Plenarprotokoll 18/33 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 33. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Dr. h. c. Gernot Erler, Dr. h. c. Hans Michelbach, Rüdiger Veit, Dagmar Wöhrl, Thomas Oppermann und Ewald Schurer 2695 A Wahl der Abgeordneten Gabriele Fograscher und Florian Post als ordentliche Mitglieder für den Wahlprüfungsausschuss 2695 B Wahl der Abgeordneten Dr. Astrid Freudenstein als Schriftführerin 2695 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 2695 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 6 b, 8 und 10 2696 C Nachträgliche Ausschussüberweisungen 2696 D Begrüßung des Präsidenten des Staatsrates des Sultanats Oman, Herrn Dr. al-Manzari 2705 C Tagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur grundlegenden Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und zur Änderung weiterer Bestimmungen des Energiewirtschaftsrechts Drucksache 18/1304 2697 A b) Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ökostromförderung gerecht und bürgernah Drucksache 18/1331 2697 B Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi 2697 B Caren Lay (DIE LINKE) 2700 C Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) 2702 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2703 C Hubertus Heil (Peine) (SPD) 2705 C Caren Lay (DIE LINKE) 2707 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 2708 B Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) 2709 C Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2711 C Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 2712 C Dirk Becker (SPD) 2714 A Thomas Bareiß (CDU/CSU) 2715 C Alois Gerig (CDU/CSU) 2717 C Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Wolfgang Gehrcke, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kürzungspolitik beenden – Soziale Errungenschaften verteidigen – Soziales Europa schaffen Drucksache 18/1116 2718 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Beate Walter-Rosenheimer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpfen – Stopp des Programms MobiPro-EU sofort aufheben Drucksache 18/1343 2718 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 2719 A Mark Helfrich (CDU/CSU) 2720 A Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2721 D Mark Helfrich (CDU/CSU) 2722 B Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 2722 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) 2724 A Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU) 2725 A Harald Weinberg (DIE LINKE) 2726 B Michael Gerdes (SPD) 2726 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2728 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 2728 B Alexander Ulrich (DIE LINKE) 2729 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2730 A Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) 2730 C Alexander Ulrich (DIE LINKE) 2731 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2732 A Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) 2733 B Antje Lezius (CDU/CSU) 2734 B Dr. Matthias Bartke (SPD) 2735 D Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2736 C Tobias Zech (CDU/CSU) 2737 B Norbert Spinrath (SPD) 2739 A Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Hilfe für die Flüchtlinge aus Syrien – Unterstützung für die Nachbarstaaten Drucksache 18/1333 2740 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hilfe für die Flüchtlinge aus Syrien – Unterstützung für die Nachbarstaaten Drucksache 18/1335 2740 D Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ 2741 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) 2742 C Niels Annen (SPD) 2743 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2745 A Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI 2746 A Annette Groth (DIE LINKE) 2747 A Achim Post (Minden) (SPD) 2747 D Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2748 D Philipp Mißfelder (CDU/CSU) 2749 D Rüdiger Veit (SPD) 2751 A Andrea Lindholz (CDU/CSU) 2752 A Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Dezember 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien andererseits über den Gemeinsamen Luftverkehrsraum (Vertragsgesetz EU-Georgien-Luftverkehrsabkommen – EU-GEO-LuftverkAbkG) Drucksache 18/1224 2753 B b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Ausdehnung der Anwendung der Verordnung (EU) Nr. …/2013 über ein Aktionsprogramm in den Bereichen Austausch, Unterstützung und Ausbildung zum Schutz des Euro gegen Geldfälschung (Programm „Pericles 2020“) auf die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten Drucksache 18/1225 2753 C c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption durch Lebenspartner Drucksache 18/1285 2753 C d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Länder-öffnungsklausel zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und zulässigen Nutzungen Drucksache 18/1310 2753 C e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen Drucksache 18/1311 2753 D f) Antrag der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Henry-Kissinger-Stiftungsprofessur an der Universität Bonn verhindern Drucksache 18/1330 2753 D g) Antrag der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung einer Nelson-Mandela-Stiftungsprofessur für Friedenspolitik und Völkerrecht Drucksache 18/1329 2754 A h) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zur Umsetzung des Europäischen Semesters 2013 und der Europa 2020-Strategie unter besonderer Berücksichtigung der länderspezifischen Empfehlungen Drucksache 17/14622 2754 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Stadtentwicklungsbericht 2012 Drucksache 17/14450 2754 A Tagesordnungspunkt 25: Beratung der Ersten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses: zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 Drucksache 18/1160 2754 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Bankenabwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates – KOM(2013) 520 endg.; Ratsdok. 12315/1/13 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Für einen europäischen Bankenabwicklungsmechanismus und Bankenabwicklungsfonds Drucksache 18/1340 2754 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Ergebnisse des Treffens von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit US-Präsident Barack Obama 2754 D Jan Korte (DIE LINKE) 2754 D Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) 2756 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2757 C Dr. Rolf Mützenich (SPD) 2758 C Thorsten Frei (CDU/CSU) 2759 C Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) 2760 C Saskia Esken (SPD) 2761 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2762 C Jürgen Hardt (CDU/CSU) 2763 C Christian Flisek (SPD) 2764 C Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) 2765 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) 2766 C Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012) vom 21. November 2012, 2125 (2013) vom 18. November 2013 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 Drucksache 18/1282 2767 C Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg 2768 A Sevim Da?delen (DIE LINKE) 2768 D Michael Roth, Staatsminister AA 2769 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2771 C Philipp Mißfelder (CDU/CSU) 2772 C Florian Hahn (CDU/CSU) 2773 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Jürgen Trittin, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kündigung bilateraler Kooperationen im Bereich der Nutzung atomarer Technologien Drucksache 18/1336 (neu) 2774 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2774 D Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) 2776 A Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 2778 D Dr. Nina Scheer (SPD) 2780 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2781 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2782 A Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) 2783 C Namentliche Abstimmung 2785 A Ergebnis 2786 D Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Drucksachen 18/910, 18/1283, 18/1359 2785 B Bernd Rützel (SPD) 2785 B Jutta Krellmann (DIE LINKE) 2789 A Wilfried Oellers (CDU/CSU) 2789 D Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2791 A Gabriele Groneberg (SPD) 2792 A Albert Stegemann (CDU/CSU) 2793 C Tobias Zech (CDU/CSU) 2794 D Namentliche Abstimmung 2796 A Ergebnis 2797 D Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abschaffung der Zwangsverrentung von SGB-II-Leistungsberechtigten Drucksache 18/589 2796 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 2796 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) 2800 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2801 A Markus Paschke (SPD) 2802 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 2804 A Jutta Eckenbach (CDU/CSU) 2805 A Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 2806 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2806 C Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Mehr Transparenz bei Rüstungs-exportentscheidungen sicherstellen Drucksache 18/1334 2807 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für ein generelles Verbot des Exports von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern Drucksache 18/1348 2807 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Dr. Frithjof Schmidt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Echte Transparenz und parlamentarische Beteiligung bei Rüstungsexportentscheidungen herstellen Drucksache 18/1360 2807 C Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) 2807 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2809 A Jan van Aken (DIE LINKE) 2809 C Bernd Westphal (SPD) 2811 A Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2812 A Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) 2813 A Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 2814 D Namentliche Abstimmung 2815 D Ergebnis 2818 C Zusatztagesordnungspunkt 8: Vereinbarte Debatte: zum Europäischen Tag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung 2816 A Oliver Kaczmarek (SPD) 2816 A Katrin Werner (DIE LINKE) 2817 B Uwe Schummer (CDU/CSU) 2820 B Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2822 A Kerstin Tack (SPD) 2823 A Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2823 C Jutta Eckenbach (CDU/CSU) 2824 C Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 2825 C Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hochschulpakt fortsetzen und aufstocken Drucksache 18/1337 2826 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2826 C Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) 2827 C Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 2828 C Oliver Kaczmarek (SPD) 2829 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2831 B Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) 2831 D Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens Drucksache 18/1284 2833 A Dr. André Berghegger (CDU/CSU) 2833 A Frank Tempel (DIE LINKE) 2834 A Gabriele Fograscher (SPD) 2835 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2836 A Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) 2837 A Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Halina Wawzyniak, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alleinerziehende entlasten – Unterhaltsvorschuss ausbauen Drucksache 18/983 2837 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 2838 A Gudrun Zollner (CDU/CSU) 2838 D Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2839 C Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 2840 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 2841 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2841 D Markus Koob (CDU/CSU) 2842 C Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes Drucksache 18/1305 2843 C Fritz Güntzler (CDU/CSU) 2843 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 2844 D Christian Petry (SPD) 2845 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2846 D Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) 2847 D Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Umgang mit Nährstoffen an die Umwelt anpassen Drucksache 18/1338 2848 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wasserqualität für die Zukunft -sichern – Düngerecht novellieren Drucksache 18/1332 2849 A Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2849 A Josef Rief (CDU/CSU) 2850 A Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 2851 B Rita Hagl-Kehl (SPD) 2852 B Artur Auernhammer (CDU/CSU) 2853 D Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichts Drucksache 18/1306 2855 A Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen – Soziale Ungleichheit weltweit überwinden Drucksache 18/1328 2855 B Nächste Sitzung 2855 C Berichtigung 2855 B Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 2857 A Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten der 32. Plenarsitzung (neu) 2857 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zur namentlichen -Abstimmung über den Antrag: Kündigung bilateraler Kooperationen im Bereich der Nutzung atomarer Technologien (Zusatztagesordnungspunkt 7) 2857 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen – Soziale Un-gleichheit weltweit überwinden (Tagesordnungspunkt 16) 2858 A Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) 2858 B Dr. Bärbel Kofler (SPD) 2859 C Heike Hänsel (DIE LINKE) 2861 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2861 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Tagesordnungspunkt 17) 2863 D Markus Koob (CDU/CSU) 2863 D Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 2864 C Richard Pitterle (DIE LINKE) 2865 C Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 2866 B Inhaltsverzeichnis 33. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 Beginn: 9.02 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich. Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, haben wir noch einige Wahlen durchzuführen. Davor würde ich gerne die Gelegenheit nutzen, den Kolleginnen und Kollegen, die während unserer parlamentarischen Osterpause besondere Geburtstage gefeiert haben, noch einmal herzlich zu diesem Ereignis zu gratulieren: Der Kollege Dr. h. c. Gernot Erler hat seinen 70. Geburtstag gefeiert. Der Kollege Dr. h. c. Hans Michelbach sowie der Kollege Rüdiger Veit haben ihren 65. Geburtstag gefeiert. Ihren 60. Geburtstag begingen die Kollegin Dagmar Wöhrl sowie die Kollegen Thomas Oppermann und Ewald Schurer. Allen Genannten und denjenigen, die nicht ganz so auffällige Geburtstage während der Osterpause hatten, möchte ich auch auf diesem Wege noch einmal herzlich gratulieren und alles Gute für das neue Lebensjahr wünschen. (Beifall) Was die notwendigen Wahlen angeht, schlägt die SPD-Fraktion für den Wahlprüfungsausschuss vor, die Kollegin Gabriele Fograscher für den Kollegen Michael Hartmann und den Kollegen Florian Post für den Kollegen Christian Flisek als ordentliche Mitglieder zu wählen. Sind Sie damit einverstanden? – Das sieht ganz danach aus. Damit sind die Kollegin Fograscher und der Kollege Post als ordentliche Mitglieder dieses Ausschusses gewählt. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, für die Kollegin Andrea Lindholz die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein als neue Schriftführerin zu wählen. – Auch dazu kann ich keinen Widerspruch erkennen. Dann ist die Kollegin Dr. Freudenstein als Schriftführerin gewählt. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Zur aktuellen Lage in der Ukraine (siehe 32. Sitzung) ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Beate Walter-Rosenheimer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpfen – Stopp des Programms MobiPro-EU sofort aufheben Drucksache 18/1343 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hilfe für die Flüchtlinge aus Syrien – Unterstützung für die Nachbarstaaten Drucksache 18/1335 ZP 4 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 24) Unterrichtung durch die Bundesregierung Stadtentwicklungsbericht 2012 Drucksache 17/14450 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien ZP 5 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 25) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Bankenabwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates KOM(2013) 520 endg.; Ratsdok. 12315/1/13 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Für einen europäischen Bankenabwicklungsmechanismus und Bankenabwicklungsfonds Drucksache 18/1340 ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Ergebnisse des Treffens von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit US-Präsident Barack Obama ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Jürgen Trittin, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kündigung bilateraler Kooperationen im Bereich der Nutzung atomarer Technologien Drucksache 18/1336 ZP 8 Vereinbarte Debatte zum Europäischen Tag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für ein generelles Verbot des Exports von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern Drucksache 18/1348 ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten -Agnieszka Brugger, Katja Keul, Dr. Frithjof Schmidt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Echte Transparenz und parlamentarische Beteiligung bei Rüstungsexportentscheidungen herstellen Drucksache 18/1360 ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den Umgang mit Nährstoffen an die Umwelt anpassen Drucksache 18/1338 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wasserqualität für die Zukunft sichern – Düngerecht novellieren Drucksache 18/1332 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem werden die Tagesordnungspunkte 6 b, 8 und 10 abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Schließlich mache ich auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam: Der am 14. Februar 2014 (15. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen Drucksache 18/407 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Der am 20. März 2014 (23. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Innenausschuss (4. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption durch Lebenspartner Drucksache 18/841 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Der am 4. April 2014 (27. Sitzung) überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Tourismus (20. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Beratung des Antrags der Abgeordneten Corinna Rüffer, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fünf Jahre UN-Behindertenrechtskonvention – Sofortprogramm für Barrierefreiheit und gegen Diskriminierung Drucksache 18/977 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Tourismus Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur grundlegenden Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und zur Änderung weiterer Bestimmungen des Energiewirtschaftsrechts Drucksache 18/1304 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ökostromförderung gerecht und bürgernah Drucksache 18/1331 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keine Einwände. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes wollen wir sicherstellen, dass die Energiewende weiter vorankommt. Bei den Ausbaupfaden für Windenergie und Photovoltaik wird die Höhe nicht etwa, wie gelegentlich öffentlich behauptet, verringert, sondern verstetigt, und sie werden sogar weiter ausgebaut. Der Ausbaupfad der Photovoltaik bleibt wie bisher. Beim Ausbaupfad für Windenergie an Land legen wir mit ebenfalls 2,5 Gigawatt pro Jahr den höchsten Wert als Ziel fest, den wir in den letzten zehn Jahren nur ein einziges Mal erreicht haben. Damit werden die beiden kostengünstigsten Formen der erneuerbaren Energien die Energiewende weiterhin tragen. Beim Ausbaupfad für die eher kostenintensive Biomasse erfolgt eine Festlegung auf die Verwendung von Reststoffen und auf 100 Megawatt pro Jahr. Bei Offshorewind wollen wir durch einen Ausbaupfad von 6,5 Gigawatt bis 2020 die Größenordnung erreichen, die wir brauchen, um eine echte Industrialisierung voranzutreiben und damit deutliche Kostensenkungen auch in diesem Feld der Produktion erneuerbarer Energien zu erreichen. Die Stahl- und Werftindustrie im Norden und Osten Deutschlands, aber auch der Maschinenbau und die Elektrotechnik im Westen und im Süden der Republik werden davon profitieren. Ich nenne diese ambitionierten Ausbauziele so detailliert, um zu zeigen, dass niemand Sorge haben muss, die Energiewende würde ausgebremst oder die Ausbauziele der erneuerbaren Energien würden insgesamt begrenzt, im Gegenteil. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Herr Krischer, ich sage dies insbesondere wegen Ihnen. Hören Sie einfach einmal zu. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Der versteht das aber nicht!) Herr Krischer, bei Kenntnis der Grundrechenarten muss man Folgendes erkennen: Zehn Jahre lang ist nur einmal die Leistung von 2,5 Gigawatt an Land erreicht worden, und jetzt liegt ein Gesetzentwurf vor, in dem vorgesehen ist, dass man diese 2,5 Gigawatt jedes Jahr erreicht. Angesichts dessen ist es bei Kenntnis der Grundrechenarten relativ schwer, öffentlich zu behaupten, man würde den Ausbau der Windenergie an Land ausbremsen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Aber umgekehrt gilt auch: Dort, wo nach 20 Jahren Förderung die Kosten nicht gesunken, sondern gestiegen sind, fahren wir den Ausbau deutlich zurück. Dort, wo wir Überförderungen der Windenergie sehen – auch dies ist zum Teil bei sehr guten Standorten der Fall –, bauen wir die Überförderung ab. Beides gehört zusammen: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ausbau der kostengünstigen Energieträger und Abbau der kostenintensiven Energieträger und der Überförderung – nur durch diese Kombination machen wir die Energiewende erfolgreich, sicher und bezahlbar. Heute haben die erneuerbaren Energien am Strommarkt einen Anteil am Stromverbrauch von etwa 25 Prozent. Wir wollen 2025 einen Anteil der erneuerbaren Energien am Nettostromverbrauch von 40 bis 45 Prozent haben, bis 2035 sogar von 55 bis 60 Prozent. Deutschland wird Vorreiter für eine Energiepolitik bleiben, die uns mittel- und langfristig übrigens auch unabhängiger vom Import konventioneller Energieträger machen wird. Wir setzen die Energiewende damit unbeirrt fort, aber wir sichern auch ihre Voraussetzungen. Diese lauten: Bezahlbarkeit und Sicherheit in der Versorgung. Nur wenn wir diese beiden Voraussetzungen gewährleisten, wird die Energiewende dauerhaft die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger behalten. Ich will mich an dieser Stelle ausdrücklich bei all denen bedanken, die sich dieser Herausforderung gerade in den letzten Wochen und Monaten intensiv gestellt haben. Das gilt auch für die Länder, meine Damen und Herren. Trotz mancher Änderungsvorschläge im Detail, die sicher auch in den Beratungen im Deutschen Bundestag und im Bundesrat auftauchen werden – über sie muss noch diskutiert und es muss entschieden werden –, findet der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf nach intensiver Beratung in Zielrichtung und Ausrichtung die Zustimmung aller Ministerpräsidenten der Bundesländer. Das gilt ausdrücklich auch für den Weg in die Marktintegration und in die Ausschreibungen ab 2017. Niemand – darauf lege ich Wert – muss Angst davor haben, dass auf diesem Weg Bürgerwindparks oder Energiegenossenschaften keine Chance auf Teilnahme mehr erhalten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja? Sind Sie da sicher?) Im Gegenteil: Wir werden einen gesonderten Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, mit dem wir diese Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger nachhaltig sichern werden, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Zustimmung der Länder zu diesem Gesetzentwurf, jedenfalls in Zielrichtung und Ausrichtung, ist auch deshalb so wichtig, weil das Wichtigste für die Energiewende natürlich Planbarkeit und Berechenbarkeit sind. Wir müssen in eine Situation kommen, in der auch bei wechselnden Regierungsmehrheiten in Bund und Ländern nicht wieder Richtungswechsel herbeigeführt und veränderte Rahmenbedingungen für die Energiewende erzeugt werden. Meine Damen und Herren, als der Beschluss fiel, erneuerbare Energien mit garantierten Abnahmepreisen zu fördern, waren Windräder und Photovoltaikkraftwerke erst eine Nischentechnologie. Heute sind die Erneuerbaren auf dem Weg zur Leittechnologie. Genau deshalb müssen wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz jetzt ändern. Es ist ein Unterschied, ob ein Gesetz eine Nischentechnologie fördern soll oder ob es eine Technologie fördern soll, die sozusagen zum veritablen Bestandteil, zum Leitbestandteil des Strommarktes werden soll. Vieles ist durch den Ausbau der Erneuerbaren in großem Stil verbessert worden. Seit es das EEG gibt, konnten vor allen Dingen die Kosten der Stromerzeugung in den Bereichen Windenergie und Photovoltaik drastisch gesenkt werden. Aber diese rasche Entwicklung hat auch ihren Preis, und zwar im doppelten Sinn: Neben sinkenden Kosten pro Anlage gibt es steigende Systemkosten der Energiewende. Diese gilt es in den nächsten Wochen und Monaten zu stabilisieren. Denn der Ausbau der erneuerbaren Energien ist vor allen Dingen in systematischer Hinsicht eine Herausforderung. Es ist falsch, „Je schneller, desto besser“ zum Motto der Energiewende zu erklären. Das Motto muss lauten: „Je systematischer, desto besser“ und „Je planvoller, desto besser“. Das muss das Ziel der Energiewende sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für diese systematische Einbindung fehlt es zurzeit immer noch an vielem: Es fehlt an Netzen und Speichern. Es fehlt die Klärung der Verbindung zwischen erneuerbaren Energien und fossilen Kraftwerksparks. Es fehlt an einem neuen Strommarktdesign. Es fehlt an europäischer Einbettung. Es fehlt natürlich auch an einem funktionierenden Emissionshandel. All diese Aufgaben müssen in den nächsten Monaten angegangen werden. Das, was wir jetzt vorliegen haben, ist nur ein erster Baustein. Die systematische Einbindung ist aber die Voraussetzung für den Erfolg der Energiewende. Eine Bemerkung noch zum Emissionshandel. Natürlich ist es eigentlich unfassbar, dass wir viel Geld für die Förderung der erneuerbaren Energien ausgeben und gleichzeitig seit zwei Jahren steigende CO2-Emissionen in Deutschland und Europa zu verzeichnen haben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was tun Sie dagegen?) – Herr Krischer, ich bin dankbar für jeden Zwischenruf von Ihnen, weil er zur Belebung solcher Reden hilfreich ist. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Aber es ist eben nicht so, wie Sie behaupten. Das Schlimme ist, Herr Krischer: Sie wissen das ganz genau. In einer aufgeklärten Debatte darf man nicht das Gegenteil dessen, was man selber genau weiß, öffentlich erklären. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich meine das nicht persönlich. Es ist aber gut, dass man angesichts solcher Zwischenrufe die Sachverhalte erläutern kann. Wie Sie wissen, ist das Problem, dass der europäische Emissionshandel zerstört ist. Es ist diese Bundesregierung, die sich in Euro pa darum bemüht, Bündnispartner zu gewinnen, um den Emissionshandel endlich wieder in Gang zu bekommen. Sie sollten uns dafür loben und uns nicht öffentlich kritisieren! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, in den letzten Wochen ist viel darüber debattiert worden, ob es richtig ist, die deutsche Industrie von den Kosten der Energiewende in Teilen zu befreien. Immer wieder wird dabei der Versuch unternommen, die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher gegen die Interessen am Erhalt industrieller Arbeitsplätze auszuspielen. Auch gestern in der Fragestunde im Deutschen Bundestag ist das wieder in Teilen der Fall gewesen. Ich glaube, dass der Versuch, Verbraucher gegen industrielle Arbeitsplätze auszuspielen, grundfalsch ist, meine Damen und Herren, grundfalsch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zunächst muss man einmal mit der Mär aufräumen, die deutsche Industrie würde keinen Beitrag zur Umstellung auf erneuerbare Energien leisten. Der Beitrag der deutschen Industrie zur EEG-Umlage umfasst mehr als 7 Milliarden Euro. Wenn Sie Dienstleistungen, Handel und Gewerbe dazuzählen, sind es insgesamt mehr als 12 Milliarden Euro. Das ist mehr als die Hälfte der Kosten, die wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu bewältigen haben. In Wahrheit geht es um ungefähr 2 000 Industrie-unternehmen mit entsprechender internationaler Handelsintensität, deren Energieintensität dazu führt, dass drastisch steigende EEG-Umlage-Kosten für sie im Hinblick auf ihre internationale Konkurrenzfähigkeit zu einem massiven Wettbewerbsnachteil würden. Natürlich könnten wir einen Dreipersonenhaushalt bei den Stromkosten um 40 bis 45 Euro pro Jahr entlasten, wenn wir auch diesen 2 000 Unternehmen sämtliche Ausnahmen streichen würden. – Übrigens: Wenn man das machte, wovon Herr Krischer behauptet, ich hätte das versprochen, dann betrüge die Entlastung gerade einmal 1 Milliarde Euro, dann würde ein Dreipersonenhaushalt nicht einmal 10 Euro im Jahr sparen. – Der Preis dafür wäre allerdings der Verlust von Hunderttausenden industriellen Arbeitsplätzen in diesem Land. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!) Es ist doch keine Erfindung von Industrielobbyisten, dass die Strompreise in den USA halb so hoch sind wie in Europa und in Deutschland. Es ist doch keine Erfindung von Industrielobbyisten, dass, wenn wir uns nicht in der Europäischen Union dafür eingesetzt hätten, diese Ausnahmen beizubehalten, mittelständische Unternehmen mit 200, 300, 400 Beschäftigten auf einmal statt einer halben Million Euro EEG-Umlage 1,5 Millionen Euro, manche sogar 6 Millionen Euro zu tragen hätten. Sie wären unmittelbar in die Insolvenz marschiert. Deswegen ist es richtig, dass wir uns für diese Ausnahmen eingesetzt haben, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wer Verbraucher gegen industrielle Wertschöpfung ausspielt, der macht beide zum Verlierer; denn gerade die Tatsache, dass wir eine mittelständische industrielle Wertschöpfung haben, ist doch der Grund, warum wir besser aus der Krise herausgekommen sind als andere. Noch etwas: Wir wollten mit der Energiewende Nachahmer erzeugen. Wir wollten doch nicht Klimaschutz in Deutschland machen, sondern wir wollten andere dafür gewinnen, dass sie mitmachen. Das werden die aber nur dann tun, wenn wir mit der Energiewende den industriellen Erfolg unseres Landes nicht beschädigen. Wir werden doch kein Entwicklungsland dazu bringen, seinen Industrialisierungspfad nachhaltig mit erneuerbaren Energien zu gestalten, wenn das Land, das am stärksten industrialisiert ist in Europa, seine Industrie dabei beschädigt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Niemand würde uns folgen, meine Damen und Herren, niemand. Gestern hat das Kabinett deshalb die Besondere Ausgleichsregelung für stromintensive Unternehmen beschlossen. Weil auch dazu wirklich viele falsche Aussagen getroffen wurden, zum Beispiel, wir würden die Pelzindustrie oder den Braunkohletagebau oder Urananreicherungsanlagen fördern, will ich dazu einmal ein paar Bemerkungen machen: Entweder gehört ein Unternehmen zu den 68 Branchen auf der Liste, die die EU-Kommission veröffentlicht hat; dann hat es die Möglichkeit, beim BAFA einen Antrag zu stellen, um eine Befreiung zu erhalten. Das heißt aber noch nicht, dass dieser Antrag genehmigungsfähig ist – dazu muss das Unternehmen nachweisen, dass das Verhältnis Stromkosten zur Bruttowertschöpfung mindestens 16 bzw. 17 Prozent ausmacht. Deswegen wird das zitierte Unternehmen der Pelzindustrie oder auch die Urananreicherungsanlage in Zukunft genauso wenig wie in der Vergangenheit eine Ausnahme genehmigt bekommen. In der Vergangenheit gab es in Deutschland übrigens überhaupt keine Bedingungen dafür; das gesamte produzierende Gewerbe konnte Anträge stellen. Jetzt reduzieren wir das auf eine ausgewiesene Liste von Branchen. Aber es ist einfach – seien Sie mir nicht böse! – entweder mangelnder Kenntnisstand (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchenstunde!) oder absichtliche Desinformation, wenn öffentlich erklärt wird, jeder, der auf der Liste steht, würde eine Ausnahme genehmigt bekommen. Ich finde, es ist ganz einfach: Statt das öffentlich zu behaupten, kann der, der eine Frage hat, uns einfach einmal anrufen. Aber ich gebe zu: Die nächste Pressemitteilung wird dann schwieriger. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die zweite Möglichkeit ist: Man gehört zwar nicht zu diesen 68 Branchen, steht aber auf einer zweiten Branchenliste, die die EU-Kommission veröffentlicht hat. Um auf dieser zweiten Branchenliste zu erscheinen, ist nur eine Handelsintensität von mehr als 4 Prozent erforderlich. Nach unserer Besonderen Ausgleichsregelung kann ein Unternehmen demgegenüber nur dann einen entsprechenden Antrag stellen, wenn es eine Stromkostenintensität von mehr als 20 Prozent aufweist. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist bei 20 Prozent der Anreiz für Energieeffizienz?) – Das habe ich Ihnen gestern erklärt: Aus diesem Grund gibt es die Verordnungsermächtigung in dem Gesetzentwurf. Sie müssen die Vorlagen natürlich lesen, bevor Sie Pressemitteilungen herausgeben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich will nur darauf hinweisen, dass die Stromkostenintensität und die Handelsintensität der Branche Voraussetzungen dafür sind, dass man eine Ausnahmegenehmigung erhält. Noch etwas war und ist uns wichtig: In der Vergangenheit haben Unternehmen, zum Beispiel Schlachthöfe, damit begonnen, ihre Arbeitnehmer auszugliedern und sie in finsterste Werkvertragsverhältnisse zu bringen. Dadurch haben sie ihre Bruttowertschöpfung künstlich reduziert, um in den Genuss der Besonderen Ausgleichsregelung zu kommen. Wir haben in der EU durchsetzen können, dass wir die Wertschöpfung durch Leiharbeiter, Werkvertragsarbeitnehmer und andere mit zur Bruttowertschöpfung zählen können, damit wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht einen Anreiz dafür setzen, aus fairen Beschäftigungsverhältnissen zu fliehen. Das wird mit dieser Besonderen Ausgleichsregelung endlich geändert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aus den genannten Gründen ist es falsch, zu behaupten, dass sich bereits aus dem Erscheinen einer Branche auf der Liste automatisch der Anspruch auf eine Ermäßigung hinsichtlich der EEG-Umlage ergibt. Der vorliegende Entwurf des EEG orientiert sich eben nicht an Einzelinteressen, sondern zielt auf einen breiten Konsens über das übergeordnete Interesse unseres Landes ab. Meine Bitte ist, dass wir den Versuch unternehmen – und ich bin mir sicher, wir können das schaffen –, den Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause nicht nur hier, sondern auch im Bundesrat zu Ende zu beraten, weil das die Voraussetzung dafür ist, dass wir die Energiewende ohne weitere Konflikte mit der Europäischen Union, aber auch ohne Konflikte in Bezug auf Planungsunsicherheit fortsetzen und die erneuerbaren Energien erfolgreich ausbauen können. Ich sage aber auch: Das hier ist nur der erste Baustein dessen, was wir in dieser Legislaturperiode gemeinsam schaffen müssen. Es gibt noch viel mehr zu tun. Ich bin mir sicher, dass wir den gefundenen Konsens über den Ausstieg aus der Atomenergie auch hinsichtlich der Frage finden müssen, wie wir erneuerbare Energien, Netzintegration, Speicher, Kapazitätsmärkte und anderes miteinander organisieren können. Nur wenn wir bei der Energiewende einen breiten gesellschaftlichen Konsens erreichen, erreichen wir auch Planbarkeit und Sicherheit, und das ist die wichtigste Voraussetzung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Caren Lay für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Gabriel, ich muss mich über die Aussagen, die Sie heute zu den Industrierabatten gemacht haben, schon wundern. Vor ein paar Monaten – im Dezember; das ist ja noch nicht so lange her – wurden Sie noch mit völlig anderen Aussagen zitiert. (Sigmar Gabriel, Bundesminister: Ganz bestimmt nicht!) Dort hieß es: Man kann die Ausnahmeregelungen – gemeint waren die Industrierabatte – deutlich reduzieren, das haben wir auch schon im Wahlkampf gesagt, dass das sein muss. Das, was früher FDP und CDU da gemacht hatten, war viel zu groß. (Sigmar Gabriel, Bundesminister: Das machen wir auch nicht mehr!) Das ist offenbar lange her und längst vergessen; denn in der Zwischenzeit haben Sie sich damit gebrüstet, dass Sie die ganze Zeit mit viel Tamtam nach Brüssel gereist sind und die Anzahl der zu befreienden Unternehmen und Branchen ausgeweitet haben. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ahnungslos bis zum Gehtnichtmehr!) Am Ende haben Sie dann auch noch einen zum Teil unbefristeten Bestandsschutz für diejenigen Branchen durchgesetzt, die von CDU und FDP damals befreit wurden. Wissen Sie, das ist unlogisch. Ich finde es ein Stück weit unfair, sich von diesen ehemaligen Zielen so mir nichts, dir nichts zu verabschieden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dann sagen Sie hier: Die Verbraucher sollen sich nicht als Verlierer fühlen. – Schön wäre es! Wo sind denn bitte schön die Fakten, die diese Aussage unterlegen? Es bleibt doch auch bei dem, was Sie jetzt verhandelt haben, dabei, dass im Endeffekt die Rentnerin und der Student für Wiesenhof und die Steinkohleindustrie die Stromrechnung mitbezahlen. Dann sagen Sie auch noch: Das ist gut für den Wirtschaftsstandort Deutschland. – Ich frage Sie: Finden Sie das sozial gerecht? Ich jedenfalls nicht. (Beifall bei der LINKEN) Kommen wir zu Ihren wirtschaftspolitischen Aussagen. Auch bei dem, was jetzt im Rahmen der Industrie-rabatte verhandelt wurde, bleibt es prinzipiell möglich, dass der Bäcker an der Ecke für die Großbäckerei mit einem deutlich höheren Stromverbrauch die Stromrechnung mitbezahlt. Das ist doch wirtschaftspolitischer Unsinn. So kann es doch nun wirklich nicht gehen. (Beifall bei der LINKEN) Die Frage ist natürlich: Was kostet das Ganze? Sie stellen sich hier hin und sagen: Diese 40 bzw. jetzt schon 45 Euro im Jahr sind für eine durchschnittliche Familie eine erträgliche Summe, um die Industriestandorte in Deutschland zu subventionieren. – Wissen Sie, ich finde, das ist eine ganz schön zynische Haltung gegenüber all denjenigen Leuten, für die 45 Euro eine Menge Geld sind. Vielleicht sollten Sie das als Sozialdemokrat einmal mitbedenken. (Beifall bei der LINKEN) Es kann sein, Herr Minister, dass Ihnen diese 45 Euro nichts ausmachen. Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass diese Zwangskollekte für die deutsche Industrie auf Kosten der Stromzahler nur annähernd eine Mehrheit in der Bevölkerung finden würde. Wenn dieser Gesetzentwurf durch eine Volksabstimmung legitimiert werden müsste, dann würde er abgelehnt. Ich finde, das sollte auch der Deutsche Bundestag tun. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wissen Sie, die Öffentlichkeit diskutiert jetzt seit über einem Jahr, genauer gesagt: seit anderthalb Jahren, über die Reform der Ökostromförderung. Diverse Reisen nach Brüssel, Einladung der Kanzlerin von sämtlichen Ministerpräsidenten waren die Folge. Was ist am Ende dabei herausgekommen? Außer Spesen nichts gewesen! Die Verbraucher schauen weiterhin in die Röhre, und die Energiewende wird dabei abgewürgt. Dafür hat sich der ganze Aufwand wirklich nicht gelohnt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie sagen, Sie wollen den erneuerbaren Energien gar nicht an den Kragen gehen. Schön wäre es! Stichwort Arbeitsplätze: Die Branche der erneuerbaren Energien ist eine der zukunftsfähigsten Branchen in Deutschland. Hier sind über 400 000 Arbeitsplätze entstanden. In den letzten Jahren sind aber im Bereich der erneuerbaren Energien schon 10 000 Arbeitsplätze weggefallen, insbesondere in der Solarbranche und in Ostdeutschland. Experten gehen jetzt davon aus, dass mit Ihrem Gesetzentwurf die ganze Sache noch schlimmer wird und dass gerade im Bereich der erneuerbaren Energien Arbeitsplätze in Gefahr sind. Ich hätte mir schon gewünscht, dass Sie dazu wenigstens einen einzigen Satz gesagt hätten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir als Linke wollen Ökologisches und Soziales zusammendenken. Wir sagen: Wir brauchen die Energiewende, und wir wollen der Energiewende ein Sozialsiegel aufdrücken. Wir gehen nicht all denjenigen auf den Leim, die sagen: Die Erneuerbaren machen den Strom teurer. – Diese Menschen haben in Wirklichkeit nur die Profitinteressen der Kohle- und Atomlobby und die der Großindustrie im Hinterkopf. Das machen wir als Linke nicht mit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Schon einmal etwas von Industriegewerkschaften gehört?) – Es wäre ein Leichtes und auch möglich, die Stromkosten für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu senken; Herr Heil, vielen Dank für Ihren Zwischenruf. Die SPD hatte gemeinsam mit uns im Wahlkampf den einen oder anderen klugen Vorschlag eingebracht. Nehmen wir zum Beispiel die Senkung der Stromsteuer. Was ist denn daraus geworden? Nichts ist daraus geworden. Auf diesem Gebiet haben Sie keine einzige soziale Flankierung durchsetzen können. Ich finde, das ist für eine sozialdemokratische Politik ganz schön beschämend. (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir jetzt hier über die große Belastung der Industrie lamentieren, dann sagen Sie doch auch wenigstens ein einziges Wort zu den über 320 000 Haushalten im Jahr – Tendenz steigend –, denen der Strom abgestellt wird. Dazu habe ich vom Minister und auch von der Koalition kein einziges Wort gehört. Ich finde es schlimm, dass den Menschen der Strom abgestellt wird und Sie diese im Dunkeln sitzen lassen. Das muss endlich ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es gibt viele andere Möglichkeiten, die Stromkosten zu reduzieren und die Energiewende trotzdem nicht zu gefährden. Wir als Linke haben ein ganzes Paket dazu vorgelegt. Neben der Senkung der Stromsteuer wollen wir die Strompreisaufsicht wieder einführen. Auch das hatte die SPD noch im Wahlkampf gefordert. Heute haben Sie kein Wort dazu gesagt. Oder greifen Sie einen klugen Vorschlag von Klaus Töpfer, Ilse Aigner und auch von der Linken auf, einen Energiewendefonds einzurichten und mit einem Haushaltszuschuss und einer zeitlichen Streckung der Investitionszuschüsse für die Erneuerbaren zu mehr sozialer Gerechtigkeit beizutragen. Auch das wäre eine kluge Idee. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Auch wir als Linke wollen die Industrierabatte nicht komplett abschaffen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hört! Hört!) Auch uns liegen natürlich die Arbeitsplätze in der Industrie am Herzen. Aber so, wie Sie es vorschlagen, geht es nicht. Die Vergabe muss an klare Kriterien gebunden sein, und die Rabatte müssen deutlich reduziert werden. Das haben Sie noch vor ein paar Wochen gefordert. Ich würde mir sehr wünschen, dass Sie sich in der Debatte und bei der Gesetzesberatung wieder daran erinnern können. So, wie Sie es vorgeschlagen haben, geht es jedenfalls nicht. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, ich bin der Meinung, dass wir auf einem guten Weg sind, das EEG so zu reformieren, dass es am Ende des Tages Akzeptanz in der Bevölkerung findet. Das ist unsere Aufgabe. Aber dabei muss auch die Akzeptanz der Unternehmen gewahrt bleiben. Es kann nicht sein – wie es gerade von der Linken gefordert wurde –, dass man Unternehmen wissentlich und willentlich kaputtmacht; (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Caren Lay [DIE LINKE]: Wer tut das denn?) denn sie können in Deutschland nicht mehr arbeiten, wenn sie Strompreise nach linkem Muster zu bezahlen haben. Wer das fordert, der weiß genau, dass er in Deutschland diverse Grundstoffindustrien kaputtmacht. Wenn sie kaputt sind, dann gehen Wertschöpfungsketten kaputt, und dann haben wir – das gilt auch für Herrn Krischer – am Ende des Tages nichts gewonnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben ein EEG, das sehr, sehr teuer ist. Wir fördern in diesem Jahr die erneuerbaren Energien mit 23,8 Milliarden Euro. Auf 20 Jahre gerechnet sind wir nahe an einer halben Billion Euro Fördermittel. Das zeigt doch, wie sehr Deutschland bereit ist, in die Förderung einzusteigen. Die 23,8 Milliarden Euro entsprechen in etwa der Größenordnung des Verkehrsetats von Minister Dobrindt. Wenn wir in dem Bereich etwas mehr Geld für die Straßen hätten, dann würde es uns vermutlich etwas besser gehen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Dann wird der Klimawandel noch teurer!) Meine Damen und Herren, dieses Fördersystem muss eingeschränkt, verbessert und gedeckelt werden. Das ist in diesem Gesetzentwurf angelegt. Wir werden das eine oder andere im Gesetzgebungsverfahren noch intensiv diskutieren müssen. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir das hinbekommen. Wir nehmen 5,1 Milliarden Euro aus der Umlage heraus, damit uns die energieintensive Industrie nicht aus Deutschland flüchtet. In einem Punkt bin ich mit Ihnen, Herr Minister, nicht ganz einer Meinung. Ich war vor einigen Tagen in Washington auf einem Kongress. Die Amerikaner haben ein Fünftel unserer Stromkosten in den Bereichen, wo sie Schiefergas ausbeuten. Das ist gefährlich. Die Amerikaner betreiben eine Reindustrialisierungspolitik, und sie wollen gerade energieintensive Unternehmen anlocken, in den USA zu produzieren. Wenn diese bei uns wegfallen, gehen ganze Wertschöpfungsketten von A bis Z kaputt. Das trifft nicht nur den Stahlproduzenten, sondern auch den Stahlverarbeiter, den Oberflächenbeschichter sowie das Transportunternehmen, das die Güter hin- und herfährt. Das wissen wir alle, und deswegen wird das verhindert. Deswegen ist es auch völlig in Ordnung, dass wir diese Unternehmen befreien. Machen wir uns doch bitte nichts vor: Ohne diese Unternehmen käme es zu einem drastischen Anstieg der EEG-Umlage, weil dann wesentlich weniger industrieller Strom abgenommen würde. Dementsprechend müssten die anderen höhere Beträge zahlen. Das ist nun einmal nicht zu ändern. Es trifft auch nicht zu – wie Sie es behaupten –, dass die Großverbraucher komplett geschont werden. Der Entwurf der Bundesregierung sieht vor, dass wir zum Beispiel die Mindestumlage verändern. Wir haben dann eine doppelt so hohe Mindestumlage für die Großverbraucher. Das ist eine sehr spürbare Maßnahme. Wir haben dazu auch entsprechende Anrufe aus allen Branchen bekommen. Im EEG-Gesetzentwurf formulieren wir nun etwas – das ist wichtig –, was bislang für die erneuerbaren Energien fast Drohworte sind. Wir erwarten Eigenverantwortung, und wir wollen auch Wettbewerb. In Zukunft muss Wettbewerb herrschen. Das bedeutet Direktvermarktung und Ausschreibung. Beides sieht der Gesetzentwurf vor. Wir werden das intensiv begleiten. Wir müssen die Mentalität „Produce and forget“ beenden. Es kann nicht sein, dass jemand ein Produkt erzeugt – in diesem Fall Strom – und nicht dafür verantwortlich ist, dass es vermarktet wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe über 23 Jahre ein Unternehmen geführt. Ich hätte es sehr gerne gesehen, wenn ich meine Produkte einfach auf den Hof hätte stellen und sagen können: Seht zu, wie ihr damit klarkommt! – Wenn man sich um den Vertrieb überhaupt nicht kümmern muss, ist das sehr angenehm. Aber das kann so nicht weitergehen. Das müssen wir verändern; das ist unser Ziel. Das wird durch Direktvermarktung und Ausschreibungsregeln noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden. Das sind natürlich für die Erneuerbaren böse Worte. Aber das muss so sein. Wir wollen die Erneuerbaren nicht abwürgen, im Gegenteil. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir glauben Ihnen auf keinen Fall, dass Sie die Erneuerbaren nicht abwürgen wollen! Bei der SPD gab es Unfähigkeit! Bei Ihnen ist es Absicht!) Der Bundesminister hat eben die Ausbaufrage völlig zu Recht angesprochen. Einen geplanten jährlichen Zubau von jeweils 2 500 Megawatt im Wind- und Solarbereich kann man wahrlich nicht als Abwürgen bezeichnen. Deswegen sollten Sie das auch nicht behaupten. In einem Punkt bin ich mit dem Gesetzentwurf nicht ganz zufrieden. Das ist der Offshorebereich. Das wird besonders teuer. Da sollten wir sehr vorsichtig sein; denn wir können nicht mehr im bisherigen Stil weitermachen. Wie ich bereits zu Beginn meiner Rede erwähnt habe, geben wir bereits 500 Milliarden Euro aus. Jede Anlage, die hinzukommt, verteuert das Ganze noch einmal. In Deutschland darf es auch nicht 16 Energiewenden geben. Es darf nicht dazu kommen, dass jedes Bundesland sein eigenes Spielchen spielt. Rheinland-Pfalz will in 15 Jahren mithilfe der erneuerbaren Energien energieautark sein. Mir ist es unerklärlich, wie das in einem Bundesland wie Rheinland-Pfalz möglich sein soll. Ohne jegliche Absicherung durch andere Energieträger energieautark zu werden, dürfte ziemlich schwierig sein. Deswegen finde ich es richtig, dass die Bundesregierung in die Speicherforschung investiert. Gerade die erneuerbaren Energien benötigen Speicher. Wenn es keine entsprechenden kostengünstigen Speichermedien gibt, wird Autarkie allein mit Erneuerbaren nicht funktionieren. Ich will noch etwas zu den Windkraftanlagen sagen. Hören Sie gut zu, Herr Krischer! Nach heutigen Fördersätzen wird eine 3-Megawatt-Anlage – das entspricht dem Standard, der heute onshore gebaut wird – mit 6,5 Millionen Euro über eine Laufzeit von 20 Jahren gefördert. 500 Megawatt kosten gemäß heutigen Fördersätzen 1 Milliarde Euro Fördermittel. Der von uns vorgesehene Zubau von 2,5 Gigawatt pro Jahr kostet bei einer 20jährigen Laufzeit dementsprechend 5 Milliarden Euro Fördermittel. Das sind gewaltige Belastungen, die wir der Bevölkerung, aber auch den Unternehmen aufbürden. Das wollen und akzeptieren wir auch. Aber mehr kann und darf es nicht sein, weil es sonst nicht mehr zu tragen ist. Wie Sie wissen, werden sich die laufenden Förderungen frühestens im Jahr 2025 deutlich reduzieren, weil erst dann teure Anlagen der Vergangenheit aus der Förderung fallen. Wir müssen außerdem dafür sorgen, dass alle Maßnahmen betreffend die Steigerung der Effizienz und den Netzausbau so beschleunigt werden, dass weiterhin Anlagen aufgebaut werden können. Ohne einen vernünftigen Netzausbau funktioniert das Ganze überhaupt nicht. Ich halte es deshalb für sehr wichtig, dass wir begleitend die Verfahren für den Netzausbau beschleunigen; denn wenn keine Netze vorhanden sind, können wir den Strom beispielsweise nicht von Nord nach Süd transportieren und in den Verteilnetzen nicht für ein sinnvolles Hin und Her sorgen. Aber dazu müssen auch die Erneuerbaren – so steht es auch im Koalitionsvertrag – ihren Beitrag leisten. Es ist nicht einzusehen, dass ausschließlich die Stromkunden den Netzausbau bezahlen, während die Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen nichts dazu beitragen müssen; denn Letztere sind diejenigen – wenn man vom Verursacherprinzip ausgeht –, die uns im Wesentlichen dazu zwingen, einen teuren Netzausbau vorzunehmen. TenneT hat vor einigen Tagen errechnet, dass allein der Netzausbau im Bereich der Übertragungsnetze 23 Milliarden Euro kosten wird. Das muss noch umgelegt werden; ich möchte, dass alle, die einspeisen, daran beteiligt werden. Das haben wir im Koalitionsvertrag so vereinbart. Herr Minister, wir sollten an die Gesetz-gebung in diesem Bereich so schnell wie möglich herangehen. Das Einspeisemanagement muss geregelt werden, und wir müssen dafür sorgen, dass wir die Ziele, die wir uns beim Ausbau der erneuerbaren Energien gesetzt haben, sicher erreichen; dies muss aber auch so kostengünstig und kosteneffizient geschehen, wie es notwendig ist, und schließt Wettbewerbsfähigkeit und EU-Konformität ein. Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie es zusammen mit der Bundeskanzlerin geschafft haben, die EU-Konformität herzustellen, sodass wir in Zukunft keine Angst mehr haben müssen, dass unsere Besondere Ausgleichsregelung in irgendeiner Weise gefährdet ist. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Er ist oft genug erwähnt worden!) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister Gabriel, es ist schon erstaunlich, wie breitbeinig Sie sich hier hinstellen und so tun, als ginge mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien alles so weiter wie bisher, als würde diese Erfolgsgeschichte weiterlaufen. Ein Blick auf die Fakten Ihres eigenen Gesetzentwurfs zeigt etwas anderes. Sie reduzieren das Ausbautempo der erneuerbaren Energien um die Hälfte, und zwar nicht um die Hälfte gegenüber grünen Zielen, sondern um die Hälfte gegenüber Zielen der schwarz-gelben Bundesregierung. Das ist wahrlich ein Armutszeugnis. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie machen damit das EEG zu einem Bestandsschutz-instrument für die Kohleindustrie, für die fossile Energieerzeugung. (Zurufe von der SPD: Oh! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wir erhalten Arbeitsplätze!) Sie machen damit aus der Energiewende, die wir in Deutschland einmal hatten, eine Braunkohlewende. Dagegen werden wir uns wehren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Gabriel, besonders dreist ist es, dass Sie sich hier hinstellen und sagen, bei der Windenergie werde in Zukunft noch etwas laufen. Es ist richtig, dass bei der Windenergie in Zukunft noch etwas passieren wird, aber das passiert nur, weil grün regierte Bundesländer sich dafür eingesetzt und das durchgesetzt haben. Wären Ihre ursprünglichen Vorschläge zum Tragen gekommen, dann würde südlich von Hannover keine einzige Windkraftanlage mehr gebaut werden; dann hätten Sie auch das noch kaputtgemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Becker [SPD]: Blödsinn!) Was Sie kaputtmachen, ist die Biogaserzeugung. Diese stellen Sie komplett ein. Sie beenden die Technologieentwicklung, wobei sie eine Chance wäre, eine residuale, eine flexible Energieerzeugung zum Ausgleich von Wind- und Sonnenenergie zu bekommen. Das beenden Sie. Es ist unverantwortlich, dass man eine Technik, die in Deutschland entstanden ist, so beendet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Genauso trifft es die Photovoltaik. Nur, Sie haben nicht den Mut, das zu sagen. Sie schreiben in den Gesetzentwurf einen Zubau von 2 500 Megawatt – das haben Sie eben auch gesagt –, aber auch da zeigt ein Blick auf die Fakten etwas anderes. Wir haben im Moment schon, unter dem gültigen EEG, einen Zubau bei Photovoltaik, der gegen null geht. Das zeigen die Zahlen der Bundesnetzagentur. Sie verschlechtern die Bedingungen vor allen Dingen mit der absurden Eigenstromregelung, sodass wir mit Ausnahme des Kleinsegments in Zukunft null Photovoltaikstrom mehr haben. Es ist absurd, die neben der Windenergie kostengünstigste Form der Energie-erzeugung, nämlich die aus Sonne, abzuwürgen. Das ist Unsinn. Das ist absurd. Aber das ist das Ergebnis Ihrer Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der ganz besondere Klopper in diesem Gesetzentwurf ist die Eigenstromregelung. Wenn in Zukunft ein mittelständisches Unternehmen oder ein Privathaushalt mit einem Blockheizkraftwerk effizient Energie erzeugen und damit zur Energiewende beitragen will und das mit einer Photovoltaikanlage kombiniert, dann zahlen diese eine EEG-Umlage von 50 Prozent auf den selbst verbrauchten Strom. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Na und?) Das führt dazu, dass diese ganzen Projekte am Ende unwirtschaftlich werden. Herr Fuchs, Sie wollen das nicht, aber eigentlich haben Sie einen Koalitionsvertrag unterschrieben, in dem steht, dass wir genau das voranbringen wollen. Wir fördern das über das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz. Diese Förderung schlägt sich eins zu eins in der EEG-Umlage nieder, sodass das Ganze zu einem Nullsummenspiel wird. Damit einher geht zusätzliche Bürokratie. Das alles ist Unsinn. Die positive Entwicklung wird somit abgewürgt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es wird noch schlimmer. Wenn es wenigstens eine Gleichbehandlung gäbe! Aber derjenige, der erneuerbare Energien erzeugt – vielleicht sieht er ein Braunkohlekraftwerk, wenn er aus dem Fenster schaut –, muss zur Kenntnis nehmen, dass das, was für die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung und für die Photovoltaik gilt, für Kohlekraftwerke nicht gilt: Sämtliche Kohlekraftwerke sind von der Eigenverbrauchsumlage ausgenommen; sie zahlen auf ihren Eigenstromverbrauch also keine EEG-Umlage. Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich fordere Sie auf, das zu beenden und an dieser Stelle wenigstens Kostengerechtigkeit herzustellen. Das würde auch dem Mittelstand und denjenigen, die sich da engagieren wollen, etwas bringen. Bisher hatte ich die Hoffnung, dass sich wenigstens die Union für diesen Bereich engagiert. Aber an dieser Stelle tun Sie überhaupt nichts. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, kommen wir zur Besonderen Ausgleichsregelung. Sie haben uns gestern einen Gesetzentwurf vorgelegt. Dafür haben Sie vier Wochen länger als geplant gebraucht. Ihre sonstigen Pläne liegen schon ein bisschen länger vor. Ich bin einmal gespannt, wie Sie die Verabschiedung Ihres Gesetzentwurfes verfahrenstechnisch, also im Hinblick auf die Beratungen im Bundesrat, zustande bringen wollen. Aber das sehen wir dann. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Machen Sie sich da mal keine Sorge!) Es ist völlig unstrittig – ich finde es absurd, dass das hier immer wieder infrage gestellt wird –, dass die Grundstoffindustrie – Metallerzeugung, Chemie und Papier – eine Befreiung von der EEG-Umlage braucht. Darum geht es nicht. Aber Sie müssen mir schon erklären, warum Firmen, die Fantasieschmuck herstellen, oder, um das andere Extrembeispiel zu nehmen, die deutsche Panzerindustrie neuerdings in der Liste der von der EEG-Umlage zu befreienden Unternehmen auftauchen. Wollen Sie, dass die deutsche Panzerindustrie in Saudi-Arabien konkurrenzfähig ist, oder worum geht es dabei? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Sie schaffen mit dieser Liste ein bürokratisches Monster unglaublicher Art. Das führt in der Tat zu Beschäftigung: zur Beschäftigung bei Beratern und Rechtsanwälten, bei Gerichten. Das wird dazu führen, dass jeder sein Schlupfloch sucht, um am Ende in den Genuss des Privilegs der Befreiung zu kommen. Das zeigt aktuell schon das Beispiel Vattenfall: Dieses Unternehmen, das Braunkohletagebau betreibt, steht zwar nicht mehr in der Liste der von der EEG-Umlage zu befreienden Unternehmen. Jetzt plötzlich wollen Sie aber, dass Vattenfall vom Eigenstromprivileg profitiert. Aha, da staunen wir. So läuft das also in Zukunft. Durch die von Ihnen geplante Regelung wird jeder sein Schlupfloch finden. Bezüglich Ihres Versprechens, dass die Kosten um 1 Milliarde Euro gesenkt werden, dass die privaten Verbraucher entlastet werden, haben wir gestern gehört: Das war ein großes Missverständnis. Sie gestehen ein: Die privaten Verbraucher werden mit Milliardenbeträgen zusätzlich belastet. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Becker [SPD]: Das stimmt nicht! Das ist doch Unsinn!) Wenn wir schon über Arbeitsplätze reden, dann müssen wir endlich auch einmal über die Arbeitsplätze in der Erneuerbare-Energien-Branche reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da stellen Sie Zehntausende von Arbeitsplätzen infrage. Ich verweise darauf, dass dort 400 000 Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Dazu höre ich überhaupt nichts von Ihnen. Man kann den Eindruck haben: Bei Ihnen ist ein Arbeitsplatz nur dann ein guter Arbeitsplatz, wenn der IG BCE-Organisationsgrad in dem jeweiligen Betrieb besonders hoch ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In manchen Bereichen interessieren Sie sich nullkommanull für die Arbeitsplätze. Das darf an dieser Stelle überhaupt nicht sein. Ich sage Ihnen: Gehen Sie einmal in den Kreis Borken im Münsterland. Da gibt es drei innovative Unternehmen im Bereich Blockheizkraftwerke, Biogas, Photovoltaik. Sie beschäftigen in einer ländlichen Region tausend Menschen. Dort weiß man am Ende des Jahres nicht mehr, ob man noch eine Chance hat. Man hat vielleicht noch eine Chance im Ausland. Ich bedauere, dass Herr Gabriel sich da nicht einmal blicken lässt, dass er da nicht einmal Gesicht zeigt und seine Politik erklärt. Herr Gabriel, da gehen Sie nicht hin, darum drücken Sie sich herum. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Präsident Dr. Norbert Lammert: Gut. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben Ihnen einen großen Konsens angeboten. Der Bundesrat hat in den letzten Tagen über 200 Änderungsanträge zu diesem Gesetzentwurf gestellt. Insofern kann es ja wohl nicht sein, dass es da einen Konsens gibt. Wir sagen: Dieser Gesetzentwurf ist ein Anschlag auf die Energiewende. Er ist ein Anschlag auf die Arbeitsplätze. Er ist ein Anschlag auf den Klimaschutz. Dieses Abwürgen der Energiewende werden wir in dieser Form nicht mittragen. Sie sollten sich aufraffen und das EEG wieder zu einem Gesetz machen, das von einer breiten parlamentarischen Mehrheit getragen wird. Wenn ich die Äußerungen von Herrn Fuchs richtig verstanden habe, dann wird es am Ende sogar noch schlimmer, und das werden wir nicht mittragen. Das kann ich Ihnen sehr deutlich sagen. (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Staatsrates des Sultanats Oman, Herr Dr. al-Manthari, mit seiner Delegation Platz genommen. Ich möchte ihn im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Hauses ganz herzlich bei uns begrüßen. (Beifall) Sehr geehrter Herr Präsident, Sie haben in den vergangenen Tagen sehr intensive Gespräche mit vielen Kolleginnen und Kollegen hier im Haus und darüber hinaus geführt. Wir wünschen Ihnen für Ihren Aufenthalt in Deutschland, für die politische und wirtschaftliche Entwicklung Ihres Landes, insbesondere aber für die weitere parlamentarische Arbeit alles Gute und danken Ihnen für Ihr Interesse an unserer Arbeit. Der nächste Redner in der Debatte ist der Kollege Hubertus Heil. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die grundlegende EEG-Reform, die wir heute in der ersten Lesung miteinander beraten, hat zum Ziel, dass wir die Energiewende tatsächlich wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Die polemischen Einlassungen der Opposition haben ein bisschen vernebelt, worum es wirklich geht. (Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir können einmal ganz ruhig und sachlich, Herr Krischer, miteinander über das reden, was heute vorliegt. Es geht im Kern um drei Dinge: Zum einen geht es tatsächlich darum, dass wir dafür sorgen, dass Grundstoffindustrien, dass energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, auch weiterhin in Deutschland produzieren können. Jetzt sage ich Ihnen einmal eines, Herr Krischer und Frau Lay: Einem deutschen Bundeswirtschaftsminister vorzuwerfen, dass er sich für zukunftsfähige industrielle Arbeitsplätze in Deutschland einsetzt, ist ungefähr genauso schlau, wie Greenpeace vorzuwerfen, dass man sich für die Rettung der Wale einsetzt; das ist ziemlicher Unsinn. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er setzt sich für die anderen nicht ein, und das ist das Problem!) Ich will Ihnen einmal eines sagen: Diese polemische Art und Weise, mit der Sie das Ganze zu diffamieren versuchen, indem Sie zum Beispiel die Liste der Europäischen Kommission zitieren und im gleichen Atemzug verschweigen, dass es nicht darum geht, ganze Branchen zu befreien, (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sondern darum, Branchen antragsberechtigt zu machen, damit Unternehmen, die nach objektiven Kriterien im internationalen Wettbewerb stehen und gleichzeitig energieintensiv sind, das Leben nicht schwer gemacht wird, finde ich nicht redlich. Deshalb, Herr Krischer: Mehr Kretschmann und weniger Krischer in der Energiepolitik der Grünen, das wäre eine gute Idee. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In diesem Zusammenhang, Frau Lay, erzähle ich Ihnen einmal etwas aus meiner Heimat. Es gibt ein Elektrostahlwerk in meiner Heimatstadt Peine. Der Betriebsrat besteht im Wesentlichen aus ordentlichen IG-Metallern, (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) die meisten davon Sozialdemokraten, einer ist von der Linkspartei, und einer ist übrigens von den Grünen. Dieses Unternehmen ist ein Elektrostahlwerk, das vom physikalischen Prozess her alle Möglichkeiten der Energieeffizienz ausschöpfen kann, aber sehr viel Energie verbraucht, um Schrott einzuschmelzen und daraus Stahlträger zu machen, die dann exportiert werden. Das ist ein Stück Kreislaufwirtschaft. Wenn wir dieses Unternehmen so einbeziehen würden, wie Sie das verlangen, dann ist klar, was mit den 780 Arbeitsplätzen in meiner Heimatstadt passieren würde – das kann ich Ihnen sagen –: Die wären weg. Deshalb ist meine herzliche Bitte: Falls Sie noch Betriebsräte kennen, die in Grundstoffindustrien arbeiten, und mit denen sprechen würden oder falls Sie sich einmal mit dem, wie ich finde, sehr klugen Wirtschaftsminister von Brandenburg, einem Mitglied Ihrer Partei, in der Energiepolitik in Verbindung setzen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Die könnten zur Aufklärung beitragen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, dass die Linkspartei ein gestörtes Verhältnis zu industriellen Arbeitsplätzen in Deutschland hat. Das ist ihr Problem. Das darf nicht unseres werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das gilt für die Grünen auch!) Ich bin der Bundesregierung – namentlich dem Bundeswirtschaftsminister, aber auch der Kanzlerin – sehr dankbar, dass sie etwas hinbekommen hat, mit dem viele schon fast nicht mehr gerechnet haben, nämlich eine Verständigung mit der Europäischen Kommission, dass wir an dieser Stelle eine EU-konforme Regelung bekommen, übrigens keine, die die Wirtschaft nicht in die Finanzierung der Energiewende einbezieht. Auch das ist vorhin vorgetragen worden: Es wird eine Erhöhung der Mindestumlage geben, und zwar für alle, und es ist so, dass die deutsche Wirtschaft insgesamt ihren Beitrag leistet. Ich sage noch einmal: Wer Arbeitsplätze im industriellen und mittelständisch produzierenden Bereich gegen Verbraucher und Familien ausspielt, der macht ein schäbiges Spiel. (Caren Lay [DIE LINKE]: Sie machen das doch!) Das ist in der Sache vollkommen ungerechtfertigt. Ich sage Ihnen auch: Zum Gelingen der Energiewende werden wir die Grundstoffindustrien in Deutschland brauchen. Windräder brauchen Stahl. Energieeffizienz braucht chemische Produkte, und wir wollen, dass die in Deutschland produziert werden, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellt das irgendjemand infrage? Wer stellt das infrage?) – Ganz deutlich Sie! – Herr Krischer, ich weiß nicht, was mit Ihnen passiert ist. Sie sind wirklich ein kundiger Mensch. Seit Sie aber in der Opposition gegen diese Bundesregierung – gegen diesen Bundesminister für Wirtschaft und Energie – zu Felde ziehen müssen, haben Sie jegliches Maß und jegliche Mitte in der Debatte verloren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihre Rolle plötzlich! Vielleicht liegt das an Ihnen!) Es scheint Ihnen eher um grüne Profilierung in Ihrer Partei zu gehen und nicht mehr um die Sache. Das ist schade. Es mag bei den Grünen welche geben, die sich im parlamentarischen Verfahren konstruktiv auf diese Debatten einlassen. Ich würde mir das sehr wünschen; denn wir müssen raus aus diesen Grabenkampfdiskussionen der Vergangenheit. Wir sind doch miteinander der Meinung, dass wir die Energiewende zum Erfolg führen müssen. Wir haben ehrgeizige Klimaschutzziele. Wir wollen raus aus der Atomkraft. Jetzt geht es um die Frage, wie wir diesen Weg miteinander planbar, berechenbar und kosteneffizient gestalten. Kein vernünftiger Mensch in diesem Haus stellt die Energiewende mehr infrage. Diejenigen aber, die für die Energiewende sind, müssen heute zu Reformen bereit sein. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reformen gern, aber nicht so!) Es geht nicht mehr um die Markteinführung von Erneuerbaren, sondern um die Marktdurchdringung mit Erneuerbaren. Deshalb kann man nicht zulassen, dass Überförderung stattfindet. Daher ist das zweite Ziel dieser Reform mehr Kosteneffizienz beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir setzen mit einer vernünftigen, planbaren Förderung und klaren Ausbauphasen, mit Systemintegration auf die kostengünstigsten Erneuerbaren. Das sollten Sie unterstützen und nicht diffamieren, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie würgen sie ab!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Heil, darf die Kollegin Lay Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sehr gerne. Bitte schön. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Lay. Caren Lay (DIE LINKE): Vielen herzlichen Dank für das Gestatten dieser Zwischenfrage. – Sie haben mir und auch dem Kollegen von den Grünen vorgeworfen und im Grunde suggeriert, als würde vor allen Dingen die Fraktion Die Linke die Industrierabatte komplett abschaffen wollen. Ich frage Sie, ob Sie zur Kenntnis nehmen wollen, dass nach unserem Konzept der Reduzierung der Industrierabatte – das haben übrigens die SPD im Wahlkampf und der Minister vor vier Monaten im Fernsehen gefordert – beispielsweise Stahl Peine – diese Firma haben Sie zitiert; das gilt aber auch für andere Unternehmen der Stahl- und der Chemieindustrie – weiterhin privilegiert werden würde. Auch wir wollen diese Arbeitsplätze nicht gefährden. Als Linke können wir aber eine massenhafte Zunahme der Zahl der Branchen, die prinzipiell von Industrierabatten profitieren könnten, nicht mitmachen. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass auch wir weiterhin Ausnahmeregelungen für die Stahlindustrie und für die Chemieindustrie vorsehen. (Beifall bei der LINKEN) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sehr geehrte Frau Lay, ich nehme zur Kenntnis, dass, wenn Sie das so vertreten – was ich begrüße –, offensichtlich Ihre Polemik gegen die Ausnahmen mit dem gerade Gesagten nicht ganz zusammenpasst. An dieser Stelle will ich Ihnen sagen: Von Ausweitung kann doch gar keine Rede sein. Das Volumen bleibt erhalten. Wir gehen nach objektivierbaren Kriterien wie internationaler Wettbewerb, Handelsintensität und Energieintensität vor. Wir sind gemeinsam der Meinung, dass wir Trittbrettfahrer nicht gebrauchen können. Gemeinsam sind wir der Meinung, dass es vernünftig ist, dass sich Unternehmen nicht aus der Solidarität der EEG-Umlage ausklinken können, indem sie beispielsweise massiv in Leiharbeit ausweichen. Genau das regelt dieses Gesetz. Wenn das, was Sie beschreiben, wirklich Ihr Konzept ist, würde ich es gerne zur Kenntnis nehmen; aber Sie können doch nicht im gleichen Atemzug – das bezieht sich auf die Rede, die Sie vorhin gehalten haben – gegen die Tatsache zu Felde ziehen, dass wir solche Ausnahmen mit einem bestimmten Volumen haben. Das, was der Bundesminister gemacht hat, will ich Ihnen vorrechnen. Ich will Ihnen sagen, was es bedeuten würde, wenn man die komplette EEG-Umlagebefreiung für energieintensive Betriebe verschwinden lassen würde. (Caren Lay [DIE LINKE]: Niemand will das!) Dabei geht es um 40 Euro für einen dreiköpfigen Haushalt bzw. um etwa 4 Euro pro Monat. Der Preis wäre, dass diese industriellen Arbeitsplätze in energieintensiven Betrieben im Rahmen der Konkurrenz verschwinden würden. Sie müssen sich schon entscheiden: Stimmt Ihr Konzept, oder stimmt die Polemik, die Sie hier vorhin von diesem Pult aus vorgetragen haben? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist doch polemisch gewesen!) Meine Damen und Herren, es gibt also nur Ausnahmetatbestände für diejenigen, die sie brauchen – nicht für diejenigen, die sie missbrauchen. Dafür haben wir jetzt objektivierbare Kriterien. Wir haben eine Verständigung mit der Europäischen Kommission. Erstens. Das wird das beihilferechtliche Verfahren zu Ende bringen, und es wird dazu führen, dass wir Rechts- und Planungssicherheit auch für die Unternehmen – dabei geht es um Arbeitsplätze – haben, die ab 1. Januar 2015 Befreiung beantragen können. Nicht jeder, der die Befreiung beantragt, wird sie auch bekommen. Deshalb ist es richtig, nicht Branchen zu nennen, sondern die Situation von einzelnen Unternehmen zu betrachten. Zweitens. Wir schaffen die Voraussetzungen dafür, kosteneffizienter auszubauen; aber wir werden ausbauen, Herr Krischer. Von Ausbremsen kann überhaupt keine Rede sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben jetzt 25 Prozent erneuerbare Energien, und wir werden 45 Prozent erreichen. Dafür ist es aber notwendig, nicht nur Kosteneffizienz zu schaffen, sondern den Ausbau der Netze zeitlich stärker mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu synchronisieren. Darum geht es. Es geht um Systemintegration. Wir wollen keinen Wegwerfstrom produzieren, sondern Strom, der tatsächlich gebraucht wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass das Quatsch ist, hast selbst du verstanden!) Dazu brauchen wir diese Verlässlichkeit. Drittens. Es geht darum, für die gesamte deutsche Wirtschaft im Hinblick auf die Erneuerbaren endlich Planungs-, Rechts- und Investitionssicherheit zu schaffen. Die vielen Auseinandersetzungen der letzten Jahre haben doch in weiten Teilen der deutschen Wirtschaft, was die Erneuerbaren angeht, vor allem eines ausgelöst: entweder so etwas wie Schlussverkaufsmentalität – noch einmal ordentlich Druck machen – oder in anderen Phasen das krasse Gegenteil, nämlich Investitionsattentismus. Mit dieser grundlegenden Reform schaffen wir die Möglichkeit, dass jeder sich darauf einstellen kann, wohin die Reise geht, und zwar über den Zeitraum des jetzigen EEG hinaus bis zu einem neuen Marktdesign mit anderen Mechanismen, die planbar sind und die in diesem Übergangszeitraum auch berechenbar sind. Wir haben uns in Deutschland vorgenommen, unter den Bedingungen eines hochindustrialisierten Landes eine doppelte Energiewende zu schaffen, mit sehr ehrgeizigen Klimaschutzzielen, mit dem Ausstieg aus der Atomkraft. Ich bin als Anhänger dieser Energiewende der festen Überzeugung, dass wir damit langfristig Riesenchancen für Deutschland eröffnen – ökologisch, -sozial; im Übrigen auch wirtschaftlich –, weil wir angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und des wachsenden Energiehungers auf der Welt Exporteur für gute und saubere Lösungen im Bereich der Energieversorgung sein können, bei Erneuerbaren, bei Systemen, bei Energieeffizienz. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Hubertus Heil (Peine) (SPD): Aber dafür müssen wir die Referenz im eigenen Land hinbekommen. Wir müssen in Deutschland die Energiewende schaffen, damit wir diese Technologien zukünftig auch exportieren können. Mit diesem ersten Schritt einer grundlegenden EEG-Reform, die wir im parlamentarischen Verfahren jetzt auf den Weg bringen, leisten wir dazu unseren Beitrag. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Eva Bulling-Schröter ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrter Minister Gabriel, viele aus den Reihen der Linken, der Grünen, aber auch der SPD und sogar der CDU sind vor zwei Jahren auf die Straße gegangen gegen die EEG-Reform von FDP-Minister Rösler, der die erneuerbaren Energien bekämpft hat. Jetzt haben Sie, Herr Gabriel, das Ministerium übernommen. Viele haben gedacht: Der wird das sehr gut machen mit der Energiewende; (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Macht er auch!) denn der Gabriel war ja ehemaliger Umweltminister. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Macht er sehr gut!) Weit gefehlt! Sie, Herr Gabriel, schicken die erneuerbaren Energien ins Nirwana. Grund dafür sind vor allem die von Ihnen ab 2017 geplanten Ausschreibungen. Dann soll Schluss sein mit festen Preisen für die Anbieter erneuerbarer Energien. Stattdessen möchten Sie einen Preiskampf zwischen den Erneuerbaren um die Vergütungssätze. Die Anbieter erneuerbarer Energien feilschen und unterbieten sich dann wie auf dem Basar, der billigste Dumpinganbieter gewinnt. Dreimal darf man raten, wer in der Lage sein wird, diese Dumpingpreise anzubieten. Richtig, es sind die Großinvestoren. Damit rollen Sie den Energieriesen den roten Teppich aus und brechen der Bürgerenergie das Genick. (Caren Lay [DIE LINKE]: So ist es!) Da wollen wir nicht hin. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt ja schon ganz viele Erfahrungen aus dem Ausland mit Ausschreibungen, die dazu geführt haben, dass Projekte nicht stattgefunden haben und nicht realisiert werden konnten, dass Firmen pleitegegangen sind. Eine Energiegenossenschaft kann sich das gar nicht leisten. Ich persönlich kenne einen Mittelständler, der bei einer Ausschreibung in Südafrika mitgemacht hat. Das Projekt liegt seit drei Jahren auf Eis, und es ist nicht absehbar, ob da überhaupt etwas passiert. Die Gefahr besteht, dass die Erneuerbaren schlimme Rückschläge erleiden. Das können wir uns nicht leisten, schon allein im Hinblick auf den Klimaschutz. Es geht aber auch um regionale Wertschöpfung und um Arbeitsplätze. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn dann immer behauptet wird, die EU würde das alles vorschreiben: Das ist einfach nicht richtig; denn die EU lässt den Mitgliedstaaten ausdrücklich den Raum, diese Regelung flexibel zu handhaben. Mit den Ausschreibungen schreiben Sie in dieses Gesetz quasi seine eigene Abschaffung hinein; denn die festen Preise sind – oder muss man sagen: „waren“? – das Rückgrat des EEG. Wir Linken haben eine Kleine Anfrage zu Erfahrungen und Plänen der Ausschreibung gestellt. Bitte lesen Sie die Anfrage. Die Antworten sind einfach toll: Man prüft, man weiß noch nichts, man hat noch keine Erfahrungen. – Das ist so, als wenn man sich in ein Auto setzt und erst hinterher die Bremsen prüft. Da kann ich nur sagen: Gute Fahrt, Herr Minister! Natürlich entfaltet das neue EEG auch schon vor 2017 eine Wirkung – das hören wir bei vielen Podiumsdiskussionen; da sind Sie alle dabei –: durch Ausbaukorridore, Deckelungen und Einschnitte vielfältiger Art. Die Investoren sind doch nicht blöd: Sie rechnen das durch und sagen dann: Das rechnet sich nicht mehr; wir machen es nicht. Die Pflicht zur Direktvermarktung könnte den geltenden Vorrang für Erneuerbare in der Realität sogar umkehren. Das ist eben kein Gesetz mehr für regenerative Energien, sondern quasi gegen sie; denn die regenerativen Energien müssen dann mit den fossilen Energien konkurrieren. Wir alle wissen: Bei den regenerativen Energien sind alle Kosten mit eingerechnet, bei den fossilen und atomaren eben nicht. Wenn man die Kosten bei diesen Energien ähnlich der EEG-Umlage beziffern müsste, dann würden Kohlestrom oder Atomstrom 10 Cent pro Kilowattstunde mehr kosten. Das bezahlen aber die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Caren Lay [DIE LINKE]: So ist es! – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Diese Grundrechenarten beherrscht Herr Gabriel nicht! Genau diese Grundrechenarten!) Die ganze Reform ging mit einer Strompreisdebatte einher, die von Anfang an eine Farce war. Die mantra-artigen Beteuerungen, die Energiewende sei zu teuer, haben nichts mit der wahren Entwicklung der Preise von Wind- und Solarenergie zu tun. Die Preise sind heute nicht mehr hoch; sie wurden wirklich nach unten gedrückt. Sie haben die Höhe der EEG-Umlage zu einer Art Teufelszeug hochstilisiert. Dabei hatten wir 2013, wie die Bundesnetzagentur gerade berichtete, den niedrigsten Börsenstrompreis seit 2004. Warum sagen Sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht die ganze Wahrheit, nämlich weshalb dieser unglaublich niedrige Börsenpreis nicht an sie weitergegeben wird – es wäre doch logisch, dass sie auch davon profitieren –, wohl aber die damit einhergehende hohe EEG-Umlage? Warum sorgen Sie nicht dafür, dass auch die normalen Leute von den niedrigen Börsenpreisen profitieren und nicht nur die Industrie, die im Grunde doppelt kassiert? Ich habe Sie gestern zum Merit-Order-Effekt gefragt. Dabei geht es darum, dass die Preise an der Börse immer niedriger werden, sie werden bald bei 3 Cent pro Kilowattstunde liegen. Auch dies ist ein Gewinn für die Industrie. Es wird uns ja permanent vorgeworfen: Die Linke will die Arbeitsplätze vernichten. – Bevor ich in den Bundestag kam, war ich Schlosserin und Betriebsrätin, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, lange her!) und nach acht Jahren im Bundestag war ich es zwischendurch noch einmal. Ich kenne die Probleme der Kolleginnen und Kollegen besser als vielleicht viele in diesem Saal. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Warum reden Sie dann so?) Sie glauben doch nicht, dass wir Arbeitsplätze vernichten wollen. (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie tun es aber!) Lesen Sie doch einmal, was der Handel schreibt. Auch der Handel möchte Vergünstigungen und spricht in dem Zusammenhang über Arbeitsplätze. Ferner: Was ist mit den Zehntausenden Arbeitsplätzen im Bereich der regenerativen Energien? Zum Schluss. Es ist eine scheinheilige Debatte. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, finde ich auch!) Wer hat denn Leiharbeit eingeführt? Wer hat denn Dumpinglöhne eingeführt? Wer hat denn ermöglicht, dass in Fleischereien Vertragsfirmen billig arbeiten? Das waren doch nicht wir. (Beifall bei der LINKEN) Verlagerungen von Betrieben geschehen nicht nur wegen Strompreisen, sondern wegen ganz anderer Dinge. Wir sind nicht diejenigen, die Arbeitsplätze vernichten wollen. Wir wollen Gerechtigkeit, wir wollen soziale Gerechtigkeit. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Ich will nicht, dass es so weit kommt, dass das Verhängen von Stromsperren an der Tagesordnung ist – so wie in meiner Heimatstadt, in der man jüngst einem Menschen den Strom gesperrt hat, der auf ein Atemgerät angewiesen ist. So geht das nicht. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Joachim Pfeiffer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich diese Debatte so anhört, ist es notwendig, sich klarzumachen, worum es eigentlich geht. Wenn man die Linken und die Grünen hier hört, dann könnte man meinen, das EEG und die Förderung der erneuerbaren Energien wären ein Selbstzweck oder eine Ersatz-religion und das wäre ein Wert an sich. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es dient der Ressourcenschonung!) Es ist kein Wert an sich, vielmehr ist das EEG Mittel zum Zweck. Es ist ein Mittel zur Erreichung unserer energiepolitischen Ziele. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist richtig!) Die energiepolitischen Ziele sind in diesem Hause mit großer Mehrheit verabschiedet worden: nämlich dass wir – das ist heute, außer vom Bundeswirtschaftsminister, von keinem erwähnt worden – im Bereich der Energie-effizienz endlich vorankommen, Energie einsparen. Wir wollen bis 2050 50 Prozent Primärenergie einsparen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen? Was tun Sie denn?) Deshalb geht es nicht nur um den Strom, über den wir heute schwerpunktmäßig diskutieren, sondern es geht darum, dass wir im Gebäudesektor – nicht nur im Neubau, sondern vor allem im Bestand – die entsprechenden Potenziale heben. Wenn dieses nicht gelingt, werden wir bei der Energieeinsparung und beim Umbau der Energieversorgung scheitern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo! Da hat jemand was kapiert!) Es geht auch darum, im Bereich des Verkehrs die notwendigen Schritte einzuleiten; das steht heute allerdings nicht im Mittelpunkt der Debatte. Schließlich geht es in der Tat auch darum, den Ausbau der erneuerbaren Energien im Strombereich voranzubringen. Wir wollen, dass 2050 von dem Rest an Energie, der dann noch verbraucht wird – wenn die Energieeinsparung gelingt –, der überwiegende Teil aus Erneuerbaren gewonnen wird. Was die Mengen anbelangt, sind wir weitaus erfolgreicher als ursprünglich gedacht. In der Vergangenheit sind die Ausbauziele regelmäßig weit überschritten worden: bei der Photovoltaik 2009 und 2010, bei Windenergie – das ist vorhin angesprochen worden –, bei der Biomasse und darüber hinaus. Leider besteht aber das Problem, dass dieser mengenmäßige Erfolg uns jetzt kostenmäßig vor die Füße fällt bzw. wir einen Kostenrucksack zu tragen haben. Denn es ist in der Vergangenheit beim schnelleren Ausbau und bei der schnelleren Senkung der Kosten für erneuerbare Energien nicht gelungen, die Vergütungssätze genauso schnell zu senken, wie es notwendig wäre, um eine Überforderung zu vermeiden. Das ist das Problem, vor dem wir heute, im Jahr 2014, stehen. Wir haben bereits über 120 Milliarden Euro für die Förderung erneuerbarer Energien und die Energieerzeugung ausgegeben. Nach heutigem Stand sind, selbst wenn wir die Förderung erneuerbarer Energien sofort beenden würden, in den nächsten 20 Jahren noch einmal 280 bis 300 Milliarden Euro – die heute schon zugesagt sind – über die Umlage von den Stromverbrauchern abzutragen. Deshalb reformieren wir das EEG heute in erster Lesung und diskutieren es in den nächsten Wochen im Parlament. Auch hier gilt selbstverständlich das Struck’sche Gesetz: Kein Gesetz wird den Bundestag so verlassen, wie es ihn erreicht hat. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Drohung, was Sie da sagen! – Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es gibt eine Reihe von Stellschrauben, bei denen Nachbesserungsbedarf besteht. Damit werden wir uns in der Koalition intensiv auseinandersetzen. Wir laden Sie auch gerne ein, uns darin zu unterstützen. Um was geht es bei dieser Reform, über die wir heute sprechen? Ein Baustein des Marathons des Umbaus der Energieversorgung ist, das EEG europafest zu machen. Über uns schwebt das Damoklesschwert eines Beihilfeverfahrens aus Europa. Was ist, wenn wir nicht bis zur Sommerpause die Besondere Ausgleichsregelung, auch das Grünstromprivileg, reformieren? Für über 1 Million Arbeitsplätze und Tausende Unternehmen besteht Planungsunsicherheit, weil sie nicht wissen, wie es mit Investitionen und Arbeitsplätzen in den nächsten Jahren vorangeht. In einer gemeinsamen Kraftanstrengung ist es in und mit Brüssel gelungen, Europa zu überzeugen, sodass wir jetzt für ganz Europa – nicht nur für Deutschland – Umwelt- und Beihilfeleitlinien haben, die in den nächsten fünf, zehn Jahren Planungssicherheit für Investitionen und Arbeitsplätze in Deutschland gewährleisten. Damit können wir in Deutschland die Wertschöpfungsketten in der Grundstoffindustrie – bei Chemie, bei Stahl, bei Alu und bei Kupfer – entsprechend sichern. Auch das ist angeklungen: Nur wenn wir in Deutschland diese Wertschöpfungsketten erhalten, werden in Deutschland Windräder gebaut; denn hier wird kein Windrad gebaut ohne diese Grundstoffindustrie. Es fährt auch kein Hochgeschwindigkeitszug in Deutschland ohne diese Grundstoffindustrien. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellt das irgendjemand infrage?) Und es wird kein einziges deutsches hochwertiges Auto gebaut und exportiert, wenn wir nicht diese Wertschöpfungsketten in Deutschland erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellt das irgendjemand infrage?) Deshalb werden wir jetzt mit der Besonderen Ausgleichsregelung an dieser Stelle langfristige Planungssicherheit schaffen. Wenn Sie jetzt zum wiederholten Male behaupten, dass diese Entlastungen – der Bundeswirtschaftsminister hat die absoluten Zahlen genannt; ich will sie an anderer Stelle aufgreifen – an den Steigerungen bei der EEG-Umlage schuld wären, dann erzählen Sie wider besseres Wissen etwas Falsches. Wir haben in Deutschland in diesem Jahr eine EEG-Umlage von 6,3 Cent pro Kilowattstunde. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 6,24 Cent!) Wenn wir alle Ausnahmen im Bereich des EEG streichen würden, hätten wir eine vielleicht um 1,2 oder 1,3 Cent geringere Umlage. Das heißt, die EEG-Umlage betrüge dann immer noch 5 Cent. Damit wird klar und deutlich, dass die energieintensiven Unternehmen bei der gesamten Entwicklung nicht Täter, sondern Opfer sind und insofern nicht für die hohe Umlage verantwortlich gemacht werden können – ganz im Gegenteil. Im Übrigen ist es eine Milchmädchenrechnung: Wenn diese energieintensiven Unternehmen weg wären, in die Insolvenz gehen müssten, verlagert würden, dann wären nicht nur die Arbeitsplätze und die Wertschöpfungsketten weg, sondern dann müssten die Verbliebenen in zwei, drei Jahren die Kosten tragen, die ich gerade dargelegt habe und die für 20 Jahre festgeschrieben sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dann wäre es für den Einzelnen noch teurer, als es jetzt schon ist. Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein; das kann von keinem hier in diesem Saal so gewollt sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es geht nicht nur um die Frage der Europafestigkeit; es geht um die erneuerbaren Energien insgesamt, die nun wahrlich keine Nische mehr sind. Als man 1990, 1991 das Stromeinspeisungsgesetz auf den Weg gebracht hat, hat man gesagt: Wir wollen das mal mit 50 Millionen D-Mark pro Jahr fördern. – Dann hat man dieses Gesetz 2000 in das EEG überführt und gesagt: Spätestens 2008, 2009 ist das EEG nicht mehr notwendig; dann ist die Technologieförderung so weit, dass die erneuerbaren Energien auf eigenen Beinen stehen können. – Jetzt hat manches ein bisschen länger gedauert; aber wir sind in der Vergangenheit auch manches zu langsam angegangen. Deshalb haben wir heute eben diesen Kostenrucksack, den ich angesprochen habe. Wir haben heute die Situation, dass der Börsenpreis, über den hier fabuliert wird, nur noch eine Restgröße ist, weil die Erneuerbaren von der Börse unabhängig sind: Sie bekommen eine feste Vergütung, die ein Vielfaches des Börsenpreises beträgt, unabhängig davon, ob der Strom gebraucht wird oder nicht. Wir haben die Situation, dass all die Photovoltaik, die im Moment in Deutschland installiert ist, Kosten von ungefähr 40 Cent pro Kilowattstunde verursacht; das ist mehr als das Zehnfache des Börsenpreises. Deshalb müssen die Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien, die jetzt, wo es darum geht, den Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung von 25 auf 30 bis 40 Prozent zu steigern, installiert werden, dann auch an den Markt gebracht werden. Deshalb wollen wir eine Direktvermarktung. Deshalb wollen wir, dass die Börse entsprechende Knappheitssignale aussenden kann und so die richtigen Anreize gesetzt werden, im Übrigen auch im Hinblick auf Emissionen. Solche Anreize werden im Moment natürlich überhaupt nicht gesetzt, weil die Börse nur noch eine Restgröße ist. Wir müssen den Ausbau der Erneuerbaren, der in der Vergangenheit bei der Erzeugung mengenmäßig erfolgreich war, dringend mit dem Ausbau der Netze im Onshore- und Offshorebereich synchronisieren. Dieses Jahr wird ein Vergütungsvolumen von 900 Millionen Euro allein auf Strom entfallen, der in Offshoreanlagen erzeugt wird, aber gar nicht an Land kommt, weil keine Leitungen vorhanden sind. Wir werden Hunderte von Millionen Euro bezahlen, weil Strom aus Onshorewindkraftanlagen in Norddeutschland nicht in die Verbrauchszentren im Süden transportiert werden kann, weil es nicht die entsprechenden Leitungen gibt. Das heißt, da haben wir in der Vergangenheit Fehler gemacht. Peter Altmaier hat schon im letzten Jahr darauf hingewiesen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien mit dem Ausbau der Netze zu synchronisieren ist. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Pfeiffer. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Wir wollen jetzt mit dieser Reform diese Dinge angehen. Aber dabei wird es nicht bleiben: Wir werden uns bereits im Herbst über andere Fragen unterhalten müssen – über KWK, über Energieeffizienz und auch über das zukünftige Marktdesign –, um diesen Umbau voranzutreiben. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Pfeiffer! Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Dann werde ich Gelegenheit haben, hier im Plenum daran anzuknüpfen. – Vielen Dank, Herr Präsident. Ich hoffe, wir haben jetzt gute Beratungen. Ich lade Sie wirklich ein, sich konstruktiv und nicht nur polemisch daran zu beteiligen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Julia Verlinden wird diese Einladung jetzt sicher gleich aufgreifen. Jedenfalls ist sie die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sollten uns noch einmal in Erinnerung rufen, warum wir das Projekt Energiewende eigentlich begonnen haben. Als die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz eingeführt hat, da wollten wir den Ausstieg aus der Atomenergie, wir wollten den Umstieg auf eine klimaneutrale Energieversorgung und eine Entmonopolisierung der Stromerzeugung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 14 Jahre später haben wir schon ein gutes Stück des Weges geschafft, und wir können noch weiter gehen. Diesen Erfolg, den wir bisher erreicht haben, haben wir den engagierten Bürgerinnen und Bürgern zu verdanken; denn sie waren es, die trotz der Widerstände der großen Energiekonzerne, die trotz schwarz-gelber Sabotageversuche und die trotz Ihrer großkoalitionären Bremsmanöver in die Energiewende investiert haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Anzahl der Energiegenossenschaften und der Bürgerenergieprojekte in Deutschland wächst stetig. Allein Privatpersonen und Landwirte haben bisher fast die Hälfte der Investitionen in die erneuerbaren Energien im Strommarkt getätigt. Die vier großen Energiekonzerne hingegen hatten gerade einmal einen Anteil von 5 Prozent. Nun frage ich Sie, liebe Bundesregierung: Wer bringt hier eigentlich die Energiewende voran? Sie sind das im Augenblick offenbar nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die treibende Kraft hinter der Energiewende ist die große gesellschaftliche Unterstützung. Gleichzeitig ist diese Beteiligungsmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger wichtig für die Akzeptanz des Projekts Energiewende. Aber genau dieser Bürgerenergiewende wirft die Bundesregierung nun Knüppel zwischen die Beine. Die verpflichtende Direktvermarktung für Anlagen über 100 kW Leistung führt zu höheren Kreditzinsen bei den Banken und errichtet damit eine Hürde für -Bürgerenergieprojekte. Die Belastung des Eigenverbrauchs bei Erneuerbare-Energien-Anlagen und die drohenden Ausschreibungen bergen ebenfalls die Gefahr, die Bürgerenergiewende abzuwürgen. Sie fördern die Großen und bremsen die Kleinen. Herr Gabriel, Sie tun damit genau das Gegenteil dessen, was ich mir unter einer Demokratisierung und Entmonopolisierung der Energieversorgung vorstelle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von der Union, lassen Sie uns doch jetzt im Gesetzgebungsprozess Verbesserungen für diese investitionsbereiten Menschen verankern, damit die Bürgerenergiewende weitergeht, damit die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, damit weniger Kohle verfeuert wird und damit wir unsere überlebensnotwendigen Klimaziele erreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abschließend möchte ich noch betonen, dass es bei der Energiewende nicht ausschließlich um den Ausbau der erneuerbaren Energien geht; Herr Pfeiffer hat das gerade angesprochen. Herr Pfeiffer hat richtigerweise gesagt: Für ein Gelingen der Energiewende sind Energieeffizienz und Energieeinsparung eine unabdingbare Voraussetzung. – In Ihren Sonntagsreden, liebe Kollegen von der Union und der SPD, erzählen Sie alle immer, wie wichtig die Energieeffizienz ist. Aber bisher habe ich keine einzige politische Aktivität in dieser Richtung von der Bundesregierung wahrgenommen – keine einzige! –, und das macht mich langsam echt wütend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht nicht nur darum, zu reden, sondern auch darum, zu handeln; das wissen Sie. Ich möchte Sie daran erinnern, dass bis Juni die Umsetzung der europäischen Energieeffizienzrichtlinie ansteht. Herr Gabriel, Sie müssen eine Energieeinsparung von rund 2000 Petajoule nach Brüssel melden. Bisher hat Ihr Ministerium nicht den blassesten Schimmer, (Dirk Becker [SPD]: Dazu hat er doch gestern im Ausschuss Stellung genommen!) mit welchen politischen Maßnahmen Sie diese EU-Anforderungen überhaupt erreichen sollen. Das ist ein Skandal! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Gabriel, Sie haben mir eben vorgeworfen, ich hätte nicht genau nachgelesen. Vielleicht werfen Sie noch einmal einen Blick in die Publikationen Ihres eigenen Hauses. Als Sie noch Umweltminister waren, da haben Sie die Themen Ressourcen und Energieeffizienz ganz nach vorne gestellt. Es wäre schön, wenn Sie diese jetzt als Energieminister umsetzen würden. (Beifall der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Gerade jetzt, wo die Diskussion über die Energieversorgungssicherheit und über unsere Erdgaslieferungen aus Russland angesichts der Ukraine-Krise Tempo aufnimmt: Wie wichtig wäre es da, dass die Bundesregierung jetzt in Gebäudesanierung investiert! Die Unternehmen, die hochwertige Effizienztechnik bereitstellen, die in Forschung und Entwicklung investiert haben, die also Effizienz produzieren, und das Handwerk stehen bereit. Sie sitzen in den Startlöchern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Bundesregierung, nur durch Energieeinsparung machen wir uns unabhängiger von Energieimporten und sparen gleichzeitig Heizkosten ein. Wachen Sie endlich auf! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege Andreas Lenz. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Wir wollen und wir werden damit den Ausbau der erneuerbaren Energien weiter voranbringen. Ziel der Reform ist auch, die Dynamik in der Kostenentwicklung zu begrenzen. Dabei gilt es einmal mehr festzuhalten, dass die Energiewende zum Nulltarif eine Illusion ist. Die Kosten, die das Gesetz aus der Vergangenheit bedingt, werden zumindest mittelfristig weiterhin anfallen. Die Umsetzung der Energiewende lässt sich eben nicht per Knopfdruck bewerkstelligen. Die Energiewende ist vielmehr eine Generationenaufgabe. Auch deshalb darf es keine Denkverbote geben. Der Vorschlag, die Lasten der Energiewende über einen längeren Zeitraum zu strecken, ist nach wie vor diskus-sionswürdig. Im Rahmen der Energiewende gilt es, riesige Infrastrukturprojekte zu stemmen, die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft zu erhalten sowie die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dabei soll der Strom bezahlbar bleiben. Auch deshalb dürfen wir das Ziel der weitgehenden Marktfähigkeit der erneuerbaren Energien nicht aus dem Blickfeld verlieren; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Becker [SPD]) denn die Energiewende kann nur gelingen, wenn die Bevölkerung hinter ihr steht. Die Bevölkerung steht nach wie vor hinter der Energiewende. Über 80 Prozent der Menschen in unserem Land halten sie für richtig. Wenn man die Medienberichte von Anfang April noch im Kopf hat, könnte man glauben, dass es eigentlich nichts mehr zu beraten gäbe, da sich Bund und Länder weitgehend einig seien. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon etwas von den 200 Änderungsanträgen gehört?) Es ist jedoch unsere Pflicht als Parlament, notwendige und sinnvolle Änderungen herbeizuführen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Übrigen haben die Länder eine Fülle von Änderungsanträgen eingebracht – Sie haben es gerade gesagt –, die es zu prüfen gilt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber da gibt es ja keinen Konsens!) Es gilt, verantwortungsbewusst und gewissenhaft an den entsprechenden Stellschrauben zu drehen. Das werden wir machen. Dabei geht es gar nicht zwangsläufig darum, durch die Änderungen die Kosten zu erhöhen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein, das darf auch nicht sein!) Es geht vielmehr darum, ein handwerklich sauberes Gesetz zu beschließen. Gerade deshalb werden wir jetzt im parlamentarischen Verfahren mit ganzer Kraft an Nachbesserungen des Kabinettsbeschlusses arbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gerade im Bereich der Biomasse konnte man tatsächlich den Eindruck gewinnen, hier wolle man einer ganzen Branche den Garaus machen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann man nicht nur den Eindruck gewinnen; das ist so!) Das ist Gott sei Dank, auch weil die CSU darauf hingewirkt hat, nicht passiert. Es bedarf jedoch noch weiterer Nachbesserungen. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts, die jüngst veröffentlicht wurde, bestätigt beispielsweise die positive Wirkung von Biogas auf den Strommarkt. Biomasse kann als flexibler Energieträger einen wertvollen Beitrag zur Systemstabilität leisten. Sie ist vielfältig nutzbar, als Wärme-, Strom- und Kraftstofflieferant. Gerade der Bestandsschutz muss uns als Land mit hohen Standards bei der Rechtssicherheit wichtig sein. Hier ist auch die Kanzlerin beim Wort zu nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Alle Bürgerinnen und Bürger müssen sich auf vom Staat getroffene Entscheidungen verlassen können. Deshalb müssen wir im parlamentarischen Verfahren ins Detail gehen. An einigen Stellen droht der Bestandsschutz nämlich ausgehöhlt zu werden. Beispielsweise muss die momentan geplante Definition der Höchstbemessungsleistung für Biomasseanlagen angepasst werden. Eine Festsetzung der Höchstbemessungsleistung nach den im aktuellen Kabinettsbeschluss enthaltenen Vorgaben würde für viele Biogasbetriebe den finanziellen Ruin bedeuten. Hier sind Existenzen in Gefahr. