalb wird es auch genau darum gehen. Sie sehen an der Themenstellung – erst recht, wenn das Thema Ukraine noch hinzukommt –, welch kompakten Arbeitsauftrag wir in den nächsten 24 Stunden haben. Sie sehen, dass es darum geht, einen Gesamtansatz einer Wirtschafts-, Industrie-, Energie- und Klimapolitik hinzubekommen, von dem wir der Überzeugung sind, dass er die Basis für Wohlstand und mehr Beschäftigung bilden kann. Wir sind uns allerdings bewusst, dass dies letztlich nur gelingt, wenn wir unseren Blick auch nach außen richten, weil wir uns immer mit den Besten in der Welt messen müssen und demzufolge unsere Wachstumschancen definieren müssen. Das gilt auch mit Blick auf die Vereinigten Staaten von Amerika; ich habe auf die Energiepreise hingewiesen. Europa und die USA erwirtschaften gemeinsam fast die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung. Fast ein Drittel des Welthandels wird über den Atlantik abgewickelt. Wir sind deshalb der tiefen Überzeugung, dass die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU von den Mitgliedstaaten unterstützt werden müssen und dass wir hier zu einem solchen Abkommen kommen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, ich kenne all die Vorbehalte. Aber ich glaube, wenn wir nur mit Blick darauf, was alles schwierig ist, an dieses Thema herangehen, dann werden wir Folgendes erleben: Die USA werden mit nahezu allen anderen Regionen dieser Welt Freihandelsabkommen abschließen, (Zuruf von der LINKEN: Das machen sie ja!) und auch wir werden mit sehr vielen Regionen dieser Welt Freihandelsabkommen abschließen. Aber ausgerechnet die beiden führenden Märkte, im Übrigen noch angesiedelt in erkennbar demokratischen Gesellschaften, wären nicht in der Lage, miteinander ein Freihandelsabkommen abzuschließen. Wenn das unsere Maßgabe sein sollte, dann sind wir auf dem Holzweg; das ist meine tiefe Überzeugung. Das muss zu schaffen sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber ich sage auch: Es gibt komplizierte Sachverhalte. Ich nenne nur das Thema Datenschutz. Ich könnte viele andere Dinge nennen. Wir werden alle Bedenken ernst nehmen. Lassen Sie uns aber an diese Verhandlungen so herangehen, dass es etwas wird, und lassen Sie uns nicht Gründe finden, damit es nichts wird. Nur ein offenes und erfolgreiches Europa kann seine Interessen und Werte überzeugend vertreten und auch seine Partnerschaften leben. Darum geht es auch, wenn am 2. und 3. April in Brüssel der EU-Afrika-Gipfel stattfindet. Der Europäische Rat heute und morgen dient auch der Vorbereitung dieses Treffens. An diesem Treffen werden etwa 80 Staats- und Regierungschefs teilnehmen. Wir wollen natürlich, dass von diesem Gipfel das Signal einer langfristigen, verlässlichen Zusammenarbeit mit unserem Nachbarkontinent ausgeht. Das Thema des EU-Afrika-Gipfels lautet „In Menschen, Wohlstand und Frieden investieren“. Dieses Thema verdeutlicht die Bandbreite unserer EU-Afrika-Beziehungen, ihre Herausforderungen und Chancen. Es weist auf die besondere Rolle hin, die Afrika für Europa spielt. Wir wollen dieser Verantwortung gerecht werden. Ich erinnere nur daran, dass wir bis zu den aktuellen Diskussionen über die Ukraine sehr intensiv über die Rolle und die Situation in Afrika gesprochen haben. Das darf jetzt nicht aus dem Blick geraten. Wir beobachten ein verstärktes Engagement, zum Beispiel von China, Indien, Brasilien, auch der Türkei, in Afrika. Das Gipfelthema betont natürlich nicht nur unsere Partnerschaft, sondern auch die Eigenverantwortung afrikanischer Staaten, die Verantwortung für ihren eigenen Wohlstand und ihre Sicherheit. Dazu zählen der Schutz der Menschenrechte, der Kampf gegen Korruption und der Schutz von Minderheiten; was das angeht, mussten wir in diesen Tagen leidvolle Erfahrungen machen. Dafür werde ich sehr entschieden werben. Gute Regierungsführung und die energische Bekämpfung der Korruption sind nämlich entscheidende Voraussetzungen für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung. Mit der wachsenden Transparenz, mit dem global verbreiteten Internet werden auch in Afrika die Menschen, die Bevölkerung, die Bürgerinnen und Bürger der Länder nicht mehr einfach hinnehmen, dass gute Regierungsführung nicht vorhanden ist, sondern sie werden dagegen aufbegehren. Wir können das gut verstehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir wollen diese gute Regierungsführung im Rahmen unserer Möglichkeiten weiterhin unterstützen. Ich werde auch für unsere sogenannte Ertüchtigungsinitiative zur Befähigung geeigneter afrikanischer Partner der Afrikanischen Union und der Regionalorganisationen zur Wahrung von Frieden und Sicherheit auf dem afrikanischen Kontinent werben. Wir glauben: Wir müssen Hilfe zur Selbsthilfe leisten, damit die afrikanischen Länder selber in der Lage sind, für ihre Sicherheit zu sorgen. Unsere afrikanischen Partner müssen durch Beratung, Ausbildung und auch durch Ausrüstung in die Lage versetzt werden, selbst für Stabilität und Sicherheit zu sorgen; denn Stabilität und Sicherheit sind die Grundvoraussetzungen für die weitere Entwicklung in vielen afrikanischen Staaten. Die Übernahme von Eigenverantwortung in den Regionen und die Stärkung der Regionalorganisationen und der Afrikanischen Union, das sind die Ziele, mit denen wir an die Zusammenarbeit herangehen. Die Europäische Union kann hier noch mehr leisten. Wir werden unseren Verpflichtungen gerecht. Die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen kennen Sie: in Mali, am Horn von Afrika, im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik. Hier zeigt sich die Bedeutung Europas als Partner Afrikas. Die Europäische Union engagiert sich in diesen Krisenherden mit ihren Krisenmanagementkapazitäten oder plant aktuelle Einsätze. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung setzt sich mit aller Kraft dafür ein, dass die Europäische Union auch in Zukunft ihr Versprechen von Frieden, von Freiheit und Wohlstand einhalten kann. Gerade in diesen Tagen erleben wir, dass dies alles andere als selbstverständlich ist. Gerade in diesen Tagen erleben wir auch, wie wichtig es ist, dass die Europäische Union immer wieder zu gemeinsamen Antworten findet. Ich bin überzeugt, dass wir dieses Ziel erreichen können. Deshalb arbeitet die Bundesregierung dafür, und ich bitte um Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, ich finde, Sie hätten lieber unseren Entschließungsantrag vorlesen sollen; das wäre inhaltsreicher gewesen. (Beifall bei der LINKEN) Aber kommen wir zum Ernst der Lage zurück. Ich sage: Die Lage ist wirklich ernst im Bezug auf die Ukraine und Russland, aber nicht hoffnungslos. Die Krim soll nun, unter Bruch des Völkerrechts, Bestandteil Russlands werden. Das Verfassungsgericht in Russland hat schon zugestimmt; jetzt werden noch die beiden Kammern des Parlaments zustimmen. Es ist übrigens interessant, dass Russland sich keine Gedanken darüber macht, dass dadurch natürlich aufseiten der Ostukraine, wenn Parlaments- und Präsidentschaftswahlen anstehen, über 1 Million Wählerinnen und Wähler fehlen – was ja auch Folgen hat. Aber das interessiert Russland nicht. Wie vorhergesagt, hat sich Putin tatsächlich auf den Kosovo berufen. Ich bleibe dabei: Die Abtrennung des Kosovo war ein Bruch des Völkerrechts; (Beifall bei der LINKEN) da können Sie hier über edle Motive erzählen, was Sie wollen. Soldaten gab es nicht nur auf der Krim, Soldaten gab es auch im Kosovo. Einen Volksentscheid gab es übrigens nur auf der Krim und nicht im Kosovo. (Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]) Aber ich habe keine Zweifel, dass die Mehrheit der Bewohnerinnen und Bewohner des Kosovo die Abtrennung wollte. Wir können ebenfalls nicht leugnen, dass auch eine große Mehrheit der Bevölkerung auf der Krim die Abtrennung will. Nur ist das für mich – das will ich auch gleich sagen – kein Grund. Auf eines möchte ich Sie hinweisen: Aus dem Bruch des Völkerrechts kann irgendwann im Völkerrecht Gewohnheitsrecht entstehen, und das ist nicht ungefährlich. Deshalb habe ich Sie damals beim Kosovo so gewarnt. Ein bedrängter, unterdrückter Bevölkerungsteil – auch ein Bevölkerungsteil, gegen den Gewalt angewendet wird –, muss das Recht haben, sein Land zu verlassen – aber nicht mit Territorium; das geht nur mit Zustimmung des Staates, zu dem das Territorium gehört. Diesen Grundsatz haben Sie im Kosovo gebrochen, und dafür zahlen wir jetzt. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Auf der Krim gab es kein Srebrenica!) Ich weiß, es gibt auch andere völkerrechtliche Auffassungen, sowohl in Bezug auf den Kosovo als auch in -Bezug auf die Krim. Zum Beispiel wird gesagt, dass Chruschtschow unter Verletzung sowjetischen Rechts damals die Krim der Ukraine übergeben hat; er war ja selbst Ukrainer. Ehrlich gesagt, meine Auffassung ist dies nicht. Ich sage: In beiden Fällen war bzw. ist es völkerrechtlich nicht legitim. (Beifall bei der LINKEN) Der Hinweis auf die ukrainische Verfassung, der von Ihnen immer kommt – auch von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin –, ist nicht besonders glaubwürdig. Sie sagen auf der einen Seite: Die ukrainische Verfassung verbietet eine eigene Volksabstimmung auf der Krim ohne Zustimmung der Zentralregierung. – Auf der anderen Seite interessiert es Sie aber nicht, dass in der ukrainischen Verfassung steht, dass der Präsident nur mit 75 Prozent der Stimmen im Parlament abgewählt werden darf – die nicht zusammenkamen. Also: Entweder die Verfassung gilt, oder sie gilt nicht. (Beifall bei der LINKEN) Heraus kommt auf jeden Fall eines: dass der Übergangspräsident und die Übergangsregierung nicht legitim sind; daran können Sie nichts ändern. Man kann mit ihnen trotzdem verhandeln – das bestreite ich nicht –; aber man muss wissen – und es ihnen sagen –, dass sie nicht legitim sind. Wie wird es weitergehen? Ich sage es Ihnen: Letztlich werden irgendwann, früher oder später, alle Regierungen irgendwie akzeptieren, dass die Krim zu Russland gehört. Nun sagen Sie: Man muss Sanktionen beschließen; denn wenn man keine Sanktionen beschlösse, dann bedeutete das, eine Völkerrechtsverletzung einfach hinzunehmen. Wirklich? Ich erinnere Sie an ein Beispiel: 1974 besetzten türkische Truppen den Nordteil Zyperns. Das war eindeutig und unbestritten völkerrechtswidrig. Sie haben damals nicht eine einzige Sanktion gegen die Türkei beschlossen. Warum nicht? Nur weil die Türkei im Gegensatz zu Russland in der NATO ist? Warum setzen Sie immer diese unterschiedlichen Maßstäbe? Warum können wir nicht mal einheitliche Maßstäbe setzen und anwenden? (Beifall bei der LINKEN) Übrigens: Zypern ist bis heute geteilt. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal etwas zu Putin!) Ich sage auch: Sanktionen sind keine Politik, sondern ein Ersatz dafür. Die USA drängen aber auf Sanktionen, weil die Antwort Russlands, die darauf erfolgen kann, nicht die USA, sondern die Europäerinnen und Europäer und insbesondere die Deutschen treffen würde. Frau Merkel, Sie sind hier wieder das, was Sie bei der US-Regierung immer sind: Sie sind hörig gegenüber der US-Regierung. Präsident Dr. Norbert Lammert: Einen kleinen Augenblick, bitte, Herr Gysi. – Ich darf darum bitten, dass offenkundig etwas länger dauernde bilaterale Gespräche nicht unmittelbar in der Nähe des Rednerpultes geführt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Das sind dieselbe Hörigkeit und dasselbe Duckmäusertum wie bei den millionenfachen Abhöraktionen der NSA in Deutschland. Sie tun nichts dagegen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Glauben Sie, dass Ihre Freunde aus Russland nicht abhören?) Es kommt noch etwas hinzu: Die USA planen jetzt neue Atomwaffen in Deutschland, Herr Kauder. Wir brauchen aber weder die alten noch neue Atomwaffen. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen eines: Wenn je von Deutschland aus eine Atomwaffe von den USA gestartet wird, dann trifft die Antwort uns und nicht die USA. Der Höhepunkt dabei ist: Wir sollen uns auch noch mit 20 Prozent an den Kosten beteiligen. Das sind 30 Millionen Euro. Ich frage Sie wirklich, Frau Bundeskanzlerin, Herr Steinmeier und Herr Schäuble: Wollen Sie ernsthaft für neue Atombomben der USA in Deutschland auch noch 30 Millionen Euro bezahlen? Die brauchen wir wirklich dringender für ganz andere Zwecke. (Beifall bei der LINKEN) Als Sanktionen wurden Kontensperrungen, Einreiseverbote und das Aussetzen der Verhandlungen über Visaerleichterungen und über wirtschaftliche Zusammenarbeit angesprochen. Außerdem soll Russland vom kommenden G-8-Gipfel ausgeladen werden; das wird also ein G-7-Gipfel. Daneben wurden weitere politische Maßnahmen und Wirtschaftssanktionen diskutiert. Der Bundeswirtschaftsminister hat nun den Export von Rüstungsgütern nach Russland verboten. Dazu – das ist die Ausnahme – sagen wir: Das ist richtig. Das hat aber nichts mit den Sanktionen zu tun, sondern damit, dass Rüstungsexporte unserer Meinung nach generell eingestellt und verboten werden müssen. (Beifall bei der LINKEN) Dieses Verbot wird die russische Armee allerdings nicht sehr beeindrucken. Ich frage Sie schon jetzt: Wie wollen Sie wieder raus aus den Sanktionen? Wollen Sie sagen, das geschieht, wenn die Krim wieder bei der Ukraine ist? Wenn das nicht geschieht: Wollen Sie sie ewig aufrechterhalten? Ich sehe schon, wie sich das nach einem oder zwei Jahren schleichend wieder auflösen wird. Ich frage Sie: Gibt es keine andere Chance – auch dafür, auf die Völkerrechtswidrigkeit hinzuweisen? Doch, die gibt es! Wir müssten umgekehrt herangehen und einmal nicht negativ und nicht in Form von Sanktionen denken. Wir könnten jetzt doch Verhandlungen mit der russischen Regierung aufnehmen und sagen: Okay, die EU und die NATO haben auch Fehler begangen; das stimmt. – Das kann man doch einräumen; das kostet doch nichts und wäre eine Selbstverständlichkeit. Weiterhin könnte man den Russen sagen: Sie haben auch Fehler begangen, und jetzt zeigen wir Ihnen einmal, wie eine Perspektive für gute Beziehungen mit der EU und der NATO aussehen könnte und wie wir auch Ihre Sicherheitsinteressen berücksichtigen könnten. Ich nenne einmal ein Beispiel, nämlich die Raketen in Polen und Tschechien. Die Russen haben gesagt, das beeinträchtige ihre Sicherheit. Der US-Außenminister hat daraufhin zum russischen Außenminister gesagt: Wieso das? Das hat doch gar nichts mit Russland zu tun. – Dieser hat geantwortet: Würden Sie es akzeptieren, wenn wir Raketen in Mexiko aufstellten und sagten, das habe nichts mit den USA zu tun? – Natürlich nicht! Ich sage: Wir müssen anders herangehen, nämlich eine Perspektive aufzeigen und dann sagen: Das knüpfen wir aber an die Bedingung, dass diese Art von Politik aufhört. Sie dürfen jetzt nicht lauter russische Inseln suchen und meinen, sie Russland wieder einverleiben zu können. – Das wäre doch eine Perspektive. Gehen Sie doch einmal positiv und nicht nur negativ an die Sache heran, damit wir endlich ein Europa nicht gegen und ohne Russland, sondern mit Russland bekommen; denn sonst wird es auch mit unserer Sicherheit nichts. (Beifall bei der LINKEN) Nun wollen Sie mit der Übergangsregierung der Ukraine den politischen Teil des Assoziierungsabkommens unterschreiben, mit einer Regierung, die nicht aus demokratischen Wahlen hervorgegangen ist und der Faschisten angehören. Wenn Sie uns schon angreifen – Sigmar Gabriel tut das ja auch; das, was ich hier sage, können Sie ihm einmal bestellen – und uns in die Ecke der kalten Krieger stellen, was Blödsinn ist – das muss ich Ihnen einmal ganz klar sagen –, dann hören Sie doch wenigstens auf den ehemaligen EU-Kommissar und Sozialdemokraten Günter Verheugen. Er sagt, dass es richtige Faschisten und nicht nur irgendwelche Nationalisten sind. – Das ist ein fataler Tabubruch, und denen wollen Sie auch noch Geld geben. Ich bitte Sie! Ich finde, eine deutsche Bundesregierung muss hier ganz andere Maßstäbe setzen. (Beifall bei der LINKEN) Ich meine das auch so. Am 13. März dieses Jahres habe ich ein Zitat von dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Swoboda Tjagnibok gebracht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Von 2004! Das war vor zehn Jahren!) Er hat gesagt: Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und andere Unarten. Dann haben Sie, Frau Göring-Eckardt, erklärt, das Zitat sei von 2004. Was wollten Sie denn damit sagen? Meinten Sie, es sei verjährt? Oder wollten Sie damit sagen, dass er jetzt anders denkt? Entweder haben Sie nicht die Wahrheit gesagt oder sich zumindest geirrt; denn das Zitat stammt vom Oktober 2012. Lesen Sie das im sozialdemokratischen Vorwärts nach. Ich würde mit dem Mann kein Wort wechseln, ihm schon gar nicht einen einzigen Euro übergeben und mit ihm auch keinen Vertrag schließen. (Beifall bei der LINKEN) Gestern haben Swoboda-Leute den Programmdirektor des Fernsehens in Kiew zusammengeschlagen und zum Rücktritt gezwungen, weil er die Rede von Putin dokumentiert hat. Der Hauptschläger ist im Parlament Mitglied des Ausschusses für Pressefreiheit. Am 9. Februar 1990 hat US-Außenminister Baker zu Gorbatschow gesagt, die NATO werde sich keinen Inch nach Osten ausdehnen. Frau Merkel, Sie und ich säßen heute vielleicht nicht hier im Bundestag, Herr Gauck wäre vielleicht nicht Bundespräsident, wenn die NATO diese Zusicherung nicht gegeben hätte. Der Preis von Gorbatschow für die deutsche Einheit und die Zugehörigkeit ganz Deutschlands zur NATO war der Verzicht auf die Ostausdehnung der NATO; auch Genscher hatte das zugesichert. Diese Vereinbarung haben Sie verletzt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Im Übrigen hat Gorbatschow vielleicht etwas mehr für die deutsche Einheit getan als die britische Regierung, wenn ich daran einmal erinnern darf. Aus der NATO wurde ein Interventionsbündnis, und zwölf Staaten des ehemaligen Ostblocks wurden aufgenommen: Tschechien, Polen, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien, Bulgarien, Rumänien, Albanien und Kroatien. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollten die nicht?) – Ich habe nicht bestritten, dass sie beitreten wollten; das weiß ich. Aber die NATO wollte das auch, sonst wäre dieser Beitritt nicht zustande gekommen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Auf dem NATO-Gipfel in Bukarest 2008 wollten die USA das NATO-Gebiet auch auf Georgien und die Ukraine ausdehnen – die wollten das vielleicht auch –, aber da hat die Bundesregierung Nein gesagt, in den anderen Fällen nicht. Immerhin das haben Sie verhindert. Putin sagte auf dem Gipfel in Bukarest wörtlich Folgendes – ich zitiere –: Das Entstehen eines mächtigen Militärblocks an unseren Grenzen würde in Russland als direkte Bedrohung der Sicherheit unseres Landes betrachtet werden. Warum wurde daran nicht gedacht, warum von vornherein das Gezerre um die Ukraine, entweder zur EU oder zu Russland? Nie wurde begriffen, dass die Ukraine eine Brücke zwischen der EU und Russland sein muss. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt sage ich Ihnen ganz schnell die Lösungen. Erstens. Lassen Sie den Unsinn mit den Sanktionen. Eine neue Spirale und weitere Zuspitzungen bringen nichts. China macht da nicht mit; das ist für Russland viel wichtiger. Sie müssen diese Sanktionen eines Tages sowieso wieder zurücknehmen. Das wird eher peinlich. Zweitens. Keine Abkommen und Verträge mit dieser Übergangsregierung, sondern Unterstützung bei der Vorbereitung und Beobachtung demokratischer Wahlen in der Ukraine. Erst dann, mit legitimer Regierung und ohne Faschisten, können Verhandlungen geführt werden. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine muss ausgeschlossen werden. Viertens. Der Status der Ukraine als Brücke zwischen EU und Russland ginge auch mit einer Perspektive der Mitgliedschaft der Ukraine in der EU, wenn sie auch mit Russland ausgehandelt ist und wir insgesamt eine Zusammenarbeit vereinbaren können. Fünftens. Russland bleibt aufgefordert, auf weitere militärische Drohungen und Androhungen, erst recht auf die Anwendung von Gewalt, in der Ukraine und anderswo zu verzichten und die Ukraine als souveränen Staat anzuerkennen. Das muss mit einer klaren, positiven Perspektive der Beziehungen zu Russland seitens der EU und seitens Deutschlands verbunden sein, (Beifall bei der LINKEN) und zwar mit Russland als Bestandteil Europas und nicht außen vor. Sechstens. Faschistische Organisationen und Parteien sowie paramilitärische Einheiten und andere illegale bewaffnete Formationen in der Ukraine sind aufzulösen. Das staatliche Gewaltmonopol muss durchgesetzt werden. Darauf müssen Sie bestehen, bevor Sie ihnen einen einzigen Euro überweisen oder Verträge mit ihnen abschließen. (Anhaltender Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Thomas Oppermann das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand zweifelt daran, dass sich dieser Gipfel neben den wichtigen wachstums- und wirtschaftspolitischen Fragen mit einer der schwersten Krisen befassen muss, die es in den letzten Jahrzehnten auf unserem Kontinent gegeben hat. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hat in Europa ein Staat eigenmächtig seine Grenzen neu definiert und einen Teil des Gebietes eines anderen Staates unter Verstoß gegen das Völkerrecht annektiert. Das zeigt, dass die europäische Friedensordnung alles andere als selbstverständlich ist, und es zeigt, dass wir jetzt alles dafür tun müssen, dass wir nicht in die Denkmuster und Handlungsstrukturen des Kalten Kriegs zurückfallen. Dieser Konflikt darf nicht weiter eskalieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb bin ich froh, dass die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister so entschieden und so besonnen agieren. Ihrer Umsicht und ihrem klaren Kurs ist es zu verdanken, dass das Blutvergießen auf dem Maidan gestoppt werden konnte und dass die Gewalt in der Ukraine nicht weiter ausgeufert ist. Dafür möchte ich Ihnen im Namen der SPD-Fraktion ganz herzlich danken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In seiner Rede am Dienstag hat Wladimir Putin die Russen als „das größte geteilte Volk der Welt“ bezeichnet. Damit bezieht er sich ganz offensichtlich auf die russischen Minderheiten in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Wenn sich hinter diesen Worten aber eine neue Putin-Doktrin nach dem Motto „Überall wo Russen leben, ist auch Russland“ verbergen sollte, dann verhieße das nichts Gutes. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Berlin-Charlottenburg!) Denn das liefe auf ein automatisches Interventionsrecht hinaus, sobald Wladimir Putin die Interessen im Ausland lebender Russen bedroht sieht. Ein solches Recht gibt es nicht, meine Damen und Herren. Ein solches Recht kann es gar nicht geben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wladimir Putins Rede war aber auch ambivalent. Er sucht förmlich nach Argumenten, um das Referendum auf der Krim und die anschließende Annexion durch Russland zu rechtfertigen. Überzeugend war das nicht. Unsere Haltung ist eindeutig: Die faktische Besetzung, das eilige Referendum und die Annexion der Krim sind nach Auffassung der internationalen Staatengemeinschaft klar verfassungswidrig; sie sind völkerrechtswidrig, und sie sind politisch brandgefährlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung das Ergebnis des Referendums und die Annexion nicht anerkennt. Das Referendum verstößt gegen ukrainisches Verfassungsrecht. Weder die alte noch die neue Verfassung erlauben ein Referendum in einem Landesteil ohne Berücksichtigung der Interessen des Zentralstaates. Im Übrigen hat das Referendum unter der Bedingung einer Besatzung und mit der klaren Absicht Russlands stattgefunden, sich die Krim einzuverleiben, und dies, obwohl Russland in Verträgen mehrfach die bestehenden Grenzen und die politische Unabhängigkeit der Ukraine zugesichert hat: im Budapester Memorandum von 1994 wie auch im bilateralen Vertrag von 1997. Insbesondere der Bruch des Budapester Memorandums ist verheerend, weil es der Ukraine explizite -Sicherheitsgarantien im Gegenzug für die Rückgabe ihrer Atomwaffen gab. (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es! – Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: So ist es! Genau so!) Russland war einer der Signatarstaaten. Wie wollen wir jemals wieder einen Staat zum Verzicht auf seine Nuklearwaffen bewegen, wenn solche Garantien das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben sind? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wladimir Putin praktiziert das Recht des Stärkeren. Er nutzt seine militärische Übermacht für die Einverleibung eines fremden Staatsgebietes. Die Annexion ist eindeutig völkerrechtswidrig. Das sieht auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen so, und Sie ja auch, Herr Gysi. Aber wenn Sie dann den Völkerrechtsbruch, der dort begangen worden ist, mit Hinweis auf tatsächliche oder angebliche Völkerrechtsverstöße durch andere relativieren, dann finde ich das allerdings unerträglich. Das zeigt, dass Ihre Kritik nicht ernst gemeint ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Schröder sagt das so!) Große Sorge bereitet auch Russlands Begründung für dieses Vorgehen. Es beruft sich auf den Willen der auf der Krim lebenden russischen Bevölkerung und geriert sich damit als deren Schutzmacht. Dass Grenzen unter Berufung auf den Schutz von Minderheitenrechten und auf ethnische Gesichtspunkte neu gezogen werden, ist nicht akzeptabel. Das internationale Recht stellt dafür angemessenere Mittel zur Verfügung. Eigentlich sollte gerade Russland wissen, welche Folgen sein bisheriges Vorgehen für einen Vielvölkerstaat haben kann. Die dortigen Ethnien werden die Entwicklung auf der Krim sehr genau beobachten und sich hierauf berufen. Wladimir Putin, spätestens aber sein Nachfolger, wird mit den Geistern, die er rief, fertig werden müssen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir können nicht sagen: Das Völkerrecht und die Souveränität der Ukraine sind uns egal. Die jetzt verhängten Sanktionen sind eindeutig und angemessen. Wir reden nicht über Sanktionen, wie sie vor 20 Jahren in Form umfassender Handelsembargos verhängt worden sind, unter denen vor allem die Zivilbevölkerung leiden musste; das kann nicht unser Ziel sein. Wir reden heute über sogenannte Smart Sanctions, die sich ganz gezielt gegen einzelne Entscheidungsträger richten. Die jetzigen Sanktionen auf der Stufe 2 nehmen die russische Bevölkerung nicht in Mithaftung für das Handeln ihrer politischen Führung. Aber sie können ein sehr wirkungsvolles Instrument sein, wenn sie sich gegen politische Entscheidungsträger und oligarchische Eliten dieses Landes richten. Deshalb begrüßen wir diese Schritte. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Oppermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hänsel? Thomas Oppermann (SPD): Ja, bitte. Heike Hänsel (DIE LINKE): Danke schön, Herr Präsident. – Herr Oppermann, Sie haben gerade darüber gesprochen, wie man mit Völkerrechtsbruch umgeht. Die SPD war in der Regierung, als der Irakkrieg von den USA begonnen wurde, ein völkerrechtswidriger Krieg mit Lügen begründet. Auch Angela Merkel hat sich damals für eine Beteiligung der Bundesrepublik eingesetzt. Wie sind Sie denn mit diesem Völkerrechtsbruch umgegangen, und welche Sanktionen haben Sie gegen die USA und ihre Koalition der Willigen wegen dieses massiven Völkerrechtsbruchs beschlossen, der Hundertausende Tote zur Folge hatte? Der Irak ist bis heute ein zerschlagenes Land. Meine Frage lautet: Welche Sanktionen gibt es? Welche Konsequenzen haben diejenigen, die für diesen völkerrechtswidrigen Krieg verantwortlich sind, zu tragen? (Beifall bei der LINKEN) Thomas Oppermann (SPD): Ich denke, Sie werden noch in Erinnerung haben, dass Bundeskanzler Schröder und die damalige rot-grüne Mehrheit des Deutschen Bundestages diesen Krieg eindeutig verurteilt und eine Teilnahme an diesem Krieg verweigert haben (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und dafür eine sehr kritische und schwierige Phase in den Beziehungen zu unserem wichtigsten Bündnispartner in Kauf genommen haben. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Gab es Sanktionen?) Im Übrigen haben wir keine Sanktionen verhängt, weil die amerikanischen Militärs nach meiner Kenntnis keine Gebiete des Irak annektiert oder dauerhaft besetzt haben. Inzwischen sind die Truppen abgezogen, und das ist auch gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will zu den Sanktionen Folgendes sagen: Es muss klar sein, dass dann, wenn Russland nicht einlenkt und weitere Teile der Ukraine bedroht, weitere Maßnahmen unausweichlich sind. Wir sind uns bewusst, dass Sanktionen auch eine Gefahr für die eigene Wirtschaft darstellen können. Niemand wünscht sich das. Dennoch ist es richtig, dass die Option schärferer Sanktionen auf dem Tisch bleibt. Ich bin dem BDI-Präsidenten, Ulrich Grillo, für seine klaren Worte vom vergangenen Freitag dankbar. Er hat zwar seine Vorbehalte gegen Wirtschaftssanktionen offen angesprochen, aber zugleich klargemacht, dass das Völkerrecht über allem steht und dass Wirtschaftssanktionen eine Frage der Politik sind. Dass führende Vertreter der deutschen Wirtschaft so verantwortungsvoll argumentieren und die Einhaltung und Durchsetzung internationalen Rechts über ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen stellen, ist sehr gut und ein verantwortungsvolles Zeichen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Gerade deshalb kommt der Politik an dieser Stelle eine besondere Verantwortung zu. Staatliche Sanktionen, seien sie wirtschaftlicher Natur oder nicht, müssen so ausgestaltet sein, dass sie diplomatische Lösungen nicht behindern. Es darf keinen Automatismus zu einer Sanktionsspirale geben. Für eine politische Bearbeitung des Konflikts mit Russland darf es niemals zu spät sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Übrigen müssen wir selbstverständlich bedenken, dass Russland auch in Zukunft als internationaler Verhandlungspartner gebraucht wird. Es gibt Konfliktherde wie den anhaltenden Bürgerkrieg in Syrien oder die Atomverhandlungen mit dem Iran, die ohne Mitwirkung Russlands kaum zu lösen sind. Das vorrangige Ziel muss es jetzt sein, die weitere Destabilisierung der Ukraine im Osten und im Süden zu verhindern. Die Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen russischen und ukrainischen Streitkräften besteht nach wie vor. Gestern hat es die ersten Toten gegeben. Wladimir Putin hat am Dienstag erklärt: Wir wollen keine Teilung der Ukraine; wir brauchen das nicht. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann man ihm das glauben?) Wir werden ihn beim Wort nehmen. Deshalb ist es richtig, dass jetzt auf Vorschlag der Bundesregierung eine OSZE-Beobachtermission prüfen soll, ob es Aktivitäten im Süden und Osten der Ukraine gibt, die zu einer Destabilisierung führen können. Eine solche Mission könnte einen Wiedereinstieg in einen politischen Prozess ermöglichen. Ich hoffe sehr, dass das gelingt. (Beifall bei der SPD) Wir haben aber auch klare Forderungen an die ukrainische Regierung, auch wenn sie es im Augenblick sehr schwer hat. Sie muss die Rechte aller nationalen Minderheiten achten und aktiv schützen. Niemand darf sich in der Ukraine als Bürger zweiter Klasse fühlen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin deshalb froh, dass das geplante Sprachengesetz gestoppt wurde. Es hat unnötig Ängste geschürt und die Spannungen verschärft. Weiterhin muss die Regierung die militanten Gruppen entwaffnen und das staatliche Gewaltmonopol durchsetzen. Antisemitismus und Rechtsextremismus dürfen in der neuen Ordnung der Ukraine keinen Platz haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rechtsextremes und nationalistisches Denken wollen wir nicht in Europa, nicht in Deutschland und auch nicht in der Ukraine. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Schließlich muss die ukrainische Regierung die Arbeit an einer neuen Verfassung, wie das in der Verständigung vom Februar vorgesehen war, vorantreiben, und sie muss die Verbrechen auf dem Maidan lückenlos aufklären. Ich will zum Schluss noch etwas zu den angekündigten Hilfen der EU und des IWF sagen. Ich begrüße sehr, dass diese Hilfen jetzt auf den Weg gebracht werden. Aber die Programme haben eine ganz entscheidende Voraussetzung: Das Geld muss für den Aufbau des Landes und für öffentliche Aufgaben eingesetzt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es darf nicht in den privaten Taschen korrupter Macht-eliten verschwinden. Die Menschen in der Ukraine wollen, dass die Korruption endlich aufhört in diesem Land. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn die Ukraine am Freitag den politischen Teil des EU-Assoziierungsabkommens unterschreibt, dann verpflichtet sie sich zur Einhaltung von mehr Rechtsstaatlichkeit. Das ist richtig; denn nur eine rechtsstaatliche und demokratische Ukraine wird stark genug sein, die Herausforderungen der nächsten Tage, Wochen und Monate zu bewältigen. Die Vorschläge zur Regelung des Konflikts liegen auf dem Tisch. Jetzt ist es an Russland, auf diese Vorschläge einzugehen. Jetzt geht es darum, den politischen Dialog wieder in Gang zu bringen. Ich wünsche der Bundeskanzlerin und dem Außenminister auf dem jetzt anstehenden Gipfel eine glückliche Hand für die ganz sicher nicht einfachen Verhandlungen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Anton Hofreiter ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine mutige Bürgerbewegung hat in der Ukraine eine Regierung gestürzt, die für Korruption und Unfreiheit stand. Ein Teil der Menschen, die das gemacht haben, hat dafür einen ex-trem hohen Preis bezahlt, den höchsten Preis, den man sich vorstellen kann; denn diese Menschen haben mit ihrem Leben dafür bezahlt. Das verdient unsere Solidarität und unsere Unterstützung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Menschen in der Ukraine haben es verdient, dass alle anderen Länder um sie herum ihre demokratischen Entscheidungen achten, dass alle anderen Länder um sie herum darauf achten, in welche Richtung sich die Ukraine entwickeln will, und dass sie darauf achten, dass die Ukraine kein geostrategisches Spielfeld ist, das man in die eine oder andere Richtung zerren kann. Das ist von großer Bedeutung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die russische Regierung tritt mit der Annexion der Krim das Völkerrecht mit Füßen. Hier herrscht nicht das Recht, sondern das Unrecht des Stärkeren. Für jeden, dem an friedlichen Konfliktlösungen gelegen ist, dem an Abrüstung gelegen ist, der dafür kämpft, dass es in der Welt weniger Atomwaffen gibt, ist diese Entwicklung ganz besonders bitter. Denn die Ukraine war eines der ersten Länder, die freiwillig auf Atomwaffen verzichtet haben. Dafür gab es eine Reihe von Garantiestaaten. Einer dieser Garantiestaaten war Russland. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: So ist es!) Insofern geht es hier nicht nur um das Völkerrecht als solches; vielmehr hat Russland explizit die Unabhängigkeit, die Freiheit und die territoriale Integrität der Ukraine garantiert. Bei allem Streit, ob das russische Vorgehen völkerrechtswidrig war, ist das ein ganz klarer Bruch dieses Vertrages. Das muss jeden ganz besonders hart treffen, der wirklich für friedliche Lösungen eintritt. Es muss besonders scharf verurteilt werden, was Russland da gemacht hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es ist wichtig, dass es Europa gelingt, mit einer Stimme zu sprechen. Es ist wichtig, dass wir auf die russische Regierung einwirken – sowohl diplomatisch als auch wirtschaftlich –, dass sie ihren Kurs ändert. So wichtig es ist, dass man da einwirkt und entsprechend Druck ausübt: Wir wissen andererseits, dass niemandem daran gelegen sein kann, dass es zu einer weiteren Eskalation kommt. Die Situation ist brandgefährlich. Es gab bereits erste Tote. Umstritten ist, was die Ursache dafür war. Eine zentrale Aufgabe der europäischen Außenpolitik ist es, eine weitere Eskalation auf der Krim zu verhindern. Jeder Schritt, den wir tun, muss deeskalierend wirken. Deshalb sind Reaktionen, die nervös oder hysterisch wirken, falsch. Schnellschüsse, auch solche politischer Natur, können am Ende Menschenleben kosten. Folglich ist es wichtig, dass wir klug und abgewogen reagieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grüne unterstützen den Dreistufenplan der EU. Wir Grüne sind fest davon überzeugt, dass das Zünden der zweiten Stufe richtig war. Jetzt sagen viele: Das hilft alles nichts. Putin ist mit der Annexion der Krim vorgeprescht. Das beeindruckt die russische Regierung überhaupt nicht. – Aber besonnene Reaktionen sind in einer so schwierigen Krise klug. Will denn irgendjemand fordern, dass man auf Putin’sches Großmaulheldentum mit gleicher Münze reagiert? Das ist doch keine europäische Art der Politikgestaltung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber man muss sich klarmachen, dass Putin und die russische Regierung trotzdem unbeirrt an ihrem Kurs festhalten. Deshalb ist es wichtig, weitere Schritte zu erwägen, wie man auf die russische Regierung erfolgreich einwirken kann. Einen ersten kleinen Schritt gab es bereits: Der Export eines Gefechtsübungszentrums wurde abgesagt. Aber das reicht nicht. Schauen wir uns an, wie viele Waffen allein Deutschland nach Russland exportiert hat: 2011 für 140 Millionen Euro, 2012 für 40 Millionen Euro. Damit muss jetzt Schluss sein. Wir brauchen ein Waffenembargo in Richtung Russland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schluss sein muss auch mit dem achselzuckenden Darüber-Hinweggehen, dass Investoren, Oligarchen aus Russland – zum Teil steckt Gazprom dahinter, zum Teil stecken andere Putin-nahe Investoren dahinter – in großem Umfang Energieinfrastruktur, offensichtlich sogar zu überhöhten Preisen, ausgerechnet jetzt in Deutschland aufkaufen. Die Regierung tut so, als wenn sie da machtlos wäre. Erstens stimmt das nicht, und zweitens ist es jetzt an der Zeit, das Außenwirtschaftsgesetz zu benutzen und dafür zu sorgen, dass das Erpressungs-potenzial nicht noch höher wird. Das heißt: Stoppen Sie diese Art von Politik! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU) Es ist allerdings auch von großer Bedeutung, dass wir von Energieimporten insgesamt unabhängiger werden. Deshalb ist es schlichtweg falsch, was die Bundesregierung gerade macht: Sie würgt die Energiewende ab, sie stoppt die Energiewende. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da -haben Sie etwas missverstanden!) Es ist grundfalsch, in welche Richtung sich die Klimapolitik auf EU-Ebene gerade bewegt, nämlich dahin, Klimaziele abzuschwächen, so zu tun, als wenn die Klimakatastrophe nicht stattfinden würde. Selbst wenn Ihnen der Klimaschutz und das Überleben zukünftiger Generationen nicht so wichtig sind: (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn! – Christian Petry [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!) Sie müssten doch wenigstens erkennen, dass es wichtig wäre, wie sich anhand dieser Krise zeigt, von Importen fossiler Rohstoffe unabhängiger zu werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie zum EU-Gipfel gehen: Sorgen Sie dafür, dass es wieder eine koordinierte Energiepolitik gibt! Frau Merkel, Sie haben selber davon gesprochen, dass wir einen Energiebinnenmarkt brauchen, dass wir eine koordinierte Energiepolitik brauchen. Und was machen Sie? Sie machen das Gegenteil! Früher gab es vernünftige Ziele – sie waren zwar schwach, aber immerhin vorhanden – für den Ausbau erneuerbarer Energien auf EU-Ebene für die einzelnen Länder. Sie haben zugelassen, dass das gestrichen wurde. Was soll denn das Ganze? Wohin wollen Sie denn damit kommen? Am Ende wird Frankreich wieder auf Atom setzen, wird Großbritannien auf Atom setzen; andere Staaten – wie Polen – setzen stark auf fossile Energieträger. Das erhöht doch nur die Abhängigkeit von Importen aus Krisenländern. Auch Uran muss importiert werden. Steinkohle muss weitgehend importiert werden. Selbst bei Erdöl ist Russland einer der größten Exportstaaten, auch für uns. Schon allein aus Unabhängigkeitsgründen, aus Klimaschutzgründen: Ändern Sie Ihren Kurs! Aber auch aus Wettbewerbsgründen sollten Sie Ihren Kurs ändern. Sie haben viel von der Wettbewerbsfähigkeit gesprochen. Wenn die südlichen Krisenstaaten die Möglichkeit hätten, Energie selbst zu erzeugen – Europa importiert für 500 Milliarden Euro fossile Energieträger –, dann hätten sie eine ausgeglichene Handelsbilanz. Es genügt nicht, von Wettbewerbsfähigkeit zu sprechen; man muss dafür sorgen, dass diese Staaten eine Perspektive haben. Eine Perspektive ist der Green New Deal, eine Perspektive sind erneuerbare Energien, und eine Perspektive ist Energieunabhängigkeit; denn das stärkt die lokale Wirtschaftskraft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Merkel, ändern Sie Ihren Kurs in Bezug auf die europäische Politik, was Banken angeht, was erneuerbare Energien angeht, was Klimaschutz angeht! Dann hätten Sie eine Chance, dass von den Zielen, von denen Sie hier gesprochen haben, auch in der Realität etwas umgesetzt werden kann. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben uns das Jahr 2014 beim Start etwas anders vorgestellt, als es jetzt in Wirklichkeit ist. Wir haben in diesem Jahr vor, Termine zum Gedenken an Ereignisse wahrzunehmen, die wir in unserer Zeit nie mehr erleben wollen. Ein Termin in diesem Jahr ist beispielsweise der Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Wir sagen in diesem Jahr: In diesen 100 Jahren haben wir gelernt, dass Konflikte nicht mehr militärisch bzw. mit Kriegen zu lösen sind. Die Antwort auf das, was wir im Ersten und Zweiten Weltkrieg erlebt haben, war, dass nicht das Recht des Stärkeren gelten darf, sondern dass das Recht das Starke in der Welt sein muss. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Entsprechend wurde auch in der Charta der Vereinten Nationen formuliert. Jetzt erleben wir auf einmal, dass in Russland ganz anders argumentiert wird. Wenn wir in Europa nicht unsere Lektion gelernt hätten, würde von der konkreten Situation, wenn wir auf die Instrumente der letzten 100 Jahre zurückgriffen, wieder eine große Kriegsgefahr ausgehen. Dass Friede herrscht, hat nichts mit Russland zu tun, sondern mit Europa, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deshalb ist es richtig, was die Bundesregierung, insbesondere die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister, in den letzten Wochen gemacht haben. Ich kann nur sagen: Die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin am letzten Donnerstag hat gezeigt, dass der überwiegende Teil dieses Hauses, mal von den Linken abgesehen, genau hinter dieser Politik steht. Ich bin dankbar, dass wir eine so klare Position im Deutschen Bundestag haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der Respekt, Frau Bundeskanzlerin, Herr Bundesaußenminister, kommt nicht nur aus dem Bundestag, sondern auch aus der Breite der Bevölkerung und – der Kollege Oppermann hat es angesprochen – aus der deutschen Wirtschaft. Nicht nur der Präsident des BDI sagt das, sondern auch Präsident Schweitzer hat gestern auf der großen Tagung der Industrie- und Handelskammern in Deutschland unter Beifall erklärt, dass der Kurs der Bundesregierung in Ordnung sei. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Na ja!) Wirtschaftssanktionen könnten natürlich auch für sie schmerzhaft sein; aber nichts sei schmerzhafter, als der Willkür ausgeliefert zu sein. Deshalb müsse man sich hinter das Recht stellen. Auch das sei ein wichtiger Aspekt für Investitionen unserer deutschen Wirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sind der Wirtschaft außerordentlich dankbar für dieses Verständnis. Wir haben natürlich auch darauf zu achten – darauf hat die Bundesregierung mehrfach hingewiesen –, dass wir in dieser konkreten Situation Europa zusammenhalten. Nichts wäre schlimmer, als wenn Putin auch noch den Erfolg hätte, dass wir uns in Europa über die notwendigen Maßnahmen zerstreiten. Deswegen wird auf dem europäischen Gipfel, der heute beginnt, sehr viel abhängen von der Botschaft: Wir in Europa stehen zusammen. – Es könnte insbesondere auch eine Botschaft sein, dass dieses Europa bei allen Schwierigkeiten, die wir haben – ich komme nachher noch kurz darauf zu sprechen –, für uns nicht nur eine Veranstaltung von Euro und Cent ist, sondern dass dieses Europa für uns auch eine Werte-, eine Schicksalsgemeinschaft und einen Garant für Friedenssicherung darstellt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dieses Europa hat ganz offenkundig eine enorme Anziehungskraft. Es gibt viel mehr, die zu Europa wollen, als wir uns im Augenblick vorstellen können in Europa verkraften zu können. So war es auch nach dem Fall von Mauer und Stacheldraht, als sich die Länder und Menschen in neuer Freiheit überlegt haben, wohin sie sich orientieren wollen. Jetzt muss ich die linke Seite, Herr Gysi, an Folgendes erinnern: Es ist doch unbestritten, auch bei Ihnen, dass es nach internationalem Recht ein Selbstbestimmungsrecht der Völker und ein Selbstbestimmungsrecht der Menschen gibt. Dieses Selbstbestimmungsrecht kann auch nicht von Russland eingegrenzt werden. Wenn sich Länder, die zu Europa gehören, für die Europäische Union frei entscheiden, dann kann dies von keinem anderen Land sanktioniert werden. Wo kommen wir sonst hin in dieser Welt, meine sehr verehrten Damen und Herren? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es war nicht Europa, sondern es waren Bulgarien, Rumänien, Polen und die baltischen Staaten, die ihre Zukunft nicht nach Osten zugewandt gesehen haben, sondern zur Europäischen Union. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Gab es da Volksabstimmungen? – Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Ich habe über die NATO gesprochen!) Vielleicht sollte den jetzigen Machthabern in Russland ein bisschen zu denken geben, warum die einen attraktiv und die anderen weniger attraktiv sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Trotz dieses Rechtsbruchs, den wir so nennen müssen und nicht unbeantwortet lassen dürfen, ist klar, dass die notwendigen Maßnahmen mit Augenmaß getroffen werden müssen. Das haben die Europäische Union und die Bundesregierung bisher auch gezeigt. Ich bin mir nicht sicher, ob der jetzige Zustand das Ende der Entwicklung bedeutet. Deshalb müssen wir die weitere Entwicklung sehr aufmerksam verfolgen. Klar ist auch, dass wir die Ukraine nicht nur finanziell unterstützen müssen, sondern dass wir sie auch beraten und ihr helfen müssen, in dieser schwierigen Situation mehr Stabilität zu gewinnen und – Sie haben völlig recht, Herr Kollege Oppermann – eine Regierung zu bilden, die auch demokratischen und rechtsstaatlichen Werten, die wir in Europa haben, entspricht. Das alles muss auf den Weg gebracht werden – eine Herkulesaufgabe. Als wir die Große Koalition gebildet haben, hat niemand daran gedacht, dass wir wieder einmal – wie bei den letzten Regierungen – große Herausforderungen und Aufgaben bekommen, an die wir zunächst einmal gar nicht gedacht haben. Bei der Lösung dieser Aufgaben – davon bin ich hundertprozentig überzeugt – wird sich auch diese Koalition bewähren müssen, und sie wird sich bewähren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der bevorstehende europäische Gipfel steht aber auch unter der Frage: Wie können Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Stärke in Europa hergestellt, wiedergewonnen und auch weiterverfolgt werden? Ich bin außerordentlich dankbar dafür, dass sich die Kommission in ihren letzten Stellungnahmen klar und deutlich dahin gehend positioniert hat, dass die Stärke Deutschlands keine Schwäche Europas bedeutet. Ganz im Gegenteil: Wenn ich daran denke, was wir für Europa finanziell leisten, so macht es keinen Sinn, die Starken schwach zu machen, sondern es macht nur Sinn, die Schwachen stark zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb ist der Weg, Wettbewerbsfähigkeit in Europa herzustellen, richtig. Dass dieser Weg, der durchaus umstritten war und bei dem es andere Vorstellungen gab, richtig ist, zeigt sich – die Bundeskanzlerin hat es bereits angesprochen –, wenn wir die Entwicklungen in Irland, Portugal und Spanien sehen. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit! Das ist die Entwicklung da!) Es war völlig richtig, Anstrengungen zu verlangen und Reformmaßnahmen umzusetzen. Wir in Deutschland als wirtschaftlich stärkste und federführende Kraft in Europa müssen bei allem, was wir tun, immer vor Augen haben, dass wir Verantwortung dafür tragen, dass die Reformfähigkeit in Europa nicht nachlässt. Wir müssen mit unserer Regierungsarbeit gute Beispiele setzen und immer darauf achten, Dinge, die wir in Bezug auf -Europa eigentlich richtig machen könnten, nicht falsch zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das gilt auch für die Energiepolitik. Wir müssen dafür sorgen, dass wir auf unserem Weg, Industriestaat und erneuerbare Energien erfolgreich miteinander zu verbinden, weiter vorankommen. Herr Hofreiter, ich kann Ihnen nur raten, dass Sie sich einmal genau anschauen, was die Bundesregierung im Bereich der erneuerbaren Energien wirklich macht. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das haben wir uns genau angeschaut!) Selten habe ich einen führenden Politiker einer Fraktion so mit seiner Argumentation danebenliegend erlebt wie Sie gerade an diesem Rednerpult. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es geht darum, dass wir die erneuerbaren Energien voranbringen. Dazu, Herr Hofreiter – hören Sie gut zu –, können und müssen Sie einen Beitrag leisten. Wenn jemand dabei ist, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu erschweren und zu problematisieren, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist es Herr Seehofer! Da haben Sie völlig recht!) dann ist es der eine oder andere Hinweis auch aus grün regierten Bundesländern, die wir im Bundesrat für den Ausbau der erneuerbaren Energien brauchen. Leisten Sie Ihren Beitrag bei diesem Thema also nicht durch Blockieren, sondern durch Mitmachen! Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten sehen, ob Sie das tun. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kauder, mir ist unbekannt, dass Herr Seehofer zu unserer Partei gehört!) – Sie sollten sich einmal um Ihren Verein kümmern. Um unseren können wir uns schon allein kümmern. Dafür brauchen wir Sie nicht; das kann ich Ihnen sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da waren Sie bis jetzt aber extrem unerfolgreich, sich um Herrn Seehofer zu kümmern! Das haben Sie bis jetzt nicht hingekriegt! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss sogar die Bundeskanzlerin lachen!) Natürlich müssen wir in der Übergangsphase, in der wir die erneuerbaren Energien fest verankern wollen, die Wettbewerbsfähigkeit von strom- und energieintensiven Firmen erhalten. Deswegen bin ich der Bundesregierung außerordentlich dankbar dafür, dass sie so intensiv mit der Europäischen Kommission verhandelt. Die Europäische Kommission riskiert nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit von einzelnen Branchen bei uns in Deutschland. Was viel schlimmer wiegt und den Einsatz der Bundesregierung umso notwendiger macht, ist, dass mit dem Kurs der Europäischen Kommission der Weg in die erneuerbaren Energien in ganz Europa erschwert wird. Wir wollen nicht mehr Kernkraft in Frankreich. Aber dann muss der Weg der Unterstützung der Implementierung der erneuerbaren Energien in Deutschland auch weiter beschritten werden. Dazu kann ich die Europäische Kommission nur auffordern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn Länder in Europa, die sich auf den Weg machen, die erneuerbaren Energien stärker auszubauen, von der Europäischen Kommission den Hinweis bekommen, dass dies wettbewerbsschädigend sein kann, dann ist dies verheerend. Deswegen muss dieser Weg gemeinsam mit der Europäischen Kommission angegangen werden. Die Kommission trägt Verantwortung für Wachstum und nicht für Stillstand in Europa. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein letzter Hinweis. Neben der Situation in der Ukraine und der Wettbewerbsfähigkeit in Europa ist das Thema Afrika ein weiterer Schwerpunkt. Die Bundes-regierung – das habe ich jetzt gesehen, Herr Bundesaußenminister – trifft sich in diesen Tagen mit den Zuständigen (Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: Heute Morgen!) – oder hat sich getroffen –, um ein Afrika-Konzept zu entwickeln. Wir werden es sicher sehr bald in den Fraktionen vorgelegt bekommen und beraten. Ich halte dies auch für notwendig. Die Bevölkerung Afrikas wächst schneller als die Bevölkerung Asiens. Wir haben in Afrika 1 Milliarde Menschen, und diese Zahl wird sich sehr rasch weiter vergrößern. Afrika ist wahrscheinlich der jüngste Kontinent überhaupt, und junge Menschen verlangen nach einer Perspektive, und dies auch zu Recht. Wenn wir nicht alle dazu beitragen, dass in Afrika eine Perspektive für junge Menschen entsteht, dann werden die starken Jungen dorthin gehen, wo sie sich eine Perspektive versprechen, und die schwächeren zurückbleiben. Dies wird den Kontinent insgesamt nicht stärken. Insofern haben wir eine Verantwortung, in Afrika für mehr Wachstum und Zukunftschancen zu sorgen. Das wird nur gehen, indem wir die Menschen in Afrika ernst nehmen, indem wir fragen, was sie wollen, und nicht nur von außen einwirken, indem wir die Kräfte in Afrika stärken, sowohl die Kräfte in der Wirtschaft als auch die Kräfte, die für staatliche Ordnung und Sicherheit sorgen. Deswegen ist der Weg, den die Bundesregierung geht, genau richtig. Sie sagt: Wir schicken Ausbilder und Berater nach Afrika, die helfen, die dortigen Strukturen zu stärken. Frau von der Leyen und Herr Bundesaußenminister, genau dies ist der Weg in Afrika: keine Interventionstruppen einzusetzen, sondern Hilfsangebote zu machen und Unterstützungsmaßnahmen umzusetzen. Auf diesem Weg wünsche ich uns allen viel Erfolg. Die Kraft Europas, der Europäischen Union – Friede, Wirtschaft, Stabilität, Zukunftschancen – brauchen wir jetzt in der Diskussion über die Ukraine und Russland. Diese Kraft muss auch wirken, wenn entsprechende Möglichkeiten in Afrika genutzt werden sollen. Ich glaube, dass wir eine Menge Aufgaben vor uns haben. Wenn das ganze Haus – da habe ich bei der einen oder anderen Frage meine Zweifel – oder der größte Teil dieses Hauses hinter diesem Konzept steht, (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die Grünen sind ja schon eingemeindet!) dann wird das gut für unser Land und für die Welt sein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Norbert Spinrath für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Norbert Spinrath (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesregierung und der überwiegende Teil dieses Hauses haben klare Botschaften zur Situation in der Ukraine gesendet: Die Unabhängigkeitserklärung der Krim in der vergangenen Woche und das dann folgende Referendum verstoßen gegen die Verfassung der Ukraine; das Ergebnis und dessen Folgen dürfen von der internationalen Staatengemeinschaft keinesfalls anerkannt werden. (Beifall bei der SPD) Die perfide eingeleitete Annexion der Krim durch Russland verstößt gegen das Völkerrecht. Der russische Staatspräsident Putin hat mit seiner Rede am vergangenen Dienstag in Moskau Öl ins Feuer gegossen und stellt den in den letzten 25 Jahren nach dem Zerreißen des Eisernen Vorhangs gewachsenen Zusammenhalt Europas auf eine Art und Weise infrage, die wir längst überwunden zu haben glaubten. Ja, er löst damit Verunsicherung, gar Angst in vielen Staaten Ost-europas aus, in denen viele russischstämmige Bürger leben. Die Europäische Union hat in Reaktion darauf Sanktionen beschlossen, die Russland dazu bringen sollen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Zur Notwendigkeit von Sanktionen hat mein Fraktionsvorsitzender, Thomas Oppermann, alles gesagt; ich unterstütze das nachdrücklich. Beim heutigen EU-Gipfel gilt es auch, den politischen Teil des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine zu unterschreiben und ein Hilfspaket der Europäischen Union und des IWF für die Ukraine auf den Weg zu bringen. Dies darf aber keinesfalls, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu einer Entweder-oder-Entscheidung führen. Vielmehr muss der Ukraine die Option eines Sowohl-als-auch erhalten bleiben, also die Option einer Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und mit Russland. (Beifall bei der SPD) Das Hilfspaket trägt in erheblichem Maße zur Stabilisierung der Situation in der Ukraine bei. Die Ukraine darf nicht allein gelassen werden. Die Reste an staatlicher Ordnung dort dürfen nicht aufgrund von Zahlungsunfähigkeit zusammenbrechen. Die wirtschaftliche Grundlage für das Leben der Menschen muss erhalten bleiben. Genau dieselbe Bevölkerung, die sich monatelang in überwiegend friedlichen Protesten ihren Weg zur Freiheit und Souveränität erkämpfen wollte, darf in der Ukraine nicht zum wirtschaftlichen Opfer werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Auszahlungen des Hilfspakets müssen an eindeutige Bedingungen geknüpft werden. Das heißt für mich insbesondere, dass die Konditionen des von den Außenministern des Weimarer Dreiecks vermittelten Abkommens vom 21. Februar schnellstmöglich eingelöst -werden müssen: Entwaffnung von Milizen, Präsidentschaftswahlen am 25. Mai, Bildung einer Übergangsregierung der nationalen Einheit und vor allen Dingen eine zügige Verfassungsreform. Aus meiner Sicht müssen daran anschließend ganz schnell Neuwahlen des Parlaments durchgeführt werden. Daneben ist es unerlässlich, die Verwaltung neu aufzubauen, und zwar basierend auf den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, und die überbordende Korruption zu bekämpfen. Die Inkraftsetzung des politischen Teils des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine ist kein zwingender Bestandteil der Hilfsangebote. Dennoch ist es ein notwendiges Fundament, weil sie auf Rechtsstaatlichkeit verpflichtet, Reformpakete auferlegt werden können und Vertrauen geschaffen werden kann. Ich sage aber auch ganz deutlich: Zur Stabilisierung der maroden Staatsfinanzen der Ukraine müssen auch diejenigen herangezogen werden, die in den letzten Jahren auf mehr als fragwürdige Weise, auf kriminelle Weise, das Volk geschädigt und rechtswidrig Vermögen angehäuft und außer Landes geschafft haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der Ukraine bedarf es dringend Reformen, die diese hemmungslose Selbstbedienung und das ungeheuerliche Ausmaß an Korruption in Zukunft verhindern. Die rücksichtslose Ausbeutung des Volkes war nicht unmittelbarer Auslöser, aber Beweggrund für die Protestbewegung auf dem Maidan. Wir sollten alles daransetzen, den Reformprozess in der Ukraine zu begleiten und zu unterstützen. Die Verhältnisse müssen sich grundlegend ändern, ansonsten werden sich die Menschen irgendwann wieder auf den Weg machen, nämlich zum Maidan. Das sollte auch Russland zu denken geben. Die gestiegenen Popularitätswerte des Staatspräsidenten werden schnell verblassen. Russland muss nun wieder zum politischen Dialog und zur Diplomatie zurückkehren, idealerweise in einer internationalen Kontaktgruppe. Noch sind die Korridore dafür offen. Zum Schluss gebe ich zu bedenken, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn die Menschen in Russland mit der Zeit erkennen, dass sich ihre Regierung international ins Abseits manövriert und isoliert hat, dann werden auch sie sich mehr und mehr Fragen stellen. Die Menschen in Russland werden sich nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich als Opfer sehen. Sie werden merken, dass ihnen die bisherige Politik schadet. Eine solche Zuspitzung kann nicht im Interesse der russischen Regierung, erst recht nicht im Interesse der Menschen sein. Mit einer solchen Zuspitzung läuft Russland Gefahr, dass vielleicht auch seine Bürger eines Tages zu ihrem eigenen Maidan aufbrechen, dem Roten Platz in Moskau. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Marieluise Beck ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst den verehrten Josef Zissels begrüßen, der unsere Debatte auf der Tribüne verfolgt. (Beifall) Er kommt aus der Ukraine und ist Vorsitzender des Euro-Asian Jewish Congress und damit Vertreter des Dachverbandes von etwa 300 jüdischen Gemeinden. Ich möchte zu Beginn meiner Rede an den Satz anknüpfen, Herr Spinrath, mit dem Sie geendet haben. Es geht um die Furcht von Präsident Putin, dass sich die Ereignisse auf dem Maidan eines Tages auch auf dem Roten Platz abspielen könnten. Wie werden in den kommenden Wochen und Monaten vermutlich erleben, dass alle russischen Demokraten, die in der russischen Zivilgesellschaft arbeiten, einem zunehmenden Druck ausgesetzt sind, weil genau diese Furcht die Politik im Kreml mitbestimmt. Wir müssen doch ehrlich feststellen, dass wir alle fassungslos sind, mit welcher Kaltblütigkeit ein Schritt vor den anderen gesetzt worden ist, während wir immer wieder diplomatische Angebote unterbreitet -haben. Es gab verschiedene Kompromissangebote, verschiedene Treffen und Gespräche – es gab Gespräche mit Lawrow, und die Kanzlerin hat mit Putin telefoniert –; trotzdem gab es gar keine Möglichkeit, Putin von diesem dramatischen Völkerrechtsbruch und einer Annexion, die es seit 1945 in Europa nicht mehr gegeben hat, abzubringen. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist falsch! Jugoslawien!) Ich möchte gerne noch einmal daran erinnern: Zu der Östlichen Partnerschaft wurde Russland eingeladen. Hier, in diesem Haus, haben wir über Jahre hinweg gesagt, dass wir eine strategische Partnerschaft mit Russland wollen. Wir haben von der Modernisierungspartnerschaft gesprochen, die wir mit Russland eingehen wollten. Ich weiß, dass dieser Außenminister in dieser Legislaturperiode wirklich etwas anderes vorhatte als das, was er jetzt gestalten muss; er wollte die Beziehungen zu Russland vertiefen. Wir müssen uns fragen: Stimmt die Prämisse, mit der wir in den vergangenen Jahren Politik gemacht haben, noch? Sind Putin und der Kreml wirklich noch an einer engen Zusammenarbeit mit dem Westen interessiert? Wollen Putin und der Kreml gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, russische Interessen mit unseren Interessen zu verknüpfen? Oder ist Putin nicht inzwischen in einer anderen Welt, in der geostrategisch gedacht wird, in der Öl und Gas als Machtinstrumente betrachtet werden, (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Im Gegensatz zur NATO!) in der es auf unsere Ansprache gar keine Antwort gibt, weil die Gedankenwelt eine vollkommen andere ist? Das beunruhigt nicht nur uns hier im Westen, sondern das beunruhigt auch solche Länder wie Belarus und Kasachstan. Kasachstan hat eine große russische Minderheit im Norden seines Landes. Der Satz, dass dort, wo russische Bürger sind, auch russische Interessen sind, verunsichert ein Land wie Kasachstan, das zukünftig Mitglied der Eurasischen Union sein soll, zutiefst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Dieser Vertrauensbruch geht unendlich tief, und er wird auf lange Sicht Russland schaden. Dabei blutet mir das Herz für die russischen Bürgerinnen und Bürger, (Zurufe von der LINKEN: Oh!) die unsere Freunde sind; denn wir wollen mit ihnen -gemeinsam das europäische Haus gestalten, wie -Gorbatschow es einst gesagt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Zur Ukraine: Ich hoffe, dass Putin als Nächstes nicht einen Schritt in Richtung Ostukraine unternimmt. Was wir jetzt tun müssen, ist Festigkeit zu zeigen, dass wir das nicht akzeptieren werden, und wir müssen die Ukraine mit allem, was uns zur Verfügung steht, stabilisieren. Die Ukraine muss faktisch einen neuen Staat aufbauen. Sie braucht rechtsstaatliche Institutionen und eine effektive Verwaltung. Sie muss ein Staat werden, der mit der Krake der Korruption fertig wird. Janukowitsch hat faktisch ein insolventes Land hinterlassen. Wir brauchen jetzt eine entschiedene Politik. Wir müssen diejenigen stabilisieren, die die schwierige Aufgabe übernommen haben, dieses Land aus der Krise herauszuführen. Das ist unsere wichtigste Aufgabe, und wir werden sie in Europa gemeinsam schultern. Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Hans-Peter Friedrich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Gipfel wird beherrscht von der Krise in der Ukraine. Volker Kauder hat es richtig gesagt: Diese Frage berührt im Grunde den Kern des europäischen Gedankens. Kern des europäischen Gedankens war es von Anfang an – das galt schon in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren –, in und für Europa eine dauerhafte Friedensordnung zu schaffen. Alle Konstruktionen, auch die ökonomischer Art, von der Montanunion bis zum heutigen Binnenmarkt, dienten nur einem Ziel, nämlich der Ab-sicherung dieses Kerngedankens. Im Laufe der Jahre ist das Ziel der Friedenssicherung in Europa als Kerngedanke der Europäischen Union verloren gegangen, weil viele geglaubt haben, dieses Ziel sei selbstverständlich, sei bereits erreicht. Wir stellen nun fest, dass das ein großer Irrtum ist. Eine stabile Friedensordnung in Europa ist und bleibt eine Daueraufgabe. Sie muss immer wieder gefestigt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Europa bzw. die EU steht heute genauso auf dem Prüfstand wie in der Schulden- und Finanzkrise 2008/2009, und zwar hinsichtlich ihrer Handlungsfähigkeit und hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit. Ich glaube, dass bei diesem Gipfel und in den nächsten Wochen das wichtigste Ziel überhaupt ist, Europa geschlossen zu halten. Das ist eine schwierige Aufgabe, die auf die Führer Europas und der EU zukommt, insbesondere auf unsere Bundeskanzlerin. Denn in den 28 Mitgliedstaaten der EU ist nicht nur die geografische und ökonomische Situation sehr unterschiedlich, sondern auch die historische Situation. Außerdem haben sie sehr unterschiedliche Befindlichkeiten, insbesondere was den Umgang mit Russland angeht. In diesen Wochen entscheidet sich, ob die Europäische Union für unsere Partner, für unsere Gegner, aber auch für unsere Bürger eine außenpolitische Größe oder nur ein aufgeblasener Bürokratenhaufen ist. Das ist die zentrale Frage, die in den nächsten Wochen beantwortet werden wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Der russische Präsident Putin hat Völkerrecht gebrochen, er hat Verträge und Abkommen über den Haufen geworfen, und er hat den Geist des sowjetischen Imperialismus des letzten Jahrhunderts wiederbelebt. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: So ist es!) Die Weltgemeinschaft, die Wertegemeinschaft und die Europäische Union können nicht zur Tagesordnung übergehen. Der Sicherheitsrat – dafür können wir alle, glaube ich, sehr dankbar sein – hat Russland isoliert. Bei der Abstimmung über die Anerkennung des Referendums haben 13 der 15 Staaten mit Nein gestimmt; China hat sich enthalten, und nur Russland hat isoliert und einsam dagegen gestimmt. Das war eine gute und richtige Antwort. Das zeigt, dass Russland allein dasteht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich glaube, dass der Dreistufenplan eine richtige Antwort ist, insbesondere weil er auf jeder Stufe die Möglichkeit zum Dialog lässt. Kollege Oppermann hat es richtig gesagt: Es muss eine Spirale der Sanktionen vermieden werden. – Ich glaube, das wird durch diesen Dreistufenplan erreicht. Das ist wichtig. Den Putin-Freunden, insbesondere unserem Altkanzler Gerhard Schröder, sei gesagt: Gerhard Schröders -Argumentation, Putin habe Einkreisungsängste, ist geradezu grotesk. Putin hat überhaupt keine Ängste, sondern Putin versucht kaltblütig, seine machtpolitischen Spielräume auszunutzen. Es liegt an uns, diese Spielräume entsprechend einzuengen. Es ist geradezu grotesk, zu behaupten, Europa habe Putin zu dem, was er jetzt macht, provoziert. Die Bundeskanzlerin war es, die an diesem Pult mehrfach gesagt hat: Wir wollen nicht, dass sich die Staaten der Östlichen Partnerschaft in einem Entweder-oder für Russland oder die Europäische Union entscheiden müssen. – Nein, wir wollen, dass die Staaten der Östlichen Partnerschaft eine Brücke zwischen der EU und Russland darstellen; das ist das Entscheidende. Ich sage allen Russenverstehern in diesem Land (Lachen bei der LINKEN) – die in Wahrheit ja nur geschäftliche Interessen im Blick haben –: Wenn wir zulassen, dass Putin das Völkerrecht und Abkommen bricht, dann werden wir auch nicht verhindern, dass er eines Tages, wenn es ihm passt, die westlichen Investoren enteignet; das muss jeder wissen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Wenn wir das Recht jetzt nicht durchsetzen, wird es auch in der Zukunft nicht gelten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christine Lambrecht [SPD] – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Hätten Sie einmal eine so große Lippe bei den USA riskiert, bei der NSA! Dort sind Sie als Bettvorleger gelandet!) Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Antwort muss viel langfristiger und viel grundsätzlicher sein. Es ist an der Zeit, dass wir unser weltpolitisches Koordinatensystem in Deutschland und in Europa wieder zurechtrücken. Seit 20 Jahren glauben wir, dass wir permanent, alljährlich die Friedensdividende kassieren können. Die Wahrheit aber ist eine andere. Wer es riskiert, sich von Staaten, die unsere Werte von Freiheit und Demokratie nicht teilen, abhängig zu machen, gefährdet sein eigenes Wertefundament und wird erpressbar. Deswegen danke ich unserer Bundeskanzlerin ganz herzlich, dass sie im Hinblick auf die Ukraine-Krise den Schulterschluss mit Präsident Obama gefunden hat. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Mit Saudi--Arabien!) Ich danke Ihnen, Herr Außenminister, sehr verehrter Herr Steinmeier, dass Sie in Washington deutlich gemacht haben, wie eng das Band der Freundschaft zwischen Europa (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Und der NSA!) und den Vereinigten Staaten von Amerika ist. Dafür herzlichen Dank. Ich glaube, das ist der richtige Weg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Bravo, Herr Friedrich!) Es wird höchste Zeit, dass wir bei allen politischen Weichenstellungen – in der Sicherheitspolitik, in der Außenpolitik wie in der Wirtschaftspolitik – Abhängigkeiten von Staaten vermeiden, die nicht unseren Vorstellungen von Freiheit und Demokratie entsprechen und die nichts damit zu tun haben. Andernfalls werden wir erpressbar, andernfalls gefährden wir unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit, andernfalls gefährden wir unser eigenes Wertesystem. Bei diesem europäischen Gipfel stehen zwei wichtige Punkte auf der Tagesordnung, nämlich die industrielle Wettbewerbsfähigkeit und die Energiepolitik. Diese zwei Punkte hängen unmittelbar zusammen. Die EU wird nicht dadurch wettbewerbsfähig, dass sich irgendwelche schlauen Kommissare, Räte oder Bürokraten schlaue Programme ausdenken, sondern sie wird dadurch wettbewerbsfähig, dass wir Unternehmern und Investoren, Menschen, die etwas tun wollen, Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, die sie nicht zu Verlierern auf den internationalen Märkten machen. Deswegen ist es wichtig, dass wir auch in der Energiepolitik die Weichen richtig stellen. Energie ist der Lebenssaft der deutschen und der europäischen Wirtschaft, überhaupt jeder Volkswirtschaft. Die Kommission muss wissen: Wenn sie die energieintensive Industrie in Deutschland plattmacht, schädigt sie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft insgesamt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die EU braucht Gestaltungswettbewerb und keine zentralistischen Fünfjahrespläne von Räten, Etatisten und Bürokraten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich wünsche mir, dass der Geist von Ludwig Erhard über ganz Europa weht. Das ist mein Wunsch für die nächsten Jahre. Dann wird Europa auch erfolgreich sein. Seit Jahren reden wir in der Energiepolitik zu Recht über Klimaschutzziele und technologische Machbarkeit. Aber es wird Zeit, dass wir auch darüber reden, wie wir in der Energiepolitik unabhängig von nichtdemokratischen Staaten werden können. Wer das in den letzten Jahren thematisiert hat, ist als Ewiggestriger, der nicht begriffen hat, was alles global, frei und offen ist, gebrandmarkt worden. Die Wahrheit ist, dass wir uns abhängig gemacht haben von Staaten, die nicht unserem Wertefundament entsprechen. Ich habe für unsere polnischen Freunde jedes Verständnis, wenn sie sagen: Lieber nutzen wir unsere eigenen Kohlereserven, als dass wir uns noch mehr von Russland abhängig machen. – Ich kann das begreifen. Das ist eine richtige Argumentation. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Unabhängigkeit vom Ausland, von nichtdemokratischen Staaten in der Energie-, in der Ernährungs- und in der Technologiepolitik ist ein entscheidender Punkt, den wir zum Kernpunkt der Politik in Europa machen sollten. Die Wettbewerbsfähigkeit Europas ist erreichbar, wenn wir die Vielfalt Europas als Chance und nicht als Belastung begreifen, wenn wir begreifen, dass der Gestaltungswettbewerb von 28 Akteuren etwas Positives ist und die Vielfalt am Ende dazu führen wird, dass wir beim Ringen um die beste Lösung auch die beste Lösung erhalten werden. Wenn Deutschland entschieden hat, eine Energiewende herbeizuführen, dann werden uns die anderen folgen, wenn wir bei dieser Energiewende erfolgreich sind. Wenn andere in anderen Bereichen erfolgreicher sind als wir, werden wir ihnen folgen. Das ist die Idee des Gestaltungswettbewerbs in Europa, dem Raum gegeben werden muss. Ich bin ganz sicher: Wenn sich Europa auch in dieser Krise auf seine Prinzipien – auf Freiheit, auf Demokratie der westlichen Wertegemeinschaft, auf Vielfalt, auf Wettbewerb, auf Subsidiarität – besinnt, dann wird es auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort der Kollegin Gabriele Groneberg für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabriele Groneberg (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! In der Tat wird bei der anstehenden Tagung des Europäischen Rates die Lage in der Ukraine in der Diskussion alles überlagern. Dennoch stehen weitere wichtige Themen auf der Tagesordnung. Der Rat hat in diesen schwierigen Tagen die Aufgabe, Ziele festzulegen, die die Grundlagen für nationale Reformprogramme und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsländer bilden sollen, um so die Grundlagen für Wachstum und Beschäftigung zu sichern. Das hört sich alles gut an. Das ist aber natürlich alles nicht möglich, ohne letztendlich die Ziele für die Klima- und Energiepolitik der EU im Zeitraum 2020 bis 2030 zu sichern. Das ist Voraussetzung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz zur vorherigen Bundesregierung gehen wir bei diesem Thema einig und stark in die Gespräche: Wir gehen einig in die Gespräche, weil wir einen Wirtschaftsminister und eine Umweltministerin haben, die sich zur Energiewende bekennen und, ganz wichtig, an einem Strang ziehen und sich nicht gegenseitig behindern, wie es in der Vorgängerregierung der Fall war. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen einen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, und wir werden das EEG europarechtskonform weiterentwickeln. Das ist unbestritten eine schwierige Aufgabe, aber eine vernünftige Lösung muss uns gelingen; schließlich hängen bei uns in Deutschland ganz viele Arbeitsplätze davon ab. Letztendlich wird unsere wirtschaftliche Entwicklung davon auch bestimmt werden. Wir gehen stark in die Gespräche, weil wir uns im Koalitionsvertrag eindeutig positioniert haben. Ich will diese Passage vor allen Dingen für Herrn Hofreiter, der jetzt leider nicht da ist, noch einmal zitieren: Wir bekräftigen unseren Willen, die internationalen und nationalen Ziele zum Schutz des Klimas einzuhalten, uns in der Europäischen Union für 2030 für ambitionierte Ziele auf der Grundlage der weltweiten langfristigen Ziele für 2050 einzusetzen, und wir werden uns auch international für ambitionierte Klimaschutzziele und verbindliche Vereinbarungen engagieren. Wir wissen, dass Deutschland eine Vorreiterrolle hat, und wir werden sie auch nutzen. Wie bereits erwähnt, setzen wir uns selbstverständlich für einen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien ein und haben dabei durchaus die Kosteneffizienz und die Wirtschaftlichkeit insgesamt im Blick. Die Koalition will einen wirksamen Emissionshandel auf europäischer Ebene. An dieser Stelle gibt es – die Kritik wird zu Recht geübt – durchaus großen Handlungsbedarf. Es wird eine große Aufgabe auch der nächsten Tage sein, hier Pflöcke einzuschlagen. Der Dialog mit der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten darüber, wie diesen Zielen dienende Förderbedingungen europarechtskonform weiterentwickelt werden können, ist eine zentrale Aufgabe dieses Wirtschaftsministers. Ich bin davon überzeugt, Sigmar Gabriel wird diese Aufgabe meistern. (Beifall bei der SPD) Wir bekennen uns ebenso eindeutig zu dem Ziel der Steigerung der Energieeffizienz. Ich würde dazu gerne noch mehr ausführen, nur, leider fehlt mir die Zeit. Aber ich will noch einmal, auch wenn er nicht da ist, auf den Herrn Kollegen Hofreiter eingehen: Ich bin wirklich enttäuscht von seiner Analyse, mit der er unterstellt, die Klimaschutzziele seien der EU bzw. dem Europäischen Rat unwichtig und würden überhaupt nicht berücksichtigt werden. Das ist meiner Ansicht nach voll daneben, ist polemisch, ist unsachlich. Herr Hofreiter müsste wissen, dass die Ziele der EU in diesem Bereich schon lange festliegen. Er selber bzw. seine Fraktion hat sie in der Vergangenheit mit geprägt. Es ist richtig: Nicht alle unsere Ziele stoßen in der EU auf helle Begeisterung. Es gibt durchaus Kritiker in den Ländern des Südens und des Ostens, für die angesichts hoher Arbeitslosigkeit eine zielführende Beschäftigungspolitik und sozialpolitische Fragen im Vordergrund stehen, ebenso wie die Versorgungssicherheit im Bereich Energie und das Preisniveau. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt doch: Wenn wir es in Deutschland nicht schaffen, die Menschen bei der Energiewende mitzunehmen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu sichern, wenn wir es nicht schaffen, die Energiewende sicher, sauber und bezahlbar hinzubekommen, dann werden wir – da können wir uns noch so viele Ziele setzen und noch so viele schöne Papiere schreiben – scheitern. Deshalb empfehle ich Ihnen allen in diesem Hause, diese Verhandlungen zu unterstützen. Die Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD werden dies tun. Wir erwarten von unserer Bundesregierung vollen Einsatz auf der Basis der Formulierungen unseres Koalitionsvertrages. Der Auftrag, den dieses Haus der deutschen Delegation mitgibt, ist klar. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin! Gabriele Groneberg (SPD): Ja, sehr geehrter Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Wir sollten auf jeden Fall aus diesem Hause Rückendeckung für die anstehenden Verhandlungen geben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Michael Stübgen das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Stübgen (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden im Abstand von einer Woche das zweite Mal – diesmal im Zusammenhang mit dem kommenden Europäischen Rat – im Wesentlichen über ein Thema, nämlich die Krise in der Ukraine. Die Ereignisse dort vollziehen sich mit einer enormen Geschwindigkeit. Mir fällt dazu nur ein Begriff aus dem Kalten Krieg ein: Hinsichtlich der „Eskalationsdominanz“ hat Putin eindeutig die Nase vorn. Russland bestimmt die Agenda und setzt die Fakten, und der Westen ist scheinbar schwach und läuft den Ereignissen lediglich hinterher. Die diplomatischen Kanäle zwischen der EU und Russland waren selten so schlecht und so dünn wie heute. Für die Analyse der jetzigen Situation sind mir zwei Punkte besonders wichtig: Erstens. Ich fange bei uns selber an; denn wenn man sich nicht mit den eigenen Fehlern beschäftigt, dann lernt man nichts. – Bei einer solchen diplomatischen Katastrophe wie der jetzigen zwischen der Europäischen Union, der Ukraine und Russland sind nie nur auf der einen Seite Fehler gemacht worden, nein, dann sind immer – das ist auch hier der Fall – auf beiden Seiten, also auch auf unserer Seite, der Seite des Westens, Fehler gemacht worden. Meine Einschätzung ist, dass die Europäische Union mit ihrer Politik zur Ukraine und den Assoziierungsverhandlungen nicht das notwendige Augenmaß gewahrt hat. Die Europäische Union hat die geopolitische Sprengkraft der Ukraine-Frage gerade für Russland und auch die fundamentalen innenpolitischen Konflikte in der Ukraine evident unterschätzt. Dies kann man nicht einfach mit einem Assoziierungsvertrag, in Vilnius unterschrieben, übertünchen; denn darunter bleiben die Konflikte bestehen. Zweitens. Auf der anderen Seite ist auch klar: Der scheinbare Vorteil, den Russland jetzt hat, steht auch nur auf tönernen Füßen. Natürlich unterstützt im Moment eine demokratische Mehrheit auf der Krim und auch in Russland die Politik Putins – auch gegenüber der Krim – jubelnd und euphorisch. Euphorie hat aber eine Eigenart: Sie ist niemals und nirgends nachhaltig. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das müssen Sie sich merken!) Die Menschen auf der Krim und in Russland werden sehr bald wieder auf den Boden der Tatsachen zurückfallen, und dieser Boden ist sowohl auf der Krim als auch in Russland hart und unkomfortabel. Russland hat – und das seit Jahren wachsend – enorme wirtschaftliche und soziale Probleme, die auch jederzeit Sprengkraft in diesem Land erzeugen können. Eines ist eindeutig: Russland braucht in der Wirtschafts- und Finanzpolitik den Westen. Das weiß Putin im Übrigen genauso, wie es eine Tatsache ist. Weil ich aus Zeitgründen nicht intensiv darauf eingehen kann, möchte ich nur kurz sagen, dass ich die jetzige Krisenreaktion bei aller Kritik – auch an der EU-Diplomatie in den letzten Jahren – grundsätzlich für richtig halte. Sie wird von mir unterstützt. Es ist wichtig, dass wir der Ukraine kurzfristig helfen, um den drohenden Staatsbankrott abzuwenden, und es ist richtig, dass wir die Assoziierung vorantreiben – auch mit dem Signal der Unterschrift morgen. Es ist aber auch richtig, obwohl das auch in der EU kritisiert wird, dass die Bundesregierung sich hinsichtlich der Sanktionen zwar klar bekennt, aber auch zurückhaltend agiert. Ich bin der festen Überzeugung – es ist für mich besonders wichtig, das zu sagen –, dass der Schlüssel für gegenwärtiges Handeln und für die Möglichkeit, einen Prozess der Krisenlösung in diesem Ukraine-Konflikt zu beginnen – es geht noch längst nicht darum, ihn abzuschließen; das wird Jahre dauern –, in der Ukraine, in Kiew, liegt. Das sind die harten Fakten: Die Ukraine hat eine der schwächsten Wirtschaftsentwicklungen in ganz Osteuropa. Sie hat notwendige Reformen immer wieder aufgeschoben, die Rechtsstaatlichkeit steht infrage, und die Korruption ist völlig frei – bis in höchste Regierungskreise hinein. Die Ukraine ist auch ein multiethnisches Land. Neben sehr vielen Minderheiten hat sie – das kommt erschwerend hinzu – zwei fast gleich starke Bevölkerungs-gruppen: zum einen russischstämmige Ukrainer und zum anderen Ukrainer, die in den Siedlungsräumen überwiegend auch noch getrennt leben. Die Kluft zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen ist in den letzten Jahren wesentlich größer geworden. Nachhaltig kann die Ukraine aber nur leben, wenn diese Kluft geringer wird und es Brücken über diese Kluft gibt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Stübgen, darf Ihnen die Kollegin Beck eine Zwischenfrage stellen? Michael Stübgen (CDU/CSU): Bitte, gerne. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Herr Kollege Stübgen, die Frage, die Sie eben formuliert haben, diese faktische Zweigeteiltheit der Ukraine, spielt in unserer Debatte eine große Rolle. Ich bin nun sehr viel in der Ukraine gewesen und habe mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, Parlamentariern und vielen anderen gesprochen und immer wieder diese Frage gestellt. Es ist mir immer wieder gesagt worden – übrigens hat uns das gestern auch Josef Zissels im Ausschuss wieder gesagt –: Die Linien zwischen diesen Gruppen verlaufen quer durchs Land. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen? Maidan-Demonstrationen hat es in 50 Städten der Ukraine gegeben, auch in Charkiw, auch in Donezk. Diese Demonstrationen waren dort schwächer, auch weil die Repression dort größer war und weil es dort eine größere Nähe zu Russland als in der Westukraine gibt. Aber: Die Linien verlaufen quer und nicht längs entlang des Dnepr. Es ist auf dem Maidan mehr Russisch als Ukrainisch gesprochen worden. Ich möchte Sie bitten, das zur Kenntnis zu nehmen. Wir sollten dieser Frage gemeinsam stärker nachgehen, statt einer möglichen Desinformation aufzusitzen, die Vorbereitung für eine gewollte Teilung des Landes sein könnte. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Michael Stübgen (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Kollegin, herzlichen Dank für Ihre Zwischenfrage. – Sie gibt mir die Gelegenheit, ein mögliches Missverständnis richtigzustellen. Aufgrund der Kürze meiner Redezeit wollte ich darauf nicht weiter eingehen. Was Sie gesagt haben, stimmt grundsätzlich; das ist richtig. Es stimmt allerdings auch, dass die Siedlungsräume in der Ukraine auch schon ziemlich getrennt sind. Und es ist so, dass es einen asymmetrischen Konflikt zwischen russischstämmiger Bevölkerung und der ukrainischen Bevölkerung gibt. Dieser Konflikt hat – auch Sie wissen das mit Sicherheit sehr genau – historische Gründe, die ich hier nicht alle anführen kann. Für mich ist Folgendes wichtig: Wir konnten in den letzten Jahren beobachten, dass bei Wahlen entweder die Bevölkerung der Westukraine – Sie wissen, dass ich das so genau nicht meine – eher die Regierung stellte oder, wenn es kippte, die andere Seite die Regierung übernommen hat. Jedes Mal, wenn eine Gruppe die Regierung hatte, hat sie alles dafür getan, um die andere Gruppe zu schwächen. Auf diesen Punkt will ich hinaus: Wenn ein Land so kompliziert strukturiert ist – dafür kann die Ukraine nichts; das hat historische Gründe –, dann hat dieses Land nur eine Chance, nämlich zu versuchen, diese Gräben zu überwinden. – Herzlichen Dank. Das war meine Antwort. Ich glaube, es ist richtig, nachhaltig zu fordern, dass in der Ukraine neben der notwendigen Präsidentschaftswahl am 25. Mai – wir wissen allerdings, dass die dann stattfindenden Wahlkämpfe wie in jedem anderen demokratischen Land der Welt nicht unbedingt deeskalierend wirken werden – sehr bald auch der Verfassungsprozess, also die Neubestimmung einer Verfassung bzw. die Reform der vorhandenen Verfassung, einschließlich grundlegender Wirtschafts- und Sozialreformen, begonnen werden muss. Ich halte das für absolut notwendig. Es ist so, dass ich im Moment in der Ukraine – das ist verständlich, weil der Druck auf die Politiker in der Ukraine enorm hoch ist – dafür zu wenig Ansätze finde. So wichtig es ist, dass wir die Ukraine unterstützen, so wichtig ist es auch, dass die europäische Politik, aber auch die Bundesregierung und wir als Deutscher Bundestag die Ukraine dazu drängen und dabei unterstützen, ihr Land zu reformieren, sodass es nachhaltig lebensfähig werden kann. Dann besteht zum Beispiel auch die Chance, dass die Krim-Frage auf lange Sicht ganz anders gestellt wird, als das bisher der Fall ist. Ich will mit Folgendem schließen: Für mich hat fast kein anderer Satz so entscheidend gewirkt – bis 1990 und danach – wie der alte Art. 23 des Grundgesetzes von 1949, den wir 1990 aufheben konnten. Mit Deutschland hat es sich ähnlich wie jetzt mit der Ukraine verhalten, dass sich nämlich Deutschland erst einmal ohne die ostdeutschen Länder strukturiert und den Anspruch auf eine Wiedervereinigung nie aufgegeben hat. Nach Jahrzehnten konnte dieser Anspruch erfüllt werden. Auch das könnte für den Umgang der Ukraine mit der Krim innerhalb dieses Verfassungsprozesses beispielgebend sein. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Christian Petry. (Beifall bei der SPD) Christian Petry (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Neben dem wichtigen Thema Ukraine und der Krise dort hat der EU-Gipfel auch noch die Stärkung des Wirtschaftsraums Europa, die Finanzwirtschaft und Afrika zum Thema. Die Krise in den südlichen Ländern, die Währungs-, Wirtschafts- und auch Sozialkrise, hat uns gezeigt, dass Deutschland einen wesentlichen Beitrag zur Stabilität leisten kann und ein Motor in diesem Bereich ist. Wichtig ist dabei, dass die Regulierung der Finanzmärkte gelingt. Der europäische Fiskalpakt ist rechtens. Die Rechte des Parlaments sind einzuhalten. Wir haben ein Europäisches Semester und eine bessere Abstimmung der Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Nationalstaaten. Dazu gibt es auch ein Nationales Reformprogramm 2014, das uns im Entwurf vorgelegt wurde. Vertrauen in die Euro-Zone zu schaffen, ist dabei das Ziel, und Deutschland ist hier sehr gut aufgestellt: gute Daten beim Arbeitsmarkt, stabile Haushaltslage, Verbesserungen in der Bildung, eine starke Wirtschaft und ein guter Weg in der Umwelt- und Energiepolitik. Auch in den Stellungnahmen des DGB werden uns gute Noten gegeben. Das sieht schon etwas anders aus als in den Vorjahren. Hier wirkt bereits die Große Koalition. Ich glaube, darauf können wir stolz sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Lediglich hinsichtlich der makroökonomischen Lage wird Kritik geübt. Die Exporte – das muss in diesem Zusammenhang genannt werden – müssen beibehalten werden. Sie sichern Arbeit. Deshalb gilt es, die Binnenentwicklung zu stärken: gute Lohnentwicklung, gute Löhne für gute Arbeit, und es müssen Anreize für inländisches Kapital, nicht zu sparen, sondern zu investieren – Sigmar Gabriel hat dies im Ausschuss angesprochen – gegeben werden. Die Importe müssen gestärkt werden, bei uns liegt ein Importdefizit vor. Das kann aber nur dadurch behoben werden, dass sich die anderen Volkswirtschaften entsprechend stabilisieren, die Produktion steigern und den industriellen Teil, der in Deutschland stark geblieben ist, wieder stärken. Dann können wir dort wieder einkaufen. Das stärkt unsere Importquote und wird die Leistungsbilanz ausgleichen. Hier werden wir auf europäischer Ebene wirken müssen. Auch das ist ein Thema des Gipfels: eine vernünftige Industriepolitik in Europa. Des Weiteren gilt es, die Finanzmärkte weiter zu regulieren. Die Bankenunion wird kommen, und sie wird auch kommen müssen. Die Bankenabgabe kommt. In diesem Zusammenhang ist auch die Stärkung der Gläubigerhaftung ein wichtiges Feld. Das haben wir immer gefordert. Das wird eingeführt werden; das ist gut so. (Beifall bei der SPD) Insgesamt wird Deutschland dadurch attraktiver, auch was den Finanzmarkt betrifft. Vielleicht gelingt es, Kapital aus dem Ausland wieder zurück nach Deutschland zu bringen. Ich meine nicht das von Herrn Hoeneß. Es gibt auch noch andere, die im Ausland sind und dann vielleicht wieder in Deutschland am Finanzmarkt investieren. Ich glaube, das ist sehr lohnenswert. Der Gipfel befasst sich auch mit Afrika. Ich glaube, dass es wichtig ist, eine Entwicklung auf Augenhöhe, in Partnerschaft, zu betreiben, dass wir den Stolz der afrikanischen Länder respektieren und Bereitschaft zeigen sollten, im Bereich Ausbildung und auf anderen Gebieten zu helfen. Ich halte es für zentral und sehr wichtig, dass wir dies in Partnerschaft und auf Augenhöhe machen. Das wünsche ich mir von der Bundesrepublik Deutschland. Ich bin mir sicher, dass dies so gelingen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Aufgabe, Europa weiter voranzubringen; es ist unsere Aufgabe, Freiheit und Wohlstand in Europa zu sichern; es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir auch weiterhin ein weltoffenes, tolerantes Europa haben. Lassen Sie uns dies gemeinsam tun. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Manfred Grund (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Man kann in Deutschland russisches Staatsfernsehen empfangen, und die russischen Staatsmedien sind mit Büros in Deutschland vertreten. Deshalb ist es nicht unbedingt notwendig, Herr Kollege Gysi, dass Sie in jeder Sitzungswoche als Lautsprecher der russischen Staatsmedien auftreten. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit der Übernahme der Argumentation dieser Medien begeben Sie sich auf Schmierseife, und zwar mit beiden Füßen. Ich fange mit dem ersten Punkt an. Sie sprechen von der Weiterentwicklung des Völkerrechts und davon, dass aus Rechtsbruch auch Gewohnheitsrecht entstehen kann. Ich möchte ein solches Gewohnheitsrecht nicht haben. 2008 wurden Abchasien und Südossetien aus Georgien herausgerissen. Im März dieses Jahres wurde die Krim herausgerissen. Wer ist als Nächstes dran: Odessa oder Donezk? (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Eben!) Ich möchte diese Art der Weiterentwicklung des Völkerrechts nicht haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Jahre 2008 hat Präsident Putin auf einer internationalen Konferenz in Bukarest gesagt: Die Ukraine ist gar kein richtiger Staat. – Das steht in der Tradition der Breschnew-Doktrin der eingeschränkten Souveränität sozialistischer Länder. Eingeschränkte Souveränität bedeutet: Das, was Russland – damals der Sowjetunion – nutzt, wird gemacht. Alle anderen Staaten werden in ihren Grenzen – zumal es ja auch russischer Boden gewesen sein kann – infrage gestellt. – Frau Kollegin Beck hat zu Recht auf Kasachstan hingewiesen. Wir wissen um die Ängste im Baltikum, in Polen oder in Transnis-trien, der Republik Moldau. Auch hier träfe eine solche Argumentation zu. Also: Sie begeben sich wirklich auf Schmierseife. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Selbstbestimmung ist immer dann gut, wenn sie Russland nutzt, wie zum Beispiel bei der Abstimmung auf der Krim. Selbstbestimmung der Balten, deren Staaten aus der ehemaligen Sowjetunion hervorgegangen sind und die sich unter den NATO-Schutzschirm gestellt haben, weil sie Angst vor einem wiedererstarkenden Russland hatten, wäre nicht möglich; denn – so ist Ihre Argumentation – zwischen Gorbatschow und Kohl ist ja etwas anderes vereinbart worden. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Grund, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehrcke? Manfred Grund (CDU/CSU): Bitte zum Schluss. Oder er kann dann eine Kurzintervention machen. – Das kann er aushalten. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Zum Schluss. Manfred Grund (CDU/CSU): Die Bundesrepublik Deutschland und die Sowjetunion haben möglicherweise eine Vereinbarung getroffen. Aber die Sowjetunion hat sich verflüchtigt. Übrig geblieben ist nicht Russland als Nachfolgestaat, sondern es sind souveräne Staaten wie im Baltikum, die ein Recht auf eine eigene Zukunft haben. Also: Ihre Interpretation des Selbstbestimmungsrechts ist problematisch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens, die Legitimität der Übergangsregierung. Die Übergangsregierung in Kiew basiert auf einer Vereinbarung, die zwischen Janukowitsch, drei europäischen Außenministern und einem Vertreter Russlands am 21. Februar getroffen wurde. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Da halten die sich doch gar nicht dran!) Am 22. Februar war Janukowitsch weg. Er hatte sich aus dem Staub gemacht und seine Koffer nachweislich schon drei Tage zuvor gepackt. Die Legitimität bezieht sich also auf diese geschlossene Vereinbarung und Art. 111 der geltenden ukrainischen Verfassung. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Da halten sie sich doch gar nicht dran!) Die Übergangsregierung repräsentiert übrigens im Gegensatz zu dem, was hier gelegentlich verbreitet wird, die ukrainische Bevölkerung und auch die Regionen der Ukraine, weil viele Abgeordnete der Partei der Regionen heute im Parlament aufseiten der Regierung sind und damit die politischen Lager, aber auch die Regionen – der Süden und der Osten der Ukraine – im Parlament vertreten sind. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber sie sind nicht in der Regierung!) Drittens, zum Vorwurf des Faschismus und des Antisemitismus. Ich will mit dem Vorwurf des Antisemitismus beginnen. Es ist richtig, dass in der jetzigen Regierung mehrere Minister und ein stellvertretender Ministerpräsident mit jüdischen Wurzeln vertreten sind. Es ist weiterhin richtig, dass drei der von der Übergangsregierung neu eingesetzten Gouverneure jüdischer Herkunft sind, unter anderem der Gouverneur von Dnipropetrowsk, Kolomoiyski, der der Leiter der jüdischen Gemeinden in der Ukraine und Vorsitzender des Europäischen Rates der Jüdischen Gemeinden ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum Vorwurf des Faschismus. Ja, Vertreter von Swoboda und andere Vertreter des Rechten Sektors sind unappetitliche Gesellen. Mit denen wollen wir alle nicht gesehen werden; das ist völlig richtig. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das werden Sie aber!) Aber deswegen ist die ukrainische Regierung nicht faschistisch. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das habe ich nicht gesagt!) Vielmehr unternimmt sie den Versuch, alle Gesellschaftsteile zu repräsentieren. Jetzt will ich eines sagen: Der Faschismusvorwurf wurde und wird immer erhoben, wenn er der Sowjetunion bzw. Russland nutzt. Ich erinnere an den Faschismusvorwurf im Zusammenhang mit dem 17. Juni 1953 in der DDR. „Faschistische Umtriebe“ mussten damals angeblich mit sowjetischen Panzern gestoppt werden. Dieselbe Argumentation lässt sich im Zusammenhang mit den Ereignissen 1956 in Ungarn und der Niederschlagung des Prager Frühlings 1967 finden. Heute verwendet Russland dieselbe Argumentation, um sich die Krim anzueignen und möglicherweise einen Vorwand für den Einmarsch in Odessa oder Charkiw zu haben. Also, Herr Kollege Gysi, gehen Sie weg von dieser verlogenen Argumentation. Sie haben es gar nicht nötig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das hat er gar nicht gesagt!) Ich will neben der Ukraine auf zwei Länder hinweisen, die dringend unsere Unterstützung brauchen, europäische Unterstützung und Unterstützung aus Deutschland, einmal auf Georgien und zum anderen auf die Republik Moldau. Beide werden im Spätsommer das mit der Europäischen Union ausgehandelte Assoziationsabkommen unterzeichnen. Beide stehen bereits jetzt unter massivem russischen Druck, mit dem das verhindert werden soll. Das heißt, wir müssen uns diesen beiden Ländern viel stärker zuwenden und ihnen nach Möglichkeit eine europäische Perspektive bieten. Zum Abschluss. Unsere Hand ist zur Kooperation ausgestreckt. Wir wollen nicht hoffen, dass Konfrontation die nächsten Jahre bestimmt. Ich will mit einem ukrainischen Sprichwort schließen, das heißt: Wenn die Fahnen wehen, rutscht der Verstand in die Trompete. – Ich hoffe, dass in Moskau der Verstand nicht gänzlich in die Trompete gerutscht ist und dass wir zur Normalität und zur Diplomatie zurückkehren können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte spricht für die CDU/CSU-Fraktion Klaus-Peter Willsch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Norbert Spinrath [SPD]) Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich danke Manfred Grund für diese richtige historische Einordnung. Ich will Herrn Gysi auch noch einmal ein bisschen auf die Sprünge helfen. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Geschichtsvergessen ist das!) Sie stellen gerne Bezüge zum Gebiet des früheren Jugo-slawien her. Auch ich sehe da Parallelen; denn Milosevic hat dort alle Staaten in seinem Umfeld mit Aggressionskriegen überzogen, weil er gesagt hat: Da ist irgendwo ein Serbe, und deshalb ist das serbisches Territorium. – Sie haben das vielleicht nicht mitbekommen, weil Sie damals in Belgrad waren und Milosevic das Händchen gehalten haben, statt auf der richtigen Seite zu stehen. Sie scheinen nichts aus der Geschichte gelernt zu haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland, zwischen Deutschen und Russen, zwischen den Menschen der beiden Länder, sind eng. Wir hatten hier in Berlin die Ausstellung „Russen und Deutsche: Tausend Jahre Kunst, Geschichte und Kultur“ im letzten und vorletzten Jahr. Das war ein Publikumsmagnet. Viele Menschen haben die Ausstellung besucht. Sie war ein Beitrag zum Russland-Jahr in Deutschland und zum Deutschland-Jahr in Russland. Gleichwohl müssen wir leider erkennen, dass Konflikte und Denkmuster, die wir schon überwunden glaubten, wieder aufbrechen oder wieder sichtbar werden. Man kann vieles persönlich für nicht richtig halten, aber trotzdem entschuldigen oder nachvollziehen. Man kann versuchen, die Welt durch die Augen des anderen zu sehen, und das haben wir auch oft getan. Aber mit dem, was in den letzten Tagen und Wochen auf der Krim passiert ist, ist Moskau mehr als nur einen Schritt zu weit gegangen. Das ist nicht hinnehmbar. Was können wir tun? Ein Übergehen zur Tagesordnung ist nicht möglich. Wir alle hoffen, dass die ersten Stufen der von der EU ergriffenen Sanktionsmaßnahmen hinreichen. Aber auch sie werden nur gelingen, wenn wir an unserer Entschlossenheit, im Zweifelsfall auch weiter zu gehen, wirtschaftliche Sanktionen ernsthaft in Betracht zu ziehen, keinen Zweifel lassen. Dazu gehört, dass wir uns unserer energiepolitischen Abhängigkeit bewusst sind, wenn wir darüber reden, und dass auch die andere Seite weiß, dass wir uns dieser Abhängigkeit bewusst sind. Deshalb bin ich auch führenden Wirtschaftsvertretern dankbar, die deutlich gemacht haben: Völkerrecht bleibt Völkerrecht, und es darf nicht darüber hinweggegangen werden. Eine aktuelle Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik, die ich Ihnen wirklich zur Lektüre empfehle – sie ist hervorragend –, zeigt das hohe Destabilisierungspotenzial bezüglich der Versorgung mit Gas und Öl auf. Russland ist Europas Energielieferant Nummer eins. 30 Prozent des in der EU benötigten Gases kommen von dort, beim Öl sind es 35 Prozent. Auf Deutschland bezogen sind die Werte noch etwas höher. Aber natürlich sind wir auch gegenseitig voneinander abhängig. Die Talfahrt des Rubel-Kurses zum Euro in den letzten Wochen von 1: 40 auf 1: 50 zeigt schon, dass sich auch die russische Wirtschaft nicht so leicht eine Eiszeit erlauben kann. Moskau kann nicht ignorieren, dass sich der russische Haushalt zu etwa 55 Prozent aus Erlösen von Gas- und Ölgeschäften speist. Herrn Hofreiter, der jetzt wieder bei uns ist, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich war die ganze Zeit da!) möchte ich zurufen, dass ich sehr wohl nachvollziehen kann, wenn er die Frage aufwirft, ob es angesichts dieser Analyse richtig ist, im Bereich der Gasversorgung eine vertikale Integration zuzulassen. Wir sind bei der Versorgung abhängig, und nun sollen wir auch noch unseren strategischen Speicher in einen Einflussbereich geben, in den er nach meinem Dafürhalten nicht gehört. Deutschland hat knapp ein Viertel der 100 Milliarden Kubik-meter Gasspeicherkapazität. Deshalb muss darüber nachgedacht werden, ob der Deal zwischen BASF/-Wintershall und Gazprom richtig ist, ob der Verkauf von Dea durch RWE richtig ist. Wenn man über dieses Thema geostrategisch nachdenkt, muss man sich aber auch überlegen, ob der überhastete Ausstieg aus der Kernenergie richtig ist. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Kernenergie ist nämlich auch geeignet, Abhängigkeit zu verringern. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man merkt halt, dass Sie die Energiepolitik nicht genau kennen, nämlich: 90 Prozent des Erdgases verbrennen wir für das Heizen der Häuser! Das hat mit Strom nichts zu tun! Mit Atomkraft heizen wir nicht!) Wenn man offen geostrategisch diskutieren will, muss man sich darüber Gedanken machen, ob es richtig ist, leichtfertig auf eigene Energiegewinnungsmöglichkeiten wie Fracking zu verzichten. Wenn wir schon über die Frage einer unabhängigen Energieversorgung reden wollen, dann machen wir das bitte auf breiter Grundlage und verhängen keine Denkverbote. Noch einige Gedanken zur Zukunft in der Ukraine. Wichtig wird sein, dass wir darauf achten, dass Rechtsstaatlichkeit herrscht. Manfred Grund hat es angesprochen: Es darf nicht eine Oligarchenclique durch eine andere ersetzt werden. Wenn sich der IWF jetzt Gedanken über die Zahlungsfähigkeit der Ukraine macht, dann wird es wichtig sein, dass dort ein Bail-in bezüglich -Oligarchenvermögen stattfindet. Das meiste von diesem Vermögen ist nämlich dem Volk geraubt worden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Früher war es Volkseigentum, und irgendwelche Personen haben es sich in der Transformationszeit unter den Nagel gerissen. Wo wir gerade beim IWF sind: noch ein Gedanke zur Situation im Euro-Raum, ohne jetzt Grundsatzdebatten anzufangen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber bitte einen kurzen Gedanken. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Einen kurzen Gedanken. – Wir haben es mit sinkenden Renditen bei Staatsanleihen zu tun, wobei offenbleibt, ob das auf eine wirkliche Verbesserung der Situation oder auf die in meinen Augen unrechtmäßige Zusage, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, zurückzuführen ist. Egal wie es ist: Entscheidend ist, dass die Spielräume, die durch eine geringere Verschuldung bedingt sind, nicht, wie bei der Einführung des Euro, genutzt werden, um munter die Verschuldung zu erhöhen, sondern dass sie genutzt werden, um Strukturreformen anzugehen und Defizitquoten zu senken. Davon sind wir leider noch ein großes Stück entfernt. Ich bitte die Troika und die Bundesregierung darauf zu achten, dass in der richtigen Richtung agiert wird und neue Spielräume genutzt werden. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Wir müssen leider feststellen, dass die Schuldenstände dort allen kraftvollen Beschlüssen zum Trotz weiter steigen. Wir müssen uns mit diesem Thema weiterhin sehr sorgsam beschäftigen. Frau Präsidentin, ich danke für Ihre Geduld. Sie haben mir eine Minute Redezeit mehr gegeben. Das ehrt Sie (Heiterkeit) und macht mir Freude, weil ich so noch meine letzten Gedanken vortragen konnte. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Okay. Ich mache sehr gerne Freude. – Das Wort zu einer Kurzintervention zum Beitrag des Kollegen Grund hat jetzt Dr. Wolfgang Gehrcke. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das geht doch nur direkt nachdem jemand gesprochen hat!) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Frau Präsidentin, es steht mir nicht zu, Sie irgendwie zu korrigieren. Wenn Sie den „Dr.“ zurücknehmen könnten! Ich möchte nicht dort landen, wo andere gelandet sind. Ich habe keinen Doktortitel und möchte auch nicht so angesprochen werden. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das werde ich machen. Aber die Schriftführerin, Ihre Fraktionskollegin, war so beeindruckt von Ihnen, dass sie meinte, Sie hätten den Doktortitel. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Das rührt mich natürlich tief. – Ich wollte eigentlich eine Zwischenfrage zum Beitrag des Kollegen Grund stellen. Er hat sie leider nicht zugelassen. Deswegen möchte ich eine Kurzintervention vorbringen. Ich verstehe nicht, Kollege Grund, warum Sie das, was Gregor Gysi hier ausgeführt hat, so verzerrt widergespiegelt haben. Ich wiederhole, was unsere Gedanken sind: Gregor Gysi möchte das Argument ausschließen – ich teile das völlig –, dass es ein völkerrechtliches Gewohnheitsrecht gibt. Es wurde das Argument geäußert, dass mit dem Kosovo-Einsatz ein neues Gewohnheitsrecht geschaffen worden ist. Wir wollen nicht, dass ein sogenanntes Gewohnheitsrecht konstruiert wird, das erlaubt, dass in andere Staaten eingegriffen wird. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: -Rabulistik! Quatsch!) Wir wollen, dass völkerrechtlich festgeschrieben wird, dass Trennungen nur im Rahmen von friedlichen Vereinbarungen zwischen allen Partnern möglich sind. Vielleicht kommt es Ihnen komisch vor, wenn ich frage, ob man nicht gerade die jetzige Situation nutzen muss, um in Europa über Konferenzen, über Arbeitsgruppen, auch über gemeinsame Arbeitsgruppen mit Russland und anderen Staaten, zu einer Erneuerung des Völkerrechts auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen zu kommen. Das ist dringend notwendig. Wir -wollen geschriebenes Völkerrecht, das für alle gleichermaßen gilt und gegen alle gleichermaßen durchgesetzt wird. Das wollen wir erreichen. Das bedeutet, dass man erst einmal selbstkritisch an die Dinge herangehen muss. Das war der Anstoß, den Gregor Gysi geben wollte. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich verstehe nicht, warum man einen so einfachen Gedanken nicht einmal konstruktiv aufnehmen kann. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ist das jetzt eine Kurzintervention, oder erklären Sie die Rede von Herrn Gysi noch einmal?) Wenn mir noch ein polemischer Satz gestattet ist, und zwar zu Ihrem schönen Bild von dem Verstand, der in die Trompete rutscht: Wenn man mit dem Finger auf andere zeigt, zeigen auch immer Finger auf einen selbst zurück. Schauen Sie einmal in die Trompete hinein, um zu sehen, wessen Verstand Sie dort finden! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Herr Kollege Grund. Manfred Grund (CDU/CSU): Ich schaue zuerst in die Geschäftsordnung und stelle fest, dass wir nicht nur eine Weiterentwicklung des Völkerrechts haben, sondern auch eine Weiterentwicklung der Geschäftsordnung. Eine Kurzintervention kann sich immer nur auf den Redebeitrag beziehen, der unmittelbar zuvor gehalten worden ist; es darf nicht noch ein anderer Redner dazwischen gewesen sein. Aber wir wollen jetzt darüber hinwegschauen. (Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Heiterkeit) Herr Kollege Gehrcke, wer die Situation seinerzeit im Kosovo mit der Situation jetzt auf der Krim vergleicht, der vergleicht Äpfel mit Birnen; das ist etwas fundamental anderes. Im Kosovo hat es einen Völkermord gegeben. Der Auftrag der Völkergemeinschaft an die Vereinten Nationen ist, Völkermord zu verhindern und alle Möglichkeiten, alle juristischen und alle diplomatischen Möglichkeiten, zu nutzen, um Völkermord aufzuhalten. (Zurufe von der LINKEN) Srebrenica war schon passiert. Ich nenne auch Vukovar. (Michael Brand [CDU/CSU]: Und Russland hat goutiert!) Die Resolution ist immer wieder am Veto Russlands im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gescheitert, (Beifall bei der CDU/CSU) sodass es zur Beendigung des Völkermords keine andere Möglichkeit mehr gegeben hat, als so vorzugehen, wie vorgegangen worden ist. Nun zur Krim. Alle Argumente, die für die Annexion der Krim vorgetragen worden sind – Bedrohung der russischen Minderheit; es sei sogar schon jemand umgekommen; die Sprache dürfe nicht mehr gesprochen werden –, (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das habe ich nie gesagt! Was erzählst du überhaupt? – Michael Brand [CDU/CSU]: Der UN-Generalsekretär hat von der dunklen Wolke des Völkermords gesprochen!) waren aus der Luft gegriffen und hatten überhaupt nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Alles das, was man mit der ukrainischen Regierung hätte aushandeln können – Autonomiestatus der Krim etwa –, ist einfach ausgeschlagen worden. Es sind vollendete Tatsachen geschaffen worden. Es ist etwas herausgeschnitten worden. Vollendete Tatsachen! Annexion! Ein Teil eines Landes wurde einem anderen Land angegliedert. Das ist mit der Situation im Kosovo seinerzeit überhaupt nicht zu vergleichen. Ich bitte Sie und die Kollegen der Linken, diese Argumentation nicht zu wiederholen, weil sie nicht trägt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Herr Kollege Grund, der Kollege Gehrcke war von Ihnen so beeindruckt, dass er der irrigen Auffassung war, dass Sie ihm das Wort erteilen dürfen. Das war mir entgangen. Deshalb wollte ich den Fehler korrigieren und habe eine Ausnahme von der Geschäftsordnung gemacht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Wir sind ja nicht in Russland! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deeskalation! Sehr gut! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gut, dass das hier möglich ist! – Heiterkeit) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/853. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Damit ist dieser Antrag gegen die Stimmen der Linken abgelehnt worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung der Unterrichtung durch den Wehr-beauftragten Jahresbericht 2013 (55. Bericht) Drucksache 18/300 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie jetzt ganz schnell die Plätze wechseln, dann könnte ich die Aussprache auch eröffnen. – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Es ist bemerkenswert, dass sich das Hohe Haus schon so kurz nach der abschließenden Beratung des Jahresberichts 2012 mit dem Jahresbericht 2013 befasst. Das ist ein wirklich gutes Signal an die Soldatinnen und Soldaten und auch an ihre Familien. Es zeigt, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht nur Belastungen beschließen, sondern sich auch mit den Folgen für die Truppe, für die Soldatinnen und Soldaten, übrigens auch für die Zivilbeschäftigten, befassen wollen. Es gibt eine ganze Reihe von Herausforderungen, denen sich die Angehörigen der Bundeswehr stellen müssen. Deshalb ist das besonders wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Herausforderungen, meine Damen und Herren, sind immens. Das schlägt sich auch in den Eingaben, die uns erreichen, immer wieder nieder. Mit knapp 5 100 Zuschriften erreicht die Eingabenquote im Berichtsjahr einen absoluten Höchststand, gemessen an der Kopfzahl der Soldatinnen und Soldaten. Gegenstand der Eingaben waren schwerpunktmäßig Probleme in den Bereichen Personalführung, Ausbildung, Einsatz, Betreuung und Versorgung der Soldatinnen und Soldaten und ihrer Familien. Übrigens, damit nicht der Eindruck entsteht, das alles seien nur Sonderentwicklungen wegen der Frage der Beihilfebearbeitung: Auch in den ersten beiden Monaten dieses Jahres hat sich diese Quote auf dem gleichen hohen Niveau bewegt wie im vorangegangenen Jahr. Ich glaube, das sollte schon Anlass sein, die angekündigte Evaluierung der Neuausrichtung umgehend anzugehen, um den eingeschlagenen Kurs der Umstrukturierung der Streitkräfte zum Erfolg zu führen. Das Berichtsjahr 2013 war für unsere Soldatinnen und Soldaten ein Jahr des Umbruchs. Die Neuausrichtung der Bundeswehr stellte die neue Struktur neben die bisherige. In der Praxis bedeutete das: Trotz erheblicher Reduzierung des Personals mussten beide Strukturen unter der vollen Belastung der Einsätze ausgefüllt werden. Hinzu kam die Verunsicherung vieler Soldatinnen und Soldaten und ihrer Familien, aber auch vieler Zivilbeschäftigter über die Frage, ob, wo und in welcher Verwendung sie künftig ihren Platz in der sogenannten neuen Bundeswehr finden werden. Ich erwähne übrigens die Zivilbeschäftigten an dieser Stelle, weil die Verlagerung von Zuständigkeiten der Bundeswehrverwaltung in die Bereiche der Innen- und Finanzverwaltung zu massiven Verzögerungen bei der Bearbeitung der Beihilfe- und Versorgungsanträge führte und darüber hinaus auch verfassungsrechtliche Fragen zur zukünftigen parlamentarischen Kontrolle dieser Bereiche aufwirft, die sich aus meiner Sicht bisher noch nicht abschließend beantworten lassen. Ich will nicht über die Frage reden, ob die besonderen Rechte des Verteidigungsausschusses durch diese Verlagerung berührt sind; das wird sicherlich das Parlament selbst beantworten. Rechte des Wehrbeauftragten sind allerdings sehr wohl betroffen; denn insbesondere Auskunfts- und Besuchsrechte hat er nur unmittelbar gegenüber Dienststellen aus dem Bereich der Bundesministerin der Verteidigung. Im Bereich der Streitkräfte gibt der Verlauf der Neuausrichtung durchaus noch immer Anlass zur Sorge, zu der Sorge nämlich, dass eine nachhaltige Verbesserung der Einsatzfähigkeit, Finanzierung und Attraktivität der Streitkräfte nicht erreicht werden kann, wenn nicht nachgesteuert wird. Trotz der bisher erfolgten Umstrukturierung steht die Bundeswehr mit den laufenden Einsätzen personell und materiell nach wie vor an den Grenzen -ihrer Leistungsfähigkeit. Operativer Bedarf und strukturelle Ausplanung klaffen auf absehbare Zeit weiter deutlich auseinander. Der Jahresbericht geht darauf ausführlich ein. Ich nenne in diesem Zusammenhang hier nur einige besonders kritische Bereiche wie den Lufttransport und den Luftumschlag, die Flughafenfeuerwehr, den Flugverkehrskontrolldienst sowie die Flugberatung bei der Luftwaffe. In der Marine ist es ein offenes Geheimnis, dass die Besatzungen der Schiffe und Boote im Einsatz nur unter Rückgriff auf die letzten Reserven auch in Stäben und Dienststellen zusammengestellt werden können. Auch im Heer reicht das verfügbare Personal nicht aus, um Einsatzkontingente unter Berücksichtigung des Grundsatzes „4 Monate Einsatz, 20 Monate Inlandsdienst“ wirklich verlässlich abbilden zu können. Das Prinzip „Breite vor Tiefe“ ist angesichts dieser Situation meines Erachtens zu überprüfen. In der jetzigen Form führt es zur Überlastung insbesondere der einsatzrelevanten Bereiche. Es bedarf daher einer Korrektur. Die für dieses Jahr vorgesehene Evaluierung der Neuausrichtung wird dies erweisen und bietet auch eine gute Grundlage und Gelegenheit dafür. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auch in diesem Jahr beim Thema „Vereinbarkeit von Familie und Dienst“. Jenseits aller Entbehrungen, die der Beruf des Soldaten unvermeidbar mit sich bringt, muss der Dienst so gestaltet werden, dass er auch ein befriedigendes Familienleben zulässt. Dazu bedarf es natürlich mehr als bloßer Bekenntnisse, so unter anderem auch der Bereitschaft, zusätzliche finanzielle Mittel für diese Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Ich bin froh, dass Sie, Frau Bundesministerin, die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst zu einem Schwerpunkt Ihrer Arbeit machen wollen. Dieses Signal ist bei den Soldatinnen und Soldaten und vor allem bei ihren Familien gut angekommen. Sie erwarten nun allerdings, dass Verbesserungen in diesem Bereich unmittelbar und konkret spürbar werden. Ich hoffe, Frau Ministerin von der Leyen, dass Sie auf diesem Gebiet tatsächlich klare Linie halten. Ein wesentliches Thema war im vergangenen Jahr die Situation der Frauen in der Bundeswehr. Beunruhigende Meldungen über sexuelle Übergriffe haben deren Situation stärker in das Blickfeld gerückt. Jenseits der gravierenden Fälle, über die in den Medien berichtet wurde, klagten zahlreiche Soldatinnen über frauenspezifische Diskriminierung. Sie bestätigten damit die inzwischen veröffentlichte Studie „Truppenbild ohne Dame?“. Im Gespräch mit Betroffenen wurde deutlich, dass oftmals Hemmungen bestehen, Mobbing, sexuelle Belästigungen oder sogar sexuelle Übergriffe zu melden. – Das hat übrigens dazu geführt, dass auch bei mir ein falscher Eindruck entstanden ist. Manche meiner Stellungnahmen würde ich heute so nicht mehr abgeben. – Dies wurde im Gespräch, aber auch aufgrund der Diskussion in der Öffentlichkeit deutlich. Als Gründe für die Zurückhaltung, dies zu melden, wurde vorwiegend die Furcht vor negativen Auswirkungen auf die eigene Beurteilung und mögliche Laufbahnnachteile genannt. Alle Vorgesetzten bleiben daher aufgefordert, frauenfeindlichen Tendenzen konsequent entgegenzutreten und verlorenes Vertrauen in ein kameradschaftliches Miteinander zurückzugewinnen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, die Auswirkungen der Veränderungen durch die Neuausrichtung brachten es mit sich, dass die Personalführung noch stärker ins Blickfeld geriet; das versteht sich von selbst. Aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen brachten erhebliche Veränderungen. Bei den Auswahlverfahren zur Übernahme von Soldatinnen und Soldaten in das Dienstverhältnis einer Berufssoldatin bzw. eines Berufssoldaten wurden Geburtsjahrgänge bisher immer getrennt betrachtet. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Grundsatzentscheidung zu Recht als unzulässig verworfen, weil Eigenleistung und Befähigung nicht unbedingt im Zusammenhang mit Jahrgängen zu sehen sind. Es gibt auch Menschen älterer Jahrgänge, die durchaus eine Leistungsfähigkeit erbringen, die bei Jüngeren vergeblich gesucht wird. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Für Offiziere wurde diese Gerichtsentscheidung im Auswahlverfahren 2013 bereits berücksichtigt. Das Auswahlverfahren für Feldwebel dagegen wurde im Berichtsjahr zunächst ausgesetzt und auf das laufende Jahr verschoben. Das ist bei den betroffenen Bewerbern nachvollziehbar auf Unverständnis gestoßen. Je mehr sich das Auswahlverfahren verzögert, desto größer ist die Gefahr, dass sich die besten Bewerberinnen und Bewerber beruflich bereits anderweitig orientiert haben oder dass sie persönliche Nachteile erfahren, auch wenn sie in der Bundeswehr bleiben. Schwer tut sich die Bundeswehr auch mit der Umsetzung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie. Schon bei den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern konnte der Ausgleich für mehr geleisteten Dienst personell nicht oder nur schwer kompensiert werden, sodass einzelne Arbeitsbereiche vorübergehend stillgelegt werden mussten, etwa die Flughafenfeuerwehr. Dem Grunde nach gilt die Arbeitszeitrichtlinie nach meiner Auffassung auch für Soldatinnen und Soldaten, sodass eine Umsetzung in diesem Bereich unausweichlich ist. Es macht keinen Sinn, davor die Augen zu verschließen. Je eher sich die Bundeswehr, aber auch das Parlament mit den personellen und finanziellen Folgen einer entsprechenden Umsetzung beschäftigt, desto besser wird darauf reagiert werden können. Ich sage auch – ich weiß nicht, ob Herr Kampeter heute anwesend ist –: Kostenneutralität steht dabei nicht in Aussicht. Ein letztes Stichwort: Sanitätsdienst. Erhebliche Sorgen bereitet nach wie vor die sanitätsdienstliche Versorgung. Ohne einen massiven Rückgriff auf zivile Kapazitäten ist die Versorgung heute nicht mehr sicherzustellen. Deshalb gibt es eine immer engere Kooperation zwischen zivilen und militärischen Bereichen. Allerdings darf dabei der militärische Versorgungsauftrag nach meiner Auffassung nicht aus dem Blick verloren werden. Ich habe den Eindruck, dass vielfach die Fragen der Wirtschaftlichkeit den eigentlichen Daseinszweck des Sanitätsdienstes mehr und mehr überlagern. Das darf nicht sein. Ich sehe, dass ich meine Zeit schon überschritten habe, und möchte Ihnen an dieser Stelle für Ihre Aufmerksamkeit danken. Aber wenn Sie erlauben, Frau Präsidentin, möchte ich noch einen besonderen Dank an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richten, die wirklich Großartiges geleistet haben. Wir hatten nicht nur eine hohe Zahl von Eingaben, sondern eben auch sehr komplizierte und konkrete Fragen zu klären. Diese Arbeit ist auf großartige Art und Weise geleistet worden. Das Gleiche gilt natürlich für unsere Ansprechpartner in den Ministerien, in den militärischen Organisationen und auch im Parlament. Wenn Sie erlauben, richte ich an dieser Stelle meine Grüße auch an alle Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Nochmals ganz herzlichen Dank! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Kollege Königshaus. – Ich habe Ihnen die Zeit für diesen Dank gerne gewährt. Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, möchte ich Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Namen des ganzen Hauses für die Vorlage des Jahresberichts 2013 ganz herzlich danken. (Beifall im ganzen Hause) Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Königshaus! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die Debatte eintreten, möchte ich vorwegstellen, dass der Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2013 wie jeder Jahresbericht ein Ergebnis langer Recherchen, vieler Mühen und verantwortlicher Bewertung ist. Deshalb, Herr Königshaus, möchte auch ich Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für diesen Einsatz danken. Wir alle wissen aus der Erfahrung der vergangenen Jahre – ich merke es auch jetzt im neuen Amt –, dass Ihnen die Belange der Soldatinnen und Soldaten wirklich ein Herzensanliegen sind. Ich danke für diesen Einsatz. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In Ihrem aktuellen Bericht werden naturgemäß Mängel genannt. Es werden aber auch Lösungsvorschläge unterbreitet und Verbesserungsvorschläge nicht verschwiegen. Auch dafür möchte ich ausdrücklich danken. Ich möchte auf einige Themenbereiche des Berichts eingehen. Haben Sie Verständnis dafür, dass ich nicht alles abarbeiten kann. Ich möchte vor allen Dingen die beiden wichtigsten Punkte ansprechen. Das sind einerseits die Auslandseinsätze und andererseits die Attraktivität der Bundeswehr nach innen; denn zwischen diesen beiden großen Komponenten spielt sich das zentrale Thema, nämlich die Herausforderung, die eine doppelte ist, ab. Sie haben eben schon ganz richtig skizziert, Herr Königshaus, dass die Bundeswehr einer Doppelbelas-tung ausgesetzt ist. Auf der einen Seite steht die Reform, die Neuausrichtung, die noch lange nicht abgeschlossen ist; wir stecken mittendrin. Das bedeutet für viele: Umstrukturierungen, Standortverlagerungen, neue Zuständigkeiten, Unsicherheit auch in Bezug auf die Fragen, wie es weitergeht, wie die neue Kapazität aussieht und wann sie aufgebaut ist. Auf der anderen Seite stehen die Auslandseinsätze. Wir wissen alle, dass die Welt nicht stillsteht und Einsätze hinzukommen, so wie im letzten Jahr im Hinblick auf die Türkei und Mali. Diese Doppelbelastung – Neuausrichtung und Auslandseinsätze – verlangt von den Angehörigen der Bundeswehr viel Geduld und Verständnis. Sie verlangt aber auch vonseiten des Ministeriums und der Leitungsebene viel Verständnis für die besondere Situation der Soldatinnen und Soldaten. Es bedarf immer Ideen und Bemühungen für jede Art von Verbesserung und kluger Planung, damit wir in dieser besonderen Situation das Beste für die Soldatinnen und Soldaten ermöglichen. Bei Auslandseinsätzen besteht die grundsätzliche Regel 4/20, die alle kennen, also im Grundsatz 4 Monate Einsatz und 20 Monate der Vor- und Nachbereitung sowie der Regeneration. Tatsache ist aber, dass wir das nicht immer einhalten. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Bei der großen Mehrheit der Einsätze, bei weit mehr als 75 Prozent, funktioniert das. Aber in bestimmten Teilen der Truppe, vor allen Dingen, wenn Spezialisierung und hohe Qualifizierung gefordert sind, spüren wir den Mangel an Personal und vor allem den Fachkräftemangel, den in Bezug auf genau diese Komponenten inzwischen auch die deutsche Wirtschaft und der deutsche Mittelstand spüren. Das moderne Gesicht der veränderten Bundeswehr beinhaltet, dass wir Einsätze niemals alleine, sondern immer unter dem Dach der Vereinten Nationen, der EU oder der NATO leisten, also mit geteilten Fähigkeiten und immer im vernetzten Ansatz. Der Einsatz des Militärs ist die Ultima Ratio. Wir wissen: Es gibt keine Entwicklung ohne Sicherheit. Es gibt aber eben auch keine Sicherheit ohne Entwicklung. Das bedeutet für uns nach innen, dass zwar in den verschiedenen Bereichen eine Grundausstattung da sein muss, aber wir uns zunehmend auf unsere Stärken konzentrieren sollten, die auch immer stärker von den Bündnispartnern nachgefragt werden. Die Komponenten sind eben benannt worden. Da ist das weite Thema der Luftunterstützung, da ist die Logistik, da ist das breite Feld der Ausbildung, und zwar nicht nur der militärischen Ausbildung, sondern auch der Ausbildung im Hinblick auf Fertigkeiten bis hin zu Pionierspezialwissen. Da geht es aber auch um die Frage der wertegebundenen Führung – wie führe ich eine Armee innerhalb demokratischer Strukturen, wissend, dass Militär keine Politik macht, sondern eine dienende Funktion hat? – und um das große Thema der medizinischen Versorgung und der Sanität. Ich habe eben die Schlüsselqualifikationen nicht abschließend aufgeführt, aber die dominierenden genannt; ich habe angeführt, wo die Hauptprobleme liegen. Es geht um die beruflichen Fähigkeiten von Technikern, Flugzeugprüfern, Spezialpionieren, aber eben auch von ärztlichem Personal. Dort ist die Bundeswehr besonders nachgefragt und wird die Belastung – da dürfen wir uns nichts vormachen – weiterhin hoch sein, gerade im Vergleich zu anderen Truppenteilen, in denen die Regel „4 Monate Einsatz, 20 Monate zu Hause“ gut funktioniert. Das wird ein Dauerthema bleiben; denn wir konkurrieren nicht nur innerhalb der Bündnisse um diese Fähigkeiten, die immer wieder nachgefragt werden, sondern auch mit der gesamten Wirtschaft. Das betrifft die Berufe der Ärztinnen und Ärzte, der IT-Spezialisten sowie technische Felder; Sie kennen sie alle. Das sind genau die Bereiche, in denen die Wirtschaft inzwischen den Fachkräftemangel spürt; alle stehen bei diesen Fähigkeiten in Konkurrenz. Das bedeutet für uns: Wir müssen bei den Lösungen flexibler und kreativer werden. Die Bundeswehr bietet inzwischen ein Splittingmodell an – man würde das in der Wirtschaft wahrscheinlich Jobsharing nennen –: Einsatzdienstposten werden von zwei Soldatinnen oder Soldaten besetzt. Dadurch kann die Einsatzdauer flexibler und kürzer gestaltet werden. Die Luftwaffe hat ein entsprechendes Projekt und macht damit gute Erfahrungen. Wir werden das ganz sicher ausbauen. Eines ist aber auch klar: Mit Flexibilisierung allein ist es nicht getan; denn viele Arbeitgeber fragen, wie ich eben geschildert habe, diese Schlüsselqualifikationen nach. Wir müssen also als Arbeitgeber die richtigen Antworten geben. Die Bundeswehr hat als Arbeitgeber zwei große Stärken: Erstens. Sie bietet einen sicheren Arbeitsplatz; es gibt keine feindlichen Übernahmen oder Konzernrestrukturierungen, um in der Wirtschaftssprache zu sprechen. (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens. Die Bundeswehr hat eine außergewöhnlich verlässliche Personalentwicklung wie kaum ein anderer Arbeitgeber. – Das sind die großen Stärken. Sie muss sich andererseits bei den Themen viel breiter aufstellen, die sich hinter dem Begriff „Vereinbarkeit von Dienst und Familie“ verbergen: flexible Arbeitszeitmodelle, selbstverständlich die Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie – wenn die Hochleistungsmedizin das geschafft hat, wenn andere kritische Berufe das geschafft haben, dann muss das auch die Bundeswehr schaffen –, mobiles Arbeiten – damit meine ich physisch unabhängiges, IT-gestütztes Arbeiten – und das Mitdenken von Kindern und Eltern, die gepflegt werden müssen. Das möchte ich nicht nur auf Soldatinnen reduziert sehen; es betrifft genauso elementar die Soldaten, die selbstverständlich gute Väter für ihre Kinder sein wollen. Vielleicht hat nicht jede Soldatin oder jeder Soldat Kinder; aber sie alle haben Eltern. In einer Gesellschaft im demografischen Wandel kommt dieses Thema mit großer Geschwindigkeit auf uns zu. Wir müssen darauf Antworten geben; sonst werden wir nicht mehr das Personal halten können, das wir halten wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Herr Königshaus, Sie sprachen das Thema „Truppenbild ohne Dame“ an, also die Stellung der Frauen in der Bundeswehr. Ich glaube, etwas mehr als zehn Jahre nach der Öffnung der Bundeswehr für Frauen – am Anfang stand sicherlich auch das Interesse am Neuen und Ungewöhnlichen im Raum – kommt jetzt die Phase, in der man die Konkurrenz spürt; das ist eine Selbstverständlichkeit. Ich finde es in dieser Zeit ganz wichtig, dieses Thema offen anzusprechen und zu debattieren und die Truppe im Hinblick auf ihre Sprache und ihre Umgangsformen zu sensibilisieren. Es dürfen keine Nachteile daraus entstehen, dass man dies zum Thema macht. Hier bedarf es ganz klar der Führung, die deutlich machen muss, dass das Thematisieren keinen Nachteil bedeutet. Diskriminierung oder Belästigung sind keine Tabuthemen. Man muss sich nicht in die Ecke stellen und schämen, wenn man sie anspricht. Im Gegenteil: Indem man sie aufs Tapet bringt, kann man die Wurzel des Übels finden und damit eine Veränderung des Verhaltens in der Truppe herbeiführen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ein weiterer Punkt, der mir in Bezug auf das Thema „attraktiver Arbeitgeber“ wichtig ist, ist das Thema Verwendungsaufbaumodelle. Schon allein der Begriff ist etwas starr und sicherlich auch überfrachtet. Ich habe eben darauf hingewiesen, dass die sehr verlässliche Personalplanung eine große Stärke der Bundeswehr ist. Aber es ist eher so, dass sich die Soldatinnen und Soldaten nach der Personalplanung richten müssen. Ich hingegen glaube, dass wir lernen müssen, vom Soldaten, von der Soldatin her zu denken und die Planung an deren Lebenswirklichkeit anzupassen. Ein Beispiel wäre, die Verwendungslaufbahnen regional zu organisieren, damit man nicht mehr von Pontius zu Pilatus reisen muss, um eine Verwendungslaufbahn zu absolvieren. Vielmehr sollte es den Soldatinnen und Soldaten ermöglicht werden, die Verwendung in der Region zu realisieren, in der sie ihren Lebensmittelpunkt, ihre Familie haben. Bei der Planung muss man vom Menschen her denken und nicht umgekehrt. In Ihrem Jahresbericht schreiben Sie, Herr Königshaus, dass die Attraktivität eine Überlebensfrage der Bundeswehr sei. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Ich möchte meinen Blick kurz auf das Thema „Werbung von Nachwuchs bei der Bundeswehr“ richten. Die Ausgangslage ist sehr gut. Für 2014 konnten wir bis heute, also 9 Monate vor Ende des Jahres, bereits 54 Prozent aller verfügbaren Stellen für Soldatinnen und Soldaten auf Zeit besetzen. Das ist ausgezeichnet. Auch die Qualifikationen stimmen. 70 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber haben mindestens die mittlere Reife. Mehr als zwei Drittel – das finde ich ganz klasse – bringen eine abgeschlossene Berufsausbildung mit. Es bewerben sich also bereits qualifizierte Leute bei der Bundeswehr. Das ist hocherfreulich. Genau da müssen wir weitermachen. Ich möchte zum Schluss einen Aspekt herausgreifen, der wenig Beachtung findet, aber ein Kleinod innerhalb der Bundeswehr ist, und zwar das Thema „Bildung und Qualifikation“. Die Bundeswehr ist ein bedeutender Bildungs- und Ausbildungsträger in unserem Land, sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich. Wir können auf einer vielfältigen Bildungs- und Qualifizierungslandschaft aufbauen, die im Vergleich zu anderen Arbeitgebern einzigartig ist. Mit diesem Pfund müssen wir wuchern. Das betrifft die Themen Berufsausbildung, fachliche Fort- und Weiterbildung und akademischer Abschluss. Ich will Ihnen hierzu zwei Zahlen nennen. Allein 5 000 Soldatinnen und Soldaten nehmen zurzeit an 500 unterschiedlichen Maßnahmen auf Gesellenebene oder auf Meisterebene teil. Allein 4 500 Studentinnen und Studenten werden in 55 unterschiedlichen Studiengängen ausgebildet, um ihren Masterabschluss zu machen. Die Bundeswehr bildet gewissermaßen eine ganze Ausbildungs- und Universitätslandschaft im Kleinen ab. Das ist ein riesiger Marktvorteil, den wir weiter ausbauen wollen. Ich möchte noch einige Bereiche kurz antippen, in denen wir besser werden können; wir haben zwar den Marktvorteil, aber den wollen wir auch behalten. Soldatinnen und Soldaten erwerben im Dienst viele Kompetenzen und Qualifikationen. Warum zertifizieren wir diese nicht für den Zivilberuf? Erhält man ein Zertifikat über das, was man bei der Bundeswehr gelernt hat, dann eröffnen sich im Anschluss beim Übergang in den zivilen Beruf viel größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Mit Blick auf unseren Binnenarbeitsmarkt fragt man sich: Warum nutzen wir solche Zertifikate nicht viel stärker bei Soldatinnen und Soldaten auf Zeit, um sie in jene zivile Berufe zu übernehmen, in denen genau ihre Qualifikation nachgefragt wird? Die Bildungseinrichtungen, die ich eben genannt habe, sind vom Feinsten. Wieso öffnen wir sie eigentlich nicht für alle Angehörigen der Bundeswehr? Lebenslanges Lernen und Aufstiegsqualifizierung sind die Schlüsselkompetenzen, die eine Gesellschaft im demografischen Wandel braucht. Die Bundeswehr braucht sie genauso. Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir haben in der Bundeswehr alle Möglichkeiten. Nutzen wir sie! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat Christine Buchholz, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Herr Königshaus! Meine Damen und Herren! Der Jahresbericht 2013 des Wehrbeauftragten verdeutlicht vor allen Dingen eines: Wenn Frau von der Leyen sagt, der Mensch müsse im Mittelpunkt stehen – das haben Sie zumindest zum Ende Ihrer Rede gesagt –, dann hat das mit der Realität in der Bundeswehr allzu oft nichts zu tun. Umgerechnet auf die Personalstärke haben 2013 mehr Soldaten als je zuvor über Missstände geklagt. Das ist eine schallende Ohrfeige für den abgetretenen Verteidigungsminister de Maizière. Ich füge hinzu: Die ersten Initiativen von Frau von der Leyen lassen Zweifel aufkommen, dass sich an diesem Zustand etwas ändern wird. (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Sie reden immer alles schlecht!) Die Bundeswehr ist keine Verteidigungsarmee mehr. Sie wird zu einer global agierenden Interventionsarmee ausgebaut. Allein im Berichtsjahr 2013 kamen Einsätze im Senegal, in Mali und in der Türkei hinzu. Dabei wird nicht nur die Mehrheit unserer Bevölkerung ignoriert, (Henning Otte [CDU/CSU]: Das zeigt ja Ihr Wahlergebnis!) die diese Einsätze zu Recht ablehnt. Der gesamte Umbau der Bundeswehr wird sogar auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten und ihrer Familien ausgetragen. Das ist die Realität, die einem ins Auge springt, wenn man den Bericht des Wehrbeauftragten liest. (Beifall bei der LINKEN) Frau von der Leyen, Sie haben von einem „sicheren Arbeitsplatz“ bei der Bundeswehr gesprochen. Erstmalig seit zwei Jahren ist wieder ein Soldat in einem Feuergefecht in Afghanistan gestorben. Das ist tragisch. Schlimm ist auch, wenn Soldatinnen und Soldaten mit psychischen Störungen und traumatisiert nach Hause zurückkehren. Es geht um Depressionen, um Alkoholabhängigkeit und um PTBS, Posttraumatische Belastungsstörungen. 2006 wurden 83 Soldaten mit PTBS in Bundeswehrkrankenhäusern behandelt, 2013 waren es laut Bericht bereits 1 500 – Tendenz: stark zunehmend. Dazu kommen jene, die privat in Therapie sind, und jene Fälle, die gar nicht erkannt werden. Selbst das zur Bundeswehr gehörende Psychotraumazentrum in Berlin geht davon aus, dass ein Viertel der Soldatinnen und Soldaten, die zurückkommen, unter einsatzbedingten psychischen Störungen leidet. Es ist traurig, aber 15 Jahre systematische Ausrichtung der Bundeswehr auf internationale Einsätze haben PTBS zu einer in Deutschland verbreiteten Krankheit gemacht. Insgesamt waren allein in Afghanistan 160 000 deutsche Soldaten im Einsatz. Es gibt heute kaum einen Ort in Deutschland, in dem keine Familien leben, die davon betroffen sind. PTBS-Kranke leiden zum Beispiel unter Schlaflosigkeit. Schlüsselreize wie Hitze oder Rauch, die an die traumatisierenden Erfahrungen im Krieg erinnern, können Wutattacken auslösen. Kinder, Freunde, Partnerinnen und Partner, sie alle bekommen tagtäglich die Auswirkungen zu spüren. Die Scheidungsraten bei Heimkehrern liegen in einzelnen Einheiten bei bis zu 80 Prozent. Der NATO-Einsatz in Afghanistan hat Zehntausenden Afghanen das Leben gekostet; aber dieser Krieg macht auch Soldaten und ihre Familien krank. Dieses Problem muss endlich in all seiner Schärfe anerkannt werden. (Beifall bei der LINKEN) Das Problem wird sich verstärken, wenn Ende des Jahres eine größere Zahl aus Afghanistan zurückkehrt; denn aus der Erfahrung vergangener Kriege weiß man, dass viele psychische Erkrankungen erst später auftauchen. Aber was macht die Bundesregierung? Sie verschärft das Problem weiter. Sie verweigert sich einer ehrlichen Bilanz von zwölf Jahren Krieg in Afghanistan. Sie hält weiter über 3 000 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Von einem echten Abzug kann keine Rede sein. Die Bedrohungslage im Norden wird teilweise immer noch als erheblich eingeschätzt; trotzdem wird das immer wieder vom Tisch gewischt. Der nächste Bundeswehreinsatz in einem Bürgerkriegsland steht vor der Tür. Heute noch wird im Bundestag über die Entsendung von Soldaten nach Mogadischu in Somalia diskutiert. (Henning Otte [CDU/CSU]: Wie viele denn?) Wer im Bundestag solche Entsendungsbeschlüsse fällt, ist mitverantwortlich für die Traumatisierten von morgen. Hören Sie endlich auf damit! (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Unverantwortlich!) Man sollte meinen, die psychisch erkrankten Soldaten würden nach ihrer Heimkehr wenigstens vernünftig behandelt. Das ist aber beileibe nicht der Fall. Im Bericht wird das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz erwähnt. Es verpflichtet die Bundeswehr seit 2012, Soldaten ab einem einsatzbedingten Schädigungsgrad von 30 Prozent weiterzubeschäftigen. Erkrankte bekommen somit eine berufliche Perspektive, können eine Therapie machen oder eine weitere Ausbildung. Das ist eine Verbesserung. Doch das Problem liegt in der Umsetzung. Viele Verfahren landen vor dem Gericht, weil die Bundeswehr die Ansprüche einfach nicht anerkennen will. Viele Soldaten mit PTBS müssen mit der Bundeswehr erst mühsam um jedes Detail ringen. Das ist unwürdig. (Beifall bei der LINKEN) Noch schwieriger ist es für die Soldatinnen und Soldaten, bei denen die psychischen Störungen erst nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst auftreten. Für sie – ich zitiere den Wehrbeauftragten – „bietet der Dienstherr … lediglich Informationen und Kontakt-adressen in Merkblättern über das Internet an.“ Merkblätter im Internet zu PTBS – meine Damen und Herren, das ist zynisch. (Beifall bei der LINKEN) Herr Königshaus stellt dazu nüchtern fest, dieses Angebot genüge nicht der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Das ist richtig. Man bekommt den Eindruck, es gehe darum, den Soldaten den Weg zu einer Therapie zu erschweren, um die Folgekosten der Einsätze zu minimieren. Ich sage: Hier geht es um das Schicksal von Menschen, von Familien. Dafür muss Geld bereitstehen und nicht für immer neue Waffensysteme. (Beifall bei der LINKEN) Dieses Bild zieht sich durch den Jahresbericht des Wehrbeauftragten. Hier ein paar Schlaglichter: Sanitätsärztliche und medizinische Betreuung weisen – Zitat – „erhebliche Mängel“ auf. Dienstposten der Bundeswehr, an die Eingaben bei Missständen gerichtet werden können, sind – Zitat – „in weiten Bereichen“ nicht besetzt. Darüber hinaus ist die Bundeswehr nicht bereit, Dienstposten auszuschreiben, um das Problem der Familientrennung durch Standortversetzungen zu reduzieren. Bei der Beihilfe gibt es einen Rückstau von 60 000 Anträgen. Beihilfeberechtigte mussten bei Arzt- und Behandlungskosten in Vorleistung treten, in einzelnen Fällen mit Summen in Höhe von 20 000 Euro. Das trifft vor allen Dingen die, die besonders auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn angewiesen sind: chronisch Kranke oder Krebspatienten. Der Wehrbeauftragte schreibt: Ein Petent berichtete weinend am Telefon, er habe bereits seine Kinder um Geld bitten müssen und ihnen nichts zum Geburtstag schenken können. Auch wurde nach Angabe von Petenten auf notwendige Arztbesuche verzichtet, aus Angst, die Kosten nicht begleichen zu können. Nein, meine Damen und Herren, bei der Bundeswehr stehen nicht die Menschen im Mittelpunkt, sondern die geostrategischen Interessen Deutschlands. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN) Was einen so maßlos ärgert, ist, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird: 60 000 Soldatinnen und Soldaten warten auf Geld, das ihnen zusteht. Doch der Rüstungsbetrieb MTU bekam im Dezember letzten Jahres mal eben 55 Millionen Euro per Eilüberweisung aus dem Verteidigungsministerium, ohne dass, wie vorgeschrieben, der Bundestag konsultiert wurde. Wofür erhielt MTU 55 Millionen Euro? Für Eurofighter-Triebwerke, die nie gebaut wurden; denn die Kosten für den Eurofighter sind derart explodiert, dass die Bestellung reduziert werden musste. Nun kommt auch noch Airbus und will 900 Millionen Euro für dieselben nie gebauten -Eurofighter haben. Ich sage: Das Geld, das so bei der Aufrüstung verpulvert wird, fehlt im Land für Kitas, Krankenhäuser und die Versorgung der Soldatinnen und Soldaten. (Beifall bei der LINKEN) Bei dieser Gelegenheit, meine Damen und Herren, muss ich noch zwei aktuelle Themen ansprechen. (Henning Otte [CDU/CSU]: Auch das noch!) Der erste Punkt betrifft die nächste Aufrüstungsrunde. Das Bundesverteidigungsministerium hat im Januar dieses Jahres einen weiteren wichtigen Auftrag erteilt, um den Weg zur Beschaffung der US-Drohne Predator B freizumachen. Nicht, dass die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss darüber informiert worden wären – erst aus dem Spiegel haben sie davon erfahren. (Henning Otte [CDU/CSU]: Waren Sie gestern nicht im Ausschuss?) Dann schob das Ministerium hastig eine Erklärung nach. Frau von der Leyen, wo ist Ihre Initiative für Transparenz geblieben? Um es klar zu sagen: Diese Drohne wird Unmengen an Geld verschlingen, das an anderer Stelle dringend gebraucht würde. Es handelt sich bei dem Typ um eine Drohne, die bis zu 1 300 Kilogramm an Raketen tragen und abschießen kann. Mit anderen Worten: Offensichtlich werden hier die Weichen für die Beschaffung von Kampfdrohnen gestellt, auch wenn es offiziell noch heißt, der Auftrag würde keinerlei Vorentscheidung zur Beschaffung von Kampfdrohnen sein. Ich bin gespannt, ob die SPD ihrer Ankündigung aus den Koalitionsverhandlungen Taten folgen lässt. Bitte tun Sie das! Denn wir können keine Kampfdrohnen gebrauchen. (Beifall bei der LINKEN) Diese Drohnen haben auch nichts mit dem Schutz der eigenen Soldatinnen und Soldaten zu tun, wie manche behaupten, (Henning Otte [CDU/CSU]: Aber natürlich!) sondern ausschließlich mit der Fähigkeit, selbst an zukünftigen Drohnenkriegen teilzunehmen. Das lehnt die Linke entschieden ab. (Beifall bei der LINKEN) Der zweite Punkt ist der Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze, den die Union aufweichen möchte. Frau Nahles hat in den Koalitionsverhandlungen wörtlich gesagt: „Am Parlamentsvorbehalt wird nicht gerüttelt.“ Aber warum stimmen Sie dann der Einsetzung einer Kommission zu, die genau das zum Inhalt hat? Offenbar ist die SPD ganz einverstanden damit, Parlamentsrechte einzuschränken, um Auslandseinsätze im Rahmen von Bündnisverpflichtungen zu erleichtern. Aber auch wenn es um den Einsatz von Soldaten in NATO-Stäben, den Einsatz von AWACS-Flugzeugen oder den Einsatz von Spezialkräften geht: Wir wollen nicht weniger, sondern mehr Parlamentsrechte. (Beifall bei der LINKEN) Ganz nebenbei: Im Interesse von Soldaten und Soldatinnen ist das auch; denn wenn Auslandseinsätze nicht mandatiert werden, hat das Folgen für die soziale Versorgung von Soldatinnen und Soldaten. Zudem greifen manche private Lebensversicherungen nur, wenn ein Einsatz mandatiert ist. Aber auch hier das gleiche Bild: Die Große Koalition will die Hürden für Auslandseinsätze senken, aber die sozialen Interessen der Soldatenfamilien sind das Letzte, woran Sie denken. (Henning Otte [CDU/CSU]: Das glaubt Ihnen doch niemand!) Frau von der Leyen, Ihr positives Bild hat Kratzer bekommen. Auch wenn Sie über die Bildung, dieses Kleinod, reden, hinterlässt das mehr Fragezeichen als Ausrufungszeichen. Es besteht eine riesige Kluft zwischen der Realität und dem, was die Bundeswehr in ihrer Imagekampagne jungen Leuten verspricht. Wenn wir schauen, was der Bericht zu den Themen Bildung und Ausbildung sagt, dann lesen wir über die Unzufriedenheit mit der Beförderungssituation in der Bundeswehr. Wie sieht es also mit den Karrierechancen aus? Zahlreiche Soldatinnen und Soldaten beklagen, dass sie unzutreffende oder gar keine Dienstzeugnisse erhalten haben. Zudem werden organisatorische und fachliche Mängel im Bereich der zivilberuflichen Aus- und Weiterbildung beklagt. Anstatt millionenschwere Imagekampagnen zu bezahlen und die Bundeswehr in Schulen zu schicken, sollten Sie das Geld besser für soziale Belange ausgeben. Aber für die Linke ist das Wichtigste: Beenden Sie die Auslandseinsätze! Holen Sie die Soldatinnen und Soldaten nach Hause, besser heute als morgen, und schicken Sie sie nicht in neue Einsätze! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Kollegin Heidtrud Henn. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]) Heidtrud Henn (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Medien haben nach der Übergabe des 55. Jahresberichtes des Wehrbeauftragten an den Bundestagspräsidenten vor allem die Nachricht verbreitet, noch nie seien so viele Eingaben beim Wehrbeauftragten eingegangen wie im Berichtszeitraum 2013. Ich freue mich nicht über die aufgezeigten Probleme. Ich danke aber allen Soldatinnen und Soldaten, die die Mühe und den Mut auf sich genommen haben und auf Schwierigkeiten aufmerksam gemacht haben. Ihr Recht auf Anrufung des Wehrbeauftragten ist ein hohes Gut, auf das sich die Soldatinnen und Soldaten verlassen können. Gleich zu Beginn möchte ich deshalb betonen, dass dafür Sorge getragen werden muss, dass Petenten keine Angst vor einer Benachteiligung durch die Anrufung des Wehrbeauftragten haben. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Henning Otte [CDU/CSU]) Sehr geehrter Herr Königshaus, Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danke ich dafür, dass Sie sich um jeden einzelnen Menschen hinter der Zahl von insgesamt 5 095 Eingaben gekümmert haben, und auch dafür, dass Sie sich bei Ihren zahlreichen Besuchen ein eigenes Bild von der Lage der Truppe machen. (Beifall bei der SPD) Danke, dass Sie den Soldatinnen und Soldaten dienen, deren Anwalt sind und dass Sie uns die parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte möglich machen. Dass Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Eingaben nicht zügig bearbeiten konnten, weil zuständige Dienstposten nicht besetzt waren, ist nicht zu akzeptieren. Hier sind wir Parlamentarier gefragt. Auf die versprochene Abhilfe müssen Sie sich verlassen können. In Ihrem Vorwort, Herr Königshaus, danken Sie den 20 000 Soldatinnen und Soldaten und Reservisten für deren Leistung bei der Bekämpfung des Hochwassers. Dem schließen wir uns an. Diese Leistung für die Bürgerinnen und Bürger, gemeinsam mit den zivilen Kräften, darf nicht vergessen werden. Sie hat ganz konkret die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit der Bundeswehr gezeigt. Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, Sie können sich darauf verlassen: Wir werden Ihren Bericht und die Stellungnahmen des Verteidigungsministeriums dazu sehr aufmerksam lesen, prüfen und gemeinsam mit Ihnen, den Verbänden und allen Beteiligten nach Verbesserungen und Lösungen suchen. Es ist beeindruckend, dass sich viele Betroffene auf die neue Situation eingestellt und eingelassen haben. Die von Ihnen beschriebenen Umbrüche durch die Neuausrichtung der Bundeswehr und deren zukünftiger Struktur werden in diesem Jahr evaluiert werden. Klar ist: Wir haben noch viel zu tun auf dem Weg zur neuen Bundeswehr. Wir sind wegen der Aussetzung der Wehrpflicht darauf angewiesen, dass junge Menschen zur Bundeswehr finden. Junge Menschen sind kritisch bei der Wahl des Berufes, und der soldatische Dienst verlangt Mühe und Einsatz. In unserem Koalitionsvertrag haben wir versprochen, die Attraktivitätsoffensive für die Streitkräfte voranzutreiben. Hier helfen keine kosmetischen Maßnahmen, hier nutzt, um eines der Fallbeispiele aus dem Bericht des Wehrbeauftragten aufzugreifen, kein neuer Anstrich auf einer verschimmelten Wand. Ohne eine gute Ausstattung insgesamt kann die Bundeswehr nicht attraktiv sein. Hier wollen und werden wir anpacken. Eine gute Bundeswehr braucht eine gute Infrastruktur. Das kostet Geld – freilich –, und das Geld muss sinnvoll verteilt werden. Kostenlos ist allerdings ein ordentlicher Umgangston. Wenn es hier zu Fehlverhalten von Vorgesetzten kommt, ist das nicht akzeptabel, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schon gar nicht in einer Bundeswehr, die auf Freiwillige angewiesen ist. Es ist schlimm, wenn wegen schlechten Führungsverhaltens junge Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr den Rücken kehren. Ein attraktiver Arbeitgeber schätzt und unterstützt die Männer und Frauen, die für ihn arbeiten. Die „neue Bundeswehr“ braucht natürlich Frauen. Die gewinnen wir nicht, wenn Diskriminierung, Sexismus, Mobbing und sexuelle Belästigung nicht mit allem Nachdruck bekämpft werden. Von einem modernen Arbeitgeber Bundeswehr dürfen Frauen zu Recht einen anderen Umgang erwarten. Es ist eigentlich kaum zu glauben, dass Soldatinnen mit Nachnamen angesprochen werden, während Soldaten mit Dienstgrad und Nachnamen angesprochen werden. Das ist keine Nachlässigkeit, sondern eine unerträgliche Form der Abwertung. Bei einem guten Arbeitgeber hat das nichts zu suchen. (Beifall bei der SPD) Es ist bedauerlich, dass wir überhaupt darüber reden müssen; aber hier muss die Bundeswehr besser werden, wenn sie gut bleiben will. Auslandseinsätze wird es auch zukünftig geben. Die besondere Belastung für Soldaten und Angehörige ist uns bewusst. Es muss alles dafür getan werden, dass mit genügend Personal zu häufige Einsätze verhindert werden und ausreichend lange Erholungsphasen zur Verfügung stehen. Wir schulden unseren Soldatinnen und Soldaten neben bestmöglicher Ausrüstung auch eine optimale Planbarkeit ihrer Einsätze. Der Sanitätsdienst – er nimmt einen großen Teil des Berichtes ein – ist, finde ich, selbst ein Patient. Dem hohen Anspruch kann die Bundeswehr nur gerecht werden, wenn die notwendigen Dienstposten besetzt sind. Ärzt-liches und nichtärztliches Sanitätspersonal leisten einen wichtigen Dienst. Dieser muss sich zunächst an der Versorgung der Soldatinnen und Soldaten orientieren. Wer krank ist, wer verwundet ist, muss sich darauf konzentrieren können, gesund zu werden. Dafür muss alles getan werden; auch das sind wir unseren Soldatinnen und Soldaten schuldig. Es ist ein Fortschritt, dass über Posttraumatische Belastungsstörungen mittlerweile offen gesprochen wird. Der Wehrbeauftragte berichtet von insgesamt 1 500 – davon 200 neuen – Fällen. Da ehemalige Zeitsoldaten nicht erfasst werden, weil sie sich in zivilen Einrichtungen behandeln lassen, haben wir kein genaues Bild vom Leid der Einsatzrückkehrenden und deren Angehörigen. Über die Ansprüche ausgeschiedener Soldatinnen und Soldaten und die Einsatz- und Beschädigtenversorgung müssen wir intensiv beraten. Wer dem Land dient, muss erwarten können, dass er aufgefangen wird, wenn er krank an Körper und Seele wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Königshaus, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie in Ihrem Bericht die Arbeit der Militärseelsorge so anerkennend erwähnen. Militärseelsorge wirkt nicht nur in Zeiten größter Not. Sie leistet mit ihren großen Angeboten zwischen Freizeitaktivitäten, ethischer Orientierung, theologischem Diskurs und Unterstützung im Einsatz ebenfalls einen wichtigen Beitrag für einen attraktiven Arbeitgeber Bundeswehr. (Michael Brand [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Es ist wichtig, dass sich die Soldatinnen und Soldaten Militärgeistlichen anvertrauen können. Ich bin froh darüber, dass der Wehrbeauftragte keine Beschwerden im Hinblick auf die Einhaltung religiöser Gebote und Feiertage zu verzeichnen hat. Die Sicherung der freien Religionsausübung ist grundgesetzlich gesichert. Wer die Besonderheiten eines Einsatzes nicht kennt und nicht selbst erlebt hat, kann nur schwer den soldatischen Dienst verstehen. Verständnis ist aber die erste Voraussetzung für den Dienst am Nächsten. Darum ist die Militärseelsorge unverzichtbar. Das gilt nicht nur für den Einsatz, sondern auch für die Einsatznachsorge und dann, wenn die Angehörigen die Einsatzfolgen nicht richtig einordnen können. Neben der ärztlichen Versorgung ist die Sorge um die Seele ein ganz wesentlicher Teil, der zur Genesung beiträgt. Ich bin dafür, dass es neben dem christlichen Angebot auch Anlaufstellen für Angehörige anderer Religionen gibt. Der Wunsch danach ist nachvollziehbar, und diesem Wunsch sollte Rechnung getragen werden. Es sollte niemand, der geistlichen Beistand wünscht, alleingelassen werden – auch nicht bei der Bundeswehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werbe dafür, Standorte zu besuchen, mit Soldatinnen und Soldaten zu sprechen und auch das Gespräch mit der Militärseelsorge zu suchen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Not beten lehrt. Das Wichtigste im Leben sind deshalb lebendige und herzliche Begegnungen mit Menschen, damit die Seele nicht verkümmert und die kranke Seele genesen kann. Das gilt nicht nur für die Angehörigen der Bundeswehr, das gilt für uns alle. (Michael Brand [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und Gottes Segen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat Doris Wagner, Bündnis 90/Die Grünen. Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werter Herr Königshaus! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich war vor 14 Tagen in Afghanistan, und ich muss Ihnen sagen: Durch Kabul zu fahren, ist schon ein sehr spezielles Erlebnis. Mit einer kiloschweren Sicherheitsweste und mit bewaffnetem Begleitschutz im Konvoi durch die Stadt, ständiger Funkkontakt zwischen den Fahrzeugen mit Anweisungen und Hinweisen auf Gefahrenquellen und auf der Straße bewaffnete Männer: Das hat mir noch einmal ganz klar vor Augen geführt, dass Soldatin oder Soldat zu sein eben kein normaler Beruf ist; denn sie setzen sich in ihren Einsätzen in unserem Auftrag besonderen Gefahren für Leib und Leben aus. Deshalb lese ich den Wehrbericht, für den ich Herrn Königshaus heute auch noch einmal danken möchte, mit anderen Augen, und deshalb haben Sie, Frau Ministerin, eine spezielle Verantwortung und Fürsorgepflicht für diese Soldatinnen und Soldaten. Dieser Verantwortung und der Pflicht zur Fürsorge wird die Bundesregierung derzeit bei weitem nicht gerecht. Verantwortung und Fürsorge: Das bedeutet, wir müssen alles tun, damit die Soldatinnen und Soldaten optimal ausgerüstet und vorbereitet in den Einsatz gehen. Doch der Wehrbericht zeigt: Die Realität sieht anders aus. Während die Soldatinnen und Soldaten in den Auslandseinsätzen inzwischen über eine gute Ausrüstung verfügen, herrscht in den Kasernen in Deutschland Mangel. Da müssen Maschinengewehre von anderen Truppenteilen ausgeliehen werden, oder unmittelbar vor dem Einsatz wird kurzfristig mit Panzern trainiert, die zentral über ein „Verfügbarkeitsmanagement“ entliehen werden, damit sich die Soldatinnen und Soldaten überhaupt auf den Einsatz vorbereiten können. Auf diese Weise möchte die Bundesregierung haushalterische Disziplin üben, aber ich glaube, die Grundausrüstung ist dafür denkbar ungeeignet; denn wer seine Soldatinnen und Soldaten unzureichend vorbereitet in gefährliche Einsätze schickt, handelt fahrlässig und verantwortungslos. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verantwortung und Fürsorge: Das bedeutet auch, dafür zu sorgen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben keinen unnötigen Schaden nehmen. Doch mittlerweile müssen wir fast froh sein, wenn sie zu Hause ihren alltäglichen Dienst gesund und unbeschadet überstehen. Der Grund dafür liegt in der unglücklichen Personalpolitik Ihrer Amtsvorgänger, Frau von der Leyen. Unsere Streitkräfte verfügen mittlerweile nicht mehr über ausreichend Personal, um die eigenen Kasernen und Flughäfen effektiv zu sichern. In Seedorf konnte ein Unbekannter unbehelligt auf das Gelände vordringen und über 30 000 Schuss Munition entwenden. Dem Wehrbericht zufolge wurden in den letzten Jahren in zahlreichen Liegenschaften der Bundeswehr Radmuttern an Fahrzeugen gelöst, und im Juli 2013 kam es sogar zu einem Brandanschlag. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Soldatinnen und Soldaten durch Sabotageakte zu Schaden kommen. Wir haben es schon gehört: Schlecht steht es auch um die medizinische Versorgung der Streitkräfte. Auch hier gilt: Der Mangel an Personal hat mittlerweile gravierende Folgen. Bei den Sanitätsoffizieren fehlten 2013 mehr als 400 Ärztinnen und Ärzte, die vor allem für die Notfallversorgung im Einsatz unerlässlich sind. Aus Personalmangel müssen in manchen Bundeswehrkrankenhäusern ganze Stationen geschlossen werden, sodass die Soldatinnen und Soldaten für Behandlungen teilweise weite Reisen auf sich nehmen müssen. Wer sich im Dienst etwa eine schwere Brandverletzung zuzieht, der kann zwar in das Krankenhaus nach Koblenz fahren und dort hervorragende Gerätschaften zur Behandlung seiner Verletzung besichtigen, optimal geholfen kann aber nicht werden, weil es kein Personal mehr gibt, das sich auf Schwerstbrandverletzungen spezialisiert hat. Eine solche Situation ist völlig inakzeptabel. So können wir nicht mit Menschen umgehen, die in unserem Auftrag ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Frau Ministerin, Sie haben bei Ihrer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz von der Verantwortung gesprochen, die Deutschland bei der Lösung internationaler Krisen übernehmen muss. Ich finde, Sie sollten erst einmal Ihrer Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten gerecht werden. Beheben Sie den eklatanten Personalmangel, der sich als Thema wie ein roter Faden durch den ganzen Wehrbericht zieht! Überprüfen Sie das Tempo der Streitkräftereduzierung! Ich freue mich, dass ich Ihre Worte so deuten kann, dass Sie darüber nachdenken, ob Truppenverbände wirklich über Standorte von der Ostsee bis zu den Alpen verteilt werden müssen. Aber ich bitte Sie: Fangen Sie unverzüglich an, die Bundeswehr zu einem attraktiven und familienfreundlichen Arbeitgeber umzugestalten, wie Sie es Anfang des Jahres immer wieder versprochen haben! Nur so werden Sie den Nachwuchs gewinnen, den die Bundeswehr so dringend braucht. Damit, meine Damen und Herren, komme ich zu meinem letzten Punkt. Ein junger Mensch, der sich entscheidet, Soldat oder Soldatin zu werden, muss darauf vertrauen können, dass sein Dienstherr verantwortungsvoll mit ihm umgeht. Er muss darauf vertrauen können, dass er im Falle einer Verletzung umfassende Hilfe und Fürsorge erfährt. Leider versagt die Bundeswehr ausgerechnet in diesem Punkt kläglich, wie ich in mehreren Gesprächen mit Betroffenen erfahren habe. Bis in die 80er-Jahre hinein waren Angehörige der Bundeswehr und der NVA gesundheitsschädlicher Strahlung an nicht abgeschirmten Radargeräten ausgesetzt. Viele von ihnen sind in der Folge schwer erkrankt. Trotzdem verweigert die Bundeswehr zahlreichen Betroffenen bis heute eine angemessene Entschädigung, -indem sie nur Krebserkrankungen oder Katarakte als -radartypische Folgeerkrankungen anerkennt. Die Betroffenen können in der Regel sehr plausibel darlegen, welch hohen Strahlenbelastungen sie ausgesetzt waren. Dennoch verbarrikadiert sich die Bundeswehrverwaltung hinter geschätzten oder fehlerhaft und viel zu spät ermittelten Werten, weil es keine Aufzeichnungen aus den 60er-Jahren gibt. Geht dann doch einmal ein Gerichtsverfahren zugunsten der betroffenen Soldaten aus, legt die Bundesrepublik regelmäßig Revision ein. Die Folge ist: Die Prozesse ziehen sich manchmal über Jahrzehnte hin. Ein hochbetagter früherer Soldat darf häufig von Glück sagen, wenn er das Urteil überhaupt noch erlebt. Dieses Verhalten, Frau Ministerin, ist schäbig. Es widerspricht aber auch den ureigensten Interessen der Bundeswehr. Weshalb sollte jemand – ich komme zum Schluss Frau Präsidentin – schwören, für unseren Staat seine Gesundheit und sein Leben einzusetzen, wenn dieser Staat offenbar nicht gewillt ist, im Schadensfall seiner Fürsorgepflicht nachzukommen? Deshalb mein dringender Appell: Hören Sie auf, mit den Geschädigten kleinlich über Strahlenmengen zu debattieren! Die geschädigten Soldaten haben ihren Teil des Vertrages erfüllt. Jetzt sind Sie an der Reihe! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Anita Schäfer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Wehrbeauftragter! Im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich Ihnen und all Ihren Mitarbeitern danken, die an der Erstellung des differenzierten und interessanten Jahresberichts 2013 beteiligt waren. Er zeigt vor allem, dass große Reformvorhaben häufig mit Unsicherheit der Betroffenen verbunden sind, was sich in den gesteigerten Zahlen von Eingaben der Soldatinnen und Soldaten im Berichtszeitraum ausdrückt. Umso wichtiger ist es, dass mit der jetzigen Bundeswehrreform eine stabile Struktur erreicht wird, mit der die Truppe jetzigen und zukünftigen Herausforderungen begegnen kann, damit es nicht in ein paar Jahren wieder zur Reform der Reform kommen muss. Meine Damen und Herren, mehr als einmal haben wir in den vergangenen Jahrzehnten erlebt, dass sich die Konstanten der Sicherheitspolitik quasi über Nacht geändert haben. Dazu gehört der Zusammenbruch der kommunistischen Planwirtschaft und des Warschauer Paktes mit all seinen Folgen, einschließlich der deutschen Wiedervereinigung und des Zerfalls der Sowjetunion. Dazu gehören auch die Anschläge vom 11. September 2001, und dazu gehören schließlich das aktuelle russische Vorgehen auf der Krim und die Ungewissheit über die staatliche Integrität der Ukraine. Ich glaube ausdrücklich nicht, dass wir in eine neue Ost-West-Konfrontation zurückfallen werden. Es gibt derzeit keinen Grund, beispielsweise die Wehrpflicht wieder einzuführen, wie ich es diese Woche schon gelesen habe. Allerdings müssen wir die Besorgnis unserer östlichen Partner ernst nehmen, die an Russland oder die Ukraine grenzen und die teilweise – wie die baltischen Staaten – selbst russische Bevölkerungsteile haben. Der Kernzweck der NATO als Sicherheitsbündnis gegen Bedrohungen in Europa gewinnt damit erheblich an Bedeutung. Lieber Herr Königshaus, es erweist sich als richtig, dass wir bei der Bundeswehrreform den Grundsatz „Breite vor Tiefe“ verfolgt haben. Wir leisten weiterhin einen Beitrag zur internationalen Krisenbewältigung, der der Bedeutung Deutschlands in Europa und der Weltgemeinschaft entspricht. Aber die Bundeswehr muss auch Anlehnungspartner in der Bündnisverteidigung für unsere kleineren Nachbarn sein, die eben nicht mehr das volle Spektrum militärischer Fähigkeiten darstellen können und mit denen wir künftig noch enger kooperieren wollen, wie mit den Niederlanden und Polen. Insofern ist die jetzige Struktur glücklicherweise zukunftssicher, weil sie nicht nur den internationalen Einsätzen, sondern auch weiterhin der Bündnisverteidigung Rechnung trägt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Strukturen sind das eine. Aber erst Personal und Ausrüstung füllen sie aus. Neue sicherheitspolitische Voraussetzungen haben auch immer wieder neue Anforderungen an die Ausstattung der Soldaten gestellt. So haben zurückliegende Berichte des Wehrbeauftragten besonders für den Einsatz in -Afghanistan mehrfach explizit das Fehlen geschützter Fahrzeuge hervorgehoben. Die wiederholte Befassung im Parlament hat wesentlich zur Schließung dieser Lücken beigetragen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Richtig!) Diese Beschaffungen behalten unabhängig von der Art künftiger Einsätze ihren Wert. Das gilt auch für neue Technologien, über die wir vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen diskutiert haben, wie beispielsweise bewaffnete Drohnen, die ich schon in meiner letzten Rede an dieser Stelle erwähnt habe. Gleichzeitig zeigen die Sorgen unserer osteuropäischen Partner, dass klassische Systeme wie der Eurofighter und der Kampfhubschrauber Tiger eben nicht veraltet sind. Sie haben vielmehr trotz aller Kritik an langer Entwicklung und hohen Kosten ihre Berechtigung, weil sie der gemeinsamen Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft in Europa dienen. Auch hier gilt aber: Die Massenheere des Kalten Krieges werden nicht mehr gebraucht. Es ist richtig, dass unter anderen Bedingungen geschlossene Beschaffungsverträge neu gehandelt werden. Ich begrüße es auch außerordentlich, Frau Ministerin von der Leyen, dass Sie die von Ihrem Amtsvorgänger begonnene Neuordnung des Beschaffungswesens so energisch fortsetzen. Gerade das regelmäßige Auftauchen neuer Herausforderungen in den letzten Jahren zeigt doch, dass wir uns zeitlich und finanziell aus dem Ruder laufende Projekte weniger denn je leisten können. Vielleicht zeigen die aktuellen Entwicklungen noch den einen oder anderen Bedarf auf. Ich denke dabei zum Beispiel an den Bereich der bodengebundenen Flugabwehr, wo der Einsatz bisheriger Systeme zu stagnieren scheint. Modernste Ausstattung für alle Bereiche bleibt unabdingbare Voraussetzung für die Auftragserfüllung der Bundeswehr; denn nur so kann sie ihre Rolle als Anlehnungspartner für unsere Nachbarn bei der Gewährleistung der Sicherheit im Bündnis erfüllen. Das Wichtigste in der Bundeswehr sind und bleiben aber die Menschen. Wir haben in den vergangenen Jahren viel zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr getan. Dazu gehören materielle Verbesserungen wie die Zulagen für ärztliche Dienste, Piloten, Minentaucher und Soldaten mit besonderer zeitlicher Belastung. Wir entwickeln einerseits die Nachwuchswerbung und andererseits Fortbildungsangebote und Berufsförderung weiter; die Frau Ministerin hat das vorhin angesprochen. Besonders wichtig ist aber, die Vereinbarkeit von Familie und Dienst weiter zu verbessern. Ich bin besonders froh, dass nunmehr die Einrichtung von Betriebskindergärten an Bundeswehrstandorten mit besonderem Bedarf in Gang kommt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das gilt insbesondere für die Standorte mit Bundeswehrkrankenhäusern und die Universität der Bundeswehr in München. Mit Ausnahme des Bundeswehrkrankenhauses Berlin, wo die Planungen noch laufen, werden alle Kindergärten voraussichtlich binnen Jahresfrist in Betrieb gehen. Allein für die Baumaßnahmen geben wir über 5 Millionen Euro aus. Hinzu kommen Belegrechte in vorhandenen Betreuungseinrichtungen wie etwa im Fall der Sanitätsakademie in München. Mit Stand Februar sind bereits 317 Eltern-Kind-Arbeitszimmer realisiert worden. Insgesamt wird es diese an rund 200 Standorten geben. Ergänzt wird das durch Verbesserungen bei der Kinderbetreuung während der Aus- und Fortbildung, der Unterstützung bei der Ferienbetreuung sowie der Notfallbetreuung nicht nur von Kindern, sondern auch von pflegebedürftigen Angehörigen. Im Hinblick auf die Problematik pendelnder Soldaten soll neben der dauerhaften Möglichkeit der Wahl zwischen Trennungsgeld und Umzugskostenvergütung die Wohnungsfürsorge optimiert werden, um sowohl den Pendlern als auch umzugswilligen Familien bei der Suche nach geeigneten Wohnungen besser zu helfen. Gerade in diesem Punkt gibt es sicherlich noch Raum für weitere Verbesserungen. Nach der Ankündigung von Ministerin von der Leyen, das Thema der Attraktivität zu einem Schwerpunkt zu machen, bin ich aber zuversichtlich, dass es diese auch geben wird. Der Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht bedauert, dass die Folgestudie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr zum Stand der Integration von weiblichen Soldaten noch nicht vorlag. Beim Verfassen dieser Zeilen konnte er noch nicht wissen, dass dies noch vor der Vorstellung des Jahresberichts geschehen würde. Über die Studie Truppenbild ohne Dame? ist vor allem unter zwei Schlagzeilen berichtet worden: erstens dass sich die Einstellung männlicher Soldaten zu Frauen in der Bundeswehr gegenüber der Vorgängerstudie von 2005 verschlechtert hat und zweitens dass 55 Prozent der Soldatinnen schon sexuell belästigt worden seien. Diesen Punkten hat auch der Wehrbeauftragte breiten Raum eingeräumt. Beim Durchlesen der Studie ergibt sich allerdings ein differenzierteres Bild, als eine Schlagzeile vermitteln kann. Zunächst einmal: Mittlerweile beträgt der Anteil weiblicher Soldaten in der Bundeswehr rund 10 Prozent, was bereits ein großer Erfolg des Integrationsprozesses ist. 13 Jahre nach Öffnung aller Laufbahnen erreichen Frauen nun auch die entsprechenden höheren Dienstgrade. Das BMVg scheint sich zwar mit dem Wehrbeauftragten einig zu sein, dass es etwa bei A-15-Stellen im Sanitätsdienst, der für Frauen schon früher zugänglich war, noch Nachholbedarf gibt. Aktuell gibt es aber bereits den zweiten weiblichen Generalarzt. Wenn man sich die notwendigen Beförderungszeiten ansieht, dann stellt man fest, dass Anfang des nächsten Jahrzehnts auch mit den ersten Frauen im Generalsrang zu rechnen ist, die seit 2001 die Karriereleiter im Truppendienst erklettert haben. – Das vorweg. Nun zu den Ergebnissen der Studie. Es ist in der Tat so, dass die Einstellung männlicher Soldaten gegenüber den militärischen Leistungen von Frauen kritischer ist als noch 2005. Gleichzeitig bewerten sie aber den gemeinsamen Dienst beider Geschlechter in der Bundeswehr insgesamt besser, und die Angst vor Problemen hat sich verringert. Interessant ist auch, dass weniger Soldaten Probleme mit der Effektivität in ihren eigenen Einheiten sehen. Der Leiter der Studie hat mir dazu erläutert, dass die Kritik sowohl auf eigenem Erleben als auch auf Hörensagen beruhe. Echte Probleme mit körperlicher Leistungsfähigkeit muss man dabei sicherlich ernst nehmen, weil die Leistung jedes Einzelnen lebenswichtig für die gesamte Einheit sein kann. Ich denke, es wäre einmal interessant, nachzuforschen, wie sich die Kritik auf Kampf- und Unterstützungseinheiten verteilt. In Ersteren kommt es auf körperliche Leistung besonders an. Allerdings entscheiden sich auch nur vergleichsweise wenige Frauen für diese Verwendungen. In Unterstützungseinheiten ist es eher umgekehrt. Es ist also durchaus möglich, dass sich die Kritik vor allem an einigen wenigen Negativbeispielen festmacht, während Soldaten in Einheiten mit höheren Frauenanteilen aus eigener Erfahrung keine Probleme mit der Effektivität sehen. Das wäre doch vielleicht einmal eine Frage für die nächste Studie. Noch überraschender fand ich die einzelnen Ergebnisse zum Thema sexuelle Belästigung. Zunächst einmal: Dass sich die Fallzahlen nicht groß vom Rest der Gesellschaft unterscheiden, kann nicht zufriedenstellen. Hier muss die Bundeswehr tatsächlich einmal besser sein als der Rest der Gesellschaft; denn abgesehen von allen rechtlichen Vorschriften und grundsätzlichen Regeln allgemeinen Anstands gilt hier noch zusätzlich die Pflicht zur Kameradschaft. Der kameradschaftliche Umgang zwischen allen Soldatinnen und Soldaten unter Achtung der Würde des Einzelnen ist immer wieder einzufordern und umzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich betone: zwischen allen Soldatinnen und Soldaten, weil sexuelle Belästigung laut der Studie eben nicht nur ein Problem zwischen, sondern auch innerhalb der Geschlechter ist. Das gilt sowohl bei Männern als auch bei Frauen, gerade für die Kategorie tatsächlicher sexueller Nötigung. Diese Kategorie umfasst aber gegenüber anzüglichen Bemerkungen und Ähnlichem glücklicherweise nur eine sehr geringe Zahl von Fällen, sodass die Verteilung nicht unbedingt aussagekräftig ist. Auch hier sollte meiner Meinung nach der Hintergrund genauer erforscht werden. Meine Damen und Herren, und dennoch bleibt es dabei: Selbst wenn die Bundeswehr als Spiegelbild der Gesellschaft auch deren Schattenseiten wiedergibt, ist sie besser, als gängige Stereotypen glauben machen wollen. Ihre Soldatinnen und Soldaten leisten einen unverzichtbaren Dienst für die Sicherheit Deutschlands im Bündnis. In Krisenzeiten wie jetzt wird es uns wieder bewusst, wie wichtig die Sicherheit ist und für wie selbstverständlich wir das im Herzen eines friedlichen, geeinten Europas in den letzten Jahren gehalten haben. Aber Sicherheit ist nicht selbstverständlich, sondern muss immer wieder erarbeitet werden. Deswegen danke ich allen Männern und Frauen der Bundeswehr, die diesen Dienst jeden Tag an vielen Standorten im In- und Ausland für uns leisten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat Dr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist Ihnen, Herr Wehrbeauftragter Königshaus, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in dieser Debatte zu Recht für die Vorlage dieses Berichts viel gedankt worden, ich will aber in diesen Dank noch einen weiteren Aspekt einschließen. Wenn man darüber nachdenkt, was der -Markenkern einer Parlamentsarmee ist, dann wird man sicherlich als einen Aspekt die Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen benennen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aber genauso solche Debatten wie diese heute, Debatten, bei denen uns in Form eines Berichts an Beispielfällen vor Augen gehalten wird, was in der Truppe tatsächlich passiert, was gut läuft, aber auch, was nicht gut läuft, und Debatten, bei denen wir uns als Parlamentarier – Sie sich als Koalition, wir uns als Opposition – mit unseren Vorstellungen und Programmen natürlich fragen müssen: Was sind unsere Erwartungen an die Bundeswehr, wo haben wir vielleicht falsche Erwartungen, wo haben wir vielleicht Fehler gemacht bei Strukturen, bei finanzieller Ausstattung und bei anderen Aspekten? Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es gut, dass wir hier in diesem Hohen Hause nicht nur über Auslandseinsätze der Bundeswehr und über Aspekte der Militärpolitik reden, sondern eben auch über den Zustand der Bundeswehr an sich. Allein deswegen hat diese Debatte einen Wert. (Michael Brand [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ich möchte in diesem Zusammenhang zu drei Aspekte kommen – sie wurden teilweise schon angesprochen –: Der erste Aspekt betrifft das Thema Überwachung. Erst jüngst gab es einen eklatanten Fall von Munitionsdiebstahl; über ihn haben wir auch gestern im Verteidigungsausschuss diskutiert. Herr Königshaus, wenn man in Ihrem Bericht nach dem Komplex Bewachung sucht, dann findet man Informationen über Anschläge auf Bundeswehrfahrzeuge, auf Fahrzeuge von Soldatinnen und Soldaten und nicht zuletzt über den leider geglückten Versuch des Eindringens eines Mannes in ein Flugzeug der Flugbereitschaft. All diese Beispiele machen deutlich, dass wir offensichtlich ein Problem mit der Bewachung von Bundeswehrliegenschaften haben. Ich will hinzufügen: ein ernsthaftes Problem. (Michael Brand [CDU/CSU]: Und mit linksextremer Gewalt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sprach schon von Munition, von Waffen, von Kriegsgerät, das in Bundeswehrliegenschaften naturgemäß lagert. Die Bundeswehr wird alles dafür tun müssen, dass die Soldatinnen und Soldaten, ihre Angehörigen, aber auch die Bevölkerung durch eine bessere Bewachung vor einem Missbrauch dieses Materials geschützt werden. Die besten Empfehlungen von Kommissionen über Bewachungsmaßnahmen helfen gar nichts, wenn diese, wie auf dem Kasernengelände in Seedorf geschehen – wir haben dies gestern erfahren –, nicht umgesetzt werden. Dann bleibt natürlich die Frage offen, warum diese Empfehlungen nicht umgesetzt worden sind, zumal uns das Ministerium versichert hat, dass Mittel dafür vorhanden gewesen sind. Ich will auf den zweiten Aspekt zu sprechen kommen. Frau von der Leyen, Ihr Vorgänger, Thomas de Maizière, hat mit der Neuausrichtung der Bundeswehr den Weg „Breite vor Tiefe“ eingeschlagen. Der Wehrbeauftragte ist darauf eingegangen. Mit „Breite vor Tiefe“ meint er, ein möglichst breites Fähigkeitsspektrum bei einer eher geringen Durchhaltefähigkeit vorrätig zu halten. Obwohl die Neuausrichtung der Bundeswehr noch nicht am Ende ist, lesen wir schon jetzt im Bericht des Wehrbeauftragten, dass nicht nur Material an die Grenzen seiner Belastbarkeit gerät, sondern auch die Soldatinnen und Soldaten. Sie, Frau von der Leyen, sprachen vorhin über „4/20“, über das Modell, dass sich Soldatinnen und Soldaten nach maximal 4 Monaten Auslandseinsatz 20 Monate in Deutschland regenerieren können. Es ist erschreckend, wenn im Bericht des Wehrbeauftragten zu lesen ist, dass das Personalmanagementsystem der Bundeswehr eben nicht in der Lage ist, die Einsatzbelastung von Soldatinnen und Soldaten zu erfassen. Das ist ein Punkt, der schleunigst geändert werden muss. (Michael Brand [CDU/CSU]: Da klatscht ja noch nicht einmal die eigene Truppe!) Dritter Aspekt. Hier ist auch über Ausrüstung gesprochen worden. Frau Kollegin Schäfer, Sie sind hier auf viele Ausrüstungsfragen eingegangen. Wenn wir einen Blick in den kürzlich vorgestellten zweiten Regierungsentwurf zum Haushalt 2014 werfen und uns die mittelfristige Finanzplanung anschauen, dann lesen wir eben auch, dass wir in der Finanzplanung eine Bugwelle voller fehlgeschlagener oder zumindest problembehafteter Beschaffungsprojekte vor uns herschieben, dass es da eben alles andere als gut ist. Deswegen haben Sie ja Konsequenzen gezogen, Frau von der Leyen. Meine Sorge ist, dass diese Bugwelle von Pleiten, Pech und Pannen, die da nach vorne rollt, in Zukunft auch dazu führen kann, dass Geld für notwendige Maßnahmen fehlt. Auch deshalb ist es notwendig, dass wir uns alle gemeinsam und jeder für sich Beschaffungsvorhaben kritisch anschauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte zum Schluss kommen. Wir sehen an dem heute debattierten Bericht des Wehrbeauftragten nicht nur klar und deutlich, dass auf der Truppe, was die Neuausrichtung, was Veränderungen betrifft, Druck liegt, sondern auch, dass wir viele Fragezeichen hinter Strukturentscheidungen setzen müssen, die mit der Neuausrichtung angegangen werden sollen. Deswegen – das will ich abschließend sagen – ist nicht nur eine Evaluation der Neuausrichtung der Bundeswehr dringend notwendig, sondern auch und vor allem das Ziehen von Rückschlüssen aus dieser, gegebenenfalls das Umsetzen von Veränderungen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dirk Vöpel. (Beifall bei der SPD) Dirk Vöpel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei den Debatten zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages können wir in diesem Hohen Hause auf eine mittlerweile lange und beeindruckende Tradition von mehr als fünf Jahrzehnten zurückblicken. Seit 1959 war der Jahresbericht immer wieder Anlass für grundsätzliche Auseinandersetzungen über den Zustand und die Zukunftsperspektiven der Großorganisation Bundeswehr. Ich freue mich deshalb sehr, dass ich heute zu diesem traditionsreichen Tagesordnungspunkt reden darf. Sehr geehrter Herr Königshaus, als inhaltlicher Quereinsteiger in Sachen Bundeswehr war mir bereits Ihr Jahresbericht 2012 eine große Hilfe. Er hat mir innerhalb kurzer Zeit einen ersten fundierten Einstieg in die aktuellen Themen und Probleme ermöglicht, die unsere Soldatinnen und Soldaten bewegen. Auch der vorliegende Bericht zum Jahr 2013 macht keine Ausnahme, was die Hilfestellung angeht. Für alle, die Verantwortung für die Angehörigen unserer Bundeswehr tragen, ist er eine Informationsquelle von hohem Wert. Vorbildlich finde ich vor allem auch, dass der Bericht sprachlich an keiner Stelle vor der Komplexität der geschilderten Sachverhalte kapituliert. Er bleibt stets klar, präzise und verständlich. Auch hierfür, sehr geehrter Herr Königshaus, möchte ich mich bei Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich bedanken. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2013 dokumentiert einen deutlichen Anstieg der Zahl der Eingaben gegenüber dem Vorjahr – und das bei einem gleichzeitigen Rückgang der durchschnittlichen Personalstärke um knapp 7 Prozent. Betrachtet man nun die Entwicklung der Eingabezahlen als eine Art Pulsmesser, dann kann man nur zu einem Schluss kommen: Die Bundeswehr befindet sich zurzeit in heftigem Stress. Aber kann das angesichts einer so ehrgeizigen und schwierigen Reform, wie sie der Bundeswehr in diesen Jahren abgefordert wird, wirklich verwundern? Mir kommt das Unternehmen Strukturreform manchmal wie der Versuch vor, einem Viermaster auf hoher See und unter vollen Segeln einen neuen Rumpf zu zimmern, und das aus Bordmitteln. (Beifall bei der SPD) 2013 hat die heiße Phase bei der Umsetzung der Reform begonnen. Die neuen Strukturen wachsen auf, aber die alten Aufgaben sind noch längst nicht vollständig abgewickelt. Das muss bei vielen Betroffenen zwangsläufig zu Enttäuschung, Verärgerung und dem Gefühl der Überlastung führen. Ganz klar ist aber auch: Viele dieser Probleme werden sich in einigen Jahren gar nicht mehr stellen, weil sie unvermeidbare, aber vorübergehende Begleiterscheinungen dieses Transformationsprozesses sind. Dazu kommt, dass unsere Soldatinnen und Soldaten schon von Berufs wegen ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und an Anpassungsbereitschaft mitbringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Bericht beschäftigt sich über weite Strecken mit den Aus- und Nebenwirkungen der strukturellen Veränderungen bei der Bundeswehr. Wir sollten uns aber davor hüten, die Reform als Daueralibi oder Standardausrede zu akzeptieren. Der Wehrbeauftragte listet auch eine ganze Reihe von Problemen auf, deren Ursachen wenig bis gar nichts mit den neuen Strukturen zu tun haben. Sehr viel mehr geht es da um Fehler, Versäumnisse, Schludrigkeiten und leider auch mangelnde Kommunikationsbereitschaft. So etwas ist zum Beispiel bei der Auslagerung der Beihilfebearbeitung für aktive Soldaten und Versorgungsempfänger von der Bundeswehrverwaltung in den Bereich des Innen- bzw. Finanzministeriums passiert. Statt der angekündigten Synergieeffekte stellte sich zunächst das reine Chaos ein, mit einem am Ende geradezu monströsen Bearbeitungsstau von zeitweise 60 000 Beihilfeanträgen, und das vor allem auch deshalb, weil man schlicht versäumt hatte, die Betroffenen über die Änderung der Zuständigkeit zu informieren. Schon der rechtzeitige Versand einer simplen Mitteilung mit dem Hinweis auf Namen und Telefonnummern der neuen Sachbearbeiter hätte hier von vornherein mächtig Dampf aus dem Kessel genommen. Ich finde, das ist völlig überflüssiger und vermeidbarer Ärger, von den zum Teil enormen finanziellen Belastungen – davon wurde vorhin schon gesprochen – ganz zu schweigen. Aber auch bestehende Verfahrensabläufe, die ganz offensichtlich weder sach- noch zielgerecht sind, sorgen für Unverständnis. Da schickt die Bundeswehr zur Vorbereitung der Active-Fence-Mission im Dezember 2012 ein Vorerkundungsteam in die Türkei. Dieses schätzt dann auch gewissenhaft den voraussichtlichen Bedarf an Einsatzgütern für die Hauptmission ab. Das löst nur leider keinerlei Bereitstellungsaktivitäten aus, weil nach dem gültigen Verfahren diese Bedarfsanforderungen nicht von der Vorerkundung, sondern erst vom Kontingent gemeldet werden können. Die logische Folge ist die verspätete Bereitstellung der benötigten Einsatzgüter. Da frage ich mich schon: Warum lässt man so ein Verfahren in Kraft? Hier könnte doch ohne großen Aufwand eine sachgemäße Neuregelung erfolgen, die weder zusätzliches Geld noch Personal erfordert. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten völlig zu Recht von ihren Abgeordneten einen gewissenhaften und zurückhaltenden Umgang mit Steuergeldern. Aber man muss auch immer aufpassen, dass man nicht am falschen Ende spart. So kann etwa die verlässliche Möglichkeit zur regelmäßigen und bezahlbaren Kontaktaufnahme mit der Heimat mittels Telefon und Internet in ihrer Bedeutung für die diensttuenden Männer und Frauen in den Auslandseinsätzen gar nicht überschätzt werden. (Beifall bei der SPD) Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass das Bundesministerium der Verteidigung eine völlige Kostenfreistellung für die Soldatinnen und Soldaten im Rahmen des Folgevertrages ab 2015 in Aussicht stellt. Bedauerlicherweise ist bei der Marine für die Fregatten der Bremen-Klasse wegen der geplanten Außerdienststellungen eine Installation der notwendigen Technik aus Kostengründen jedoch nicht mehr vorgesehen. Nun muss man wissen, dass sich diese Außerdienststellungen noch über das nächste halbe Jahrzehnt bis 2019 hinziehen werden. Vor diesem Hintergrund frage ich mich schon, ob Sparsamkeit immer das oberste Gebot sein muss oder ob nicht die Pflicht zur Fürsorge für die Soldatinnen und Soldaten in Fällen wie diesem eine andere Prioritätensetzung gebietet. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung: Mit dem Aussetzen der Wehrpflicht und dem Übergang zur Freiwilligenarmee haben die Prinzipien der Inneren Führung keineswegs an Bedeutung verloren. Im Gegenteil: Nie waren sie so wertvoll und wichtig wie heute. Wir sollten alle Versuche, diesen Wesens- und Markenkern der Bundeswehr auszuhöhlen, schon im Ansatz geschlossen parieren. Wir sollten die Innere Führung als das betrachten, was sie nach meiner festen Überzeugung tatsächlich ist: ein echtes Weltkulturerbe der Streitkräfte des freien, friedliebenden und demokratischen Deutschlands. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Das war Ihre erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen im Namen des Hauses ganz herzlich dazu. (Beifall) Nächste Rednerin ist die Kollegin Julia Bartz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Bartz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Eine hochmotivierte Truppe, professionelles Selbstverständnis und effektive Organisationsstrukturen – so habe ich die Bundeswehr im In- und Ausland erlebt. Im deutlichen Gegensatz dazu steht der Jahresbericht des Wehrbeauftragten, der oft als reiner Mangelbericht gelesen wird. Das Bild, das in einigen Medien gezeichnet wird, ist viel zu kritisch und kurzsichtig. Mir ist bewusst, dass es derzeit vermehrt Kritik und Beschwerden aus der Truppe gibt. Es ist auch gut, dass wir darüber in diesem Hause sprechen. Aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass sich die Bundeswehr momentan in einer Umbruchphase befindet. Die Auslandseinsätze und die Strukturreform sind Ursachen für zahlreiche Beschwerden. Wenn man sich aber die Eingaben im Einzelnen anschaut, stellt man sich an der einen oder anderen Stelle die Frage: Hätte so manches Problem nicht auch auf einem kürzeren Dienstweg geklärt werden können? Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man mit Problemen umgeht. Die erste Möglichkeit – dieser Weg ist der naheliegende überhaupt –: Man sucht das Gespräch mit der oder dem Vorgesetzten. Zahlreiche Vorgesetzte in der Bundeswehr sind treffliche Beispiele für gute Personalführung. Da könnte sich so mancher zivile Arbeitgeber eine Scheibe abschneiden. Die Möglichkeit, direkt mit dem Vorgesetzten oder der Vorgesetzten zu sprechen, steht allen offen und darf keine negativen Folgen haben. Die zweite Möglichkeit ist: Man wendet sich an die Vertrauenspersonen. Die Vertrauenspersonen sind als unabhängige Hilfen für die Frauen und Männer der Truppe da und können vermittelnd tätig werden. Als dritter und weiterführender Schritt hat jede Soldatin und jeder Soldat das Recht, eine förmliche Beschwerde einzureichen. Erst an vierter und letzter Stelle würde ich die Möglichkeit einer Eingabe an den Wehrbeauftragten sehen, falls die anderen Schritte nicht erfolgreich waren. Ich betone das hier, weil sich offenbar nicht alle Petenten bewusst sind, dass ihre Eingabe an den Wehrbeauftragten eine öffentliche Angelegenheit ist. So manche sind überrascht, wenn sie am nächsten Tag von ihrem Vorgesetzten auf ihre Eingabe angesprochen werden. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Die Institution des Wehrbeauftragten ist zu Recht in unserem Grundgesetz verankert. Er gibt den Soldatinnen und Soldaten die Möglichkeit, ihre Anliegen an übergeordneter Stelle vorzutragen. Der jährliche Bericht des Wehrbeauftragten gibt uns im Parlament einen wertvollen Einblick in die Sorgen und Nöte der Soldatinnen und Soldaten. Er zeigt uns auch Verbesserungsmöglichkeiten auf. Ich sage aber auch: Ein Schwert, das zu oft genutzt wird, verliert an Schärfe. Das liegt weder in unserem Interesse noch im Interesse der Soldatinnen und Soldaten. Die derzeitige Beschwerdeflut kann kein Dauerzustand sein. Ich denke, darüber sind wir uns alle in diesem Haus einig. Ich habe vollstes Vertrauen in unsere Verteidigungsministerin, dass sie die Strukturreform so sozialverträglich wie nur möglich umsetzen wird und dabei immer auch die Menschen in der Uniform ganz fest im Blick haben wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Aspekt des Menschlichen spielt gerade im Hinblick auf traumatische Erfahrungen in Auslandseinsätzen eine ganz besondere Rolle. Dieser Herausforderung müssen wir uns als Bundestag, aber auch als Gesellschaft verstärkt zuwenden. Wie dem Bericht zu entnehmen ist, hat die Zahl der Einsatzteilnehmer mit seelischen Verwundungen zugenommen. Wir bauen deshalb die bereits gute medizinische Versorgung noch weiter aus, um diejenigen aufzufangen, die unsere Hilfe benötigen. Neue Screeningverfahren helfen, einsatzbedingte psychische Störungen frühzeitig zu erkennen. An circa 80 Standorten haben sich psychosoziale Netzwerke -etabliert, wo Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter und -Militärseelsorger gemeinsam Hilfe anbieten. Die Angehörigen werden zunehmend in die Therapieangebote eingebunden. Auch die Sporttherapie nach Einsatzbeendigung zeigt Erfolge. Vielen Soldatinnen und Soldaten konnte bereits geholfen werden. Nun gilt es, dieses -Angebot noch auszubauen und die Qualität weiter zu steigern. Das Ziel ist ganz klar: Allen hilfsbedürftigen Soldatinnen und Soldaten sollte die bestmögliche Versorgung zur Verfügung gestellt werden. Die Militärseelsorge leistet an dieser Stelle einen ganz wichtigen Beitrag. Im In- und Ausland können sich die Soldatinnen und Soldaten auf die Hilfe der Militärseelsorge verlassen. Mein ganz besonderer Dank gilt allen Seelsorgern, die am Auslandseinsatz teilnehmen und dort Ansprechpartner in allen Lebenslagen sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sie geben den Soldatinnen und Soldaten Rückhalt und Beistand. Die Oasen sind ein wichtiger Rückzugsort im harten Alltag im Einsatz. Auch die daheimgebliebenen Angehörigen finden bei der Militärseelsorge ein offenes Ohr. Diese Unterstützung ist besonders dann hilfreich, wenn sich psychische Belastungen nach den Auslandseinsätzen auf die gesamte Familie auswirken. Hier sehe ich vor allem bei der gemeinsamen therapeutischen Betreuung noch weitere Verbesserungsmöglichkeiten. Das Ziel ist klar: Wir lassen die Familien der Soldatinnen und Soldaten nicht allein. Der Truppenbesuch in Afghanistan vor zwei Wochen hat mir vor Augen geführt, welch herausragende Leistung unsere Frauen und Männer in Uniform bei dieser und anderen Missionen erbringen. Ein schmerzlicher Moment der Reise war die Gedenkminute am Ehrenhain für die gefallenen Soldaten. Mein tiefes Mitgefühl gilt ihren Angehörigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns bei all unseren Entscheidungen, seien es Reformen oder Auslandseinsätze, eines immer fest im Blick haben: die Menschen in Uniform. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Einen schönen guten Tag allen von meiner Seite! Der nächste Redner ist Dr. Fritz Felgentreu für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Königshaus! Wer meiner Generation angehört und in der Bundesrepublik aufgewachsen ist, der erinnert sich zumeist noch ganz gut an Soldaten im Straßenbild, und zwar nicht nur an Soldaten auf Fahrzeugen in natooliv und mit einem Y-Nummernschild, sondern auch an Grundwehrdienstleistende, die oft irgendwo unterwegs waren, sich abends amüsieren wollten oder freitags auf der Heimreise die Bahnhöfe belagerten. (Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Was?) Wenn Kinder und Jugendliche sie provozieren wollten und den einen oder anderen dummen Spruch brachten, dann bekamen sie gerne zur Antwort: Lach du nur! Dein Stahlhelm ist schon gepresst. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ) – Wir erinnern uns an solche Sprüche, nicht? (Michael Brand [CDU/CSU]: Absolut!) Diese Art von Soldatenhumor gehörte zu einer Bundeswehr ohne ernsthafte Nachwuchssorgen. Die Wehrpflicht sorgte nicht nur für ausreichende Mannschaftszahlen, sondern sie füllte auch die Reihen der Zeit- und Berufssoldaten immer wieder auf; denn es gab immer auch Grundwehrdienstleistende, die sich für die Bundeswehr begeistern konnten und dabeigeblieben sind. Der Bericht des Wehrbeauftragten 2013 ist eine Momentaufnahme aus einer Bundeswehr, für die die Nachwuchsgewinnung zu einer existenziellen Zukunftsfrage geworden ist. In den Medien – Frau Bartz hat es angesprochen – ist viel darüber diskutiert worden, dass den Wehrbeauftragten 2013 die relativ höchste Zahl an Eingaben erreicht hat. Diese Entwicklung belegt meines Erachtens vor allem zwei Dinge: Erstens. Die Institution des Wehrbeauftragten hat die Neuausrichtung der Bundeswehr schadlos überstanden. Ganz offensichtlich brauchen Zeit- und Berufssoldaten diesen Ombudsmann nicht weniger dringend als Grundwehrdienstleistende. Sie bringen ihm auch das gleiche Vertrauen entgegen. Das ist Ihr Verdienst, lieber Herr Königshaus, und dafür gebührt Ihnen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zweitens. Die Befürchtung vieler Soldatinnen und Soldaten, eine Eingabe könne ihnen im Dienstalltag schaden, scheint jedenfalls nicht in höherem Maße abschreckend zu wirken als früher. Auch das ist eine erfreuliche Entwicklung. Insofern beschreibt die hohe Zahl der Eingaben nicht das Kernproblem dieses Berichts. Hellhörig müssen wir an anderen Stellen werden. Ich möchte ein Beispiel nennen: Zur Sicherheitslage im Inland berichtet der Wehrbeauftragte, dass Soldaten ihn bei Truppenbesuchen vermehrt auf Probleme bei der Bewachung von Liegenschaften angesprochen hätten. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Rede!) Sie klagten darüber, dass die Anzahl militärischer Wachen immer mehr ausgedünnt würde und die Wachbelastung nicht zu bewältigen sei. Wie zur Bestätigung beschäftigt sich der Verteidigungsausschuss gerade mit einem Vorfall in der militärisch bewachten Kaserne in Seedorf, aus der vor einiger Zeit in den frühen Morgenstunden völlig unbemerkt 35 000 Schuss Munition abtransportiert worden sind. Diesen Vorfall, meine Damen und Herren, müssen wir unter dem Begriff der strukturellen Überforderung einordnen, der im Bericht des Wehrbeauftragten im Zusammenhang mit den Auslands-einsätzen der Bundeswehr verwendet wird. Im Bereich des hochspezialisierten Personals dokumentiert der Bericht das Problem detailliert: Die Flugverkehrskontrolle hat 20 Prozent zu wenig Personal, bei den Flugberaterfeldwebeln fehlt ebenfalls ein Fünftel, in Frankfurt sogar fast die Hälfte, und von den 30 Luftumschlagfeldwebeln, die die Bundeswehr für den Dienst im Ausland braucht, hat sie acht. Eine Hubschrauberstaffel der Marineflieger muss nach sechsmonatiger Pause wieder in den viermonatigen Auslandseinsatz, anstatt sich, wie vorgesehen, 20 Monate regenerieren zu können, und betrachtet das schon als Fortschritt. An zwei Standorten im Inland wurde der Flugbetrieb ausgesetzt, weil das zivile Personal Freizeitausgleich für seine Überstunden nehmen musste. Die Liste ließe sich fortsetzen; andere Redner und Rednerinnen haben das heute bereits getan. Das alles, meine Damen und Herren, wäre trotzdem kein Grund zu vertiefter Besorgnis, wenn es nur einige wenige Spezialqualifikationen beträfe; diese Lücken ließen sich sicherlich schließen. Aber so ist es eben nicht. Offenbar kann die Bundeswehr die 20-monatigen Ruhepausen zwischen Auslandseinsätzen für viele Einheiten nicht gewährleisten. Das Beispiel der Wachsoldaten zeigt, dass die strukturelle Überforderung längst auch im Alltag des Truppendienstes angekommen ist, mit möglicherweise verhängnisvollen Folgen: Die 35 000 Schuss Munition aus Seedorf sind bis heute nicht wieder aufgetaucht. Es muss wahrscheinlich unsere zweitbeste Hoffnung sein, dass es dabei bleibt. Meine Damen und Herren, es gibt für die Personalprobleme der Bundeswehr auch gar keine einfache Lösung. Im Gegenteil: Gerade die Vorschläge, die der Wehrbeauftragte macht, um den Dienst in der Bundeswehr familienfreundlicher und attraktiver zu gestalten – Frau Ministerin ist darauf eingegangen –, laufen auf neue Engpässe hinaus. Vor allem die Freistellung für Betreuungsaufgaben – zum Beispiel der Vorschlag, die Betreuung von Kindern unter drei Jahren als grundsätzlichen Einsatzhinderungsgrund festzuschreiben – ist zwar vollkommen richtig; aber sie wird natürlich dazu führen, dass gut ausgebildetes Personal dort fehlt, wo es gebraucht wird. Der Bericht des Wehrbeauftragten beschreibt eine Bundeswehr, die sich unter einer zu kurzen Decke zu wärmen versucht. Unter den Bedingungen des Bevölkerungsrückgangs soll sie sich als Berufsarmee neu ausrichten, ihre Fähigkeiten erhalten und ausbauen und dabei so attraktive Arbeitsplätze vorhalten, dass für alle Aufgaben ausreichend Personal und Ressourcen vorhanden sind. 2013 ist das offenkundig noch nicht oder zumindest nicht so gelungen, dass das Ergebnis den selbstgesteckten Erwartungen gerecht wird. Meine Damen und Herren, wir sollten den Bericht dennoch nicht so lesen, als sei die Bundeswehr nicht imstande, ihre Aufgaben zu erfüllen; dazu ist sie bis heute immer imstande gewesen. Auch hat der Grundsatz „Breite vor Tiefe“ automatisch eine im Konzept bereits angelegte Begrenzung der Durchhaltefähigkeit zur Folge, die durch andere Maßnahmen, durch Bündnisergänzungen, ausgeglichen werden soll; das ist ein Teil dieses Konzepts. Und schließlich liegt es in der Natur der Sache, dass der Bericht eines Wehrbeauftragten nicht die positiven Beispiele in den Vordergrund stellt. Deutlich wird aber auch, dass die Bundeswehr – und damit dieses Parlament – im Laufe der 18. Legislaturperiode grundsätzliche Fragen wird beantworten müssen. Wenn wir, wie wir es ja alle wollen, daran festhalten, dass es keine Reform der Reform geben soll, dann werden wir den Nachwuchs für die 185 000 militärischen und die 55 000 zivilen Dienstposten der Bundeswehr dort suchen und abholen müssen, wo er ist. Nur wenn es gelingt, Jugendliche aller Herkünfte und Begabungen frühzeitig an die Möglichkeit einer militärischen Karriere heranzuführen, werden wir die Soldatinnen und Soldaten ausbilden können, die die Bundeswehr braucht. (Beifall bei der SPD) Deswegen sollten wir überdenken, ob es der richtige Weg ist, die Zahl der zivilen Ausbildungsplätze, die die Bundeswehr anbietet – derzeit sind es 5 000 –, so weit zu reduzieren, dass wir nur noch für den eigenen Bedarf ausbilden. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir junge Menschen, die zunächst im zivilen Bereich ausgebildet worden sind, hinterher in den weiterführenden Dienst der Bundeswehr übernehmen, aber möglicherweise nicht in dem Beruf, in dem wir sie ausgebildet haben, sondern als Soldatinnen und Soldaten. Auch das sollte im Hinblick auf die Rekrutierungsdebatte und die Nachwuchsdebatte eine Überlegung wert sein. Denn wer glaubt, der Arbeitgeber Bundeswehr werde unter den Bedingungen des demografischen Wandels in der Konkurrenz um talentierte junge Menschen mühelos gegen den öffentlichen Dienst und die Wirtschaft bestehen können, ohne sich in vielen Bereichen neu zu erfinden, den belehrt der vorliegende Bericht des Wehrbeauftragten eines Besseren. Das ist die Botschaft, die wir für die weitere Arbeit und die weitere Planung aus diesem Bericht mitnehmen sollten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Das Wort hat für die CDU/CSU-Fraktion Gisela Manderla. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gisela Manderla (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Als klar wurde, dass ich meinen parlamentarischen Arbeitsschwerpunkt künftig im Verteidigungsausschuss haben würde und ich erstmalig darüber nachgedacht habe, worum es mir dort gehen soll, war meine Entscheidung schnell klar: Die Soldaten und Soldatinnen in unseren Streitkräften sollen und müssen im Mittelpunkt unseres und meines Handelns stehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Denn wer sich heutzutage in unserer durchzivilisierten Gesellschaft für den Dienst in der Bundeswehr entscheidet und damit auch für die unterschiedlichen Strapazen und Belastungen, private wie persönliche Entbehrungen, lange Trennungszeiten von der Familie und vieles mehr, der hat die umfassende Unterstützung dieses Hauses verdient, ja sogar ein Anrecht darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Anrecht muss meines Erachtens für drei Bereiche gelten: erstens für die materielle Ausstattung und Ausrüstung unserer Soldaten und Soldatinnen, zweitens für eine tiefgreifende Verankerung der Streitkräfte in der Mitte unserer Gesellschaft und drittens für den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten bzw. die Gewährleistung ihrer Grundrechte nach innen wie nach außen. Insbesondere für den dritten Punkt, den Schutz unserer Soldaten und Soldatinnen, zeichnet der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages verantwortlich. Ihnen, sehr geehrter Herr Königshaus, gebührt ebenso wie Ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen unser ausdrücklicher Dank für Ihre wichtige Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dies ist nun für mich der erste Jahresbericht des Wehrbeauftragten, dem ich mich widme, und ich muss sagen: Ich habe Schatten, aber auch viel Licht gesehen. Licht habe ich insofern gesehen, als ich bei einer Eingabequote von 27,7 auf je 1 000 Soldaten erkennen kann, dass in der Bundeswehr offenkundig eine Menge gut und richtig läuft, und das, obwohl sich unsere Streitkräfte in einem tiefgreifenden Wandel befinden und sich aufgrund der neuen Herausforderungen, denen sich Deutschland gegenübersieht, umfassend neu ausrichten müssen. Das deckt sich auch mit meinen ersten Erfahrungen, die ich in den Gesprächen mit unseren Soldaten im Inland, aber auch in den Einsatzgebieten im Ausland gemacht habe. Ich habe dort in erster Linie nämlich eine hohe Opfer- und Leistungsbereitschaft gesehen, engagierte Männer und Frauen, die sich bewusst für den Dienst in den Streitkräften entschieden haben und sehr gut um die besonderen Herausforderungen wissen, denen man sich zu stellen hat, wenn man sich bei der Bundeswehr verpflichtet. Deren Leistungsbereitschaft und deren Willen, sich einzubringen, müssen wir aktiv flankieren und unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) All denjenigen, die da draußen tagtäglich einen außerordentlich guten Dienst leisten, danke ich an dieser Stelle ausdrücklich für ihren großartigen Einsatz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man muss auch festhalten, dass auf Defizite durchaus reagiert wurde. Die Einbindung naher Angehöriger in die Nachsorge, die Einrichtung der sogenannten Härtefall-Stiftung wie auch der gesamte Bereich der Militärseelsorge, wie es meine Kollegen und Kolleginnen -bereits ausgeführt haben, sind durchweg positive Instrumente, um die Soldaten und Soldatinnen bei auftretenden Problemen zu unterstützen. Kommen wir nun zum Schatten. Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Bestimmte im Jahresbericht dargestellte Sachverhalte sind nicht hinnehmbar. Ich will das hier klipp und klar sagen. Meine Kollegin Schäfer hat beispielsweise die Integration von Frauen in die Streitkräfte thematisiert. Belästigungen und erst recht Übergriffe sind absolut inakzeptabel. Hier müssen wir künftig noch genauer hinsehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Exemplarisch seien hier aber auch die zum Teil viel zu lange Bearbeitungsdauer von Anträgen, eine bisweilen unzureichende, wenn nicht gar unnütze Beratung in den Karrierecentern sowie wiederkehrende Probleme im Zusammenhang mit der Besoldung genannt. Wenn sich die Bundeswehr als attraktiver Arbeitgeber gegen die freie Wirtschaft durchsetzen möchte, muss in diesen Bereichen dringend nachgebessert werden. Unsere Ministerin hat nach meinem Dafürhalten die gegenwärtigen Defizite aufgedeckt und die nötigen Schritte bereits veranlasst. Ihnen, liebe Frau Ministerin von der Leyen, möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich für Ihren Einsatz danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Für die Umsetzung des Maßnahmenpakets zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr sei Ihnen unsere Unterstützung gewiss. Meine Damen und Herren, insbesondere vor dem Hintergrund sich ändernder Einsatzszenarien und eines Wandels der Rolle Deutschlands in der Welt ist der Umbau der Bundeswehr von einer Wehrpflicht- zu einer Freiwilligenarmee eine besonders anspruchsvolle Aufgabe. Dieser Umbau steht – das will ich hier in aller Deutlichkeit festhalten – in seiner gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Energiewende oder der Reform des Rentensystems in nichts nach. Der Jahresbericht wirkt dabei als eine Art Mikroskop, durch welches wir einen Blick auf die Situation unseres wichtigsten Gutes bekommen, nämlich die Situation unserer Soldaten und Soldatinnen. Wir werden deren Wohl genau im Auge behalten, ohne aber die Leistungsfähigkeit unserer Streitkräfte aufs Spiel zu setzen; denn eines muss klar sein: Die Bundeswehr kann und wird nie ein ziviler Arbeitgeber sein. Es gilt also, den Spagat zwischen modernem Soldatentum und zivilgesellschaftlichen bzw. privaten Ansprüchen zu schaffen. Dafür stehen wir ein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass das Präsidium sehr großen Wert darauf legt, dass die einzelnen Plenarreden pünktlich beendet werden. Deshalb danke ich Ihnen ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, liebe Kollegin, für die tatkräftige Unterstützung, aber Sie hätten noch 45 Sekunden Redezeit gehabt. Das ist jetzt aber gar nicht so wichtig. Wichtig ist, dass das ganze Haus Ihnen zu Ihrer ersten Rede gratuliert. (Beifall) Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer weiteren Arbeit in einem sehr wichtigen Bereich. Damit ist die Aussprache beendet. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/300 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Geburtshilfe heute und in Zukunft sichern – Haftpflichtproblematik bei Hebammen und anderen Gesundheitsberufen entschlossen anpacken Drucksache 18/850 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. Ich gebe das Wort zur Eröffnung der Debatte Elisabeth Scharfenberg für Bündnis 90/Die Grünen. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! In den letzten Jahren haben wir sehr viele besorgte Zuschriften zur Situation der Hebammen erhalten. Grund dafür sind die gestiegenen Haftpflichtprämien, die die Existenz der Hebammen bedrohen. Sie sehen sich nicht mehr in der Lage, ihren Beruf auszuüben. Diese Brandbriefe bekamen wir nicht nur von Hebammen, sondern aus allen Teilen der Bevölkerung, sehr häufig von Familien, die sich Sorgen gemacht haben, dass sie ihr Kind nicht so zur Welt bringen können, wie sie sich das wünschen, zum Beispiel zu Hause oder in einem Geburtshaus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wenn wir heute über die Haftpflichtversicherung der Hebammen und der Geburtshelfer reden, dann sprechen wir nicht über dröge Versicherungsmathematik. Nein, wir reden darüber, ob werdende Eltern frei entscheiden können, wo und wie sie ihr Kind zur Welt bringen. Die Zeit drängt. Deswegen ist die Bundesregierung jetzt gefordert, endlich etwas zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Verständnisvolle Worte an die Hebammen zu richten, ist das eine, Herr Minister. Sie umzusetzen, ist das andere. Seit 2003 steigen die Beiträge, die vor allem freiberufliche Hebammen für ihre Haftpflichtversicherung zahlen müssen, über alle Maßen. Ich will hier einmal ganz deutlich werden: Im Jahr 2003 musste eine freiberuflich tätige Hebamme rund 500 Euro pro Jahr für ihre Haftpflichtversicherung bezahlen. Im Juli 2010 waren es rund 3 700 Euro. Das entspricht einer Steigerung um über 700 Prozent. Und das geht so weiter. In diesem Jahr sollen die Prämien bis auf 5 000 Euro steigen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Buh!) Zudem ist kaum noch ein privates Versicherungsunternehmen überhaupt bereit, Haftpflichtversicherungen für den Bereich der Geburtshilfe anzubieten. Nun will in diesem Jahr auch noch einer der letzten verbliebenen Anbieter abspringen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Schon jetzt steigen immer mehr Hebammen aus der Geburtshilfe aus, und immer mehr Geburtshäuser schließen. In strukturschwachen Gebieten ist die Geburtshilfe auch in Krankenhäusern gefährdet. Dort schließen Geburtsabteilungen, oder es schließt gleich das ganze Krankenhaus. Meine Damen und Herren, die Wahlfreiheit werdender Eltern ist damit schon heute massiv eingeschränkt. Es muss jetzt etwas passieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das Problem, das wir heute debattieren, ist nicht erst seit gestern bekannt. Die Herren Gesundheitsminister Rösler und Bahr haben dieses Thema weniger als halbherzig angefasst – und das ist freundlich formuliert. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! So war es!) Jetzt sind Sie gefragt, Herr Minister Gröhe. Sie müssen sehr kurzfristig – mit „sehr kurzfristig“ meine ich -sofort – auf die gesetzlichen Krankenkassen einwirken, damit diese mit den Hebammenverbänden in neue Vergütungsverhandlungen gehen. Freiberufliche Hebammen müssen in der Lage sein, von ihren Honoraren die Haftpflichtprämien zu bezahlen. Herr Gröhe, Sie müssen – auch das sofort – mit den privaten Versicherungsunternehmen reden, damit diese auch weiterhin Haftpflichtversicherungen anbieten; das haben Sie im Gesundheitsausschuss angekündigt, und Sie werden ja auch gleich zu diesem Thema reden. Ich sage Ihnen ehrlich: Ich nehme Sie beim Wort. Ich bin auf Ihre Taten gespannt. Auch die Hebammen werden heute sehr interessiert zuhören; auch sie sind auf die Ergebnisse gespannt. Dadurch wird das Problem allerdings kurzfristig nicht gelöst. Diese Maßnahmen – das Reden mit den Hebammenverbänden, mit den Versicherern, mit den Krankenkassen – verschaffen uns allenfalls ein bisschen Zeit. Die Prämien werden weiterhin steigen. Deswegen braucht es einen weiteren Schritt, um die Versicherungsbeiträge real zu senken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auch das müssen wir noch in diesem Jahr in Angriff nehmen. Im Kern gibt es hier zwei Möglichkeiten: Die erste Möglichkeit ist ein Haftungsfonds. Das heißt, die Versicherungsunternehmen kommen nur noch bis zu einer festgelegten Obergrenze für Schäden auf; darüber übernimmt dann der Haftungsfonds die Kosten. Die zweite Möglichkeit ist: Man begrenzt die Summen, die sich die Sozialleistungsträger, zum Beispiel die Kranken- oder Rentenversicherung, im Schadensfall von den Versicherungsunternehmen zurückholen können; hier sprechen wir dann von der Regressbeschränkung. Beide Modelle – das wissen wir – sind nicht perfekt. Aber sie können zumindest für einige Zeit die Situation der Hebammen und damit der Geburtshilfe etwas entspannen. Diese Zeit brauchen wir, um eine grundlegende Reform umzusetzen. Wir als Grüne sagen, dass wir eine Berufshaftpflicht für alle Gesundheitsberufe brauchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nicht nur die Hebammen, nein, alle Gesundheitsberufe ächzen unter den steigenden Haftpflichtprämien. Die Prinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung könnten ein Vorbild für eine gesetzliche Berufshaftpflicht sein. Das, Herr Minister, sollte die Bundesregierung ganz dringend und schnell untersuchen, damit wir bald ein tragfähiges und nachhaltiges System auf die Beine stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Minister, die Hebammen und die Eltern haben nun schon sehr lange gehört, wie kompliziert ihr Problem ist; das stimmt. Aber Sie hatten nun auch lange genug Zeit, eine Lösung zu finden. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die letzte Legislaturperiode verschlafen!) Sie müssen jetzt auch eine Entscheidung treffen; denn Zeit haben die Hebammen nicht mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich sage noch einmal ganz klar: Wir reden hier nicht über Zahlen. Wir reden hier über das Überleben des Berufsstandes der Hebamme. Wir reden über die Wahlfreiheit der werdenden Mütter und Eltern beim existenziellsten Ereignis ihres Lebens, nämlich bei der Geburt ihres Kindes. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das Wort hat für die Bundesregierung Minister Hermann Gröhe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns heute mit einem Thema, das sehr viele in diesem Haus – das weiß ich aus einer Fülle von Briefen – sehr intensiv umtreibt. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider umtreiben muss!) Nicht nur die Mitglieder der Berufsgruppe selbst – da haben Sie völlig recht –, sondern auch viele Mütter und Väter fragen, wie wir angesichts der Sorgen der Hebammen in unserem Land Sicherheit schaffen. Ich sage sehr deutlich: Das Bekenntnis des Koalitionsvertrages, eine ortsnahe Geburtshilfe und eine angemessene Vergütung der Hebammen in unserem Land sicherzustellen, ist nicht nur ein Arbeitsauftrag der Koalition, sondern mir auch ein persönliches Herzensanliegen. Ich werde Ihnen hier gerne über die Dinge, die wir bereits getan haben und weiter tun werden, Auskunft geben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Arbeit der Hebammen ist unverzichtbar. Sie haben nicht nur Wertschätzung und eine angemessene Vergütung, sondern vor allem Sicherheit im Hinblick auf die Zukunft ihrer Berufstätigkeit verdient. Sie sprachen vom einschneidendsten und schönsten Erleben, das Familien mit der fachlich versierten und menschlichen Zuwendung von Hebammen verbinden: der Geburt eines Kindes. Das zeigt sich ja auch an der großen Sympathie, auf die die Aktionen der Hebammen bei der Bevölkerung in unserem Land stoßen. Sie haben die beiden Entwicklungen, die Sorgen bereiten, angesprochen: die Steigerung der Haftpflichtprämien einerseits, eine Entwicklung der letzten Jahre, in der Tat, und den Ausstieg eines großen Versicherungsunternehmens aus dem Gruppentarif eines deutschen Hebammenverbandes andererseits, eine Entwicklung der letzten Woche, die eine weitere Verschärfung bedeutet. Ihr Antrag betont dabei zu Recht – das will ich ausdrücklich sagen –, dass der Anstieg der Haftpflichtprämie nicht auf einer Zunahme der Schadensfälle beruht. Unsere Hebammen in Deutschland leisten eine herausragende Arbeit. Fehler passieren sehr selten. Aber gleichzeitig gebietet es die Wahrheit, darüber zu reden, dass wir bei der Haftpflicht über die Haftung für Fehler reden. Ich glaube, wir brauchen im Gesundheitsbereich, in der Pflege, im Krankenhaus, bei den Hebammen eine Bereitschaft, darüber in einer Weise zu reden, die weder fragwürdig dramatisiert, ja eine ganze Berufsgruppe auf die Anklagebank setzt, noch bei den Betroffenen den Eindruck erweckt, wir würden geradezu Probleme unter den Teppich kehren. Wir reden darüber, dass Menschen auch in hochanspruchsvollen Tätigkeiten Fehler machen, einen Ausdruck, den Ihr Antrag vielleicht nicht durch Zufall meidet, wie er überhaupt in dieser Debatte häufig vermieden wird, und dass diese Fehler schwerste Folgen für andere Menschen haben können. Ich finde es gut, dass Sie in -Ihrem Antrag – auch das will ich sagen – der Haltung, den Schadensersatz zu begrenzen, entgegentreten, die es ja mitunter auch in der öffentlichen Debatte gibt. Dann würden wir Familien in dramatischen Situationen im Stich lassen. Das kann kein Weg sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie fragen: Was ist getan worden? Der Gesetzgeber hat 2011 gehandelt: Wir haben im Gesetz klargestellt, dass zum 1. Januar 2012 die gesetzlichen Krankenversicherungen den Hebammen die Kosten der Berufsausübung – die Haftpflichtversicherung ist in der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannt – angemessen vergüten. Dies ist umgesetzt worden in Vereinbarungen der Hebammenverbände mit den gesetzlichen Krankenversicherungen und hat erhebliche Erhöhungen der Vergütung zur Folge gehabt. Ich hatte ein intensives Gespräch mit allen deutschen Hebammenverbänden. Kritisiert wird, dass diese angemessene Berücksichtigung der Haftpflichtprämie in der Vergütung sich erst ab einer bestimmten Anzahl betreuter Geburten auswirkt. Dies ist eine Herausforderung. Zugleich sprechen Sie in Ihrem Antrag die Frage an, ob es nicht aus Gründen der Qualitätssicherung – es geht um die Sicherheit der Frauen – notwendig sein sollte, innerhalb eines festgelegten Zeitraums eine bestimmte -Anzahl von Geburten betreut zu haben. Das muss im Rahmen der entsprechenden Qualitätsrichtlinien der Selbstverwaltung festgelegt werden. Es zeigt aber ein Spannungsverhältnis auf: Mindestanzahl, gleichsam um Erfahrung zu sichern, und ortsnahes Angebot auch im ländlichen Raum müssen in eine vernünftige Balance gebracht werden. Sie haben die Regierung aufgefordert, mit der Versicherungswirtschaft und mit den Krankenkassen zu sprechen. Ich muss Ihnen sagen: Das geschieht in hoher Intensität seit Wochen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich empfinde Ihren Antrag daher als Ermutigung, weiter intensiv zu verhandeln, bis wir ein Ergebnis erreicht haben. Das ist selbstverständlich, und das sage ich zu. Wir haben die Versicherungswirtschaft und die Krankenkassen in einer interministeriellen Arbeitsgruppe, die im letzten Jahr in Folge des Bürgerdialogs der Bundeskanzlerin eingerichtet wurde, eingebunden. Wir werden im April den Abschlussbericht, der auch zu den verschiedenen Modellen, die Sie hier erwähnt haben, Stellung nehmen wird, vorstellen. Wir haben die Versicherungswirtschaft unmissverständlich wissen lassen, dass wir ein überzeugendes Angebot erwarten. Ich habe keinen Zweifel daran, dass man sich dort der Verantwortung bewusst ist. Wir brauchen dringend einen – besser: mehrere – Gruppenhaftpflichttarife, die entsprechend unterbreitet werden. Da zur Stunde diese Verhandlungen laufen, fordere ich auch von dieser Stelle alle Beteiligten – die Hebammenverbände, die beteiligten Makler, die Versicherungswirtschaft – auf, zügig abzuschließen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben selbstverständlich auch mit den Krankenversicherungen geredet. Dort ist man sich des Auftrags aufgrund der gesetzlichen Präzisierung, hier die entsprechenden Kosten zu übernehmen, bewusst. Wir haben sehr darauf gedrungen, dass, wenn es zu einer Tarifsteigerung kommt, diese auch zeitnah umgesetzt wird, damit es nicht durch Verzögerungen zu Verunsicherung kommt. Wir werden auch die Frage zu erörtern haben, welche Staffelung vertretbar ist, um gerade auch bei einer niedrigen Anzahl betreuter Geburten ein auskömmliches Einkommen sicherzustellen. Meine Damen, meine Herren, Sie fordern weitergehende Alternativen. Ich will ausdrücklich sagen: Das bisherige System von privatwirtschaftlicher Haftpflichtversicherung und Kostenübernahme durch die Krankenkasse steht in einer schweren Bewährungsprobe. (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Ja!) Ich bin in der Tat der Überzeugung, dass die Hebammen – das haben wir in den Gesprächen zugesagt, und das werden Sie auch in dem Abschlussbericht finden – einen Anspruch haben, dass wir Alternativmodelle umfassend prüfen. Sie fordern uns in Ihrem Antrag auf, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen, schreiben aber selbst, dass wir die verfassungsrechtliche Zulässigkeit prüfen sollen. Das weist darauf hin, wie kompliziert es ist, wenn mit einem Haftungsfonds oder einem Regressverzicht bzw. einer Regressbegrenzung der rechtsstaatlich gebotene -Zusammenhang von Schadensverursachung und Übernahme der Haftung begrenzt oder vollständig aufgehoben werden soll. Das ist mit dem Justizministerium und mit dem Arbeitsministerium – soweit es die Rentenversicherung angeht – in dieser interministeriellen Arbeitsgruppe intensiv erörtert worden. Ich habe sowohl mit Kollegin Nahles wie mit Kollegen Maas noch einmal darüber gesprochen. Wir prüfen dies – das sage ich ausdrücklich zu –, ich halte es aber noch nicht für ausgemacht – auch da schulde ich Ihnen die Klarheit –, dass ein Systemwechsel wirklich zu einer Verbesserung führt. Das von Ihnen vorgeschlagene Modell, sich langfristig an der Unfallversicherung zu orientieren, ist von der Unfallversicherung selbst als untaugliches Instrument zur Begrenzung der Prämien bezeichnet worden, weil es natürlich auch bei der Umsetzung der Idee, alle Berufsgruppen zusammenzufassen, eine Zuordnung der Prämienhöhe zum Risiko geben muss. Eine solche kennt auch die Unfallversicherung. Deswegen ist auch bei diesem Modell noch lange nicht ausgemacht, ob der von Ihnen angestrebte Erfolg eintrifft. Ich glaube, wir brauchen sehr kurzfristig eine Verabredung im System, neue Gruppentarife und eine klare Ansage der Krankenversicherung, die Kosten zu tragen. Wir sagen Ihnen zu, die verschiedenen Modelle zeitnah, aber gründlich – den ersten Bericht erhalten Sie noch im April – zu prüfen. Sie können sich darauf verlassen, dass wir mit ganzer Kraft daran arbeiten, den Hebammen in unserem Land die Sorgen um ihre berufliche Zukunft zu nehmen. Das sind wir ihnen aufgrund ihrer unverzichtbaren Arbeit weiß Gott schuldig. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Hermann Gröhe. – Für die Linke hat Birgit Wöllert das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Birgit Wöllert (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute sage ich ausdrücklich auch: Liebe Gäste! Sie werden gleich hören, warum ich mich heute auch an Sie wende. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, erst einmal vielen Dank für diesen Antrag. Wir haben vor, einen ähnlichen Antrag zu stellen. Sie sind uns etwas zuvorgekommen. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Zu spät!) Das ist aber nicht so schlimm. Wir wollten noch die Antwort auf unsere Kleine Anfrage an die Bundesregierung zur wirtschaftlichen Lage der Hebammen und Entbindungspfleger abwarten. Ich gehe davon aus, dass die Antwort dann in unsere gemeinsame Lösungsfindung einfließen kann. (Beifall bei der LINKEN) Ich denke, dass es einen großen Konsens geben wird, diesen Antrag im Ausschuss zu diskutieren, und es gibt sicher auch einen Konsens, eine Lösung finden zu wollen. Allerdings – auch das muss ich sagen – ist das Problem so neu auch wieder nicht; denn es beschäftigt und bewegt uns und ganz viele Menschen in diesem Land schon seit längerem. Das gilt übrigens nicht nur für Eltern, sondern in hoher Zahl auch für Großeltern. Ich kann hier für mich sprechen. Ich möchte, dass auch alle meine Enkelkinder dann meine Urenkel sicher auf die Welt bringen können. Die Voraussetzungen und die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen dafür haben wir jetzt hier zu schaffen. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt kommt mein Appell an Sie, liebe Gäste: Seit gestern gibt es im Internet eine öffentliche Petition mit der Nummer 50667 und dem Titel „Gesundheitsfachberufe – Sicherstellung der flächendeckenden, wohnort-nahen Versorgung mit Hebammenhilfe“. Die Mitzeichnungsfrist läuft vom 19. März 2014 bis zum 16. April 2014. Kommen in diesem Zeitraum 50 000 Unterschriften oder Mitzeichnungen über das Internet zustande, dann wird der Petitionsausschuss eine öffentliche Sitzung zu dieser Thematik durchführen. (Zuruf von der CDU/CSU: Die löst dann das Problem?) Bis heute sind es bereits 27 500 Unterschriften. Das ändert sich stündlich. (Beifall bei der LINKEN – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Und wie heißen die?) Stündlich erfolgen mehr als 1 000 Mitzeichnungen im Internet, (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Aufzählen! Vorlesen!) und ich fordere Sie auf, dazu beizutragen, dass die geforderte Zahl deutlich überschritten wird. Sie alle haben das mit in der Hand. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte mich an dieser Stelle auch noch einmal bei der Initiatorin, Frau Schmuck aus Ingolstadt, recht herzlich bedanken. Schon vor rund vier Jahren hat meine Fraktion, Die Linke, hier einen ähnlichen Antrag wie heute Bündnis 90/Die Grünen eingebracht, und zwar mit dem Titel „Versorgung durch Hebammen und Entbindungspfleger sicherstellen“. Das heißt, mindestens seit diesem Zeitpunkt beschäftigt uns diese Frage. Die Hebammen waren damals nämlich in der gleichen miesen Situation. 2010 stellte die Linke fest, dass nur noch 30 Prozent der Hebammen und Entbindungspfleger von ihrem Beruf leben können. Wie sieht es jetzt, vier Jahre später, aus? Nach Presseangaben, die wir alle reichlich verfolgen können, lagen die Stundenlöhne einer freiberuflichen Hebamme oder eines Entbindungshelfers zwischen 2011 und 2014 bei durchschnittlich 7,50 Euro bis 8,50 Euro. Angemessener Verdienst für diese verantwortungsvolle Tätigkeit sieht wohl anders aus. (Beifall bei der LINKEN) Für ein so reiches Land wie Deutschland ist es einfach nur beschämend, wie wir mit den Menschen umgehen, die unserer Zukunft – so nennen wir unsere Kinder so schön vollmundig – auf die Welt helfen. Ich denke, Herr Minister, da tragen Sie eine Verantwortung. Aus Steuermitteln werden im Bereich Gesundheit vor allem versicherungsfremde Leistungen bezahlt. Vielleicht sollten Sie einmal überlegen, dass von den 3 Milliarden Euro, die sich der Finanzminister zurückholen möchte, ein winziger Teil in zweistelliger Millionenhöhe ausreichen würde, um das Problem schnell zu lösen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie haben das Problem nicht verstanden!) 2010 schlug die Linke vor, in einem Treffen zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und dem Hebammenverband deutliche Vergütungserhöhungen zu vereinbaren und auch die steigenden Haftpflichtprämien abzusichern. Ich muss sagen: Wenigstens die Übernahme der steigenden Haftpflichtprämien – Sie haben das vorhin angeführt – hat geklappt. Seit 2012 werden diese Kosten von den gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen. Anders dagegen sieht es mit der Gesamtvergütung der Hebammen aus; denn sie ist immer noch nicht auskömmlich, wie ich das schon sagte. Zur Hebammentätigkeit gehört eben noch viel mehr, als Kinder auf die Welt zu holen. Hebammentätigkeit – so haben wir es uns von den Hebammen erklären lassen – ist vor allem auch die Betreuung der Mütter vor und nach der Geburt, und zwar über einen längeren Zeitraum. Ich denke, das müssen wir uns auch etwas kosten lassen. (Beifall bei der LINKEN) 2010 stellte die Linke fest: Eine flächendeckende Versorgung mit Geburts- und Hebammenhilfe ist gefährdet. – Vorige Woche, also vier Jahre später, wurde im Bundesrat ein Entschließungsantrag zum gleichen Thema behandelt. So ein langer Zeitraum ist beschämend. Was hat sich eigentlich in diesen vier Jahren getan? Machen Sie es besser als Ihr Kollege von der FDP! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zur Situation in meiner Heimatregion Cottbus-Spree-Neiße kann ich sagen: Dort gab es 2004 noch insgesamt vier Entbindungsstationen. Entbindungsstationen gibt es jetzt nur noch in Cottbus und Forst, womit ihre Zahl auf zwei abgesenkt worden ist. In Spremberg haben wir deshalb aus der Not eine Tugend gemacht und 2005 ein -Geburtshaus am Krankenhaus gegründet. Die dort freiberuflich tätigen Hebammen haben eine verantwortungsvolle Arbeit. Die Menschen aus Spremberg und der -Region nehmen diese Einrichtung gut an. Aber die Hebammen sind jetzt schon wieder in einer Notsituation. Da haben wir sie gefälligst herauszuholen. (Beifall bei der LINKEN) Es ist für junge Leute nicht attraktiv, einen Beruf mit solchen Aussichten zu ergreifen. Ein Beispiel ebenfalls aus Brandenburg: Nur im Carl-Thiem-Klinikum in Cottbus gibt es hierzu alle drei Jahre einen Ausbildungslehrgang mit 17 Plätzen. Diese 17 Plätze sind seit 2007 noch nie vollständig belegt gewesen. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Ändern Sie das doch in Brandenburg! Da sind Sie doch an der Regierung!) So viel zur Motivation für junge Leute. Während wir in unserem Antrag 2010 noch konstatierten, dass die Gründe für diese Entwicklung unklar seien, wissen wir heute: Es gibt Gründe für die Steigerung der Prämien. Deshalb ist es richtig, zügig nach einer Neuordnung der Berufshaftpflicht für Gesundheitsberufe zu sorgen. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das hat der Minister doch gar nicht infrage gestellt, dass das passiert!) Dabei ist zu berücksichtigen, dass Fachgebiete und Tätigkeiten mit einem hohen Haftungsrisiko nicht zwingend zu hohen Prämien führen müssen; denn im Interesse der Daseinsvorsorge brauchen wir sowohl die risikostärkeren als auch die risikoärmeren Gesundheitsleistungen für unsere Bevölkerung. Deshalb sind jetzt die verschiedenen Modelle im Gespräch. Ich freue mich auf eine konstruktive Diskussion mit einem möglichst schnellen und langfristig haltbaren Ergebnis. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das Wort hat für die SPD-Fraktion Dr. Karl Lauterbach. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kritik, dass sich in der schwarz-gelben -Koalition im Bereich der Hebammenversorgung nicht viel bewegt hat, habe ich selbst in der letzten Legislaturperiode vorgetragen. Aber diese Kritik ist heute schlicht und ergreifend unfair. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Wo ist da die Logik?) Denn wir haben gemeinsam in den Koalitionsvertrag aufgenommen, die Hebammenversorgung sicherzustellen, und wir, Herr Gröhe, die Unionsfraktion und meine Fraktion, haben die Arbeit daran sofort aufgenommen und das auch kommuniziert. Wir sind sofort mit den Hebammenverbänden in Gespräche getreten, mit den kleinen Verbänden wie mit den großen. Wir haben mit einzelnen Repräsentanten der Hebammen gesprochen. Noch während der Koalitionsverhandlungen habe ich Teile der Petition entgegengenommen. Wir kommunizieren ständig Zwischenergebnisse. Ich frage daher: Ist es nicht so, dass hier auch ein bisschen Populismus betrieben wird, wodurch bei den Hebammen der Eindruck entsteht, wir würden nichts tun, derweil wir mit voller Kraft an diesem Thema arbeiten? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – -Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage auch in aller Klarheit: Das Problem ist nicht so simpel zu lösen, indem man einen Antrag einbringt, in dem – seien wir doch ehrlich miteinander – so gut wie nichts steht. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was wollen Sie denn haben?) Darin steht nur, dass wir für dieses große Problem eine Lösung finden müssen. Herzlichen Glückwunsch! Das wissen wir seit vier Jahren, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wird es jetzt Zeit!) Zunächst einmal ist es so: Wir haben in Deutschland eine gute Versorgung mit Hebammen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch!) Das Kernproblem liegt darin, dass es derzeit eine kleine Gruppe von Hebammen gibt, für die die Versicherungsprämie nicht bezahlbar ist. Das sind im Wesentlichen die freiberuflichen Hebammen. 10 Prozent der Hebammen arbeitet ausschließlich freiberuflich. Diese Hebammen betreuen im Durchschnitt 18 Geburten pro Jahr. Die Hälfte betreut weniger als zehn Geburten pro Jahr. Die Versicherungsprämie beträgt aber 5 000 Euro pro Jahr. Das ist ungerecht; denn es entspricht einem Betrag von 500 Euro pro Geburt. Dass das nicht funktionieren kann, ist uns klar. Daran ändert die Verlagerung derselben Versicherung zu einem anderen Versicherungsträger – ob Unfallversicherung oder Rentenversicherung – mit einem einzigen Anbieter überhaupt nichts. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Frage ist, wie hoch die Kosten der Versicherung mit Blick auf die Zahl der Geburten sind. Wir arbeiten fieberhaft an einer guten und rechtssicheren Lösung. Das ist viel komplizierter, als Sie es in populistischer Art und Weise erscheinen lassen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn populistisch an unserem Antrag?) Wir lehnen eine Lösung mit einer Schadensbegrenzung – darin stimme ich Minister Gröhe und meinen Vorrednern zu –, die zulasten der Kinder und Eltern geht, kategorisch ab. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun alle! Das ist eine Unverschämtheit!) Das ist mit uns nicht zu machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Deckungssumme im Gruppenvertrag für die -Hebammen beträgt derzeit 6 Millionen Euro. Diese -Deckungssumme wollen wir nicht reduzieren, egal wie die Lösung aussieht. 1,5 Prozent der Schäden machen 50 Prozent der gesamten Schadenssumme aus. All diese Schäden sind teurer als 1,5 Millionen Euro pro Kind. Für diese schweren Fälle brauchen wir eine Lösung, aber keine populistische, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist daran populistisch, bitte?) sondern eine Lösung, die rechtlich trägt – auch verfassungsrechtlich – und die bezahlbar ist, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sowohl von den Geburtshäusern als auch insbesondere von den Hebammen, die nur wenige Geburten begleiten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) In dem jetzigen System ist es sogar so, dass Hebammen, die viele Geburten betreuen, einen Gewinn -machen, weil die durchschnittlichen Kosten pro Geburt für die Abdeckung der Versicherung bei jemandem, der 100 Geburten pro Jahr begleitet, die tatsächlichen -Kosten der Versicherung übersteigt. Daher ist der Ehrlichkeit halber und zur Vermeidung von Populismus auch darauf hinzuweisen, dass es innerhalb der Hebammenverbände Unstimmigkeiten darüber gibt, wie das Problem zu lösen ist. Denn das jetzige System funktioniert für einige Hebammengruppen sehr gut. Sie wollen eine Lösung innerhalb dieser Logik. Andere Gruppen kommen zu kurz. Für die Gruppen, die zu kurz kommen, brauchen wir eine Lösung. Dafür treten wir an. Wir brauchen zudem dringend – damit bin ich bei einem Punkt, der bei allem, was wir bisher angesprochen haben, viel zu kurz gekommen ist – eine Qualitätsstudie, aus der hervorgeht, wie gut unsere Hebammenversorgung eigentlich ist, wie stark die Qualität davon abhängt, wie und wo die Geburt erfolgt und ob es einen Zusammenhang zur Zahl der Geburten gibt. Das alles ist in Deutschland nicht bekannt. Aus meiner Sicht ist es fahrlässig, nur eine Versicherungslösung zu fordern, ohne sich für die Qualität der Versorgung zu interessieren. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Antrag noch nicht einmal gelesen!) Die Beseitigung dieser Informationsdefizite sind wir den Kindern und den Eltern schuldig. Daher werden wir eine Lösung finden, die auf einer Untersuchung der Qualität der Hebammenversorgung und der Geburtshilfe in Deutschland basiert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir wollen eine zeitnahe Lösung. Die Lösung soll -sicher, insbesondere rechtssicher sein. Sie soll die Kosten gerecht verteilen. Wir wollen – dazu bekennen sich die SPD und die Große Koalition klipp und klar – die Vielfalt der Geburtsmöglichkeiten erhalten. Wir wollen die Hausgeburt, die Klinikgeburt und die Beleggeburt genauso wie Geburten in Geburtshäusern. Die Vielfalt soll erhalten werden, genauso wie die unterschiedlichen Möglichkeiten, als Hebamme zu arbeiten. Wir wollen die rein freiberuflich tätige Hebamme, die Beleghebamme, die Klinikhebamme genauso wie die Hebamme, deren Arbeit eine Mischform darstellt. Wir wollen diese ganze Vielfalt erhalten. Dann ist aber ein Schnellschuss, wie ihn – bei allem Respekt – der vorliegende grobe Antrag darstellt, nicht möglich. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Schnellschuss!) Wir arbeiten seit Wochen an diesem Thema. Wir -haben gerade die Anhörung der Verbände ausgewertet. Die Lösungen, die wir derzeit erarbeiten, werden rechtlich und inhaltlich geprüft. Wir brauchen noch ein paar Wochen. Aber dann legen wir etwas vor, was in den letzten Jahren nicht zustande gekommen ist. Wir brauchen aber Geduld. Wir wollen die Qualität verbessern. Wir wollen zudem die Hebammenversorgung auf dem Land ausbauen. Es geht nicht nur um Erhalt. Auf dem Land gibt es großflächige Versorgungsdefizite. Diese wollen wir beheben. Verbesserung der Qualität sowie Sicherstellung der Versorgung auf dem Land und der Vielfalt sind unsere Ziele. Für eine entsprechende Lösung brauchen wir noch ein paar Wochen. Aber wir arbeiten fieberhaft daran. Ich bitte um das notwendige Vertrauen. Bitte hetzen Sie die Hebammen nicht auf! (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist es aber gut! – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt langt es aber!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Lauterbach. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Ich komme zum Schluss. – Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir dieses Thema nicht ernst nehmen. Das tun wir sehr wohl. Das ist für uns eine Herzensangelegenheit. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist Kordula Schulz-Asche für Bündnis 90/Die Grünen. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Lauterbach, ich möchte mit Nachdruck -Ihren Vorwurf zurückweisen, unser Antrag sei populistisch. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Lösungs-orientiert ist er nicht!) Ich verbitte mir auch Ihren Vorwurf, wir würden Lösungen zulasten der Eltern und ihrer betroffenen Kinder vorschlagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich verbitte mir diesen Vorwurf und fordere Sie ausdrücklich auf, zu der sachlichen Ebene zurückzukehren, die heute dankenswerterweise der Gesundheitsminister, Herr Gröhe, beschritten hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie haben über die letzte Legislaturperiode geredet. Aber das Problem, das heute auf der Tagesordnung steht, nämlich die steigenden Haftpflichtversicherungsprämien für Hebammen, ist viel älter. Sie waren schon einmal an einer Großen Koalition beteiligt und hätten agieren können. Die Haftpflichtversicherungsprämien für Hebammen haben sich in den letzten zehn Jahren vervielfacht. Es ist daher billig, dass Sie nur auf die letzte Legislaturperiode zurückschauen und denjenigen, die konkrete Vorschläge machen, Aktionismus vorwerfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir sind nun in einer Situation, wo schnell gehandelt werden muss; denn wenn nicht schnell gehandelt wird, dann bedeutet das, dass sich das Problem dadurch löst, dass alle freiberuflich tätigen Hebammen ihre Arbeit aufgeben werden. Das kann nicht im Interesse einer guten Geburtshilfe in Deutschland liegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Lassen Sie mich angesichts der heutigen Diskussion einen Dank an die Hebammen aussprechen, die nicht erst seit gestern, sondern schon seit Jahren mit zunehmend einfallsreicheren Aktionen auf ihre Situation hinweisen. Dazu gehört auch diese Petition. Herzlichen Dank an die Hebammen, die immer wieder bereit waren, auf dieses Problem hinzuweisen, und nicht aufgegeben haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber es geht nicht nur um den Beruf der Hebammen, sondern es geht auch um die gesellschaftliche Grundfrage: Haben Eltern in unserem Land die Wahlfreiheit, (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Was schlagen Sie denn vor?) in welcher Art und Weise sie Kinder auf die Welt bringen wollen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Wahlfreiheit der Eltern ist ein hohes Gut. Dazu gehört die Hausgeburt, dazu gehört die Geburt im Geburtshaus, und dazu gehört die Geburt in der Klinik. Das ist das, was heute entschieden wird; denn wenn die Geburt im Geburtshaus und die Hausgeburt wegfallen, dann gibt es keine Wahlfreiheit mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiler von der CDU/CSU-Fraktion? Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich beantworte sie gleich; denn ich habe sie schon gehört. Es geht um die Frage, was jetzt konkret zu tun ist. Vizepräsidentin Claudia Roth: Lassen Sie ihn doch die Frage stellen, Frau Kollegin. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gut, dann lasse ich ihn sie stellen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Weiler, Ihre Frage bitte. Albert Weiler (CDU/CSU): Ich habe nur eine kurze Bitte. Ich beschäftige mich seit dem Eintritt in den Bundestag – ich bin hier neu – mit dem Thema Hebammen. Ich war selber in den Geburtshäusern. Ich habe Ihrer Kollegin Anja Siegesmund aus Thüringen vor längerem einen Brief geschrieben und um eine konstruktive Zusammenarbeit gebeten; denn auch ich als CDU-Mitglied bin an einer Lösung interessiert. Es wäre sehr schön, wenn Sie mir weiterhelfen könnten, dass meine Frage nach der Möglichkeit einer konstruktiven Zusammenarbeit beantwortet wird. Danke schön. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich antworte gerne auf die Bemerkung. Selbstverständlich werde ich Ihre Bitte weitergeben. Vielleicht wird in dem Antwortschreiben einiges von dem stehen, was ich gleich sage. Es stellt sich jetzt die Frage: Was ist zu tun? Ich glaube, dass es verschiedene Ebenen gibt. Wir müssen zum einen kurzfristig handeln. Herzlichen Dank, Herr Minister Gröhe, dass Sie darauf eingegangen sind; denn die Krankenkassen und die Berufshaftpflichtversicherungen müssen doch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in ihrem Bereich nachkommen und den Beruf der Hebamme kurzfristig finanziell absichern. Wir brauchen zum anderen mittelfristige Lösungen, wie das im -Zusammenhang mit dem Haftungsfonds oder anderen Lösungen diskutiert wurde. Wir brauchen ferner eine Berufshaftpflicht für alle Gesundheitsberufe, wie es hier besprochen wurde. Natürlich brauchen wir eine regelmäßige Bestandsaufnahme, die zeigt, ob die flächendeckende und gute geburtshilfliche Versorgung in Deutschland gesichert ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, ich bitte Sie: Sie müssen zum Ende Ihrer Rede kommen. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das mache ich auch. – Das sollte unser Ziel sein: eine flächendeckende, gute Versorgung in der Geburtshilfe. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und die Diskussion unseres Antrags. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist Kollege Dr. Roy Kühne für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Gröhe! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, dieses Thema heute ist mit Blick auf die Zukunft ganz besonders wichtig. Die Hebammen und Entbindungspfleger in Deutschland leisten eine hervorragende Arbeit. Diese Leistungen werden überhaupt nicht infrage gestellt. Ihre Zuwendungen und ihre Leistungen in der Vorsorge und in der -Wochenbettbetreuung sind für Schwangere und junge Eltern von besonderer Bedeutung. Die Geburtshilfe der freiberuflichen Hebammen ermöglicht vielen Schwangeren die freie Wahl ihres Entbindungsortes. Das ist wichtig. Dies gilt aber nicht nur für Hausgeburten oder die Entbindung in einem Geburtshaus, sondern auch für die Betreuung durch sogenannte Beleghebammen in Krankenhäusern selber. Das Betreuungsangebot der Hebammen trägt in erheblichem Maße dazu bei, dass Schwangerschaften einen positiven Verlauf haben. Ich glaube, das ist uns allen wichtig. Darüber hinaus bietet es werdenden Müttern und Vätern Zeit und Raum, sich mit der Problematik zu beschäftigen, in Kursen zu erlernen, mit welchen Aktionen und Reaktionen sie zu rechnen haben. Sie können sich damit theoretisch auseinandersetzen, um sich auf die Aufgabe als Eltern ausreichend vorzubereiten. Ängste der Frauen vor der Geburtssituation können in ruhiger, eventuell häuslicher Atmosphäre ausreichend besprochen und durch das Erlernen von geburtserleichternden Techniken sogar abgebaut werden. In der Wochenbettbetreuung – das heißt in der Zeit nach der Geburt – können aufkommende Probleme im neuen Familienalltag, die durchaus Stress bedeuten können, direkt in einer Eins-zu-eins-Betreuung gelöst werden. Viele von Ihnen können sich vielleicht noch daran erinnern, wie sie sich als junge Eltern in der Zeit nach der Geburt fühlten. Manchmal sind diese Zeiten geprägt von Angst – Angst davor, mit der Aufgabe Kindesbetreuung überfordert zu sein, oder davor, für kleine Aufgaben des alltäglichen Lebens keine Lösung zu finden. Ich glaube, viele junge Eltern wissen, was ich damit meine. Auch meine Frau und ich waren froh, vor, während und nach der Geburt unserer Kinder eine Hebamme an unserer Seite zu haben. Aber dennoch, Frau Wöllert, sage ich ganz offen: Ich bin ganz klar gegen Polemik bei diesem Thema. Ich bin ganz klar gegen gefühlsduselige Petitionen. (Widerspruch bei der LINKEN) Ich glaube, das ist nicht im Interesse der Mütter und Väter und nicht im Interesse der Hebammen. Die Hebammen haben Sachlichkeit verdient; Herr Lauterbach und Herr Minister Gröhe haben es angesprochen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Regierungskoalition weiß um die Wichtigkeit und die Leistungen der Hebammen. Es ist notwendig, dass Hebammen flächendeckende Angebote für junge Familien machen. Deshalb ist im Koalitionsvertrag ganz klar festgeschrieben, die Versorgung mit Geburtshilfe sicherzustellen sowie für eine angemessene – da stimme ich Ihnen völlig zu – Vergütung zu sorgen. Herr Minister Gröhe und viele Mitglieder der Regierungskoalition haben in den letzten Tagen viele konstruktive Gespräche mit den Hebammen geführt. Dadurch ist viel Klarheit geschaffen worden, worin die Brisanz dieses Themas liegt. Die aktuelle Situation der Hebammen in Deutschland ist natürlich von dem Problem der gestiegenen Haftpflichtprämien stark geprägt. Eine kostendeckende und auskömmliche Tätigkeit ist momentan zugegebenermaßen schwer möglich. Aber man muss auch sagen, dass in Anbetracht dieser Tatsache bereits Veränderungen der Vergütungsstrukturen stattfanden. Das von der schwarz-gelben Koalition 2012 verabschiedete GKV-Versorgungsstrukturgesetz beinhaltet positive Änderungen. In § 134 a Abs. 1 Satz 3 werden die Kostensteigerungen für die freiberuflichen Hebammen berücksichtigt. (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Ja!) Das wurde bereits mehrmals gesagt. Darunter fallen auch die steigenden Haftpflichtprämien. Das GKV-System beteiligt sich an diesen Kosten. In den letzten Jahren ergaben sich daraus Vergütungssteigerungen im zweistelligen Bereich. Zudem wird aktuell pro Hausgeburt ein Ausgleich von 200 Euro für die steigenden Versicherungsprämien gezahlt. Nichtsdestotrotz muss über die derzeitige Lage der Hebammen in Deutschland intensiv diskutiert werden, und das tun wir auch. Aus diesem Grund gab es innerhalb der interministeriellen Arbeitsgruppe intensive Gespräche mit allen beteiligten Gruppen. Diese gingen über die Haftpflichtproblematik hinaus und tangierten – es wurde schon angesprochen – ebenfalls Themen wie die Ausbildung und Weiterbildung von Hebammen und natürlich die Qualitätssicherung in der Geburtshilfe. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir alle sind uns einig: Die Qualität der Versorgung hat im Gesundheitswesen höchste Priorität. Das müssen wir als Bundesregierung den werdenden Müttern und Vätern immer wieder sagen. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Wir sind immer noch Legislative, nicht Exekutive! Gewaltenteilung!) Wenn wir aber über Qualität und Qualitätssicherung reden, brauchen wir Daten. Ich fordere alle beteiligten Seiten auf, die Datenlage zügig zu verbessern. Wir brauchen dies, damit die Argumentationsgrundlage für Diskussionen in der Zukunft geschaffen ist. Ich möchte eine Diskussion aufgrund von Fakten führen. Wie Herr Minister Gröhe bereits angesprochen hat, wird der erste Bericht der Arbeitsgruppe im Verlauf des Aprils erwartet. Ich erwarte von der Arbeitsgruppe ganz konkrete Vorschläge, und ich glaube, die werden wir auch bekommen. Ausgehend von dieser Grundlage müssen dann weiter gehende Diskussionen geführt werden. Ich betone mit Blick auf die Interessen der Hebammen: Wir brauchen eine sehr zeitnahe Umsetzung von konkreten Maßnahmen, damit den Hebammen in Deutschland ein ganz klares Signal gesendet wird. Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass in diesem Haus bei diesem Thema Einigkeit zu zwei Punkten herrscht: Erstens. Die ambulante Versorgung durch Hebammen in Deutschland soll flächendeckend erhalten werden. Zweitens. Es geht – das ist für mich als Vater und auch für die Damen und Herren, die oben auf der Tribüne sitzen, sehr wichtig – um die Gesundheit von Mutter und Kind. Das sollten wir bei dieser ganzen Diskussion nicht vergessen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben das nicht vergessen!) Auch die Koalition weiß um die Dringlichkeit dieser Maßnahmen. Gerade deshalb müssen diese Maßnahmen rechtlich abgesichert und nachhaltig sein. Keinem ist mit einem überhasteten Antrag geholfen, der fordert, diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit Schnellschüssen abzuhandeln. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vier Stufen! Die sind nicht überhastet! Das ist kein Schnellschuss!) Wir brauchen harte Fakten. Warten Sie also bitte den Bericht der Arbeitsgruppe ab, damit wir tragfähige langfristige Lösungen finden – im Interesse von werdenden Müttern und Vätern. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Kühne. – Das Wort hat Bettina Müller für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Bettina Müller (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Protestaktionen der Hebammen wegen der Berufshaftpflicht begleiten uns nun schon einige Jahre. Wir erleben heute nicht die erste Debatte in dieser Sache, und nicht zum ersten Mal solidarisieren sich die Mitbürgerinnen und Mitbürger berechtigterweise mit dem Anliegen der Berufsverbände. Die Empörung ist verständlich. Der drohende Ausstieg des letzten Versicherers zwingt zum Handeln, und es wird auch gehandelt. Der Minister und Karl Lauterbach haben geschildert, dass alle Beteiligten ressortübergreifend an Lösungsmöglichkeiten arbeiten. SPD und Union haben das im Koalitionsvertrag vereinbart. Der Bundesrat hat eine Entschließung verabschiedet. Heute liegt uns ein Antrag der Grünen vor. Das ist ein wichtiges Signal an die Hebammen: Es wird bereits intensiv und gemeinsam nach Lösungen gesucht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mir ist es aber auch wichtig, heute noch eine andere Botschaft auszusenden, nämlich die, dass in Deutschland die Geburtshilfe insgesamt nicht in Gefahr ist. Weder steht ein Berufszweig vor dem Aus, noch werden Schwangere alleingelassen. Auch das Wahlrecht wollen wir nicht zur Disposition stellen. So emotional das Thema auch ist, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir alle sollten uns um eine Versachlichung der Debatte bemühen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zur sachlichen Darstellung gehört, dass in Deutschland fast alle Geburten, nämlich 98 Prozent, in einem Krankenhaus erfolgen. Nur etwa 2 Prozent der Frauen entscheiden sich für eine außerklinische Geburt, zu Hause oder in einem Geburtshaus. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn wir noch ein bisschen abwarten, sind es 100 Prozent!) Um diese Geburten kümmern sich bundesweit circa 3 500 freiberufliche von insgesamt 21 000 Hebammen. Die Zahlen des IGES von 2012 zeigen: Im Krankenhaus werden etwa 20 Prozent der Geburten von Freiberuflichen betreut, die dort als Beleghebammen arbeiten. Viele Beleghebammen begleiten zusätzlich auch Hausgeburten und kommen mit den Zuschlägen der Kassen für die Prämien gerade so über die Runden; das ist schon dargestellt worden. Existenzbedrohend ist die Situation natürlich für die Hebammen, die ausschließlich im außerklinischen Bereich arbeiten. Es steht also nicht die gesamte Geburtshilfe infrage, meine sehr verehrten Damen und Herren, sondern es geht um ein Problem der Berufshaftpflicht für einen Teil der Hebammen und bei einem kleinen Teil der Geburten. Aber ganz klar ist: Dieses Problem muss dringend gelöst werden. Die Hebammen sollen sich nicht länger von einer Vereinbarung mit den Krankenkassen zur anderen hangeln müssen. Auch die Versicherungswirtschaft darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Antrag der Grünen geht insofern in die richtige Richtung, als eine langfristige Neuordnung der Berufshaftpflicht für die Gesundheitsberufe gefordert wird. Aber über diese Überlegungen besteht ohnehin Konsens zwischen allen Akteuren. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach?) Wir müssen jedoch auch die langfristigen Perspektiven für die Geburtshilfe sehr viel mehr in den Fokus rücken. Mit Blick auf die Trends und Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung ist die Haftpflicht letztlich nur ein Thema unter vielen, wenn auch ein drängendes. Der Blick auf andere wichtige Fragestellungen darf hierdurch jedoch nicht verstellt werden. Die Geburtshilfe in der Fläche, im unterversorgten ländlichen Raum, muss auch bei weiter sinkenden Geburtenzahlen sichergestellt sein. Das gilt für Geburten im Krankenhaus ebenso wie für Hausgeburten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Geburtshilfe ist aber auch hier nur Teil einer Debatte um künftige Versorgungsstrukturen und damit Teil eines ohnehin notwendigen Gesamtkonzeptes. Die hohe Anzahl der Entbindungen durch Beleghebammen ist ein Beispiel, wie Krankenhäuser schon jetzt mit Sparzwängen umgehen: Geburtsstationen werden abgebaut, Leistungen werden outgesourct und an Beleghebammen abgegeben. Natürlich garantieren Beleghebammen das Wahlrecht der Frauen, sich – völlig zu Recht – eine Hebamme ihres Vertrauens auszusuchen. Aber mir als Sozialdemokratin wäre es natürlich schon lieber, diese Hebammen hätten dann eine ordentlich bezahlte Festanstellung und eine vom Krankenhaus bezahlte Haftpflichtversicherung und kein prekäres, freiberufliches Arbeitsverhältnis, mit dem sie kaum über die Runden kommen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU]) Im Rahmen der ärztlichen Versorgung beginnt ja gerade eine kritische Diskussion über die Freiberuflichkeit. Warum sollten wir dann ausgerechnet bei Hebammen den umgekehrten Weg einschlagen? Natürlich müssen wir zunächst für die freiberuflichen Hebammen in der ambulanten Versorgung nach einer nachhaltigen Lösung suchen. Sie müssen in künftige demografiefeste Versorgungsstrukturen eingebunden und auskömmlich vergütet werden. Die notwendige Lösung der Haftpflichtproblematik, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann allerdings nur der Startschuss für eine weiter gehende Debatte sein. Damit wird sich die SPD in den nächsten drei Jahren intensiv beschäftigen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Nächster Redner in der Debatte ist Erich Irlstorfer – ich hoffe, ich habe es einigermaßen bayerisch ausgesprochen – für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir besprechen heute einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur aktuellen Debatte über Hebammen. Das heutige Thema ist seit Wochen Gegenstand breiter gesellschaftlicher Diskussionen. In den vergangenen Jahren sind die Kosten für die Haftpflichtversicherung der Hebammen drastisch gestiegen. Sie haben sich in zehn Jahren nahezu verzehnfacht. Die Prämien liegen aktuell bei 4 000 bis 5 000 Euro pro Jahr. Angestellte Hebammen sowie solche, die keine Geburtshilfe leisten, sind von den Kostensteigerungen nicht betroffen. Grund für die Kostensteigerungen sind die hohen Summen, die inzwischen vor Gerichten für Geburtsschäden erstritten werden. Anders als von einigen angenommen – das möchte ich in dieser Diskussion betonen –, hat sich die Höhe der Haftpflichtprämien nicht aufgrund einer Zunahme von Hebammenfehlern erhöht. Dank des medizinischen Fortschritts können Menschen mit Behinderungen in der Folge solcher Fehler mit ihren Beeinträchtigungen deutlich länger als früher leben. Daher sind die Schadensersatzsummen deutlich angestiegen. Als Union haben wir die Situation der Hebammen auch weiterhin im Blick. Die zuvor schon mehrfach angesprochene Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Hebammenverbände wurde einberufen, um sämtliche wichtigen Aspekte der Hebammenversorgung näher zu untersuchen. Zur Klärung der Problematik ist auch – ich glaube, das ist wichtig – der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft mit einbezogen worden. Der Abschlussbericht dieser Arbeitsgruppe befindet sich gerade in der Abstimmung mit den Hebammenverbänden und wird demnächst veröffentlicht; der Herr Minister hat es gesagt. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist aus meiner Sicht wichtig, diese Debatte auf Grundlage von Daten und Fakten zu führen. Fakt ist eine Explosion der Haftpflichtprämien für – nach Angaben des Deutschen Hebammenverbandes – etwa 3 500 freiberufliche Hebammen sowie der Ausstieg der Nürnberger Versicherung aus der Hebammenversicherung. Dies könnte nicht nur zu einer Bedrohung dieses Berufsstandes, sondern damit auch zu Versorgungsproblemen in der Geburtshilfe führen. Richtig ist aber auch: Wenn immer weniger freiberufliche Hebammen Geburtshilfe anbieten können, wird in Zukunft das Recht auf Wahlfreiheit des Geburtsortes nicht mehr gewährleistet sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schon jetzt gibt es sowohl in den städtischen Ballungsräumen als auch in dünner besiedelten Gebieten Engpässe in der Versorgung durch freiberufliche Hebammen. Richtig, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist aber auch: Ein Großteil der Freiberuflerinnen hat sich längst auf die Vor- und Nachsorge spezialisiert. Die Zahl der Hausgeburten ist eher gering. Die Zahl der Kinder, die in Deutschland außerhalb von Kliniken geboren werden, liegt seit Jahren zwischen rund 10 000 und 12 500 Kindern; diese Zahlen sind für mich nicht unerheblich, aber so sind die Zahlen. Die meisten Frauen, die ein Kind erwarten – das darf man nicht verschweigen –, gehen aus Sicherheitsgründen zur Geburt lieber in ein Krankenhaus. (Beifall bei der CDU/CSU) Als Abgeordneter der CSU vertrete ich die Ansicht, dass es auch in Zukunft die freie Entscheidung einer werdenden Mutter bleiben muss, ob sie zu Hause, in einem Geburtshaus oder in einem Krankenhaus entbinden möchte. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) In allen genannten Bereichen muss die Qualität der Versorgung gewährleistet bleiben. Eine moderne Gesundheitspolitik geht vom Lebensanfang bis zum Lebensende. Auch vor diesem Hintergrund muss sie sich an der Qualitätsfrage orientieren. (Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]) Verschiedene medizinische Studien zeigen, dass Hausgeburten gefährlicher ablaufen können – ich sage bewusst: können – als Geburten in Kliniken. Viele Hausgeburten enden im Krankenhaus. Hier ist eine umfassende Beratung der werdenden Eltern absolut notwendig. Auch muss über mögliche Konsequenzen in Haftungsfragen diskutiert werden, wenn sich Eltern freiwillig und bewusst für diese Form der Geburt entscheiden. Für uns als CDU/CSU-Fraktion ist klar: Die Versorgung in der Fläche im Bereich der Geburtshilfe muss gewährleistet bleiben. Zugleich stehen wir dazu, dass Hebammen angemessen vergütet werden müssen und die Haftpflichtproblematik endlich gelöst wird. Lassen Sie uns aber bitte den Bericht der Arbeitsgruppe abwarten. Nur so kann eine zielgerichtete Diskussion auf der Grundlage von Fakten geführt werden. Sich vor Kenntnis sämtlicher Aspekte über eine bestimmte Fragestellung zu unterhalten, kann nicht Sinn der Sache sein. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss: Zum Teil sind die im Antrag der Grünen geforderten Punkte, wie die Abbildung der Kostensteigerungen in der Vergütung, bereits umgesetzt worden, andere werden derzeit noch in den jeweiligen Institutionen diskutiert. Aber ich sage auch: Alle Beteiligten und Betroffenen brauchen dauerhaft tragfähige und finanzierbare Lösungen. Das ist notwendig. Deshalb glaube ich, dass es richtig ist, wenn dem vorliegenden Antrag heute nicht zugestimmt wird. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. Das ganze Haus gratuliert Ihnen von Herzen zu Ihrer ersten Rede zu einem sehr schönen Thema. (Beifall) Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrer weiteren Arbeit im Deutschen Bundestag. Nächste Rednerin ist Marina Kermer von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marina Kermer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, das Thema der heutigen Debatte beschäftigt uns nun schon seit Jahren. Bisher wurde keine langfristig tragbare Lösung gefunden. Das ist auf Dauer weder für die Hebammen noch für die werdenden Mütter haltbar. Deshalb werden wir das ändern. Das hat Minister Gröhe bereits erklärt, und ich habe keinen Zweifel daran, dass uns das gelingt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Über die nunmehr abzuwartenden Modellvorschläge werden wir dann mit Sicherheit sachlich reden. Bis dahin kann man nur ein paar der Annahmen aus dem heute vorliegenden Antrag diskutieren und die eine oder andere Behauptung geraderücken. Wir wissen: Hebammen leisten unverzichtbare Arbeit vor, bei und immer stärker auch nach der Geburt; verstärkt auch für Frauen, die stationär entbunden haben. Durch die kürzere Verweildauer im Krankenhaus nach einer Entbindung wird die fachliche Nachsorge zu Hause immer wichtiger. Dazu kommen gesellschaftliche Faktoren. Den klassischen Familienverband gibt es immer seltener und damit auch weniger direkte Hilfe und Unterstützung durch Familienangehörige. Hebammen sind vor Ort, bei den Familien und können besonders nach der Geburt erste Warnzeichen der Überforderung erkennen und die Familien direkt unterstützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE]) Wenn wir uns klar dazu bekennen, dass wir die Arbeit der Hebammen wollen, müssen wir die Rahmenbedingungen so gestalten, dass sie ihre Arbeit verantwortungsvoll ausführen und davon auch leben können. Ich denke, darin sind wir uns alle im Hause einig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Uneinig sind wir uns bei der Bewertung der gegenwärtigen Versorgungslage. Der überwiegende Teil der Geburten findet in Krankenhäusern statt. Nur rund 1,7 Prozent der Geburten erfolgen nicht stationär. In den Krankenhäusern gab es laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2012 circa 888 Fachabteilungen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit rund 33 400 Betten. Der Nutzungsgrad der Betten lag bei 58,1 Prozent. Damit arbeiten die Krankenhäuser noch nicht an ihrer Kapazitätsgrenze. Ich finde es nicht richtig, Ängste zu schüren; denn wir gehen nicht sehenden Auges in eine Unterversorgung bei der Geburtshilfe. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bei der Vielfalt der Geburtshilfe!) Was die Erreichbarkeit von Krankenhäusern mit Geburtshilfe angeht, wurde im IGES-Gutachten festgestellt: Für die Mehrheit der Frauen, nämlich für 88 Prozent, sind Krankenhäuser mit einer Entfernung von unter 10 Kilometern zu erreichen. Auch das spricht für eine gute stationäre Versorgung. Richtig ist: Es gibt gerade in ländlichen Räumen Regionen, die nicht optimal durch stationäre Angebote versorgt sind. Hier müssen wir ansetzen. Denn die Wahlfreiheit zwischen stationärer und nichtstationärer Entbindung setzt voraus, dass sich ein Krankenhaus im Notfall in Reichweite befindet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE]) Darüber hinaus kommen bei 20 Prozent der geplanten außerklinischen Geburten die Kinder doch im Krankenhaus zur Welt. Ein Gedanke fehlt im vorliegenden Antrag völlig: Das bloße Vorhandensein einer Versorgungseinrichtung garantiert nicht automatisch eine qualitativ gute Versorgung, so wie das bloße Vorhandensein von Hebammen noch keine sichere Geburt garantiert. Wir haben das Thema „flächendeckende Versorgung und Qualität“ in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle daran erinnern, worum es uns primär geht. Es geht nicht nur um Haftpflichtversicherungsprämien und die Frage, ob und wie lange sich die Ausübung des Berufs der Hebamme finanziell rechnet. Es geht um Menschenleben – um das der Kinder und der Mütter. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ja, die Entscheidung für eine Hebamme ist eine ex-trem emotionale Entscheidung. Nach einer langen, oft sehnsüchtig erwarteten Schwangerschaft steht der Geburtstermin bevor. Neben der Vorfreude auf das Baby gibt es auch Sorge und Angst im Hinblick darauf, dass die Geburt für Mutter und Kind hoffentlich gut verlaufen wird. Genau dann hat man die wichtige Entscheidung über die Art der Entbindung zu treffen, und zwar für sich und das Kind. Deshalb sollten die werdenden Eltern wissen, welche Hebamme wie viele Geburten mit welchen Erfolgen oder Komplikationen aufweisen kann, bevor sie sich entscheiden – entscheiden für eine stationäre oder außerstationäre Entbindung, mit der Hebamme des Vertrauens in der Klinik, im Geburtshaus oder in der vertrauten familiären Atmosphäre. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Kermer. Auch für Sie vom ganzen Haus Beifall für Ihre erste Rede. (Beifall) Wir wünschen Ihnen von Herzen eine gute Arbeit hier im Deutschen Bundestag. Nächste und abschließende Rednerin in dieser Debatte ist Dr. Katja Leikert für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass ich meine erste Rede im Deutschen Bundestag zu dem wichtigen Thema der Hebammen halten darf. Es gibt wohl wenige so bedeutsame Veränderungen im Leben wie die Geburt eines Kindes, und es ist für die Eltern gut, in dieser Situation auf die Hilfe der Hebammen setzen zu können. Es ist noch gar nicht so lange her, da war ich selbst sehr dankbar, dass ich den Beistand von Hebammen hatte. Meine Kinder sind jetzt vier und sechs Jahre alt, und ich erinnere mich noch genau, wie wichtig mir die Unterstützung durch meine Hebamme war. Hebammen geben uns die Sicherheit, die wir brauchen, um in die Elternrolle hineinzuwachsen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir von der CDU/CSU wissen, wovon wir reden. Ich habe mir einmal erlaubt, nachzuzählen: Allein unsere Fraktion kommt auf 524 Kinder; das sind 1,7 Kinder pro Abgeordnetem. (Beifall bei der CDU/CSU) Und wir reden nicht nur, wir handeln auch; Minister Gröhe hat das ausgeführt. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt würde ich ja gerne eine Nachfrage stellen; ich lasse es aber, Frau Kollegin. Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): Wie ist das in Nordrhein-Westfalen, wo Rot-Grün regiert? Hier wurde 2012 ein Runder Tisch Geburtshilfe angekündigt; erst in diesem Jahr hat der Runde Tisch zum ersten Mal getagt. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Anders als die lautstarken Stimmen der Grünen – wie wir sie eben gehört haben – es dargestellt haben, haben wir in der letzten Legislatur den Stellenwert von Hebammen insgesamt erheblich verbessert. (Beifall bei der CDU/CSU) Gerade was die Unterstützung von zumeist jungen Familien in schwierigen Lebenslagen betrifft, war es eine sehr wichtige Entscheidung der christlich-liberalen Koalition, das Modell der Familienhebammen einzuführen. Es ist kein Zufall, den Kinderschutz mit den Hebammen zu verknüpfen, da die Hebammen ganz eng an den Eltern dran sind und sich Zugänge erschließen, die offizielle Behörden so gar nicht aufbauen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Familienhebammen haben eine Brückenfunktion und leisten dadurch einen wichtigen Beitrag zum Wohle der Kleinsten. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an dieser Stelle Hermann Gröhe ganz ausdrücklich dafür danken, dass er sich so kurz nach seiner Nominierung als Minister des Themas der Haftpflichtproblematik engagiert angenommen hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben es eben schon mehrmals gehört: Gerade die enorm gestiegenen Prämien der Berufshaftpflicht für die freiberuflichen Hebammen – es ist wichtig, da zu differenzieren – in der Geburtshilfe sind zu einer existenzbedrohenden Belastung geworden. Ich denke, von der heutigen Debatte geht ein klares Signal an die Hebammen aus: Wir werden dafür sorgen, dass zukünftig jede Hebamme eine bezahlbare Versicherung erhält. Es ist jetzt wichtig, dass der bereits angesprochene interministerielle Bericht schnell vorgelegt wird und schnell Lösungen angeboten werden. Ich sage aber auch, dass die Selbstverwaltung und insbesondere die Versicherungen aufgefordert sind, sich konstruktiv an der Lösung des Problems zu beteiligen und ihre gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Darüber hinaus haben wir bereits im Koalitionsvertrag ein klares Bekenntnis zum Erhalt der flächendeckenden Hebammenversorgung abgelegt. Insofern können sich die Hebammen darauf verlassen, dass eine Regelung in ihrem Sinne – und damit natürlich auch im Sinne aller Eltern – gefunden wird. Abschließend möchte ich gerne noch einen Punkt ansprechen – es ist ein eher frauenpolitischer Punkt –: Ich finde es ganz großartig, dass die Hebammen ihre politischen Forderungen hier in Berlin so klar zur Sprache gebracht haben. Es gibt wohl keinen Abgeordneten und keine Abgeordnete, der oder die bisher keinen Brief von den Hebammen erhalten hat. Am Freitag – das wissen Sie alle – ist der Equal Pay Day. Dabei geht es um die Entlohnung in klassischen Frauenberufen. Gerade die finanzielle Würdigung der Arbeit rund um die Geburtshilfe sollte in einem Land, das seit Jahren über Kindermangel debattiert, eine Selbstverständlichkeit sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Und es ist richtig, dass auch die Vergütung von Hebammenleistungen in der freiberuflichen Geburtshilfe in den letzten Jahren verbessert wurde. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluss noch einmal unsere Anliegen zusammenfassen. Wir setzen uns für eine flächendeckende Versorgung im Bereich der Geburtshilfe ein, wir wollen die Wahlfreiheit von Eltern sicherstellen, aber auch an ihre damit verbundene Verantwortung appellieren, wir setzen uns für eine angemessene Vergütung der Hebammen ein, und wir sorgen schnellstmöglich für eine befriedigende Lösung in der Haftpflichtfrage. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Leikert. Das Haus gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. (Beifall) Zu Ihrer Anregung. Sie haben von 1,7 Kindern pro CDU/CSU-Abgeordneten gesprochen. Vielleicht lassen wir den Wissenschaftlichen Dienst checken, wie das bei den anderen Fraktionen aussieht. Dann wissen wir, ob dort auch gearbeitet wird. (Heiterkeit – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Spitzenreiter wollen wir wissen!) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/850 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen; Herr Kollege Irlstorfer, es wird heute also nicht abgestimmt, sondern überwiesen. Sind Sie damit einverstanden? – Ja, Sie sind einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 e sowie Zusatzpunkt 3 auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Aufhebung des Beschlusses 2007/124/EG, Euratom des Rates Drucksache 18/824 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit b) Erste Beratung des von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 39, 44, 45 a, 93) Drucksache 18/838 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Matthias W. Birkwald, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Renten für Leistungsberechtigte des Ghetto-Rentengesetzes ab dem Jahr 1997 nachträglich auszahlen Drucksache 18/636 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Herbert Behrens, Sabine Leidig, Thomas Lutze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland Drucksache 18/806 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsauschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das psychiatrische Entgeltsystem überarbeiten und das Versorgungssystem qualitativ weiterentwickeln Drucksache 18/849 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ZP 3 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Umsetzung der Grundbuchamtsreform in Baden-Württemberg Drucksache 18/70 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 i auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 20 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. April 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay über Soziale Sicherheit Drucksache 18/272 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/864 Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/864, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/272 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung von allen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 20 b: Beratung der Beschlussempfehlungen und Berichte des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Hansjörg Durz, Axel Knoerig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Wolfgang Tiefensee, Lars Klingbeil, Matthias Ilgen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Technologie-, Innovations- und Gründungs-standort Deutschland stärken – Potenziale der Digitalen Wirtschaft für Wachstum und nachhaltige Beschäftigung ausschöpfen und digitale Infrastruktur ausbauen Drucksachen 18/764 (neu), 18/872 – zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Herbert Behrens, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Digitale Gründungen unterstützen – Zukunftsfähige Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft schaffen Drucksachen 18/771, 18/873 Wir stimmen zunächst über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Technologie-, Innovations- und Gründungsstandort Deutschland stärken – Potenziale der Digitalen Wirtschaft für Wachstum und nachhaltige Beschäftigung ausschöpfen und digitale Infrastruktur ausbauen“ ab. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/872, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/764 (neu) anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und SPD angenommen, bei Ablehnung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Hammelsprung! – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) – Das war, glaube ich, ein spaßiger Zwischenruf. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Digitale Gründungen unterstützen – Zukunftsfähige Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/873, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/771 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Neinstimmen der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 20 c bis 20 i. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Liebe Besucher auf der Tribüne, es tut mir leid, aber ich kann Ihnen das jetzt nicht im Einzelnen erklären. Sie werden nun erleben, wie im Rahmen des Petitionsverfahrens abgestimmt wird. Tagesordnungspunkt 20 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 21 zu Petitionen Drucksache 18/785 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 21 angenommen. Tagesordnungspunkt 20 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 22 zu Petitionen Drucksache 18/786 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 22 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordungspunkt 20 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 23 zu Petitionen Drucksache 18/787 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 23 mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 20 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 24 zu Petitionen Drucksache 18/788 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 24 ist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 20 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 25 zu Petitionen Drucksache 18/789 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 25 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Linken bei Neinstimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 20 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 26 zu Petitionen Drucksache 18/790 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 26 bei Zustimmung von CDU/CSU- und SPD-Fraktion, Neinstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 20 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 27 zu Petitionen Drucksache 18/791 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 27 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Neinstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ Drucksache 18/845 Dazu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 18/845 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Wahlvorschlag von allen Mitgliedern hier im Hohen Haus einstimmig angenommen. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung von zwei Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu zwei Anträgen auf Genehmigung zur Fortsetzung eines Strafverfahrens zu erweitern und diese jetzt als Zusatzpunkte 7 und 8 aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Somit rufe ich jetzt die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) Antrag auf Genehmigung zur Fortführung eines Strafverfahrens in der 18. Wahlperiode Drucksache 18/876 ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) Antrag auf Genehmigung zur Fortführung eines Strafverfahrens in der 18. Wahlperiode Drucksache 18/877 Bevor wir zur Abstimmung über die beiden soeben genannten Beschlussempfehlungen kommen, erteile ich nach § 31 der Geschäftsordnung Katja Kipping für die Linke das Wort. Katja Kipping (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Ich möchte eine persönliche Erklärung abgeben, warum ich gegen die hier vorliegenden Beschlussvorlagen stimmen werde; das ist für mich eine sehr persönliche Angelegenheit. Sie von der Union, den Grünen und der SPD haben im Ausschuss der Aufhebung der Immunität von Caren Lay und Michael Leutert zugestimmt. Sie behandeln das als eine rein formale Angelegenheit; vielleicht haben Sie damit, rein formalistisch gesehen, auch recht. Aber hier handelt es sich eben nicht um eine formale Angelegenheit. Das, was wir in Dresden jahrelang am 13. Februar erleben mussten, war alles andere als eine Formalie. (Beifall bei der LINKEN) Jahrelang habe ich mich als Dresdnerin geschämt, weil meine Heimatstadt am 13. Februar zum Gebiet für den europaweit größten Naziaufmarsch wurde. Jahrelang mussten wir erleben, wie die Nazis das stille Gedenken der Dresdner für ihre Form von braunem Geschichtsrevisionismus missbraucht haben. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Ist das zur Geschäftsordnung?) Wie Sie wissen, haben wir immer Gegenaktionen durchgeführt, Kundgebungen mit Kerzen. Sie waren natürlich symbolisch wichtig. Aber sie wirkten angesichts der Fackelzüge der braunen Brut, die ungehindert durch die Dresdner Innenstadt gezogen ist, verdammt hilflos. Vor diesem Hintergrund war ich froh, als sich endlich ein breites Bündnis gefunden hat, das gesagt hat: Das müssen wir ändern! – Tausende, ja Zehntausende haben sich entschieden: Wir stellen uns den Nazis friedlich, aber entschieden in den Weg. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Darunter waren auch Caren, Micha, ich und viele weitere Abgeordnete aus unterschiedlichen Fraktionen. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch aus anderen Parteien!) – Ja, auch aus anderen Parteien. Wenn man wusste, wie sich die braune Gewalt in Sachsen ausgeweitet hat, und wenn man, wie ich, erlebt hat, wie diese braune Brut ungehindert durch die Dresdner Innenstadt zog, dann konnte man sich an diesem Tag nicht hinter Formalien verstecken. Da gab es einfach etwas, das größer war. In mir hat alles gerufen: Hier musst du deinem Gewissen folgen! Hier musst du Gesicht zeigen! Hier kannst du nicht fragen, ob wirklich jede Sitzblockade genehmigt ist! – Ich bin froh, dass viele so gedacht haben. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) Die vielen haben dabei viel auf sich genommen. Es war an diesem Tag verdammt kalt. An vielen Kreuzungen gab es keine Toilette. Eine drückende Blase, kalte Füße – das war das Mindeste, was man in Kauf genommen hat. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist Zivilcourage!) Heute geht es um die Aufhebung der Immunität von Caren Lay und Michael Leutert. Da ich mit beiden auf derselben Kreuzung war, weiß ich, dass auch andere Abgeordnete, auch Abgeordnete anderer Fraktionen, dort waren. Natürlich steht die Frage im Raum: Warum geht es heute nur um die Aufhebung der Immunität dieser beiden? Die Antwort ist ganz einfach: Es war ein NPD-Anwalt, der sich im Nachhinein Zeitungsfotos angeschaut hat, um willkürlich Strafanzeige gegen bekannte Gesichter zu erheben. Es war also ein Anwalt jener Nazipartei, deren Vertreter im Sächsischen Landtag vom „Bomben-Holocaust“ gesprochen und damit eines der schlimmsten Menschheitsverbrechen der Geschichte verharmlost haben. Können Sie sich vorstellen, wie das in den Ohren der Jüdischen Gemeinde klingt? Wir hatten in Dresden einst eine sehr reiche jüdische Gemeinde mit 5 000 Mitgliedern. Nur 41 davon haben den Holocaust in Dresden überlebt. Sie müssen sich heute Hohn und Spott von den Nazis gefallen lassen, und deren Anwalt erstattet jetzt eine Strafanzeige. Ich finde, mit solchen Nazianwälten darf man sich nicht gemein machen! (Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das macht doch auch niemand!) – Ja, Sie schütteln den Kopf, weil Sie das offensichtlich immer noch als eine Formalie behandeln. Ich sage Ihnen: Teile der sächsischen Justiz und der sächsischen Polizei sehen das offensichtlich anders als ich. Sie sind verdammt eifrig, wenn es darum geht, die antifaschistische Zivilcourage zu kriminalisieren. Reden wir über den Fall von Pfarrer König: Das Verfahren musste inzwischen eingestellt werden, weil man festgestellt hat, dass die Polizei entlastende Beweise einfach unterschlagen hat, und weil man festgestellt hat, dass einseitig ermittelt worden ist. Einem jungen Familienvater drohen jahrelange Haftstrafen. Flächendeckend wurden die Telefone Zehntausender Leute einfach überwacht. Gleichzeitig versagt ebenjener sächsische Sicherheitsapparat, wenn es darum geht, Opfer von brauner Gewalt zu schützen. Sie alle haben sicherlich von dem jungen Paar in Hoyerswerda gehört. Die beiden sind bekennende Antifaschisten. Nazis sind in ihre Wohnung eingebrochen und haben der Frau sogar eine Vergewaltigung angedroht. Die sächsischen Sicherheitsbehörden wussten nichts zu deren Schutz zu tun. Sie mussten umziehen, mussten die Stadt verlassen. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was ist das denn für eine Erklärung?) Wenn ich den Eifer bei der Verfolgung und Kriminalisierung von antifaschistischer Zivilcourage und das jämmerliche Versagen, wenn es um den Schutz der Opfer brauner Gewalt geht, gegenüberstelle, muss ich sagen: Dafür fehlen mir jegliche zivilisierten Worte. Das finde ich beschämend und peinlich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich komme zum Schluss. Die heutige Immunitätsaufhebung ist nur ein Mosaikstein in diesem größeren Gebilde. Deswegen stimme ich dagegen. Als Dresdnerin und Demokratin sage ich: Danke schön! Ein Danke an all jene, die trotz Schikane und klirrender Kälte mit dazu beigetragen haben, dass der europaweit größte Naziaufmarsch in Dresden Geschichte wird. Auch in Zukunft muss gelten: Kein Fußbreit den Nazis! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Kein Satz zur Sache!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Um das noch einmal klarzustellen: Das war eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung. Den Eindruck, der möglicherweise entstanden ist, dass sich diejenigen, die dem Antrag zustimmen, mit den Anliegen von Nazianwälten gemein machen, weise ich zurück. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Unerhört!) Das Wort hat nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Kollege Wadephul. Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten eigentlich vereinbart, hierzu nicht zu sprechen. Dennoch möchte ich nun als Vorsitzender des Ausschusses in aller Kürze das aufnehmen, was die Frau Präsidentin gesagt hat. Wir haben in dieser Wahlperiode, uns dabei auf umfängliche Erörterungen in der vergangenen Wahlperiode stützend, in unserem Ausschuss unter einer intensiven Teilnahme aller Beteiligten eine Entscheidung getroffen. Unter rein immunitätsrechtlichen Gesichtspunkten hatten wir die Frage zu entscheiden, ob wir der Durchführung des entsprechenden Verfahrens zustimmen, ja oder nein. Weil es unsere Arbeit diskreditieren würde, kann ich nicht akzeptieren, dass Sie uns im Ansatz unterstellen, damit eine politische Meinungsäußerung zu verbinden, die irgendein Mitglied des Ausschusses auch nur in die Nähe von faschistischen Umtrieben bringen könnte. Ich kann auch nicht akzeptieren, dass Sie ein Verfahren, was sich dieses Hohe Haus auf der Grundlage des Grundrechtsschutzes der Immunität gegeben hat, als formalistisch diskreditieren. Formalien haben in einem Rechtsstaat ihren Sinn und ihren Zweck. Sie zu erfüllen, ist manchmal nicht leicht. Unabhängig davon sollten wir den Konsens der Demokraten gerade bei der Bekämpfung von faschistischen Umtrieben nicht infrage stellen. Ich würde es für sinnvoll halten, wenn entsprechende Auseinandersetzungen, auch über die Frage der Demons-tration dort in Dresden, in einem anderen Rahmen als diesem geführt würden, wenn die Mitglieder dieses Ausschusses, die sich die Sache nicht leicht gemacht haben, nicht in dieser Art und Weise angegriffen werden würden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung hat Britta Haßelmann für Bündnis 90/Die Grünen. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Da ich an der Abstimmung mitgewirkt habe, darf ich, glaube ich, im Gegensatz zu Ihnen, Frau Kipping, hier auch eine persönliche Erklärung abgeben. Sie nutzen ja anscheinend das Forum, um eine politische Erklärung abzugeben und vor allen Dingen um alle, die Ihre Auffassung nicht teilen, zu diskreditieren und hinsichtlich der Neonazi-Aufmärsche in Dresden in eine Ecke zu stellen, die völlig inakzeptabel ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Es gibt keinen Grund dafür. Sie wissen genauso gut wie ich, wie Monika Lazar, wie viele andere von uns, die mit anderen Leuten zusammen in Dresden auf der Straße gestanden haben, (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das habe ich gesagt!) dass es wichtig ist, Zivilcourage zu zeigen. Sie machen aber wieder den Fehler, zu verwechseln, dass es hier um ein Verfahren in einer Immunitätssache geht und nicht darum, zu beurteilen, ob man Nazis in Deutschland Raum gibt oder nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Es gibt über 200 Ermittlungsverfahren, über 200 Menschen mussten sich der Justiz gegenüber verantworten. (Zuruf von der LINKEN) Woher leiten Sie eigentlich das Recht ab, dass zwei von Ihnen, zwei von uns aus dem Deutschen Bundestag, sich durch Nichtaufhebung ihrer Immunität einem solchen Verfahren entziehen können sollen? (Katja Kipping [DIE LINKE]: Es geht nicht um uns! Es geht um die politische Symbolik dahinter! – Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Damit würden Sie den anderen helfen! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Zivilcourage bedeutet nicht, dass wir ein Privileg gegenüber anderen Bürgerinnen und Bürgern haben, wenn es um Ermittlungen geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Wann verstehen Sie das? Ich habe es einfach satt, wenn Zivilcourage wie eine Monstranz vor uns hergetragen wird. Ich schätze wahnsinnig viele Leute, die sich engagieren, die dafür auch Sachen in Kauf nehmen, die verdammt schwer auszuhalten sind; aber nichts rechtfertigt, wenn man als Abgeordneter glaubt, anders behandelt werden zu können (Max Straubinger [CDU/CSU]: Jawohl!) als jede Bürgerin und jeder Bürger in diesem Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Ich muss dann auch mit diesen Folgen rechnen und kann doch, verdammt noch mal, dann nicht darauf hoffen, dass, weil ich den Status einer Abgeordneten habe, das, was für andere gilt, für mich nicht gilt. Das finde ich wirklich problematisch an der Frage. Das ist ein Fall aus der 17. Wahlperiode. Ich will mich in der Sache dazu gar nicht äußern; (Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie haben auch noch schlampig gearbeitet!) das ist hier nicht der Ort dafür. Sie wissen, dass das ein internes Verfahren ist. Ich bin neu in diesem Ausschuss. Ich habe extra Akteneinsicht genommen. Ich kann nicht verstehen, wieso Sie einem solchen Verfahren an der Stelle widersprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. Zur Erklärung: In diesem Verfahren sind keine Zwischenbemerkungen bzw. Zwischenfragen möglich. Deswegen konnte ich der Bitte von Christian Ströbele nicht entsprechen. Aber der Kollege Dr. Gysi hat, wenn er will – das ist mir gerade angekündigt worden –, nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung die Möglichkeit, eine Erklärung zur Abstimmung abzugeben. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ganz kurz: Im Fall André Hahn, den die gleiche Angelegenheit betrifft, haben SPD und Grüne im Sächsischen Landtag gegen die Aufhebung der Immunität gestimmt. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt sage ich etwas zu Ihrem Argument, weil es mich ärgert, wenn Sie sagen, es geht um Privilegien für zwei Leute im Unterschied zu anderen. Ganz im Gegenteil, wenn der Bundestag in diesem Falle sagte: „Wir heben die Immunität nicht auf“, hätten wir allen anderen geholfen. Das wäre entscheidend gewesen. Danke. (Beifall bei der LINKEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das von einem Rechtsanwalt!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Es gibt jetzt eine ganze Reihe von persönlichen Erklärungen, die nach unseren Regeln zu gewähren sind. Dürfte ich einmal ganz kurz die Parlamentarischen Geschäftsführer zu mir bitten? (Die Parlamentarischen Geschäftsführer begeben sich zum Präsidium – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Die Erklärungen können ja schriftlich eingereicht werden!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, das ist ein hochemotionales Thema; aber die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer haben sich darauf geeinigt, vorzuschlagen, dass diejenigen, die sich jetzt noch für eine Erklärung zur Abstimmung gemeldet haben, diese Erklärung bitte schriftlich einbringen, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) weil wir sonst eine riesenlange Debatte bekommen und ich nicht weiß, wo ich anfangen und wo ich aufhören soll. Ich bitte, das anzunehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Christian Ströbele, bitte. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Entweder wir machen das so, oder wir machen das nicht so! Es kann keine Sonderregelung für Herrn Ströbele geben!) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin, ich bin damit nicht einverstanden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) In der Geschäftsordnung steht, dass man eine persönliche Erklärung abgeben kann. Sie können höchstens sagen: nach der Abstimmung. Ich rede auch gerne nach der Abstimmung, wenn Sie das wünschen. Aber dass wir überhaupt nichts dazu sagen können, ist ein ernstes Problem hier. Ich möchte mich auch dazu äußern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es geht hier nicht um Stunden, sondern vielleicht um zehn Minuten, die das hier länger dauert. Vizepräsidentin Claudia Roth: Nein, es geht nicht um zehn Minuten, sondern um sehr viel mehr, weil sich noch sehr viele Kollegen gemeldet hätten. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na und? Großes Interesse!) Es ist nicht so, dass Sie gar nichts sagen dürfen, sondern ich habe die große Bitte, dass Sie Ihre Erklärungen, wie bei anderen Abstimmungen auch, schriftlich abgeben. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann denn?) Ich bitte Sie sehr, dem zuzustimmen, was die Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen jetzt vereinbart haben, weil das Instrument sonst dazu führt, dass uns die Zeit ein bisschen aus dem Ruder läuft. Sind Sie einverstanden? – Vielen Dank. Ich bitte Christian Ströbele und alle anderen, ihre Erklärungen zur Abstimmung schriftlich abzugeben.1 Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die zwei Beschlussempfehlungen. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt in seinen Beschlussempfehlungen auf den Drucksachen 18/876 und 18/877, die Genehmigungen zur Fortführung von Strafverfahren in der 18. Wahlperiode zu erteilen. Zusatzpunkt 7. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/876? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Ablehnung der Linken, einiger Kolleginnen und Kollegen der SPD und einer Kollegin sowie eines Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich bedanke mich für Ihr Einsehen, Ihre Erklärungen schriftlich abzugeben, weil wir sonst tatsächlich außerhalb unseres Zeitrahmens gekommen wären. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soll ich mich jetzt hinsetzen und etwas schreiben, oder was? – Gegenruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja klar!) Zusatzpunkt 8. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/877? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Linken angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Drucksache 18/843 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Dr. Patrick Sensburg für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, dass wir nach dieser doch sehr aufgeheizten Debatte wieder zur Sache zurückkommen, diesen Sachgegenstand, der genauso viel Brisanz bietet, gemeinschaftlich, gemeinsam debattieren und den Untersuchungsausschuss einsetzen können. Ich glaube, dass wir am Anfang einer Zeit sind, in der wir auf der einen Seite realisieren, dass uns die neuen Medien – auch das Internet – unheimliche Chancen bieten, während wir auf der anderen Seite aber auch erkennen müssen, dass der Bereich der neuen Medien – das gilt auch für das Internet – kein schrankenloser, unreglementierter Raum sein darf und auch Staaten und große Unternehmen Regeln und Schranken brauchen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber auch kein grundrechtsfreier Raum!) Ich bin sehr glücklich, dass wir uns über alle Fraktionen hinweg einig sind, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, und dass wir schon nach der Debatte am 13. Februar erkannt haben, dass die verdachtsunabhängige massenhafte Erfassung und Auswertung von Daten deutscher Bürger und Unternehmen nicht hinnehmbar sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auf den Einwurf der Kollegin Wawzyniak vom 13. Februar möchte ich kurz eingehen. Ihr Einwurf war, ob das auch gilt, wenn staatliche Institutionen in Deutschland das so handhaben würden. Das sehe ich genauso. Gerade vor dem Hintergrund dessen, was wir in den letzten Tagen hören mussten, muss ich sagen: Das gilt auch für deutsche Behörden. Ich glaube, das wird sicherlich einer der Prüfungspunkte des Untersuchungsausschusses werden. Nach den Beratungen im Geschäftsordnungsausschuss, in denen wir aus zwei Anträgen einen entwickelt haben, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir auch in Zukunft gemeinschaftlich unseren Prüfauftrag, unseren Untersuchungsauftrag wahrnehmen werden. Bei der personellen Ausgestaltung des Untersuchungsausschusses mit acht Mitgliedern kommen zwei Kernpunkte zum Vorschein. Der erste Punkt ist: Da wir in den nächsten Wochen und Monaten intensiv mit Daten und Informationen zu tun haben werden, die den Diensten zuzuordnen und als Geheim einzustufen sind, ist es richtig, dieses Gremium nicht zu groß werden zu lassen. Es mit acht Mitgliedern des Deutschen Bundestages zu besetzen, war, glaube ich, eine kluge Entscheidung. Der zweite Punkt. In der Besetzung mit acht Mitgliedern spiegelt sich eine weitere kluge Entscheidung wider. Es gibt den Fraktionen der Opposition die Möglichkeit, alle Rechte der Opposition wahrzunehmen; denn mit den zwei Mitgliedern, die sie stellt, wird das Quorum von 25 Prozent der Mitglieder erfüllt. Damit kann sie alle im Grundgesetz verbürgten Rechte wahrnehmen. Das ist ein guter Kompromiss, den wir in der Vorbereitung im Geschäftsordnungsausschuss getroffen haben. Das zeigt nach meiner Meinung die Gemeinschaftlichkeit in diesem Untersuchungsausschuss: Wir wollen dieses Thema gemeinsam bearbeiten und nicht gegeneinander. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben das im Untersuchungsausschuss zum NSU sehr gut gemacht. Ich hoffe, dass wir im Geist guter Zusammenarbeit auch in diesem Untersuchungsausschuss arbeiten können. Natürlich stellen Untersuchungsausschüsse grundsätzlich das klassische Recht der Opposition dar, die Regierung zu kritisieren und Fehler und Versäumnisse der Regierung aufzuzeigen. Mir scheint, dass dies bei diesem Untersuchungsausschuss nicht vordringlich ist und nicht im Vordergrund stehen sollte. Ich glaube, die Aufgabe ist deutlich größer, wenn man rekapituliert und in der Rückschau betrachtet, was wir in den letzten Wochen und Monaten erlebt und gehört haben. Von daher haben sich die Prüfaufträge, die sich in dem Einsetzungsbeschluss widerspiegeln, daran zu messen. Wir haben in einem ersten Prüfblock formuliert: Es muss klar werden, was die Staaten der „Five Eyes“ im Rahmen von Programmen entwickelt haben, sei es Prism, sei es Tempora, sei es XKeyscore und alle anderen Programme, bis hin zu Mystic, von dem wir in den letzten Tagen gehört haben. Wir müssen genau hinschauen: „Was gibt es? Was wird dort gemacht?“, damit wir uns erst einmal einen deutlichen Überblick verschaffen können. Wenn ich mir vor Augen führe, was in den letzten zwei oder drei Tagen bekannt geworden ist, wenn ich zudem aus verschiedenen Quellen erfahre, dass nicht nur die USA Mitschnitte von Telefonaten speichern, sondern vielleicht auch andere Länder, dann meine ich, dass wir überlegen sollten: Wenn sich im Laufe des Untersuchungsausschusses Erkenntnisse ergeben, die es nahe legen, den Prüfungsauftrag, den Untersuchungsauftrag zu erweitern, sollten wir das tun, nicht im Alleingang, sondern im Konsens aller Fraktionen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben schon in der Debatte am 13. Februar ganz klar darauf hingewiesen, dass wir eine massenhafte und verdachtsunabhängige Erfassung und Speicherung personenbezogener Daten ablehnen, und haben dies auch unter Punkt I.1 in den Prüfauftrag unseres Antrags aufgenommen. Ich glaube, die Reichweite des Antrags ist in den einzelnen Prüfpunkten gut definiert. Ich gehe jetzt nicht auf die einzelnen Prüfpunkte ein, aber ich glaube, dass sie die wesentlichen Punkte aus beiden ursprünglich eingebrachten Anträgen widerspiegeln. Ich glaube, dass wir in einem zweiten Prüfungskomplex untersuchen müssen, welche Stellen der Bundesregierung, Bedienstete des Bundes oder Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Bundesrates in den Fokus von Ausspähung gekommen sind. Im Gegenzug werden wir auch fragen, ob es möglicherweise eine Beteiligung von deutschen Institutionen und deutschen Behörden gab. Wir werden in einem dritten Prüfungskomplex darauf eingehen, welche Schlussfolgerungen sich aus den Erkenntnissen ziehen lassen. Darauf liegt meiner Meinung nach das Hauptaugenmerk dieses Untersuchungsausschusses. Es kann nicht unsere einzige Aufgabe sein, zu untersuchen, was passiert ist. Das wird sicherlich einen breiten Teil in Anspruch nehmen. Aber dann müssen wir auch aus den Erkenntnissen Schlüsse ziehen. Ich glaube, hierbei sollte unser Hauptaugenmerk darauf liegen: Wie kann das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, auf Integrität der Kommunikation, auf vertrauliche Kommunikation, gewährleistet werden? Welche Schlussfolgerungen und Lösungsvorschläge können wir als Deutscher Bundestag aus den dann vorhandenen Erkenntnissen ziehen? Wenn wir diesen dritten Schritt auslassen, dann wird der Untersuchungsausschuss ein zahnloser Tiger. Wenn wir aber Ergebnisse präsentieren und in einem dritten Schritt Schlussfolgerungen aus unseren Erkenntnissen ziehen und aufzeigen, was wir aus unserer nationalen, deutschen Sicht verändern wollen, kann das, glaube ich, vorbildhaft für andere Länder sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das wird uns aber nur dann gelingen, wenn die acht Mitglieder des Untersuchungsausschusses gemeinsam an einem Strang ziehen. Wenn wir uns in Klein-Klein und in Detailkritik an der Bundesregierung oder an früheren Bundesregierungen verlieren, an denen fast alle Fraktionen in diesem Hause außer der Linken beteiligt waren, dann werden wir, glaube ich, dieser großen Aufgabe nicht gerecht. (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Wenn wir unseren Blick, der vielleicht ideologisch geprägt ist, nur auf unsere nationalen Dienste richten, dann werden wir den Blick zu sehr fokussieren und werden der großen Aufgabe nicht gerecht. Ich glaube, dass wir an einem Strang ziehen sollten und die Chance haben, mit diesem Untersuchungsausschuss weit über Deutschland hinaus im Sinne von Datensicherheit, Datenschutz, Schutz von Bürgerinnen und Bürgern, aber auch von Unternehmen und Institutionen Akzente zu setzen. Diese große Aufgabe können wir leisten. Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir am heutigen Tage zeigen, dass wir gemeinsam in diesem Haus den Untersuchungsausschuss wollen, dass wir uns nicht in der ersten Debatte zerhakeln und in Klein-Klein verheddern, sondern dass wir zeigen: Wir sind entschlossen, den Untersuchungsausschuss zu einem Ergebnis zu bringen. Das gelingt uns zusammen, und darauf freue ich mich in den nächsten Monaten gemeinsam mit Ihnen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Martina Renner, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Martina Renner (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Sehen Sie es mir nach: Ich bin immer noch etwas aufgewühlt von der vorangegangenen Debatte. Ich denke, wenn wir die Verteidigung von Grundrechten und Demokratie wirklich ernst nehmen – darum geht es auch in Dresden: diese Werte gegen die Neonazis zu verteidigen –, (Dagmar Ziegler [SPD]: Es geht um Unrecht!) dann hätten wir die Debatte aushalten und uns noch weiter die Argumente anhören müssen. Ich fand das in diesem Sinne keinen guten demokratischen und parlamentarischen Stil. (Dagmar Ziegler [SPD]: Aber Ungesetzlichkeit kann man auch nicht hinnehmen!) Ich finde, gerade wenn wir bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses in vielen Punkten Gemeinsamkeiten feststellen, sollten wir noch einmal reflektieren, ob die Art und Weise, wie die Debatte eben abgelaufen ist, dem Gegenstand, um den es geht, tatsächlich angemessen war. (Dagmar Ziegler [SPD]: Da hat sie vollkommen recht! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Was?) Jetzt komme ich zu dem Thema, über das wir heute reden wollen: dem gemeinsamen Einsetzungsantrag aller Fraktionen. Es ist fast ein Jahr her, dass wir alle durch die mutigen Enthüllungen von Edward Snowden erfahren haben, wie umfassend wir durch US-amerikanische Geheimdienste und ihre Partner in Deutschland überwacht werden. Diese Überwachung betrifft tatsächlich uns alle, jeden Bürger, jede Bürgerin, uns alle hier im Saal, nicht nur die Kanzlerin und den Innenminister. Es ist ein Thema, das alle angeht. Deswegen ist es gut, dass endlich auch bestimmte Teile der Großen Koalition den Umfang und den Skandal dieser Überwachung insoweit festgestellt haben, als sie jetzt zu dem Ergebnis gekommen sind, dass wir mit einem gemeinsamen Untersuchungsauftrag diese Überwachung aufklären wollen. Es ist eine einmalige Chance zur Aufarbeitung und ein gutes Zeichen, das wir fraktionsübergreifend Grundrechtsverletzungen als gemeinsame parlamentarische Aufklärungsaufgabe begreifen. Wir wollen die Arbeit US-amerikanischer und britischer Dienste sowie die ihrer engsten Partner untersuchen; so haben wir es formuliert. Wir sollten uns nicht von den Beteuerungen beruhigen lassen, dass nur sogenannte Metadaten, also Verbindungsdaten, gespeichert wurden und keine Gesprächsinhalte; denn wir wissen, dass gerade anhand der Verbindungsdaten exakte Profile der Nutzer erstellt werden können. Jeder kann sich einmal vorstellen, wie viel über ihn ausgesagt wird, wenn klar ist, wen er früh morgens oder spät abends anruft, welche Internetseiten er aufruft oder wem er eine E-Mail schickt. Wir fragen auch: Wie kooperieren dabei die ausländischen Geheimdienste mit den deutschen Partnerdiensten? Auch wenn die deutschen Spitzelzentralen nicht über dieselben technischen Möglichkeiten verfügen, müssen wir das Bundesamt für Verfassungsschutz, den BND und den MAD unter die Lupe nehmen; denn sie alle arbeiten aller Wahrscheinlichkeit nach nach derselben Religion der Totalüberwachung. Für einen Geheimdienst heißt es beim Sammeln von Informationen hüben wie drüben des großen Teiches: Mehr ist immer besser. – Diese Geheimdienstphilosophie muss nicht nur untersucht werden, sondern muss im Sinne des Grundrechtschutzes auch beendet werden. (Beifall bei der LINKEN) Wir nehmen den BND und das BfV dabei in den Blick, weil wir als Linke fest davon ausgehen, dass der große Bruder einen kleinen Bruder hat und beide Hand in Hand arbeiten, zum Beispiel durch den Ringtausch. Wir werden untersuchen, ob beispielsweise die NSA oder der britische Geheimdienst dem BND dort hilft, wo dieser nicht zugreifen dürfte, Freundschaftsdienste sozusagen. Wir glauben, dass die Bundesregierungen aller Farbkombinationen in den letzten Jahren von dieser Praxis gegebenenfalls wussten und vielleicht auch profitiert haben. Dabei müssen wir uns noch einmal vor Augen führen, wann die Zusammenarbeit zwischen der NSA und den deutschen Stellen intensiviert wurde, nämlich weit vor dem 11. September 2001, basierend auf einer Vereinbarung zur engeren Zusammenarbeit zwischen den US-Geheimdiensten und den bundesdeutschen Nachrichtendiensten durch den damaligen Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier. Wir werden – so ist es jedenfalls Wille meiner Fraktion – Herrn Steinmeier im Ausschuss danach fragen, was er da im Einzelnen abgesprochen hat und warum er diese Zusammenarbeit so forciert hat. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen die Vereinbarung sehen!) – Und wir wollen die Vereinbarung sehen. Sehr richtig, Herr Kollege Ströbele! Der Untersuchungszeitraum beginnt daher aus guten Gründen schon im Frühjahr des Jahres 2001 und endet erst heute. Zudem werden wir dafür sorgen, dass weitere Behörden und Institutionen des Bundes einbezogen werden: Nachrichtendienste, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und selbstverständlich die Bundesregierung. Es geht um die Zukunft unserer Grundrechte in einer digitalisierten Welt. Es geht um die Frage, ob die Daten und die Datenspuren schutzlos sind, Geheimdiensten und privaten Unternehmen zur Kontrolle, zur kommerziellen Nutzung, zur Überwachung und letztendlich auch zur Manipulation ausgeliefert bleiben oder eben nicht. Deshalb ist es für uns alleroberstes Ziel, dass der Untersuchungsausschuss so transparent und öffentlich wie möglich tagen und arbeiten wird. Das ist ein Versprechen, das wir heute hier geben müssen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden alles in unseren Kräften Stehende tun, jedem Versuch entgegenzutreten, aus einem öffentlich tagenden Ausschuss eine geheim tagende parlamentarische Kon-trollkommission light oder 2 zu machen. Die Durchdringung unserer digitalen Welt durch Dienste, ihre Helfer und Auftraggeber ist nicht mit geheimen Methoden aufzuklären und schon gar nicht zu kontrollieren. Wir wollen, dass derjenige, der uns allen die Augen geöffnet hat, Herr Snowden, vor dem Ausschuss aussagen kann in einer Form, die ihn nicht selbst gefährdet. Edward Snowden ist der Fachmann für jeden bisher veröffentlichten Satz. Wir alle wissen aber, dass dafür Voraussetzungen geschaffen werden müssen, die nicht einfach sein werden. Sicherheit, Auslieferungs- und Entführungsschutz sind die Stichworte. Es wäre nicht das erste Flugzeug, das von den USA zur Landung gezwungen würde. Ich denke, das ist eine sehr ernste Aufgabe für den Ausschuss. Dass die abgehörten Institutionen, zum Beispiel auch die Regierung, selbst den Weg zur Totalüberwachung geebnet haben, davon müssen wir ausgehen. Die Bundesregierungen haben selbst aktiv die Massenerfassung von Daten vorangetrieben, auch gegen den Widerstand einer kritischen Öffentlichkeit und der inner- und außerparlamentarischen Opposition. Herr Dr. Sensburg, unsere Kritik ist nicht klein-klein, sondern an dieser Stelle fundamental. (Beifall bei der LINKEN) Denken wir nur an den permanenten Austausch von Fluggastdaten zwischen der EU und den USA, die Bankbewegungsdaten im SWIFT-Verfahren oder die vielen weiteren internationalen Abkommen, die diesen Datentransfer erst legalisiert haben. In den Diensten läuft es nach dem Motto: Von allem, was für den US-amerikanischen Freund gesammelt wird, profitieren wir auch selbst, und das wollen wir möglicherweise auch dann selbst haben. Die Bürger haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie umfassend die Überwachung und Kontrolle derzeit ist, nicht nur in der Vergangenheit war, damit sie selbst und wir als Parlament Maßnahmen ergreifen können, um die digitalen Grundrechte zu schützen, wie es das Grund-gesetz gebietet; denn unsere Demokratie ist durch ein System totaler Überwachung und Kontrolle in Gefahr. Das ist tatsächlich eine große Aufgabe für diesen Untersuchungsausschuss. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Dr. Eva Högl das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine letzte Rede an dieser Stelle zu diesem Thema habe ich damit begonnen, dass ich meiner Enttäuschung Ausdruck verliehen habe, dass es bisher nicht gelungen war, in dieser Frage an einem Strang zu ziehen. Jetzt können Sie sich vorstellen, dass ich mich heute umso mehr freue, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frühlingsanfang!) und zwar richtig toll, dass wir es gemeinsam geschafft haben, aus den zwei unterschiedlichen Anträgen der -Opposition und der Koalitionsfraktionen nach dieser -zunächst so verfahren anmutenden Situation einen gemeinsamen Antrag zu machen, dass wir es also doch noch zum Guten gewendet haben und jetzt gemeinsam den Auftrag des NSA-Untersuchungsausschusses beschließen. Das ist ein echter Erfolg. Darüber freue ich mich. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Mein Dank gilt ganz besonders all denjenigen, die dazu beigetragen haben, dass es gelungen ist, diesen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Das ist ein wirklich gutes Zeichen. Wir als SPD haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir ein gemeinsames Vorgehen bei diesem so wichtigen Thema NSA für das einzig richtige halten, und zwar deshalb, weil wir der Ansicht sind, dass wir nicht nur gegenüber der Bundesregierung, sondern auch gegenüber den Nachrichtendiensten ganz klar und deutlich machen müssen, dass hier im Bundestag keine Partikularinteressen verfolgt werden, sondern dass wir hier unser gemeinsames Kontrollinteresse, das genuine Kontrollinteresse des Deutschen Bundestages, des gesamten Parlamentes, wahrnehmen. Das ist ein ganz starkes Signal in Richtung der Bundesregierung und in Richtung der Nachrichtendienste. Das zeigt auch, dass wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier dazugelernt haben; denn wir haben mit dem guten Beispiel des NSU-Untersuchungsausschusses deutlich gemacht, dass wir als Untersuchungsausschuss stärker sind, wenn wir das gemeinsam beschließen und gemeinsam arbeiten. Wir zeigen auch beim Thema NSA, dass es um die Wahrung der Grund- und Menschenrechte geht. Das ist keine Kleinigkeit. Die liegt uns hier gemeinsam am Herzen. Deswegen dieser starke Untersuchungsauftrag. Ich freue mich auch darüber, dass wir die verfassungsrechtlichen Probleme – die hatte ich das letzte Mal dargestellt –, die wir mit dem ursprünglichen Antrag der Opposition hatten, jetzt gemeinsam beseitigt haben und einen rundum verfassungskonformen und, wie wir -denken, wasserdichten Untersuchungsauftrag formuliert haben. Liebe Frau Renner und liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich kann gut verstehen, dass Sie jetzt die besonders hartnäckige Oppositionsarbeit -hervorheben. Frau Renner, da muss ich aber eine kleine Bemerkung machen. Ich will die Einigkeit hier nicht -trüben, aber wir müssen bei der Wahrheit bleiben; das gehört dazu. Sie haben in einer Presseerklärung den Eindruck erweckt, dass die Koalitionsfraktionen nicht von Anfang an die mögliche Beteiligung deutscher Nachrichtendienste oder der Bundesregierung an den Aktivitäten der NSA in den Blick nehmen wollten. Das stimmt nicht. Das entbehrt jeder Grundlage. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Um das festzustellen, können sie noch einmal in unseren ursprünglichen Antrag hineinschauen; da haben wir das Thema „mögliche Beteiligung deutscher Nachrichtendienste“ hineingeschrieben. Das wollten wir von Anfang an. Das ist ein zentrales Thema, und deswegen wollten wir das immer. Es geht in diesem Untersuchungsausschuss darum, die Verantwortlichkeiten und die mögliche Verstrickung der staatlichen Stellen in Deutschland zu beleuchten. Deswegen haben wir diesen Punkt von Anfang an in den Antrag hineingeschrieben. Uns ist sehr wichtig, dass wir diese Untersuchung sachgerecht und objektiv durchführen. Deswegen ist der Untersuchungsauftrag entsprechend formuliert. Wir wollen in dem Auftrag dabei keine diffuse, keine pauschale Abneigung gegenüber der Arbeit von Nachrichtendiensten erzeugen. Darum geht es gerade nicht. Ich sage ganz klar: Ja, an einer Stelle haben wir uns sehr dafür eingesetzt, dass wir etwas nicht in den Untersuchungsauftrag aufnehmen, nämlich die Untersuchung einer großen Anzahl von Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Wir wollten diese Staaten, deren Bürger selbst Opfer der überbordenden Massenspeicherung geworden sind, nicht mit untersuchen; das hätte von der Konzentration auf die Aktivitäten der „Five Eyes States“ abgelenkt. Deswegen war es richtig, unseren Untersuchungsauftrag einzuschränken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Außerdem hätte es an einer Stelle unseren Untersuchungsauftrag gefährdet. Es ist ganz wichtig, dass wir hier gemeinsam deutlich machen, dass wir in Europa uns gegen die massenhafte Erfassung und Speicherung von Kommunikationsdaten unbescholtener Bürger stellen und dass wir uns dagegen zur Wehr setzen. Deswegen müssen wir diesen Akzent ganz klar hervorheben. Es geht darum, dass wir nicht pauschal verurteilen, sondern darum, dass wir sehr sachgerecht und sehr konzentriert die Arbeit der Nachrichtendienste untersuchen, dass wir unterscheiden zwischen dem, was der eigentliche Skandal ist – nämlich die massenhafte Erfassung und Speicherung von Kommunikationsdaten auf Vorrat –, und dem, was die Nachrichtendienste leisten müssen, nämlich die Übermittlung, den Austausch und auch die Sammlung von Daten in Einzelfällen, bei einer konkreten Gefährdung; das ist ihre Aufgabe. Das ist wichtig. Es war richtig, in der Formulierung des Untersuchungsauftrages diese Unterscheidung zu treffen. Ich bin froh, dass wir in diesem Sinne übereingekommen sind und dass wir noch einmal deutlich gemacht -haben, dass es um Folgendes geht – was ja Snowden -herausgearbeitet hat und was der Kern dieses öffentlich gemachten Skandals ist –: um die systematische und pauschale Erfassung von uns allen, also nicht nur von Regierungen, Parlamentariern und Wirtschaftsunternehmen, sondern auch von allen unschuldigen Bürgerinnen und Bürgern. Genau darin liegt der Skandal, und darin liegt die Grund- und Menschenrechtsverletzung. Dass dies ohne jeden Verdacht und ohne jeden Anlass geschah, das wollen wir in dem Untersuchungsausschuss untersuchen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche allen, die in dem -Untersuchungsausschuss arbeiten, jede Menge Kraft und Hartnäckigkeit; denn die gehört dazu, wenn es darum geht, wirklich etwas herauszufinden. Um nachhaltig aufzuklären, muss man an der einen oder anderen Stelle – das weiß ich aus eigener Erfahrung aus dem NSU--Untersuchungsausschuss – wirklich hart dranbleiben. Das werden Sie machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wichtig ist, ebenfalls den Teil in den Blick zu nehmen, den Herr Sensburg hervorgehoben hat, also nicht nur aufzuklären, sondern auch die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Es ist wichtig, dass wir das auch in diesem Untersuchungsausschuss tun. Wir sollten gemeinsam Vorschläge besprechen, wie wir alle Bürgerinnen und Bürger, ihre Privatsphäre, ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Integrität der von ihnen genutzten Kommunikationssysteme schützen -können. Genau darum geht es. Das wird ein wichtiger Beitrag zum Schutz unserer Grundrechte sein. Herzlichen Dank und allen, die daran arbeiten, viel Erfolg. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit knapp einem Jahr erleben wir den größten Überwachungs- und Geheimdienstskandal aller Zeiten. Die Erkenntnisse, die wir bis heute einzig und allein dem Whistleblower -Edward Snowden zu verdanken haben, stehen für die Kernschmelze von Rechtsstaatlichkeit und für die -Erosion der Werte Europas und der gesamten freien Welt. Dieser Untersuchungsausschuss ist die dringend notwendige parlamentarische Antwort hierauf. Wie notwendig sie ist, zeigen die neuesten Enthüllungen – Kollege Sensburg hat es angesprochen – um das Programm -Mystic, das flächendeckend Inhalte – Inhalte! – von -Telefonaten ganzer Nationen speichert, eine Praxis, die trotz aller Erkenntnisse, die wir in den letzten Monaten hatten, nochmals alle Dimensionen sprengt. Mystic steht damit wie Tempora, wie Prism, wie XKeyscore und viele andere Programme für einen beispiellosen Abstieg vom Ideal freiheitlicher Demokratien in die Niederungen von De-facto-Überwachungsgesellschaften, denen wir uns als Abgeordnete hier heute endlich und mit aller Entschiedenheit entgegenstellen müssen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Den Skandal einfach auszusitzen – das sage ich in -aller Deutlichkeit in Richtung Bundesregierung; Herr Kollege Krings, nichts gegen Sie, aber die Regierungsbank ist angesichts der Wichtigkeit des Themas etwas spärlich besetzt –, (Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär: -Qualität!) ist für uns keine Option. Sie müssen endlich einsehen, dass Sie durch dieses Nichthandeln über Jahrhunderte erkämpfte rechtsstaatliche Errungenschaften zur Disposition stellen. Eine solche Haltung ist schlicht inakzeptabel, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Von Anfang an war das sogenannte Acht-Punkte--Programm der Kanzlerin ein Potemkin’sches Dorf. -Praktisch nichts davon wurde bis heute umgesetzt. -Zumindest haben Sie mittlerweile, nach Monaten des unbeirrten Festhaltens daran, erkannt, dass das bilaterale No-Spy-Abkommen von vornherein ein einziger Irrweg war. Die notwendigen weiteren Schritte scheuen Sie -leider bis heute noch immer. Deswegen ist es gut, dass jetzt dieses Parlament -reagiert, dass der PUA endlich kommt und dass er auch die Rolle der deutschen Dienste untersuchen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nach monatelangen Verhandlungen hat letztendlich die Vernunft obsiegt. Das Verhandlungsergebnis erlaubt uns nicht nur, auf die anderen zu zeigen, sondern auch, vor der eigenen Tür zu kehren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben kein großes Aufheben davon gemacht – das will ich an dieser Stelle deutlich sagen –, dass die GroKo, die Große Koalition, versucht hat, unseren -Untersuchungsauftrag zu verwässern, (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das stimmt ja auch nicht!) weil wir zunächst unterstellen, dass Sie ein echtes Aufklärungsinteresse haben, Frau Kollegin Högl; ich unterstelle bis heute, dass uns ein echtes Aufklärungsinteresse eint. (Dr. Eva Högl [SPD]: Danke schön!) Klar ist aber auch: Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss ist das schärfste Schwert des Parlaments, insbesondere der Opposition und insbesondere bei einer Koalitionsmehrheit von 80 Prozent. Zu diesem schärfsten Schwert gehört der Untersuchungsauftrag -genauso wie das unverbrüchliche Recht, Zeugen zu benennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Rechte, Herr Kollege Flisek, auch nur andeutungsweise infrage zu stellen, das ist die Show, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zum Ziel dieses Ausschusses sagen wir Grüne klar: Es geht uns nicht darum, am Stuhl eines Ministers oder gar der Bundeskanzlerin zu sägen; wir wollen in diesem Ausschuss – Herr Kollege Sensburg, das eint uns – keine Parteipolitik machen. Uns geht es um nichts weniger als die Wiederherstellung verfassungsgemäßer Verhältnisse; das muss unser gemeinsames Anliegen sein. Dafür gilt es zunächst, aufzuklären, Transparenz herzustellen und zu verstehen, und dann müssen wir gemeinsam die richtigen Konsequenzen ziehen. Wir müssen klarmachen: Massenhafte anlasslose Überwachung ist verfassungswidrig. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Denken Sie bitte an die Redezeit. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Mit der fraktionsübergreifenden Einsetzung des Untersuchungsausschusses heute erkennt dieses Parlament an, dass es ein massives und relevantes Problem mit anlassloser Massenüberwachung gibt. Das ist ein wichtiger erster Schritt. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der -LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Clemens Binninger, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Clemens Binninger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Gesellschaft, in der niemand mehr kommunizieren kann, sich bewegen kann, E-Mails schreiben kann, ohne dass er damit rechnen muss, dass das gespeichert und überwacht wird, ist nicht mehr frei. In solch eine Gesellschaft wollen wir nicht. (Beifall im ganzen Hause) Bevor ich zu dem komme, was uns beschäftigt, gestatten Sie mir einen kleinen Rückblick auf eine -Entwicklung, die, glaube ich, ganz maßgeblich dazu beigetragen hat, dass wir heute über eine solche Massenüberwachung sprechen und das aufklären müssen. Sie hat etwas mit der Technik zu tun. Die Technik hat eine Entwicklung eingeleitet, der wir als Parlamente nicht mit der gebotenen Sorgfalt gefolgt sind. Noch vor 15, 20 Jahren fand Datenspeicherung überwiegend bei staatlichen Behörden statt. Es gab auch -Privatunternehmen, die ihre Kundendaten hatten; aber Datenspeicherung hatte limitierende Faktoren. Die Speicherkapazität war endlich; man konnte nicht alles suchen bzw. recherchieren. Allein dadurch war vieles an Missbrauch gar nicht möglich. Dann kam eine Entwicklung, die auf der einen Seite viele Vorteile gebracht hat, die für uns alle bei der Kommunikation von Nutzen war, mit der aber auf der anderen Seite zwei neue Aspekte einhergingen: Der Speicherplatz ist nicht mehr limitierend. Man kann endlos Daten speichern. Nicht nur staatliche Behörden können das, auch private Unternehmen, ja sogar einzelne Bürger. Recherchefunktionen stehen mittlerweile jedem zur Verfügung. Jeder von uns kann den anderen googeln. Ob er dabei etwas Sinnvolles erfährt, ist eine andere Frage. Wir alle sind aber mittlerweile gegenseitig recherchierbar. Die Verhältnisse sind also gewaltig anders als früher. Zu dieser technischen Entwicklung sind Sicherheits-lagen wie der 11. September und anderes mehr gekommen, und Nachrichtendienste haben gesagt: Wir -brauchen jetzt viele Informationen. Ich will gleich deutlich machen: Ich bin überhaupt kein Gegner von Nachrichtendiensten. Wir brauchen sie. Wir brauchen auch die internationale Zusammenarbeit. Wer daran rüttelt, tut unserer Sicherheit und den Menschen in unserem Land keinen Gefallen. Dazu darf der Ausschuss nicht her-halten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Klar ist aber auch – das wird eine Aufgabe des Ausschusses sein –, dass man sich fragen muss: Ist die -Strategie, die sich bei den Amerikanern und den Briten entwickelt hat, einfach einmal alles auf Verdacht zu sammeln in der Hoffnung, man könne hinterher aus großen Datenbergen einen Verdacht generieren, den man vorher vielleicht überhaupt nicht hatte, richtig? (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Sie ist es nicht. Wir haben in unserem Rechtssystem zu Recht den personenbezogenen Ansatz gewählt. Der konkrete Verdacht ist notwendig; zum Teil sind richterliche Anordnungen nötig. Deshalb sind wir als deutsches Parlament gut beraten, mit diesem Ausschuss, wie es alle Kollegen vor mir – Herr von Notz, Frau Renner, Frau Högl und Kollege Sensburg – auch gesagt haben, ein Zeichen zu setzen, dass wir diese Art von Überwachung, massenhaft, ohne Anlass, in jedem Lebensbereich, rundherum ablehnen, und klarzumachen: Das ist mit unserem -Verständnis von Datenschutz und unserem Verfassungsverständnis nicht vereinbar. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vor einem Jahr kamen dann Begriffe über uns – Herr Kollege Ströbele, wir gehören ja einem Gremium an, in dem man das vielleicht vorher schon einmal hätte erfahren können, aber wir haben es nie erfahren; gefragt haben wir natürlich auch nie; das müssen wir selbstkritisch anerkennen –, die uns allen zunächst nichts gesagt haben: Tempora, XKeyscore, Prism und was auch immer es noch gibt. Das sind Software- und Hardwaretools, mit denen es möglich ist, ganze Datenströme ungeachtet ihrer Menge zu überwachen. Unsere Aufgabe wird es jetzt sein, so konkret es geht, zu ermitteln: Wo wurden sie eingesetzt? Waren Daten von deutschen Bürgern betroffen? Was ist mit diesen Daten passiert? Wurden sie gespeichert, wurden sie ausgewertet? – Solche Überwachungsinstrumente sind jedenfalls in dieser Form nicht akzeptabel. Warum brauchen wir einen Untersuchungsausschuss? Ich will das an dieser Stelle ganz deutlich sagen. Dass Sie, Herr Kollege von Notz, eine andere Auffassung haben und kritisieren, wie wir das Thema im letzten Sommer gehandhabt haben, ist völlig in Ordnung. Kollege Oppermann und ich haben im Sommer auch noch andere Auffassungen zu diesem Thema gehabt; jetzt haben wir in etwa die gleiche. So ändern sich die Zeiten. (Heiterkeit der Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Thomas Oppermann [SPD]) Nein, ganz ernsthaft: Es hat mit der Art und Weise zu tun – ich will an dieser Stelle im Deutschen Bundestag -sagen, dass die Kritik berechtigt war und der Anlass von fast niemandem mehr bestritten wurde –, wie unsere befreundeten Partner, die USA und Großbritannien, mit unseren Sorgen, mit den Anliegen, die unsere Bundesregierung transportiert hat, umgegangen sind. Dass sie auf einen Fragenkatalog nicht geantwortet haben, dass sie ein Informationsverhalten an den Tag gelegt haben, das in jeder Hinsicht unzureichend war, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist es immer noch!) dass öffentliche Auftritte wie auf der Münchner Sicherheitskonferenz chancenlos vertan wurden, das kann man so eben nicht stehen lassen. Da müssen wir, das deutsche Parlament, der Souverän des deutschen Volkes, sagen: Das ist zu wenig; wir wollen mehr Aufklärung, mehr -Information und eine Änderung dieser Praxis. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin in den letzten Tagen oft gefragt worden: Macht der Ausschuss überhaupt Sinn? Sie bekommen doch keine Akten und keine Zeugen. Niemand wird kommen. – Dies sind Sorgen, die ich durchaus selber hatte. Es gibt aber eine ganze Reihe von Fragen, die wir erörtern können. Wir befassen uns auch mit der Rolle der deutschen Dienste. Das ist richtig. Frau Renner und Herr von Notz, ich sichere Ihnen zu: Wir schonen niemanden. Wir führen aber auch niemanden vor. In Ermangelung ausländischer Akten und Zeugen sollten wir uns nicht darauf konzentrieren, den deutschen Diensten alles unterzujubeln. Das wäre falsch. Das würde auch in der Sache nichts bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn sich herausstellen sollte, dass es Wissen gab, dann wird nicht geschont, sondern aufgeklärt. Aber ich glaube, dass wir an dieser Stelle differenzieren müssen. Trotzdem haben wir genügend Chancen, die Dinge -aufzuklären und die Faktenlage stabiler zu machen. Ich sichere Ihnen auch zu: Was geht, machen wir öffentlich. Es kann aber sein, dass wir geheim tagen müssen. Das gab es übrigens in jedem Untersuchungsausschuss. Auch im NSU-Ausschuss haben wir immer wieder einmal nichtöffentlich getagt. Wir haben sogar geheim getagt. Wir hatten Geheim eingestufte Akten; das gibt es in jedem Ausschuss. Daraus kann man nicht schließen, dass etwas vertuscht wird. Es hängt übrigens nicht von den Personen im Ausschuss ab, ob wir öffentlich oder geheim tagen. Dies ist immer in der Sache -begründet. Ich sichere Ihnen aber ausdrücklich zu, dass wir kein Interesse daran haben, möglichst viele Sitzungen hinter geschlossenen Türen abzuhalten. Sie wird es trotzdem geben müssen. Dies gehört zu einer fairen Bewertung. Wir haben eine große Chance, weil wir den Ausschuss gemeinsam einsetzen. Machen wir uns aber nichts vor – wir sind keine Romantiker; dafür sind wir nicht in den Deutschen Bundestag gewählt worden –: Die parteipolitischen Unterschiede werden bleiben. Das ist auch völlig in Ordnung. (Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Zwischen uns beiden sowieso, Herr Kollege Ströbele. Trotzdem arbeiten wir gut zusammen. Es geht beides. Wir sollten uns gut überlegen, was wir wollen. -Nutzen wir die Monate der Untersuchung, um unsere Unterschiede zu betonen, oder nutzen wir die Monate der Untersuchung, um unsere Gemeinsamkeiten hervorzuheben? Ich bin davon überzeugt – auch aus den Erfahrungen des NSU-Untersuchungsausschusses –: Wenn wir die Gemeinsamkeiten betonen, erreichen wir mehr, sind wir als Ausschuss stärker, bringen wir mehr Veränderungen auf den Weg und erfahren auch mehr. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Lassen Sie uns deshalb bei der Arbeit die Gemeinsamkeiten betonen im Interesse der Sicherheit unseres Landes, vor allen Dingen der Bürger! In unserem Land muss gelten: Kommunikation ist geschützt. Sie ist frei möglich, und man muss keine Angst haben, überall, an jeder Ecke überwacht zu werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat Hans-Christian Ströbele das Wort. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat mir einer, der es wissen muss, erzählt, dass sich für die NSA das Thema „Überwachung von deutschen Kommunikationsbeziehungen“ erledigt hat, und das war’s. Keiner in den USA erinnert sich offenbar noch daran, dass uns im Juni und in den Monaten danach regelmäßig im Parlamentarischen Kontrollgremium mitgeteilt worden ist, dass wir die Informationen bekommen, dass sie nur noch herabgestuft werden müssen und wir dann ein „Deutschland-Paket“ zu erwarten haben. Wir warten darauf, aber es wird nicht mehr kommen. Das ist schon schlimm genug. Viel schlimmer aber ist, wenn ich höre, dass überhaupt keine Gespräche mehr stattfinden, auch nicht von den in Deutschland dafür -Berufenen mit den US-Kollegen. Das Allerschlimmste daran ist, dass die Überwachung nahtlos weitergeht, dass das, was uns Herr Snowden über seine Dokumente im Juni und in den Monaten danach hat wissen lassen, -keinerlei Konsequenzen nach sich gezogen hat. Das können wir nicht hinnehmen. Damit können wir uns nicht abfinden. Deshalb müssen wir die Aufgabe übernehmen, aufzuklären, was da war, und zwar mit allen unseren Möglichkeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Einrichtung dieses Untersuchungsausschusses – ich freue mich auch, dass wir ihn gemeinsam einrichten – kann ein erster Schritt sein. Der Beschluss heute und die Konstituierung in der nächsten Sitzungswoche sind richtige und wichtige Schritte. Das kommt jetzt endlich in Gang. Wir können dann zügig anfangen, zu arbeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verfolge mit großem Interesse, wie Sie von der SPD und von der Union sich in der Öffentlichkeit dahin gehend äußern, was wir alles machen und was wir nicht machen sollen. Ich muss sagen, dass die Äußerungen der Frauen aus der SPD mir wesentlich sympathischer sind als die der Männer. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Dr. Eva Högl [SPD]: Wenn Sie mich meinen: Danke schön!) – Das ist kein Kompliment, sondern ein Faktum. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ach so!) Wir dürfen in unseren Aufklärungsbemühungen, die wir jetzt unternehmen, nicht davor zurückschrecken, auch Personen aus der jetzigen Bundesregierung und aus der Koalition – möglicherweise von beiden Seiten – und Personen, die im Parlamentarischen Kontrollgremium tätig gewesen sind, im Untersuchungsausschuss als Zeugen zu hören. Ich sage Ihnen ganz klar: Es geht nicht, dass Sie vor dem Präsidententhron den Mut verlieren. Es kann nicht sein, dass wir Zeugen, die sich anbieten, nicht hören wollen. Das gilt natürlich für die Bundeskanzlerin. Da haben manche mit dem Kopf geschüttelt. Auch Journalisten haben gesagt: Was wollen Sie denn eigentlich mit der Bundeskanzlerin? Was soll sie dazu wissen? Sie weiß doch nicht, was die Geheimdienste im Einzelnen treiben. – Ja, aber sie ist das wichtigste Opfer der Machenschaften der NSA. Sie ist die einzige Zeugin, die uns und übrigens auch dem Generalbundesanwalt Range helfen kann, den Verdacht zu konkretisieren, dass auch ihr Handy abgehört worden ist, und zwar offenbar über einen langen Zeitraum. Die Bundeskanzlerin – leider nicht ich – hat das Telefonat mit Herrn Obama geführt und von ihm ganz offensichtlich Hinweise bekommen – direkt oder inzident –, dass ihr Handy in der Vergangenheit tatsächlich abgehört worden ist. Wen sollen wir im Hinblick auf dieses Faktum als Zeugen hören, wen soll der Generalbundesanwalt als Zeugen benennen, wenn nicht sie? Einen Zeugen, der mir natürlich besonders am Herzen liegt, dürfen wir nicht vergessen. Wer, wenn nicht Herr Edward Snowden, kann uns im Deutschen Bundestag im Untersuchungsausschuss erklären, was die Dokumente aus seinem Besitz, die jetzt nach und nach veröffentlicht worden sind, bedeuten und was sie aussagen? Das hat er auch selber immer wieder betont. Herr Binninger, da können Sie nicht einfach sagen: Ich weiß doch nicht, was der weiß. – Nach diesem Motto hätten Sie im Uli-Hoeneß-Prozess nicht die Steuerbeamtin hören dürfen, die die Akten verwaltet und anschließend als Zeugin ausgesagt hat. Edward Snowden ist der Zeuge, der uns Aufklärung geben kann. Es mag sein, dass das dem einen oder anderen in den USA nicht gefällt. Sie dürfen sich aber nicht davor drücken, ihn als Zeugen hier in Deutschland zu hören. Das erwarte ich von Ihnen. Das erwartet Deutschland von Ihnen. Das erwarten auch viele andere Länder dieser Welt. Denn Edward Snowden kann uns in einer Zeugenaussage, in deren Rahmen wir auch nachfragen können, helfen, die Wahrheit herauszufinden. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ich erwarte jetzt von Ihnen, dass Sie die Redezeit einhalten. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danach müssen wir die richtigen Konsequenzen daraus ziehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Nächster Redner ist der Herr Kollege Christian Flisek, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Christian Flisek (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit im Sommer letzten Jahres durch Veröffentlichung des britischen Guardian und der amerikanischen Washington Post die umfassenden Überwachungsaktivitäten des amerikanischen Geheimdienstes NSA der Öffentlichkeit bekannt wurden, haben sich die Ereignisse überschlagen. Sämtliche Versuche, den Abhörskandal zu banalisieren oder ex cathedra für beendet zu erklären, waren untauglich. Sie sind im Sande verlaufen, und das auch völlig zu Recht. Sie mussten scheitern, weil uns seitdem nahezu wöchentlich neue Meldungen über das immer größer werdende Ausmaß der Überwachungsmaßnahmen erreichten. Wenn ich aktuell höre – meine Vorredner haben sich bereits darauf bezogen –, dass die Kommunikationsinhalte der Bevölkerungen ganzer Staaten pauschal erfasst und anlasslos über Wochen gespeichert werden, also jedes Wort, das tatsächlich gesprochen oder in E-Mails geschrieben wird, dann bin ich froh, dass wir als deutsches Parlament heute mit der Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses endlich ein deutliches Signal setzen, dass wir die klare Botschaft aussenden, dass wir unter den völlig veränderten Kommunikationsbedingungen im 21. Jahrhundert unsere Grundrechtsstandards verteidigen und die Grundrechte unserer Bürgerinnen und Bürger auf Privatheit und Vertraulichkeit nicht einfach auf dem globalen digitalen Altar opfern werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist die Botschaft, die wir an die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland richten. Es ist auch die Botschaft, die wir an unsere Partner in Europa und an unsere Freunde jenseits des Atlantiks adressieren. Der Deutsche Bundestag beschließt heute die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der die Aufgabe hat, Art und Umfang der massenhaften Überwachung von Kommunikationsdaten vor allem durch US-amerikanische und britische Nachrichtendienste aufzuklären. Zentrale Aufgabe dieses Untersuchungsausschusses eines deutschen Parlaments muss ganz klar sein, vorbehaltlos aufzuklären, inwieweit unsere Dienste und deutsche Behörden sich an derartigen Aktivitäten beteiligt haben, inwieweit sie diese unterstützt oder rechtswidrig davon profitiert haben. Wenn hier die notwendige Zusammenarbeit mit anderen Staaten derart instrumentalisiert wurde, dass deutsche Rechtsvorschriften systematisch umgangen wurden, dann muss diesem Treiben umgehend ein Riegel vorgeschoben werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU]) Was die insgesamt 31 Fragen des Einsetzungsantrages als detailliertes Untersuchungsprogramm des Ausschusses festlegen, kann man folgendermaßen zusammenfassen: Gibt es in Zeiten weltweiter digitaler Kommunikation noch so etwas wie Vertraulichkeit, informationelle Selbstbestimmung und Unschuldsvermutung? Was müssen wir in Deutschland und Europa tun, um unserem Verständnis von Grundrechten, aber auch unserem Verständnis vom Primat rechtsstaatlicher und demokratischer Politik wieder Geltung zu verschaffen? – Ich bin daher sehr froh, dass wir uns im Untersuchungsausschuss nicht nur mit der vorbehaltlosen Aufklärung der Missstände, sondern auch mit der Entwicklung von Lösungen befassen werden. Wenn ich von einer vorbehaltlosen Aufklärung der Missstände spreche, dann bedeutet dies selbstverständlich auch, dass kein zugängliches Beweismittel von vornherein ausgeschlossen werden darf. Sosehr es sich verbietet, im jetzigen Stadium, noch bevor das erste Aktenstück bestellt und eingegangen ist, über Zeugenlisten zu spekulieren, so sehr kann man die Augen nicht davor verschließen, dass die Aussage des Auslösers, desjenigen, der das Ganze ins Rollen gebracht hat, natürlich auch ein taugliches Beweismittel ist. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das hören wir gerne!) Selbstverständlich kommt auch Edward Snowden als Zeuge für den Ausschuss in Betracht. Herr Ströbele, Sie kennen den Antrag; sein Name findet sich im Text unseres gemeinsamen Antrags sogar an prominentester Stelle. Wer sich mit seinen zum Teil sehr kryptischen öffentlichen Aussagen in Fernsehinterviews und mit seinen schriftlichen Einlassungen gegenüber dem Europäischen Parlament befasst, der wird, so wie auch ich, hier einige Fragen haben, die berechtigt sind. In welcher Weise eine Vernehmung von Herrn Snowden erfolgen kann, muss im Ausschuss gemeinsam geklärt werden. Hier ist vieles vorstellbar. Auch die Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament haben hier einen gemeinsamen Weg gefunden. Ich betone aber ausdrücklich: Der Ausschuss dient der Aufklärung in der Sache und nicht der medialen Inszenierung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Herr Kollege Dr. von Notz, ich bleibe bei dieser Feststellung, auch wenn Sie sie zuvor kritisiert haben. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die teile ich!) Herr Ströbele, lassen Sie mich noch eines sagen: Die Bundeskanzlerin ist in meinen Augen nicht das wichtigste Opfer. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch ein Opfer!) Das wichtigste Opfer sind die Bürgerinnen und Bürger und ihre Grundrechte. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Frau Bundeskanzlerin ist in dieser Affäre nur ein Opfer; das möchte ich hier richtigstellen. Lassen Sie mich einen anderen Aspekt anführen. Wir sollten in Bezug auf unsere amerikanischen Partner nicht mit Schaum vor dem Mund operieren. Dass in hohem Maße Vertrauen verloren gegangen ist, wurde bereits bei vielen Gelegenheiten, auch in diesem Hause, deutlich an die amerikanische Seite adressiert. 9/11, der Anschlag auf das World Trade Center in New York, ist tief im amerikanischen Gedächtnis und auch in unserem Gedächtnis verwurzelt. Dennoch kann die Formel vom Kampf gegen den Terrorismus nicht die Rechtfertigung dafür sein, alles, was im Bereich der Sicherheitsbehörden technisch möglich ist, tatsächlich umzusetzen. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Dies entspricht nicht unserem Verfassungsverständnis und auch nicht unseren Vorstellungen vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir aber ernsthaft, ausgewogen und auf der Basis von Fakten die Tätigkeit amerikanischer Dienste untersuchen wollen, dann sind wir auch auf Zusammenarbeit angewiesen, vor allen Dingen darauf, dass sich in der amerikanischen Öffentlichkeit noch viel stärker als bisher ein Aufklärungsinteresse artikuliert. Der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, hat gesagt, man könne nicht gleichzeitig hundertprozentige Sicherheit und hundertprozentige Privatsphäre haben. Bei aller Wertschätzung: Diesem Verständnis über den Zusammenhang von Freiheit und Sicherheit möchte ich entschieden entgegentreten. Es sei mir erlaubt, dass ich dafür einen anderen Amerikaner, nämlich einen der Gründungsväter der Vereinigten Staaten, Benjamin Franklin, bemühe, der gesagt hat: Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren. Genau das entspricht auch meinem Verständnis. Freiheit und Sicherheit sitzen nicht auf einer Balkenschaukel, bei der immer dann, wenn die Sicherheit oben ist, die Freiheit unten ist, sie kleingehalten wird und für sie kein Platz ist. Nein, meine Damen und Herren, Freiheit und Sicherheit bedingen einander. Das eine kann ohne das andere in einem demokratischen Rechtsstaat nicht zur Geltung kommen. Wer immer unter demokratischen und rechtsstaatlichen Bedingungen eine Sicherheitsarchitektur errichtet, hat dies auf dem Fundament von Vertrauen, auf dem Fundament der Verfassung und von demokratischer Legitimation zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jede Sicherheitsarchitektur, die diese Kriterien missachtet, wird auf Dauer nicht überleben; denn die Bürgerinnen und Bürger werden ihr zu Recht den Boden entziehen, und sie wird damit in sich zusammenfallen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Politik wird lernen müssen, dass sie bei diesem komplexen Thema tatsächlich Neuland betreten muss, wenn ich das unter Rückgriff auf ein Zitat der Bundeskanzlerin einmal so sagen darf. Wenn wir alle das Internet als einen Ort der Freiheit erhalten wollen, dann müssen wir auch lernen, das Internet besser zu verstehen, und zwar vor allem von seiner technischen Seite her. Der US-amerikanische Rechtswissenschaftler Lawrence Lessig hat schon vor 15 Jahren deutlich gemacht, wen er für die entscheidende Regulierungsmacht in der digitalen Kommunikationswelt hält. „Code is law“, hat er gesagt. Es sind also nicht die von Staaten verabschiedeten Gesetze, die das Internet regulieren, sondern es ist der Code. Es sind die Programme, die Software, und die technischen Architekturen und Standards, die das Sagen haben und den Ton angeben. Man muss diese Bewertung in ihrer Absolutheit nicht teilen. Ich selbst teile sie nicht, weil ich als Jurist naturgemäß an die positive Geltung und Durchsetzung staatlich gesetzten Rechts glaube, insbesondere an Normen, die Verfassungsrang haben. Aber die These von Professor Lessig macht gerade in Bezug auf unser Problem eines deutlich: In der globalen digitalen Kommunikation ist die Wirksamkeit staatlichen Rechts begrenzt. Solange wir weltweit kein gemeinsam geteiltes Grundrechtsverständnis haben – und von einem solchen sind wir schon im transatlantischen Verhältnis, jedenfalls in Bezug auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weit entfernt –, so lange wird ein regulatives Vakuum existieren. Dieses Vakuum wird von technischen Normen und Standards ausgefüllt. Wer sie beherrscht, der regiert, wenn man so will, auch das Internet, und damit sind wir mitten in der Debatte über Internet Governance. Für mich ist es besonders wichtig, dass wir mit der Ausschussarbeit schnell beginnen. Der Ausschuss wird sich nach seiner heutigen Einsetzung in der ersten Sitzungswoche im April konstituieren. Wir sollten keine Zeit verlieren und bereits unmittelbar nach der Konstituierung des Ausschusses und der Klärung der Verfahrensfragen gemeinsam die ersten Beweisanträge auf Beiziehung von Akten beschließen. Wir stehen erst am Anfang unserer Arbeit und zum Glück auch am Anfang unserer Legislaturperiode. Wir können gründlich und zügig arbeiten, aber eben ohne jeden Zeitdruck. Dass die Einsetzung des Ausschusses auf der Grundlage eines gemeinsamen Antrages im Parlament erfolgt – das ist bereits von meinen Vorrednern erwähnt worden –, ist ein erster großer Erfolg. Es war ein mühsamer Weg; ich glaube, diese Mühe hat sich gelohnt. Dass alle Fraktionen an einem Strang ziehen, ist ein sehr gutes Signal; denn unsere Arbeit im Ausschuss wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern aufmerksam beobachtet werden. Die Bürger werden zu Recht Antworten auf die gestellten Fragen einfordern, die elementare Grundrechte unserer Verfassung betreffen, Grundrechte, die ihre Wurzeln nach unserem Verfassungsverständnis in der Unantastbarkeit der Menschenwürde haben. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege! Christian Flisek (SPD): Ich komme zum Schluss. Von mir selbst kann ich sagen: Ich bin hochmotiviert, freue mich auf ein kollegiales Miteinander aller Ausschussmitglieder und auf eine erfolgreiche Ausschussarbeit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner in dieser Debatte ist Dr. Stephan Harbarth, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als wir das letzte Mal in diesem Haus über die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Thema NSA diskutiert hatten, lagen uns noch zwei Anträge vor, ein Antrag der Koalitionsfraktionen und ein Antrag der Oppositionsfraktionen. Dass es gelungen ist, die Anträge in viel mühsamer Kleinarbeit zusammenzuführen, erfüllt uns mit Freude, weil das zum Ausdruck bringt, dass dieses Haus ein gemeinsamer Aufklärungswille eint. Das ist, glaube ich, auch deshalb so wichtig, weil die Bevölkerung ein gemeinsamer Aufklärungswille eint. Der Aufklärungswille in der Bevölkerung macht nicht an Parteigrenzen, macht nicht an politischen Präferenzen halt, sondern er betrifft die gesamte Bevölkerung. Deshalb ist es so wichtig, dass es uns gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag vorzulegen. Allen, die daran beteiligt waren, vielen herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben im Geschäftsordnungsausschuss intensiv miteinander gerungen und konstruktiv diskutiert. Das hatte nichts damit zu tun, den Untersuchungsgegenstand verwässern zu wollen – das ist vorhin angeklungen –, sondern damit, dass das Recht des Parlaments, einen Untersuchungsausschuss einzurichten, niedergelegt im Grundgesetz, gestärkt und fortentwickelt durch jahrzehntelange Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, eines der wichtigsten Rechte dieses Parlaments ist. Deshalb war es wichtig, dass wir uns mit großer Sorgfalt der Ausgestaltung des Untersuchungsgegenstandes angenommen haben, dass wir dies mit großer Gewissenhaftigkeit getan haben, dass wir verfassungsrechtliche Vorgaben, etwa an die Bestimmtheit des Untersuchungsgegenstandes, beachtet haben. Dies haben wir in den vergangenen Wochen getan. Wir haben die Grenzen der verfassungsmäßigen Zuständigkeit des Deutschen Bundestages im Bereich der Gesetzgebung und im Bereich der Kontrolle der Bundesverwaltung zugrunde gelegt. Wir haben geeignete Anknüpfungspunkte gewählt, etwa indem wir abstellen auf Kommunikationsvorgänge von, nach und in Deutschland und indem wir anknüpfen an die Kenntnis deutscher Behörden. Ich glaube, es war richtig, dass wir uns in den Diskussionen darauf geeinigt haben, die Länder, deren Nachrichtendienste wir jetzt näher in den Blick nehmen möchten, zu begrenzen auf die sogenannten Five Eyes, auf die USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Wir haben auch über die Frage diskutiert, ob man möglicherweise viele andere Länder mehr in den Blick nehmen sollte. Ich bin der festen Überzeugung: Es gibt gegen die Länder, auf die der Untersuchungsgegenstand gerichtet ist, im Augenblick eine Verdachtsqualität, die sich von der Verdachtsqualität gegen alle anderen Länder unterscheidet. Es ist nicht nur eine Frage außenpolitischer Klugheit, sondern auch eine Frage der Angemessenheit des Umgangs, dass man nicht alle Länder, gegen die man vielleicht einen kleinen Verdacht hegt, auf die Schwelle der Länder hebt, bei denen wir im Augenblick ein hohes Verdachtsniveau haben. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen wir mal! Es ist ja noch Zeit!) Wir haben es mit einem Untersuchungsgegenstand zu tun, der die Bevölkerung sehr bewegt. Wir haben in den vergangenen Monaten in der Bevölkerung viel Enttäuschung, viel Verunsicherung, viel Wut vernommen. Wir haben erlebt, wie Dinge in einem Ausmaß zutage getreten sind, das man sich zuvor nicht vorgestellt hatte. Wir haben erlebt, wie die Sorge vor Totalüberwachung, vor totaler Erfassung, vor totaler Speicherung von Daten ganz lebendig und ganz aktuell geworden ist. Wir haben erlebt, wie die Sorge vor dem Ausspähen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ganz aktuell geworden ist. Wir haben erlebt, dass unser Verständnis von Bürgerrechten, hier insbesondere unser Verständnis vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das das Bundesverfassungsgericht ja schon vor Jahrzehnten als Grundrecht etabliert hat, und unser Verständnis vom Recht auf die Möglichkeit einer geschützten Kommunikation fundamental bedroht sind. Das hat nicht nur etwas mit dem 11. September 2001 und den Erfahrungen, die insbesondere die USA in diesem Zusammenhang gemacht haben, zu tun. Es hat aber viel damit zu tun. Wir müssen in den kommenden Monaten und Jahren klarmachen, wie unser Verständnis vom Zusammenspiel von Freiheit und Sicherheit ist. Wir wissen: Freiheit ohne Sicherheit ist nicht möglich. Freiheit ohne Sicherheit ebnet nur dem Stärkeren den Weg. Aber wir wissen umgekehrt auch, dass hemmungsloses Streben nach immer mehr Sicherheit Freiheitsrechte in einem Land niemals niedertrampeln darf. Das ist unsere tiefste Überzeugung; die müssen wir auch nach außen vertreten. Es wird im Untersuchungsausschuss um Aufklärung gehen. Aufklärung muss bedeuten, dass Missstände angesprochen werden. Aufklärung muss aber auch bedeuten, dass man unbefangen und offen an Themen herangeht. Deshalb, Frau Kollegin Renner, hätte ich es sehr begrüßt, wenn Sie heute nicht geäußert hätten, wovon Sie im Einzelnen ausgehen, wer alles auf dieser Welt der Böse ist, sondern wenn Sie zunächst einmal die Sachaufklärung an den Anfang gestellt hätten. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, richtig!) Der Untersuchungsausschuss ist ein Instrument, das mit vielen gerichtlichen Befugnissen ausgestattet ist. Aus Gerichtsverfahren wissen wir, dass es gute Praxis ist, dass sich ein Richter zunächst einmal den Sachverhalt anschaut und dann zu bestimmten Folgerungen kommt und dass er das nicht umdreht, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!) mit bestimmten Mutmaßungen, mit bestimmten Folgerungen beginnt und danach sagt: Jetzt schaue ich mir noch den Sachverhalt an, dass er auch in mein Weltbild passt. – Das ist nicht unser Verständnis der Herangehensweise. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es wird im Untersuchungsausschuss auch um politische Folgerungen gehen. Es wird darum gehen, Folgerungen im rechtlichen Bereich zu ziehen, zu überlegen: Welche rechtlichen Stellschrauben müssen wir verändern? Ich denke etwa an die Frage: Wie gestalten wir in Europa die Datenschutz-Grundverordnung aus? Es wird auch viele andere Themen geben, die uns bewegen. Ich bin der festen Überzeugung, dass sie weit über den Bereich der Rechts- und Innenpolitik hinausgehen. Das, was wir erleben, hat auch etwas damit zu tun, dass unser Kontinent in vielen wirtschaftlichen Bereichen – ich nenne die Automobilindustrie, den Maschinenbau usw. – auf diesem Globus führend ist. Nicht führend auf diesem Globus ist unser Kontinent auf dem Gebiet der digitalen Wirtschaft. Das hat auch etwas mit der Frage zu tun, wer eigentlich in dieser Welt die Technologieführerschaft im Bereich der digitalen Wirtschaft innehat. Ich wünsche mir, dass Europa nicht in einem Akt der Hilflosigkeit auf andere Kontinente schaut, sondern dass Europa auch im Hinblick auf die Technologieführerschaft in diesen Bereichen auf Augenhöhe ist. Dann haben wir wieder eine Chance, weltweit aufzutreten. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich wünsche mir, dass dieser Untersuchungsausschuss viele Punkte offen anspricht, dass er in der Tat nicht haltmacht, wenn es um die Aufklärung von Missständen in Institutionen geht. Ich wünsche mir aber auch, dass er nicht etwa versucht, Nachrichtendienste, die für unser Gemeinwesen wichtig sind und die sich an Recht und Gesetz halten, unter einen Pauschalverdacht zu stellen. Ich möchte von dieser Stelle aus ganz bewusst all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die bei Nachrichtendiensten, die sich an Recht und Gesetz halten, arbeiten, sehr herzlich Dank sagen. Wir wollen nicht, dass sie unter Pauschalverdacht gestellt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen auch nicht, dass in der berechtigten Kritik an anderen Ländern und anderen Regierungen, die geäußert werden muss, irgendwelche dumpfen Ressentiments gegen andere Länder mitschwingen – Aufklärung ja, dumpfe Ressentiments nein. In diesem Sinne wünsche ich eine sachorientierte Arbeit des Untersuchungsausschusses. Ich hoffe, dass er zu einer Veranstaltung der Aufklärung und nicht zu einer Veranstaltung des Klamauks wird. Ich möchte mich noch einmal sehr herzlich bei allen bedanken, die in den vergangenen Wochen daran mitgewirkt haben, dass wir einen gemeinsamen Antrag vorlegen können. In den Dank möchte ich auch all die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen einschließen, die sehr intensiv daran gearbeitet haben. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der Linken und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/843 zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen und der erste Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode eingesetzt. (Beifall im ganzen Hause) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur -Sukzessivadoption durch Lebenspartner Drucksache 18/841 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Ulle Schauws, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze im Bereich des Adoptionsrechts Drucksache 18/577 (neu) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Europäischen Übereinkommen über die Adoption von Kindern (revidiert) Drucksache 18/842 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist so beschlossen. Für die Bundesregierung spricht jetzt Bundesminister Heiko Maas. Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für Familien, und heute ist ein guter Tag für Kinder. Mit diesem Gesetzentwurf, den wir Ihnen heute vorlegen, sorgen wir dafür, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sorgen für gar nichts!) dass Kinder das bekommen, was jedes Kind braucht und verdient, nämlich Eltern. Ob Kinder Fürsorge, Zuwendung, Schutz und Erziehung erfahren, hängt nicht vom Geschlecht ihrer Eltern ab. Auch in Regenbogenfamilien können Kinder glücklich und geborgen aufwachsen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Trotzdem hat das Gesetz bislang selbst die Sukzessivadoption bei Lebenspartnern nicht zugelassen. Kinder, die ihre Eltern verloren hatten, konnten zwar durch eine ledige oder verpartnerte Person adoptiert werden. Deren Lebenspartner aber durfte dieses Kind nicht adoptieren und ihm rechtlich kein Elternteil sein. Gerade Kindern, die schon einmal elternlos waren, wurde damit ein zweiter Elternteil vorenthalten. Die Reform, die wir heute vorlegen, macht Schluss mit dieser Situation, die auch für viele Kinder nicht unproblematisch gewesen ist. Sie stärkt die Regenbogenfamilien, indem die soziale Familie endlich auch rechtlich zur Familie wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schon heute wachsen adoptierte Kinder mit gleichgeschlechtlichen Eltern auf, auch wenn rein formal nur ein Partner die Elternrechte hat. Indem wir das Verhältnis zwischen dem Kind und dem sozialen Elternteil rechtlich anerkennen, stärken wir, wie ich finde, nicht nur das Verhältnis zwischen beiden, sondern die ganze Familie und vor allem auch deren gesellschaftliche Akzeptanz. Für Kinder ist es wichtig, zu erleben, dass ihre Familie genauso viel wert ist und genauso viel Anerkennung erfährt wie jede andere Familie auch. Die soziale Achtung ist wichtig für die Entwicklung und das Wohlbefinden dieser Kinder. Wer Regenbogenfamilien diese Anerkennung versagt, schadet deshalb auch dem Wohl der Kinder. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Tatsache ist aber: Für Kinder mit zwei Vätern oder zwei Müttern ist es oft noch immer schwierig, sich zu ihren Eltern zu bekennen. Noch immer gibt es Vorbehalte und Widerstände in unserer Gesellschaft. Das spüren Kinder ganz intensiv. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das spürt man in Ihrem Gesetzentwurf auch!) Ich finde, wir müssen diese Vorbehalte überwinden. Dabei kann auch das Recht helfen. Mit der Reform, die wir heute vorlegen, macht der Gesetzgeber sehr deutlich, dass auch zwei Väter oder zwei Mütter gute Eltern sein können und vor allen Dingen gute Eltern sein dürfen. Das ist für die betroffenen Kinder, für ihre Eltern und für unsere gesamte Gesellschaft ein ganz wichtiges Signal. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit diesem Gesetz setzen wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem vergangenen Jahr eins zu eins um. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht einmal!) Wir korrigieren damit einen Verfassungsverstoß, nämlich das Verbot der Sukzessivadoption. Dieser Gesetzentwurf sattelt nicht drauf, sondern setzt genau das um, wozu wir laut Grundgesetz verpflichtet sind. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ohnehin schon Gesetz ist!) Nicht mehr, aber auch nicht weniger, Herr Beck, darf es heute werden; Spielraum nach unten gibt es nicht. Auch wenn sich der Entwurf genau an die Vorgaben aus Karlsruhe hält, erreichen wir damit, wie ich finde, eine ganze Menge: Dann wird nämlich auch im geschriebenen Recht stehen, dass auch schwule oder lesbische Paare ein Kind adoptieren dürfen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht gemeinschaftlich!) Sie können dies nacheinander tun: im ersten Schritt mit der Einzeladoption durch den einen Partner und im zweiten Schritt mit der Sukzessivadoption durch den anderen Partner. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, das ist ja toll!) Wichtig, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist dabei das Ergebnis, und das lautet: Erstens. Ein adoptiertes Kind kann in Zukunft auch rechtlich zwei Eltern des gleichen Geschlechtes haben. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst nach ein, zwei Jahren!) Zweitens. Schwule oder lesbische Paare können ein Kind adoptieren und ihm eine Familie geben. Meine Damen und Herren, diese Reform ist, wie ich finde, ein weiterer und wichtiger Schritt, um den Fami-lienbegriff der Vielfalt der sozialen Realität anzupassen. Das klassische Schema „Vater-Mutter-Kind“ ist immer noch das Familienmodell, das am weitesten verbreitet ist; aber es ist längst nicht mehr das einzige. Die Menschen haben die Freiheit, in sehr vielen verschiedenen Lebensentwürfen und Konstellationen zusammenzuleben, und sie nutzen diese Freiheit auch. In vielen Teilen dieser Welt werden Schwule und Lesben noch heute verfolgt und unterdrückt – von Uganda bis Russland. Ich bin froh darüber, dass dies in Deutschland anders ist. Bei uns kann jeder seinen Lebensentwurf so leben, wie er oder sie das möchte – ohne Unterdrückung und ohne staatliche Bevormundung. Die Reform, die wir heute vorlegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht nur ein wichtiger Schritt und ein guter Tag für Kinder und Familien, sie ist auch ein Signal für Freiheit und für Selbstbestimmung; auch das macht sie so besonders wichtig. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Linke spricht Harald Petzold. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Dieser Tag hätte ein guter Tag für Familien und ein guter Tag für Kinder werden können; das sollten wir uns schon vor Augen halten. Herr Minister Maas, auch wenn ich Ihre Rede bemerkenswert finde, hätte ich mir trotzdem gewünscht, dass Sie als derjenige, der sozusagen für die Einhaltung von Recht und Gesetz in diesem Land zuständig ist, mehr Mut gewagt hätten, um tatsächlich die inzwischen ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes umzusetzen und eine gemeinschaftliche Adoption von Kindern durch eingetragene Lebenspartnerschaften zuzulassen. Dazu haben heute leider nur die Bündnisgrünen Gesetzentwürfe eingebracht. Ich kann gleich vorwegnehmen, dass wir als Fraktion Die Linke diesen beiden Gesetzentwürfen zustimmen werden, weil wir sie für besser halten als den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den beiden Koalitionsfraktionen: Ich kann nicht nachvollziehen, was Sie uns heute zur Beratung vorlegen. Ihre Mitglieder waren es, die bei der Eröffnung des Regenbogenfamilienzentrums hier in Berlin flammende Grußworte gehalten haben. Ich war dankbar, dass der Kollege Dr. Luczak die Worte gewählt hat: Im Verfassungsgefüge unseres gewaltenteilenden Staates sollten wir uns nicht hinter zu erwartenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes verstecken, sondern selbstbewusst Position beziehen. Das gilt auch für Adoptionen durch eingetragene Lebenspartnerschaften. – Der Gesetzentwurf, den Sie uns hier vorgelegt haben, ist weder selbstbewusst, noch bezieht er Position oder macht unsere Verantwortung deutlich, für eindeutige Regelungen zu sorgen. Er beweist vielmehr, Herr Kollege Dr. Luczak, dass Sie in Ihrer Fraktion weiterhin auf einer Mission Impossible sind und Ihre Fraktion lieber weiterhin dem Stammtisch folgt, der sich beispielsweise hinter der Massenpetition gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg versammelt (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ihnen aber nicht gut bekommen!) und damit weiterhin nicht anerkennen will, dass eingetragene Lebenspartnerschaften bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen dieselben Rechte bekommen müssen und vor allen Dingen dieselben Qualitäten haben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihr Gesetzentwurf ist kein Millimeter mehr als das, was das Bundesverfassungsgericht im konkreten Klagefall, in dem es um die Sukzessivadoption ging, geurteilt hat. In der Begründung haben die Richter aber Folgendes eindeutig geschrieben – die Kolleginnen und Kollegen der Bündnisgrünen haben das auf der Titelseite ihres Gesetzentwurfes dankenswerterweise noch einmal zitiert –: Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft, welche die ungleiche Ausgestaltung der Adoptionsmöglichkeiten rechtfertigen könnten, bestehen nicht; insbesondere sind beide Partnerschaften gleichermaßen auf Dauer angelegt und rechtlich verfestigt … Es gibt also keinen Grund, diese Gleichbehandlung weiter zu verwehren. Deswegen ist nicht nachvollziehbar, wieso Sie uns hier heute einen derartigen Gesetzentwurf vorlegen. Der Kern ist – Sie haben es selber gesagt, Herr Justizminister –: Zahlreiche Studien belegen seit Jahren immer wieder, lesbische, schwule und transsexuelle Paare sind genauso gute Eltern wie heterosexuelle Paare. – Auch wenn Sie das nicht glauben wollen, sage ich es erneut: Jawohl, viele Zehntausend Lesben, Schwule und Transsexuelle ziehen Kinder groß. Sie tun dies überwiegend fantastisch und mit viel Liebe. Das Kindeswohl ist bei diesen Paaren in genauso guten Händen wie bei heterosexuellen Paaren. Daher verdienen sie eine Gleichbehandlung, und wir fordern das konsequent ein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit Ihrem Gesetzentwurf wird wieder so getan, als ob es doch Gründe gibt, daran zu zweifeln. Ich sage Ihnen: Sie tun das aus wahltaktischen Gründen inzwischen mit Vorsatz, damit Sie genau diesen ewiggestrigen Teil der Gesellschaft weiter als Wählerinnen und Wähler an sich binden können und eben nicht die Auseinandersetzung führen müssen, die wir führen müssten, um deutlich zu machen, dass es hier keine Unterschiede gibt. Ich sage erneut, wie ich auch in meiner ersten Rede hier in diesem Hohen Hause gesagt habe: Haben Sie endlich den Mut, die gesellschaftlichen Realitäten anzuerkennen! Sie haben selbst auf die Gefährdungen in anderen Ländern durch die Gesetzgebung dort hingewiesen. Es gilt, dies international zu beachten. Sie sollten zum Beispiel nicht übersehen, dass in Russland gerade über ein Gesetz beraten wird, durch das lesbischen und schwulen Eltern die Kinder sogar wieder entzogen werden können. Das ist ein unglaubliches Vorhaben, und wir müssen hier als ein Land, das in dieser Frage eigentlich relativ weit ist, ein Zeichen setzen. Wir müssen dem Kindeswohl Rechnung tragen und sollten den vielen Regenbogenfamilien in diesem Land das Signal geben: Ihre Liebe, ihre Sorge, ihre Familienleistung und ihr Engagement sind großartig, und wir danken ihnen dafür. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über den Gesetzentwurf, der die Sukzessivadoption eines Kindes durch den Partner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gesetzlich regelt. Unsere Regelung sieht vor, dass das Adoptivkind des einen Partners auch von dem anderen angenommen werden kann, unabhängig davon, ob die erste Adoption vor oder auch schon während der bestehenden Lebenspartnerschaft erfolgt ist. Der Minister sagte es schon: Wir setzen damit den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts um, das im Februar des letzten Jahres entschieden hat, dass wir bis zur Mitte dieses Jahres eine entsprechende gesetzliche Regelung auf den Weg und ins Gesetzblatt bringen müssen. Genau das tun wir. Ich bin an dieser Stelle froh, dass Fristen, die aus Karlsruhe gesetzt werden, auch einmal wieder eingehalten werden. Ich denke, das ist eine gute Sache. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sich stets bemüht, Umsetzungsfristen bei der Gesetzgebung zu berücksichtigen!) Gleichzeitig setzen wir das Europaratsabkommen um, das diese Form der Adoption erst ermöglicht. Es würde auch die Volladoption ermöglichen. Davon sehen wir allerdings bewusst ab. Die Regierung hat gesagt, dass davon ausdrücklich abgesehen wird. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der einzig substanzielle Gehalt Ihres Entwurfs! Fürchterlich! – Zuruf von der LINKEN: Warum denn?) Wir stehen nicht am Anfang der Diskussion. Wir haben die Diskussion schon mehrfach geführt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit 25 Jahren wird darüber geredet!) Ein paar Argumente, ein paar Forderungen und ein paar Reflexe auf beiden Seiten sind bekannt; so möchte ich es sagen. Den einen gehen die Regelungen dieses Entwurfs nicht weit genug, den anderen zu weit. Das ist in der Politik nicht so selten, sondern eher der Normalfall. Aber wir müssen sehen, wie wir auf diesem schmalen Grat eine gute Lösung erreichen. Ich verweise nur auf die Bedeutung unserer Diskussion im wahren Leben. Ich habe mich beim Amtsgericht Köln – Köln! – erkundigt, welche Bedeutung diese Regelung hat, die nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts so lange vorläufig gilt, bis diese Sache gesetzlich geregelt ist. Die Anzahl der Verfahren in dieser Angelegenheit war null. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben Sie, dass die Leute bei so etwas klagen?) Ich sage das in beide Richtungen. Das ist ein Anlass, die Emotionen vielleicht ein Stück weit herunterzufahren und zu erkennen, dass das jetzt nicht die alles entscheidende Frage ist, obwohl ich die symbolische Bedeutung durchaus anerkenne und nicht in Abrede stellen möchte. Ich denke, wir legen mit dem Entwurf zur Regelung der Sukzessivadoption eine in der Praxis gute Lösung vor. Ich möchte für diese Lösung werben, nicht nur weil sie uns das Verfassungsgericht ohnehin vorgegeben hat, sondern weil diese nach meiner Ansicht in der Praxis gute Lösungen ermöglicht. Eine Adoption – das ist klar – muss immer aus dem Blickwinkel des Kindes gedacht werden. Diesem Kind fehlen – aus welchem Grund auch immer – ein Elternteil oder beide Elternteile. Es geht darum, für dieses Kind gute Eltern zu finden. Dabei die Wünsche der annehmenden Elternteile und des anzunehmenden Kindes zu berücksichtigen, ist mit der Regelung, die wir heute vorlegen, möglich. Für mich sind hier zwei Sätze gleichermaßen bedeutsam. Sie sind beide gleich wichtig, obwohl sie in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Der eine Satz ist: Wir gehen davon aus, dass es für die Entwicklung eines Kindes am allerbesten ist, wenn es mit Vater und Mutter aufwächst. – Diesen Satz sage ich hier mit aller Deutlichkeit und ganz bewusst. Der zweite Mann ersetzt nicht die Mutter, die zweite Frau ersetzt nicht den Vater, sondern jedes Geschlecht hat seine eigenständige Bedeutung, auch für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: So ein Unsinn!) Der zweite Satz ist: Ob ein Mann ein guter Vater ist oder ob eine Frau eine gute Mutter ist, ist keine Frage ihrer sexuellen Orientierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Noch einmal zu dem ersten Satz: Wir haben im vergangenen Jahr über die Situation der nichtehelichen Väter diskutiert. Da hat es für den Satz: „Ein Kind braucht Vater und Mutter“, Applaus gegeben, und zwar von allen Seiten. Ich habe als Familienrichterin viele Fälle verhandelt, in denen Wert darauf gelegt wurde, dass ein Kind zu dem getrennt lebenden Vater oder zu der getrennt lebenden Mutter Kontakt hat, nicht nur um das Trauma der Trennung zu überwinden, sondern auch um den anderen Elternteil in seiner verschiedenen Geschlechtlichkeit zu erleben; das ist wichtig. Uns liegen neue Erkenntnisse aus der Väterforschung vor, die unterstreichen, dass Väter von Anfang an für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes wichtig sind. Nicht zuletzt versuchen wir auch, mehr Erzieher in die Kitas zu bekommen, gerade weil wir wissen, dass sie etwas anderes einbringen als die überwiegend tätigen Erzieherinnen. Ich komme zu dem anderen Satz. Ich kenne schwule Männer, die tolle Väter sein könnten. Ich kenne lesbische Frauen, die tolle Mütter sind. Der Staat macht sich deren Fähigkeit, zu erziehen, zunutze, indem er Pflegekinder in homosexuelle Partnerschaften gibt – mit gutem Erfolg. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was keiner will, bekommen die Schwulen und Lesben!) Das ist anzuerkennen; das sage ich hier ausdrücklich. Die Stiefkindadoption ist etabliert und mittlerweile gängige Praxis. Was heißt das jetzt für die Adoption vor dem Hintergrund dieser zwei Sätze, die sich aneinander reiben? Das heißt für mich: Ich kann mir keine Regelung und vor allem keine Praxis vorstellen, in der es egal ist, ob ein Kind ein Elternpaar bekommt, das aus einem Vater und einer Mutter oder aus zwei Vätern bzw. zwei Müttern besteht. Für mich ist das ein starkes Kriterium und wird es auch bei jeder konkreten Entscheidung über eine Adoption bleiben. Diesen Gedanken bringen wir im Gesetzentwurf durch die Beschränkung auf die Sukzessiv-adoption zum Ausdruck. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich! Es gibt keinen sachlichen Grund außer Ihrem Bauchgefühl!) Aber die Sukzessivadoption bietet auch Raum, im konkreten Einzelfall anders zu entscheiden. Wenn ein Kind bereits einen Lebenspartner als Elternteil hat, ist es doch klar, dass es das Beste für dieses Kind ist, wenn es auch den anderen Partner als Elternteil bekommt. Genau das ermöglicht die Sukzessivadoption. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Denken Sie bitte an die Redezeit. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Es gibt andere Fälle in der Praxis. Denken Sie an die langjährigen Pflegekinder, die sich selber wünschen, adoptiert zu werden, oder an den Patenonkel eines Waisenkindes, der das Kind kennt und zu dem es auch will. In solchen Fällen liegt es doch auf der Hand, dass dort, und zwar auch im Wege einer Sukzessivadoption, eine gute Lösung in der Praxis gefunden werden kann. Ich habe Vertrauen in die Adoptionsvermittlungsstellen, dass sie mit dieser Regelung sehr verantwortungsvoll umgehen und gute Eltern für die Kinder suchen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geschätzte Kollegin Winkelmeier-Becker, ich nehme Ihnen ab, dass Sie es in der Sache gut meinen und eigentlich auch eine aufgeklärte Position vertreten wollen. Es ist Ihnen bloß noch nicht ganz gelungen. Sie haben gerade selber zu Recht gesagt – das ist Praxis –, dass Jugendämter häufig gerade gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften Pflegekinder aufziehen lassen, weil sie oftmals niemand anderen finden als ein gleichgeschlechtliches Paar, das bereit ist, sich insbesondere um ältere Pflegekinder zu kümmern, weil diese Kinder und Jugendliche nicht ganz einfach sind, vielleicht schon Vorprägungen haben und man sich als erziehender Elternteil ein bisschen mehr anstrengen muss. Wenn aber diese Pflegekinder, weil die Herkunftsfamilie familienrechtlich auf sie verzichtet, zur Adoption freigegeben werden, dann wollen Sie nicht zulassen, dass diese Kinder gemeinschaftlich adoptiert werden. Was ist das für ein Unsinn? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Warum müssen diese Eltern ein, zwei Jahre warten, bis sie gemeinsam familienrechtlich für die Kinder Verantwortung tragen, obwohl sie es tatsächlich unter Umständen schon seit Jahren tun? Ihnen geht es bei dieser Position nicht um das Kindeswohl. Ihnen geht es um Vorteile. Ihnen geht es um Bauchgefühl und um falsche Rücksichtnahmen am rechten Rand unserer Gesellschaft in Ihrer Partei und bei der AfD. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das finde ich skandalös. So macht man keine Rechtspolitik. Aber nun zu Ihnen, Herr Minister. Sie haben mit schönen Worten einen Gesetzentwurf begründet, wobei ich dachte: Die Rede hätten Sie besser zu unserem Gesetzentwurf gehalten als zu dem Ihrem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will Ihnen eines mitgeben: Sie sind Justizminister, nicht der Notar des Bundesverfassungsgerichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie haben heute einen Gesetzentwurf vorgelegt, der es hinbekommt, an der Rechtslage schlichtweg gar nichts zu ändern. Das, was Ihr Gesetzentwurf aufschreibt, gilt so seit dem 19. Februar 2013 durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bereits unmittelbar. Schön ist nur, dass wir jetzt eine neue Fundstelle dafür bekommen, nämlich das BGB und das Lebenspartnerschaftsgesetz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Gesellschaftspolitisch und rechtspolitisch weniger ambitioniert als dieser Gesetzentwurf, Herr Minister, kann man überhaupt nicht sein. Aber ganz ohne Aussage ist Ihr Gesetzentwurf in der Tat nicht. In der Begründung – komischerweise spricht in der Begründung der Koalition jetzt die Koalition für die Bundesregierung – heißt es: Die Bundesregierung wird das Übereinkommen von 2008 – zum Adoptionsrecht – umsetzen. Von der in dem Übereinkommen eröffneten Möglichkeit, im nationalen Adoptionsrecht die gemeinsame Adoption durch Lebenspartner zuzulassen, wird sie keinen Gebrauch machen. Außer einem Nein zur gemeinschaftlichen Adoption hat Ihr Gesetzentwurf also keine Substanz. Das finde ich für die Sozialdemokratie schon beschämend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie sind im Wahlkampf vollmundig angetreten: für 100 Prozent Gleichstellung, für die Öffnung der Ehe – ich habe die Anzeige dabei – und für die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und künftigen Ehen im Adoptionsrecht. Dass Sie das mit der Ehe nicht hinbekommen, Frau Kollegin, ist geschenkt. Ich weiß, wie schwierig das ist und dass das für die Union eine hoch ideologische Frage ist. Dass Sie das aber bei der Adoption noch nicht einmal versucht haben, finde ich in der Tat beschämend. Von 100 Prozent Gleichstellung, den Wählerinnen und -Wählern versprochen, ist 0 Prozent Rechtsänderung übrig-geblieben. Weniger geht nun wirklich nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie haben als Notar nicht einmal die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ordentlich umgesetzt. Sie haben offensichtlich in Ihrem Ministerium noch nicht einmal jemanden beauftragt, das Urteil bis zum Ende durchzulesen. In Randnummer 104 steht – der -Kollege hat das schon teilweise zitiert –: Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener -Lebenspartnerschaft, welche die ungleiche Ausgestaltung der Adoptionsmöglichkeiten rechtfertigen könnten, bestehen nicht; Dann sagt das Bundesverfassungsgericht, dass die Bestimmung im Lebenspartnerschaftsgesetz, die das Adoptionsrecht beschränkt, verfassungswidrig ist. Aber das Bundesverfassungsgericht gibt Ihnen, dem Gesetzgeber, die Aufgabe auf, diese Frage zu klären. Es weist darauf hin, dass das nicht nur über die Einführung der gemeinschaftlichen Adoption geht. Neben der naheliegenden Angleichung der Adop-tionsmöglichkeiten eingetragener Lebenspartner an die für Ehepartner bestehenden Adoptionsmöglichkeiten wäre auch eine allgemeine Beschränkung der Adoptionsmöglichkeiten denkbar, sofern diese für eingetragene Lebenspartner und Ehepartner gleich ausgestaltet würden. Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen klar auf den Weg gegeben: Sie dürfen beim Adoptionsrecht nicht zweierlei Recht für Ehe und Lebenspartnerschaft bestehen lassen. Genau das tun Sie aber mit Ihrem Gesetz-entwurf. Ich finde, Ihr Gesetzentwurf ist ein Fall für die Haftpflichtversicherung, Herr Notar; denn Sie haben hier einen Schaden herbeigeführt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht nicht nur um Recht und Gesetz und darum, ob Sie Ihre Wahlversprechen eingehalten haben. Das Problem ist schlichtweg: Adoptionskindern muten Sie zu, erst nach ein, zwei Jahren durch ein Sukzessivadoptionsverfahren tatsächlich zu einer Familie mit zwei Elternteilen zu kommen, die sorgeberechtigt und unterhaltspflichtig sind und gegenüber denen das Kind Erbansprüche hat. Zuvor haben diese Kinder nur ein -Elternteil. Das ist eine sozial- und familienrechtlich instabilere Situation. Das gereicht dem Kind nur zum Schaden. Wer in dieser Debatte noch einmal das Wort „Kindeswohl“ in den Mund nimmt und diese Position verteidigt und vertritt, sollte vor Scham im Boden -versinken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort Dr. Karl-Heinz Brunner. (Beifall bei der SPD) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Lieber Kollege Beck, dann wäre ich der Nächste, der vor Scham im Boden versinken müsste. Ich tue es aber nicht; denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass uns das Bundesverfassungsgericht wieder einmal gezeigt hat, wo es langgeht. Es sagt glasklar: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. – Dies gilt bei einer Adoption durch gleichgeschlechtliche Lebenspartner und – noch viel wichtiger – für alle Kinder dieses Landes. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber eigentlich hätten wir selbst darauf kommen müssen. Ich weiß, dass der große Teil der Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch darauf gekommen ist. Leider haben wir dies noch nicht – ich sage das ganz bewusst – über alle politischen Gegensätze hinweg selbst in die Hand genommen. Mein Wunsch ist, dass wir die Parteigrenzen außer Acht lassen und sagen: Wir müssen die Kinder und die Familien in den Mittelpunkt stellen. Lieber Kollege Beck, ich gehe davon aus, dass Sie in Koalitionsverhandlungen wahrscheinlich auch kein -besseres Ergebnis erzielt hätten. (Beifall bei der SPD) Ja, wir freuen uns, wenn in Deutschland Kinder großgezogen werden, wenn sie geborgen, gefördert, umsorgt und geliebt sind, egal welche sexuelle Orientierung die Eltern haben. Wir wollen Familien, Solidarität und gemeinsames Einstehen für die Kinder, ganz egal in welcher Konstellation. Wir leben in einer offenen Gesellschaft, und wir stehen dazu. Wir, die SPD, stehen dafür ein, ohne Zögern, ohne Lavieren und ohne Angst. Aber ich weiß, dass dies in Deutschland und auch in diesem Hohen Haus keine hundertprozentige Zustimmung -erfährt. Ich weiß, dass sich manche Kolleginnen und Kollegen unseres geschätzten Koalitionspartners noch immer schwertun, den Schritt in Richtung Gleichstellung so zu gehen, wie ich und vielleicht auch andere in diesem Hause ihn gerne gehen würden. Ich akzeptiere dies. Gerade deshalb möchte ich Sie gerne mitnehmen, Ihnen den Weg erleichtern und Ihnen dazu fünf Argumente an die Hand geben. Erstens haben wir im Koalitionsvertrag bereits festgelegt, rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Partnerschaften schlechterstellen, zu beseitigen – das -haben wir noch vor uns –, und wir haben – das haben wir heute vorliegen – den Gesetzentwurf zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vereinbart. Das machen wir jetzt. Zweitens. Familie hier, Ehe da, Lebenspartnerschaft dort – das sind in unserer Gesellschaft keine Gegensätze mehr. Ich sage ganz deutlich: Familie ist da, wo Solidarität herrscht, wo Menschen füreinander einstehen, wo ein Kind in behüteten Verhältnissen aufwachsen kann, wo es sich gut entwickeln kann, dort, wo es daheim ist. Das hat nichts mit Mann und Frau, sondern das hat etwas mit Liebe zu tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Kinder in homosexuellen Ehen entwickeln sich psychisch ganz normal. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass sie es schwerer hätten als Dicke, Dünne, Kleine oder Große, von Diskriminierung ganz zu schweigen. Schließlich hat das das Staatsinstitut für Familienforschung in Bamberg bestätigt, und die müssen es wissen. Viertens. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden in der Bevölkerung meist Homoehe genannt, nicht Partnerschaft, sondern Ehe. Selbst die Bild-Zeitung schreibt nur Homoehe. Damit ist klar, dass eingetragene Lebenspartner wie Ehepartner leben und zweifelsohne die Verantwortung für sich und für ihre Kinder und -Angehörigen übernehmen wie Ehepartner und so, wie wir das in Deutschland wollen. Gut, dass der allgemeine Sprachgebrauch schon etwas weiter ist als die Gesetzgebung. Fünftens: die Realität. Es gibt sie schon längst, die Stiefeltern, die Pflegeeltern, die Patchworkfamilien, die ihren Kindern Schutz und Geborgenheit geben. Das verdient Anerkennung. Unterschiede werden gelebt, öffentlich, unabhängig von jedem Schubladendenken. Warum sollten wir einen anderen Maßstab anlegen, warum soll es bei Sukzessivadoptionen Ausnahmen geben? Wenn irgendjemand die Gleichstellung bremsen möchte, dann ist es, glaube ich, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eh schon zu spät. Der Zug fährt schon. Das nächste Gesetz ist vor der Tür. (Beifall bei der SPD) Dieser Gesetzentwurf ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, aber er darf es nicht allein bleiben. Dazu sollten wir künftig keinen Wink unseres Bundesverfassungsgerichts mehr benötigen. Haben wir den Mut, die Augen für die Realität zu öffnen und die Fragen zu beantworten, die wir für unsere Gesellschaft beantworten müssen. In welcher Gesellschaft wollen wir leben? In was für einer Gesellschaft sollen unsere Kinder aufwachsen? Füreinander einstehen, sorgen, lieben und beschützen – was ist uns das wert? Glauben Sie mir: Wenn wir diese Fragen fern von parteipolitischem -Kalkül und fern von unseren parteipolitischen Unterschieden sehen, dann steht am Ende nicht nur die Gleichstellung, sondern auch die Ehe für Schwule und Lesben. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bei der Präsidentin, dass sie mir ein paar Sekunden hinzugegeben hat. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist Frau Dr. Sütterlin-Waack für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube aus den bisherigen Redebeiträgen entnehmen zu können, dass wir uns darüber einig sind, dass durch die Sukzessivadoption die rechtliche Stellung von Adoptivkindern in der schon dargestellten speziellen Situation verbessert wird. Die Kinder entwickeln nach erfolgter Zweitadoption ein sogenanntes doppelstrahliges Kindschaftsverhältnis zu beiden Elternteilen. Somit haben auch diese Kinder zwei Elternteile, denen sie vertrauen und die für sie rechtlich einstehen. Sie bekommen eine zweite Bezugsperson, die für sie unterhaltspflichtig ist und bei der sie erbberechtigt sind. Alles zusammengenommen ist wichtig. Dadurch verbessern wir sowohl die soziale als auch die rechtliche Situation der betroffenen Kinder. Selbstverständlich bleibt auch bei der Sukzessivadoption das allgemeine Adoptionsverfahren aufrechterhalten. Dies ist im Wesentlichen in § 1741 BGB festgeschrieben. Dort heißt es – jetzt muss ich doch das Wort „Kindeswohl“ in den Mund nehmen; das werde ich in meiner Rede noch öfter tun –: (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie die richtige Position einnehmen, dürfen Sie das sogar! Wenn Sie es konterkarieren, nicht!) Die Annahme als Kind ist zulässig, wenn sie dem Wohl des Kindes dient und zu erwarten ist, dass zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein -Eltern-Kind-Verhältnis entsteht. Im Einzelfall wird also entschieden, ob ein Paar oder eine Einzelperson für die Adoption eines ganz bestimmten Kindes infrage kommt oder nicht. Im Mittelpunkt des Adoptionsverfahrens steht also das Kindeswohl. -Daran darf und wird sich nichts ändern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Kindeswohl ist nach gängiger Definition die nachhaltige Verbesserung der persönlichen Verhältnisse und der Rechtsstellung des Kindes. Unsere Familien-gerichte treffen in Zusammenarbeit mit den Adoptionsbehörden letztendlich die Entscheidung im Kindeswohlinteresse. Ich habe vollstes Vertrauen in die Fähigkeit unserer deutschen Familiengerichte zu ausgewogenen Urteilen. Ich will es noch einmal hervorheben: Die für uns zentrale Frage ist: Dient die Adoption dem Kindeswohl? Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies in seinen Entscheidungsgründen vorangestellt. Es hat zu dieser Frage im Zusammenhang mit der Sukzessivadoption Stellungnahmen von elf Sachverständigen eingeholt. Zehn davon äußerten sich positiv; einer hatte Bedenken. Auch wegen der überwiegenden Zustimmung der Fachleute zur Sukzessivadoption bestanden für das Verfassungsgericht keine Zweifel. Das gilt auch für uns. Ich werbe daher um die Zustimmung zum Gesetzentwurf zur Sukzessivadoption. Meine sehr geehrten Damen und Herren der Opposition, bei diesem wichtigen Thema werden Sie mich in meiner ersten Rede sicher nicht von der Antwort auf die Frage befreien: Wie halten Sie es mit der Volladoption bei eingetragenen Lebenspartnern? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig erkannt!) Ich gebe zu, dass ich lange darüber nachgedacht habe, wie ich mich zu dieser Frage stellen soll. Die Stimmen, die den letzten oder vorletzten Schritt zur rechtlichen Gleichstellung fordern, sind zwar laut, aber für uns ist festzustellen, dass die grundsätzliche Frage, ob Kinder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft genauso gut aufwachsen können wie bei Mann und Frau, immer noch gesellschaftlich stark umstritten ist. Auch aus der wissenschaftlichen Literatur ist mir keine belastbare Studie bekannt, die darüber verlässlich Auskunft erteilt. Die vielzitierte Studie der Uni Bamberg ist nicht allgemein anerkannt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um diskriminieren zu dürfen, müssten Sie eine Studie haben, die belegt, dass es ein Problem gibt!) Ihr werden erhebliche Schwächen vorgehalten, vor allen Dingen, weil sie nicht repräsentativ sei. Auch die Anhörung des Rechtsausschusses zum gleichlautenden Gesetzentwurf der Grünen am 6. Juni 2011 förderte kein einheitliches Bild zutage. Einige der Sachverständigen haben ausgeführt, dass ein Kind, das, aus welchen Gründen auch immer, nicht in seiner Herkunftsfamilie aufwächst, schon dadurch besonderen Belastungen ausgesetzt ist. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das spricht jetzt gegen Adoption insgesamt!) Weitere Belastungen sollten daher vermieden werden. Der Gesetzgeber, also wir, wurde auch ermahnt, das -Adoptionsrecht nicht als Instrument zum Abbau von gesellschaftlichen Diskriminierungen zu gebrauchen. Der Sachverständige warnte davor, über das Adoptionsrecht Gleichstellungspolitik zu betreiben. Wegen der sich aus Art. 6 Grundgesetz ergebenden Wächterfunktion des Staates müssen wir hier aber Gewissheit haben. Solange wir diese nicht haben, werden wir dem Gesetzentwurf der Grünen auf Zulassung der Volladoption durch eingetragene Lebenspartner nicht -zustimmen. Diese Ablehnung hat nichts, aber auch gar nichts damit zu tun, dass wir gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften nicht akzeptieren. Dies heißt aber nicht automatisch, dass sie Anrecht auf Kinder haben. Das hat niemand. Jetzt zitiere ich Sie, Herr Beck: Kinder haben … ein Recht auf Liebe, Fürsorge, Aufmerksamkeit und Geborgenheit. Im Umkehrschluss ist die Adoption aber keine Maßnahme zur Heilung von Kinderlosigkeit von Paaren, egal welcher geschlechtlichen Orientierung. Sinn und Ziel von Adoptionen ist eine mögliche Hilfe für bereits geborene Kinder, die aus unterschiedlichsten Gründen ihre Eltern verloren haben und für die deshalb eine neue Familie gesucht wird. Ich möchte am Ende noch einmal auf die Wächterfunktion des Staates und die damit verbundene Verantwortung zurückkommen. Die Adoption ergeht durch einen staatlichen Hoheitsakt. Der Staat ist also an der Entstehung von rechtlichen Familienbeziehungen aktiv beteiligt. Daraus erwächst die besondere Verantwortung des Staates. Er darf eine solche Beziehung nur schaffen, wenn es dem Kindeswohl dient. Also noch einmal: Solange wir keine Gewissheit haben, dass die Volladoption durch gleichgeschlechtliche Lebenspartner vollumfänglich dem Kindeswohl entspricht, können wir derartigen gesetzlichen Vorhaben nicht zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ist die Sukzessivadoption von der gewollten gemeinschaftlichen Adoption zu unterscheiden?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herzlichen Dank. – Das war Ihre erste Rede. Ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses dazu. (Beifall) Der nächste Redner ist Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Abschluss der Debatte sei noch einmal daran erinnert, dass es bei der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts eben doch um die Verbesserung von Kinderrechten und um die Verbesserung des Kindeswohls geht. Es ist natürlich durchaus möglich, diese Debatte unter dem Vorzeichen der Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften zu führen. Wir alle sind uns in diesem Hohen Hause einig: Wir erkennen gemeinsam an, dass in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften Werte gelebt werden, die insgesamt in dieser Gesellschaft wichtig sind und die eine Bindung verschaffen. Aber es ist auch wichtig, anzuerkennen, dass es einen Wert hat, die Rechte von Kindern zu verbessern. Die Koalitionsvorlage stärkt die rechtliche Stellung von bereits bestehenden emotionalen Beziehungen. Denken Sie daran, dass in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft der eine Partner beispielsweise das Sorgerecht hat; der andere hat es nicht. Der eine Partner ist unterhaltsverpflichtet; der andere ist es nicht. Der eine hat einen Auskunftsanspruch im Krankheitsfall; der andere hat ihn nicht. Durch die Sukzessivadoption bekommt ein Kind ein Mehr an Rechten. Es bekommt die Möglichkeit, zusätzlich abgesichert zu werden. Deswegen ist dieser Gesetzentwurf richtig und zielführend. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mutlos!) Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang bedauerlich, dass wir durch das Bundesverfassungsgericht dazu gezwungen worden sind, diesen Schritt zu gehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Aber es sei auch daran erinnert, dass das Bundesverfassungsgericht kein Ersatzgesetzgeber ist und es dem Gesetzgeber freistehen muss, Wertentscheidungen selbst zu treffen, nach eigener Einschätzung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Hätten Sie auch vorher schon!) Dementsprechend können wir auch die Frage der Volladoption in einem anderen Licht betrachten. Es ist etwas dann gleich zu behandeln, wenn es von seiner Eigenart her gleich ist und wenn sich eine Ungleichbehandlung verbietet. Dort aber, wo Ansatzpunkte einer Differenzierung vorhanden sind, kann es eine gesetzgeberische Wertentscheidung sein, eine Ungleichbehandlung vorzunehmen. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Aha!) Ich denke, dass es zwischen einer Sukzessivadoption und einer Volladoption durchaus einen zu betrachtenden Unterschied gibt. Bei der Sukzessivadoption ist die Bindung des Kindes an einen Lebenspartner bereits vorhanden, während bei der Volladoption zwei völlig neue -Bindungen geknüpft werden. Angesichts dieses Unterschiedes sollten wir gut überlegen, ob das, was wir bislang wissen, was wir bislang an Studien haben, ausreicht, eine Gleichbehandlung herbeizuführen, oder ob es besser ist, zu sagen: Das Kindeswohl gebietet es, dass der Regelfall eben doch der sein soll, dass eine Adoption durch Mann und Frau erfolgt, sodass quasi Emotionen und andere Aspekte der Erziehung von beiderlei Geschlecht zum Tragen kommen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck? – Bitte schön. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur, damit auch ich als Nichtjurist es verstehe: Das Bundesverfassungsgericht hat sich ja für dieses Urteil, das Sie heute umzusetzen meinen, genau diese Fragen gestellt, Sachverständige vom Deutschen Familiengerichtstag, von Psychologenverbänden, von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter angehört – alle Fachverbände waren einbezogen – und kommt dann zu dem Schluss: Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft, welche die ungleiche Ausgestaltung der Adoptionsmöglichkeiten – nicht der Sukzessivadoption, sondern der Adoptionsmöglichkeiten – rechtfertigen könnten, bestehen nicht … (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Weiter führt es aus, was ich vorhin schon gesagt habe – ich lese es einfach noch einmal vor; ich habe es schon ein paar Mal gemacht, weil es ja offensichtlich niemand zur Kenntnis nehmen will, zumindest auf der rechten Seite des Hauses –: Neben der naheliegenden Angleichung der Adop-tionsmöglichkeiten eingetragener Lebenspartner an die für Ehepartner bestehenden Adoptionsmöglichkeiten – also Sukzessivadoption, gemeinschaftliche Adoption, Stiefkindadoption – wäre auch eine allgemeine Beschränkung der -Adoptionsmöglichkeiten denkbar, sofern diese für eingetragene Lebenspartner und Ehepartner gleich ausgestaltet würden. Wo lesen Sie in diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes eine Legitimation für den Gesetzgeber, bei Adoptionsmöglichkeiten zwischen Lebenspartnerschaften und Ehepaaren weiterhin zu differenzieren? Ich habe Ihnen gerade zwei Sätze aus dem Urteil vorgelesen, die allgemein für das Adoptionsrecht sagen: Das dürfen wir nicht mehr. Wir können uns zwar überlegen, wie wir es machen, aber nicht, ob wir es machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Herr Kollege Beck, das Verlesen einzelner Zitate aus einem Verfassungsgerichtsurteil ersetzt nicht die gesetzgeberische Wertentscheidung. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir treffen die gesetzgeberische Wertentscheidung so, dass wir die Sukzessivadoption aus den Gründen, die meine Kollegen und ich gerade dargestellt haben, in unserem Gesetzentwurf zulassen, dass wir als Gesetzgeber aber an der grundsätzlichen Wertentscheidung, dass vor dem Hintergrund des Kindeswohls eine Volladoption vornehmlich durch Mann und Frau erfolgen soll, im Augenblick nichts ändern. Das ist keine Wertentscheidung gegen gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich ist es das!) sondern das ist im Grunde genommen eine Entscheidung für das Kindeswohl. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch wenn Sie sagen, sachwidrige Diskriminierung ist keine Diskriminierung, bleibt das trotzdem Diskriminierung!) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/841, 18/577 (neu) und 18/842 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchens der somalischen Regierung mit Schreiben vom 27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie der Beschlüsse des Rates der Europäischen Union 2010/96-GASP vom 15. Februar 2010 und 2013/44-GASP vom 22. Januar 2013 in Verbindung mit der Resolution 1872 (2009) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksache 18/857 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsauschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung hat Frau Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, dass ich zunächst einmal auf der Tribüne Soldatinnen und Soldaten des FüSK-Referates Stationierung aus Bonn im Rahmen der politischen Bildung ganz herzlich zu dieser Debatte begrüße. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Da könnte die Linke auch einmal klatschen!) Es geht um die europäische Trainingsmission in Somalia. Wir haben in den letzten Wochen viel über Afrika diskutiert, in vielerlei Hinsicht ein Kontinent der großen Chancen, sehr vielfältig mit seinen 54 Staaten. Afrika erscheint aber auch gerade mit Blick auf Somalia als ein Kontinent der Krisen mit Bürgerkriegen, fragiler Staatlichkeit und zunehmendem Terrorismus. Es geht heute um die Problematiken Gewalt, Hunger und Flucht. Das sind die prägenden Merkmale des Landes am Horn von Afrika, die in fataler Weise nicht nur enorme Auswirkungen auf die Bevölkerung selber haben, sondern auch auf die Nachbarstaaten. Gemeinsam mit der Afrikanischen Union gibt es ein breites Bündnis von Staaten und Organisationen, das sich seit Jahren am Horn von Afrika engagiert. Wir haben einen strategischen Rahmen der europäischen Mission, in dem viele verschiedene Untergruppierungen sind. Das Ziel ist, in der Region Sicherheit, vor allem im Seegebiet, wiederherzustellen, Somalia zu stabilisieren und vor allem staatliche Strukturen wieder aufzubauen. Hier gilt: Es gibt keine Alleingänge; auch diese Mission steht unter dem Dach der Vereinten Nationen, gemeinsam mit der Afrikanischen Union und mit der EU. Wir engagieren uns hier zusammen in der vernetzten Sicherheit. Das ist unser Grundprinzip. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei den Zielen, die wir uns gesteckt haben, liegt noch ein weiter Weg vor uns. Vieles wurde schon erreicht im Kampf gegen die Piraterie und bei der Sicherung weiterer Regionen des Festlandes, vor allem in der Hauptstadt Mogadischu. Das ist vor allem ein Verdienst der Truppen der afrikanischen Friedensmission AMISOM, die zum Teil schwere Verluste im Kampf gegen die Al-Schabab-Miliz erleiden mussten. An dieser Stelle möchte ich für diesen Einsatz, der bei uns in Deutschland keine große Aufmerksamkeit erhält, den Soldatinnen und Soldaten vieler afrikanischer Staaten danken und an ihre Opfer erinnern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Auch Deutschland engagiert sich seit Jahren am Horn von Afrika: immer in der vernetzten Sicherheit – Diplomatie, wirtschaftliche Entwicklung und Sicherheit –, immer mit dem Respekt vor der souveränen Entscheidung afrikanischer Staaten, wo und wie Hilfe nötig ist. Ein Teil davon ist die jetzt diskutierte europäische Trainingsmission für die somalischen Streitkräfte, die zunächst in Mogadischu war, dann aus Sicherheitsgründen nach Uganda ausgelagert worden ist und jetzt wieder nach Mogadischu verlegt worden ist. Rund 3 600 Soldatinnen und Soldaten und rund 120 militärische Ausbilder, Train the Trainer, wurden in Uganda ausgebildet. Sie sind jetzt der Kern der Streitkräfte, die sich in Somalia für Stabilität, Sicherheit und den Schutz der Bevölkerung einsetzen. Wir möchten gerne mit unseren Partnern in Somalia an den Erfolg, dessen Grundlage in Uganda gelegt worden ist und der jetzt wieder in Mogadischu stattfindet, anknüpfen. Deshalb bittet die Bundesregierung heute um die Zustimmung zu einer erneuten Beteiligung deutscher Soldatinnen und Soldaten an der Ausbildungsmission im -somalischen Zentrum. Es geht um rein militärisches Training und den Aufbau militärischer Strukturen. Es geht dabei auch um das Verständnis für die rechtsstaatliche Einbettung und zivile Kontrolle des Militärs. Daher wollen wir in Mogadischu auch Beratungsfunktionen im somalischen Generalstab und im Verteidigungsministerium wahrnehmen. Wir haben vorher Diskussionen gehabt, ob die Sicherheitslage in Mogadischu dieses zulässt. Wir hatten zugesichert, dass wir noch eine sorgfältige Prüfung sowohl bei den europäischen Partnern in Somalia als auch in den Nachbarländern vornehmen und ihnen eine gewissenhafte Bewertung der Sicherheitslage vorlegen werden. Die Bedrohungslage in Mogadischu ist durch Angriffe und Terrorismus nach wie vor erheblich. Das muss ich ganz klar sagen. Aber es sind Sicherheitsmaßnahmen durch unsere europäischen Partner im Camp Al Jazeera vorgenommen worden. Auch die Bewegungen zwischen Camp Al Jazeera und dem Verteidigungsministerium rund um die Mission sind so, dass das Risiko als militärisch vertretbar und politisch verantwortbar angesehen wird. Zurzeit sind bereits elf europäische Nationen bei der Trainingsmission in Mogadischu. Rund 100 Ausbilder sind an der Trainingsmission in Mogadischu beteiligt. Jetzt geht es um die Frage, ob sich Deutschland mit einer Personalobergrenze von bis zu 20 Soldatinnen und Soldaten wieder an der Ausbildungsmission beteiligt. Wir bitten um ein Mandat für die nächsten zwölf Monate, obwohl diese Mission selber für die nächsten zwei Jahre angelegt ist. Warum für die nächsten zwei Jahre? Es ist geplant, dass 2016 Wahlen in Somalia stattfinden werden, die für die Zukunft Somalias entscheidend sind. Wir möchten uns gerne auf dem Weg zur Stabilisierung des Landes an dieser Trainingsmission beteiligen; aber sie ist nicht das einzige Moment. Wichtig ist, dass uns bewusst ist, dass die gesamte Rahmenstrategie zur Stabilisierung des Landes, die dort vor Ort unter dem Dach der europäischen Mission verfolgt wird, nur erfolgreich sein kann, wenn es nicht nur bei der Sicherheitsarchitektur, sondern auch bei der politischen Konsolidierung auf dem Weg zu den Wahlen und vor allem bei der gesellschaftlichen Aussöhnung innerhalb des Landes Fortschritte gibt. Wichtig ist mir auch, dass wir uns immer darüber im Klaren sind, dass unser Engagement nur dann erfolgreich sein kann, wenn es mit der Afrikanischen Union und den vielen anderen Partnern, die sich dort vor Ort engagieren, eng verzahnt und gut abgestimmt ist. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie um Unterstützung, auch im Sinne unserer Soldatinnen und Soldaten, für diesen wichtigen und richtigen Einsatz. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächster Redner ist der Kollege Jan van Aken, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau von der Leyen, das war nicht gut. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Doch!) Sie haben den Soldatinnen und Soldaten oben auf der Besuchertribüne nicht die ganze Wahrheit über diesen Einsatz gesagt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Sie haben bei der Begrüßung nicht mal geklatscht!) Noch im Dezember letzten Jahres hat Ihre Bundesregierung ausdrücklich gesagt, dass die Sicherheitslage in Mogadischu viel zu instabil sei, um auch nur einen einzigen der Kolleginnen und Kollegen, die da oben sitzen, dorthin zu schicken. (Henning Otte [CDU/CSU]: Sie haben sie nicht mal begrüßt!) Gerade haben Sie gesagt: Mittlerweile haben wir Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, jetzt ist alles gut. – Sie haben nichts davon gesagt, dass noch vor einem Monat, am 13. Februar, direkt bei dem Ausbildungscamp, in das die Bundeswehrsoldaten geschickt werden sollen, von al-Schabab ein sehr schwerer Anschlag verübt worden ist: 6 Tote, 19 Verletzte, viele davon schwer verletzt. Das ist genau der Weg, den die Kolleginnen und Kollegen gehen müssen; Sie haben ihnen nicht und niemandem in diesem Haus erklärt, was sich denn in den letzten drei Monaten an der Sicherheitslage geändert haben soll, (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sie hat doch gesagt, dass das in Mogadischu eine schwierige Sicherheitslage ist! Selbstverständlich hat sie das gesagt! Wenn Sie nicht zuhören!) nachdem Sie vor drei Monaten noch der Meinung waren, dass es viel zu gefährlich ist. Es ist auch heute noch viel zu gefährlich. (Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Ich glaube, das Vertrauen der Soldaten in die Linken hält sich in Grenzen!) Der Ausbildungsstandort, den Sie sich jetzt ausgesucht haben, ist aus einem weiteren Grund ein richtiges Problem: Sie führen jetzt die Ausbildung am Standort der AMISOM durch, das heißt im gleichen Camp, Seite an Seite mit der kämpfenden Truppe. So werden die Bundeswehrsoldaten natürlich als Teil der kämpfenden Truppe der Afrikanischen Union wahrgenommen, und das erhöht die Gefährdung zusätzlich. Wie es dort für die deutschen Soldaten ausreichend sicher sein soll, das müssen Sie mir einmal erklären. Das müssen Sie aber auch den Soldatinnen und Soldaten erklären, und erklären Sie es bitte auch einmal deren Familien. (Henning Otte [CDU/CSU]: Nicht mal Beifall von den Linken!) Nicht nur wegen der schlechten Sicherheitslage lehnen wir diesen Einsatz ab, sondern auch, weil er politisch falsch ist. Sie, Frau von der Leyen, wissen es, Sie alle wissen es, ich weiß es. Die jetzige somalische Regierung hat trotz Beteiligung der verschiedenen Clans und regionalen Strukturen überhaupt keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Das ist auch kein Wunder, denn sie ist erstens nicht gewählt und zweitens überhaupt nicht als Regierung erkennbar. Sie kümmert sich in keinster Weise um die Bevölkerung, in keinster Weise um die Sicherung der Grundbedürfnisse, um die Nahrungsmittelversorgung, um die Gesundheitsversorgung. Das Einzige, womit diese Regierung sich beschäftigt – und Sie unterstützen sie dabei –, ist, sich selbst zu schützen; aber die Menschen im Land schützt sie nicht. Die Sicherheitskräfte, die Sie jetzt in Mogadischu ausbilden, werden ausschließlich dafür eingesetzt, den Regierungssitz zu schützen, sonst gar nichts – wenn die Soldaten nicht mittlerweile längst desertiert sind. Vor allem hat diese sogenannte Regierung – da kommen wir zur entscheidenden politischen Frage, zu der Sie leider wenig gesagt haben – nichts, aber auch gar nichts unternommen, um eine Verhandlungslösung mit dem mächtigsten Gegner dort, al-Schabab, auf den Weg zu bringen. Das erste Ziel von Verhandlungen wäre eine Waffenruhe. Aber entsprechende Verhandlungen werden nicht nur von der Regierung in Mogadischu abgelehnt, sondern auch von all ihren internationalen Unterstützern. Da heißt es ganz lapidar: Mit Terroristen verhandelt man nicht. Vor vier Jahren habe ich an dieser Stelle gesagt, dass man in Afghanistan mit al-Qaida verhandeln muss. Da bin ich von Ihnen ausgelacht worden. Zwei Jahre später haben Sie diese Meinung selbst vertreten. Das war gut. Aber jetzt müssen Sie auch in Bezug auf Somalia zur Kenntnis nehmen: Sie werden in diesem Land nur dann Frieden erreichen, wenn Sie mit dem Hauptgegner, al-Schabab, verhandeln. Solange Sie das nicht tun, werden Sie den dortigen Krieg nicht beenden können. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Sie werden uns nicht überzeugen!) Sie wissen, dass Ihre Strategie gescheitert ist. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ihre Argumentation schon lange!) Die einzige Möglichkeit, den Bürgerkrieg zu beenden, liegt in einem Dialog und in Verhandlungen, nicht in Waffengewalt. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt komme ich zum letzten Punkt. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Ich finde es wirklich erschütternd, dass Sie gar nichts dazu sagen, Frau von der Leyen. Vor gut einem Jahr wurde das Waffenembargo gegen Somalia gelockert mit dem Argument, die Regierung müsse sich besser bewaffnen, um sich schützen zu können. Nun ist veröffentlicht worden, dass es einen Bericht an den Sanktionsausschuss der Vereinten Nationen gibt, in dem auf vielen Seiten detailliert dargelegt wird, dass die sogenannte Regierung in Mogadischu daran beteiligt ist, die Waffen, die jetzt neu ins Land kommen, weiterzuleiten, unter anderem an al-Schabab. Vor kurzem wurde die Lockerung des Waffenembargos noch einmal verlängert. Das heißt, Sie – nicht Deutschland, aber andere Länder – unterstützen eine Regierung, beliefern sie mit Waffen, und diese Waffen werden über die Clanstrukturen direkt an al-Schabab weitergegeben. Angesichts des Berichtes an den Sanktionsausschuss der Vereinten Nationen fragen wir Sie: Was tun Sie damit? Die Antwort ist: Die Bundesregierung kennt diesen Bericht gar nicht. – Sie nehmen ihn nicht zur Kenntnis; Sie wollen ihn nicht sehen. Das ist der Skandal: Sie unterstützen eine Waffenschieberbande, die sich Regierung nennt, und befeuern damit noch den militärischen, gewalttätigen Konflikt in Somalia. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Erschreckend!) Ich fasse zusammen: Erstens. Sie riskieren das Leben von Bundeswehrsoldaten, indem Sie sie mitten in ein hochgefährliches Mogadischu schicken. (Henning Otte [CDU/CSU]: Sie begrüßen sie nicht mal!) Zweitens. Sie unterstützen damit eine Bürgerkriegspartei, die sich am Waffenhandel bereichert. Drittens. Sie und auch die Regierung in Mogadischu setzen sich nicht für Verhandlungen für eine Friedenslösung ein. Ich finde, das sind drei sehr gute Gründe, diesen Auslandseinsatz abzulehnen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland überhaupt keine Waffen mehr exportieren sollte. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Bundesregierung erteile ich nun Herrn Staatsminister Michael Roth das Wort. (Beifall bei der SPD) Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Besuchertribüne! Schon seit Wochen wird die öffentliche Debatte in Deutschland bezüglich der Afrikapolitik nur von einer Frage bestimmt: Werden deutsche Soldatinnen und Soldaten zum Einsatz kommen, um die politischen Krisen in Zentralafrika, Mali, Südsudan oder Somalia in den Griff zu bekommen? Eine Verengung der Diskussion auf die Frage der Militäreinsätze ist nicht nur sachlich falsch; sie zeugt auch von einer zutiefst verzerrten Wahrnehmung unseres Nachbarkontinents. Afrika als Kontinent der Gefahren und Risiken – von diesem einfachen Bild müssen wir uns lösen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir reden doch über einen Militäreinsatz!) Trotz aller Probleme und Schwierigkeiten, die es weiterhin gibt, zeigt die Entwicklung der vergangenen Jahre: Wir Europäerinnen und Europäer haben allen Anlass, unseren Blick mit etwas mehr Zuversicht in Richtung Afrika zu richten. Unser Blick wird realistischer, wenn wir zur Kenntnis nehmen: Afrika ist auch ein Kontinent der Hoffnung, der Chancen und Potenziale. Deshalb lassen Sie uns heute bei der Entscheidung über das Mandat für die Entsendung von (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Militär!) deutschen Soldatinnen und Soldaten zur EU-Ausbildungsmission in Somalia nicht nur den sicherheitspolitischen Rahmen im Blick haben. Dieses Mandat ist vielmehr ein kleiner, aber wichtiger Baustein eines Gesamtansatzes in der Afrikapolitik. Afrika hat sich in den vergangenen Jahren viel schneller gewandelt als unser Blick von außen auf Afrika. Dabei müssen wir uns bewusst sein: Der Kontinent, seine Länder und Regionen entwickeln sich nicht nur mit zunehmender Dynamik, sondern auch in ganz unterschiedlicher Weise und Geschwindigkeit. Wir müssen lernen, diese Entwicklungen und die damit verbundenen Chancen frühzeitig zu erkennen und in ihrer jeweiligen Eigenart zu erfassen. So komplex die Ausgangslagen sind, so differenziert sollten auch unsere Antworten sein. Wenn wir erfolgreich sein wollen, gilt es, das gesamte Instrumentarium unserer Außenpolitik einzusetzen. Denn Fragen von Politik und Sicherheit, von Wirtschaft und Gesellschaft sind untrennbar miteinander verknüpft. Frieden und Sicherheit sind zwingende Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand. Das Wachstum Afrikas in den vergangenen Jahren eröffnet beachtliche wirtschaftliche Perspektiven für zahlreiche Länder. Aber wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass der wirtschaftliche Aufschwung am Ende bei den Menschen ankommt. Mehr Arbeitsplätze, eine gerechte Einkommensverteilung und eine gesicherte Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser, Energie und Gesundheitsleistungen sind letztlich das beste Stabilitätsprogramm für den ganzen Kontinent. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es gibt, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber eben auch die Schattenseiten. Die Bundesregierung sieht mit Sorge, wie in vielen – zu vielen – afrikanischen Staaten Frauen, ethnische, religiöse oder sexuelle Minderheiten teilweise unterdrückt und politisch verfolgt werden. Dazu dürfen und werden wir nicht schweigen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Unsere Auseinandersetzung mit Afrika darf deshalb nicht in eine sicherheitspolitische Debatte heute, eine entwicklungspolitische Debatte morgen und eine wirtschaftspolitische Debatte übermorgen zerfasern. Unser vielseitiges Engagement für und in Afrika muss ineinandergreifen, wenn wir einen verantwortungsvollen Beitrag für mehr politische und wirtschaftliche Stabilität leisten wollen. Der vierte EU-Afrika-Gipfel, der im April 2014 in Brüssel stattfindet, ist ein guter Anlass, um gemeinsam mit unseren afrikanischen Partnern Bilanz zu ziehen und neue Impulse für die Afrikapolitik zu vereinbaren. Es wird eines der großen Projekte der Europäischen Union in den kommenden Jahren sein, eine gemeinsame Strategie für Afrika zu entwickeln, die der Bedeutung unseres Nachbarkontinents endlich gerecht wird. Unsere Kernanliegen sind eine fortschreitende Integration Afrikas und die Förderung von sicherheitspolitischer Eigenverantwortung. Die Afrikanische Union spielt dabei eine ganz zentrale Rolle. Unsere Unterstützung beschränkt sich nicht auf das Krisenmanagement, etwa durch finanzielle Unterstützung für die AU-Missionstruppen in Somalia oder durch Hilfe beim Aufbau einer afrikanischen Friedens- und -Sicherheitsarchitektur. Um Frieden und Sicherheit dauerhaft zu sichern, brauchen wir mehr als reaktives Krisenmanagement. Noch viel wichtiger ist eine vorausschauende Krisenprävention, damit politische Krisen und gewaltsame Konflikte im besten Fall gar nicht erst entstehen. Erfolgsbeispiele gibt es einige: die Einrichtung von Frühwarnsystemen oder das Grenzmanagementprogramm der Afrikanischen Union, bei dem durch gemeinsame Grenzdemarkationslinien Konflikte hinsichtlich des Grenzverlaufs ausgeräumt werden sollen. Krisenprävention betreiben wir aber auch, indem wir die restriktive Kontrolle von Kleinwaffen in Westafrika oder der Sahelzone fördern. Auch in Mali geht es uns nicht allein um die Ausbildung von Soldatinnen und Soldaten. Wir unterstützen das Land bei einer umfassenden Reform des Sicherheitssektors. Die Kollegen haben ja recht: Niemand, weder die Bundesverteidigungsministerin noch irgendjemand anderes, hat hier behauptet, dass die Lage dort stabil und sicher ist. Aber wir tun eine ganze Menge, um die Lebensverhältnisse der Menschen dort konkret zu verbessern. Die Reform des Sicherheitssektors spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle. An dieser Stelle will ich Mali als ein positives Beispiel dafür nennen, dass wir unser Engagement mit gutem Grund auf einzelne Länder konzentrieren: Langjährige Erfahrung, Vertrautheit mit den Verhältnissen vor Ort und gegenseitiges Vertrauen sind, wie im Fall Mali, eine gute Voraussetzung dafür, dass unser Handeln am Ende von Erfolg gekrönt ist. Staaten und Gesellschaften in Afrika gewinnen vielerorts an Stabilität. Rechtsstaatlichkeit, der Zugang zu Bildung und eine starke Zivilgesellschaft sind hierfür ganz besonders wichtige Voraussetzungen. Ein funktionierender Rechtsstaat trägt maßgeblich dazu bei, die Menschen- und Bürgerrechte zu schützen und gute wirtschaftliche und unternehmerische Rahmenbedingungen zu schaffen. Afrikanische Staaten stehen dabei vor ganz unterschiedlichen Problemen und Schwierigkeiten, bei deren Bewältigung wir ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ein gutes Beispiel dafür ist der deutsch-tansanische Erfahrungsaustausch bei der Ausbildung von Rechtsstaatsvertretern in Daressalam. Diese kleinen Erfolgsgeschichten machen uns Mut. Lassen Sie uns darauf in der Zukunft aufbauen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der von mir skizzierte umfassende afrikapolitische Ansatz ist Grundlage unserer heutigen Entscheidung. Mit dem Votum des Bundestages für eine weitere Beteiligung deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Somalia können wir heute ein wichtiges Signal für das deutsche und europäische Engagement am Horn von Afrika senden. Dieses Signal kommt in mehrfacher Hinsicht zur rechten Zeit. Seit dem 3. März 2014 gehen die Truppen der Mission AMISOM der Afrikanischen Union gemeinsam mit Einheiten der somalischen Streitkräfte gegen die radikalislamistische al-Schabab vor. Den Kern der somalischen Streitkräfte bilden dabei die rund 3 600 somalischen Soldaten, die bis Ende 2013 im Rahmen der EU-Mission ausgebildet wurden. Neben dieser militärischen Offensive müssen aber auch weitere nichtmilitärische Schritte folgen. Nur so kann es gelingen, die befreiten Gebiete dauerhaft zu halten und die Lebensbedingungen der dortigen Bevölkerung nachhaltig zu verbessern. Auch hier gibt es deutsche Unterstützung, beispielsweise durch KfW-Kredite zur Finanzierung sogenannter Quick-Impact-Projekte. Mit diesen Projekten unterstützen wir die Menschen in der Region schnell und gezielt. Unverzichtbar ist aber auch, dass wir der somalischen Zentralregierung aktiv beim Wiederaufbau von handlungsfähigen Verwaltungs- und föderalen Strukturen helfen. Nur dann kann sie den Stabilisierungsprozess des Landes so gestalten und steuern, wie es ihr in der Übergangsverfassung von 2012 zugewiesen wird; auch da hilft es nichts, die Lage schöner zu reden, als sie tatsächlich ist. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, braucht die Zentralregierung aber zwingend einen funktionierenden Sicherheitsapparat, dessen Strukturen und Fähigkeiten derzeit nur sehr schwach ausgeprägt sind. An genau diesem Punkt setzt die Mission EUTM Somalia an. Wir wissen aber sehr genau: Schnelle Erfolge dürfen wir nicht erwarten. Vor uns und unseren Partnern in Somalia liegt eher ein langer Marathonlauf als ein kurzer Sprint. Ein erster wichtiger Schritt auf diesem Weg war es, den Ausbildungsauftrag um Beratungsleistungen für das somalische Verteidigungsministerium und die militärischen Führungsstrukturen zu erweitern. Ebenso richtig ist es, die Mission nun schrittweise von Uganda, wo die Ausbildung bislang stattfand, nach Somalia zu verlagern. Auf diesem Fundament baut die Mission nun vor Ort weiter auf. Unsere somalischen Partner zeigen viel Wertschätzung für diese Unterstützung, auch weil diese nun endlich im eigenen Land stattfindet. Klar ist: Für die Mission in Mogadischu ist die Bedrohungslage ohne Zweifel höher als bislang in Uganda. Daher hat die Bundesregierung die Sicherheitslage – das will ich hier ganz deutlich sagen – sehr sorgfältig geprüft. Auch wenn die Situation in Somalia auf absehbare Zeit weiterhin sehr fragil bleibt, ist angesichts der bereits ergriffenen Schutzmaßnahmen eine erneute Beteiligung deutscher Soldatinnen und Soldaten nicht nur sicherheitspolitisch richtig, sondern auch vertretbar. Ein Restrisiko von Rückschlägen muss angesichts der instabilen Lage in Somalia allerdings immer einkalkuliert werden. Dessen sind sich die Bundesregierung ebenso wie die Europäische Union bewusst. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: -Kollateralschäden!) Wir prüfen die Bedrohungslage fortwährend und passen die Schutzmaßnahmen gegebenenfalls an. Mit zunächst einem permanent vor Ort stationierten Berater – einem Berater – und der abschnittsweisen Entsendung von drei Ausbildern bleibt der Umfang der deutschen Beteiligung an EUTM Somalia zunächst verhältnismäßig bescheiden. Dennoch haben die somalische Regierung und unsere europäischen Partner dieses wichtige Signal unserer Unterstützung für Somalia mit Nachdruck begrüßt. Um auch künftig flexibel auf Personalbedarfsmeldungen der Mission reagieren zu können, sieht das Mandat eine Obergrenze von maximal 20 Soldatinnen und Soldaten vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Engagement Deutschlands und der EU zur Unterstützung der Sicherheitsinstitutionen in Somalia ist eingebettet in einen umfassenden Ansatz zur Stärkung der Zivilgesellschaft, der staatlichen Strukturen und der wirtschaftlichen Entwicklung Somalias. Deutschland setzt mit der erneuten Beteiligung an der EUTM-Mission in Somalia ein Zeichen – Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Staatsminister, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern? Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: – der Solidarität und der konkreten Hilfe. Unser militärisches Engagement ist ein bescheidenes, aber notwendiges Signal. Deshalb bitte ich Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Unterstützung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Ich erteile jetzt dem Kollegen Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung die Entsendung von 20 deutschen Soldatinnen und Soldaten im Rahmen einer EU-Mission mit etwa 75 Soldaten nach Mogadischu. Diese Mission gibt es seit 2010; sie wurde bis letztes Jahr in Uganda durchgeführt und ist schrittweise nach Mogadischu gezogen. Es gibt durchaus – das muss ich zugestehen – einige Gründe, die für diese Mission sprechen. -Natürlich wird sich die Situation in Somalia nicht stabilisieren, wenn man nicht hilft, die Staatlichkeit wiederaufzubauen. Natürlich wird diese Staatlichkeit nicht aufgebaut werden können, wenn man nicht mithilft, die Sicherheitskräfte aufzubauen. Natürlich kann man es per se gut finden, dass es eine integrierte EU-Mission ist. Das ist fast der einzige Punkt, bei dem ich anderer Meinung als der Kollege van Aken bin. Ich halte den Umzug nach Mogadischu an sich erst einmal für ein gutes Signal, weil sich die Situation in Mogadischu in den letzten Jahren tatsächlich verbessert hat. Die EU hat ja eine zivile Repräsentanz in der Stadt aufgebaut. Das ist ein Zeichen, an dem man erkennen kann, dass es vorangeht in der Stadt. Deswegen ist der Umzug an sich richtig. Aber es gibt auch einiges, was uns bisher völlig schleierhaft ist. Es ist vorhin beschrieben worden: Bis vor drei Monaten war die Sicherheitslage so, dass die Deutschen nicht dorthin konnten. Wir wollen eigentlich immer noch eine Erklärung der Bundesregierung, was sich verändert hat. Wir haben im Ausschuss nachgefragt. Die Antwort, die wir bekommen haben, war: Eigentlich hat sich die Sicherheitslage nicht verändert. Wir würden gerne wissen – das ist der entscheidende Punkt für uns Grüne –, wie wirksam die Ausbildungsmission bisher war. Darauf gibt es bislang keine wirklichen Antworten. Wenn man fragt, wie erfolgreich sie denn war, ist die Antwort der Bundesregierung: Sie war erfolgreich. Wenn man nachfragt, worauf diese Behauptung sich stützt, wird gesagt: Es gibt internationale Beobachter, die das genauso sehen. Wenn man fragt, welche das denn waren, bekommt man einfach keine Antwort. Das ist nicht ausreichend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Ministerin, Sie haben zumindest mich gerade zutiefst verwirrt. Sie haben mir das Gefühl gegeben, dass es relativ bekannt und klar ist, wo zum Beispiel die Trainer, die von uns ausgebildet werden, danach zum Einsatz kommen, wen sie ausbilden. Diesbezüglich bin ich auf konkrete Antworten sehr gespannt. Bisher haben wir darauf nämlich keine Antwort bekommen. Wir lesen und hören immer nur, dass es eine immense Zahl von Deserteuren gibt. Das Thema, dass Waffen dort eins zu eins weitergegeben werden, ist vom Kollegen van Aken völlig zu Recht benannt worden. Es gibt auch viele Berichte darüber, dass die Mission bisher eigentlich nur einen einzigen Clan ausgebildet hat. Das ist alles andere als beruhigend. Wir wissen auch nicht, was eigentlich mit den Leuten, die nicht desertieren, passiert, wenn sie mit der Ausbildung fertig sind. Bekommen sie einen Sold? Woher bekommen sie einen Sold? Wie werden sie eigentlich untergebracht? Gibt es so etwas wie ein Monitoring zu dem, was sie dann tun? Gibt es so etwas wie ein Rechtsstaats- oder Menschenrechtsmonitoring für die Arbeit derjenigen, die wir ausbilden? Das alles fehlt komplett. Es gibt kaum Antworten. Das bedeutet: Es gibt viele gute Gründe, kritisch hinzuschauen. Eines hat mich jetzt am meisten irritiert, Herr Staatsminister. Die Frau Ministerin hat ja völlig zu Recht gesagt: Das Militärische reicht nicht. Wir brauchen ein politisches Konzept, und das muss eingebettet sein. – Sie haben gerade damit geschlossen, dass das Militärische nun in das zivile und politische Konzept eingebettet sei, nur haben Sie es nicht beschrieben. Ich habe das noch nicht verstanden. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich auch nicht!) Ich habe noch nicht verstanden, wo jetzt der politische Ansatz ist und was wir da eigentlich genau tun wollen. Sie sagen lediglich, dass es ein Konzept gibt. Das, was uns bisher vorliegt, ist relativ rätselhaft. Wenn das so bleibt, wie es jetzt vorliegt – das ist ja die erste Lesung; wir haben noch die Ausschussberatungen vor uns, und da werden wir uns das sehr genau anschauen –, kann ich meiner Fraktion beim bestem Willen nicht empfehlen, diesem Mandat zuzustimmen. Notwendig ist, dass wir wirklich Antworten bekommen, dass Sie uns eine Evaluation dessen vorlegen, was bisher passiert ist, dass uns tatsächlich plausibel erklärt wird, was mit denjenigen passiert, die wir ausgebildet haben, und dass der Vorwurf, die Waffen würden eins zu eins weitergegeben, tatsächlich entkräftet wird. Alles, was ich mir bisher international angeschaut habe, alle Berichte und Reportagen, die ich gelesen habe, sprechen eine andere Sprache; sie sprechen nicht dafür, dass es Ihnen möglich sein wird, das in der nächsten Sitzungswoche in den Ausschüssen zu erklären. Aber wir lassen uns gerne überraschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege Nouripour. – Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Florian Hahn, CDU/CSU. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen, dass die Fraktion Die Linke bisher jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr dogmatisch abgelehnt hat und auch in Zukunft ablehnen wird, (Beifall bei der LINKEN – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aus guten Gründen!) egal ob Atalanta, KFOR, Active Endeavour oder andere. Es ist nur immer wieder spannend, mitunter auch absurd, welche Argumente oft krampfhaft gesucht werden, damit nicht auffällt, dass es Ihnen eigentlich nur um den Erhalt dieses Dogmas geht. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Zustimmung um jeden Preis!) Im Vorfeld der heutigen Debatte zur Beteiligung bewaffneter deutscher Soldaten an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Somalia konnte man dazu schon einiges von Ihnen lesen. Der Kollege Liebich beispielsweise gab via Berliner Zeitung zum Besten: Deutschland soll sich stärker in der zivilen Konfliktprävention engagieren, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist doch nicht schlecht!) statt sich in neue militärische Abenteuer in Somalia und anderen Ländern zu stürzen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Der Kollege Liebich hat hier offensichtlich ein paar Dinge durcheinandergebracht: In Somalia geht es weder um eine neue Mission noch um ein Abenteuer. Diese Mission besteht seit 2010. Bis Ende 2013 wurden 3 600 somalische Sicherheitskräfte ausgebildet, die jetzt den Kern der somalischen Armee bilden. Das ist im Übrigen ein sichtbares Zeichen des Erfolgs der Mission. Von einer neuen Mission oder einem Abenteuer kann also nicht gesprochen werden. Vielmehr geht es um Nachhaltigkeit. Deshalb ist es gut, wenn die Sicherheitslage es zulässt, dass wir uns dort weiter engagieren können. Somalia ist leider ein Beispiel für ein Land, das dringend Sicherheitsstrukturen braucht, damit zivile Hilfe überhaupt möglich ist. Die Ärzte ohne Grenzen beispielsweise haben im August 2013 ihr Engagement in Somalia eingestellt, weil es in diesem Land einfach zu gefährlich ist. Für Konfliktprävention à la Linke ist es hier zu spät. Oder glauben Sie wirklich ernsthaft, dass sich Mitglieder der Al-Schabab-Miliz mit Mitarbeitern der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu einem Antiaggres-sionstraining zusammensetzen würden? (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Eher mit der Adenauer-Stiftung! – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Der Kollege Liebich von der Linken vermutet laut Berliner Zeitung außerdem, dass die Bundesregierung seit Wochen an der Umsetzung einer politischen Doktrin für mehr Bundeswehr in Afrika arbeitet, ohne dass der Deutsche Bundestag darüber informiert wird. Ich darf dem Kollegen versichern: Die Tatsache, dass er davon nichts weiß, ist einfach dem Umstand geschuldet, dass es diese verschwörerische Doktrin gar nicht gibt. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Hahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen van Aken? Florian Hahn (CDU/CSU): Herr von Aken kann noch kurz zuhören und dann gerne eine Intervention machen. Die Bundesregierung sagt sehr offen und transparent, was sie vorhat: Sie will sich für Afrika noch stärker einsetzen als bisher. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Mit Soldaten!) Deshalb wurden die Entwicklungshilfemittel für diesen Kontinent unter dem neuen Minister Gerd Müller bereits um 100 Millionen Euro aufgestockt. An dieser Stelle möchte ich dem Minister übrigens danken, dass er sich bereits mehrfach in seiner kurzen Amtszeit vor Ort ein Bild gemacht hat – wie kürzlich bei seinem Besuch in Mali oder in der Zentralafrikanischen Republik. Wir geben mehr als 50 Prozent unserer Entwicklungshilfe für Afrika aus. Um aber wirklich etwas erreichen zu können, braucht es den vernetzten Ansatz von militärischer, diplomatischer, wirtschaftlicher und ziviler Unterstützung. Das haben nicht nur unsere Verteidigungsministerin, Frau von der Leyen, und Staatsminister Roth in dieser Debatte richtigerweise zum Ausdruck gebracht, sondern auch die Bundeskanzlerin bei ihrer Regierungserklärung heute morgen. Wir wollen die afrikanischen Länder ertüchtigen, sich selbst zu helfen. Dabei unterstützen wir sie, wir beraten sie, und wir bilden aus. Für mich ist wichtig: Dieser Einsatz macht Sinn, weil er genau dieser Ertüchtigungsstrategie Rechnung trägt. Mogadischu ist gefährlich; das wissen wir. Unsere Soldaten werden ihre Arbeit aber in einem stark geschützten Bereich leisten können. Dennoch wird es nicht ungefährlich sein. Wir sollten trotzdem oder gerade deshalb den Einsatz fortführen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege Hahn. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Thorsten Frei, CDU/CSU. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über die Verlängerung des Einsatzmandats für eine Trainingsmission in Somalia, am Horn von Afrika. Somalia ist ein gescheiterter Staat mit einer geschundenen Bevölkerung. Seit 1991, seit dem Sturz des autoritären Regimes von Siyad Barre, gibt es dort keine funktionierende Regierung mehr, geschweige denn eine legitimierte. Flut- und Hungerkatastrophen, Dürre und Bürgerkrieg haben dafür gesorgt, dass eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, Trinkwasser und Medikamenten nicht möglich ist. All das sind die Rahmenbedingungen, angesichts derer wir über eine Verlängerung des Mandats diskutieren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir legen unser Augenmerk in diesen Tagen verstärkt auf die Krim, die Ukraine und Russland. Das verstellt dennoch nicht den Blick dafür, dass die größten sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht von den starken und großen Ländern dieser Erde ausgehen werden, sondern von den schwachen und fragilen. Genauso ist es auch in Somalia. Dort sehen wir, welche Auswirkungen das hat und dass sie nicht auf die engere Region begrenzt sind: Der globale Handel wird durch die Piraterie erschwert, die Menschenrechte werden mit Füßen getreten, Rückzugs- und Trainingsräume für Terroristen entstehen, und die Menschen dort können nicht so leben, wie es ihnen zukommt. Deshalb, glaube ich, ist es richtig, dass die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode eine abgestimmte Handlungsrichtlinie dafür entwickelt hat, wie man mit fragilen Staaten umgehen sollte. Wenn man sich das genauer anschaut, dann sieht man: Das ist eine politische Blaupause für die politischen Herausforderungen, die uns in Somalia begegnen. Es geht zum Beispiel um die Multilateralität. Ich denke in diesem Zusammenhang daran, dass wir auf der Grundlage einer UN-Resolution arbeiten, dass wir im Rahmen einer EU-Mission die Lasten auf breite und viele Schultern verteilen und dass wir auf Einladung der somalischen Regierung am Horn von Afrika sind. Wenn man darüber hinaus schaut, wie es mit der Wirksamkeit, dem Mehrwert und der Verhältnismäßigkeit aussieht, dann erkennt man, dass auch unter diesem Summenstrich ein positives Ergebnis steht. Erinnern Sie sich etwa daran, dass es bei allen Schwierigkeiten gelungen ist, mit der seit 2012 amtierenden Regierung auf einen anderen Pfad der Entwicklung zu kommen, oder auch daran, dass es trotz der Anschläge – auch in den letzten Tagen wieder – gelungen ist, für mehr Sicherheit zu sorgen und die al-Shabab-Milizen zurückzudrängen. Daran erkennt man, dass man hier auf einem guten Weg ist, der weitergegangen werden muss. Das ist eine in höchstem Maße effektive Mission. Denken Sie zum Beispiel daran, dass seit 2010 ein kleines Kontingent von Soldaten 3 600 somalische Soldaten ausgebildet hat. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass es dabei nicht nur um militärische Grundfertigkeiten und erweiterte Führungsaufgaben, sondern eben auch um die Vermittlung humanitärer Werte – Menschenrechte, Rechte von Frauen und Kindern – ging. Ich glaube, dass unsere Bundeswehr gerade dort eine besondere Kompetenz hat, weil sie das Konzept der Inneren Führung in den vergangenen Jahrzehnten par excellence gelebt und damit gezeigt hat, dass sich die Streitkräfte als Teil und Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols genau dadurch immun gegen schwierige und gefährliche Tendenzen machen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Frei, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nouripour? Thorsten Frei (CDU/CSU): Herr Präsident, ich würde meine Rede gerne kurz zu Ende bringen, und dann kann der Herr Kollege ja darauf eingehen. Wir haben gehört, dass dieser Einsatz kein Kampfeinsatz ist, sondern im Rahmen der vernetzten Sicherheit einen Schwerpunkt dafür bildet, staatliche Strukturen am Horn von Afrika wieder zu etablieren. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir dort jetzt nicht kurz vor Ende aussteigen, sondern den langen Weg, den wir noch vor uns haben, konsequent weitergehen. Die Frau Ministerin hat auf das Wahljahr 2016 und auf die für die Zukunft des Landes so schwierige Wegstrecke in den nächsten zwei Jahren hingewiesen. Das ist die einzige Möglichkeit – ich habe auch von den Linken und den Grünen keine Alternative zu diesem Weg gehört –, zu Staatlichkeit und zum Aufbau originärer Strukturen im Land zu kommen. Weil es in fragilen Staaten letztlich immer wieder zu einem Zyklus von Gewaltphänomenen kommt, wird der Erfolg auch von Langfristigkeit abhängen. Aus diesem Grunde, so glaube ich, müssen wir dort im Rahmen einer kleinen, aber sehr wirkungsvollen Mission mithelfen. Deshalb werbe ich um die Zustimmung dieses Hauses. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Frei, Sie sind der letzte Debattenredner gewesen. Ich bedanke mich. Wenn keine Kurzintervention mehr gewünscht wird, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) dann möchte ich die Aussprache schließen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/857 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Höhere Löhne in den Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen absichern Drucksache 18/795 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsauschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Damit eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Sabine Zimmermann, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst die Bundesregierung als Arbeitgeber vertritt, bezeichnet die Forderungen der Gewerkschaften als – ich zitiere – „maßlos überzogen“. Was ist denn so „maßlos überzogen“? Die Gewerkschaften fordern, die Entgelte um einen Sockelbetrag von 100 Euro sowie um 3,5 Prozent zu erhöhen. Ist das wirklich maßlos? Zum Vergleich: Derselbe Thomas de Maizière hat hier am 21. Februar dieses Jahres dafür gestimmt, dass die Bezüge der Bundestagsabgeordneten um 830 Euro auf 9 082 Euro im Monat ansteigen sollen. (Zuruf von der LINKEN: Das ist nicht zu glauben!) Das ist eine Erhöhung von 10 Prozent. Ich frage mich, ob der Bundesinnenminister diese Erhöhung für maßvoll gehalten hat. (Beifall bei der LINKEN) Noch etwas: Damals war es für Union und SPD kein Problem, diese Erhöhung in einer Woche durch das Parlament zu jagen. Den Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben Sie bis heute noch nicht einmal ein Angebot vorgelegt. Ich sage Ihnen: Sie genehmigen sich hier im Haus Schampus, und den Arbeitnehmerinnen und -Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst bieten Sie nicht einmal eine Flasche Selters an. (Dagmar Ziegler [SPD]: Wie billig!) Das ist ungerecht. (Beifall bei der LINKEN) Dabei sind die Forderungen der Gewerkschaften mehr als begründet. Wir haben hier in einzelnen Bereichen eine beschämende Entwicklung. In den zurückliegenden Jahren hat sich die Zahl der Beschäftigten in den untersten Entgeltgruppen verfünffacht. Ich wiederhole: verfünffacht! Hier liegt der Bruttomonatslohn eines Vollzeitbeschäftigten im Schnitt bei 1 540 Euro und damit unterhalb der Niedriglohnschwelle. Für den öffentlichen Dienst eigentlich beschämend. (Beifall bei der LINKEN) Es geht darüber hinaus darum, dass der öffentliche Dienst endlich wieder Anschluss an die allgemeine Einkommensentwicklung findet. Wenn diejenigen, die uns mit dem Bus zur Arbeit fahren, die unsere Kinder betreuen, die unsere Eltern pflegen oder unseren Müll wegkarren, um höhere Löhne streiten, dann geht es auch darum, dass man über den Wert ihrer Arbeit diskutiert. (Beifall bei der LINKEN) Da sagen wir als Linke klar: Die Bundesregierung muss im Arbeitgeberlager des öffentlichen Dienstes ein klares Zeichen für kräftige Lohnerhöhungen setzen. Dafür setzen wir uns ein. (Beifall bei der LINKEN) Als zweiten Punkt fordern die Gewerkschaften, die feste Übernahme der Auszubildenden tarifvertraglich zu vereinbaren. Auch das ist absolut nachvollziehbar. Im öffentlichen Dienst zu arbeiten, bedeutet schon heute längst nicht mehr, dass man einen sicheren Job hat. -Insgesamt sind über 400 000 Kolleginnen und Kollegen befristet beschäftigt. Bei den jüngeren Beschäftigten bis 30 Jahre hat inzwischen bereits jeder Vierte bis Fünfte einen befristeten Arbeitsvertrag. Das ist unerträglich. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, ich verstehe nicht, was an diesen Forderungen maßlos sein soll. Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass im öffentlichen Dienst und natürlich auch anderswo gute Löhne gezahlt werden und die Menschen in sicheren -Arbeitsverhältnissen arbeiten? In den zurückliegenden Jahren wurde im öffentlichen Dienst Raubbau betrieben. Darunter leiden nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Hier ist ein Kurswechsel dringend notwendig. Es ist klar, dass ein guter öffentlicher Dienst nicht zum Nulltarif zu haben ist. Von den Arbeitgebern war in den letzten Wochen -immer wieder dieselbe Leier zu hören: Es ist kein Geld da. Die Kassen sind leer. Viele kommunale Haushalte drücken enorme Schulden. Die Arbeitgeber sagen aber nicht, dass seit Jahren die Steuereinnahmen wieder steigen. Bis 2018 rechnet die Bundesregierung sogar mit Mehreinnahmen von 109 Milliarden Euro. Sie verschweigen auch, dass erst durch Ihre Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen – von SPD, CDU/CSU; die Grünen waren auch dabei; die FDP gibt es nicht mehr – enorme Löcher in die öffentlichen Haushalte gerissen worden sind. Insgesamt 484 Milliarden Euro weniger haben Bund, Länder und Gemeinden durch die massiven Steuersenkungen der vergangenen 15 Jahre eingenommen. Das hat das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung errechnet. Ich wiederhole diese Zahl: 484 Milliarden Euro sind einfach so verschütt-gegangen. Deshalb sagen wir: Niemand kann ernsthaft erwarten, dass Busfahrer, Müllwerker, Erzieherinnen oder Altenpflegerinnen die Zeche für eine verfehlte Haushaltspolitik zahlen. Nein, statt Haushaltskonsolidierung auf dem Rücken der Beschäftigten zu betreiben und Raubbau am öffentlichen Dienst zu begehen, ist Umverteilung das Gebot der Stunde. (Beifall bei der LINKEN) Allein eine fünfprozentige Vermögensteuer könnte jährlich über 80 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen spülen. Für die Vermögensteuer haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, im Wahlkampf noch gestritten und gekämpft. Doch für die Macht haben Sie das leider aufgegeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, in den letzten Jahren sind die Reallöhne in Deutschland wieder gesunken. Wir brauchen im Jahr 2014 eine Lohnoffensive in Deutschland. Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst kann hier ein Startschuss sein. Legen Sie deshalb ein klares Bekenntnis für gute Löhne in einem guten öffentlichen Dienst ab! Nehmen Sie endlich die Reichen und die Unternehmen in die Pflicht! Setzen Sie sich für höhere Löhne und sichere Jobs im öffentlichen Dienst und anderswo ein! Tausende Beschäftigte gehen mit ihren Streiks als gutes Beispiel voran. Ihnen gilt unsere Solidarität, auch die der Linken. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Oswin Veith, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Oswin Veith (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie werden sicherlich verstehen, dass ich es für die CDU/CSU nicht gutheißen kann, dass wir uns hier mit dem vorliegenden Antrag in die heiße Phase der laufenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst einmischen. Doch wen wundert das bei diesem Antragsteller? Die Linke zeigt damit wieder einmal nur ihr Unvermögen, sich aus Prozessen herauszuhalten, die sie eigentlich nichts angehen. (Zuruf von der LINKEN: Unsinn!) Ich sage es hier einmal vornehm: Einfach mal schweigen! Zu Hause würde ich sagen: Einfach mal die Klappe halten! (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Tarifverhandlungen sind immer auch Ausdruck der gelebten Tarifautonomie, so wie es in unserem Grundgesetz geschützt ist und zum Grundpfeiler unserer sozialen Marktwirtschaft gehört. Und das ist auch gut so, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben in Deutschland seit Jahrzehnten ausgezeichnete Erfahrungen damit gesammelt, dass nicht die Politik die Löhne bestimmt. Daher finde ich es klug, dass die Tarifhoheit bei den Tarifpartnern bleibt und wir uns nicht einmischen. Das sollte auch die Linke endlich beherzigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir bleiben bei unserem 65 Jahre alten Erfolgsmodell der Tarifautonomie. Diese Freiheit hat sich in Krisen-zeiten bewährt und gezeigt, wie gut die Tarifpartner zum Wohle unseres Landes damit umgehen. Sie von den -Linken wollen doch mit Ihrem Antrag nichts anderes, als das grundgesetzlich verbriefte Tarifrecht auszuhebeln, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Unsinn!) über den Kopf der Tarifpartner hinweg zu entscheiden und dann noch das Ergebnis zu diktieren. Das kann und wird aber niemals unsere Zustimmung finden. (Beifall bei der CDU/CSU) An dieser Stelle frage ich mich, ob Ihre eigenen Leute in den Ländern diesen Antrag überhaupt unterstützen würden. So kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich Ihr Finanzminister in Brandenburg darüber freuen würde, in den Tarifverhandlungen entmündigt zu werden, dann aber das Ergebnis finanzieren zu müssen. Genau hier, meine Damen und Herren von den Linken, besteht der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Während Sie hier reine Schaufensteranträge formulieren, ist und bleibt die Union der verlässliche Partner der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Inge Höger [DIE LINKE]: Oh ja!) Wir haben die Rahmenbedingungen in der vergangenen Legislaturperiode deutlich verbessert. Zweimal wurden die Tarifabschlüsse inhaltsgleich auf die Bundesbeamten übertragen. (Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]: Aha!) Seit 2012 wird die Sonderzahlung – auch als Weihnachtsgeld bekannt – wieder gewährt. (Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]: Wunderbar!) Mit dem Fachkräftegewinnungsgesetz haben wir eine Reihe von positiven Maßnahmen auf den Weg gebracht. Wir haben den Eintritt in den Ruhestand flexibler gestaltet, gleiche Rechte für Lebenspartnerschaften und die Familienpflegezeit im Beamtenrecht umgesetzt. Wir haben die Vergütung von Professoren verbessert, das Leistungsprinzip gestärkt und die Portabilität von Versorgungsanwartschaften geschaffen. Ich könnte diese Liste noch fortsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das zeigt: Wir stellen keine Schauanträge wie Sie von den Linken. Die Union hat geliefert, und das zum Wohle der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und ihrer Familien. (Beifall bei der CDU/CSU) Fragen darf man auch einmal: Welche Anträge haben Sie von den Linken eigentlich in der letzten Legislaturperiode eingebracht, um den öffentlichen Dienst und das Beamtentum zu stärken und voranzubringen? Die Antwort lautet: Keinen einzigen! (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das haben wir in den Ländern gemacht!) Ich habe mein Büro recherchieren lassen, ob Sie wenigstens auf kommunaler Ebene tätig geworden sind, ob also Ihre Bürgermeister und Landräte mit anderen Verhandlungspositionen in die Tarifverhandlungen gegangen sind. Die Antwort lautet: Wieder nichts! Fehlanzeige auch hier! Wenn Sie es mit Ihrem Antrag tatsächlich ernst meinten, könnten Sie wenigstens da, wo Sie regieren – ich glaube, das ist nur noch im Land Brandenburg der Fall –, mit gutem Beispiel vorangehen. Aber auch hier ist kein besonderes Engagement in der Sache erkennbar. (Zuruf von der LINKEN: Da müssen Sie noch mal recherchieren!) Es kommt dort noch viel schlimmer für die Beschäf-tigen im öffentlichen Dienst. Vor kurzem verhängte Ihr Justizminister sogar einen Einstellungs- und Beförderungsstopp. Der Grund: Der Haushalt seiner Behörde sei erschöpft. Gleiches gilt für die Vergütungen. Ein Blick auf die Besoldungstabelle und der Vergleich zeigen: Im Bundestag fordern Sie viel. Wo Sie aber selbst in der Verantwortung stehen, kommt bei den Beschäftigten und ihren Familien nicht viel an. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Niemals!) Das passt nicht zusammen, und das wissen die Angestellten und Beamten. Deshalb muss diese Doppel-züngigkeit der Linken hier entlarvt werden. Alle Jahre wieder stellen Sie also pünktlich zum Start der Tarifverhandlungen die Tarifautonomie infrage. Ich sage Ihnen: Das ist plumper Populismus und hilft keiner einzigen Angestellten und keinem einzigen Beamten in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dann enthält Ihr Antrag eine zweite Forderung – diese dürfte im Hohen Hause wenig umstritten sein –: Die Kommunen sollen finanziell entlastet werden. – Diese Forderung ist allerdings längst überholt, weil wir genau das bereits im vergangenen Jahr im Koalitionsvertrag vereinbart haben. (Inge Höger [DIE LINKE]: Aber nicht umgesetzt!) Wir setzen damit unsere Politik fort und entlasten die Kommunen. So wird die dritte Stufe der Grundsicherung im Alter von etwa 1,1 Milliarden Euro dieses Jahr wirksam. Von 2012 bis 2017 ist das eine Gesamtentlastung von 25 Milliarden Euro. Das, denke ich, kann sich sehen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei der Eingliederungshilfe sind weitere Entlastungen in Milliardenhöhe geplant. Wir entlasten ferner beim laufenden Betrieb für die Kinderbetreuung. Von den im Koalitionsvertrag vorgesehenen prioritären Maßnahmen im Umfang von 23 Milliarden Euro wird gut die Hälfte der mittelbaren oder unmittelbaren Entlastung den Ländern und Kommunen zugute kommen. Kurz und gut: Insgesamt stellt die Große Koalition damit einen zweistelligen Milliardenbetrag zur finanziellen Entlastung unserer Länder, Städte und Gemeinden zur Verfügung. Ich finde, das ist eine gute Botschaft für unsere Kommunen und sollte auch bei der Fraktion Die Linke Anerkennung finden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Daher fasse ich zusammen: Öffentliche Dienstleistungen in Deutschland haben eine hohe Qualität. Das ist nur möglich, weil wir einen leistungsfähigen und verlässlichen öffentlichen Dienst in unserem Land haben, auf den wir stolz sein können. Damit das so bleibt, müssen wir uns seriös mit der Thematik auseinandersetzen. Seriös heißt für mich dabei aber, an die Linke gerichtet: Hören Sie auf mit dem Politklamauk, akzeptieren Sie endlich die Tarifautonomie, nehmen Sie den öffentlichen Dienst ernst, und ersparen Sie uns künftig diese fruchtlosen Debatten! Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege Veith. Das war Ihre erste Rede hier im Hohen Hause. Ich beglückwünsche Sie dazu und wünsche Ihnen weitere erfolgreiche Reden hier im Deutschen Bundestag. (Beifall) Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller--Gemmeke vom Bündnis 90/Die Grünen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich sollten Tarifverhandlungen ohne politische Begleitmusik aus dem Bundestag geführt werden, aber in diesem Fall geht es konkret um den Bund, Herr Veith, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und der ist mitverantwortlich für die Finanzsituation der Kommunen. Also möchte ich der Bundesregierung fünf Gedanken mit auf den Verhandlungsweg geben. Erstens. Bundesinnenminister de Maizière hat die Verdi-Forderungen als „maßlos überzogen“ bezeichnet. Die Kollegin Zimmermann hat es gerade schon angesprochen. Wenn parallel dazu der Bundestag die Diäten der Abgeordneten um satte 10 Prozent erhöht, dann muss sich niemand wundern, wenn dieser Vergleich in den Verhandlungen immer wieder eine Rolle spielt. Wir Grünen haben gegen die Diätenerhöhung gestimmt; denn wir bewegen uns als Parlament nicht im luftleeren Raum. 3,5 Prozent sind angeblich maßlos überzogen, hier im Bundestag sind 10 Prozent unproblematisch. Das passt einfach nicht zusammen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich wünsche dem Innenminister viel Spaß bei den Verhandlungen. Zweitens. Die Löhne im öffentlichen Dienst sind zwischen 2000 und 2009 preisbereinigt gesunken. Wenn der Bund und die Kommunen jetzt immer nur mit den in den letzten Jahren gestiegenen Löhnen argumentieren, dann ist das nicht redlich; denn das ignoriert den Nachholbedarf. Deshalb verstehe ich schon, dass Verdi einen Sockelbetrag von 100 Euro für alle fordert; denn das stärkt gerade die unteren und die mittleren Einkommensgruppen wie beispielsweise eine Krankenschwester, die gerade einmal 2 100 Euro verdient. Die Sockelforderung ist also gerecht, und sie ist im Übrigen auch richtig; denn mit Blick auf den Fachkräftemangel müssen diese gesellschaftlich relevanten Berufsgruppen attraktiv bleiben, und Wertschätzung drückt sich nun einmal auch über den Lohn aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Drittens. Verdi fordert zudem die Übernahme der Azubis nach der Ausbildung. Verdi kritisiert auch die steigende Zahl der Befristungen ohne sachlichen Grund und möchte, dass die Arbeitgeber zukünftig darauf verzichten. Diese Forderungen kann ich aus ganzem Herzen unterschreiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Berufseinstieg von jungen Menschen ist heute häufig lang und auch prekär. Mit Blick auf den demografischen Wandel müsste es doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass junge Menschen nach einer Berufsausbildung eine Perspektive erhalten. Aber der Trend zur Befristung trifft insbesondere junge Menschen. Lebensplanung ist ein Begriff, über den junge Menschen teilweise nur noch müde lächeln können. Deshalb wollen wir die sachgrundlose Befristung abschaffen. Sie, die Regierungsfraktionen, haben sich bei den Befristungen auf nichts einigen können. Das werde ich immer und immer wieder kritisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Viertens. Morgen ist übrigens Equal Pay Day. Frauen verdienen immer noch 22 Prozent weniger als Männer. (Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]: Aber nicht im öffentlichen Dienst!) Wenn wir heute schon über Tarifverhandlungen diskutieren, dann nutze ich natürlich die Gelegenheit und fordere, dass die Tarifparteien überprüfen, ob die Tarifverträge Entgeltdiskriminierungen enthalten. Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche und insbesondere gleichwertige Arbeit“ muss endlich durchgesetzt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die bestehende Lohnlücke muss im 21. Jahrhundert endlich der Vergangenheit angehören; denn Frauen verdienen mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Fünftens. Die Kommunen und deren Beschäftigte dürfen nicht weiter unter einer verfehlten Finanzpolitik leiden. Sie müssen so ausgestattet sein, dass sie ihre Aufgaben für die Menschen vor Ort bewältigen und ihre Beschäftigten ordentlich bezahlen können. Die Kommunen müssen also endlich im Mittelpunkt der Bundespolitik stehen. Mit den leeren Versprechungen muss endlich Schluss sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]) – Na ja, es steht viel im Koalitionsvertrag. Man wird sehen, was tatsächlich umgesetzt wird. Momentan muss man wirklich Sorge haben, dass bei den Kommunen fast nichts ankommt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Natürlich kosten solche Tarifverhandlungen schlussendlich auch Geld. Wenn die Linke jetzt einfach einmal einen 6 Milliarden Euro teuren Blankoscheck ausstellt, dann macht sie sich die Haushaltspolitik zu einfach. Sie hätte in den Antrag schon hineinschreiben müssen, wo sie das Geld eigentlich herbekommen will. Die Verhandlungspartner müssen sich nicht nur einigen, sondern die Bundesregierung muss natürlich auch für die notwendige Finanzierung sorgen. Kurzum: Gutes Geld für gute Arbeit im öffentlichen Dienst, und zwar für Männer und Frauen, finanziell gut ausgestattete Kommunen und ein tragfähiger Haushalt, das sind die Hausaufgaben, die Sie, die Regierungsfraktionen, zu erledigen haben. Wir werden Sie daran messen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Mahmut Özdemir, SPD. (Beifall bei der SPD) Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während wir uns heute mit dem Antrag der Fraktion Die Linke befassen, wurde die zweite Tarifverhandlungsrunde zwischen den Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen und deren Arbeitgebern eingeläutet. Das – und eben nicht der Deutsche Bundestag – sind im Übrigen die wahren Verantwortlichen, die den Tarifabschluss am Ende vereinbaren. Es handelt sich hierbei um Verantwortliche, die sich auf Grundsätze wie Tarifpartnerschaft und Tarifautonomie nicht zuletzt im Schutze von Art. 9 Grundgesetz berufen können, auf Grundsätze, die tief im Demokratie- und Sozialstaatsprinzip wurzeln. (Zuruf des Abg. Harald Weinberg (DIE LINKE) – Das kann ich Ihnen an einer anderen Stelle gern noch einmal erläutern, wenn Sie es möchten. Diese Vorüberlegungen führen mich zu Beginn meiner Rede direkt zu der Frage, was dieser Antrag eigentlich bezwecken mag. Dieser Antrag enthält keine haushalterische Würdigung, keinen Vorschlag zur Gegenfinanzierung einer Tarifanpassung, drischt aber munter Phrasen von verteilungsneutralen Spielräumen und suggeriert, dass der öffentliche Dienst nie gewürdigt wird. Er enthält im Übrigen ein Zahlenwerk, dessen Analyse sich nur der Fraktion Die Linke erschließt, mir aber nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schauen Sie sich doch einfach eine Übersicht über die Tarifabschlüsse von 1990 bis heute an. Die Würdigung des öffentlichen Dienstes basiert durch die Bank auf einer insgesamt ausgewogenen und kompromissfreudigen Kooperation zwischen dem Bundesministerium des Innern und den Kommunen auf der einen Seite und den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes auf der anderen Seite. Ich stufe den Antrag daher als untauglichen Versuch ein, auf Kosten der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes eine Generalabrechnung mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik der vergangenen Jahre zu betreiben. Damit ist den Tarifparteien von dieser Stelle aus überhaupt nicht geholfen, wohl aber mit der Wahrnehmung parlamentarischer Pflichten, liebe Kolleginnen und Kollegen. So zeigen wir Sozialdemokraten Haltung und Solidarität mit dem öffentlichen Dienst. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) – Ja, ist ja gut. Ich stimme Ihnen bei der Bestandsaufnahme sogar in Teilen zu: Der öffentliche Dienst ist unverzichtbar, gerade weil wir als Abgeordnete Aufgaben schaffen, die hoheitlich und im weitesten Sinne öffentlich zu erledigen sind. Der öffentliche Dienst hat in vorherigen Tarifrunden schmerzhafte, aber für unser Gemeinwesen auch notwendige Opfer erbracht; das zieht keiner in Zweifel. Diese Opfer nötigen mir den höchsten Respekt ab. Aber die Wertschätzung eines Beschäftigten drückt sich nicht nur in Geld aus. Keiner von uns in diesem Hause ist – das unterstelle ich einfach einmal – Abgeordneter wegen des Geldes. Kein Polizeibeamter trägt seine Uniform wegen des Geldes. Keine Erzieherin und kein Erzieher geht jeden Tag in die Kita nur wegen des Geldes. (Inge Höger [DIE LINKE]: Aber sie müssen davon leben können!) – Ich habe Ihnen auch zugehört. Ich weiß, dass das für Sie schmerzhaft ist. (Zurufe von der LINKEN) Ich möchte mit dieser idealistischen Betrachtungsweise gar nicht ablenken, aber das Augenmerk darauf richten, dass ein Beruf zwar die wirtschaftliche Lebensgrundlage darstellt, aber ohne akzeptable Rahmenbedingungen überhaupt nichts wert ist. Die Kollegen von der Müllabfuhr, die jeden Morgen um 4.30 Uhr ans Werk gehen, die Kollegen von Bus und Bahn, die Taktungen halten, die Erzieher, die auch mal ein paar Minuten dranhängen, weil die Eltern noch im Stau stehen, (Inge Höger [DIE LINKE]: Die sollen besser bezahlt werden!) alle diese Beschäftigten können sich unserer Solidarität jederzeit sicher sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Da besteht überhaupt kein Dissens in diesem Haus. Führen Sie einen solchen doch nicht künstlich herbei! Um das Ergebnis vorwegzunehmen und den Antrag damit weitestgehend zu erledigen: Es wird am Ende der Tarifverhandlungen ein Mehr für den öffentlichen Dienst geben, und mit hoher Wahrscheinlichkeit wird der Tarifabschluss, wie in der Vergangenheit regelmäßig geschehen, eins zu eins auf die Beamten übertragen werden. Die Frage ist und bleibt, was die Aufgabe des Deutschen Bundestages hier und heute ist. Jedenfalls ist es nicht die Aufgabe des Deutschen Bundestages, sich mit diesem Antrag in den Rang einer Tarifvertragspartei zu erheben (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und zu beanspruchen, anstelle der Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite zu sprechen. (Zurufe der Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE] und Pia Zimmermann [DIE LINKE]) Dieser Antrag missachtet die Tarifautonomie der verhandelnden Parteien und fällt der Bundesregierung in den Rücken, nur um den streikenden und verhandelnden Beschäftigten Unterstützung vorzugaukeln, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wir wollen die Bundesregierung ermutigen!) indem man eine Höchstforderung im Rahmen von Verhandlungen abschreibt. Keine Verhandlungspartei – ich betone: das gilt für beide Seiten – erwartet ernsthaft, dass den anfänglichen Forderungen entsprochen wird. Deshalb ist es weder ernsthafte noch wahrhafte Politik, was Sie hier betreiben. Der Antrag verkennt die politische Wirklichkeit mutmaßlich, allem Anschein nach auch bewusst; sonst müssten Ausführungen zur Konsolidierung des Bundeshaushalts dort Platz finden. Die Ausführungen zur Verteilungsgerechtigkeit gehen völlig fehl. Der Antrag verkennt dabei, dass die Gehaltsstrukturen des öffentlichen Dienstes ein weites Band spannen. Soziale Gerechtigkeit spiegelt sich auch hier wider, findet ihre Grenze aber spätestens im Gleichheitsgebot. Entscheidungen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, erfordern das Rückgrat, auch unangenehme Haushaltslagen in Politik umzumünzen. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes brauchen keine Abgeordneten, die sich bei Streikkundgebungen nur für ein Foto hergeben, das man danach twittern oder posten kann. Der öffentliche Dienst braucht Abgeordnete, die exakt das halten, was sie fordern, die exakt das tun, was sie versprechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) – Wenn ich mehr Redezeit hätte, würde ich es Ihnen erklären. – Es mag ja an der fehlenden Erfahrung einer Regierungsbeteiligung liegen – das sehe ich ein –, (Lachen bei der LINKEN) aber ich muss schon fragen: Wie lange wollen Sie eigentlich Anträge stellen, an deren Umsetzung Sie selber berechtigterweise zweifeln müssen? Lassen Sie mich nach diesem Ausflug in die realitätsnahe Politik (Lachen bei der LINKEN) noch einmal an das Thema Arbeitsbedingungen anknüpfen. Während wir Haushaltsdebatten führen, gehen Beschäftigte in Pension und nehmen ihre Stellen sozusagen mit in den Ruhestand. Es fehlen dann Stellen, was den Arbeitsdruck bei den im Dienst stehenden Beschäftigten erhöht oder die Erledigung einer Aufgabe schlicht entfallen lässt. Das Stichwort, auf das ich hier anspiele, lautet „Aufgabenkritik“. Es geht um eine Aufgabenkritik, die unter den Aspekten der Qualitätssicherung und Personalsteuerung im Angesicht der Haushaltslage zu erfolgen hat, eine Aufgabenkritik, die Tarifautonomie und Mitbestimmung auch und erst recht im öffentlichen Dienst zum zentralen Ausgangspunkt macht. Deshalb sind die Tarifverhandlungen aus meiner Sicht dringend notwendig. Die erste Streikwelle hat uns deutlich gezeigt, was das in Ballungsräumen bedeuten kann. 45 000 Beschäftigte, die die Arbeit niederlegen, darunter 10 000 allein im öffentlichen Personennahverkehr, das ist kein Pappenstiel. Tarifverhandlungen aber oder Anträge im Bundestag entheben uns nicht der Aufgabe, objektiv zu definieren, was der Staat im 21. Jahrhundert zu leisten bereit ist und wozu er verpflichtet ist. Gehaltsanpassungen, bezogen auf die zu erledigenden Aufgaben, wirken immer nur kurzfristig. Sprechen Sie doch einmal mit den Beschäftigten im öffentlichen Dienst! Ich unterstelle, dass Sie das nicht tun. (Widerspruch der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]) Ich war im vergangenen Sommer bei Streikkundgebungen der Kolleginnen und Kollegen von der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, die sich für einen Tarifvertrag einsetzen müssen. Sprechen Sie doch einmal mit den Beschäftigten in mittlerweile privatisierten Staatsunternehmen oder mit den Beschäftigten in Justiz und Polizei! Die lassen sich nicht nur hinter verschlossenen Türen die Aussage entlocken, dass sie bereit wären, auf Geld zu verzichten, wenn dafür mehr Personal eingestellt würde. Auch das gehört zur Realität, die Sie verkennen. (Zurufe von der LINKEN) – Dass Sie schreien, zeigt mir, dass Sie keine Argumente mehr haben. Schön! – So etwas geht aber nur mit einer Aufgabenanalyse im öffentlichen Dienst, um darauf Arbeitsbedingungen und Gehaltsstrukturen aufzubauen. Diesen Zielkonflikt zu lösen, das ist die Aufgabe aller Fraktionen in diesem Haus. Stattdessen schwingen Sie sich mit Ihrem Antrag aber zur alleinigen Arbeitnehmervertretung auf und schreiben in Ihrem Antrag die Forderungen auch noch unvollständig ab. Die Verdi-Bundes-tarifkommission fordert nämlich bei einjähriger Tariflaufzeit einen Sockelbetrag von 100 Euro plus 3,5 Prozent mehr Gehalt, aber auch verbindliche Übernahmeregelungen für Auszubildende und den Ausschluss von sachgrundloser Befristung. Das haben Sie in Ihrer Begründung zwar angeführt, aber das scheint Ihnen doch so unwichtig zu sein, dass Sie es nicht in Ihren Antrag hineinschreiben. Wenn wir diese Debatte schon führen dürfen – oder besser: müssen –, dann bitte schön auch vollständig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Es ist höchst fragwürdig, die Bundesregierung aufzufordern, den Tarifforderungen vollumfänglich stattzugeben, obschon Sie wissen, dass nur der Bundestag in seiner Gesamtheit über den Haushalt entscheidet. Sie schieben eine Verantwortung, die dem Parlament obliegt, einfach weg, nämlich die Verantwortung, darüber zu entscheiden, welche Aufgaben der öffentliche Dienst zu erledigen hat und was die Erledigung dieser Aufgaben kostet. Mit Ihren Anträgen verhält es sich so wie mit den im Training gefährlichen Torschützen: Im Meisterschaftsspiel laufen sie vor dem Ball einfach davon. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Gerade deshalb ermuntere ich Sie: Lassen Sie uns doch die Facharbeit hierzu leisten! Schreiben Sie einmal einen Antrag weniger, und nutzen Sie die Zeit, um mit uns Verbesserungen für den öffentlichen Dienst zu erreichen und zu erarbeiten, Verbesserungen, die auch Haushaltserfordernissen standhalten! (Zurufe von der LINKEN) Dazu zählt weiter, dass wir schon dieses Jahr Kommunen bei der Grundsicherung im Alter vollständig entlasten werden, in den Folgejahren 2015 und 2016 jeweils 1 Milliarde Euro investieren (Zuruf von der LINKEN) – ja, dann helfen Sie dabei mit! – und 2017 und 2018 einen weiteren Aufwuchs auf 5 Milliarden Euro haben, um die finanzielle Entlastung zu verstetigen. Das, was bei den Ländern die Schuldenbremse ist, ist nämlich bei den Kommunen die im Raum stehende Drohung der Aufsichtsbehörden mit Haushaltssperren. Der Vorsitzende des Städte- und Gemeindebundes hat es doch richtig und deutlich formuliert: In der derzeitigen Situation würden wir uns mit einem überhöhten Tarifabschluss gegenseitig schaden, (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Und die Diätenerhöhung?) bevor wir nicht vorher die unbedingt notwendigen Entlastungen durchgeführt haben. Ergänzt werden müssen diese Aspekte zusätzlich um eine Verwaltungsmodernisierung: Zentrale und dezen-trale Personalsteuerung, ausgewogene Altersstrukturen und gewinnbringender Personaleinsatz nach Bedarf (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Und das alles ohne Geld!) müssen diesen Bereich attraktiv machen. Das heißt auch, dass sich die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Pflege in einem gerechten Bezahlsystem widerspiegeln muss. Die Flexibilität der Tätigkeiten im öffentlichen Dienst mit Teil- und Vollzeitmodellen und anderen Handlungsmöglichkeiten ist mit Geld überhaupt nicht aufzuwiegen. Schon jetzt, in seinem derzeitigen Aufgabenprofil, ist der öffentliche Dienst ein Garant für die Wahrung und Umsetzung unserer Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Gerade deshalb wenden sich die Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit einer großen Hingabe auch ihrem Recht auf Mitbestimmung zu. Diese Art der Mitbestimmung ist für die Sozialdemokraten das Leistungsmerkmal des öffentlichen Dienstes, das wir schützen und wahren wollen; denn sowohl der Staat als Arbeitgeber als auch die Untergebenen als Arbeitnehmer sind vereint in dem Streben nach Funktionsfähigkeit der öffentlichen Daseinsfürsorge. In diesem gemeinsamen Ziel verbunden wünsche ich den wahren Handelnden, die nicht hier im Bundestag sitzen, sondern am Verhandlungstisch, Besonnenheit, gegenseitige Wertschätzung, aber auch harte Verhandlungen, damit die Beschäftigten wieder zurück an ihre Arbeit kehren können. Damit danke ich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche allen verhandelnden Kolleginnen und Kollegen in Potsdam von hier aus ein herzliches Glückauf. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Alois Karl, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Karl (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist, Herr Präsident, Frühlingsbeginn. Ich habe heute meine Stimme fast verloren, nicht wegen des Antrags der Linken, sondern wegen grippaler Einflüsse. Bevor es mir gänzlich die Stimme verschlägt, Herr Präsident, möchte ich gleich das Ergebnis vorwegnehmen: Wir als CDU/CSU und auch unser Koalitionspartner lehnen den Antrag der Linken ab. (Beifall bei der CDU/CSU) Damit komme ich zum Inhalt. In wenigen Wochen begehen wir einen Geburtstag: Am 23. Mai 1949, also vor 65 Jahren, ist das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten, mit vielen Freiheitsrechten, unter anderem in Art. 9 Abs. 3 mit dem Recht auf Koalitionsfreiheit. Das umfasst aber nicht nur das Recht, eine arbeitsrechtliche Koalition zu begründen, sondern auch die Betätigungsfreiheit. Die Tarifvertragsparteien haben davon in den letzten 65 Jahren in außerordentlich ernster und korrekter Weise Gebrauch gemacht und haben die tariflichen Belange sinnvoll geregelt. Die Tarifvertragsparteien waren immer frei in ihrer Betätigung, frei von staatlichen Einflüssen, frei von staatlicher Bevormundung und frei in der Gestaltung ihrer Vertragsangelegenheiten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sehe in dem Antrag der Linken – das ist vorhin schon kurz angesprochen worden – das Gegenteil. In diesem soll es auf eine Reglementierung hinauslaufen. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Nein, auf mehr Geld!) Das ist für mich völlig indiskutabel. Dazu werden Sie von uns niemals eine Zustimmung erhalten. Das geht an der Verfassungswirklichkeit und dem Grundgedanken der Verfassung vollends vorbei. (Beifall bei der CDU/CSU) Es handelt sich dabei meines Erachtens um eine völlig nutzlose Andienerei, um eine plumpe Kumpanei mit den Tarifvertragsparteien. Aber ich glaube, dass die Gewerkschaften das gar nicht wollen und gar nicht brauchen. Im Gegenteil: Unsere Gewerkschaften sind stark. Sie entscheiden nach eigenem Ermessen, ohne Einflussnahme des Deutschen Bundestages. Bedenken Sie einmal, wie das Gegenteil wirken würde: Was wäre los, wenn wir im nächsten Jahr beschließen würden: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, keine der gewerkschaftlichen Forderungen zu akzeptieren“? Das wäre genauso wenig bindend wie das, was Sie jetzt fordern. Meine Damen und Herren, es finden Tarifverhandlungen statt. Es geht um die Löhne und Gehälter von 2 Millionen Beschäftigten von etwa 10 000 Arbeitgebern im öffentlichen Dienst. Es werden Volumina von 6 Milliarden Euro und schließlich von 8,6 Milliarden Euro verhandelt. Ein Tarifvertrag ist ein Vertrag. Ein Vertrag sieht Verbindlichkeiten in jegliche Richtung vor. Jemand muss diese 8,6 Milliarden Euro bezahlen. Das sind zunächst einmal die Verhandlungspartner. Das sind neben dem Bund die Kommunen. Aber Kommune ist nicht gleich Kommune; Stadt ist nicht gleich Stadt. Die Stadt München kann das möglicherweise bezahlen. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Neumarkt!) – Neumarkt zum Beispiel könnte das bezahlen; da hast du recht. Das könnte ich jetzt gut ausführen. Sollte dazu eine Zwischenfrage gestellt werden, dann führe ich das gerne näher aus. Auch der Speckgürtel um München herum könnte das bezahlen, das Ruhrgebiet allerdings nicht. Die Zahlen spiegeln nicht immer die vollständige Wahrheit wider. Natürlich ist es so, dass die Städte und Gemeinden in Deutschland Verbindlichkeiten von etwa 130 Milliarden Euro haben, dass sie Kassenkredite von mehr als 50 Milliarden Euro haben und dass viele finanziell am Krückstock gehen. Viele Städte und Gemeinden sind Dauergast unter dem finanzpolitischen Sauerstoffzelt. Die können das nicht oder kaum bewältigen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber Gründe, oder?) Denen können wir doch keine Vorgaben machen, wie die Höhe von tarifvertraglichen Abschlüssen aussehen soll. Die Gemeinden werden sich das auch nicht gefallen lassen, was Sie hier vorschlagen. In der Bayerischen Verfassung und in allen anderen Länderverfassungen steht, dass die Gemeinden ursprüngliche Gebietskörperschaften sind. Noch vor dem Staat, noch vor den Ländern gab es die Gemeinden. Die lassen sich nicht ans Gängelband nehmen, von Ihnen leiten und irgendwohin dirigieren. Sie möchten ihre ureigenen Interessen selber vertreten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben einen außerordentlich kommunalfreundlichen Haushalt vorgelegt und werden dies fortführen. Wir werden in den zehn Jahren von 2010 bis 2020 etwa 80 Milliarden Euro direkt oder indirekt in die Gemeinden fließen lassen: für die Kosten der Grundsicherung, die Kosten der Unterbringung und für die Eingliederung der Behinderten. Wir haben uns in den nächsten vier Jahren des Haushaltens eine freie Finanzspanne geschaffen. Von den vorgesehenen 23 Milliarden Euro werden wir 12,5 Milliarden Euro für die Gemeinden ausgeben; eine unglaublich kommunalfreundliche Seite, die die Große Koalition damit an den Tag legt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Karl, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk? Alois Karl (CDU/CSU): Ja, sehr gerne. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben gerade eine Zahl in den Raum gestellt. Von den 23 Milliarden Euro würden 12 Milliarden Euro an die Gemeinden fließen. Alois Karl (CDU/CSU): 12,5 Milliarden. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte Sie mit den Zahlen konfrontieren, die mir Ihr haushaltspolitischer Sprecher gestern im Haushaltsausschuss auf meine Frage hin genannt hat. Es gibt ja eine Auseinandersetzung um die Frage: Warum fließt eigentlich im Jahr 2014 noch keine Milliarde an die Kommunen? Da hat er uns vorgerechnet, 23 Milliarden Euro stünden im Koalitionsvertrag, davon seien 20 Milliarden Euro sehr klar durch bestimmte Maßnahmen belegt und 3 Milliarden Euro würden für die Kommunen bleiben. Das seien nicht 4 Milliarden Euro, und deswegen sei erst in den Jahren 2015, 2016 und 2017 jeweils 1 Milliarde Euro für die Kommunen da. Ist es nicht das Ergebnis einer sehr weiten Interpretation, die anderen maßnahmenbezogenen Mittel jetzt so auf die Gemeinden herunterzurechnen, dass Sie auf die Zahl 12 Milliarden Euro kommen? Ist das nicht vielleicht auch eine sehr starke Verschleierung gegenüber der Öffentlichkeit? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Alois Karl (CDU/CSU): Liebe Frau Kollegin Hajduk, entschuldigen Sie bitte: Ich hatte schon gestern den Verdacht, dass Sie die Antwort, die man Ihnen gegeben hat, nicht ganz verstanden haben. (Heiterkeit) Es ist in der Tat so, dass wir einen Spielraum von 23 Milliarden Euro haben. Heruntergerechnet bedeutet dies – danach haben Sie schon gestern gefragt –, dass in den Jahren 2015, 2016 und 2017, sozusagen im Vorgriff auf die Wiedereingliederung, jeweils 1 Milliarde Euro gezahlt wird, ab dem Jahr 2018 dann 5 Milliarden Euro, und zwar in der weiteren Abfolge permanent, laufend. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das darf dann wieder die nächste Regierung machen, ja?) Damit ergibt sich, wenn man andere Punkte hinzunimmt, eine Summe von insgesamt 12,5 Milliarden Euro. 3 Milliarden Euro und zweimal 5 Milliarden Euro ergeben 13 Milliarden Euro. – (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche 5 Milliarden denn überhaupt?) Ich muss mich korrigieren: Es sind eigentlich nicht 12,5 Milliarden Euro, sondern 13 Milliarden Euro. Wir können das gerne noch einmal im Haushaltsausschuss vertiefen; dazu haben wir noch reichlich Gelegenheit. Trotzdem vielen Dank für die Frage. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen das mit der Mathematik noch lernen!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Gegensatz zu den Antragstellern habe ich persönlich, haben die Fraktionen von CDU/CSU und SPD Vertrauen in die Verhandlungsführer bei den Tarifverhandlungen. Ich vertraue darauf, dass sich die Arbeitgeber und die Gewerkschaften mit Maß und Respekt begegnen. Wir wissen, was wir an einem guten öffentlichen Dienst haben. Wir wissen, dass die Leute im öffentlichen Dienst in der Tat Geld brauchen. Aber ich sage auch: Die Tatsache, dass wir die Inflationsrate in den letzten Jahren sehr gering gehalten haben – um 1 Prozent herum –, ist eine außerordentliche, hervorragende soziale Leistung, gerade im Hinblick darauf, dass dadurch insbesondere die Löhne und Gehälter geschont und sie nicht von den klebrigen Fingern des Staates und anderer verringert werden. Ich habe Vertrauen, dass die Gewerkschaften sowie die Arbeitgeberverbände und die Verhandlungsführer des Bundesinnenministeriums und des Finanzministeriums ihre Arbeit gut machen. Wir haben kein Vertrauen in Ihren Antrag; wir lehnen ihn ab. Ich freue mich, dass ich meine Rede bis zum Schluss halten konnte. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege Karl. Ich wünsche Ihnen nicht politisch, aber gesundheitlich gute Besserung. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alois Karl [CDU/CSU]: Danke!) Nächster Redner ist der Kollege Wilfried Oellers, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! The Show Must Go On – so würde Freddie Mercury den Antrag der Linken kommentieren. Wenn Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst anstehen, muss dies wohl gleichzeitig wieder eine Debatte im Deutschen Bundestag nach sich ziehen. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wir haben Gewerkschafter dabei, Sie ja nicht!) Dabei sollte doch inzwischen bekannt sein, dass das Parlament für Tarifverhandlungen nicht zuständig ist. Die erste Forderung im Antrag ist deswegen schon aus rein formellen Gründen abzulehnen. Nach unserer Verfassung liegt die Zuständigkeit für Tarifangelegenheiten bei den Tarifvertragsparteien. Tarifvertragspartei ist nicht das Parlament, sondern der Bund, vertreten durch den Bundesminister de Maizière, und die Kommunen, vertreten durch die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände. Es steht dem Parlament in diesem Zusammenhang nicht zu, Forderungen zu formulieren, geschweige denn anzunehmen oder zu akzeptieren, so wie es die Linken in ihrem Antrag tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Daher kann von dieser Stelle aus lediglich der Wunsch an die Tarifvertragsparteien geäußert werden, ein für beide Seiten angemessenes und akzeptables Ergebnis zu erzielen. Die zweite Forderung im Antrag ist derart unsubstantiiert, dass sich eine Debatte hierüber erübrigt. Es verwundert schon sehr, dass mit dieser Forderung zwar das Ansinnen auf Sicherstellung der Kommunalfinanzen geäußert, aber nicht ein einziger Vorschlag unterbreitet wird. Da mir das Thema Kommunalfinanzen als ehemaligem Ratsmitglied besonders am Herzen liegt, sei Folgendes erwähnt: Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben das Thema „Sicherstellung der Kommunalfinanzen“ schon längst aufgenommen. Offensichtlich scheinen die Linken das noch nicht registriert zu haben. Daher verweise ich auf die letzte Legislaturperiode und den Koalitionsvertrag. In der letzten Legislaturperiode hat die CDU/CSU-Fraktion maßgeblich dazu beigetragen, dass die Kommunen mit der stufenweisen Rücknahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter eine erhebliche finanzielle Entlastung erhalten. Hierdurch werden die Kommunen nach dem Erreichen der 100-prozentigen Übernahme der Kosten ab 2014 um jährlich 5 Milliarden Euro entlastet. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit der Eingliederungshilfe werden wir eine weitere maßgebliche finanzielle Entlastung der Kommunen auf den Weg bringen, die die Kommunen im Ergebnis um weitere 5 Milliarden Euro jährlich entlasten wird. Dabei möchte ich das Thema Eingliederungshilfe nicht nur als finanzielle Entlastung der Kommunen verstanden wissen, sondern an dieser Stelle insbesondere die Neuregelung der Teilhabe von behinderten Menschen durch das beabsichtigte Bundesteilhabegesetz als einen wesentlichen Bestandteil des Gesetzes erwähnen. Darüber hinaus werden Länder und Kommunen hinsichtlich der Kosten für Kinderkrippen, Kitas, Schulen und Hochschulen zusätzlich finanziell unterstützt. Die Länder werden hierzu in der laufenden Legislaturperiode um 6 Milliarden Euro entlastet. Es wird daher Aufgabe der Länder sein, diese Entlastung an die Kommunen weiterzugeben und nicht etwa zur Konsolidierung der Länderhaushalte zu verwenden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die genannten Maßnahmen sind prioritäre Maßnahmen, die nicht unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen. Hieran sieht man deutlich, dass wir, die CDU/CSU-Fraktion und auch die Regierungskoalition, längst auf dem Weg sind, die Kommunen finanziell weiter zu entlasten. Man sieht auch, welche große Bedeutung wir der finanziellen Entlastung der Kommunen beimessen. Hierzu bedarf es keiner Aufforderung durch die Linken. Weiter weise ich darauf hin, dass der Bund für allgemeine Gesetzesinitiativen zur Sicherung der Kommunalfinanzen – so fordert es die Linke in ihrem Antrag – ebenfalls nicht zuständig ist, da dies Aufgabe der Länder ist. All dies zeigt deutlich, dass Sie mit Ihren Forderungen lediglich eine Showveranstaltung initiieren wollen, frei nach dem Motto: The Show Must Go On. (Beifall bei der CDU/CSU) Bezüglich der Forderungen im Antrag der Linken fasse ich abschließend wie folgt zusammen: Beide Forderungen richten sich an das nicht zuständige Gremium. Die erste Forderung missachtet zudem die Grundsätze der Tarifautonomie und damit die Verfassung. Die zweite Forderung ist schlichtweg unsubstantiiert. Beide Forderungen sind damit abzulehnen, da sie eklatante Fehler bzw. Mängel aufweisen. In der Schule würde man dazu sagen: Thema verfehlt, Prüfung nicht bestanden! Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Oellers, zu Ihrer ersten Rede hier im Deutschen Bundestag gratuliere ich Ihnen herzlich und wünsche Ihnen viele weitere erfolgreiche Reden im Hohen Hause. (Beifall) Das war der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt, und deshalb schließe ich hiermit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/795 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 sowie den Zusatzpunkt 6 auf: 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Einsetzung einer „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Agnieszka Brugger, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung einer „Parlamentarischen Kommission zur Überprüfung, Sicherung und Stärkung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ Drucksachen 18/766, 18/775, 18/870 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einsetzung einer „Parlamentarischen Kommission zur Überprüfung, Sicherung und Stärkung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ Drucksache 18/839 (neu) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Erster Redner ist der Kollege Dr. Johann Wadephul, der hiermit die Aussprache eröffnet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beenden heute eine kurze, aber hochqualifizierte und auch interessante Beratung, die wir in der vergangenen Woche in diesem Hohen Hause begonnen und zwischenzeitlich im Auswärtigen Ausschuss und in den mitberatenden Ausschüssen fortgesetzt haben. Positiv formuliert kann man sagen: Der Anstoß, den der Koalitionsvertrag gegeben hat, ist von allen Fraktionen aufgenommen worden. Das heißt, alle Fraktionen sind sich einig darin, dass es sinnvoll ist, die Frage der Wahrung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen dahin gehend zu überprüfen, ob sie zeitgemäß sind, ob sie effektiver werden können und was wir angesichts einer neuen Sicherheitslage gegebenenfalls zu verändern haben. Das ist insgesamt ein erfreuliches Zwischenergebnis einer Debatte, die aus der Mitte der Unionsfraktion schon in der vergangenen Legislaturperiode angeschoben worden ist. Wir freuen uns, dass eine Diskussion über diese Fragen möglich ist. Wir tun das in dem Bewusstsein, dass die Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen ein wirkliches Juwel unserer parlamentarischen Arbeit sind, welches wir sichern wollen. Wenn man betrachtet, was nach dem Zweiten Weltkrieg in der Verfassung an Parlamentsrechten festgeschrieben worden ist und durch Entscheidungen des Verfassungsgerichts bestätigt worden ist, dann wird klar, dass die Frage der Feststellung des Verteidigungsfalls sozusagen noch in die alte Sicherheitsarchitektur zur Zeit des Kalten Krieges gehört. Unter den Bedingungen einer Einsatzarmee gehört die Festschreibung dieses Parlamentsrechts zu den wirklichen parlamentarischen Errungenschaften, auf die wir stolz sein können. Diese Rechte sind vom Bundesverfassungsgericht regelmäßig gestärkt worden. Wenn wir diese Rechte effektiv wahrnehmen wollen, müssen wir sie aber regelmäßig überprüfen. Das soll jetzt geschehen. Ich freue mich, dass es dazu auch konstruktive Vorschläge aus anderen Fraktionen gibt, wiewohl ich diejenigen der Linksfraktion nicht dazu zählen kann; denn wer ernsthaft erwägt, die Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr an eine Zweidrittelmehrheit zu binden, der will nicht, wie es im Antrag steht, die Legitimationsqualität erhöhen, sondern der verfolgt natürlich ganz andere politische Ziele. Das ist nicht weiter verwunderlich; das sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber vielleicht ehrlicherweise sagen. All diejenigen in den anderen Fraktionen, die noch glauben, dass man mit dieser Fraktion eine zuverlässige und in der NATO, in der Europäischen Union und in der UNO kalkulierbare Sicherheitspolitik betreiben kann, (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Mehr Demokratie wagen!) werden hier wieder einmal eines Besseren belehrt: Mit dieser Fraktion kann man das nicht erreichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben uns intensiv bemüht, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einzubeziehen. Weil das im Auswärtigen Ausschuss von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Grünenfraktion, ein bisschen kritisch beleuchtet worden ist, was Ihr gutes parlamentarisches Recht ist, will ich dazu Folgendes sagen: Ein entsprechender Koalitionsantrag ist Ihnen am 25. Februar 2014 zugeleitet worden. Wir haben erst zehn Tage danach erste Vorschläge von Ihnen dazu erhalten. Wer aus dem Koalitionsvertrag weiß, was wir wollen, wer rechtzeitig vor Beginn der ersten Lesung einen Antrag von uns bekommt, wer sich dazu äußern kann, wer sich einbringen kann, der sollte nicht im Ernst so tun – so habe ich das im Auswärtigen Ausschuss verstanden (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Frau Kollegin Künast, Sie waren nicht dabei –, als hätte es hier kein vernünftiges Zugehen der Großen Koalition auf die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegeben. Wir haben versucht, Sie einzubinden. Wenn Sie am Schluss nicht mitwirken wollen, dann muss man das hier auch ehrlich sagen. Dann werden wir unseren Antrag hier durchsetzen. Aber bitte unterlassen Sie an dieser Stelle die formelle Verfahrenskritik. Sie ist unberechtigt. (Beifall bei der CDU/CSU) In der Sache muss man sagen: Wer eine Expertenkommission einsetzen will – wir sind die Letzten, die ihr Licht unter den Scheffel stellen – und sie, wie die Grünen, allein mit Parlamentariern besetzen will, der wird natürlich relativ wenige Anstöße von draußen bekommen, was juristische, sicherheitspolitische und militär-politische Fragen angeht. Wir wollen die Expertise zu uns holen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch!) – Ja. Das, was Sie machen wollen, ist aber klassisch das, was wir in jeder Ausschusssitzung machen können, wenn wir eine Anhörung durchführen. Das können wir jederzeit machen, ob im Verteidigungsausschuss oder im Auswärtigen Ausschuss. Das werden wir auch wieder machen. Das wird man möglicherweise auch danach noch machen wollen und natürlich auch können. Aber wir wollen eine Kommission einsetzen, durch die wir den Blick von draußen in unsere Parlamentswelt hineinholen. Ich glaube, das ist ein guter und wichtiger Ansatz, der unsere Arbeit am Schluss nur befruchten kann und sinnvoll ist. Deswegen möchte ich Sie ganz herzlich bitten, sich dem zu öffnen. Es bleibt dabei: Es gibt neue Bedingungen, auf die wir uns einstellen müssen. Wir haben es mit neuen sicherheitspolitischen Anforderungen zu tun. Es gibt mehr Zusammenarbeit mit Partnern als noch vor wenigen Jahren. Wir haben weniger Haushaltsmittel zur Verfügung. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben denn die Haushaltsmittel damit zu tun?) Deswegen ist es gut, dass wir eine Kommission bitten können, uns zu beraten. Die Schlussentscheidung trifft der Deutsche Bundestag – das steht vollkommen außer Frage; niemand wird das befolgen müssen, was von der Kommission vorgeschlagen wird –, und es bleibt bei einem starken Parlamentsrecht. Aber es ist gut, dass diese Kommission ihre Arbeit aufnehmen kann. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Dr. Alexander Neu, Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Die Linke hat letzte Woche angekündigt, einen eigenen Antrag einzubringen. Das haben wir nun gemacht. Er liegt Ihnen vor. (Michael Brand [CDU/CSU]: Aber viel zu spät! Und viel zu schlecht!) Der eine oder andere von Ihnen mag sich fragen, warum die Linke das Parlamentsbeteiligungsgesetz so verteidigt, wie sie es verteidigt. Das kann ich Ihnen sagen: Obwohl wir gegen Auslandseinsätze sind bzw. gerade weil wir gegen Auslandseinsätze sind, verteidigen wir das Parlamentsbeteiligungsgesetz. (Henning Otte [CDU/CSU]: Oh, Sie verteidigen auch mal etwas?) 90 Prozent der gewählten Vertreter in diesem Hause stimmen regelmäßig für Kriegs- und Kampfeinsätze und für Auslandseinsätze (Michael Brand [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) – doch, das stimmt – (Michael Brand [CDU/CSU]: Was denn für Kriegseinsätze?) und missachten regelmäßig den Mehrheitswillen der -Gesellschaft, die zu 75 Prozent gegen Auslandseinsätze ist. Das ignorieren Sie einfach. Das heißt, die Linke ist die einzige Fraktion, die Auslandseinsätze im Sinne des Mehrheitswillens der Gesellschaft ablehnt. (Beifall bei der LINKEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Deshalb haben Sie bei der Bundestagswahl ja auch 80 Prozent bekommen! – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sie machen es sich immer sehr leicht! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Ui! – Sie sind ja toll!) Die kuriose Situation, die ich gerade geschildert habe, sehr geehrte Damen und Herren, muss dem Bürger und der Bürgerin deutlich gemacht werden. Daher fordert die Linke die Sicherstellung der Transparenz, der Kontrolle und des Entscheidungsmonopols des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen. Gerade wurde ein weiterer Punkt angesprochen: die Zweidrittelmehrheit, die wir bei Entscheidungen des Deutschen Bundestages über Auslandseinsätze einfordern. Es kann nicht sein, dass die Entscheidung über Krieg und Frieden, über Leben und Tod von 30, 40 anwesenden MdBs getroffen wird. (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Hallo? Das ist immer eine namentliche Abstimmung! – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist doch schon wieder gelogen! Das ist doch unwahr!) Es müsste so sein, dass mindestens zwei Drittel der Mitglieder des Deutschen Bundestages anwesend sein und so die Verantwortung für ihr Tun und Handeln übernehmen müssten. (Michael Brand (CDU/CSU): Das ist doch eine Diffamierung! Das ist doch unwahr! – Manfred Grund (CDU/CSU): Wollen Sie sich korrigieren? Sie haben noch die Möglichkeit! Nennen Sie doch mal konkrete Zahlen! – Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Über welche Einsätze wurde hier denn nicht in namentlicher Abstimmung abgestimmt? – Henning Otte (CDU/CSU): Das war sachlich falsch!) Nun zum konkreten Problem. Als angebliches Problem deklarieren Sie, das Parlamentsbeteiligungsgesetz stelle eine Behinderung der Arbeit der integrierten Stäbe und integrierten Verbände dar. Genannt werden AWACS-Flugzeuge, Luftbetankung, Lufttransport, NATO-Hauptquartiere, Führungsstäbe etc. etc. Was steckt dahinter? Integrierte Stäbe oder integrierte Verbände sind multinational zusammengesetzt. Das heißt, Franzosen, Deutsche, Briten, Amerikaner etc. arbeiten in diesen Formationen zusammen. Wenn nun der Parlamentsvorbehalt zugunsten integrierter Stäbe oder integrierter Verbände eingeschränkt werden würde, geschähe Folgendes: Wenn die USA, Frankreich oder Großbritannien mal wieder der Auffassung sind, die Welt vor irgendwelchen Schurken retten und einen Kampf führen zu müssen, (Michael Brand [CDU/CSU]: Ach, du liebe Güte! Was für ein Niveau!) die Bundesregierung aber ausnahmsweise nicht mitmachen möchte – siehe den Fall Libyen –, geriete es so, dass die Bundesregierung unter erheblichem Druck der USA, Frankreichs oder Großbritanniens stünde, diesen Einsatz im NATO-Rat oder im Ministerrat der Europäischen Union nicht durch ein Veto zu blockieren. Was wäre die Konsequenz? Die Konsequenz wäre ein Mitmachautomatismus. Genau das wollen Sie. Die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in den integrierten Stäben und den integrierten Verbänden von EU und NATO müssten dann in den Kampfeinsatz bzw. in den Auslandseinsatz. (Henning Otte [CDU/CSU]: Sie machen eine Mitlachstrategie!) Warum? Weil das souveräne Entscheidungsrecht der Bundesregierung und des Bundestages ausgehebelt und nach Brüssel verlegt worden ist – und das ausgerechnet durch die hier anwesenden Parlamentarier. (Michael Brand [CDU/CSU]: So ein dummes Zeug!) Die Entscheidung über Krieg und Frieden, die Entscheidung über Leben und Tod hinge somit von EU- und NATO-Technokraten ab. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Das wollen Sie nicht wirklich. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das glauben Sie auch nicht wirklich, was Sie da sagen! – Michael Brand [CDU/CSU]: Das arrogante Lächeln sagt doch alles!) Die Linke widersetzt sich diesem Abbau des Parlamentsvorbehaltes und fordert stattdessen seine Ausweitung. Ich habe bei meiner letzten Rede schon einige Lücken aufgezählt. Ich wiederhole sie gerne noch einmal. Die erste Lücke betrifft die Unterrichtungspraxis bezüglich der Einsätze der Spezialkräfte. Es kann nicht sein, dass von den 631 Abgeordneten gerade einmal 17 darüber informiert werden – halbherzig informiert werden –, ob die SEK M oder die KSK im Einsatz ist. (Michael Brand [CDU/CSU]: Sie werfen was durcheinander!) Die zweite Lücke ist mir heute Morgen noch einmal deutlich geworden, als unsere Kanzlerin gesprochen hat. Es ist das, was man unter die Merkel-Doktrin zu fassen versteht: (Lachen des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]) Ausbildungsmission und Rüstungsexport als strategische Instrumente neben Kampfeinsätzen einzusetzen. Warum also keinen Parlamentsvorbehalt für Rüstungsexporte? Das gilt es anzudenken. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das Richtige ist nicht neu, Herr Neu!) Die dritte Lücke betrifft die Sicherstellung, dass keine unbemannten Waffensysteme, also Drohnen, zum -Einsatz kommen. Es gibt einen bekannten Spruch der Friedensbewegung, der hier auf ironische Weise wiederbelebt wird: Stell Dir vor, es ist Krieg, und niemand geht hin. – Damals ahnte noch keiner, dass es einmal so perverse Mordinstrumente wie Killerdrohnen geben würde. Um Krieg führen zu können, muss man nicht mehr in das Einsatzgebiet gehen. Man kann das auch bequem von zu Hause aus mit dem Joystick handhaben. (Michael Brand [CDU/CSU]: Wie reden Sie denn über Soldaten?) Das Parlamentsbeteiligungsgesetz berücksichtigt also dieses Szenario nicht. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz geht von bewaffneten deutschen Streitkräften im Ausland aus, § 1 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 1. Der Ausführende im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ist also in jedem Fall der Soldat bzw. die Soldatin und nicht irgendwelche Waffensysteme. Es geht also darum, diese Waffensysteme im Parlamentsbeteiligungsgesetz zu berücksichtigen. Die Linke hat angekündigt, dass sie den Antrag der Regierungsfraktionen ablehnen und sich natürlich auch nicht an dieser Kommission beteiligen wird. Wir werden nicht als Feigenblatt dienen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Wir stimmen dem Antrag der Grünen zu. (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich habe noch eine Bitte an die Regierungsfraktionen: Nehmen Sie die von mir genannten Lücken ernst und sorgen Sie dafür, dass diese geschlossen werden. (Michael Brand [CDU/CSU]: Das meinen Sie nicht ernst!) Danke. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wir nehmen die Lücken ernst!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Rolf Mützenich, SPD. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Michael Brand [CDU/CSU]: Danke, dass jetzt Argumente kommen!) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde gerne versuchen, noch einmal auf den Kern der heutigen Debatte zurückzukommen, weil es heute nicht um einen Gesetzentwurf geht, der möglicherweise die Parlamentsrechte in irgendeiner Form erweitert, einschränkt, modernisiert oder irgendetwas anderes, sondern lediglich darum, die Frage zu stellen: Wollen wir eine Kommission beim Parlament einsetzen, die sowohl mit der Expertise aus dem Parlament als auch der von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie -Experten aus dem Bereich des Völkerrechts mit uns gemeinsam überlegt, welche Herausforderungen sich mit Blick auf ein modernes Parlamentsbeteiligungsgesetz ergeben? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist die Frage!) Ich finde, diesen Nebel, der gerade hier entstanden ist, müssen wir aus dem Parlament vertreiben. Es geht tatsächlich um ein innovatives Instrument, das uns im Deutschen Bundestag hilft, in einer Debatte, die wir möglicherweise dann noch in dieser Legislaturperiode als verantwortungsvolle Parlamentarierinnen und Parlamentarier zu führen haben, sozusagen eine Wegstrecke abzubilden. Genau deshalb war diese Einladung auch von uns an alle Fraktionen in diesem Haus gerichtet gewesen. Ich gebe zu, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich bin am Ende einer längeren Debatte, die wir sowohl in den Ausschüssen als auch zwischen den Fraktionen geführt haben, nicht ganz zufrieden. Natürlich hätte ich mir die Beteiligung aller Fraktionen gewünscht. Ich glaube, wir alle hier im Deutschen Bundestag haben mit gutem Grund, aber auch mit gutem Wissen und Willen versucht, diese Einigung zu erreichen. Ich sage das auch ganz klar an die Fraktion der Grünen gerichtet, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: weil wir damals unter Rot-Grün nämlich einen anderen Weg gegangen sind, der auch nicht auf die Zustimmung dieses Parlaments gestoßen ist. Ich glaube, wir sollten uns noch einmal vergewissern, wie das 2004/2005 war: Wir haben damals als rot-grüne Bundesregierung bzw. Koalition einen Gesetzentwurf vorgelegt, der, wie ich finde, richtig war. Jetzt wollten wir einen anderen Weg beschreiten: Wir wollten die Opposition von Anfang an dabei haben. Die Große Koalition will nichts niederstimmen und auch keine Minderheitenrechte beiseiteschieben, sondern eine Parlamentskommission einrichten. Ich glaube, das war der richtige Weg: ein Angebot an alle in diesem Parlament, zu versuchen, in den nächsten Monaten berechtigte Fragen auch zu diskutieren. Als es damals um das Parlamentsbeteiligungsgesetz ging, kamen vonseiten der Union – das muss ich unserem Koalitionspartner zugestehen – teilweise andere Vorstellungen. Diese berechtigten Fragen können jetzt wieder gestellt werden. Das soll eine Kommission beim Parlament leisten, in der, wie gesagt, sowohl Abgeordnete vertreten sind als auch ein breiter Kreis von Experten, der uns helfen kann. Wir wollten keinen Gesetzentwurf vorlegen, und wir wollten auch kein Gremium der Koalitionsparteien. Wir wollten das nicht im Koalitionsausschuss festlegen und Ihnen quasi diktieren. Ich meine, welchen offeneren Weg hätten wir denn wählen können als die Einrichtung dieser Kommission beim Parlament? Dass Sie so reagiert haben, hat mich dann schon gewundert. Sie haben den Koalitionsvertrag gelesen: Wir wollten ganz bewusst – so haben wir es auch -zitiert – möglichst im Konsens Vorschläge machen, wobei Minderheitenrechte und Minderheitsvoten in dieser Kommission genauso respektiert worden wären wie sonst im Deutschen Bundestag auch. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Mützenich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich? Dr. Rolf Mützenich (SPD): Da melden sich ganz viele. Vizepräsident Johannes Singhammer: Dann erst einmal der Kollege Liebich. Stefan Liebich (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege Mützenich, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. Wir hatten uns in meiner Fraktion nicht abgesprochen, wer sich alles meldet. Dr. Rolf Mützenich (SPD): Das müsst ihr untereinander klären. Stefan Liebich (DIE LINKE): Vielleicht erledigt sich das auch in der Folge; das weiß ich nicht. Das Angebot an uns, dass wir in dieser Kommission zusammenarbeiten können, klang sehr schön. Das -Problem ist allerdings: Sie haben in der letzten Sitzungswoche, als wir darüber gesprochen haben, gesagt: Wir überweisen das an die Ausschüsse; da kann man ja noch einmal beraten. – Nun saßen wir alle gemeinsam im Auswärtigen Ausschuss, und es lagen Vorschläge von drei Seiten vor. Dann ist zwar verbal bekundet worden, man könne aus den Vorschlägen der Grünen zum Einsetzungsbeschluss – aus unseren vielleicht auch; das ist nicht ganz deutlich geworden – etwas in den Antrag, den Sie vorgelegt haben, aufnehmen. Das ist aber nicht passiert. Sie haben den Vorschlag, der hier letzte Woche vorlag, vollkommen unverändert zur Abstimmung gestellt, ohne ein einziges Angebot für einen etwas ergebnisoffeneren Text zu machen. (Michael Brand [CDU/CSU]: Aber das beginnt doch erst!) Da muss ich schon sagen: Ich kann das Klagen, man hätte uns einbeziehen wollen, nicht richtig ernst nehmen. Im Ausschuss war davon nichts zu merken. Sie haben einfach abgestimmt über das, was von Ihnen vorlag, und unsere Anregungen beiseitegeschoben. Dr. Rolf Mützenich (SPD): Herr Kollege Liebich, ich habe nicht geklagt, sondern sozusagen den Weg aufgezeigt, den wir den Oppositionsparteien – wie bereits in den Koalitionsgesprächen beschlossen – eröffnet haben, auch als Konsequenz -daraus, wie wir damals das Parlamentsbeteiligungs-gesetz auf den Weg gebracht haben. Wir wollten damals auch rechtliche Klarheit herstellen. Ich habe die Diskussion im Auswärtigen Ausschuss ein bisschen anders in Erinnerung als Sie: In der Tat, wir haben lange Zeit über die Ukraine diskutiert. Ich finde, das darf uns nicht zum Vorwurf gemacht werden; denn das ist ein Fels der Herausforderungen in der internationalen Politik, die auch mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern zu diskutieren sind und wo im Deutschen Bundestag unterschiedliche Meinungsbilder existieren. Dann haben wir, glaube ich, gegen zwölf Uhr unter Beteiligung aller Fraktionen eine relativ breite Debatte über diesen Antrag geführt. Da gab es eben unterschiedliche Auffassungen. Wir haben aber schon vorher – das sollte der Öffentlichkeit hier klar werden – alle Versuche unternommen – vielleicht in unterschiedlicher Intensität –, letztlich zu einer Lösung zu kommen. Deswegen habe ich hier nichts beklagt. Sie haben es leider – das will ich Ihnen im Gegensatz zur Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht zum Vorwurf machen – erst diese Woche geschafft, einen Antrag vorzulegen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir diesen Antrag etwas früher bekommen hätten; das hätte die Debatte vielleicht befördert. Deswegen will ich noch einmal eindeutig feststellen: Wir wollen weiterhin diese breite Beteiligung. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Mützenich, jetzt hat sich der Kollege Gehrcke noch einmal gemeldet. Die Frage, die er stellen wollte, ist also noch nicht beantwortet. Deshalb darf ich Sie fragen, ob Sie diese Frage auch zulassen. Dr. Rolf Mützenich (SPD): Ja, wenn es bereichert. (Heiterkeit – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Also nicht!) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Kollege Mützenich, Sie kennen doch den klassischen Spruch, den jemand vor Gericht gesagt hat, als er aufstehen sollte: Wenn es der Wahrheitsfindung dient. – Hier müsste es heißen: Wenn es die Debatte bereichert. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, warum es den Antragstellern nicht möglich war, die Formulierung „Stärkung der Parlamentsrechte“ in den Antrag mit aufzunehmen. Es geht ja darum, dass Sie eine Kommission einsetzen möchten, die keinen beliebigen, sondern einen bestimmten Auftrag hat, den das Parlament erteilt und den die Kommission dann auch erfüllen muss. Es war für uns ein zentraler Punkt, diese Formulierung in den Antrag aufzunehmen. Das war nicht möglich. Sie können von uns doch nicht erwarten, dass wir in Bezug auf eine Kommission, die noch nicht einmal über die Stärkung der Parlamentsrechte reden darf – das ist nicht ihr Auftrag –, kritiklos sagen: Da machen wir mit. Hier war die Grenze. Wir haben das zigmal hin und her verhandelt, aber Sie waren nicht bereit, sich einen Millimeter zu bewegen. Meine Einschätzung ist: Vielleicht hätten Sie sich ja bewegt, aber Ihr Koalitionspartner war nicht bereit, Ihnen so viel Raum einzuräumen, (Michael Brand [CDU/CSU]: Wir sind für starke Parlamentsrechte!) dass Sie dieser Bitte nachkommen konnten. Weil Sie hier für Transparenz geworben haben, wollte ich Sie bitten, das zu bestätigen, was ich gesagt habe: Sie waren nicht bereit, die Formulierung „Stärkung der Parlamentsrechte“ aufzunehmen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Ich finde ja, das ist ein interessanter Versuch, aber Sie können mich von meinem Koalitionspartner natürlich nicht wegbringen, weil wir auch in diesen Punkten gut zusammengearbeitet haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Michael Brand [CDU/CSU]: Was für eine Bereicherung, Herr Gehrcke! – Henning Otte [CDU/CSU]: Danke für die Vorlage!) Herr Kollege Gehrcke, ich habe Ihnen das zwar schon während der Aussprachen in den Ausschüssen und auch bilateral gesagt, aber ich würde Sie trotzdem gerne noch einmal darauf hinweisen, dass gerade im Koalitionsvertrag von der besonderen Stärke der Parlamentsbeteiligung gesprochen wird. Ich finde, dass sich der Deutsche Bundestag als Parlament überhaupt nicht zu verstecken braucht. Er nimmt sein Recht wahr, mit über Auslandseinsätze zu befinden. Das tun wir hier im Deutschen Bundestag ja auch fast immer zur Hauptdebattenzeit und vor einem vollen Plenum. Wir schätzen uns wert und tauschen unsere unterschiedlichen Argumente in den Debatten aus. Gerade das wird auch im Einsetzungsbeschluss für die Kommission wieder deutlich. Wenn Sie dem Parlament und uns Einzelnen in dieser Koalition nicht trauen – das mag ja aufgrund der Auseinandersetzungen so sein –: Warum vertrauen Sie dann nicht einer relativ unabhängigen, vom Parlament eingesetzten Kommission, dass sie all diese Fragen diskutiert? Wir geben ihr doch nichts vor. Sie hätten Mitglieder der Kommission benennen können, die genau diese Punkte zur Sprache gebracht hätten. Wir setzen diese Kommission doch nicht ein, um den Mitgliedern danach sozusagen einen Knebel in den Mund zu legen und zu sagen: „Darüber dürft ihr nicht diskutieren.“ Vielmehr geht es doch um selbstbewusste Beratungen aus dem Parlament und auch der Fachöffentlichkeit und darum, bestimmte Dinge einmal auf den Punkt zu bringen. Ich finde, das Angebot war sehr groß und auch sehr umfassend. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich glaube, es spielt auch noch ein anderer Aspekt eine Rolle – das wollen Sie ja auch nicht einfach zur Seite schieben –: Wahrscheinlich wird sich diese vom Parlament eingesetzte Kommission auch mit weiteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auseinandersetzen müssen. – Wir wollen uns über diese Entscheidungen gar nicht hinwegsetzen, sondern genau das akzeptieren, was uns das Bundesverfassungsgericht mit auf den Weg gegeben hat. Damals wurde uns eben gesagt, dass wir ein Gesetz formulieren und offene Fragen, die in den letzten Jahren aufgetaucht sind, beantworten sollen. Deswegen finde ich, müssen wir uns mit den Argumenten auseinandersetzen. Ich war schon etwas verwundert darüber, dass Sie ein Papier, das, glaube ich, am Institut für Friedens- und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg von ganz unterschiedlichen Autoren erstellt worden ist, durch die uns auch eine Stärkung und Fortentwicklung dieses Parlamentsbeteiligungsrechts mit auf den Weg gegeben wurde, gar nicht in die Debatte eingebracht haben. Die Autoren haben sowohl Argumente der Union, aber zum Beispiel auch manche Ihrer Argumente aufgenommen. Die Quintessenz dieses Papieres ist: Es ist richtig, in der Kommission mitzuarbeiten. Das bietet die Möglichkeit, das Parlamentsbeteiligungsrecht innovativ weiterzuentwickeln und die Fragen, die in den letzten Jahren aufgetaucht sind, eventuell zu beantworten. Ich hätte mir genau diese Souveränität der Autoren – das wissen Sie –, die aus unterschiedlichen Parteien und aus unterschiedlichen Wissenschaftszweigen kommen, auch von Ihnen gewünscht. So viel Souveränität hätte auch von Ihnen und letztendlich auch von den beiden Fraktionen der Opposition kommen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich werfe Ihnen die Fragen, die Sie in Ihrem Antrag aufgeführt haben, nicht vor. Darüber kann man diskutieren, zum Beispiel über den Umgang mit unbemannten Flugkörpern, die möglicherweise mehr und mehr in den militärischen Alltag überführt werden. Warum sollte in einem solchen Gremium nicht auch darüber diskutiert werden? Das ist letztlich eine Herausforderung für die Sicherheitspolitik in Deutschland, weil diese Flugkörper möglicherweise von hier aus gestartet werden. Dadurch leitet sich aus dem Völkerrecht das Recht ab, Angriffskriege zu führen. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, der diskutiert werden muss. Zu den Grünen. Da ist mir zum Beispiel berichtet worden, dass die Organisation Ziviler Friedensdienst überhaupt nicht glücklich über die Vermengung von zivilen und militärischen Fragen im Parlamentsbeteiligungsrecht ist. Diese Organisation will sich eben nicht mit dem militärischen Auftrag identifizieren. Ich verstehe das; das ist auch vollkommen richtig. Auch so etwas hätte in dieser Kommission besprochen werden können. Warum nicht? Ich glaube, die Kommission ist souverän genug, um über Transparenz und auch vieles andere zu sprechen. Der letzte Aspekt, den ich in diese Diskussion einbringen will: Durch die Verweigerung zur Mitarbeit verengen Sie ohne Not die Debatte, die nach dem Ende der Arbeit der Parlamentskommission diesen Deutschen Bundestag erreichen wird. Ich finde, Sie sollten sich noch einmal überlegen, ob Sie das wollen. Wollen Sie in diesem Bericht, den die Kommission am Ende ihrer Arbeit dem Deutschen Bundestag vorlegen wird, Ihre Argumente wiederfinden und diskutieren lassen, oder wollen Sie sie in diesem Bericht nicht haben? Deswegen ist meine herzliche Bitte: Überlegen Sie sich Ihre Entscheidung, gar nicht mitzuarbeiten. Ich finde, es wäre im Interesse des Parlaments und der Öffentlichkeit. Die Einladung zur Mitarbeit besteht weiterhin. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich als nächster Rednerin der Kollegin Agnieszka Brugger das Wort. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entscheidungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr sind für uns Abgeordnete, so empfinde ich das, die schwierigsten. Niemand von uns kann sich dabei hinter seiner Fraktion verstecken, sondern muss sich namentlich für oder gegen einen Einsatz entscheiden. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Richtig!) Das führt zu intensiven und kontroversen Debatten, nicht nur in den Fraktionen und Parteien, sondern auch mit den Bürgerinnen und Bürgern und auch hier in unserem Parlament. So wird eine breite demokratische Legitimation von Auslandseinsätzen ermöglicht. So wird aber auch verhindert, dass diese Entscheidung nur einige wenige treffen oder diese gar zu leichtfertig. Deshalb finde ich, die Parlamentsbeteiligung ist ein sehr hohes Gut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) 20 Jahre Parlamentsbeteiligungsgesetz, das wäre eigentlich ein guter Anlass, um es als Errungenschaft unserer Demokratie zu feiern. Es wäre auch ein guter Zeitpunkt, um gemeinsam zu evaluieren, wie sich dieser Grundsatz deutscher Außen- und Sicherheitspolitik bewährt hat und wie man ihn verbessern und weiterentwickeln kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, egal wie oft Sie das behaupten – ich sage es hier noch einmal ganz klar –: Wir Grüne verweigern uns keineswegs prinzipiell einer Mitarbeit in einer Kommission zur Überprüfung, Sicherung und Stärkung der Parlamentsrechte bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Dann ist ja gut! Dann machen Sie doch mit!) Im Gegenteil: Wir haben uns bereits in den letzten Jahren mit diesem Thema sehr intensiv beschäftigt, und wir haben sehr viele Ideen, die wir gerne mit Ihnen diskutiert hätten. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!) Noch in der Parlamentsdebatte in der letzten Woche haben Sie mit großen Worten beteuert, dass Sie die Parlamentsbeteiligung nicht aufweichen wollen und dass die von Ihnen vorgesehene Kommission ergebnisoffen tagen sollte. Allerdings haben gleichzeitig designierte Mitglieder dieser Kommission einige Mandatsdebatten als „reine Routine“ bezeichnet oder sich öffentlich in Bezug auf integrierte Streitkräfte für ein reines Rückholrecht des Bundestages ausgesprochen. Ich finde, nicht nur das spricht Bände und zeigt deutlich, wohin Sie eigentlich wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Reine Vermutung!) Ein einfacher Blick in Ihren Antrag zur Einsetzung der Kommission genügt vollkommen. Es soll um die Abstufung der Intensität der parlamentarischen Beteiligung gehen. Das ist doch entlarvend und zeigt, worum es Ihnen wirklich geht, nämlich die Aufweichung und Schwächung des Parlamentsvorbehalts. (Beifall des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein, das wollen wir nicht!) Und noch ein anderer Umstand verrät Sie: Sie legen – auch das entgegen Ihrer Beteuerungen – offensichtlich keinen allzu großen Wert darauf, die Opposition mit ihren Ideen mitzunehmen. Auch im Antrag der Linken gibt es einige gute und interessante Punkte, die man hätte diskutieren können, (Beifall des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]) beispielsweise die unzureichende Unterrichtungspraxis beim Einsatz der Spezialkräfte. Auch wir Grünen haben Ihnen nicht nur im vorliegenden Antrag unsere konkreten Ideen unterbreitet, sondern auch schon im Vorfeld und vorgestern im Ausschuss versucht, mit Ihnen gemeinsam einen Kommissionsauftrag auf den Weg zu bringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der Union, das ist nicht an uns, sondern an Ihnen gescheitert. Schon ganz früh haben Sie nämlich klargemacht, dass Sie nicht bereit sind, Ihren Antrag auch nur einen Millimeter zu ändern. (Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Das ist schlicht falsch!) – Wenn das falsch ist, dann hätten Sie ja auf einen unserer Vorschläge eingehen können, zum Beispiel auf das Thema „integrierte Mandate“, das gerade angesprochen wurde. Wir wissen alle: Die Auslandseinsätze der Bundeswehr können nur dann einen Beitrag zu mehr Stabilität, Sicherheit und Frieden leisten, wenn sie in eine tragfähige und gut durchdachte Gesamtstrategie eingebettet sind, die die Konfliktursachen bearbeitet. (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Das wollten wir in der Kommission!) Solche integrierten Mandate würden die jeweilige Bundesregierung stärker darauf verpflichten, auch diplomatische, polizeiliche, entwicklungspolitische und zivile Ansätze zur Krisenbewältigung für jeden Konflikt auszubuchstabieren und die Stimmigkeit der Instrumente gründlich abzuwägen und darzustellen. So würden sich die Diskussionen nicht immer nur auf das militärische Engagement fokussieren. Meine Damen und Herren, wir haben zudem vorgeschlagen – das war für uns ein ganz zentraler Punkt –, dass der Kommissionsauftrag nicht nur die Überprüfung, sondern auch die Stärkung der Parlamentsrechte zum Ziel hat. Ich würde jetzt wirklich gerne ganz konkret von Ihnen hören, warum Sie auch diesen Vorschlag so kategorisch abgelehnt haben, wenn es Ihnen angeblich nicht um die Aufweichung des Parlamentsvorbehaltes geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Es geht um ergebnisoffene Prüfung!) Auch das offenbart doch deutlich, dass die Ergebnisoffenheit der Kommission, von der Sie reden, nicht mehr als eine Fassade ist. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Doch! Deswegen ist der Antrag ja neutral formuliert!) Ich erwarte auch nicht, dass Sie die grünen Vorschläge richtig finden. Aber ich erwarte – gerade wenn Sie immer wieder beteuern, dass Sie uns ja ach so gerne mit im Boot gehabt hätten –, (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: „So gerne“ nicht, aber gerne schon!) dass Sie wenigstens die Bereitschaft zeigen, so etwas zu diskutieren und in den Antrag aufzunehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nicht wir sind es also, die sich verweigern, sondern Sie sind gegen alles, was nicht nach Ihrer Pfeife tanzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Natürlich sind Sie es! – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Genau andersrum!) – Nein, es ist genau so, wie ich es sage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei der CDU/CSU – Michael Brand [CDU/CSU]: Der Klügere gibt nach! Ich gebe jetzt nach!) Meine Damen und Herren, wir bedauern es sehr – und das ist dann wieder weniger lustig –, dass Sie, um Ihre fragwürdigen politischen Ziele zu verfolgen, die Stärkung der Parlamentsbeteiligung ausschließen wollen. (Henning Otte [CDU/CSU]: Nein! Um Gottes willen!) Wir machen bei diesem durchsichtigen Manöver nicht mit, und wir sind ganz sicher auch nicht das grüne Feigenblatt für den schwarz-roten Angriff auf die Parlamentsrechte. (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wird es aber doll!) Deshalb können und wollen wir uns aus guten Gründen nicht an dieser Kommission beteiligen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Elisabeth Motschmann. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns sicher alle darin einig, dass es nicht gut ist, wenn einer alleine über den Einsatz von Soldaten entscheidet. Das sehen wir aktuell auf der Krim. Vor diesem Hintergrund wird unser Thema „Einsetzung einer Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ nicht nur aktuell, sondern es gewinnt auch an Bedeutung. Uns wird bewusst: Die parlamentarische Beteiligung an der Entscheidung über die Bundeswehreinsätze bzw. das Parlamentsbeteiligungsgesetz hat sich bewährt. Dadurch ist eine breite Verankerung der Bundeswehr und ihrer Einsätze in der Gesellschaft gewährleistet, und das ist – Frau Brugger, ich sehe das genauso wie Sie – ein ganz hohes Gut. Nicht jedes Land, auch nicht in Europa, hat einen solchen Parlamentsvorbehalt. Immer wieder stehen wir aber vor neuen verteidigungspolitischen Herausforderungen und Aufgaben, die auch die Strukturen der Bundeswehr verändern und Anpassungen notwendig machen. Inzwischen haben wir eine Armee, die in vielen Teilen der Welt eingesetzt wird. Wir haben eine Armee, die in integrierten Strukturen und Stäben auf NATO- und EU-Ebene mitwirkt. Unsere Sicherheit kann nur mit unseren Bündnispartnern gemeinsam hergestellt werden. Deshalb müssen wir nationale militärische Kapazitäten bündeln – Stichwort „Sharing und Pooling“ –, und dadurch können wir voneinander profitieren. Die nationalen Streitkräfte werden integriert und damit partiell auch voneinander abhängig. Diese notwendige und sinnvolle Auffächerung von Aufgaben macht es erforderlich, dass wir die Parlamentsrechte sichern und unseren Einfluss auf die Einsatzentscheidungen neu justieren. Herr Gauck hat uns in München gemahnt, (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Krieg zu führen!) „sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller“ einzubringen. „Guter Partner“ bedeutet Verlässlichkeit. „Guter Partner“ heißt, dass Entscheidungen -zügig getroffen werden, dass Entscheidungen im Schulterschluss mit den Bündnispartnern erfolgen und dass wir zu unseren getroffenen Entscheidungen auch stehen. Deshalb stellen wir uns schon seit längerem die Frage, ob das Parlamentsbeteiligungsgesetz weiterentwickelt werden kann oder weiterentwickelt werden muss. Die einzusetzende Kommission soll prüfen, wie die Parlamentsrechte bei Auslandsmandaten der Bundeswehr -unter den neuen Auftragsbedingungen gewährleistet werden können. Im Gegensatz zu den Grünen wollen wir ergebnisoffen tagen; das ist ein wichtiger Unterschied. (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Das ist Toleranz!) – Genau, das ist Toleranz. – Die Grünen klammern mit ihrer parlamentarischen Kommission den Nutzen einer solchen Kommission von vornherein aus. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir beantragen gerade eine solche Kommission!) Sie begrenzen und beschränken die Kommissionsarbeit. Ihr Vorschlag steht im Übrigen im Widerspruch zum -Koalitionsvertrag. Das stört natürlich Sie nicht, aber uns schon. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie hatten die Chance, sich an diesem Antrag zu beteiligen und ihn dadurch auf ein breites Fundament zu stellen. Dass Sie das ablehnen, kann man nur bedauern. Das ist eine vertane Chance. Schade! Die Thematik ist hochkomplex und bedarf einer juristischen, sicherheitspolitischen und militärischen Beratung. Deshalb tun wir gut daran, auch externe Fachleute mit einer solchen Aufgabe zu betrauen. Sie sollen uns begleiten und beraten. Ich freue mich zusammen mit meiner Fraktion, dass Volker Rühe bereit ist, den Vorsitz einer solchen Kommission zu übernehmen. Er bringt große Erfahrung mit als ehemaliger Verteidigungsminister. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben viele Parlamentarier, die ehemalige Verteidigungsminister sind!) Davon können wir doch nur profitieren. Ich freue mich übrigens auch, dass diese Kommission von sozialdemokratischer Seite unterstützt werden soll, nämlich von Walter Kolbow. Den Antrag der Linken verstehe ich nicht. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das kann ich mir vorstellen!) Sie wollen doch keine Auslandseinsätze. Warum schreiben Sie dann einen dreiseitigen Antrag dazu? Das macht gar keinen Sinn. Wenn Sie keine Auslandseinsätze wollen, brauchen Sie auch keinen Antrag zu diesem Thema zu stellen. Sie haben doch selber gesagt, Herr Neu: Die CDU/CSU will eine Mitmachautomatik. – Sie wollen eine Nichtmitmachautomatik. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beide Parteipositionen sind damit gut beschrieben!) Das wiederum wollen wir nicht. Deshalb kann ich nur sagen: Stimmen Sie unserem Antrag zu. Er ist gut und richtig. Lassen Sie die anderen Anträge von Grünen und Linken links liegen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Brugger – bitte aufpassen! –, (Heiterkeit bei der CDU/CSU) da Sie gerade wieder versucht haben, uns eine andere Motivation zu unterstellen, möchte ich zu Beginn meiner Rede eines klarstellen: Die vorgeschriebene Beteiligung des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist eine Stärke unserer Demokratie. Gerade bei diesen schwierigen Fragen, bei denen es um Leben und Tod gehen kann und über die man oft unter -Zeitdruck und bei unvollständiger Informationslage entscheiden muss, übernehmen wir als Parlament gemeinsam mit der Regierung Verantwortung. In der Praxis – Sie wissen das – heißt das: eine breite parlamentarische Mehrheit für jeden Einsatz. Einsätze der Bundeswehr spielen in Wahlkämpfen praktisch keine Rolle. Ich weiß, die Linken haben einen anderen Schwerpunkt, aber ich lasse sie jetzt einmal außen vor. Weder die Soldaten noch unsere Bündnispartner müssen befürchten, dass nach einer Wahl eine neue -Regierung einen vollkommen neuen Kurs einschlägt. Auch das ist eine Form von Bündnisfähigkeit. Wir wären verrückt, wenn wir dieses gute Instrument der Parlamentsbeteiligung in irgendeiner Form infrage stellen oder schwächen würden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auf der anderen Seite gibt es unter anderem bei den Grünen, Frau Brugger, das wohlgepflegte Klischee, die Bundesregierung und die Union würden, wenn sie nur könnten, die Bundeswehr noch viel häufiger in den Einsatz schicken, (Inge Höger [DIE LINKE]: Das haben Sie doch angekündigt!) nur das Parlamentsbeteiligungsgesetz und die guten Grünen verhindern das. Das ist so eingängig wie falsch. (Michael Brand [CDU/CSU]: Die haben so viele Missionen unter Rot-Grün auf den Weg gebracht!) Das wissen Sie genau. Sie sind bei den Beratungen immer selbst mit dabei, aber dennoch versuchen Sie, mit -aller Kraft dieses Klischee unterschwellig aufrechtzuerhalten. Dabei sind wir uns doch im Grundsatz einig, und wir sind uns auch bei großen Teilen der Problembeschreibung einig. Sie selbst beantragen heute eine Kommission zur Weiterentwicklung der Parlamentsrechte (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht völlig falsch, was Sie bisher erzählt haben!) und haben in großen Teilen wortwörtlich unseren Antrag übernommen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt müssen Sie sich entscheiden, was Ihr Vorwurf ist!) Ein Thema, das Sie und uns bewegt, ist, dass mit der verstärkten militärischen Integration in der NATO und der EU Spannungsverhältnisse zur Parlamentsbeteiligung entstehen können. Was heißt das konkret? Ein Soldat arbeitet zum Beispiel das ganze Jahr über in einem Planungsstab der NATO. Plötzlich gibt es einen Einsatz, der von der NATO geführt wird, an dem dieser Stab direkt oder indirekt beteiligt ist. Deutschland – vor allem um den Fall geht es – entscheidet sich zum Beispiel im Parlament, nicht an diesem Einsatz teilzunehmen. Die Frage, die sich dann stellt, lautet: Unter welchen Voraussetzungen kann der Soldat in seinem Stab weiterarbeiten? Ab wann brauchen wir für den Mann oder die Frau ein eigenes Mandat mit erster, zweiter und dritter Lesung, mit Ausschussberatungen und namentlicher Abstimmung? Was würde es bedeuten, wenn wir in so einem Fall unsere Leute gleich von vornherein abziehen würden? Welche Positionen würden wir dann zum Beispiel in der NATO nicht bekommen? Die Fragen sind nicht trivial, aber, ehrlich gesagt, sind sie auch nicht weltbewegend. (Lachen des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Herr Nouripour, das muss man in der Abwägung sehen: Es geht wirklich um Spezialfragen, um die wir uns kümmern, die nicht trivial sind, die aber lösbar sind. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Dazu stellen sich Fragen – in dem Antrag ist auch von der Auffächerung der Aufgaben die Rede –, zum -Beispiel wie wir die Parlamentsbeteiligung an die Art der Einsätze besser anpassen können. Ich sage Ihnen, wie es ist. Es gibt auch bei uns in der Fraktion unterschiedliche Meinungen dazu; es gibt in der SPD unterschiedliche Meinungen dazu. Aus meiner Sicht könnten wir auch teilweise Einsätze der Polizei mandatieren. Aber das sind Fragen, die wir in dieser -Arbeitsgruppe konkret abwägen wollen. Dazu wollen wir externe Experten einladen. Genau deswegen etablieren wir heute diese Arbeitsgruppe. Die Grünen können sich jetzt entscheiden, ob sie daran mitarbeiten oder ob sie weiter an ihrem Klischee festhalten wollen. Ich rate Ihnen, ehrlich gesagt, von dem Baum wieder herunterzukommen, auf den Sie jetzt mit Ihrer Boykottandrohung geklettert sind. Es kann nämlich gut sein, dass die Kommission zu ganz vernünftigen Lösungen kommt, die vielleicht auch in Ihrem Sinne wären. Sie wissen, wie es dann politisch ist. Sie haben von vornherein gesagt, Sie arbeiteten nicht mit. Dann können Sie natürlich auch nachher den Ergebnissen, selbst wenn sie gut sind, nicht zustimmen. Sie -müssen Ihren Anhängern dann auch erklären, dass Sie ausgerechnet bei einem Thema wie der Parlamentsbeteiligung an Auslandseinsätzen der Bundeswehr, das Ihnen so wichtig ist, auf die Mitarbeit verzichten. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-sache 18/870. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/766 mit dem Titel „Einsetzung einer ‚Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr‘“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der -Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 11. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/775 mit dem Titel „Einsetzung einer ‚Parlamentarischen Kommission zur Überprüfung, Sicherung und Stärkung der -Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslands-einsätzen der Bundeswehr‘“. Wer stimmt für diese -Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 6. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/839 (neu) mit dem Titel „Einsetzung einer ‚Parlamentarischen Kommission zur Überprüfung, Sicherung und Stärkung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslands-einsätzen der Bundeswehr‘“. Wer stimmt für diesen -Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Urteil des Bundesverfassungsgerichts ernst nehmen – Bundesberggesetz unverzüglich -reformieren Drucksache 18/848 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Baerbock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 5. März 2014 hat das Sächsische Staatsministerium des Innern den Antrag für den Braunkohletagebau Nochten II genehmigt, damit das Kraftwerk Boxberg noch bis Ende 2045 – wenn wir eigentlich schon eine kohlenstoffarme Gesellschaft sein wollen – Braunkohle verstromen kann. Dafür sollen 1 500 Menschen zwangsumgesiedelt werden. Ähnlich sieht es in Brandenburg aus. Hier droht 1 700 Menschen die Zwangsumsiedlung, um Kohle in einem der dreckigsten Kraftwerke Europas ebenfalls bis Mitte der 2040er-Jahre noch verstromen zu können. Klimapolitisch ist das ein ziemlicher Hammer. Noch schwieriger wird es aber, wenn man in diese Regionen reist und in Dörfern mit Kirchen, die im 12. Jahrhundert erbaut worden sind, erklären muss, auf welcher Rechtsgrundlage diese idyllische Landschaft eigentlich abgebaggert werden soll. Denn nicht nur, dass die Rechtsgrundlage für den Abbau von Bodenschätzen 150 Jahre alt ist, nein, die entscheidende Regelung für die Zwangsumsiedlung stammt aus dem Jahr 1937. Obwohl wir -bekanntermaßen wirtschafts- und energiepolitisch seit diesen Jahren einiges in unserer Gesellschaft verändert haben, bedienen wir uns 2014, 2015, 2020 einer gesetzlichen Regelung, die eigentlich dazu gemacht war, den ungehinderten Zugriff auf kriegswichtige Ressourcen zu sichern, ohne dass man sich weiter um die Folgen für die Betroffenen zu kümmern hätte. Das ist wirklich unerträglich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das sehen nicht nur wir so, meine sehr verehrten Damen und Herren; die Reformbedürftigkeit des Bundesberggesetzes sieht auch das Bundesverfassungsgericht. So hat es am 17. Dezember letzten Jahres zum Tagebau Garzweiler II geurteilt, dass zukünftig bei Genehmigungsverfahren der Interessenschutz von Betroffenen stärker berücksichtigt werden muss, dass wir hier neue rechtliche Grundlagen schaffen müssen. Ich finde es ein ziemlich starkes Stück – das sage ich, auch wenn bei diesem Thema vonseiten der Bundesregierung jetzt fast niemand mehr da ist (Michael Brand [CDU/CSU]: Die Staatsministerin im Bundeskanzleramt!) – eine Person –, (Michael Brand [CDU/CSU]: Es sind mehr!) dass auf die Frage meines Kollegen Oliver Krischer, wie man denn nun im Lichte dieses Bundesverfassungsgerichtsurteils verfahren möchte, aus dem Wirtschaftsministerium lediglich die Antwort kam, beim Thema Fracking wolle man aktiv werden – das ist auch gut so –, aber was die Frage der Nutzungskonkurrenzen im Bergbau angehe, so plane man eine Verbesserung der Datengrundlage. Sorry, liebe Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat uns als Gesetzgeber gerade ermahnt, Art. 14 des Grundgesetzes besser zu beachten, und Sie wollen Daten sammeln! Das ist wirklich unglaublich. Das können wir als Parlamentarier so nicht hinnehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In unserem Antrag fordern wir daher dazu auf, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ernst zu nehmen und eine Novellierung des Bergrechts unverzüglich anzupacken, um die Belange der vom Bergbau Betroffenen besser zu sichern. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Glück auf!) – Ja, Glück auf! Ich hoffe, Sie arbeiten mit uns daran. Das Bundesverfassungsgericht hat uns noch in einer anderen Frage ermahnt. Wir müssen die energiepolitischen Planungen auf Landesebene und auf Bundesebene besser verknüpfen. Es gibt keine Antwort auf die Frage, wie das passieren soll – schließlich ist es ja ein Gericht und kein politischer Entscheidungsträger –, aber es wirft die entscheidende Frage auf: Was ist eigentlich das öffentliche Interesse im 21. Jahrhundert? Ist energiepolitisch das öffentliche Interesse im 21. Jahrhundert dasselbe wie zu Kaisers Zeiten? Wir meinen, meine Damen und Herren: Das ist es definitiv nicht. Es ist definitiv nicht im öffentlichen Interesse im Jahr 2040, also zu dem Zeitpunkt, zu dem wir klimapolitisch international eigentlich eine Reduktion von CO2 um mindestens 80 Prozent erreicht haben wollen, noch Braunkohle verstromen zu wollen. Es kann auch nicht im Interesse der Bundesregierung sein, die sich international dazu verpflichtet hat, den Treibhausgasausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren – auch wenn Sie von CDU und CSU nicht glauben können, dass Sie selber das einmal wirklich mit beschlossen haben –, weiter daran festzuhalten, Braunkohle zu verstromen. Schon heute – das hat die Bundesumweltministerin bekannt gegeben – müssen wir jährlich mindestens 27 Millionen Tonnen CO2 mehr einsparen, um Ihre Ziele für 2020 überhaupt noch erreichen zu können. Wie soll das denn funktionieren, wenn wir ein Kraftwerk haben, nämlich Jänschwalde – Herr Freese, Sie wissen bestens Bescheid –, (Michael Brand [CDU/CSU]: Der hört gar nicht zu!) aus dem jährlich 24 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen werden? 27 Millionen Tonnen CO2 deutschlandweit einzusparen, wenn von einem Kraftwerk allein jährlich 24 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen werden, das passt vorne und hinten nicht zusammen. Deswegen muss hier der Gesetzgeber aktiv werden. Deswegen sagen wir klar und deutlich: Die Kohle muss dort bleiben, wo sie ist: unter der Erde. Dieser Bundestag muss Nein sagen zu neuen Tagebauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie könnten dann Vorreiter im internationalen Klimaschutz sein und sagen: Deutschland steigt aus der Braunkohleverstromung aus. – Dann bräuchten Sie sich auch nicht hinter Polen oder anderen Ländern zu verstecken, wenn Sie sagen, dass Sie in der EU ja leider nichts tun können. Sie könnten also Vorreiter sein und dazu unserem Land wirtschafts- und finanzpolitisch noch einen großen Gefallen tun. Denn Handlungsbedarf besteht auch noch bei der Frage der Förderabgabe. In § 31 des Bundesberggesetzes heißt es, dass mindestens 10 Prozent als Förderabgabe gezahlt werden müssen. Ich kann nur sagen: Schön wäre es, wenn das passierte! Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Baerbock, achten Sie bitte auf die Zeit. Sie müssen zum Schluss kommen. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. – Die Vorgabe ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Gerade bei der Braunkohle wird nämlich keine Förderabgabe gezahlt. Für Ostdeutschland ist das im Einigungsvertrag so geregelt. Im Rheinischen Braunkohlerevier ist geregelt, dass für Tagebaue von vor 1982 keine Förderabgabe gezahlt werden muss. Das ist wirklich ein finanz- und wirtschaftspolitisches Armutszeugnis an einem Industriestandort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch ein letztes Wort zum Thema Fracking. Vizepräsidentin Petra Pau: Das wird jetzt nicht mehr stattfinden, Kollegin Baerbock. Das Minus vor der Zahl vor Ihnen zeigt an, dass Sie die Redezeit schon überschritten haben. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Wir wissen doch, die Grünen können nicht rechnen!) Ich hatte Sie darauf aufmerksam gemacht. Sie müssen jetzt einen Punkt setzen. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. – Es reicht nicht aus, dass wir beim Fracking Umweltverträglichkeitsprüfungen einführen, sondern wir müssen uns ganz klar zu dem bekennen, was wir alle im Wahlkampf versprochen haben: Nein zum Fracking in unkonventionellen Lagerstätten mit chemischen Giftstoffen! (Michael Brand [CDU/CSU]: Die Präsidentin frackt sie gleich weg!) Auch das muss im Gesetz neu geregelt werden. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich mache vorsorglich alle, die es noch nicht wissen, darauf aufmerksam, dass ich hier einen Knopf habe, mit dem ich letztendlich dieses Mikrofon abschalten kann. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Bei Überschreitung eines gewissen Toleranzrahmens werde ich das auch tun. Das Wort hat die Kollegin Dr. Herlind Gundelach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat im Dezember vergangenen Jahres Recht gesprochen – diesbezüglich möchte ich einmal etwas richtigstellen – und dabei eindeutig die Verfassungsmäßigkeit des Tagebaus Garzweiler II bestätigt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es hat damit sowohl den bergbautreibenden als auch den vom Bergbau betroffenen Menschen in der Region Sicherheit und Klarheit gegeben. Lassen Sie mich daher kurz auf das geltende Bergrecht in Deutschland und auf seine Grundlagen eingehen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie schon mal in der Region? – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die letzte grundlegende Änderung liegt 30 Jahre zurück; das Recht ist also nicht ganz so alt, wie Sie das gerade dargestellt haben. Vorher war Bergrecht Landesrecht. Seither wurde es mehrfach und vollständig an neue und vor allen Dingen umweltrechtliche Vorgaben aus europäischen Richtlinien einschließlich der daraus folgenden Öffentlichkeits- und Betroffenenbeteiligung angepasst. Zudem hat die Rechtsprechung das Gesetz weiter ausgeformt. Nur zum Vergleich: Unser Zivilrecht ist deutlich älter als das Bergrecht. Unser Bergrecht entspricht daher heute vollumfänglich europäischem und auch nationalem Recht, insbesondere auch in Umweltfragen. Im europäischen Ausland gilt es vor allem aufgrund der sehr hohen Schutz- und Vorsorgeaufwendungen für Umwelt und Betroffene sogar als vorbildlich. Man kann es daher nicht anders sagen: Das deutsche Bergrecht hat sich in seiner Ausgestaltung im Grundsatz bewährt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie sich schon mal damit beschäftigt?) Daher habe ich den Eindruck, dass die im Antrag der Grünen geforderten Änderungen und Verschärfungen des Bergrechts vor allem darauf abzielen, die Förderung von Rohstoffen in Deutschland erheblich zu erschweren; am liebsten würden Sie sie wahrscheinlich ganz verbieten. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unsinn!) Die Folgen würden dann aber nicht nur die Braunkohle betreffen, sondern auch andere Grund- und Rohstoffe wie Magnesium, Kies, Kaolin und Kalk, auf die unsere Wirtschaft in hohem Maße angewiesen ist. Ich möchte an dieser Stelle anmerken: Deutschland hat völlig zu Unrecht den Ruf, ein rohstoffarmes Land zu sein; denn drei Viertel unserer benötigten Rohstoffe fördern wir im eigenen Land. Wir brauchen sie beispielsweise für die Wirtschaftszweige Bau und Verkehr, für die chemische Industrie und auch für die Landwirtschaft. Die Konsequenzen einer Unterbindung der heimischen Rohstoffförderung wären folglich höchst problematisch. Und vor allem besteht hierzu kein Anlass; denn es gibt keinen Bedarf für eine Änderung des Bergrechts. Zumindest kann ich im Gegensatz zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben Sie das Urteil aber nicht gelesen!) keinen derartigen Auftrag aus dem von Ihnen angeführten Urteil des Bundesverfassungsgerichts ableiten. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist das denn mit Fracking? Wollen Sie da auch nichts machen?) – Auf den Punkt kommen wir vielleicht noch zu einem späteren Zeitpunkt. – Meines Erachtens versuchen Sie das Urteil so umzudeuten, wie es Ihnen passt. Sie nutzen es für ein Sammelsurium von zusätzlichen Forderungen. Ich möchte deswegen noch einmal etwas genauer auf dieses Urteil und vor allem auf die ihm zugrundeliegende Klage eingehen. Konkret geht es ja um den Braunkohletagebau Garzweiler II im Rheinischen Braunkohlerevier in Köln; (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist nicht in Köln! Der ist bei Köln!) es ist übrigens der zweitgrößte Tagebau in Europa. Die dort geförderte Braunkohle ist die Basis für 6 Prozent der heimischen Stromproduktion. Bergbau ist standortgebunden und kann daher nicht beliebig verschoben werden. Das wissen Sie selber. Deshalb ist es manchmal notwendig, das Gemeinwohl über das Schicksal Einzelner zu stellen. In diesem Fall bedeutete das, dass die Anwohner für die Förderung umgesiedelt werden mussten und dafür finanziell entschädigt wurden. Ich kenne diese Gegend relativ gut; denn ich habe dort 40 Jahre gelebt. Deswegen weiß ich aus Erfahrung, dass diejenigen, die umgesiedelt wurden, mit der Umsiedlung in der Regel sehr zufrieden waren, weil sie sich nämlich deutlich verbessert haben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann ich Ihnen aber was anderes berichten, Kollegin!) Gegen Garzweiler II hatte nun ein Grundstückseigentümer gemeinsam mit dem BUND geklagt und war damit bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Auf der Entscheidung des Gerichts basiert nun auch Ihr Antrag. Zum weiteren Verständnis möchte ich noch hinzufügen, dass dieser Fall bereits 2006 vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt worden war. Dem Kläger war damals eingeräumt worden, dass bereits bei der Vorhabenzulassung eine Gesamtabwägung aller öffentlichen und privaten Belange erforderlich sei, die für und gegen das Vorhaben sprechen, und nicht erst bei der Enteignung. Insoweit, denke ich, war das etwas, was ihm durchaus entgegenkam. Mit diesem Urteil wurde dem damaligen Kläger – und seitdem grundsätzlich allen Bergbaubetroffenen in Deutschland – Rechtsschutz bereits zum Zeitpunkt der Vorhabenzulassung gewährt. Somit werden seit 2006 die Interessen von Anwohnern und Grundstückseigentümern frühzeitig und stärker berücksichtigt als vorher. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wieso mahnt dann das Gericht eine Neufassung des Gesetzes an?) Aufgrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts in 2006 wurde der Fall neu eröffnet mit dem Ziel, einen neuen Rahmenplan aufzustellen. In diesem Verfahren kam man allerdings – unter Abwägung aller Gründe – zum gleichen Ergebnis, nämlich dass der Kläger zum Wohle der Allgemeinheit umgesiedelt werden müsse. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich festhalten, dass ich die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auf rechtzeitige Beteiligung uneingeschränkt gutheiße; denn alles andere ist nicht mehr zeitgemäß. In Deutschland können und dürfen wir keine Großprojekte mehr – sei es der Ausbau der Stromnetze, sei es der Bau von Flughäfen, Bahnhöfen oder Straßen – ohne weitreichende Information und Beteiligung der Bevölkerung durchsetzen. Aufgrund meiner Erfahrung kann ich sagen, dass man durch umfassende Aufklärung und Information sehr viel erreichen kann. Folglich bin ich ganz klar für eine fundierte Öffentlichkeitsbeteiligung. Ich denke, darin sind wir uns wieder einig. In Ihrem Antrag fordern Sie aber Dinge, die zu einem großen Teil bereits geregelt sind. Ich möchte auf das Urteil zurückkommen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil explizit die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von 2006 aufgegriffen und bestätigt; denn wie schon gesagt: Schon seit 2006 müssen die Interessen der betroffenen Grundstückseigentümer bereits bei der Rahmenbetriebsplanzulassung im Wege einer umfassenden Gesamtabwägung über § 48 Abs. 2 Satz 1 Bergbaugesetz berücksichtigt werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Braunkohleplanung? Da muss auch was geändert werden!) – Nein. Es wird nach den Gepflogenheiten genauso zugelassen, die sowohl im Gesetz als auch im Richterrecht geregelt worden sind. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie das Urteil mal! – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einstufiges Verfahren!) Das entscheidende Argument des Gerichts lautet: Dem Rahmenbetriebsplan kommt im gestuften Zulassungsverfahren im Tagebau die Funktion einer faktischen Zulassungsentscheidung mit Außenwirkung zu. Dementsprechend ist den Betroffenen seit 2006 auch die Klagemöglichkeit eröffnet. Damit ist der von Ihnen geforderte effektive Rechtsschutz gewährleistet; denn es wird gewährleistet, dass der Grundstückseigentümer frühzeitig in die Planung und Umsetzung einbezogen wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Verhöhnung der Umsiedler!) Ich stimme Ihnen aber zu, dass es durchaus überlegenswert ist, dieses Richterrecht, das gilt und angewandt wird, bei geeigneter Gelegenheit auch vom Gesetzgeber bestätigen zu lassen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das fordern wir ja!) – Ja, das heißt aber nicht, dass es nicht schon angewandt wird. Es steht nur nicht im Gesetz. Richterrecht wird genauso angewandt wie geschriebenes Recht. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie sagen, es würde bisher nicht angewandt!) – Doch. Ich habe die ganze Zeit ausgeführt, dass es angewandt wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum schreiben Sie es dann nicht in das Gesetz? Warum nicht?) – Weil es bereits angewandt wird. Ich habe gesagt, dass ich nichts dagegen habe, wenn es irgendwann ins Gesetz geschrieben wird. Es muss aber nicht sein, weil das Recht bereits gilt. Insofern ist es gegenwärtig ausreichend; das heißt, der Rechtsschutz ist gewährleistet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber eigentlich doch nicht! Was ist das für eine Auffassung? Was ist denn mit Rechtsklarheit und Rechtswahrheit?) – Dann müssen Sie einmal vor Gericht gehen. Richterrecht wird genauso angewandt wie geltendes Recht, das vom Gesetzgeber niedergelegt wird. Beides ist bei der Rechtsprechung zu beachten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann brauchen wir ja gar nichts mehr zu machen! Wir überlassen alles den Richtern!) Lassen Sie mich abschließend kurz zusammenfassen: Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 17. Dezember 2013 ausdrücklich die Verfassungsmäßigkeit des Bergrechts bestätigt. Es besteht folglich auch keine Notwendigkeit für die von Ihnen geforderte umfassende Novellierung. In seiner Entscheidung hat das Verfassungsgericht aber auch betont, dass die Entscheidung, wie die Energieversorgung in unserem Land erfolgt – das haben auch Sie gerade gesagt –, eine politische Entscheidung ist. Mit dem Abbau von Braunkohle wird ein – ich zitiere das Bundesverfassungsgericht – gesetzlich hinreichend bestimmtes und ausreichend tragfähiges Gemeinwohlziel umgesetzt. … Die Landesregierung – gemeint ist die von SPD und Grünen geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen – (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da war zur Zeit der Genehmigung des Tagebaus aber noch eine SPD-Alleinregierung!) führt für ihr Konzept, das die jederzeitige Verfügbarkeit eines traditionellen Rohstoffs für einen sicheren Energiemix in den Vordergrund stellt, gewichtige Gemeinwohlgründe an. Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen. Ihre Forderungen nach einer Änderung des Bergrechts sind meines Erachtens vor allem ideologisch geprägt. Sie wollen nach dem Ausstieg aus der Kernenergie nun schnellstmöglich auch einen Ausstieg aus der Braunkohle – das ist aus Ihren Worten gerade deutlich geworden –, unter Hinweis auf die hohe CO2-Belastung aus der Verstromung von Braunkohle, die zweifellos gegeben ist. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist gegeben! Genau!) Die Braunkohle ist aber neben den erneuerbaren Energien die einzige Energieart, die uns in unserem Land zur Verfügung steht, die wir nicht importieren müssen wie Steinkohle und Gas, was man gerade in diesen Tagen vielleicht auch nicht ganz außer Acht lassen sollte. (Beifall bei der CDU/CSU) Insofern gibt uns die Braunkohle ein gewisses Maß an Sicherheit, was unsere Versorgung angeht; denn wir sind für absehbare Zeit auch auf die Nutzung fossiler Energien angewiesen. Um Ihre Forderung zu unterstreichen, werden Sie auch nicht müde, darauf hinzuweisen, dass der Anteil der Braunkohle an unserem Energiemix in den letzten Monaten deutlich gestiegen ist. Sie vergessen dabei aber, zu sagen, dass der CO2-Ausstoß aus der Braunkohle trotz des höheren Einsatzes der Braunkohle insgesamt gesunken ist. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das geltende Bundesberggesetz von 1980 ist im Kern noch das Bergrecht aus der Nazizeit, insbesondere die sogenannte Rohstoffsicherungsklausel, die es praktisch unmöglich macht, zwischen den Interessen von Bürgerinnen und Bürgern und denen, die Rohstoffe aufsuchen möchten, abzuwägen. In der vergangenen Legislatur haben Linke und Grüne in jeweils eigenen Anträgen den ersten Anlauf seit Jahrzehnten unternommen, das Bergrecht grundsätzlich zu reformieren. Leider sind wir damals an der Mehrheit gescheitert. Grundfrage aber ist und bleibt: Soll das Bergrecht die Rechte der Menschen, die vor Ort leben, und die der Natur auf ewige Zeiten brechen können? Oder leben wir inzwischen in einer Zeit, in der Ressourcen als endlich angesehen werden und insbesondere im Energiebereich Alternativen vorhanden sind? Hat die Bundesrepublik ein neues Verständnis darüber erlangt, wie mit Bürgerinnen und Bürgern umzugehen ist? Wir unterstützen den Grünenantrag, fordern aber darüber hinaus einen Nachweis, ob Bergbauvorhaben erforderlich sind, sowie eine Prüfung von Alternativen. Der Vorhabenträger müsste dann nachweisen, dass ein unabweisbarer volkswirtschaftlicher Bedarf für den Rohstoff besteht und der Abbau wirklich notwendig ist. Dieser Nachweis dürfte bei vielen Braunkohlevorhaben, die gegenwärtig diskutiert werden, kaum zu erbringen sein; denn glücklicherweise wächst die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien rasant. Darum braucht diese klimaschädliche Kohle spätestens ab 2040 – wahrscheinlich schon weit früher – niemand mehr. So hält unsere Bundestagsfraktion beispielsweise Welzow II in Brandenburg für nicht erforderlich; das sagt auch das DIW. Garzweiler II halten wir im Übrigen für genauso überflüssig. (Beifall bei der LINKEN) Die Kohle wird nicht gebraucht. Die erneuerbaren Energien und Gaskraftwerke sind die einzig richtige und machbare Alternative. Die damals von Linken und Grünen eingebrachten Anträge unterschieden sich voneinander; sie hatten jeweils eine etwas andere Philosophie. Das gilt auch für den heute vorliegenden Grünenantrag. Gemeinsam ist Grünen und Linken jedoch die Kernforderung, den automatischen Vorrang des Abbaus von Rohstoffen vor allen anderen Interessen zu beenden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dafür soll künftig unter anderem ein Planfeststellungsverfahren mit UVP, also einer Umweltverträglichkeitsprüfung, an die Stelle der bisherigen Verfahren treten. Zudem sollen Abbaurechte erst dann an Unternehmen verliehen werden, wenn ein Abbau in einem demokratischen Verfahren beschlossen wurde, und zwar unter Abwägung aller Interessen und nach einer sorgfältigen Umweltverträglichkeitsprüfung, und keinen Tag vorher. Zu einem demokratischen Ablauf gehören mehr Transparenz und mehr Beteiligungs- und Klagemöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger sowie für Verbände und Kommunen. Wir wollen auch, dass in Haftungs- und Entschädigungsfragen künftig die Position der Anwohnerinnen und Anwohner deutlich gestärkt wird. Würden die Forderungen von Linken und Grünen in die Tat umgesetzt, hätten die Bürgerinnen und Bürger zudem erstmals eine realistische Chance, Abbauvorhaben gerichtlich überprüfen zu lassen. Gemeinden, betroffenen Anwohnern und Umweltverbänden stünde auch dann der Klageweg offen, wenn es um Fragen der Bedarfsfeststellung oder der Umweltauswirkungen insgesamt ginge. Anerkannte Umweltorganisationen beispielsweise sollten also im Verfahren nicht nur um den reinen Naturschutz streiten können, sondern auch um den Wasserhaushalt oder den Klimaschutz. Noch ein Satz zum Antrag der Grünen, der auch das Thema Fracking aufgreift, was mich sehr freut. Die im Antrag enthaltene Position verstehe ich als Verschärfung Ihrer bisherigen Position in Bezug auf das Thema Fracking. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unser Wahlprogramm!) Als die Linke vor zwei Jahren einen Antrag auf Verbot von Fracking in Deutschland einbrachte, haben die Grünen dem nicht zugestimmt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wollten Sie Fracking verbieten und dann erklären, wie es geht! Da konnten wir nicht zustimmen!) Sie wollten nur ein Moratorium von Fracking prüfen. Ich würde es begrüßen, wenn sich das Meinungsbild der Grünen hier dem unseren angenähert hätte. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Davon wird es aber auch nicht besser!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Bernd Westphal für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland werden jährlich 770 Millionen Tonnen Rohstoffe gewonnen. Damit stellt der Rohstoff im Bergbausektor noch immer einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar. Wenn wir an die Wirtschaftswunderjahre nach dem Zweiten Weltkrieg denken, dann erinnern wir uns, für welche wirtschaftliche Dynamik der Bergbau steht. Die enorme Beschäftigungsentwicklung und der schnelle wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland sind stark mit dem Bergbau verbunden. Durch den Bergbau konnte ein Fundament für Wohlstand in Deutschland geschaffen werden. Zudem liegt im Bergbau mit seiner jahrhundertealten Tradition der Ursprung für viele soziale Errungenschaften, die heute auch in anderen Bereichen als selbstverständlich gelten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Weiterentwicklung des Arbeitsschutzes, aber auch an die Mitbestimmung, die tarifliche Entlohnung sowie die Mitbestimmung in Aufsichtsräten. Beim Bundesberggesetz handelt es sich in erster Linie um ein Wirtschaftsgesetz. Es beinhaltet alle bergrechtlichen Fragen vom Aufsuchen über das Gewinnen und Fördern eines Rohstoffs bis zur Schließung des Bergbaus oder des Tagebaus. Das deutsche Bergrecht ist ein altes Gesetz, dessen Ursprünge bis ins Mittelalter zurückgehen. Das ist im Übrigen nichts Ungewöhnliches: Denken wir an unser zivilrechtliches Bürgerliches Gesetzbuch. Es stammt aus dem Jahr 1900 und muss deswegen nicht schlecht sein. Gesetze, auch das Bundesberggesetz, werden natürlich ständig an die sich ändernden Ansprüche und Bedürfnisse angepasst. Die letzte Reform – darauf ist schon hingewiesen worden – wurde in den 80er-Jahren durchgeführt. Ich will darauf hinweisen, dass hier viele europäische Initiativen gerade aus dem Bereich Umweltschutzstandards eingeflossen sind. Das Bergrecht hat in seiner Geschichte in vielen Punkten eine Vorreiterrolle übernommen. So werden zum Beispiel soziale und ökologische Aspekte schon seit langem berücksichtigt, weshalb es im europäischen Ausland als sehr vorbildlich angesehen wird. In der Technologie zum Abbau von Rohstoffen liegt heute gewaltiges Innovationspotenzial. Bergbau und Rohstoffgewinnung sind Hightech. Viel Hightech würde in Deutschland nicht funktionieren, wenn wir nicht die Bergleute hätten, die für Nachschub an Rohstoffen sorgen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deshalb besteht auf den globalen Märkten eine große Nachfrage nach deutscher Bergbautechnologie. Es lässt sich nicht vermeiden, dass der Abbau von Bodenschätzen meist mit Auswirkungen auf die Umwelt verbunden ist. Im Bergbau in Deutschland gibt es die weltweit höchsten Sicherheits- und Umweltstandards; die Belastungen für die Arbeitnehmer und die Umwelt sind so gering wie möglich. Aufgabe des Gesetzgebers ist es, das Bergrecht an die Entwicklungen anzupassen, sodass die jeweils gültige Fassung immer zeitgemäß und rechtskonform ist. So muss das Bergrecht unter Einbeziehung umweltrechtlicher Vorschriften immer neu justiert werden. Zum Beispiel soll eine obligatorische UVP als Bestandteil des Genehmigungsverfahrens für die Gewinnung bestimmter Rohstoffe eingeführt werden. Das gilt auch für die seit 50 Jahren in Niedersachsen – und ich komme aus Niedersachsen – praktizierte Erdgasförderung durch das Fracking-Verfahren. Des Weiteren muss das Bergrecht in Zukunft den gestiegenen Bedürfnissen der Bevölkerung nach Öffentlichkeitsbeteiligung und Transparenz im Verfahren noch stärker gerecht werden. Dies kann schon im Vorfeld einer Entscheidung zu einer Entspannung zwischen den Interessen der Investoren und der betroffenen Menschen beitragen. Wir wollen den Rechtsrahmen für den Rohstoffabbau neu justieren, aber den Bergbau damit nicht verhindern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei der Anpassung muss aber auch den berechtigten Interessen der Unternehmen auf Investitionssicherheit Rechnung getragen werden. Wir müssen daran denken, dass bergbauliche Vorhaben unter und über Tage mit erheblichen Vorlaufinvestitionen verbunden sind. Diese benötigen Rechtssicherheit, die über einen sehr langen Zeitraum Gültigkeit haben muss. Deshalb darf ich Sie, Kollegin Baerbock, darauf hinweisen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil, gerade was Garzweiler II angeht, die Verfassungsmäßigkeit festgestellt hat. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden ja über neue Tagebaue!) Für die deutsche Industrie hat die Versorgung mit Rohstoffen und Materialien eine große Bedeutung. In seiner Urteilsbegründung hat das Bundesverfassungsgericht deshalb auch die Versorgung des Marktes mit Rohstoffen als ein Gemeinwohlziel im Sinne des Grundgesetzes bezeichnet und über das private Eigentum gestellt. Das muss auch so bleiben. Sonst wären große Infrastrukturmaßnahmen gar nicht mehr möglich. Die Gewinnung von Rohstoffen in Deutschland und die Nutzung eigener Ressourcen macht Deutschland unabhängiger von Rohstoffimporten. Außerdem können wir bei einem Abbau in Deutschland garantieren, dass die in Deutschland geltenden hohen sozialen Standards – ich denke hier vor allen Dingen an die Arbeitsschutzstandards – und die hohen ökologischen Standards eingehalten werden. Das ist bei Rohstoffen, die wir aus dem Ausland beziehen, oft nicht möglich. Das Urteil, auf das schon hingewiesen worden ist, ist aber kein Ruhekissen. Es muss für uns Politiker Ansporn sein, das Bundesberggesetz an aktuelle Bedürfnisse anzupassen. Sonst hätten wir Stillstand. Wir stehen als SPD aber für Fortschritt, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn?) und das mit einem nachhaltigen Bergbau. Herzlichen Dank. Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Andreas Lämmel hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Grünen haben uns hier ein schönes Ei ins Nest gelegt. Es ist zwar noch nicht Ostern, aber wir sind ja nicht mehr weit davon entfernt. Endlich lassen Sie die Katze aus dem Sack. In der letzten Legislaturperiode haben Sie einen ähnlichen Antrag formuliert. Damals haben Sie noch verklausuliert von der Modernisierung des Bergrechts gesprochen. Heute sagen Sie ganz klar, worum es Ihnen geht: Der Braunkohlebergbau muss in Deutschland verboten werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit zeigen Sie Ihr wahres Gesicht. Es geht Ihnen überhaupt nicht um eine Modernisierung des Gesetzes, sondern ganz einfach darum, einen weiteren Baustein Ihrer Ideologie umzusetzen. Nachdem die Abschaltung der Atomkraftwerke beschlossen ist, soll nun dem Braunkohlebergbau der Garaus gemacht werden. Deutschland braucht aber Rohstoffförderung, und Deutschland braucht die Braunkohle, und das aus zwei Gründen: zum einen natürlich zur Verstromung (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange denn?) und zum anderen, weil die Braunkohle weniger Kohlenstoff als Steinkohle enthält. Das können Sie von den Grünen aber nicht so genau wissen, weil Sie ja ständig gegen die Naturwissenschaften polemisieren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Sie sind sogar dafür, dass in der Schule ganze Fächer gestrichen werden. In Baden-Württemberg haben Sie sich jetzt dafür eingesetzt, dass Biologie aus dem Lehrplan gestrichen wird. Das ist Ihre Methode. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt entgleisen Sie aber!) Zum Glück haben wir in Deutschland die Braunkohle. Sie trägt ganz entscheidend zur Energieversorgungssicherheit bei. Das ist uns natürlich sehr wichtig. Wenn Sie heute in die Tagespresse schauen, können Sie einen großen Artikel Ihres Fraktionsvorsitzenden lesen, in dem er schreibt: „Njet zu Gazprom“ und davon spricht, dass die starke und einseitige Abhängigkeit von Energieimporten gefährlich ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!) Vielleicht sollten Sie sich in Ihrer Fraktion einmal darüber klar werden, was Sie wollen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 100 Prozent Erneuerbare!) Wollen Sie von Importen unabhängiger werden? Das können wir nur, indem wir einheimische Energierohstoffe besser nutzen. Klären Sie erst einmal in Ihrer Fraktion, was Sie überhaupt wollen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo waren Sie denn die letzten fünf Jahre?) Schauen Sie sich Ihre Forderungen doch einmal an. Die erste Forderung habe ich ja schon genannt: Verbot des Braunkohlebergbaus. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen keinen neuen Tagebau!) Das ist das Ziel. Unter dem siebten Spiegelstrich schreiben Sie, dass die für die ostdeutschen Länder geltenden Sonderregelungen abgeschafft werden sollen. Auch das war schon immer Ihre Zielrichtung. Das war schon beim Infrastrukturplanungsgesetz Ihre Zielrichtung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja nicht mal den Namen sagen!) Sie wollen nicht, dass dieses Gesetz zum Beispiel beim Bau von Energieversorgungsleitungen angewendet wird. Auch das haben Sie verhindern wollen. Überall dort, wo es um Gesetzesvereinfachungen geht, stehen die Grünen in vorderster Linie, um das zu verhindern. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo es um Subventionierungen geht!) Meine Damen und Herren, was die Verantwortung für die Renaturierung angeht, kann man den Braunkohletagebau im Osten als hervorragendes Beispiel anführen. An dieser Stelle schaue ich in Richtung der Linken, die sich hier ja auch immer wieder ereifern. Teile der Partei haben über 40 Jahre lang ein Land regiert, und damals hat man Braunkohletagebaue sehr intensiv betrieben, aber eben ohne deutsches Bergrecht. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Was? Unsere Parteimitglieder? Auch in Bayern?) Was ist geblieben? Was haben Sie hinterlassen? 120 000 Hektar durch Tagebau und Braunkohleveredelungsanlagen zerstörte Landschaft (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist schlimm! – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das wollen Sie jetzt fortführen!) – danke für diese Gabe –, eine enorme Belastung mit Schwefeloxiden und Staub und enormste Eingriffe in den Wasserhaushalt, die zum Teil bis heute nicht behoben werden konnten, (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Deswegen wollen wir das ja beenden!) und die Verklappung von Abbauresten und Industrieabfällen – das ist die Hinterlassenschaft des Bergbaus ohne deutsches Bergrecht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beim Steinkohlebergbau in NRW sieht man die Hinterlassenschaften auch! Und da gab es Bergrecht!) Was geschah nach 1990? Nach der deutschen Einheit kam es zur Renaturierung, und zwar auf der Basis einer gesamtdeutschen Gesetzgebung. Allein in Thüringen sind 100 Betriebsanlagen – Kokereien, Kraft- und Heizkraftwerke und Ähnliches – entsorgt worden. 215 Tagebaurestlöcher, die wild in der Landschaft verstreut waren, mussten verfüllt werden. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Welche?) Es mussten 12,7 Milliarden Kubikmeter Grundwasser ausgeglichen werden. Bisher sind 9,1 Milliarden Euro aufgewendet worden, um diese Schäden zu beseitigen. Deswegen kann man nur sagen: Das deutsche Bergbaugesetz ist eines der modernsten Bergbaugesetze der Welt. Es ermöglicht Bergbau. Genau das wollen wir; das hat der Kollege Westphal deutlich gesagt. Deutschland ist ein Land des Bergbaus. Ich komme aus Sachsen; da gilt das erst recht. Noch ein Tipp für die Grünen. Weil Sie, Frau Kollegin, aus Brandenburg kommen, sage ich Ihnen: Die Linken stellen dort den Wirtschaftsminister. Vielleicht sprechen Sie, bevor Sie hier im Bundestag große Reden halten, erst einmal mit ihm darüber, wie er das sieht. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Genau!) Er wird Ihnen möglicherweise eine ganz andere Meinung kundtun. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Lämmel, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Meiwald? Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Nein danke, das wird dadurch auch nicht besser. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird wirklich nicht mehr besser! Das erwarten wir auch nicht!) – Richtig. Ich komme zum Schluss. Den Grünen empfehle ich, einen Blick in den Koalitionsvertrag der Großen Koalition zu werfen. Ich nenne Ihnen sogar die Seitenzahl, die ich meine, damit Sie das schneller finden. Auf Seite 44 wird zum Bergrecht Stellung genommen. Da steht ganz klar: Die Koalition wird kurzfristig Änderungen für einen besseren Schutz des Trinkwassers im Wasserhaushaltsgesetz sowie eine Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung … bergbaulicher Vorhaben vorlegen … (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, es bedarf keiner Änderungen!) Meine Damen und Herren, Ihre Aufforderungen brauchen wir nicht. Wir wollen, dass weiterhin Bergbau betrieben wird. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!) Wir werden die Gesetze so fortentwickeln, dass Bergbau in Deutschland in den nächsten 50 Jahren auch ohne Sie ermöglicht wird. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du lieber Gott! Das ist ja eine Drohung!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Ostfriese spricht zum Bergrecht. Das klingt ungewöhnlich, macht aber durchaus Sinn. Zwar gibt es in meiner Heimat im Umkreis von 200 Kilometern keinen Berg. Aber das Bergrecht spielt, wie in ganz Deutschland, auch bei uns eine große Rolle, zum Beispiel bei der Gasproduktion, im Hinblick auf die Kavernen zur Speicherung von Gas und sogar beim Sand- und Kleiabbau, den wir dringend brauchen. Der vorliegende Antrag wirft in Bezug auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu Garzweiler II eine zentrale Frage auf. Sie lautet: Ist das deutsche Bergrecht noch zeitgemäß, oder bedarf es einer Veränderung? Viele im Urteil zur Konkretisierung aufgeführten Regelungstatbestände gibt es bereits seit langer Zeit im Bundesberggesetz und in den dazugehörigen Rechtsgrundlagen. Dazu gehören die Abwägung der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen – an dieser Stelle sei übrigens angemerkt, dass dies eine Debatte ist, die wir auch bei der Reform der erneuerbaren Energien führen, dort jedoch meistens in umgekehrter Richtung –, Regelungen zum Rechtsschutz der Betroffenen und Verwaltungsverfahrensregelungen. Obwohl es diese Regelungen bereits gibt, ist eine Überarbeitung des Bergrechtes nicht nur, aber auch wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts sinnvoll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! Die Kollegen haben eben etwas anderes erzählt!) – Herzlichen Dank. – Allerdings geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Klatschen Sie nicht zu früh, sondern erst am Ende. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benennt als Konsequenz aus dem Garzweiler-Urteil 20 sogenannte wesentliche Aspekte für notwendige Gesetzesänderungen. Da der Antrag noch druckfrisch ist und noch in den Ausschüssen beraten werden wird, beziehe ich mich nur auf die Punkte, die heute über ein geringes Konfliktpotenzial verfügen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin!) Dazu gehört zum Beispiel die stärkere Einbindung der Politik bei den im Wesentlichen bergrechtlichen Entscheidungen. Aus meiner Sicht kann niemand, schon gar nicht ein Parlament, gegen eine stärkere Beteiligung der Politik sein. Schließlich haben wir die Auswirkungen unserer Politik vor Ort vor den Bürgerinnen und Bürgern zu vertreten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu gehört eine stärkere Einbindung der Umwelt- und Klimaschutzbelange in der Gesamtabwägung der öffentlichen Interessen. Das entspricht dem ganzheitlichen Ansatz von Politik, die die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten können. Dazu gehört auch der Rechtsschutz für die Betroffenen. In einem Rechtsstaat ist Rechtsschutz selbstverständlich. Zu einem ausreichenden Rechtsschutz gehört auch die nötige Transparenz der Verfahren. Unsere allgemeinen energiepolitischen Ziele behalten wir auf jeden Fall im Auge. Diese zielen darauf ab, dass nach einer Übergangszeit nicht nur der Ausstieg aus der Atomenergie vollzogen ist, sondern wir spätestens bis 2050 auch mindestens zu 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien im Netz haben. Das hat neben dem Ziel der deutlichen CO2-Reduktion natürlich auch Auswirkungen auf die konventionellen Energieträger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch das Thema Fracking wird im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen angesprochen. Eigentlich ist das nicht Thema des zitierten Urteils des Bundesverfassungsgerichtes. Es gibt dazu auch klare Regelungen in unserer Koalitionsvereinbarung. Ich möchte an dieser Stelle das Beispiel Niedersachsen erwähnen. Der SPD-Wirtschaftsminister Olaf Lies und der grüne Umweltminister Stefan Wenzel haben kürzlich ihr Konzept zum Fracking vorgelegt. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war schwierig!) Abgelehnt wird Fracking in unkonventionellen Schiefergaslagerstätten wegen der unvorhersehbaren Risiken. In Ostfriesland würden wir sagen: Keen Strund in’t Grund. Diese niedersächsische Position haben Sie sich zu eigen gemacht. Fracking in konventionellen Lagerstätten unter 2 500 Metern Sandstein wird in Niedersachsen nicht grundsätzlich abgelehnt, weil es mit dieser Art von Erdgasförderung seit mindestens 30 Jahren Erfahrung gibt. Allerdings werden die Voraussetzungen deutlich verschärft. Für jede Tiefbohrung wird eine Umweltverträglichkeitsprüfung verpflichtend. In Wasserschutz- und Trinkwassergebieten wird Fracking grundsätzlich verboten. Genauso wie Sie finde ich, dass die Initiative der Niedersächsischen Landesregierung den richtigen Weg weist. (Beifall bei der SPD) Die Bundesregierung befindet sich bereits in den entsprechenden Verhandlungen. Das Thema wird uns also ohnehin im zuständigen Ausschuss noch weiter intensiv beschäftigen. Abschließend sei eines erwähnt: Erdgas ist zwar auch ein fossiler Energieträger, aber im Sinne des Klimaschutzes mit all seinen Folgen aus meiner Sicht immer noch besser als Kohle, mindestens hinsichtlich der CO2-Bilanz. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/848 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Sechste Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung Drucksachen 18/496, 18/526 Nr. 2, 18/830 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/830, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 18/496 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/854. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Den NATO-Bündnisfall umgehend beenden Drucksachen 18/202, 18/349 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Thomas Hitschler für die SPD-Fraktion. Thomas Hitschler (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir vor wenigen Wochen bereits über den vorliegenden Antrag diskutiert und ihn zur weiteren Beratung in die zuständigen Ausschüsse überwiesen haben, beraten wir heute über die endgültige Beschlussempfehlung. Ich will zu dieser späten Stunde – es ist Primetime, liebe Kolleginnen und Kollegen – die große Überraschung vorwegnehmen: Ich werde Ihnen am Ende meines Beitrages nahelegen, der Beschlussempfehlung des Ausschusses zu folgen. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überraschung!) – Ja, so ist es. Lassen Sie uns aber den ursprünglichen Antrag noch einmal anschauen. Die Kolleginnen und Kollegen der Linken stellen drei Forderungen auf. Unter Punkt 1 fordern sie die Bundesregierung auf, sich auf der Ebene der NATO-Mitgliedstaaten und des NATO-Rates dafür einzusetzen, den Bündnisfall zu beenden. (Beifall bei der LINKEN) – Warten Sie einmal! – Das ist mehr als zwölf Jahre nach dessen Erklärung sicherlich nachvollziehbar. – Jetzt dürfen Sie. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Es ist im Übrigen schon länger sozialdemokratische Position, das deutsche Engagement in NATO-Missionen auf eine andere Grundlage als den Bündnisfall zu stellen. Dies hat die Bundesregierung anerkannt; auch sie hat festgestellt, dass der Bündnisfall nicht mehr die richtige Grundlage für laufende Operationen darstellt. Deswegen hat sie im vergangenen Jahr zum Beispiel konkrete Änderungsvorschläge zum Operationsplan der Operation Active Endeavour eingebracht. Im April wird dies in die Beratungen zur Einsatzüberprüfung eingehen. Die Beschlussfassung wird voraussichtlich im Herbst stattfinden. Die deutschen Vorschläge an die NATO spiegeln im Übrigen auch die Beschlusslage hier im Haus wider, getragen von einer großen Mehrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen. Erst vor wenigen Wochen haben wir hier im Plenum und in den entsprechenden Ausschüssen über eine Änderung der Operationsgrundlage für OAE diskutiert. Teil der im Antrag beschlossenen Neuausrichtung war, dass sich die deutsche Beteiligung auf die Ständigen Maritimen Verbände der NATO im Mittelmeer, auf Aufklärungs- und Frühwarnflüge sowie den Austausch von Lagedaten beschränken wird. Im damaligen Antrag wurde weiter angeführt – ich zitiere –: Deutschland setzt sich im Bündnis kontinuierlich dafür ein, die Einsatzgrundlagen von OAE auch konzeptionell an die tatsächlichen Einsatzrealitäten anzupassen. Auf deutsche Initiative hat der Nordatlantikrat im April 2013 die Option eröffnet, OAE perspektivisch in eine Operation zu überführen, die sich nicht mehr auf Artikel 5 des Nordatlantikvertrages stützt. Die Linke hat im Übrigen damals gegen den Antrag gestimmt, nicht sehr überraschend natürlich, aber ich darf betonen: leider. Sie sehen, Kolleginnen und Kollegen der Linken: Grundsätzlich ließe sich Ihrem Antrag bis hierhin durchaus etwas abgewinnen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Na, prima!) Sie haben es allerdings nicht bei einer Forderung belassen, sondern sind noch weiter gegangen. Unter Punkt 2 fordern Sie, dass Deutschland den Bündnisfall zur Not unilateral für beendet erklärt. Das ist eine – nennen wir es einmal so – kreative Idee. Die Möglichkeit der einseitigen Entscheidung, den Bündnisfall nach Art. 5 für beendet zu erklären, gibt es bei der NATO nicht. Eine solche Entscheidung muss in den Gremien des NATO-Rates im Konsens mit den übrigen Mitgliedern getroffen werden. Mehrere Partner, etwa die USA und die Türkei, wollen das OAE-Mandat in seiner derzeitigen Form fortsetzen. Hier muss Überzeugungsarbeit geleistet werden, was natürlich noch etwas dauern wird. Durch unilaterale Erklärungen wird aber gar nichts erreicht werden. Ein einseitiges Vorgehen Deutschlands liefe dem Konzept eines Verteidigungsbündnisses auch grundsätzlich zuwider. Ein Bündnis, gerade eines zur Verteidigung, funktioniert durch Einigkeit und durch Geschlossenheit, wohlgemerkt: nie kritikfrei. Der Bündnisfall wurde gemeinsam festgestellt; folglich sollte er auch gemeinsam für beendet erklärt werden. Alles andere würde das Bündnis schwächen und das Vertrauen unter den Mitgliedern unterminieren. Die Tatsache, dass Sie im Begründungsteil des Antrages bestreiten, dass der Bündnisfall je vorgelegen habe, ändert daran übrigens nichts. Mit der dritten Forderung in Ihrem Antrag führen Sie diesen Gedanken sogar noch weiter. Danach soll die Bundesregierung sämtliches Engagement in Missionen, die auf Grundlage des Bündnisfalls begonnen wurden, umgehend einstellen. Werte Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über Operationspläne, die mit monatelangem Vorlauf ausgearbeitet wurden. Operationen dieser Größenordnung setzen Verlässlichkeit der Bündnispartner voraus. Der -Antrag, über dessen Beschlussempfehlung wir heute abstimmen, drückt das Gegenteil davon aus: Er impliziert einen Mangel an Wertschätzung gegenüber den Bündnispartnern und dem Bündnis. Diese Haltung Ihrer Seite überrascht aber wenig. Kolleginnen und Kollegen der Linken, Ihre grundsätzlich ablehnende Haltung zur NATO ist lange bekannt und oft Thema in diesem Hause gewesen. Ich hoffe sehr, dass irgendwann die Zeit kommt, in der Pazifismus, wie Sie ihn vertreten, realistisch sein wird. Diesen Zeitpunkt haben wir gegenwärtig aber noch nicht erreicht. Die aktuellen Ereignisse zeigen, dass sich Bündnisse, wie die NATO eines ist, eben noch nicht überlebt haben. Ein unilaterales Vorgehen, wie es in dem ursprünglichen Antrag gefordert wird, ist definitiv kein Weg, den wir einschlagen können oder sollten. Wir müssen unsere Allianzen wertschätzen und Partnerschaften pflegen; denn die Zeiten sind offensichtlich noch nicht so weit, wie wir das lange erhofft haben. Nach einer Phase, in der ideologisch motivierte nichtstaatliche Akteure bestehende Sicherheitsstrukturen he-rausgefordert haben, deutet sich derzeit eine Rückkehr zu – nennen wir es einmal so – klassischeren Szenarien an. Staaten und Bündnisse werden anscheinend sicherheitspolitisch wieder eine zentrale Rolle einnehmen. Aus diesem Grund werden wir auf absehbare Zeit weiter in der NATO engagiert bleiben. Dazu gehört es, Strukturen und Partner zu respektieren. Unsere Verbündeten müssen sich darauf verlassen können, dass Deutschland gegebene Zusagen einhält und übernommene Aufgaben erfüllt. Mit dem Beitritt zu einem Bündnis bekennt man sich zu den Werten dieses Bündnisses. Die NATO ist aus dem Bedürfnis demokratischer Staaten entstanden, sich gegenseitig zu schützen und zu unterstützen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wo haben Sie das gelernt?) Aktuelle Entwicklungen lassen es so aussehen, dass sie dieses Bedürfnis auch künftig erfüllen muss. Die Mitgliedschaft in der NATO war für die Bundesrepublik auch eine Möglichkeit, einer Demokratie angemessene militärische Strukturen zu etablieren, die mit Verbänden anderer Nationen zusammenarbeiten können. Ich kann Ihnen aus aktuellen Beobachtungen – ich war vor kurzem in Afghanistan – berichten, dass diese Strukturen auch multinational hervorragend funktionieren und so auch eine Art Friedensgarantie für alle darstellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Aus diesen Gründen werden wir die NATO-Mitgliedschaft auch weiterhin achten, und aus diesen Gründen werden wir auch weiterhin vermeidbare Alleingänge unterlassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie, wie bereits angekündigt, bitten, der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses zu folgen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Nun hat der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Danke sehr. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verhehle überhaupt nicht, dass Sie in einem Punkt völlig recht haben, Herr Hitschler. Wenn Sie mir einen Mangel an Wertschätzung für das NATO-Bündnis unterstellen, so stimmt das. Ich habe einen Mangel an Wertschätzung für dieses Bündnis. Ich hatte die Hoffnung, dass sich nach der Auflösung des Warschauer Vertrages irgendwann einmal auch die NATO auflöst. (Beifall bei der LINKEN) Das wäre eine Friedensdividende, die wir hätten einbringen können. Dort hätte eine deutsche Regierung Initiativen ergreifen müssen. Das, was wir jetzt beantragen, ist relativ simpel – Sie haben die drei Punkte schon sehr richtig genannt –: Erster Punkt. Wir möchten, dass der NATO-Bündnisfall beendet wird. Das war ein Ausnahmerecht. Der Bündnisfall ist ein einziges Mal in der Geschichte der NATO ausgerufen worden – vor 13 Jahren. Ein Ausnahmerecht ist zum Dauerrecht gemacht worden. Das spricht schon dafür, darüber nachzudenken, diesen NATO-Bündnisfall jetzt endlich zu beenden. (Beifall bei der LINKEN) Dass auch die Bundesregierung darüber nachdenkt – ich kenne ja die Papiere – finde ich völlig in Ordnung. Ich bitte Sie: Denken Sie intensiver darüber nach und handeln Sie vor allen Dingen in dieser Richtung. Uns wäre es am liebsten, wenn der NATO-Bündnisfall im NATO-Rat auf Initiative der Bundesregierung beendet würde. Falls nicht – das ist unser zweiter Punkt; er ist umstritten, und ich komme gleich noch darauf –, sollte die Bundesrepublik Deutschland ihn einseitig als beendet erklären. Dritter Punkt. Wir wollen, dass nicht weiterhin Einsätze damit begründet werden. Der NATO-Bündnisfall war die Grundlage für den Krieg gegen den Terror. Oder umgekehrt: Der Krieg gegen den Terror korrespondiert mit dem NATO-Bündnisfall. Der Krieg gegen den Terror ist unendlich gescheitert! (Beifall bei der LINKEN) Wir haben Ihnen immer wieder vorgetragen – da werde ich auch nicht müde –, dass man den Terror bekämpfen kann, indem man seine Ursachen bekämpft. Der Krieg gegen den Terror hat nur immer wieder Terror, Gewalt, Tod und Vernichtung ausgelöst; das ist doch die Tatsache. Wenn man das nicht will, dann muss man von dieser Grundlage weg. Wir werden sehen, dass der Militäreinsatz in Afghanistan, den Sie so loben und den ich so sehr kritisiere, dass dieser Krieg gegen den Terror durch Verhandlungen beendet werden muss. Verhandeln muss man mit seinen Feinden. Mit seinen Freunden braucht man es meistens nicht zu tun, manchmal muss man aber auch das. Es bleibt der zweite Punkt – der ist umstritten, das gebe ich Ihnen zu –: Wir sagen: Es muss das Recht eines jeden Staates geben, für sich selbst festzustellen: Dieser Punkt ist für uns erledigt. Die NATO hat den Bündnisfall im Konsens beschlossen; anders kann sie das gar nicht beschließen. Die NATO beruht auf Konsensentscheidungen. Wenn jetzt also ein Staat in den Verhandlungen, ob der Bündnisfall fortgeführt wird, feststellt, dieser Konsens sei nicht mehr gegeben, wäre es eine rechtliche Position, zu sagen: Auf dieser Grundlage muss auch der Bündnisfall beendet werden. Wir wollen von der deutschen Politik, dass festgestellt wird: Der Konsens zur Fortführung des Bündnisfalles ist nicht mehr gegeben. (Beifall bei der LINKEN) Ich will immer mit dem Kopf durch die Wand; das ist schon okay. Manchmal muss man auch einen Umweg suchen. (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Durch die Tür!) – Ja, wenn eine da ist. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch eine!) – Okay, darüber können wir uns gleich einigen. Ich möchte Ihnen jetzt einen Vorschlag machen. Wie wäre es, wenn die deutsche Bundesregierung für die nächste NATO-Vollversammlung einen Antrag auf eine Debatte darüber einbringen würde, den NATO-Bündnisfall dort zu beenden? Auch die Parlamentarische Versammlung der NATO kann sich mit diesem Thema -befassen, aber sie kann es nicht beschließen. Aber Sie können vorangehen, auch wenn Sie unseren Vorschlag für schlecht halten. Beantragen Sie für die nächste NATO-Vollversammlung, die Beendigung des Bündnisfalles zu debattieren! Das möchte ich gerne sehen. Lassen Sie mich zum Schluss sagen – ich werde vielleicht auch schon gemahnt –: Mit diesem NATO-Generalsekretär werden Sie keinen Blumentopf gewinnen. Wer jetzt in Europa in dieser Situation fordert, dass die Militärausgaben steigen sollen, wer eine solch aggressive Politik betreibt, der schadet der NATO mehr, als ich es je gekonnt hätte. Danke sehr. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Roderich Kiesewetter hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gehrcke, Sie haben, wie so oft, eine Chance vertan. Nicht dass Sie die Tür nicht gefunden haben und durch die Wand wollten, sondern Sie haben die Chance vertan, hier eindeutig klarzustellen, dass die Aggression nicht von der NATO ausgeht, sondern von Russland. Sie haben die Chance vertan, hier eindeutig klarzustellen, wie die Position der Linkspartei ist. Offensichtlich stehen Sie für Aggression und für militärische Auslandseinsätze des postsowjetischen Russlands. Das ist enttäuschend, aber war auch nicht anders zu erwarten. (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das glauben Sie nicht im Ernst!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen heute über den Antrag, den NATO-Bündnisfall zu beenden. Ich möchte das kurz abhandeln und dann über die NATO selbst sprechen. Wir sind uns, glaube ich, einig – der Kollege Hitschler hat es angesprochen –, dass zu einer solchen Änderung nicht nur die Bundesrepublik Deutschland gehört, sondern alle 28 Mitglieder der NATO. Wir wissen sehr genau, dass es mindestens zwei Bündnismitglieder gibt, die darauf bestehen, dass der Bündnisfall fortbesteht. Die Bundesregierung ist seit zwei Jahren dabei, hier Überzeugungsarbeit zu leisten. Wir werden sicherlich eine Änderung des Mandats bekommen, vorausgesetzt, wir erleben Entwicklungen, die uns beruhigen, dass sich die NATO auch weiterhin vorrangig um die kollektive und kooperative Sicherheit kümmern kann. Die NATO hat sich seit dem Lissabonner Abkommen, dem neuen NATO-Vertrag von 2010, drei Aufgaben gewidmet: erstens der kollektiven Verteidigung, zweitens der gemeinsamen Krisenbewältigung und drittens der kooperativen Sicherheit. Gerade die Operation Active Endeavour bietet die Chance zu einer Plattform für kooperative Sicherheit, weil viele Staaten des nördlichen Afrikas daran mitwirken. Aber wir erleben in diesen Tagen auch, dass ein Land wie Polen erstmals in der Geschichte der NATO Art. 4 des Nordatlantikvertrags aufruft, nämlich Konsultationen innerhalb des Bündnisses. Das muss uns mit Sorge erfüllen, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!) weil wir hier die Sicherheitsempfindungen unserer östlichen Nachbarn hautnah erleben. Was wir gerade mitbekommen, ist, dass Russland alles umstößt, was in den letzten 15 Jahren aufgebaut wurde. Wir sehen Angstverbreitung, Beunruhigung und auch Vertrauensverlust, und das bei Volksabstimmungen, die ohne Hoheitsabzeichen quasi von einer Miliztruppe überwacht durchgeführt werden und unter Verfassungsbruch und vor allen Dingen unter Bruch des Völkerrechts stattfinden. Wir befinden uns derzeit in einer sehr großen, umfassenden strategischen Debatte darüber, wie es nach ISAF und angesichts von Cyber-Bedrohungen weitergeht. Wenn wir in solch einer strategischen Debatte innerhalb der NATO solche Angebote russischerseits erleben müssen, werden wir zunehmend wieder unsere Fähigkeiten mit Blick auf Art. 5 des Nordatlantikvertrags betrachten müssen, damit wir in der Lage sind, Schutz zu bieten und Vertrauen auszustrahlen. Mitgliedschaft in der NATO ist etwas Freiwilliges. Die Staaten, die nach dem Kalten Krieg die Mitgliedschaft gesucht haben, sind freiwillig zu uns gekommen und fühlen sich in diesen Tagen bestärkt, dass sie hier einen sehr klugen Schritt für die Zukunft ihrer Gesellschaft gemacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deshalb ist es unerträglich, dass Sie bei der Behandlung dieses Antrags nicht einmal auch nur in Ansätzen über die Leistungen der NATO für die Befriedung Europas sprechen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich will sie abschaffen!) Sie sprechen es nicht an. Sie sprechen auch nicht an, welche Verletzungen von russischer Seite begangen worden sind. Im Gegenteil, Sie verlangen, dass die NATO aufgelöst wird, dass diejenigen, die sich sicher fühlen, nicht mehr den Schutzrahmen haben, den wir brauchen. Ich glaube, wir, die große demokratische Seite dieses Parlaments – ich appelliere dabei auch sehr stark an die Oppositionsfraktion Bündnis 90/Die Grünen –, sollten uns bewusst sein, dass die Gräben zu solch einer Geschichtsauffassung viel zu tief sind, als dass wir es auch nur einmal zulassen dürfen, dass die Linke Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland übernimmt. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können als Politikberater bei uns anfangen!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir weisen den Antrag zurück. Wir empfehlen, der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu folgen. Ich bitte uns alle, die Entwicklungen in der NATO mit geschärfter Aufmerksamkeit zu begleiten, damit wir weiterhin ein starkes Bündnis für Sicherheit und Frieden in Europa bleiben. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Tobias Lindner hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Debatte um das Thema, wie man mit dem NATO-Bündnisfall, der vor 13 Jahren – Kollege Hitschler und ich waren damals in einem Alter, in dem wir gerade ans Abitur dachten – ausgerufen wurde, umgeht, ist immer ein Drahtseilakt, auf der einen Seite nicht zu staatstragend zu sein und auf der anderen Seite nicht zu sehr über das Ziel hinauszuschießen. Ich will eines vorwegschicken: Vor 13 Jahren hatten wir es mit einer kollektiven Abwehr einer konkreten Bedrohung der Vereinigten Staaten von Amerika zu tun. Ich hoffe, dass wir uns alle darin einig sind, dass diese konkrete Bedrohung heute nicht mehr besteht. Ich habe in dieser Debatte auch mit Freude vernommen, dass einige in der Koalition sagen, dies halte auch nicht mehr als Begründung für Auslandseinsätze bzw. Missionen her. Deswegen sind wir uns mit der Linken durchaus einig darin, dass man den NATO-Bündnisfall beenden sollte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber wenn wir darüber sprechen, auf welche Art und Weise wir diese Beendigung erreichen sollen, dann will ich es so formulieren: Man muss die Spielregeln ändern, statt sie zu verletzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aus Sicht meiner Fraktion stellt es eine Verletzung der Spielregeln dar, wenn Deutschland jetzt unilateral den Bündnisfall für beendet erklären würde. (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Deshalb fordern wir – bevor die Union in die Verlegenheit kommt, Beifall klatschen zu müssen – die Bundes-regierung mit Nachdruck auf, sich für die Beendigung des Bündnisfalls einzusetzen. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Ich will einen Schritt weitergehen. Wir müssen in diesem Parlament initiativ werden und darüber diskutieren, wie wir Art. 5 des Nordatlantikvertrags weiterentwickeln können. Wir brauchen eine Antwort, wie wir, wenn dieser Konsens nicht mehr gegeben ist, einen Mechanismus entwickeln können, der eine regelmäßige Überprüfung des Bündnisfalls durch die Vertragspartner ermöglicht und zu einer Beendigung führt, wenn eine überwiegende Zahl der Staaten der Auffassung ist, dass der Bündnisfall nicht mehr gegeben ist. Liebe Kollegen von der Linken, wir werden uns bei der Abstimmung über Ihren Antrag enthalten. Sie stellen eine Forderung auf, die wir schon in der letzten Legislaturperiode in Anträgen mehrfach erhoben haben, nämlich diesen Bündnisfall endlich zu beenden. Aber leider schießen Sie aus unserer Sicht – wie so oft in der Verteidigungspolitik – über das Thema hinaus, indem Sie einen unilateralen Ausstieg aus dem Bündnisfall fordern. Wir glauben nicht, dass dies möglich ist. Ich glaube auch nicht, dass wir – es ist von der SPD-Fraktion durchaus erwähnt worden – unsere Position, wenn es darum geht, Spielregeln zu ändern und Mechanismen zu überarbeiten, dadurch stärken, dass wir unilateral an dieser Stelle aussteigen. Der NATO-Bündnisfall, die kollektive Verteidigung, ist ein hohes Gut. Gerade deshalb muss man damit sorgsam umgehen. Man darf ihn nicht länger festgestellt lassen, als Gründe dafür vorhanden sind. Deshalb sollten wir uns alle gemeinsam – die Bundesregierung vorweg – bei der NATO spätestens auf dem Herbstgipfel endlich für eine Beendigung des Bündnisfalls nach 13 Jahren einsetzen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Julia Bartz das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Bartz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nur im Bündnis der NATO und mit dem europäischen Gedanken konnte unser Land zu dem wachsen, was es heute ist. Wiedervereinigung und wirtschaftlicher Wohlstand konnten nur im Rahmen kollektiver Bündnissysteme wie NATO und EU erfolgen. Doch Teil eines Bündnisses zu sein, heißt auch, in diesem Verantwortung zu übernehmen. Im äußersten Fall bedeutet das, Bündnispartner militärisch zu unterstützen, wie es Art. 5 des Nordatlantikvertrags vorsieht. Am 12. September und 4. Oktober 2001 wurde dieser Fall nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon ausgerufen. Nach den verbrecherischen Angriffen gegen unseren Bündnispartner stellten sich die NATO-Mitglieder geschlossen an die Seite der USA, um dem transkontinentalen Terrorismus entgegenzutreten. Die Anschläge von London, Madrid und nicht zuletzt das versuchte Bombenattentat in Bonn haben uns gezeigt, dass die Gefahr des religiös motivierten Terrorismus auch Europa bedroht. Nur in einer solidarischen Gemeinschaft können wir dieser Herausforderung wirkungsvoll begegnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dabei wurden nicht nur reine Kampfeinsätze wie ISAF, sondern auch Überwachungs- und Beobachtungsmissionen zur Terrorismusprävention und -abwehr etabliert. Die Teilnahme an der Operation Active Endeavour ist der aktuelle Beitrag Deutschlands zum kollektiven Bündnisfall. Eine Fortführung von OAE als Überwachungsmission zur Sicherstellung eines detaillierten -Lagebildes ist nach wie vor notwendig. Die politischen Entwicklungen im Nahen Osten und Nordafrika machen die Präsenz der Bündniskräfte im Mittelmeerraum erforderlich. Wie wir hier schon mehrfach erwähnt haben, streben wir eine Weiterentwicklung von OAE hin zu einer nicht-Artikel-5-gestützten Mission an. Eine entsprechende -Initiative ist bereits im April vergangenen Jahres von der Bundesregierung in den NATO-Rat eingebracht worden. Auch unsere aktuelle Bundesregierung verfolgt dieses Ziel mit Nachdruck. Um diese Umwidmung zu vollziehen, braucht es aber die Zustimmung aller 28 Mitgliedstaaten. Ein multilateraler Konsens in einer solchen -Dimension braucht Zeit. Das ändert jedoch nichts an dem Sinn und Zweck dieser Mission. Das Mittelmeer ist eine der strategisch wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Es ist der größte Friedhof der Welt!) 25 Prozent aller Rohöllieferungen und ein Drittel aller Seehandelsgüter werden zwischen der Straße von Gibraltar und dem Suezkanal verschifft. Der Schutz dieser wirtschaftlichen Lebensader ist von vitalem Interesse für Europa, für die NATO und somit für Deutschland. Unsere Präsenz im Mittelmeer hat eine vorbeugende Schutzfunktion. Somit steht OAE auch in vollem Einklang mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien. In diesen heißt es auch, dass Deutschland als einer der wichtigsten -Bündnispartner der NATO Verantwortung trägt. Dieser werden wir mit unserer Beteiligung an Missionen der NATO, der Vereinten Nationen und der EU gerecht. Ein eigenmächtiges Ausscheren aus OAE hätte einen fatalen Ansehensverlust in der internationalen Gemeinschaft zur Folge. Nationale Einzelgänge führen ins politische und diplomatische Abseits. Die Teilnahme an NATO-Missionen und UN-Missionen hingegen ist ein wichtiger Beitrag zur international vernetzten Sicherheit. Hier hat sich OAE – der Kollege Kiesewetter hat es bereits angesprochen – zu einer wichtigen Kommunikationsplattform über die NATO--Grenzen hinaus entwickelt. Auch Staaten der Partnerschaft für den Frieden haben sich an dieser Mission -beteiligt. Wie gesagt: Wir befürworten eine Neukonzeption der Operation Active Endeavour. Wir lehnen jedoch eine Beendigung des deutschen Engagements in dieser -Mission entschieden ab. Deutschland ist und bleibt ein verlässlicher Bündnispartner. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Werdet glücklich damit!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Den NATO-Bündnisfall umgehend beenden“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/349, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/202 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Tom Koenigs, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verantwortung übernehmen – Zügig mehr -syrische Flüchtlinge aufnehmen Drucksache 18/846 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für eine schnelle und unbürokratische Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland und in der EU Drucksache 18/840 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre -keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit 9 Millionen Vertriebenen hat der Bürgerkrieg in Syrien längst das größte Flüchtlingsdrama weltweit ausgelöst. Seit dem Ausbruch des Konflikts vor drei -Jahren flohen nach UN-Angaben mehr als 2,5 Millionen Syrer ins Ausland; weitere 6,5 Millionen sind zu Vertriebenen in ihrem eigenen Land geworden. Mindestens die Hälfte der vom Krieg vertriebenen Menschen sind -Kinder. Angesichts der unübersichtlichen Konfliktlage und der nur geringen Aussichten auf eine politische Lösung ist damit zu rechnen, dass die Not weiter zunehmen wird und noch viel mehr Menschen flüchten müssen. Was ist die derzeitige Lage? Die Türkei hat mehr als 625 000 Syrer aufgenommen. Die weitaus meisten Flüchtlinge des syrischen Bürgerkriegs – nahezu 1 Million Menschen – leben im Nachbarland Libanon. Der Rest verteilt sich auf die Länder Irak, Jordanien und Ägypten. Europa hat bisher 4 Prozent der geflüchteten Syrer aufgenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir finden: Europa kann mehr, Europa muss mehr, und Deutschland ist für diesen Diskurs die entscheidende Triebfeder. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Seit Sommer 2013 haben alle Bundesländer – alle außer Bayern – eigene Aufnahmeprogramme für syrische Flüchtlinge auf den Weg gebracht. Nach dem ersten Kontingent des Bundes ist der Deutsche Bundestag im letzten Jahr einen wichtigen humanitären Schritt gegangen und hat fraktionsübergreifend ein zweites Auf-nahmekontingent für weitere 5 000 syrische Flüchtlinge beschlossen. Trotz des engagierten Einsatzes von Bund, Ländern und Kommunen reicht der deutsche Beitrag für die -Unterstützung von Schutzsuchenden aus Syrien leider nicht aus. Denn für die zusätzlichen 5 000 Aufnahmeplätze liegen mindestens zehnmal so viele Anmeldungen in den Ländern vor. Das sind zwischen 50 000 und 60 000 Menschen, überwiegend mit familiärem Bezug zu Deutschland. In Anbetracht dieser Situation sieht meine Fraktion nach wie vor dringenden Handlungsbedarf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da es in der Debatte immer wieder angeführt wird, möchte ich mich darauf einmal beziehen: Als überzeugte Europäerin bin ich natürlich immer daran interessiert, dass es eine gemeinsame faire europäische Lösung für die europäischen Herausforderungen gibt. Mir ist auch bewusst, dass sich Deutschland in dieser Frage sehr -engagiert. Trotzdem bedeuten Europa und europäische Solidarität für mich nicht, dass wir uns hinter der fehlenden Bereitschaft anderer Mitgliedstaaten verstecken dürfen, im Gegenteil. (Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]: Das tun wir auch gar nicht!) Lassen Sie uns gemeinsam vormachen, was Humanität und großherzige Hilfe, die der humanitären Notlage in Syrien spürbar etwas entgegensetzen, bedeuten und wie sie aussehen können. Unser Antrag fordert daher, ein neues Kontingent aufzulegen, das sich an den derzeit gestellten Anträgen in den Ländern orientiert. Aber lassen Sie uns auch konkret in unserer nationalen Gesetzgebung unsere Spielräume nutzen. Es ist und bleibt ein Unding, dass Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus Syrien, die Verwandte in Deutschland haben, immer noch im Rahmen der Dublin-Verordnung in andere EU-Staaten zurückgeführt und für diesen Zweck auch in Abschiebehaft genommen werden können. Lassen Sie uns in den Dialog mit den Bundesländern gehen und dafür sorgen, dass die Abschiebestopps nach Syrien verlängert werden und die hohen Hürden bei den Aufnahmeprogrammen in den Ländern, vor allen Dingen was die Verpflichtungserklärungen angeht, reduziert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Lassen Sie uns weiter dafür kämpfen – auch das ist Bestandteil unseres Antrages –, dass die Kommission aufhört, die von der Bundesregierung mit Nachdruck verlangte Pledging-Konferenz zu blockieren; denn das ist wirklich ein Skandal. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gestrige Berichterstattergespräch im Innenausschuss hat mir noch einmal verdeutlicht, dass es fraktionsübergreifend ein tiefes Bewusstsein für die humanitäre Notlage in Syrien gibt. Auch das Bundesinnenministerium ist bemüht, die Verfahren zur Aufnahme zu verbessern und die bürokratischen Hürden abzubauen. Das ist gut. Ich begrüße das ausdrücklich und hoffe, dass wir auf dieser Grundlage und vor allen Dingen mit diesem Bewusstsein zu einer gemeinsamen Lösung kommen werden. Ich denke, wir werden nicht darum herumkommen, über eine Ausweitung des Kontingentes nachzudenken. Wie sie aussehen wird, das möchten wir gerne diskutieren. Dafür ist unser Antrag eine Grundlage. Ich hoffe, da auch bei Ihnen auf offene Ohren zu stoßen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Nina Warken für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Nina Warken (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Lage in Syrien ist nach wie vor dramatisch; das ist uns allen bewusst. Laut jüngsten Berichten des UNHCR sind inzwischen über 9 Millionen Syrer auf der Flucht. Das sind mehr als 40 Prozent der Bevölkerung des gesamten Landes. Etwa 2,5 Millionen Menschen sind mittlerweile in die Nachbarstaaten geflohen. Das sind vor allem der Libanon, Jordanien und die Türkei. Deutschland tut viel, um diesen Menschen zu helfen. Da die syrischen Nachbarstaaten die Massenflucht allein nicht bewältigen können, setzt unsere Hilfe genau dort an, wo sie gebraucht wird. Deutschland unterstützt die betroffenen Länder seit 2012 mit rund 483 Millionen Euro für humanitäre Hilfe, Infrastruktur und Krisen-bewältigung. Das THW ist beispielsweise mit zahlreichen Helfern vor Ort und leistet Hilfe in Flüchtlings-lagern, vor allem durch die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser. Ohne das würden viele Menschen krank werden und sterben. Deutschland ist sich seiner humanitären Verantwortung bewusst. Die Bundesregierung hat schon im Mai 2013 ein Bundesprogramm zur Aufnahme von 5 000 besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen aus Syrien gestartet. Diese Menschen kommen entweder selbst nach Deutschland oder werden mit Charterflügen eingeflogen. Gleichzeitig haben auch die Länder eigene Aufnahmeprogramme ins Leben gerufen. In diesem Rahmen wurden bereits 2 300 Visa erteilt. Um es noch mehr Menschen aus Syrien zu ermöglichen, Schutz zu suchen, wurde im vergangenen Dezember ein zweites Bundesprogramm zur Aufnahme von weiteren 5 000 syrischen Flüchtlingen eingerichtet. Bei dem liegt der Schwerpunkt auf der Aufnahme von Personen mit Verwandten in Deutschland. Bislang sind im Rahmen der beiden Bundesprogramme 4 000 Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland gekommen. Davon sind allein 1 755 Menschen, die nicht in der Lage sind, selbst nach Deutschland einzureisen, mit Charterflügen gekommen. Auch in Zukunft sind jeden Monat zwei Flüge mit jeweils 300 Flüchtlingen geplant. Insgesamt sind also seit 2011 mehr als 30 000 Menschen aus Syrien nach Deutschland gekommen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bearbeitet jeden Monat mehr als 1 500 Asylanträge syrischer Flüchtlinge. Schon seit drei Jahren wird niemand mehr nach Syrien abgeschoben, und jeder Antragsteller bekommt zumindest subsidiären Schutz. Das alles wird schon jetzt getan. Natürlich ist es leicht, immer mehr zu fordern, wie es die Opposition jetzt tut, ohne zu berücksichtigen, dass die Aufnahmekapazitäten für Asylbewerber in unseren Ländern und Kommunen mittlerweile an ihre Grenzen stoßen. Zweifelsohne haben Bund und Länder bereits in der Vergangenheit entschieden gezeigt, dass sie den Flüchtlingen aus Syrien helfen wollen. Die Aufnahmeaktion über die beiden Bundesprogramme sowie die Programme der Länder ist in vollem Gange, und die zuständigen Behörden tun alles, um die besonders Schutzbedürftigen so schnell wie möglich ins Land zu holen. Ein positives Signal ist es, dass Bund und Länder erörtern wollen, unter welchen Bedingungen weitere Menschen aus Syrien aufgenommen werden können, sobald die bestehenden Kontingente ausgeschöpft sind. Dennoch wäre es illusorisch, sich bei den Aufnahmekontingenten nur an den Interessenbekundungen zu orientieren. Wir werden niemals allen Anforderungen gerecht werden können, da in Syrien nahezu das halbe Land auf der Flucht ist. Deshalb ist es richtig, dass der Schwerpunkt unserer Hilfe vor Ort liegt; denn in der Region erreicht man mit den eingesetzten Mitteln viel mehr Menschen, als es durch Flüchtlingsaufnahme möglich ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Zustimmung des Abg. Uli Grötsch [SPD]) Auch die weitere Forderung der Opposition nach mehr Personal ist wenig hilfreich. Das Personal wurde sowohl hier in Deutschland als auch in der Krisenregion bereits aufgestockt. Hier muss man verstehen, dass Personal mit entsprechender Qualifikation sowie sichere Räumlichkeiten vor Ort, die für die Abwicklung der Ausreise der Flüchtlinge notwendig sind, begrenzt sind. Davon abgesehen sind die Schwierigkeiten, die durch die Sicherheitslage in den Nachbarstaaten oder bei der Erteilung von Ausreisegenehmigungen durch die lokalen Sicherheitsbehörden bestehen, auch durch mehr Personal nicht lösbar. Statt einfach nur mehr zu fordern, muss an dieser Stelle auch einmal gesagt werden, wie wichtig es ist, dass wir Serbien, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina sowie Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern erklären. Dann stehen wieder mehr Kapazitäten zur Aufnahme von Flüchtlingen, auch den vorrangig Schutzbedürftigen aus Syrien, zur Verfügung. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch die immer wieder vorgebrachte Kritik von Grünen und Linken am Dublin-Verfahren kann ich nur zurückweisen. Deutschland macht nach meiner Kenntnis sehr wohl von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch, wenn Menschen beispielsweise medizinisch versorgt werden müssen. Ebenso wird entsprechend der EU-Verordnung darauf geachtet, dass die Kernfamilie stets zusammenbleiben kann. Es kann allerdings nicht das Ziel sein, dass Deutschland alle syrischen Flüchtlinge aufnimmt, die nach Europa kommen. Unsere europäischen Nachbarn haben hier auch eine humanitäre Pflicht, die wir einfordern müssen. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschland auch!) Aus unserer Sicht befinden wir uns also auf einem guten Weg, was die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland angeht. Die Opposition konnte mit ihren beiden Anträgen hier nichts Neues beitragen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der grausame Krieg in Syrien läuft bereits seit drei Jahren, und weit mehr als 100 000 Menschen sind ums Leben gekommen. 10 Millionen Menschen sind auf der Flucht, davon ungefähr 7,5 Millionen im Land selber auf der Suche nach Alternativen. 2,5 Millionen registrierte Flüchtlinge befinden sich in Anrainerstaaten Syriens und in Ägypten. Ich muss wirklich sagen: Es ist eine Schande, dass es bis heute nur einem Bruchteil der Flüchtlinge gelungen ist, in die Europäische Union zu kommen, um Zuflucht zu finden. Meine Damen und Herren, an den Außengrenzen der EU treffen Flüchtlinge auf eine immer massivere und brutalere Abschottung. Die Landesgrenzen Griechenlands und Bulgariens zur Türkei wurden zum Beispiel mit Zäunen und Stacheldraht abgeriegelt. Soldaten greifen Flüchtlinge in der Ägäis auf und schaffen sie zurück in die Türkei. Wie viele Menschen die gefährliche Überfahrt über die Ägäis und das Mittelmeer nicht überleben, weiß wirklich niemand. Täglich sterben an den Außengrenzen der EU – das ist leider bittere Wahrheit – unerträglich viele Menschen. Das muss dringend beendet werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Trotz all dieser Abschottungsbemühungen haben es in den vergangenen zwei Jahren etwa 70 000 Flüchtlinge aus Syrien geschafft, in die Europäische Union zu fliehen. Gut ein Drittel wurden in der Tat in der Bundesrepublik aufgenommen. Im gleichen Zeitraum wurde gerade einmal 12 000 Menschen die Zusage für eine Aufnahme in einem EU-Staat gegeben; nur diese haben also sichere und legale Einreisemöglichkeiten. Von ihnen nimmt allein die Bundesrepublik 10 000 Flüchtlinge auf. Doch das bedeutet noch lange nicht, dass sich die Bundesrepublik auf ihren Verdiensten ausruhen darf. Ein Vergleich, um sich das einfach einmal vorzustellen: Im Libanon hat es einen Bevölkerungszuwachs um 19 Prozent gegeben. Das würde für Deutschland bedeuten, dass es innerhalb von zwei Jahren einen Bevölkerungszuwachs von 15 Millionen Menschen gegeben hätte. Die Bundesregierung bzw. die Bundesrepublik kann mehr tun, muss mehr tun, und es muss vor allen Dingen syrischen Flüchtlingen schneller und unbürokratischer geholfen werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Syrische Asylsuchende, die über einen anderen EU-Staat nach Deutschland eingereist sind, geraten wirklich in die Mühlen der Asylbürokratie. Man muss sich einfach einmal vorstellen: Sie fliehen aus ihrem Land vor Krieg, sie fliehen über die Meere und gefährden ihr Leben, dann kommen sie nach Deutschland und werden mit der Dublin-Verordnung konfrontiert. Und was passiert? Als Allererstes gehen sie in Abschiebegefängnisse, weil sie überstellt werden sollen. Das ist ein Verfahren, das unbedingt abgeschafft werden muss. Deswegen fordert die Linke auch, die Dublin-Verordnung ganz schnell für syrische Flüchtlinge auszusetzen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist wirklich ein bürokratischer Irrsinn, der hier betrieben wird. Man muss wirklich an das Bundesinnenministerium sowie die Innenminister der Länder und der europäischen Staaten appellieren, dass das geändert wird. Es ist hier schon angesprochen worden, dass viele Flüchtlinge Verwandte in Deutschland haben. Auch diesen muss unbegrenzt und unbürokratisch ermöglicht werden, dass sie von den entsprechenden Ländern aufgenommen werden und zu ihren Familien reisen können. Übrigens wäre das die schnellste und einfachste Art, den Flüchtlingen zu ermöglichen, ein Leben in Sicherheit zu führen. Daneben muss sich die Bundesrepublik auch weiterhin an humanitären Aufnahmeprogrammen des UNHCR beteiligen. Meine Damen und Herren, auch auf EU-Ebene muss mehr getan werden. Deutschland muss Druck machen. Ohne mit der Wimper zu zucken, werden Gelder in Milliardenhöhe bereitgestellt, um die Grenzen abzusichern. Wir meinen, dass die Gelder viel sinnvoller für Flüchtlinge eingesetzt wären. Das Wichtigste ist: Wir sollten nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen und endlich dafür sorgen, dass Waffenlieferungen nach Syrien, und zwar an alle Seiten, gestoppt werden. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Christina Kampmann das Wort. (Beifall bei der SPD) Christina Kampmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unabhängig vom Ausmaß des Elends, unabhängig von der Dimension des Leidens und unabhängig von der Vielzahl menschlicher Schicksale neigen Flüchtlingsdramen dazu, aus dem öffentlichen Bewusstsein nahezu zu verschwinden, wenn sie nur lang genug andauern und weit genug von uns entfernt scheinen. Vor ziemlich genau drei Jahren gingen die Menschen in Syrien auf die Straße, um friedlich für Werte zu demonstrieren, deren Verteidigung auch bei uns höchste Priorität hat: für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Doch was seit diesem März 2011 geschah, spottet jeder Beschreibung: das brutale Vorgehen des Assad-Regimes, welches seinen vorläufigen Höhepunkt im Einsatz von Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung fand, die Radikalisierung und Zersplitterung der Opposition, die dazu geführt hat, dass es inzwischen zahlreiche Nebenkriegsschauplätze gibt, die das ursprünglich friedliche Ansinnen der Menschen in Syrien in Vergessenheit haben geraten lassen. Es sind die Menschen, die heute auf der Flucht sind, weil sie in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten müssen, weil sie Opfer von Verfolgung und von Gewalt sind. Liebe Frau Amtsberg, Deutschland versteckt sich nicht. Deutschland hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als jedes andere europäische Land. Das wissen Sie auch. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich sogar erwähnt!) Der Bund hat sich zu seiner Verantwortung bekannt und die Aufnahme von insgesamt 10 000 Flüchtlingen beschlossen. Es besteht Einigkeit darüber, dass auch nach Ausschöpfung der vorhandenen Kontingente denen, die aus Syrien geflüchtet sind, Schutz in Deutschland gewährt werden soll. Viele Länder haben inzwischen Verlängerungen bezüglich der Antragsfrist für die Aufnahme beschlossen; darunter Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und andere. Aber wir wissen auch: Angesichts einer Zahl von 2,4 Millionen Syrern, die laut UNHCR im Ausland Schutz suchen, und 3,6 Millionen Menschen, die innerhalb der syrischen Grenzen auf der Flucht sind, angesichts dieser schier unvorstellbaren Zahlen kann das, was wir tun, niemals genug sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb müssen wir uns weiter für eine gemeinsame europäische Initiative engagieren. Es kann nicht sein, dass alle anderen europäischen Staaten zusammen noch nicht einmal die Hälfte des Kontingents anbieten, das wir inzwischen zugesagt haben. Deshalb dürfen wir aber trotzdem nicht müde darin werden, auch alle anderen Länder der Europäischen Union immer und immer wieder an unsere gemeinsame europäische Verantwortung zu erinnern, an die Werte von Solidarität und Mitmenschlichkeit, die wir nicht immer nur vor uns hertragen, sondern an denen wir uns auch selbst messen lassen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Anträge vom Bündnis 90/Die Grünen und von der Fraktion Die Linke entsprechen zu großen Teilen genau dem, was wir in den letzten Monaten bereits umsetzen konnten. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann zustimmen! Einfach zustimmen! – Beifall der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Warten Sie einmal ab, Herr von Notz. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kommt noch was?) – Es kommt noch etwas, seien Sie darauf gefasst. – Dazu haben wir im Übrigen schon am Ende der letzten Legislatur einen fraktionsübergreifenden Antrag gemeinsam mit CDU/CSU, FDP und den Grünen verabschiedet. Dass es bei diesem Thema einen so großen Konsens gibt, ist auch gut so; denn das Schicksal der Menschen, die aus Syrien flüchten, sollte für uns alle Anlass sein, um alles Mögliche dafür zu tun, das Leiden dieser Menschen zu mindern. Gerade weil ich an vielen Stellen einen Konsens zwischen unseren Parteien sehe, schlage ich vor, dass wir uns hinsetzen und einen fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag einbringen, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut!) der nicht nur unsere gemeinsame Verantwortung im Hinblick auf die schwierige Situation der Flüchtlinge unterstreichen würde, sondern der sowohl der Länderebene als auch der europäischen Ebene signalisieren würde, dass wir in dieser Frage zusammenstehen, weil uns das Leid der Menschen, die ihre syrische Heimat verlassen mussten, Anlass sein muss, alles dafür zu tun, die Situation der Flüchtlinge in den Anrainerstaaten, aber auch derer, die zu uns nach Europa kommen, so menschenwürdig wie nur möglich zu gestalten. (Beifall bei der SPD) Dabei müssen wir im Blick haben, dass wir hier vor Ort nur einen kleinen Teil zur Verbesserung der Situation beitragen können. Wenn wir schnellere und vor allem auch zielgerichtetere Hilfe anbieten wollen, dann muss es zum einen darum gehen, dass wir weiter darauf hinwirken müssen, dass organisatorische und administrative Hindernisse in den syrischen Nachbarländern weiter reduziert werden, damit denjenigen, die dort auf Hilfe warten, schnell geholfen werden kann. Es muss aber auch darum gehen, dass wir humanitäre Hilfe vor Ort bereitstellen. Deshalb ist es gut, dass Deutschland zu den größten bilateralen Gebern in der Syrien-Krise gehört und insgesamt 440 Millionen Euro bereitgestellt hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Carolin Emcke schreibt in Ihrer Reportage im Zeit-Magazin über Menschen, die bei uns Zuflucht suchen: Was Ghayeb – ein kurdischer Flüchtling aus Syrien – und all die anderen brauchen, ist keine weitere Geschichte über ihre Verzweiflung wie diese, sondern ein Asylrecht, das mindestens die Möglichkeit impliziert, dass ein Flüchtling wirklich jemand sein könnte, der vor etwas geflohen ist. Das, was sich gerade in und um Syrien abspielt, ist ohne Zweifel die größte humanitäre Katastrophe dieses Jahrhunderts. Was einst mit einem friedlichen Protest begann, endet heute in unermesslicher Not. Es ist unsere politische und menschliche Pflicht, Verantwortung für die Menschen in Syrien zu übernehmen und uns, ganz im Sinne von Carolin Emcke, das Bewusstsein dafür zu bewahren, dass ein Flüchtling ein Mensch ist, „der vor etwas geflohen ist“. Wenn wir von Syrien reden, dann geht es dabei um nichts Geringeres als um das eigene Leben. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Andrea Lindholz das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Geschehnisse in der Ukraine und auf der Krim überschatten die humanitäre Katastrophe in Syrien. In den deutschen Medien findet der Bürgerkrieg in Syrien zurzeit kaum noch statt. (Zuruf von der CDU/CSU: Traurig!) Doch die Situation in Syrien ist unverändert katastrophal. Hunderttausende Tote hat der Bürgerkrieg gefordert, darunter auch 14 UN-Mitarbeiter und 32 Helfer des arabischen Roten Halbmondes. Über 40 Prozent der syrischen Krankenhäuser sind nicht mehr funktionsfähig. Der syrische Staat zerfällt mehr und mehr. Das Assad-Regime ist heute nur noch eine von insgesamt vier großen Konfliktparteien in Syrien, die sich gegenseitig brutal bekämpfen und die Bevölkerung ins Elend stürzen. Wir haben es gehört: 9,3 Millionen Syrer befinden sich auf der Flucht und brauchen dringend humanitäre Hilfe. Wir haben die moralische und humanitäre Verpflichtung, diesen Menschen zu helfen, und genau das tut Deutschland längst wie kaum ein anderes Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Seit 2012 hat die Bundesregierung – wir haben es heute Abend schon gehört – 483 Millionen Euro für die syrische Flüchtlingshilfe bereitgestellt. Neben den Hilfskräften gilt auch den Mitarbeitern der deutschen Botschaften und Konsulate unser Dank; denn sie alle arbeiten unter schwierigsten Bedingungen und schaffen die Grundlage für die Asylverfahren, über die wir heute sprechen. Auch hier hat die Bundesregierung reagiert und zusätzliches Personal bereitgestellt. Das große Engagement der Bundesregierung macht sich auch im Asylbereich bemerkbar. Seit 2011 sind rund 30 000 Syrer nach Deutschland gekommen. Über 1 500 syrische Asylanträge pro Monat werden in Deutschland registriert. Seit Jahren gilt ein Stopp für die Abschiebung nach Syrien. Deutschland bietet im Rahmen von Bundesprogrammen 10 000 Syrern Schutz. Die anderen EU-Staaten stellen bisher zusammen ein Kontingent von gerade einmal 3 900 Plätzen bereit. Wir nehmen also bereits zwei Drittel aller syrischen Flüchtlinge auf. Angesichts dieser Zahlen wirkt es absurd, wenn die Linke in ihrem Antrag der Bundesregierung eine „Abschottungspolitik“ vorwirft; das Gegenteil ist der Fall. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Zahl der Asylanträge in Deutschland steigt seit Jahren, allein im letzten Jahr stieg sie um 70 Prozent. Deutschland alleine kann diese Flüchtlingskrise nicht lösen. (Zuruf der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Angesichts von 9,3 Millionen syrischen Flüchtlingen kann deutsches Asyl, Frau Kollegin, nur in begrenztem Umfang eine Lösung sein. Der tatsächliche Bedarf an Asyl wird nie zu decken sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Ansatz der Bundesregierung, den Fokus daher vor allem auf die Hilfe vor Ort zu richten, die wir weitaus besser leisten können als die relativ aufwendige Hilfe in Deutschland, ist daher richtig. Letztendlich muss in der Syrien-Krise der gleiche Grundsatz gelten wie in der Euro-Krise: Deutschland geht gerne mit gutem Beispiel voran, Deutschland ist solidarisch und hilft, aber auch Deutschlands Stärke ist begrenzt. Es kann nicht sein, dass Deutschland als einziger EU-Staat substanzielle Verantwortung für die syrischen Flüchtlinge übernimmt. Während wir 10 000 Flüchtlinge aufnehmen, nehmen andere europäische Länder zwischen 400 und 500 Syrer auf. Allein 2013 hat das BAMF 127 000 Asylanträge bearbeitet, Tendenz steigend. In diesem Bereich werden wir mehr Personal zur Verfügung stellen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir brauchen dringend ein gemeinsames europäisches Aufnahmeprogramm. Die Bundesregierung fordert das schon lange. Die Kommission muss endlich aktiv werden und eine Geberkonferenz für Syrien auf EU-Ebene einberufen. Unsere europäischen Nachbarn müssen mehr Verantwortung für die Opfer dieses schrecklichen Bürgerkrieges übernehmen. In meinen Augen haben die Anträge der Grünen und der Linken ihren wesentlichen Zweck erfüllt. Sie haben Syrien zurück auf unsere Tagesordnung gebracht, und das begrüße ich ausdrücklich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Über die Verbesserung der laufenden Aufnahmeverfahren und eine weitere Aufstockung des deutschen Kontingentes beraten bereits die Innenminister von Bund und Ländern. Ich bin mir sicher, dass es hier zu einem weiteren guten Ergebnis kommen wird. Gerade Bayern kommt seiner Verpflichtung nach. In Bayern leben über 4 600 syrische Staatsangehörige. Bayern nimmt im Rahmen des Bundesprogrammes allein 15 Prozent der Syrer auf und wird auch weitere Syrer aufnehmen. Der Asylbewerberstrom steigt bei uns in Bayern daher überdurchschnittlich. Inhaltlich laufen beide Anträge ins Leere. Angesichts des massiven Engagements der Bundesregierung in Syrien ist ein zusätzlicher Anstoß durch einen Antrag überflüssig. Im Rahmen des Berichterstattergespräches in dieser Woche wurde das Engagement der Bundesregierung ausdrücklich gelobt. Wir sprechen uns daher für eine Ablehnung der Anträge aus. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/846 und 18/840 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile Ihnen mit, dass sich die Fraktionen darauf verständigt haben, den Tagesordnungspunkt 15 – es handelt sich hier um die Beratung des Antrags der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG neu und verantwortungsvoll besetzen“ – abzusetzen. Sind Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 21. März 2014, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss 20.52 Uhr) Berichtigung 22. Sitzung, Seite 1735 A, Anlage 18: „Frage 24“ ist durch „Frage 25“ zu ersetzen. 22. Sitzung, Seite 1748 B, Anlage 51: Der Name „Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)“ ist durch den Namen „Herbert Behrens (DIE LINKE)“ zu ersetzen. Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 20.03.2014 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20.03.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 20.03.2014 Da?delen, Sevim DIE LINKE 20.03.2014 Dr. Fechner, Johannes SPD 20.03.2014 Freitag, Dagmar SPD 20.03.2014 Gabriel, Sigmar SPD 20.03.2014 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 20.03.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 20.03.2014 Hampel, Ulrich SPD 20.03.2014 Krichbaum, Gunther CDU/CSU 20.03.2014 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 20.03.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20.03.2014 Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 20.03.2014 Noll, Michaela CDU/CSU 20.03.2014 Özo?uz, Aydan SPD 20.03.2014 Poß, Joachim SPD 20.03.2014 Post (Minden), Achim SPD 20.03.2014 Rupprecht, Albert CDU/CSU 20.03.2014 Rüthrich, Susann SPD 20.03.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 20.03.2014 Schummer, Uwe CDU/CSU 20.03.2014 Stritzl, Thomas CDU/CSU 20.03.2014 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20.03.2014 Werner, Katrin DIE LINKE 20.03.2014 Widmann-Mauz, Annette CDU/CSU 20.03.2014 Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu den Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu: Antrag auf Genehmigung zur Fortführung -eines Strafverfahrens in der 18. Wahlperiode (Zusatzpunkt 7) Antrag auf Genehmigung zur Fortführung -eines Strafverfahrens in der 18. Wahlperiode (Zusatzpunkt 8) Sonja Steffen (SPD): Die Genehmigungspraxis des Bundestages in Immunitätsfragen zielt darauf ab, die Abgeordneten im Falle eines Strafverfahrens oder anderer Zwangsmaßnahmen nicht anders als die übrigen -Bürgerinnen und Bürger zu behandeln. Die Immunität ist gerade kein Sonderrecht für Abgeordnete, sondern soll die Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Parlaments -sicherstellen. Gerade weil es sich um eine Angelegenheit handelte, die einen sehr politischen Hintergrund hat, wurde das Verfahren der Staatsanwaltschaft Dresden durch den -Immunitätsausschuss sehr sorgfältig geprüft. Sechs -Beratungen haben im Ausschuss stattgefunden. Mehrere konkrete Nachfragen wurden gestellt und von der Staatsanwaltschaft beantwortet. Wegen der Teilnahme an der Blockade, um die es in dem Verfahren geht, wurde wegen Verstoßes gegen § 21 VersammlG gegen zwölf Abgeordnete des Bundestages und des Sächsischen Landtages aus mehreren Parteien ermittelt. Insgesamt wurden mehr als 200 Ermittlungsverfahren geführt. Die parteipolitische Wertung der Vorkommnisse durch die Linkspartei stellt aus meiner Sicht eine politische Instrumentalisierung des Immunitätsausschusses dar. Sonderrechte für Abgeordnete darf es nicht geben. Diese haben ebenso wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen. Der Kampf gegen Rechts ist zu wichtig, um ihn mit populistischen Methoden voranzutreiben. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach den Ausführungen von Frau Kipping sehe ich mich gezwungen, eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten abzugeben. Ich finde es inakzeptabel, dass von Ihnen die Unterstellung formuliert wird, wer hier der Aufhebung zustimme, wolle sich nicht klar gegen Rechtsextreme positionieren. Ich verbitte mir diese Unterstellung. Einige hier im Hause – so auch ich – haben sich nicht nur jahre- sondern jahrzehntelang engagiert gegen Rechtsextremismus und nationalsozialistisches Gedankengut.  Wir können das gern gemeinsam tun. Aber Nachhilfe brauche ich nicht.  Warum ich hier heute mit Ja stimme: Für mich gilt, dass die Immunität nicht ein Privileg des einzelnen Abgeordneten ist, sondern eine Sicherung der Arbeitsfähigkeit des Parlamentes. Wir wollen uns damit schon aus historischen Gründen davor schützen, dass durch Ermittlungsverfahren das Parlament in seinen Entscheidungen und Mehrheiten manipuliert wird. Das liegt hier aber nicht vor.  Wir entscheiden auch nicht, ob ein Verfahren durchgeführt wird, denn die Nichtaufhebung der Immunität würde ein Verfahren nur auf den Zeitpunkt nach dem Abgeordnetenstatus verlegen. Ich meine, wenn nicht die Funktionsfähigkeit tangiert ist, sind wir alle gut beraten, uns einem Verfahren zu stellen. Wie andere betroffene Bürger und Bürgerinnen auch. Kollege Gysi, Ihr Argument, dass die Nichtaufhebung mittelbar eine Unterstützung anderer in gleicher Sache Beschuldigter wäre, halte ich eigentlich für sachfremd. Aber trotzdem: Vielleicht ist es ja genau anders herum, dass die Anwesenheit von Abgeordneten im gleichen Verfahren am Ende eine Unterstützung wird. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es geht um die erneute Aufhebung der Immunität von zwei KollegInnen der Linksfraktion wegen Ermittlungen an Gegenprotesten in Dresden im Februar 2011. Ebenso wie die beiden KollegInnen der Linksfraktion waren auch mehrere MdBs von Bündnis 90/ Die Grünen vor Ort. Ich persönlich war vor und nach 2011 immer selber bei den Protesten gegen den unerträglichen jährlichen Naziaufmarsch in Dresden dabei, auch im Februar 2011. Gegen mich wird nicht ermittelt.  Verstehen tue ich die Ermittlungen der sächsischen Justiz gegen die KollegInnen der Linksfraktion nicht.  Allerdings ärgere ich mich über die Ausführungen der Kollegin Kipping in dieser Debatte sehr. Es geht bei dieser Debatte nicht um den Wettbewerb um den besten Antifaschisten. Dass die Linksfraktion sich hier so inszeniert, finde ich schwer erträglich.  Warum sollen Bundestagsabgeordnete anders und besser behandelt werden, als die vielen BürgerInnen, gegen die auch in dieser Sache ermittelt wird. Eine Sonderbehandlung lehne ich ab. Damit lasse ich mir aber nicht von der Rednerin der Linksfraktion unterstellen, dass ich mich nicht ausreichend gegen Rechtsextremismus engagiere. Das tue ich seit Jahren in Sachsen und anderen Regionen unseres Landes. Als Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus und sächsische Bundestagsabgeordnete bin ich seit vielen Jahren auf diesem Gebiet aktiv. Dieser hier diskutierte Fall eignet sich aber nicht dazu, festzustellen, wer bei dem Thema besser ist als der andere -Kollege. Hier sollten wir uns als DemokratInnen nicht auseinanderdividieren lassen. Da ich aber finde, Bundestagsabgeordnete sollten nicht besser als andere BürgerInnen vor Gericht behandelt werden, stimme ich der Aufhebung der Immunität der beiden KollegInnen zu. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Sechste Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung (Tagesordnungspunkt 13) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Die Verpackungsverordnung ist ein Erfolgsmodell. Was damals Klaus Töpfer als Umweltminister in Deutschland eingeführt hat, war wegweisend. Inzwischen haben viele Länder dieses Konzept übernommen. Die Idee: das Prinzip der Produktverantwortung. Diejenigen, die Verpackungen in den Markt bringen, sind dafür verantwortlich, diese hinterher zurückzunehmen und möglichst wiederzuverwerten. Es ist eine marktwirtschaftliche Lösung: Die Entsorgungskosten werden Teil des Preises. Es entsteht von Anfang an ein Anreiz, Verpackungen möglichst zu vermeiden. Was waren die Wirkungen? Die Kosten für die Verbraucher sind gesunken. In Deutschland wurden hochmoderne Recyclingtechnologien entwickelt. 14 Prozent der Rohstoffe, die die deutsche Wirtschaft einsetzt, werden aus Abfällen gewonnen. Abfälle sind wichtige Rohstoffe. Schauen wir uns die Situation über Deutschland hinaus an: Die Weltbevölkerung wächst, die Nachfrage nach Rohstoffen steigt. Insofern liegt es auf der Hand, dass die Volkswirtschaften, die es am besten schaffen, Kreisläufe zu schließen und effizient mit knappen Ressourcen umzugehen, auch wirtschaftlich erfolgreich sein werden. Wir wollen daher die Produktverantwortung erhalten, und wir wollen sie stärken. Deshalb müssen wir bestehende Schwachstellen bei der konkreten Ausgestaltung der Verpackungsverordnung beheben. Und wir müssen die Dinge in Ordnung bringen. Aus diesem Grund ? während wir heute über die sechste Novelle debattieren ? wird die siebte Novelle bereits vorbereitet. Wir werden hier bald eine gründliche Debatte darüber führen. Dabei wird es darum gehen müssen, den Wettbewerb zu erhalten, die Regeln für den Wettbewerb jedoch zu verbessern. Es wird darum gehen müssen, die aktuellen Schwierigkeiten zu lösen, ohne funktionierende Systeme kaputtzumachen. Heute geht es zunächst aber um die sechste Novelle. Es geht um kleine Punkte: Wir setzen europäisches Recht um, und zwar eins zu eins. Ich bitte Sie, diesem vorliegenden Verordnungsentwurf zuzustimmen. Im Wesentlichen geht es um die Übernahme einer Liste von Beispielen, was als Verpackung gilt und was nicht. Die materielle Rechtslage ändert sich dadurch -übrigens nicht. Es klingt auf den ersten Blick überzogen, dass jetzt ausdrücklich in die Verpackungsverordnung hineingeschrieben wird, dass zum Beispiel Grablichtbecher keine Verpackungen sind, Streichholzschachteln aber schon. Oder: Kleiderbügel, die mit einem Kleidungsstück verkauft werden, sind Verpackungen, die gleichen Kleiderbügel, die getrennt verkauft werden, jedoch nicht. Das klingt in der Tat überzogen. Aber es weist uns auf einen wichtigen Punkt hin: Wir müssen das Kreislaufwirtschaftssystem weiterentwickeln. Künftig sollten Verpackungen und sonstige Abfälle aus den gleichen Materialien in einer einheitlichen Wertstofftonne entsorgt werden. Wir sollten das angehen. Und dabei wird es dann auch um folgende Punkte gehen – ich nenne hier nur drei –: Erstens. Die Recyclingquote für Kunststoffverpackungen muss erhöht werden. Technisch ist dies machbar. Zweitens. Im Zuge des Wertstoffgesetzes braucht es eine umfassende Neuregelung und eine bessere Organisation, zum Beispiel mit einer zentralen Stelle. Drittens. Die bestehende Trittbrettfahrerproblematik muss in diesem Zusammenhang gelöst werden. Wir haben viel vor uns: Es ist aber auch eine gewaltige Chance. Wir können unser Land in einem wichtigen Feld weiter fit machen für die Zukunft. Diese Chance sollten wir nutzen. Gehen wir es an. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Abfall oder Müll verbinden wir im allgemeinen Sprachgebrauch mit etwas Wertlosem. Dass dies ganz und gar nicht der Fall ist, zeigt die heutige Debatte. Verpackungsabfälle sind Wertstoffe. Um diese Wertstoffe in den Kreislauf wieder zurückzuführen, haben wir in Deutschland vor fast einem Vierteljahrhundert das Duale System eingeführt. Dass in Deutschland die Verwertungsquoten von Verpackungen allgemein im europäischen Vergleich so gut sind, haben wir auch dem Dualen System zu verdanken. Nach einer Auswertung von Eurostat liegen wir mit knapp 72 Prozent Verwertungsquote von Verpackungsabfällen in Deutschland auch klar über dem europäischen Durchschnitt von rund 64 Prozent. Die deutsche Verpackungsverordnung von 1991 war sogar Beispiel für die europäische Verpackungsricht-linie, die drei Jahre später kam. Damit nehmen wir mit unserem Modell der Abfall- und Verwertungspolitik – wie bei so vielen anderen Umweltthemen auch – in Europa eine Vorreiterrolle ein. Und das ist gut so. Die sechste Novelle, die wir heute diskutieren, ist eine 1:1-Umsetzung der europäischen Richtlinie. Natürlich soll Europa nicht jedes Detail regeln. Auch während meiner Zeit als Europaabgeordnete war immer meine Devise: Wir brauchen mehr Europa im Großen und weniger im Kleinen. Mehr Leitplanken, aber weniger Stoppschilder! Aber zu den großen Fragen, die sich manchmal bis ins Detail auswirken können, zählen auch grenzüberschreitende Herausforderungen. Umweltschutz sowie Ressourceneffizienz sind solche grenzüberschreitenden Herausforderungen, die wir auch auf europäischer Ebene angehen müssen. Mein Ziel in der europäischen Umweltpolitik war es immer, die hohen deutschen Standards und die umweltpolitischen Erfolge, wie zum Beispiel hier bezüglich der Verwertungsquoten, auf die europäische Ebene zu heben. Diese Harmonisierung durch europäische Umweltgesetze birgt dann die Chance, dass wir für die Bürger ein einheitlich hohes Umwelt- und Ressourcenschutz-niveau in ganz Europa bekommen, und für die Unternehmen und Landwirte verbessern wir die Wettbewerbsbedingungen im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern. Deswegen macht es durchaus Sinn, die Abfallpolitik auf europäischer Ebene zu harmonisieren. Aber wir müssen nicht nur bei den Verwertungsquoten eine Vorbildfunktion übernehmen, sondern auch bei der Umsetzung der harmonisierten europäischen Vorgaben. Wenn wir – wie die Grünen das fordern – die sechste mit der siebten Novelle, die ausführlicher diskutiert werden muss, zusammenfassen, dann kommen wir sicher noch weiter in Verzug mit der Umsetzung. Zum Inhalt der sechsten Novelle ist noch Folgendes zu sagen: Wenn man sich den Text anschaut, der die EU-Richtlinie 1:1 umsetzt, findet man natürlich schon sehr detaillierte Beispiele dazu, was Verpackung ist und was nicht. Aber: Wir schaffen damit auch in allen EU-Mitgliedstaaten klare Kriterien, was Verpackung ist und was nicht. Das hilft den Behörden in allen EU-Mitgliedstaaten, besser entscheiden zu können, ob bestimmte Verpackungen den Rücknahme- und Verwertungspflichten -unterliegen. Letztendlich entwickeln wir damit die Kreislaufwirtschaft fort und erreichen, dass mehr Abfälle wiederverwertet werden. Von der Linksfraktion wird kritisiert, dass die Beispielliste für Verpackungen nicht stimmig sei. Die Linke befürchtete in der Debatte im Umweltausschuss, dass Glasflaschen für Injektionslösungen, die noch gefährliche Stoffe oder Medikamente enthalten, in den gelben Sack gelangen könnten. Man muss sich die Verpackungsverordnung aber mal genau anschauen. Diese Befürchtungen kann ich nicht nachvollziehen. Es gibt spezielle Regeln für die Entsorgung von toxischen und infektiösen Abfällen. Und die Verpackungsverordnung regelt in § 2 ganz klar, dass diese speziellen Rechtsvorschriften von der Verordnung unberührt bleiben und die speziellen Rechtsvorschriften weiterhin gelten. Der Grund, weshalb die Linksfraktion im Ausschuss nicht zugestimmt hat, ist also vorgeschoben und die Sorge nicht begründet. Das muss man den Abgeordneten der Linksfraktion so deutlich sagen! Lassen Sie uns die sechste Novelle, die im Wesentlichen eine 1:1-Umsetzung der Europäischen Richtlinie von Januar letzten Jahres ist, schnell verabschieden. Hier müssen wir jetzt alle an einem Strang ziehen. In einem nächsten Schritt müssen wir uns dann sehr schnell um die siebte Novelle und die Stärkung des Dualen Systems kümmern. Die Vorbereitungen dazu laufen bereits. Wir müssen diese Novelle aber gut und gründlich beraten. Ich denke, dass wir uns alle einig sind, dass wir das Duale System mit der flächendeckenden haushaltsnahen Entsorgung mit hohen Verwertungsquoten erhalten wollen. Gut funktionierende Systeme – die in Europa Schule gemacht haben – dürfen nicht ohne Not kaputtgemacht werden. Deshalb müssen wir mit der siebten Novelle zur Verpackungsverordnung Lösungen finden, um den Missbrauch der Ausnahmen bei der Lizenzierung von Verpackungsmüll einzudämmen. Dafür werden wir uns hier alle einsetzen. Michael Thews (SPD): Diese kleinen Backförmchen, die man kauft, um da drin Schokoladenmuffins für den Kindergeburtstag zu backen – kennen Sie die? Nein? Aber vielleicht haben Sie schon einmal einen fertig gebackenen Muffin in einer Bäckerei gekauft, der Ihnen in einem solchen braunen oder bunten Förmchen verkauft wurde. Zwischen diesen beiden Förmchen gibt es tatsächlich einen Unterschied. Das eine – aus der Bäckerei – gehört in den gelben Sack oder die gelbe Tonne, weil es als Verpackung verkauft wird, das andere in die graue Restmülltonne, weil es keine Verpackung ist. Das eine Förmchen in der gelben Tonne wird auf Kosten des Herstellers und Vertreibers des Muffins abtransportiert, der Abtransport des anderen in der grauen Tonne wird durch die Müllgebühren finanziert. Denn das eine ist Verpackungsmüll, für den die Herstellerverantwortung gilt, das andere Förmchen nicht. Die Unterscheidung dieser beiden Fälle – und weiterer – ist wesentlicher Inhalt dieser sechsten Novelle der Verpackungsverordnung, über die wir heute debattieren. Denn diese sechste Novelle, die eine europäische Richtlinie umsetzt, enthält lediglich einige Klarstellungen dazu, was als Verpackung zu werten ist und was nicht, was in die gelbe Tonne gehört und was nicht. Sie ändert an keiner Stelle die bestehende Rechtssituation, sondern liefert nur zusätzliche Beispiele für die Unterscheidung zwischen Verpackungen und Nichtverpackungen. Außerdem enthält sie noch eine von der Kommission angemahnte Klarstellung zum Begriff der Transportverpackung, wie Container. Mein Beispiel mit den Muffinförmchen mag ihnen lächerlich und als Ausdruck der absurden Auswüchse des deutschen Mülltrennungswesens erscheinen. Und wenn es nach der SPD geht, und ich glaube das ist ein ganz wichtiger Aspekt, werden wir auch bald beide Förmchen in eine Wertstofftonne werfen, so wie es bereits in vielen Fällen in Deutschland getan wird, wo die Wertstofftonne jetzt schon angeboten wird. Zurzeit aber ist dieser Unterschied wesentlich. Denn seit Einführung der Verpackungsverordnung im Jahre 1991 wird Verpackungsmüll anders behandelt. Aber zunächst zurück zu dieser sechsten Novelle: Das Land Nordrhein-Westfalen wollte ursprünglich bereits mit dieser sechsten Novelle weitere Änderungen der Verpackungsverordnung auf den Weg bringen. Diese Änderungen richten sich darauf, bestimmte Schlupflöcher im System der Verpackungsverordnung zu stopfen. Da die Bundesregierung aber mit der Umsetzung der oben erwähnten EU-Richtlinie im Verzug ist und bereits ein Vertragsverletzungsverfahren läuft, wollen wir zunächst diese sechste Novelle ohne weiteren Verzug umsetzen – wir halten diesen Weg für den besseren. Die weiter notwendigen Änderungen wollen wir mit der siebten Novelle noch vor der Sommerpause anpacken. Der Entwurf dieser siebten Novelle liegt bereits vor. Dennoch stellt sich die Frage: Warum so viele Änderungen? Das mag nachdenklich stimmen und lässt die Frage aufkommen: Wieso muss denn da so oft nachgebessert werden? Sind wir denn mit unserem System der Verpackungsentsorgung und -verwertung und dem Prinzip der Produktverantwortung auf dem richtigen Weg? Ich meine die Antwort ist ganz klar: Ja! Die Verpackungsverordnung ist ein klares Erfolgsmodell, was manchmal vielleicht etwas aus dem Blick gerät. Die Verpackungsverordnung hat dafür gesorgt, dass es in Deutschland eine qualitativ hochwertige stoffliche Verwertung von Verpackungen gibt. Hierbei sind wir europaweit und weltweit an der Spitze. Die Verpackungsverordnung hat für den Aufbau einer leistungsstarken Recyclingindustrie und vorbildlichen Recyclingtechnik in Deutschland gesorgt. Laut Zahlen aus dem BMUB arbeiten fast 200 000 Beschäftigte in etwa 3 000 Unternehmen im Bereich der Kreislaufwirtschaft. Die Verpackungsverordnung hat für einen wichtigen Paradigmenwechsel gesorgt. Sie hat die Verantwortung der Hersteller für die Entsorgung und Verwertung ihrer Verpackungen und der daraus entstehenden Abfälle eingeführt. Diese Produktverantwortung ist für mich der Schlüssel, um das primäre Ziel der Abfallhierarchie des Kreislaufwirtschaftsgesetzes – nämlich die Vermeidung von Abfällen – erreichen zu können. Natürlich gibt es bei diesem System Verbesserungsmöglichkeiten und auch Verbesserungsnotwendigkeiten. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Udo di Fabio hat es in einem Gutachten zur Selbstregulierung im Verpackungsbereich so formuliert: Eine gesetzlich regulierte Kreislaufwirtschaft, die öffentliche und private Abfallverantwortung zusammenführt, entwickelt sich dynamisch und bedarf immer wieder einer steuernden Nachkorrektur und einer angemessenen Aufsicht. Deshalb müssen wir uns zeitnah, sobald wir hier die sechste Novelle beschlossen haben, an die Beratung der siebten Novelle machen. Denn wir wollen dieses System weiter stabilisieren und verbessern, um die Ziele des Kreislaufwirtschaftsgesetzes zu verfolgen. Mit der siebten Novelle sollen bestehende Wettbewerbsverzerrungen beseitigt und Missbrauchsmöglichkeiten eingedämmt werden. Schon der SPD-Abgeordnete Gerd Bollmann hat in seiner Rede zur fünften Novelle am 21. Februar 2008 von unseriösen Selbstentsorgern und Trittbrettfahrern gesprochen, denen Einhalt geboten werden muss. Ähnliches müssen wir leider auch heute feststellen: In der letzten Zeit wurden offenbar verstärkt Regelungen der Verpackungsverordnung zur Eigenrücknahme und zur sogenannten Branchenlösung als Schlupflöcher genutzt; vielleicht zum Teil um Geld zu sparen oder um sich Wettbewerbsvorteile gegenüber unliebsamen Konkurrenten zu verschaffen. Die Folge ist: Das System wurde destabilisiert. Die Menge der bei den Dualen Systemen lizenzierten Verkaufsverpackungen, für deren Abtransport und Entsorgung der Hersteller zahlt, hat als Folge davon abgenommen, die Menge der Verpackungen im gelben Sack ist aber gleich geblieben. Diese Fehlentwicklung müssen und werden wir aufhalten. Wir sollten die Errungenschaften, die uns die Verpackungsverordnung gebracht hat, aber eben auch das große Engagement der Bürgerinnen und Bürger bei der Mülltrennung nicht aufs Spiel setzen. Wir müssen die Glaubwürdigkeit des Systems wiederherstellen. Denn es ist immer noch so, dass nur eine vernünftige Mülltrennung hochwertige Recyclingergebnisse bringen kann. Die Grünen haben einen Entschließungsantrag zu dieser sechsten Novelle eingebracht, in dem sie fordern, dass die Recyclingziele für Verpackungsabfälle in der Verpackungsverordnung auf das derzeit technisch Mögliche erhöht werden sollen. Das ist definitiv nicht unser Ziel. Bei der Erhöhung der Recyclingquoten, die wir auch wollen, müssen wir immer auch die ökologischen, energetischen und finanziellen Auswirkungen mit abwägen. Vernünftige Recyclingquoten müssen sich am ökologisch und am ökonomisch Sinnvollen orientieren und nicht nur am technisch Machbaren. Auch die anstehende siebte Novelle wird sicher nicht die letzte Überarbeitung des Systems sein. Denn das, was wir als Nächstes brauchen, ist ein vernünftiges Wertstoffgesetz. Wir wollen in Zukunft auch die Wertstoffe, die in den Muffinförmchen, Kleiderbügeln, Gummienten und Blumentöpfen stecken, die bisher in der grauen Tonne landen, in einen Stoffkreislauf überführen, um wertvolle Rohstoffe und Energie einzusparen. Die sechste Novelle ist nun die Pflicht, die siebte ist dringend erforderlich, aber die Kür, da bin ich sicher, wird ein Wertstoffgesetz sein für mehr Ressourcenschutz und für mehr Verbraucherfreundlichkeit. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Elf Duale Systeme, also Betreiberfirmen, kümmern sich um die gelbe Tonne für Verpackungen. Aber so wie es ist, funktioniert es nicht. Die elf Betreiber gingen 2013 davon aus, dass 1,1 Millionen Tonnen Verpackungen in den gelben -Tonnen und Säcken landen, denn darüber schlossen die Betreiberfirmen Entsorgungsverträge ab. Tatsächlich kamen jedoch 2,4 Millionen Tonnen Verpackungen in den gelben Tonnen zusammen. Wie konnte denn das passieren? Ich schaue mal in unsere Runde. Frau Kollegin, haben Sie nicht neulich den Plastikkleiderbügel, den Sie mit Ihrem neuen Mantel kauften, in die gelbe Tonne geworfen? Ich kann Sie beruhigen, das war richtig, aber falsch war, dass Sie die fünf Plastikkleiderbügel von Ikea beim Aufräumen auch in der gelben Tonne entsorgten – die gehörten in den Müll. Nur Kleiderbügel, die zusammen mit Kleidungsstücken gekauft wurden, sind Verpackungen – schreibt die Verpackungsverordnung. Ein zweites Beispiel: Wie man weiß, essen viele von uns Männern unterwegs gern mal eine Currywurst – mit Pommes. Aber wohin dann mit der Plastikschale und dem Plastikbesteck? Die Plastikschale darf in die gelbe Tonne, das Plastik-besteck jedoch nicht, das gehört in den Müll – schreibt die Verpackungsverordnung. Aber wenn Sie die Currywurst zu Hause braten und dann in eine Plastikschale legen, um sie draußen zu essen, dann ist die Plastikschale auch keine Verpackung und gehört in den Müll und auf keinen Fall in die gelbe Tonne – schreibt die Verpackungsverordnung. Haben Sie das Prinzip verstanden, oder wird Ihnen unwohl? Das zweite wäre normal, nur Mülltrennerinnen und Mülltrenner mit Diplom sehen noch bei diesen und noch absurderen Regelungen durch. Ich erinnere an die Begründung dieser Verpackungsverordnung: EU und Bundesregierung wollen mehr Klarheit schaffen – -heraus kommt Chaos, aber das ist perfekt. Ich bedanke mich auch für den zweckdienlichen Hinweis in dieser Verordnung, dass ein Schiffscontainer keine Verpackung ist und darum nicht in die gelbe Tonne gehört. Das Problem liegt woanders. Auch diese Verpackungsverordnung lässt große Lücken. Ein Beispiel: Ein Möbeldiscounter erklärt, dass er alle Verpackungen selbst einsammelt. Deshalb braucht er keinen -Entsorgungsvertrag mit einem der elf Betreiberfirmen abzuschließen. Bei ausgelieferten Möbelstücken nehmen die Monteure Folien, Schaumpolysterol und Luftpolster mit. Aber die vielen Selbstabholer schaffen die Verpackungen einfach nicht zum Discounter, sondern werfen alles in die gelbe Tonne. Wer bezahlt das dann? Der Discounter nicht, und die elf Betreiberfirmen streiten sich dann um jeden Cent bis vor Gericht, und am Ende bleiben Kommunen und kleine Dienstleister auf den Kosten sitzen. Dieses untaugliche System kann man aus Sicht der Linken nicht verbessern, man muss es abschaffen. Die Linke will, dass Verpackungen und Rohstoffe gut erfasst werden, dass jeder das Sammelsystem auch verstehen kann, dass dieses System Verschwendung bei Verpackungen bestraft und Recycling unterstützt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher stoffgleiche oder sogar identische Produkte über die gelbe Tonne entsorgen können. Deshalb will die Linke eine Verpackungsverordnung, die funktioniert. Erstens: Statt aufwendiger Lizenzierungen werden Verpackungsabgaben eingeführt – das vermindert den Betrug . Zweitens: Statt Scheinwettbewerb zwischen Dualen Systemen setzen wir auf kommunale Erfassungssysteme – das spart Doppelstrukturen . Drittens setzen wir auf Positivlisten bei Verpackungsmaterialien und auch bei Verpackungsgrößen – das erleichtert das Recycling. Arbeiten wir gemeinsam an besseren Lösungen, statt an dieser vorgeschlagenen Verordnung Zeit und Arbeitskraft zu verschwenden. Die Dualen Systeme sind ein -totes Pferd, das niemand mehr reiten kann. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was bewegt aktuell die Verpackungs- und Recyclingbranche? Es geht um die Zukunft und die aktuellen Probleme der Dualen Systeme, es geht um Recyclingquoten, die weit hinter dem technisch Machbaren zurückbleiben. Es geht um Planungs- und Investitionssicherheit für Kommunen, private Entsorger und Verwerter. Und was legt die Bundesregierung uns heute vor? Eine „Strafarbeit“, weil die letzte Bundesregierung es über Jahre trotz vielfacher Ankündigungen nicht fertig- gebracht hat, EU-Recht in deutsches Recht umzusetzen. Diese „Strafarbeit“ regelt nun nicht etwa die anstehenden Zukunftsfragen, sondern so wichtige Themen wie: a) dass Teebeutel, Seecontainer und Grablichter nicht als Verpackung gelten , b) Wimperntuschebürsten als Bestandteil des Packungsverschlusses dagegen schon. Dagegen haben wir im Prinzip gar nichts einzuwenden. Es fehlen aber einige weitere Änderungen. Dazu zählen einfache Anpassungen, um Fehler der jetzigen Verpackungsverordnung aufzufangen, und einige wesentlichere Änderungen. Kurz zu den offensichtlichen Fehlern der Verpackungsverordnung, die auch keiner bestreitet: die Ausnahmen von der Lizensierung von Verpackungen – die sogenannten Branchenlösungen und Eigenrücknahmen. Eigentlich war es Ziel dieser Ausnahmen, die direkte Produktverantwortung zu stärken, also zu fördern, dass sich Hersteller und Handel selber um das Recycling ihrer Verpackungen kümmern, anstatt sich über Lizenzgebühren „freizukaufen“. Darum sollte es eigentlich gehen. Was inzwischen aber passiert, sind Ausweichmanöver, um sich um die Lizenzabgaben zu drücken. Bei den Eigenrücknahmemengen kann nicht kontrolliert werden, ob diese Verpackungen tatsächlich in den Läden zurückgenommen werden oder ob sie nicht doch in der gelben Tonne landen. Missbrauch und Trittbrettfahrertum konterkarieren den eigentlichen Sinn der Ausnahmen. Wir haben daher weitere Änderungen der Verpackungsverordnung vorgeschlagen, um diese negativen Entwicklungen einzudämmen. Auch das Umweltministerium hat diese Vorschläge für gut befunden. Aber anstatt sie in der sechsten Novelle noch aufzunehmen, wurde bereits eine siebte Novelle der Verpackungsverordnung auf den Weg gebracht. Dieses Verfahren erschließt sich uns nicht. Die Zeit drängt. Die in der siebten Novelle enthaltenen Änderungen sollten hier in der sechsten Novelle bereits drin sein. Dieses haben wir im Umweltausschuss durch einen Änderungsantrag eingebracht. Dieser wurde aber von den Regierungsfraktionen abgelehnt. Wir fragen uns: Warum? Denn diese Ablehnung ergibt überhaupt keinen Sinn. Sie verzögern nur das Verfahren der Umsetzung dieser wichtigen Änderungen. Darüber hinaus müssten noch einige weitere Punkte angegangen werden. In der Verpackungsentsorgung gibt es seit nunmehr neun Jahren Stillstand. Die jetzige Novelle ist halbherzig. Unsere Vorschläge für eine neue Verpackungsentsorgung: Die Recyclingquoten für Verpackungen müssen deutlich angehoben und dynamisch ausgestaltet werden. Eine Erhöhung des Recyclingzieles von derzeit 36 auf mindestens 60 Prozent ist für Plastik sofort machbar. Für uns ist dies ein absolutes Minimum, und es ginge pro-blemlos auch nach Aussagen der Recyclingbranche. Dies gäbe Investitionssicherheit für neue moderne Recyclinganlagen und leistete einen wichtigen Beitrag zum Erreichen unserer Klimaziele. Die Recyclingquoten müssten sich zudem automatisch nach oben anpassen, wenn sich noch bessere Recyclingverfahren durchsetzen. Die besten Ergebnisse vom Vorjahr sollten jeweils für das nächste Jahr zugrunde gelegt werden. Außerdem: Die letzte Bundesregierung hat ein unzureichendes Abfallvermeidungsprogramm vorgelegt, welches bis heute in den Kommunen nahezu unbekannt ist. Warum wird das Abfallvermeidungsziel hier nicht konkret gefasst? Überdimensionierte und überflüssige Verpackungen müssen verhindert werden. Dies alles sind Punkte, die verbal auch von dieser und der Vorgängerregierung unterstützt wurden und werden. Da wir der Regierung gerne bei der Umsetzung helfen wollen, bitten wir um Unterstützung aus diesem Hause für unseren Entschließungsantrag, der gleich zur Abstimmung stehen wird. Anlagen 1Anlage 2 2 Anlage 3 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 1894 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014 1893 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 1900 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014 1901