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch die vorgesehene Abschaffung der bewährten Einsatzstoffvergütungsklassen bei der Biomasse gleicht einem Kahlschlag. Wir halten es zudem für erforderlich, die Vergütungsklasse gerade für Holz zu erhalten. Die Holzvergasung bzw. -verstromung hat sich durch neue innovative Verfahren in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt. Die Vergütungsklasse für Holz ist sinnvoll und notwendig. (Beifall bei der CDU/CSU) Der CSU-Landesgruppe ist es ein großes Anliegen, dass die Biomasse auch künftig ihren festen Platz im Energiemix behält. Für den Eigenverbrauch haben wir uns auf weitgehenden Bestandsschutz geeinigt. Kritisch zu sehen ist jedoch die Einbeziehung von Neuanlagen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dies macht systematisch keinen Sinn, da gerade der Eigenverbrauch netzentlastend wirkt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aus unserer Sicht wäre es die beste Lösung, für neue Anlagen zur Eigenstromerzeugung eine leistungsabhängige Netzanschlussgebühr zu veranschlagen. Auch hinsichtlich der Stichtagsregelung besteht Handlungsbedarf. Hier wurden im guten Glauben und im Vertrauen auf bestehende Regelungen teilweise erhebliche Investitionen geleistet, die jetzt im Feuer stehen. Apropos Feuer: Die Wasserkraft ist eine verlässliche heimische Energiequelle. Nun wissen wir, dass die Wasserkraft im Norden der Republik eine eher untergeordnete Rolle spielt. Trotzdem sollten wir uns auch hier an den Koalitionsvertrag halten, in dem zur Wasserkraft steht: Die bestehenden gesetzlichen Regeln haben sich bewährt und werden fortgeführt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Becker [SPD]) Hier muss am Gesetzentwurf nachgebessert werden. Die Besondere Ausgleichsregelung für energie- und handelsintensive Unternehmen bleibt weitestgehend bestehen. Wenn es die Ausnahmen für die Industrie nicht gäbe, würde ein privater Haushalt zwar etwa 45 Euro weniger Stromkosten pro Jahr haben; wegen der zu erwartenden Wohlstandsverluste würde das real verfügbare Einkommen eines Haushalts jedoch um circa 400 Euro pro Jahr sinken. Es geht bei der Besonderen Ausgleichsregelung darum, den Industriestandort Deutschland langfristig zu erhalten. Auf dem Weg in ein neues Energiezeitalter ist diese Reform des EEG nur ein erster Schritt. Wir müssen uns bei den nächsten Schritten um die Kapazitätsmärkte kümmern. Wir brauchen weitere Forschung hinsichtlich der Speichertechnologien und des Lastenmanagements. Wir müssen den Netzausbau und damit verbunden die weitere Integration der regenerativen Energien voranbringen. Dabei kommt es darauf an, die Bürgerinnen und Bürger ernsthaft einzubeziehen. Abstandsflächen und Erdverkabelung können hier Optionen sein. Auch die Schaffung eines funktionierenden CO2-Marktes und eine engere europäische Koordinierung sind geboten. Ich wünsche uns gute Beratungen mit – das ist viel wichtiger – guten Ergebnissen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Dirk Becker für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dirk Becker (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit den beiden vorherigen Rednern bzw. der Rednerin und dem Redner hat die Debatte eine Wendung bekommen. Ja, wir reden über das EEG, über Inhalte. Herr Dr. Lenz hat gerade im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Meinungsfindungsrunde der Koalition eröffnet und einige Ideen genannt, über die auch bei uns diskutiert wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab aber versteinerte Gesichter!) – Ja, Oliver Krischer, ein versteinertes Gesicht gab es auch bei mir heute. Deine Rede hatte daran einen großen Anteil. Ich will eines sehr deutlich sagen: Frau Verlinden, ich finde, Sie haben wirklich mit der gebotenen Sachlichkeit auch inhaltlich debattiert. Das war im Vergleich zu den Reden, die ich zuvor gehört habe, wohltuend. Lieber Oliver, dir muss ich sehr deutlich sagen: Wir kennen uns nun schon seit vielen Jahren, und wir haben viele energiepolitische Gespräche hier im Deutschen Bundestag geführt. Ich verstehe, dass Opposition Kritik übt. Diese darf auch einmal kräftig sein, aber muss auf richtigen Fakten beruhen (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut sie!) und nicht auf falschen Zitaten und Behauptungen, die nicht stimmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn zum Beispiel?) – Ganz ruhig, ich komme noch darauf. Im Gegensatz zu euch habe ich etwas mitgebracht, in dem etwas dazu steht. – Es ist sehr gefährlich, ausschließlich aus parteipolitischem Kalkül zu versuchen, die Bundesregierung sowie CDU/CSU und SPD hier mit Dingen, die nicht stimmen, vorzuführen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nun sag doch mal!) Denn Sie gehen das große Risiko ein, dass Sie mit Ihren Behauptungen, zu denen ich jetzt komme, auch die Akzeptanz für die Energiewende beschädigen. Das muss ich Ihnen deutlich sagen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Ich gebe zu: Die Regelungen der Besonderen Ausgleichsregelung sind hochkompliziert und nicht einfach. Man muss sie sich vielleicht dreimal durchlesen, bis man sie versteht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich höre immer noch nichts dazu, was du gemeint hast!) Ich will Folgendes feststellen: Die Möglichkeiten zur Ausnahme von der EEG-Umlage werden durch diese EEG-Novelle teils drastisch eingeschränkt. Der Minister hat das eben umfassend dargestellt; Sie haben es aber nicht verstanden. Daher will ich einige Punkte noch einmal deutlich machen: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum sagt er dann, das Volumen bleibe gleich?) Früher waren alle Gewerbebranchen antragsberechtigt, heute sind es nur 219 Branchen. Dazu kam es nicht nach dem Gutdünken des Ministers und der Regierung, sondern dies ist eine Regelung – Frau Lay, das müssen Sie hinnehmen; ich hinterfrage langsam Ihre Europatauglichkeit –, die die EU für alle EU-Mitgliedstaaten getroffen hat. Das ist keine Lex Deutschland. (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf deutschen Druck hin! – Caren Lay [DIE LINKE]: Was ändert das denn?) Es ist falsch, zu behaupten, dass für die Panzerindustrie und für den Kunstschmuck Ausnahmen gelten würden; denn in diesen Bereichen liegt keine ausreichende Strom-intensität vor. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber warum stehen sie dann in der Liste?) Sie müssen sich vielleicht noch einmal mit den Fragen auseinandersetzen: Was heißt „Anteil an der Bruttowertschöpfung“? Was heißt „Handelsintensität“?“ Und was heißt „Stromintensität“? (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden schon einen Berater finden, der das für die hinkriegt!) Wenn man das nicht versteht, sollte man damit aber auch keine polemische Politik betreiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will eines, auch mit Blick auf Frau Lay, sagen: Gerade die Linken kritisieren das, was wir in diesem Bereich für die deutsche Industrie gemacht haben; ich habe in der gestrigen Debatte einen Satz dazu gesagt. Lassen Sie uns einmal folgendes Szenario durchspielen: Der Bundeswirtschaftsminister hätte den Erfolg, den er hatte, nicht gehabt, und wir hätten heute den Stand umzusetzen, den Almunia vor acht Wochen umsetzen wollte. Dann wären die Linken die erste Partei, die mit 200 Leuten vor dem Reichstag stehen und dem Minister totales Versagen vorwerfen würde, weil er sich nicht um die Industrie und die Menschen gekümmert hat. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Quatsch!) Dieser Minister sorgt dafür, dass diese Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun, Herr Lenz, will ich auf ein paar Punkte zu sprechen kommen, die Sie erwähnt haben. Das EEG, über das wir heute diskutieren – es ist von den Grünen und von anderen beschrieben worden –, wandelt sich von einem Markteinführungsinstrument hin zu einem Instrument der Marktdurchdringung der erneuerbaren Energien. Wir befinden uns auf einem Weg, auf dem wir unser Land energiepolitisch wieder in die volle Souveränität führen und die Abhängigkeit von Kohle und Öl immer weiter minimieren wollen. Es ist übrigens ganz wichtig, in der Kostendebatte darauf hinzuweisen: Die Energiewende kostet Geld – Herr Dr. Lenz hat das gesagt –, und sie wird auch in Zukunft Geld kosten. Aber auch der Import von Kohle und Öl kostet Geld. Dieses Geld fließt ab; das andere Geld bleibt im Land. Wichtig ist daher, nicht nur die Kostenaspekte zu betonen, sondern auch die volkswirtschaftlichen bzw. energiewirtschaftlichen Aspekte durch das EEG zu stärken. Ich will ganz kurz, Herr Dr. Lenz, noch ein paar Punkte ansprechen. Ja, wir müssen darauf achten, dass wir die vorgesehenen Regelungen im Hinblick auf die Technologien so scharf stellen, dass sie wirken, dass der Zubau im Bereich Biomasse im Rahmen der Szenarien tatsächlich erfolgen kann. Wir werden, was die Ausschreibungen betrifft – der Minister ist darauf zu sprechen gekommen –, nicht nur im Blick haben müssen, dass die Bürgerprojekte auch in Zukunft durchgeführt werden können, sondern ganz wichtig ist auch die Feststellung: Ausschreibungen sind kein Selbstzweck. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege! Dirk Becker (SPD): Ich komme sofort zum Schluss. – Sie müssen kosteneffizient sein, dürfen also nicht zu gestiegenen Kosten führen. Wir sind uns all dieser Punkte bewusst. Wir werden im weiteren Verfahren auch die Opposition zu einer sachlichen Debatte über die Inhalte einladen und – da bin ich sicher – ein Instrument verabschieden, das die Energiewende auch weiterhin zum Erfolg führt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Krischer, ich habe Ihre Wortmeldung gesehen. Aber nach ständiger Übung können wir Kurzinterventionen nach Ablauf der Redezeit des jeweiligen Redners aus hoffentlich allgemein nachvollziehbaren Gründen nicht zulassen. Nächster Redner ist der Kollege Thomas Bareiß. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kommt nicht ganz so überraschend!) – Wenn jemand den unbändigen Wunsch hat, zusätzliche Bemerkungen zu machen, empfiehlt es sich, sich zu einem frühen Zeitpunkt und nicht kurz vor Ende der Veranstaltung anzumelden. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat sich schon lange gemeldet!) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nachdem wir jetzt ziemlich am Ende der Debatte sind und schon vieles gesagt ist, möchte ich zu Beginn meiner Rede doch noch einmal darauf eingehen, in welchem Umfeld und in welchem Rahmen wir die EEG-Novelle dieses Jahr bestreiten. Der Zubau bei den erneuerbaren Energien war so rasant, wie keine Partei in den letzten Jahren vorhergesehen hat. Gerade unter der CDU/CSU-geführten Bundesregierung haben wir bei den erneuerbaren Energien in den letzten Jahren jedes Jahr Rekordzubauraten vermelden können. Deutschlands Stromerzeugung durch erneuerbare Energien hat heute einen Anteil von 24 Prozent – so viel wie kein anderes Industrieland in der Welt. Auf der anderen Seite konnten wir trotz Planungsbeschleunigungsgesetzen im Netzbereich nicht die Infrastruktur, die notwendig ist, Schritt für Schritt mit zubauen. Auch haben wir trotz erheblicher Investitionen und Forschungsaufwendungen im Bereich der Speichertechnologien leider nicht die Erfolge gehabt, die wir uns gewünscht haben. Das führt dazu, dass wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien erhebliche Probleme erleben. Die Entwicklung hat gezeigt, dass die Kostenfrage jetzt an einem ganz kritischen Punkt ist; denn die Verbrauchspreise liegen im Schnitt bei circa 28 Cent je Kilowattstunde, und der Industriestrompreis liegt bei über 10 Cent je Kilowattstunde. Nach den neuesten Zahlen von Eurostat, die vor wenigen Tagen veröffentlicht worden sind, haben wir nach Zypern und Italien die höchsten Industriestrompreise in ganz Europa. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchen!) Beim EEG besteht deshalb dringend Handlungsbedarf. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben die niedrigsten Industriestrompreise seit zehn Jahren!) Wir müssen beim Zubau nachsteuern. Wir müssen sogar, lieber Herr Krischer, in manchen Bereichen bremsend einwirken, wie wir es in den letzten Jahren im PV-Bereich leider viel zu spät gemacht haben; aber wir haben es gemacht, und es hat auch funktioniert. Wir müssen den Zubau so gestalten, dass die Infrastruktur mithalten kann. Auch das wird ein ganz wichtiger Baustein sein. Wir müssen die Förderung der erneuerbaren Energien so gestalten, dass sie kosteneffizient zu erzielen ist. Das heißt beispielsweise, dass wir Windräder dort bauen müssen, wo auch Wind vorhanden ist, und nicht in einem Schwarzwaldtal, wo Windräder nichts zu suchen haben. Zudem müssen wir die erneuerbaren Energien – darauf ging Herr Becker gerade ein – in den Wettbewerb auf dem Markt überführen. Das EEG muss vom Markteinführungsinstrument zu einem Marktinstrument ausgebaut werden. Wir wollen mit dem EEG nicht nur auf Umwelt- und Klimaschutz setzen, sondern in Zukunft vor allem auch Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit zur obersten Maxime des EEG machen. Was machen wir konkret? Da möchte ich einige Punkte aufgreifen, die meine Vorredner genannt haben. Wir definieren erstmals einen verbindlichen Ausbaupfad für die erneuerbaren Energien, der sowohl nach unten als auch nach oben für die Politik der nächsten Jahre gelten muss. Diesen Ausbaupfad, der technologiespezifisch definiert worden ist für Wind, Wasserkraft, Biomasse und Solarenergie, werden wir auf den Mechanismen, die wir die letzten Jahre entwickelt haben, aufbauen. Ich nenne hier nur den Deckel, der im Solarbereich funktioniert hat; wir werden ihn auch in anderen Bereichen, beispielsweise bei Wind onshore, implementieren. Ich glaube, das wird ein richtiger Schritt sein, um die Ausbauziele im Bereich Wind zu erzielen, ohne dass über Gebühr, aber auch nicht zu wenig zugebaut wird. Damit schaffen wir Planungssicherheit. Wir schaffen für die Investoren die richtigen Anreize. Der Netzausbau kann sich darauf einstellen, wo und wann entsprechende Ausbauziele bewirkt werden. Wir schaffen auch Planungs-sicherheit für den konventionellen Kraftwerkspark, der auch die nächsten Jahrzehnte noch gebraucht wird, um die Stromversorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Wir wollen die erneuerbaren Energien Schritt für Schritt – ich sage auch hier: sehr moderat – in den Markt überführen. Wir wollen eine stufenweise Direktvermarktung, Jahr für Jahr, von Großanlagen bis zu Kleinanlagen. Die Sorge, die hier teilweise von der Opposition zum Ausdruck gebracht wurde, kann ich nicht ganz nachvollziehen; denn wir haben gerade in der jetzigen Gesetzesnovelle in vielerlei Punkten noch einmal erhebliche Risiken abgedeckt. Wir haben die erneuerbaren Energien in vielerlei Hinsicht weich gebettet. Ich nenne nur als Stichworte die Ausfallvermarktung und die gleitende Marktprämie. Ich glaube – das sage ich sehr offen –, dass wir auch über diese Punkte noch einmal intensiv reden müssen; wir müssen schauen, ob wir hier nicht für noch mehr Markt sorgen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Trauen wir den erneuerbaren Energien doch etwas zu! (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir trauen ihnen etwas zu! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen ja mehr!) Ich bin davon überzeugt, dass wir schon heute in vielen Bereichen weiter sind, als die Grünen glauben. Die Direktvermarktung wird schon heute von vielen praktiziert. Das Marktprämienmodell, das von Peter Altmaier und Norbert Röttgen damals entwickelt wurde, funktioniert und wird in vielen Bereichen übernommen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein absoluter Flop! Das hat nur zusätzliche Kosten verursacht!) Bei 80 bis 90 Prozent der Windenergieanlagen wird diese Marktprämie genutzt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Geschenk an die Betreiber! Das wird gern genommen!) Deswegen kann man sie auch in den Markt überführen. Ich denke, hier könnten wir über eine Direktvermarktung mehr tun. Wir sollten noch mutiger sein, als wir es jetzt mit dem Gesetzentwurf sind. Das Ausschreibungsmodell ist ein weiterer Punkt, mit dem wir Markt möglich machen. Es wird in den nächsten Jahren einen Paradigmenwechsel einleiten und das EEG auf eine neue Stufe bringen. Wir werden uns in den nächsten zwei Jahren sehr viel Zeit dafür nehmen. Wir brauchen Testphasen, die wir in dem Gesetzentwurf schon klar definiert haben, indem wir sagen: Wir wollen versuchen, ob dieses Modell im Bereich der Photovoltaik-Freiflächenanlagen, einem Nischenmarkt, funktioniert. Ich könnte mir auch vorstellen, es noch in anderen Bereichen zu testen, zum Beispiel im Onshorebereich. Ich glaube, wir müssen hier wirklich viele Erfahrungen sammeln. Im Ausland kam es teilweise zu Fehlern; es wurde aber auch viel Gutes gemacht. Diese Erfahrungen müssen wir in unser Modell implementieren und so ein Modell ausgestalten, das kosteneffizient und wettbewerblich orientiert ist. Dies schreibt ja auch das EU-Beihilfeverfahren vor, und wir sind aufgefordert, hier voranzugehen. Ich bin der Auffassung, dass ab 2017 nicht der Deutsche Bundestag, sondern der Markt, im Wettbewerb durch Angebot und Nachfrage, die Preise für erneuerbare Energien definieren sollte. Dort gehört es nämlich hin. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Becker und Herr Lenz haben schon verschiedene Handlungsbedarfe angesprochen. Auch ich möchte zwei aufgreifen, die mir wichtig sind, nämlich die Themen Eigenverbrauch und Verbraucherschutz. Ich will aber noch einmal deutlich sagen: Die Abstimmung mit den Ländern im Vorfeld war sicherlich richtig. Es ist nämlich notwendig, dass wir eine breite Akzeptanz für diese Novelle erreichen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Baden-Württemberg lehnt das ab!) Es ist aber auch wichtig, dass wir hier im Parlament Handlungsfelder definieren, in denen wir uns einbringen. Deshalb gilt auch hier das Struck’sche Gesetz: Kein Gesetz kommt so aus dem Parlament heraus, wie es eingebracht worden ist. Wir wollen über den Bereich Eigenstrom noch einmal intensiv diskutieren. Die entsprechenden Vorschläge sind gegenüber dem, was hier ursprünglich vorgesehen war, noch einmal verbessert worden. Das war auch notwendig; denn ich glaube weiterhin, dass das Modell, das jetzt im Gesetzentwurf steht, sehr bürokratisch, oftmals nicht praxisnah und vor Ort auch nicht umsetzbar ist. Ich glaube auch, dass wir aufpassen müssen, dass wie bei der Besonderen Ausgleichsregelung, die uns in Brüssel ein Verfahren eingebracht hat, nicht neue Tatbestände für eine wettbewerbliche Verzerrung entstehen. Deshalb sollten wir auch hier mit Ziel und Augenmaß vorgehen. Ich halte auch die rechtliche Grundlage für sehr fragwürdig. Ich glaube, dass wir auch das noch einmal genauestens prüfen müssen. Ich könnte mir auch hier vorstellen, mehr zu tun (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein schöner Ansatz!) und für eine stärkere Verantwortlichkeit und Solidarisierung in Bezug auf die Netze zu sorgen. Wie gesagt: Ich glaube, dass wir hierüber vielleicht im Parlament einen Konsens finden. Zum Thema Vertrauensschutz. Ich glaube, auch hierfür brauchen wir einen Ansatz, der dem Koalitionsvertrag gerecht wird, in dem wir klar und deutlich gesagt haben: Altanlagen genießen Bestandsschutz. Der Vertrauensschutz im Hinblick auf getätigte und in der Realisierung befindliche Investitionen ist entsprechend zu gewähren. Ich glaube, der Stichtag ist ein ganz wichtiger Punkt, über den wir diskutieren müssen. Wir müssen sehen, dass Biogasanlagen und auch Windparks andere Vorlaufphasen haben als eine Solardachanlage. Deshalb gilt hier auch für mich als Wirtschaftspolitiker die erste Priorität der Gewährleistung von Investitions- und Vertrauensschutz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es gibt viele Punkte, die wir angehen müssen. Die Menschen und die Investoren warten darauf, dass wir jetzt zügig vorangehen. Deshalb: Packen wir es an! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Debattenpunkt ist der Kollege Alois Gerig für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Gerig (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als letzter Redner habe ich jetzt die Möglichkeit, diese Debatte aus meiner Sicht zusammenzufassen. Bereits in der letzten Legislaturperiode ist klar geworden, dass es einer Reform des EEG bedarf, um die Energiewende, deren Gelingen sich die Große Koalition – das haben wir heute sehr deutlich gehört – sehr wohl auf die Fahne geschrieben hat, nicht zu gefährden. Da geht es um die Bezahlbarkeit für die Bürger und um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Sprich: Es geht um die Balance zwischen dem Ausbau der erneuerbaren Energie und der Strompreisentwicklung und damit verbunden auch um die Akzeptanz bei der Bevölkerung. Im vorliegenden Entwurf zur Reform des EEG sind viele richtige und wichtige Punkte enthalten. Glücklicherweise wurde seit dem ersten Entwurf schon einiges korrigiert. Aber als Berichterstatter für Energie in der AG „Ernährung und Landwirtschaft“ möchte ich in enger Abstimmung mit meinen Kollegen doch noch den einen oder anderen Änderungsvorschlag ins parlamentarische Verfahren einbringen. Worum geht es uns? Wir alle wollen den Ausstieg aus der Kernenergie und den Umstieg auf klimafreundliche erneuerbare Energien, mittelfristig möglichst ohne EEG, mit voller Marktintegration. Für mich steht aber auch fest: Die Energiewende kann nur mit dem ländlichen Raum gelingen. Dort sind die Ressourcen in Feld und Wald für Bioenergie, die Dächer für Solaranlagen und die Standorte für die Windkraftanlagen. Damit diese Energiewende ein Erfolg wird, müssen wir also auch die Weichen für den ländlichen Raum richtig stellen: Durch dezentrale Energieerzeugung und -nutzung braucht es nur kurze Wege, und der Netzausbau kann auf das notwendige Maß beschränkt werden. Windkraftanlagen dürfen nicht gegen den Willen der Bürger gebaut werden. Nach meiner Ansicht kann man auf neue Freiflächen-PV-Anlagen entlang von Autobahnen und Bahntrassen künftig sogar verzichten. Akzeptanz für die Energiewende erreichen wir am besten durch Transparenz, insbesondere Verlässlichkeit. Wir erreichen sie auch durch Bürgerbeteiligung. Dies gilt besonders für die strukturschwachen ländlichen Regionen. Diesbezüglich ist in den vergangenen Jahren – da werden Sie mir recht geben – sehr viel geschehen. Auch durch politische Unterstützung wurden Bioenergieregionen geschaffen. Allein in Baden-Württemberg sind 140 Energiegenossenschaften mit über 25 000 Mitgliedern gegründet worden; dort warten alle auf positive Signale aus Berlin. Da werden gemeinsam Wind-, Solar- und Biomasseanlagen betrieben. Es gibt Genossenschaften für Nahwärmenetze und mittlerweile auch gemeinsame Mieterstromprojekte. All diese Menschen glauben an die Energiewende, auch zum Wohle des Klimaschutzes – heute und in Zukunft noch mehr – und einer positiven Zukunft unseres Planeten im Sinne der Enkel und Urenkel. Erreicht haben wir diese Entwicklung durch ein Netzwerk der Regionen, der Kommunen und der Landkreise, die sich die Erneuerbaren und die Energieeffizienz – darum geht es, und ich bin froh, dass dieses Thema heute des Öfteren angesprochen wurde – auf die Fahnen geschrieben haben. Deshalb brauchen wir eine EEG-Novelle mit Augenmaß, die das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für diese Wende weiter fördert. Statt nur auf den Ausbau der Erneuerbaren zu setzen, müssen wir auch nach Wegen suchen, wie wir das Engagement noch stärker auf den Wärmemarkt – auch das wurde hier sehr deutlich gesagt – und insbesondere auf die Energieeffizienz ausrichten. Nach dem jetzigen Entwurf des EEG sehe ich insbesondere bei den Vorschlägen für die Biomasse noch Korrekturbedarf. Ich freue mich, dass ich diesbezüglich nicht alleine dastehe. Gewiss wurden in der Vergangenheit Fehler gemacht, sodass es punktuell in Deutschland zu einer Überfrachtung mit Biogasanlagen und damit zu Akzeptanzproblemen gekommen ist. Aber ich verweise auf die erfolgte Korrektur in unserem EEG 2012, die schließlich dazu geführt hat, dass seitdem nur noch sehr wenige neue Biogasanlagen zugebaut wurden. Hersteller von Biogas- und Biomasseanlagen für feste Brennstoffe beginnen sich derzeit – das ist eine erfreuliche Entwicklung – auf den internationalen Märkten zu etablieren. Die Branche spricht von einem Exportanteil von derzeit 30 bis 40 Prozent. Wenn wir das jetzt durch überzogene politische Forderungen zerstören – dazu würde der jetzige Entwurf führen –, dann hätte das fatale Folgen für die ganze Branche, aber auch für die Außenwirkung innerhalb und außerhalb der Grenzen Deutschlands. Die Bioenergie liefert derzeit zwei Drittel der erneuerbaren Energien. Die Branche beschäftigt nach eigenen Angaben 380 000 Menschen. Die Bioenergie liefert einen wichtigen Beitrag zur Stromerzeugung. Durch die Speichermöglichkeit ist sie in der Lage, flexibel Regel- und Spitzenstrom zu liefern, und ist damit bei einer weiteren Zunahme von fluktuierendem Solar- und Windstrom das wichtigste Standbein für eine dezentrale Energieversorgung, die wir zumindest so lange brauchen, bis wir das Netz von Nord nach Süd ausgebaut haben. Wir müssen die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zum vollen Bestands- und Vertrauensschutz – das gilt auch, wie schon erwähnt, für Stichtage und die Höchstbemessungsleistung – bei der Umsetzung zu 100 Prozent ernst nehmen, ebenso wie die Aussage, dass wir zukünftig überwiegend, also nicht ausschließlich, Rest- und Abfallstoffe für die Biogasproduktion einsetzen werden. Darum bitte ich in der Debatte. Ich bin überzeugt: Mit einem vernünftigen Zubau – natürlich müssen wir das Ausbautempo reduzieren, ohne die Branche abzuwürgen – schaffen wir diese Wende. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die Große Koalition ist fest entschlossen, die Energiewende zu einem Erfolg für unser Land zu machen. Aber eines ist klar: Nur wenn wir einen vernünftigen Dreiklang aus Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit hinbekommen, wird in unserer Gesellschaft die Akzeptanz für die Energiewende erhalten. Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam an einer Bürger-Energiewende arbeiten. Ich bin fest davon überzeugt: Nach sicherlich intensiven Debatten in den kommenden Wochen werden wir Ende Juni ein gutes Gesetz für unser Land beschließen. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/1304 und 18/1331 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Bevor ich den Tagesordnungspunkt 5 aufrufe, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass wir im Laufe des Nachmittages voraussichtlich drei namentliche Abstimmungen durchführen werden, die auch in den Übersichten für die Tagesordnung angekündigt worden sind. Dabei wird es für die letzte der voraussichtlich drei namentlichen Abstimmungen eine Änderung im Zeitablauf geben, auf die sich die Fraktionen verständigt -haben: Die namentliche Abstimmung zum Tagesordnungspunkt 11 – Mehr Transparenz bei Rüstungsexportentscheidungen sicherstellen – soll um einen Tagesordnungspunkt vorgezogen werden, um die Kollision mit anderen Terminen am späteren Nachmittag bzw. frühen Abend vermeiden zu helfen. Das wird natürlich in geeigneter Weise in die Büros kommuniziert, und wir werden bei den nächsten namentlichen Abstimmungen noch einmal darauf aufmerksam machen. Aber wenn Sie das bitte für Ihre Zeitplanung schon einmal berücksichtigen! Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 und den Zusatzpunkt 2 auf: 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Wolfgang Gehrcke, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kürzungspolitik beenden – Soziale Errungenschaften verteidigen – Soziales Europa schaffen Drucksache 18/1116 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Beate Walter-Rosenheimer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpfen – Stopp des Programms MobiPro-EU sofort aufheben Drucksache 18/1343 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Für diese Debatte ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung wiederum eine Aussprachezeit von 96 Minuten vorgesehen. – Das findet offensichtlich allgemeine Zustimmung. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung wird nicht müde, das Erfolgsmodell Europa zu preisen. So sagte kürzlich Staatsminister Roth: „Europa gilt nach wie vor als einzigartiges Erfolgsmodell.“ Frau Merkel meint sogar, das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell gründe auf der individuellen Würde des einzelnen Menschen. Da frage ich mich doch wirklich: Was ist das für ein Sozialmodell, das zulässt, dass 125 Millionen Menschen in Armut und sozialer Ausgrenzung leben? (Beifall bei der LINKEN) Wie sieht es denn aus mit der individuellen Würde dieser Menschen? Wollen Sie ernsthaft zum Modell erheben, dass die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern dramatisch zugenommen hat, dass sich die Langzeitarbeitslosigkeit oft verdoppelt oder verdreifacht hat, dass in Spanien, Griechenland oder Italien die Hälfte der jungen Menschen keinen Job hat? Nein, das ist nicht das Europa, das unsere Bevölkerung in Deutschland will. (Beifall bei der LINKEN) Junge Menschen in Europa geben jedenfalls eine ganz klare Antwort. Ausgerechnet in einer Umfrage des Europäischen Parlaments haben sechs von zehn jungen Menschen auf die Frage: „Haben Sie das Gefühl, in Ihrem Land durch die Wirtschaftskrise an den Rand gedrängt und vom wirtschaftlichen und sozialen Leben ausgeschlossen zu sein?“, mit Ja geantwortet. Das muss Ihnen doch zu denken geben. Aber Beispiele gibt es auch bei uns. In den 90er-Jahren waren unsere Truckfahrer im internationalen Fernverkehr mit mehr als 5 000 DM Spitzenverdiener. Heute müssen mehr als 80 000 Truckfahrer ihren kärglichen Lohn mit Hartz IV aufbessern. Das ist nicht die Politik, die die Menschen wollen. Hier muss sich ganz deutlich etwas ändern. (Beifall bei der LINKEN) Es geht nicht nur um eine gewaltige Absenkung der Verdienste. Es geht auch um eine dramatische Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen in Europa. Diese müssen verbessert werden. Am vergangenen Samstag sind die deutschen Truckfahrer auf die Straße gegangen, um für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen und gegen Lohndumping zu demonstrieren. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben ein beeindruckendes Zeichen für Europa gesetzt; denn sie haben Solidarität mit den Kollegen gezeigt, die unter noch schlechteren Arbeitsbedingungen, zu noch mieseren Löhnen und windigen Vertragsbedingungen arbeiten müssen. 400 Euro im Monat, Lkw, bei denen auf nahezu jedes Extra, das Komfort oder Sicherheit erhöhen könnte, verzichtet wird, monatelange Abwesenheit von den Familien, Verträge ohne soziale Absicherung, das sind die Bedingungen, unter denen tschechische Fahrer leben müssen. Das kann es doch nicht sein. (Beifall bei der LINKEN) Dennoch sagen diese Menschen Ja zu Europa und europäischer Solidarität. Aber sie sagen Nein zu einem Europa des Lohndumpings und des Sozialabbaus. (Beifall bei der LINKEN) Europa wird nur eine Chance haben, wenn es eine breite Zustimmung in der Bevölkerung gibt. Diese gibt es nur, wenn viele Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass Europa ihre Lebensqualität verbessert. Freiheit, offene Grenzen und Frieden stellen einen gewaltigen Fortschritt dar. Aber die Menschen erwarten auch ein Leben in wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit. Das ist das Europa, das die Menschen in Deutschland und in Europa wollen. (Beifall bei der LINKEN) Europa darf nicht nur wenigen nutzen, deren Reichtum immer weiter wächst. In Europa gab es im letzten Jahr 766 Dollarmilliardäre. Deren Vermögen ist in Euro umgerechnet auf etwa 1,5 Billionen angewachsen. Das entzieht sich jedweder Vorstellungskraft. Das ist mehr als das Doppelte von dem, was die europäischen Steuerzahler für die Bankenrettung als Bürgschaft hinterlegt haben. Das, meine Damen und Herren, ist Ihre Politik, die Politik der Bundesregierung. Für eine Krise, die sie nicht zu verantworten hat, wird die Bevölkerung in Geiselhaft genommen. Löhne werden gesenkt, Arbeitnehmerrechte und der Sozialstaat abgebaut. Statt in Wachstum und in Beschäftigung zu investieren, wird gekürzt. Die Wirtschaft schrumpft, und die Schulden steigen. So gibt es zwei Europas, die derzeit zueinander im Gegensatz stehen. Das eine ist das Europa der Wirtschaft, der Vermögenden und der Lobbyisten, das andere ist ein soziales Europa, ein Europa, welches die Menschen wollen. Die Linke will diese europäische Kürzungspolitik beenden. Wir fordern stattdessen ein EU-weit koordiniertes Investitionsprogramm, mit dem Arbeitsplätze geschaffen, die Wirtschaft ökologisch umgebaut und Bildung, Gesundheitsversorgung und öffentliche Infrastruktur ausgebaut werden. (Beifall bei der LINKEN) Dumpingkonkurrenz bei den Löhnen darf es nicht geben. Wir brauchen eine europaweite Millionärsabgabe, um gerade die Krisenverursacher und -gewinner in die Verantwortung zu nehmen. Meine Damen und Herren, auch Sie kommen nicht an der Wahrheit vorbei: Wer ein soziales Europa will, muss es den Reichen nehmen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Mark Helfrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mark Helfrich (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn eines in aller Deutlichkeit sagen: Europa ist eine weltweit einzigartige Erfolgsgeschichte. Das lassen wir uns auch nicht durch einen solchen Antrag wie den, der heute vorliegt, kaputtmachen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Unsere Europäische Union, die auf dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft beruht, ermöglicht es ihren Bürgern, ihr Leben nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Im EU-Vertrag ist festgeschrieben, dass ein hoher Beschäftigungsgrad, sozialer Zusammenhalt, ein angemessener Sozialschutz und die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung bei der Gestaltung und der Umsetzung der EU-Politik in allen Bereichen berücksichtigt werden müssen. Wir arbeiten für ein Europa, das den Menschen Chancen für ihr berufliches und soziales Wohlergehen eröffnet, und das schon seit 1951. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Warum machen Sie das Gegenteil?) Wir befinden uns bereits jetzt auf einem sehr hohen Wohlstandsniveau. Obwohl nur 7 Prozent der Weltbevölkerung in der Europäischen Union leben, (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Waren Sie mal in Griechenland?) produzieren wir 25 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts. Ja, ich spreche zuerst über das BIP, weil alles, was Sie unter sozialen Errungenschaften subsumieren, zunächst erwirtschaftet werden muss. Ich werde nicht müde, auf diesen Zusammenhang, der eigentlich ganz simpel ist, von Ihnen aber immer wieder geleugnet wird, hinzuweisen. (Beifall bei der CDU/CSU) Während Sie, meine Damen und Herren der Linken, behaupten, dass die sozialen Errungenschaften auf breiter Front zunichtegemacht werden, muss ich an dieser Stelle sagen, dass die Wirtschafts- und Währungsunion unser heutiges ausgesprochen hohes Sozialniveau erst ermöglicht hat und dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union heute 50 Prozent aller Sozialleistungen der Welt auf sich vereinen. Ich wiederhole das gerne: 7 Prozent der Weltbevölkerung erhalten 50 Prozent aller Sozialleistungen. Weil Sie in Ihrem Antrag die EU mehr oder minder als Verschwörung marktradikaler Kräfte porträtieren, würde ich gerne auf ein paar Punkte eingehen und darlegen, wie wir in diese schwierige Situation gekommen sind. Es ist eine völlig verantwortungslose Finanz- und Verschuldungspolitik gewesen, die diese Situation, die Sie hier zu Recht als bedrohlich und bedrückend beschreiben, herbeigeführt hat. Wir haben im Laufe der Krise verschiedene Weiterentwicklungen der Instrumente erlebt, die dazu führen sollen, dass sich diese Dinge nicht wiederholen und damit auch in Zukunft von derartigen Entwicklungen kein Risiko mehr für soziale Errungenschaften in Europa drohen kann. Da sind wir auch beieinander. Es ist letztlich dem Konzept der Wirtschafts- und Währungsunion zu verdanken, dass einige Krisenländer – Spanien, Irland, Portugal – aus dem Hilfsprogramm bereits herauskommen konnten und damit als Gesellschaft, als Staat das, was wir uns alle gemeinsam wünschen, auch in Zukunft leisten können. Wir alle wissen, dass das Wohlstandsgefälle in der Europäischen Union eine ganz wesentliche Ursache für die Armutswanderung innerhalb der EU ist. Wir wollen nicht, dass Menschen ihr Land verlassen müssen, weil sie dort keine Perspektive sehen. Auch deswegen sind wir der Meinung, dass durch die Mitgliedstaaten soziale Errungenschaften, ein Niveau der sozialen Sicherung vor Ort nachhaltig gewährleistet werden müssen. Ich sage an dieser Stelle aber auch ganz deutlich: Ich bin der festen Überzeugung, dass Sozialpolitik noch sehr lange Aufgabe der Mitgliedstaaten und nicht der EU bleiben wird. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Warum diktiert sie dann was?) Die EU setzt soziale Mindeststandards; das ist richtig so. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wo denn?) Sie hat mit dem Europäischen Sozialfonds seit langem ein Instrument, um auf soziale Lagen in Europa einwirken zu können. Der Europäische Sozialfonds ist bereits vor mehr als 50 Jahren geschaffen worden. Es geht darum, Unterschiede bei Wohlstand und Lebensstandard zwischen den Mitgliedstaaten und den einzelnen Regionen zu verringern. Es geht um die Verbesserung der Beschäftigungs- und Bildungschancen. Vizepräsident Peter Hintze: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Sabine Zimmermann? Mark Helfrich (CDU/CSU): Ich würde gerne weiter ausführen. Vizepräsident Peter Hintze: Also nicht. Dann führen Sie bitte weiter aus. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Feigling!) Mark Helfrich (CDU/CSU): Es werden unter anderem Maßnahmen in den Bereichen Fort- und Weiterbildung, Unterstützung von -Beschäftigten und Unternehmen bei Umstrukturierungsmaßnahmen, Bekämpfung des vorzeitigen Schulabbruchs und praktische Hilfen für arbeitslose Jugendliche sowie Integration benachteiligter Menschen in den Arbeitsmarkt gefördert. Zwischen 2007 und 2013 sind insgesamt 76 Milliarden Euro aufgewendet worden. Diese Geschichte wird fortgeführt. In der nächsten Periode, 2014 bis 2020, fließen 80 Milliarden Euro aus dem ESF und weitere 3,2 Milliarden Euro für Jugendinitiativen. Auch da sieht man, dass es einen Ausbau und nicht einen Abbau gibt. Diese Mittel kommen insbesondere den Regionen überproportional zugute – das ist auch richtig so –, die unter dem EU-Durchschnitt liegen, was ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung betrifft. Ein weiterer Meilenstein bei der Überwindung der Staatsschuldenkrise ist die Wachstumsstrategie „Europa 2020“. Sie hat – wie sollte es anders sein? – soziale Kernziele in den Bereichen Beschäftigung und Bildung, soziale Inklusion und Bekämpfung von Armut. 20 Millionen Menschen sollen bis 2020 aus der Armut herausgeführt werden, und es soll eine Beschäftigungsquote von 75 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter erreicht werden. Um diese beiden Hauptziele zu unterfüttern, gibt es eine Reihe von Initiativen; Sie alle wissen das. „Jugend in Bewegung“ ist ein entsprechendes Instrument; die „Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten“ ist ein weiteres. Bei all dem ist uns bewusst, dass die Chancen auf Arbeit in Europa noch ungleich verteilt sind. Deutschland hat eine sehr niedrige Jugendarbeitslosigkeit, ganz anders als viele andere Länder in der Europäischen Union. Dort stehen junge Menschen vor gigantischen Herausforderungen; das ist völlig klar. Weil das so ist, ist auch auf Drängen der Bundesrepublik vereinbart worden, dass man 6 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in der EU zur Verfügung stellt. Ich finde das sehr beeindruckend. Auch ich weiß, dass es in der Umsetzung in den Mitgliedstaaten durchaus noch Anlaufschwierigkeiten und Defizite gibt. Aber das Ziel und auch die Bereitschaft, das Ganze zu unterfüttern, sind ganz klar gegeben. Das soll nicht heißen, dass wir nicht weiterhin auf die bewährten Maßnahmen aus dem Europäischen Sozialfonds zurückgreifen können, um benachteiligten Jugendlichen entsprechend Hilfe gewähren zu können. Sie kennen EURIS, ein Kooperationsnetzwerk der öffentlichen Arbeitsvermittlungen aller EU-Staaten. Bereits in den Anfängen dieser Kooperation sind 50 000 Stellen pro Jahr für junge Europäerinnen und Europäer vermittelt worden. Ich glaube, auch das ist ein Zeichen, dass sich Europa dieser Aufgabe stellt. (Beifall bei der CDU/CSU) Dann möchte ich das Thema „Jugend in Beschäftigung bringen“ ansprechen, auch unter dem Stichwort „Jugendgarantie“ bekannt. Mitgliedstaaten werden verpflichtet, Schulabgängern unter 25 Jahren nach Verlassen der Schule innerhalb von vier Monaten einen Ausbildungsplatz zuzuweisen bzw. eine weitere Bildungsmaßnahme zu gewähren oder eine Praktikumsstelle zu vermitteln, damit in Europa nicht eine verlorene Generation groß wird, was wir nicht wollen. Insofern ist auch dieser Baustein richtig. In diesem Zusammenhang können wir als Deutsche froh sein, dass wir das duale Ausbildungssystem haben. Das ist behutsam angepasst sicherlich auch ein Erfolgsmodell für die Europäische Union. Nur so können dann auch die Probleme in den jeweiligen Mitgliedstaaten angegangen werden. Nichtsdestotrotz stellen wir uns mit dem Programm MobiPro-EU der Verpflichtung, hier in Deutschland Plätze für Auszubildende und junge Berufstätige zur Verfügung zu stellen. Die in Aussicht stehende Mittelverdreifachung – das sage ich zu den Kolleginnen und Kollegen der Grünen – ist, anders als das in dem Antrag dargestellt wird, durchaus vorbildlich. Ich glaube, dass die Bundesregierung dort die Zeichen der Zeit erkannt hat. Vizepräsident Peter Hintze: Apropos „Zeichen der Zeit“: (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie einen kurzen Blick auf Ihre Uhr werfen würfen! Mark Helfrich (CDU/CSU): Ich komme zum Ende. – Sehr geehrte Damen und Herren der Linken, Sie sehen also: Es gibt bereits zahlreiche realisierte, realisierbare und erfolgversprechende Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung von Jugendlichen sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Europa. Dies ist Ausdruck eines sozial gestalteten und wirtschaftlich starken Europas, dessen Einstehen für seine sozialen Errungenschaften Sie auch vor dem Hintergrund der herannahenden Europawahl bitte nicht in Abrede stellen sollten. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Helfrich, Sie haben das Problem der Jugendarbeitslosigkeit in Europa angesprochen. In der Tat: Dieses Problem ist wirklich sehr signifikant. 5,5 Millionen junge Leute in Europa sind weder in Ausbildung noch in Arbeit. In einigen Ländern ist es besonders dramatisch; da sind über 50 Prozent aller Jugendlichen weder in Ausbildung noch in Arbeit. Deswegen hat es in der vergangenen Legislaturperiode diverse Gipfel gegeben. Die Kanzlerin sprach von einer verlorenen Generation, der man Unterstützung anbieten müsse. Das Programm, das einen Beitrag dazu leisten sollte, war MobiPro. Nun hatte MobiPro, wie man sich denken kann, erhebliche Anlaufschwierigkeiten. Bis so etwas in ganz Europa bekannt wird, dauert es natürlich eine Weile. Aber jetzt läuft das Programm. Genau in dem Moment, in dem sich die Jugendlichen entschieden haben, dieses Angebot anzunehmen, (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das stimmt so nicht!) wird das Programm wegen Überfüllung geschlossen. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nein!) Es gibt einen Antragsstopp zum 8. April dieses Jahres. Alles, was danach kommt, wird auf das nächste Jahr vertröstet. Ich frage Sie: Was haben Sie sich eigentlich gedacht? Sie haben ein Programm ins Schaufenster gestellt und wundern sich, dass dieses Programm jetzt auch gekauft wird. Das wollen Sie nicht. Ich will Ihnen einmal etwas zu der Dimension sagen: Von 5,5 Millionen jugendlichen Arbeitslosen haben sich 9 000 für das Programm beworben. Frau von der Leyen hat damals gesagt: Das ist gelebte Solidarität. – Diese gelebte Solidarität ist bei Ihnen bereits bei 9 000 Jugendlichen überfordert. Im kommenden Jahr wird das Programm auf 2 000 Jugendliche gedeckelt. Das ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit; das ist aber auch weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein im Kampf gegen den Fachkräftemangel. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist ein Redebeitrag, Herr Präsident, keine Frage! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wo ist die Frage?) MobiPro ist aber keine mildtätige Geste, sondern auch ein Beitrag zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Sie von der CDU haben einen TV-Spot. In dem TV-Spot sagen Sie: Deutschland sollte in Europa eine Vorbildfunktion einnehmen. – Diese Vorbildfunktion sollten Sie auch in der Bundesregierung einnehmen. Danke schön. Vizepräsident Peter Hintze: Ich muss zur allgemeinen Entspannung beitragen. Bleiben Sie bitte entspannt: Bei einer Kurzintervention darf man durchaus einen kleinen Redebeitrag halten. Sie unterscheidet sich von einer Zwischenfrage. Dies war ein kleiner Redebeitrag. Der Kollege darf darauf antworten, er muss es aber nicht. Mögen Sie? Mark Helfrich (CDU/CSU): Frau Pothmer, das ist ein kleines Déjà-vu, Sie haben schon einmal einen ähnlichen Vortrag im Rahmen einer Zwischenfrage gehalten, als ich kürzlich hier im Plenum gesprochen habe. Ich kenne kein Schaufenster, in dem Waren ausgestellt sind, die ungefähr 100 Millionen Euro schwer sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich finde beeindruckend, was hier geleistet wird. Wir sind beieinander, dass wir es möglichst vielen Menschen anbieten und zur Verfügung stellen sollen, weil es ein ganz tolles Projekt ist. Die Nachfrage nach dieser Möglichkeit ist unbestritten. Ich wundere mich, dass Sie immer einen Anlass finden, dieses eigentlich tolle Projekt kaputtzureden. Irgendwie kann ich das nicht nachvollziehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gerade vom Kollegen Helfrich gehaltene Rede stand eher unter dem Motto „Ein Betriebswirt liest Verwaltungsvorschriften vor“, als dass eine soziale Vision von Europa darin erkennbar gewesen wäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die ist aber dringend notwendig. Sie haben etwas vernachlässigt. Natürlich ist es so, dass Sozialleistungen erwirtschaftet werden müssen. Umgekehrt ist es aber auch so, dass Sozialpolitik und damit soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherung überhaupt eine Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung ist, die dazu führt, dass überhaupt genügend da ist, damit finanziert werden kann. Das ist eine typische Errungenschaft der sozialen Marktwirtschaft. Sie haben das völlig vernachlässigt. Das muss aber im Sinne der Vision eines sozialen Europas unbedingt mitgedacht werden. Solch eine Vision – auch konkrete Schritte dahin – sind unbedingt notwendig; denn wir brauchen ein starkes Europa. Das sieht man jetzt bei der Ukraine-Krise, bei der es wichtig ist, dass Europa mit einer Stimme redet. Man sieht das bei vielen globalen Problemen, die wir haben: beim Klimawandel, bei der Frage der globalen Gerechtigkeit und bei der Frage der Demokratie in der Welt. Wer, wenn nicht Europa, soll denn da in der Welt Vorbild sein? Das geht nur, wenn wir ein zusammenwachsendes und ein solidarisches Europa haben, damit es da mit einer Stimme sprechen und gemeinsam Vorbild sein kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Realität ist aber eine ganz andere. Wir erleben, dass die Zustimmung zur EU europaweit sinkt. In den Krisenländern sinkt sie aufgrund der beschriebenen Situation. Da stimme ich der Kollegin Zimmermann, was die Beschreibung der Situation anbelangt, zu. Es gibt massiv hohe Arbeitslosigkeit insbesondere bei der Jugend. In Griechenland gibt es steigende Säuglingssterblichkeit und teilweise verheerende gesundheitliche Situationen. Das ist eine Folge der Krisenpolitik, wie sie insbesondere die CDU-geführte Regierung in den letzten Jahren immer wieder eingefordert hat. Das bringt uns überhaupt nicht weiter. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Grünen haben zugestimmt!) – Wir haben dem zugestimmt, Herr Kollege, weil wir gesagt haben: Wir müssen den Ländern helfen. Auch das gehört zu einem solidarischen Europa. Denn die Alternative, nicht zu helfen, wäre sogar noch schlechter gewesen als die jetzige Situation. Das hätte sie völlig in den Ruin getrieben. Mit den Hilfspaketen wurde Zeit gekauft. Diese Zeit ist nicht genutzt worden. Wir hätten sie dringend notwendig gehabt, um eine Krisenpolitik zu fahren, die mehr soziale Gerechtigkeit schafft und auch die Reichen mit in die Pflicht nimmt. So wäre ein Schuh daraus geworden. Dagegenzustimmen, so wie Sie das gemacht haben, wäre der völlig falsche Weg gewesen. Zur Solidarität in Europa gehört dazu, dass man mit den Krisenländern solidarisch ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber auch in den reicheren Ländern nimmt die Zustimmung zur EU ab, weil es hier die Vorstellung gibt – die auch von Linken und anderen geschürt wird –, dass viel Geld für Bankenrettung verschwendet würde und bei uns nicht mehr genügend Geld für Sozialleistungen zur Bekämpfung von Armut zur Verfügung stünde. Wenn man sich die Situation in Deutschland anschaut, erkennt man, dass die Armut auf einem hohen Niveau verharrt. Die Altersarmut steigt, die Armut von Erwerbstätigen steigt, und die Armut von Kindern ist nach wie vor auf einem skandalös hohen Niveau. Das müssen wir ändern. Wir brauchen in ganz Europa, dass die „starken Schultern“ in allen Ländern mit den Schwachen in allen Ländern solidarisch sind. Das ist eine Vision von Europa, wie wir sie eigentlich haben müssten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die EU ist dabei gar nicht so schlecht, wie sie von der Linken immer gemacht wird. Sozialpolitische Ziele gibt es spätestens seit dem Gipfel von Lissabon 2000. Seitdem gibt es jährlich eine einheitliche Armutsberichterstattung auf der Basis gemeinsamer Indikatoren. Die Mitgliedstaaten müssen darlegen, was sie zur Bekämpfung der Armut unternehmen. Das ist durch den Lissabon-Vertrag noch einmal gestärkt worden, in dem die sozialpolitischen Ziele ausdrücklich benannt sind. Herr Kollege Helfrich hat auf die Strategie „Europa 2020“ hingewiesen, aber ein wesentliches Ziel komplett vergessen, nämlich das Ziel der Armutsreduktion, das zum ersten Mal ein quantitatives Ziel ist. Danach soll die Zahl der Armen in Europa um 10 Prozent reduziert werden. Was hat die schwarz-gelbe Bundesregierung seinerzeit gemacht? Sie hat gesagt: Die Kriterien der EU gefallen uns nicht. Wir suchen uns ein neues Kriterium aus, an dem wir das festmachen. – Wo kommen wir denn hin, wenn sich jedes Land seine eigenen Kriterien aussucht und sagt: „Wir halten uns nicht daran“? Es ist wichtig, dass wir an dieser Stelle europäische Kriterien haben. Ich fordere die Regierung auf: Halten Sie sich an die in der EU vereinbarten Indikatoren, und sichern Sie zu, dass Deutschland seinen Beitrag zur Reduzierung von Armut leisten wird! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Was ist nötig, und welche Möglichkeiten hat die Union? Es ist richtig, es gibt auf europäischer Ebene keine sozialpolitischen Kompetenzen im engeren Sinne, aber es gibt die Möglichkeit, Zielsetzungen zu vereinbaren. Es gibt die Offene Methode der Koordinierung. Es gibt die Möglichkeit, soziale und andere Mindeststandards zu setzen. Es wäre wichtig, solche Mindeststandards zu formulieren, auch was die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angeht. Man könnte auf europäischer Ebene vereinbaren, dass in allen Ländern Grundsicherungssysteme eingeführt werden, die es in einigen Ländern nicht gibt, zum Beispiel in Griechenland. Die haben nicht einmal so etwas wie Hartz IV. Man könnte vereinbaren, dass alle Menschen Zugang zur sozialen Sicherung haben, dass es Netze der sozialen Sicherung ohne Lücken gibt. Das sind Zielvereinbarungen, die durchaus möglich wären. Im Rahmen der Krisenpolitik wäre der Effekt noch stärker. Man hätte den Griechen sagen können: Wir helfen nur unter der Bedingung, dass ein Grundsicherungssystem eingeführt wird, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum haben Sie es nicht gesagt?) wir helfen nur unter der Bedingung, dass arbeitsrechtliche Standards eingeführt und sogar verbessert werden. Wir hätten helfen können unter der Bedingung, dass die gesundheitlichen Mindeststandards eingehalten werden. Wir hätten nicht zuletzt auch zur Bedingung machen müssen, dass sich die Reichen an der Finanzierung der Krise und der Hilfen durch eine höhere Besteuerung beteiligen. Das alles hätte man machen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir als Grüne wollen aber noch weiter gehen. Wir wollen, dass im Rahmen der Diskussion über mehr wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenzen der EU auch über sozialpolitische Kompetenzen der EU geredet wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist notwendig, dass man Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik auf europäischer Ebene stärker koordiniert. Deswegen wollen wir einen Europäischen Konvent, bei dem – auch das ist wichtig – öffentlich diskutiert wird, was dort passiert; denn wir wollen ein demokratisches Europa, in dem die Menschen mitbestimmen können, welche Kompetenzen in den Bereichen Wirtschaft, Finanzen und Soziales auf EU-Ebene angesiedelt werden sollen. Wir Grüne wollen ein ökologischeres, demokratischeres und sozialeres Europa. Ich finde, es lohnt sich für uns alle, gemeinsam dafür zu kämpfen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Dagmar Schmidt, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn möchte ich einen doppelten Dank an die Partei Die Linke aussprechen. Erstens möchte ich mich dafür bedanken und ich bin froh, dass ich ein paar Dinge, die Ihre Partei in den letzten Wochen und Monaten an europafeindlichen Äußerungen verlautbart hat, in Ihrem Antrag nicht lesen musste, und dass sich offensichtlich diejenigen durchgesetzt haben, die die EU für ein demokratisches Reformprojekt halten und daran mitwirken und Verantwortung übernehmen wollen. Das ist gut so. (Beifall bei der SPD) Zweitens möchte ich mich dafür bedanken, dass Sie uns mit Ihrem Antrag die Chance geben, über das soziale und demokratische Europa zu reden, ein soziales und demokratisches Europa, das seit fast 100 Jahren Vision und programmatisches Ziel der SPD ist. Ich möchte zwei für uns wichtige Wegmarken benennen. Die SPD hat bereits 1925 in ihrem Heidelberger Programm zwischen zwei Weltkriegen und in großer Weitsicht die Schaffung der europäischen Wirtschaftseinheit und der Vereinigten Staaten von Europa gefordert – im Wissen um die Grenzen des Nationalstaates und des nationalstaatlichen Handelns und im Wissen um die gemeinsamen Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter diesseits und jenseits deutscher Grenzen. Kanzler Willy Brandt hat in seiner Regierungserklärung 1969 mit den Worten „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden im Inneren und nach außen“ nicht nur einen Maßstab für deutsche Politik gesetzt, sondern auch (Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] stößt gegen die Verblendung seines Sitzplatzes, die daraufhin zu Boden fällt) – alles ganz geblieben? – (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Grünen bauen ab!) und gerade beim Fortschreiten der europäischen Integration einen Maßstab für europäische Politik: Wir Europäerinnen und Europäer wollen gute Nachbarn werden – im Inneren und nach außen. Sehr geehrte Damen und Herren, Europa ist nicht nur ein Friedensprojekt – es war schon immer auch ein Projekt, gemeinsam und solidarisch den Wohlstand zu sichern. Sozialer Fortschritt – das hat die SPD in ihrer 150-jährigen Geschichte leidvoll erfahren müssen – kommt nicht von heute auf morgen und erst recht nicht von allein. Die soziale Integration Europas ist ein Prozess, ist ein Weg, auf dem schon viel erreicht wurde, aber vor allem noch vieles zu erledigen ist. Nichts zeigt das deutlicher als die Folgen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise und die mit ihnen einhergehende zunehmende Abwendung von Europa. Das soziale Europa, das Europa der sozialen Marktwirtschaft gelingt nur, wenn wir gemeinsam die Ursachen der Krise bekämpfen. Die Armut steigt, während auf den Finanzmärkten wieder die Champagnerkorken knallen und sogenannte Ramschanleihen im Euro-Raum schon wieder ein Volumen von 90 Milliarden Euro erreichen und damit einen neuen Rekord erzielen. Aber für Bankentrennung, für Finanztransaktionsteuer, für Bankenunion und Finanzmärkte, die der Realwirtschaft dienen, für einen gemeinsamen Rahmen für gerechte Steuern, für die Beendigung von Steuerdumping und dafür, das Land der Gewinne auch zu einem Land der Steuereinnahmen zu machen, dafür kann man am 25. Mai sein Kreuz machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das soziale Europa gelingt nur, wenn wir gemeinsam Arbeitslosigkeit bekämpfen und in Arbeit in Europa investieren. Jeder zehnte Europäer ist arbeitslos, jeder vierte Jugendliche und in Ländern wie Griechenland, Spanien und Kroatien mehr als jeder zweite. Ein sozial gespaltenes Europa wollen wir nicht. Deswegen gilt es, einiges in Ordnung zu bringen. Das betrifft existenzsichernde Mindestlöhne in allen europäischen Ländern, gleiche Lohn- und Arbeitsbedingungen am gleichen Ort, starke Arbeitnehmerrechte, starke europäische Gewerkschaften und fairen Wettbewerb statt Sozialdumping, gute Ausbildung und Perspektiven für junge Menschen. Alles das kann man umsetzen, wenn der politische Wille und die politische Mehrheit dafür da sind. (Beifall bei der SPD) Das soziale Europa gelingt nur mit einer starken europäischen Wirtschaft, die gute und sichere Arbeitsplätze schafft. Dafür braucht es Investitionen in Forschung, Bildung, Infrastruktur und einen starken Mittelstand. Allein in meinem Wahlkreis, dem Lahn-Dill-Kreis in Mittelhessen, machen die Exporte nach Europa 1 Milliarde Euro Industrieumsatz aus. Das sind 5 000 Arbeitsplätze, die direkt an der Kaufkraft in den EU-Staaten, der Wirtschaftskraft in unseren Nachbarländern und den Vorteilen des Binnenmarktes hängen. Da fällt die Überzeugungsarbeit für Europa leichter. Aber wir müssen die sozialen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass alle Menschen in Europa eine Perspektive auf Wohlstand haben und die Chancen einer europäischen Integration auch für sich erkennen. Wer die Menschen auf dem Weg nach Europa mitnehmen möchte, der muss das soziale Europa bauen. Denn das Friedensprojekt und der starke Binnenmarkt brauchen das soziale Fundament und das solidarische Handeln, um zukunftsfähig zu sein. In diesem Sinne wollen wir gute Nachbarn sein – im Inneren und nach außen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort Kollegen Dr. Martin Pätzold, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion setzt sich für ein soziales Europa ein, ein Europa, in dem junge Menschen Perspektiven haben, sich frei zu entfalten, und in dem älteren Menschen nach ihrem Berufs-leben soziale Mindeststandards garantiert werden. Die Bundesrepublik Deutschland ist dabei mit ihren Errungenschaften durch die soziale Marktwirtschaft ein Vorbild in der Europäischen Union. Unsere sozialen Standards sollten das Richtmaß für die Entwicklung eines sozialen Europas sein, auch wenn uns klar sein sollte, dass noch viele Jahre und Jahrzehnte vergehen werden, bis dies in allen Staaten der Europäischen Union erreicht werden kann. Wir sollten so ehrlich sein und uns eingestehen, dass dieser Prozess Zeit braucht. Bei der europäischen Idee geht es nicht nur um Freiheit und Frieden, sondern auch um wirtschaftlichen Wohlstand in der Breite. Für mich persönlich ist die Idee der Europäischen Union der Hauptgrund gewesen, warum ich mit 18 Jahren in die CDU eingetreten bin. (Beifall bei der CDU/CSU) – Da sollte man Applaus von der eigenen Fraktion bekommen. Ich selber vereine europäische Wurzeln in meiner Person. Ich bin im Ausland geboren und dort einige Jahre aufgewachsen. Mein Vater war Auslandsjournalist, und meine Mutter ist nicht in Deutschland geboren. Für mich ist damit das Projekt Europa nicht abstrakt, sondern sehr konkret. Deswegen kämpfe ich so sehr für die Europäische Union und für ein soziales Europa. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Heute leben über 500 Millionen Menschen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf einer Fläche von rund 4,3 Millionen Quadratkilometern. Sie alle wünschen sich für ihre eigene Zukunft und die Zukunft der nachfolgenden Generationen ein Leben in Frieden und sozialer Sicherheit. Auf der einen Seite ist die Europäische Union in den Jahrzehnten seit ihrer Gründung immer stärker zusammengewachsen, auf der anderen Seite gab es Herausforderungen für das Zusammenwachsen. Die unterschiedlichen Kulturen und Traditionen der europäischen Nationen repräsentieren den großen Reichtum der Europäischen Union. Doch sie stellen auch eine permanente Herausforderung dar, gemeinsame Regeln und Standards im Zusammenleben der Völker zu finden. Die Unterschiede in den Traditionen, den politischen Systemen, aber auch die ökonomischen Möglichkeiten und Gegebenheiten werden neben der Wirtschafts- und Finanzpolitik gerade in der Sozialpolitik deutlich. Soziale Sicherung war und ist in den einzelnen Ländern von der wirtschaftlichen Situation abhängig. Daher ist es ein Ziel der Europäischen Union, die unterschiedlichen Systeme aufeinander abzustimmen und zu modernisieren. Die Sozialpolitik gewinnt in einem Europa, das das Zusammenwachsen als wichtige Errungenschaft betrachtet, immer mehr an Bedeutung. Sie prägt und bestimmt alle anderen Politikfelder und trägt so auch entscheidend zum Gelingen unserer Zukunft bei. Gerade durch die Erweiterung der Europäischen Union von 2004 und 2007 und den Beitritt Kroatiens 2013 hat das Zusammenwachsen Europas neue Akzente bekommen. Europa ist ein politisches Gebilde, das einstige Gegensätze miteinander versöhnt, alte Fronten verschwinden lässt und ein neues Gefüge schafft. Die Länder Europas profitieren voneinander und sind stark voneinander abhängig. Das soziale Europa musste viele Brüche und Umbrüche erleben, um sich auf Frieden und Freiheit zu besinnen. Ich bin davon überzeugt, dass es dabei nicht nur um Freiheit gehen darf, sondern dass wir uns als Bundesrepublik Deutschland dafür einsetzen müssen, dass materieller Wohlstand in der Breite möglich wird. Europa kennt heute noch kein einheitliches Sozialmodell. Die Lissabon-Agenda sieht vor, dass die Sozialpolitik weiterentwickelt wird. Der Europäischen Sozialfonds wurde gegründet – das hat mein Kollege Helfrich schon angesprochen –, um Fördergelder für Umschulungen, Fortbildungen und zur Förderung von beruflicher Mobilität gemeinsam zu erreichen. Man wollte erreichen, dass alle Menschen, die arbeiten konnten und wollten, Arbeit finden und damit zu einem wirtschaftlichen Ausgleich unter den Regionen in Europa beitragen. Bis heute werden Vorhaben gefördert, die den Zugang zu Ausbildungen verbessern, neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen, Existenzgründer unterstützen, öffentliche Dienste verbessern und benachteiligten Menschen beim beruflichen Einstieg oder Wiedereinstieg helfen. In festen Zeiträumen werden die Richtlinien des Europäischen Sozialfonds an die aktuellen Notwendigkeiten angepasst. Die Chancen und Möglichkeiten für Jugendliche sind im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos. Verschiedene EU-Programme zum lebenslangen Lernen und zum Bereich Jugend in Aktion machen es möglich, dass Berufspraktika oder das Studieren im EU-Ausland jedem offenstehen. Die EU-Jugendstrategie sieht vor, dass wir dies nachhaltig gestalten und damit auf Dauer Erfolg erzielen können. Sie zielt dabei auf die Förderung der sozialen und beruflichen Eingliederung Jugendlicher, die Förderung der persönlichen Entfaltung, des sozialen Zusammenhalts und des gesellschaftlichen Engagements ab. Trotz dieses Engagements ist die Arbeitslosigkeit in den 28 Mitgliedstaaten dramatisch hoch. Wir müssen der Linken recht geben. An diesem Thema arbeiten wir. Die Wirtschafts- und Finanzkrise war ein Grund für die deutliche Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt. Aber auch hier haben wir politisch reagiert: Im Februar 2013 wurde die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren im Europäischen Rat angenommen. Hierbei sollen mit 6 Milliarden Euro Regionen gestärkt werden, in denen die Jugendarbeitslosigkeit mit mehr als 25 Prozent am größten ist. Dabei geht es auch darum, langfristige Beschäftigung zu schaffen und keine verlorene Generation in Europa zu haben. Die Bundesregierung will Ansätze des erfolgreichen Konzepts der dualen Ausbildung exportieren und den Ländern damit helfen, ihre Strukturdefizite auszugleichen und damit nachhaltige Strukturen vor Ort zu schaffen. Die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union stehen vor großen Herausforderungen. Uns geht es darum, ein soziales Europa zu schaffen. Am 25. Mai haben die Bürgerinnen und Bürger in Europa die Möglichkeit, für dieses soziale Europa zu stimmen. Ich glaube, in der Bundesrepublik Deutschland geht es vor allen Dingen darum, dass die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit nutzen, demokratische Parteien zu stärken. Das ist wichtig, damit wir das soziale Europa weiterentwickeln können. Meine Fraktion wird sich im Deutschen Bundestag weiterhin dafür einsetzen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Harald Weinberg, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Harald Weinberg (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der EU-Grundrechtecharta, Artikel 35 – Gesundheitsschutz –, heißt es: Jede Person hat das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Bei der Festlegung und Durchführung aller Politiken und Maßnahmen der Union wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt. Das ist in Europa nicht gegeben – im Gegenteil. Nehmen wir das Beispiel Griechenland. Die Kürzungspolitik der Troika hat zu einem faktischen Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung in Griechenland geführt. In der Troikavereinbarung wird unter anderem vorgeschrieben, dass der griechische Krankenversicherungsträger die Zahl der Ärzte zweimal um 10 Prozent reduzieren muss. Wegen dieser Vorgabe wurden im Februar 2014 alle 350 öffentlichen Polikliniken vorläufig geschlossen. Ohne jedwede gesundheitswissenschaftliche Expertise wurde festgelegt, dass die öffentlichen Gesundheitsausgaben auf 6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gesenkt werden müssen; mittlerweile sind die Ausgaben weiter gesunken, weil das Bruttoinlandsprodukt weiter sinkt. Der damalige griechische Gesundheitsminister sagte 2011, dass die Kürzungen im Gesundheitssystem nicht mit dem Skalpell, sondern mit dem Schlachtermesser vorgenommen würden, übrigens unter aktiver Beteiligung der deutschen Bundesregierung und des deutschen Bundesgesundheitsministeriums. Es gibt mittlerweile eine Fülle an wissenschaftlichen Untersuchungen zu den Auswirkungen der Kürzungsdiktate auf den Gesundheitszustand der griechischen Bevölkerung. Die Ergebnisse sind eindeutig und verheerend. Ein Buch von zwei Public-Health-Wissenschaftlern, das gerade auf Deutsch erschienen ist, trägt dann auch bezeichnenderweise den Titel Sparprogramme töten, und das ist bitterernst gemeint. Einige Beispiele: Die Zahl der HIV-Neuinfektionen unter Drogenabhängigen ist von 9 im Jahre 2008 auf 484 im Jahre 2012 gestiegen, weil keine sauberen Spritzen mehr kostenlos ausgegeben werden. Die Zahl der Neuinfektionen mit Tuberkulose hat sich nach 2012 binnen eines Jahres verdoppelt. Die Säuglingssterblichkeit ist zwischen 2008 und 2010 um 43 Prozent angestiegen. Circa 30 Prozent der griechischen Bevölkerung sind nicht mehr krankenversichert, haben keinen Zugang zu einer Gesundheitsversorgung. Zur Notfallversorgung aller Menschen, auch der Nichtversicherten, sagte der aktuelle griechische Gesundheitsminister im Februar 2014, dass alle Patienten in dringlichen Fällen eine Behandlung erhalten würden, aber eine Krebserkrankung stuft er nur im Endstadium als dringlich ein. Was wir also in Griechenland dringend brauchen, ist die Wiederherstellung einer medizinischen Grundversorgung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Stattdessen wird jedoch unter Federführung des BMG eine Reformagenda aufgelegt, die diese Grundversorgung nicht wirklich in den Blick nimmt, sondern Versatzstücke der deutschen Gesundheitsreform auf Griechenland überstülpt, beispielweise die Einführung des DRG-Vergütungssystems im Krankenhausbereich. Das ist für mich nichts anderes als der Versuch, in Griechenland infrastrukturell ein Gewerbegebiet zu erschließen. Die deutschen Krankenhauskonzerne, Asklepios vorweg, sind bereits auf Einkaufstour und versuchen, griechische Kliniken aufzukaufen. Das kann und soll nicht sein. Wenn wir ein soziales Europa wollen, dann müssen wir es den Reichen und der Troika nehmen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Michael Gerdes, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Gerdes (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte liefert den Anstoß, über das Thema „soziales Europa“ zu reden. Tatsächlich mussten wir in den letzten Jahren bei europapolitischen Diskussionen sehr häufig, vielleicht zu häufig, über Finanzmärkte, Banken oder Ratingagenturen streiten. Wirtschafts- und Währungspolitik allein bringt uns aber nicht das Europa, das wir uns wünschen. Wir Sozialdemokraten wollen ein Europa, in dem soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt die Basis für wirtschaftlichen Erfolg sind. Um die soziale Spaltung Europas zu verhindern, brauchen wir insgesamt mehr Beschäftigung, speziell in Süd- und Osteuropa. Gerade die junge Generation braucht unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Junge Menschen brauchen eine Chance, damit sie nicht das Vertrauen in sich selbst und in das europäische Projekt verlieren. MobiPro-EU ist da nur ein Projekt; ein gutes im Übrigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Arbeit und das damit verbundene Einkommen bedeuten – hier wie überall – Teilhabe. Wir müssen allen Jugendlichen eine Perspektive bieten, damit sie eine selbstbestimmte Zukunft in Europa erleben. Sie brauchen eine Chance auf Ausbildung. Deshalb stehen wir als SPD zur europäischen Jugendgarantie, die jedem arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren binnen vier Monaten ein Angebot für einen Job, eine Ausbildung oder ein Praktikum macht. Bei ihrer Umsetzung brauchen wir dringend mehr Entschlossenheit. Gut ausgebildete junge Menschen haben in ganz Europa gute Perspektiven. Mehr Arbeitsplätze können dann entstehen, wenn wir arbeitsmarktrelevante Ideen und Maßnahmen europaweit besser koordinieren. Die Europäische Beschäftigungsstrategie ist ein Anfang. Die europäischen Arbeitsmarktzahlen zeigen allerdings, dass wir besser werden müssen. Dazu sind Investitionen in Bildung und in die Qualifizierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern notwendig. Gezielte Weiterbildung ist nur ein erstes Stichwort, wenn es darum geht, die Menschen auf die moderne Arbeitswelt vorzubereiten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gute Beschäftigung beginnt viel früher, nämlich mit guter Schulbildung, besseren Übergängen zwischen Schule und Beruf, und sie geht weiter mit einer soliden Berufsausbildung, die Theorie und Praxis miteinander verbindet. Die Vergleichbarkeit und gegenseitige Anerkennung der Berufsbilder in der EU sind auch noch nicht komplett vollzogen. Viele Zuwanderer sind gut ausgebildet, können aber in ihrem eigentlichen Beruf nicht arbeiten, weil ihre Ausbildung in Europa nicht anerkannt wird. Das schadet uns allen. Wenn wir dem Facharbeiter- und Fachkräftemangel vorbeugen wollen, müssen wir bei der Anerkennung schneller sein. Es ist nicht richtig, wenn in Deutschland Fachkräfte unterhalb ihrer Qualifikation als billige Hilfskräfte verheizt werden, während wir gleichzeitig über Fachkräftemangel diskutieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch Innovationen und eine funktionierende Infrastruktur fallen nicht vom Himmel. Beides muss ausreichend finanziert werden, um mehr Jobs zu schaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Grundsatz „Gute Arbeit“ soll nicht nur hier in Deutschland gelten, sondern in ganz Europa. Dabei geht es mir um grundlegende Errungenschaften wie den Kündigungsschutz, die Tarifautonomie oder die Maxime „Gleiche Löhne für gleiche Arbeit“. Selbstverständlich sollte gute Arbeit überall in Europa existenzsichernd sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Gute Arbeit heißt aber auch: möglichst gleiche Standards in der Arbeitswelt. Das betrifft den Arbeitsschutz, die Unfallversicherung und die Sozialversicherungssysteme gleichermaßen. Eine Vereinheitlichung der Standards darf aber nicht die Absenkung unseres Niveaus bedeuten. Wir wollen ein Europa mit einheitlichen Regeln. Deshalb geht es nicht ohne Mitbestimmung. Starke Betriebsräte und Gewerkschaften sind kein Hindernis für den Arbeitsmarkt. Im Gegenteil: Mitbestimmung heißt mitdenken, anpacken, Verantwortung übernehmen. All das kann dabei helfen, die gewünschte Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Insofern spricht nichts dagegen, die Regeln für Mitbestimmung in Unternehmen europäischer Rechtsform auszuweiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Vergleich mit anderen Ländern zeigt: Uns geht es in Deutschland recht gut, die Erwerbstätigkeit ist hoch, und es wird viel exportiert. Leider profitieren aber nicht alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Wachstum. Es gibt zu viele Menschen mit geringen Löhnen und Minijobs. Sorgen bereiten uns zudem die Langzeitarbeitslosen. Gut also, dass der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn kommt. Der Gesetzentwurf von Ministerin Andrea Nahles wird dafür sorgen, dass über 4 Millionen Beschäftigte in Deutschland bald mehr Geld in der Lohntüte haben werden. Darüber hinaus ist ein europäischer Pakt für Mindestlöhne wünschenswert, damit Lohn- und Sozialdumping europaweit bekämpft werden können. (Beifall bei der SPD) Mindestens genauso wichtig wie der Mindestlohn sind gute Tarifabschlüsse, an die sich alle halten. Das Tarifpaket der Großen Koalition wird die Tarifflucht mancher Branchen beenden. Das ist gute und gerechte Beschäftigungspolitik. Wir machen unsere Hausaufgaben. Damit leisten wir unseren Beitrag zu einem sozialen Europa. Herzlichen Dank. Glück auf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächste Rednerin rufe ich Annalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen, auf. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Europa muss sozialer werden – dieser Spruch eint alle, von tiefrot bis tiefschwarz. Das sieht man heute hier, in dieser Debatte. Das sieht man auch an den Wahlplakaten. Das Schöne an dem Spruch ist, dass man hinter der Forderung nach einem sozialen Europa die nationalen Defizite wunderbar verstecken kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es etwas schade, dass die Linke in ihrem Antrag nicht stärker dieses Dilemma aufgegriffen hat, dass die EU in den Kernbereichen der Sozialpolitik keine Kompetenz hat und in diesen Bereichen deswegen nicht aktiv werden kann. Liebe Linke, das ist nicht so, weil die EU neoliberal und böse ist, sondern das ist so, weil sich die Mitgliedstaaten bei ihrer Gründung 1951 darauf verständigt haben. Als man das mit dem Lissabon-Vertrag ein Stück weit ändern wollte – Artikel 3 des EU-Vertrages –, haben ausgerechnet Sie dagegen gestimmt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist ja auch viel einfacher, alles in einen Topf zu werfen und zu sagen: Die böse, unsoziale EU ist schuld. In Ihrem Antrag gehen Sie zumindest etwas differenziert vor, in Ihrem Wahlkampfvideo aber leider nicht. Da werfen Sie der unsozialen EU auch noch vor, dass die Krankenschwestern in Deutschland so schlecht bezahlt werden und wir hier keine Kitaplätze haben. Daran ist die EU nun aber wirklich nicht schuld. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung von Frau Zimmermann? Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Vizepräsident Peter Hintze: Bitte schön. Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich möchte Sie etwas fragen, da Sie gesagt haben, das Soziale könne nicht europaweit geregelt werden. Es geht hier nicht darum, dass wir die gleiche Rente für alle Menschen in Europa fordern. Es geht zum Beispiel darum: Was erzähle ich den Truckfahrern, die hier Briefkastenfirmen aufmachen, die Scheinselbstständigkeit fördern? Wie kann dafür gesorgt werden, dass sie innerhalb von Europa ordentliche Arbeitsbedingungen haben? Ist es nicht das Mindeste, dass sie ordentliche Löhne, dass sie gleiche und faire Arbeitsbedingungen verlangen können? Das ist doch eine Frage von Europa und keine Frage der einzelnen Staaten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entsenderichtlinie!) Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Erzählen Sie diesen Leuten einmal, dass es ein Problem ist, dass sich die deutsche Bundesregierung jahrelang gegen die Entsenderichtlinie gesperrt hat. Da sich Deutschland als eines von ganz wenigen Ländern jahrelang gegen einen nationalen Mindestlohn, gegen einen gesetzlichen Mindestlohn gesperrt hat, hat die Entsenderichtlinie nicht gegriffen. Deswegen gibt es Schlupflöcher. Erzählen Sie diesen Truckfahrern, die hier, wie Sie selbst gesagt haben, Briefkastenfirmen aufmachen, (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Genau!) dass keine Briefkastenfirmen aufgemacht werden sollen, dass das in der Europäischen Union zu unterbinden ist. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Soll das der Truckfahrer verändern?) – Nein, seine Firmen sollen das verändern. Dafür müssen sich die Regierungen einsetzen, auch die Bundesregierung. Sie müssen die Schuldigen benennen, die sich immer gegen die Richtlinie aussprechen. Aber Sie können doch nicht sagen – das machen Sie auch in Ihrem Antrag –, dass die Arbeitszeit in Europa unrechtmäßig gestaltet wird, und einfach verschweigen, dass sich die deutsche Bundesregierung jahrzehntelang verweigert hat und stattdessen für Opt-out-Regelungen für Deutschland gesorgt hat. Sie müssen doch differenzieren. Sie sagen nur: Die EU ist unsozial. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Unsozial unter Führung der Bundesrepublik!) Im Umkehrschluss bedeutet das: Das Nationale ist sozial. So einfach ist die Welt aber nun einmal nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Jetzt komme ich zu Ihrem Wahlkampfvideo zurück. Ich rege mich so sehr darüber auf, weil Ihre Europapolitiker es eigentlich besser wissen. Man kann die Leute doch nicht für blöd verkaufen. Aber was machen Sie in Ihrem Video? Zu Ihren ganzen schönen Forderungen, die Sie an die EU haben, egal ob die EU die Kompetenz dafür hat oder nicht, lassen Sie auch noch den Vorsitzenden Ihrer Bundestagsfraktion sprechen, als wenn der für die Europawahl am 25. Mai 2014 antreten würde. Insofern unterscheiden Sie sich keinen Millimeter von der CDU, die im Wahlkampf Frau Merkel plakatiert. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Kein Neid!) – Darauf bin ich definitiv nicht neidisch. – Das befördert eben diese Politikverdrossenheit. Die Leute wollen sich nicht für dumm verkaufen lassen, wenn sie am 25. Mai wählen gehen. Sie wissen, dass sie eben nicht Merkel wählen können und auch nicht den Kollegen Gysi, sondern diejenigen, die für das Europaparlament antreten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen darüber reden – da gibt es ja Differenzen in diesem Haus; das wurde bei dem Beitrag der CDU gerade noch einmal deutlich –, ob wir dazu bereit sind, auf die europäische Ebene mehr Kompetenz im sozialen Bereich zu verlagern, um eben ein Schleifen durch die Hintertür über die Binnenmarktregeln zu verhindern. Sie, liebe CDU, haben ganz klar gesagt, dass Sie das nicht wollen. Ich finde es sehr schade, dass Sie das nicht wollen. Wir sagen sehr deutlich: Wir können unsere Lehren aus der Wirtschafts- und Finanzkrise nur ziehen, wenn wir bereit sind, verstärkt über soziale Mindeststandards auf europäischer Ebene zu reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Dramatische ist ja: Wenn wir die EU zusammenhalten wollen, müssen wir dazu beitragen, dass sie ein soziales Gesicht bekommt – da sind wir ganz bei Ihnen, liebe Linke –, aber dann müssen wir auch Kompetenzübertragung zulassen. Dann müssen Sie auch für Vertragsänderungen offen sein und können das nicht immer einfach pauschal ablehnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Machen wir doch gar nicht!) Wichtig ist für uns: Wer Europa sozialer machen will, muss in bestimmten Fällen sofort einen Nothilfefonds auflegen, wie zum Beispiel in Griechenland, wenn die Gesundheitsversorgung kollabiert. Das haben wir in Form des Globalisierungsfonds auch geschafft, wenn Unternehmen plötzlich aus einem Land abwandern. Wer Europa sozialer machen will, muss europäische Mindeststandards einführen, nicht nur im Arbeitsrecht, sondern auch bei den Sicherheitsleistungen. Wir brauchen da intelligente Korridorlösungen. Wer Europa sozialer machen will, muss eine soziale Wirtschaftsklausel im EU-Recht einführen. Wer Europa sozialer machen will, muss auch über stabile makroökonomische Kontexte reden. Da können Sie sich nicht verweigern. Wir müssen in der Wirtschaftsunion vorankommen, und auch die Frage einer Basisarbeitslosenversicherung darf dann kein Tabuthema mehr sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Worüber reden Sie eigentlich?) – Ich rede über ein soziales Europa. Wenn Sie das nicht kennen, tut mir das leid. Wer das Integrationsprojekt Europa nicht gefährden will, darf auch Europas Jugend nicht vergessen. Es ist katastrophal, wenn jeder vierte junge Mensch in Europa ohne Ausbildung oder Arbeit ist. Es ist eine Schande, wenn wir für die von allen Parteien und Fraktionen propagierte Jugendgarantie nur 137 Euro pro Jugendlichem zur Verfügung stellen, ein Hektar Fläche für Landwirtschaft in der Europäischen Union aber 300 Euro bekommt und dafür auch noch eine fehlgeleitete Agrarpolitik manifestiert wird. Das erklären Sie einmal den Jugendlichen in Europa. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Die Redezeit, Frau Kollegin. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn wir das Integrationsprojekt – das ist mein letzter Satz – nicht gefährden wollen – da komme ich auf Frau Pothmer zurück –, dann müssen wir bei MobiPro-EU, wenn Sie alle das Programm so gut finden, jetzt aktiv werden. (Zuruf von der CDU/CSU: Tun wir doch! Ist doch alles schon gelaufen!) Dann müssen Sie jetzt unseren Antrag dazu unterstützen. Es kann doch nicht sein, dass die Jugendlichen, die wieder ein bisschen Hoffnung in die Solidarität Europas gesetzt haben, hier in Deutschland sind und Anfang des Jahres Anträge gestellt haben (Zuruf von der CDU/CSU: Ein langer letzter Satz!) – jetzt hören Sie doch einmal zu –, jetzt kein Geld erhalten. Dadurch verlieren sie die Hoffnung in Europa wieder. Solange bei MobiPro-EU nicht nachgebuttert wird – wir haben noch Haushaltsverhandlungen, da können Sie das tun –, solange wir unseren eigenen Anforderungen hier nicht gerecht werden, sollten wir nicht über ein verstärkt soziales Europa reden. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Der letzte Satz ist so lang geraten, dass die Kollegin ihre Redezeit stark überzogen hat. – Kollege Ulrich von den Linken möchte eine Kurzintervention machen. Bitte. Alexander Ulrich (DIE LINKE): Kollegin Baerbock, eigentlich will ich Ihnen nicht erklären, dass es Ihre Aufgabe als Teil der Opposition wäre, die Bundesregierung zu kritisieren und nicht die Linken, die einen vernünftigen Antrag in den Bundestag eingebracht haben. Aber auch Opposition muss als neue Abgeordnete gelernt werden. Ein bisschen schwierig ist, wenn Sie hier eine künstliche Trennung zwischen der Arbeit der Bundesregierung, der politischen Ausrichtung der Bundesregierung und dem, was die EU-Kommission macht, vornehmen. Es ist doch eindeutig, dass die Bundesregierung wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Troika diese unsoziale Kürzungspolitik in den Programmländern umgesetzt hat. Aber dass die Bürger nicht trennen, was die EU-Kommission in der Troika und vorher die Bundesregierung macht, ist doch klar. Da kann man keine künstliche Trennung vornehmen. Würden Sie sagen, dass das, was die Bundesregierung in Brüssel und Straßburg durchgesetzt hat, zu einem unsozialeren Europa beigetragen hat? Würden Sie mir auch recht geben, wenn ich sage, dass Sie diesem Kürzungsprogramm hier im Bundestag zugestimmt haben? (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Wollen Sie reagieren? (Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Aber nichts kaputtmachen! – Heiterkeit) Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Natürlich hat es Auswirkungen der Austeritätspolitik in Europa gegeben. Wir alle haben sie bisher kritisiert; auch Teile der derzeitigen Bundesregierung kritisieren sie. Aber Sie müssen zwischen der Frage „Was sagt die Troika?“ und der Frage „Was wird dann umgesetzt?“ -unterscheiden. Sie können nicht einfach sagen: An allem, was im Süden Europas jetzt schlecht läuft, ist die EU, die Troika oder die Austeritätspolitik schuld. – Die Probleme mit dem Gesundheitssystem in Griechenland sind dramatisch; das habe ich in meinem Redebeitrag ja auch angesprochen. Da müssen wir stärker aktiv werden. Aber es gab in Griechenland schon vorher Probleme mit dem Gesundheitssystem – es hat auch vorher nicht funktioniert –, (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das stimmt!) und es gab auch vorher schon Probleme mit der Rentenversicherung. Es hilft nichts, wenn wir einseitig sagen: „Daran sind die Troika und die Austeritätspolitik schuld“, die Mitgliedstaaten aber sagen können: Wir sind fein raus; wir haben hier keine Verantwortung. – Mein Appell ist: Wir müssen ganz klar benennen, wo jede Regierung eines Mitgliedstaates Verantwortung trägt. Auch die Bundesregierung trägt Verantwortung dafür, dass sie nur auf Austerität und nicht auf eine stärkere Solidarität im -Rahmen der EU und nicht auf ein stärkeres soziales -Bewusstsein gesetzt hat; das gilt auch im Hinblick auf einige Maßnahmen im Rahmen der Troika. Auch das -haben wir immer kritisiert. Wir haben allerdings differenziert, auch bei unserer Zustimmung im Deutschen Bundestag. Es ist eben nicht so, dass man einfach sagen kann: Wir sind mit der Maßnahme XY nicht einverstanden, wir sind nicht damit einverstanden, dass es Kürzungen im Gesundheitsbereich gibt, und deswegen lehnen wir alle weiteren Hilfs-programme und -pakete komplett ab, auch unter der Maßgabe, dass Griechenland dann ganz schnell bankrott gewesen wäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Das ist gar nicht bankrott gewesen!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Christel Voßbeck-Kayser, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kurz vor der Europawahl bringt die Fraktion Die Linke einen Antrag zum Thema „soziales Europa“ ein – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Denn ein soziales -Europa war und ist immer Grundlage der Europäischen Union gewesen. Ein soziales Europa bedeutet auch ein stabiles -Europa, nämlich ein Europa mit soliden Finanzen und harter Währung. Dies sind Voraussetzungen für sichere Arbeitsplätze und dauerhaften Wohlstand. Ein soziales Europa ist auch ein Europa der Chancen: gute Bildung in ganz Europa und Bildungsabschlüsse, die EU-weit anerkannt werden; Schüler, Schülerinnen, Auszubildende, Studierende können überall in Europa lernen und arbeiten. Ein soziales Europa ist auch ein gefestigtes Europa, in dem schwächere Länder gestärkt werden, um wett-bewerbsfähiger zu werden. Und: Ein soziales Europa ist auch ein zukunftsfähiges Europa. Europäische Fördergelder werden nicht mehr nur nach Himmelsrichtung, sondern nach festen Kriterien vergeben. So können die Regionen bei der Bewältigung des Bevölkerungswandels unterstützt werden. Zu einem zukunftsfähigen Europa gehört auch ein gutes Miteinander von Jung und Alt. Dies alles ist Europa. Dieses Europa wird seit Jahrzehnten durch verschiedene Programme unterstützt. (Beifall bei der CDU/CSU) Dabei gilt für uns in der Union immer der Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“. Unterstützung gibt es nur, wenn die betroffenen Staaten Reformen durchführen und ihre Finanzen in Ordnung bringen. Irland und Portugal sind gute Beispiele, die zeigen, dass diese Form der Hilfe der richtige Weg ist. (Beifall bei der CDU/CSU) In Ihrem Antrag erwähnen Sie, Kollegen und Kolleginnen der Fraktion Die Linke, die durchaus hohe -Arbeitslosigkeit in unseren europäischen Nachbarländern. Sie unterlassen es aber, zu erwähnen, dass die Zahlen der Arbeitslosigkeit und auch der Jugendarbeitslosigkeit in Europa aktuell sinken. Die Arbeitslosenquote in der EU ist im März dieses Jahres im Vergleich zum -Vorjahr von 10,9 auf 10,5 Prozent gesunken. Die Jugendarbeitslosenquote in der EU ist im gleichen Zeitraum von 23,5 auf aktuell 22,8 Prozent zurückgegangen. Ich denke, diese Zahlen zeigen einen positiven Trend, der Ihnen dem Anschein nach entgangen ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist viel zu wenig und viel zu schwach!) Sie erwähnen in Ihrem Antrag auch Kroatien, ein Land mit einer Jugendarbeitslosigkeit in Höhe von 49,2 Prozent. Ja, diese traurige Zahl ist richtig. Sie unterlassen es aber auch hier, zu erwähnen, dass Kroatien erst seit dem letzten Jahr, genau erst seit Juli 2013, Mitglied der EU ist. Diese Jugendarbeitslosigkeit ist ja nicht erst durch die Mitgliedschaft entstanden. Dies ist eine verfälschte Darstellung von Tatsachen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Richtig ist folgender Zusammenhang: Das Wirtschaftswachstum in Europa liegt in diesem Jahr bei 1,2 Prozent. Länder wie Irland und Portugal, die ich eben schon genannt habe, profitieren hiervon, sie haben nämlich ein Wachstum zu verzeichnen. Was positives Wachstum bedeutet, das haben wir hier bei uns in Deutschland erlebt: Es führt zu mehr Beschäftigung und damit zur Reduzierung der Zahl der Arbeitslosen. Auch die aktuellen Zahlen aus Portugal und Irland belegen das doch – vergleichen wir es mit den Zahlen vom Vorjahr –: Portugal hatte 2013 eine Arbeitslosenquote von 17,4 Prozent und liegt jetzt bei 15,2 Prozent. Irland hatte im Vorjahr eine Arbeitslosenquote von 13,7 Prozent und liegt jetzt bei 11,8 Prozent. Dies ist auch der Grund, -warum beide Länder es selbstständig geschafft haben, den Rettungsschirm zu verlassen. Das zeigt, dass wir mit dieser Politik auf dem richtigen Weg sind. (Beifall bei der CDU/CSU – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit Spanien?) Deshalb sind die in Ihrem Antrag getroffenen Aussagen, liebe Kollegen und Kolleginnen der Fraktion Die Linke, nicht zutreffend. Ich darf auch daran erinnern, dass im März 2010 ein Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU statt-gefunden hat, auf dem die Strategie „Europa 2020“ beschlossen wurde. Ich will jetzt nicht näher auf die Kernziele eingehen; aber mit diesem Programm, das jetzt für die nächsten sieben Jahre gilt, werden mehr als 80 Milliarden Euro für diese Kernziele und damit für die Menschen in ganz Europa zur Verfügung gestellt. Von diesen 80 Milliarden Euro gehen mindestens 20 Prozent der Mittel in die soziale Eingliederung. Ich finde, besser kann man ein soziales Europa nicht beschreiben. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie sich doch einmal die Zahlen zur Armut in Europa an! Dann sieht das ganz anders aus!) Ich darf auch daran erinnern, dass jetzt die achte Förderperiode des Europäischen Sozialfonds – das ist schon mehrfach erwähnt worden; das erste Mal ging er 1958 an den Start – beginnt. Der Europäische Sozialfonds, liebe Kollegen und Kolleginnen, hat sich mit seinen Schwerpunkten immer an den aktuellen sozialen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Mitgliedstaaten und ihrer Menschen orientiert. All diese von mir genannten Maßnahmen beschreiben sehr wohl ein soziales Europa. Wir müssen den eingesetzten europäischen Mitteln aber auch Zeit geben, um zu wirken. Der positive Trend bei Wachstum und Beschäftigung bestätigt das. Sie können eines mitnehmen, Kollegen und Kolleginnen der Fraktion Die Linke: Die Bundesregierung unter unserer Kanzlerin Angela Merkel wird sich auch weiterhin selbstverständlich für „Europa 2020“ und damit für ein soziales Europa einsetzen. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – -Beifall bei der SPD – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Eine Drohung ist das! – Weiterer -Zuruf von der LINKEN: Wo?) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort Alexander Ulrich, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei manchen Vorrednern müssen wir mal wieder anfangen ein bisschen zu sortieren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Vor allem bei Ihnen! Wenn Sie mal sortiert sind!) Nach einer von den Finanzmärkten verursachten Wirtschaftskrise rutschte die Europäische Union ab in eine soziale Krise. Der Grund dafür war eine völlig verfehlte Politik in der Krise. Frau Baerbock, daran trägt natürlich die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, eine Hauptschuld. Natürlich ist das so. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen wir doch!) Nicht die Verursacher der Krise wurden zur Rechenschaft gezogen, nein, die Bürgerinnen und Bürger in Europa mussten die Zeche zahlen für die perverse Zockerei auf den Finanzmärkten. Diese unsoziale, zum Teil menschenverachtende Politik (Zuruf von der CDU/CSU: Wahnsinn!) wurde und wird von der Troika in den Programmländern undemokratisch durchgesetzt – mit großer Unterstützung der Bundesregierung, Frau Baerbock, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat sie eben gesagt!) ob es die schwarz-gelbe Bundesregierung war mit großer Unterstützung der SPD oder die schwarz-rote jetzt mit großer Unterstützung der Grünen. Sie alle hier sind mitverantwortlich für Massenarbeitslosigkeit, Perspektiv-losigkeit vieler Millionen Jugendlicher in Europa und Massenarmut. Der Kurs der Bundesregierung und ihre Kürzungs-politik bedrohen Europa. Noch nie ist es wirtschaftlich erfolgreich gewesen, sich aus einer Krise herauszusparen. Fast 20 Millionen Menschen sind in den Ländern der Euro-Zone erwerbslos. Das ist ein Anstieg um 70 Prozent seit 2007. Wenn wir die soziale Lage in Europa beurteilen, dann dürfen wir aber nicht nur in die anderen Länder schauen. Auch in Deutschland verschlechtert sich diese rasant. Wie der Paritätische Wohlfahrtsverband gerade in seinem Jahresgutachten feststellte, ist jeder siebte Bürger armutsgefährdet bzw. arm. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, Kollege Sarrazin fragt, ob er eine Zwischenfrage stellen darf. Alexander Ulrich (DIE LINKE): Herr Sarrazin immer. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das würde ich mir überlegen! – Zuruf von der SPD: Der randaliert wieder!) Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrter Kollege Ulrich, ich würde Ihnen gerne die Frage stellen, ob Sie mir skizzieren können, wie aus Ihrer Sicht die Leistungen des griechischen Staates für Rentner, Krankenhäuser, Bedienstete, Uniformträger, Pensionäre und Lehrer ausgesehen hätten, wenn die -Europäische Union mit Zustimmung des Deutschen Bundestages Griechenland keine Kredithilfen in Höhe von insgesamt 200 bis 250 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hätte, (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Die Polizei ist aufgerüstet worden, der Rest nicht!) und ob Sie glauben, dass ein griechischer Staat, der an den Märkten keine Schulden aufnehmen kann, ohne Kredithilfen überhaupt noch in der Lage gewesen wäre, seine sozialen Leistungen zu erbringen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Herr Sarrazin, vielen Dank für die Frage; denn damit kann ich auch Herrn Strengmann-Kuhn antworten, der in seiner Rede ja auch auf das Abstimmungsverhalten im Bundestag eingegangen ist. Es ist nun einmal so: Die Troika wusste sehr wohl, wie man Löhne, Renten usw. in Griechenland kürzt, sie wusste aber nicht, dass dort offensichtlich ein immenser Reichtum vorhanden ist. In Griechenland gibt es nämlich einen unheimlichen privaten Reichtum. Die Reichen sind aber ungeschoren davongekommen. Da hätte man herangehen müssen. Das wäre notwendig gewesen, um den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich doch gesagt!) Das haben die Grünen aber nicht verstanden. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erstens habe ich das eben gesagt, zweitens antworten Sie nicht auf die Frage!) Ihre Solidarität gilt den Finanzjongleuren, der Finanzindustrie und den Großkonzernen. Unsere Solidarität gilt den Menschen in Griechenland, und deshalb haben wir mit Nein gestimmt. – Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD] und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat also festgestellt, dass auch in Deutschland jeder Siebte in Armut lebt bzw. arm ist, dass jeder vierte Beschäftigte für Dumpinglöhne arbeitet bzw. in einem prekären Beschäftigungsverhältnis steht und Altersarmut auch in Deutschland für viele Menschen ein immer größeres Problem wird. Dagegen tut diese Bundesregierung rein gar nichts – auch nicht mit dem Rentenpaket. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Skandalös!) Das europäische Sozialmodell, ein ganz wesentlicher Faktor für die Stabilität des europäischen Hauses, wird von der EU-Kommission und der deutschen Bundes-regierung massiv beschädigt. Wie sieht die Beteiligung der Krisenverursacher an der Bewältigung der Krise aus? Wo ist der Beitrag der Vermögenden und Spitzenverdiener? Das reichste 1 Prozent der Gesellschaft besitzt fast 40 Prozent des gesamten Vermögens. Das Vermögen der Millionäre in Europa übersteigt mit 14 Billionen Euro die gesamte Staats-verschuldung bei weitem. Hier müsste man endlich herangehen. (Beifall bei der LINKEN) Stattdessen wird die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland und in Europa immer größer. Wo sind die Aktivitäten der Bundesregierung? Nichts! Nada! Von der CDU/CSU erwartet ja schon niemand mehr Aktivitäten für ein soziales Europa, aber für die SPD sollte das S in ihrem Namen doch noch irgendeine Bedeutung und -Aktualität haben. Weil die Zerstörung des europäischen Sozialmodells einigen offenbar immer noch nicht weit genug geht, soll jetzt ein Handelsabkommen TTIP mit den USA verhandelt werden. Das ist ein weiterer Angriff auf die Arbeitnehmerrechte, die Gesundheit, die öffentlichen Leistungen, den Umweltschutz und die Demokratie. TTIP muss gestoppt werden! (Beifall bei der LINKEN) Das ist nicht unser Europa und nicht das Europa, das die Bürgerinnen und Bürger wollen. Ein Europa der Banken und Konzerne muss scheitern. Die Konkurrenz um die niedrigsten Löhne und Sozialleistungen in Europa schadet allen – auch den Menschen in Deutschland. Daher ist es notwendig, dass die unsoziale Kürzungs-politik sofort beendet wird und die Troikakürzungs-pakete zurückgenommen werden. Wir brauchen eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten durch mehr Steuergerechtigkeit. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Den ganzen Lohn abgeben! 100 Prozent Steuern!) Wir brauchen ein europaweites Investitionsprogramm zur Schaffung von guter Arbeit und zur Umsetzung eines sozial-ökologischen Umbaus. Wir brauchen einen europaweiten Mindestlohn in Höhe von 60 Prozent des nationalen Durchschnittseinkommens sowie ein gemeinsames Vorgehen in der EU gegen Armut durch soziale Mindeststandards. Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Die intransparenten Verhandlungen mit den USA zu TTIP müssen sofort beendet werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke will weder ein Zurück zu den Nationalstaaten noch eine EU der Banken und Konzerne. Wir wollen ein soziales, solidarisches, demokratisches und friedliches Europa, ein Europa der Menschen. Dafür streiten wir konsequent, nicht nur bei den Europawahlen. Wer ein soziales Europa will, muss den Reichen etwas nehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Auch in Moskau? Streitet ihr auch da dafür?) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Waltraud Wolff, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In einer Zitate--datenbank stieß ich bei der Suche nach dem Wort „Kritik“ auf den ehemaligen britischen Premier Benjamin Disraeli. Ich kannte den Mann nicht, aber ich fand zwei ganz spannende Zitate von ihm. Das erste lautet: „Es ist leichter, Kritik zu üben, als recht zu haben.“ Das zweite heißt: „Es ist viel einfacher, Kritik zu üben, als etwas anzu-erkennen.“ – Wenn man nicht wüsste, dass Disraeli im 19. Jahrhundert gelebt hat, könnte man meinen, er kommentiert den Antrag der Linken. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Ach Waltraud!) Dazu passt auch, dass der Kollege Ulrich die Frage des Kollegen Sarrazin überhaupt nicht beantwortet hat. Sie ist nämlich von den Linken gar nicht zu beantworten. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Was kommt denn an? Keine 5 Prozent!) Beim Lesen des Antrags der Linken „Kürzungspolitik beenden – Soziale Errungenschaften verteidigen – Soziales Europa schaffen“ entsteht der Eindruck, dass die EU für Sozialdumping verantwortlich sei und diese Politik von der Troika ausgelöst worden sei. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann die Politik der Troika kritisieren, keine Frage. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Man muss!) Fakt ist, dass wir eine Finanz- und Schuldenkrise hatten – die Schuldigen dafür sind ja wohl anderswo zu suchen –, (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Bei den Banken vielleicht!) auf die die Troika erst reagiert hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Fakt ist, dass ein Land mit einem übergroßen öffentlichen Sektor, das dazu keine oder kaum Steuereinnahmen generiert, selber ein dickes hausgemachtes Problem hat. Das ist so. Natürlich kann man die Frage stellen, ob die Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise in Europa richtig gewählt sind. Wir sagen: Konsolidierung ist notwendig. Mindestens genauso notwendig ist es aber, auch konjunkturelle Anreize zu setzen. Sie haben in einem recht: Arbeitsmarktpolitische Aktivitäten – das finde ich auch – dürfen sich nicht nur auf die Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beschränken. Natürlich brauchen wir Wachstumsperspektiven und Zukunftsinvestitionen. Natürlich müssen wir gerade jetzt jungen Menschen helfen, einen Einstieg in Arbeit zu finden. Wir brauchen beides. Darum finde ich es ziemlich mies, dass manche Kollegen sich hier hinstellen und diese beiden Dinge gegeneinander ausspielen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Europäische Sozialfonds ESF hat in der letzten Förderperiode von 2007 bis 2013 9,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Gefördert wurden insbesondere die Eingliederung benachteiligter Menschen in den Arbeitsmarkt und auch Weiterbildungsmaßnahmen. 490 Programme wurden davon finanziert. Zur Förderung von sprachgestützten -Kursen, die berufsbezogen eingeführt wurden, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Mittel wiederholt aufgestockt, gerade weil die Nachfrage so groß gewesen ist. Das ist ganz konkrete Hilfe für die Menschen, die eine Arbeit suchen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gerade in den südeuropäischen Ländern ist der ESF ein ganz wichtiger Baustein der Arbeitsmarktpolitik. Über 15 Millionen Menschen in Europa werden jedes Jahr mit 10 Milliarden Euro aus dem ESF unterstützt. Dabei steht natürlich die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit für uns im Fokus; das ist überhaupt keine Frage. Wir haben Regionen in Europa – das ist schon gesagt worden – mit mehr als 25 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Deswegen werden in der nächsten Förderperiode mindestens 6,4 Milliarden Euro für die Jugendbeschäftigungsinitiative eingesetzt. 3 Milliarden Euro dafür kommen aus den Mitteln des ESF. Um auch ganz schnell helfen zu können, werden die Mittel direkt von Beginn der Förderperiode an zur Verfügung stehen. Das ist Hilfe, die bei den Menschen ankommt. Deshalb sollte man -Europa nicht immer nur herunterreden und alles schlechtmachen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, die SPD hat immer für ein soziales Europa gestanden, und Europa hat auch eine soziale Dimension. Der Europäische Sozialfonds ist ein ganz kleines Beispiel dafür. Natürlich kann Europa noch besser werden. Wir alle wollen es verbessern, und wir wollen auch, dass das soziale Netz enger gestrickt wird. Ein soziales Europa und wirtschaftliche Dynamik sind keine Gegensätze. Das soziale Europa ist vielmehr die Voraussetzung für einen guten wirtschaftlichen Erfolg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das sieht der Koalitionspartner aber anders!) Davon bin ich zutiefst überzeugt, und dafür treten wir Sozialdemokraten auch bei den Europawahlen am 25. Mai an. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und mache Platz für die nächste Rednerin. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Das ist sehr sympathisch, zumal es schon auf eine leichte Überziehung der Redezeit hinausgelaufen war. Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Antje Lezius, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Antje Lezius (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns heute angesichts des vorliegenden Antrags der Kollegen von den Linken mit einem großen Projekt, dem der europäischen Integration. Europa – das ist die seit über 60 Jahren erfolgreiche Idee einer Friedensordnung auf europäischem Boden, und das kann man gerade im Hinblick auf die Situation in der Ukraine und am heutigen 8. Mai, dem Jahrestag des Kriegsendes, nicht oft genug betonen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Und es ist noch mehr: Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist es uns durch die europäische Integration gelungen, in allen Politikfeldern Kooperation unter den Mitgliedstaaten herzustellen und den ursprünglich als Wirtschaftsgemeinschaft gemeinten Zusammenschluss auch politisch voranzubringen. Wer heutzutage in der EU jung ist, hat keine Grenzen mehr erlebt, kennt nur den Euro als Zahlungsmittel und lebt mit wesentlichen Freiheiten, die für viele von uns selbstverständlich geworden sind. Darüber wird oft vergessen, dass der Integrationsprozess mühsam war und auch aktuell in Gefahr ist, von Populisten von rechts und links infrage gestellt zu werden. Das, meine Damen und Herren, ist sehr schade. Ihr Antrag, werte Kollegen, bezieht sich auf eine ganze Reihe von Dingen, die Sie wahrscheinlich an -Europa nicht schätzen. Sie glauben sich in Ihrer Hoffnung auf sozialen Fortschritt und Zusammenarbeit enttäuscht. Aber die Realität sieht anders aus. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ich habe Ihnen doch die Realität in Griechenland geschildert!) Wir leben in einem Europa der Solidarität. Seit dem Beginn der Euro-Krise versuchen die europäischen Staaten gemeinsam, diese zu meistern. Dies gelingt auch, trotz der linken Unheilsprophezeihungen. Mithilfe einer umfassenden Gesamtstrategie wurde versucht, nicht nur Mechanismen zur Krisenbewältigung zu implementieren, sondern auch Krisen durch präventive Maßnahmen zu vermeiden. Deutschland hat als wirtschaftlich starker Mitgliedstaat und Stabilitätsanker eine besondere Verantwortung und wird auch in Zukunft alle Möglichkeiten nutzen, um ein politisch und wirtschaftlich starkes und sozial gerechtes Europa zu schaffen. Wir sind uns klar darüber, dass immer noch einige Mitgliedstaaten unsere Hilfe benötigen, und wir leisten diese Hilfe, weil wir an Europa glauben. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Sie kommt nicht an!) Aber auch das muss gesagt werden: Die betroffenen Staaten müssen zunächst selbst versuchen, ihre Finanzen durch eigene Anstrengungen wieder in Ordnung zu bringen. Das gebietet allein die Fairness gegenüber der Gemeinschaft. (Beifall bei der CDU/CSU) Damit ist nicht zuletzt gemeint, dass beispielsweise im Falle Griechenlands der Staat effizienter gestaltet und zum Beispiel – darin gebe ich Ihnen recht – auch Steuerhinterziehung effektiv bekämpft werden muss. Dies ist im ureigenen Interesse gerade der Bevölkerung; denn wenn der Staat mehr einnimmt, kann er auch mehr ausgeben, zum Beispiel für die öffentliche Daseinsfürsorge. Das ist keine Frage der Anwendung von Marktmechanismen, sondern von Bürgersinn. Deutschland hat seinen Weg durch die Euro-Krise gefunden. Auch wir haben unseren Bürgern viel abverlangt. Aber das hat sich gelohnt; denn heute verzeichnen wir Rekordbeschäftigung. Gleichzeitig haben wir mit 5,1 Prozent bzw. 2,9 Millionen Erwerbslosen im April 2014 die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Diese Zahl ist eine Lüge!) und europaweit mit 7,4 Prozent die niedrigste Jugend-arbeitslosigkeit. Sie sehen hier mehr als deutlich, wie sich vernünftige Politik mit Augenmaß letzten Endes auszahlt. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch in der aktuellen Debatte über den Mindestlohn können wir von anderen Ländern lernen, wie es nicht geht. Von überzogenen Löhnen, die Unternehmen nicht leisten können, profitiert am Ende niemand. In Frankreich liegt die Arbeitslosenquote aktuell doppelt so hoch wie bei uns, die Jugendarbeitslosigkeit bei sage und schreibe 25 Prozent. Die kluge deutsche Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre hat erkannt, dass gerade Berufsanfänger nicht unbedingt von einem Mindestlohn profitieren, zum Beispiel weil es ihnen an Berufserfahrung fehlt. Das hat damit zu tun, dass sich Unternehmer genau ausrechnen müssen, wie produktiv ein Arbeitsplatz sein muss, damit er sich lohnt. Wenn diese dann feststellen, dass er sich nicht lohnt, dann wird er eben nicht besetzt. Deswegen wollen wir beim Mindestlohn eine Mindestaltersgrenze einziehen, weil die jungen Leute eine Ausbildung machen sollen, anstatt sich von hohen Stundenlöhnen einer sofort aufgenommenen Arbeit verführen zu lassen. Wir wissen schließlich, dass Qualifikation besser vor Arbeitslosigkeit schützt, und Arbeit schützt am besten vor Armut. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Strategie „Europa 2020“ der Europäischen Union setzt darauf, bis Ende des Jahrzehnts so viele Menschen wie möglich in Arbeit zu bringen. Hierzu gibt es ein Bündel an Maßnahmen, die sich unter anderem mit den Bereichen Beschäftigung, Bildung und soziale Inklusion befassen. Die dafür vorgesehenen Mittel des Europäischen Sozialfonds sind dabei darauf ausgelegt, -verschiedene Projekte zu koordinieren und damit Beschäftigung zu fördern. Allein Deutschland stehen zwischen 2014 und 2020 etwa 6,3 Milliarden Euro zur Verfügung, davon allein 1,3 Milliarden Euro für soziale Integration und Armutsbekämpfung. Europaweit beträgt diese Summe rund 10 Milliarden Euro, die aus nationalen Mitteln noch aufgestockt wird. Allerdings wird bemängelt, dass es auf nationaler Ebene häufig problematisch ist, die Mittel auch in vollem Umfang abzurufen, zum Beispiel in Bulgarien und Rumänien, wo es massive Probleme in der öffentlichen Verwaltung gibt. Im Falle Rumäniens wurden nur bis zu 30 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel abgerufen. Hier müssen wir ansetzen und Hilfestellung leisten, damit Gelder auch dort ankommen, wo sie benötigt werden. Maßnahmen, die aus Mitteln des ESF finanziert werden, richten sich daher ausdrücklich auch an die Systeme der beruflichen Bildung und haben die Verbesserung öffentlicher Dienstleistungen zum Ziel. Auch direkte -Angebote wie Qualifizierungsmaßnahmen und die Unterstützung von Jugendlichen beim Übergang von der Schule in das Berufsleben werden gefördert. Die Bundesagentur für Arbeit plant weiterhin, den Ausbau einer Beratungsstruktur zur beruflichen Orientierung in denjenigen Ländern voranzubringen, die hier Nachholbedarf haben. So fördern wir aktiv den Abbau der Jugend-arbeitslosigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Neben guter Arbeitsmarktpolitik haben wir in Deutschland das europaweit vorbildlichste System der dualen Ausbildung. Nirgendwo sonst gibt es einen Ansatz, der akademische und praktische Ausbildung in den Betrieben verbindet. Damit auch Jugendliche aus anderen europäischen Staaten diese Art der Ausbildung kennenlernen können, gibt es das Programm MobiPro; die Kollegen von den Grünen haben bereits darauf hingewiesen. Es fördert Jugendliche, die einen Blick über den Tellerrand werfen möchten. Wir freuen uns darüber, dass dieses Angebot so gut angenommen wird. Wir werden uns im Laufe der aktuellen Haushaltsberatungen bemühen, den jungen Leuten so gut wie möglich gerecht zu werden. Ministerin Nahles hat hier bereits positive Signale gegenüber dem Fachausschuss gegeben, wofür ich dankbar bin. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Gemeinsam wollen wir versuchen, das Vertrauen der Bürger in die europäischen Institutionen wiederherzustellen. Frieden, Freiheit und Stabilität sind die Grundwerte dieses europäischen Einigungswerkes. Gerade am 8. Mai sollten wir alle dankbar sein und daran denken, dass sich dieses Europa auch ganz anders hätte entwickeln können, auch Sie, liebe Kollegen von der Linken. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Bartke (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten glauben nicht, dass die europäische Krisenpolitik der letzten Jahre alternativlos war. Nur, eines muss man schon sagen: Der Kurs zeigt jetzt erste positive Veränderungen. Griechenland hat im vergangenen Jahr zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Leistungsüberschuss von 1,25 Milliarden Euro erwirtschaftet. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Reden Sie mal mit den Krebskranken in Griechenland!) Auch im Krisenland Spanien ist ein Silberstreif am Horizont sichtbar. Die Produktivität erhöht sich, und der Export ist in den vergangenen drei Jahren um 20 Prozent gestiegen. Frau Voßbeck-Kayser hat auf die positiven Entwicklungen in Irland und Portugal hingewiesen. Es wäre daher aberwitzig, diese Politik genau in dem Moment umzukehren, in dem sie erste Früchte trägt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Genau das aber fordert der Antrag der Linkspartei. Die Anträge der Linken und der Grünen, vor allem der der Grünen, benennen jedoch zu Recht ein Thema, das uns alle besorgt: die Situation der Jugendlichen in den Krisenländern. In elf Ländern der EU liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 25 Prozent. In Griechenland und Spanien liegt sie sogar bei über 50 Prozent. Das ist nicht nur ökonomisch betrachtet eine Katastrophe, sondern auch in politischer und pädagogischer Hinsicht. Die meisten betroffenen Jugendlichen verbinden mit Europa nicht mehr die Werte Chancengerechtigkeit, Gleichberechtigung und Toleranz; sie verbinden mit Europa eher Perspektivlosigkeit, Enge und Chancenungerechtigkeit. Da müssen wir gegensteuern. (Beifall bei der SPD) Und das tun wir auch. Die Bundesregierung geht mit ihrem Sonderprogramm MobiPro-EU den richtigen Weg. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) MobiPro-EU bietet europäischen Jugendlichen eine Perspektive in Deutschland. Es war schon klar, dass dieses Programm attraktiv für Jugendliche in anderen EU-Ländern sein könnte. Dass wir aber insbesondere in den letzten Monaten mit Anträgen fast überrannt wurden, haben wir nicht erwartet. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat gestern im A-und-S-Ausschuss beeindruckend dargelegt, wie bemüht alle Seiten sind, dem großen Ansturm auf das Programm gerecht zu werden. Das Ergebnis ist beeindruckend. Der Förderansatz allein für das laufende Jahr 2014 wurde in unterschiedlichen Schritten und durch unterschiedliche Maßnahmen in einem Kraftakt von ursprünglich 33 Millionen Euro auf fast 100 Millionen Euro aufgestockt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das ist eine Verdreifachung. Es wurde verabredet, dass alle Anträge, die bis zum 8. April eingereicht wurden, ohne Wartezeit beschieden werden. Das ist ein finanzieller Kraftakt, der in diesen Zeiten seinesgleichen sucht. Die Haushälter müssen diesen Regelungen zwar noch zustimmen, aber ich bin mir ganz sicher, dass sie das auch tun werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eines ist aber natürlich auch klar: Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit in Europa kann nicht in Deutschland gelöst werden. Das sagt auch der Antrag der Grünen durchaus zutreffend. Frau Pothmer, zu Ihrer Lang-intervention möchte ich Ihnen aber ganz grundsätzlich sagen: Wenn in einem Programm die Mittel ausgegeben sind, dann kann man nicht einfach noch mehr ausgeben, jedenfalls nicht, wenn man verantwortliche Finanzpolitik macht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie sollten daher anerkennen, dass die Bundesregierung große Anstrengungen geleistet hat, der enormen Nachfrage nachzukommen. Bis April dieses Jahres -haben 9 000 junge Menschen insgesamt über 42 000 Anträge gestellt. Niemand, der einen Antrag vor dem 8. April gestellt hat, muss warten. Alle werden bedient. Diejenigen, die danach kommen, wussten um den Mittelstopp. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, die von Ihnen eben angesprochene Frau Kollegin Pothmer würde gerne etwas sagen. Darf sie das jetzt? Dr. Matthias Bartke (SPD): Aber gerne. Vizepräsident Peter Hintze: Bitte. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, wir sind uns beide einig, dass das Programm MobiPro durchaus ein richtiger Ansatz ist. Es war doch zu erwarten, dass es eine gewisse Zeit braucht, bis dieses Programm bekannt wird und dann auch angenommen werden kann. Finden Sie es vor dem Hintergrund, dass das Programm jetzt endlich ans Laufen kommt, richtig, dass wir jetzt, am Erfolgspunkt, das Programm stoppen und bis zum Jahr 2015 nichts machen? (Manfred Grund [CDU/CSU]: Dasselbe hat sie schon mal vorgetragen! Unbelehrbar!) Glauben Sie wirklich, dass dieses Stop-and-go funktionieren kann? Nennen Sie mir einen Bildungsträger, der bereit ist, eine Infrastruktur an Räumlichkeiten und an Personal vorzuhalten, wenn er noch nicht einmal weiß, ob er 2015 wieder zum Zuge kommen kann. Ein erheblicher Teil dieser Bildungsträger hat Kooperationsverträge mit den Bildungsträgern vor Ort geschlossen. Am Ende geht es um 2 000 Personen in ganz Europa. Glauben Sie wirklich, dass eine entsprechende Infrastruktur überhaupt aufgebaut werden kann, wenn es immer wieder dieses Stop-and-go gibt? Dr. Matthias Bartke (SPD): Frau Pothmer, Sie sagen das jetzt zum dritten Mal: gestern im Ausschuss, eben in Ihrer Langintervention und jetzt noch einmal. Dadurch wird es aber nicht besser. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich bin am 22. September 2013 zum Bundestagsabgeordneten dieser Legislaturperiode gewählt worden. Frau Nahles ist erst seit kurzem Ministerin. Ich kann nur sagen, dass es mich sehr beeindruckt hat, wie flexibel dieses Ministerium mit den großen Anforderungen umgeht. Dass diese Entwicklung absehbar ist, wussten Sie natürlich ganz genau; im Nachhinein ist man ja immer schlauer. Ich kann nur sagen: Wir können natürlich nur auf die aktuellen Situationen reagieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn Sie sich in Ihrem Antrag bezüglich MobiPro-EU ausschließlich auf die Förderpause beziehen, dann finde ich das schlicht peinlich; denn MobiPro-EU ist das einzige Programm seiner Art in ganz Europa – das nehmen Sie bitte zur Kenntnis –, mit dem Fördermittel eines Staates ausschließlich dafür eingesetzt werden, Jugendliche anderer Staaten zu fördern. Ich finde das großartig, und ich lasse mir das von Ihnen auch nicht schlechtreden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wichtig sind nicht nur der arbeitsmarktpolitische und der sozialpolitische Nutzen dieses Programms, sondern auch sein europäischer und völkerverbindender Geist. Junge Menschen, die in fremden Ländern gelebt haben, sind immun gegen Fremdenhass und Aggression. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Daran heute, am 8. Mai 2014, 69 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, zu erinnern, ist mir wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich selber war als junger Mensch ein Jahr im Schüleraustausch in den USA; das ist über 30 Jahre her. Bei allem Hader, den man fürwahr häufig mit der Politik der USA haben kann, ist mir bis heute eines geblieben: ein großes Herz und ein großes Verständnis für die Menschen in diesem tollen Land. Ich bin mir ganz sicher, dass es den Teilnehmern von MobiPro-EU aus ganz Europa genauso mit Deutschland gehen wird. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort Tobias Zech, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Tobias Zech (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Portugal: Ausstieg in voller Fahrt“. Noch vor drei Jahren hätten wir mit dieser Schlagzeile etwas anderes assoziiert. Wir hätten damit assoziiert, dass ein Land aufgegeben wird. Wir hätten damit assoziiert, dass ein Land vielleicht die Euro-Zone verlassen muss. Der Titel, den ich Ihnen gerade präsentiert habe, stammt aber von gestern, 7. Mai 2014, Zeit. „Ausstieg in voller Fahrt“ bezeichnet den Ausstieg aus dem EU-Rettungsschirm. Nach Irland und Spanien steht auch Portugal wieder auf eigenen Beinen. n-tv sagt: „Portugal stellt sich wieder in den Wind“. Der Rückenwind, den wir all diesen Ländern wünschen, wird auch die anderen betroffenen Länder wieder auf festen Boden stellen. Damit ist die Krise garantiert noch nicht überwunden. Aber der Ausstieg Portugals zeigt ganz deutlich, dass wir auf dem richtigen Weg sind, (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Norbert Spinrath [SPD]) auf einem Weg, den die europäischen Länder vor allem auf der Basis einer stringenten Haushaltsdisziplin einschlagen konnten. Heute haben Investoren wieder Vertrauen in das Land. Das portugiesische Haushaltsdefizit konnte auf 4,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts halbiert werden. Das Wichtigste: Die Portugiesen konnten ihre Glaubwürdigkeit und auch ihr Selbstvertrauen zurückgewinnen. Auch wenn Portugal weiterhin extrem sparen muss, zeigt sich, dass die durchgeführten Maßnahmen, so bitter sie im Einzelnen sind, richtig und wichtig sind. Liebe Kollegen von der Linken, Sie kritisieren in Ihrem Antrag, dass es kein soziales Europa mehr gibt. Stimmt das denn? Der Sparkurs verlangte den Menschen zwar Entbehrungen ab, aber diese Entbehrungen waren und sind weiterhin notwendig. Wir können nicht so tun, als hätte es diese Krise nicht gegeben. Wir diskutieren in etwa acht Minuten über ein ganz wichtiges Thema, nämlich darüber, wie wir mit den Flüchtlingen aus Syrien umgehen. Europa hat einen Zustrom an Flüchtlingen zu verkraften. Wir sind für die Welt eine Insel der sozialen Gerechtigkeit, eine Insel der Sicherheit und eine Insel der Demokratie. Das lassen wir uns von Ihrem Antrag nicht kaputtreden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich denke, das kann man heute, am 8. Mai – der Kollege Bartke hat es betont –, noch einmal unterstreichen. Wir haben – jetzt muss ich mich leider wiederholen, aber es ist wichtig – drei große Projekte in Europa, die wir auch als Deutschland unterstützen, nämlich den Europäischen Sozialfonds, MobiPro-EU und EURES. Der Europäische Sozialfonds ist ein Fonds, in den alle einzahlen, um die Mittel denjenigen, die es am dringendsten brauchen, egal in welchem Land, auszuzahlen. Mehr als 10 Milliarden Euro jährlich stellt die EU zur Verfügung. Das sind mehr als 10 Prozent des Gesamthaushalts. Dazu kommen noch Gelder der Mitgliedstaaten. Damit wird jährlich 10 Millionen Menschen europaweit geholfen. Der frühverrentete polnische Arbeitnehmer, wegen einer missglückten Hüftoperation mit Anfang 40 entlassen, wird im Rahmen eines ESF-Programms umgeschult. Der spanische Mechaniker, der kurz vor der Insolvenz steht, wird unterstützt. Ebenso profitiert die griechische Mutter, die nach der Elternzeit erst nach einigen Schulungen den Wiedereinstieg ins Berufsleben findet. Der ESF greift also genau dort ein, wo die EU gebraucht wird: bei den Menschen, am Arbeitsplatz, in der Bildung, in der Familie. Auch hier gibt es natürlich noch Verbesserungsbedarf, wenn es darum geht, die Mittel vollständig auszuschöpfen, vor allem in bestimmten Ländern; ich denke da an Rumänien, wo wir langsam in einen Verbesserungsprozess eintreten. Aber wir haben schon viel erreicht und werden natürlich mit Nachdruck weiter daran arbeiten. Nächstes Beispiel: EURES. Das EURES-Netz bietet Informationen, Beratung, Vermittlung für Arbeitskräfte und Arbeitgeber, die vom Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen möchten. EURES hat derzeit ein Netz von mehr als 850 – 850! – Beratern, die in täglichem Kontakt mit Arbeitsuchenden und Arbeitgebern in ganz Europa stehen. Ihre Kritik geht dahin, dass Sie diese Projekte für unterfinanziert halten. Sie sehen sie als unverbindlich an und meinen, dass sie lediglich die Mobilität fördern. Man kann einmal darauf hinweisen, dass 3,1 Prozent der EU-Arbeitnehmer in einem anderen Land arbeiten. Angesichts von 3,1 Prozent kann, glaube ich, ein bisschen Förderung von Mobilität nicht schaden. Aber – das ist mir wichtig und ist auch für die CDU/CSU wichtig – was wir damit nicht fördern wollen – das haben wir nicht vor, und das tun wir auch nicht –, ist ein Braindrain auf der europäischen Fachkräfteebene. Es geht nicht an, Fachkräfte aus ihren Heimatländern abzuziehen. Ein Abziehen wäre viel zu kurzfristig gedacht und würde uns in einigen Jahren mit immensen Kosten belasten. Es ist uns daher daran gelegen, die Nationen aus sich heraus wiederaufzubauen. Dafür ist zum einen der Europäische Sozialfonds da, der die Menschen in ihren Heimatländern unterstützt. Zum anderen bietet EURES die Möglichkeit, wenigstens einige Jahre Berufserfahrung in einem anderen Land zu sammeln. Die wenigsten verlassen ihre Heimat, ihre Familie, ihre Umgebung, ihre Sprache, ihre Sozialisation gern; viele tun es aber, nutzen die Chancen, um dann weitergebildet und motiviert in ihr Heimatland zurückzukehren. MobiPro-EU – darüber wurde heute schon mehrmals gesprochen – ist ein Beispiel für das soziale Europa. Es ist ein exklusives Programm, das in Deutschland einzigartig ist. MobiPro-EU ist das Angebot, eine hervorragende Ausbildung zu absolvieren. Es ist ein wichtiger Schritt, anderen europäischen Ländern unsere duale Ausbildung näherzubringen. Gerade für die Länder, in denen es das duale Ausbildungssystem gar nicht gibt, ist das eine Riesenchance. Was die Finanzierung angeht – das haben wir heute gehört –, werden alle Anträge bis zum 8. April noch abgearbeitet. Wir haben heuer die Mittel in einem Kraftakt verdreifacht. Das muss ich schon noch einmal sagen: Hätte das Programm nicht gegriffen, dann hätten wir uns heute von Ihnen anhören müssen, dass wir falsche Mittel oder falsche Methoden gewählt haben, etwas gefördert haben, was niemanden interessiert. Jetzt haben wir einen Erfolg, und dann lassen Sie uns diesen Erfolg doch bitte auch einmal so benennen und das nicht schon wieder schlechtreden, wenn wir gemeinsam diesen Kraftakt mit der Verdreifachung der Mittel heuer geschafft haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Welche Möglichkeiten schafft dieses soziale Europa? Europäische Jugendliche können die Chance nutzen, ein anderes Land kennenzulernen, sich über Kulturen auszutauschen, eine neue Sprache zu erlernen und sich hier ausbilden zu lassen – MobiPro-EU –, oder sie können die Chance nutzen, im Ausland zu arbeiten und Berufserfahrung zu sammeln – EURES –, oder sie können Förderungsmaßnahmen im eigenen Land wahrnehmen – ESF. Liebe Kollegen, wir sind damit sicher nicht am Ende unserer Maßnahmen. Aber wir leben mitten in einem sozialen Europa mit einigen hervorragenden sozialen Errungenschaften. Wir müssen natürlich noch viel tun. Insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen Ländern bringt eine Situation mit sich, die sich keiner von uns wünscht. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass die Euro-Krise noch nicht lange her ist, viele Länder noch mittendrin stecken und wir Zeit brauchen, um uns wieder auf einem hohen Niveau einzupendeln. Das müssen wir mit aller Kraft gemeinsam vorantreiben. Es gilt, jungen Menschen eine Zukunft zu bieten. Daran arbeiten wir in der EU schon sehr aktiv. Ein Beispiel: die Jugendgarantie. Damit soll gewährleistet werden, dass allen Europäern unter 25 Jahren binnen vier Monaten nach Erhalt ihres Abschlusses bzw. nach Verlust ihres Arbeitsplatzes ein neuer Job oder eine Ausbildung angeboten wird. Das soll jedoch nicht, wie Sie es vorschlagen, geschehen, indem wir einen EU-weiten Mindestlohn festlegen. Viele europäische Länder haben bereits den Mindestlohn, und wir werden ihn heuer auch in Deutschland -einführen. Diese Länder haben ihn nach ihren Möglichkeiten festgelegt. Einen einheitlichen Standard zu definieren, indem wir ein 60-Prozent-Minimum festlegen, schafft ein erneutes Ungleichgewicht in Bezug auf die Leistungsfähigkeit der Länder. Bleiben wir aber bei den geplanten Maßnahmen. Im April hat das EU-Parlament ein Paket von Maßnahmen angenommen, mit dem sichergestellt werden soll, dass künftig die Banken das Risiko für ihr Scheitern tragen und nicht der Steuerzahler. Drei Gesetzesvorlagen wurden dafür auf den Weg gebracht. Sie beziehen sich auf die Restrukturierung und Abwicklung maroder Banken sowie auf die Erneuerung der Systeme zur Einlagen-sicherung bis zu 100 000 Euro. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch auf „Europa 2020“ hinweisen. Das ist eine Wachstumsstrategie der EU für eine intelligente, nachhaltige und integrative Wirtschaft in Europa. Diese drei Prioritäten, die sich gegenseitig verstärken, helfen der EU und den Mitgliedstaaten, ein hohes Maß an Beschäftigung, Produktivität und sozialem Zusammenhalt zu erreichen. Jeder Mitgliedstaat hat für die Bereiche Beschäftigung, Innovation, Bildung, soziale Integration, Armutsbekämpfung sowie Klima und Energie seine eigenen nationalen Ziele festgelegt. Ferner wird diese Strategie durch konkrete Maßnahmen auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten untermauert. Dabei geht es vor allem darum, Arbeitsplätze zu schaffen. Arbeitsplätze schaffen die Unternehmen. Daher darf neben all den sozialen Aspekten auch die Wirtschaft nicht vergessen werden. Die dürfen wir in diesem Punkt nicht aus dem Blick verlieren. Was die CDU/CSU bei der Europawahl erreichen will, haben meine Vorredner schon zur Genüge ausgeführt. Ich glaube, dafür haben wir besten Rückenwind. Wir werden die positive Bilanz dieser Wahlperiode und der letzten Wahlperiode in der nächsten nur noch steigern können. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: In Bayern brauchen wir Wahlbeobachter!) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Norbert Spinrath, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Norbert Spinrath (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Europa war und ist das Versprechen auf Frieden. Wir haben eben von mehreren Rednern gehört, dass das Stichwort „Frieden“ in einem wichtigen Zusammenhang mit dem heutigen Datum steht. Europa war und ist ein Versprechen auf Frieden und Wohlstand. Ich sage aber auch: Um beides muss beständig gerungen werden. Wir dürfen das nicht als gegeben hinnehmen. Es muss – nicht nur bei jeder Wahl, sondern auch bei jeder einzelnen politischen Entscheidung – beständig darum gerungen werden. In Zeiten der Globalisierung kann Wohlstand aber nicht mehr nur in nationalen Grenzen gesichert werden. Deutschland als Exportnation hängt in ganz besonderem Maße vom Wohlergehen und von der wirtschaftlichen Prosperität seiner Nachbarn ab. Offene Grenzen für Menschen – also auch für Arbeitnehmerinnen und -Arbeitnehmer – bedingen gemeinsame Regelungen zur Sicherung der Rechte der Menschen, die jenseits ihres Heimatlandes Arbeit suchen und finden. Wir brauchen ganz klare und gerechte Regeln der Entlohnung und der Rechte auf Urlaub, Absicherung und Mitbestimmung. Diese Ziele hat Michael Gerdes eben sehr deutlich ausgeführt. Dazu gehört aber auch das Modell eines europäischen Mindestlohns, der sich am Bruttoinlandsprodukt und am Preisniveau des jeweiligen Mitgliedstaates orientiert. Die weltweite Finanzkrise hat auch Europa getroffen. Sie hat Europa auch erschüttert. Dabei sind bei der Bewältigung der Krise in Irland, Spanien und Portugal inzwischen Erfolge zu verzeichnen. Selbst Griechenland konnte sich zuletzt wieder an den Märkten finanzieren. Das zeugt von wiederhergestelltem Vertrauen der Märkte in die Krisenländer und auch in die Gemeinschaft. Im Falle des Falles wird es funktionierende Rettungsinstrumente der EU geben. Allerdings – auch das sage ich in aller Deutlichkeit – sind in der Vergangenheit gravierende Fehler gemacht worden. Die Hilfe erreichte die betroffenen Länder oft zu spät. Dadurch ist Unsicherheit gewachsen. Spekulationen sind überhaupt erst ermöglicht und der Schaden enorm vergrößert worden. Im Falle Griechenlands konnten die Spekulanten nur deshalb ihr schändliches Spiel betreiben und weitere Länder mit in den Strudel ziehen, weil zu lange gezögert wurde. Das war zum Teil nicht nur Schuld der Troika aus EZB, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds. Oft haben auch die Regierungen der betroffenen Länder lieber Renten gekürzt, als die Steuern erhöht. Ist das ein soziales Europa? (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Lezius [CDU/CSU]) Die Krise hat genau die Länder getroffen, die strukturell schwach und damit anfällig waren. Die Hilfe für Krisenländer – das muss die Lehre sein – muss immer zwei Dimensionen haben: erstens das sofortige Wiederherstellen von Vertrauen bzw. – für den Fall, dass das nicht gelingt – einen Ersatz für die Marktkredite und zweitens mittel- und langfristig die Beseitigung der strukturellen Schwächen der Volkswirtschaft, um die heimische Wirtschaft wieder auf feste Füße zu stellen und damit eben auch die Arbeitsplätze zu sichern. Die einseitige und schnelle Kürzung der Ausgaben dagegen führte zu einer noch tieferen Rezession; denn nun kamen zu den Ausfällen der öffentlichen Ausgaben auch noch die Schwächen der Wirtschaft hinzu. Die reine Fixierung auf eine schnelle Konsolidierung der öffentlichen Haushalte war ein Fehler. Damit wurde der Sozialstaat an die Grenzen der Handlungsfähigkeit gebracht. Diese Fehler haben zu massiven Verwerfungen geführt und müssen nun mühsam repariert werden. Ich glaube, auch an diesem Punkt ist erkennbar, dass sich seit der letzten Bundestagswahl etwas geändert hat. Wir haben deutlich gemacht und deutlich in den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD hineingeschrieben, dass wir nicht nur eine Haushaltskonsolidierung brauchen, sondern daneben auch zwingend auf Programme für Wachstum und Beschäftigung setzen müssen, um der sozialen Dimension gerecht zu werden. Wir brauchen kluge Steuerungsinstrumente statt reiner Sparpolitik. Wir brauchen effektive nationale Steuersysteme, um auch Unternehmen und vermögende Privatleute mit einem Beitrag an den Kosten beteiligen zu können. Wir brauchen Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung, die, wie ich schon sagte, gleichberechtigt neben der Haushaltskonsolidierung stehen. Wir müssen, wenn wir das soziale Europa ernst nehmen, die durch die Sparpolitik entstehenden Belastungen gleichmäßig verteilen, damit diese nicht einseitig von den sogenannten kleinen Leuten getragen werden müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Schlimmer noch wirkt das verloren gegangene Vertrauen gerade unter den Jüngeren. Sie sind eben nicht diejenigen, die für die Krise verantwortlich sind, aber sie sind die Leidtragenden dieser Krise. Deshalb müssen wir ihnen Zukunft geben. (Beifall der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]) In den Krisenländern ist die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter den Jugendlichen, inakzeptabel hoch, in einigen Ländern liegt sie nahe bei oder über 50 Prozent. Die in der Beschäftigungsinitiative eingeplanten 6 Milliarden Euro für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit müssen deshalb jetzt schnell eingesetzt werden. Die auf europäischer Ebene vereinbarte Jugendgarantie muss jetzt zügig in den einzelnen Ländern umgesetzt werden. Das Ziel muss sein, jedem Jugendlichen eine Ausbildung und einen Arbeitsplatz zu garantieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch Deutschland – darauf ist heute schon mehrfach hingewiesen worden – leistet seinen Beitrag. Viele arbeitslose, aber bereits gut ausgebildete junge Menschen sollen durch das Programm MobiPro-EU eine Chance bekommen, in Deutschland zu arbeiten. Matthias Bartke hat dazu eben sehr eindrucksvoll ausgeführt. Ich sage: Die Nachfrage zeigt, dass dieses Programm richtig ist und gebraucht wird. Ich sage aber auch klar – ich denke, da bin ich mir dann mit dem Kollegen Zech von der Union einig –: Es darf nicht sein, dass wir unseren teilweise auch selbstverschuldeten Fachkräftemangel allein mit jungen Menschen aus den Krisenländern lösen und dass wir dort einen Braindrain auslösen, der mittel- und langfristig den wieder in Gang gebrachten Konjunkturmotor abwürgt, weil im Herkunftsland die dringend benötigten Fachkräfte fehlen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nach wie vor ist der soziale Bereich eine nationale Domäne, aber der gemeinsame Binnenmarkt macht an den nationalen Grenzen nicht halt. Deshalb brauchen wir gemeinsame Prinzipen und Kriterien zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping. Das sage ich ganz bewusst im Deutschen Bundestag; denn gerade in Deutschland sind uns diese Vokabeln leider nicht fremd. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Grenzüberschreitende wirtschaftliche Aktivitäten erfordern auch grenzüberschreitende Arbeitnehmerrechte. Es helfen nur klare Regeln und effiziente Kontrollen. Wir brauchen das Prinzip „gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, das hat Dagmar Schmidt eben sehr deutlich gesagt. Wir müssen die Entsenderichtlinie auch in ihrer veränderten Form weiter stärken, um den zunehmenden Missbrauch von Entsendungen, Werkverträgen und Subunternehmeraufträgen einzudämmen. Es gibt noch so viele Schlupflöcher, die auch in der neuen Version zu stopfen sind. Das sollten wir jetzt zügig angehen. Wir haben bereits eine Menge von Details im Koalitionsvertrag vereinbart, in welcher Hinsicht Europa sozial werden muss. Die soziale Dimension mit grenzüberschreitenden Arbeitnehmerrechten, national definierten Mindestlöhnen und sozialen Grundrechten muss gleichrangig neben die Marktfreiheiten des Binnenmarktes gestellt werden. Sozialpolitik muss stärker koordiniert werden. Die Gewährleistung sozialer Rechte und Standards und verbindliche sozialpolitische Ziele gehören dazu. Ich denke, die Zukunft eines Europas der Bürgerinnen und Bürger hat nur dann eine Chance, wenn die Bürgerinnen und Bürger dieses Europa und die europäische Idee für sich begreifen und sich damit identifizieren. Damit alle Menschen etwas von Europa haben, muss Europa sozialer, demokratischer und auch solidarischer werden. Die Menschen müssen erkennen können, dass sie etwas von Europa haben. Ein soziales Europa ist der Motor für unsere Wirtschaft und damit für den Arbeitsmarkt in Deutschland; dass beides zusammengehört, hat Waltraud Wolff eben sehr eindrucksvoll festgestellt. Ein soziales Europa verteilt die Belastungen aus der Sparpolitik gleichmäßig und nicht nur einseitig auf die sogenannten kleinen Leute. Auch diejenigen müssen an den Kosten beteiligt werden, die sie verursacht haben. Ein soziales Europa stellt zur Lösung von Krisen Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung gleichberechtigt neben die Haushaltskonsolidierung, lässt die Menschen in sozialer Sicherheit leben und sichert damit sozialen Frieden. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, die Zeit! Norbert Spinrath (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen – das ist mein Schlusssatz; herzlichen Dank, Herr Präsident –, nur dort, wo sozialer Frieden herrscht, kann wirtschaftlicher Wohlstand wachsen. Ich will weiter für ein soziales Europa arbeiten, für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger, das nicht nur Banken rettet. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/1116 und 18/1343 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 a sowie den Zusatzpunkt 3 auf: 6 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Hilfe für die Flüchtlinge aus Syrien – Unterstützung für die Nachbarstaaten Drucksache 18/1333 ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hilfe für die Flüchtlinge aus Syrien – Unterstützung für die Nachbarstaaten Drucksache 18/1335 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich erteile als erstem Redner das Wort Bundesminister Dr. Gerd Müller. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wartet nicht länger! Handelt! Handelt jetzt, um das Massaker in Syrien zu beenden! Das waren die Worte von Ban Ki-moon schon vor zwei Jahren. Leider hat dieser Appell auch am heutigen Tag nichts an Aktualität verloren; denn die Situation in und um Syrien hat sich seither leider dramatisch verschlechtert. Deshalb bin ich allen Bundestagsfraktionen sehr dankbar für diese Debatte. Wir müssen Öffentlichkeit schaffen. Wir dürfen die Menschen in Syrien nicht alleine lassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit müssen auf diesen Krieg, die größte humanitäre Katastrophe der letzten Jahrzehnte, gerichtet werden. Diese Bundestagssitzung leistet einen Beitrag dazu. Wer stoppt Assad? Das ist die politische Frage. Die Weltvölkergemeinschaft, die UN, die USA, Russland, Europa, Deutschland, wir alle müssen einen erneuten, auch politischen Vorstoß unternehmen, um die Kampfhandlungen in Syrien zu stoppen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Elend in Syrien ist gewaltig: 150 000 Tote in zwei Jahren – man muss sich diese unglaubliche Zahl einmal vorstellen –, Folter, Giftgas, Streubomben. 10 Millionen Flüchtlinge in einem Land mit 22 Millionen Einwohnern. Das heißt, jeder zweite Syrer ist im eigenen Lande oder außerhalb des Landes auf der Flucht. 4,5 Millionen Syrer sind in den Nachbarländern als Flüchtlinge registriert und untergekommen. Im Libanon, in diesem kleinen Land – die Ausschussvorsitzende Frau Wöhrl war mit einer Delegation in den vergangenen Tagen dort –, gibt es 1 Million Flüchtlinge. Das muss man sich einmal vorstellen. Dort sitzen zum Beispiel in vielen Schulen mehr syrische Flüchtlingskinder in den Schulbänken als einheimische Schülerinnen und Schüler; Gott sei Dank werden sie in den dortigen Schulen offen aufgenommen. Es kommt hier zu einer vollkommenen Überlastung der Infrastruktur. Die Türkei – Frau Roth, unsere Vizepräsidentin, war dort in mehreren Regionen unterwegs und wird darüber in ihrer Rede berichten – leistet Großartiges. Wir danken der türkischen Regierung an dieser Stelle für den großartigen humanitären Einsatz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 1,2 Millionen Flüchtlinge gibt es in Jordanien. Als ich dort vor wenigen Wochen ein Flüchtlingslager besucht habe, hat mich am meisten eine Stadt nahe der syrischen Grenze beeindruckt. Diese Stadt mit 60 000 Einwohnern hat in den letzten zwei Jahren – das muss man sich einmal vorstellen – 120 000 syrische Flüchtlinge aufgenommen, das Doppelte der Einwohnerzahl, und zwar ohne Zelte, einfach in den vorhandenen Häusern und Strukturen. Ich habe eine Bauernfamilie besucht: einfach, arm, mit fünf Kindern und 20 Ziegen. Der Bauer hat seinen Ziegenstall ausgeräumt. In diesem Stall lebt eine syrische Flüchtlingsfamilie mit fünf Kindern: ein Baby auf dem Arm, der 16-Jährige verwundet, ihm fehlt ein Fuß. – Das ist die Situation in Jordanien. Ich muss sagen: Großer Respekt! Auf der jordanischen Seite erlebt man Helden, die mit Offenheit und Solidarität den syrischen Flüchtlingen begegnen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Menschen vor Ort sind großartig und leisten Herausragendes. Zur Lage in Syrien möchte ich ein paar Fakten nennen. Die Situation im Lande selber ist unsäglich. Die Bilder der Fernsehkameras, die bei uns, die in Politik und Öffentlichkeit, die in der Gesellschaft Betroffenheit schaffen, fehlen – fast hätte ich gesagt: leider. Die Lage in Syrien ist dramatisch. Es gibt eine hohe Zahl von Binnenvertriebenen, und die Bevölkerung in den umkämpften Gebieten wird als Geisel des Regimes genommen: ohne Essen, ohne Strom, ohne Wasser. Bis zu 1 Million Menschen sind ohne Zugang zu humanitären Hilfsorganisationen. Das gab es in den letzten 40 Jahren in Bürgerkriegsverhältnissen nicht. Kein Zugang zu humanitärer Hilfe, keine humanitären Korridore – das ist Völkermord im eigenen Land. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die UN, Europa und wir dürfen nicht nachlassen, dies anzuprangern. Wir müssen natürlich nach politischen Lösungen suchen. Es müssen wieder alle an den Verhandlungstisch, um die Gespräche in Genf – Genf II, Genf III – erneut aufzunehmen und fortzusetzen. Die Bundesregierung hat seit Beginn der Krise mehr als eine halbe Milliarde Euro an Hilfsleistungen erbracht. Das sei auch der deutschen Öffentlichkeit gesagt: Meine Damen und Herren, Zuhörinnen und Zuhörer, durch Entwicklungsarbeit, humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes und des Entwicklungsministeriums retten wir Tausende von Menschen vor Tod, vor Elend und vor Hunger. Das BMZ, unser Ministerium, hat mit der Einrichtung der Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge reintegrieren“ reagiert. Ich danke den Haushaltspolitikern. Wir sind mit entsprechenden Haushaltsmitteln versorgt worden. Wir werden unsere Unterstützung weiter verstärken. Wir helfen vor Ort. Meine Damen und Herren, natürlich ist auch die Bevölkerung aufgerufen, zu spenden. Leider ist die Spendenbereitschaft in der Gesellschaft für Syrien nicht sehr groß. Das Elend dort ist groß. Die Menschen dort brauchen die Hilfe unserer Bevölkerung. Ich unterstütze hier den Spenden- und Unterstützungsaufruf unserer Hilfsorganisationen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mein besonderer Dank gilt allen Mitarbeitern der Organisationen, die in Syrien unter Einsatz ihres Lebens tätig sind. Ich kann nicht alle aufzählen. Aber ich nenne beispielhaft die Kirchen, die politischen Stiftungen, die Welthungerhilfe – ich selber habe UNICEF vor Ort gesehen –, das Rote Kreuz, die Malteser, Ärzte ohne Grenzen, SOS-Kinderdörfer. Alle Helfer der internationalen Hilfsorganisationen sind unter Einsatz ihres Lebens in Syrien. Wir schaffen auch vonseiten der deutschen Politik über die humanitäre Hilfe hinaus Perspektiven. Ich habe gestern – das war für mich interessant und sehr überraschend – die ehemalige Präsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Professor Süssmuth, getroffen. Der Deutsche Volkshochschul-Verband hat Bildungszentren in Jordanien eingerichtet. Dort werden junge syrische Flüchtlinge ausgebildet. Wir müssen auch an die Zeit danach denken; denn sie müssen wieder zurück. Zur Reintegration und zum Wiederaufbau des Landes wird das BMZ zusammen mit der Deutsch-Jordanischen Hochschule in Amman, in Grenznähe zu Syrien, einen eigenen Studienzweig für syrische Jugendliche – Techniker-, Handwerkerausbildung – einrichten. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich denke aber – das sage ich angesichts der Dramatik des Problems vor der Haustüre Europas, 300 Kilometer von Zypern entfernt, ganz bewusst –, die EU muss mehr leisten. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie bringen das in Ihren Anträgen zum Ausdruck. Dies betrifft die Mitgliedstaaten bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge. Die Bereitschaft dazu ist in einigen Staaten Europas beschämend gering. Ich frage in Richtung der Europäischen Kommission: Wo bleibt die Reaktion aus Brüssel? – Wir brauchen einen Sonderrat zur Lage der Flüchtlinge aus Syrien. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Ihn einzurichten, wurde bisher verweigert. Wir brauchen ein europäisches Sonderprogramm zur Unterstützung der Anrainerländer, für humanitäre Hilfe und Krisenbewältigung. Meine Damen und Herren, wo können EU-Gelder sinnvoller eingesetzt werden als hier, im Rahmen einer Initiative der Europäischen Union für Syrien? (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was die Europäische Union hier geleistet hat, ist nicht ausreichend. Umso wichtiger ist diese Debatte, weil wir damit Initiativen anstoßen und dazu beitragen, dass sich die Öffentlichkeit für dieses Thema nicht nur interessiert, sondern dafür gewonnen werden kann. Ich bedanke mich bei Ihnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herzlichen Dank, Herr Bundesminister. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist keine Frage: Es ist gut und richtig, dass die Bundesrepublik schon einiges getan hat, um syrische Flüchtlinge hier in Deutschland zu unterstützen; es wurde im Antrag der Koalition ausführlich dargelegt. Wichtig ist aber, was nicht im Antrag steht und worüber der Antrag schweigt: Er schweigt darüber, dass es keine sicheren Wege für Flüchtlinge in die EU gibt. Er schweigt leider auch darüber, dass es eine Beteiligung Deutschlands an der Abschottung der Grenzen Europas gibt. Und er schweigt darüber, welche tödlichen Folgen in diesem Zusammenhang auch für syrische Flüchtlinge zu beklagen sind. Deswegen sagt die Linke eindeutig: Wir sind es den Opfern und ihren Familien schuldig, hierüber nicht zu schweigen. (Beifall bei der LINKEN) Denn man kann nicht Grenzen abschotten und dann so tun, als ob man humanitäre Politik macht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, die ungefährlichste Fluchtroute für syrische Flüchtlinge führt über Land, über die Türkei nach Griechenland. Durch Zäune und Stacheldraht wurde dieser Weg unpassierbar gemacht. Wer den Fluchtweg über die Ägäis sucht, gerät in Gefahr, vom griechischen Grenzschutz brutal zurückgewiesen zu werden oder zu ertrinken. In dieser Woche sind wieder 24 Opfer zu beklagen, Bootsflüchtlinge in der Ägäis. Auch das gehört zur europäischen Abschottungspolitik, und das ist nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, da ihnen der Weg über Griechenland versperrt wurde, mussten syrische Flüchtlinge in Richtung Bulgarien ausweichen. 2013 kamen 11 000 Asylsuchende, über die Hälfte von ihnen Syrer, nach Bulgarien; das waren zehnmal mehr als in den Jahren zuvor. Diese Menschen wurden in provisorischen Aufnahmelagern in Käfige gesperrt. Sie mussten hungern, sie wurden misshandelt, und sie wurden gedemütigt. Trotz dieser Zustände schiebt Deutschland Flüchtlinge nach Bulgarien ab, weil Bulgarien formal für die Asylverfahren zuständig ist. Dieser Umgang mit schutzsuchenden Menschen ist schlicht menschenverachtend. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Seit März 2014 haben sich die Verhältnisse im bulgarischen Asylsystem zwar verbessert – die Aufnahmelager sind lange nicht mehr so überfüllt –; aber das liegt keineswegs daran, dass die Politik humaner geworden ist. Nein, im Gegenteil: Im November 2013 wurde die Grenze zu Bulgarien für Flüchtlinge schlichtweg dichtgemacht. 1 500 Polizisten wurden dorthin verlegt, und die Grenze wurde auf einer Länge von 33 Kilometern mit einem Zaun versehen. Dementsprechend werden die Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschickt. Es ist nicht hinnehmbar, dass Europa es zulässt, dass Zäune gebaut werden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Flüchtlinge, die nach Bulgarien und damit nach Europa wollen, werden mit Kameras und Sensoren überwacht. Herr Minister Müller, auch das wird mit EU-Geldern finanziert. Ich bitte Sie: Lesen Sie die Berichte von Amnesty International, von Human Rights Watch oder von vielen Flüchtlingsorganisationen, die zeigen, wie brutal dort mit Flüchtlingen umgegangen wird. Gegen diesen Skandal muss die Bundesregierung ihre Stimme erheben. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir werden uns bei der Abstimmung über die Anträge enthalten, weil es nicht ausreicht, sich ausschließlich damit zu brüsten, was man alles schon getan hat; was wir überhaupt nicht bezweifeln. Die Bundesrepublik kann und muss tatsächlich noch mehr tun. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) In den Anträgen wird zwar formuliert, dass der Druck auf die europäischen Staaten, syrische Flüchtlinge aufzunehmen, erhöht werden soll, aber das bedeutet nicht, dass das auch umgesetzt wird. Hier muss Politik gemacht werden. Man kann nicht auf der einen Seite im Grunde genommen gegen Flüchtlinge aufrüsten – ich nenne nur EUROSUR, die vielen Maßnahmen, die ergriffen worden sind, um Frontex aufzurüsten, und anderes mehr –, und auf der anderen Seite sagen: Es muss unbedingt humanitäre Hilfe geleistet werden. Seien Sie konsequent in Ihrer Flüchtlingspolitik! Wir versuchen es auch. Die Linke hat einen eigenen Antrag vorbereitet, über den wir im Innenausschuss noch diskutieren werden. So, wie die Politik der Bundesregierung gegenwärtig gestaltet wird, kann es nicht weitergehen. Man kann nicht repressiv und gleichzeitig human sein. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Nächster Redner ist für die Sozialdemokraten der Kollege Niels Annen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Niels Annen (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident! – Vor einigen Tagen habe ich das Flüchtlingslager al-Zaatari in Jordanien besucht. Die Größe des Flüchtlingslagers sagt etwas über die Dimension des Konfliktes. Mit über 100 000 Menschen ist al-Zaatari inzwischen die drittgrößte Stadt Jordaniens und das zweitgrößte Flüchtlingslager der Welt. Wer sich auf ein Gespräch mit den Flüchtlingen einlässt, der – das kann ich Ihnen sagen – braucht gute Nerven; denn dieser Krieg ist eine der größten Tragödien unserer Zeit, und das nicht nur, weil er bisher über 150 000 Menschen das Leben gekostet hat. Dieser Krieg hat den Nahen Osten grundlegend verändert. In Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen, erinnern wir uns in diesen Tagen daran, dass vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg ausgebrochen ist. Gleichzeitig werden wir Zeuge, wie die von den ehemaligen Kolonialmächten konzipierten nahöstlichen Grenzen – Stichwort „Sykes-Picot-Abkommen“ – zusammenbrechen. Die Folgen für die Stabilität in der Region, aber auch für unsere Sicherheit sind unabsehbar. Ich habe den Eindruck, dass wir uns als Bundesrepublik Deutschland insgesamt zu wenig mit der dramatischen Entwicklung in Syrien auseinandersetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]) Im dritten Kriegsjahr müssen wir feststellen: Nicht nur weite Teile des Landes, auch die Idee, das Konzept Syrien, ist durch diesen Krieg zerstört worden; denn es gibt heute keine relevante politische oder militärische Kraft mehr, die um den Erhalt dieses Staates kämpft. Religiöse und ethnische Entitäten sind an diese Stelle getreten, und damit wächst die Gefahr weitreichender ethnischer Säuberungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben einen Krieg aller gegen alle. Die Opposition kämpft gegen Assad, führt aber auch gleichzeitig Krieg untereinander. Selbst Experten, die sich schon seit vielen Jahren mit der Region beschäftigen, haben Schwierigkeiten, noch durchzublicken und die Lage sowie die wechselnden Koalitionen zu analysieren. Der Krieg ist aber auch ein regionaler Krieg. Präsident Assad kann sich auf die massive Unterstützung des Iran und der Truppen der Hisbollah verlassen, ohne die er nicht überleben kann. Zudem schützt ihn – das wissen wir alle – das russische Veto im Sicherheitsrat. Doch umgekehrt gilt auch: Ohne die Unterstützung durch die Golfstaaten und Saudi-Arabien, aber auch Teile der Türkei wäre die Opposition nicht in der Lage, den Kampf fortzusetzen. Der weltweit eskalierende Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten schlägt sich in aller Härte auch in Syrien nieder. Es ist noch gar nicht so lange her, 2012 sagte ein optimistischer amerikanischer Präsident: Unser Ziel ist es, al-Qaida zu zerstören, und wir sind auf einem guten Weg dorthin. – Das war die Hoffnung. Doch diese Aussage hat sich als verfrüht erwiesen; denn al-Qaida ist längst ein wichtiger Akteur in der Region, ohne dass die deutsche Öffentlichkeit von der Dramatik dieser Situation ausreichend Kenntnis genommen hätte. Mit al-Nusra und ISIL bekämpfen sich sogar gleich zwei mit al-Qaida verbündete Milizen in Syrien, in einem Bürgerkrieg im Bürgerkrieg. Um es klar zu sagen: Beenden wir diesen Krieg nicht so schnell wie möglich, werden auch wir in Deutschland und Europa mit einem Terrorismusproblem konfrontiert werden, dessen Ausmaße wir nur erahnen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Etwa 250 deutsche Staatsbürger haben bisher in Syrien aufseiten der Islamisten gekämpft, und geschätzte 20 haben dabei ihr Leben verloren. Diejenigen, die zurückkehren, tragen den Hass, die Radikalisierung mit sich und damit natürlich auch eine Gefährdung für unsere Sicherheit. Unterdessen strömen Millionen von Flüchtlingen unaufhaltsam in die Nachbarländer. Im bereits erwähnten Camp al-Zaatari ist es unter der Leitung eines deutschen UNHCR-Mitarbeiters, Herrn Kleinschmidt, gelungen, die Sicherheitslage im Camp zu verbessern und Prostitution, Schwarzmarkt und Menschenhandel zurückzudrängen. Das UNHCR stellt sich auf eine lange, möglicherweise noch jahrelange Verweildauer der Flüchtlinge ein. Besonders dramatisch ist die Lage im Libanon. Über 1 Million Flüchtlinge kommen auf nur 4,2 Millionen Einwohner. Die humanitäre Lage dort ist besonders schwierig, auch weil es dort im Gegensatz zur Türkei, die zu Recht gelobt und erwähnt worden ist, und Jordanien keine organisierten Lager gibt. Inzwischen befinden sich überall im Land Flüchtlinge. Wohnraum ist zum Luxus geworden. Bis zum letzten Kellergewölbe werden Unterkünfte vermietet – zu horrenden Preisen. Besonders schlimm ist die Lage in den provisorischen Zeltlagern. Ich hatte Gelegenheit, ein Lager in der Bekaa-Ebene zu besuchen. Zudem droht das Land selber in den Bürgerkrieg hineingezogen zu werden. Während die Hisbollah in Syrien kämpft, radikalisieren sich sunnitische Kämpfer im Libanon und greifen schiitische Einrichtungen an. So wie sich die Lage zurzeit darstellt, müssen wir uns und die deutsche Öffentlichkeit auf einen langen Krieg einstellen. Und das bedeutet: Wir werden mehr tun müssen, um die Nachbarstaaten und die Vereinten Nationen in die Lage zu versetzen, damit umzugehen. Und ja, wir werden auch mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Allein die Aufnahmestelle des UNHCR, die ich in Beirut besucht habe, registriert jeden Tag 2 000 Flüchtlinge. Das ist eine von vier Aufnahmestellen. Besonders wichtig scheint mir zu sein, dass wir auch und gerade den Gemeinden in Jordanien, im Libanon und in der Türkei, die unter dieser Last zu leiden haben, unter die Arme greifen, damit es nicht zu weiteren sozialen Spannungen kommt. 9,3 Millionen Menschen in Syrien sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Deswegen ist es gut, dass das Auswärtige Amt die Hilfe für das UNHCR aufstockt. Wir dürfen auch das Flüchtlingswerk für die palästinensischen Flüchtlinge nicht vergessen; denn die erleiden gerade eine doppelte Tragödie; darauf ist schon hingewiesen worden. Das Lager Yarmouk in Damaskus bietet ein Ausmaß an Zerstörung und Zynismus, das kaum zu fassen ist. Doch alle Hilfe, über die wir hier sprechen müssen, wird nicht ausreichen, wenn es nicht gelingt, wieder einen politischen Prozess zu initiieren. Der UN-Gesandte Lakhdar Brahimi hat neulich gesagt – ich weiß nicht, ob Sie das gesehen haben –, dass er jeden Tag, wenn er aufsteht, daran denkt, zurückzutreten. Man kann es ihm nicht übel nehmen; denn nach dem Scheitern der Genfer Verhandlungen hat man den Eindruck, dass niemand mehr auf eine politische Lösung setzt, sondern alle, auch unsere eigenen Verbündeten, auf eine militärische Lösung setzen. Ich sage deswegen: Die Prioritäten unseres Außenministers sind richtig: deutscher Beitrag zur Vernichtung von Massenvernichtungswaffen, mehr zur Verbesserung der humanitären Situation in Syrien tun und den Terrorismus bekämpfen. Um diesen Krieg zu beenden, müssen wir bereit sein, mit allen Parteien zu reden, innerhalb und außerhalb Syriens. Die Unterstützung islamistischer Kämpfer aus dem Ausland wird nicht ohne Konsequenzen bleiben. Wir haben in Afghanistan schon einmal erlebt, dass sie die Waffen dann gegen die richten, von denen sie sie bekommen haben. Diese militärische Logik müssen wir durchbrechen. Deutschland kann dabei eine Rolle spielen, weil wir eben keine Milizen bzw. Akteure vor Ort mit Waffen unterstützen und weil wir – das hoffe ich zumindest – davon überzeugt sind, dass es für diesen Konflikt keine militärische Lösung geben kann. Daher müssen wir alles tun, um die Nachbarländer Syriens zu stabilisieren und vor allem den Opfern, den Flüchtlingen zu helfen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für Bündnis 90/Die Grünen spricht als nächster Redner der Kollege Omid Nouripour. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute im Deutschen Bundestag über die Situation in Syrien und in den Nachbarstaaten. Es ist wichtig, dass vom Hohen Hause aus auch ein Signal von Respekt und Solidarität gerade an die Nachbarstaaten ausgeht, die in diesen Wochen und Tagen Immenses auf sich nehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Es wäre sehr schön gewesen, wenn wir einen gemeinsamen Antrag hätten stellen können. Der Antrag der Koalition enthält ja auch sehr viele Textteile, die mit unserem Antrag identisch sind. Das liegt daran, dass wir sie geschrieben haben. Wir helfen gerne, wo es geht. Ich finde es gerade in dieser Situation wirklich albern, dass es Reflexe seitens der Koalition gibt, nicht einmal bei einem so basalen Thema der Humanität zusammen mit den Linken einen Antrag zu machen. Unabhängig davon will ich Ihnen sagen, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen und keinen gemeinsamen hinbekommen haben. Ihr Antrag hört genau da auf, wo es konkret wird. Ja, Herr Minister, Sie haben völlig recht: Die EU muss mehr tun, die EU muss mehr Flüchtlinge aufnehmen. Die anderen Staaten müssen mehr tun, müssen mehr Flüchtlinge aufnehmen. Ja, Kollege Annen, es ist richtig: Deutschland muss mehr tun und auch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Aber genau diese Passagen wollten Sie nicht in Ihren Antrag aufnehmen. Es reicht nicht, einfach immer nur auf die anderen hinzuweisen. Auch wir müssen mehr tun, unbenommen davon, dass wir jetzt schon einiges tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Die Lage ist zum Verzweifeln. Nachdem wir erfahren haben, dass die Vereinten Nationen wegen Syrien den größten Hilfeaufruf ihrer Geschichte gestartet haben, haben wir dieser Tage Änderungsanträge zum Haushalt gestellt, in denen wir fordern, dass die Mittel für humanitäre Hilfe auf 400 Millionen Euro aufgestockt werden. Das ist seitens der Koalition abschlägig beschieden -worden. Es gibt 6,5 Millionen Binnenflüchtlinge und 2,5 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarstaaten. Es geht mittlerweile nicht nur um Syrien, sondern um die Stabilität einer gesamten Region. Herr Minister, Sie haben auf Ihrer Jordanien-Reise selbst gesagt, dass man alles dafür tun muss, dass die Region nicht destabilisiert wird. Wenn man in den Libanon schaut, muss man feststellen, dass es dafür teilweise leider zu spät ist. Man muss einfach sehen, welch eine unvorstellbare Solidarität es teilweise von Mensch zu Mensch gegeben hat. Im Libanon, in der Bekaa-Ebene, in den engsten Häusern und Räumen haben die Menschen noch Leute aufgenommen. In Flüchtlingslagern der Palästinenser – Kollege Annen hat zu Recht darauf hingewiesen, in welch schwieriger Lage diese Flüchtlinge sind, auch im Libanon – sind mittlerweile auch syrische Flüchtlinge aufgenommen worden. Das ist ein Grad an Solidarität, der hier unvorstellbar erscheint. Aber diese Menschen brauchen jetzt mehr Hilfe, weil die Infrastruktur in den Nachbarstaaten – im Libanon sieht man es am gravierendsten – schlicht komplett überlastet ist. Herr Minister, es ist leider nicht so, dass die meisten Kinder in die Schule gehen können. Die syrischen Flüchtlingskinder sind meistens, zumindest im Libanon, nicht in Schulen, und die Spannungen steigen; darauf ist hingewiesen worden. Das sieht man beispielsweise auch daran, dass die Visa der Flüchtlinge im Libanon jetzt häufig nicht verlängert werden. Es gibt schon jetzt auch im Libanon nahezu täglich Tote. Es gibt Gefechte und größere Konflikte. Die politischen Kräfte, die bisher mit unglaublicher Weitsicht und aufgrund der Erfahrung eines eigenen jahrelangen Bürgerkriegs alles daransetzen, dass im Libanon der Bürgerkrieg nicht Einzug hält, sind am Rande ihrer Kräfte. Gestern ist eine Präsidentschaftswahl im Parlament im Libanon zum dritten Mal gescheitert. Natürlich darf man auch die Situation in Jordanien, im Irak und in der Türkei nicht vergessen. Wasser, Strom, Wohnraum, Schulen und Krankenhäuser – es fehlt mittlerweile an allem, weil keines dieser Länder mit der notwendigen Geschwindigkeit so viel Hilfe leisten kann, wie notwendig wäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weil man nicht vergessen darf, dass trotz dieser humanitären Katastrophen in den Nachbarstaaten die Situation in Syrien selbst deutlich dramatischer ist – sonst würden die Leute ja nicht fliehen –, weil man sieht, dass die Zahl der Toten in Syrien dermaßen dramatisch steigt, dass die UN mittlerweile aufgehört haben, offiziell zu zählen, ist es notwendig, zu schauen, was man tun kann. Es ist klar, dass es in einer solchen Situation viele Akteure gibt, aber man muss auch deutlich sagen, dass es einen Hauptverantwortlichen für die Massaker und für die humanitäre Katastrophe in Syrien gibt, und das ist Präsident Assad. In einer Situation, in der wir nicht wissen, wie wir den Konflikt in Syrien schnell befrieden können, da uns die Mittel dazu fehlen und da uns mittlerweile ein Stück weit auch die Ideen fehlen, müssen wir das tun, was wir tun können: Wir müssen humanitäre Hilfe leisten, in Syrien und den Nachbarstaaten alles dafür tun, dass das Leiden der Menschen zumindest gelindert wird, und verhindern, dass der Konflikt die gesamte Region erfasst. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Bundesregierung spricht nun der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute nach Syrien blicken, dann sind wir entsetzt: über die Toten durch den Bürgerkrieg, über Leid und Elend, über die Vertreibung. Die Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage; Existenzen werden zerstört. Mittlerweile sind mindestens 7 Millionen Menschen auf der Flucht, davon rund 4,3 Millionen innerhalb Syriens. Circa 2,7 Millionen Menschen haben Syrien verlassen. Sie halten sich zum größten Teil in den Anrainerstaaten, aber auch in Ägypten auf. Die Hälfte von ihnen – das dürfen wir nicht vergessen – sind Kinder. Es geht darum, dieses unvorstellbare Leid zu mildern. Hierfür ist zunächst einmal und vor allem Hilfe vor Ort erforderlich. Es ist notwendig, die Menschen mit dem Allernötigsten zu versorgen und vor allen Dingen die Anrainerstaaten dabei zu unterstützen, insbesondere die medizinische Versorgung, aber auch die Beschulung der Kinder sicherzustellen. Genau das tut diese Bundes-regierung. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs geben wir massive finanzielle Hilfen. Wir sind nach den USA das zweitgrößte Geberland. Seit 2012 sind über 0,5 Milliarden Euro bereitgestellt worden. Das THW leistet zudem vor Ort, in den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Nordirak, tatkräftig Hilfe, insbesondere bei der Wasseraufbereitung. Mit der Unterstützung vor Ort erreichen wir die Masse der besonders Hilfsbedürftigen am besten. Der Schwerpunkt der deutschen Flüchtlingshilfe sollte daher auch weiterhin vor Ort gesetzt werden. Der Einsatz der Mittel ist hier besonders wirkungsvoll, und die meisten Menschen wollen auch in der Region bleiben. Natürlich suchen viele Menschen, die auf der Flucht sind, auch in Deutschland Schutz. Wir stehen diesen Flüchtlingen offen gegenüber. Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 sind 36 000 Menschen aus Syrien nach Deutschland eingereist, um hier Asyl zu beantragen. In Deutschland leben derzeit 66 000 Syrer. Etwa 1 700 neue Asylanträge kommen jeden Monat hinzu. Darüber hinaus hat die Bundesregierung im letzten Jahr für besonders schutzbedürftige Menschen ein Humanitäres Aufnahmeprogramm aufgelegt, um sie aktiv nach Deutschland zu holen. Unser Ziel war es, voranzuschreiten und auch andere Länder zu bewegen, ähnliche Aufnahmeprogramme auf den Weg zu bringen. Leider finden wir in Europa nur relativ zögerliche Nachahmer. Um das zu ändern, setzen wir uns im Schulterschluss mit dem UN-Flüchtlingshochkommissar Guterres seit über einem Jahr für die Einberufung einer Pledging-Konferenz zugunsten syrischer Flüchtlinge ein. Leider ist die Kommission unserer Bitte, ein sogenanntes Pledging-Verfahren durchzuführen, bisher nicht nachgekommen. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist doch unglaublich!) Meine Damen und Herren, unser Humanitäres Aufnahmeprogramm war anfangs auch für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen neu. Daher war seine Umsetzung ausgesprochen schwierig. Anfangs musste das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das für die operative Umsetzung zuständig ist, bis zu zwei Monate auf notwendige Unterlagen der Flüchtlinge warten. Dann gab es das Problem, dass die libanesischen Sicherheitsbehörden für jeden Flüchtling eine Ausreisegenehmigung verlangt haben, allerdings ohne diese auch schnell zu erteilen. Das alles hat zu Verzögerungen geführt. Letztlich ist die Aufnahme aus einem solchen Krisengebiet natürlich -immer auch mit Sicherheitsrisiken verbunden. Gerade im Libanon konnten Flüchtlinge nicht zu den bereit-gestellten Charterflugzeugen gebracht werden, weil es die Sicherheitslage einfach nicht zugelassen hat. Gleichwohl wird das erste Aufnahmeverfahren noch im Mai abgeschlossen worden sein. Ich danke allen Mitarbeitern des UNHCR und auch der Caritas, aber auch den Mitarbeitern des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie den Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums des Innern für ihre tatkräftig geleistete Arbeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Trotz der Herausforderungen und der Schwierigkeiten, die beim ersten Aufnahmeprogramm aufgetreten sind, haben wir uns entschieden, parallel ein zweites Aufnahmeprogramm aufzulegen. Wir konzentrieren uns jetzt nicht nur auf den Libanon, sondern nehmen ins-besondere Verwandte von in Deutschland lebenden -Syrern aus allen betroffenen Anrainerstaaten und auch aus Ägypten auf. Nachdem die Länder ihre Aufnahmevorschläge an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geschickt haben, kommen wir nun gut voran. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat bereits mehr als ein -Drittel der teilnehmenden Personen identifiziert. Über 1 000 Aufnahmebescheide wurden schon an die deutschen Auslandsvertretungen übermittelt, sodass in den nächsten Wochen mit zahlreichen Einreisen zu rechnen ist. Mehr als hundert Personen sind bereits über das zweite Aufnahmeprogramm eingereist. Darüber hinaus ermöglichen die Bundesländer, dass hier lebende Syrer ihre Verwandten nach Deutschland holen können, wenn denn der Lebensunterhalt gesichert ist. Auch über diesen Weg haben bereits mehr als 4 000 Syrer ein Visum für Deutschland erhalten. Wir sind uns darüber im Klaren, dass es gerade für das Auswärtige Amt nicht einfach ist, die Situation vor Ort zu bewältigen; aber dort wird wirklich alles getan, was möglich ist. Mit all diesen Maßnahmen ist Deutschland das Land außerhalb der Krisenregion, das weltweit mit Abstand die meisten Flüchtlinge aus Syrien aufnimmt. Meine -Damen und Herren, als Vorreiter werden wir uns auch weiterhin international für die humanitäre Aufnahme starkmachen. Auch national werden wir bei Erreichen des Kontingents nicht mit der aktiven Aufnahme auf-hören. Wir werden in den nächsten Wochen auch entsprechende Gespräche mit den Ländern führen. Meine Damen und Herren, wir sollten uns bei aller Notwendigkeit der Aufnahmeprogramme im Klaren sein, dass wir die Not des Bürgerkriegs nicht hier in Deutschland lösen können. Deshalb ist es nach wie vor notwendig, dass wir unsere Hilfe vor Ort noch intensivieren. Dort erreichen wir die meisten Menschen, dort können wir diese Not, dieses Elend am ehesten mildern. Das Wichtigste bleibt natürlich, dass der Friedensprozess vorankommt. Nur wenn wieder Frieden herrscht, wird es keine Flüchtlinge und keine Not und kein Elend mehr geben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Annette Groth, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Annette Groth (DIE LINKE): Danke. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wurde schon viel gesagt. Wenn wir über -syrische Flüchtlinge, Menschen in Not reden, möchte ich ihnen jetzt einmal ein Gesicht geben; sonst ist das immer so allgemein. Ich denke zum Beispiel an zwei junge -Syrer, Anfang zwanzig, in einem griechischen Polizei-gefängnis mitten in Athen, die ich Anfang des Jahres getroffen habe. Sie hatten eine weite, gefährliche Reise hinter sich gebracht, über die Türkei, und sind dann in Athen aufgegriffen worden, gefesselt und ins Polizei-gefängnis gesteckt worden. Der eine schaute mich nur an und sagte: Ich dachte, Europa ist demokratisch, hier herrschen die Menschenrechte, und die Menschenwürde wird respektiert. – Was sollte ich da sagen? Ich sagte: Ja. Wir versuchen zu helfen. Es ist nicht richtig, dass Sie hier gefangen genommen worden sind. (Beifall bei der LINKEN) Das waren nur zwei von sehr vielen, die ich in den letzten Monaten in griechischen Haftanstalten bzw. Flüchtlingsgefängnissen gesehen habe. Ich denke aber auch an eine Syrerin, die mit einem Deutschen verheiratet ist und jetzt in Syrien, in Damaskus, auf ihr Einreisevisum wartet. Es hat ein paar -Probleme gegeben, da die Heirat nicht nach deutschen Standards erfolgt ist. Sie haben nämlich in Beirut geheiratet und lebten dann in Dubai. Dieses Land mussten sie verlassen, nachdem er seine Arbeit verloren hatte. Er ging zurück nach Deutschland, sie nach Syrien. Er hat mittlerweile wieder eine Arbeit in Deutschland, und wir hoffen, dass sie jetzt bald mit einem gültigen Visum einreisen kann. Ich kenne Hunderte von Fällen – Sie kennen vielleicht auch ein paar –, bei denen es – Herr Schröder hat es eben gesagt – an Kleinigkeiten fehlt. Eine Familie hatte zum Beispiel bis auf ein kleines Papier der Krankenversicherung sämtliche Papiere zusammen. Und es gibt sehr viele Papiere, die man neben einem hohen regelmäßigen Einkommen, einer Krankenversicherung usw. nachweisen muss. Aufgrund eines kleinen fehlenden Papiers der Krankenversicherung dürfen Menschen nicht einreisen. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Es gibt aber auch andere Beispiele, Frau Kollegin!) Ich habe Sie gut gehört, Herr Annen und Herr Dr. Schröder. Sie haben gesagt, wir müssten mehr Flüchtlinge aufnehmen. Das ist schön. Ich werde das beobachten und immer wieder einfordern. Ich habe mich oft gefragt: Was wäre bei uns in Deutschland eigentlich los, wenn wir in den letzten zwei Jahren 20 Millionen Flüchtlinge hätten aufnehmen -müssen? Das entspricht nämlich ungefähr der Relation Bevölkerung/Flüchtlinge im Libanon. Dort ist jeder Vierte ein Flüchtling. Was wäre auf Rügen oder Sylt los, wenn jeden Tag – im Sommer besonders – Flüchtlingsboote aus der Türkei anlanden würden? Vor Lesbos – dort war ich auch – ertrinken jeden Tag Menschen. Das ist eine Schande! Es ist vor allen Dingen eine absolute Menschenrechtsverletzung, wenn die -griechische Küstenwache, teilweise unterstützt durch Frontex, Flüchtlingsboote wieder zurück in türkische Gewässer schiebt, damit sie bloß nicht in griechischen Gewässern landen und dort Hilfe benötigen. Das passiert ständig. Pro Asyl und Amnesty International haben kürzlich eindrückliche Berichte darüber verfasst. Das ist eine Schande für Europa! (Beifall bei der LINKEN) Europa muss also etwas tun. Wir müssen helfen und auch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Daneben müssen auch die dringend notwendigen Finanzzusagen deutlich erhöht werden. Bei einem Bedarf von mindestens 5,5 Milliarden Euro wurden 1,7 Milliarden Euro bewilligt. Auch das ist eine Schande! Ich bedanke mich und hoffe, dass diese Debatte bei uns hängen bleibt und uns verpflichtet, mehr Flüchtlinge aufzunehmen und die Hürden deutlich zu senken. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Achim Post für die Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Achim Post (Minden) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich will einmal einen Aspekt aus der Europadebatte aufgreifen, die vor dieser Syrien-Debatte stattgefunden hat. Dort haben nämlich viele Rednerinnen und Redner zu Recht auf den 8. Mai 1945 verwiesen. An diesem 8. Mai 1945 gab es 500 000 Flüchtlinge aus Deutschland, die besonders dankbar waren, dass sie den Naziterror überlebt haben. Zu verdanken haben sie das 80 Ländern, die sie aufgenommen haben. Wenn diese 80 Länder das nicht getan hätten, dann wären die meisten dieser 500 000 Menschen tot gewesen. Deshalb ist die Bundesrepublik Deutschland – wir sind jetzt stark und demokratisch – und sind die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes besonders in der Pflicht, für Flüchtlinge aus aller Welt – und in diesem Fall für Flüchtlinge aus Syrien – etwas zu tun. (Beifall im ganzen Haus) Deshalb ist es gut, dass es in dem Antrag der Koalition darum geht, zu fragen: Wie können wir diesen Flüchtlingen helfen? Wie können wir diesen Flüchtlingen besser helfen? Wie können wir den Nachbarländern Syriens helfen? Wie können wir diesen Nachbarländern besser helfen? Am Schluss des Koalitionsantrags stehen acht konkrete Punkte, die ich alle unterstütze. Ich vermute, auch Sie unterstützen sie alle. Auf einen dieser Punkte, der von einigen Vorrednern schon angesprochen wurde, will ich besonders eingehen. Was macht die Europäische Union? Herr Minister, Sie haben darauf hingewiesen: Ich kenne keine EU--Programme für Syrien-Flüchtlinge. Ich kenne keine -verbindlichen Vereinbarungen aller EU-Staaten, keine verbindlichen Zahlen. Deswegen unterstütze ich die -Bemühungen der Bundesregierung, vor allen Dingen die des Innenministers, der seit Jahr und Tag auf eine EU-Flüchtlingskonferenz über Syrien drängt, weil wir nur dann, wenn es diese Konferenz gibt, darüber reden -können, wie ein faires Verfahren, ein transparentes Verfahren und auch ein demokratisches Verfahren organisiert werden kann. Es ist gut, wenn Deutschland und Schweden viel tun. Aber es ist nicht gut, wenn sehr viele sehr wenig oder gar nichts tun. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Deshalb brauchen wir eine gesamteuropäische Lösung. Wenn der jetzige EU-Kommissionspräsident, der nicht mehr lange im Amt ist, dazu nicht fähig oder willens ist, dann muss das eine der ersten großen Aufgaben des neu gewählten EU-Kommissionspräsidenten werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Wir alle wissen – viele haben das betont –: Die syrischen Flüchtlinge bleiben langfristig auf weitere inter-nationale Unterstützung angewiesen. Deshalb ist der -europäische Einsatz richtig, aber es ist auch richtig, dass sich Bund und Länder langfristig darauf verständigen und verpflichten müssen, das, was sie bisher geleistet -haben, zu verstetigen und noch mehr als bisher zu tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich muss an dieser Stelle sagen: So wie es – sagen wir einmal – Ungerechtigkeiten zwischen den 28 europäischen Ländern gibt, gibt es sie auch zwischen den 16 deutschen Bundesländern. Es gibt viele Länder, die viel tun, sehr viele sogar. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Ich kann sagen: Mein Bundesland, meine -Ministerpräsidentin, mein Innenminister tun alles, um im Rahmen des Länderaufnahmeprogramms möglichst vielen Menschen aus Syrien zu helfen. Ein anderes Beispiel hierfür ist Niedersachsen. Es gibt 15 Länderaufnahmegesetze. Wir haben aber 16 Bundesländer. Ich vertraue also darauf, dass eine mächtige Landesgruppe – ich schaue jetzt nach rechts – hier im Deutschen Bundestag dafür sorgt, dass wir bald 16 Länderaufnahmegesetze -haben; denn nur Bund und Länder gemeinsam können diese Aufgabe bewältigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zusammengefasst: Wir alle sind in der Pflicht: jede einzelne von uns, jeder einzelne von uns, der Bund, die Länder, die Europäische Union. Ich halte es für ein -Gebot der Solidarität, der Nächstenliebe und der Menschlichkeit, dass wir unsere Anstrengungen weiter verstärken. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Post, das war Ihre erste Rede hier im Deutschen Bundestag. (Beifall) Ich gratuliere Ihnen dazu und wünsche Ihnen viele weitere Reden hier im Hohen Hause. Für unsere nächste Rednerin ist es nicht die erste Rede. Ich erteile das Wort unserer Kollegin Claudia Roth. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Syrien ist Schauplatz einer humanitären Katastrophe unbeschreiblichen Ausmaßes: entgrenzte Gewalt, totale Zerstörung, Abertausende Tote, darunter sehr viele Kinder, die Hälfte der syrischen Bevölkerung vertrieben, auf der Flucht. Es ist ein fast biblischer Exodus von Menschen wie Sie und ich, die alles verloren haben. Millionen von ihnen sind in den Nachbarländern gestrandet. In diesen Ländern, die völlig überfordert sind, führt die humanitäre Katastrophe mehr und mehr zur politischen Krise, zur Gefahr einer Destabilisierung und zu einem Flächenbrand in der gesamten Region. Libanon hat – Niels Annen hat es angesprochen – 4,2 Millionen Einwohner, und schon jetzt sind dort über 1 Million syrische Flüchtlinge registriert. Hunderttausende palästinensische Flüchtlinge leben seit Jahrzehnten dort. Sie sind oft die Ärmsten der Armen. Deswegen haben wir beantragt, die UNRWA besser auszustatten. Es droht ein Kollaps der gesamten Infrastruktur im Libanon. Ob Bildung oder Gesundheit: Nichts geht mehr. Wenn aber der Libanon auseinanderbricht, dann ist auch das Modell eines multireligiösen Zusammenlebens in einer Gesellschaft gescheitert. Das ist ganz sicher ein Brandbeschleuniger für Fundamentalismus, Terrorismus und den vermeintlichen Krieg der Religionen. Jordanien ist eines der wasserärmsten Länder weltweit. Einige von uns waren im Lager al-Zaatari, ausgelegt auf 125 000 Menschen. Das ist jetzt schon die drittgrößte Stadt in Jordanien. Der UNHCR-Beauftragte Kilian Kleinschmidt ist dort faktisch ein Bürgermeister. Er baut eine Stadt auf, und er schildert eindringlich die Herausforderungen. Er sagt, es müsse um sehr viel mehr gehen als um die kurzfristige Aufnahme. Es wird damit gerechnet, dass die Menschen zehn Jahre dort leben müssen. Also muss – auch mit unserer Unterstützung – verhindert werden, dass eine ganze Generation verloren geht. Deshalb braucht es Erziehung, Schule, Sport und Kultur. Es braucht so etwas wie Leben in Containern und Zelten, und es braucht zum Beispiel Städtepartnerschaften wie mit Amsterdam, das mit dem Lager eine Städtepartnerschaft unterhält und 5 000 Fahrräder geschickt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Türkei hat 1 Million Menschen aufgenommen. Über 200 000 Menschen werden in Lagern versorgt. Viele andere prägen zum Beispiel das Stadtbild in Istanbul, übrigens nicht zuletzt viele Christinnen und Christen, die in diesem Krieg zwischen alle Fronten geraten und voller Angst sind. Lieber Gerd Müller, bitte vergessen Sie auch den Irak nicht. In der kurdischen Region im Nordirak sind 350 000 Menschen mit großer Herzlichkeit aufgenommen worden. Sie haben dort das Recht auf Arbeit. Aber auch diese Region ist an der Grenze ihrer Möglichkeiten angekommen. Ich werde die Trauer, die Verzweiflung, Angst und Hoffnungslosigkeit der Menschen dort nicht vergessen. Ich werde aber auch das Lachen der Kinder in diesen Lagern nicht vergessen, die doch nach all dem Terror und Horror, den sie erlebt haben, ein Recht auf Zukunft haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]) Ja, Deutschland hilft. Gerd Müller hat schon vieles erwähnt. Man kann noch das THW, die Johanniter, das Behandlungszentrum für Folteropfer und die GIZ hinzufügen. Es ist gut, dass Gerd Müller sich als Minister vor Ort ein Bild gemacht hat. Es war eine wunderbare Geste und ein Zeichen, dass Präsident Gauck und Frau Schadt ein Flüchtlingslager besucht haben. Das ist gut. Dennoch: Es reicht vorne und hinten nicht aus, auch wenn es besser ist als das, was der Rest Europas mit Ausnahme von Schweden tut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben es sehr diplomatisch ausgedrückt. Ich hatte das Gefühl, dass Europa jeden Tag aufs Neue erschreckend versagt, sich seiner humanitären Schutzverantwortung völlig verweigert und dadurch auch die Werte, auf denen Europa basiert, deutlich infrage stellt. (Beifall des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Wir müssen sehr viel mehr tun und uns auch in Europa für sehr viel mehr einsetzen. Wir brauchen hier bei uns die Bereitschaft, deutlich mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Wir brauchen eine Erleichterung der Familienzusammenführung, mehr Mittel für die Soforthilfe und eine nachhaltige Unterstützung der Nachbarregionen. Es ist eine Tragödie, dass die Syrer Opfer eines brutalen Stellvertreterkrieges werden. Von Iran über Russland, Saudi-Arabien, Katar und USA bis zur Türkei: Sie alle haben ihre Interessen, und die Syrer zahlen dafür mit ihrem Leben. Es ist brandgefährlich, dass die Opposition immer mehr dominiert wird von islamistischen Terrorgruppen. Besonders entsetzt haben mich die immer lauter werdenden Stimmen, die sagen: Assad ist sehr schlimm. Aber sind die anderen nicht noch schlimmer? – Als wäre eine menschenverachtende Diktatur ein Ausbund an Stabilität! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch wenn man es fast nicht aushalten kann: Es gibt keine militärische Lösung. Deswegen brauchen wir eine humanitäre Offensive und immer wieder Verhandlungen, und zwar mit allen. Alle müssen sich an den Tisch setzen und bereit sein, nicht ihre Interessen, sondern endlich das Überleben der Menschen in Syrien im Auge zu haben. Es braucht – auch angesichts des Schattens der Ereignisse in der Ukraine – eine engagierte deutsche Politik für die Menschen, für das Ende der Gewalt und für einen politischen Friedensprozess. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass der Deutsche Bundestag in dieser Frage einen gemeinsamen Antrag auf den Weg bringt. Vergesst die Syrer nicht; denn Vergessen tötet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht nun der Kollege Philipp Mißfelder. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zuerst zum Antrag. Liebe Kollegin Roth, ich glaube, dass die Debatte schon zeigt, dass wir ein gemeinsames Anliegen haben. Es wäre sicherlich schöner gewesen, wenn wir einen gemeinsamen Antrag verabschiedet hätten. Aber das ist am Ende an Nuancen und nicht an fundamentalen Unterschieden gescheitert. Das sollte man an dieser Stelle ruhig einmal erwähnen. Die Textpassagen sind größtenteils gemeinsam erarbeitet worden, Kollege Nouripour. Deswegen ähneln sich die gestellten Anträge so sehr. Wir beide haben ganz zu Beginn darüber gesprochen, ob es nicht einen gemeinsamen Antrag geben könnte. Ich jedenfalls hätte mir einen solchen Antrag gewünscht. Aber es hat nicht geklappt. Die Debatte zeigt umso mehr, dass es unser gemeinsames Anliegen ist, den Menschen in Syrien zu helfen. Ich möchte Kollegin Roth explizit unterstützen, gerade vor dem Hintergrund des Genf-II-Prozesses, den wir uns auch im Zusammenhang mit der Ukraine erhoffen und der hoffentlich erfolgreicher ist als Genf I: Wir suchen gewissermaßen nach Formaten, die dazu dienen, in Syrien einen politischen Prozess einzuleiten. Erinnern wir uns. Zu Beginn des Syrien-Konflikts haben fast alle – inklusive meiner Person – hier im Deutschen Bundestag gesagt: Eine Friedenslösung kann es nur ohne Assad geben. – Wir haben damals aufwendige Treffen mit den „Friends of Syria“ arrangiert. Ich hatte damals mit dem ehemaligen Außenminister Westerwelle die Gelegenheit, engagierte Oppositionelle aus Syrien zu treffen. Das hat uns die Hoffnung gegeben, dass das Land nach einem blutigen Bürgerkrieg, der hoffentlich bald beendet ist, einen Schritt nach vorne geht. Nichts davon ist eingetreten. Assad ist noch da. Leider müssen wir die Worte, die wir einst gesprochen haben, beiseiteschieben. Des Weiteren hat die Opposition nicht die Stärke entfaltet, die wir uns erhofft hatten. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Islamisten!) Diejenigen, die wir stärker unterstützen wollten, haben größtenteils das Land verlassen. – Frau Jelpke, ich möchte Ihren Zuruf aufgreifen. Wir haben bei „Friends of Syria“ zu keinem Zeitpunkt Terroristen unterstützt. Vielmehr haben wir diejenigen unterstützt, die sich um eine demokratische Zukunft verdient gemacht haben; das ist etwas vollkommen anderes. Dass dann von außen zusätzliche Kräfte in das Land hineingekommen sind und finanziell unterstützt wurden – und zwar gerade aus der Golfregion –, hat die Situation erschwert. Daher ist anzumerken, dass wir zu Beginn des Konflikts von ganz anderen Voraussetzungen ausgegangen sind, als der Verlauf später gezeigt hat. Das muss man an dieser Stelle konstatieren. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Mißfelder, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Jelpke? Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Nein. Ich habe ihren Zuruf schon aufgegriffen. Letzter Punkt dazu. Ich bin der Meinung, dass nur die Fortsetzung der politischen Gespräche hilfreich ist und dass es in diesem Konflikt keine militärische Option gibt. Der humanitäre Beitrag ist umso wichtiger, um die politischen Gespräche zu begleiten. Gerd Müller hat – ebenso wie Staatssekretär Schröder – dankenswerterweise für die Bundesregierung deutlich gemacht, dass Deutschland dort vorbildlich handelt. Natürlich wünschen wir uns, dass alle anderen europäischen Länder genauso handeln wie wir. Aber nicht in allen anderen Ländern ist die gleiche Bereitschaft vorhanden wie bei uns. Da gerade mein Heimatland Nordrhein-Westfalen genannt wurde: Ich bin froh, dass insbesondere die Kommunen, die sich in der Regel in einer schwierigen finanziellen Situation befinden, die Menschen aus Syrien mit offenen Armen empfangen. Das spricht für die Kultur unseres Landes, und das sollte auch für andere europäische Länder Vorbild sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber der entscheidende Blick, was die Flüchtlingsproblematik angeht, richtet sich – das haben fast alle Redner schon gesagt – auf die Nachbarländer. Es ist schon angesprochen worden: Die Türkei leistet Erhebliches. In Jordanien sehen wir eine Situation, bei der man sich, von außen betrachtet, nur noch wundert, warum es da noch nicht zu größeren politischen Umwälzungen gekommen ist. Darauf müssen wir unseren politischen Fokus richten. Auch der Irak ist angesprochen worden. Darauf möchte ich etwas detaillierter eingehen. In Kurdistan, im Nordirak, werden die Menschen mit offenen Armen empfangen. Die Zentralregierung leistet aus meiner Sicht noch keinen genügenden finanziellen Beitrag, um den Nordirak stärker zu unterstützen. Der innerirakische Konflikt, der dort stattfindet, darf nicht auf dem Rücken der Menschen, vor allem der Christinnen und Christen, die dort Zuflucht gefunden haben, ausgetragen werden, weil sich Bagdad weigert, dort wesentlich mehr zu leisten, als es das bisher tut. Deshalb gilt unsere Solidarität insbesondere der Regionalregierung von Kurdistan. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch Ägypten ist angesprochen worden. Ägypten hat selber große Schwierigkeiten. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich die Ägypter an unsere Seite gestellt und uns unterstützt haben. Wie der Kollege Annen gesagt hat, handelt es sich um eine der größten Tragödien unserer Zeit. Wir haben bisher kein Mittel gefunden, dieses Töten zu stoppen. Wenn es auch Signale der Entspannung oder Hoffnungsschimmer an manchen Tagen gibt, so hat sich doch herausgestellt, dass Strukturen von außen aus geopolitischen Gründen unterstützt worden sind, seitens der Golfstaaten, aber auch insbesondere seitens Russlands, und dass wir in einer Situation sind, in der sich die Fronten verhärtet haben und der Konflikt in Syrien zu einem Stellvertreterkonflikt geworden ist. Es besteht die große Gefahr, dass die Terroristen, die von außen eingesickert sind, und die Islamisten, die jetzt kampferprobt sind, bei einer Befriedung des Konflikts in andere Länder zurückkehren, teilweise als Flüchtlinge getarnt, und zur Destabilisierung der gesamten Region beitragen. Weiterhin droht sich der Stellvertreterkrieg auszuweiten. Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass es nicht nur darum geht, heute die syrischen Flüchtlinge nicht zu vergessen, sondern auch darum, dass wir den Brandherd Syrien insgesamt im Blick behalten. Wir müssen uns einer Sache bewusst sein: Dieser Konflikt ist noch nicht vorbei. Wir werden in Zukunft noch mehr leisten müssen, und der politische Weg muss weiter beschritten werden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Sozialdemokraten erteile ich nun dem Kollegen Rüdiger Veit das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rüdiger Veit (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte ist bemerkenswert. Ohne Zensuren verteilen zu wollen, möchte ich sagen, dass dieser Bundestag selten so einmütig im Ziel, zum Teil auch so leidenschaftlich und übereinstimmend diskutiert hat: ein wohltuender Auftakt von Bundesminister Müller und viele andere engagierte Beiträge. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn ich jetzt hier noch etwas hinzufüge, dann deshalb, um das Manko des bisherigen Antrags aufzugreifen, das der Kollege Nouripour zu Recht erwähnt hat. Es fehlt eine klare Aussage in dem Antrag, was wir ganz konkret für die Aufnahme der syrischen Flüchtlinge in Deutschland tun sollen. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn wir zugleich mit diesem eher außenpolitisch zentrierten Antrag auch dazu hier hätten eine Aussage treffen können. (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es wäre wünschenswert gewesen – wir sollten daran arbeiten und nicht nachlassen –, dass das ganze Haus in einem interfraktionellen Antrag auch hierzu etwas sagt, nicht nur zur Außenpolitik und nicht nur zur Entwicklungspolitik; denn ich erinnere daran: Die Aufnahme von Flüchtlingen ist eine gesamtstaatliche Aufgabe aller drei Ebenen: des Bundes, der Länder und der Kommunen. Alle hier vertretenen Parteien sind auch in Landesregierungen vertreten. Wenn wir uns also mit einer machtvollen Stimme gegenüber allen Landesregierungen Gehör verschaffen wollen, dann tun wir gut daran, alle politischen Kräfte dieses Hauses zu bündeln. Deswegen appelliere ich an Sie, dass wir auch bei der Frage der Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus Syrien hier an einer gemeinschaftlichen Lösung arbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Die ist leider nicht so ganz einfach, sonst hätte sie vielleicht schon in diesem Antrag stehen können oder vielleicht Gegenstand eines innenpolitisch geprägten Antrags sein können. Es gibt Verwerfungen nicht nur innerhalb der Europäischen Union. Darauf ist mehrfach hingewiesen worden. Was sich die EU an der Stelle leistet, ist, wie Herr Bundesminister Müller gesagt hat, beschämend; ich füge hinzu: Es ist schändlich. Es ist gut und richtig, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen. Aber es gibt eben auch ein erhebliches Ungleichgewicht in der Bundesrepublik selber. Ganz vorne dabei mit Landesaufnahmeanordnungen und großzügiger Handhabung der sogenannten Verpflichtungserklärungen der Verwandten sind etwa Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und auch Baden-Württemberg. Einzelne andere Bundesländer liegen mit sehr kleinen Aufnahmezahlen weit hinten. Bayern ist mit einem eigenen Landesaufnahmeprogramm bisher überhaupt nicht beteiligt. Ich sage das nicht, um zu schimpfen. Ich sage das, um dafür zu werben, dass auch in diesem Bundesland ein -eigenes Landesaufnahmeprogramm aufgelegt wird. Dann können Bund und Länder gemeinsam überlegen, wie sie in einer geschickten Ergänzung und Verteilung der damit verbundenen Kosten und Lasten zu gemein-samen Ergebnissen kommen. Im Endeffekt muss es natürlich heißen: Wir – gerade Deutschland, gerade auch als Vorbild – haben alle Veranlassung, auch historische Veranlassung, mehr zur Bewältigung dieser humanitären Katastrophe zu tun. Dazu reichen die bisherigen Zahlen in keiner Weise aus. Ich will hier bewusst trotzdem keine anderen konkreten Zahlen in den Raum stellen. Ich würde mir sehr wünschen, dass es zu mehr Engagement kommt. Ich würde mir auch wünschen, dass wir zu einer gleichmäßigen Verteilung innerhalb Deutschlands kommen. Der Königsteiner Schlüssel hat sich hierfür schon in bester Weise bewährt. Vor allen Dingen würde ich mir wünschen, dass die Flüchtlinge, egal ob sie als Asylbewerber gekommen sind, ob sie über den Weg einer Landesaufnahmeanordnung oder über das Bundesprogramm gekommen sind, mit einem einheitlichen Status ausgestattet werden. Es wäre mein Appell, mein Wunsch, meine Bitte und zugleich meine Einladung, dass wir alle daran gemeinsam arbeiten. Wir haben das schon einmal geschafft: Wir haben in einem einstimmigen Beschluss am 28. Juni des letzten Jahres nach einer Delegationsreise des Innenausschusses nach Griechenland und in die Türkei, bei der es auch um diese Flüchtlingsfragen ging, hier eine gemeinsame Position verabschiedet, die klar besagt hat: Wir verlangen mehr von Europa. Wir unterstützen das Bundesinnenministerium. Wir wollen insgesamt eine höhere Zahl an Aufnahmen von Flüchtlingen aus Syrien. Das Problem hat sich seitdem, wohlgemerkt was die politische Diskussion angeht, nicht verändert und ist nicht kleiner geworden; das hat auch der heutige Tag -gezeigt. Es ist in seiner menschlichen Dimension ganz erheblich angewachsen, bis hin zur, wie ich sage, größten humanitären Katastrophe, zumindest in der Zeit, die ich in der Politik aktiv bin und überblicke. Deswegen -besteht umso mehr Veranlassung, hier zu einer einheitlichen Position zu kommen. Dafür werbe ich auch in Richtung meines Koalitionspartners, aber auch aller -übrigen Beteiligten. Ich sichere noch einmal meine Unterstützung zu. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließende Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Andrea Lindholz, CDU/CSU, der ich hiermit das Wort erteile. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit meiner ersten Rede zum Thema Syrien im März dieses Jahres hat sich die Situation leider kaum verändert. Nach wie vor überschattet die Eskalation in der Ukraine die humanitäre Katastrophe in Syrien. In den deutschen Medien taucht die katastrophale Lage in dem vom Bürgerkrieg zerstörten Land nur ganz selten auf. Der Zerfall des syrischen Staates fordert nach wie vor täglich neue Todesopfer. Zahllose Menschen werden verletzt, während 40 Prozent der syrischen Krankenhäuser nicht mehr funktionsfähig sind. 9,3 Millionen Syrer sind innerhalb und außerhalb ihrer Heimat auf der Flucht. Sie alle benötigen dringend humanitäre Hilfe. Deutschland erfüllt seine humanitären Verpflichtungen und hilft massiv. Seit 2012 hat die Bundesregierung über eine halbe Milliarde Euro für syrische Flüchtlinge bereitgestellt. Damit gehört Deutschland zu den größten bilateralen Geldgebern. Hieran wollen wir festhalten, und wir dürfen da auch nicht nachlassen. Unser Technisches Hilfswerk liefert praktische Hilfe in den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Nordirak. Die Mitarbeiter des THW und aller anderen Hilfsorganisationen vor Ort leisten einen unschätzbaren Dienst für Millionen von Flüchtlingen. Ihnen gebührt unser Dank. Auch im Asylbereich macht sich das Engagement -bemerkbar. In Deutschland werden inzwischen rund 1 700 neue syrische Asylanträge pro Monat registriert. Seit 2012 gibt es einen Stopp von Abschiebungen nach Syrien. In den letzten Jahren sind über 36 000 Syrer nach Deutschland gekommen. Damit hat sich die syrische Gemeinschaft in Deutschland mehr als verdoppelt. Zusätzlich haben wir zwei Sonderprogramme aufgelegt, mit denen 10 000 besonders schutzbedürftige Syrer bei uns Asyl erhalten. Deutschland nimmt damit zwei Drittel aller syrischen Flüchtlinge auf, die außerhalb der Region Schutz finden. Bayern, Herr Kollege Post, nimmt im Rahmen des Bundesprogramms 1 520 Syrer auf. Das sind 15 Prozent der Gesamtzahl und damit mehr, als jedes andere Bundesland aufnimmt. Staatsminister Herrmann hat bereits angekündigt, dass Bayern auch weiterhin über das Maß hinaus Syrer aufnehmen wird und statt auf unflexible Landesprogramme auf eine Ausweitung des Bundes-programms setzen will. In Bayern leben 4 600 Syrer. Das sind 7 Prozent aller Angehörigen der syrischen Community in Deutschland. Unsere europäischen Partnerstaaten haben zwar ebenfalls Sonderprogramme aufgelegt. Allerdings kommen alle EU-Staaten zusammen gerade mal auf ein Kontingent von 3 900 Sonderplätzen. Selbst große Länder wie Frankreich und Großbritannien stellen nur 500 Plätze bereit. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nicht länger hinnehmbar. Vor diesem Hintergrund bittet die Koalition die Bundesregierung, unsere europäischen Nachbarn aufzufordern, mehr Verantwortung angesichts der humanitären Katastrophe zu übernehmen. Das gilt sowohl in Bezug auf die Ausweitung der Sonderkontingente außerhalb der gewöhnlichen Asylverfahren als auch in Bezug auf die Hilfe vor Ort in Syrien und den Nachbarstaaten. Hier müssen insbesondere mehr Gelder für die humanitäre Unterstützung zur Verfügung gestellt werden. Wir brauchen auf europäischer Ebene – das hatte ich im März schon gesagt – endlich eine Syrien-Flüchtlingskonferenz. Auch wenn die schrecklichen Bilder der syrischen Flüchtlingskinder nicht in unseren Medien auftauchen: Es gibt sie doch. Das Elend ist groß, und Europa darf hier nicht wegsehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es kann nicht sein, dass unsere europäischen Partner die Verantwortung speziell für Syrien und allgemein im Asylbereich auf Deutschland abwälzen. Im letzten Jahr wurden fast 30 Prozent aller Asylanträge innerhalb Europas in Deutschland gestellt. Binnen eines Jahres stieg in Deutschland die Zahl der Asylanträge um 70 Prozent. Angesichts dieser Zahlen ist es wichtig, dass wir die im Koalitionsvertrag vereinbarte Beschleunigung der Asylverfahren zügig umsetzen. Aussichtslose Asyl-verfahren müssen schneller als bisher abgeschlossen werden. Wir würden damit zusätzliche Kapazitäten schaffen, um für syrische Flüchtlinge schnell eine -Lösung zu finden, und wir würden die Situation in den Kommunen verbessern. Die Kommunen erbringen nämlich die Hauptleistung bei der Aufnahme der Flüchtlinge, was nicht immer ganz einfach ist. Auch ich gehe davon aus, dass wir weitere Flüchtlinge aus Syrien bei uns aufnehmen werden und aufnehmen müssen. Daher wollen wir Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, aber auch Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten erklären. Aus diesen Ländern stammt heute mehr als ein Viertel aller Asylbewerber, obwohl die Anerkennungsquote für diese Länder seit Jahren bei quasi 0 Prozent liegt. Diese Länder sind sicher. Serbien bewirbt sich um eine EU-Mitgliedschaft. Die serbische Regierung bittet selber darum, auch von Deutschland endlich als sicheres Herkunftsland eingestuft zu werden. Asyl in Deutschland, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann aber immer nur in begrenztem Umfang eine Lösung für Flüchtlingskrisen bieten. Angesichts von 43 Millionen Flüchtlingen weltweit wird der tatsächliche Bedarf an Asyl nie zu decken sein. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass wir den Fokus auf die Unterstützung vor Ort legen, den Menschen direkt vor Ort helfen und für ein Dach über dem Kopf, für sauberes Trinkwasser, für Essen und für medizinische Versorgung Sorge tragen. Langfristig wird sich die Situation der syrischen Flüchtlinge aber nur verbessern, wenn der Krieg in ihrer Heimat beendet wird. Der Friedensprozess muss daher mit allem Nachdruck und trotz aller Rückschläge weiterverfolgt werden. Wo die Gespräche enden und wo die Waffen sprechen, da hat die Politik versagt, und das dürfen wir nicht akzeptieren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über zwei Anträge mit dem gleichlautenden Titel „Hilfe für die Flüchtlinge aus Syrien – Unterstützung für die Nachbarstaaten“. Zunächst Tagesordnungspunkt 6 a. Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/1333. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Zusatzpunkt 3. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1335. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag gegen die Stimmen der Grünen mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Linken abgelehnt. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 24 a bis h sowie den Zusatzpunkt 4 auf: 24 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung -eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Dezember 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien andererseits über den Gemeinsamen Luftverkehrsraum (Vertragsgesetz EU-Georgien-Luftverkehrsabkommen – EU-GEO-LuftverkAbkG) Drucksache 18/1224 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Erste Beratung des von der Bundesregierung -eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Ausdehnung der Anwendung der Verordnung (EU) Nr. …/2013 über ein Aktionsprogramm in den Bereichen Austausch, Unterstützung und Ausbildung zum Schutz des Euro gegen Geldfälschung (Programm „Pericles 2020“) auf die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten Drucksache 18/1225 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Erste Beratung des von der Bundesregierung -eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur -Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption durch Lebenspartner Drucksache 18/1285 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend d) Erste Beratung des von der Bundesregierung -eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur -Einführung einer Länderöffnungsklausel zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und zulässigen Nutzungen Drucksache 18/1310 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft e) Erste Beratung des von der Bundesregierung -eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozial-gesetzbuch – Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen Drucksache 18/1311 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der -Fraktion DIE LINKE Henry-Kissinger-Stiftungsprofessur an der Universität Bonn verhindern Drucksache 18/1330 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einrichtung einer Nelson-Mandela-Stiftungsprofessur für Friedenspolitik und Völkerrecht Drucksache 18/1329 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss h) Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Umsetzung des Europäischen -Semesters 2013 und der Europa 2020-Strategie unter besonderer Berücksichtigung der länderspezifischen Empfehlungen Drucksache 17/14622 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsauschuss ZP 4 Unterrichtung durch die Bundesregierung Stadtentwicklungsbericht 2012 Drucksache 17/14450 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ich frage, ob Sie damit einverstanden sind. – Ich sehe keine gegenteiligen Äußerungen. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 25 und Zusatz-punkt 5 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen ebenfalls keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 25: Beratung der Ersten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 Drucksache 18/1160 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Zusatzpunkt 5: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Bankenabwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates KOM(2013) 520 endg.; Ratsdok. 12315/1/13 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Für einen europäischen Bankenabwicklungsmechanismus und Bankenabwicklungsfonds Drucksache 18/1340 Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Es enthält sich niemand. – Damit ist dieser Antrag gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Koalition und der Linken abgelehnt. Damit kommen wir jetzt zum Zusatzpunkt 6: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Ergebnisse des Treffens von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit US-Präsident Barack Obama Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Jan Korte das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Juni 2013 rollt die große NSA-Überwachungsaffäre. Was passierte seitdem? Am 12. Juni fährt der damalige Innenminister Friedrich nach Washington, wird allerdings sofort ohne Ergebnis wieder zurück-geschickt. Am 4. November 2013 fahren die Chefs von BND und Verfassungsschutz nach Washington. Die -haben zumindest vom Thema Ahnung, haben aber auch nichts herausgefunden, geschweige denn an dieser -Praxis etwas ändern können. Dann kommt der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla und erklärt die Affäre für beendet. Schließlich, nachdem sie doch nicht beendet gewesen ist, wird vorgeschlagen: Wir machen ein No-Spy--Abkommen. Daraus ist nichts geworden. Nun haben -einige fälschlicherweise gehofft, dass, wenn die Bundeskanzlerin zu ihrem guten Kumpel Präsident Obama fliegt, Klartext gesprochen und sich dann etwas ändern würde. Das war leider eine große Fehleinschätzung. Wie reagiert die Bundeskanzlerin auf diesen größten Datenschutz- und Bürgerrechtsverletzungsskandal der letzten Jahrzehnte, der im Übrigen ein Dauerangriff auf unsere Grund- und Freiheitsrechte ist? Sie reagiert mit völligem Desinteresse, ohne Mut, geschweige denn mit irgendeiner Konsequenz. Das ist einer Bundeskanzlerin und einer Bundesregierung bei der Dimension dieses Skandals nicht angemessen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Besuch bei Präsident Obama war die letzte Chance, einmal Klartext zu reden und den USA deutlich zu sagen: Solange unsere Bevölkerung massenhaft und ohne einen Grund bespitzelt wird, gehen wir auch diplomatisch einen begrenzten Konflikt ein, weil wir das nicht hinnehmen. – Diese Chance wurde leider vertan. Stattdessen steht die Bundeskanzlerin wie ein Wackeldackel neben dem US-Präsidenten und tut gar nichts, sondern glänzt durch völliges Desinteresse. Das kann doch nicht wirklich wahr sein, wie mit diesen Vorgängen umgegangen wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist im Übrigen ganz interessant, dass einige der ostdeutschen Genossinnen und Genossen – ich komme ja aus dem Westen – mir erzählt haben, dass sie diese Vorgänge an die alten Zeiten erinnern, als noch von der unverbrüchlichen Freundschaft mit der Sowjetunion gesprochen wurde. Das sind in etwa dieselben Verhaltensweisen, die hier an den Tag gelegt werden. Das kann auch einmal klar angesagt werden. (Beifall bei der LINKEN) Es ist ebenfalls interessant, einmal zu untersuchen und über die Frage nachzudenken: Woher kommt denn diese Unterwürfigkeit? Woher kommt dieses Desinte-resse? Woher kommt eigentlich dieses Achselzucken? Dabei nähern wir uns logischerweise, von der Außenpolitik kommend, direkt der Innenpolitik. Der Kern für die Unterwürfigkeit ist natürlich, dass diese und die vorherigen Bundesregierungen sowie die deutschen Geheimdienste Komplizen der NSA-Praxis sind. Das ist der Grund für die Unterwürfigkeit: Man ist Komplize und Gehilfe. Das gehört abgestellt, wie die Linke findet. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In diesem Zusammenhang wurde nicht von der Bundesregierung, von der ja in dieser Frage überhaupt gar nichts zu erwarten ist, sondern verdienstvollerweise von engagierten und kritischen Journalisten zum Glück sehr viel aufgedeckt. Ein zweiter Grund für diese Unterwürfigkeit, für dieses Beschwichtigen und Für-beendet-Erklären ist natürlich auch, dass Deutschland schon lange nicht nur an den offenen, sondern auch an den geheimen Kriegen der USA, die von deutschem Boden mit vorbereitet und durchgeführt werden, aktiv beteiligt ist. Das ist der eigentliche Skandal. Es wäre das Mindeste, damit endlich aufzuhören. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe mich bei unseren Außenpolitikern ein wenig kundig gemacht. Man kann da logischerweise vielleicht nicht ganz so deutlich reden, wie ich das jetzt tue – ich bin ja heute noch sehr zurückhaltend –, (Zuruf von der SPD: Nur Mut!) sondern man muss bestimmte Dinge beachten. Das kann ich alles verstehen. Aber man hätte in Washington ja zumindest eines tun können, Frau Bundeskanzlerin: Sie hätten sich zum Beispiel mit Jimmy Carter, dem ehemaligen demokratischen Präsidenten, treffen können, der zur NSA-Praxis sehr deutlich etwas gesagt hätte. Sie hätten sich symbolisch mit vielen Kongressabgeordneten treffen können, die im Kongress dafür sorgen wollen, dass der Datenschutz und die Bürgerrechte eingehalten werden. All das hätten Sie tun können. Sie hätten deren Kritik aufnehmen können, wenn Sie selber schon nicht in der Lage sind, diese Kritik zu formulieren. Auch das haben Sie leider sträflich vernachlässigt, was wir sehr bedauern. (Beifall bei der LINKEN) Es wäre wirklich notwendig und anerkennenswert gewesen, wenn Sie sich ein Beispiel an der brasilianischen Staatspräsidentin Dilma Rousseff genommen hätten. Die hatte nämlich den Mumm, in Anwesenheit von Präsident Obama Klartext zu reden und unverblümte Kritik zu äußern. Das ist richtig. Brasilien hat daran gearbeitet, ein eigenes Verschlüsselungssystem einzuführen. Auch in dieser Hinsicht bei Merkel und dieser Bundesregierung totale Fehlanzeige! In Brasilien wurde von der Präsidentin eine Internetverfassung auf den Weg gebracht, wurden Internetgrundrechte formuliert. Das wäre der richtige Weg gewesen. Sie hätten die brasilianische Präsidentin in ihrem Engagement gegen diese massenhafte Grundrechtsverletzung unterstützen müssen. Es kam nichts. Sie lassen sie im Regen stehen. Das ist doch nicht hinnehmbar. Das ist nicht zu fassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Um abzuschließen: Bei der Bundeskanzlerin ist es ja mittlerweile so, dass sie die normalen irdischen Gefilde verlassen hat. Sie schwebt schon mehrere Meter über dem realen Leben und ist in ihrer präsidialen Art kaum noch ansprechbar für unsere irdischen Probleme hier. Es geht aber nicht darum, als Bundeskanzlerin einfach Bundeskanzlerin zu sein; vielmehr sind die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung dem Grundgesetz und dem Schutz der Rechte der Bürgerinnen und Bürger verpflichtet. Dem kommen sie nicht einmal ansatzweise nach. Deswegen ist eine radikale Umkehr in dieser Politik dringend notwendig, um unsere Grund- und Freiheitsrechte, die unter großen Opfern erkämpft worden sind, endlich zu schützen. Das ist Ihre Aufgabe. Da haben Sie vollkommen versagt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU-Fraktion erteile ich nun das Wort der Kollegin Elisabeth Motschmann. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Korte, Sie haben das Thema total verfehlt. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben eigentlich nur über die NSA geredet, aber Ihre Aktuelle Stunde hat ein anderes Thema. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das kommt aber noch!) Sie sagten über das Treffen: großer Aufwand und kein Ergebnis. (Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, richtig! Über Nichtergebnisse muss man auch sprechen!) Im Übrigen weise ich, lieber Herr Korte, Ihre Äußerung, dass wir Komplizen der NSA sind, hier in aller Deutlichkeit zurück. (Beifall bei der CDU/CSU) Wer die Ergebnisse des Treffens von Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama – darum geht es in dieser Aktuellen Stunde – bewerten will, muss sich zunächst den weltpolitischen Hintergrund dieser Reise ansehen. Wir alle blicken in großer Sorge auf die Ukraine. Die Lage dort ist ernst, sehr ernst. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat gestern in der Aktuellen Stunde sehr deutliche Worte gefunden – ich habe das genau mitgeschrieben –: Die Lage … ist furchtbar. Die Nachrichten sind erschreckend. Die Ereignisse seien dramatisch, hat er gesagt. Und: Dann stehen wir auf unserem Kontinent … an der Schwelle zu einer Konfrontation. So weit Frank-Walter Steinmeier. Er hat gleichzeitig aber auch betont, dass es ihm nicht darum geht, Ängste zu schüren, sondern darum, die Lage ehrlich zu schildern. Auch andere Krisenherde in der Welt sind uns sehr wohl bekannt: Syrien, Afghanistan und Afrika, wo es jede Menge Unruhen gibt. Vor diesem Hintergrund und angesichts dieser Lage hat die Bundeskanzlerin mit ihrer Reise wichtige Signale gesetzt: Sie unterstreicht und festigt das Bündnis mit Amerika. Sie dokumentiert, die transatlantischen Beziehungen sind intakt. Sie betont, dass ungeachtet aller Differenzen – ich komme darauf noch zu sprechen – Deutschland und die USA enge Verbündete, ja auch Freunde bleiben. Das ist das erste Ergebnis dieser Reise. Diese Signale werden von Barack Obama geteilt. Er hat gesagt: Deutschland ist einer unserer engsten Verbündeten und unserer engsten Freunde. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Er benimmt sich aber nicht so!) Die Linken haben ja noch nie sehr viel von unserem amerikanischen Bündnispartner gehalten, noch nie. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Was heißt das?) Damit isolieren Sie sich in diesem Haus. Auch das kritische Thema NSA darf doch nicht dazu führen, dass wir vergessen – ich bitte Sie, darüber einmal nachzudenken –, was wir diesem Bündnis zu verdanken haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will Ihnen das in Stichworten sagen – fünf Minuten Redezeit sind leider sehr kurz –: Frieden und Sicherheit nach dem Zweiten Weltkrieg, Aufbauhilfe, Marshallplan, (Jan Korte [DIE LINKE]: Atomraketen!) Unterstützung bei der deutschen Einheit, zuverlässiger Partner in der NATO, wichtiger Handelspartner. Meine Damen und Herren, gerade in Krisenzeiten ist die Wertegemeinschaft, die uns verbindet, von ganz großer Bedeutung. Sie ist die Grundlage für Frieden, Freiheit und Wohlstand in unseren Ländern und in der gesamten westlichen Welt. Merkel und Obama haben Einigkeit und Geschlossenheit gegenüber Russland in der Ukraine-Frage gezeigt. Das ist das zweite wichtige Ergebnis der Reise. Darüber haben Sie gar nicht geredet. (Jan Korte [DIE LINKE]: Das macht mein Kollege! Ich wollte die Vorfreude nicht nehmen!) Die Kanzlerin und der amerikanische Präsident verurteilen das Vorgehen Putins auf der Krim und in der Ukraine. Beide sprechen von Völkerrechtsbruch. Beide bekräftigen die Notwendigkeit weiterer Sanktionen. Beide sind sich einig, dass man die Ukraine unterstützen muss, auch mit finanziellen Mitteln. Beide sind sich aber auch einig, dass alle diplomatischen Möglichkeiten genutzt werden müssen, um die Lage zu deeskalieren. Es muss eine politische und darf keine militärische Lösung geben. Darin sind sie sich vollkommen einig. Diese Einigkeit, dieser Schulterschluss bei dem zentralen und wichtigsten Thema des Treffens ist ein großer Erfolg, lieber Herr Korte. Diese Einigkeit ist genau das richtige Signal an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Ja, es gab auch kritische Themen. Dazu gehört die Abhöraffäre. Differenzen sind auch unter Freunden möglich, übrigens auch nötig. Streit gibt es in jeder Familie, auch in der politischen Familie. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zwischen berechtigtem Sicherheitsinteresse und notwendigem Schutz der Privatsphäre muss gewahrt bleiben. Genau das hat die Bundeskanzlerin auch gesagt. (Zurufe von der LINKEN: Oijoijoi!) Sie hat erneut ein No-Spy-Abkommen gefordert. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher wissen Sie das?) Die Umsetzung dieser Forderung allerdings ist nicht ihre Sache – sie regiert hier und nicht in Amerika –, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern?) sondern dies ist die Sache Amerikas und Barack Obamas. (Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist ein beiderseitiges Abkommen! Das können die USA nicht mit sich selber abschließen!) Wenn Sie dort hingereist wären, Herr Korte, dann hätten wir erst recht kein No-Spy-Abkommen. (Jan Korte [DIE LINKE]: Dann wäre was los gewesen!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Liebe Kollegin Motschmann, Sie denken daran, dass das Zeitformat der Aktuellen Stunde die fünf Minuten sind. Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Lieber Herr Präsident, heute ist meine fünfte Rede, heute ist mein fünftes Enkelkind geboren; da reichen fünf Minuten nicht ganz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Freihandelsabkommen bleibt ein offener Punkt, obwohl beide Seiten es grundsätzlich bejahen. Angela Merkel hat für einen zügigen Abschluss des Abkommens zwischen der EU und den USA geworben. Meine Damen und Herren, ich schließe und sage ganz klar: Das Treffen der beiden hat gute Ergebnisse gebracht. Die Freundschaft beider Staaten wurde gefestigt. Wir können einmal mehr sehen, dass in der Außenpolitik die Linken alles andere als vernünftig und verantwortungsvoll sind. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Gut abgelesen!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich darf an dieser Stelle zur Geburt des Enkelkindes herzlich gratulieren, Frau Kollegin Motschmann. (Beifall) Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin Merkel hat in Washington die transatlantische Wertegemeinschaft beschworen. Das finde ich richtig. Es gibt eine Wertegemeinschaft, die Gemeinsamkeiten hat, wie zum Beispiel pluralistische Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit. In die Außenpolitik übersetzt heißt das, dass internationale Regelwerke einzuhalten sind. Diese Wertegemeinschaft ist herausgefordert, heutzutage beispielsweise in Syrien oder in der Ukraine. Die trans-atlantische Antwort darauf müsste sein, sich auf die gemeinsamen Werte, die wir haben, zurückzubesinnen. Aber wir müssen feststellen, dass es noch eine weitere Herausforderung gibt: die lange Liste praktischer Politiken der Vereinigten Staaten von Amerika, die genau diesen Werten nicht entsprechen. Dies bringt sehr viele Fragen mit sich. Frau Merkel ist nicht mit Antworten, sondern mit leeren Händen zurückgekommen. Zur NSA wird der Kollege Ströbele nachher mehr sagen. Erlauben Sie mir jetzt nur die Anmerkung, dass es nicht nur um das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin geht, sondern vielmehr um uns alle, die wir überwacht werden. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Eben! Eben! Eben!) Die Frau Bundeskanzlerin hat nicht einmal darauf beharrt, Akteneinsicht in ihrem eigenen Fall zu fordern, oder darauf, dass die Akte vernichtet wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist es! Richtig!) Es gab den Irakkrieg, der dem Völkerrecht nachhaltig Schaden zugefügt hat. Es gibt den Drohnenkrieg der Amerikaner in Pakistan, der völkerrechtswidrig ist; er findet nicht nur dort, sondern auch im Jemen und in Somalia statt. In Pakistan reden wir über 2 500 Tote; Hunderte Kinder sind darunter. Das ist nicht nur ein Völkerrechtsbruch, sondern es ist ein riesengroßer strategischer Fehler im internationalen Kampf gegen den Terrorismus. Es gibt Studien noch und nöcher, die belegen, dass dieser Drohnenkrieg ein großer Helfer für Extremisten ist, um Menschen anzuwerben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zeugen wie der ehemalige Pilot von Kampfdrohnen Brandon Bryant sagen glasklar: Das, was die Amerikaner machen, wäre ohne das, was in Deutschland zum Beispiel in Ramstein passiert, in der Form überhaupt nicht möglich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Bundesregierung ist aufgefordert, wenigstens die richtigen Fragen zu stellen, und natürlich muss sie auch dafür sorgen, dass das nicht passiert; denn das ist eine indirekte Beteiligung am Völkerrechtsbruch. Wir haben Guantánamo. Seit fünf Jahren sagt der US-Präsident nicht nur, dass Guantánamo geschlossen werden muss. Er selbst sagt auch, dass „Guantánamo der moralischen Autorität“ der USA „geschadet hat“. Es sind immer noch 150 Personen dort. Das hat mit unserem gemeinsamen Verständnis von Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun. Wir haben die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP. Ja, TTIP ist eine riesengroße Chance, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein!) für Arbeitsplätze, für die Märkte auf beiden Seiten, wenn es im Ergebnis dazu führt, dass ökologische und soziale Standards angehoben werden, und es ein transparentes Verfahren gibt. Das, was wir bisher haben, wird dem nicht gerecht. Deshalb brauchen wir einen Neustart bei TTIP. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei Partnerschaften und Freundschaften können Differenzen bestehen – da hat die Kollegin Motschmann völlig recht –; aber sie werden nicht beseitigt, wenn man sie nicht anspricht. (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Habe ich doch! – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört! Zuhören!) Wenn es Fragen gibt – noch einmal: wir haben sehr viele Fragen an die Amerikaner –, dann braucht man Antworten. Aber die Antworten wird man nicht bekommen, wenn man die Fragen nicht stellt. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie sind doch gestellt worden!) Das ist nicht geschehen. Die Frau Bundeskanzlerin – ich habe es schwarz auf weiß – beharrt nicht einmal darauf, dass ihre persönliche NSA-Akte vernichtet wird. Dann kann man nicht davon sprechen, dass sie nach Amerika gefahren ist, um eine Aufklärung herbeizuführen. Das ist schlicht nicht geschehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt will ich etwas zu den Ausführungen des Kollegen Korte sagen; denn es gibt doch einen kleinen Unterschied zwischen der Sowjetunion damals und den USA heute. Darin ist auch die Partnerschaft und die Freundschaft zu den Vereinigten Staaten von Amerika begründet, die ich bezeugen würde. Wenn es um die Positionen geht, die ich gerade benannt habe, gibt es nicht nur in der amerikanischen Zivilgesellschaft Hunderte und Tausende von Menschen, sondern auch im Kongress zig Abgeordnete, die unsere besten Partnerinnen und Partner und Verbündeten sind, (Jan Korte [DIE LINKE]: Habe ich ja gesagt!) die gemeinsam mit uns dafür kämpfen, dass diese riesige Überwachungsmaschinerie endlich gezügelt wird, dass es ein Freihandelsabkommen gibt, das gewissen Standards entspricht, dass Guantánamo geschlossen wird. Weil wir solche Partner haben, ist es richtig, von einer Wertegemeinschaft zu sprechen. Diese Wertegemeinschaft wird aber unterspült, wenn wir Double Standards setzen. Deswegen muss man diese Double Standards gerade in diesen Zeiten klar benennen und gemeinsam versuchen, sie abzuschaffen. Wir brauchen die Amerikaner. Aber wenn man sich in der Welt umschaut, dann erkennt man, dass es nicht allzu viele andere potenzielle Partnerstaaten für die USA gibt, die so viele Gemeinsamkeiten aufweisen, die dieselben Werte verfolgen, etwa Rechtsstaatlichkeit und pluralistische Demokratie. Man muss also feststellen: Die Amerikaner brauchen uns genauso. Deshalb ist es ohne Probleme möglich, mit den Amerikanern offen und ehrlich zu sprechen und die richtigen Fragen zu stellen. Das muss die Bundesregierung endlich tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Dr. Rolf Mützenich, SPD, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es besteht kein Zweifel: Die NSA-Affäre hat die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland nachhaltig beschädigt. Ich glaube, dass wir dies vonseiten des Deutschen Bundestages schon mehrfach ausreichend diskutiert und festgestellt haben. Ich muss aus meiner persönlichen Sicht sagen: Es hat sich auch mein Bild von Präsident Obama verändert. Ich glaube schon, dass er zumindest damals, als er vor seiner ersten Amtszeit als Präsidentschaftskandidat der Demokraten antrat, in diesem Zusammenhang zumindest gegenüber uns, gegenüber Europa, ein anderes Bild vermittelt hat. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ganz anders!) Auch das gehört zu einer offenen Diskussion dazu, und deswegen sagen wir es hier. Wenn Sie hier ehrlich debattieren wollen, müssen Sie aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Bundeskanzlerin in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Obama auf die Meinungsunterschiede hingewiesen hat. Sie hat sehr deutlich gemacht, dass es hier Differenzen zwischen der Auffassung der Bundesregierung und der Auffassung der Administration gibt. Sie hat gerade auch vor amerikanischem Publikum die ernsthaften Versuche dargestellt – sie sprach über den Cyberdialog und die Möglichkeiten, die die EU gerade nach der Neuwahl des Europäischen Parlamentes nutzen sollte –, gemeinsam mit den USA zu einem anderen Verhalten zu kommen. Meine Kollegen Saskia Esken und Christian Flisek werden sich in dieser Aktuellen Stunde noch mit diesen Fragen, auch im Hinblick auf den Untersuchungsausschuss, befassen. Es war gut, dass sich die Bundeskanzlerin auch mit Mitgliedern des Kongresses getroffen hat, weil gerade dort die Kritik am Verhalten der Geheimdienste – spätestens zu dem Zeitpunkt, als bekannt wurde, dass auch der Kongress offensichtlich von Geheimdiensten abgehört wurde – gewachsen ist. Es wurden letztlich auch Ermutigungen ausgesprochen, da nur so die Voraussetzung dafür geschaffen werden kann, dass sich das Verhalten der USA verändert. In der Tat – das wurde schon von einigen angesprochen – war das entscheidende Thema die Ukraine. Niemand in Deutschland hätte es der Bundeskanzlerin abgenommen, wenn sie zu diesem Zeitpunkt dieses Thema nicht zum Schwerpunkt ihrer Washington-Reise gemacht hätte. Durch die Geschehnisse in der Ukraine werden die Prinzipien der europäischen Friedensordnung erschüttert. Möglicherweise wird eine Zeitenwende eingeläutet. Deswegen war es richtig, dass das Thema Ukraine Schwerpunkt der Diskussion war. Wir brauchen einen vertrauensvollen, aber auch intensiven Austausch. Möglicherweise gibt es unterschiedliche Auffassungen, unterschiedliche Sichtweisen; aber das gibt es zwischen Partnern. Nebenbei bemerkt: Es war gut, dass die Bundeskanzlerin – zumindest habe ich das gelesen – ebenfalls über Syrien und die Herausforderungen der iranischen Atomkrise gesprochen hat. Hier wird deutlich: Der Besuch war nicht nur erwünscht, sondern er war dringend notwendig und fand zum richtigen Zeitpunkt statt, weil wir in den nächsten Wochen und Monaten wichtige Entscheidungen in diesem Bereich zu treffen haben. Deutschland ist ein unverzichtbarer Partner für die USA und insbesondere für die internationale Staatengemeinschaft. Wann, wenn nicht bei einem solchen Arbeits-besuch, soll das besprochen werden? Ich bin froh, dass die Bundeskanzlerin keine Schaufensterdiplomatie betreibt und irgendetwas erklärt, was zum Schluss vielleicht doch nicht eingehalten wird. Vielmehr widmet sie sich intensiv den Differenzen, aber letztlich auch den Übereinstimmungen. Das ist verantwortungsvolle Außenpolitik (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und keine Kommentierung, wie der Außenminister in München zu Recht gesagt hat, von der Außenlinie. Wir stellen uns der Aufgabe, eine verantwortungsvolle Außenpolitik zu machen, die versucht, mit diplomatischen und zivilen Mitteln, mit Klugheit, aber auch mit Besonnenheit auf die innenpolitische Diskussion auch in den USA einzuwirken. Das haben Sie bei Ihrer Rede zu diesem Thema vollkommen ausgeblendet. Es ist wichtig, was die Bundeskanzlerin in den USA gesagt hat. Es gibt nun einmal Differenzen aufgrund anderer historischer Erfahrungen, zum Beispiel in Bezug auf Sanktionen. Wir als Deutsche wollen als Verantwortliche in der Außenpolitik Europas deutlich machen, dass wir Russland trotz aller Differenzen für eine gemeinsame europäische Friedensordnung brauchen. Vielleicht ist es auch nicht schlecht, Präsident Obama zu ermutigen, weiterhin auf den Ausbau der Raketenabwehr, zumindest der vierten Stufe, zu verzichten. Es wäre gut, wenn wir die USA überzeugten, den NATO-Russland-Rat als wichtiges Dialogforum ernst zu nehmen. Insbesondere für die konventionelle Abrüstung in Europa braucht es eine konstruktive Haltung der USA. Dafür treten wir Sozialdemokraten ein. Wir hatten nie zu viel Entspannungspolitik. Wir brauchen sogar mehr Entspannungspolitik, gerade in diesen Zeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege Thorsten Frei, dem ich hiermit das Wort erteile. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke hat diese Aktuelle Stunde beantragt, um eine Bewertung des Amerika-Besuches unserer Bundeskanzlerin vorzunehmen. Ich schließe mich der überwiegenden Mehrheit der bisherigen Redner an und sage: Dieser Besuch war erstens richtig, zweitens ein Erfolg und ist drittens zur richtigen Zeit erfolgt. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich ist richtig, dass im vergangenen Jahr die Massenüberwachung durch die NSA in Deutschland Gesellschaft und Medien erschüttert hat. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heute noch, Herr Kollege!) Auch wir sind der Auffassung, dass es mit unseren Maßstäben von Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar ist, massenhaft Daten und Informationen abzugreifen, ohne dass es dafür irgendeinen Grund oder auch nur irgendeinen Verdachtsfall gibt. Das haben wir damals gesagt, und das sagen wir heute. Da reden wir nichts schön. Auch wenn wir zur Kenntnis zu nehmen haben, dass auch in Amerika eine Debatte darüber in Gang gekommen ist und es auch dort Widerstände gegen diese gängige Praxis der Überwachung gegeben hat, ist natürlich festzustellen, dass die Bewertung des Spannungsverhältnisses zwischen Freiheit und Sicherheit diesseits und jenseits des Atlantiks unterschiedlich austariert und aufgelöst wird. Das ist zutreffend. Ich plädiere dafür, dass wir nicht blauäugig und illusionär an diese Debatte herangehen, sondern uns bewusst machen, dass es gängige Praxis von Diensten weltweit ist, Informationen zu beschaffen, um dadurch ein gutes Stück weit ihrer exekutiven Verantwortung, Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, eigene Interessen zu verfolgen, aber auch für Werte einzustehen, nachzukommen. Auch das dürfen wir in dieser Debatte nicht vergessen. Genauso wenig dürfen wir vergessen – auch das ist schon angesprochen worden –, dass es unter Freunden auch Meinungsverschiedenheiten geben darf. Die gibt es in diesem Fall. Diese hat die Bundeskanzlerin, auch wenn Sie es negieren, deutlich angesprochen, und zwar nicht erst bei diesem Besuch, sondern bereits vielfach in den vergangenen Monaten. Ich glaube, dass gute Partnerschaften und Freundschaften es aushalten müssen – sie tun es in diesem Falle auch –, dass man diese unbequemen Wahrheiten und auch die Kritik anspricht, die berechtigterweise im Raum stehen. Kluge und verantwortungsvolle Außenpolitik muss letztlich über den Tag hinaus denken, muss letztlich auch Verantwortung übernehmen für das, was kommt. Deswegen ist es falsch, aus einer Empörungshaltung heraus Außenpolitik mit dem Bauch zu machen. Es wäre sehr viel klüger, den Kopf einzuschalten. Genau das tun die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin ganz persönlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wer glaubt denn im Ernst, dass die Herausforderungen, beispielsweise in der Ukraine – sie sind vom Kollegen Mützenich angesprochen worden –, in Afghanistan, im Iran, in Syrien oder Nahost nachhaltig ohne die Unterstützung der USA zu lösen sind? Im Gegensatz zu Ihnen sagen wir: Wir müssen in der Außenpolitik eine größere Verantwortung, entsprechend unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Größe, übernehmen. Man kann sich nicht vom Acker machen, wenn es schwierig wird und, wenn die Amerikaner die Aufgabe übernehmen, sie auch noch kritisieren. Das ist einfach nicht in Ordnung. Das müssen wir an dieser Stelle deutlich sagen. Die Verflechtung zwischen den USA und Deutschland, die Nähe zu den USA ergibt sich aus unserer Geschichte, vor allen Dingen aus den vergangenen 70 Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Amerikaner haben uns in besonderer Weise geholfen und es uns ermöglicht, ein wirtschaftlich prosperierendes und demokratisches Deutschland aufzubauen. Es sind die Herausforderungen der Zukunft, die uns verbinden und deutlich machen: Es gibt keine Äquidistanz Deutschlands zu Russland und den USA. Wir lassen es nicht zu, dass man einen Keil in die westliche Partnerschaft treibt. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Aber Polarisierung!) Ich bin sicher, dass wir auch im ökonomischen Bereich eine starke Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Europäischen Union einerseits und den USA andererseits benötigen. Wir brauchen ein erfolgreiches Freihandelsabkommen, weil niemand davon so profitiert wie Deutschland. Wir haben eine Exportquote von 73 Prozent. Die USA sind nach der EU der wichtigste Exportmarkt für unsere Wirtschaft, das wichtigste Zielland für deutsche Investitionen; vor allen Dingen hängt jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland vom Export ab. Wir brauchen das Freihandelsabkommen, weil es zu mehr Sicherheit, zu mehr Wohlstand, zu mehr Wachstum, zu sinkenden Preisen und zu einer größeren Produktvielfalt führen wird. Lassen Sie mich zum Ende noch einen Aspekt ansprechen: Es kommt hier nicht in erster Linie auf Euro und Cent an. Es kommt vor allen Dingen auf die politische und geostrategische Bedeutung an. Es kommt darauf an, ob wir nebenanstehen wollen, wenn Standards für Verbraucherschutz, beispielsweise Standards für den Schutz geistigen Eigentums, Standards für Wettbewerb und Investitionen, gesetzt werden, oder ob wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und den USA daran mitarbeiten wollen. Wenn wir es nicht tun, wenn wir es nicht schaffen, dann machen das in einigen Jahren andere. Dann sitzen nicht nur wir Deutsche, sondern wir Europäer am Katzentisch. Das wollen wir nicht. Deshalb ist es richtig, dass wir uns hier engagieren. Das hat die Bundeskanzlerin gemacht, weil sie Außenpolitik vom langen Ende her bedenkt. Dieser Besuch war daher richtig und erfolgreich. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Linke spricht jetzt der Kollege Dr. Diether Dehm. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe 1972 Plakate geklebt, auf denen stand: Deutsche – Wir können wieder stolz sein auf unser Land! Wir Frankfurter Sozialdemokraten hatten eine Fotokopie mit dem vor dem Warschauer Mahnmal knieenden Willy Brandt darüber geklebt. Da beugte sich ein deutscher Kanzler, turmhoch überlegen den Nationalisten und Rassisten und auch der CDU, die ihn damals verspotteten. Ihre Verbeugungen in Washington, Frau Bundeskanzlerin, sind ganz anderer Art. Es war nicht nur Ihr Telefon, das abgehört wurde, sondern es war und bleibt eine Demütigung aller Deutschen und ist und bleibt ein permanenter Rechtsbruch. Hatten Sie denn, als Sie das No-Spy-Abkommen beerdigt haben, vergessen, dass Sie Ihren Amtseid nicht auf eine Fibel der NSA, sondern auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland abgelegt haben? Die USA treten unsere Grundrechte mit Füßen, und Sie lassen sich abhandeln, Edward Snowden in Deutschland nicht als Zeugen aussagen zu lassen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie schon so wenig Selbstrespekt haben, dann sollten Sie zumindest Respekt vor dem deutschen Recht haben. (Beifall bei der LINKEN) Erich Kästner schrieb einst: Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken. Sie trinken ihn, Frau Bundeskanzlerin. Was haben Sie uns denn aus den USA mitgebracht? Zum Beispiel, dass diese verdammten Atomraketen aus Rheinland-Pfalz abgezogen werden? Das wäre einem souveränen Deutschland angemessen. Die USA wollen ihre Vormachtstellung gegenüber ihren potenziellen Konkurrenten Russland und China absichern und deswegen ein Freihandelsabkommen mit der EU. Sie hätten also mit diesem TTIP ein Druckmittel gehabt; aber Sie sind in die Knie gegangen. Können Sie hier klar ausschließen, dass der US-Konzern Monsanto, wenn ein deutscher Imker oder Landrat gegen dessen Genmais vorgeht, keine Schadenersatzansprüche gegen die Bundesrepublik erheben kann wegen entgangener Gewinne oder dass der Mindestlohn zu Klagen führt, noch dazu vor Schiedsrichtern in lächerlichen Hinterzimmern, die gar keine Gerichte mehr sind, sondern einen Sonderstatus haben? Können Sie das ausschließen? Wenn nicht, ist Ihr Schweigen auch eine Aussage. Warum dann die ganze Geheimniskrämerei um das Investorenschutzkapitel des TTIP? Was soll der jetzt bekannt gewordene „Regulierungsrat“ aus Bankern und Konzernlobbyisten, der nationalen Parlamenten Gesetzesvorhaben verbieten darf, wenn sie dem Freihandel schaden? In Wirklichkeit lauern die US-Konzerne darauf, europäische Öko- und Sozialstandards zu ruinieren. Und die Deutsche Bank lauert darauf, in den USA nicht mehr für ihre Betrügereien bestraft zu werden. Denn dort ist die Finanzaufsicht schärfer als in dem Land, in dem die Bundeskanzlerin den Geburtstag des Oberbanksters Josef Ackermann im Kanzleramt feiern ließ. (Beifall bei der LINKEN) Viele fragen: Ging es Obama und Ihnen bezüglich der Ukraine nur darum, wer näher dran ist, wenn die Splitter fliegen, und wer schneller an Kohle und Stahl oder am Schiefergas ist? Das ist übrigens eine tolle Vorstellung: Überall auf der Welt wird gegen Fracking demonstriert, und in der Ukraine wurde das Fracking von SS-Milizen der Swoboda-Partei abgesichert. Heute ist der 8. Mai, den Bundespräsident Weizsäcker den Tag der Befreiung nannte. Uns wird immer gesagt, dass wir den amerikanischen GIs dafür dankbar zu sein haben. Aber es war der amerikanische Literaturnobelpreisträger Ernest Hemingway, der dies um folgenden Satz ergänzte – ich zitiere –: „Wer den Frieden befürwortet, wird der Roten Armee so viel danken müssen, wie er in seinem ganzen Leben nicht wird arbeiten können.“ (Beifall bei der LINKEN) Ich kenne die richtigen Worte, Deutsche hätten selbst mit berechtigter Kritik an der israelischen Regierung erst einmal innezuhalten wegen der 6 Millionen Ermordeten des Holocausts. Wer aber von Ihnen bessere Beziehungen zur Bild-Zeitung hat als ich, sollte denen einmal sagen: Haltet inne mit eurem pausenlosen „Russen-Ba-shing“ – auch wegen der 27 Millionen mit SS und Wehrmacht ermordeten Sowjetmenschen! (Beifall bei der LINKEN) Kann denn bei Springer niemand verstehen, was es für russische Familien bedeutet, wenn in der Ukraine die mitregierende Swoboda-Partei – mit Hitlergruß – ihre Parteihochschule nach Joseph Goebbels benennt? Nach Joseph Goebbels! Kann niemand verstehen, was das für diese Menschen bedeutet, nachdem es dort 27 Millionen Tote gegeben hat? Die Linke demonstriert heute vom Brandenburger Tor zum Sowjetischen Ehrenmal, welches die Bild-Zeitung gerade plattmachen möchte. Wir gedenken auch der vielen Menschen, die letzte Woche im Gewerkschaftshaus von Odessa bei lebendigem Leibe verbrannt und von Faschisten mit Baseballschlägern wie Vieh totgeschlagen wurden. Wir denken auch an die Stockholmer Rede von Willy Brandt mit dem Kernsatz: „Krieg ist nicht mehr die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio.“ Willy Brandt hat auf Knien die deutschen Interessen vertreten – Sie nicht, Frau Bundeskanzlerin. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Saskia Esken, SPD. (Beifall bei der SPD) Saskia Esken (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Das Internet gehört der NSA“, so lautete eine Überschrift von vielen, mit denen die Medien die Enthüllungen von Edward Snowden kommentierten. Die Ahnung von der Datensammelwut von Geheimdiensten, die wir durch diese Enthüllungen bisher erhalten haben, hat unser Vertrauen in die Chancen von Digitalisierung und weltweiter Vernetzung nachhaltig erschüttert. Die Verunsicherung der Menschen und der Diskurs, der darüber entstanden ist, betreffen aber nicht nur die Tätigkeit ausländischer Geheimdienste. Wir beschäftigen uns in der Folge auch mit dem Umgang der großen und kleineren Netzakteure mit unseren persönlichen Daten, und wir beschäftigen uns mit Fragen der Datensicherheit, so zum Beispiel mit Verschlüsselungsverfahren, ihrer Anwendbarkeit und Verbreitung. Ich meine, das sind gute und notwendige Diskussionen. Sie beschränken sich nicht auf die Grenzen unseres Landes, sondern werden weltweit geführt, nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und in anderen Ländern. Heute Morgen durfte ich an einem Gespräch mit Vertretern der Regierung von Ruanda teilnehmen, die die Internetkonferenz re:publica hier in Berlin besuchen. Ich habe mich gefreut, zu hören, wie klar und deutlich auch in Ruanda die Chancen des Internets für Bildung und Emanzipation, für die persönliche und für die wirtschaftliche Entwicklung der Menschen gesehen werden. Internet und Digitalisierung werden also durchaus noch als Verheißung wahrgenommen. Doch diese Verheißung hat durch die bekannt gewordene Überwachung einen tiefen Bruch erfahren, der weit über eine allgemeine Skepsis gegenüber der digitalen Kommunikation hinausgeht. Nicht nur auf deutscher Seite ist dabei das Vertrauen in die USA als befreundete Nation nachhaltig beschädigt worden. Unsere Wahrnehmung wird beherrscht von einer großen Verunsicherung darüber, welchen Schaden die Überwachung unserer Kommunikation für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Wirtschaft bedeutet. Lassen Sie mich das Maß dieser Verunsicherung an einem Beispiel aus der analogen Welt erläutern. Wenn Menschen Opfer eines Wohnungseinbruchs werden, dann fühlen sie sich in ihrem Grundvertrauen in unsere Gesellschaft nachhaltig verletzt. Dieser Vertrauensverlust ist durch den Ausgleich des Schadens durch die Versicherung nicht zu beheben. Ebenso gilt – auch im Hinblick auf die Verletzung unserer Privatsphäre, unserer Persönlichkeits- und Freiheitsrechte –: Nicht alle Wunden heilt die Zeit. Es darf also keinesfalls der Fehler begangen werden, Dinge unter den Teppich zu kehren oder gar etwas für beendet zu erklären, das noch lange nicht beendet ist. Allen Akteuren sollte bewusst sein: Vertrauen kann man nicht verordnen. Verlorengegangenes Vertrauen muss aktiv wiederhergestellt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir begrüßen deshalb – und wir bestärken die Bundeskanzlerin darin –, dass sie bei ihrem USA-Besuch mit Präsident Obama vereinbart hat, den notwendigen und vertrauensbildenden Dialog, den sogenannten Cyber-Dialog, fortzusetzen und auszubauen. In diesem Dialog muss es um die – vielleicht auch unterschiedliche – Bewertung und die Balance von Privatsphäre, Freiheit und Sicherheit gehen. Im Ergebnis erwarten wir nicht mehr und nicht weniger, als darin vertrauen zu können, dass amerikanische Geheimdienste die Grund- und Freiheitsrechte unserer Bürgerinnen und Bürger wahren. Natürlich gibt es auch eine eigene, eine deutsche und eine europäische Verpflichtung, uns über unsere Sicherheit und den Schutz unserer Daten, den Schutz unserer Privatsphäre im Internet Gedanken zu machen. Da geht es nicht nur um den Schutz vor Nachrichtendiensten, sondern auch um den Schutz vor Internetkriminalität und Wirtschaftsspionage. Wir haben schließlich die Aufgabe, die Menschen und ihre Bürgerrechte in der digitalen Welt genauso zu schützen wie in der analogen. Gestern hat der Ausschuss Digitale Agenda, dem ich angehöre, mit einem Fachgespräch zur IT-Sicherheit einen ersten Beitrag hierzu geleistet. Dass dieses Fachgespräch öffentlich stattfand, ist ein klares Zeichen für die Bürgerinnen und Bürger: Wir dürfen die Fragen, die die Privatsphäre der Bevölkerung in diesem hohen Maße betreffen, nicht hinter verschlossenen Türen diskutieren. Dennoch ist in diesen Fragen ein nationaler Alleingang nicht notwendig und auch ganz bestimmt nicht förderlich. Vielmehr ist die Zusammenarbeit in der Europäischen Union und mit den USA auszubauen, ohne dabei deutsche und europäische Standards von Sicherheit und Datenschutz preiszugeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, eine flächendeckende Ausspähung unter Freunden darf es nicht geben. Wir haben die Grundrechte unserer Bürgerinnen und Bürger aktiv zu schützen. Die tiefgreifende Vertrauenskrise, die sich gegenüber dem Internet und gegenüber unseren amerikanischen Partnern ergeben hat, müssen wir überwinden. Wenn uns das nicht gelingt, wäre das wirklich ein Schaden für das Staatswohl. Ich wünsche mir, dass wir in naher Zukunft nicht mehr befürchten müssen, das Internet gehöre der NSA. Wir wollen zu Recht wieder sagen dürfen: Das Internet gehört uns. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Hans-Christian Ströbele. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor einiger Zeit habe ich von diesem Platz aus die Bundeskanzlerin – sie saß auf der Regierungsbank – gefragt, ob sie denn Herrn Snowden auch ein bisschen dankbar dafür ist, dass er aufgedeckt hat, dass sie abgehört worden ist. Als Folge davon hat sie dann mit dem US-Präsidenten telefoniert, und der hat ihr versichert, jetzt werde sie nicht mehr abgehört. Das hat sie Edward Snowden zu verdanken; insofern ist die Frage nach der Dankbarkeit wohl angebracht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Jetzt ist die Bundeskanzlerin in die USA gereist, gestärkt durch ein Gutachten der Bundesregierung, in dem klargestellt worden ist – keine Angst in den USA, keine Angst, Herr Obama! –: Herr Snowden wird nicht im Deutschen Bundestag aussagen; wir haben das gerade festgelegt. – Da hätte man erwartet, dass die Kanzlerin, die – das hat sie ja immer wieder betont – auch in Sachen NSA in die USA gefahren ist, dort etwas erreicht, dass ein bisschen etwas abgegolten wird, dass das also eine gute Voraussetzung dafür ist, dass sie etwas durchsetzt. Aber schon auf der Pressekonferenz, wo man bewundern konnte, wie sie neben dem US-Präsidenten stand, kam nichts zur NSA. Sie hat dazu auch nichts mitgebracht. Sie hat nur eine nebulöse Erklärung abgegeben, es gebe natürlich auch zwischen Freunden immer einmal Meinungsunterschiede. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Über das Abendessen!) Ganz offensichtlich war da nichts. Ich hätte die Bundeskanzlerin gern gefragt, was sie denn eigentlich in Washington erreicht hat. Hat sie sich wenigstens getraut, zu sagen: „Lieber Herr Obama, liebe Administration, die deutsche Bundesregierung hat im Juli vergangenen Jahres einen großen Katalog von Fragen betreffend die NSA geschickt mit der Bitte, die doch zu beantworten“? Wahrscheinlich hätte sie antworten müssen: Das habe ich lieber nicht gemacht. – Jedenfalls gab es da keine Reaktion. Es gibt auf diese Fragen, mit denen sich ja auch Minister Friedrich und Minister Pofalla in der Diskussion immer wieder beschäftigt haben – die Fragen würden bald beantwortet: in vier Wochen, in sechs Wochen, in zwei Monaten –, bis heute keine Antwort. Ganz offensichtlich traut sich die Bundesregierung nicht, nachzufragen. Hier ist angesprochen worden, dass wir mit den USA eine Wertegemeinschaft haben. Das sehe ich auch so. US-Präsident Obama hat auf dieser Pressekonferenz Werte angesprochen. Einen ganz hohen Wert hat er in seiner Rede dreimal erwähnt: Privacy. Wir in Deutschland sagen „Privatsphäre“ oder „Privatheit“ dazu. Die müsse geschützt werden, dies sei ein ganz hoher Wert, den man hochhalte und auch hochhalten wolle. Warum ist die Bundeskanzlerin eigentlich nicht darauf eingegangen, als er das gesagt hat? Warum hat sie nicht gesagt: „Herr Obama, Sie haben recht“? „Warum geben Sie uns Deutschen und der Bevölkerung in der ganzen Welt“ – zum Beispiel in Brasilien, Mexiko und Frankreich – „dann nicht die Privacy zurück? Warum tun Sie nicht etwas in diese Richtung?“ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das wäre doch eine gute Gelegenheit gewesen, in aller Freundschaft danach zu fragen. Nein, die Bundesregierung und ganz speziell die Bundeskanzlerin versagt bei der Verteidigung der gemeinsamen Werte. Sie kann sie nur dadurch verteidigen, dass sie das in den USA anspricht und von der US-Adminis-tration verlangt, dass sie hier etwas tut. Man könnte das Ganze jetzt abschließen und sagen: Die Bundesregierung berichtet nicht darüber. Nicht einmal in der Fraktion soll ja darüber berichtet worden sein. Die Kanzlerin ist auch nicht hier, weil es ja nichts gibt, was sie berichten könnte. Man könnte jetzt also den Mut verlieren. Ich verliere den Mut aber nicht. Ich habe nämlich zur Kenntnis genommen, dass gestern der Rechtsausschuss im amerikanischen Repräsentantenhaus mit 32 zu 0 Stimmen einen Gesetzentwurf angenommen hat, durch den die Tätigkeit der NSA ganz drastisch beschränkt werden soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist der richtige Weg: Wenn die Regierungen nicht handeln und nichts tun, dann müssen die Parlamente diese Aufgabe übernehmen. Hier in Deutschland ist das der Deutsche Bundestag. Deshalb freue ich mich – wir kommen ja gerade aus dem Untersuchungsausschuss –, hier mitteilen zu können, dass der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages einstimmig, also mit allen Mitgliedern des Ausschusses, beschlossen hat, -Edward Snowden zu hören. Das ist erst einmal ein Erfolg. Daneben ist die Frage, wo und wie er gehört wird, zumindest offengeblieben, sodass ich sage: Die halbe Tür auf dem Weg, Edward Snowden anzuhören, ist schon offen. Das ist der richtige Weg. So müssen wir weitermachen: erst aufklären und dann die Konsequenzen ziehen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Unionsfraktion spricht jetzt der Kollege Jürgen Hardt. (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der eintägige Arbeitsbesuch der Bundeskanzlerin in den USA, in Washington, erfolgte zum richtigen Zeitpunkt, und er hatte die richtigen Themen. Er war im Ergebnis ein großer Erfolg; denn die Prioritätensetzung der Bundeskanzlerin entsprach dem, was auf der weltpolitischen und auf der transatlantischen Agenda steht, und es gibt hier eine ganze Reihe von klaren Fortschritten zu verzeichnen. Ich möchte an erster Stelle sagen, dass angesichts der Situation, in der wir uns in Europa im Augenblick befinden, die Ukraine-Krise natürlich eine zentrale Rolle gespielt hat. Ich glaube, dass es der Bundeskanzlerin -gelungen ist, dem amerikanischen Präsidenten klarzumachen, dass Europa selbstverständlich bereit ist, gegebenenfalls, wenn es unausweichlich ist, auch einen weiteren Schritt bei den Sanktionen zu gehen und den eskalierenden Prozess konsequent fortzusetzen. In -Europa gibt es aber natürlich höchst unterschiedliche Situationen in den 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Es gibt eben Länder, die von bestimmten Formen von Sanktionen in ganz anderer Art und Weise betroffen wären als andere. Ich glaube, die Erwartungshaltung der Amerikaner an die Bundeskanzlerin ist, dass sie aufgrund ihrer natürlichen Rolle, aufgrund des Respekts, den sie bei den Kollegen in der EU genießt, und natürlich auch aufgrund der besonderen Stellung Deutschlands ein Stück weit die Aufgabe annimmt, hier eine akzeptable Balance zu finden. Umgekehrt akzeptieren die Amerikaner, dass das, was wir hier als richtig und möglich vereinbaren, möglichst auch im Gleichklang dies- und jenseits des Atlantiks umgesetzt wird. Ich glaube, das ist das zentrale Ergebnis dieses Besuches. Die zentrale Forderung, die wir nun an alle Beteiligten stellen – inklusive des russischen Präsidenten –, ist: Wir wollen, dass die Wahlen in der Ukraine am 25. Mai 2014 möglichst ungehindert, fair und demokratisch durchgeführt werden können. Danach wird man diese Wahlen bewerten, und dann wird man weitere Schritte einleiten müssen. Ich glaube, das ist ein ganz konkretes und wichtiges Ergebnis. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich finde, es gibt ein solch klares Ergebnis auch beim Thema NSA. Selbstverständlich hätten wir uns alle gewünscht, dass es vielleicht seitens des Präsidenten in der Frage der Abhöraktion, bei der das Handy der Kanzlerin überwacht wurde, ein sichtbares Zeichen der Vertrauensbildung gegeben hätte. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bevölkerung ist noch wichtiger!) Aber so etwas kann man nicht erzwingen. Im Übrigen ist Angela Merkel nicht eine Kanzlerin, die Freunde im Zweifel öffentlich vorführt, wenn sie mit dem, was diese gesagt haben, unzufrieden ist. Sie macht das eher hinter den Kulissen. Aber ein klares Ergebnis ist, dass sich der amerikanische Präsident in seiner Pressekonferenz im Rosengarten klar hinter den Cyber-Dialog gestellt hat, dass also nun das Projekt von Außenminister Kerry und Außenminister Steinmeier, Ende Juni in einen Dialog über die Frage: „Was ist die richtige Balance zwischen Schutzinteresse einerseits und persönlichen Freiheitsrechten andererseits?“, einzutreten, die Rückendeckung des amerikanischen Präsidenten und selbstverständlich auch der Bundeskanzlerin hat und dass wir deswegen von diesem Dialog zu Recht etwas erwarten und abfordern dürfen, wenngleich das natürlich nicht in wenigen Tagen erfolgen wird. Ein weiterer Punkt ist für mich, dass bei diesem Besuch auch in Sachen des Transatlantischen Freihandels- und Investitionsabkommens ein wichtiger Schritt gemacht wurde, den wir in der Vergangenheit vermisst haben: Es wurde eine offensive Herangehensweise eingeleitet. Die Kanzlerin hat vor der amerikanischen Handelskammer eine fulminante Rede gehalten, bei der das Thema TTIP eine große Rolle gespielt hat. Sie hat auch die schwarz gekleideten älteren Herren im Saal der Handelskammer zum Lachen gebracht, als sie gesagt hat: Wenn durch das TTIP dann auch der Export von Bier von Europa nach Amerika einfacher wird, dann werden Sie sehen, was Sie in der Vergangenheit verpasst haben. Sie hat damit einen Öffentlichkeitsprozess über TTIP eingeleitet, den wir in Deutschland dringend brauchen. Herr Gabriel hat am vergangenen Montag diesen Prozess mit Forman und De Gucht hier in Berlin fortgesetzt. Ich glaube, wir sollten insgesamt versuchen, dieses Thema intensiv zu beraten; denn TTIP ist tatsächlich eine große Chance, hohe Standards im Umweltschutz, im Arbeitnehmerschutz, im Verbraucherschutz und bei der Hygiene durchzusetzen, (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) die dann möglicherweise zur Referenz für den gesamten Welthandel werden können. Diese Chance sollten wir uns nicht entgehen lassen. Ich glaube, dass wir nach dem November 2014, wenn wir eine neue EU-Kommission haben und dann auch die Midterm Elections in den USA vorbei sind, mit Blick auf das erste Halbjahr 2015 einen starken Angang mit der Chance bekommen werden, dieses Abkommen tatsächlich 2015 abzuschließen, was ich mir wünschen würde. Von daher war es ein ausgesprochen erfolgreicher Besuch. Dementsprechend sind wir froh, dass es so gelaufen ist. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Ist schon klar!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Christian Flisek für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Flisek (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es mag Zufall sein, dass unsere heutige Debatte genau auf den Tag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges fällt – darauf ist schon hingewiesen worden –, auch wenn man anlässlich eines solchen Tages zu ganz unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen kann. Ein solcher Tag kann Anlass sein, einen kurzen Blick zurückzuwerfen. Die Siegermächte und allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika haben Deutschland nach den nationalsozialistischen Massenmorden in -Europa einen Neuanfang ermöglicht. Die europäische Integration und die transatlantische Allianz bilden seitdem einen Eckpfeiler der deutschen Außenpolitik. Die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten als der Führungsmacht des westlichen Bündnisses war von Anfang an eng, und sie hat der Bundesrepublik Deutschland unter den Bedingungen des Kalten Krieges eine Entwicklung in Frieden, Freiheit und Wohlstand ermöglicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nicht zuletzt war die Unterstützung der USA nach der friedlichen Revolution in der DDR von entscheidender Bedeutung für die Wiedervereinigung unseres Landes. (Zuruf von der LINKEN: Ach so!) Unsere europäischen Partner blickten damals noch sehr skeptisch auf ein größeres, wiedervereinigtes Deutschland. Dieses Eintreten für ein einiges und freies Europa entsprang dem Geiste der atlantischen Wertegemeinschaft von Demokratie und Freiheit. (Zuruf von der LINKEN: Gorbatschow!) Infolge dieser Einheit hat Deutschland seine volle Souveränität erreicht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Unsere Interessen bei außenpolitischen Kontroversen haben vielleicht nicht immer übereingestimmt. Ich denke dabei an den Irakkrieg. Auch die Entscheidung zur Intervention in Libyen kann hier genannt werden. Aber die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen sind so eng und die gemeinsam geteilten Werte sind so stark, dass unser Verhältnis bis in die jüngste Zeit von einem tiefen Grundvertrauen der Deutschen zu den USA und ihrer politischen Führung geprägt war. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: War wohl ein Fehler!) Gerade Präsident Obama fand in Deutschland für seine Außenpolitik immer eine sehr große Zustimmung. Die Zustimmung war hier in Deutschland immer größer als in den USA selber. Noch im Frühjahr 2013 lag die Zustimmung bei knapp 76 Prozent gegenüber knapp 50 Prozent in den Vereinigten Staaten. Bis zum November 2013 sank allerdings die Zustimmung auf 43 Prozent, und heute würden 61 Prozent der Deutschen sagen, allgemein könne man den USA nicht mehr vertrauen. Der entscheidende Grund, warum dieses Vertrauen der Deutschen in die USA so erschüttert worden ist, sind – das ist bereits angesprochen worden – die Enthüllungen über die Überwachungs- und Abhöraktivitäten der National Security Agency gegenüber deutschen Bürgerinnen und Bürgern. Ins Rollen gebracht wurden diese Dinge durch die Enthüllungen von Edward Snowden. Dieses umfassende Ausspähen und Sammeln von Informationen aller Bürgerinnen und Bürger bis hin zu unserer Regierungschefin widerspricht fundamental unserem Verständnis von grundlegenden Freiheitsrechten, insbesondere dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und dem Schutz der Privatheit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Hinzu kommt aus meiner Sicht noch eine andere tiefgreifende Besorgnis. Unseren US-amerikanischen Partnern stehen bei uns in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik alle Türen offen, auf allen Ebenen. Wenn wir nun jedoch den Eindruck gewinnen müssen, dass man uns misstraut bzw. eine vorgeblich der Terrorismusbekämpfung dienende Überwachung auch dazu benutzt wird, uns bei internationalen Verhandlungen auszuspionieren, dann berührt dies den Kern unserer Beziehungen und unser Verständnis von Offenheit unter Freunden und gleichberechtigter Partnerschaft. Präsident Obama hat im Januar bereits einige Veränderungen der NSA-Praxis im Rahmen eines laufenden Reviews angekündigt. Diese Veränderungen betreffen jedoch hauptsächlich die Bürgerinnen und Bürger in den USA. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur!) Diese Reformen reichen daher nicht aus, um das verloren gegangene Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Die Bundeskanzlerin hat dies auch bei ihrem jüngsten Besuch in Washington zu Recht angesprochen und betont, dass sie eine grundlegende Diskussion und Verständigung über genau diese Balance von Sicherheitsbedürfnissen und dem Schutz der Privatheit einfordert. Das unterstütze ich ausdrücklich. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo hat sie das gesagt?) Diese Diskussion kann jedoch nicht alleine auf Regierungsebene geführt werden. Sie muss auch von Vertretern der Wirtschaft, Wissenschaft und insbesondere der Zivilgesellschaft geführt werden. Vor allen Dingen wir als Parlamentarier des Deutschen Bundestages müssen hierzu unseren Beitrag leisten. Wir müssen unsere Auffassung einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung im digitalen Zeitalter öffentlich vertreten und dafür werben, und dies auch im Dialog mit unseren US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen. Der von Bundesaußenminister Steinmeier angeregte Cyber-Dialog bietet hierfür meiner Ansicht nach ein geeignetes Format, das wir mit Leben füllen müssen. Wir müssen möglichst bald mit diesem Dialog beginnen. Denn auch in den USA – sie sind kein Monolith – gibt es unterschiedlichste Sichtweisen auf die nachrichtendienstliche Massenüberwachung. Meine Damen und Herren, der Kollege Ströbele hat es bereits angesprochen: Wir haben heute im NSA-Untersuchungsausschuss grundlegende Beschlüsse gefasst. Wir haben mit den Stimmen aller Mitglieder dieses -Untersuchungsausschusses die Befragung von Edward Snowden als Zeugen beschlossen, und wir werden in den nächsten Tagen mit seinem Anwalt das weitere Verfahren klären. Wir werden erste wesentliche Schritte noch vor der Sommerpause in die Wege leiten können. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Flisek, achten Sie bitte auf die Zeit. Christian Flisek (SPD): Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch auf eine Herausforderung blicken. Die große Aufgabe wird sein, die Rahmenbedingungen für das digitale Zeitalter gemeinsam abzustecken. Wir brauchen gemeinsame Regularien auf völkerrechtlicher Ebene, weil wir feststellen: Nationale Regelungen und selbst europäisches Recht reichen in ihrer Wirksamkeit nicht mehr aus. Ihre Wirksamkeit ist beschränkt. Wir werden diesen Dialog mit unseren amerikanischen Freunden führen müssen. Dann werden wir auch dafür eintreten müssen, dass unsere Grundrechte nicht auf einem digitalen globalen Altar geopfert werden. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Ergebnisse dieses Dialogs müssen wir in einer anderen Debatte vertiefen. Ich bitte wirklich, die Zeichen, die wir sehr moderat geben, wenn es um die Redezeit geht, ernst zu nehmen. Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Nick für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ohne das Bündnis mit den Vereinigten Staaten wären die letzten 70 Jahre für unser Land weitaus weniger glücklich verlaufen. Von der Luftbrücke und dem Marshallplan über die Jahrzehnte des Ost-West-Konflikts bis zur deutschen Einheit: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind eine Erfolgsgeschichte. Zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Union sind die USA weltweit unser wichtigster Partner und verlässlichster Verbündeter. Dies gilt heute und auch für die Zukunft. Regelmäßige Gespräche und Arbeitsbesuche sind daher die normalste Sache der Welt, aber auch ein Wert an sich. Es war daher gut und richtig, dass die Bundeskanzlerin am 2. Mai in Washington mit Präsident Obama zahlreiche aktuelle Themen offen und ausführlich erörtert hat. Unstrittig ist: Informationen über tatsächliche oder mutmaßliche Geheimdienstaktivitäten haben das deutsch-amerikanische Verhältnis belastet und ohne Zweifel Vertrauen beschädigt. Aufklärung und Aufarbeitung sind deshalb notwendig. Wir müssen uns auf beiden Seiten des Atlantiks der Frage stellen, wie wir die Wahrung der bürgerlichen Privatsphäre auch im digitalen Zeitalter sicherstellen können. Wir brauchen dort wie hier immer wieder eine Verständigung über die richtige Balance von Freiheit und Sicherheit in unseren offenen Gesellschaften. Dieser Diskurs ist notwendig. Für ihn gilt aber auch, um ein Wort von Heinrich August Winkler aufzugreifen: Wenn wir Europäer mit Amerikanern über Fragen der politischen Kultur und der Werte streiten, dann über unterschiedliche Auslegungen gemeinsamer Werte. Die Diskussion hat aber auch unser aller Bewusstsein für Verwundbarkeiten gestärkt. Kollegin Esken hat bereits auf das gestrige öffentliche Fachgespräch im Ausschuss Digitale Agenda zu Fragen der IT-Sicherheit hingewiesen. Aber niemand von uns sollte sich täuschen oder täuschen lassen: Die ungleich größeren Bedrohungen – nicht nur unserer digitalen Kommunikation – kommen aus ganz anderen Richtungen und Regionen. Ob es um den Schutz vor internationalem Terrorismus geht oder die Abwehr von Cyber-Kriminalität: Nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zur Gefahrenabwehr und Aufklärung wird auch in Zukunft unverzichtbar sein. Aber auch vermeintliche Gewissheiten der Friedensordnung in Europa, wie sie in der Charta von Paris 1990 ihren Ausdruck gefunden haben, erscheinen durch das Verhalten Russlands in der Ukraine plötzlich infrage gestellt. Die existenzielle Bedeutung der Sicherheitspartnerschaft zwischen Europa und Nordamerika in der NATO für Frieden, Freiheit und Sicherheit wird wieder deutlicher sichtbar. Es ist deshalb entscheidend, dass wir auch in dieser Frage immer in enger Abstimmung mit unseren Partnern in Europa und den USA handeln. Wir wollen aber nicht nur gemeinsame Gefahren abwehren. Wir wollen auch Chancen nutzen, und zwar zum gemeinsamen Vorteil. Die Verhandlungen über das Transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen, TTIP, stellen eine solche enorme Zukunftschance dar. Es geht um vielfältige Chancen für Wachstum und Arbeitsplätze gerade auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Es geht dabei auch um Chancen bei Sicherheits- und Gesundheitsstandards zum Schutz von Umwelt, Verbrauchern und Arbeitnehmern. Es geht aber vor allem auch um langfristige globale Wettbewerbsfähigkeit und die Chance, für die nächste Generation industrieller Produkte gemeinsam weltweite Standards zu setzen. Diese Chancen dürfen nicht verspielt werden, auch nicht durch eine Debatte, die teilweise doch mehr von Panikmache und irreführenden Parolen geprägt ist als von Sachkenntnis. (Beifall bei der CDU/CSU) Wo es im Verhältnis zu den USA unterschiedliche Interessen und Standpunkte gibt, werden wir diese selbstverständlich im Dialog und in Verhandlungen mit unseren Partnern klar und in angemessener Weise vertreten. Genau das hat die Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch in Washington am 2. Mai getan. Aber jeder Versuch – egal ob innerhalb oder außerhalb dieses Hauses, egal ob von links außen oder rechts außen –, einen ideologisch motivierten Antiamerikanismus zur Grundlage deutscher Politik zu machen, wird heute wie in Zukunft auf den entschiedenen Widerstand meiner Fraktion stoßen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn es um die Zukunft und die verantwortliche Gestaltung der deutsch-amerikanischen Beziehungen geht, kann und darf daher jedermann mit unserer Verlässlichkeit rechnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Andrea Lindholz hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Von dem genialen Deutsch-Amerikaner Albert Einstein ist das Zitat überliefert: „Vertrauen und Loyalität können nur auf der Basis der Gegenseitigkeit gedeihen.“ Einsteins Vertrauen in Deutschland wurde durch die Nazis vollständig zerstört. Zeit seines Lebens konnte er nie wieder Vertrauen und Loyalität zu Deutschland aufbauen, und er hat alle Annäherungsversuche aus Deutschland rigoros abgelehnt. Menschlich ist diese Haltung sicherlich verständlich. Zu unserem Glück zeigte sich die US-Regierung damals nachsichtiger und weitsichtiger als Einstein. Nazideutschland hatte jegliche Basis für gegenseitiges Vertrauen zerstört, und trotzdem ebneten die USA Deutschland den Weg in die westliche Staaten- und Wertegemeinschaft. Heute ist die transatlantische Partnerschaft in wirtschafts-, gesellschafts- und sicherheitspolitischer Hinsicht von überragender Bedeutung, nicht nur für Deutschland, sondern für die ganze Welt. Das zeigt sich aktuell auch in der Ukraine-Krise ganz deutlich. Wie ich bereits im Februar an dieser Stelle gesagt habe, kommt es auch und gerade in der Ukraine-Krise entscheidend darauf an, dass die USA und Europa eine gemeinsame Haltung zu Russland finden. Dafür muss Deutschland eine wichtige Vermittlerfunktion erfüllen. Mit der Reise nach Washington hat die Bundeskanzlerin diese Aufgabe erfüllt. Zweifellos werden die deutsch-amerikanischen Beziehungen gleichzeitig durch das Vorgehen der US-Geheimdienste belastet. Die pauschale Überwachung des deutschen und europäischen Datenverkehrs durch die NSA beschädigt die Vertrauensbasis, auf der die transatlantische Partnerschaft ruht. Unsere gemeinsamen demokratischen und rechtsstaatlichen Werte werden mit der unkontrollierten Überwachung deutscher Bürgerinnen und Bürger durch befreundete Geheimdienste fundamental infrage gestellt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl!) Im NSA-Untersuchungsausschuss müssen wir diese Vorwürfe nun sachlich und umfassend aufklären. Wir haben heute beschlossen, dass zunächst 27 Zeugen befragt sowie weitere Sachverständige und Gutachter angehört werden. Einer davon ist Edward Snowden. Aber unser Ausschuss ist mehr als ein Edward-Snowden-Untersuchungsausschuss. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die CDU- und CSU-Kollegen haben heute eine klare Position zur Anhörung von Edward Snowden bezogen. Aufgrund der Stellungnahme der Bundesregierung wollen wir Edward Snowden nicht in Deutschland anhören oder befragen, sondern wir überlegen, eine Befragung in Moskau oder per Videokonferenz durchzuführen. Das Weitere wird – Herr Kollege Flisek hat es gesagt – mit dem Anwalt von Herrn Snowden besprochen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das langfristige Ziel unserer Aufklärungsarbeit muss es sein, die Bürgerinnen und Bürger vor der Überwachung im digitalen Zeitalter zu schützen. Die entscheidende Frage dabei ist: Wie erreichen wir dieses Ziel? Im Gegensatz zur Opposition glaube ich nicht, dass sich eine tragfähige Lösung ohne die USA finden lässt. Nur gemeinsam mit den USA werden wir das umsetzen können. Die Dominanz von US-Firmen wie Google, Facebook oder Apple wird sich nicht per Parlamentsbeschluss relativieren lassen. Die Bundesregierung weigert sich zu Recht, dem ebenso populistischen wie kurzsichtigen Impuls nachzugeben und infolge des NSA-Skandals die deutsch-amerikanische Freundschaft aufzukündigen oder gar die Arbeit der Nachrichtendienste infrage zu stellen. Selbst Edward Snowden, der in diesen Tagen so oft genannt wird, hat die Bedeutung unserer Nachrichtendienste für unsere Sicherheit und die weltweite Terrorabwehr mehrfach betont. Die Bundeskanzlerin weiß, dass sie auf internationaler Ebene nur dann etwas für Deutschland bewegen kann, wenn sie trotz aller Differenzen mit den anderen Staaten im Gespräch bleibt. Das zeigt sich in der Ukraine-Krise, und das zeigt sich beim NSA-Skandal. Ihre Fähigkeit zum unaufgeregten und sachlichen Dialog zeichnet unsere Kanzlerin aus. Mit dieser deeskalierenden Herangehensweise hat sie für unser Land zum Beispiel auch in der Euro-Krise gute Ergebnisse erzielt. Ich bin sicher: Wir werden das auch beim NSA-Skandal so erleben. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei allem Verständnis für den Schock, unter dem die USA nach dem 11. September 2001 gestanden haben, müssen wir die USA konsequent an unsere Vorstellungen von Datenschutz erinnern. Wir müssen auch dafür werben, dass verlorengegangenes Vertrauen zurückgewonnen wird. Auch wenn ich mir etwas mehr gewünscht hätte im Sinne von gemeinsamen Absprachen, im Sinne von No-Spy-Abkommen, so ist doch zumindest der vereinbarte Cyber-Dialog eine Möglichkeit, den USA unsere deutschen Erfahrungen mit der staatlichen Überwachung näherzubringen und hier noch mehr von den USA einzufordern; denn selbst eine alte Demokratie wie die USA ist nicht vor staatlicher Willkür gefeit. Oft angesprochen wurde heute auch das Freihandelsabkommen. Ich will auf die Sinnhaftigkeit und den Inhalt dieses Freihandelsabkommens an dieser Stelle gar nicht eingehen. Wir können die Verhandlungen in diesem Bereich auch dazu nutzen, dessen Inhalt eng mit der Frage des Datenschutzes aus deutscher Sicht zu koppeln und hier für eine klare deutsche Handschrift zu sorgen. Für mich ist ein Freihandelsabkommen ohne klare Regelungen beim Datenschutz nicht denkbar. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der -Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012) vom 21. November 2012, 2125 (2013) vom 18. November 2013 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 Drucksache 18/1282 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin der Verteidigung, Frau Dr. von der Leyen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin vor zwei Wochen bei unseren Soldatinnen und Soldaten in Dschibuti gewesen. Ich habe mir angesehen, was die Frauen und Männer bei Atalanta leisten, welchen Herausforderungen sie sich stellen müssen. Ich habe ihnen dafür unser aller Dank und unsere Anerkennung überbracht. Die Operation Atalanta ist ungeheuer erfolgreich. Der Erfolg lässt sich an zwei nüchternen Zahlen ablesen: Allein seit 2008 sind 900 000 Tonnen Lebensmittel durch Schiffe des Welternährungsprogramms nach Somalia gebracht worden, und zwar immer im Geleit durch Schiffe der Mission Atalanta. Das bedeutet, seit 2008 sind alle Schiffe des Welternährungsprogramms an dem Hafen angekommen, für den sie bestimmt gewesen sind. 900 000 Tonnen Lebensmittel, die Somalia erreicht haben, sichern Hunderttausenden in Somalia das schiere Überleben. Auch eine zweite Zahl spricht Bände. In diesem Jahr haben sich bislang erst vier Zwischenfälle ereignet, die eindeutig der Piraterie zuzuordnen sind. 2011, in der Hochphase, gab es 251 Piratenangriffe. Allein 30 Schiffe und 900 Menschen waren in der Gewalt der Piraten. Heute ist kein einziges Schiff mehr in der Hand der Piraten. Ich glaube, auch das spricht für den Erfolg der Mission Atalanta. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Kampf gegen die Piraterie ist eigentlich so alt wie die Schifffahrt selber. Der – fast romantische – Begriff „Piraterie“ täuscht über die damit verbundene Aktualität und die Brutalität hinweg. Piraterie ist ein Verbrechen. Sie ist organisierte Kriminalität, sie bedeutet Raub, sie bedeutet Geiselnahme, Lösegelderpressung, sie bedeutet auch Mord. Noch immer sind etwa 50 Besatzungsmitglieder gekaperter Schiffe in der Hand von Piraten, einige sind in der Geiselhaft verstorben. Deshalb gilt es, jeden einzelnen Überfall von Piraten auf ein Schiff zu verhindern. Unsere Marine beteiligt sich von Anfang an bei Atalanta. Es ist beeindruckend, zu sehen, wie viele Nationen in dieser Region, am Horn von Afrika, an einem Strang ziehen und die Operationen begleiten. Ein Soldat in Dschibuti an Bord der Fregatte „Brandenburg“ hat mir gesagt – ich zitiere –: „Der Einsatz verändert Afrika.“ Ich denke, er hat etwas ganz Zentrales ausgesprochen. Wenn man sich anschaut, wie im Kampf gegen die Piraterie vor der Küste Somalias am Horn von Afrika China und Japan, Deutschland und Indien, die USA und Russland zusammenarbeiten, dann zeigt sich auch, wie hier der gemeinsame Einsatz gegen die Piraterie tatsächlich Früchte trägt. Erst dann, wenn die Piraterie über einen längeren Zeitraum verschwunden ist, das heißt, wenn die finanzstarken Hintermänner der organisierten Kriminalität kein attraktives Geschäftsmodell mehr darin sehen, kann die Region um das Horn von Afrika sich wirtschaftlich entwickeln. Die Chancen für die Region sind da; denn sie liegt an einem Knoten des Schiffsverkehrs. 20 000 bis 25 000 Schiffe passieren jährlich den Golf von Aden. Das ist eine große Chance für die Region, aber dafür braucht es Sicherheit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Selbstverständlich müssen auf die Dauer die Staaten selber für die Sicherheit dort aufkommen können. Ich glaube, deshalb ist es auch richtig, dass die EU die verschiedenen Maßnahmen dort am Horn von Afrika koordiniert hat: die Marinemission Atalanta, die Ausbildungsmission EUTM Somalia, die Mission zum Aufbau des regionalen Küstenschutzes und der Seeraumüberwachung EUCAP NESTOR und die vielen bilateralen Beiträge zwischen verschiedenen Nationen und insbesondere Dschibuti. Es ist der Mix an Maßnahmen, der den Erfolg für diese Region bringt. Deshalb möchte ich Sie im Namen der Bundesregierung darum bitten, dem Mandat zur Fortsetzung der Beteiligung der Marine an der Mission Atalanta zuzustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Sevim Da?delen hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Da?delen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Keine Sitzungswoche vergeht, ohne dass wir hier über neue Auslandseinsätze der Bundeswehr abstimmen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist kein neues Mandat!) „Deutschland will sich stärker auf dem afrikanischen Kontinent engagieren“, heißt es. Nun werden die Afrikapläne der Bundesregierung und der Bundeswehr konkreter, wie wir kürzlich über die Presse erfahren haben. Sie planen eine Kooperation mit dem US-Kommando AFRICOM mit Sitz in Stuttgart. Allein dies zeigt schon, dass die Bundesregierung hier auf militärische Abenteuer setzt. Jetzt soll zusammen mit dieser Institution, die per Drohnenangriff Menschen in Somalia ermordet, Militärpolitik in Afrika gemacht werden. Die Linke wird diese Kooperation mit Drohnenmördern und Militärinterven-tionisten niemals gutheißen. Statt mit AFRICOM zu kooperieren, muss man diese Mordeinrichtung auf deutschem Boden endlich dichtmachen. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was hat das mit Atalanta zu tun?) Offiziell ist die Mission Atalanta eine Mission zur -Pirateriebekämpfung. Schauen wir uns das einmal an: Wenn es um Maßnahmen geht, um eine Rückkehr der somalischen Fischer aus ökonomischen Gründen zur -Piraterie zu verhindern, ist bei der Bundesregierung schlicht Fehlanzeige. Im heutigen Korrespondentenbericht der dpa zu dieser Frage werden somalische Fischer mit der Beschwerde zitiert: „Westliche Schiffe fischen unsere Fischgründe leer.“ (Florian Hahn [CDU/CSU]: Deswegen Atalanta, oder? Das ist ja lustig!) Nichts wird gegen diese illegale Plünderung der Fischgründe vor Somalia unternommen. Die Fischer fangen immer weniger Fische, sodass absehbar ist, dass sie, wollen sie ihre Familien nicht erneut Hunger und Elend aussetzen, zur Piraterie zurückkehren werden. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sie müssen mal aktuelle Berichte lesen, nicht immer diesen alten Schmus von vorgestern!) Auch hier wäre es wirklich einfach, etwas zu tun, um eine weitere Ausplünderung der Reichtümer Somalias zu verhindern und damit die Piraterie auch wirklich zu bekämpfen. (Beifall bei der LINKEN) Es fällt zudem auf, dass die Bundesregierung nichts unternimmt, um die Finanzströme der Hintermänner der Piraterie lahmzulegen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Welche denn?) Um es deutlich zu machen: Die Linke verurteilt die fortgesetzte Ausplünderung der Reichtümer Somalias. (Beifall bei der LINKEN) Sie verurteilt auch den Raubbau an der Natur durch die westlichen Konzerne, der den Leuten vor Ort die Lebensgrundlagen, die existenziell wichtig sind, nimmt. Sie verurteilt ebenfalls die Untätigkeit dieser Bundes-regierung. Die Bundesregierung unternimmt nichts, aber auch gar nichts gegen diese Ausplünderung, ja, sie leistet ihr sogar Vorschub. (Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Und die Piraten verurteilen Sie nicht! Das ist doch interessant! – Gegenruf des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Genau!) Wenn es Ihnen nicht um die Bekämpfung der Piraterie zu gehen scheint, wie es offensichtlich der Fall ist: Worum geht es Ihnen dann eigentlich? In Ihrem Antrag finden sich einige Hinweise, worum es bei Atalanta wirklich geht. Atalanta soll eng mit der Militärausbildungsmission für die somalische Regierung – EUTM Somalia – verzahnt werden. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wo steht das?) – In der Begründung. Lesen Sie einfach einmal Ihren Antrag! – Kurz gesagt: Atalanta soll eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung der verbrecherischen somalischen Regierung spielen. Deshalb wurde diese Mission bereits auf Landoperationen ausgeweitet. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Aha!) Als kenianische Truppen ihre völkerrechtswidrigen Angriffe auf somalischem Boden fortsetzten, wurden sie dabei bereits von französischen Atalanta-Verbänden unterstützt. Da frage ich mich doch: Soll Somalia eigentlich das neue Afghanistan am Indischen Ozean werden? Wollen Sie nach dem Scheitern der Bundeswehr und der NATO in Afghanistan jetzt ein neues militärisches Abenteuer mit der EU-Militäroperation Atalanta und mit EUTM Somalia am Indischen Ozean beginnen? Die Linke sagt unmissverständlich Nein zu dieser Art von Außenpolitik. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen nicht, dass Deutschland erneut eine Bürgerkriegspartei wird und international bei Bürgerkriegen mitmischt. Denn das ist es, worum es bei diesen Einsätzen im Kern geht. Alle drei Einsätze der Bundeswehr in Somalia führen dazu, eine Bürgerkriegspartei zu werden. Bei internationalen Bürgerkriegen mitzumischen, war und ist nicht der Auftrag des Grundgesetzes. Deshalb lehnt die Linke diesen Einsatz ab. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Eines haben Sie mit Ihrer Mission am Indischen Ozean schon geschafft: Sie haben den Bürgerkrieg und auch Ihr eigenes Einsatzgebiet massiv ausgeweitet. Mittlerweile droht ganz Ostafrika in einem neuen Bürgerkrieg zu versinken. Sie tragen hierfür die Mitschuld, meine Damen und Herren, (Beifall bei der LINKEN) weil Sie politischen Lösungen und Verhandlungslösungen überhaupt keinen Raum geben. Die Linke setzt auf zivile Alternativen ohne Wenn und Aber. Wir brauchen kein neues Afghanistan am Indischen Ozean, was Sie mit diesen Missionen mit befördern. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ihre Rede war schmerzensgeldpflichtig!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2008 hält Somalia nunmehr den traurigen Spitzenplatz im Ranking der sogenannten gescheiterten Staaten, erstellt von der renommierten Denkfabrik „The Fund for Peace“. Das führt uns eindrücklich vor Augen: Wir stehen in Somalia vor einer ausgesprochen schwierigen und komplexen Aufgabe. Da gibt es nichts zu beschönigen. Trotz aller Probleme und Schwierigkeiten wäre es aber verheerend, das Land einfach verloren zu geben und seinem Schicksal zu überlassen, wie die Kolleginnen und Kollegen von der Linken dies offensichtlich beabsichtigen. Es kann nicht unser außenpolitischer Anspruch sein, anderen Staaten bei ihrem Scheitern tatenlos zuzuschauen. Vielmehr wird die Bundesregierung auch weiterhin alles daransetzen, Somalia nach Jahren der Instabilität auf seinem langen und mühseligen Weg zurück in die Gemeinschaft der handlungsfähigen Staaten zu begleiten. Nach dem langjährigen Bürgerkrieg und dem weitgehenden Staatszerfall benötigt Somalia unsere Unterstützung vor allem beim Wiederaufbau von Justiz und Verwaltung sowie des Sicherheitssektors. Darum wollen wir uns ganz besonders kümmern; denn nur wenn Recht und Ordnung wieder Einzug halten, wird die somalische Bevölkerung mittelfristig auch wieder Vertrauen in den eigenen Staat schöpfen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Mandat für die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta, über das wir heute hier im Bundestag beraten, ist Teil dieses umfassenden Ansatzes. Es ist von der Grundüberzeugung getragen: Unser Engagement am Horn von Afrika und für Afrika insgesamt ist immer dann erfolgreich, wenn unser gesamtes außenpolitisches Instrumentarium abgestimmt zum Einsatz kommt. Dafür müssen sicherheits-, entwicklungs- und wirtschaftspolitische Aspekte stets zusammen gedacht und eng miteinander verzahnt werden. Die meisten Kolleginnen und Kollegen hier im Hause sind sich dieser Verantwortung wohl bewusst. In dieser Frage sind wir uns übrigens mit unseren europäischen Partnern einig. Die deutsche Afrikapolitik ist auch mit Blick auf unser Engagement am Horn von Afrika fest in den EU-Rahmen eingebettet. Mit ihrem umfassenden Ansatz für Somalia verfolgt die Europäische Union ebenfalls die Idee eines integrierten Handelns: politischer Dialog, entwicklungspolitische Maßnahmen, humanitäre Hilfe und notfalls – das fällt niemandem hier im Hause und auch der Bundesregierung nicht leicht – eben auch der Einsatz militärischer Kräfte. In ihrer Gesamtheit leisten diese Aktivitäten einen entscheidenden Beitrag zu nachhaltiger politischer Stabilität und wirtschaftlicher Entwicklung in der Region. Neben der militärischen Operation Atalanta ist die EU am Horn von Afrika bislang mit zwei weiteren Schwestermissionen unter deutscher Beteiligung engagiert, der militärischen Ausbildungsmission EUTM Somalia und der zivilen Mission EUCAP NESTOR zur Stärkung regionaler maritimer Fähigkeiten. EUTM Somalia soll die somalischen Sicherheitsorgane durch Ausbildung und Beratung langfristig in die Lage versetzen, Sicherheit und Stabilität wieder eigenverantwortlich zu gewährleisten. Auch die zivile Mission EUCAP -NESTOR wird ihren Schwerpunkt zunehmend auf den Aufbau von Kapazitäten zur Stärkung rechtsstaatlicher Institutionen in den somalischen Küstengebieten legen, damit Piratennetzwerke dort nicht mehr ungestraft agieren können. Die Operation Atalanta zeigt – es ist ein mühseliger Weg; ich weiß das – mittlerweile erste Erfolge. Seit dem Beginn der Operation im Jahr 2008 ist der Golf von Aden, die wichtigste Schifffahrtsroute zwischen Europa, der arabischen Halbinsel und Asien, deutlich sicherer geworden. Die durchgängige Anwesenheit von Seestreitkräften zeigt Wirkung. Die Angriffe von Piraten sind im Jahr 2013 gegenüber den Vorjahren auf einen historischen Tiefstand zurückgegangen. Noch ist die somalische Übergangsregierung allerdings sehr weit davon entfernt, die Küsten und anliegenden Seegebiete aus eigener Kraft kontrollieren zu können. Daher können wir auf den Einsatz im Rahmen der Operation Atalanta vorerst nicht verzichten und wollen sie zunächst bis Ende Mai 2015 fortführen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gilt umso mehr, da die Operation Atalanta auch das leider nach wie vor dringend benötigte humanitäre Engagement der internationalen Gemeinschaft für die notleidende Bevölkerung in Somalia absichert. Denn noch immer ist Somalia eines der größten humanitären Krisengebiete weltweit. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen benötigen derzeit rund 2,7 Millionen Menschen in Somalia akute Nothilfe. Die humanitäre Hilfe durch Lieferungen des Welternährungsprogramms und anderer internationaler Hilfsorganisationen erfolgt fast vollständig auf dem Seeweg. Vor diesem Hintergrund erfüllt die Operation Atalanta auch die wichtige Aufgabe, die Lieferung von Nahrungsmitteln und weiteren wichtigen Hilfsgütern nach Somalia sicherzustellen. Die an Atalanta beteiligten Schiffe haben dafür gesorgt, dass alle im Auftrag des Welternährungsprogramms durchgeführten Schiffstransporte ihre somalischen Zielhäfen sicher erreichen konnten. Auf diese Weise wurden insgesamt mehr als 900 000 Tonnen Nahrungsmittel und andere Hilfsgüter nach Somalia gebracht. Damit hat die EU-geführte Operation dazu beigetragen, dass in den vergangenen Jahren Tausende von Menschenleben in Somalia gerettet werden konnten. Vielleicht können Sie diesen Punkt bei Ihren Überlegungen ansatzweise einbeziehen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Unterstützen Sie weiterhin das Schariaregime in Somalia? Sagen Sie etwas zu ihrer Regierung, zu der Verfassung!) Als eines der größten Geberländer für humanitäre Hilfe – alleine zwischen 2008 und 2013 flossen deutsche Hilfsgelder in Höhe von 313 Millionen Euro nach Somalia – hat Deutschland ein besonderes Interesse daran, dass die Hilfsgüter auch dort ankommen, wo sie am nötigsten gebraucht werden. Darüber hinaus geht es selbstverständlich aber auch darum, Seewege für einen funktionierenden Welthandel zu sichern. Auch das ist Teil unseres europäischen Interesses. Auch diesem Zweck dienen unsere Bemühungen zur Durchsetzung des internationalen Rechts vor der Küste Somalias. Wir teilen dieses Interesse mit allen am Seehandel teilhabenden Nationen. Gerade am Horn von Afrika zeigt sich in der alltäglichen Zusammenarbeit die verbindende Wirkung der Meere. Die Marinen der EU- und NATO-Staaten koordinieren ihre Aktivitäten im Seegebiet mit den Marinen Chinas, Russlands, Indiens, Südkoreas und vieler anderer Länder. Die sich daraus ergebenden Kontakte und Arbeitsbeziehungen sind ein weiterer, nicht zu unterschätzender Nebeneffekt des gemeinsamen internationalen Engagements am Horn von Afrika. Sie bieten uns die Möglichkeit, auf einer weiteren Ebene Gesprächskanäle aufzubauen und offenzuhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen – das sage ich in Richtung meiner eigenen Fraktion –, es gab in den vergangenen Jahren im Deutschen Bundestag durchaus kontroverse Diskussionen über die Operation Atalanta. Meine Fraktion hat sich daran beteiligt. Insbesondere ging es um die Ausweitung des Einsatzgebietes auf das somalische Festland. Viele hatten damals befürchtet, dass die EU-Einheiten in einen Einsatz an Land hineingezogen werden könnten. Diese Bedenken haben sich in der Praxis erfreulicherweise nicht bestätigt. Faktisch ist diese Option nur ein einziges Mal gezogen worden, auch weil die Hürden hierfür in den Einsatzregeln bewusst sehr hoch gesetzt worden sind. Deshalb kann ich uns alle nur dazu ermuntern, über jeden Militäreinsatz besonders kritisch zu diskutieren, nachzuprüfen, auch die Regierung in die Pflicht zu nehmen. Da kann manches noch besser werden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die damalige kritische Kontroverse dazu beigetragen hat, dass sich die Bedenken, die von einigen geäußert wurden, eben nicht erfüllt haben. Dafür mein herzliches Dankeschön. Derzeit laufen auf EU-Ebene noch Verhandlungen über die Anpassung der Einsatzbefugnisse der Operation Atalanta, die bis spätestens August/September 2014 abgeschlossen sein sollen. Die Bundesregierung wird sich in enger Abstimmung mit ihren europäischen Partnern um eine möglichst restriktive Regelung der Landeinsätze bemühen. Ich bin schon jetzt gespannt, welche Vorschläge uns die Kolleginnen und Kollegen aus den zuständigen Ausschüssen unterbreiten werden. Positiv ist auch, dass mit dem neuen Mandat die personelle Obergrenze von 1 400 auf 1 200 deutsche Soldatinnen und Soldaten reduziert wird. Auch das ist ein Beleg für die ersten Erfolge bei der Eindämmung der Piraterie vor der somalischen Küste. Wenn sich diese Erfolge weiter verstetigen, gibt es die klare Perspektive einer weiteren Reduzierung der Truppenstärke. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Operation Atalanta hat in der europäischen Öffentlichkeit, bei unseren internationalen Partnern und im Kreis der seefahrenden Nationen hohes Ansehen. Sie wird als weithin sichtbarer Leuchtturm einer handlungsfähigen Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wahrgenommen. Mit der Sicherung des Zugangs humanitärer Hilfe nach Somalia und dem Schutz des zivilen Schiffsverkehrs vor Piraterie erbringt sie einen wertvollen Dienst im Interesse Somalias und des internationalen Rechts. Ich bitte Sie daher im Namen der Bundesregierung um Ihre Unterstützung für unsere fortgesetzte Beteiligung an der Mission Atalanta. Kritik ist – das will ich zum Schluss noch einmal ausdrücklich unterstreichen – nicht nur erwünscht, Kritik ist zwingend notwendig. Aber, liebe Kollegin, diese krude Mischung aus Halbwahrheiten, Populismus und Verschwörungstheorien (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Das ist hilflos von Ihnen! Sagen Sie etwas!) wird der Verantwortung, die wir gemeinsam für unsere Soldatinnen und Soldaten, für die Sicherheitskräfte und für diejenigen, die humanitäre Hilfe leisten und zu tragen haben, leider nicht gerecht. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Omid Nouripour das Wort. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muss zugeben: Die bisherige Debatte hat mich ein bisschen verwirrt; denn alle Rednerinnen und Redner haben von einem Somalia-Einsatz gesprochen. Wir haben damals im Jahr 2008 eine maritime Mission begonnen, die sich natürlich auch auf die Küstenregion vor Somalia erstreckt – ja, viele der Piraten sind aus Somalia –, aber das Einsatzgebiet insgesamt ist deutlich größer. Ein anderer Teil der Piraten stammt zum Beispiel aus Jemen und Oman. Deshalb ist es nicht ganz lauter, wenn man sich hier hinstellt und sagt: Somalia ist ein armes Land; wir wollen den Menschen helfen und bekämpfen deshalb die Piraterie. – Das beschreibt nicht den Einsatz, über den wir heute sprechen. Es geht um Symptombekämpfung – um nicht mehr und nicht weniger. Die Mission als Symptombekämpfung war seit 2008 extrem erfolgreich; das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Die Schiffe, die im Auftrag des World Food Programmes unterwegs waren, haben diesen Schutz gebraucht. Im Jahr 2013 gab es meines Wissens keinen erfolgreichen Piratenangriff mehr. Das ist gut und richtig so. Dafür möchte ich allen, die daran mitgewirkt haben, vor Ort für Sicherheit zu sorgen, im Namen meiner Fraktion herzlich danken. Ich stelle noch einmal die Frage, warum die Bundesregierung nicht einmal bei einer erfolgreichen Mission bereit ist, eine Evaluation zu treffen. Gerade vor dem Hintergrund der Debatten, die unser Außenminister und unsere Verteidigungsministerin Anfang des Jahres mit angestoßen haben, dass Deutschland mehr Verantwortung übernehmen will, wäre es höchste Zeit, eine Evaluation zu machen. Dass Sie sich bei Afghanistan nicht trauen, weil es seit Beginn des Einsatzes viele Bundesregierungen gegeben hat – ich nehme keine aus –, die Fehler gemacht haben, kann man verstehen, wenn man will. Dass Sie dies aber auch bei einer erfolgreichen Mission nicht machen, führt nicht unbedingt dazu, dass man aus den bisherigen Einsätzen lernt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben seit 2008 mehrheitlich diesem Einsatz immer zugestimmt. 2012 sind bei einer erfolgreichen Mission die Regeln verändert worden. Es kam eine sogenannte Strandvariante hinzu. Es gab dann die Möglichkeit, an Land zu wirken. Es gab viel Unverständnis darüber, weil der Strand eine Breite von 2 Kilometern hatte. Wir haben damals gesagt, dass diese neue Komponente nicht nur unnötig ist, sondern auch unnötige Risiken und Eskalationsgefahren mit sich bringt. Wir haben damals einen Einsatz und die Mission nicht verdammt, wir haben nicht dagegen gestimmt. Wir haben gesagt, dass die Mission erfolgreich ist, dass wir uns der Eskalationsgefahr entgegenstellen, und haben uns enthalten. An dieser Eskalationsgefahr hat sich seitdem im Übrigen nichts verändert. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Doch! Keine Eskalation – keine Gefahr!) Die Sozialdemokratie hat damals mit Nein gestimmt. Aus den Worten des Herrn Staatsministers habe ich nicht gehört, was sich an der Realität dieser Mission und dieser zusätzlichen Komponente verändert hat. Das Einzige, das sich verändert hat, ist das Mandat, und zwar nicht nur die Mandatsobergrenze. Das, was auch von der Sozialdemokratie abgelehnt wurde, steht expressis verbis nicht mehr im Mandatstext, sondern in einem Querverweis auf das alte Mandat, das die Sozialdemokratie abgelehnt hat. Stimmen Sie jetzt Ihrer alten Ablehnung zu, wenn Sie dem Querverweis auf das alte Mandat zustimmen? Stimmen Sie jetzt Ihrer Ablehnung zu, oder müssen Sie ablehnen, um zuzustimmen? Es ist nicht mehr nachvollziehbar, was die Sozialdemokratie macht. Eigentlich ist die Situation viel zu ernst. Wir reden über ein bitterarmes Land, wenn wir über Somalia reden. Die Küste Somalias ist nur ein Teil des Problems. Gestern ist von 22 Hilfsorganisationen ein Bericht veröffentlicht worden. Sie haben darauf hingewiesen, dass es im Jahre 2011 eine Hungerkatastrophe ungeahnten Ausmaßes gegeben hat. 250 000 Menschen sind in Somalia verhungert. Sie sagen, dass eine verheerende Trockenheit im Süden des Landes droht, dass sich eine solche Katastrophe wiederholen kann. Es wird von 50 000 Kindern gesprochen, die an der Schwelle des Todes seien. Oxfam weist darauf hin, dass es 2011 glasklare Indizien gegeben hat und dass die Weltgemeinschaft damals zugeschaut hat. Es ist höchste Zeit, dass man die Indizien, die es wieder gibt, zur Kenntnis nimmt. Es ist höchste Zeit, dass wir auch zur Kenntnis nehmen, dass die internationale Gemeinschaft nur 12 Prozent der notwendigen Hilfsgelder bisher hat generieren können und dass wir etwas tun müssen. Jenseits der Debatte um Atalanta, jenseits einer erfolgreichen Bekämpfung der Symptome müssen wir auf Somalia selbst schauen. Da reichen die Verquickungen, die nicht lauter sind, nicht aus. Wenn wir etwas für Somalia tun wollen, dann müssen wir nicht nur auf die politischen Prozesse, die es in Mogadischu gibt, schauen, sondern auf die massive humanitäre Katastrophe, die derzeit im Süden des Landes droht. Wir müssen alles daransetzen, dass sich die Katastrophe, die es vor drei Jahren gab, nicht wiederholt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Philipp Mißfelder erhält für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Sehr verehrte Präsidentin! Kollege Nouripour, ich möchte unseren sozialdemokratischen Koalitionspartner an dieser Stelle in Schutz nehmen. Als Hinweis für Sie: Das Abstimmungsverhalten der SPD beim letzten Mal steht heute nicht zur Debatte, wenn ich in Ihrer Logik bleiben darf. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist ja gut! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie Ihren Abstimmungstext!) Sie haben sich mit Ihren Querverweisen ziemlich vergaloppiert. Sie haben die SPD aufgefordert, zu ihrem vorherigen Abstimmungsverhalten Stellung zu beziehen. Staatsminister Roth hat ausführlich dargestellt, welche kritische Überprüfung es bei dem Mandat gegeben hat. Ich finde es wirklich kleinkrämerisch, nach den Erklärungen der Bundesregierung durch zwei Regierungsvertreter auf dieser Frage herumzureiten und vor allen Dingen den Kernpunkt außer Acht zu lassen, dass es sich bei Atalanta um eines der erfolgreichsten Mandate der Bundeswehr (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er mehrfach erwähnt! Das hat er nicht außer Acht gelassen! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gesagt!) und gleichzeitig um eines der beliebtesten Mandate in der Bevölkerung handelt. Denn selten ist so logisch und so eindeutig zu erkennen, wo die deutschen Interessen liegen, wo unsere politische Verantwortung liegt und worin zugleich der unmittelbare Nutzen liegt. Ich darf daran erinnern – der frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat es mir gerade noch mit auf den Weg gegeben –: 2008 gab es über 200 Attacken von Piraten. Dieses Mandat ist wirklich eine große Erfolgsgeschichte. Das sollte man an dieser Stelle erst einmal festhalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das habe ich doch gesagt!) Deshalb sollten wir dieses Mandat verlängern. Und deshalb danken wir in dieser Debatte zu Recht den 361 Frauen und Männern, die gerade für uns im Einsatz sind. Ich bin der Meinung, dass sie hervorragende Arbeit leisten, übrigens in einem nicht einfachen Einsatzgebiet. Es ist vorhin von einer Eskalation gesprochen worden. Ich glaube, dass unsere Antwort auf mögliche Eskalationsszenarien die richtige war: Wir haben Stärke demons-triert. Das Ergebnis ist, dass die Situation nicht weiter eskaliert ist. Keiner von uns kann aber sicher sagen, keiner kann vorher beurteilen, ob es sich in die eine oder in die andere Richtung entwickelt. Zu dem Vorwurf, wir hätten keine Evaluation durchgeführt, muss ich sagen: Schon der Parlamentsvorbehalt und die Debatte am heutigen Tage zeigen, dass wir uns sehr genau überlegen, welche Mandate wir auf den Weg bringen und welche nicht. Ich fände es übrigens nicht gut, wenn es im Parlament gängige Praxis wäre, den Parlamentsvorbehalt, der sich in den Beratungen hier in erster und zweiter Lesung und in einer Ausschussberatung ausdrückt, so wahrzunehmen, dass wir uns vorher von der Regierung einen Bericht zuschicken lassen, in dem steht, was denn aus Sicht der Regierung an einem Mandat gelungen oder weniger gelungen ist. Wir haben es im Falle Afghanistans so gemacht, um aus dem Einsatz insgesamt Schlüsse ziehen zu können und eine generelle Rückschau auf den langjährigen Einsatz in Afghanistan zu ermöglichen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie auch eine Woche nach der Abstimmung machen!) Ich finde aber, dass hier der richtige Ort ist, darüber zu reden, ob ein Mandat erfolgreich war und wir es verlängern sollten oder nicht. Ich komme zu dem Ergebnis: Dieses Mandat war erfolgreich und wird hoffentlich auch erfolgreich bleiben. Deshalb plädieren wir dafür, das Mandat zu verlängern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was ist die Grundlage dafür?) Was Somalia angeht, so gebe ich Ihnen recht – es ist angesprochen worden –: Natürlich können wir mehr tun. Natürlich stimmt es, dass wir insgesamt mehr Engagement für Afrika zeigen müssen, politisch, diplomatisch und in der Entwicklungszusammenarbeit. Selbstverständlich können wir mehr tun, selbstverständlich kann auch die Europäische Union mehr tun. Trotzdem ist die Lage in Somalia natürlich besonders schwierig und gefährlich. Deshalb muss man genau hinschauen, wenn es darum geht, welcher Maßstab der richtige ist, um festzustellen, was in der Somalia-Politik bisher gut oder schlecht gelaufen ist. Erinnern Sie sich noch daran? Vergangenen Herbst gab es in Brüssel eine Tagung zur Frage eines New Deal Engagement, und es ist dabei nicht zu nennenswerten oder greifbaren Ergebnissen gekommen. Wir müssen eines sehen: Atalanta leistet einen stabilisierenden Beitrag zu einem ganz zentralen humanitären Akt, nämlich zur Arbeit des World Food Programme. Denn wenn Atalanta nicht wäre, dann wäre die Lieferung von Nahrungsmitteln nicht möglich. Damit leistet die Bundeswehr an dieser Stelle einen humanitären Beitrag, den wir aufrechterhalten wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Franz Thönnes [SPD]) Zu den Theorien von Frau Da?delen ist von Staatsminister Roth vorhin schon ausführlich etwas gesagt worden. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Meine „Theorien“?) Ich höre sie jedes Jahr, wenn wir das Mandat verlängern. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!) Normalerweise ist auch Herr Ströbele ein Kämpfer für die Theorie, dass die Piraterie aus der Überfischung resultieren würde. Unabhängig davon, dass die soziale Struktur in Somalia wirklich katastrophal ist, was eine Ursache der Probleme ist, gibt es überhaupt keinen Grund, sich nicht kriminellen Akten entgegenzustellen. Es ist gerade deshalb wichtig, Präsenz zu zeigen und dafür zu sorgen, dass die Möglichkeit einer Rechtsstaatlichkeit überhaupt vorhanden ist. Dazu leistet Atalanta aus meiner Sicht den richtigen Beitrag. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EU-geführte Operation Atalanta soll zum Schutz der internationalen Seeschifffahrt die vor der Küste Somalias operierenden Piraten abschrecken und bekämpfen. Mit der Operation sollen weiterhin Geiselnahmen und Lösegelderpressungen verhindert, das Völkerrecht durchgesetzt und humanitäre Hilfe für die somalische Bevölkerung, zum Beispiel – das ist schon oft genannt worden – durch das Welternährungsprogramm, sichergestellt werden. Seit Beginn der Operation Atalanta ist kein Schiff des Welternährungsprogrammes mehr angegriffen worden. Auch die Sicherung der bedeutsamen Handelsroute zwischen Europa, der arabischen Halbinsel und Asien ist für Deutschland als Exportnation und Importeur von Rohstoffen dauerhaft von besonderem Interesse. In Osnabrück wurde im April dieses Jahres im ersten Piratenprozess seit 400 Jahren ein somalischer Pirat in erster Instanz zu zwölf Jahren Haft verurteilt, (Niels Annen [SPD]: So ist es! Und womit? Mit Recht!) jetzt wird sich noch der Bundesgerichtshof mit diesem Fall beschäftigen. Die Umstände dieses Falles machen deutlich, warum die EU-geführte Operation Atalanta weiterhin so wichtig ist und warum uns romantische Piratenklischees den Blick auf die grausame Realität nicht verstellen dürfen. Im Mai 2010 wird die „Marida Marguerite“, ein mit Flugbenzin und Speiseöl im Wert von 10 Millionen Euro beladener brandneuer Tanker einer Reederei aus dem Emsland von Piraten vor Somalia gekapert. Für die Besatzung folgen acht Monate unvorstellbares Leid und grausame Quälereien. Die Piraten schlagen und foltern die Seeleute. Es gibt Scheinhinrichtungen; ein Schuss geht knapp am Kopf des Kapitäns vorbei. Der Chefingenieur wird stundenlang kopfüber an einer Eisenstange über die Reling gehängt, die Piraten sperren Kapitän und Ingenieur nackt bei minus 17 Grad Celsius in die Kühlkammer. Kurz vor Weihnachten 2010 werden aus einem Flugzeug 5 Millionen Euro Lösegeld über dem Schiff abgeworfen. Die Kidnapper bestätigen den Empfang per Fax, unterschrieben mit: „Merry Christmas“. Am 28. Dezember 2010 geben die Piraten Schiff und Besatzung dann Gott sei Dank endlich frei. Der Fall ist grausam, aber leider kein Einzelfall. In der Vergangenheit wurden Besatzungen im Durchschnitt bis zu fünf Monate lang gefangen gehalten. So etwas dürfen Staaten nicht zulassen. Wenn ein Failed State wie Somalia nicht in der Lage ist, die Piraterie zu unterbinden, muss die Weltgemeinschaft sich überlegen, was sie unternehmen kann, um solche Verbrechen zu verhindern. Die Mission EU NAVFOR Atalanta, über deren Verlängerung wir heute wieder einmal beraten, hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Piratenangriffe heute auf einem Tiefstand angekommen sind. 2013 wurden 20 verdächtige Ereignisse registriert, aber nur 7 Angriffe, die alle erfolglos blieben. Zum Vergleich: 2011 waren es noch 176 Angriffe. Das zeigt einmal mehr, wie erfolgreich und gut dieser Einsatz ist. Das militärische Vorgehen im Rahmen der Operation Atalanta ist aber nur ein Teil eines umfassenden ressortübergreifenden Ansatzes zur Stabilisierung Somalias und der gesamten Region. Parallel zu den militärischen Bemühungen auf See laufen daher Bemühungen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und auch bilateraler Art, Somalia und die Region zu stabilisieren. Deutschland beteiligt sich umfangreich an humanitärer Hilfe für Somalia. Wir tragen über den allgemeinen Finanzierungsanteil 20 Prozent der humanitären Hilfe der EU-Kommission; das waren allein zwischen 2008 und 2013 313 Millionen Euro. Schon bisher stellten das BMZ und auch das Auswärtige Amt zusätzlich immer wieder substanzielle Mittel zur Verfügung. Mir scheint, dass das der richtige Ansatz ist: auf der einen Seite Bekämpfung der akuten, gegenwärtigen Gefahren der Piraterie auf See durch Abschreckung der Piraten mit militärischen Mittel sowie Bekämpfung des Hungers und Elends in den Flüchtlingslagern durch humanitäre Hilfe, auf der anderen Seite zugleich zukunftsgerichtete Investitionen in die Stabilisierung der Region und in den Aufbau staatlicher Strukturen. In den letzten Debatten und auch heute wurden wieder Befürchtungen geäußert, die Ergänzung des Mandats um die Möglichkeit der Bekämpfung der Piraterielogistik am Strand aus der Luft führe zu einer Eskalationsgefahr und berge das Risiko ziviler Opfer. Diese Horrorszenarien haben sich bisher nicht bewahrheitet. Es ist entgegen diesen unrealistischen Vorstellungen bis heute nicht zu Kollateralschäden oder Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gekommen. Keine Eskalation, deswegen keine Gefahr. Aus meiner Sicht sollten sich alle nichtdogmatischen Fraktionen in diesem Haus für den Einsatz im Rahmen des Mandats Atalanta einsetzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Lobbyist! Krauss-Maffei lässt grüßen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1282 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Jürgen Trittin, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kündigung bilateraler Kooperationen im Bereich der Nutzung atomarer Technologien Drucksache 18/1336 (neu) Über den Antrag werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat als Erste das Wort. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Brasilien baut ein AKW. Brasilien tut das auch mit deutscher Technik; darunter sind auch veraltete Komponenten, die nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Und Brasilien tut das in einem Erdbebengebiet. Die von Deutschland für den Export der deutschen Komponenten bereitgestellte Hermesbürgschaft hat in der letzten Legislatur zu heftigen Debatten geführt. Die SPD wollte mit uns zusammen diese Hermesbürgschaft verhindern. Die Hermesbürgschaft ist aber nur der unvermeidliche Begleiter des Abkommens zwischen Deutschland und Brasilien zur Förderung der sogenannten zivilen Atomkraftnutzung, eines Abkommens, geschlossen in der atomaren Euphorie der 70er-Jahre. Es gibt mehrere dieser Abkommen, alle geschlossen vor Tschernobyl und Fukushima, heute völlig anachronistisch und aus der Zeit gefallen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Abkommen mit Brasilien und das Abkommen mit Indien laufen in diesem Jahr aus. Kündigt man die Abkommen nicht, werden sie automatisch verlängert. Das Abkommen mit Indien läuft heute in einer Woche aus. Diese Abkommen sind keine Petitessen. Wer es mit dem Atomausstieg im eigenen Land ernst meint, der kann nicht im Ausland den Ausbau von Atomtechnologie mit Mitteln der Außenwirtschaftsförderung unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Begründung des Wirtschaftsministerium, die wir auf unsere Anfrage, warum das Abkommen mit Brasilien nicht gekündigt wird, bekommen haben, lautet übrigens wie immer, wenn es um Atomkraft und deren Nutzung geht: Sicherheit. Die Sicherheit sei erhöht, wenn deutsche Atomtechnik mit dabei sei. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Da hat die Bundesregierung recht!) Ich sage Ihnen eines, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition: Mehr Sicherheit für Brasilien gibt es nur, wenn dieses Atomkraftwerk nicht gebaut wird, egal mit welcher Technik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das müssen Sie den Brasilianern überlassen!) Deshalb braucht es Kooperationen in den Bereichen erneuerbare Energien und Energieeffizienz und eben nicht im Bereich der Nukleartechnik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die brasilianische Präsidentin macht übrigens keinen Hehl daraus, dass es neben der Stromerzeugung durchaus auch um die Beherrschung des Brennstoffkreislaufs geht. Schauen wir uns den Atomwaffenstaat Indien an. Er ist zwar Mitglied der IAEA, ist bis heute aber nicht dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag beigetreten. Indien importiert also zivile Atomtechnik, ohne die wesentlichen Kontrollmechanismen für das militärische Atomprogramm aufzuweisen. Damit unterstützt das Atomausstiegsland Deutschland nicht nur den Ausbau der Atomkraftnutzung, sondern auch das Unterlaufen des internationalen Nichtverbreitungsregimes. Eine solche Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen, macht Regierung und Parlament national und international unglaubwürdig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun stellen sich Enttäuschungen über Verhaltensweisen selbstverständlich unterschiedlich dar. Ich will nicht verhehlen, dass ich in diesem Fall besonders von den Genossinnen und Genossen der SPD enttäuscht bin. Alle Häuser, die in der Frage der Abkommen eine Rolle spielen, sind in SPD-Hand: das Wirtschaftsministerium, das Umweltministerium und das Auswärtige Amt. In der letzten Legislaturperiode haben Sie noch mit uns die Beendigung der Förderung der Atomkraft im Ausland gefordert. Nichts davon findet sich im Koalitionsvertrag, und Ihre Häuser schweigen. Am 28. März erfuhren wir in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage, dass das Abkommen mit Indien am 15. Mai ausläuft. Am 16. April bekam Umweltministerin Hendricks von Jürgen Trittin und mir einen Brief mit der Aufforderung, dieses Abkommen jetzt zu kündigen. Keine Reaktion. Deshalb liegt heute unser Antrag vor. Es geht in diesem Antrag nicht nur um das Abkommen mit Indien, sondern es geht um alles, was in diesen Gesamtzusammenhang gehört: das Abkommen mit Brasilien, die Hermesleitlinien, die Kooperationen in den Bereichen Erneuerbare und Energieeffizienz. Das alles ist nur ein kleiner Teil dessen, was Sie versäumen. Denn wer glaubt, dass sich der Atomausstieg in einem Abschaltplan erschöpft, der irrt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE]) obwohl ich zugeben muss, dass mir selbst der Abschaltplan inzwischen Sorgen macht, wenn ich mir anschaue, was man von Ihnen zur Energiewende vorgelegt bekommt. Sie kümmern sich nicht um die Risiken grenznaher AKW. Sie lassen zu, dass mit öffentlichen Forschungsgeldern an atomaren Techniken geforscht wird, zum Teil in Kooperation mit Atomländern wie Frankreich oder auch China. Sie werben nicht für den internationalen Atomausstieg und für die Energiewende, und Sie lassen zu, dass sich das deutsche Gesicht in der EU-Kommission, Energiekommissar Oettinger, als Atomlobbyist betätigt. Heute haben Sie die Chance, zu zeigen, dass Sie zumindest den Zusammenhang zwischen diesen Abkommen und dem Atomausstieg verstehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind auch in Euratom gefangen. Wir haben hier schon oft darüber diskutiert. Uns wird als Begründung immer genannt: Wir können nicht aus Euratom aussteigen, weil dies ein EU-Vertrag ist. Diese Abkommen sind keine EU-Verträge. Man kann sie kündigen. Machen Sie im Sinne von Konsequenz und Glaubwürdigkeit den Schritt. Sie haben heute die Chance, das zu zeigen. Stimmen Sie, zumindest die Genossinnen und Genossen von der SPD, unserem Antrag zu, diese antiquierten Abkommen 40 Jahre nach ihrem Zustandekommen heute in einer völlig veränderten Welt endlich zu kündigen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kotting-Uhl, zunächst möchte ich Ihren Vorwurf, dass Herr Oettinger ein Atomlobbyist ist, zurückweisen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat sich selbst so tituliert! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das kann man ganz sicher so nicht sagen. Die uns von Ihnen unterstellte Atomeuphorie hat es aus meiner Sicht auch nie gegeben. Alle Jahre wieder kommt ein ähnlicher Antrag von Ihnen zur Kündigung bilateraler Kooperationen im Bereich der Nutzung atomarer Technologien. Das gehört zu Ihren Lieblingsthemen. Wie bereits in der letzten Legislaturperiode geht es auch heute wieder um die Hermesbürgschaften – Sie haben es eben gesagt – für ein Atomkraftwerk in Brasilien. In Ihrem Antrag heißt es – ich zitiere –: Wer zu Hause aus der Atomkraft aussteigt, weil ihre Risiken zu groß und die hochgefährlichen Hinterlassenschaften nicht verantwortbar sind, kann sie im Ausland nicht durch gezielte Außenwirtschaftsförderung begünstigen. So weit Ihr Antrag. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Klingt gut!) Das klingt im ersten Moment plausibel und einleuchtend, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ist es aber nicht. Wer im eigenen Land so etwas beschließt, kann noch lange nicht fordern, dass alle anderen es dann auch tun. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dafür arbeiten! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie können es fordern, aber Sie können es nicht erzwingen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wollen wir auch gar nicht!) Bei genauer Betrachtung der Lage in den anderen Ländern – diese haben Sie viel zu wenig betrachtet – können Sie eine solche Forderung eben nicht aufrechterhalten. Unsere Regierung hat beschlossen, dass Deutschland mittelfristig aus der Atomkraft aussteigt. Ich stehe voll und ganz dahinter, meine Fraktion selbstverständlich auch. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hören Sie doch auf, sie zu exportieren!) Der Fokus liegt auf den erneuerbaren, nachwachsenden und reproduzierbaren Energien. Dennoch ist uns aber auch bewusst, dass wir noch nicht ganz aus der Atomenergie aussteigen und noch nicht völlig auf sie verzichten können. Sie bleibt noch für einige Jahre ein Teil -unseres Energiemixes. Fossile Energieträger und Kernenergie sind derzeit noch Bestandteil der Brückentechnologie auf dem Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Wir haben allerdings – im Gegensatz zu Ihnen – nie, zu keinem Zeitpunkt, eine Politik der Angst im Hinblick auf die Atomenergie betrieben. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um Gottes willen, nein! – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Menschen haben Angst vor der Atomenergie!) – Ja, das haben Sie gemacht. Ich will Ihnen auch ein Beispiel nennen, ein Beispiel, das ich in wirklich unguter Erinnerung habe: Claudia Roth hat anlässlich des Fukushima-Jahrestages die 16 000 Toten der Atomkatastrophe beklagt. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat denn das jetzt mit den Hermesbürgschaften zu tun?) Das waren aber nicht 16 000 Tote der Atomkatastrophe, sondern des Tsunamis und des Erdbebens. Als die Atomkatastrophe kam, waren diese Menschen bereits tot. So kann man das nicht machen. Ich finde es einfach nicht in Ordnung, wenn man hier mit den Ängsten der Menschen spielt. Genau das tun Sie beim Thema Atomenergie. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man soll vor Fukushima also keine Angst haben, ja? Das müssen Sie den Menschen wirklich mal so sagen!) Aber zurück zum Antrag. Sie fordern – wie immer belehrend –, (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie sind belehrend!) dass wir den anderen Ländern vorschreiben sollen, wie sie zu handeln haben. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Es geht darum, wie wir zu handeln haben!) Deutschland hat infolge einer Risiko- und Interessenabwägung für sich entschieden, wie es mit der Kernenergie in Deutschland weitergehen bzw. nicht weitergehen soll. Da sind wir ja auch vorbildlich. Wir sind das einzige Land auf der Welt, das diesen Sonderweg geht. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht ganz! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Es liegt aber in der souveränen Entscheidung eines jeden Staates, bei der Ausgestaltung seiner Energiepolitik einen anderen Energiemix zu wählen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Eine Bevormundung – das ist immer Ihre Schwäche –, (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unsere souveräne Entscheidung, was wir exportieren!) in diesem Fall eine Bevormundung anderer Staaten hinsichtlich der Energiepolitik, oder eine mittelbare Einflussnahme liegen nicht im Interesse deutscher Außenpolitik. Wir mögen es ja gewohnt sein, dass der Strom bei uns in Deutschland immer fließt; daran haben wir uns gewöhnt. Das ist aber nicht in allen Ländern so. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt hören Sie doch auf, Angst zu schüren!) Zum Beispiel erwähnen Sie in Ihrem Antrag Brasilien, ein Land – ganz nebenbei –, das ich sehr gut kenne. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! 47 Prozent Erneuerbare!) Ich bin in den Elendsvierteln von Brasilien gewesen und weiß, wie es den Menschen dort geht; (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wird das mit Atomstrom besser? – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja! – Gegenruf der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben 47 Prozent Erneuerbare! Die brauchen das nicht!) auch darüber müssen wir einmal reden. Zum einen gibt es dort keine flächendeckende Stromversorgung. Zum anderen leidet dieses südamerikanische Land mit seiner rasch wachsenden Wirtschaft immer wieder unter stundenlangen Stromausfällen. Zwei Beispiele will ich nennen. Im Oktober 2012 legte eine Panne den gesamten Norden und Nordosten des Landes lahm. Im November 2009 waren rund 60 Millionen Menschen in Brasilien von einem Mega-Blackout betroffen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann machen Sie eine Energiekooperation! Aber keine Atomkooperation! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist übles Angstschüren! Angst schüren ist das, was Sie da machen!) Das ist Ihnen völlig egal. Uns ist das nicht egal. Der Weg hin zu einer flächendeckenden und verlässlichen Stromversorgung ist für viele Länder noch weit. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Und dann schickt man sie in die atomare Falle?) Nicht nur die ärmsten Länder der Welt, sondern auch Länder wie China oder Indien, die Sie in Ihrem Antrag ebenfalls nennen, weisen in ländlichen Regionen noch erhebliche Mängel bei der Stromversorgung auf; (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, natürlich! Und?) das wissen Sie ganz genau, und das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollen wir dem Iran auch helfen, ja? Atomkraftwerke in den Iran – eine tolle Idee! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollen die jetzt alle Atomkraftwerke kriegen?) Sie fordern, dass Deutschland den Menschen in diesen Ländern seine Hilfe bei der Stromversorgung entziehen soll. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich verrate Ihnen etwas: Es gibt noch Strom außerhalb von Atomstrom!) Genau das wollen wir nicht. Deutschland muss aber seine internationale Verantwortung annehmen und die Menschen in diesen Ländern unterstützen. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das, was Sie da behaupten, hat niemand gesagt!) – An Ihrer Aufregung sehe ich, dass das, was ich sage, wohl doch ganz richtig ist, und dass Sie es verstanden haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Nein! Es ist völlig falsch, was Sie sagen! Deshalb regen wir uns auf! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist leider ziemlicher Unsinn! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich wollte Ihnen ein Geheimnis verraten! Es gibt noch anderen Strom als Atomstrom!) – Das mit den Geheimnissen machen wir dann nach der Rede; sonst geht mir meine Redezeit verloren. Ihre Forderung, Ländern wie Indien oder Brasilien Bedingungen zur verstärkten Energieeffizienz oder zur Minderung der CO2-Emissionen aufzuzwängen, können wir nicht unterstützen. Es geht immer um Freiwilligkeit. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das, Frau Motschmann? Wo steht das Wort „Bedingungen“?) – Ganz einfach: Wenn die Hermesbürgschaften zurückgezogen werden, dann können diese Länder ihre Stromversorgung nicht gewährleisten und nicht finanzieren. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach?) Das finden Sie gut (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE]) und wir schlecht. Mit Blick auf große Teile dieser Länder gehen solche Diskussionen an der Realität vorbei, die Sie offenbar nicht kennen; und das tut mir leid. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden an der Realität vorbei, verehrte Frau Kollegin! Ich weiß nicht, in welcher Realität Sie leben!) Die Menschen in diesen Ländern brauchen zuallererst eine flächendeckende Stromversorgung. Die Wirtschaft in diesen Ländern braucht diese Stromversorgung, (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist doch sowieso noch gar nicht da!) um sich überhaupt weiterentwickeln zu können. Man kann die Kraftwerke doch gar nicht von jetzt auf gleich ersetzen. Wir können diesen Ländern nicht unsere deutschen Maßstäbe, Vorstellungen und Wünsche aufzwingen, auch wenn Sie von den Grünen es immer wieder so gerne tun. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir zwingen nichts auf!) Angesichts Ihrer sozialen Einstellung, die ich ja sehr schätze und die ich auch immer wieder sehe, wundert es mich etwas, dass Sie gerade das Elend, die Probleme der Menschen in diesen Ländern nicht sehen und solche Vorschläge machen. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat Ihnen diese Rede geschrieben? – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie doch einmal auf, diese Menschen für Ihre Atompolitik zu instrumentalisieren! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Frau Motschmann hat recht! So ist es!) – Genau das ist der Punkt. Ich will am Ende noch auf einen Punkt Ihres Antrages eingehen: Sie behaupten, dass die Bundesrepublik Deutschland „ihrer außenpolitischen Mitverantwortung nicht gerecht“ wird und dass unsere Politik „sämtliche Bemühungen im Bereich der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen“ untergräbt; Sie haben das ja eben auch erwähnt. – Deutschland ist sich der besonderen Sensibilität von Nuklearprojekten absolut bewusst. Das zeigt sich schon bei der Besetzung des Interministeriellen Ausschusses für Exportkreditgarantien. Auch das sollten Sie einmal erwähnen: Allein daran sind vier Bundesministerien beteiligt: BMWi, BMF, Auswärtiges Amt und BMZ. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und sie treffen die falschen Entscheidungen!) – Sie meinen, die irrten alle (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manchmal kommt so etwas vor!) und nur Sie hätten immer recht? Nein, haben Sie nicht. – Solche Exporte werden strengstens geprüft, und es wird abgewogen, inwieweit deutsche Hilfen eventuell zweckentfremdet und für den Bau von Waffen eingesetzt werden können, so wie es sich für einen Rechtsstaat gehört. Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Am Ende sage ich noch einmal: Die Grünen wollen immer alles bestimmen, sie wollen uns den Veggie Day aufzwingen, (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) um aus Nachhaltigkeitsgründen den Fleischkonsum zu verringern. Jetzt wollen die Grünen diesen Ländern aufzwingen, dass sie sich aus der Atomenergie verabschieden – wohl wissend, dass sie das in diesem Moment und von jetzt auf gleich ganz bestimmt nicht können. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Motschmann, ich muss Sie jetzt bitten, diesen angeregten Dialog zu beenden. Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Ihre Bevormundungspolitik lehnen wir ab. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Veggie Day statt Intellekt!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Hubertus Zdebel das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass die Rede, die Frau Motschmann gerade gehalten hat, eine sehr lustige Rede war; das trifft insbesondere auf den Vorwurf zu, dass wir als Opposition beim Thema Atomenergie eine Politik der Angst machen würden. Wer angesichts von Fukushima und Tschernobyl weiterhin davon redet, dass mit Atompolitik eine Politik der Angst gemacht werde, der hat überhaupt nichts verstanden. Das möchte ich hier an dieser Stelle noch einmal deutlich festhalten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Atomausstieg in Deutschland und weitere Atomförderung im Ausland passen nicht zusammen; das ist auch unsere Meinung. Vor diesem Hintergrund sagen wir vollkommen klar, dass die Abkommen zur Förderung von Atomenergie – dazu gehören auch die bilateralen Atomverträge – gekündigt werden müssen, und zwar dringend. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen richtig, jetzt sofort aktiv zu werden. Ich bin der Fraktion der Grünen auch sehr dankbar für die Kleine Anfrage, die sie gestellt hat, und für den sich daraus ergebenden Antrag, das deutsch-indische Atomabkommen jetzt sofort und in nächster Zeit auch das deutsch-brasilianische Atomabkommen zu beenden. Deswegen sage ich für die Fraktion der Linken ganz klar: Wir werden den Antrag der Grünen unterstützen. Wir setzen uns genau für diese Ziele ein, die in dem Antrag formuliert worden sind. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage an dieser Stelle auch, dass ich sehr gespannt darauf bin, wie sich die SPD in der namentlichen Abstimmung gleich verhalten wird. Auch ich habe nämlich nicht vergessen, dass sich die SPD in der vergangenen Legislaturperiode dafür stark gemacht hat, dass Hermesbürgschaften bezüglich des Atomkraftwerks in Brasilien nicht weiter erteilt werden, und dass in dieser Angelegenheit auch Druck aufgebaut worden ist, ein Druck, der nicht ganz erfolglos geblieben ist, weil daraufhin nämlich eine Ausweichfinanzierung angestrebt worden ist. Auch ich bin sehr enttäuscht darüber, wie sich die SPD jetzt in der Bundesregierung zu diesen ganzen Fragen verhält. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das betrübt uns sehr!) Deswegen bin ich sehr gespannt darauf, wie das in der namentlichen Abstimmung gleich aussehen wird. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas zum deutsch-brasilianischen Atomabkommen sagen. Ich war sehr beeindruckt von einem Gespräch, das Anfang April 2014 bei einem Treffen mit renommierten Vertreterinnen und Vertretern der brasilianischen Zivilgesellschaft auf Einladung von urgewald hier in Berlin stattfand, an dem auch meine Kollegin Bulling-Schröter teilgenommen hat. Dabei war auch Chico Whitaker. Er ist Mitbegründer des Weltsozialforums und bis heute Mitglied im Internationalen Rat des Weltsozialforums. Im Jahre 2006 erhielt er unter anderem auch den Alternativen Nobelpreis. Es war eine sehr angeregte Debatte mit den Vertretern von urgewald aus Brasilien. Chico Whitaker sagte bei der Gelegenheit, dass es keinesfalls ein diplomatischer Affront wäre, wenn die deutsche Bundesregierung den bilateralen Atomvertrag zwischen den beiden Ländern zum Ende des Jahres kündigen würde. Er sagte: Im Gegenteil: Das wäre eine wichtige Unterstützung Deutschlands für Brasilien. … (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Außerdem wäre es eine sehr wichtige und mehr als opportune Maßnahme, jetzt, wo wir des 50. Jahrestages des Militärputsches in Brasilien gedenken, in dieser Angelegenheit aktiv zu werden. Meine Damen und Herren, Sie sollten nämlich nicht vergessen – für den Fall, dass Sie es vergessen haben oder nicht wussten, sage ich es Ihnen noch einmal –, dass dieser Vertrag damals von den brasilianischen Militärs ausgehandelt worden ist. In meinen Augen ist es auch vor diesem Hintergrund – ich zitiere Chico Whitaker – „höchste Zeit, sich von diesem Relikt einer unheilvollen Kooperation zu verabschieden.“ (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Außerdem hat Herr Whitaker bei der Gelegenheit des Gesprächs sehr deutlich gesagt – das sollten Sie sich auch als Koalition noch einmal hinter die Ohren schreiben –: Wer im eigenen Land aus der Atomkraft „aussteigt“, sollte keine doppelten moralischen Standards anwenden und deswegen auch nicht weiter den Ausbau der Atomkraft im Ausland unterstützen. Dieser Aussage können wir Linke uns nur anschließen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Die Bundesrepublik ist nicht nur durch die Abkommen mit Indien und Brasilien an der Förderung von Atomenergie beteiligt, sondern Deutschland ist nach wie vor auch Unterzeichner des Euratom-Vertrages. Wir Linken sagen schon lange: Euratom verfestigt die Förderung der Atomenergie und muss aufgelöst werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch ein anderer Aspekt ist mir persönlich sehr wichtig. Weil ich aus dem Münsterland komme, möchte ich bei dieser Gelegenheit auch noch einmal daran erinnern, dass es nach wie vor die Urananreicherungsanlage in Gronau gibt, die von der Firma Urenco betrieben wird. Diese Firma Urenco gibt es nur auf Basis eines trilateralen Vertrages, der in den 70er-Jahren zwischen Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien geschlossen worden ist. Diese Firma soll jetzt privatisiert werden. Meiner Meinung nach gehört auch dieser trilaterale Vertrag von Almelo – so heißt er nämlich – zwischen diesen Staaten, der die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der gefährlichen Gaszentrifugentechnik regelt, auf den Prüfstand. Es ist nämlich nicht mit einem unverzüglichen Atomausstieg vereinbar, dass in Gronau weiterhin Uran angereichert wird. Sie sollten schleunigst aus dieser Technologie aussteigen. In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Dr. Nina Scheer hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Nina Scheer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es muss klar sein, dass es keinen Widerspruch zwischen einer nationalen Atomausstiegspolitik und dem internationalen Verhalten bezüglich der sogenannten friedlichen Nutzung von Atomenergie geben darf. Das ist grundsätzlich klar; ich denke, auch allen hier im Raum Befindlichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Daraus erschließt sich, dass keine in die Zukunft gerichteten, auf neue Investitionen zielenden Vereinbarungen in diesem Bereich geschlossen werden dürfen. In -Ihrem Antrag wird erwähnt – das ist ein richtiger Kritikpunkt –, dass Indien dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag bis heute nicht beigetreten ist. Insofern ist es wichtig und richtig, dass uns dieser Antrag heute vorliegt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Detlev Pilger [SPD]) Was wir aber brauchen – ich finde, dieser Antrag muss dafür die Tür öffnen –, ist eine öffentliche breite Bewusstwerdung über den Zusammenhang zwischen der zivilen und der kriegerischen Nutzung von Atomenergie. Vor ein paar Monaten gab es auf der europäischen Ebene Bemühungen, die Möglichkeiten der zivilen Nutzung von Atomenergie zu erleichtern. Auch europäische Staaten, die selber über Atomwaffen verfügen, haben sich dafür starkgemacht. Das waren insbesondere Großbritannien und Frankreich. Aber auch Lettland und andere Zulieferstaaten waren darunter. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der kriegerischen Nutzung und der friedlichen Nutzung von Atomenergie. Ein Staat, der Atomenergie nicht zu friedlichen Zwecken nutzt, ist nicht in der Lage, sich ein Atomwaffenarsenal aufzubauen. Das muss uns bewusst sein. Insofern ist es wichtig, darauf zu schauen, was dieser wichtige Vertrag der Nuklearen Nichtverbreitung von uns verlangt. Er verlangt, dass die Zahl der Atomwaffen reduziert wird, dass diese Waffen abgeschafft werden. Im Gegenzug versprechen Staaten, die über keine Atomwaffen verfügen, dass sie sich solcher nicht bemächtigen werden. Aber wir sind heute weit von einer atomwaffenfreien Welt entfernt. Insofern ist es wichtig, auf diese Verknüpfung hinzuweisen. Ich erwähne das an dieser Stelle, weil diese Verknüpfung natürlich immer, wenn wir über die zivile Nutzung von Atomenergie sprechen, mitschwingen muss. Insofern ist das an dieser Stelle ein wichtiger und in der Zukunft ein ganz wesentlicher Faktor. Wir kommen nicht von der Atomenergie herunter, wenn wir das Problem mit den Atomwaffen nicht lösen können. Die SPD-Fraktion hat 2012 den Antrag eingebracht, dass die Atomverträge zwischen Deutschland und Brasilien sowie zwischen Deutschland und Argentinien in eine Kooperation dahin gehend überführt werden sollen, erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu fördern und auszubauen. Einen gleichlautenden Antrag hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestellt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gab allerdings keinen gleichlautenden Antrag zu dem Vertrag mit Indien. Auch das ist ein Fakt. Insofern stelle ich an dieser Stelle fest, dass wir es trotz unserer Kehrtwende hierzulande, weg von der zivilen Nutzung der Atomenergie, und zwar nicht erst seit dieser Legislaturperiode, versäumt haben, diese beiden Abkommen, die seit Jahrzehnten laufen – mit Indien seit 1972 und mit Brasilien etwas später –, kritisch zu untersuchen bzw. deutlich zu machen, dass wir daran nicht festhalten wollen. Wir haben dabei auch versäumt, genauer hinzuschauen, ob wir aus sicherheitspolitischen Gründen und aufgrund von Passagen in diesen Verträgen möglicherweise verpflichtet sind, an diesen Verträgen festzuhalten, und ob es möglich ist, diese Verträge entsprechend weiterzuentwickeln. Auch dazu kam es nicht. Dieses schwere Versäumnis können und sollten wir im Zuge entsprechender Anträge nachholen. Ich denke, ich brauche nicht extra aus der entsprechenden Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen vom 1. April 2014 zu zitieren, die diese sicherheitspolitischen Fragen aufgreift. Der vorliegende Antrag enthält im Wesentlichen zwei Forderungen, nämlich zum einen, die Verträge mit Brasilien und Indien aufzukündigen, und zum anderen, in eine Förderung einzusteigen. Bezüglich der Förderung kann man feststellen, dass immerhin schon ein Milliardenprogramm für Indien aufgelegt worden ist. 1 Milliarde Euro ist dafür vorgesehen. Bezüglich der Kündigung ist zu sagen: Es ist eine ernstzunehmende Fragestellung, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) welche Bestimmungen in den Verträgen uns veranlassen müssen, aus den Verträgen auszusteigen. Es ist aber eine genauso ernstzunehmende Herausforderung, darauf zu achten, ob es Passagen gibt, an denen wir festhalten müssen, und was uns verleiten müsste, solche Verträge entsprechend weiterzuentwickeln. (Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich habe im Vorfeld dieser Debatte versucht, zu erreichen, dass wir den Austausch, den wir dringend brauchen, im parlamentarischen Prozess hinbekommen. Ich habe die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gebeten, von der namentlichen Abstimmung heute abzusehen und die Abstimmung zu vertagen. Wir haben uns unter den Fraktionen darüber ausgetauscht. Ich hätte es für richtig befunden, solche Fragen in den Ausschüssen zu debattieren. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Scheer, ich habe gerade die Uhr angehalten und muss Sie fragen, ob Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Haßelmann zulassen. Dr. Nina Scheer (SPD): Ja. Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin, und vielen Dank auch, Frau Scheer. – Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie uns gebeten haben, diesen Antrag heute zurückzustellen und ihn in den Fachausschüssen zu beraten. Ich glaube, es ist sachlich völlig klar, dass wir das aus einem Grund nicht tun können. Am 15. Mai steht nämlich die Verlängerung des Atomabkommens zwischen Indien und Deutschland an. Wenn wir heute Ihrem Anliegen stattgegeben hätten, dann würde als laufendes Geschäft der Bundesregierung, der Sie als SPD-Fraktion angehören, der Atomvertrag mit Indien einfach so verlängert werden. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Der wird sowieso verlängert!) Da wir als Fraktion wollen, dass dieser Atomvertrag mit Indien nicht verlängert wird, muss heute über unseren Antrag entschieden werden. Es steht doch der Möglichkeit, über Brasilien oder die Hermesbürgschaften sehr grundsätzlich zu reden, nichts im Wege, wenn wir heute diesen Antrag in namentlicher Abstimmung beschließen. Dazu kann sich dann jede und jeder Abgeordnete entsprechend verhalten. Sie haben als SPD-Fraktion in der letzten Legislaturperiode auch zwei Anträge dazu eingebracht. Deshalb verstehe ich nicht, warum Sie unsere Argumente nicht nachvollziehen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. Nina Scheer (SPD): Bezüglich Indien – hier wurde das Abkommen mit -Indien mit der Kündigungsfrist zum 15. Mai angesprochen – gab es in den letzten Jahren keine Anträge, in -denen die Kündigung gefordert wurde. Das bezog sich auf Brasilien. Mir ist nicht entgangen, dass ein Ablauf der Frist bevorsteht. Wenn ich Ihnen sage, Sie hätten den Antrag auch früher stellen können, dann nur auf Ihre Nachfrage hin. Denn ich weiß selber, dass wir alle uns früher damit hätten befassen können. Nichtsdestotrotz enthält der Antrag mehrere Punkte. Das Abkommen mit Indien ist nur ein Punkt von vielen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ein sehr wesentlicher!) – Wenn es ein sehr wesentlicher wäre, dann frage ich mich, warum man das nicht etwas sortierter im Vorfeld behandelt hat. Warum hat man das nicht trennen können? Warum musste man das in einem Paket machen? Das weckt bei mir den Eindruck – diesen Eindruck teilen, glaube ich, auch viele in unserer Fraktion –, dass wir etwas vorgeführt werden sollen mit einem Abstimmungsverhalten, was zwar zu Inkongruenzen mit einem früheren Verhalten führt, aber nur partiell. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist nicht sachgerecht, und ich finde es auch nicht fair. Ich finde es nicht sachgerecht im Umgang mit diesen ernstzunehmenden Fragestellungen. Ich finde es zwar richtig, dass Sie das thematisieren. Aber in dieser Form sind wir nicht dazu in der Lage, uns damit sachgerecht auseinanderzusetzen, und haben keine Möglichkeit, uns darüber parlamentarisch auszutauschen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kündigen Sie den Vertrag einfach!) Insofern halte ich meine Kritik aufrecht. Ich möchte hinzufügen, dass ich einen Blick in die Verträge geworfen habe. Tatsächlich verlängert sich der betreffende Vertrag mit Indien automatisch, wenn wir nicht bis zum 15. Mai gekündigt haben. Aber es gibt jederzeit eine Kündigungsmöglichkeit mit einer Frist von zwölf Monaten. Angesichts der Tatsache, dass der Vertrag mit Indien aus dem Jahr 1972 stammt, dass wir Zeit benötigen, um uns mit den infrage stehenden Punkten auseinanderzusetzen, und in Anbetracht des Umfangs der Thematik sind zwölf Monate kein Zeitraum, der nicht zu verkraften wäre. Wenn ich Ihren Antrag lese, dann komme ich zu dem Schluss, dass es überwiegend Ihre Absicht ist, dass wir nicht in der Lage sein sollen, uns damit sachgerecht auseinanderzusetzen und darüber zu debattieren. Das finde ich schade. Warum geben Sie uns mit Ihrem Antrag nicht die Möglichkeit eines parlamentarischen Prozesses? (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kriegen den Antrag hinterher!) Das wäre des Parlaments würdig. Ich finde es nicht korrekt, dass uns hier keine entsprechende Möglichkeit gegeben wurde. (Beifall bei der SPD) Sie haben nicht zugestimmt, dass das an den Ausschuss verwiesen und dann dort beraten wird. Wir hatten darüber gesprochen, das mit öffentlichen Anhörungen zu begleiten. Aber auch dem wurde nicht entsprochen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Scheer, ich habe die Uhr schon wieder angehalten, da es noch einen Frage- bzw. Bemerkungswunsch gibt. Aber bevor wir darüber verhandeln, ob Sie den zulassen, bitte ich erst einmal alle Kolleginnen und Kollegen, die erfreulicherweise schon im Plenum des Bundestages erschienen sind – wahrscheinlich in froher Erwartung der demnächst folgenden namentlichen Abstimmung –, sich einen Sitzplatz zu suchen und die Möglichkeit zu geben, dass wir den Ausführungen der Kollegin Scheer und derjenigen, mit denen sie jetzt gegebenenfalls in einen direkten Austausch tritt, folgen. Ich bin fest davon überzeugt, dass für jeden gewählten Parlamentarier und jede gewählte Parlamentarierin des 18. Deutschen Bundestages ein Sitzplatz existiert. Das gilt im Übrigen auch für die Mitglieder der Bundesregierung. Frau Scheer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kotting-Uhl? Dr. Nina Scheer (SPD): Ich bin zwar schon fast fertig, aber gut. Vizepräsidentin Petra Pau: Dann hat die Kollegin Kotting-Uhl das Wort. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Scheer, ich möchte Ihnen zuerst einmal danken für Ihren wirklich differenzierten Umgang mit unserem Antrag. Das ist sehr wohltuend; denn es gab heute ja auch schon andere Beiträge. Ich will Ihnen erklären, warum wir diesen Antrag jetzt eingebracht haben. Ich habe das bereits in meiner Rede angerissen, will es aber noch einmal betonen. Wir haben am 28. März die Antwort auf unsere Kleine Anfrage bekommen und dann realisiert, dass sich das infrage stehende Abkommen verlängert, wenn wir nicht bis zum 15. Mai – in einer Woche – reagieren. Wir haben daraufhin sofort einen Brief an die Bundesumweltministerin geschrieben mit der Bitte, dieses Abkommen nun zu kündigen. Ich habe mir, ehrlich gesagt, reichlich Hoffnung gemacht – die drei für dieses Abkommen zuständigen Ministerien, Wirtschaftsministerium, Umweltministerium und Auswärtiges Amt, sind in SPD-Hand, und wir waren uns in der letzten Legislaturperiode mit der SPD einig darüber, dass die Fortführung solcher Abkommen mit unserem deutschen Atomausstieg im Grundsatz nicht kongruent ist –, dass es keine großen Probleme gibt und dass das in die Hand genommen wird. Erst als keine Reaktion von Frau Hendricks kam, haben wir diesen Antrag geschrieben. Deswegen ist die Frist nun so kurz. Abgesehen davon möchte ich fragen: Was hindert Sie, wenn Sie und andere Mitglieder der SPD im Kern mit uns übereinstimmen, daran, Ihrerseits Frau Hendricks, Herrn Gabriel und Herrn Steinmeier noch einmal zu bitten, die Frist innerhalb von einer Woche wahrzunehmen und ein deutliches Zeichen zu setzen? Dr. Nina Scheer (SPD): Ich stimme darin überein – ich denke, das teilen viele meiner Fraktionskollegen –, dass das eine bedeutsame Frage ist und dass es nicht hinnehmbar ist, dass Teile des Abkommens darauf zielen, an einer friedlichen Kooperation zur zivilen Nutzung der Kernenergie festzuhalten, als ob es keinen deutschen Atomausstieg gäbe. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das kann so nicht weiterlaufen. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen: Das ist nicht das Maßgebliche des Abkommens. Maßgeblich ist, dass wir Teile des Abkommens brauchen, um gewisse Sicherheitsanforderungen aufrechtzuerhalten. – Eigentlich sind das Äußerungen, die vor den Doppelpunkt gezogen sind. Wir müssten uns jetzt damit befassen. Aber genau eine solche Befassung kann nicht stattfinden, weil wir heute darüber abstimmen. Wir würden diese Frist, die jetzt ansteht, tatsächlich verpassen. Das denke auch ich. Aber eine sachgerechte Auseinandersetzung erfordert das auch. Wir alle hätten uns früher damit befassen müssen; ich möchte die Schuld gar nicht bei Ihnen suchen. Da wir das nicht getan haben, sind wir hier und heute an dem Punkt, dass die Befassung ausgeblieben ist. Uns bleibt nichts anderes übrig, als heute zu entscheiden, dass wir uns erst noch damit befassen müssen. Wir können nicht von heute auf morgen für alle über 600 Abgeordneten sprechen. Das ist nicht möglich in dieser Zeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Insofern kann es an dieser Stelle nur dabei bleiben, dass dieser Antrag in die parlamentarische Beratung hätte gehen müssen. Davon kann ich nach meiner festen Überzeugung mit Blick auf die vorliegenden Fragestellungen nicht abrücken. Insofern bitte ich um Ihr Verständnis, dass ich dem nicht folgen kann. (Beifall bei der SPD) Eine kurze Bemerkung zu den Äußerungen meiner Koalitionskollegin Frau Motschmann wollte ich noch loswerden. Frau Motschmann, ich sehe es nicht so, dass die Bemühungen, die Energiewende auch weltweit zu einem Erfolg zu führen, sei es durch Förderprogramme, die wir auflegen, sei es durch Kooperationen, die wir früher übrigens auch bei der Atomenergie durchaus eingegangen sind, etwas mit Bevormundung zu tun hätten. Ich finde es grundlegend falsch, zu behaupten, dass die Bestrebungen nach einer umweltfreundlichen, klimaneutralen und von fossilen Ressourcen unabhängigen Energieversorgung, die wir weltweit in Gang bringen wollen, und zwar aus der Überzeugung heraus, dass das weltweit ein Erfordernis ist, etwas mit Bevormundung zu tun haben. Das ist keine Position, der wir zustimmen könnten, und deshalb weise ich das zurück. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Abschließend möchte ich mit Blick auf meine vorigen Ausführungen und meine Einschätzung, dass wir die parlamentarischen Beratungen über die vorliegenden Abkommen dringend bräuchten, nur bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass ein eventuell ablehnendes Abstimmungsverhalten der Mitglieder meiner Fraktion nicht repräsentativ ist und keinen Aufschluss über die Positionierung meiner Fraktion in der Sache geben kann. Das ist jetzt meine Einschätzung. Das heißt nicht, dass wir uns enthalten könnten. Auch Sie wissen, was im Koalitionsvertrag steht. Ich kann nicht für alle Fraktionskollegen sprechen im Hinblick darauf, wie sie mit dieser Frage umgehen. Ich werde den Antrag ablehnen, nicht weil ich viele Teile daraus nicht mittragen könnte, sondern weil ich es nicht richtig finde, wie an dieser Stelle mit den betreffenden Fragestellungen umgegangen wird. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte ernsthaft, in allen Fraktionen jetzt dafür zu sorgen, dass wir die Beratung bis zur namentlichen Abstimmung in geordneter Weise hier fortsetzen können. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Kollege Lengsfeld sehr stolz darauf ist, dass er fast vor dem gesamten Hause seine erste Rede halten kann. Aber ich finde, dazu gehört auch, dass sich sowohl seine Fraktionskollegen als auch die Kollegen der anderen Fraktionen in die Reihen ihrer Fraktionen begeben und die notwendige Aufmerksamkeit herstellen. Ich werde die Debatte vorher nicht fortsetzen. (Beifall) Es ist nicht so, dass wir keine Zeit haben. – Ich verkneife mir jetzt auch alle Bemerkungen über die Vorsitzenden der betroffenen Fraktionen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Herr Kauder, Sie sind angesprochen! Alles wartet auf Sie!) Ich würde gerne Ihrem Kollegen Lengsfeld das Wort zur ersten Rede geben, Kollege Kauder. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja! Tun Sie das doch!) Dazu versuche ich, die Aufmerksamkeit des gesamten Hauses auf ihn zu lenken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Die haben Sie von mir!) Das gilt natürlich auch für alle anderen, die noch keinen Platz gefunden haben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn nicht alle sitzen, muss ich auch nicht! – Heiterkeit) – Ich hatte eigentlich Hilfe erhofft. Wenn schon meine Autorität nichts gilt, wird doch wohl die Autorität des Kollegen Kauder in der Union noch etwas gelten. (Heiterkeit und Beifall) Ich gestehe Ihnen, es betrübt mich, dass auch meine Fraktion meine Mahnung nicht wahrnimmt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Hockt euch mal hin, ihr dahinten!) Ich habe mein Möglichstes getan, Kollege Lengsfeld. – Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Philipp Lengsfeld. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Frau Präsidentin, vielen Dank für die nette Einleitung. Vielen Dank auch für die Unterstützung. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, liebe Frau Kotting-Uhl, über den von Ihnen vorgelegten Antrag kann man sicherlich sagen, dass er konsequent wirkt. Da Deutschland aus der Atomenergie aussteigt, sollen wir auch mit keinem anderen Land auf der Welt im Bereich sichere zivile Nutzung der Atomenergie zusammenarbeiten. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keine sichere Nutzung!) In Ihrem konkreten Antrag geht es um Indien und Brasilien – das alles ist dargestellt worden – aufgrund der zur Verlängerung anstehenden Verträge mit diesen Ländern. Ja, dies sieht konsequent aus. Aber schauen wir einmal genauer hin. Deutschland besitzt auf dem Feld der Atomenergie nun einmal eine außerordentliche Expertise; das ist so. Es muss doch in unserem Interesse sein, dass die brasilianischen und indischen Atomkraftwerke sicher sind. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht nicht!) Deutschland hat übrigens auch einen exzellenten Ruf als internationaler Kooperationspartner. Wenn wir also helfen können, warum sollen wir dann anderen das Feld überlassen? Reden wir also über Konsequenz, oder reden wir eigentlich über Dogmatismus? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie fordern, dass wir bilaterale Kooperationen mit Indien und Brasilien zur Nutzung atomarer Technologien einseitig aufkündigen. Ein einseitiger, aus meiner Sicht sachlich nicht zu vertretender Ausstieg erzeugt aber einen doppelten Schaden. Den größeren Schaden nimmt – das ist heute hier noch nicht gesagt worden – Deutschland, nehmen wir. Auf einen Schlag zerstören wir aufseiten unserer Partner zwei Dinge, die für eine erfolgreiche Kooperation unerlässlich sind, und zwar zwei Dinge, für die Deutschland immer stand und steht: erstens, dass wir ein verlässlicher Partner sind, und zweitens, dass wir ein Partner sind, der weiß, was er tut. Dass wir das zerstören, kann man einfach nicht wollen. Aber auch für die Kooperationspartner in Indien und Brasilien ist es verheerend, wenn laufende Kooperationen einfach so holterdiepolter gekündigt werden. Denn sie müssen die Arbeit neu beginnen, sie müssen sich neue Partner suchen – ich denke, das ist Ihnen klar –, und diese neuen Partner bekommen aufgrund des unseriösen Verhaltens Deutschlands einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil. Werden wir einmal ganz konkret. Wer wäre denn der Gewinner einer solchen Politik? Vielleicht die russische Atombehörde Rosatom? Deren Vertreter sammeln gerade Expertise im Aufbau von AKWs in Weißrussland und Nigeria. Wollen Sie wirklich, dass sie die Gewinner von dieser Art von Politik sind? Das kann doch wirklich nicht in unserem Interesse sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir verärgern damit nicht irgendwelche kleinen Länder, was – ich will da nicht missverstanden werden – auch schlimm wäre. Vielmehr verärgern wir zwei Länder der BRIC-Staaten, also aufstrebende, wirtschaftlich sehr bedeutende Länder. Mit Indien und Brasilien verärgern wir nun auch noch gerade genau die BRIC-Staaten, die Demokratien sind, und zwar Demokratien fast genau wie die unsrige. Das ist der Kollateralschaden von Ihrer Art von Politik. Aber der Irrsinn geht noch weiter; Sie haben es selber dargestellt. Deutschland hat ja nicht nur mit Indien und Brasilien Kooperationsverträge zur zivilen Nutzung der Kernenergie. Sie wollen erst, dass wir die Verträge mit Indien und Brasilien kündigen, und dann geht es in gnadenloser Konsequenz mit unseren europäischen Partnern weiter. Da nenne ich einmal Tschechien, die Slowakei, Finnland, Schweden, Spanien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, und das ist nicht einmal die gesamte Liste. Dann geht es natürlich weiter – Konsequenz muss sein! – mit den Verträgen mit der Republik Korea, (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) mit China, mit Argentinien, mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Ist das wirklich das, was wir verantworten können? Ich glaube, nicht. Die Atomkraft werden Sie damit global nicht eindämmen – das sage ich Ihnen –, auf keinen Fall. Was Ihnen aber mit Sicherheit gelingen wird, ist, Deutschlands exzellenten Ruf als verlässlicher internationaler Kooperationspartner weltweit gründlich zu beschädigen. Das kann nicht in unserem Interesse sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Ja, es ist richtig – das zweifelt auch keiner in diesem Hause an –, dass nach dem Unfall in Fukushima ein Land kollektiv einen längst beschlossenen Atomausstieg plötzlich noch einmal beschleunigt hat, und zwar unser Land, Deutschland; keine Frage. Aber Sie wissen doch, dass wir das einzige Land auf dieser Welt sind, das diesen Weg in dieser Weise geht. Nehmen Sie doch bitte einmal zur Kenntnis, dass die Atomkraft für den Energiemix vieler Länder essenziell ist, nicht nur für Indien und Brasilien. Das hat übrigens auch mit CO2-Zielen zu tun. Die sollten wir nicht vergessen; das ist hier auch erwähnt worden. Es ist Deutschland, das von allen Ländern dieser Welt immer ambitioniertere CO2-Reduktionsziele verlangt. Ich weiß, Sie sagen, dass die Anstrengungen der Atomkooperation auf den Bereich der erneuerbaren Energien übertragen werden sollen. Gegen erneuerbare Energien in Brasilien oder Indien ist absolut nichts einzuwenden; im Gegenteil: Die lokale Energieversorgung kann dort sicherlich sinnvoll mit einem signifikanten Beitrag erneuerbarer Energien ergänzt werden. Aber diese Projekte laufen längst. Deutschland hat zum Beispiel mit Brasilien seit 2008 ein Regierungsabkommen über die Zusammenarbeit im Energiesektor mit Schwerpunkt auf erneuerbarer Energie und Energieeffizienz. Diese Sachen gibt es längst. Erneuerbare Energien und Energieeffizienz sind wichtig und sollten sich da durchsetzen, wo es sinnvoll ist, aber aus meiner Sicht mit marktwirtschaftlichen Instrumenten. Was wir ganz sicher nicht nach Indien oder Brasilien exportieren sollten, sind deutsche Denkverbote oder eine Energieplanwirtschaft à la EEG; das ist jedenfalls meine persönliche Meinung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland muss ein zuverlässiger internationaler Partner bleiben, nicht nur im Energiesektor, selbstverständlich auch für Indien und Brasilien – zum beiderseitigen Vorteil. Das ist -konsequente, richtige Politik. Was wir dagegen nicht brauchen, sind – ich sage das harte Wort noch einmal – grüner Dogmatismus und grüne Denk- und Kooperationsverbote. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Lengsfeld, herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede im Deutschen Bundestag. (Beifall) Ich verbinde das mit dem Glückwunsch dazu, dass Sie auch die Redezeit eingehalten haben. Das gelingt den wenigsten bei ihrem ersten Auftritt in diesem Hause. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1336 (neu) mit dem Titel „Kündigung bilateraler Kooperationen im Bereich der Nutzung atomarer Technologien“. Dazu liegt mit eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung des Kollegen Bülow vor. Entsprechend unseren Regeln nehmen wir sie zu Protokoll.1 Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir heute noch zwei weitere namentliche Abstimmungen durchführen werden. Die zweite namentliche Abstimmung werden wir zum nachfolgenden Tagesordnungspunkt 9 – also in circa 45 Minuten – durchführen. Die dritte namentliche Abstimmung ist zu Tagesordnungspunkt 11 – „Mehr Transparenz bei Rüstungsexportentscheidungen sicherstellen“ – vorgesehen. Der Tagesordnungspunkt 11 soll abweichend von der geplanten Reihenfolge vorgezogen und mit Zusatzpunkt 8 getauscht werden. Die dritte namentliche Abstimmung findet in gut zwei Stunden statt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? – Vorne rechts fehlt noch ein Schriftführer. Ich kann nicht erkennen, ob von der Opposition oder von der Koalition. – Ich frage noch einmal: Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? – Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne die Abstimmung über den Antrag. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Wenn das nicht der Fall ist, dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2 Schönen Nachmittag! Ansonsten würde ich Sie aus Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die jetzt gleich ihre Rede zu einem sehr wichtigen Thema halten wollen, bitten, die Gespräche außerhalb zu führen, damit wir in der Tagesordnung fortfahren können. Das gilt auch für den ehemaligen Schriftführer vorne links, die Kolleginnen und Kollegen hinten sowie Herrn Kauder und andere. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau Präsidentin!) – Ja, Herr Kauder. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich bin der bravste Mensch hier!) – Sie sind theoretisch der bravste Mensch. Vielleicht sollte ich eine namentliche Abstimmung darüber abhalten. Wir wollen jetzt fortfahren in unserer Tagesordnung. (Beifall – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Drucksachen 18/910, 18/1283 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/1359 Ich möchte darauf hinweisen, dass zur Annahme des Gesetzentwurfs, über den wir später namentlich abstimmen werden, nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit erforderlich ist. Das sind 316 Stimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort Bernd Rützel für die SPD. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Bernd Rützel (SPD): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute die Aufnahme der Branche „Schlachten und Fleischverarbeitung“ in den Katalog des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Dieser Entscheidung ging viel voraus. Unerträgliche Zustände machten unser Eingreifen – denn das ist es – bitter notwendig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Viele Arbeitgeber in der Fleischbranche haben ihr einst ehrbares Handwerk durch sittenwidrige Behandlung der Arbeitskräfte in Verruf gebracht. Für überlange Arbeitstage von 12, manchmal 15 Stunden am Tag erhalten die häufig ausländischen Arbeitnehmer Armutslöhne, die kaum zum Leben ausreichen, selbst in Massenunterkünften oder Mehrbettzimmern nicht. Die Arbeitgeber haben jahrelang skrupellos daran gefeilt, ihren Gewinn auf Kosten der Mitarbeiter immer weiter zu steigern. In diesem Fall kann man sagen: Nicht der Fisch stinkt vom Kopfe her, sondern das geschlachtete Tier. Umso erfreuter bin ich heute, dass die Fleischbranche nun die Skandale hinter sich lassen will. Mit der Einwilligung in den Mindestlohntarifvertrag zeigen die Arbeitgeber ein Einsehen in die Notwendigkeit einer Kursänderung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sicherlich half dabei neben dem Druck aus der Politik und der Öffentlichkeit auch der von uns angekündigte gesetzliche Mindestlohn. Immerhin gründete diese Branche dafür erstmals und endlich einen Arbeitgeberverband, der – das sage ich dazu – perspektivisch sicherlich noch mehr leisten kann und auch mehr leisten muss. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie möchten wir das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zukünftig für alle Branchen öffnen. (Beifall bei der SPD) Die problembeladenen Zustände in der Fleischbranche machen es aber notwendig, hier sofort zu reagieren. Angesichts des dringenden Handlungsbedarfs ist es deshalb der richtige Weg, die Branche „Schlachten und Fleischverarbeitung“ nun unverzüglich in den Katalog des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes aufzunehmen. Mit dieser Aufnahme ist dann der Weg frei für den Erlass einer Mindestlohnverordnung. Damit gilt der Mindestlohntarifvertrag für die gesamte Fleischbranche – auch für nichttarifgebundene Betriebe – und für die zahlreichen, meist osteuropäischen Werkvertragsnehmer, die noch für Niedriglöhne arbeiten. Als letzter Punkt ist mir besonders wichtig, dass auch die Werkverträge an die Kette genommen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der nun auf der Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes bestehende Mindestlohntarifvertrag hat damit international zwingende Wirkung und gilt für alle in- und ausländischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Auf diese Weise wird es keine Schlupflöcher mehr geben. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Scheinselbstständige!) Ab dem 1. Juli dieses Jahres erhalten die Arbeitnehmer in der Fleischbranche mindestens 7,75 Euro pro Stunde. Das ist für viele eine sehr deutliche Lohnerhöhung. Ich gebe zu, man könnte kritisieren, dass wir in den ersten neun Monaten des Jahres 2015 unter dem gesetzlichen Mindestlohn bleiben. Aber ab dem 1. Oktober 2015 wird in dieser Branche mit einem Stundenlohn von 8,60 Euro der Mindestlohn schon überschritten. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Um 10 Cent!) Im Jahre 2016 landen wir dann bei 8,75 Euro. Davon werden viele Tausend Menschen profitieren. (Beifall bei der SPD) Ganz besonders wichtig ist uns eine sorgfältige Kontrolle. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir aber gespannt!) Denn wenn die Einhaltung nicht überprüft wird, dann ist das beste Gesetz nichts wert. Die Zuständigkeit für die Überwachung der Mindestlohnanforderungen im Bereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes liegt bei den Zollbehörden. Natürlich werden diese zusätzlichen Überprüfungen in der Fleischbranche zu einem höheren Personal- und Sachaufwand führen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht aber nichts im Haushalt!) Wir gehen im Gesetzentwurf von einem zusätzlichen Bedarf von 42 Arbeitskräften aus. Dies wird in den kommenden Haushaltsverhandlungen auch berücksichtigt werden müssen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht aber noch nicht drin! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum habt ihr es nicht eingestellt?) Wir sind sehr optimistisch, dass uns auch dies gelingen wird. Stellen die Zollbehörden bei ihren Kontrollen Verstöße gegen die Mindestlohnbestimmungen fest, dann drohen Bußgelder von bis zu 500 000 Euro. Ich will in diesem Zusammenhang noch einen elementaren Punkt ansprechen. Der Generalunternehmer haftet – auch ohne eigenes Verschulden –, wenn ein Subunternehmer oder Subsubunternehmer seinen Arbeitnehmern nicht den Branchenmindestlohn zahlt. Daher ist es für die Unternehmer wichtig, sich ihre Subunternehmer sorgfältig auszusuchen; denn sie können sich nicht aus ihrer Verantwortung stehlen. Das schafft Sicherheit für die Beschäftigten. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das Lohndumping in der deutschen Fleischbranche hat zu großer Empörung in unseren Nachbarstaaten geführt. Die Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist auch ein Beitrag zu einem fairen und funktionsfähigen Wettbewerb innerhalb Europas. So erreichen wir Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa zu fairen Bedingungen. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit der Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz heute eine einigermaßen faire Entlohnung für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Fleischbranche erwirken können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. Ich darf Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag „Kündigung bilateraler Kooperationen im Bereich der Nutzung atomarer Technologien“ bekannt geben: abgegebene Stimmen 577. Mit Ja haben gestimmt 110 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 465, Enthaltungen 2. Der Antrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 577; davon ja: 110 nein: 465 enthalten: 2 Ja SPD Marco Bülow Helga Kühn-Mengel DIE LINKE Jan van Aken Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Andrea Nahles Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Enthalten SPD Dr. Bärbel Kofler Dr. Hans-Joachim Schabedoth Nächste Rednerin ist jetzt Jutta Krellmann für die Linken. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Noch nie wurde so viel über die Fleisch-industrie geredet wie in den letzten Monaten und Jahren. Beispielsweise stand im April ein Artikel in der Frankfurter Rundschau mit der bezeichnenden Überschrift „Im Schweinesystem“. Es ging dabei vor allem um -Arbeitskräfte aus Osteuropa, Bulgarien und Rumänien, die in deutschen Schlachthöfen arbeiten. 60 Stunden schwere Arbeit pro Woche waren keine Seltenheit, und das für einen Hungerlohn von 4,76 Euro pro Stunde. -Davon gehen bis zu 300 Euro für ein Bett in einer überfüllten Bruchbude weg. Oft müssen noch Zwangsabgaben für den Transport zur Arbeit, das Werkzeug und die Arbeitskleidung gezahlt werden. Das sind nahezu ma-fiöse Strukturen – und das mitten in Deutschland. Urlaub gibt es nicht. Dafür gibt es bei Krankheit die Kündigung. Das ist pure Ausbeutung. Diese Zustände sind ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie erinnern an die schlimmen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie in Chicago im Jahre 1900, wie sie Upton Sinclair in seinem Roman Der Dschungel -beschrieben hat. Damals ging es um Einwanderer aus -Litauen. Heute geht es um Menschen aus Osteuropa, die in Deutschland arbeiten. Damals und heute ist das für die Arbeitgeber ein sehr lukratives Geschäft. Große Fleischproduzenten wie Tönnies in Niedersachsen und NRW verdienen sich auf dem Rücken der Arbeitnehmer dumm und dämlich. Sie können sich dadurch sogar teure Bundesligaklubs zu Werbezwecken leisten. Die Verantwortung für diese Ausbeutung tragen dabei nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch der Gesetzgeber. Politiker aller Regierungsparteien seit Rot-Grün haben den Arbeitsmarkt dereguliert und dafür gesorgt, dass Unternehmen heute leicht mit Leiharbeit oder Werkverträgen gesetzliche und tarifliche Standards unterlaufen können. Undurchsichtige Subunternehmerketten und Werkverträge sind gerade in der Fleischindustrie ein riesiges Problem. Es wird höchste Zeit, dass dagegen etwas unternommen wird. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ein Mindestlohn ist überfällig und ein Schritt zur -Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Die Linke ist für die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen, weil damit leichter Branchenmindestlöhne festgelegt werden können. Die Voraussetzung dafür muss aber sein, dass die Branchenmindestlöhne höher sind als der gesetzliche Mindestlohn. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Das ist beim Mindestlohn für die Fleischindustrie leider nicht der Fall. Es ist schon gesagt worden, dass er im nächsten Jahr für neun Monate niedriger sein wird als der gesetzliche Mindestlohn, der ab 1. Januar gelten soll. So geht das nicht. Ein Tarifvertrag muss bessere Bedingungen enthalten und nicht gesetzliche Regelungen unterbieten. Die -Arbeitgeber in der Fleischindustrie haben jahrelang -Tarifverträge verhindert und damit wirklich schlimme Arbeitsbedingungen geschaffen. Sie haben jede Möglichkeit und jedes Schlupfloch genutzt, das der Gesetzgeber ihnen ermöglicht hat. Die gleichen Arbeitgeber nutzen jetzt die Möglichkeit, den gesetzlichen Mindestlohn per Tarifvertrag bis Ende 2016 zu unterschreiten. Mir kann keiner erzählen, dass das der Wunsch der -Gewerkschaft NGG war. Es war die Situation, dass sie einen Tarifvertrag haben mussten und wollten. Am Ende mussten sie unterschreiben. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass die Beschäftigten in der Fleischindustrie im nächsten Jahr weniger als den gesetzlichen Mindestlohn erhalten; denn Sie -bieten den Arbeitgebern durch die Regelungen im Gesetzentwurf für den Mindestlohn ein neues Schlupfloch. Damit muss einfach Schluss sein. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Mast [SPD]) Streichen Sie die Ausnahmen im Gesetzentwurf für den allgemeinen Mindestlohn. Der gesetzliche Mindestlohn darf kein löchriger Flickenteppich werden. Er muss eine Schutzfunktion für alle Beschäftigten haben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Der Tarifvertrag der NGG gilt heute schon. Heute geht es um die Aufnahme der Fleischbranche in das -Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Beschäftigten werden ab dem 1. Juli im Verhältnis deutlich mehr Geld bekommen. Deshalb und damit die Branche überhaupt in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen wird, wird die Linke diesem Gesetzentwurf zustimmen; damit wird es auf den Weg gebracht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Donnerwetter!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der Debatte ist Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute beraten und beschließen wir das Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, mit dem die Fleischindustrie als weitere und damit 14. Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden soll. Dieses Änderungsgesetz ist der Beweis dafür, dass der Staat entschlossen gegen Missstände in unserem Land vorgeht. Denn was fanden wir vor? Medien berichteten über menschenunwürdige Bedingungen für Arbeitnehmer in der Fleischindustrie. Die Rede war von Dumpinglöhnen und miserablen Arbeitsbedingungen, die in keinster Weise zu tolerieren sind. Die Bevölkerung war zu Recht schockiert und empört. Karl Schiewerling schilderte die Gesamtsituation im Rahmen der ersten Lesung. Gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat man in der letzten Legislaturperiode nicht sofort gesetzliche Regelungen erlassen. Vielmehr hat man den -Arbeitgebern die Möglichkeit eröffnet, die Angelegenheit in Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern zu bereinigen. Andernfalls wären gesetzliche Regelungen die Folge gewesen. Die Arbeitgeber gründeten auf diesen Druck hin einen Arbeitgeberverband und traten mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in Tarifverhandlungen ein. Die erfreuliche Nachricht erfuhren wir dann am 13. Januar 2014: Die Tarifvertragsparteien hatten sich auf einen Tarifvertrag verständigt und einen bundes-einheitlichen Mindestlohn vereinbart. Bei Zustimmung zum hier vorliegenden Gesetzesentwurf gilt für die Fleischindustrie ab dem 1. Juli 2014 ein bundeseinheitlicher Mindestlohn von 7,75 Euro. Nach einer Anhebung des Mindestlohns zum 1. Dezember 2014 auf 8 Euro und -einer weiteren Anhebung zum 1. Oktober 2015 auf 8,60 Euro erreicht der Mindestlohn zum 1. Dezember 2016 einen Betrag von 8,75 Euro. Wohlgemerkt: Das gilt auch für die in Rede stehenden Werkverträge, was besonders hervorzuheben ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gabriele Groneberg [SPD]) Um jedoch eine bundesweite Wirkung des Tarif-vertrages zu erreichen, ist eine Aufnahme des Tarifvertrages in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zwingend -erforderlich. Auch wenn an den geregelten Lohnstufen Kritik geübt wird, so ist hier jedoch hervorzuheben, dass diese Mindestlöhne von den Tarifvertragsparteien -vereinbart worden sind. Auch wenn der Mindestlohn von 8,50 Euro, so wie er im Koalitionsvertrag vereinbart ist, nicht schon zum 1. Januar 2015 erreicht wird, sondern erst später, so ist doch hervorzuheben, dass es sich hier um eine tarifvertragliche Vereinbarung handelt. -Jeder, der dem hier vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmt, akzeptiert damit nicht die Vereinbarung der Tarifvertragsparteien und missachtet zudem den Grundsatz der Tarifautonomie. Da die Union die Vereinbarung der Tarifvertrags-parteien und ihren Wunsch auf Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz respektiert, werden wir dem -Gesetzentwurf zustimmen. Damit stimmen wir für die Beseitigung von unwürdigen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, für die Schaffung eines tarifvertraglichen Systems und damit für geordnete Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Tarifautonomie wird hierdurch ebenfalls gestärkt. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau!) Schließlich dient dieser Tarifvertrag auch dazu, einen fairen und funktionierenden Wettbewerb zu gewährleisten. Denn auch wenn die gesamte Branche und selbst die Landwirtschaft, die nun gar nichts mit den Missständen zu tun hatte und zu Unrecht damit in Zusammenhang -gebracht wurde, unter Generalverdacht gerieten, ist -festzuhalten, dass nicht in der gesamten Fleischbranche unwürdige Arbeitsbedingungen herrschten. Viele Unternehmer in dieser Branche zahlten ihren Mitarbeitern schon vorher vernünftige Löhne. Diejenigen, die das nicht taten, erlangten dadurch zu Unrecht einen Wettbewerbsvorteil. Das ist jetzt nicht mehr möglich. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der im Frühjahr 2013 eingeleitete Prozess kommt -somit zu seinem verdienten Erfolg und kann nun weiterentwickelt werden. Die Union hat sich hierfür massiv eingesetzt und damit maßgeblich dafür gesorgt, dass die Missstände in der Fleischindustrie beseitigt werden. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kann sich die CDU dafür einsetzen, dass es genügend Kontrollen gibt!) Wie gesagt: Die Union stimmt dem Antrag daher zu. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass wir den Änderungsanträgen ebenfalls zustimmen, die lediglich berichtigenden und klarstellenden Charakter haben. Abschließend sei Folgendes erwähnt: Die Stellungnahme des Bundesrates vom 11. April 2014 zum Gesetzentwurf ist insoweit interessant, als die Haftungsregelung für Unternehmer nach § 14 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes infrage gestellt wird. Hiernach haftet der Generalunternehmer verschuldensunabhängig für die Zahlung der Löhne des von ihm beauftragten Subunternehmers, wenn dieser die Löhne an seine Arbeitnehmer nicht gezahlt hat. Der Bundesrat weist nach meiner Auffassung zu Recht darauf hin, dass nach dieser Vorschrift die Gefahr besteht, dass ein redlicher Generalunternehmer, der seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem von ihm beauftragten Subunternehmer nachgekommen ist und den Subunternehmer sorgfältig ausgesucht hat, in die -Situation kommt, zweimal zahlen zu müssen, obwohl er sich vertragstreu und korrekt verhalten hat. Auch wenn die vom Bundesrat vorgeschlagene -Lösung der Schaffung eines Hilfsfonds zu Recht abzulehnen ist, da dies für Missbrauch durch unredliche -Unternehmer gegenüber den redlichen Unternehmern Tür und Tor öffnen würde, so ist es nach meiner Auffassung geboten, eine Lösung für diese Problemstellung zu erarbeiten. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Das Wort hat für Bündnis 90/Die Grünen Friedrich Ostendorff. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das dänische Fleischunternehmen Danish Crown bietet neuerdings Rundgänge in einem gläsernen Schlachthof in Horsens an, für Auszubildende, Studenten, gar für Schulklassen und Familien. Aus vier Metern Höhe kann jeder wirklich jeden Prozessschritt beobachten: das -Entladen und Treiben der Tiere, die Betäubung, das Entbluten, das Zerlegen und schließlich das Verpacken der fertigen Produkte. Alles wirkt sauber und hygienisch, doch selbst durch doppelglasige Fenster dringt oftmals ein unangenehmer warmer fleischiger Geruch zu den Interessierten. Die Arbeiterinnen und Arbeiter dort, wie auch in allen anderen Schlachthöfen, leisten harte Arbeit. Nicht nur die Arbeit an sich ist anstrengend und ermüdend. Auch durch die tägliche Konfrontation mit dem tausendfachen Töten von Tieren unterscheidet sich diese Tätigkeit doch sehr von anderen Berufen und trägt eine hohe emotionale Belastung in sich. Endlich ist nun nach langen Mühen auch für Arbeiterinnen und Arbeiter in deutschen Schlachthöfen ein -Mindestlohn vereinbart worden. Dieser wird nun in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz übernommen. Dieser erste Schritt ist und war lange überfällig und wird von uns schon lange gefordert; denn allzu oft ist die Realität in den Schlachthöfen: 13 Stunden Arbeit bei 4 Euro Stundenlohn. Das müssten wir endlich ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb unterstützten wir Grünen den Gesetzentwurf der Bundesregierung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Doch worauf es nun ankommt, meine Damen und Herren, ist die Umsetzung: Der Mindestlohn muss bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen. Entscheidend ist, dass sie ihren Lohn vor Ort auch erhalten. Denn in der Realität ist es so – Sie haben darauf -hingewiesen –, dass der Subunternehmer den Lohn erhält, bei dem die bulgarischen und rumänischen Arbeiterinnen und Arbeiter angestellt sind. Deshalb: Keine -profitorientierte Ausnutzung der Übergangsregelung! Kein Umschiffen des Mindestlohns durch den weiteren Missbrauch von Werkverträgen, Scheinverträgen oder was es alles gibt! Es kann nicht sein, dass länger angestellte Beschäftigte aus Rumänien oder Bulgarien zwar besser entlohnt werden, dass neu eingestellte Arbeiterinnen und Arbeiter jedoch wieder mit einem wesentlich geringeren Stundenlohn ausgebeutet werden, so geschehen in meinem Wahlkreis im Münsterland. Das ist menschenunwürdig und beschämend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung zugesagt, gesetzeswidrige Werkverträge zu verhindern. Sie erklären auch überall: Schluss mit Scheinselbstständigkeiten. Tun Sie endlich etwas, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist ein Anfang, ein guter Anfang sogar, doch er wird nicht ausreichen, um die Missstände im Niedriglohnsektor gänzlich zu beseitigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Für effektive Kontrollen braucht man mehr Personal. Herr Rützel, Sie haben richtigerweise selbst darauf hingewiesen. Sie sagten, dass 42 Stellen gebraucht werden. Ja, ich frage mich nur: Warum stehen sie nicht im Haushalt? Das bedarf noch viel Anstrengung. Wir fordern Sie ausdrücklich auf, nachzubessern und Geld für die entsprechenden Stellen im Haushalt bereitzustellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE]) Natürlich müssen auch die Kommunen endlich ihrer Pflicht nachkommen und den Zustand der Unterkünfte der Beschäftigten überwachen. Hier gibt es eklatante Missstände, zum Beispiel die Unterbringung in baufälligen Baracken. Die Kollegen und ich haben gesehen, dass vier Männer in kleinsten Zimmern mit zwei Betten leben. Das sind unwürdige Zustände. Diese Unterbringung ist völlig indiskutabel. Die Kommunen sind gefordert, endlich ihrer Pflicht nachzukommen. Wenn wir in -Europa so respektlos mit Menschen umgehen, wie können wir dann erwarten, dass diese Menschen in den Schlachthöfen respektvoll mit den Tieren umgehen? Profitgier ohne Rücksicht auf Verluste schadet den Menschen, sie schadet den Tieren, und sie schadet unserem Land, Deutschland, als einem Land, in dem gute Arbeit, wie wir es uns am 1. Mai erzählt haben, gut bezahlt wird. Lasst uns das endlich tun! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das dänische Unternehmen Danish Crown zeigt Selbstvertrauen. Ein gläserner Schlachthof demonstriert die Überzeugung, dass dort nichts passiert, was nicht gesehen werden darf. In Dänemark gibt es für die Schlachthofmitarbeiter Tarifverträge. Das erhöht die Schlachtkosten für Danish Crown um bis zu 100 Prozent gegenüber deutschen Unternehmen; Namen wurden hier gerade genannt. Das führt dazu, dass Danish Crown auch in Deutschland Schlachthöfe betreiben muss, weil in Deutschland eben ein niedrigerer Lohn bezahlt wird. Sind die deutschen Schlachthöfe auch so weit, dass dort nichts passiert, was nicht gesehen werden darf? Ich hoffe, wir kommen dahin. Lasst uns das gemeinsam in Angriff nehmen, damit wir auch unsere Schlachthöfe zeigen können, damit wir zeigen können, wie die Menschen dort arbeiten, damit wir auch die Unterbringung der Menschen, die aus anderen europäischen Ländern zu uns kommen und diese Arbeit verrichten, zeigen können und sagen können: Das ist menschenwürdig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Ostendorff. – Das Wort hat für die SPD-Fraktion Gabriele Groneberg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabriele Groneberg (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist für mich ein toller Tag; das muss ich sagen. Das Bohren dicker Bretter in Berlin hat sich wirklich mal gelohnt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Seit Jahren setze ich mich zusammen mit engagierten Menschen aus meiner Region und hier im Haus intensiv dafür ein, den Missbrauch von Werkverträgen in der Fleischindustrie aufzudecken und Maßnahmen zu entwickeln, um diesen menschenunwürdigen Umgang zu beenden. Lange hat es gedauert, aber heute ist es endlich so weit. Das ist ein guter Tag für die rund 100 000 Beschäftigten in der Fleischbranche, von denen allein 20 000 in Niedersachsen arbeiten. Bereits seit 2003 kämpfen wir gegen Lohndumping in der Fleischindustrie. Ich erinnere mich ganz besonders gut an eine Veranstaltung in meinem Wahlkreis 2005, die wir in der Hoffnung durchgeführt haben, eine schnelle Lösung dieses Problems hinzubekommen. Doch das war schwieriger, als wir gedacht haben. In der Folgezeit brachten Razzien und Kontrollen in unserer Region, aber natürlich auch bundesweit – wir stehen mit diesem Problem in dieser Republik ja nicht alleine da – unmenschliche und illegale Arbeitsbedingungen vor allem osteuropäischer Billiglöhner zutage. Worum geht es hier eigentlich? In einer wirtschaftlich starken Region, in unserem wirtschaftlich gut aufgestellten Land gibt es Menschen – das ist heute mehrfach erwähnt worden –, die mindestens 10 bis 15 Stunden täglich, sechs Tage die Woche, im Monat mindestens 26 Tage in der Fleischindustrie arbeiten. Sie schlachten, sie zerlegen, sie verpacken. Das alles tun sie für einen Stundenlohn von 3 bis 6 Euro; in großen Teilen sind es noch weniger. Krankheitstage und Urlaub werden nicht bezahlt. Die Menschen, die unter diesen Bedingungen arbeiten, kommen überwiegend aus Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Litauen. Sie werden mit falschen Versprechungen angeworben und in ehemaligen Geschäfts- und Wohnhäusern untergebracht, die auf dem normalen Markt gar nicht mehr vermietet werden können. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Sie leben dort mit vier bis fünf Personen in kleinen Räumen, es gibt ein Bad auf dem Flur für alle, und die hygienischen Verhältnisse sind jenseits aller Diskussionen. Für diese miesen Verhältnisse müssen sie Wuchermieten zahlen. Die Arbeit dieser Menschen wird so billig abgerechnet, dass es sich lohnt, Schweine aus Dänemark zur Schlachtung nach Deutschland zu bringen. Deutschland, ein Billiglohnland? Um es ganz klar zu sagen: Es geht hier um Missbrauch. Es geht um die fragwürdige Ausnutzung von Rechtsräumen, vor allen Dingen durch Subunternehmen mit oder ohne Wissen der Generalunternehmer, bis hin zu massiven Bedrohungen derjenigen, die diese Missstände anprangern und in der Vergangenheit klar benannt haben. Vor rund zwei Jahren ist bei uns in der Region der Knoten geplatzt. Es hat – so möchte ich es beschreiben – einen Aufstand der Anständigen gegeben, und es hat sich einiges getan. Ja, auch einige Unternehmen der Fleischbranche haben erkannt, dass diese Missstände gleichzeitig große Imageschäden für ihre Unternehmen bedeuten, und sie haben ein großes Interesse an Regelungen, die anständigen Unternehmen Wettbewerbsgleichheit sichern. Leih- und Werkvertragsarbeiter sowie aus dem europäischen Ausland stammende Beschäftigte aus Werkvertragsunternehmen müssen den gleichen Lohn wie die festangestellten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bekommen. Anständige Löhne für harte körperliche Arbeit! Mein besonderer Dank gilt Andrea Nahles. Sie hat 2008 meinen Wahlkreis besucht, und wir haben die Situation mit betroffenen Gewerkschaftern und vielen Interessierten ausführlich erläutert. Sie ist diejenige, die jetzt als zuständige Ministerin diesen Gesetzentwurf vorlegt. Wir gehen davon aus, dass es jetzt ordentliche Löhne in der Fleischindustrie und wirksame Sanktionen beim Missbrauch geben wird. Richtig, Kollege Ostendorff, wir müssen dafür sorgen, dass dieser Lohn in der Tat bei den Beschäftigten ankommt. Das ist ganz, ganz wichtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die SPD war hier treibende Kraft. Das ist sicherlich unstrittig. Wir haben das im Wahlkampf versprochen, und dies ist jetzt – der GroKo sei Dank – in der Umsetzung. Wenn alles nach Plan läuft, wird dieses Gesetz Ende Juni in Kraft treten. Lieber Kollege Schiewerling, damit sind wir endlich einmal auf einem gemeinsamen Nenner. Das freut mich ganz besonders. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Was heißt hier „endlich einmal“?) Wir haben weitere Gesetzentwürfe gegen den Missbrauch auf dem Arbeitsmarkt in der Beratung. Heute Morgen zum Beispiel hat unser Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir ein weiteres Schlupfloch für Unternehmen stopfen werden. Es darf nicht sein, dass Unternehmer über den Einsatz von Werkvertragsnehmern und Leiharbeitern die Möglichkeit haben, sich der Zahlung der EEG-Umlage zu entziehen. Wie ist denn das möglich? Letztendlich ist es in unserem Interesse, diese Umgehungstatbestände nicht mehr zu ermöglichen. Einige Unternehmer mit entsprechender krimineller Energie finden vielleicht trotzdem einen Weg. Holzauge sei wachsam, kann ich da nur sagen. Ich finde, es ist nach wie vor eine Schande, dass ein Land wie Deutschland, welches wirtschaftlich so gut dasteht, im Vergleich zu Nachbarländern ein Billiglohnland ist. Das müssen wir unbedingt ändern. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht es!) Ein wichtiger und richtiger Schritt ist Anfang Januar geschehen, als sich die Tarifvertragsparteien in der Fleisch-industrie auf einen Tarifvertrag geeinigt haben. Dieser wird den Mindestlohnstandard, den wir hier auch noch vereinbaren werden, erreichen. Selbst wenn es etwas später ist, ist das ein großer Fortschritt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin. Gabriele Groneberg (SPD): Ja, ich komme zum Schluss. Sehr geehrte Frau Präsidentin, gestatten Sie mir noch ein paar Sätze. Wenn man so lange an etwas gearbeitet hat, ist die Erleichterung so groß. Vizepräsidentin Claudia Roth: Es tut mir leid, aber das ist kein Argument. Gabriele Groneberg (SPD): Ich werde mich jetzt auf einen letzten Aspekt beschränken. – Strenge und regelmäßige Kontrollen durch Behörden der Zollverwaltung gehören natürlich dazu. Auch darauf ist hier schon eingegangen worden. Ich fasse zusammen: Versprochen und gehalten, das ist die Handschrift der SPD in dieser Koalition. (Beifall bei der SPD) Wir wollen keine Dumpinglöhne. Ich bin erleichtert und bitte alle Kolleginnen und Kollegen, heute gemeinschaftlich in diesem Haus diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Ohne uns gäbe es das nicht!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. Es gibt Irritationen, ob es jetzt doch einen gemeinsamen Nenner in der Großen Koalition gibt. Aber das kann ja der nächste Redner erklären. Ich rufe Albert Stegemann auf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Albert Stegemann (CDU/CSU): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein nicht ganz unbedeutender Fraktionsvorsitzender in diesem Hohen Hause wird immer wieder gerne mit folgenden Worten zitiert: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.“ (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war ein berühmter baden-württembergischer Philosoph! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach, ganz unbedeutend ist der!) Unter diesem Motto habe ich mich vor etwa drei Wochen auf den Weg gemacht und mit den Beamten der -Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamtes -Osnabrück an einer Kontrolle der Arbeitsverhältnisse in einem großen norddeutschen Schlachtunternehmen teilgenommen. Wissen Sie: Die dort gemachten Beobachtungen sind so zahlreich, dass fünf Minuten Redezeit einfach nicht ausreichen, um Ihnen diese Eindrücke auch nur ansatzweise zu schildern. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Fünf Minuten reichen nie!) Gestatten Sie mir deshalb das Arbeiten mit folgendem Bild: Wie wir alle wissen, hat jede Medaille zwei Seiten, redensartlich eine gute und eine schlechte. Es wirkten in der Vergangenheit unterschiedliche Einflüsse auf die Fleischbranche ein, die, wie bei einer Medaille eben auch, besagte Seiten mit sich bringen. Auf die einzelnen Einflüsse möchte ich im Folgenden eingehen. Einfluss Nummer eins: der Wert von Lebensmitteln. In kaum einem anderen Land der Welt ist es für Menschen so günstig, sich mit Lebensmitteln zu versorgen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten müssen wir einen immer geringeren Anteil des Einkommens für die Waren des täglichen Bedarfs ausgeben; das ist die gute Seite der Medaille. Auf der anderen Seite sorgen aber auch die preisbewussten Verbraucher für einen knallharten Wettbewerb im Handel, der weltweit ebenfalls seinesgleichen sucht. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) Discounter befördern die Suche nach immer neuen Schnäppchen, indem sie den Preisdruck an die Produzenten weitergeben. Dies hat den Kostendruck in der Fleischbranche befeuert. Einfluss Nummer zwei: wirtschaftliche Zwänge in einer globalisierten Welt. Kein Land auf dieser Welt hat von den offenen Märkten derart profitiert wie die Bundesrepublik Deutschland. Mit technischen Neuerungen sind Unternehmen Vorreiter, verkaufen erfolgreich ihre Produkte, sichern den hiesigen Wohlstand auch durch hohe Exporte. Wettbewerb ist allerdings nie nur einseitig. Der Transport spielt für die Warenpreise kaum mehr eine Rolle. So steht die Fleischbranche einer harten Konkurrenz von günstigen Fleischimporten aus aller Welt gegenüber. Also: Der Druck im Kostenkessel steigt und hat damit folgende Einflüsse voll durchschlagen lassen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das musst du jetzt aber nicht auch noch entschuldigen!) Einfluss Nummer drei: Maßnahmen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Kein Land in Europa ist so gut durch die Krise gekommen wie Deutschland. Das hat viel mit unserem flexiblen Arbeitsmarkt und dem partnerschaftlichen Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu tun. Die funktionierende Sozialpartnerschaft hat viele Menschen in Arbeit gebracht und gehalten. Nicht umsonst ist das Beschäftigungsniveau so hoch wie nie zuvor. Die Kehrseite gilt aber auch hier: Diese Partnerschaft, diese Erfolgsgeschichte endet dort, wo die flexiblen Arbeitsmarktinstrumente bis an die Grenzen des Vertretbaren ausgereizt werden. In der fleischverarbeitenden Industrie ist der Lohnkostenanteil in der Produktion sehr hoch. Deshalb hat es hier diese extremen Auswüchse gegeben. Vor diesem Hintergrund möchte ich mich herzlich bei der ehemaligen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen bedanken. Unter ihrer Führung hat es die letzte Regierung geschafft, die Tarifvertragsparteien an einen Tisch zu holen. Dies hat sicherlich auch mit dem politischen Druck unter anderem der Kirchen zu tun. Auch ihnen sei an dieser Stelle gedankt. (Beifall bei der CDU/CSU) Hier hat die Gesellschaft ihre Verantwortung wahrgenommen. Demokratie funktioniert also. Bleibt noch Einfluss Nummer vier, nämlich die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa. In der Europäischen Union gibt es keine Grenzen mehr. Dies bietet Chancen nicht nur für junge Menschen, obwohl gerade sie im Moment das Sinnbild für ein zusammenwachsendes Europa mit einem gemeinsamen Arbeitsmarkt sind. Die Suche nach einem Arbeitsplatz fernab von der eigenen Heimat verknüpfen sie mit vielen Hoffnungen. So weit die gute Seite der Medaille. Wir mussten in der Vergangenheit aber feststellen: Solche Hoffnungen wurden ausgenutzt. Einzelne Unternehmen sind vom Irrglauben ausgegangen, sich in einem rechtsfreien Raum nach Wildwestmanier bewegen zu können. Durch Werkverträge, die mit aus dem europäischen Ausland stammenden Vertragsfirmen abgeschlossen wurden, haben sie vorhandene Mindestlöhne umgangen. Einziges Ziel war es, die Lohnkosten zu senken. Dies war aber definitiv nie die originäre Intention der Arbeitnehmerfreizügigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Das jetzt zu beschließende Gesetz schiebt solchem Handeln einen Riegel vor. Durch die Aufnahme der Fleisch-industrie in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz gilt dann der bereits beschlossene Mindestlohn auch für aus dem Ausland entsandte Arbeitnehmer. Meine Damen, meine Herren, heute ist ein guter Tag für die Fleischbranche. Dieser Wirtschaftszweig ist viel gescholten. Ein ursprünglicher Grund liegt im knallharten Wettbewerb. Dieser hätte jedoch nie so weit führen dürfen, dass die Menschenwürde, wie in der Vergangenheit viel zu oft geschehen, dem Schlachtermesser zum Opfer fällt. Ich hoffe sehr, dass wir heute einen Beitrag dazu leisten, dass die Fleischbranche uns in der Zukunft, ab heute, die gute Seite der Medaille zeigt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. Jetzt würden wir natürlich alle sehr gern wissen, wer der nicht ganz unbedeutende Fraktionsvorsitzende ist; aber vielleicht kann uns Herr Kauder das ja sagen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sagen Sie es! Frau Roth, sagen Sie es doch bitte!) Nächster und letzter Redner in dieser Debatte: Tobias Zech für die CSU/CDU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen, die gekommen sind, um sich an der Abstimmung zu beteiligen, bitten, sich an dieser Debatte zuhörend zu beteiligen. Es lohnt sich nämlich wirklich sehr. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt sowieso: bei Herrn Zech!) Bitte, Herr Zech. Tobias Zech (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Heute ist ein guter Tag …“, so begannen Anfang April fast alle Reden, die in der ersten Lesung über die Aufnahme der Fleischindustrie in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz gehalten wurden. In der Tat: Heute ist ein guter Tag. Es geht heute für manche Arbeitnehmer in der Fleisch-industrie sprichwörtlich um die Wurscht. Aber es geht nicht nur um heute, es geht auch um die Umsetzung des Gesetzes, das heute beschlossen werden soll, es geht darum, dass wir aus einem guten Tag eine noch bessere Zukunft machen. Lassen Sie mich daher einen positiven Blick in die Zukunft richten. Die Erfahrungen mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz sind gut: Die Branchenmindestlöhne haben nicht nur zu Beschäftigungsgewinnen geführt, sondern auch zu mehr Fairness im Wettbewerb der Unternehmen beigetragen. Diese Vorteile kommen nun auch endlich bei den Arbeitnehmern in der Fleischindustrie an. Dabei geht es zum einen darum, den Arbeitnehmern einen gerechten Lohn zu garantieren. Ein angemessener Lohn für die harte körperliche Arbeit ist das absolute Minimum. Es müssen aber auch alle anderen Umstände gewährleistet werden, um den Menschen ein Leben und ein Arbeiten in Würde zu ermöglichen. Nur wenn auch die äußeren Rahmenbedingungen stimmen, kann man diese körperlich harte Arbeit bewältigen und hygienische Umstände für Mensch und Tier und für die Produkte garantieren. Daher geht es auch um bezahlte Überstunden, um Urlaub, Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz sowie last, but not least Nichtdiskriminierungsbestimmungen. Eine Branche mit über 170 000 Arbeitnehmern soll nun davon profitieren dürfen. Für viele Arbeitgeber ist die Gewährleistung solcher Rahmenbedingungen eine Selbstverständlichkeit. Im Hinblick auf diejenigen, für die sie es bisher nicht waren, ist es unsere Aufgabe, sie zu einer Selbstverständlichkeit zu machen. Dieser Industrie wird somit ein Rechtsrahmen gesetzt werden, der für einen fairen Wettbewerb sorgen kann, national wie international. National, weil wir nicht vergessen dürfen: Wir sind hier das gesetzgebende Organ. Es gab immer wieder Rechtsstreite, in denen auf Werkvertragsbasis ausgebeutete Beschäftigte erfolgreich eine Festanstellung eingeklagt haben. Sie konnten nachweisen, dass es sich um Scheinwerkverträge handelte. Es darf aber nicht Aufgabe der Gerichte sein, durch Rechtsprechung Gesetze zu schaffen, wo wir keine Ordnung hergestellt haben. Zudem beschreiten zu wenige den Weg der Gerichtsbarkeit und müssen folglich mit den katastrophalen Umständen leben, gerade bei den schwarzen Schafen, die es wie in allen Industriezweigen auch in der Fleischindus-trie gibt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir diesen Schritt gehen und diesen Menschen nun einen deutlich besseren Schutz bieten – präventiv und nicht lediglich erst im Vollzug. Aber auch international ist dieser Schritt wichtig, da nur bei entsprechendem Schutz aller europäischen Arbeitnehmer die Vision der Arbeitnehmerfreizügigkeit weiter verfolgt werden kann. Damit garantieren wir -einen guten Standard an Arbeitnehmerrechten und erweitern so die Möglichkeiten für freie Arbeitnehmerwanderung und -zuwanderung und Wechsel innerhalb der Europäischen Union. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) In der Umsetzung bestehen zwei essenzielle Schwerpunkte. Zum einen – das haben wir heute schon mehrmals diskutiert – geht es um die Kontrolle. Es bringt kein noch so guter Wille etwas, wenn es an der Umsetzung und an der Kontrolle scheitert. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss an der entsprechenden Stelle im Haushalt etwas eingestellt werden!) Mit der Aufnahme der Arbeitnehmer in der Fleisch-industrie ist unsere Arbeit also nicht getan, sondern wir müssen die Aufsichtsbehörden tatkräftig unterstützen und alle Möglichkeiten der Kontrollen ermöglichen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Neue Stellen!) Erst wenn diese einen effektiven Druck auf die Arbeitgeber ausüben können, erfüllt das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auch seine Zwecke. Zum anderen geht es um die Generalunternehmerhaftung nach § 14 Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Dazu sei zunächst gesagt, dass diese nicht neu ist und mit der Aufnahme der Fleischindustrie auch nicht geändert wird. Zudem ist diese Regelung verfassungskonform und konform mit dem Europarecht. Wir können diese Problematik nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer austragen, die wir gerade schützen wollen. Damit würden wir Gefahr laufen, neue Lücken aufzureißen, die zu erneutem Missbrauch führen könnten. Es liegt in der Macht des Unternehmens und der Unternehmer, sich die Subunternehmen aussuchen zu können und dabei auf Zuverlässigkeit und entsprechende Mindestmaßstäbe zu achten. Die Unternehmen haben dabei mehr Möglichkeiten der Kontrolle als die Arbeitnehmer, und diese Kontrolle soll gerade genutzt werden, um Subunternehmer genauer unter die Lupe zu nehmen. Nur so können die schwarzen Schafe vom Markt verdrängt werden, die Arbeitnehmer mit falschen Versprechungen locken und ausbeuten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dennoch verstehe ich die Bedenken der Unternehmen, die Doppelzahlungen befürchten, ohne sich vollständig absichern zu können. Die Einführung eines Hilfsfonds erachte ich jedoch nicht für sinnvoll. Dieser würde zu einer höheren Belastung für die Gemeinschaft und zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand führen. Vor allem aber würden damit auch diejenigen Unternehmen zur Kasse gebeten werden, die zuverlässige Nachunternehmer gewissenhaft auswählen und sich somit schützen, und gerade das ist ja auch das Ziel des Gesetzes. Dennoch sollten gerade die Konstellation des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses näher beleuchtet und weitere Lösungsvorschläge bedacht werden. Diese Thematik werden wir insbesondere auch im Zusammenhang mit § 13 des Mindestlohngesetzes noch genauer betrachten müssen. Nichtsdestotrotz ist heute ein guter Tag für die Arbeitnehmer in der fleischverarbeitenden Industrie. Wir treffen heute eine gute und zukunftsfähige Entscheidung. Wir sollten aber auch weiterhin weitere Branchen sensibel und aufmerksam im Blick behalten und diesen Schutz gegebenenfalls ausweiten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Zech. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Super!) Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1359, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/910 und 18/1283 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfes die absolute Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages – das sind 316 Stimmen – erforderlich. Wir stimmen nun namentlich über den Gesetzentwurf ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Kann mir irgendjemand ein Zeichen geben, ob alle Urnen besetzt sind? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über den Gesetzentwurf. Ich frage, ob ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wie immer wird Ihnen das Ergebnis später bekannt gegeben.3 Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die nicht an der Debatte teilnehmen wollen, sich entweder zu setzen und zuzuhören oder den Raum zu verlassen. Das gilt für alle Seiten des Hauses. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Abschaffung der Zwangsverrentung von SGB-II-Leistungsberechtigten Drucksache 18/589 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Interfraktionell sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Es gibt keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Matthias Birkwald beginnt für die Linke die Debatte. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hartz IV ist und bleibt Armut per Gesetz. Das gilt für alle Langzeitarbeitslosen, aber ganz besonders für die älteren Arbeitslosen, die unbedingt arbeiten wollen, denen aber niemand mehr einen Job gibt. Warum? § 12 a im Sozialgesetzbuch II verpflichtet die Jobcenter, Hartz-IV-Beziehende ab ihrem 63. Geburtstag in eine vorgezogene Altersrente zu schicken, auch wenn diese mit horrenden Abschlägen verbunden ist, und zwar gegen den Willen der Betroffenen. Das darf nicht sein. Darum sagt die Linke: Die Zwangsverrentungen müssen abgeschafft werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viele Menschen rufen wegen der Zwangsverrentung in meinem Büro an. Sie sind wütend, komplett verunsichert oder einfach nur enttäuscht. Ich schildere Ihnen das Beispiel einer Betroffenen, einer Verkäuferin aus Frankfurt. Sie wurde vor drei Jahren entlassen und ist am Ende ihres Erwerbslebens in Hartz IV gerutscht. Im August wird sie 63 Jahre alt, und sie hat stolze 44 Beitragsjahre vorzuweisen. Sie sieht im Fernsehen die Berichte über die abschlagsfreie Rente ab 63, und sie hört, wie die CDU/CSU und die Arbeitgeber vor Frühverrentungen warnen. Sie will aber arbeiten. Nun hat sie vom Jobcenter einen Brief bekommen. Kein Arbeitsangebot, nein: Sie soll im August die vorgezogene Altersrente mit Abschlägen beantragen. Wenn sie das nicht tut, dann stellt das Jobcenter den Rentenantrag für sie, auch gegen ihren Willen. Dem Jobcenter ist es dabei völlig egal, wie hoch oder wie niedrig ihre Rente sein wird. Meine Damen und Herren, versetzen Sie sich bitte einmal in die Lage der erwerbslosen Verkäuferin aus Frankfurt. Sie versteht die Welt nicht mehr. Sie dachte zu Recht: Ob und wann ich einen Rentenantrag stelle, kann ich doch wohl selbst entscheiden. – Von wegen: Das darf sie seit 2008 nach dem Willen von CDU/CSU und SPD nicht. Das ist ein massiver und unverschämter Eingriff in die Freiheitsrechte. Damit muss endlich Schluss sein. Die Zwangsverrentung muss unbedingt abgeschafft werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was heißt die Zwangsrente für die arbeitslose Frankfurterin? Das heißt, dass ihre Rente bis zu ihrem Lebensende um 8,7 Prozent Abschläge gekürzt werden wird. Bei ihrer Rente von 900 Euro im Monat sind das fast 80 Euro jeden Monat. Sie hofft jetzt darauf, wieder einen Job zu finden. Doch das Jobcenter unterstützt sie dabei schon lange nicht mehr und hat sie aus der Arbeitslosenstatistik gestrichen. Das übrigens zum Thema geschönte Statistik. Das alles ist unerträglich. Es hat nichts, aber auch rein gar nichts mit der Lebensleistung dieser Frau zu tun. Deshalb sage ich: Die Zwangsverrentung muss beendet werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber es kommt noch schlimmer. Schwarz-Rot sind nämlich 8,7 Prozent Abschläge noch nicht genug. Im Gesetz ist nämlich eingebaut, dass die Kürzungen von Jahrgang zu Jahrgang drastischer werden. Wer das Pech hat, 1964 oder später geboren worden zu sein, bekommt dann ab 2027 die Rente um sage und schreibe 14,4 Prozent gekürzt. Das wären bei 900 Euro Rentenanspruch 130 Euro. Am allerschlimmsten trifft es jene Hartz-IV-Betroffenen, die durch die Abschläge nur auf eine Minirente kommen. Sie werden nämlich bis zu ihrem offiziellen Renteneintrittsalter auf Sozialhilfe angewiesen sein. Erst danach können sie die Grundsicherung im Alter beantragen. Sozialhilfe bedeutet im Unterschied zur Grundsicherung: Es gibt keinen Cent, bis der Spargroschen bis auf 2 600 Euro aufgebraucht ist. Dann gibt es ein bisschen Geld, und dieses bisschen Geld holt sich der Staat bei den Kindern wieder. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, ich bin sehr gespannt, wie Sie das alles gleich in Ihren Reden rechtfertigen werden. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben die entwürdigende Zwangsverrentung im Jahr 2008 eingeführt. Wir Linken haben Sie gefragt, wie viele Menschen davon aktuell betroffen sind. Die Bundesregierung hat uns geantwortet. Was hat sie gesagt? Sie hat geantwortet: Wir wissen es nicht. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Sie schicken die Menschen in die Zwangsrente und wissen nicht einmal, wie viele Horrorbriefe die Jobcenter jeden Tag verschicken. Das darf doch alles nicht wahr sein! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nach unseren Schätzungen sind in diesem Jahr circa 65 000 ältere Hartz-IV-Betroffene von der Zwangsverrentung bedroht. Wir empfehlen allen Betroffenen: Legen Sie Widerspruch ein, und beantragen Sie gleichzeitig beim Sozialgericht die aufschiebende Wirkung für Ihren Widerspruch; denn je länger Sie das Verfahren verzögern, desto geringer sind später Ihre Abschläge. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, einerseits schicken Sie Erwerbslose in die Zwangsrente, und andererseits verwehren Sie diesen Menschen den Zugang zu Ihrer neuen abschlagsfreien Rente ab 63 bzw. 65; denn für diese soll ja nur der Bezug von Arbeitslosengeld I bei der Berechnung der 45 Jahre zählen, Hartz-IV-Zeiten aber nicht. Das ist ungerecht. Wenn Hartz-IV-Zeiten mitzählten, dann könnte unsere Frankfurterin im August abschlagsfrei in Rente gehen. Ich frage noch einmal hier im Plenum: Was unterscheidet eine Verkäuferin, die einmal vier Jahre am Stück arbeitslos war, von einem Gerüstbauer, der viermal ein Jahr arbeitslos war? Ich sage: Die haben doch dieselbe Lebensleistung, oder etwa nicht? (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Denken Sie an Ihre Redezeit. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Also, liebe Bundesregierung, schaffen Sie die Zwangsverrentung sofort ab, und zwar ein für alle Mal! Das fordern alle Erwerbsloseninitiativen. Das fordert die Linke. Das fordern auch der DGB, die Sozialverbände, der Deutsche Städte- und Gemeindetag sowie der Deutsche Landkreistag. Vizepräsidentin Claudia Roth: Und ich fordere Sie auf, zum Ende Ihrer Rede zu kommen. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ja, Frau Präsidentin, ich komme sofort zum letzten Satz. – Hören Sie im Interesse der Betroffenen auf diesen guten Ratschlag! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Liebe Kolleginnen und Kollegen, das passiert nicht so oft, ist aber, glaube ich, ein gutes Signal. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des ArbeitnehmerEntsendegesetzes bekannt: abgegebene Stimmen 577. Mit Ja haben gestimmt 577 Kolleginnen und Kollegen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 577; davon ja: 577 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Andrea Nahles Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özo?uz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Matthias W. Birkwald Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms (Beifall im ganzen Hause) Das ist nicht nur ein guter Tag für die Fleischindustrie, wie manche gesagt haben, oder für die Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auch für das Parlament, das in dieser Frage eine solche Mehrheit zustande gebracht hat. Vielen Dank. Nächste Rednerin in der laufenden Debatte ist Christel Voßbeck-Kayser für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun darf ich hier und heute zum zweiten Mal zu Ihnen sprechen, wieder zu einem Antrag der Fraktion Die Linke. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind fleißig!) – Ich auch. – Heute Mittag war es das soziale Europa, das es zu verteidigen galt. Nun ist es das soziale Deutschland, das es zu retten gilt. Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, Ihre Anträge haben einzig und allein ein Ziel: sich hier vor der Europawahl wichtig zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben den Antrag schon vor drei Monaten gestellt!) Eigentlich sind wir uns doch einig darüber, dass in unserem deutschen Sozialstaat das Prinzip der Solidarität und der Subsidiarität gilt. Zwei Punkte möchte ich dazu festhalten. Erstens. Unsere Sozialgesetzgebung unterliegt dem Prinzip des Förderns und des Forderns. Zweitens. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist ein nachrangiges Fürsorgesystem. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Regelung des SGB II, über die wir nun sprechen, gilt seit dem 1. Januar 2005 und wurde bis heute mehrfach überarbeitet und angepasst. Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, ich bin neu hier in diesem Hause. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das merkt man auch!) Aber ich weiß trotzdem, dass an der Vereinfachung von Rechtsvorschriften im SGB II bereits seit der letzten Legislaturperiode eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe arbeitet. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Da schau her!) Die Akteure, die hier neben Bund und Ländern tätig sind, sind die Bundesagentur für Arbeit, die kommunalen Spitzenverbände sowie der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge. Zusätzlich gehören Vertreter des Bundessozialgerichts und weitere Experten aus Wissenschaft und Praxis dazu. Diese Arbeitsgruppe arbeitet auf rein fachlicher Basis. Für mich ist das so, als wenn Sie, Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, mit Ihrem Antrag die laufende Arbeit dieser Bund-Länder-Arbeitsgruppe torpedieren. Sie versagen in meinen Augen damit den Beteiligten dieser Gruppe Anerkennung und Wertschätzung für ihre Tätigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir geben gute Anregungen! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es geht doch um etwas ganz anderes! Reden Sie doch mal zum Thema!) Ich glaube, uns allen hier ist bewusst, dass unser Leben einem stetigen Prozess gesellschaftlicher Veränderungen unterliegt. Die demografische Entwicklung und die Einführung neuer Technologien gehen einher mit Veränderungen in der Arbeitswelt und in unseren Lebenswirklichkeiten. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und am 24. kommt der Weihnachtsmann!) Deshalb müssen und werden wir darüber nachdenken, wie wir diese Strukturen neu gestalten und anpassen, damit sie den zukünftigen Anforderungen gerecht werden können. (Beifall des Abg. Markus Paschke [SPD]) Zum politischen Selbstverständnis meiner Partei gehört es, sich für die Belange von sozial Schwachen und sozial Benachteiligten einzusetzen. Deshalb nehmen wir die Diskussionsbeiträge und die Anregungen dieser Bund-Länder-Gruppe sehr ernst. Ich darf Ihnen hier eines versichern: Unser Ansatz ist es, Lösungen zu erarbeiten, die von einer breiten Mehrheit getragen werden. Ich kann Ihnen weiter versichern, dass diese Koalition, CDU, CSU und SPD, stark genug ist, um Sachverhalte wie diesen mit dem richtigen Augenmerk zu klären. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da sind wir gespannt!) Die CDU gilt – auch das darf ich Ihnen versichern – in ihrer Arbeitsweise als sorgfältig. Wir erlauben uns bei einem so wichtigen Thema keine Schnellschüsse. Wir wägen die verschiedenen Gesichtspunkte sorgfältig ab. Deshalb kann ich nur sagen: Diesen Antrag lehnen wir hier und heute ab. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich habe vor lauter Freude über die Einstimmigkeit bei der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes einen formalen Akt vergessen. Also: Zur Annahme des Gesetzentwurfs ist gemäß Artikel 87 Absatz 3 Grundgesetz die absolute Mehrheit – das sind 316 Ja-Stimmen – erforderlich. Der Gesetzentwurf hat die erforderliche Mehrheit erreicht und ist damit angenommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Nächster Redner: Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Geschichte des Sozialgesetzbuchs II ab 2006, also ab der vergangenen Großen Koalition bis heute, ist leider auch eine Geschichte fortgesetzter Diskriminierung. Es ist eine Geschichte der Diskriminierung von Leistungsbeziehenden in verschiedenen Bereichen: So hat Schwarz-Gelb in der vergangenen Legislaturperiode zum Beispiel beim Thema Regelsatz mal eben beschlossen, dass Ausgaben von Arbeitslosengeld-II-Beziehenden für Alkohol nicht vorzukommen haben. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt doch wieder nicht!) Eine weitere Diskriminierung bedeutet die Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets als Sachleistung wegen der Unterstellung, dass Eltern das Geld eher vertrinken und verrauchen, als es bei ihren Kindern ankommen zu lassen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das haben die Grünen unterstellt!) Eine Diskriminierung gibt es auch jetzt bei der Einführung der abschlagsfreien Rente mit 63, bei der Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit nicht angerechnet werden. Eine weitere Diskriminierung erfolgt bei den Rentenansprüchen. Wir erinnern uns: Im Jahr 2007 hat die damalige Große Koalition die Rentenansprüche für SGB-II-Beziehende locker um die Hälfte mit der Begründung gekürzt, sie seien ohnehin so niedrig. Dann hat Schwarz-Gelb nachgesetzt und das Ganze auf null gebracht. Das ist der Hintergrund, vor dem wir die ebenfalls 2007 von der damaligen Großen Koalition eingeführte Zwangsrente bewerten müssen. Der Bezug von Arbeitslosengeld II bedeutet mit Blick auf die Rentenanwartschaften wegen der jetzt gar nicht mehr gezahlten Beiträge ohnehin schon einen erheblichen Einbruch und in den meisten Fällen ein erhebliches Absenken der zu erwartenden Rente. In dieser Situation kommt nun zusätzlich die vom Kollegen Birkwald zutreffend und mit dem Beispiel, wie ich finde, auch eindrucksvoll beschriebene Zwangsverrentung, die dazu führen kann, dass die Person im Alter von 63 in die Sozialhilfe rutscht. Ich finde, dieser Aspekt ist in dem vorliegenden Antrag gut herausgearbeitet worden. Es wird gezeigt, was das für die geschützten Vermögenswerte und damit für die Altersvorsorge bedeutet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit der Einführung des Sozialgesetzbuches II wurden besondere Schonbeträge für die private Altersvorsorge, für Lebensversicherungen eingeführt, für die Riester-Rente sowieso. Diese Beträge müssen vom 63. bis zum 67. Lebensjahr eingesetzt werden. Das heißt, der vom Gesetzgeber damit ursprünglich verbundene Sinn wird hier ad absurdum geführt, und das ist ein Skandal. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich kann Sie wirklich nur auffordern, diese 2007 getroffene diskriminierende Regelung endlich abzuschaffen und auch die anderen diskriminierenden Punkte im Sozialgesetzbuch II anzugehen. Ich habe eben vergessen, aufzuzählen, dass auch beim Rechtsschutz Diskriminierung vorhanden ist. In allen anderen Bereichen der Sozialversicherung gilt, wenn Bescheide fehlerhaft sind und von einem Gericht aufgehoben worden sind, eine Rückwirkung von vier Jahren; für vier Jahre müssen die zu Unrecht vorenthaltenen Leistungen nachgezahlt werden. Beim SGB II haben Sie – das war auch Schwarz-Gelb – diese Rückwirkungsfrist einfach mal auf ein Jahr verkürzt. Ich finde in der Gesamtschau – davon ist die Zwangsverrentung ein Bestandteil –: Hier werden sozialleistungsbeziehende Menschen von Ihnen tatsächlich zu Menschen zweiter Klasse gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das sollten Sie jetzt wirklich nicht fortsetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich frage mich auch, wie das mit der von Ihnen geplanten sogenannten abschlagsfreien Rente mit 63 und mit dem zumindest verbal vor sich hergetragenen Credo zusammenpasst, dass man die Menschen länger im Arbeitsleben halten will. Fakt ist doch, dass man noch nicht einmal ab dem 63., sondern schon ab dem 60. Lebensjahr oder mit Ende 50 vom Jobcenter im Grunde genommen keine wirklich tragfähigen Angebote mehr erhält, um in den ersten Arbeitsmarkt zurückzufinden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) Man darf an dieser Stelle nicht kürzen, sondern man muss investieren, auch in ältere Beschäftigte, um Akzeptanz und Vertrauen herzustellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vor diesem Hintergrund ist dieser Antrag, der sich, wie ich finde, im Unterschied zu manchen anderen Anträgen der Fraktion Die Linke argumentativ sehr klar auf diesen Sachverhalt konzentriert – das ist wohltuend –, einer, den wir im Ausschuss wirklich gründlich erörtern sollten. Sie sollten – egal von welcher Fraktion der Antrag nun kommt – wirklich noch einmal in sich gehen, damit wir diese Praxis endlich beenden können. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Markus Kurth. – Nächster Redner in der Debatte: Markus Paschke für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Markus Paschke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wesentliche, das, was hängen bleibt, ist bekanntlich der Anfang und das Ende einer Rede. Deswegen lassen Sie mich gleich zu Beginn festhalten: Menschen vorzeitig in Rente zu schicken, widerspricht klar den Zielen dieser Bundesregierung, wie Sie aus vielen Beiträgen der CDU, der CSU und der SPD wissen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Im Gegenteil: Wir wollen, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genauso ihre Chance auf dem Arbeitsmarkt haben wie die jüngeren Kolleginnen und Kollegen; das ist das Ziel der Bundesregierung. Dafür ist es notwendig, dass wir in den Betrieben Voraussetzungen für altersgerechte Arbeitsplätze schaffen. Dafür ist es aber auch notwendig, dass die Arbeitgeber nicht nur über den Mangel an Fachkräften reden; vielmehr müssen sie den erfahrenen Fachkräften auch wirklich eine Chance geben, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da können wir auch klatschen!) auch wenn sie Ende 50, Anfang 60 sind. Es ist in den letzten Jahren schon einiges in Bewegung geraten; aber die Zahlen zeigen: Da ist noch viel Luft nach oben. Hier sind die Arbeitgeber klar in der Verantwortung. Ältere Arbeitnehmer sind keine Bürde und auch keine unternehmerische Belastung. Im Gegenteil, mit ihrer Erfahrung sind sie ein Gewinn für das Unternehmen. Wir brauchen endlich ein Umdenken in unserer Gesellschaft, (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) ein Umdenken dahin, dass man die Leistungsfähigkeit nicht am Alter festmacht, sondern den Menschen mit seinen individuellen Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellt. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Die Beschäftigungssituation älterer Menschen ist nach wie vor unbefriedigend; denn weniger als ein Drittel der 60- bis 65-Jährigen geht einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. An dieser Stelle sollten wir uns vielleicht noch einmal klarmachen: Über wen reden wir hier? Wir reden über ganz viele unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Lebensläufen. Wir reden auf der einen Seite über ältere Arbeitnehmer, die vielleicht 30 oder 35 Jahre in einem Betrieb gearbeitet haben und dann mit Ende 50 durch eine Insolvenz unverschuldet arbeitslos wurden. Häufig sind das Fachkräfte, die allein aufgrund ihres Alters oder weil sie in einer Branche gearbeitet haben, die überproportional stark vom Strukturwandel betroffen war, keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt erhalten haben. Spätestens nach 24 Monaten erhielten sie dann Arbeitslosengeld II. Viele von ihnen haben sich einen Rentenanspruch erarbeitet, der über der Grundsicherung liegt, wenn sie die Rente ohne Abschläge beziehen können. Es gibt aber auf der anderen Seite auch Menschen, für die es keine finanziellen Nachteile bringt, wenn sie vorzeitig in Rente gehen. Ich kenne mehrere Betroffene, die aufgrund von Krankheit, Unfällen oder anderen einschneidenden Lebensereignissen unregelmäßige Erwerbsbiografien hatten oder die mit niedrigsten Löhnen vorliebnehmen mussten. Deren Rente wird sie niemals unabhängig von der Grundsicherung im Alter machen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann ist es okay, die Rente zu kürzen?) Viele von ihnen sind froh, wenn sie sich nicht mehr den Regeln der Jobcenter unterwerfen müssen und in Rente gehen können. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freiwillig ist das kein Problem! Es geht hier um Zwang!) Ich habe den Kontakt zu den Menschen, und ich rede ständig mit den Menschen. Deswegen kann ich Ihnen sagen: Auch das und nicht nur die Variante, die Sie, Herr Birkwald, beschrieben haben, wird an mich herangetragen. Aber neben den beiden Beispielen, die ich gebracht habe, gibt es – dazwischen, rechts und links, oben und unten – ganz viele andere Einzelschicksale. Was wir nicht wollen, ist, eine Ungerechtigkeit zu beseitigen und neue Ungerechtigkeiten zu schaffen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche neuen Ungerechtigkeiten werden geschaffen?) Deshalb ist Eile, wie in Ihrem Antrag gefordert, nach meiner Ansicht völlig fehl am Platze. Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Anmerkungen zu dem vorliegenden Antrag machen. Seit Anfang 2008 – das haben Sie richtig festgestellt – können Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Bezieher, die das 63. Lebensjahr erreicht haben, vom Jobcenter aufgefordert werden, einen Rentenantrag zu stellen. Tun sie dies trotz mehrfacher Aufforderung nicht, so ist das Jobcenter berechtigt, den Antrag selbst zu stellen. – Bis hierhin fasst Ihr Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, den Sachstand nach § 12 a SGB II korrekt zusammen. Allerdings verschweigen Sie in diesem Zusammenhang auch Maßgebliches. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist ein sogenanntes nachrangiges Fürsorgesystem. Hilfe bekommt, wer hilfebedürftig ist. Das ist, glaube ich, vom Grundsatz her auch richtig. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend selbst sichern kann. Zur Sicherung des Lebensunterhalts werden daher vorrangig eigenes Einkommen oder Vermögen herangezogen. Das beinhaltet grundsätzlich natürlich die Verpflichtung, mögliches Einkommen auch zu erzielen. Dazu gehören Versicherungsleistungen wie zum Beispiel die Rente. – Das ist erst einmal der Grundsatz. Meine Damen und Herren, Sie wissen: Von jedem Grundsatz gibt es Ausnahmen. Es gibt auch Ausnahmen vom Grundsatz der Nachrangigkeit dieser Fürsorgeleistung. In § 12 a steht noch viel mehr, und das verschweigen Sie in Ihrem Antrag leider auch. Die Ausnahmen lauten, erstens, dass niemand vor dem 63. Lebensjahr gezwungen werden kann, vorzeitig Rente zu beantragen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich habe nichts anderes behauptet!) zweitens, dass auch derjenige, der arbeitet und aufstockende Leistungen bezieht, keine Rente beantragen muss. (Zuruf von der LINKEN: Das wäre noch schöner!) Drittens gilt das auch für diejenigen, die innerhalb der nächsten Monate eine abschlagsfreie Rente beziehen können. Auch die werden nicht aufgefordert, vorzeitig Rente zu beantragen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht die Sache nicht besser! Das macht es eher schlimmer!) Viertens. Auch diejenigen, die glaubhaft machen können, dass sie demnächst ein Beschäftigungsverhältnis aufnehmen, müssen nicht in Rente gehen. Das alles relativiert die Zahl 65 000, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viele sind es denn?) die Sie genannt haben und die ich aus meiner Erfahrung – ich war Mitglied im Beirat eines Jobcenters – auch grundsätzlich bezweifle; denn so viele Fälle dieser Art gab es da nicht. In den meisten Fällen – so kenne ich das aus dem Jobcenter, bei dem ich im Beirat war – erfolgten diese Aufforderungen nach Absprache mit den Betroffenen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viele sind es denn? Sagen Sie es mir! Ich lerne gerne!) Diese Ausnahmen – das sage ich auch – stellen zum Teil sicher, dass keine wahllose und unzumutbare Verschiebung von einer Sozialleistung in die andere stattfindet. Ich sage ganz bewusst: zum Teil. Denn natürlich muss man an dieser Stelle – da haben Sie recht – genau hinschauen. Derzeit wird bei den Aufforderungen der Jobcenter, Rente zu beantragen, zum Beispiel nicht die Höhe des Rentenanspruchs – die Höhe der Abzüge – berücksichtigt, der dadurch entstehen würde. Auch persönliche Lebenslagen bleiben unberücksichtigt. Das alles kann zur Folge haben, dass Betroffene aufgrund der Rentenabschläge bei vorzeitigem Rentenbezug dauerhaft auf Fürsorgeleistungen angewiesen sind. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist wirklich ein Problem. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn es ist weder im Sinne der Betroffenen noch im Sinne des Staates, wenn hier eine Bedürftigkeit neu geschaffen wird – und diese dann auch noch im wahrsten Sinne des Wortes lebenslang. Bis zum Erreichen der Altersgrenze – das haben Sie richtig dargestellt – bestünde Anspruch auf Sozialhilfe und danach auf Grundsicherung im Alter. Diese Gefahr gilt es zu bannen. Ich glaube, wir sind uns in der Regierungskoalition einig, dass wir da konstruktiv an Lösungen arbeiten werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier muss mit Augenmaß und Präzision gearbeitet werden. Wir wollen nicht – ich sagte es bereits – eine Ungerechtigkeit beseitigen und zehn neue schaffen. Es gibt viele Dinge, die in diesem Zusammenhang abzuwägen sind. Viele unterschiedliche Lebensverläufe sind zu berücksichtigen. Aber das Ziel ist klar: Wir wollen, dass möglichst wenige Menschen von Transferleistungen abhängig sind. Das ist im Interesse der betroffenen Menschen, und das ist auch im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sollten die Betroffenen vielleicht selber entscheiden!) Deshalb arbeitet diese Bundesregierung auch aktiv an Lösungen auf vielen Ebenen. Deshalb haben wir das Rentenpaket mit der Möglichkeit auf den Weg gebracht, ab 63 abschlagsfrei in Rente zu gehen. (Beifall bei der SPD) Das wird nicht allen, aber vielen Betroffenen helfen, Abschläge von ihrer Rente zu vermeiden. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht den Betroffenen, von denen die Rede ist!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege Paschke, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung von Herrn Birkwald? Markus Paschke (SPD): Aber gerne. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben eben die Rente ab 63 und das Rentenpaket angesprochen. Ich gehe davon aus, dass Sie die Unbilligkeitsverordnung kennen, in der Situationen benannt werden, wann der betreffende Paragraf nicht angewandt werden darf. Inhaltlich haben Sie schon ein paar genannt. Sie haben eben auch schon erwähnt, dass, wenn jemand eine abschlagsfreie Rente in Aussicht hat, die Zwangsverrentungsregelung nicht gilt. So weit, so gut. Wenn die Rente ab 63, wie sie im Entwurf des Rentenpakets bisher vorgesehen ist, kommt, wird in Zukunft jemand, der 1954 geboren ist – er kann dann nämlich im Alter von 63 Jahren und vier Monaten abschlagsfrei in Rente gehen –, wegen eines Monats, den sie oder er nicht schafft, in die Zwangsverrentung geschickt werden. Ich weiß nicht, ob Ihnen das bewusst ist. Die Abschläge betragen dann übrigens schon 9,6 Prozent – und das auch ein ganzes Leben lang. Dieses Beispiel, das ich jetzt angeführt habe, gilt für den Jahrgang ’54, gleichermaßen aber auch für andere Jahrgänge. Deswegen sage ich: Nehmen Sie den Namen der Unbilligkeitsverordnung ernst. Diese Zwangsverrentung ist unbillig. Schaffen Sie sie einfach ab! Ich kann nicht erkennen, wo Sie neue Ungerechtigkeiten schaffen, wenn die Erwerbslosen, die arbeiten wollen, so lange Arbeitslosengeld – in dem Fall dann Arbeitslosengeld II – bekommen statt der Rente, wie sie es für sich entscheiden. Lassen Sie den Menschen ihr Selbstbestimmungsrecht, damit sie selber entscheiden können, wann sie in die Rente gehen wollen und wann nicht! Sagen Sie mir einen Grund, der dagegen spräche! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Markus Paschke (SPD): Herr Birkwald, ich habe schon in meinem Beitrag deutlich gemacht, dass wir das Problem durchaus sehen. Ich hatte gerade angefangen, einige Punkte aufzuzählen – der erste war die Rente mit 63; ich werde gleich noch einige mehr erwähnen –, die zeigen sollen, wo wir das Thema anpacken. Die Rente mit 63 wird für viele der Betroffenen dazu führen, dass sie keine abschlagsfreie Rente bekommen. Ich habe in meinem Beitrag gesagt, dass ich ganz optimistisch bin – das hat Frau Voßbeck-Kayser ja auch schon gesagt –, dass wir eine gute Regelung finden werden, die alle diese Dinge berücksichtigt. Ich bin aber nicht dafür, dass wir das so, wie in Ihrem Antrag, hopplahopp machen, sondern ich glaube, wir sollten schon präzise und gut arbeiten. Sie können uns vertrauen. Wir kriegen da schon etwas hin. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ganz einfach! Lassen Sie uns zur Rechtslage zurückkehren! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man braucht den Menschen nur die Würde und die Selbstbestimmung zurückzugeben! Das reicht!) Ich hatte gerade angefangen, an einem Beispiel zu -erläutern, was wir tun, um die Situation der Menschen zu verbessern. Das war die Möglichkeit, mit 63 abschlagsfrei in Rente zu gehen. Aber das ist ja nicht alles. Wir -haben erhebliche Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente auf den Weg gebracht. Wir führen den Mindestlohn ein und erleichtern die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist ja nicht das Thema!) Wir werden den Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen bekämpfen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es geht um Zwangsverrentung!) Wir werden ein Gesetz für eine solidarische Lebensleistungsrente auf den Weg bringen. Sie sehen: Wir haben schon viel auf den Weg gebracht, und wir haben auch noch vieles vor, viele Schritte zu mehr Gerechtigkeit und zu einer echten Perspektive für viele Menschen. Deshalb sage ich: An dieser Stelle ist Eile völlig fehl am Platze. Um eine verlässliche und nachhaltige Regelung zu erarbeiten, braucht es Besonnenheit und ein verantwortungsvolles Vorgehen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Und das Ende Ihrer Rede. Markus Paschke (SPD): Ich komme jetzt zum Schluss. Erst denken, dann handeln und reden, das haben mir meine Eltern beigebracht, ein Satz, der, glaube ich, in allen politischen Zusammenhängen seine Gültigkeit hat. In diesem Sinne – davon bin ich überzeugt – werden wir gemeinsam mit unserem -Koalitionspartner eine vernünftige Regelung finden, wie wir zukünftig Ungerechtigkeiten vermeiden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist Jutta Eckenbach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jutta Eckenbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beschäftigungssituation älterer Menschen hat sich in den letzten Jahren in der Bundesrepublik Deutschland deutlich verbessert. Sowohl der Fachkräftemangel als auch die gute Konjunkturlage fördern die gute Entwicklung. All das haben wir auch schon zum Jahreswirtschaftsbericht gehört. Ich möchte es an dieser Stelle aber gerne noch einmal unterstreichen. Die Arbeitslosigkeit bei den unter 50-Jährigen ist -gesunken, die Beschäftigungsquote ist gestiegen. Die Arbeitslosenquote bei den über 55-Jährigen ist in den letzten zehn Jahren um 10 Prozent zurückgegangen. Das ist gut, wenn auch im Vergleich – das haben die Vorredner ja schon ausgeführt – mit dem allgemeinen Rückgang etwas geringer. Die Erwerbsbeteiligung steigt seit Jahren an. Zwischen 2002 und 2012 ist die Quote bei den 55- bis 59-Jährigen um gut die Hälfte gestiegen. Bei den 60- bis 64-Jährigen hat sich die Quote seit 2002 auf 49,6 Prozent fast verdoppelt. Besonders möchte ich hier hervorheben, dass der Anteil der Frauen in diesem Fall stetig gestiegen ist. – Das sind für mich gute Entwicklungen. Aber solange die tatsächliche Beschäftigungsquote Älterer immer noch deutlich niedriger liegt als die allgemeine Gesamtquote, können wir natürlich noch nicht zufrieden sein. Noch ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt leider nicht so, dass ältere Beschäftigte schnell wieder eine neue Beschäftigung finden. Ältere haben zwar ein geringeres Risiko, arbeitslos zu werden. Aber sie haben auch schlechtere Chancen als Jüngere, wieder in Beschäftigung zu kommen. Da es leider immer noch knapp 1 Million Ältere in Deutschland gibt, die arbeitslos sind, haben wir im Koalitionsvertrag festgehalten: Die Erwerbstätigen- und die Beschäftigungsquote der über 50-Jährigen steigt seit einem Jahrzehnt kontinuierlich an. Deutschland ist bei der Beschäftigung Älterer mittlerweile Vizeeuropameister -hinter Schweden. Diese Erfolgsgeschichte der -steigenden Beteiligung Älterer am Erwerbsleben wollen wir fortschreiben. Unser Ziel ist eine -moderne und wettbewerbsfähige Gesellschaft des langen Lebens und Arbeitens. Wir müssen also noch intensiver bei Unternehmen werben – das hat der Kollege Paschke gerade gesagt – und auch weiterhin sinnvolle, öffentlich geförderte Unterstützung leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat dafür bereits 2007 richtige Maßnahmen auf den Weg gebracht. Das Ziel war und ist, die berufliche Wiedereingliederung und Integration älterer Arbeitnehmer zu verbessern. Das ist uns auch gelungen. Beispielhaft nenne ich hier die Eingliederungszuschüsse im SGB III, also den Zuschuss zum Arbeitsentgelt. Das ist unserer Meinung nach ein wirklich gutes Instrument, das wir mit der Instrumentenreform 2012 noch zielgenauer und effektiver gestaltet haben. Für ältere Arbeitnehmer ab dem 50. Lebensjahr haben wir die Förderdauer auf bis zu 36 Monate verlängert. Auch für die behinderten Menschen in diesem Land haben wir deutliche Verbesserungen erreicht. Darüber hinaus brauchen wir natürlich auch weiterhin spezielle Förderprogramme. Hier nenne ich als Beispiel das Programm „Perspektive 50plus“, das im Jahre 2015 ausläuft. Damit konnten etliche langzeitarbeitslose Frauen und Männer zwischen 50 und 64 Jahren wieder in den allgemeinen Arbeitsmarkt zurückfinden. Insgesamt sind wir mit all unseren Maßnahmen, den aktuellen und denjenigen, die wir neu entwickeln -werden, auf dem richtigen Weg. Unser Ziel ist es, ältere Arbeitnehmer nicht in die Rente zu führen, sondern in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Aus diesem Grund haben wir 2008 die auslaufende 58er-Regelung ersetzt. Ich brauche an dieser Stelle nichts dazu zu sagen; denn das wurde heute schon in einigen Reden erwähnt. Auf einen Punkt möchte ich aber gerne noch eingehen. Die Linken sprechen immer wieder von Zwangsverrentung. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es ist doch so! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Das ist ein vollkommen irreführender Begriff. Sie unterstellen damit eine absichtliche Benachteiligung. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist eine! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist es ja!) Das ist es aber nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch!) Man muss unterscheiden zwischen persönlich erworbenen Ansprüchen, beispielsweise in der Rentenversicherung, und Leistungen der Allgemeinheit bei Hilfebedürftigkeit, zum Beispiel nach dem SGB II. Bei der Sozialhilfe – damit komme ich zum Schluss –, die eine nachrangige Hilfe ist, wird es mit uns keine Veränderung geben. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann auch Ausnahmen vom Nachrangigkeitsgrundsatz haben!) Wir müssen an dieser Stelle beachten, dass die beiden Systeme unterschiedlich finanziert werden. Man kann aus ideologischen Gründen eine andere Meinung dazu haben. Aber unsere Haltung in dieser Frage ist seit -vielen Jahren ganz klar. Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist Dr. Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem Antrag der Fraktion Die Linke scheint es sich auf den ersten Blick um eine sozialrechtliche Feinheit zu handeln. Doch der Antrag betrifft der Logik nach die Idee unseres Sozialstaats im Kern; denn das, was hier zur -Debatte steht, ist das Prinzip der Subsidiarität. Dieses Prinzip setzt auf Selbstbestimmung und die Entfaltung individueller Fähigkeiten, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können selbst bestimmen, wann sie in Rente gehen!) und – das ist nicht davon zu trennen – es betont die Selbstverantwortung. Genau das unterscheidet unseren freiheitlichen Sozialstaat auch von einem sozialistischen Staat, der ja nur den Staat kennt. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist genau das Gegenteil! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, wir sind für Selbstbestimmung, Sie sind dagegen! So sieht es aus!) Während nach Ihren Vorstellungen alle in ein soziales Netz fallen, werden die Menschen in unserem heutigen modernen Sozialstaat von vielen kleinen Netzen auf-gefangen. Das macht unseren Sozialstaat konjunktur-unabhängiger, stabiler und krisenfester. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unser Staat hilft, wenn Hilfe nottut, und zwar nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“. Ich sage das, damit klar wird, warum Ihr Antrag der Logik unseres Sozialstaates widerspricht und deshalb nicht zu befürworten ist. Das gerade erklärte Subsidiaritätsprinzip bedeutet nämlich für Ihr konkretes Anliegen Folgendes – da -müssen Sie durch, Herr Birkwald; Sie waren auf unsere Antworten gespannt, deswegen hören Sie es jetzt leider zum wiederholten Mal –: (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kein Problem! Ich höre Ihnen gerne zu, Frau Kollegin!) Die Grundsicherung für Arbeitsuchende, um die es hier geht, ist ein nachrangiges Fürsorgesystem. Es greift nur, wenn Menschen hilfebedürftig sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Jetzt hat er es vielleicht begriffen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung von Herrn Markus Kurth? Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Ja, bitte. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Dr. Freudenstein, haben Sie schon einmal zur Kenntnis genommen, dass es auch in einem subsidiären Sozialhilfesystem durchaus begründete und plausible Ausnahmen vom Nachrangigkeitsgrundsatz geben kann? Wenn man zum Beispiel eine Entschädigung aufgrund einer erlittenen Körperverletzung oder eines Unfalls erhält, dann wird das nicht angerechnet. Wenn man zum Beispiel Blindengeld erhält oder einen Nachteilsausgleich bekommt, gibt es auch eine Ausnahme vom Nachrangigkeitsgrundsatz. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist etwas ganz anderes!) Es wäre ein Leichtes, für diesen speziellen Fall des -Rentenbezugs ebenfalls eine Ausnahme vom Nach-rangigkeitsgrundsatz in das Gesetz aufzunehmen, ohne deswegen den Grundgedanken der Subsidiarität auszuhöhlen und ohne die Logik des Sozialrechtssystems nach SGB II zu zerstören. Es ist außerdem nicht ein System der Sozialhilfe. Das Arbeitslosengeld II dient gerade dazu, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Insofern ist es etwas anderes als das SGB XII. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist eine Sozialleistung!) Wollen Sie nicht zugeben, dass es sehr wohl begründete Ausnahmen vom Nachrangigkeitsgrundsatz geben kann? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Ich nehme das Subsidiaritätsprinzip zur Kenntnis, ziehe aber ganz offensichtlich andere Schlüsse daraus als Sie. Auch bei diesem System, über das wir heute reden, gibt es Ausnahmen. Über die haben wir gerade gesprochen. Sie sind gut begründet und auch richtig. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn ein Bürger, der als Hilfebedürftiger Leistungen nach SGB II bezieht, nun die Möglichkeit hat, eine selbst erworbene Altersrente zu beziehen und sich so den Lebensunterhalt durch ein vorrangiges Prinzip der sozialen Sicherung finanzieren kann, dann ist auch eine Verpflichtung dazu richtig und in unserem Sinne. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Es ist nicht in unserem Sinne!) – In unserem schon. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Diese Verpflichtung zur Altersrente ist jedoch nicht so schlicht konstruiert, wie Sie es darstellen. Es gibt durchaus Ausnahmen. So sind Leistungsberechtigte, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen und das Arbeitslosengeld II nur zusätzlich beziehen, die Aufstocker, nicht zu dieser vorzeitigen Altersrente verpflichtet. Ausgenommen sind auch Arbeitslose, die innerhalb der nächsten Monate eine abschlagsfreie Rente beziehen können. Auch die, die in naher Zukunft eine Erwerbstätigkeit aufnehmen werden, fallen nicht unter die Regelungen. Damit stellen wir sicher, dass Erwerbstätige nicht vorzeitig aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden. Doch zurück zu Ihrem Antrag. Sie packen das Problem nicht an der Wurzel an. Das Problem ist nämlich, dass die Menschen Arbeit brauchen und dies der einzige Ansatz ist, womit man den Menschen wirklich helfen kann. Genau dort wollen wir ansetzen. Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit steht ganz oben auf der Agenda der Großen Koalition. Uns liegt daran, dass die Menschen die Hilfebedürftigkeit aus eigener Kraft hinter sich lassen können. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die -Arbeitslosigkeit der Älteren steigt, seit Sie -regieren!) Wir wollen den Menschen wieder eine echte Perspektive geben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. – Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/589 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart, wie bereits angekündigt, den Tagesordnungspunkt 11 und den Zusatzpunkt 8 zu tauschen. Wir werden jetzt also über Tagesordnungspunkt 11 – da geht es um die Transparenz bei Rüstungsexportentscheidungen – beraten. Der an dieser Stelle vorgesehene Zusatzpunkt 8 wird im Anschluss an den Tagesordnungspunkt 11 aufgerufen. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 sowie die Zusatzpunkte 9 und 10 auf: 11 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Mehr Transparenz bei Rüstungsexportentscheidungen sicherstellen Drucksache 18/1334 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für ein generelles Verbot des Exports von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern Drucksache 18/1348 ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Dr. Frithjof Schmidt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Echte Transparenz und parlamentarische Beteiligung bei Rüstungsexportentscheidungen herstellen Drucksache 18/1360 Ich kündige an, dass über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen später namentlich abgestimmt wird. Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Klaus-Peter Willsch für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wir debattieren heute den Antrag der Koalition mit dem Titel „Mehr Transparenz bei Rüstungsexportentscheidungen sicherstellen“. Bereits in unserem Koalitionsvertrag haben wir hierzu festgehalten: Bei Rüstungsexportentscheidungen in sogenannte Drittstaaten sind die im Jahr 2000 beschlossenen strengen „Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ für unser Regierungshandeln verbindlich. Über ihre abschließenden Genehmigungsentscheidungen im Bundessicherheitsrat wird die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unverzüglich unterrichten. Die Entscheidung darüber, wem gegenüber die Unterrichtung erfolgt, liegt beim Deutschen Bundestag. Darüber hinaus werden wir die Transparenz gegenüber Parlament und Öffentlichkeit durch Vorlage des jährlichen Rüstungsexportberichtes noch vor der Sommerpause des Folgejahres und eines zusätzlichen Zwischenberichts verbessern. So weit der Koalitionsvertrag. – Heute liefern wir. Mit unserem Antrag wollen wir genau dies umsetzen. Erst vor einigen Wochen haben wir über den Rüstungsexportbericht 2012 diskutiert – zugegebenermaßen etwas spät; aber Sie wissen, dass es durch die Bundestagswahl und die Regierungsbildung zu einer Verzögerung kam. Das wollen wir in Zukunft zügiger machen. Der Rüstungsexportbericht soll zukünftig vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause des Folgejahres veröffentlicht werden. Zusätzlich hat die Bundesregierung im Herbst eines jeden Jahres einen Zwischenbericht für das erste Halbjahr des laufenden Jahres zu veröffentlichen. Das macht die parlamentarische Nachkontrolle dichter und erhöht die Transparenz. Darüber hinaus soll der Bundestag über abschließende Genehmigungsentscheidungen des Bundessicherheitsrates unverzüglich, spätestens zwei Wochen nach Tagung des Bundessicherheitsrates, schriftlich unterrichtet werden. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann tagt er denn?) In dieser Unterrichtung sollen tabellarisch folgende Informationen aufgelistet werden: die Art des Exportgutes, die Anzahl der genehmigten Güter und das Endempfängerland. Die Unterrichtung geht an den federführenden Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Dieser wiederum wird die Unterrichtung als Ausschussdrucksache an seine Mitglieder sowie an die mitberatenden Ausschüsse entsprechend der Ressortbesetzung des Bundessicherheitsrates weiterleiten. Dazu zählen der Auswärtige Ausschuss, der Innenausschuss, der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, der Haushalts-, der Finanz- und der Verteidigungsausschuss sowie der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Es soll also eine sehr breite und sehr frühe Information über ein Thema, das in der Öffentlichkeit nicht ganz einfach zu handhaben ist, zur Verfügung gestellt werden, wobei wir immer darauf achten müssen, dass wir die Interessen Deutschlands und die Firmeninteressen gleichermaßen wahren. Es gilt aber auch, die Interessen von Partnerländern, die Gegenstand von Entscheidungen des Bundessicherheitsrates sind, zu wahren. Der gelegentlich genährten Vermutung, dass alles leichtfertig geschehe, will ich entgegnen, dass das ganz und gar nicht der Fall ist. Der Rüstungsexportpolitik liegen, wie schon genannt, die Politischen Grundsätze vom 19. Januar 2000 zugrunde, damals unter Rot-Grün verabschiedet. Jede Rüstungsexportentscheidung ist eine Einzelfallentscheidung. Gemäß dem Außenwirtschaftsgesetz und der Außenwirtschaftsverordnung ist die Ausfuhr aller Rüstungsgüter genehmigungspflichtig. Die Prüfung und die Genehmigung der Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern obliegen dem Bundessicherheitsrat, dessen Zusammensetzung ich vorhin schon angesprochen habe. Bei der Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung handelt es sich also nicht um einen formellen Akt. Es gibt keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung. Jeder Einzelfall wird im Lichte der zugrunde liegenden Gesetze und Vereinbarungen geprüft: zum Ersten des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen, zum Zweiten des Außenwirtschaftsgesetzes über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Wirtschaftsgütern, zum Dritten des Verhaltenskodexes der Europäischen Union für Waffenausfuhren und der Prinzipien zur Regelung des Transfers konventioneller Waffen der OSZE. Wir sind also in ein dichtes Geflecht gegenseitiger Verbindlichkeiten und Verpflichtungen eingetreten und orientieren uns daran. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gegenseitige Bestechung!) Eine herausragende Bedeutung für die Genehmigung von Rüstungsgütern ist die Beachtung der Menschenrechte im Empfängerland. Rüstungsexporte werden grundsätzlich nicht genehmigt, wenn der hinreichende Verdacht besteht, dass damit interne Repressionen oder sonstige Menschenrechtsverletzungen ausgeübt werden. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Das glauben Sie doch selber nicht, Herr Willsch! Da wird grundsätzlich genehmigt, auch wenn Menschenrechte verletzt werden! Mein Gott!) Der Export an Nicht-EU-, Nicht-NATO-Staaten wird äußerst restriktiv gehandhabt. Eine Genehmigung wird nur in Ausnahmefällen erteilt. Im Rahmen dieser restriktiven Genehmigungspraxis für Drittländer können natürlich – und das ist notwendig – legitime Sicherheitsinteressen solcher Länder im Einzelfall für die Genehmigung einer Ausfuhr sprechen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die jeweiligen Sicherheitsinteressen auch international von Belang sind, beispielsweise bei der Abwehr terroristischer Bedrohungen oder der Bekämpfung des internationalen Drogenhandels. Gerade bei Marinegütern ist vor dem Export in Drittländer zu prüfen, ob ein Interesse der Staatengemeinschaft an sicheren Seewegen vorliegt und ob eine effektive Ausübung der jeweiligen Staatsgewalt in den Küstengewässern als wichtiger Aspekt angesehen werden kann. Gerade wir als Nation, die auf den Welthandel ausgesprochen angewiesen ist und die davon profitiert, haben ein hohes Interesse daran, dass der Welthandel funktioniert. Es gibt eine ganze Reihe von Waffenembargos; beispielsweise sind Waffenlieferungen nach Syrien ausgeschlossen. Aber es gibt auch nicht nachvollziehbare No-Gos. Dass Taiwan von uns keine Waffen bekommen kann, die USA aber gleichwohl dorthin liefern, ist schon fast absurd. Taiwan, der Leuchtturm der Demokratie im asiatischen Bereich, hätte das gleiche Schicksal ereilt wie andere Länder, zum Beispiel Tibet, wenn es nicht in der Lage gewesen wäre, sich zu verteidigen. Unsere Rüstungsexportpolitik hat auch in Betracht zu ziehen, dass wir in diesem Bereich eine wettbewerbsfähige Industrie haben, die hervorragende Güter hervorbringt, und dass wir mit unserer reduzierten Bundeswehr selbst nicht mehr für den nötigen Umsatz sorgen können. Auch viele Partnerländer innerhalb der NATO und der EU können nicht mehr die erforderlichen Beiträge für die Landesverteidigung aufbringen. Damit sind Märkte weggebrochen. Wir müssen uns auch darüber Gedanken machen, wie wir unsere technologischen Fähigkeiten erhalten können, um in dieser Kernfunktion des Staates nicht von Dritten abhängig zu sein. Schauen Sie sich die Lage in der Ukraine an, die wir momentan alle mit Sorge und gespannter Aufmerksamkeit verfolgen. Sie hat bereits dazu geführt, dass Schweden angekündigt hat, seine Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Kollegin Keul akzeptieren? Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Jederzeit gerne. Vizepräsidentin Claudia Roth: Echt? – Gut. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege Willsch. Sehr großzügig! – Wenn ich die Gründe rekapituliere, die Ihrer Meinung nach für Rüstungsexporte sprechen – Sie haben sie gerade aufgezählt: vom Kampf gegen Terrorismus über Selbstverteidigung bis hin zu wirtschaftlichen Gründen –, möchte ich Sie fragen: Fällt Ihnen irgendein Ort auf dieser Welt ein, an den man nach diesen Kriterien nicht liefern würde? Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Dazu fallen mir natürlich Orte ein, Frau Kollegin. Wichtig ist, dass sich die Waffen, die wir liefern, nicht gegen uns selbst oder gegen unsere Verbündeten richten sollen und dürfen. Wichtig ist, dass wir nicht an Staaten liefern, die im Verdacht stehen, als Zwischenhändler aufzutreten, die Sachen also weiterzuleiten. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wollte gerne ein Beispiel!) Damit ist der Bogen geschlagen. Das macht deutlich, dass es neben den Ländern, in die wir aus außen- und sicherheitspolitischen Gründen nach sorgfältiger Prüfung liefern, jede Menge Länder gibt, die dafür nicht in Betracht kommen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welches denn? Ein Beispiel! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nennen Sie doch einmal eines!) Danke für die Frage. Lassen Sie mich meinen Gedanken zum Thema Rüstungsbereitschaft bzw. Verteidigungsbereitschaft zu Ende führen. Fogh Rasmussen hat zu Recht gesagt: Angesichts des Nichtfunktionierens des Schutzversprechens, das die Ukraine 1994 im Budapester Memorandum erhalten hat, müssen wir uns überlegen, ob die Idee vom ewigen Frieden vielleicht eine Illusion war. Er hat gesagt, dass wir die Bereitschaft, das eigene Land zu verteidigen, mit entsprechender Technologie und entsprechender Ausrüstung unterlegen müssen. Fast alle Mitgliedstaaten der NATO sind – leider – weit davon entfernt, die eingegangene Selbstverpflichtung, 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Ausgaben für die Verteidigung bereitzustellen, zu erfüllen. Auch wir geben dafür zu wenig aus. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Transparenz bei Rüstungsexporten!) Ich denke, wir sollten die krisenhafte Zuspitzung, die wir in Europa gegenwärtig erleben, zum Anlass nehmen – auch mit Blick auf Länder, die erst später der NATO beigetreten sind und vielleicht darüber nachdenken, ob das NATO-Schutzversprechen wirklich für alle gleichermaßen gilt –, die notwendigen Mittel in diesem Bereich aufzuwenden. Es gilt der alte Grundsatz: Jedes Land hat eine Armee in seinem Land, entweder die eigene oder eine fremde. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist Jan van Aken für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Willsch, Sie haben echt gar keine Ahnung. (Beifall bei der LINKEN) Das, was Sie hier gerade erzählt haben, war richtig schlimm. Gleich am Anfang sagten Sie: Wir müssen die Interessen der Bundesrepublik und der Industrie gleichermaßen berücksichtigen. Das ist an sich schon falsch. Sie dürfen das nicht einmal. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sie haben hier die politischen Grundsätze der Bundesregierung zu Rüstungsexporten zitiert. Darin steht ausdrücklich, dass ökonomische Interessen keine Rolle spielen dürfen. Sie haben hier aber genau das Gegenteil gesagt. Das heißt: Sie interessieren sich überhaupt nicht für die Rechtslage. Sie interessieren sich überhaupt nicht dafür, was mit diesen Waffen passiert. Sie interessieren sich überhaupt nicht dafür, dass alle 60 Sekunden irgendwo auf der Welt ein Mensch durch Waffengewalt stirbt. 500 000 Frauen, Männer und Kinder sterben im Jahr durch Waffengewalt, auch durch deutsche Waffen, und das wird weiterhin so sein, weil Sie, Herr Willsch, und Ihre Fraktion hier gleich wieder beschließen werden, dass die deutschen Waffenexporte auch künftig ein Rekordniveau erreichen werden; und das finde ich falsch. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben hier einen Antrag vorgelegt – das gilt für CDU/CSU und SPD gemeinsam –, der nichts, aber auch gar nichts daran ändern wird, dass auch weiterhin überall auf der Welt Menschen mit deutschen Waffen getötet, gefoltert, unterdrückt, verstümmelt werden. Da draußen sterben Menschen, jeden Tag, immer wieder, auch durch deutsche Waffen, weil Sie nicht bereit sind, Waffenexporte zu verbieten. So einfach ist das, und so brutal ist das. Das wollen wir ändern. (Beifall bei der LINKEN) Gerade Sie von der SPD haben hier in den letzten Jahren das Maul weit aufgerissen: gegen die Lieferung der Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien, gegen Waffenexporte an Menschenrechtsverletzer. Und jetzt? Was legen Sie hier vor? Angesichts dieses Antrags müssten Sie eigentlich alle vor Scham im Boden versinken. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie unternehmen nicht einmal den Versuch, die Exportgenehmigung für Waffen an irgendeiner Stelle einzuschränken. Das Einzige, was Sie tun wollen, ist, etwas mehr Informationen über Waffenexporte zu geben. Das ist ja gut. Ich finde es in Ordnung, dass Sie jetzt zweimal im Jahr statt nur einmal im Jahr einen Bericht über Ihre ganzen Waffenexporte abliefern. Sie wissen aber genauso gut wie ich: Transparenz allein verhindert keinen einzigen Waffenexport. Wer etwas anderes behauptet, der lügt oder träumt. (Beifall bei der LINKEN) Wissen Sie: Ich bin jetzt seit vier Jahren hier im Bundestag im Auswärtigen Ausschuss. In all den vier Jahren habe ich eines immer wieder gesehen: Wenn irgendwo auf der Welt geschossen wird, sehen Sie auch deutsche Waffen, manchmal an Orten, da müssen Sie es selbst vor Ort gesehen haben, um es überhaupt glauben zu können. Ich war neulich in Syrien. Was fällt mir da in die Hände? Die Überreste einer deutsch-französischen Panzerabwehrrakete, einer MILAN-Rakete, die zum Teil in Deutschland produziert worden ist. Deutschland hätte verhindern können, dass sie exportiert wird. Wer hat im syrischen Bürgerkrieg mit dieser deutsch-französischen MILAN-Rakete gekämpft? Al-Qaida. Das muss man sich einmal vorstellen: Al-Qaida kämpft in Syrien mit deutschen Waffen, weil irgendwann eine Bundesregierung einen solchen Waffenexport genehmigt hat. Ich finde das schändlich. (Beifall bei der LINKEN) Sie, Herr Willsch – das ist der genialste Satz des Tages –, haben gerade gesagt: Na ja, das darf nicht an Länder oder an Personen geliefert werden, die diese Waffen gegen uns richten. – Wissen Sie gar nicht, dass die Taliban in Afghanistan mit deutschen Waffen kämpfen, dass die mit deutschen Waffen auf deutsche Soldaten und auf die afghanische Bevölkerung schießen? Das ist die Realität Ihrer Waffenexportpolitik. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nehmen Sie den Südsudan. Sie alle haben doch heute den Bericht von Amnesty International über die furchtbaren Verbrechen, die gerade im Südsudan stattfinden, gelesen. Ich habe dabei die ganze Zeit ein Bild im Kopf, und zwar ein Foto von Kindersoldaten im Sudan, kleine Jungs in Reih und Glied aufgestellt, und alle haben ein deutsches Sturmgewehr in der Hand. Dieses deutsche Sturmgewehr wird jetzt im Sudan dafür benutzt, um Zivilisten zu töten, zu foltern, zu vergewaltigen, weil irgendwann einmal eine Bundesregierung einen entsprechenden Waffenexport genehmigt hat. Das muss aufhören. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Was ist mit den russischen Waffen, Herr van Aken? – Gegenruf des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist genauso falsch!) Jetzt zur SPD. Das, was ich in den letzten Wochen und Monaten von Ihrem Herrn Gabriel hinsichtlich Waffenexporten gehört habe, war alles nur heiße Luft. In der Ukraine-Krise – das war das Härteste, was Sie getan haben – verkündete Herr Gabriel plötzlich einen Stopp der Waffenexporte nach Russland. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Russische Waffen sind gute Waffen! Das ist Ihre Auffassung!) Was machte er konkret? Es gab ein großes Projekt von Rüstungsexporten nach Russland. Dazu sagte er: Das wird gestoppt, das geht nicht weiter. Zwei Tage später kommt heraus: Das ganze Projekt wurde schon fast vollständig geliefert. Da konnte überhaupt nichts mehr gestoppt werden. Dann haben wir nachgefragt, und Herr Gabriel musste uns schriftlich geben: Na ja, wir haben nur das eine Projekt gestoppt, alle anderen Waffenlieferungen nach Russland gehen im Moment weiter. – Es gab 297 Waffenlieferungen allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres. Das ist doch Schaumschlägerei, was Sie da machen. Sie stoppen überhaupt keine Waffenexporte, sondern Sie exportieren wohin Sie wollen, was Sie wollen und wann Sie wollen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wenn es nur so wäre! Das Gegenteil ist der Fall!) Wenn Sie verhindern wollen, dass irgendwann einmal wieder irgendwo auf der Welt Menschen mit deutschen Waffen unterdrückt und getötet werden, gibt es nur eine Lösung, und diese heißt, den Waffenexport komplett zu verbieten. Da trauen Sie sich nicht heran, aber das ist unsere Forderung. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das will kein Mensch!) Ich mache mir gar keine Illusionen – das möchte ich zum Schluss sagen –, dass ich mit Leuten wie Herrn Willsch oder auch Herrn Gabriel in allzu naher Zukunft ein komplettes Verbot von Waffenexporten erreiche. Aber das Erste, was Sie tun müssen, ist, den Export von Kleinwaffen zu verhindern. Kofi Annan nannte Kleinwaffen einmal die Massenvernichtungswaffen dieser Zeit. Damit werden 70, 80, 90 Prozent der Menschen in den Kriegen dieser Welt umgebracht. Dies können Sie verhindern. Ökonomisch – das wissen Sie genauso gut wie ich – spielen die 100 Millionen Euro kaum eine Rolle. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Jan van Aken (DIE LINKE): Ich bin gleich fertig. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja! Zeit, ihn abzustellen!) Diese 100 Millionen Euro im Jahr an Kleinwaffenexporten in alle Welt sind angesichts der riesigen deutschen Exportwirtschaft ein Witz. Das ist relativ wenig Geld, aber ganz viel Tod, und den wollen wir stoppen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Um Gottes willen!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bernd Westphal ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was Herr van Aken hier eben vorgeführt hat, war schon sehr polemisch. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Kasperletheater war das!) Ich denke, das entbehrt jeder sachlichen Debatte bei diesem wichtigen und für alle Abgeordneten, für jede Regierung schwierigen Thema. So kann man eine solche Debatte nicht führen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) Bei Rüstungsexportentscheidungen in sogenannte Drittstaaten sind die im Jahr 2000 beschlossenen Rüstungsexportrichtlinien immer noch Grundlage für das Handeln der Regierung. Darüber hinaus bekennt sich die Bundesregierung ebenso zu dem 2008 beschlossenen Gemeinsamen Standpunkt der EU betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern. Auf dieser Grundlage betreibt die Bundesregierung eine restriktive Politik bei Exporten von Rüstungsgütern, und diese Politik ist auch gut so. Die Beachtung der Menschenrechte ist für die Entscheidung über Rüstungsexporte von herausragender Bedeutung, damit ausgeschlossen werden kann, dass Waffen an Länder geliefert werden, in denen Menschenrechtsverletzungen existieren oder Bürgerkrieg herrscht. Im Koalitionsvertrag haben wir die Neuregelung der Rüstungsexportentscheidungen verankert. Dabei geht es uns nicht um die Vermischung von Exekutive und Legislative. Die Entscheidung über Genehmigungen für Rüstungsgüter ist nach Artikel 26 des Grundgesetzes der Bundesregierung zugewiesen, und sie soll auch weiterhin im Kernbereich der Exekutive bleiben. Wir als Koalition sehen allerdings, wie auch die anderen Fraktionen – man sieht ja die Anträge, die gestellt worden sind –, im Bereich der Transparenz von Rüstungsexportentscheidungen Handlungsbedarf. Eine Neuregelung ist überfällig, weil der Rüstungskontrollbericht in der Vergangenheit viel zu spät vorgelegt wurde, teilweise erst anderthalb Jahre nach dem Berichtsjahr. Wir sind uns einig, dass es politisch wenig Sinn macht, über Rüstungsexporte zu reden, die weit in der Vergangenheit liegen, während in der Öffentlichkeit über aktuelle Entscheidungen oder Lieferungen diskutiert wird. (Beifall bei der SPD) Die Grünen haben sich für eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden, um auf diesem Weg mehr Transparenz bei Rüstungsexporten einzufordern. Wir haben uns gegen ein Abwarten des Urteils aus Karlsruhe entschieden. Wir haben stattdessen konstruktiv gehandelt und einen gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen erarbeitet. Mit der Umsetzung des vorgelegten Antrages können wir eine wirkliche Verbesserung gegenüber der heutigen Situation erreichen. So wird der Rüstungsexportbericht künftig noch vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause des Folgejahres veröffentlicht werden. Zusätzlich ist im Herbst jedes Jahres ein Zwischenbericht über das erste Halbjahr des laufenden Jahres geplant. Des Weiteren wird der Deutsche Bundestag über die abschließenden Genehmigungen des Bundessicherheitsrates unverzüglich, das heißt innerhalb von zwei Wochen nach Tagung des Bundessicherheitsrates, informiert. Was dann dort berichtet wird, hat der Kollege Willsch schon erwähnt. Damit setzen wir nicht nur einen weiteren Punkt aus dem Koalitionsvertrag um. Nein, wir gehen sogar noch darüber hinaus. Der Bundestag wird zukünftig auch über die anschließenden Entscheidungen des Vorbereitenden Ausschusses der Staatssekretäre informiert werden. Die Unterrichtung durch die Bundesregierung erfolgt im für Rüstungsexporte federführenden Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Weitergabe erfolgt dann von dort aus als Ausschussdrucksache an die mitberatenden Ausschüsse. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass wir damit keine weiteren Geheimgremien schaffen, sondern im Vorfeld sicherlich auch dem Rechnung tragen, was in der Öffentlichkeit verlangt wird. Wir werden also künftig eine Debatte darüber führen und diese Themen offen und transparent in den Fachausschüssen beraten können. Ich bin mir sicher, diese Maßnahmen werden die Transparenz von Rüstungsexportentscheidungen zweifelsfrei erhöhen. Ich denke im Gegensatz zu meinem Vorredner, diese Transparenz wird auch dazu führen, dass man sich bei Rüstungsexportentscheidungen dementsprechend Gedanken macht. Im Ergebnis wird die restriktive Exportpolitik, wie in der Vergangenheit, weiter fortgeführt. Sie können sich darauf verlassen: Mit der SPD wird es keine Waffenlieferungen in Spannungsgebiete geben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Agnieszka Brugger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die unkontrollierte Verbreitung von Waffen ist eine Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit weltweit. Denn sie verschärft Konflikte, sie macht sie blutiger, und sie kostet am Ende mehr Menschenleben. Die Entscheidung darüber, ob Rüstungsexporte aus Deutschland genehmigt werden oder nicht, ist deshalb keine politische Entscheidung wie jede andere auch; denn sie kann katastrophale Folgen haben, und sie kann eben noch mehr Menschenleben kosten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb verdient sie besondere Aufmerksamkeit, besondere Sorgfalt und besondere Kontrolle. Meine Damen und Herren, machen wir uns noch einmal klar, wie die bisherige Praxis an dieser Stelle aussieht: Der Bundessicherheitsrat – im Wesentlichen eine Reihe von Ministern der Bundesregierung – entscheidet hinter verschlossenen Türen, im Geheimen, über Voranfragen der Rüstungsindustrie, und weder das Parlament noch die Öffentlichkeit werden darüber informiert. Die Regierung muss nicht einmal begründen, warum sie einen konkreten Export genehmigt oder ihm die Genehmigung versagt. Ich finde, in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat ist das ein unhaltbarer Zustand, gerade in dem hochsensiblen und kritischen Bereich der Waffengeschäfte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Kritik, die wir Grüne schon sehr lange äußern, wurde auch von den Kolleginnen und Kollegen von der SPD geteilt. Wir haben in den letzten Jahren, in der Oppositionszeit, an dieser Stelle immer wieder sehr konkrete gemeinsame Vorschläge gemacht, wie wir diesen Umstand und diese Praxis verändern und verbessern wollen und wirkliche Transparenz und Kontrolle ermöglichen können. Wir haben darüber diskutiert, im Bundestag ein Gremium einzurichten, das sich speziell mit diesen Fragen auseinandersetzt, das extra unterrichtet wird, das auch bei besonders kritischen Waffengeschäften vorab informiert wird und auch die Möglichkeit zur Stellungnahme erhält. Wir haben immer wieder darüber gesprochen, dass die Rüstungsexportberichte lückenhaft sind, dass dort viele wichtige Informationen fehlen. In unserem heutigen Antrag bekräftigen wir noch einmal diese Forderungen. Wir sind sehr gespannt, wie Sie von der SPD sich bei der namentlichen Abstimmung verhalten werden; denn eigentlich haben Sie all diese Forderungen gemeinsam mit uns in den letzten Jahren erhoben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu den Änderungen, die die Koalitionsfraktionen planen und mit ihrem Antrag vorlegen – dass der Rüstungsexportbericht zeitnah kommen soll, dass es zusätzlich einen Zwischenbericht geben soll, vor allem aber die Unterrichtung des Bundestages über rechtskräftig gewordene Entscheidungen des Bundessicherheitsrates –, kann ich nur sagen: Es ist doch eine Selbstverständlichkeit in einer Demokratie, dass eine Regierung erklärt, was sie überhaupt entschieden hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Das sind nur kleine Korrekturen. Nach wie vor ist es eben nicht möglich, ausreichend zu kontrollieren. Ihre Vorschläge sind unzureichend und vor dem Hintergrund dessen, was Sie versprochen haben, wirklich eine herbe Enttäuschung. Meine Damen und Herren, die SPD konnte sich an dieser Stelle nicht durchsetzen. Das ist ja auch klar. So unengagiert wie Herr Willsch hier den Antrag der Koalitionsfraktionen vorgelesen hat, wird deutlich: Die Union hätte hier lieber alles im Dunkeln gelassen. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Das tut mir jetzt einfach weh!) Sie machen auch in vielen Plenardebatten gar keinen Hehl daraus, dass Sie überhaupt keine Probleme damit haben, dass es einen immer größeren Trend gibt, Waffen in Staaten zu liefern, die eine sehr problematische Menschenrechtslage haben. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! So ein Quatsch!) Auch an dieser Stelle gibt es Versprechungen der SPD aus dem Wahlkampf und aus der Oppositionszeit: Ganz konkret haben Sie zum Beispiel sehr massiv und sehr stark die Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien kritisiert. Wenn man den Presseäußerungen glauben darf, dann hat auch Minister Gabriel – als Minister, der für Rüstungsexporte federführend ist – diese Kritik noch einmal bekräftigt und angekündigt, dass er an dieser Stelle intervenieren will. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, insbesondere natürlich die Regierungsmitglieder der SPD, wenn Sie schon bei den Verbesserungen im Bereich der Transparenz und der Kontrolle von Rüstungsexporten gescheitert sind, dann lassen Sie hier an dieser Stelle Ihren Worten Taten folgen und stoppen Sie die Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, in den letzten Stunden geisterten Gerüchte über die Flure des Bundestages, die besagen – ich kann Ihnen das nicht bestätigen, es ist ja leider geheim; das würden wir Grüne gerne ändern –, dass gestern die erste Sitzung des Bundessicherheitsrates seit Amtsantritt von Schwarz-Rot stattgefunden habe. Meine Damen und Herren, wir sind an dieser Stelle wirklich sehr gespannt, wie und ob der Bundestag über die Ergebnisse dieser Sitzung des Bundessicherheitsrates informiert wird. Wir sind natürlich auch sehr gespannt, zu erfahren, wie sich diese schwarz-rote Koalition zu den Leopard-Panzern, die nach Saudi-Arabien geliefert werden sollen, positioniert. Sagen Sie Nein zu den Panzerlieferungen und damit Ja zu den Menschenrechten? (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Wir Grüne sind an dieser Stelle ganz klar: Wir wollen einen radikalen Kurswechsel für echte Kontrolle, wirkliche Transparenz. Bei uns gibt es ein klares Nein zu Waffenlieferungen an Staaten, die in Krisenregionen liegen, und ein klares Nein zu Waffenlieferungen an Staaten, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege Andreas Lämmel das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gute Tradition hier in diesem Hause, über das Thema Rüstungskontrolle zu diskutieren. Ich weiß gar nicht genau, wie viele Diskussionen wir zu diesem Thema alleine in der letzten Legislaturperiode geführt haben, und es ist ja auch richtig, dass man immer wieder darüber diskutiert, welche Politik in Deutschland betrieben wird. Allerdings muss man noch einmal feststellen: Herr van Aken, mit dem, was Sie hier immer tun, verkleistern Sie im Prinzip die Augen der Öffentlichkeit in Bezug auf das, was Sie wirklich wollen. Wenn man Ihrer Logik folgen würde, dann müsste die deutsche Rüstungsindustrie eigentlich geschlossen werden, und wenn wir nichts verkaufen könnten, dann müssten wir natürlich auch nichts mehr produzieren, sodass wir das Gerät beispielsweise aus Russland kaufen müssten, (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie haben da etwas nicht verstanden!) was sich in der jetzigen Situation sehr gut machen würde. Ich muss hier nur einmal an Ihre Vorgängerpartei erinnern. Sie sind ja Mitglied in einer Partei, deren Vorgängerin in der ehemaligen DDR lange Zeit regiert hat. Mit den Waffen, die in dieser Zeit in die Welt exportiert worden sind, wird in Afrika heute noch gekämpft, (Jan van Aken [DIE LINKE]: Das stimmt!) mit diesen Waffen wird weiterhin in Südamerika gekämpft. Ich schlage also vor: Bevor man sich hier hinstellt und immer wieder beschwört, dass man der Friedensengel der Welt ist, würde ich zumindest einmal ein Wort darüber verlieren, dass das, was früher war, auch falsch gewesen ist. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Völlig richtig! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wer hat das denn verkauft? Wer war das denn? Wo sind denn die Restbestände der NVA?) Das habe ich von Ihnen aber noch nie gehört – und von denen, die früher in der SED waren, schon gar nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt komme ich zu den Grünen. Man muss es noch einmal ganz deutlich und laut sagen: An den Grundsätzen, nach denen Rüstungsexporte in Deutschland erfolgen, haben Sie mitgeschrieben. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind auch gute Grundsätze!) Daran war keine CDU/CSU-Fraktion beteiligt, (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das hätten Sie nie hinbekommen, das stimmt!) sondern Sie waren es. Gemäß diesen Kriterien wird noch heute exportiert. Sie sagen: Die Kriterien sind falsch. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt nicht! Sie sind nicht falsch, aber Sie halten sich nicht daran!) Deshalb müssten Sie zumindest einmal selbstkritisch äußern, dass Sie das, was Sie heute fordern, selbst hätten durchsetzen können. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Sehr widersprüchlich! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir üben auch Selbstkritik!) Ich frage mich nur: Warum haben Sie das damals denn nicht getan? Wenn man sich die Rüstungsexporte Deutschlands anschaut, dann muss man als Erstes feststellen: Die Rüstungsexporte sind rückläufig. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Sie haben ja gar keine Ahnung! Das stimmt nicht!) – Die Rüstungsexporte sind rückläufig. Sie können sich ja einmal den Rüstungsexportbericht anschauen. Man muss auch feststellen: Die deutsche Rüstungs-industrie ist in Zeiten des Kalten Krieges entstanden. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Bundesrepublik Deutschland einmal über 4 000 Panzer hatte – hinzu kamen die Panzer, die im Osten Deutschlands standen –, während wir heute noch über einen Bestand von ungefähr 240 Panzern verfügen, dann kann man sehen, wie sehr sich die Nachfrage nach Rüstungsgütern in Deutschland reduziert hat. Das Gleiche ist natürlich auch bei unseren NATO-Partnern der Fall. Damit sind natürlich auch die Industriekapazitäten insgesamt geringer geworden. Wenn wir unsere eigene Truppe, unsere eigenen Soldaten, bei Einsätzen aller Art schützen wollen, müssen wir ihnen aber das modernste und beste Gerät zur Verfügung stellen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist der Grund dafür, dass Deutschland überhaupt über eine Rüstungsindustrie verfügt, die modernstes Gerät herstellt. Dass die Welt es letztendlich akzeptiert, dass Deutschland modernstes Gerät herstellt, zeigt sich natürlich auch an der entsprechenden Exportnachfrage. Wenn Sie sich die Struktur der Rüstungsexporte einmal genau angucken – Herr van Aken, das wissen Sie ganz genau –, dann sehen Sie, dass die Klassifizierung der Rüstungsgüter durchaus fragwürdig ist. Verschiedene Dinge, die als Rüstungsgüter bezeichnet werden, muss man eigentlich nicht unbedingt den Rüstungsgütern zurechnen. Es gibt zum Beispiel die sogenannten Dual-Use-Güter, die man für beide Zwecke einsetzen kann. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Das hat nichts miteinander zu tun! Sie haben überhaupt keine Ahnung!) – Das verfälscht die Zahlen natürlich völlig. Sie operieren ja immer mit den großen Zahlen, die durch die Realität aber überhaupt nicht gedeckt werden. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Dual-Use-Güter sind keine Waffen!) Wir wollen nun die Transparenz der Entscheidungen verbessern. Diese Forderung höre ich hier im Hause seit Jahren. Das passt Ihnen auch wieder nicht. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt echt belämmert, was Sie hier erzählen!) Man muss einmal fragen: Was wollen Sie denn wirklich? Wollen Sie nun Transparenz oder nicht? Wenn Sie sie wollen, dann müssen Sie unserem Antrag heute zustimmen. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echte Transparenz!) Meine Damen und Herren, wo werden denn in der Welt Geschäfte gemacht, bei denen man über Voranfragen in der Zeitung schreibt und veröffentlicht, dass die NATO-Partner XY angefragt haben, ob sie dieses oder jenes Gut kaufen können? Sie glauben doch in Ihrer grünen Welt nicht ernsthaft, dass so etwas überhaupt funktionieren kann. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sind die Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien bekannt geworden?) Da Sie Deutschland in den nächsten 50 Jahren nicht regieren werden, kommt diese Regelung zum Glück nicht. Aber ich wünsche uns dieses Experiment auch nicht. Aber wenn Sie Voranfragen öffentlich machen, dann wäre das doch ein Witz; das wissen Sie ganz genau. Deswegen sollten Sie mit solch abenteuerlichen Forderungen eigentlich überhaupt nicht mehr im Deutschen Bundestag erscheinen. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr, schmeiß Hirn vom Himmel!) Der Kollege Willsch und der Kollege Westphal haben schon deutlich gemacht, was die Grundlagen unseres Antrags sind, die die Transparenz der Entscheidungen deutlich verbessern werden. Ich garantiere Ihnen Folgendes, liebe Kollegen von den Grünen: Jedes Mal, wenn der Rüstungskontrollbericht veröffentlicht wird, wird es dazu eine Debatte im Deutschen Bundestag geben. Das heißt, über jeden dieser Berichte wird es – mindestens zweimal im Jahr – eine Debatte geben und damit Öffentlichkeit hergestellt. Ich garantiere, Herr van Aken: Sie werden nach jeder Entscheidung, die im Wirtschaftsausschuss publik wird, eine Debatte im Deutschen Bundestag anzetteln, um hier jede einzelne Entscheidung zu debattieren. Ich weiß überhaupt gar nicht, woher Sie Ihr Misstrauen nehmen. Dass die Regierung Verantwortung für Entscheidungen übernehmen muss – dafür wird sie schließlich bezahlt, und dafür ist sie im Amt –, ist das Normalste in der Welt. Ich kann nicht nachvollziehen, wie Sie sich heute hier aufgeführt haben. Mit unserem Antrag werden wir die Transparenz herstellen, die für Rüstungsgeschäfte notwendig ist. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Folgen Sie diesem Antrag. Dann tun Sie etwas für die (Jan van Aken [DIE LINKE]: Für die deutsche Wirtschaft!) Öffentlichmachung der Rüstungsexporte deutscher Firmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Finckh-Krämer ist die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen! Wie schon von meinen Vorrednern ausgeführt, diskutieren wir heute über die Verbesserung der Transparenz bei deutschen Rüstungsexporten. Kollege Westphal hat diese Verbesserungen bereits detailliert beschrieben. Ich möchte noch hinzufügen: Mit der Beschlussvorlage erfüllen wir auch einige Forderungen der Oppositionsparteien der letzten Legislaturperiode. Mit dem Beschluss, die zuständigen Ausschüsse über Rüstungsexporte zu informieren, bewegen wir uns in dieselbe Richtung wie zum Beispiel Großbritannien, wo sogar ein eigener Parlamentsausschuss eingerichtet wurde, um über von der Regierung entschiedene Rüstungsexporte zu diskutieren und diese zu bewerten. Dort hat sich gezeigt, dass die zeitnahe Debatte über Regierungsentscheidungen in Parlamentsausschüssen durchaus disziplinierende Wirkung haben kann. Als Außenpolitikerin beschäftigen mich vor allem die außenpolitischen Folgen von Rüstungsexporten. Rüstungsexporte haben eine außenpolitische Wirkung, ob wir das wollen oder nicht. Nicht nur die Regierung, sondern auch wir als Abgeordnete sollten diese Wirkungen bedenken und diskutieren. Ich freue mich auf die Diskussion mit allen Fraktionen in den im Antrag genannten Ausschüssen. Im Fall von Exporten in Drittländer haben wir eine besondere Verantwortung. (Unruhe) Präsident Dr. Norbert Lammert: Einen Augenblick, bitte, Frau Kollegin. – Herr Kollege Ströbele, könnten Sie mir vielleicht behilflich sein, die stehenden Kolleginnen und Kollegen auf die wenigen noch verfügbaren Plätze zu verteilen? (Heiterkeit) Das ist sehr liebenswürdig. Ich bedanke mich. – So, bitte schön. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Gut. – Hier spielen neben den außenpolitischen auch entwicklungspolitische und menschenrechtliche Aspekte eine wichtige Rolle. Deswegen begrüße ich als Mitglied des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe besonders, dass auch dieser Ausschuss über Rüstungsexporte informiert wird. Die Diskussion über Rüstungsexporte und Rüstungsexportkontrolle ist mit dem heute vorliegenden Antrag aber nicht beendet. Es gibt auch, wie schon erwähnt, internationale Entscheidungsrahmen wie – neben den schon genannten Regelungen der Europäischen Union – den internationalen Waffenhandelsvertrag ATT. Deutschland hat sich während der Verhandlungen um den ATT besonders für das Vertragswerk eingesetzt. Wir haben es am 2. April, dem Jahrestag des Beschlusses in der Generalversammlung der Vereinten Nationen, ratifiziert und setzen den Vertrag bereits vor Inkrafttreten um. Wir hoffen, dass bis Ende des Jahres die für das Inkrafttreten notwendige Zahl von 50 Ratifizierungen erreicht wird. Wenn wir in internationalen Gremien glaubwürdig auftreten wollen, müssen wir uns in der Tat auch selbst beschränken. In diesem Zusammenhang unterstütze ich es daher ausdrücklich, wenn sich unser Wirtschaftsminister, wie er gerade öffentlich angekündigt hat, bei rüstungsexportpolitischen Entscheidungen die dafür gebotene Zeit nimmt. Das ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. (Beifall bei der SPD) Lieber Herr van Aken, natürlich kann sich erst im Laufe der Zeit zeigen, welche Wirkungen die neuen Maßnahmen entfalten und ob wir gegebenenfalls nachsteuern müssen. Wir können die Rüstungsexporte der Vergangenheit, auf die Sie sich beziehen, aber nicht ungeschehen machen und bestehende Exportgenehmigungen nicht ohne Weiteres widerrufen. Aber wir können zukünftige Exportgenehmigungen besser kontrollieren. Auch darauf kommt es an. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Botschaft der Ökumenischen Versammlung, die vom 30. April bis 4. Mai in Mainz stattgefunden hat, weist deutlich auf die ethischen Probleme von Rüstungsexporten hin und zeigt damit die Richtung auf, in die wir uns bewegen sollten. Auch wenn wir mit den genannten Schritten die sehr weitgehenden Forderungen der Ökumenischen Versammlung und der Oppositionsanträge nicht erfüllen: Ich hoffe, dass wir uns mit den jetzt zu beschließenden Maßnahmen in die Richtung eines guten Zusammenlebens aller Menschen bewegen, das die Ökumenische Versammlung erreichen möchte – ein Ziel, das wir sicherlich alle teilen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/1334 mit dem Titel „Mehr Transparenz bei Rüstungsexportentscheidungen sicherstellen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen. Unter dem Zusatzpunkt 9 geht es um die Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/1348 mit dem Titel „Für ein generelles Verbot des Exports von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit breiter Mehrheit gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt. Unter Zusatzpunkt 10 stimmen wir ab über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/1360 (neu) mit dem Titel „Echte Transparenz und parlamentarische Beteiligung bei Rüstungsexportentscheidungen herstellen“. Über diesen Antrag stimmen wir auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir zu signalisieren, ob jeweils Mehrheit und Minderheit dieses Hauses angemessen vertreten sind. – Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung über diesen Antrag. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir geben das Ergebnis der Abstimmung später bekannt.4 Ich rufe nun den Zusatzpunkt 8 auf: Vereinbarte Debatte zum Europäischen Tag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Dann darf ich diejenigen, die an dieser Debatte teilnehmen, bitten, Platz zu nehmen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Oliver Kaczmarek für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Oliver Kaczmarek (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Anlass für diese Debatte heute ist der Europäische Tag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Zahllose Ehrenamtliche haben diesen Tag in Deutschland zu einem Protesttag gemacht. Allein 1 500 Menschen haben am Montag am Brandenburger Tor demonstriert. Deswegen steht am Beginn der Debatte mein Dank an alle Ehrenamtlichen, die mit ihren Aktivitäten, mit ihren Anregungen, aber auch mit ihren Ermahnungen diesen Protesttag gestaltet haben. Vielen Dank für dieses Engagement. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich freue mich, wenn ich das sagen darf, Herr Präsident, dass die Ansprechpartnerin für diese Aktivitäten, nämlich die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Frau Verena Bentele, heute hier der Debatte beiwohnt. Ich darf Ihnen sagen, dass Sie sicherlich die Unterstützung des gesamten Hauses bei Ihrer Amtsausübung hinter sich wissen dürfen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gestern gab es noch einen weiteren Aktionstag. Vor dem Bundestag hat die Globale Bildungskampagne uns eingeladen, symbolisch mit Schülern aus Berlin eine Mauer niederzureißen, eine Mauer, die dafür steht, Hindernisse zur inklusiven Gesellschaft zu überwinden. Verbunden damit war die Mahnung, dass 42 Millionen Kinder und Jugendliche mit Behinderung weltweit vom Besuch des Schulunterrichts ausgeschlossen sind. Das ist für uns Mahnung und Auftrag, nicht bei der Symbolik zu bleiben, sondern uns der Herausforderung zu stellen und daran zu arbeiten, das Menschenrecht auf inklusive Bildung weltweit zu verwirklichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Kampagne fordert aber auch: Deutschland muss mit einem nationalen Beispiel vorangehen und Vorbild sein. In der Tat ist Deutschland bei der inklusiven Bildung immer noch am Anfang. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf steigt. Derzeit liegt er bei 6,6 Prozent. Gut 28 Prozent aller Schüler mit Förderbedarf sind an allgemeinbildenden Schulen im gemeinsamen Unterricht. Das ist gut. Schlecht ist, dass fast 72 Prozent es eben nicht sind. Nur ein Viertel aller Förderschüler macht überhaupt einen Schulabschluss. Deshalb: Der allgemeine und gleiche Zugang für Menschen mit Behinderung ist ein zentrales Versprechen der UN-Behindertenrechtskonvention. Das umzusetzen, ist auch eine nationale Aufgabe für die gesamte Politik in Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich würde gerne drei Anmerkungen zu ganz konkreten Herausforderungen der inklusiven Bildung machen: Erstens. Wenn uns inklusive Bildung gelingen soll, dann brauchen wir die Menschen, die das mit Leidenschaft, mit Überzeugung und mit Begeisterung umsetzen, die Profis für Inklusion. Vor Ort gibt es viele Ängste und auch Sorgen: Was passiert mit mir? Was passiert mit meiner Bildungseinrichtung? Was passiert mit meinem Kind? Diese Sorgen müssen wir ernst nehmen. Wir brauchen am Ende alle diese Akteure: Eltern, Schüler, Studierende, Lehrer, Auszubildende, Erzieher, Hochschullehrer, Sozialarbeiter – all diese Menschen sind Profis für Inklusion. Auf ihre Erfahrungen, ob im allgemeinbildenden System oder in den Sondersystemen, können wir nicht verzichten. Das ist das Herzstück einer gelungenen inklusiven Bildung: Menschen unterstützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben – der Staatssekretär aus dem Bildungsministerium ist auch da – das Instrument der Qualitäts-offensive, das Hinweise darauf liefern soll, wie wir die Lehrerausbildung weiter gestalten können. Wir müssen alle gemeinsam dafür sorgen, dass die Finanzierung über eine Laufzeit von zehn Jahren gesichert ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweite Anmerkung. Menschen mit Behinderung brauchen eine gute Arbeit, und zwar eine Arbeit, die ihre Talente und Fähigkeiten einbezieht, ihnen Sinn und Zufriedenheit gibt. Deshalb müssen wir am Übergang von der Schule in den Beruf arbeiten. Wir müssen diesen Übergang glätten. Im Koalitionsvertrag sind die richtigen Stichworte wie ausbildungsbegleitende Hilfen und assistierte Ausbildung aufgeführt. Wir brauchen an dieser Stelle auch die Werkstätten für Menschen mit Behinderung, und zwar nicht mehr als einzigen Arbeitsplatz – diese Einbahnstraße müssen wir aufheben –, sondern wir brauchen sie für die Berufsorientierung und für den geglätteten Übergang von der Schule in den Beruf. Das gilt auch für Menschen mit psychischer Erkrankung. Auch auf diese Erfahrung können wir nicht verzichten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drittens. Wir müssen auch Studierende mit Behinderung unterstützen und diese Unterstützung, wo es notwendig ist, auch modernisieren. Die Eingliederungshilfe gewährt schon heute „Hilfen zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule“. Wir müssen jetzt darauf achten, wenn wir an das Teilhabegesetz herangehen, dass die Standards gesichert und sie gegebenenfalls an ein modernes Studium angepasst werden. Bundeseinheitliche Regelungen wären für die freie Studienplatzwahl wünschenswert. Die Unterstützung für mehr als einen Ausbildungsabschnitt für beruflich Qualifizierte, die beispielsweise an die Hochschule gehen wollen, wäre sinnvoll. Das sind die Ziele, die wir uns für die Menschen mit Behinderung setzen müssen, die sich an den Hochschulen befinden. Zum Schluss. Inklusive Bildung ist ein Kernbereich der UN-Behindertenrechtskonvention, ein Kernbereich der politischen Herausforderung, der sich alle staatlichen Ebenen stellen müssen. Das sollten wir als Bundestag sehr ernst nehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Werner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Katrin Werner (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Bentele! Mehr als 1 500 Menschen mit Behinderung, ihre Freundinnen, ihre Freunde sowie Familien haben uns Abgeordneten hier in Berlin öffentlich ihre Unterstützung bei der Umsetzung ihrer Interessen angeboten. Das sollten wir ernst nehmen. Am Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung am 5. Mai 2014 zeigte sich zweierlei: Die Erwartungen der Menschen sind klar, und ihre Unzufriedenheit wächst. Alle Rednerinnen und Redner am Brandenburger Tor sprachen sich einhellig für bedarfsgerechte Leistungen unabhängig von Einkommen und Vermögen aus. Vor dem Rathaus in Berlin-Neukölln wurden diese Erwartungen am selben Tag noch drastischer geäußert: als Protest gegen amtliche Willkür. Das Neuköllner Sozialamt hat in den letzten Monaten assistenzbedürftige Menschen, die die Weiterbewilligung ihrer Hilfen beantragten, aufgefordert, einen Teil der Leistungen bei der bisherigen Stelle als Hilfe zur Pflege zu beantragen, und den Rest bei der Stelle, der die Eingliederungshilfe obliegt. Viel Vertrauen ist verloren gegangen; denn zu viel Zeit ist leer verstrichen, und der Reformstau ist riesig. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Menschen haben reale Ängste. In Bürgerbriefen und Internetportalen häufen sich kritische Anfragen. Da ist die Mutter eines mehrfach schwerstbehinderten Sohnes. Seit Monaten fragt sie öffentlich, ob das Kindergeld oder andere Leistungen gegen neue Teilhabeleistungen angerechnet werden. Da kritisiert ein Betreuer, dass der Barbetrag zur persönlichen Verfügung für einen Werkstattbeschäftigten so nebenbei in einem Rundschreiben um 7 Euro im Monat gekürzt wird. Da wartet ein Berliner Behindertenverband als Arbeitgeber sechs Monate auf einen Entscheid über eine beantragte Arbeitsassistenz. Da erhalten Eltern zwar Schulassistenz, aber nicht für die Zeit im Hort. Da fragen schwerbehinderte Menschen, warum sie nicht mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen dürfen. Deshalb war der Beifall am 5. Mai 2014 stark, als auf der Kundgebung gefordert wurde, schnell ein Teilhabegesetz vorzulegen, das man öffentlich breit diskutieren muss. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zumindest ihre Gesetzeseckpunkte könnte die Bundesregierung doch schon im Sommer vorlegen. Ich wiederhole unseren Vorschlag, dies bis zum 3. Dezember 2014, also bis zum Welttag von Menschen mit Behinderungen, zu tun, zumal am 10. Dezember der Internationale Tag der Menschenrechte begangen wird und Anfang 2015 der elfte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung vorgelegt werden muss. Die Menschen brauchen endlich ein Leistungsgesetz, ja, aber auch zivilrechtliche Stärkung. Die Linke unterstützt deshalb gesetzliche Zwischenschritte, um sofort krasse Diskriminierung zu beseitigen, allerdings nur als Weichenstellung in Richtung einer vollen Teilhabe und nicht als Ersatzlösung. Die Bundesregierung muss ein Signal setzen: Es geht nicht um Haushaltssanierung, sondern um freiheitliche Lebenschancen. Lassen Sie uns erstens sofort den Wahlrechtsausschluss für Menschen unter sogenannter Vollbetreuung und in psychiatrischen Einrichtungen aufheben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie uns zweitens sofort den Behinderungsbegriff an die UN-Konvention anpassen, und zwar im Behindertengleichstellungsgesetz, im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, im SGB IX und auch in der Pflegeversicherung. Lassen Sie uns drittens sofort den Kostenvorbehalt in § 13 Absatz 1 im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch streichen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn noch immer werden Menschen mit Behinderung gegen ihren Willen gezwungen, in einem Heim zu leben. Nur ohne Kostenvorbehalt wird der Anspruch „ambulant vor stationär“ Wirklichkeit. Lassen Sie uns viertens endlich dafür sorgen, dass regulär beschäftigte Menschen mit Behinderung ihr selbstverdientes Geld auch selbstbestimmt für sich und ihre Familien ausgeben oder sparen dürfen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir teilen die Forderung von Frau Bentele, die Einkommens- und Vermögensgrenzen komplett zu streichen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Lassen Sie uns fünftens umgehend die Ausgleichsabgabe anheben sowie die Beschäftigungspflichtquote wieder auf 6 Prozent erhöhen. (Beifall bei der LINKEN) Was spricht sechstens dagegen, den Anspruch auf Assistenz sofort auszuweiten, für Kinder mit Behinderung auch im Hort, für alle, die sich ehrenamtlich engagieren, für Behindertensportler außerhalb ihres Trainings oder im Krankenhaus für jede und jeden Erkrankten? Lassen Sie uns siebentens das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sofort überarbeiten. Ein Antrag unserer Fraktion für ein Sofortprogramm zur Beseitigung bestehender Barrieren liegt bereits auf dem Tisch. Es wäre schön, wenn die fraktionsübergreifenden Gemeinsamkeiten der behindertenpolitischen Sprecherinnen und Sprecher dazu führen, diese wichtigen Fragen aufzugreifen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema „Echte Transparenz und parlamentarische Beteiligung bei Rüstungsexportentscheidungen“ bekannt: abgegebene Stimmen 557. Mit Ja haben gestimmt 104, mit Nein haben gestimmt 452 Kolleginnen und Kollegen, eine Enthaltung. Damit ist der Antrag abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 556; davon ja: 104 nein: 451 enthalten: 1 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Jutta Krellmann Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Bärbel Höhn Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Matthias Ilgen Christina Jantz Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Andrea Nahles Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Sonja Steffen Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Enthalten SPD Marco Bülow Wir setzen die Debatte fort. Nächster Redner ist der Kollege Uwe Schummer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Uwe Schummer (CDU/CSU): Verehrtes Präsidium! Geschätzte Frau Bentele! Liebe Damen und Herren hier im Plenum! Es ist eine Woche der Inklusion, die wir hier in Berlin miteinander erleben. Am Montag demonstrierten in einer großen Kundgebung vor dem Brandenburger Tor fast 1 000 Menschen dafür, dass die Gleichstellung der behinderten Menschen in der Arbeitswelt, in der Freizeit, in der Familie, im Leben insgesamt durchgesetzt wird. Es war ein europäischer Aktionstag, und es gab ein Motto, nämlich „Schon viel erreicht. Noch viel mehr vor.“, das ermuntert, aber gleichzeitig zeigt: Es ist noch ein weiter Weg, den wir miteinander zurückzulegen haben. Am Mittwoch bauten Schüler vor dem Paul-Löbe-Haus und vor dem Reichstagsgebäude eine Wand auf, die sie dann gemeinsam wieder abbauten und niederrissen, um zu zeigen, dass Barrieren nicht nur baulicher Art sind, sondern auch mental in den Köpfen vorhanden sind, die man aber miteinander überwinden kann, wenn man sich kennenlernt, wenn man sich bemüht, wenn man ein Leben miteinander entwickelt, indem man zusammenfindet, sich nicht separiert, nicht gegeneinandersteht und nicht nebeneinanderher lebt. Das war eine Kampagne, die in 80 Ländern, also global, stattfand, in deren Rahmen Barrieren in einem Happening modellhaft niedergerissen wurden, um damit die Forderung „Inklusive Bildung für alle und besonders für alle Kinder“ durchzusetzen. Weltweit sind 1 Milliarde Menschen von Behinderung betroffen. 80 Prozent von ihnen leben auf der südlichen Erdhalbkugel. Laut der UNESCO erhält weltweit nur jedes zehnte behinderte Kind überhaupt eine Schulbildung. Die meisten dieser Kinder werden weggeschlossen. Man schämt sich für sie. Sie erhalten keinerlei Chance. Es ging am Montag bei dem europäischen Aktionstag vor dem Brandenburger Tor um ein Bundesteilhabegesetz in Deutschland. Ein solches Gesetz werden wir in dieser Legislaturperiode durchsetzen und verabschieden. Es ging am Mittwoch um das globale Grundrecht eines jeden Kindes auf eine inklusive Bildung und Teilhabe in der Gesellschaft. Der Koalitionsvertrag der Unionsparteien und der SPD umfasst 20 Handlungsaufträge, mit denen wir in den nächsten Wochen und Monaten das Thema „Inklusion, Beteiligungsrechte“ vorantreiben werden. Es geht um Barrierefreiheit beim Städte- und Wohnungsbau sowie bei Verkehrstechnologien. Es geht aber auch um Barrieren in der Kommunikation, im Netz sowie in den Köpfen, die beseitigt werden müssen, wenn wir miteinander leben und uns miteinander verständigen wollen. Es geht weiter darum, dass wir auch in der Entwicklungszusammenarbeit das Thema der behinderten Menschen verstärkt aufgreifen. Zu denken ist daran, was in Ruanda durch Kriegsteufeleien passiert ist, wie viele Menschen dort versehrt sind und nach wie vor Hilfe benötigen. Auch das ist ein Thema der globalen Verantwortung, die wir miteinander haben. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Jetzt! – Du musst einmal Luft holen, Uwe! – Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) – Immer dann, wenn Frau Noll „Jetzt!“ sagt, müsst ihr klatschen. (Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Wir haben doch nur darauf gewartet!) Ich danke sehr für diese Ermunterung. Ich finde, dass wir bei allen diesen Themen die globale Sichtweise, die uns am Mittwoch dargestellt wurde, weiterhin im Blick behalten müssen. Deshalb bin ich dankbar dafür, dass wir das Thema in der Debatte, die wir heute miteinander führen, noch einmal nach vorne bringen. Wir hatten heute – SPD und Union gemeinsam, Kerstin Tack war dabei –, was die Teilhabe in der Arbeitswelt angeht, eine sehr intensive Anhörung bzw. ein Fachgespräch zum Thema Schwerbehindertenvertretungen. Im Oktober dieses Jahres werden in den Betrieben und Verwaltungen die Schwerbehindertenvertretungen gewählt. Sie sind wichtige Ratgeber, um Inklusion in der Arbeitswelt umzusetzen. Wie können wir die Schwerbehindertenvertretungen auch in Bezug auf ihre Rolle aufwerten und stärken, die sie im Zusammenhang mit dem Betriebsrat und den Arbeitgebern spielen? Das gilt aber auch für die betriebliche Gesundheitsprävention, damit die Behinderten, wenn sie länger arbeiten, durch Gesundheitsförderung ihre Arbeitspotenziale einbringen bzw. nutzen können. Wie können sie Komanager in Unternehmen werden, um, gesundheitlich gesehen, in der Arbeitswelt ihrer Rolle möglichst gerecht zu werden? Das war ein sehr intensives, sehr ausführliches Gespräch mit vielen Praktikern aus den Unternehmen und den Verwaltungen. Ich bin sicher, dass wir bei dem Thema der Beteiligungs- bzw. der Mitwirkungsrechte auch im Bereich der Schwerbehindertenvertretungen einige Positionen miteinander politisch diskutieren und dann auch durchsetzen bzw. verabschieden werden. Wir müssen, was das Bundesteilhabegesetz angeht, aus der Armutsfalle heraus. Es ist richtig, dass bei einer Heirat der Partner oder die Partnerin sofort mit seinem bzw. ihrem Vermögen bzw. mit seinen oder ihren Einkünften mit herangezogen wird, sodass Liebe im Grunde gleichzeitig in Armut führt. Das darf es nicht geben. Es ist auch ein Verstoß gegen die Verfassung, nach der Ehe und Familie in besonderer Weise zu fördern sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es darf keine Armutsfalle geben, wenn eine solche Partnerschaft zu einer Familiengründung führt. Deshalb müssen wir miteinander überlegen, wie wir in einem Bundesteilhabegesetz ein Bundesteilhabegeld entwickeln. Mit dem sollen auf der einen Seite die Kommunen entlastet werden. Dies wäre ein Weg, ihnen mehr Gelder zur Verfügung zu stellen. Die Nutznießer eines solchen Bundesteilhabegesetzes müssen aber die betroffenen Menschen sein. Da müssen wir dann ein Stück weit auch die Beteiligungsrechte insgesamt im Blick haben und solche Armutsfallen beseitigen. Wir sehen das Schicksal der Menschen in den betreuten Werkstätten. Es ist gut, dass es sie gibt. Die Zahl der Mitarbeiter in den betreuten Werkstätten hat sich in den letzten 15 Jahren auf 300 000 verdoppelt. Ich habe nicht den Eindruck, dass sie den Auftrag, den sie auch haben, erfüllen, nämlich immer darauf zu schauen, ob nicht noch inklusive Arbeitsplätze im Außenbereich – in Integrationsunternehmen oder auf dem ersten Arbeitsmarkt – entwickelt werden können. Das kann mit Assistenz bei der Arbeit geschehen. Es muss aber auch eine Rückkehrmöglichkeit geben, wenn das nicht gelingen sollte. Auch das Scheitern muss natürlich im Blick behalten werden. Die Werkstätten müssen sich in dieser Frage flexibler und stärker am Menschen orientiert organisieren. Eine Vermittlungsquote von unter 1 Prozent in den betreuten Werkstätten kann nicht die Auftragserfüllung sein, die wir von ihnen erwarten. Wir wollen betreute Werkstätten, aber sie müssen aus großen Tankern zu Schnellbooten werden, die auch auf dem ersten Arbeitsmarkt inklusive Arbeit mit entwickeln und mit fördern. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielfalt ist die Voraussetzung für Wahlfreiheit. Ich denke, es war eine wichtige Woche, die wir miteinander erlebt haben. Wir werden gemeinsam über alle Fraktionsgrenzen hinweg dafür sorgen, dass dies nicht nur eine „Woche der Inklusion“ war, sondern dass wir ein Leben mit Inklusion vor uns haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Kollegin Corinna Rüffer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bentele! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Montag war der Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Schon am Dienstag danach ist Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, aufgefallen, dass Sie gerne hier heute im Plenum darüber reden wollen. Sie mussten dann ganz schnell von uns wissen, ob wir einverstanden sind. Ich sage: Besser spät als nie. Persönlich unterhalte ich mich auch gerne über das Thema, erst recht hier im Bundestag. Aber ganz ehrlich: Von einer Bundesregierung erwarte ich mehr als nur schöne Worte auf den letzten Drücker. Ich erwarte, dass Sie auch etwas vorlegen. Meine Fraktion hat schon vor einem Monat einen Antrag eingebracht, über den wir hier auch debattiert haben. Sie haben damals beklagt, unser Antrag sei enttäuschend. Die Fachwelt sieht das anders. Sie haben davon gesprochen, dass Sie selbst sich da etwas mehr vorgenommen hätten. Das mag ja sein. Mir ist aber wichtig, was Sie tun. Bisher beschränkt sich Ihr Tun darauf, Versprechen abzugeben. Davon profitieren Sie selbst am meisten. In Reden und auf Podien schwingen Sie sehr große Worte: Wir werden Teilhabeleistungen anrechnungsfrei gestalten und den Ausschluss vom Wahlrecht abschaffen. – Aber wenn man mit Ihnen kleine, konkrete Vorschläge diskutieren will, dann wehren Sie ab und sagen: Nein, das geht nicht. Jetzt noch nicht. Wir wollen nämlich mehr. Aber das dauert noch. Wir sind in Gesprächen. Wir sind uns noch nicht einig. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Gespräche über eine Weiterentwicklung des Leistungsrechtes führen wir schon eine ganze Weile. Es gäbe eine Reihe von Verbesserungen, die Sie ohne Weiteres direkt angehen könnten. Ein paar Vorschläge haben wir in unserem Antrag vor einem Monat gemacht. Sie könnten zügig sehr viel zum Abbau von Barrieren und gegen Diskriminierung tun. Ich bin gespannt auf die Diskussion, die wir im Ausschuss über unseren Antrag führen werden. Vielleicht können Sie sich ja durchringen, ihm am Ende zuzustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich hätte aber auch nichts dagegen, wenn Sie jetzt selbst initiativ werden würden. Wenn Sie zeigen möchten, dass Sie es wirklich ernst meinen, dann legen Sie doch noch vor der Sommerpause etwas vor. Es könnten ja einfach kleinere und überschaubare Projekte sein. In Deutschland ist zum Beispiel noch nicht systematisch sichergestellt, dass alle neuen Gesetze und Verordnungen auf Bundesebene den Anforderungen der Behindertenrechtskonvention genügen. Darum könnten Sie sich doch kümmern. Nehmen wir einen anderen Bereich: In Deutschland dürfen medizinische Experimente an behinderten Kindern auch dann vorgenommen werden, wenn sie selbst nicht davon profitieren. Machen Sie Schluss damit, jetzt und nicht erst später, irgendwann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich kann Ihnen versichern, dass meine Fraktion immer gerne zustimmen wird, wenn Sie etwas dafür tun, dass sich die Situation der behinderten Menschen verbessert. Ihnen würde das auch bei behinderten Menschen und ihren Verbänden mehr Anerkennung bringen als die abenteuerlichen Vorschläge, mit denen der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Michael Fuchs, kürzlich zitiert wurde. Er forderte, bei der Eingliederungshilfe zu sparen, um den Abbau der kalten Progression zu finanzieren. Das ist ein kalter Vorschlag. Ich habe selten einen schlechteren gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Solche Äußerungen machen aber die Problematik deutlich. Es gibt selbstverständlich auch bei Ihnen in der Union und in der SPD Abgeordnete, die sich behindertenpolitisch engagieren und wirklich etwas bewegen möchten, unbestritten. In der Debatte vor einem Monat haben sich einige von Ihnen sehr engagiert geäußert und zum Beispiel kritisiert, dass sowohl behinderte Menschen selbst als auch ihre Ehepartner finanziell für ihre Assistenz aufkommen müssen. Das sei ein Skandal, hieß es. Das wurde heute mehrfach wiederholt. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion äußerte sich die Bundesregierung aber ganz anders: Die Auffassung, dass die Eheschließung bzw. Partnerschaft – gut aufpassen – von behinderten Menschen bei Sozialhilfegewährung unerträglich belastet würde, kann nicht überzeugen. Bei einer Partnerschaft spielen in unserer Gesellschaft primär persönliche Aspekte eine Rolle. Liebe zum Beispiel; das stimmt. Aber wir können von Liebenden nicht erwarten, dass sie deshalb arm werden. Das ist zu viel verlangt. Die Anfrage ist ein paar Wochen alt. Da widerspricht sich irgendetwas. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Frau Nahles oder wer auch immer mir das beantworten will, was ist denn da los? Wem soll ich denn glauben? Ihnen, wenn Sie von hier aus reden, oder der Regierung, wenn sie schriftlich Fragen beantwortet? Wenn ich mich dann an die Debatte zur finanziellen Lage der Kommunen erinnere – das ist auch noch nicht lange her; die haben wir kürzlich geführt –, schwant mir wirklich nichts Gutes. Da wurde mir etwas zu häufig über Finanzen und Einsparpotenziale geredet und etwas zu wenig über die Rechte von Behinderten. Manchmal muss man hinschauen, in welcher Debatte man sich gerade befindet, um zu erkennen, was denn wirklich dahintersteckt. Das ist ein großes Problem. Wenn das Teilhabegesetz für Sie, liebe Große Koalition, in erster Linie eine Möglichkeit sein sollte, Kosten zu sparen, bieten wir denjenigen von Ihnen, die ernsthaft an einer menschenrechtsorientierten Behindertenpolitik interessiert sind, gern Asyl – garantiert und ohne Abschiebung. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion hat nun Kerstin Tack das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kerstin Tack (SPD): Herr Präsident! Liebe Verena Bentele! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Auf dem Protesttag am Montag haben wir mit Blick auf die politischen Herausforderungen beim Thema Menschen mit Behinderung festgestellt – ich glaube auch, dass diese gemeinsame Klarstellung wichtig ist –, dass wir uns diesem Anliegen partei- und fraktionsübergreifend gleichermaßen in wertschätzender und sachlicher Weise widmen müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt erleben wir aber, dass das, was der Community als wertvolle Unterstützung zugesagt wurde, in der -parlamentarischen Debatte zu einer relativ armseligen Veranstaltung verkommt. Denn ohne selbst nur einen einzigen inhaltlich-fachlichen Vorschlag zu machen, hält man den anderen vor, dass sie nicht schon selbst längst Vorschläge auf den Tisch gelegt haben. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So war es!) Damit verabschiedet man sich auch noch von dem Grundsatz „Nicht ohne uns über uns“. Die Grünen fordern von uns – auch jetzt wieder –, in vier Wochen eine umfängliche Sozialrechtsreform vorzulegen. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt doch keiner, Frau Tack!) – Aber selbstverständlich, Frau Rüffer. Das haben Sie vorhin wieder getan. – Sie ignorieren dabei die Tatsache, dass Deutschland sich mit der Ratifikation der UN--Behindertenrechtskonvention verpflichtet hat, ein Gesetzgebungsverfahren nur unter Beteiligung der Betroffenen durchzuführen. Wer aber gleichzeitig fordert, das Vorhaben in vier Wochen abzuschließen, der verabschiedet sich von dem Anspruch, genau dieser Verpflichtung nachzukommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir gar nicht gesagt! Das ist doch billige Polemik!) Ihnen muss klar sein, dass Sie mit diesen von Ihnen -immer wieder vorgebrachten Aussagen gegen den -Anspruch verstoßen, den Sie außerhalb des Parlaments erheben. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Tack, darf die Kollegin Rüffer Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Kerstin Tack (SPD): Ja, darf sie. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sehr schön. – Frau Kollegin Rüffer. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Frau Tack, ich finde es wunderbar, dass Sie so engagiert über dieses Thema diskutieren. Das eint Menschen, die sich mit Behindertenpolitik beschäftigen. Sie haben uns nun unterstellt, dass wir von Ihnen erwarten würden, ohne Beteiligung Behinderter in vier Wochen ein Bundesteilhabegesetz vorzulegen. Dem ist aber mitnichten so. Wir haben nur gesagt, dass Sie nicht alles in das Bundesteilhabegesetz schieben können. In unserem Antrag und in den heutigen Reden haben wir viele Punkte, die man außerhalb dieses Gesetzes regeln muss, aufgezählt. Ich möchte von Ihnen wissen, ob Sie der Meinung sind, dass man all diese Punkte in ein Gesetz schieben muss, oder ob man nicht die vielen Punkte, über die in der Vergangenheit unter Beteiligung Behinderter ausführlich diskutiert worden ist, schon jetzt umsetzen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kerstin Tack (SPD): Nein, das kann man nicht. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Wir streben gemeinschaftlich eine Gesamt-lösung an, was verbietet, Einzelaspekte herauszupicken. Vier oder fünf Sozialgesetzbücher, die etwas miteinander zu tun haben, sollen angefasst werden. Jetzt beispielsweise § 13 aus dem SGB XII herauszupicken oder einen Teilaspekt aus einem Paragrafen im SGB IX anders zu fassen, bringt uns nicht weiter. Wir müssten es nämlich ansonsten ein zweites Mal anfassen, nämlich dann, wenn wir mit einer großen Reform eine Wirkung auch auf andere Gesetzbücher entfalten wollen. Wir sagen deshalb: Wir wollen kein Klein-Klein, sondern wir wollen eine große Reform, die Regelungen aus verschiedenen Sozialgesetzbüchern in eine neue Dimension überführt. Wenn man eine Gesamtlösung anstrebt, verbietet es sich, vorher einzelne Rosinen herauspicken. Wenn wir das tun würden, würden wir die Verwirklichung der angestrebten großen Reform gefährden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Das möchten wir ausdrücklich nicht. Im Gegensatz zu Ihrer Fraktion haben wir hier übrigens mehrfach gesagt, welche Erwartungshaltung wir politisch bezüglich eines Bundesteilhabegesetzes haben. Ich kann es gerne wiederholen: Uns geht es natürlich um ein Wunsch- und Wahlrecht, um Personenzentriertheit, um ein Raus aus der Sozialhilfe, um eine Überprüfung der Einkommens- und Vermögensanrechnung, selbst-verständlich auch um eine Lösung der Schnittstellen-problematik SGB VIII, SGB IX, SGB XII und SGB V. All diese Thematiken spielen für uns eine Rolle. Ich warne dringend davor, ständig zu fordern, wir mögen mit Schnellschüssen in den Bundestag kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat kein Mensch gesagt, Frau Tack! Das ist unredlich!) Aber unsere politische Erwartungshaltung können wir miteinander diskutieren. Das tun wir auch. Im Übrigen führen wir viele Gespräche mit den Verbänden von Menschen mit Behinderung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich sage Ihnen: Die Erwartungshaltung ist immens, dass wir uns hinreichend miteinander verständigen, wie wir eine solche Reform ausgestalten. Richtigerweise haben alle Vorschläge gemacht. Ja, das stimmt. Das sind aber mitnichten Vorschläge, die wir alle einfach so zusammenpacken könnten, dass dann ein Exemplar herauskommt, über das Einigkeit besteht. Ich möchte nicht den einen gegen den anderen Verband ausspielen, indem wir sagen: Eure Meinung ist uns mehr wert als die Meinung eines anderen Verbandes. – Deshalb freue ich mich, dass wir einen Zeitplan vereinbart haben, der es erlaubt, in dieser Legislaturperiode ein entsprechendes Gesetz zu erarbeiten und so rechtzeitig zu verabschieden, dass es auch noch seine Wirkung entfalten kann. Ich glaube, genau das haben wir zeitlich richtig konzipiert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Obwohl wir bis 2016 ein Bundesteilhabegesetz vorbereiten, haben wir natürlich vor, diverse weitere Ziele vorab miteinander zu verhandeln und umzusetzen. Der Kollege Schummer hat berichtet, dass wir vorhaben, die gesetzlichen Mitwirkungsrechte der Schwerbehindertenvertretungen noch in diesem Jahr zu überarbeiten. Wir werden auch über die Mitwirkungsmöglichkeiten von Werkstatträten noch in diesem Jahr miteinander ins -Gespräch kommen. Wir werden den Themenbereich Budget für Arbeit und Inklusion auf dem Arbeitsmarkt miteinander beraten und in ein Konzept gießen. Wir -haben eine Menge vor; das haben wir immer wieder -gesagt. Wir haben es übrigens erstmals seit Existenz der Bundesrepublik geschafft, dass in einen Koalitions-vertrag die Herausforderungen für Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen – sei es Verkehr, Bau, -Innenpolitik, Tourismus, Außenpolitik oder Menschenrechte – als Querschnittsthema aufgenommen wurden. Ich sage Ihnen: Wir sind verdammt stolz darauf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das, was wir als Koalition an dieser Stelle vereinbart haben, ist für die Bundesregierung neu. Es ist aber richtig und wichtig, weil eine inklusive Gesellschaft mit all ihren Facetten gebraucht wird und als Querschnittsthema wichtig ist. Selbstverständlich werden wir diese Themen nicht erst 2016 behandeln, sondern wir gehen sie jetzt sukzessive an. Das ist auch richtig so. Ich wünsche mir – wenn ich das zum Schluss noch -sagen darf –, dass wir ein bisschen qualifizierter über ein Bundesteilhabegesetz reden und uns nicht nur über die Frage des Zeitpunktes, sondern auch fachlich und inhaltlich darüber austauschen. Ich glaube, das Thema ist es allemal wert. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Vokabeln kennen wir, Frau Tack!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Jutta Eckenbach, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jutta Eckenbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Rüffer, lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede und -meiner Ausführungen einige Klarstellungen vornehmen, die mir an dieser Stelle wichtig sind. Sie wissen und es ist gemeinsam vereinbart worden, dass es in -dieser Woche eine Aktuelle Stunde zu genau der jetzt zu behandelnden Fragestellung hier im Bundestag geben sollte. Es ist dann, und das auch gemeinsam, mit allen vereinbart worden, (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am Dienstag!) dass diese vorgesehene Aktuelle Stunde zugunsten einer über die Lage in der Ukraine – ich fand diese Debatte sehr wichtig, denn es ging um die momentan wichtigste Frage, die wir neben der in dieser Debatte anstehenden angehen müssen – abgesetzt wurde. Wir legen also sehr großen Wert darauf, dass hier im Bundestag Wahrheiten zur Sprache kommen; aber Sie werfen hier einfach -Floskeln in den Raum und stellen die Dinge nicht richtig dar. Es gab jedoch eine Vereinbarung aller Fraktionen, es genau so zu machen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Und das geschah nicht erst nach diesem Montag, sondern es war bereits im Vorfeld klar, dass diese Aktuelle Stunde durchgeführt werden sollte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Also stellen Sie hier bitte nicht all die Dinge, die wir gemeinsam vereinbart haben, auf den Kopf! Ich glaube aber, es gibt am heutigen Tag Wichtigeres, als sich mit dem auseinanderzusetzen, was Frau Rüffer hier nicht sachgemäß vorgetragen hat. Wir haben hier im Deutschen Bundestag bereits am 4. April eine sehr interessante Debatte geführt und haben kontrovers diskutiert. Zugleich konnten wir feststellen, dass wir uns eigentlich darüber einig sind, wie wir vorgehen wollen: Wir wollen nämlich alles Menschenmögliche tun und vor allen Dingen entsprechende gesetzliche Regelungen finden, damit den Menschen mit Behinderungen mehr Teilhabe zugestanden wird. Das hat dieses Haus am 4. April in aller Gemeinsamkeit festgestellt. Ich denke, es ist wichtig, das zu wiederholen. Die Frage, die wir heute wieder diskutieren, ist: Wie gehen wir dabei vor? An dieser Stelle haben Sie, Frau Tack, vollkommen recht: Es geht nicht scheibchenweise. – Aber die Veranstaltung am Montag, an der ich leider nicht sehr lange teilnehmen konnte, aber lange genug, um einerseits Frau Bentele kennenzulernen und mir andererseits einen Rap anzuhören, den ich übrigens auf meiner Facebook-Seite eingestellt habe, hat uns gezeigt: Auch die Kultur bietet eine Möglichkeit, viele Menschen zu erreichen. Was wir da gehört haben, ist natürlich eine tolle Geschichte. Ich empfehle jedem, sich das anzuhören, um zu erkennen, was zwischen Menschen mit -Handicap und Menschen, die nichts haben, die normal sind – wobei das falsch ausgedrückt ist, denn wer weiß schon, wer normal ist! –, möglich ist. Etwas Weiteres, was mich bei dieser Veranstaltung sehr beeindruckt hat, waren die fünf Ziele, die Frau -Bentele benannt hat. Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Ziel herausnehmen – es war heute schon einmal Gegenstand der Debatte –: Es geht um die Frage, wie man -eigentlich damit umgeht, wenn jemand wie zum Beispiel die Richterin Frau Poser, über die jetzt im MDR zum zweiten Mal ein Bericht lief, einem ganz normalen Beruf nachgeht, aber bei der Arbeit auf eine Assistenz angewiesen ist. Sie kann von dem, was sie verdient, nur 2 600 Euro ansparen; höher darf ihr Vermögen nicht sein. Wenn es uns wichtig ist, die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben zu gewährleisten, müssen wir hier dringend etwas ändern. Ich finde, das ist eine der ersten Forderungen, die wir hier aufstellen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mich hat auch beeindruckt, was Frau Bentele bei der Veranstaltung am Montag unter dem Bild des bunten Adlers ausgeführt hat. Sie hat sich des Symbols des Bundesadlers angenommen und gefragt, was das Bild vom bunten Adler bedeutet. In ihren Ausführungen hat sie dann deutlich gemacht, wie wichtig es ist, sich vor -Augen zu führen, dass so bunt und einzigartig wie wir alle als Einzelne sind, uns symbolisch doch der Bundesadler eint, der ein Zeichen für Stärke, Freiheit und -Unabhängigkeit ist. Unsere Aufgabe in diesem Hause ist es, diese Stärke, Freiheit und Unabhängigkeit für einen jeden in unserer Gesellschaft zu gewährleisten. Insofern werden wir Frau Bentele bei ihrer Arbeit -unterstützen, so wie wir Herrn Hüppe unterstützt haben. Wir sagen den vielen Menschen mit Handicap: Kommt zu uns! Wir sind alle gleich, und wir wollen alle das Gleiche erreichen, nämlich die Teilhabe am Leben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herzlichen Dank. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist Dr. Astrid Freudenstein, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Frau Bentele! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe einmal nachgeschaut, wie der Begriff der Inklusion eigentlich in Leichter Sprache umschrieben wird. Leichte Sprache ist übrigens auch für Menschen ohne Behinderung etwas ganz Hilfreiches und Gutes. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Inklusion bedeutet: – so steht es auf einer Internetseite der Aktion Mensch – Alle Menschen sollen überall dabei sein. Alle Menschen haben die gleichen Rechte. Alle Menschen können selbst bestimmen, was sie wollen. Niemand wird ausgeschlossen. Das klingt alles selbstverständlich und auch ziemlich einfach, und das nicht nur, weil es einfache Sprache ist. Und doch wissen wir, wie schwierig das im Alltag oft ist und welche Fragen und Probleme sich da auftun. Bauliche Barrierefreiheit kostet oft zusätzliches Geld, und es ist nachvollziehbar, wenn das einem Gemeinderat Kopfzerbrechen bereitet. Es ist selbstverständlich, dass eine Belegschaft erst einmal unsicher ist, wenn zum ersten Mal ein Kollege im Rollstuhl zur Arbeit kommt. Für eine Grundschullehrerin ist es nicht banal, wenn sie plötzlich auch mit einem Kind mit Downsyndrom arbeiten soll und das vorher noch nie gemacht hat. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich meine, wir sollten den Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung auch dazu nutzen, zum offenen Dialog zu ermuntern. Die Grundschullehrerin, der Gemeinderat – sie alle müssen ihre Ängste, Vorbehalte und Unsicherheiten auch formulieren dürfen, weil wir nur dann vorankommen. Es brauchen nämlich beim großen Gemeinschaftsvorhaben der Inklusion nicht nur die Menschen mit Behinderungen Hilfe und Unterstützung. Jeder Einzelne, auch die Nichtbehinderten, brauchen, mal mehr, mal weniger, Hilfestellung beim Großprojekt der inklusiven Gesellschaft. Für den politischen, für den gesetzgeberischen Teil der Inklusion sind natürlich wir hier zuständig. Die gesetzlichen Grundlagen für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung sind im Grundgesetz verankert. Speziell das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Behindertengleichstellungsgesetz bekräftigen die Gleichheit und verbieten die Diskriminierung und Benachteiligung behinderter Menschen. Aber damit haben wir unseren Teil zur Gleichstellung noch nicht getan. Wenn wir heute in Deutschland von der Gleichstellung behinderter Menschen sprechen, dann meinen wir in erster Linie die Chancengleichheit bei der Teilhabe an der Gemeinschaft, und die verlangt ganz konkrete Maßnahmen. Eine dieser Maßnahmen – sie wurde eben schon angesprochen – ist die Entwicklung der Eingliederungshilfe zu einem modernen, zeitgemäßen Teilhaberecht, mit dem eine größere Chancengleichheit erreicht werden soll. Die Neuausrichtung von einer überwiegend einrichtungsbezogenen zu einer individuellen, personenzen-trierten Teilhabeleistung ist unser Ziel. Menschen mit Behinderung müssen mit ihren spezifischen Bedürfnissen im Mittelpunkt stehen. Es muss eine Wahlfreiheit geben, wenn es darum geht, wie und wo die Menschen arbeiten und wohnen wollen. Es gilt auch, ein Verfahren zu etablieren, bei dem alle Leistungsberechtigten in Deutschland gleichermaßen an den Leistungen partizipieren -können. Das Verfahren muss die Bedarfsermittlung vereinheitlichen. Bei dieser Reform wird die Perspektive und die Erfahrung von Menschen mit Behinderung von Anfang an mit einbezogen. Dass das nicht von heute auf morgen geht, das haben wir eben schon diskutiert. Wir wollen die Eingliederungshilfe nicht wegen eines abstrakten Konzepts reformieren, sondern wir wollen sie für die Menschen reformieren. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen!) Wir wollen die Teilhabe, die dem Einzelnen möglich ist, auch möglich machen. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit und Nächstenliebe. Dabei wird es nicht reichen, möglichst viel Geld zu verlangen. Inklusion ist viel schwieriger. Auf einer anderen Internetseite der Aktion Mensch steht ebenfalls in Leichter Sprache: Es gibt schon viele Gesetze und Regeln für Inklusion. … Diese Gesetze und Regeln sind wichtig. Aber Vieles steht nur auf dem Papier. Es muss sich viel mehr in den Köpfen von den Menschen verändern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hochschulpakt fortsetzen und aufstocken Drucksache 18/1337 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Erster Redner der Debatte ist der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein 6-plus-3-Milliarden-Euro-Paket für Bildung und Forschung hat die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag versprochen. Dazu muss ich zwei Dinge sagen: Erstens. Diese Mittel sind viel zu gering, um die Unterfinanzierung von Krippen, Kitas, Schulen, Hochschulen, Forschungs- und Weiterbildungseinrichtungen zu überwinden. Das sind geradezu Peanuts im Vergleich zum Rentenpaket. Zweitens. Bisher handelt es sich bei diesem 6-plus-3-Milliarden-Euro-Paket um eine reine Luftnummer; denn die Koalition streitet seit einem halben Jahr, ob, wie und wohin das Geld überhaupt fließen soll. Währenddessen landet bei Schülern, Studierenden, Lehrkräften und Wissenschaftlern kein Cent. Damit riskiert diese Koalition die sichere Finanzierungsbasis des Bildungs- und Wissenschaftssystems. Das ist zukunftsvergessen, das ist innovationsfeindlich, und das ist nicht generationengerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bildung und Wissenschaft brauchen erheblich höhere Investitionen, und das am besten durch fachlich gebundene zusätzliche Mittel des Bundes, die erstens wirklich dort landen, wo sie hingehören – das müssen echte Investitionen in die Bildungschancen unserer Kinder sein –, und zweitens nicht zur Folge haben, dass einzelne Länder ihre Etats für Schulen und Hochschulen absenken. Um all das nachzuverhandeln, was in den Koali-tionsgesprächen nicht ausgehandelt wurde, haben Ministerin Wanka und die Koalitionsfraktionen das jetzt in die Hände von Merkel, Gabriel und Seehofer gelegt. Angesichts dessen kann man doch sagen: Nicht der dringende Investitionsbedarf bei Bildung und Wissenschaft wird das Entscheidende sein, sondern der Machtpoker der großen drei. Das ist die traurige und trostlose bildungs- und forschungspolitische Realität dieser Großen Koalition. Mit diesem Stillstand muss Schluss sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Ist doch!) Es gibt viele dringend anzugehende Projekte. Wir stellen heute diesen Antrag, (Martin Rabanus [SPD]: Ist aber ziemlich -inspirationslos!) damit die Koalition die Zukunft der Wissenschaftspakte nicht vergisst, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Dafür brauchen wir die Grünen nicht!) allen voran die Fortsetzung und Stärkung des Hochschulpakts 2020. Wir haben einen fortdauernden Studierendenboom. In jedem Jahr seit 2007 war die Nachfrage nach Studienplätzen höher als geplant und der Hochschulpakt stets unterdimensioniert. Das gilt übrigens auch für die laufende zweite Paktphase. Wir wissen, dass 2012 und 2013 ungefähr 20 000 Studienanfänger mehr als ursprünglich berechnet gekommen sind. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Eine gute Nachricht!) Heute hat die Kultusministerkonferenz ihre neue Studienanfängerprognose vorgelegt. Sie rechnet für 2014 und 2015 mit rund 62 000 Anfängern mehr als bisher prognostiziert und geplant. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Donnerwetter!) Wenn der Bund jetzt seine Zusicherung, dass der Hochschulpakt ein atmendes System ist, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Der atmende Deckel!) ernst nimmt, dann muss der Pakt folglich um 1 Milliarde Euro aufgestockt werden. Also, halten Sie sich an Ihr Versprechen eines atmenden Systems. Die Mehrbedarfe sind da. Die Hörsäle sind überfüllt, und sie werden noch voller. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sagen deswegen in unserem Antrag, dass Sie die Finanzierungslücke im laufenden Hochschulpakt schließen müssen und dass Sie in diesem Jahr die Verhandlungen über die 2016 startende Paktphase führen und -abschließen müssen. Wir als Grüne wollen den Hochschulpakt stärken, damit Studierende und Hochschulen wirklich Planungssicherheit haben. Das heißt, dass wir dafür sorgen müssen, dass der Finanzdeckel automatisch angepasst wird. Es bringt den Studis und den Wissenschaftlern nichts, wenn zwischen Bund und Ländern ständig nachverhandelt werden muss. Wir wollen mehr unbefristete Beschäftigungsmöglichkeiten für den wissenschaftlichen Nachwuchs schaffen. Auch dazu sind im Hochschulpakt klarere Verabredungen zu treffen. Deshalb bedarf es einer Planbarkeit und Verlässlichkeit der Mittel. Wir wollen auch, dass die Programmpauschale nicht infrage gestellt wird, sondern bestehen bleibt, weil der Bund über die DFG Mittel direkt in die Hochschulen geben kann. So kann die Programmpauschale bei Bedarf schrittweise erhöht werden. All das sind Beiträge, um die mangelnde Grundfinanzierung der Hochschulen und die schlechten Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses ein Stück weit zu verbessern. Anstatt weiter Eiertänze um das mögliche Milliardenpaket aufzuführen, muss die Große Koalition endlich das Notwendige für die junge Generation anpacken. Kommen Sie aus Ihrer Selbstblockade heraus. Gehen Sie ganz wichtige Projekte wie den Hochschulpakt jetzt endlich an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Frau Dr. Claudia Lücking-Michel, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir führen heute Abend zu später Stunde eine kurze Debatte zu einem Thema mit sehr langfristigen Konsequenzen. Der Antrag greift wichtige Fragen auf, und in manchen Punkten haben wir auch ganz ähnliche Anliegen. Die richtigen Lösungen müssen wir jedoch noch finden. Zur Bilanz gehört, nicht nur zu sagen, was alles fehlt und dass das Glas nur halbvoll ist, sondern auch zu sagen, was alles passiert ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Denn seitdem die CDU/CSU regiert, wissen die Hochschulen und die Studierenden: Auf diese Bundesregierung ist Verlass. Die Ausgaben für Bildung und Forschung sind kontinuierlich erhöht worden, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) und zwar – ich möchte das noch einmal festhalten – seit 2005 um 84,3 Prozent. Insgesamt hat der Bund für den Hochschulpakt bisher allein 7 Milliarden Euro bereitgestellt. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Damit ist etwas passiert. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Genau!) Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung sagt nicht nur, dass es so viele Studierende gibt wie nie zuvor, sondern auch, dass die jungen Menschen mit dem Lehrangebot, das sie an den Hochschulen vorfinden, und mit ihrer Studiensituation zufrieden sind. Dazu hat der Bund beigetragen. Sie haben es selbst gesagt: Der Hochschulpakt hat zur steigenden Zahl an Studienplätzen einen großen Beitrag geleistet. Der Qualitätspakt Lehre hat die Qualität verbessert. Darin, dass jetzt weitere Herausforderungen anstehen, stimmen wir alle, die wir heute Abend hier sind, glaube ich, überein. Weiterhin werden viel mehr junge Menschen studieren als je zuvor, und das ist gut so. Unsere Aufgabe ist es natürlich, weiterhin ausreichende Studienkapazitäten zu garantieren. Deutsche Hochschulen werden für internationale Studierende immer attraktiver. Unser Wissenschaftssystem wird nur so leistungsfähig und innovativ bleiben, wenn viele internationale Talente zuwandern können und auch zuwandern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es stimmt: Wir müssen die Perspektiven verbessern, die wir jungen Nachwuchswissenschaftlern bieten. Die Hochschulen brauchen mehr Planungssicherheit, um in diesem Bereich wirkliche Perspektiven aufzubauen. Den Hochschulpakt fortzusetzen, ist – da stimme ich zu – wirklich im Bundesinteresse. Das ist eine nationale Aufgabe. Das, was wir bisher erreicht haben, dürfen wir nicht gefährden. Wir müssen an die Erfolge anknüpfen, sie für die Zukunft sichern und das System inhaltlich fortentwickeln. Es stimmt: Den Hochschulpakt wird es weiterhin nur so oder in einem ähnlichen Zuschnitt geben, wenn die vorgesehenen Haushaltsmittel auch wirklich vom Bund im Bereich Bildung und Forschung ausgegeben werden können. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn von den 6 Milliarden Euro ein Großteil, womöglich auch noch unkonditioniert, ohne Zweckbindung an die Länder verteilt wird, (Oliver Kaczmarek [SPD]: Wer will das denn?) sind sämtliche Vorschläge des Bundes zur Fortführung aller Wissenschaftspakte zur Disposition gestellt. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Oh! Das ist jetzt aber eine harte Aussage!) Das kann nicht in unserem Sinne sein. Dieses Geld gehört nicht in die Haushaltslöcher der Länder. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Aber selbst damit haben wir nicht wirklich alle Probleme gelöst. Schließlich will ich deutlich machen: Auch die Fortführung der Pakte bleibt ein Hilfskonstrukt, mit dem wir uns zwar hier und jetzt in die Lage versetzen können, zu handeln, mit dem wir auch viel erreicht haben, aber bei dem wir jetzt nicht stehen bleiben dürfen. Wir brauchen keine weiteren neuen kurzfristigen Projektzyklen, sondern in dieser Legislaturperiode müssen wir tatsächlich gemeinsam an den großen Strukturen arbeiten, innerhalb derer der Bund seine Verantwortung für den Ausbau der Bildungsrepublik wahrnehmen soll. Wer, wenn nicht jetzt wir, soll denn die Kraft aufbringen, die Verfassung in diesem einen wichtigen Punkt zu ändern? Wenn der Bund nicht jetzt seine Mitzuständigkeit für das Herzstück des Wissenschaftssystems, die Hochschulen, bekommt, wann dann? Insofern bin ich dankbar, dass durch diesen Antrag die Debatte über die weitere Ausgestaltung von Artikel 91 b des Grundgesetzes wieder eröffnet ist. Wir müssen dieses Thema aus der letzten Legislaturperiode dringend aufgreifen und weiterführen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn ich bin mir sicher: Erst dann, wenn wir hier für Bewegung sorgen und Veränderungen herbeiführen, werden wir das Geld auf Dauer sehr viel besser im Sinne nachhaltiger Hochschulförderung einsetzen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also stimmen Sie unserem Antrag zu?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Frau Kollegin Lücking-Michel. – Das war Ihre erste Rede. Ganz herzlichen Glückwusch dazu! (Beifall) Frau Dr. Rosemarie Hein redet jetzt für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit dem vorliegenden Antrag zwar kein neues, aber ein wichtiges Thema aufgegriffen; da sind wir uns alle einig. Denn seit Jahren ist die Hochschullandschaft in der Bundesrepublik unterfinanziert. Mit der immer stärkeren Bindung der Hochschulfinanzierung an die Einwerbung von Drittmitteln und an einen auf den Markt orientierten Wettbewerb hat sich die Situation an den Hochschulen nicht verbessert, sondern verschlechtert. Das gilt für die Lehre, für die Bedingungen für Studierende und für das wissenschaftliche Arbeiten. So hat sich die Betreuungsqualität an den Hochschulen in den letzten Jahren enorm verschlechtert. Vor einigen Jahren betreute ein Professor noch circa 40 Studierende, heute muss eine Professorin für etwa 57 Studierende da sein. Die Pakte, die die Bundesregierung in den letzten Jahren mit den Ländern für eine bessere Finanzierung der Hochschulen abgeschlossen hat, konnten diesen Grundmangel nicht beseitigen. Der Pakt für die Exzellenz-initiative hat diesen Trend sogar verstärkt. Dabei wurden zwar wenige Leuchttürme der Wissenschaft besser -finanziert. Aber die Hoffnung, durch mehr Wettbewerb und Spitzenförderung auch in der Breite der Hochschullandschaft Verbesserungen zu erreichen, hat sich nicht erfüllt. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das war ja nicht der Sinn der Initiative, Frau Hein!) Das hat die Linke stets kritisiert, und wir haben leider Recht behalten. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das war auch nicht der Sinn und Zweck der Initiative!) Es ist nämlich wie im Sport: Man braucht eine solide -finanzierte Breite, damit auch Spitzenleistungen entstehen. Umgekehrt geht das eben nicht. (Beifall bei der LINKEN) Darum sind wir dafür, die Mittel aus der Exzellenzinitiative für die Grundfinanzierung der Hochschulen zur Verfügung zu stellen. Mit dem Hochschulpakt sollten nun all diese Defizite behoben werden; alle drei Säulen – die Finanzierung der Studienplätze, der Qualitätspakt Lehre und auch die Programmpauschalen – sind so ausgerichtet. Doch schon längst ist klar, dass er in allen Bestandteilen hinter den Erfordernissen zurückbleibt; mein Kollege Kai Gehring hat die Zahlen vorhin genannt. Allein bei den Studienplätzen musste schon mehrmals aufgestockt werden. In dem Haushalt, der uns vorliegt, ist die erhöhte Zahl noch nicht einmal vermerkt. Wenn man den entsprechenden FAZ-Artikel von heute gelesen hat, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr guter Artikel!) der die Streitereien und Abwägungen innerhalb der Koalition ein bisschen auseinandernimmt, dann muss man sich fragen: Was passiert hier? Wird die Kitafinanzierung gegen die Hochschulfinanzierung aufgewogen bzw. ausgespielt? (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das darf nicht passieren, Frau Hein! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So läuft es doch gerade! – Gegenruf des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nein! Wir wollen starke Vorschule und starke Bildung!) Ich hielte das für fatal. Wir dürfen das nicht zulassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Indes sinnen nämlich viele Bundesländer angesichts von Schuldenbremse und Haushaltsnot trotz dieses Paktes auf Streichungsmöglichkeiten im Hochschulbereich. So sollen in Sachsen-Anhalt in den Jahren von 2015 bis 2019 jeweils 5 Millionen Euro gespart werden. Danach soll erneut verhandelt werden; dann wird es noch schlimmer. Der Rektor der Martin-Luther-Universität in Halle konstatierte ganz nüchtern: Das kostet Studienplätze. Die Hochschulrektorenkonferenz geht davon aus, dass wir längerfristig mit steigenden oder gleichbleibend hohen Studierendenzahlen zu rechnen haben. Aber der Hochschulpakt kann nicht zum Dauerinstrument werden. Er muss immer neu ausgehandelt werden. Das gibt doch keine Sicherheit für die Finanzierung. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Natürlich!) Es besteht also akuter Handlungsbedarf. Ich bin sehr dafür, die Länder nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört! Das ist ja mal richtig, Frau Hein!) Darum ist es höchste Zeit, mit den Ländern über die Fortsetzung des Hochschulpaktes zu verhandeln. – Sie müssen mir öfter aufmerksam zuhören; ich sage das öfter. (Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ich höre Ihnen immer zu!) Der Antrag der Grünen greift nun wichtige Punkte auf, die wir unterstützen können. Es muss allerdings auch Wert darauf gelegt werden, dass zur Finanzierung von Studienplätzen auch die Absicherung der sozialen Infrastruktur – des studentischen Wohnens beispielsweise und der Studienfinanzierung – gehört. Man kann sich auch nicht nur auf die Studienanfängerinnen und -anfänger konzentrieren, sondern man muss es bis zum Master durchdenken. Ich denke, da bleibt der Antrag der Grünen deutlich zu zahm. Ich glaube, dass der Ansatz, das Kooperationsverbot aufzuheben, auch mit diesem Antrag bzw. mit diesem Fakt neue Nahrung bekommt. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau deshalb steht die Forderung drin! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Steter Tropfen höhlt den Stein!) Ich hoffe allerdings sehr, dass die Grünen sich nicht damit zufrieden geben, es – wir haben die Avancen eben gehört – nur bei den Hochschulen aufzuheben. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch nicht!) Wir meinen: Das Kooperationsverbot muss im gesamten Bildungsbereich aufgehoben werden, damit gemeinsam finanziert werden kann, was gemeinsam verantwortet wird. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist Oliver Kaczmarek, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Oliver Kaczmarek (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab: Der Hochschulpakt ist ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildungspolitik. Ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, das sei alles perfekt und es habe keine zähen Verhandlungen gegeben; aber insgesamt – das muss man doch festhalten – ist der Hochschulpakt der Versuch einer Antwort auf gestiegene Studienanfängerzahlen; es geht um die Entwicklung von mehr Qualität an den Hochschulen und um eine gemeinsame Übernahme der Verantwortung durch Bund und Länder. Diejenigen, die behauptet haben, das gehe gar nicht, und die auch heute anklingen lassen, Bund und Länder könnten sich da gar nicht verständigen, sind widerlegt. Der Hochschulpakt muss fortgesetzt werden, und zu diesem politischen Ziel hat sich die Koalition auch eindeutig bekannt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ausfinanzieren müsst ihr ihn!) Die hohe Studierneigung – das ist hier schon richtig festgestellt worden – bleibt ja als Herausforderung bestehen. Es ist erfreulich, dass sich so viele junge Menschen wie noch nie für ein Hochschulstudium entschieden haben. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Viele von ihnen – das ist auch schon gesagt worden – kommen aus anderen Ländern hierher, um zu studieren. Das ist ein Erfolg, und das ist eine bildungspolitische Konstante, mit der wir uns beschäftigen müssen. Die Koalition hat darauf auch reagiert. Natürlich hätte ich mir persönlich auch noch mehr vorstellen können; aber wir stellen in dieser Wahlperiode 6 plus 3 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und Forschung zur Verfügung. (Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Noch in diesem Jahr werden 500 Millionen Euro fließen. Wir wissen noch nicht genau, durch welchen Kanal; aber sie werden fließen. Das ist ein ganz wichtiges Zeichen dafür, dass Bildung und Forschung auch in den nächsten vier Jahren Priorität haben. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Ich will an dieser Stelle noch sagen: Dieses Geld gehört nicht irgendwelchen staatlichen Ebenen, die darüber streiten müssen, dieses Geld gehört der Bildung. Ich bin der Meinung, dass keine staatliche Ebene sich über eine andere erheben sollte nach dem Motto „Nur wir wissen, wie man mit diesem Geld umgehen kann“. Nein, Bund und Länder müssen sich darauf einigen, wie dieses Geld in die Bildungseinrichtungen kommt. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Oder in die Forschung!) Ich vertraue dem Bund und den Ländern, dass es auch dort ankommt, so wie wir es uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben. (Beifall bei der SPD) Wir verzeichnen einerseits so viele Studienanfänger wie noch nie, andererseits bleibt die Tür zur Hochschule für viele junge Menschen immer noch verschlossen. Von 100 Kindern aus Akademikerfamilien – also wo beide Eltern einen Hochschulabschluss haben – erhalten 77 die Hochschulzugangsberechtigung. Von 100 Kindern aus Nichtakademikerfamilien sind es nur 23. Das zeigt doch eines: Die Debatte über Überakademisierung oder Akademisierungswahn spiegelt nicht die soziale Wirklichkeit wider. Die Zugänge zur Hochschule müssen weiterhin für alle offen sein und einigen erst noch eröffnet werden. Darin dürfen wir nicht nachlassen, und da dürfen wir auch nichts gegeneinander ausspielen. (Beifall bei der SPD) Berufliche und allgemeine – in diesem Fall akademische – Bildung dürfen bildungspolitisch nicht als Gegensätze begriffen werden. Im Gegenteil, zu Recht betonen wir die Notwendigkeit der Stabilisierung der Wertschätzung der beruflichen Bildung. Arbeitsfelder differenzieren sich aber immer weiter aus. Unternehmen fragen heute auch immer mehr nach einem Mix aus betrieblicher Praxis und akademischer Weiterbildung oder akademischer Ausbildung. Junge Menschen entscheiden sich auch deshalb immer öfter für Ausbildung und Studium, manchmal nacheinander, manchmal auch parallel. Das erreicht im Übrigen auch junge Menschen aus den sogenannten bildungsfernen Schichten. Die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks liefert dazu interessante Zahlen. Gerade im dualen Studium sind viele junge Menschen aus den sogenannten bildungsfernen Schichten. Deshalb müssen wir Lösungen für beides finden. Wir dürfen nicht akademische und berufliche Bildung als Gegensätze darstellen, wie das öffentlich teilweise geschieht, sondern wir müssen sie miteinander kombinieren, miteinander verschränken. Deshalb ist es richtig – die Koalition hat das vereinbart –, dass wir den Zugang weiterer beruflich Qualifizierter zu einem Verhandlungskriterium bei den Verhandlungen über den Hochschulpakt machen werden. Das ist eine Zukunftsaufgabe, und das muss im Hochschulpakt auch seinen Niederschlag finden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es ist auch richtig – das wurde im Antrag auch angesprochen –, dass der Hochschulpakt natürlich zügig weiterentwickelt und verhandelt werden muss, damit die Hochschulen Planungssicherheit behalten. Einen Punkt aus dem Antrag, bei dem wir nicht einer Meinung sind – es stehen sicherlich auch Dinge drin, bei denen wir einer Meinung sind –, will ich aber noch herausgreifen. Es geht um die Frage: Wer übernimmt eigentlich die Verantwortung für einen erfolgreichen Studienabschluss, und wie kann man das politisch mitsteuern? Es ist richtig: Wir wollen die Autonomie von Hochschulen. Sie sollen über ihr wissenschaftliches Profil und ihre regionale Einbindung entscheiden, und sie sollen auch die Mittelverausgabung selbst steuern können. Zur Autonomie gehören aber eben auch Rechenschaftslegung, Verantwortung und die Transparenz des Wissenschaftssystems. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer bestreitet das denn?) Deswegen möchten wir eben nicht nur betrachten, wie viel Geld man oben hineinsteckt, sondern es muss auch Outputvariablen geben, die über den Studienerfolg bzw. den erfolgreichen Studienabschluss Auskunft geben. Darüber, wie man sie bemisst – Zielvereinbarungen, Abschlussboni usw. –, kann man länger diskutieren. Deshalb haben wir in der Koalition vereinbart und im Koalitionsvertrag fixiert, dass wir Angebote fördern wollen, die mehr Studierende qualitätsgesichert zu einem erfolgreichen Abschluss führen. Das halte ich auch für richtig; (Beifall bei der CDU/CSU) denn zur Qualität einer Hochschule gehört eben untrennbar, dass sie möglichst viele Studierende zum Abschluss führt. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer bestreitet das denn?) Deswegen gehört das auch in den Hochschulpakt. Besonders merkwürdig fand ich die Unterstellung, Abschlussboni wären mit Fehlanreizen verbunden, die dann auch die Qualität senken würden. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch noch nicht einmal ein Modell!) Ich bin hier anderer Meinung; denn wir müssen doch eher umgekehrt fragen: Welche Anreize liefert das jetzige Finanzierungssystem? Das jetzige System liefert den Anreiz, viele Studienanfänger aufzunehmen. Wir haben aber keine formal nachprüfbaren Kriterien für Studienabbrüche und für Studienabschlüsse. Gerade diese Punkte sind für eine gemeinsame Vereinbarung und übrigens auch für die demokratische Legitimation in Bezug auf den Hochschulpakt aber wichtig. Wir wollen wissen, wie viele Studierende das Studium auch abgeschlossen haben. Das wollen wir auch mit in die Verhandlungen einbeziehen. Darüber, in welcher Form das geschehen wird, muss man reden, aber wir müssen die Anreize an dieser Stelle eben auch richtig setzen, und dabei muss es auch um Outputvariablen gehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Zeitplan der GWK ist ambitioniert. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Kaczmarek, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehring? Oliver Kaczmarek (SPD): Gerne, ja. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich wollte einfach einmal fragen, ob Sie inzwischen ein wirklich schlüssiges Modell für diese Absolventenboni haben und wie das genau aussieht. Wir haben am Mittwoch im Ausschuss ja gelernt, dass die Hochschulstatistik noch nicht einmal eine klare Aussage darüber treffen kann, wie viele tatsächliche Studienabbrecherinnen und -abbrecher wir in der Bundesrepublik Deutschland haben. Sie müssen erst einmal die statistischen Grundlagen dafür schaffen, bevor Sie die Finanzierungssystematik des Hochschulpaktes komplett auf den Kopf stellen. Das leuchtet mir überhaupt nicht ein. Es gibt nämlich Fachrichtungswechsler, es gibt Studienortwechsler, und es gibt reale Abbrecher. Wie wollen Sie unter diesen Voraussetzungen die Absolventenprämie bzw. die Absolventenboni, die Sie immer fordern und wofür ich noch kein überzeugendes Konzept gesehen habe, in den Hochschulpakt implementieren? Hier müssen Sie als Regierungsfraktion auch einmal Antworten liefern. (Beifall der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Oliver Kaczmarek (SPD): Ich will gerne darauf antworten. Ich habe ja gerade schon gesagt: Wie man das bemisst, wird man sehen. Der Abschlussbonus ist ein Modell, das genannt wird; Zielvereinbarungen und eine vernünftige Dokumentation von Absolventenzahlen wären sicherlich ein anderes. Ich wende mich nur dagegen, dass Sie sagen, dass Sie das überhaupt nicht in Augenschein nehmen – das schreiben Sie ja in Ihrem Antrag –, weil das angeblich zu einem Qualitätsnachlass führt. Nein, im Gegenteil: Qualität in einer Hochschule bedeutet auch, möglichst viele der Studienanfänger zu einem geordneten und qualitätsgesicherten Abschluss zu führen. Das haben wir in den Koalitionsvertrag geschrieben, und das wollen wir auch realisieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer will nicht möglichst viele Absolventen?) Die GWK wird noch in diesem Jahr Vorschläge für die Weiterentwicklung des Hochschulpaktes vorlegen. Das wird dann auch Grundlage für unsere weiteren Gespräche sein, und ich bin schon sehr gespannt darauf. Es ist in dem Antrag richtigerweise aber auch angesprochen worden, dass die Phase des Auslaufens der Pakte auch zur Weiterentwicklung anregt. Wir haben in der Koalition vereinbart, über die Zukunft des Wissenschaftssystems zu debattieren und sie zu justieren. Wir haben fest vor, dass der Bund stärker Verantwortung übernimmt, indem er in die Grundfinanzierung der Hochschulen mit einsteigt. In diesem Sinn wollen wir die Pakte weiterentwickeln. Es geht aber um mehr als nur um Finanzfragen. Es geht um die Gesamtarchitektur des Wissenschaftssystems: gemeinsame Verantwortung, Arbeitsbedingungen, Karrierewege. All das wird diese Debatte bestimmen. Zum Schluss. Ich würde sagen, Sie sollten den Hochschulpakt nicht schlechtreden. Wir sollten genau hinsehen, welche Ziele wir damit verbinden. Wir sollten Zugänge zum Studium erhalten und neue eröffnen. Wir müssen das Wissenschaftssystem in der Mitte der Gesellschaft entwickeln. Das sind wirklich große Herausforderungen für die nächsten dreieinhalb Jahre. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort Dr. Philipp Lengsfeld. (Beifall bei der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Zweite Jungfernrede!) Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, lieber Kai Gehring, Ihr Antrag behandelt ein wichtiges Thema – das ist heute Abend schon mehrfach gesagt worden –: die auskömmliche Finanzierung unserer Hochschulen. Ich war positiv überrascht – das sage ich –; denn ich hatte eigentlich erwartet, dass Sie gemäß Ihrem Wahlprogramm einfach nur eine Aufstockung um 1 Milliarde Euro pro Jahr für den Hochschulpakt fordern. Ihr Antrag, jedenfalls so wie ich ihn lese, ist da deutlich moderater. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch kein Haushaltsantrag!) Ich hoffe, dass Sie damit endlich das Signal des 22. September 2013 akzeptiert haben. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wo ist denn Ihr Antrag überhaupt?) Die Wählerinnen und Wähler haben eine klare Richtung vorgegeben. Die Union hat die Wahl gewonnen, und zwar mit der Forderung nach solidem Wirtschaften ohne Steuererhöhungen, verbunden mit dem klaren Bekenntnis, einen Schwerpunkt auf Bildung, Forschung und Innovation zu legen. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) Man kann diesem Koalitionsvertrag vielleicht das eine oder andere vorwerfen, aber sicherlich nicht, dass wir einen zu geringen Fokus auf den Bildungsstandort Deutschland legen. Hier können Sie uns unterstützen, liebe Bildungspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen; denn wir haben, zumindest was die Fortsetzung des Hochschulpakts angeht, gar keinen Dissens; das ist dargestellt worden. Hier droht von ganz anderer Seite Ungemach. (Lachen des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es gibt offenbar die Vorstellung mancher Länder, dass die 6 Milliarden Euro für Kita, Schule und Hochschule, die im Koalitionsvertrag vereinbart sind, einfach blanko überwiesen werden und der Bund weiter keine Rolle spielen soll. Das halten wir für falsch. (Beifall bei der CDU/CSU) Zu den Details Ihres Antrags ist hier schon viel Wichtiges und viel Richtiges gesagt worden. Ich möchte über zwei grundsätzliche Dinge reden. Eines dieser Dinge ist noch gar nicht angesprochen worden. Ich halte zwei Grundprämissen Ihrer Argumentationslinie für nicht ganz korrekt. Die erste Grundprämisse ist: Je mehr Studienanfänger, desto besser. Aber hat Deutschland eine so geringe Jugendarbeitslosigkeit und haben wir eine so gute Position in Europa, weil wir einfach viel mehr Studienanfänger haben als unsere europäischen Nachbarn? Nein. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir ja!) – Nein, so einfach ist es nicht. Wir sind so gut aufgestellt, weil – das ist auch gesagt worden – unsere Fachkräfteausbildung auf zwei Säulen ruht. Wir müssen eben dafür sorgen, dass beide Säulen gestärkt werden und erfolgreich sind. Hier darf es keine Einseitigkeit geben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen dafür sorgen, dass es Chancengerechtigkeit gibt. Aber – auch das sage ich ganz deutlich – wir müssen auch dafür sorgen, dass möglichst viele Schülerinnen und Schüler den Ausbildungsweg einschlagen, der für ihre Begabung und für die aktuellen Verhältnisse der beste ist. Dafür brauchen wir an unseren Schulen ein Leistungs- und Differenzierungssystem. Deshalb verteidigt die Union das Gymnasium. Das ist eine ganz klare Politik, die wir da fahren. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit dem Hochschulpakt!) Die zweite Grundprämisse Ihres Antrags impliziert – da will ich hier ein ganz heißes Thema ansprechen –, dass es gerecht sei, dass die Steuerzahler die Gesamtkosten für das Studium aller Studierenden tragen. Ich persönlich halte dies für falsch. Ja, natürlich: Sie haben den Kampf um Studiengebühren politisch gewonnen; das ist überhaupt keine Frage. (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Aber eben nur politisch, nicht fachlich. Fachlich haben Sie unrecht. Die Daten haben gezeigt, dass Studiengebühren eben keinen relevanten negativen Einfluss haben, weder auf die Studienanfängerquote noch auf die soziale Zusammensetzung der Studierendenschaft. Das sind die Daten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es auch andere Studien und Lebenserfahrungen!) Sie fordern eine Aufstockung des Hochschulpakts; dafür haben Sie schon viel Unterstützung erfahren. Im Wahlprogramm hatten Sie dafür 1 Milliarde Euro pro Jahr mehr veranschlagt; das haben Sie in Ihrer Rede selber gesagt, Herr Gehring. Darf ich daran erinnern, wie viel Geld im Jahr 2008, also der Hochzeit der Studiengebühren, jährlich in Deutschland über Studiengebühren eingenommen wurde? Es waren 1,2 Milliarden Euro. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das verlangt eine gewisse Antwort!) Sie wollen also die Probleme lösen, die Sie durch die vehemente Diffamierung von Studiengebühren ein Stück weit selbst mit geschaffen haben. So sieht es aus. So einfach ist es eben nicht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das meinen Sie jetzt nicht wirklich ernst!) – Das ist ein ganz klarer Vergleich von zwei Summen: 1 Milliarde Euro Einnahmen, die angeblich fehlen, und 1,2 Milliarden Euro, die wir eingenommen hatten. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das haben wir nicht gewollt!) So einfach ist es nicht. Wir müssen darüber reden, wie wir die von Ihnen formulierten Ziele, die ja nicht völlig falsch sind, gemäß unserem Wählerauftrag erreichen können, und diese Diskussion läuft bereits. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1337 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens Drucksache 18/1284 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Interfraktionell sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Erster Redner in der Debatte ist Dr. André Berghegger, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dr. André Berghegger (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute zum ersten Mal den Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens, ein zugegebenermaßen sehr technisch klingender Titel. Aber das Thema hat in der Vergangenheit zu lebhaften öffentlichen Diskussionen geführt. In der letzten Legislaturperiode stand nämlich die grundlegende Reform des Meldewesens an. Grund hierfür war, dass im Rahmen der Föderalismusreform I die Zuständigkeit für das Meldewesen von den Ländern auf den Bund gewechselt ist. Ein inhaltlicher Schwerpunkt der damaligen Debatte war sicherlich die Fragestellung: Unter welchen Voraussetzungen dürfen Meldeämter Daten an gewerbliche Anbieter, also an Adresshändler und andere Firmen, weitergeben? Der Bundestag hat nach Abschluss des Vermittlungsverfahrens aus meiner Sicht ein modernes Meldegesetz beschlossen. Datenschutz, Verbraucherschutz und das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung waren Themen, die in der Debatte eine Rolle spielten. Ein inhaltlicher Schwerpunkt wurde auch auf die Einbeziehung der Betroffenen gelegt. Die Bandbreite reichte von der Zustimmungslösung über die Widerspruchslösung bis im Wesentlichen wieder hin zur Zustimmungslösung nach dem Vermittlungsausschuss. Wichtig ist, dass vor bestimmten Datenübermittlungen das Einverständnis der Bürger erforderlich ist. Aus meiner Sicht zeigt diese Diskussion erneut: Für die öffentliche Hand ist der sensible Umgang mit Daten äußerst wichtig. Warum entstand eigentlich im Verfahren erst vor der Anrufung des Vermittlungsausschusses eine lebhafte öffentliche Diskussion? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wann waren denn die Änderungsanträge? Also wirklich! Sie waren nicht dabei! ) Das Gesetz war lange vorbereitet. Jeder – auch jede Fraktion – hätte alle Bedenken auch öffentlich vortragen können. Aber es geschah relativ wenig. Vielleicht war es die Zeit vor Bekanntwerden der Überwachungspraktiken der NSA. Vielleicht war die Öffentlichkeit noch nicht so sensibilisiert wie heute. Aber der eigentliche Auslöser war ein ganz anderer, nämlich der Zeitpunkt der Debatte. Zum Zeitpunkt der Debatte fand die Fußballeuropameisterschaft statt, mit dem Halbfinale Deutschland gegen Italien, das Deutschland – aus meiner Sicht leider 1 : 2 – verloren hat, und die Ränge, einschließlich der Ränge der Presse, waren äußerst dürftig besetzt. Teile der Presse monierten die vermeintlich schnelle Beratung mit wenigen Mitgliedern des Bundestages zu dieser späten Stunde. Das Verfahren wurde etwas in Zweifel gezogen. Deswegen, denke ich, besteht heute die gute Möglichkeit, die Bedeutung dieses modernen Melderechts auf der einen Seite und den sensiblen Umgang mit Daten auf der anderen Seite zu betonen und herauszustellen. Wir werden verschiedene redaktionelle Änderungen vornehmen und Anregungen aus dem Bundesrat aufnehmen. Insbesondere wird eine einheitliche Geltung des Melderechts im gesamten Bundesgebiet ermöglicht werden. Vor allem aber soll die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur steuerlichen Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft im Einkommensteuerrecht auch im Melderecht umgesetzt werden. Details sind hier noch offen. Aus meiner Sicht müssen wir jedoch noch einen Aspekt beachten, und zwar den, dass keine unverhältnismäßigen Schwierigkeiten für Beschäftigte bei Kirchen entstehen, die eine Lebenspartnerschaft führen oder deren Ehe geschieden worden ist. Der Prälat im Kommissariat der deutschen Bischöfe hat schriftlich mitgeteilt, dass Meldedaten, die der Kirche von den Meldebehörden übermittelt werden, nicht für arbeitsrechtliche Zwecke genutzt werden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie soll das funktionieren in der Praxis?) Aus meiner Sicht ist das ein wichtiges Signal für die Arbeitnehmer. Dennoch werden wir vor der abschließenden Lesung Prälat Dr. Jüsten ein Berichterstattergespräch anbieten; da sind die Kollegin Frau Fograscher und ich einer Meinung. Wir werden nach einem gemeinsamen Termin Ausschau halten, um über diese Thematik zu debattieren. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit der Opposition?) Aber letztendlich sage ich deutlich: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft ist eindeutig auch im Melderecht umzusetzen. Sonst läuft diese Entscheidung ins Leere. Bleibt also aus meiner Sicht nur zu hoffen, dass die zweite und dritte Lesung nicht wieder zur Zeit eines „Straßenfegers“ bei der anstehenden Fußballweltmeisterschaft durchgeführt wird, um eine ordnungsgemäße Debatte zu führen. Aber ich kann Sie beruhigen: Das erste Spiel der deutschen Mannschaft findet erst zehn Tage später statt. Vielen Dank für das freundliche Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort Frank Tempel. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu später Stunde sitzen wir wieder; aber ansonsten ist zu Ihrer Ablaufschilderung einiges hinzuzufügen. Dass die Linke traditionell nicht mit jeder -Regelung im Meldewesen einverstanden ist und hier erhebliche Gefahren für den verantwortungsvollen Datenschutz sieht, ist allgemein bekannt. Der vorliegende Gesetzentwurf macht den Weg für das vor zwei Jahren verabschiedete Meldegesetz frei. Das Meldegesetz soll, wie es im Entwurf heißt, aktualisiert und optimiert werden, „damit eine reibungslose Implementierung gewährleistet ist“. Das klingt gut, nett, formal und wie schon beim letzten Mal völlig unproblematisch. Die lange und heftige öffentliche Debatte hatte aber einen guten Grund; denn die schlimmsten Entgleisungen des Ausgangsgesetzes mussten verhindert werden. Ich möchte Sie daran erinnern, dass der Bürger nicht mehr gefragt werden sollte, wann seine Daten weitergegeben werden. Er sollte nach der alten Regelung selbst aktiv werden und Widerspruch einlegen, um die Weitergabe seiner persönlichen Daten zu verhindern. Dem wurde deutlich widersprochen. Ich möchte auch daran erinnern: Erst kurz zuvor, zwei Tage vor der Sitzung des Innenausschusses, kam es durch einen Änderungsantrag zu dieser Änderung. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel zur Wahrheit!) Deswegen gab es eine verspätete Diskussion darüber. Das hatte nichts mit irgendeinem Fußballspiel zu tun, sondern das war ein ganz gezielter strategischer Schachzug Ihrer Fraktion. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Widerspruchslösung ist nun durch eine Einwilligungsregelung ersetzt. Das ist erst einmal in Ordnung, wenn auch nicht ganz unproblematisch; denn die Einwilligung muss nun bei dem betreffenden Unternehmen selbst hinterlegt werden. Das heißt auf Deutsch: Das Unternehmen muss bei mir als Bürger anrufen, muss sich die Einwilligung holen und diese dann den Meldestellen vorlegen. Ich möchte die Unternehmen nicht unter Generalverdacht stellen. Aber ich weiß nicht, ob jede Einwilligung, die bei einer Meldestelle vorgelegt wird, tatsächlich echt ist. Deswegen wäre es wesentlich sinnvoller, dass die Meldebehörde sich selbst darum kümmert, ob eine Einwilligung vorliegt, also mich als Bürger fragt und das nicht über Dritte, über Unternehmen, macht. Dann ist diese Regelung für den Bürger wirklich sauber nachvollziehbar. (Beifall bei der LINKEN) Für verzichtbar halten wir aus verschiedenen Gründen weiterhin die Wiedereinführung der Hotelmel-depflicht und die Vermieterbescheinigung beim -Wohnungseinzug, aber auch die grundsätzliche Datenübermittlung an Religionsgemeinschaften. Es ist nicht meine Art, alles pauschal zu kritisieren. Der Gesetzentwurf enthält auch vernünftige Regelungen. Neben einigen redaktionellen Änderungen – das haben Sie schon angesprochen – gibt es zum Beispiel in § 49 eine Ergänzung, die aus meiner Sicht sehr sinnvoll ist. Die Erweiterung der Protokollierungspflicht, die sich auf alle automatisierten Melderegisterauskünfte bezieht, ist eine sehr sinnvolle Regelung, die das Recht des von der Datenerfassung Betroffenen auf Selbstauskunft durchaus stärkt. Das begrüßen wir, und das sagen wir auch so. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt aber auch – das haben Sie richtigerweise angesprochen; da es noch die zweite und dritte Lesung gibt, kann man noch etwas machen – ein Problem, dessen Lösung uns der Bundesrat sozusagen als Hausaufgabe aufgegeben hat. Das ist § 42. Er sieht nämlich vor, dass der Familienstand bei Kirchensteuerpflichtigen, zum Beispiel ob sie geschieden sind oder in einer Lebenspartnerschaft leben, übermittelt werden muss. Darauf sollte zumindest bei Beschäftigten von Religionsgemeinschaften verzichtet werden. Es geht hier also um eine bereichsspezifische Übermittlungssperre. Warum? Die Übermittlung dieser Daten kann schutzwürdigen Interessen des betroffenen Personenkreises zuwiderlaufen und ihnen erheblichen Schaden zufügen, zum Beispiel eine Kündigung. Das ist ein guter Hinweis. Wenn die Mehrheit hier im Haus schon nicht unserem Vorschlag folgt, generell keine Datenübermittlung an Religionsgemeinschaften zu erlauben – es finden sich nun einmal Unterschiede in unseren Positionen –, dann kann man wenigstens in diesem Punkt eine Einigung erzielen. Auch daran werden wir mitarbeiten. Die Schadensbegrenzung im Hinblick auf den alten Entwurf ist also noch nicht abgeschlossen. Es sind noch genug Hausaufgaben zu machen. Dazu wird sich die Linke in den Ausschusssitzungen entsprechend einbringen. Wir bitten nur darum, dass Änderungsanträge nicht wieder erst zwei Tage vor der Innenausschusssitzung vorgelegt werden. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Gabriele Fograscher, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Fograscher (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Bundesmeldegesetz, das in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen wurde, ist ein -Beschluss der Föderalismuskommission I umgesetzt worden. Damit wurde die alleinige Gesetzgebungskompetenz für das Meldewesen auf den Bund übertragen. Bisher existieren in den Bundesländern noch 16 unterschiedliche Formen von Melderegistern, die unterschiedliche Standards haben und untereinander auch nicht vernetzt sind. Den Zeitraum bis zum Inkrafttreten am 1. Mai 2015 brauchen die Meldebehörden zur Umsetzung und Umstellung auf das neue System. Dann wird das Meldewesen den Ansprüchen an eine moderne Verwaltung gerecht werden. Das Melderecht verpflichtet jeden Bürger und jede Bürgerin, bestimmte Daten an die Meldebehörden zu übermitteln. Dazu gehören der Familienname, frühere Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Adresse, Familienstand und andere Daten. Die Bürgerinnen und Bürger müssen darum sicher sein, dass ihre Daten bei den Meldebehörden gut und sicher aufgehoben sind und nicht unbegründet an Dritte weitergegeben, dort gespeichert, gegebenenfalls weiterverwendet oder zu Werbezwecken missbraucht werden. Es sollte daher der Regelfall sein, dass es für die Weitergabe von Daten der Einwilligung des oder der Betroffenen bedarf. Viele von Ihnen können sich noch daran erinnern, dass die Verabschiedung des Bundesmeldegesetzes 2012 hohe Wellen geschlagen hat; denn kurzfristig – es stimmt: zwei Tage vor der Innenausschusssitzung – hat die damalige schwarz-gelbe Koalition einen Änderungsantrag eingebracht und mit ihrer Mehrheit beschlossen. Dieser Änderungsantrag hatte zum Inhalt, dass die Weitergabe der Daten zum Regelfall geworden wäre; nur wenn der Bürger oder die Bürgerin ausdrücklich bei der Behörde widerspricht, sollte das unterbleiben. Diese deutliche Verschlechterung des Datenschutzniveaus haben wir als SPD nicht mitgetragen, und nach einer öffentlichen Protestwelle – es wurden sowohl der Inhalt des Gesetzes als auch das Zustandekommen des Gesetzes kritisiert – wurde die ursprüngliche Regelung mithilfe des Bundesrates im Vermittlungsausschuss wieder durchgesetzt. Jetzt ist die Weitergabe von Daten an strenge Kriterien gebunden. Das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens muss noch vor Inkrafttreten in Einzelfragen aktualisiert werden. So sollen unter anderem Ermächtigungsgrundlagen für notwendige Folgeregelungen in Bund und Ländern früher in Kraft treten. Zudem müssen noch weitere Richtigstellungen vollzogen werden, sodass sich Meldepflichten in anderen Gesetzen nicht mehr aus den Landesmeldegesetzen oder dem Melderechtsrahmengesetz herleiten, sondern aus dem Bundesmeldegesetz. Das Bundesverfassungsgericht entschied am 7. Mai 2013, dass die Ungleichbehandlung von Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften verfassungswidrig ist. Die entsprechenden Vorschriften des Einkommensteuergesetzes verstoßen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Dieses Urteil hat auch Auswirkungen auf das Melderecht. So muss zum Beispiel bei der Bildung und Anwendung der elektronischen Steuerabzugsmerkmale das Datum der Begründung oder Auflösung einer Ehe übermittelt werden. Aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts muss nun auch das Datum der Begründung oder Auflösung einer Lebenspartnerschaft übermittelt werden. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf sollen diese notwendigen Änderungen nachvollzogen werden. Der Bundesrat spricht in seiner Stellungnahme ein Problem an – darauf ist schon hingewiesen worden –, das wir in den anstehenden Ausschussberatungen lösen müssen. § 42 Bundesmeldegesetz regelt die Datenübermittlung an öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften, zum Beispiel zur Erhebung der Kirchensteuer. Auch hier wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nachvollzogen, also die Vorschrift wird um die eingetragenen Lebenspartnerschaften ergänzt. Da die Meldebehörden auch den Familienstand an die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften übermitteln, können die Kirchen so erfahren, ob ihre Mitarbeiter verheiratet oder geschieden sind oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben. Da aber zum Beispiel die katholische Kirche die eingetragene Lebenspartnerschaft als „Verstoß gegen Loyalitätsobliegenheiten“ ablehnt, könnte die Übermittlung dieser Daten negative Auswirkungen für die Kirchenmitarbeiter bis hin zur Kündigung haben. Hier wollen wir eine Lösung finden. Der Bundesrat schlägt die Einführung einer Widerspruchsmöglichkeit für die betroffenen Personen vor. Diesen Vorschlag halte ich nicht für zielführend. In einem aktuellen Schreiben des Kommissariats der deutschen Bischöfe wird eine solche Regelung auch abgelehnt. Wir müssen versuchen, eine andere Lösung zu finden, und die kann es nur zusammen mit der katholischen Kirche geben. In einem Schreiben vom 6. Mai dieses Jahres vom Kommissariat der deutschen Bischöfe wird klargestellt – ich zitiere –: Wir möchten in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die Meldedaten, die der Kirche von den Meldebehörden übermittelt werden, nicht für arbeitsrechtliche Zwecke genutzt werden. Und weiter: Ein gegenseitiger Abgleich zwischen Beschäftigtendaten, die vom kirchlichen Arbeitgeber erhoben werden, und den Meldedaten, die die Kirchen von den staatlichen Meldebehörden erhalten, findet nicht statt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer’s glaubt, wird selig!) Wir werden das Gespräch mit der Opposition suchen. Ich hoffe, dass wir hier zu einem guten Ergebnis kommen werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Noch ein Wort zur Legendenbildung des Kollegen von der CDU. Das Problem war in der Tat – Sie waren damals noch nicht dabei – der kurzfristige Antrag der schwarz-gelben Koalition, dem wir im Ausschuss widersprochen haben. Es spricht für die Beratungsintensität in Ihrer Fraktion und in der ausgeschiedenen Fraktion der FDP, dass die Koalition hinterher den Bundesrat gebeten hat, man möge das Gesetz, das man hier mit Koalitionsmehrheit – wahrscheinlich irgendwie mit Überzeugung – durchgewunken hat, doch bitte in den Vermittlungsausschuss schicken, um das Schlimmste zu korrigieren. Das haben wir gemacht. Da hat Rot-Grün gerne geholfen. Aber für die Zukunft sollten wir uns merken: Nicht mit Tischvorlagen arbeiten und sorgfältige Beratungen durchführen, das hilft manchmal weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Sorgfältige Beratungen rate ich uns auch bei dem Punkt, den alle Kollegen jetzt angesprochen haben: Wie gehen wir mit der Übermittlung von Familienstandsdaten an Religionsgemeinschaften um? Die erste Frage, die ich dazu stellen möchte, ist: Warum müssen diese Daten überhaupt an die Religionsgemeinschaften übermittelt werden? Ich habe mir gerade die EKD-Homepage angeschaut, um herauszufinden: Wie läuft das eigentlich mit der Kirchensteuer? Die Kirchensteuer wird von den -Finanzämtern berechnet und erhoben. Die EKD schreibt: Die Verwaltung der Kirchensteuer durch die -Finanzämter ist nahezu umfassend. Sie reicht von der Festsetzung und Erhebung bis zur Beitreibung und zum Einzug der von den Arbeitgebern abzuführenden Kirchenlohnsteuer. Es gab ein Problem mit den Banken; das ist aber behoben. Das berührt nicht die Frage des Melderechts. Deshalb stellt sich zunächst die Frage: Brauchen wir das überhaupt? Solange die katholische Kirche sagt, dass das Heiraten einer geschiedenen katholischen Person, die bei der katholischen Kirche, etwa bei der Caritas, beschäftigt ist, ein Kündigungsgrund ist, solange die katholische Kirche sagt, dass die Begründung einer Lebenspartnerschaft durch eine katholische Person, die bei der katholischen Kirche beschäftigt ist, eine Loyalitätsverletzung gegenüber der katholischen Kirche ist und zur Kündigung führt, so lange, meine ich, können wir als Gesetzgeber nicht regeln, dass ein solches Datum bei kirchlichen Beschäftigten an die Religionsgemeinschaften gemeldet wird. Das würde ich gern auch mit Prälat Jüsten in einer Berichterstatterrunde klären; telefonisch habe ich das schon getan. Die beste Lösung wäre: Die katholische Kirche versichert uns, dass sie in Zukunft weder wiederverheiratet Geschiedenen noch eingetragenen homosexuellen Lebenspartnern kündigen wird. – Dann wäre ich auch ganz sicher. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ansonsten glaube ich die Intention des Briefes der Deutschen Bischofskonferenz an uns, aber ich glaube nicht, dass diese Argumentation lebenstauglich ist. Da wird ja gesagt: Wir wollen diese Daten für die Feststellung des Mitgliederbestandes, die Führung der Kirchenbücher, die Gewährleistung des kirchlichen Wahlrechts sowie für pastorale und seelsorgerische Zwecke haben. Das heißt, der Priester und der Gemeindevorstand erfahren für diese Zwecke, wer wiederverheiratet geschieden ist, wer in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt. Da nützt es nichts, dass man sagt: Es wird nicht an die Arbeitgeber übermittelt. – Die Menschen sind doch nicht gespalten in ihrem Bewusstsein. In vielen Caritas-Vorständen sitzt der Priester, der vorher als Seelsorger nach der Schließung der Lebenspartnerschaft oder der neuen Ehe, zum Jubiläum oder zum 60. Geburtstag mit einem Blumenstrauß oder zum Gespräch bei den Leuten war. Soweit es sich um Beschäftigte der Kirche gehandelt hat und er ihnen dann als Caritas-Vorstand begegnet, hat er das natürlich total vergessen. – Das ist, glaube ich, nicht realitätstauglich. Deshalb müssen wir da eine Regelung finden, die verhindert, dass das, was unser geltendes Recht den Menschen als Freiheit an familienrechtlichen Instituten anbietet – mit dem Schutz der Verfassung! –, dazu führt, dass diese Menschen ihre Lebensgrundlage und ihren Arbeitsplatz bei kirchlichen Arbeitgebern aufgrund der Datenübermittlung verlieren können. Da müssen wir einen vernünftigen Ausgleich finden. Wir sollten das bald machen – im Dialog des Bundestages mit den Vertretern der katholischen Kirche und mit den Vertretern des Lesben- und Schwulenverbands; denn wir sollten in diesem Zusammenhang auch mit den Betroffenen reden, damit klar wird: Was sind die Ängste? Was sind die Befürchtungen? Wie können wir eine Lösung finden, die für die Kirchen und die Betroffenen akzeptabel ist? Ich hatte schon gesagt: Das Beste wäre, die katholische Kirche würde ihr kirchliches Arbeitsrecht etwas anders praktizieren. Prälat Jüsten sagte mir, darüber werde inzwischen geredet. Ich hoffe, es wird nicht nur geredet, sondern es kommt auch zu einem guten Abschluss – mit Gottes Segen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Dr. Tim Ostermann, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem schon beschlossenen Bundesmeldegesetz straffen und vereinheitlichen wir das Melderecht in Deutschland. Aus meiner Sicht ist es ein sinnvolles Ergebnis der Föderalismusreform, dass der Bund für diesen Bereich die Gesetzgebungskompetenz erhalten hat. Das neue Melderecht wird die Bürokratiekosten ab dem kommenden Jahr deutlich reduzieren. Man denke etwa nur an die Einsparpotenziale durch IT-Standards, die der Verwaltung eine weitgehende Vereinfachung des Meldewesens ermöglichen. Darüber hinaus wird die Meldepflicht in Krankenhäusern abgeschafft und die Hotelmeldepflicht vereinfacht. Die Wirtschaft kann dadurch jährlich Kosten im dreistelligen Millionenbereich einsparen. Mit dem Bundesmeldegesetz tun wir auch etwas gegen die sogenannten Scheinanmeldungen. Bei diesen melden sich Menschen für eine bestimmte Wohnung beim Amt an, ohne dass sie dort tatsächlich wohnen und ohne das Wissen des Vermieters. Viele Ordnungswidrigkeiten, aber auch Straftaten gehen von dieser Praxis aus, wie etwa die Erschleichung von Plätzen an Schulen oder Kreditkartenbetrug. Die Bekämpfung von Scheinanmeldungen ist ebenfalls wichtig im Kontext der Armutsmi-gration aus östlichen EU-Ländern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das neue Melderecht wird ab Mai 2015 greifen. Allerdings müssen schon vorher einige Anpassungen am Bundesmeldegesetz vorgenommen werden, damit es reibungslos in Kraft treten und funktionieren kann. Das entsprechende Änderungsgesetz, das wir heute in erster Lesung debattieren, ist weitgehend unstrittig. Zum reibungslosen Funktionieren zählt etwa, dass der Bund und die Länder zur Vorbereitung der Umsetzung Rechtsverordnungen erlassen können. Dafür müssen die entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen im Bundesmeldegesetz früher in Kraft treten als das übrige Gesetz. Das wollen wir mit diesem Änderungsgesetz ermöglichen. Außerdem müssen wir das Bundesmeldegesetz auf den neuesten verfassungsrechtlichen Stand bringen. Bekanntlich – das ist auch schon zur Sprache gekommen – hat das Bundesverfassungsgericht im Mai 2013 entschieden, dass einkommensteuerrechtliche Vorschriften zu Ehegatten und Ehen auch auf Lebenspartner und Lebenspartnerschaften angewendet werden müssen. Mit dem Änderungsgesetz vollziehen wir diese Gerichtsentscheidung nach, indem wir die relevanten Meldepflichten und -regeln auch auf Lebenspartner ausdehnen, sie nicht lediglich auf Ehegatten beschränkt lassen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf angemerkt, dass es zu Problemen bei der Datenübermittlung an Religionsgemeinschaften kommen könnte. Er befürchtet, dass bei der Kirche beschäftigten Personen, die eine Lebenspartnerschaft führen oder deren Ehe geschieden ist, durch das neue Melderecht ein Nachteil entsteht. Das Kommissariat der deutschen Bischöfe hat zu dieser Thematik bereits eine Äußerung abgegeben und klargestellt, dass die kirchlichen Einrichtungen die gemeldeten Daten nicht in einem arbeitsrechtlichen Kontext verwenden und dies aus datenschutzrechtlichen Gründen auch gar nicht dürfen. Ich bin davon überzeugt, dass wir im Dialog mit den Religionsgemeinschaften für diesen konkreten Personenkreis eine angemessene Regelung finden werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wie soll das realistischerweise stattfinden?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mir sicher: Wir werden die Beratungen zu diesem Gesetz effektiv und zügig abschließen – so, wie wir die heutige Debatte effektiv und zügig geführt haben. Schön, dass trotz der fortgeschrittenen Stunde doch die eine oder andere Freundin oder der eine oder andere Freund des Meldewesens den Weg ins Plenum gefunden hat. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/1284 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Halina Wawzyniak, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Alleinerziehende entlasten – Unterhaltsvorschuss ausbauen Drucksache 18/983 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Erster Redner ist Jörn Wunderlich, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun zu vorgerückter Stunde noch etwas Altbekanntes zum Unterhaltsrecht bzw. zum vorliegenden Antrag. Seit 2006 versucht die Linke, alleinerziehenden Elternteilen bei den finanziellen Sorgen um ihre Kinder zu helfen. Rechtspolitisch wird über das Ganze schon seit über zehn Jahren diskutiert. Es gibt dazu schon Beschlussempfehlungen des Rechts- und des Familienausschusses aus den Jahren 2000 und 2002. Es gab sogar einmal einen Referentenentwurf der Regierung zur Änderung des Unterhaltsrechtes – auch des Unterhaltsvorschusses –, den ich noch in meiner Eigenschaft als aktiver Familienrichter damals auf den Schreibtisch bekommen habe. Dass die bisherigen Regelungen des Unterhaltsvorschussgesetzes nicht ausreichen, ist seit Jahren fraktionsübergreifend – auch bei den damit befassten Juristen – wohl unstreitig. Das ist auch in der Praxis einhellige Meinung. Dass die Altersgrenze auf 18 Jahre angehoben werden soll, ist eine Lösung, die endlich umgesetzt werden muss. (Beifall bei der LINKEN) Niemand konnte bislang erklären, warum ein Kind mit 13 keinen Unterhalt mehr braucht oder wie es sich gefälligst selbst darum kümmern soll. Wie gesagt, es geht nicht um den Unterhalt für einen Elternteil, sondern um den für ein minderjähriges Kind. Die Beschränkung auf 72 Monate muss ebenfalls fallen. Die Zahl der Einstellung der Zahlungen infolge des Erreichens der Höchstbezugsdauer ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich – von 39 000 auf knapp 44 500 – gestiegen. Es muss immer wieder wiederholt werden: Der Unterhaltsvorschuss soll die finanzielle Situation von Alleinerziehenden und ihren Kindern verbessern, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht oder nicht ausreichend nachkommen kann. Der Unterhaltsvorschuss kommt damit unmittelbar den Kindern von Alleinerziehenden zugute. Damit werden alleinerziehende Elternteile vorübergehend unterstützt. Aber auch nach dem Sinn des Unterhaltsvorschussgesetzes – der Unterhaltsvorschuss soll vorübergehend Hilfe leisten in einer Situation, in der kein Unterhalt erhalten werden kann – muss doch die gegenwärtige gesellschaftliche Situation berücksichtigt werden. Die Dauer der Armutsphasen wird immer länger und ihre Zahl immer häufiger. Die Armutsgefahr steigt, und die Zahl derer, die armutsgefährdet leben, wird größer. Nach der letzten Statistik betrifft das fast 40 Prozent aller Kinder hier in Berlin. Außerdem ist nicht nachzuvollziehen, warum das Kindergeld in voller Höhe angerechnet wird, während es bei regulärer Zahlung nur zur Hälfte angerechnet werden kann. Hier dürfen Eltern und Kinder doch nicht schlechtergestellt werden. Schon 2006 wurde im Ausschuss zu einem inhaltsgleichen Antrag der Linken gesagt: Probleme richtig dargestellt, Lösungen aufgezeigt, leider falsche Partei. – Die Probleme sind immer noch die gleichen, die Lösungsansätze nach wie vor gut, und ich bin immer noch in der richtigen Partei. (Beifall bei der LINKEN) Letztlich sind Kinder und Jugendliche die Leidtragenden, wenn die Eltern aufgrund einer verfehlten Arbeitsmarktpolitik und der damit einhergehenden Arbeitslosigkeit keinen Unterhalt zahlen können. Denn wie erklären sich sonst die Zahlen aus der Antwort der Bundesregierung vom 5. Mai 2014 – also noch druckfrisch –, nach denen die Quote der unterhaltsvorschussberechtigten Kinder in den neuen Bundesländern zum Teil viermal so hoch ist wie in den alten Bundesländern? Hier soll sich der Staat wieder aus der Verantwortung ziehen können? Mehrausgaben würden zum Teil zu Minderausgaben im Haushalt des Bundesarbeitsministeriums führen, da manch alleinerziehender Elternteil nicht mehr aufstocken müsste. Im Übrigen könnte der finanzielle Mehraufwand durch Einsparungen beim Betreuungsgeld finanziert werden. Heute hat der Bundesfinanzminister verkündet, dass nach Angaben des Arbeitskreises Steuerschätzung Steuermehreinnahmen von 19,3 Milliarden Euro erwartet werden. Das Geld ist also da. Änderungen sind allerdings nach Auskunft der Bundesregierung nicht geplant – aus Kostengründen. Seit Jahren kann hier jeder zusehen, wie Milliarden für marode Banken verpulvert werden und Rüstungskonzerne Gelder bekommen, weil weniger Kriegsgerät abgenommen wird. Der Bundesrechnungshof und der Bund der Steuerzahler monieren immer wieder den Umgang mit Steuermitteln. Aber hier, wo es um die geht, die es am nötigsten brauchen und die unsere Zukunft sind, da heißt es, es sei insbesondere aus haushälterischen Gründen nicht vorgesehen. Schade, dass Frau Schwesig nicht da ist. Frau Ferner, bestellen Sie ihr einen schönen Gruß. Sie soll sich einen Ruck geben. Sie ist in der Situation, das zu ändern. Sie soll es machen. Sie ist hier nach eigenem Bekunden auch angetreten, um den Alleinerziehenden zu helfen. Sie soll es endlich machen, und zwar wirksam, damit man ihr nicht in drei Jahren möglicherweise die Frage stellen muss: Frau Schwesig, warum sind Sie Familienministerin geworden? Floristin wäre doch auch etwas Schönes gewesen. (Beifall des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE] – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das war echt neben der Kappe! Echt stillos! – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Herr Wunderlich, das geht so nicht! Darüber reden wir noch!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt sagen wir nichts zu den Floristen. – Nächste Rednerin ist Gudrun Zollner, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wunderlich, wir werden, auch wenn das Betreuungsgeld nach wie vor bleibt, Lösungen für unsere Alleinerziehenden finden. Glauben Sie mir das. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da bin ich gespannt! Das wird seit Jahren versprochen, egal in welcher Konstellation!) Ich glaube, wir sind uns grundsätzlich alle einig, dass Alleinerziehende Enormes leisten und unsere volle Unterstützung brauchen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die sie nicht bekommen!) Im Koalitionsvertrag ist deshalb auch fixiert, dass noch in dieser Legislaturperiode der steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende angehoben wird und nach der Anzahl der Kinder gestaffelt werden soll. Weiter will die Bundesregierung mit rund 8 Milliarden Euro die Familien, Senioren, Frauen und Jugendlichen unterstützen. Der Ansatz der Ausgaben nach dem Unterhaltsvorschussgesetz wurde bedarfsgerecht auf 295 Millionen Euro angepasst. Mit Nachdruck werden wir auf der Grundlage solider Finanzen lösungsorientiert und zielgerichtet die Alleinerziehenden auch künftig nachhaltig unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich – hier sind wir uns interfraktionell sicher auch einig – nimmt der Unterhaltsvorschuss seit seiner Einführung im Jahr 1980 eine besondere Stellung innerhalb der familienpolitischen Leistungen ein. Im Jahre 2012 haben rund eine halbe Million Kinder Unterhaltsvorschussleistungen bezogen. Bei bundesweit 2,2 Millionen minderjährigen Kindern in Einelternhaushalten ist das ein enorm hoher Anteil. Kann oder will ein Elternteil seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommen, so springt der Staat ein und geht sozusagen in Vorleistung, ohne den unterhaltspflichtigen Elternteil aus seiner Verantwortung zu entlassen. Uns muss aber auch klar sein: Der Unterhaltsvorschuss ist keine auf Dauer angelegte zusätzliche Leistung durch den Staat. Ein Drittel der Ausgaben für den Unterhaltsvorschuss trägt der Bund, zwei Drittel übernehmen jeweils die Länder. Im gleichen Verhältnis werden auch die Rückeinnahmen aufgeteilt. Aufgabe der Länder ist es, sich diese Auslagen vom Unterhaltspflichtigen zurückzuholen. Bayern ist hier mit über 34 Prozent im Länderranking absoluter Spitzenreiter und stellt das Schlusslicht Berlin mit knapp 14 Prozent klar in den Schatten. (Beifall bei der CDU/CSU) Durchschnittlich in vier von fünf Fällen gelingt es aber nicht, den Unterhaltsvorschuss vom unterhaltspflichtigen Elternteil zurückzuholen. Hier muss nachträglich noch viel getan werden, um dem wahren Charakter dieses Gesetzes gerecht zu werden. Sie stellen heute einen Antrag, werte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, der uns 500 Millionen Euro mehr kostet, als im Haushaltsplan vorgesehen sind. Aber Sie erläutern mit keinem einzigen Satz in Ihrem Antrag, wie Sie das finanzieren wollen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Durch Einsparungen im Haushalt des Arbeitsministe-riums? Heute hat das Finanzministerium 19,3 Milliarden Euro Mehreinnahmen prognostiziert!) Als verantwortungsvolle Parlamentarier ist es unsere Pflicht, gut zu wirtschaften und mit den uns zur Verfügung stehenden Geldern auszukommen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Deshalb auch die Banken!) Dies ist bei Ihrem Antrag nicht der Fall. Wir müssen Lösungen erarbeiten und dürfen nicht nur Forderungen aufstellen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank. – Schönen guten Abend! Vor kurzem wurde das Ergebnis einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung veröffentlicht, die eigentlich keine neuen Erkenntnisse erbracht hat. Es wurde zum wiederholten Male dargelegt, dass nach wie vor alleinerziehende Familien am meisten von Armut bedroht sind. 39 Prozent der Alleinerziehenden beziehen staatliche Grundsicherung. Jedes zweite von insgesamt rund 2 Millionen Kindern, die von staatlicher Grundsicherung leben, wächst in einer Einelternfamilie auf. Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, heißt also: Alleinerziehenden helfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das 2008 reformierte Unterhaltsrecht zwingt de facto alleinerziehende Elternteile, Vollzeit zu arbeiten. Nur für jedes zweite Kind ist die Unterhaltszahlung regelmäßig und vollständig. Dann brauchen Eltern eben den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss. Ich will jetzt näher auf Ihren Antrag eingehen. Sie fordern die Abschaffung der Altersgrenze von 12 Jahren und der Bezugsgrenze von 6 Jahren. Es stimmt: Es ist nicht verständlich, warum ein 14-Jähriger keinen Anspruch mehr haben soll. Es ist ja der 14-Jährige, der den Anspruch nicht mehr hat, und nicht die Elternteile. Ein 7-Jähriger hat dem Alter nach diesen Anspruch, aber nur, wenn sich seine Eltern nicht schon getrennt haben, als er ein Jahr alt war. Wo ist da die Logik? Warum sollen Teenager oder Kinder eines Alters nicht dieselbe Leistung bekommen? Alles andere ist willkürlich und dient nicht dem Schutz dieser Kinder. Aber um sie muss es uns doch gehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es ist absolut richtig, das zu ändern. Die Krux dabei ist – Sie alle haben dies betont –, das notwendige Geld aufzubringen und es auch für diesen Zweck auszugeben. Da haben wir das große Problem, dass nicht genug zurückgeholt wird. Das muss man hier sagen. Ich glaube, bei den Berlinern liegt es nicht nur daran, dass sie nicht genug Stellen haben, sondern auch daran, dass der Lebensunterhalt in Berlin durchschnittlich geringer ist als der bayerische. Es gibt Studien innerhalb der Länder, die aufzeigen, dass auch in reichen Städten der Einzug der Forderungen nicht besser ist als in ärmeren. Das hängt leider nicht immer zusammen. Häufig hängt es vor Ort davon ab, wie viel für das Eintreiben des Unterhalts investiert wird. Wenn die Bundesregierung sagt, sie habe dafür nicht das Geld, wünschte ich mir, dass man Strategien entwickelt, wie man das Eintreiben des Unterhaltsvorschusses verbessern kann. Ich glaube, das ist eine Pflicht. Wir wissen, dass es dort nicht gut genug läuft. In den Ländern und Kommunen gibt es Herausforderungen. Gehen Sie diese Herausforderungen an. Wenn Sie jetzt sagen, dass Sie die Gelder nicht wollen, so sagen wir Ihnen: Wir hätten die Gelder gerne. Hier erwarte ich Vorschläge der Bundesregierung. Die Alleinerziehenden leisten einfach Unglaubliches. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist so schwierig für sie. Sie dort allein zu lassen, ist nicht im Interesse unserer Gesellschaft. Lassen Sie mich noch erwähnen, dass neun von zehn Alleinerziehenden Frauen sind. Sie sind häufig doppelt diskriminiert, auch auf dem Arbeitsmarkt: erstens als Frau und zweitens als Mutter. Sie kämpfen hart. Wenn das Kind 13 Jahre alt wird, dann fällt der Unterhaltsvorschuss weg. Das kann man diesen Müttern kaum vermitteln. Hier tragen wir Verantwortung, und dieser müssen wir uns stellen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Fritz Felgentreu, SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Zollner, ich gebe Ihnen absolut recht: Gerade die Alleinerziehenden leisten besonders viel. Gerade deswegen haben die Alleinerziehenden einen Anspruch auf unsere besondere Solidarität und Unterstützung dabei, gemeinsam mit ihren Kindern ihren Alltag zu meistern. Deswegen machen wir eine ganze Menge. Die Große Koalition hat – angetrieben von den Forderungen der SPD – etliche Vorhaben geplant oder auf den Weg gebracht, von denen gerade Alleinerziehende profitieren werden. Dabei geht es um den Ausbau und die Qualitätsverbesserung der Betreuungs- und Bildungsin-frastruktur, um die Möglichkeiten der Wiederaufstockung auf Vollerwerbstätigkeit, um die Einführung des ElterngeldPlus, um die Arbeit am Konzept der Familienarbeitszeit, um die Einführung des Mindestlohns und um die Initiativen zur Beseitigung von Lohnunterschieden zwischen Frauen und Männern. Damit werden wir Alleinerziehende besser als bislang in ihrem Wunsch unterstützen, berufstätig zu sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Darüber hinaus müssen wir gerade die Instrumente in den Blick nehmen, die auf die besondere Situation von Alleinerziehenden zugeschnitten sind. Dazu zählt neben dem Entlastungsbetrag der Unterhaltsvorschuss. Grundsätzlich sind wir uns in diesem Haus alle einig, dass der Unterhaltsvorschuss eine wichtige Leistung für Alleinerziehende ist und sinnvoll weiterentwickelt werden muss. Mit Ausnahme der Linken sind wir uns darin einig, dass nicht alles Wünschenswerte auch finanzierbar ist. Umso mehr gilt es, Reformvorschläge genau zu durchdenken und abzuwägen. Die Vorschläge der Linksfraktion sind Antworten auf reale Lücken in der Ausgestaltung des Unterhaltsvorschusses. Sie liefern aber noch kein durchdachtes Konzept, und Sie unterschlagen ein besonders wichtiges Detail; denn Sie erwähnen bei Ihren Forderungen nicht – auch in Ihrer Rede habe ich es nicht gehört, Herr Kollege Wunderlich –, dass eine enge Abstimmung mit den Ländern erforderlich ist, die schließlich zwei Drittel der Kosten tragen. Ihr Anspruch ist es, dass künftig mehr Familien länger vom Unterhaltsvorschuss profitieren sollen. Das macht auch Sinn. Der Unterhaltsvorschuss soll in die Versorgungslücke treten, die entsteht, wenn das getrennt lebende Elternteil seiner Unterhaltsverpflichtung nicht nachkommt oder nicht nachkommen kann. Wenn das stimmt, dann erschließt sich wiederum nicht, warum Sie die Anhebung des Bezugsalters nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres fordern. Warum sind Sie dann nicht so konsequent und orientieren sich am Unterhaltsrecht, das besagt, dass Eltern dem Kind bis zum Abschluss einer Berufsausbildung Unterhalt zahlen müssen? (Diana Golze [DIE LINKE]: Dann hätten Sie uns vorgeworfen, das sei zu teuer! 12 ist genauso willkürlich!) – Mir geht es nur darum, dass wir nicht mit willkürlichen Zahlen arbeiten. Frau Brantner hat kritisiert, dass die Zahl 12 willkürlich sei. Es gab dazu unterschiedliche Beschlusslagen: Die SPD-Fraktion hat in der letzten Legislaturperiode beschlossen, dass sie die Bezugsdauer gerne bis zum 14. Lebensjahr ausdehnen würde. Das Gleiche hatte die schwarz-gelbe Koalition in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Aus unterschiedlichen Gründen ist das bisher nicht umgesetzt worden. Das Problem ist ja erkannt. Aber lassen Sie uns doch nicht mit willkürlich gegriffenen Zahlen arbeiten, sondern lassen Sie uns überlegen, wie wir das Ganze in ein stimmiges Konzept überführen können, das dann auch finanzierbar ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Felgentreu, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wunderlich? Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Bitte schön. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege. – Die Zahl 18 ist keine willkürliche Zahl; es ist zufällig die Altersgrenze zur Volljährigkeit. Sie argumentieren jetzt, man könne sich bei der Zahlung des Unterhaltsvorschusses an der Berufsausbildung bzw. am Unterhaltsrecht orientieren, also möglicherweise bis zum Abschluss der ersten Berufsausbildung oder des 27. Lebensjahres zahlen. Das ist dann ja noch teurer. So weit wollten wir gar nicht gehen. Wir wollten so weit gehen, dass Kinder unterstützt werden, solange sie minderjährig sind. Wenn sie volljährig sind, können sie sich selbst um diese Sachen kümmern und eigenständig ihre Ansprüche geltend machen. Die geringe Rückholquote – das haben wir vorhin schon mal bilateral besprochen – ist ein echtes Problem. Aber Sie wissen genauso gut wie ich: Teilweise kann das Geld nicht zurückgeholt werden, weil die Väter – Sie sagten, einem nackten Mann könne man nicht in die Tasche greifen – gar nicht in der Lage sind, Unterhalt zu zahlen, sodass der Unterhaltsvorschuss als Ersatzleistung gezahlt wird. Dass das Ganze finanzierbar ist, habe ich dargelegt. Insofern haben wir schon ein stimmiges Konzept. Der Antrag ist schon vor acht Jahren – ich wiederhole: vor acht Jahren – von der damaligen Großen Koalition als guter Lösungsansatz deklariert worden. Es hieß nur, der Antrag komme leider aus den falschen Reihen. Ich habe es gesagt: Die Lösungsansätze sind genau die gleichen, die Probleme sind dieselben, die Lösung ist da – es muss nur umgesetzt werden. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Verehrter Herr Kollege Wunderlich, ich wundere mich trotzdem ein bisschen, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das macht nichts! Das wundert mich nicht!) dass Sie mich dafür kritisieren, dass ich das Nachdenken über den Unterhaltsvorschuss mit dem Unterhaltsrecht in Verbindung bringe. Ich finde das konsequent. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dass Sie an dem Punkt auf einmal fiskalische Aspekte entdecken, die Ihnen in Ihrem eigenen Antrag völlig unwichtig waren, erschließt sich mir auch nicht. Lassen Sie mich meinen Gedankengang zu Ende bringen. Ich bin gerne bereit, mich auf Ihre Argumentation und Ihre Forderungen einzulassen, die SPD-Fraktion ist es auch. Wir müssen nur überlegen, wie man sinnvoll vorgehen kann, und wir müssen das vor allen Dingen gemeinsam tun. Sie nehmen einige Probleme, die mit dem Unterhaltsvorschuss verbunden sind, nur in der Debatte in den Blick, nicht aber in Ihrem Antrag. Dazu gehört die Schwierigkeit, ausstehende Zahlungen einzutreiben. Ich denke, um da wirklich zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen, brauchen wir genauere Erkenntnisse darüber, woran es eigentlich liegt, dass jemand nicht zahlt. Die ursprüngliche Idee war, dass der Unterhaltsvorschuss eine nicht auf Dauer angelegte Leistung des Staates ist. Dieser Anspruch scheint den Lebensverhältnissen heute aus vielen Gründen nicht mehr gerecht zu werden. Es gibt beim Unterhaltsvorschuss noch eine ganze Reihe offener Fragen. Auch wenn es im Koalitionsvertrag keine Erwähnung findet, halte ich es für richtig, dass wir uns des Themas weiterhin annehmen. Wir müssen auch darauf reagieren, dass es sich bei Alleinerziehenden nicht mehr um eine gesellschaftliche Randerscheinung handelt, sondern um eine Familienform, die häufig ist und immer häufiger wird. Laut der kürzlich erschienen Bertelsmann-Studie ist das Armutsrisiko von Kindern, die mit nur einem Elternteil aufwachsen, statistisch betrachtet fünfmal höher als bei anderen Kindern. Nach meiner festen Überzeugung helfen wir diesen Familien am besten, indem wir die Infrastruktur im Bereich der zuverlässigen, ganztägigen Betreuung und Bildung konsequent ausbauen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber wir müssen – – (Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Ja, bitte schön. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, ich gestatte das jetzt. – Bitte schön. (Heiterkeit) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Das nehme ich gerne hin, Frau Präsidentin. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Felgentreu, da Sie wie ich die Situation in Berlin gut kennen, ist Ihnen doch sicherlich genau wie mir bekannt, dass der DGB Bezirk Berlin-Brandenburg dieses Thema, speziell die Berliner Situation, einmal untersucht hat: Woran liegt es, dass die Kinderarmut in Berlin so hoch ist und die Alleinerziehenden in Berlin finanziell so schlecht dastehen? Dann wird Ihnen doch wie mir bekannt sein, dass es eben nicht so sehr an den Kitas und Schulen liegt. Da können wir in Berlin noch besser werden, aber wir sind da im Bundesvergleich relativ gut: Die Kitaabdeckung ist sehr gut; auch im Ganztagsschulbereich gibt es inzwischen einiges. Das zentrale Problem ist vielmehr die sonstige finanzielle Situation der Alleinerziehenden, die dazu führt, dass Kinder in Armut sind. Das liegt wiederum daran, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Alleinerziehende in Berlin so schwierig ist, weil sie hier nicht auf einen entsprechenden Arbeitsmarkt und auf entsprechende Arbeitgeber treffen. Zu meiner Frage. Es ist richtig, dass wir Infrastruktur brauchen, aber wie können Sie gerade aufgrund Ihrer Berliner Erfahrung behaupten: Wenn die Infrastruktur da ist, dann ist alles gut? Wir wissen doch beide, dass es nicht so ist, dass es anders ist. Deswegen bitte ich darum, noch einmal über den vorliegenden Antrag nachzudenken. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Liebe Kollegin Paus, erstens bin nicht ich, sondern sind die Linken der Antragsteller, und zweitens habe ich nicht behauptet, dass bereits mit dem Ausbau der Bildungsinfrastruktur alle Probleme gelöst werden. Ich halte das aber dennoch für den allerbesten Weg. Das ist der Punkt, an dem wir als Familienpolitiker ansetzen müssen. Das ist ein neuer Weg, den wir beschreiten müssen, weil wir als Familienpolitiker in der Vergangenheit gar nicht über die Verbindung von Bildungspolitik und Familienpolitik und die kommunizierenden Röhren, die es in diesem Zusammenhang gibt, hinreichend nachgedacht haben. Das ist ein Weg, der sicherlich in die Zukunft führt. An diesem Punkt müssen wir weiterarbeiten. Zu glauben, dass wir mit einem einzigen Instrument alle Probleme lösen werden, so naiv ist in diesem Hause keiner. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nein, wir müssen eben nicht nur über den einen Weg, den ich für den besten halte, nachdenken und diesen weiterentwickeln, sondern wir müssen auch die Instrumente der individuellen Armutsvermeidung weiterentwickeln. Dazu gehört neben dem Kinderzuschlag natürlich auch der Unterhaltsvorschuss. Insofern besteht Anlass, den Kolleginnen und Kollegen der Linken für ihren inhaltlichen Vorstoß zu danken, mit dem sie das Thema erneut auf die Tagesordnung setzen. Aber zugleich bitte ich auch um Verständnis, dass eine Regierungskoalition nur auf der Grundlage einer soliden Finanzierung und eines Gesamtkonzepts arbeiten kann. Zu einem solchen Gesamtkonzept gehört im Falle des Unterhaltsvorschusses in jedem Fall das, was die Länder dazu zu sagen haben, die den Löwenanteil an den Kosten tragen. Zu einem solchen Gesamtkonzept gehört auch, dass wir die unterschiedlichen Instrumente der Familienförderung, die wir einsetzen, aufeinander abstimmen und gemeinsam an ihnen weiterarbeiten. Das ist der Weg, den die SPD-Fraktion an dieser Stelle für richtig hält. Wir sind aber gerne bereit, ihn mit allen Fraktionen dieses Hauses intensiv zu diskutieren. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Markus Koob, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Markus Koob (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alleinerziehende müssen sich jeden Tag allein um viele Dinge kümmern: die Organisation des Haushalts der Familie, die Erziehung sowie die Sicherung des Einkommens. Diese Herausforderungen lösen Alleinerziehende oft mit einer bemerkenswerten Kreativität, aber sie führen oft auch zu handfesten Schwierigkeiten. Verschärft wird die Lage der Alleinerziehenden, wenn das Kind den Unterhalt vom anderen Elternteil nicht regelmäßig bekommt, nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht. In dieser besonderen Lebenssituation unterstützt der Staat die Alleinerziehenden mit dem Unterhaltsvorschuss. Er ist eine notwendige und wichtige Unterstützungsleistung, aber bei weitem nicht die einzige. Diese Koalition setzt nämlich darüber hinaus auf einen ganzheitlichen, umfassenden und differenzierten Ansatz, um Alleinerziehende und deren Kinder bestmöglich zu unterstützen und ihrer individuellen Lage gerecht zu werden. Unsere Maßnahmen sind vielfältig. Es gibt drei große Säulen: erstens die finanzielle Entlastung der Alleinerziehenden, zweitens eine an den besonderen Bedürfnissen von Alleinerziehenden orientierte Betreuungsinfrastruktur und drittens eine Verbesserung beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Bei der ersten Säule hält es die Koalition für wichtig, dass Alleinerziehende finanziell entlastet und bessergestellt werden. Hier kommen nicht nur der Unterhaltsvorschuss sowie der Steuerentlastungsbetrag für Alleinerziehende zur Geltung. Hierzu zählen auch die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes sowie die breite Palette an familienpolitischen Leistungen. Für Einelternfamilien trägt all das dazu bei, eine Verbesserung des Nettohaushaltseinkommens zu erzielen. Wir beobachten, dass seit 2009 die Zahl der arbeitslosen Alleinerziehenden, die Leistungen der Grundsicherung beziehen, kontinuierlich sinkt, und das wesentlich stärker als der Durchschnitt der Arbeitsuchenden, die auf Grundsicherung angewiesen sind. Die Quote der Einelternfamilien, die auf staatliche Grundsicherung angewiesen sind, beträgt derzeit dennoch 39 Prozent. Daher werden wir unsere Bemühungen fortsetzen, diese Quote zu senken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie?) Aus diesem Grund halten wir es für wichtig, zwei weitere miteinander verknüpfte Bereiche in den Fokus zu stellen: erstens die verstärkte Einbindung von Alleinerziehenden in den Arbeitsmarkt und zweitens die verbesserte Vereinbarkeit der Erwerbstätigkeit mit dem Familienleben. Die wichtigste Aufgabe in der zweiten Säule ist daher die dauerhafte existenzsichernde Arbeitsmarktintegration von Alleinerziehenden. Die Statistiken offenbaren, dass bei alleinerziehenden Frauen mit Kindern unter drei Jahren die Erwerbstätigenquote bislang am niedrigsten ist. Auch Arbeitgeber und Personalverantwortliche sind gefragt, wenn sich die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit verbessern soll. Wir werben daher für eine Kultur der familienbewussten Arbeitszeitgestaltung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dafür hat sich insbesondere die Kollegin Kristina Schröder schon in der vorherigen Bundesregierung eingesetzt. Auch diese Koalition liefert praxistaugliche, konkrete Impulse, etwa mit dem Antrag für mehr Zeitsouveränität, den wir auf den Weg gebracht haben. Die dritte Säule bilden Bereiche, die ebenso zu den wichtigen Voraussetzungen zählen, um wieder in den Beruf einzusteigen: Kitas, Tagesmütter, Horte und andere Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Ganz in diesem Sinne hat die unionsgeführte Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode gehandelt, als sie umfassende betreuungspolitische Maßnahmen angestoßen hat. Für den Ausbau der Betreuungsinfrastruktur wurden 5,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das und die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr waren wichtige Grundsteine, auf denen wir jetzt aufbauen können. Ich bin zuversichtlich, dass diese betreuungspolitische Offensive für die Alleinerziehenden positive Signale aussenden wird. Natürlich wird es sich die Union auch weiterhin zur Aufgabe machen, für flexiblere Öffnungszeiten von Betreuungseinrichtungen und mehr Ganztagsbetreuungsplätze einzutreten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Um dies voranzutreiben, ist weiterhin die enge Zusammenarbeit von Ländern, Kommunen und Bund erforderlich. Unser familienpolitischer Kompass ist klar: vielfältige Familienpolitik statt nur eindimensionaler Maßnahmen. Daher werden wir sorgfältig überprüfen, wie wir unser bestehendes Konzept der Vielfalt besonnen, effizient und innovativ weiterentwickeln können. Ganz in diesem Zeichen steht auch die Einführung des ElterngeldPlus. Damit wird erstmals eine Möglichkeit geschaffen, während des Elterngeldbezugs eine Teilzeitbeschäftigung aufzunehmen. Das ist vor allem für die Alleinerziehenden ein Fortschritt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Mischung aus finanzieller Förderung und Stärkung von familienfreundlichen Rahmenbedingungen prägt unser Engagement für Alleinerziehende. Wir stehen für eine Familienpolitik, die den vielfältigen Lebensrealitäten der Menschen in unserem Land entspricht. Auch wenn ich selbst noch keine Kinder habe, so erlebe ich doch in meinem Freundeskreis hautnah, welches Glück Kinder bedeuten, aber auch welche Anforderungen im Alltag für die Eltern. In nur wenigen Themenbereichen bekomme ich so lebensnah Wünsche und Hinweise von jungen Eltern und Alleinerziehenden mit auf den Weg wie bei diesem Thema. Ich freue mich, diese intensiven Diskussionen und Erfahrungen in meine Arbeit hier im Parlament einzubringen und mit Ihnen gemeinsam an Konzepten zu arbeiten. Allein die Tatsache, dass ich zu diesem Thema meine erste Rede gehalten habe, wird es mir eine Herzensangelegenheit werden lassen, hier ein besonderes Engagement zu entfalten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Kollege, und herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede. (Beifall) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/983 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes Drucksache 18/1305 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Fritz Güntzler hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor etwas weniger als einem Jahr wurde hier im Bundestag nach langen und sehr intensiven Beratungen das Kapitalanlagegesetzbuch verabschiedet. Damit wurde ein weiterer Schritt auf dem Weg der Finanzmarktregulierung gemacht und die europäische AIFM-Richtlinie umgesetzt. Das KAGB hat eine ganz neue Rechtsgrundlage für das gesamte Investmentwesen in Deutschland geschaffen. Es ist ein geschlossenes Regelwerk und schafft einen einheitlichen Rechtsrahmen für alle offenen und geschlossenen Fonds und ihre Manager. Ziel all dieser Regulierungsmaßnahmen ist: Kein Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt und kein Markt soll in Zukunft ohne angemessene Regulierung bleiben. Es geht um die Begrenzung systemischer Risiken im Finanzsektor und des grauen Kapitalmarktes, die Verbesserung des Anlegerschutzes und um einen regulierten Binnenmarkt für den Investmentfondsbereich. Es ist festzuhalten, dass gerade auch alternative Investmentvehikel volkswirtschaftlich gewollt und wichtig für unsere Wirtschaft sind. Sie dienen der Finanzierung von Schiffen und Flugzeugen, Immobilien und Infrastruktur, helfen aber auch bei Existenzgründungen und bieten Unternehmen Wachstumsmöglichkeiten. Sie sind wichtige Instrumente zur Altersvorsorge, die auch von Versicherungen und Pensionskassen genutzt werden. Das gesamte Fondsvermögen in Deutschland beträgt derzeit 1,7 Billionen Euro. Es hat sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt. Das Kapitalanlagegesetzbuch hat seinen Praxistest bestanden. Auch wenn es hier und da noch offene Punkte gibt und einzelne Auslegungsfragen noch geklärt werden müssen, kann man feststellen: Die Umsetzung der AIFM-Richtlinie durch den Gesetzgeber erfolgte mit Augenmaß und ist insgesamt als Erfolg zu sehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Erfahrungen mit diesem Gesetz sind grundsätzlich positiv. So ist es gelungen, die geschlossenen Fonds aus dem grauen Kapitalmarkt herauszuholen und einheitlich zu regulieren. Seit März dieses Jahres liegt nun auch der erste Erfahrungsbericht des BMF zur Anwendung dieses Gesetzes vor. Es lässt sich feststellen: Die BaFin hat ihre Grundsatzarbeiten zeitgerecht abgeschlossen. Die Bearbeitungsfristen für Anträge zur Umstellung auf das KAGB werden eingehalten, und mittlerweile – das ist erfreulich – steigt auch die Bearbeitungsgeschwindigkeit bei der BaFin. Die Branche hat das zweite Halbjahr 2013 aktiv genutzt und sich auf die Anwendung des neuen gesetzlichen Rahmens eingestellt. Wir stehen erst am Anfang der Umsetzung dieser komplexen Regelung, und wir müssen feststellen, dass eine belastbare Evaluierung des Gesetzes erst noch erfolgen muss. Wir werden dann sehen, ob wir als Gesetzgeber in einigen Punkten vielleicht noch nachjustieren müssen, wenn es weiterhin Rechtsunsicherheiten und Auslegungsfragen gibt, zum Beispiel die Frage: Was ist tatsächlich eine operative Tätigkeit außerhalb des Finanzsektors? Wir hören aus der Praxis immer wieder, dass nicht klar ist, was das nun eigentlich sein soll, auch wenn schon damals in den Gesetzesberatungen deutlich gesagt wurde, was sich der Gesetzgeber darunter vorstellt. Der Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes, den wir heute in erster Lesung beraten, beinhaltet bezogen auf das KAGB im Wesentlichen nur redaktionelle Änderungen und Anpassungen. Materiell geändert wird die Definition von offenen und geschlossenen Investmentfonds. Sie folgt einer Delegierten Verordnung der Europäischen Kommission, die voraussichtlich im Juli dieses Jahres in Kraft treten wird. Diese Änderung, die wir nun nachvollziehen, hätte erheblich negative Auswirkungen auf die zahlreichen Energiegenossenschaften gehabt, sofern sie denn überhaupt in den Anwendungsbereich des KAGB fallen. Gerade für diese war noch in den letzten Zügen der damaligen Ausschussberatungen eine Ausnahmeregelung im KAGB geschaffen worden, um diese zumeist Bürger-energieprojekte nicht durch zu große Regulierung zu gefährden. Wir haben in Deutschland mittlerweile 800 Energiegenossenschaften, die ungefähr 1,2 Milliarden Euro in Bürgerkraftwerke investiert haben. Die Ausnahmeregelung für diese Genossenschaften wäre aufgrund der im Genossenschaftsgesetz stehenden Kündigungsmöglichkeiten durch die neue Definition ausgehebelt worden. Auch darauf reagiert der vorliegende Entwurf des Finanzmarktanpassungsgesetzes und schafft eine praktikable Lösung für diese Genossenschaften. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Diese Genossenschaften leisten einen erheblichen Beitrag zur Energiewende und tragen zu ihrer Akzeptanz bei. Bürgerliches Engagement sollte unterstützt und nicht durch bürokratische Regulierungen unterbunden werden. Darum sollten wir noch einmal prüfen, inwiefern man bei diesen Bürgerprojekten zu einer verträglichen Lösung im Hinblick auf die fachliche Eignung der Geschäftsleiter kommt. Hier scheint es in der Auseinandersetzung bzw. den Gesprächen mit der BaFin in der Praxis größere Probleme zu geben, (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ja!) weil die Anforderungen im Einzelfall anscheinend doch etwas hoch angesetzt werden. Von daher müssen wir uns das, glaube ich, noch einmal ansehen. Meine Damen und Herren, man kann schon heute sagen, ohne ein Hellseher sein zu müssen: Das Kapitalanlagegesetzbuch wird uns hier im Hohen Hause auch weiterhin beschäftigen. Wir haben uns gerade erst auf den Weg gemacht. Die erste Wegstrecke haben wir erfolgreich genommen. Ich bin mir aber sicher, dass auch das Finanzmarktanpassungsgesetz nicht die letzte Etappe gewesen sein wird. Es werden weitere folgen. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede hier im Hause! (Beifall) Nächste Rednerin ist die Kollegin Susanna Karawanskij, Fraktion Die Linke. Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Der vorliegende Gesetzentwurf nimmt tatsächlich vor allen Dingen Korrekturen und Anpassungen im Nachgang zu EU-Regelungen vor. Auch wenn sich in diesem Gesetzentwurf im Großen und Ganzen vor allen Dingen redaktionelle Änderungen finden, so möchte ich dennoch ein paar kritische Punkte zu bedenken geben. Zum Ersten hat mich verwundert, dass es einen so starken Ansturm der Interessenverbände gab. Es scheint, als habe man ein bisschen Lunte gerochen und als wolle man uns en passant doch wieder ein paar Deregulierungen zu eigenen Gunsten unterjubeln. Um es an dieser Stelle gleich ganz klar zu sagen: Wir stellen uns dem entgegen. Wir kritisieren den Gesetzentwurf vor allen Dingen in den grundlegenden Zielen; denn es gilt, Regulierungslücken zu schließen und die Finanzmärkte auf ihre der Realwirtschaft und der Gesellschaft dienende Funktion zurückzuführen. (Beifall bei der LINKEN) Zum Zweiten kam es zur Neuregelung der Mitgliedschaft in Verwaltungs- und Aufsichtsorganen. Zukünftig sind auch Aufsichtsmandate bei Unternehmen zu berücksichtigen, die nicht der Aufsicht der BaFin unterliegen. Hier ist Vorsicht geboten – gerade bei den Sparkassen-Finanzgruppen als Verbundunternehmen –, weil bei der Wahrnehmung solcher Mandate in Unternehmen einer Verbundgruppe und den sachlich angrenzenden Unternehmen die Höchstgrenze für Aufsichtsmandate sehr schnell erreicht wird. Mehrere konzerninterne Aufsichtsposten werden im Hinblick auf das Erreichen der Höchstgrenze bislang allerdings nicht angerechnet. Das führte und führt zu Ämterhäufung, zu Vermachtung und oftmals zu Überlastung. Nach dem Prinzip „Sechs Augen sehen mehr als zwei“ sollten unseres Erachtens generell auch konzerninterne Aufsichtsposten mitgezählt werden, und die Aufsicht sollte auf mehrere Personen verteilt werden. (Beifall bei der LINKEN) Denn solange Bankgeschäfte so komplex sind, wie sie bisher sind, und solange sie an die Aufsicht hohe Anforderungen stellen, ist es sehr legitim, zu fragen, ob die Mitglieder, die mehrere Mandate wahrnehmen, ihrer Aufgabe überhaupt gerecht werden können. Auch hier ist unseres Erachtens ein gesundes Maß notwendig. Damit zum dritten Punkt, und zwar zu den Regelungen im Kapitalanlagegesetzbuch. Es ist schade, dass der Gesetzentwurf nicht dazu beiträgt, bestehende Lücken zu schließen, sondern tatsächlich vor allem redaktionelle Fragen behandelt. Positiv hervorzuheben ist, dass zukünftig nur solche Fonds als geschlossene Fonds bzw. alternative Investmentfonds gelten sollen, bei denen eine Rücknahme der Anteile vor Beginn der Auslaufphase nicht möglich ist. Doch es ist nicht klar bzw. schlicht und ergreifend nicht schlüssig, warum den ständig neuen Umgehungsstrategien und Ausweichkonzepten von Emittenten nicht ein breiterer Riegel vorgeschoben wird. Nachrangdarlehen beispielsweise werden nicht reguliert, weder im Kapitalanlagegesetzbuch noch im Vermögensanlagengesetz. Genussrechte – das hat uns das Beispiel Prokon vor Augen geführt – werden zum Leid der Verbraucherinnen und Verbraucher ebenfalls nicht erfasst. Umgehungsmöglichkeiten bestehen auch darin – das haben Sie selber gerade ausgeführt –, dass sogenannte operativ tätige Unternehmen außerhalb des Finanz-sektors durch Splitting des Anlagevermögens unterhalb der 100-Millionen-Euro-Grenze bleiben können, ab der die Regulierung beginnt, und damit eben nicht als Investmentfonds oder als Investmentvermögen gelten. Das verwischt schlicht und ergreifend die Tatsache, dass operativ tätige Unternehmen außerhalb des Finanzsektors durch massives Geldsammeln auch zu einem Investmentvermögen werden und damit im Prinzip auch unter die Regulierung des Kapitalanlagegesetzbuches fallen müssen. Unseres Erachtens sind Nachbesserungen notwendig, auch um dem grauen Kapitalmarkt das Wasser abzugraben, ihn tatsächlich zu regulieren. Die redaktionellen Änderungen dürfen uns nicht blenden: Es bleibt viel zu tun, um die Aufsicht von Unternehmen effektiver zu gestalten und vor allen Dingen um schlussendlich die Schlupflöcher zu schließen, damit kein Hintertürchen weiter offen bleibt. In diesem Sinne vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Christian Petry, SPD, dem ich hiermit das Wort erteile. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Petry (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir behandeln heute Anpassungen von Finanzmarktregelungen. Das machen wir öfters; denn da ist auch sehr viel zu tun seit der Finanzkrise. Mit diesem Artikelgesetz regeln wir gleich in elf Gesetzen Vorschriften neu. Darunter sind viele Anpassungen und redaktionelle Änderungen. Herr Dr. Meister, vielleicht eine kleine Anregung: Das Gesetz an und für sich ist schon schwer zu lesen. Die Begründung ist auch schwer zu lesen, sie sollte eher auf den Punkt kommen. Das kann man etwas klarer formulieren; gesetzestechnisch sollte das auch so sein. Vielleicht den kleinen Hinweis – den Sie bitte mitnehmen –, dass das in Zukunft auch berücksichtigt wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Da verlangt einer verständliche Gesetze!) – Wir verlangen verständliche Gesetze: dass auch derjenige, der nicht hundertprozentig in der Materie steckt, über die Begründung zumindest ziemlich schnell auf den Punkt kommt und weiß, um was es geht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist aber etwas schwierig!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf zwei inhaltliche Änderungen möchte ich näher eingehen: Die erste ist die Änderung im Kapitalanlagegesetzbuch, das zweite sind die Änderungen im Kreditwesengesetz. Mit diesen Änderungen werden weitere Antworten auf die weltweite Finanzkrise gegeben; denn zunächst muss man feststellen, dass es notwendig war, für die Überwachung von Liquiditätsrisiken international oder zumindest EU-weit geltende Regelungen in Kraft treten zu lassen; Basel III bzw. CRD IV sind hier zu nennen. Mit stärkeren Eigenkapitalanforderungen an die Akteure wollten wir für stabilere Märkte sorgen und auch für mehr Transparenz auf diesen Märkten, um damit auch Vertrauen zurückzugewinnen. In diesem Kontext sind die Regelungen CRD IV und CRR zu nennen, die letztlich die Ursache sind, dass wir in den entsprechenden gesetzlichen Regelungsgehalten neue Maßstäbe setzen müssen. Daraus resultieren unter anderem die Anpassungen im Kreditwesengesetz, welche zu einer Begrenzung der Zahl von Aufsichtsratsmandaten von Geschäftsführern und Vorständen führen sollen, die ihrer Aufsichtsfunktion damit tatsächlich besser nachkommen können. Es ist ja ein Zeitfaktor, wenn man sich intensiv der -Kontrolle widmen will. In der jetzigen Fassung sind aber nicht nur die sogenannten großen konzerninternen bzw. -übergreifenden Mandatsausübungen erfasst, sondern auch nationale Akteure sind davon betroffen, ins-besondere unsere öffentlichen Banken; hier sind zum Beispiel die Sparkassen zu nennen. Lassen Sie mich zunächst mit Blick auf die Gesetze zur Umsetzung von CRD IV sagen, dass wir in der SPD-Fraktion die Kritik an der geforderten Beschränkung der Zahl von Aufsichtsratsmandaten kennen und sie in den weiteren Beratungen entsprechend würdigen werden. Das ist bei uns angekommen. Etwas ausführlicher möchte ich nun auf die zweite wichtige Änderung im Finanzmarktbereich eingehen: Das ist die Änderung, die im Kapitalanlagegesetzbuch vorgenommen wird aufgrund der eben auch schon genannten Notwendigkeit der Umsetzung der entsprechenden Richtlinie auf EU-Ebene. Durch diesen Schritt wird der Bereich der Investmentfonds transparenter, besser reguliert und unter Aufsicht gestellt. Außerdem führt dieser Schritt insbesondere dazu, dass der graue Kapitalmarkt in Deutschland eingedämmt – auch das ist schon mehrfach genannt worden – und unter die Finanzaufsicht gestellt wird. Das KAGB ist ein wichtiger Aufsichts- und Regulierungsrahmen. Ein besonderes Augenmerk legen wir hier natürlich auch – das haben alle anderen Redner auch schon gesagt – auf die Energiegenossenschaften und die Bürgergenossenschaften. Wir wollen das Engagement mit diesen Regelungen natürlich nicht eindämmen. Von daher wurden bereits im vergangenen Juli auch auf Anträge der SPD hin Ausnahmen für nicht operativ tätige Genossenschaften eingeführt. Diese Genossenschaften würden sonst wie jeder andere Investmentfonds strengen Regelungen unterliegen. Hier handelt es sich ja insbesondere um lokale Akteure, Bürgergenossenschaften, die sich zusammenschließen und mit ehrenamtlichem Engagement arbeiten. Das wollten wir durch die Ausnahmen natürlich auch weiterhin möglich machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es ist daher richtig und wichtig, dass wir nochmals anpassen und nachsteuern, weil die EU auch nachgesteuert hat. Dadurch wurde dies eben notwendig. Von daher bin ich froh, dass wir mit diesem Gesetzentwurf tatsächlich das Ziel erreichen werden, dass das volkswirtschaftlich, gesellschaftlich und auch umweltpolitisch wichtige Engagement unserer Bürgerinnen und Bürger auch weiterhin möglich ist – ja, sogar gestärkt wird. Die Energiegenossenschaften sind natürlich nicht gänzlich ohne staatliche Aufsicht. Auch das ist EU--einheitlich und mit Blick auf den Anlegerschutz sinnvoll. Diese Aufsichtspflicht verbleibt weiterhin bei der BaFin. Die Registrierungspflicht sowie die Verwaltungs- und Berichtspflichten sind zu erfüllen. Das ist auch in Ordnung und leistbar. Es gibt natürlich das von Ihnen genannte Problem, Frau Karawanskij: die Eignung des Vorstandes bzw. des Geschäftsführers. Hier müssen wir natürlich berücksichtigen, dass wir es in diesem Bereich unter Umständen mit Ehrenamtlichen zu tun haben, die mit viel Herzblut und Engagement tätig sind. In den Anhörungen und Beratungen werden wir darauf eingehen müssen; denn es würde mir nicht sachgerecht erscheinen, hier die gleichen Maßstäbe wie bei einem Weltkonzern anzulegen. Ich glaube, in den Ausschussdiskussionen können wir hierfür eine Lösung finden. Die bestehenden und die noch anzupassenden Ausnahmeregelungen werden eine aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in den Energiegenossenschaften ermöglichen. Diese Forderung haben wir als SPD mit in die Verhandlungen eingebracht, und wir freuen uns -natürlich darüber, dass dies parteiübergreifend – in der Großen Koalition, aber auch darüber hinaus – so gesehen wird. Ich denke, das ist wiederum ein großer Schritt hin zur Erhöhung der Transparenz auf dem Kapitalmarkt und einer Stärkung des Verbraucherschutzes. Mehr Vertrauen auf dem Kapitalmarkt ist unser Ziel, und ich freue mich ganz besonders darauf, dass wir in den Beratungen mit Sicherheit noch den einen oder -anderen Änderungsbeschluss fassen werden, um dieses Ziel zu erreichen, sodass der Gesetzentwurf dann in allen Bereichen der Gesellschaft stärker akzeptiert werden kann. Ich glaube, mit diesem Entwurf machen wir einen weiteren wichtigen Schritt im Hinblick auf die Regulierung, die Transparenz und das Vertrauen in unsere -Finanzmärkte. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Dr. Thomas Gambke. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir beraten heute eigentlich einen unproblematischen Gesetzentwurf; denn ausweislich der Begründung geht es nur um redaktionelle Änderungen. Man könnte ja einmal kritisch fragen, warum es gerade bei Finanzmarktgesetzen so viele redaktionelle Änderungen gibt, aber ich will das gar nicht thematisieren. Es ist aber richtig, dass wir uns das skeptisch anschauen und überprüfen, ob es wirklich nur redaktionelle Änderungen sind. Im materiellen Bereich – das ist angesprochen -worden, und ich will das auch kommentieren – muss -natürlich das Thema Energiegenossenschaften angefasst werden, weil die Energiegenossenschaften als geschlossene Fonds anders reguliert werden müssen, als wir das vorgesehen haben. Ich finde es wirklich gut, dass wir uns das Thema Energiegenossenschaften noch einmal gemeinsam – so war meine Wahrnehmung im Finanzausschuss – sehr präzise angucken, um sicherzustellen, dass sie auch im Rahmen der neuen Regulierung so betrieben werden können, wie wir das geplant haben. Ein bisschen zynisch muss ich bemerken: Wenn Sie von der Union sich jetzt für die Energiegenossenschaften einsetzen und heute Morgen bei der Debatte über die Reform des EEG -herausgekommen ist, dass Sie den Energiegenossenschaften das Wasser abgraben, indem Sie nämlich Photovoltaik, Windenergie und Biogas praktisch nicht mehr zulassen, (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Mensch, Mensch, Mensch!) dann frage ich mich schon, wo da Ihr Engagement sein soll. (Zuruf von der CDU/CSU: Voll daneben!) – Das ist nicht daneben. Sie haben ja darauf hingewiesen, wie viel Geld dort in die Hand genommen wurde. Ich bin Mitglied in einer Energiegenossenschaft. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Aha!) Wir gucken uns die Regelungen genau an. Herr Brinkhaus, kommen Sie einmal zu uns nach Niederbayern, ich lade Sie hiermit ein. Dann gehen wir zu den fünf Energiegenossenschaften und fragen dort, was wir angesichts der Gesetzgebung, die Sie heute Morgen angedeutet haben, noch machen können. Das ist nicht sehr viel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Na ja!) Bei den Energiegenossenschaften müssen wir nachregulieren; das ist richtig. Aber ich möchte hier auf einen Punkt aus der Praxis zu sprechen kommen: Wir können den Mitgliedern der Energiegenossenschaften nicht mehr, wie es das Genossenschaftsgesetz vorsieht, die Rückzahlung der Genossenschaftsanteile zu einem beliebigen Zeitpunkt erlauben. In der Diskussion ist ein -Zeitraum von fünf Jahren. Ich möchte anregen, diesen sehr langen Zeitraum dadurch abzukürzen, dass wir eine Eigenkapitallimitierung vorsehen. Wir haben uns das zusammen mit den Genossenschaftsverbänden sehr sorgfältig überlegt. Das wäre eine Methode, die nach den Anforderungen des Gesetzes -notwendige Einengung zu erreichen, aber gleichzeitig praxisorientiert vorzugehen. Meine Bitte ist, sich das Thema wirklich genau anzusehen; denn wir haben jetzt die Chance, hier nachzujustieren. Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte – die Kollegin von der Linken hat es schon angedeutet –, ist, dass Sie im Rahmen der redaktionellen Änderungen dem Druck der Verbände hinsichtlich einer Limitierung der Aufsichtsratsmandate nicht nachgeben. Ich hielte das für falsch. Sie haben sich in der schwarz-gelben Koalition – das fand ich richtig – dem erklärten Willen vieler Verbände und Lobbyorganisationen widersetzt und eine sehr starke Limitierung in das Gesetz hineingeschrieben. Wir werden im weiteren Verlauf darauf achten, dass Sie diese starke Limitierung weiter aufrechterhalten; denn wir müssen – die Kollegin hat es schon gesagt, ich kann das nur aus eigener Anschauung unterstützen; wir wissen aus den Finanzmarktdebatten, was schiefgelaufen ist – dafür Sorge tragen, dass diejenigen, die in den Aufsichtsräten sitzen, wirklich Verantwortung übernehmen und ausüben können. In diesem Sinne bitte ich Sie – das hoffe ich auch –, dass Sie sich den Verbänden nach wie vor widersetzen und die harten Kontrollen, die im Gesetz festgeschrieben sind, weiterhin Bestand haben, weil nur dann in den einzelnen Aufsichtsräten verantwortlich gehandelt werden kann. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Philipp Murmann, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Besucher sind nur noch wenige da an diesem wunderschönen Abend. (Manfred Zöllmer [SPD]: Aber die sind wichtig!) – Aber die sind immer wichtig, genau. – Bevor ich auf den heute vorliegenden Gesetzentwurf, über den schon meine Vorredner viel gesagt haben, zu sprechen komme, möchte ich eine These in den Raum stellen. Sie lautet: Gute Finanzpolitik ist die Politik einer soliden Balance. Darauf, warum ich das sage, komme ich noch zu sprechen. Es wurde schon gesagt: Wir haben Korrekturen vorzunehmen. Ich denke, es ist immer sinnvoll und richtig, dass wir unsere Gesetze von Zeit zu Zeit kritisch betrachten und Verbesserungen da, wo es sinnvoll ist, vornehmen. Ebenso wichtig wäre es sicherlich auch, das eine oder andere Gesetz zu entschlacken. Das gelingt uns nach meiner Wahrnehmung im Moment im Finanz- und Steuerbereich noch nicht ausreichend. Das sollte immer unser Ansporn bleiben. Neben den rein technischen Fragen, von denen Sie schon gesprochen haben, möchte ich auf einige grundlegende Aspekte unserer Balance in der Finanzpolitik eingehen. Was bedeutet für uns in der Großen Koalition eigentlich nachhaltige Finanzpolitik? Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich insbesondere auch aktuell, wenn wir auf die europäische Regulierung und auf die Bankenregulierung schauen, und welche Konsequenzen müssen wir daraus ziehen? Zu Beginn noch einmal ganz kurz zu dem Teil, für den ich verantwortlich bin: die sogenannte CRD-IV-Regulierung, die Capital Requirements Directive, und die Capital Requirements Regulation. Bei Letzterer, der CRR, handelt es sich um eine Verordnung, die sich auf die Institute bezieht und Eigenmittel, Risikovorschriften und auch die Vorschriften für Großkredite und Liquidität regelt. Die CRD IV hingegen richtet sich an die Mitgliedstaaten und regelt die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen. Sie formuliert Anforderungen an die unterschiedlichen Kapitalpuffer, Sanktionen bei Verstößen und ähnliche Regulierungen. Das ist der technische Teil. Seit dem 1. Januar gelten neue Regulierungen. Das wurde schon gesagt. Ich denke, wir haben einen guten Schritt in die richtige Richtung gemacht, um bei zukünftigen Finanzkrisen angemessen reagieren zu können. Es ist natürlich richtig: Wir müssen weiter daran arbeiten, dass wir ein qualitativ besseres System bekommen. Aber es gibt auch Probleme in diesem Bereich, die ich ebenfalls ansprechen möchte. Was die Frage angeht, was in Zukunft auf unsere Banken zukommt, so sind einerseits Regulierung, erhöhte Eigenkapitalanforderungen, die absolut sinnvoll und richtig sind, und die Bankenabgabe, die europaweit eingeführt werden soll, im Gespräch. Hinzu kommen die Finanztransaktionsteuer und Ähnliches. Es ist ein ziemliches Gewicht, das wir unserem Finanzsystem aufbürden. Wir müssen darauf achten, dass wir in der Balance bleiben. Insofern müssen wir, denke ich, dafür sorgen, dass kein negativer Nebeneffekt eintritt und plötzlich die Kreditversorgung in der Wirtschaft in Not gerät. Denn wir wollen schließlich, dass die Banken investieren, auch in Wagniskapital, die Gründung von Unternehmen fördern und unsere Unternehmen mit Kapital ausstatten. Wir müssen immer aufpassen, dass die solide Balance nicht gefährdet wird. Es wurde schon gesagt: Ein Teil betrifft die Beaufsichtigung von Tochtergesellschaften bzw. Aufsichtsmandate. Mit Blick auf unser Sparkassensystem – wir haben damit in Deutschland ein ganz besonderes System – müssen wir auch immer differenzieren: Handelt es sich um eine echte Aufsicht, oder handelt es sich nicht eigentlich um eine Art von Geschäftsführung in einem Verbund? Damit muss man sich sicherlich noch genauer beschäftigen, um zu erreichen, dass wir auf der einen Seite eine klare Regelung haben, auf der anderen Seite aber auch diesen Strukturen, die lange gewachsen sind, gerecht werden. Auch dabei kommt es wieder auf eine gute Balance an. Als Finanzpolitiker – das möchte ich zum Schluss sagen – sind wir für eine nachhaltige Finanzpolitik verantwortlich. Das beginnt mit dem stabilen Bundeshaushalt, den wir jetzt in erster Lesung eingebracht haben und im nächsten Jahr zum ersten Mal ausgeglichen haben werden. Wichtiger Bestandteil sind aber auch nachhaltige Einnahmen. Nachhaltige Einnahmen kommen letztendlich von Unternehmen, die Geld verdienen, investieren, Risiken eingehen, Mitarbeiter ausbilden und beschäftigen, Forschung und Entwicklung betreiben und neue Geschäftsfelder eröffnen. All diese Bereiche müssen wir weiter fördern. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht mit einer zu starken Regulierung eingreifen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Wir haben uns in der Großen Koalition darauf verständigt, dass wir unser Steuertableau stabil halten wollen, auch um die Balance, die sich jetzt eingespielt hat, und unsere gute Perspektive nicht zu gefährden. Mittelfristig werden wir aber auch Reserven aufbauen müssen. Das ist nicht nur im Bankenbereich der Fall, sondern es wird auch in anderen Bereichen notwendig sein. Denn wir müssen in der Zukunft nicht nur in der Infrastruktur und in dem Bereich Bildung und Forschung Investitionen tätigen. Wir haben eine ganze Menge Themen vor uns. Nachhaltige Finanzpolitik hat auch damit zu tun, Reserven aufzubauen. Deswegen bitte ich Sie: Achten Sie bei allen zukünftigen Finanzplänen und bei allen guten Ideen immer darauf, dass die solide Balance gewährleistet bleibt! Wir in der Großen Koalition haben uns das vorgenommen, und wir freuen uns auf Ihre Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege Murmann. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/1305 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe niemanden hier im Hohen Hause, der einen anderen Vorschlag hätte. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 11 und 12 auf: ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den Umgang mit Nährstoffen an die Umwelt anpassen Drucksache 18/1338 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wasserqualität für die Zukunft sichern – Düngerecht novellieren Drucksache 18/1332 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Friedrich Ostendorff, Bündnis 90/Die Grünen. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht’s …“ So sprach Paracelsus vor langer Zeit. Auf die Dosis kommt es an, wie die Wirkung ausfällt. Wer aber wie diese Bundesregierung auf Fleischexport und auf weiteren Zubau von Großmastanlagen für Schweine und Geflügel ohne ausreichende Fläche setzt, der hat ein Problem mit explodierenden Nitrat- und Phosphatwerten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) An den Orten, wo zu viele Tiere sind, wird wertvoller Dünger zum problematischen Abfall, und die Düngung wird zur Entsorgung. Manche reden auch von Verklappung. Das hat mit ordnungsgemäßer Landwirtschaft nichts mehr zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Über die Feststellung des Deutschen Bauernverbands: „Die bisherige deutsche Düngeverordnung hat sich bewährt“ kann man nur den Kopf schütteln. Tatsache ist: Die Europäische Kommission will ein Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichender Einhaltung der Nitratrichtlinie einleiten. Der von der Bundesregierung beauftragte Sachverständigenrat für Umweltfragen sagt: Das muss sofort geändert werden. – Das Ziel von 2010, den Stickstoffüberschuss auf 80 Kilogramm Stickstoff pro Hektar zu begrenzen, wurde nicht erreicht. Deutschland und Malta haben nach der letzten Erhebung der EU vor wenigen Wochen im Wasser die höchsten Nitratwerte Europas. Während Malta nur über 800 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche verfügt, haben wir deutlich mehr, nämlich viele Millionen Hektar. Die Wasserverbände haben in der Vergangenheit viel Geld investiert, um die hohen Nitratwerte im Wasser abzusenken. Das führte zu deutlichen Verbesserungen, hat aber den Wasserpreis in die Höhe getrieben, den die Kunden zu zahlen haben, nicht aber die Verursacher. Meine Damen und Herren, ist es nicht nach wie vor so, dass Wasser Allgemeingut ist und damit uns allen zur Verfügung stehen muss und dass keiner das Recht hat, Wasser in seiner Qualität zu beeinträchtigen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Seit kurzem steigen die Nitratbelastungen wieder deutlich an. Wasser ist das Gewissen, das uns anzeigt, was vor 10 bis 15 Jahren falsch gelaufen ist. Die Werte, von denen wir reden – bis zu 250 Milligramm pro Liter in manchen Brunnen und Messstellen –, wurden vor vielen Jahren verursacht. Was glauben Sie, wie diese Brunnen in weiteren zehn Jahren angesichts der heutigen Tierzuwächse aussehen werden? In einigen Landesteilen Nordrhein-Westfalens ist das erste Grundwasserstockwerk für die Trinkwasserversorgung bereits ungeeignet. Diese Regionen sind gezwungen, tiefere Grundwasservorkommen zu nutzen. Wenn wir nichts ändern, werden bald auch diese deutlich über dem Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter liegen. Es sind nicht nur die Düngemittel, die das Fass zum Überlaufen bringen. Auch Gärsubstrate aus Biogasanlagen und Ammoniakgase aus Tierställen sowie Gase, die beim Ausbringen der Gülle entstehen, kommen als Ammoniumsalze irgendwo wieder herunter und gelangen in den Naturkreislauf. Das zerstört die Artenvielfalt, unsere Landschaft und unsere Umwelt. 95 Prozent des Ammoniaks stammen aus der deutschen Landwirtschaft. Sie von der Regierung, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind gefordert, endlich zu handeln. Wo bleibt denn die schon länger angekündigte Novelle des Düngegesetzes? Bleibt sie nach wie vor in der Schublade, oder wird sie doch nach den Wahlen das Licht der Öffentlichkeit erblicken? Unsere Forderungen sind: Erstens. Die Gärsubstrate und Bioabfälle sollen zukünftig miterfasst werden, und die Ausbringungsobergrenze von 170 Kilogramm Stickstoff pro Hektar muss endlich gelten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Es müssen endlich alle Düngemittel per Hoftorbilanz wie in den Trinkwasserschutzgebieten genau erfasst und die Stickstoffüberschüsse am besten auf 50 Kilogramm pro Hektar und Jahr begrenzt werden. Drittens. Die Ausbringungssperrfristen müssen verlängert und EU-weit vereinheitlicht werden. Viertens. Die Lagermöglichkeit vor allem für gewerbliche Betriebe ohne ausreichende Fläche muss auf neun Monate erhöht werden. Fünftens. Die Ausbringungstechnik muss verbessert werden. Sechstens. Die Kontrollen der Landwirtschaftsämter und -kammern müssen endlich greifen. Aber vor allem muss die Tierhaltung endlich an die Fläche angepasst werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unterstützen Sie unseren Antrag, um die dramatische Wassersituation in Deutschland endlich zu entschärfen. Das ist unser Auftrag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächster Redner spricht der Kollege Josef Rief, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Josef Rief (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie sind zwar mit allen Wassern gewaschen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Links- und der Grünenfraktion, doch Ihre Anträge sind echte Schläge ins Wasser. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Natürlich steckt die Bundesregierung in schwierigen Verhandlungen mit der EU über die Novellierung unserer Düngeverordnung. Uns geht es dabei darum, für unsere Bauern eine gute fachliche Praxis festzulegen, die die EU-Nitratrichtlinie einhält und unser Wasser als wichtigstes Lebensmittel schützt sowie für unsere Landwirte in der täglichen Arbeit auch praktikabel ist. Die Opposition versucht mit umfangreichen Forderungen in den vorliegenden Anträgen, diese Verhandlungen noch zu verkomplizieren; die Anträge gehen in der Summe in die falsche Richtung. Dem können wir nicht zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wofür seid ihr denn? Gar nichts machen? Das lässt die EU nicht zu!) Sie wissen alle: Das Auslaufen der Derogation hat die Landwirte verunsichert. Deshalb wollen wir die Zulassung der Derogation für nächstes Jahr wieder erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dabei handelt es sich um die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen und auf bestimmten Flächen pro Hektar bis zu 230 Kilogramm Stickstoff in Form von tierischem Wirtschaftsdünger, also Gülle und Mist, auszubringen, wenn es sich in der Nährstoffbilanz darstellen lässt. Es ist ein Merkmal einer modernen und nachhaltigen Landwirtschaft, dass nach Entzug und Ertrag gedüngt wird. (Beifall bei der CDU/CSU) „Viel hilft viel“, wie viele Zeitgenossen unterstellen – das ist falsch. Es ist das Motto einer längst vergangenen Steinzeitökonomie. Lassen Sie uns am bisherigen System der Düngeverordnung festhalten. Sie muss praxisgerecht sein, den nötigen Umweltschutz berücksichtigen und darf auch für kleine Betriebe keinen weiteren Bürokratieaufwand bedeuten. (Beifall bei der CDU/CSU) Es gehört aber auch ein besseres Grundwassermessstellennetz dazu, das nicht als Belastungsnetz funktioniert. Jeder, der sich informiert hat, weiß, dass wir vor allem aufgrund dieser fehlerhaften Meldungen in Schwierigkeiten geraten sind. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind keine fehlerhaften Meldungen! Die sind belastungsorientiert!) Wir brauchen ein Messstellennetz, das Vergleichbarkeit in Europa ermöglicht und uns sagt, wo etwas getan werden muss und wo nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen die Ursachen angehen!) Meine Damen und Herren von der Opposition, es nützt niemandem, die Nährstoffausbringung dort zu reduzieren, wo das Wasser in Ordnung ist. Laut Statistik haben wir bei 73 Prozent der Wassermessstellen keinen erhöhten Nitratgehalt. Davon lese ich in Ihren Anträgen nichts. (Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht nicht! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die anderen Messstellen macht ihr zu, oder was?) Die Forderungen der Opposition sind unverständlich. Eine Entscheidung des Bundestages für Ihre Anträge wäre bei den Verhandlungen mit der EU nicht zielführend. Die ordentlich wirtschaftenden Landwirte würden nur weiter belastet. Ich habe den Eindruck: Es geht hier nicht um die Sache. Es geht wieder einmal um Ideologie. So fordern etwa die Grünen in ihrem Antrag eine Mindestlagerkapazität für organischen Flüssigdünger von neun Monaten statt bisher sechs. Das würde für Kleinbetriebe eine erhebliche Mehrbelastung bedeuten und würde den Strukturwandel weiter vorantreiben. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schönreden reicht nicht!) In Ihren Reden, vor allem in Sonntagsreden, wollen Sie, die Grünen, diesen Strukturwandel ja auch nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sonntags gehen wir in die Kirche! Da halten wir keine politischen Reden!) Sie fordern weiter eine feste Obergrenze von 170 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr für die Ausbringung, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl!) also einen permanenten Verzicht auf die Derogationslösung. Das ist einfach nicht praxisgerecht. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Praxisgerecht ist Überdüngung, oder was heißt das? – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch nicht um Derogation!) Dazu kommen noch viele andere Punkte: von Verschärfungen vieler Vorschriften oder unpraktikablen Ausbringungstechniken bis hin zur kostenpflichtigen Zwangsberatung mit Androhung von Bußgeld für die Bauern. (Eckhard Pols [CDU/CSU]: Oh, Vorschriften für die Bauern!) Hier soll der ganze Berufsstand unter Generalverdacht gestellt werden. Unsere Landwirte in Deutschland sind bestens ausgebildet und bedürfen nicht bei jeder Gelegenheit der Belehrung durch Leute, die wenig Kompetenz haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist eure Antwort auf das Nitratproblem? Das ist ja echt blamabel!) In Sonntagsreden will die Opposition immer das Beste für die Bauern. Werktags arbeitet die Koalition für sachgerechte Lösungen. Das ist der Unterschied, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Menschen verstehen das sehr gut, vor allem unsere Bauern. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann, die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Kommen wir einmal von der Bauernverbandspolemik zurück zur Realität. Ich finde schon, dass die heutige Debatte zum Düngerecht überfällig ist. Es ist ja kein erfundenes Problem, sondern ein real existierendes. Nicht umsonst gibt es das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland wegen nicht ausreichender Umsetzung der Nitratrichtlinie. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Realität!) Der Bundesrat beschäftigt sich gerade mit zwei Gesetzesinitiativen zum Düngerecht. Drei wissenschaftliche Gremien zur Politikberatung der Bundesregierung (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr haben wir nicht! Alle drei!) haben sich im August 2013 gemeinsam geäußert und -haben uns zum Handeln aufgefordert. Dies waren der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, der Wissenschaftliche Beirat für Düngungsfragen und der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Ich zitiere einmal aus der Presseerklärung dieser drei Gremien zu ihrem Kurzgutachten: Trotz deutlicher Verbesserungen in den letzten 20 Jahren führen hohe Stickstoff- und Phosphatausträge aus der Landwirtschaft nach wie vor dazu, dass zentrale Umweltziele der Bundesregierung, wie auch der EU, nicht erreicht werden. Wir können es doch nicht ignorieren, wenn uns drei Beratungsgremien sagen, wir müssten etwas ändern. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich zitiere weiter aus dieser Presseerklärung: Die Räte empfehlen nachdrücklich, die anstehende Novellierung der Düngeverordnung für umfassende Reformen zu nutzen. Auch aus der Praxis erreichen zumindest mich sehr wohl Forderungen nach einer Änderung. Ich bin relativ häufig in Betrieben unterwegs. Neulich fragte mich ein Landwirt, mit dem ich über das aktuelle Düngerecht reden wollte: Geht es jetzt um Entsorgung oder um Düngung? Ich finde, das ist zwar eine polemische Frage, aber es ist eigentlich die Grundfrage, die wir als Gesetzgeber beantworten müssen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gleichzeitig ist es ein Zielkonflikt. Denn natürlich geht es auch um Entsorgung von Gülle und Mist aus der Tierhaltung; das ist keine Frage. Deshalb sagt die Linke: So viel Düngung wie notwendig für eine gute Ernte und so wenig Düngung wie möglich, um die Umwelt nicht zu schädigen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dabei geht es natürlich um Grundwasser und unsere Gewässer. Ich fände es schön, wenn der Verweis auf die gute fachliche Praxis ausreichen würde. Aber wenn es eben nicht so ist, dann müssen wir als Gesetzgeber handeln, (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) und das eben nicht erst Ende des Jahres. So viel Zeit will sich nämlich die Bundesregierung lassen, wie aus ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken hervorgeht. In Deutschland lag immerhin bei jeder zweiten Wassergütemessstelle die mittlere Nitratkonzentration oberhalb des Grenzwertes. In manchen Regionen wurde er sogar deutlich überschritten. Natürlich ist es richtig, historische Belastungen von den Belastungen zu unterscheiden, die aktuell entstanden sind. Natürlich ist es auch richtig, dass Durchschnittswerte über die reale Situation in bestimmten Regionen nicht viel sagen. Aber Tatsache bleibt doch, dass in vielen Regionen die Nitratausträge deutlich zu hoch sind. Zu den Ursachen möchte ich noch einmal aus der Presseerklärung der Räte der Bundesregierung zitieren: Insbesondere in vielen Regionen intensiver Tierhaltung und Bioenergieproduktion sowie in Regionen mit einem hohen Anteil von Sonderkulturen nehmen die Nährstoffausträge sogar zu. In solchen Regionen überschreitet die Nitratbelastung des Grundwassers teilweise das Siebenfache des für Säuglinge geltenden Grenzwertes. Auch das ist ein Argument, für die Linke zumindest, ernsthaft darüber nachzudenken, dass Dichte und Größe von Tierhaltungen in den Regionen tatsächlich gedeckelt werden. Also nicht Gülle verteilen, sondern Tierhaltung verteilen! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es wird geschätzt, dass knapp 1,9 Millionen Tonnen Stickstoff mehr ausgebracht werden, als Boden und Tiere überhaupt verwenden können. Das heißt: Jährlich werden 1,8 Milliarden Euro sinnlos für Stickstoffdünger ausgegeben. Das ist kein betriebswirtschaftliches Problem, das sich am Markt quasi von allein erledigt; denn diese Nährstoffüberschüsse geraten in unser Trinkwasser und in die Gewässer, zuletzt in die Meere. Das heißt wiederum, dass wir alle die Kosten für die Umweltschäden und für die Trinkwasseraufbereitung tragen müssen. Auch deshalb will die Linke das dringend ändern. (Beifall bei der LINKEN) Unsere Forderungen, Herr Rief, lehnen sich übrigens ganz stark an die Empfehlungen der Wissenschaftlichen Räte an; sie sind nicht irgendwie ausgedacht. Dabei ist uns die Durchsetzung des Verursacherprinzips besonders wichtig. Wir wollen keine pauschalen Maßnahmen gegen die Landwirtschaft insgesamt, aber wir wollen, dass die Probleme schneller erkannt werden und konsequent gelöst werden. Die konkrete Situation vor Ort soll schon berücksichtigt werden, aber das darf nicht dazu führen, dass das Ziel aufgeweicht wird, die Nährstoffüberschüsse zu reduzieren. Deswegen freue ich mich sehr auf die Diskussion darüber, wie wir so etwas erreichen können. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Sozialdemokraten spricht jetzt die Kollegin Rita Hagl-Kehl. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rita Hagl-Kehl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen für heutige und künftige Generationen ist ein Kernanliegen sozialdemokratischer Politik. Dies findet sich auch im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD wieder. Sie wissen, dass wir uns in der Großen Koalition für den Schutz der Umwelt, insbesondere der landwirtschaftlich genutzten Böden, und für den Gewässerschutz einsetzen. Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen, dass der Schutz von Gewässern nicht nur den Schutz der Oberflächengewässer, sondern ausdrücklich auch den des Grundwassers mit einschließt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen alles dafür tun, dass Wasser beste Trinkwassereigenschaften behält und nicht erst nach teuren Aufbereitungsverfahren als Trinkwasser aus der Leitung kommen kann. Denn das würde bedeuten, dass Gewinne durch Düngung auf Kosten der Allgemeinheit und zulasten der Umwelt erzielt würden. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu – ich zitiere –: Der Schutz der Gewässer vor Nährstoffeinträgen sowie Schadstoffen soll verstärkt und rechtlich so gestaltet werden, dass Fehlentwicklungen korrigiert werden. Wir werden die Klärschlammausbringung zu Düngezwecken beenden und Phosphor und andere Nährstoffe zurückgewinnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit der Düngeverordnung wird die EU-Nitratrichtlinie umgesetzt. Erklärtes Ziel der Nitratrichtlinie ist es, Grund- und Oberflächengewässer vor Nitratverunreinigungen aus der Landwirtschaft zu schützen und für eine gute Wasserqualität zu sorgen. Damit verbunden sind die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie: guter Gewässerzustand europaweit. Trotz Fortschritten in den letzten Jahrzenten sind die Umweltziele der genannten Richtlinien in Deutschland noch nicht erreicht. Es ist uns allen bewusst, dass – nicht zuletzt aus EU-rechtlichen Gründen – Handlungsbedarf für eine Novelle zur Düngeverordnung in Deutschland besteht. Eine Novelle hätte schon in der letzten Legislaturperiode beschlossen werden müssen. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liegt schon lange in der Schublade!) Als Koalition werden wir unseren Teil der Verantwortung mit der bevorstehenden Neuregelung vollumfänglich wahrnehmen. Die beiden Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken lesen sich wie eine Zusammenfassung aktueller wissenschaftlicher Gutachten. Diese Gutachten sind den mit den Themen „Umweltschutz“, „Gewässerschutz“ und „Novelle zur Düngeverordnung“ befassten Abgeordneten aller Parteien dieses Hauses bestens -bekannt. Die wissenschaftlichen Ergebnisse und Empfehlungen der einschlägigen Gutachten werden die Grundlage für die bevorstehende Novelle zur Düngeverordnung bilden. Am 25. Mai sind Europawahlen. Das war sicher auch ein Grund für die eilends eingebrachten Anträge der Opposition. Sie wollten sich in diesem Feld noch vor der Wahl positionieren, obwohl Sie natürlich wissen, dass wir als Koalition bereits intensiv an der Novelle im Düngemittelrecht arbeiten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das war ein Diskussionsbeitrag! Können Sie ja nutzen! Sie können auch abschreiben! Kein Problem!) Ich freue mich, dass Sie mir heute durch Ihre Anträge die Gelegenheit geben, die Position der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands noch einmal darzustellen. Das ist gut so; denn Transparenz ist gut für die Demokratie. Zur Position der SPD. Die Neuregelung der Düngeverordnung muss im Kern mindestens folgende Punkte enthalten: Erstens. Schulungs- und Beratungsprogramme müssen weiterentwickelt und intensiviert werden, um den Stand der Technik schneller in die Praxis umsetzen zu können und dadurch das betriebliche Nährstoffmanagement zu optimieren. Ziel ist es, Düngeverluste zu minimieren. Zweitens. Die Düngeverordnung ist dahin gehend zu verschärfen, dass a) die Stickstoffüberschüsse auf 50 Kilogramm pro Hektar und Jahr begrenzt werden, b) die Stickstoff- und Phosphatbilanz mittels einer Hoftorbilanz erhoben wird, die alle relevanten Nährstoffströme – auch Gärreste und Futtermittel – einschließt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einverstanden!) c) die Ausbringung von Gärresten aus Biogasanlagen in die Stickstoffbilanz eingeht sowie d) eine zielgenaue, bedarfsgerechte und standortangepasste Düngung definiert und ermöglicht wird. Drittens. Es muss der rechtliche Rahmen geschaffen werden, der die Kontrolle einer konsequenten Einhaltung der Düngeverordnung ermöglicht und bei Bedarf wirksame Sanktionsmaßnahmen sicherstellt. Damit meinen wir nicht Bußgelder, sondern kostenpflichtige Nachschulungen. Dann hat der Bauer auch etwas davon, weil er etwas lernt. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Viertens. Die Belange des Biodiversitäts- und Klimaschutzes müssen berücksichtigt werden. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Über diese Kernforderungen hinaus sind natürlich weitere Regelungen im Detail erforderlich, zum Beispiel die strikte Einhaltung von Abstandsregelungen. 1 Meter Abstand zu Oberflächengewässer bei der Düngemittelausbringung ist deutlich zu wenig; (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ich fordere mindestens 5 Meter Abstand. Wir benötigen kostenfreie EDV-Tools für die Landwirte zur Düngebedarfsermittlung, die Erweiterung von Sperrfristen auf dem Ackerland und zudem die Verlängerung der Mindestlagerdauer für Wirtschaftsdünger. In diesem Zusammenhang muss über eine finanzielle Unterstützung der Landwirte beim Bau von Güllebehältern nachgedacht werden. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat Bärbel Höhn als Ministerin gemacht!) Ich bin der Überzeugung, dass die „gute fachliche Praxis“ genauer definiert werden muss. Das gilt insbesondere für die Anforderungen an die Ausbringungs- und Einarbeitungstechniken. Die Novelle zum Düngerecht ist ein wichtiges Anliegen für mehr Umweltschutz über alle Parteigrenzen hinweg. Ich bin sicher, dass wir nach der Europawahl auch in den Ausschüssen gute und konstruktive Gespräche führen können. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon vor der Europawahl!) Zur Reduzierung der Stickstoff- und Phosphoreinträge brauchen wir sinnvolle und zugleich praktikable Lösungen. Ich bin zuversichtlich, dass wir bis Ende 2014 die Novelle zur Düngemittelverordnung beschlossen haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Debattenpunkt – und vermutlich auch im Rahmen dieses langen Debattentages – ist der Kollege Artur Auernhammer, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Artur Auernhammer (CDU/CSU): Verehrter Herr Präsident, da ich der letzte Redner dieses Abends bin, obliegt es mir wahrscheinlich, so lange zu reden, bis wir in Ihren Geburtstag hinein debattieren. Deshalb bitte ich, die Redezeit dementsprechend einzustellen. (Heiterkeit) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das wäre doch eine sehr großzügige Bemessung der Redezeit. Artur Auernhammer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in Deutschland nicht nur ein Problem mit einem Vertragsverletzungsverfahren bzw. einer drohenden Klage, sondern auch mit der Nitratbelastung in deutschen Gewässern. Ich glaube, da sind wir uns einig, so einig, dass wir heute über Gülle und Mist im Deutschen Bundestag sprechen. Als praktizierender Landwirt ist es mir wichtig, dass wir die Düngeverordnung überarbeiten, und zwar mit dem Ziel, die Nitratwerte zu senken, die Gewässerqualität nachhaltig zu verbessern und – das ist mir besonders wichtig – Landwirtschaft und das Düngen unserer Felder weiterhin bedarfsgerecht zu ermöglichen. An einer -solchen substanziellen Verbesserung der Verordnung -arbeitet das Bundeslandwirtschaftsministerium – und das ohne diese Anträge. Die Kompetenz des Bundeslandwirtschaftsministeriums, an der Spitze der Minister sowie seine ganze Mann- und Frauschaft, ist groß genug, um diese Herausforderungen anzunehmen und hier eine gute Lösung herbeizuführen. Das ist doch selbstverständlich. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Umweltministerin spricht auch mit!) Dass die Novellierung der Düngeverordnung unter dem Gesichtspunkt des Gewässerschutzes, beispielsweise in Form einer Senkung der Nitratbelastung, sein muss, ist uns klar. Wir wissen: Zu hohe Gewässerbelastungen gefährden nicht zuletzt die Volksgesundheit. Eine Novelle muss daher so weitreichend wie möglich erfolgen, zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger. Doch was ist nötig, und was ist erforderlich? Beim Lesen Ihrer Anträge, meine Kolleginnen und Kollegen von den Linken und von den Grünen, fühlt man sich gezwungen, darauf hinzuweisen, dass es auch in Deutschland noch möglich sein muss, Landwirtschaft zu betreiben. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe langsam den Eindruck, Sie wollen die deutsche Landwirtschaft abschaffen. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Haben Sie das Gutachten gelesen?) – Ja. – Düngen muss weiterhin möglich sein. Der Landwirt muss weiterhin seine Erfahrungen und Kenntnisse aus Ausbildung und Praxis einbringen dürfen, um nicht allein Landwirtschaft stur nach richtlinienkonformem Handlungsmuster praktizieren zu dürfen. Landwirtschaft ist nachhaltige, lebendige Nahrungsmittelproduktion und ist auf Nährstoffausbringung angewiesen. In der gesamten Nitratdebatte kommt aus meiner Sicht aber ein Punkt zu kurz. Es sind nicht nur die Viehhalter, die Düngemittel ausbringen. Das geschieht auch bei der in den letzten Jahren stark angewachsenen Biogasproduktion. Gerade heute Morgen haben sich viele bei der Demonstration der Biogasanlagenbetreiber in richtigen Sonntagsreden zur Biogasproduktion bekannt, auch die Vertreter der Linken und der Grünen. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist doch kein Widerspruch!) Jetzt heißt es aber auch, hier Farbe zu bekennen und zu sagen: Wir müssen handeln. Das habe ich heute Morgen da draußen vermisst. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich aber gesagt! Das wissen Sie!) Wir wissen, dass wir mit einer zunehmenden Auflagenpolitik unter unseren Landwirten die Flächenkonkurrenz noch weiter anheizen und die Flächen nicht mehr ausreichen werden. Das müssen wir auch im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik berücksichtigen. Verantwortungsbewusste Gülleausbringung geschieht bereits vielfach vor Ort. Ich bin selbst Vorsitzender eines Maschinenringes. Seit 20 Jahren haben wir eine sogenannte Güllegemeinschaft bei uns im Ring im Einsatz, mit 19 Fässern, mit der entsprechenden Bereifung und einer umweltfreundlichen bodennahen Ausbringtechnik. 165 Landwirte im Landkreis nutzen dieses Angebot und bringen bis zu 400 000 Kubikmeter Gülle umweltfreundlich aus. Das ist ein Beitrag für die Umwelt, den unsere Bauern freiwillig leisten und der über den Maschinenring organisiert wird. Um die Klage der EU-Kommission abzuwenden und eine Neugenehmigung der Derogationsregelung für Wirtschaftsdünger tierischer Herkunft für die deutsche Landwirtschaft zu bewirken, müssen wir handeln. Ich habe das eben am Beispiel unseres Maschinenrings angeführt. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, Ihr Forderungssammelsurium enthält viele Punkte, die ich nicht mittragen kann. Ich nenne nur die neunmonatige Güllelagerkapazität. Das würde in vielen kleinen bäuerlichen Betrieben dazu führen, (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gewerblichen!) dass über 50-jährige Landwirte nicht mehr die notwendigen Investitionen tätigen, sondern ihren Betrieb und damit die Viehhaltung einstellen. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch dies will ich einmal deutlich sagen: Ich habe in dieser Legislaturperiode schon viele Anträge der Grünen zur Agrarpolitik gelesen. Aus den meisten dieser Anträge ziehe ich die Schlussfolgerung, dass die Grünen die bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland abschaffen wollen. Das lasse ich Ihnen aber nicht durchgehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da nicht drin! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie wohl gern!) Ein Blick auf die Lebenswirklichkeit offenbart, dass die von Ihnen angedachten Investitionshilfen das Risiko nicht kompensieren können. In diesem Zusammenhang will ich den Hinweis geben, dass die Schweinehaltungsverordnung dazu geführt hat, dass kleinere Schweinehaltungsbetriebe bei uns aufgehört haben. Wir dürfen keine Düngeauflagen formulieren, die zu Betriebsaufgaben führen. Schon wegen dieser Forderungen sehe ich Ihre Anträge mehr als kritisch. Im Ganzen sind sie nicht zustimmungsfähig und müssen abgelehnt werden. Herr Präsident, ich danke Ihnen für Ihre Nachsicht bei meiner Redezeit. Ich glaube aber, wir können nicht mehr so lange warten, um Ihren Geburtstag zu feiern. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege Auernhammer, dass Sie die von Ihnen angekündigte Redezeit nicht vollständig ausgeschöpft haben. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/1338 und 18/1332 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Drucksache 18/1306 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Reden dazu sollen zu Protokoll gegeben werden.5 – Ich sehe niemanden, der dagegen Einwände erhebt. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/1306 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen – Soziale Ungleichheit weltweit überwinden Drucksache 18/1328 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auch hierzu sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden.6 – Ich sehe niemanden, der dagegen Einspruch erhebt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1328 an die in der Tagesordnung auf-geführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Damit ist die Überweisung so -beschlossen. Wir sind damit nach annähernd 14 Stunden Debattenzeit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen -Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. Mai 2014, 9 Uhr, ein. Ich danke allen, die sich heute an den Debatten beteiligt haben, und wünsche Ihnen einen schönen Restabend. Kommen Sie morgen frisch und ausgeschlafen um 9 Uhr wieder ins Plenum. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 22.53 Uhr) Berichtigung 32. Sitzung, Seite 2637 B, zweiter Absatz, erster Satz ist wie folgt zu lesen: Jetzt frage ich mich, wie Sie rechtfertigen, dass in dem Gesetzentwurf, der uns vorliegt, nicht vorgesehen ist, dass zusätzliche Nachweise erforderlich sind, zusätzlich dazu, dass man Energiemanagementsysteme nachweisen muss. Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 08.05.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 08.05.2014 Beyer, Peter CDU/CSU 08.05.2014 Binder, Karin DIE LINKE 08.05.2014 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 08.05.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 08.05.2014 Groß, Michael SPD 08.05.2014 Held, Marcus SPD 08.05.2014 Mindrup, Klaus SPD 08.05.2014 Strässer, Christoph SPD 08.05.2014 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 08.05.2014 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 08.05.2014 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten für Mittwoch, den 7. Mai 2014 (neu) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 07.05.2014 Alpers, Agnes DIE LINKE 07.05.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 07.05.2014 Beyer, Peter CDU/CSU 07.05.2014 Binder, Karin DIE LINKE 07.05.2014 Da?delen, Sevim DIE LINKE 07.05.2014 Dittmar, Sabine SPD 07.05.2014 Freese, Ulrich SPD 07.05.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 07.05.2014 Groß, Michael SPD 07.05.2014 Dr. Hofreiter, Anton BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 07.05.2014 Kühn (Dresden), Stephan BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 07.05.2014 Nowak, Helmut CDU/CSU 07.05.2014 Strässer, Christoph SPD 07.05.2014 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 07.05.2014 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 07.05.2014 Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag: Kündigung bilateraler Kooperationen im Bereich der Nutzung atomarer Technologien (Zusatztagesordnungspunkt 7) Das in ihrem Antrag „Kündigung bilateraler Kooperationen im Bereich der Nutzung atomarer Technologien“ formulierte Anliegen der Grünen ist äußerst wichtig. Inhaltlich finden sich hier Forderungen, die auch die SPD unter anderem mit meiner Unterstützung schon in Anträgen gestellt hat. Ich habe mich schon immer gegen Atomenergie engagiert und werde das auch weiterhin tun. Dementsprechend habe ich in den letzten Jahren oft dafür plädiert, dass Deutschland sich nach dem beschlossenen Atomausstieg hierzulande konsequenterweise auch international für das Ende der Atomenergie einsetzt. Das bedeutet natürlich zuallererst, dass wir nicht noch weiterhin Atomenergie im Ausland fördern. Hermes-Bürgschaften für Atomtechnologie müssen generell abgelehnt werden. Auch sollten natürlich alle Abkommen dahin gehend überprüft werden, ob hierin eine Förderung der Atomenergie in anderen Ländern vereinbart wurde, um diese gegebenenfalls zu kündigen oder abzuändern. Sosehr ich den Antrag inhaltlich richtig finde, so muss ich aber dennoch das Vorgehen bezüglich des Antrags kritisieren. Die extrem kurzfristige Einbringung des Antrags und die Beantragung einer namentlichen Abstimmung im Plenum kommt mir wie ein Manöver vor, um die SPD vorzuführen. Das ist schade, weil die Grünen diejenigen in den Regierungsfraktionen in die Bredouille bringen, die in der Sache die gleiche Ansicht teilen. Ein solch wichtiges Anliegen sollte man nicht reiner Parteientaktik unterwerfen. Die Grünen hätten sich mit Vertretern der anderen Fraktionen zusammensetzen können, um das Thema voranbringen zu können. Die SPD-Fraktion hat der Grünen-Fraktion nach Bekanntwerden des Antrags kurzfristig ein Angebot zur Zusammenarbeit gemacht. Dieses komplexe Thema sollte man nicht auf die Schnelle abhandeln, sondern stattdessen mit der nötigen Sorgfalt und in Zusammenarbeit mit Experten überprüfen, welche Kriterien man ansetzt, um bestehende Vereinbarungen nach der Fragestellung zu bewerten, ob man sie kündigt, abändert oder beibehält. Dafür bietet zum Beispiel eine Anhörung im Ausschussrahmen eine Gelegenheit. Generell sollte den Fachpolitikern in den Ausschüssen und in den Fraktionen die Gelegenheit geboten werden, das Thema zu diskutieren. All diese Möglichkeiten hat man jetzt leider nicht genutzt. Es ist für mich sehr schwer zu entscheiden, wie ich mich bei dieser konkreten Abstimmung verhalten soll. Das Thema Atomenergie ist für mich eine Gewissensfrage, da die damit verbundenen Entscheidungen unwiderrufliche Folgen haben können. Deshalb kann ich nicht gegen den Antrag der Grünen stimmen, auch wenn ich damit eventuell politische Spiele unterstütze und enttäuscht darüber bin, dass es keine Diskussionsmöglichkeiten zu dem Antrag gegeben hat. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen – Soziale Ungleichheit weltweit überwinden (Tagesordnungspunkt 16) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Vor kurzem habe ich an der Parlamentarierkonferenz zur Weltbevölkerung in Stockholm teilgenommen. Es war beeindruckend, aber auch ermutigend, mit den Parlamentariern aus allen Winkeln der Welt die Themen der Zukunft zu debattieren. Die Konferenz war aber auch ein Barometer für die aktuell brennendsten Aufgaben. Die Themen Familienplanung, Frauenrechte und Bildung standen im Fokus. Diese Themen waren auch Kernthemen der Millen-niumserklärung vom 9. September 2000. Als sie von 189 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen verabschiedetet wurde, war das Fundament für die Erfolgs-geschichte der Millenniumentwicklungsziele, der MDGs, gelegt. Knapp 5 000 Tage – genau 4 989 – sind seitdem vergangen. Ein Zeitraum, in dem aber auch die Weltbevölkerung um 1,2 Milliarden auf 7,3 Milliarden Menschen gewachsen ist. Jedes Jahr wächst sie weiter um 78 Millionen Menschen, mithin praktisch der Bevölkerung der Bundesrepublik. Die MDGs waren in acht Programmsätzen prägnant formuliert. Mit dieser klaren Formulierung begann eine neue Ära der entwicklungspolitischen Agenda. Trotz der enormen Herausforderung gelang es den MDGs in den vergangen Jahren, die extreme Armut zu halbieren, den Anteil der unterernährten Menschen von 23,2 Prozent auf 14,9 Prozent zu senken, mehr als 2 Milliarden -Menschen Zugang zu verbesserten Trinkwasserquellen zu ermöglichen, die Gleichberechtigung bei der Grundschulbildung weitestgehend durchzusetzen, mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt und in die Parlamente zu bringen, beeindruckende Erfolge im Kampf gegen Malaria und Tuberkulose zu erzielen, die Zahl der Slumbewohner -erheblich zu senken und die Schuldenzahl der Entwicklungsländer enorm zu senken, von 12 Prozent 2000 auf 3,1 Prozent 2011. Trotz dieser beachtlichen Fortschritte ist noch lange nicht alles erfüllt, was auf der Agenda stand. Auch nach 2015 haben wir noch die folgenden Befunde zu lösen: Jeder achte Mensch geht noch hungrig zu Bett. Beinahe jedes sechste Kind unter fünf Jahren ist untergewichtig, jedes vierte leidet an Wachstumshemmung. Die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren konnte erst um 47 Prozent gesenkt werden. Zwar wurde die Zahl der Kinder, die nicht zur Grundschule gehen, um über 50 Prozent gesenkt, doch verfügen weltweit 123 Millionen Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren nicht über grundlegende Lese- Und Schreibfähigkeiten – davon 61 Prozent junge Frauen. Vor allem in der Sekundar- und Tertiärbildung werden vor allem Mädchen weiterhin benachteiligt. Nur zwei der 130 Länder, für die 2013 Daten vorlagen, haben das Ziel der Geschlechterparität auf -allen Bildungsstufen erreicht. Produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle wurde noch nicht umgesetzt. Die internationale Wirtschaftskrise führte zu einem Rückschritt im Prozess. Arbeitsplatzsicherheit und Sozialleistungen für Frauen bleiben immer noch hinter dem Standard für Männer zurück. Generell ist die Unterdrückung der Entscheidungsmacht von Frauen im privaten wie im öffentlichen Bereich ein anhaltend fundamentales Problem der gesellschaftlichen Entwicklung. Auch die Müttersterblichkeit konnte erst um 47 Prozent gesenkt werden. Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte müssen weiter verbessert werden. Mit den noch ausstehenden Ergebnissen der MDGs ist schon ein wesentlicher Inhalt für den Post-2015-Prozess und die kommenden nachhaltigen Entwicklungsziele, die SDGs, vorgegeben. Die Ziele der Post-2015-Agenda sind dabei geprägt durch ihren globalen Anspruch auf Nachhaltigkeit. Die MDGs setzten ihren Fokus jedoch nur auf die Entwicklungsländer. Mit den SDGs verfolgen wir jedoch nunmehr die Einbindung aller Akteure und Staaten, in umfassender Verantwortung. Dies gilt vor allem für die Frage des Klimaschutzes. Die globalen Probleme bedürfen auch globaler Lösungen. Die auf-strebenden Schwellenländer, wie etwa Indien, müssen deshalb ebenfalls ihren Beitrag leisten. Ihre bisherige Entwicklung muss sich auch in eigener Leistungsbereitschaft niederschlagen. Sie müssen sukzessive eigene Verantwortung für ihre Bevölkerung und den Fortgang des Prozesses übernehmen. In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, vermisse ich jeglichen Hinweis auf dieses fundamentale Thema. Bei allen berechtigten Zielen dürfen die SDGs jedoch nicht überfrachtet werden. Die SDGs müssen das Erfolgskonzept der MDGs fortsetzen: Klarheit, Nachvollziehbarkeit und Messbarkeit der Ergebnisse. Deshalb wurden sie erfolgreich von den G8 debattiert. Deshalb konnte auch die Finanzierung auf höchster Ebene schnell gesichert werden. Nur klar erkennbare Ziele können überzeugend kommuniziert werden. Sehe ich mir jedoch Ihren Antrag an, fehlen diese Attribute, fehlt die Klarheit des Konzepts. Stattdessen wird der Eindruck spätkapitalistischer Ausbeutung im Kolonialstil suggeriert. Dies trifft ebenso wenig zu, wie es der diffizilen Aufgabe gerecht wird und deshalb den Prozess blockiert. Sie fordern „Im Zentrum aller Bemühungen müsse der Kampf gegen Hunger und Armut stehen.“ Dieser -Befund ist vollkommen unstreitig, ebenso wie die Erde keine Scheibe ist. In Ihrem Antrag sprechen Sie sich weiter gegen „eine Entfesselung der Märkte“ aus. Meine Damen und Herren Kollegen, wir leben in einer globalisierten und digitalisierten Welt. Freihandel ist die -Zukunft, nicht der Protektionismus. Weltweite wirtschaftliche Kooperation und der Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten sind die Antwort auf Armut, nicht die Ablehnung von Privateigentum und Marktwirtschaft. Die internationale wirtschaftliche Verzahnung ist dabei nicht der Teufel, den Sie versuchen an die Wand zu -malen. Sie ist der Weg, mit dem die Länder näher zusammenrücken. Wir brauchen Austausch von Wissen und Leistung, real und digital, aber fair. Wahrung der Menschenrechte und nachhaltiger Umgang mit Ressourcen zum Wohle nachfolgender Generationen ist dabei oberstes Gebot. Globalisierung und Marktwirtschaft ist keine Ausbeutung. Globalisierung bietet die Chance, Arbeitsplätze zu schaffen. Menschenwürdige Bedingungen sind dabei zwingend, auf die auch der Verbraucher Einfluss -nehmen kann und muss. Die Initiative eines Fair-Trade-Siegels für nachhaltige Kleidung durch Minister Müller ist genau der richtige Weg. Auch TTIP ist kein Teufelszeug und vor allem kein Nullsummenspiel nach Ihrer Begrifflichkeit. TTIP führt zum Bürokratieabbau und verbessert den Warenaustausch. An diesem Vorteil partizipieren auch Entwicklungsländer. Mit TTIP werden globale Leitlinien, Qualitätsstandards und Sicherheitsanforderungen gestaltet. Die Vorschläge zur ODA-Mittel-Verwaltung oder kostenlosem Technologietransfer sind keine Allheilmittel für die armen Länder der Welt und auch vollkommen realitätsfern. Wir brauchen messbare Effizienz der -Entwicklungsmaßnahmen. So sind Projekte in der Landwirtschaft zwei- bis viermal effektiver als Maßnahmen in urbanen Strukturen. Deshalb ist auch der deutsche Standpunkt bei der Frühjahrstagung der Weltbank vollkommen richtig, wonach Wirtschaftswachstum wichtig, aber kein Maßstab der Effizienz ist. Die EZ muss zu -robusten Mittelschichten führen, die den Entwicklungsprozess der Staaten eigenverantwortlich aufnehmen. Entwicklung erfordert aber auch stabile und sichere Verhältnisse, sodass Good Governance und Unterstützung zum Aufbau von Sicherheitsstrukturen unverzichtbarer Bestandteil der Nachhaltigkeit sind. Das hat nichts mit Rüstungspolitik zu tun. Flüchtlingstragödien wie vor Lampedusa sind die Folgen fragiler Staaten, Korruption und Gewalt. Die Betroffenen verlassen ihre Heimat nicht freiwillig, sondern aus Angst und Not. Auch hier muss Entwicklungspolitik, hier müssen die SDGs ansetzen. Mit dem Post-2015-Prozess und den SDGs müssen wir künftigen Generationen die Chance auf ein umfassend selbstbestimmtes Leben ermöglichen. In diesem Sinne möchte ich Papst Franziskus beim Angelus-Gebet nach der Neujahrsmesse auf dem Petersplatz zitieren: „Wir sind aufgerufen, uns der Gewalt und Ungerechtigkeiten in vielen Teilen der Welt bewusst zu werden, denen wir nicht gleichgültig und tatenlos gegenüberstehen können: Jeder von uns muss sich einbringen, damit wir eine wirklich gerechte und solidarische Gesellschaft schaffen können.“ Dr. Bärbel Kofler (SPD): Mit dem Jahr 2015 endet die Laufzeit der Millenniumsentwicklungsziele, der sogenannten MDGs. Sie sollen nach 2015 von einem neuen internationalen Rahmenwerk, der Post-2015-Agenda, abgelöst werden. Neu ist, dass die Vereinten Nationen dafür zwei internationale Verhandlungsprozesse miteinander verbinden, die bisher getrennt verliefen: den entwicklungspolitischen Post-MDG-Prozess und die Umsetzung der Beschlüsse des Rio+20-Gipfels zur globalen Nachhaltigkeit. Die Themen des neuen Rahmenwerks sind folglich umfangreich und stellen die internationale Politik bei der Ausgestaltung der neuen Ziele vor große Herausforderungen. Die neue Agenda bietet aber zugleich die Chance für ein Umdenken, für ein neues Verständnis von globaler Verantwortung und Partnerschaft. Die Post-2015-Agenda soll ein umfassender globaler Entwicklungsfahrplan werden, wobei die Beseitigung der Armut in der Welt weiterhin oberste Priorität genießen wird. Armutsbekämpfung und menschliche Entwicklung sind aber eingebettet in eine Agenda für eine globale strukturelle Transformation, hin zu einem sozialverträglichen sowie umwelt- und klimaverträglichen Wirtschaften weltweit. Konkret heißt das: Wir brauchen Ziele, die vier Dimensionen nachhaltiger Entwicklung umfassen: soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklung, ökologische Nachhaltigkeit, Fragen nach verantwortungsvoller Regierungsführung sowie Friedens- und Sicherheitsfragen. Bereits im letzten Jahr hat sich die SPD-Bundestagsfraktion mit einem Antrag zu der neuen Post-2015-Entwicklungsagenda aktiv für einen globalen Umden-kungsprozess eingesetzt, für eine neue Debatte um nachhaltiges Wachstum, bei dem der Mensch und seine Lebensgrundlagen im Mittelpunkt stehen und vor Ausbeutung bewahrt werden. Das ist ein großer Anspruch, dem wir uns mit konkreten Forderungen nähern wollen. Die neue Agenda muss daher als oberstes Ziel die Überwindung von Hunger und extremer Armut bis 2030 festschreiben. Zur Erreichung dieses Ziels ist insbesondere die ländliche Entwicklung in Entwicklungsländern zu fördern. Weiter fordern wir als ein eigenständiges Ziel der neuen Agenda den Auf- und Ausbau sozialer Sicherungssysteme. Wir setzten uns dafür ein, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Bekämpfung sozialer Ungleichheit ein Kernthema der Post-2015-Agenda wird. Die Decent Work Agenda der Internationalen Arbeitsorganisation ist in den Zielkatalog mit aufzunehmen. Das ist ein zentrales Anliegen für uns Sozialdemokraten im internationalen Verhandlungsprozess auf VN-Ebene. Ebenso treten wir dafür ein, dass Gendergerechtigkeit als ein Querschnittsthema für alle gesellschaftlichen Bereiche des neuen Zielkatalogs integriert wird und damit gleichzeitig Frauen und Mädchen in der Wahrnehmung ihrer Rechte und ihrer Selbstbestimmung gezielt gefördert werden. Als eine weitere Zielsetzung muss die Förderung und Unterstützung von Low-Carbon-Ökonomien einbezogen werden, denn weltweit braucht es Zugang zu Energie, die nicht aus fossilen Brennstoffen, sondern aus erneuerbaren Quellen generiert wird. Hier wollen wir uns zum Dialog anbieten und den Kampf gegen Energiearmut ausdrücklich mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien verbinden. Eine Offenlegungspflicht für Rohstoffeinnahmen nach dem Vorbild der USA und des Dodd-Frank-Acts für Unternehmen als international verbindlich einzufordern, das ist ein weiterer Ansatz, den wir Sozialdemokraten für die Post-2015-Agenda wollen. Denn wir müssen uns noch stärker als bisher dafür einsetzen, dass rohstofffördernde Länder sowie Unternehmen transparente Förderpolitiken haben und Einnahmen aus diesen Geschäften für die Bevölkerung nachvollziehbar verwendet werden. Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang jeder neue Beitritt zu der Extractive Industries Transparancy Initiative. Diese konkreten Kernanliegen gilt es, in den internationalen Verhandlungsprozess einzubringen und mit Regierungen, Parlamenten und Zivilgesellschaft in aller Welt zu verhandeln. Das ist ein großer Prozess, der bereits begonnen hat. Im Herbst dieses Jahres werden die Vereinten Nationen einen zusammenfassenden Bericht vorlegen; anschließend bleibt uns, der Staatengemeinschaft, ein weiteres Jahr für die Abstimmung der neuen Post-2015-Agenda. Damit der Post-2015-Agenda-Prozess erfolgreich ist, brauchen wir eine globale Partnerschaft aller Länder, eine Partnerschaft, die sich auf eine Verantwortung aller Staaten dieser Welt gründet, für die Einhaltung der universellen Menschenrechte, für gute Arbeit weltweit, für ein faires und offenes Handelssystem, für gute Regierungsführung und Steuergerechtigkeit, für eine krisensichere globale Finanzstruktur und für gemeinsame Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels. Für die Klimadebatte ist es besonders erforderlich, von einer gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung zu sprechen. Denn Klimafolgenschäden, die oftmals die Menschen treffen, die in Armut leben, haben wir Industr-ieländer zu verantworten, Verursacher der bisherigen Klimaerwärmung sind wir, die Industrieländer. Während also die historische Verantwortung für die derzeitigen Klimaschäden bei uns liegt und zunehmend auch bei den Schwellenländern, so tragen dennoch alle Länder dieser Welt die Verantwortung für das globale Klima als öffentliches Gut. Lassen Sie mich noch auf den wichtigen Kerngedanken der Post-2015-Agenda, den der Universalität der neuen Ziele, eingehen, der für das Gelingen der neuen Agenda grundlegend ist. Die internationale Gemeinschaft braucht eine Post-2015-Agenda mit einem universell gültigen Zielkatalog als Richtschnur. Das heißt, als globale Agenda muss sie Ziele enthalten, die für alle gelten: für die Entwicklungsländer, die neuen Schwellenländer und für die traditionellen Industrieländer. In ihnen drückt sich die Verantwortung der gesamten Staatengemeinschaft für das Schicksal der Menschheit und den Zustand unseres Planeten aus. Auf der Grundlage universeller Ziele sollen wiederum spezifische und mithilfe von Indikatoren mess- und überprüfbare Unterziele oder Zielvorgaben für die globale wie für die nationale Ebene gebildet werden. Im Gegensatz zu den MDGs ist die Post-2015-Agenda deshalb keine Agenda nur für Entwicklungsländer, sondern als eine universelle Agenda verpflichtet sie alle Staaten dieser Welt. Gerade hier wird es für uns als Industrieland neue Herausforderungen geben, sich gewissen Selbstverpflichtungen zu stellen, nicht nur im ökologischen Bereich, auch bei Sozialstandards. Denn Deutschland und Europa sind auch im Bereich der guten Arbeit weltweit besonders gefordert. Das bedeutet, in Deutschland und Europa zu verbindlichen, transparenten Regeln zu kommen und gesetzgeberisch Rahmenbedingungen zu schaffen für Wertschöpfungsketten und Lieferketten, sodass Sozialstandards und ökologische Standards für weltweit tätige Unternehmen zur Verpflichtung werden. Von daher begrüßen wir auch ausdrücklich die Absicht der Bundesregierung, das Thema der globalen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in die Post-2015-Agenda mit einzubeziehen. Wir unterstützen ebenfalls die gemachten Vorschläge für entsprechende Zielvorgaben, nämlich die Förderung eines offenen, regelbasierten und entwicklungsfreundlichen Handelssystems, die Sicherung globaler Finanzmarktstabilität sowie die Förderung von Unternehmensverantwortung. Allerdings handelt es sich bei den bisherigen Vorschlägen allenfalls um einen ersten Schritt in die richtige Richtung. So bedürfen die genannten Vorschläge noch einer stärkeren Konkretisierung, um wirklich operational zu sein. Abschließend möchte ich nochmals auf einen grundsätzlichen Punkt hinweisen: Die Post-2015-Agenda sollte keinesfalls nur aus einer Liste von Zielen, Zielvorgaben und Indikatoren bestehen. Neben der Behandlung von Grundsatzfragen bedarf es vor allem eines globalen Aktionsplanes, der grundsätzliche Verpflichtungen finanzieller und nichtfinanzieller Art enthält. Letztere beträfen auch eine Reihe von Vereinbarungen über Änderungen bei den Spielregeln, nach denen die globale Ökonomie künftig auf dem Weg aus der Unterentwicklung und in Richtung auf ein sozial- und umweltverträgliches globales Wirtschaften funktionieren soll. Damit es die Agenda nicht bei reinen Absichtserklärungen belässt, ist es ebenfalls wichtig, sich zügig über einen entsprechenden Überprüfungsmechanismus zu verständigen. Heike Hänsel (DIE LINKE): Die Linke hat einen Antrag zur nachhaltigen Entwicklungsagenda eingebracht, die die Vereinten Nationen im Jahr 2015 verabschieden will, nach Ende der Millenniumsentwicklungsziele. Neue nachhaltige Entwicklungsziele für die Welt, sogenannte Sustainable Development Goals, SDGs. Nach viel Kritik am Zustandekommen und Charakter der Millenniumsziele sollen nun Ziele so universell formuliert werden, dass sie auf den Süden ebenso wie auf den Norden angewandt werden können, die Verantwortung des Nordens soll verstärkt, und es sollen strukturelle Veränderungen angestrebt werden, um Armutsbekämpfung, Entwicklung und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu ermöglichen. Insofern bietet dieser Prozess die Chance, eine breite Debatte über die Zukunft unserer Gesellschaften zu initiieren – auch in Deutschland. Genau deshalb haben wir nun einen Antrag eingebracht, weil diese breite Debatte bisher fehlt. Die Wirtschafts- und Finanzmarktkrisen der vergangenen Jahre haben aber deutlich gemacht, dass diese Debatte dringend notwendig ist. Neue global geltende Nachhaltigkeitsziele müssen mit breiter Beteiligung der Zivilgesellschaft im Norden und Süden entwickelt werden. Deshalb schlagen wir ja auch vor, bundesweite öffentliche Foren unter Beteiligung von Entwicklungsorganisationen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Umweltverbänden, Schulen, Universitäten, Städte- und Gemeindetag zu organisieren, um die SDGs ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und Ideen, Vorschläge und Handlungsoptionen zu sammeln und aufzugreifen. Diese Woche, 5. bis 11. Mai, gibt es zum Beispiel eine weltweite Internetkampagne der Vereinten Nationen, sich mit Statements, Videoclips etc. zu den SDGs einzubringen. Doch wer weiß schon davon? Wenn wir aber unsere Lebens- und Wirtschaftsweise diskutieren wollen, dann geht das nur mit breiter Beteiligung der Gesellschaft. Wir haben den Antrag aber auch deshalb jetzt eingebracht, weil wir verhindern wollen, dass mal wieder abstrakt über hehre Zukunftsziele diskutiert wird, währenddessen jetzt bereits neoliberale Weichenstellungen getroffen werden, die weitreichende negative ökologische und soziale Auswirkungen haben werden und die die Bevölkerung massiv bewegen. Ich spreche von den zahlreichen geplanten Freihandelsabkommen mit den Ländern Afrikas, Asiens und dem EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP. Dazu gab es in den letzten Wochen zahlreiche Demonstrationen in verschiedenen Städten. Diese Abkommen werden nachhaltige Entwicklung verhindern, denn sie setzen auf dieselbe exportorientierte Wachstumsstrategie, die in der EU bereits zu einer tiefen Krise geführt hat. Sie setzen zugleich die entwicklungspolitischen Strategien fort, die in den 1990er-Jahren als Strukturanpassungsprogramme in den Ländern des Südens durchgesetzt wurden und dort seither eine selbstbestimmte Entwicklung verhindern und durch den Abbau staatlicher Basisversorgung und Infrastruktur staatliche Fragilität befördern. Die bisherigen Vorschläge der Bundesregierung, die in die Open Working Group eingebracht werden sollen, sind uns bei weitem nicht ausreichend; auch dafür haben wir im Antrag einige konkrete Vorschläge gemacht. Es geht uns generell darum, das Leitbild von Frieden, sozialer und ökologischer Gerechtigkeit zu verankern. Im Zentrum aller Bemühungen muss der Kampf gegen Hunger und Armut stehen, der Kampf um soziale Gleichheit. Hier unterstützen wir auch die Forderungen von Ländern wie Bolivien, die für eine weltweite Umverteilung von Gütern und Ressourcen eintreten. Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist eine aktive Friedenspolitik. Deshalb fordern wir im Antrag den Abbau von Rüstungsproduktion und -exporten und ferner, die Ausgaben für Rüstung zur Finanzierung dieser Entwicklungsziele in den Ländern des Südens heranzuziehen. Wir wollen die globalen Gemeinschaftsgüter, die sogenannten „commons“, für alle Menschen gleich verteilen. Dafür bedarf es in allererster Linie einer Veränderung unserer Lebensweise im Norden, und genau deshalb brauchen wir eine breite Beteiligung und Diskussion hier und jetzt. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich begrüße sehr, dass das wichtige Thema Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, auch bekannt als Sustainable Development Goals, SDGs, hier im Deutschen Bundestag auf der Tagesordnung ist. Der Antrag der Linken, dem wir diese Debatte zu verdanken haben, enthält richtige Forderungen, wie die nach einer breiten öffentlichen Debatte in Deutschland über die Ausgestaltung der Nachhaltigkeitsziele, soziale und ökologische Gerechtigkeit, Schutz von Gemeinschaftsgütern wie Wasser vor Privatisierung, Einführung einer Finanztransaktionsteuer oder für die Gleichstellung der Frau und Engagement gegen sexualisierte Gewalt. Leider fehlen in dem Antrag der Kampf gegen den Klimawandel, die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgender und ein grundsätzlicher Menschenrechtsansatz völlig. Dies gehört aber ebenso in die Diskussion. Es stehen auch kuriose Forderungen in dem Antrag wie die Einführung einer Pro-Kopf-Obergrenze für die Inanspruchnahme von Luft. Ressourcenschutz und eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs, gerade von endlichen Stoffen, ist aber natürlich auch im Sinne der Grünen. Ob das vorgeschlagene Instrument hierfür tragfähig ist darf allerdings bezweifelt werden. Es gibt auch berechtigte Kritik an den Millenium -Development Goals, MDGs, hinsichtlich ihrer Entstehung, Konzeption und ihres Formats und auch daran, dass nicht alle Ziele bis 2015 erreicht werden. Die im Antrag formulierte Kritik an den Milleniumszielen vernachlässigt, dass die MDGs auch Erfolge zu verzeichnen haben. So haben ihre hohe Mobilisierungskraft und leichte Kommunizierbarkeit weltweit Öffentlichkeit für das Thema Armutsbekämpfung geschaffen und damit der Entwicklungspolitik eine neue Richtung gegeben. Die MDGs haben dem Trend sinkender finanzieller öffentlicher Unterstützungsgelder (Official Development Assistance – ODA) in den 90er-Jahren entgegengewirkt und die politische Anerkennung der Entwicklungszusammenarbeit deutlich verbessert. Der von den Vereinten Nationen, VN, geleitete Prozess einer künftigen Entwicklungsagenda beinhaltet -bereits jetzt intensive Diskussionen um Prioritäten, -Konzepte und Strategien einer zukünftigen Entwicklungspolitik. Leider aber bisher nur in exklusiven Fachzirkeln. Eine Zusammenführung der beiden Prozesse mit dem Ziel einer gemeinsamen, universell gültigen Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung ist angesichts der globalen Herausforderungen dringend notwendig. Der Deutsche Bundestag hat in der letzten Legislaturperiode die Zusammenführung der Post-MDG- und SDG-Prozesse befürwortet. Dieses Hohe Haus hat sich darüber hinaus dazu bekannt, ressortübergreifend in allen fachlich relevanten Ausschüssen sowie im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung zu dieser Thematik zu arbeiten und gemeinsame Anhörungen und Beratungen anzustreben. Analog zu der ministeriellen Ebene sollte eine gemeinsame Federführung des Entwicklungs- und Umweltausschusses angestrebt und die Kompetenz des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung genutzt werden, fachübergreifende Arbeitsprozesse anzustoßen und zu begleiten. Die Bundesregierung muss nun dafür sorgen, dass die Post-2015-Entwicklungsagenda und die SDGs zusammengeführt werden. Insbesondere sollte hierfür bei Schwellen- und Entwicklungsländern geworben und auf mögliche Bedenken bezüglich der Gefahr des Bedeutungsverlusts der Armutsbekämpfungsagenda eingegangen werden. Es braucht eine für alle Staaten gültige Agenda für nachhaltige Entwicklung mit universellen Ober- und ausdifferenzierten Unterzielen und einem klaren Bezug zu den planetarischen Grenzen der Erde. Dies ist unverzichtbar, wenn die notwendige sozial-ökologische Transformation hin zu einer menschenrechtsbasierten nachhaltigen Entwicklung weltweit vorangetrieben werden soll. Denn bereits der Nachhaltigkeitsgipfel 1992 in Rio hatte festgestellt, dass der einseitig auf Wirtschaftswachstum basierende Entwicklungspfad der Industrienationen nicht global umsetzbar ist. Vielmehr müssen menschliche Entwicklung und ökologische Nachhaltigkeit miteinander in Einklang gebracht werden. Dennoch wird mehr als 30 Jahre nach Rio unter „Entwicklung“ noch immer überwiegend „nachholende Entwicklung“ verstanden. Die Industrienationen tragen eine historische Verantwortung, für die sie im Rahmen einer zukünftigen Agenda für nachhaltige Entwicklung in die Pflicht genommen werden müssen. Aber auch die Regierungen der Schwellen- und Entwicklungsländer dürfen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Die große Herausforderung für die internationale Gemeinschaft besteht darin, unter Anerkennung der Endlichkeit von Ressourcen, extreme Armut und Hunger zu überwinden, sodass alle Menschen ein Leben in Würde und Sicherheit führen können. Es muss ein nachhaltiger Entwicklungspfad eingeschlagen werden, um die Ökosysteme zu erhalten, allen Menschen und zukünftigen Generationen Zugang zu den natürlichen Ressourcen zu ermöglichen. Hierfür ist die Eindämmung des Klimawandels zentral. Sollte es nicht gelingen, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, sind die Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung zerstört. Eine herausragende Rolle sollte dabei das Prinzip der geteilten, aber unterschiedlichen Verantwortung spielen, das eine Unterscheidung der politischen Verpflichtungen nach ökonomischem Entwicklungsstand, sozialer Gerechtigkeit und umweltpolitischer Verantwortlichkeit vorsieht. Wie die Post-2015-Agenda und die Entwicklung der SDGs verknüpft werden sollten, haben wir bereits in unserem Antrag „Für universelle Nachhaltigkeitsziele – Entwicklungs- und Umweltagenda zusammenführen“ in der letzten Legislaturperiode formuliert. Nur so kann im Jahr 2014 eine integrierte, universell gültige Agenda von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen verabschiedet werden. Die Bundesregierung sollte dies von höchster politischer Ebene aus einfordern und diesbezüglich eine globale Vorreiterrolle übernehmen. Wir Grüne fordern weiterhin, bei dem Prozess zur Positionierung bezüglich der Inhalte und Prioritäten einer Post-2015-Entwicklungsagenda große Transparenz und breite Partizipationsmöglichkeiten für den Bundestag und Bundesrat, die Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft sicherzustellen. Gerade die Komponente der zivilgesellschaftlichen Beteiligung, die dezentral etwa ähnlich der Agenda 21 zu organisieren wäre, fehlt bislang in Deutschland völlig. Eine breite gesellschaftliche Debatte findet faktisch nicht statt. Das ist völlig unverständlich, denn die SDGs werden und müssen auch Deutschland selbst betreffen. Daher reicht es auch nicht aus, wenn das BMZ eine Diskussion um die SDGs unter dem Begriff Zukunfts-charta startet. Dies ist Aufgabe der gesamten Bundesregierung. Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die künftige Agenda neben einer politischen Erklärung und einem Zielkatalog auch mit einem konkreten politischen Aktionsprogramm versehen wird, das auch die Finanzierung aufzeigt. Deutschland nimmt noch keine Vorreiterrolle ein, Nachhaltigkeit, Klimawandel und Entwicklungszusammenarbeit zusammen zu denken. Anstatt die Energiewende weiter zu forcieren, um das 2-Grad-Ziel einhalten zu können, wird von Bundeswirtschaftsminister Gabriel mit der aktuellen EEG-Novelle die Energiewende skrupellos an die Wand gefahren. Zusätzlich werden weiterhin bilaterale Atomverträge nicht aufgekündigt und auch noch internationale Investitionen in Kohlekraftwerke unterstützt. Eine nachhaltige und klimaschützende Energieaußenpolitik sieht so jedenfalls nicht aus. Bei der Quote der Official Development Assistance (Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit) versagt auch diese Bundesregierung völlig. Laut Koalitionsvertrag will die neue Bundesregierung für die 18. Legislaturperiode nur 2 Milliarden Euro zusätzliche ODA-Mittel bereitstellen in Bezug auf das Basisjahr 2013. 80 Prozent der zusätzlichen ODA-Mittel sollen im BMZ verbleiben, die restlichen Mittel verteilen sich auf andere Ressorts. Die versprochenen 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklung einzusetzen, wird nicht annähernd erreicht. Aus Grüner Sicht ist schon allein der magere Aufwuchs kritisch und praktisch eine Absage an das 0,7-Prozent-Ziel. Ein weiteres Armutszeugnis für diese Bundesregierung! Im Gegensatz dazu fordern wir Grüne einen ODA-Aufholplan. Um die Zusagen für die Milleniumsziele einzuhalten, wären in dieser Legislaturperiode 12 Milliarden Euro an zusätzlichen ODA-Mitteln notwendig. Hinzu kommt, dass wir uns konzeptionell neu aufstellen müssen. Konkret bedeutet dies, dass wir den ökologischen Fußabdruck und neue Wohlstandskonzepte in einer zukünftigen Agenda für nachhaltige Entwicklung stärken müssen. Diese Agenda sollte sich von einem einzig am Bruttoinlandsprodukt ausgerichteten Wachstumsbegriff lossagen und stattdessen qualitative Indikatoren, wie inklusives Wachstum, Zufriedenheit, Teilhabegerechtigkeit, Umverteilung, ökologische Kosten sowie eine absolute Reduktion des globalen Ressourcenverbrauchs, beinhalten. Wir sollten international für die menschlichen Bedürfnisse grundlegende materielle und von den natürlichen Ressourcen abhängige sowie auf Gleichheits-, Teilhabe- und Freiheitsrechten basierende Oberziele festlegen. Diese sollten wie Frieden und Gerechtigkeit (beispielsweise Geschlechtergerechtigkeit, Schutz vor Gewalt, Zugang zu fairer Justiz, politische Teilhabe) Erhalt der ökologischen Grundlagen und Biodiversität, Klimaschutz, Ernährungs- und Wassersicherheit, nachhaltige Energie, Bildung und Chancengleichheit, menschenwürdige Arbeit und Unterkunft, Zugang zur Gesundheitsversorgung und zu sozialen Sicherungssystemen beinhalten. Auf nationaler Ebene müssen die Aktivitäten aller Ressorts koordiniert und auf die Politikkohärenz bei der Erarbeitung und Umsetzung einer Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung hingewirkt werden. Die international vereinbarten Ziele müssen bei der 2014 beginnenden Fortschreibung der Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands berücksichtigt und das Management der Nachhaltigkeitsstrategie gestärkt werden. Die SDGs müssen mehr als die MDGs und die aktuelle Entwicklungspolitik sein, die sich bisher in der Politik von reichen Gebern gegenüber armen Empfängern erschöpft, und dürfen sich nicht auf wirtschaftliche Zusammenarbeit beschränken. Das große Ganze im Blick zu haben, muss Aufgabe nicht nur der Entwicklungszusammenarbeit sein. Quer durch alle Politikfelder partnerschaftlich mit den Staaten dieser Erde die sozial-ökologische Transformation zu organisieren, sollte das Ziel der neuen Agenda sein. Denn Klimaschutz, Welternährung und Frieden bedingen sich unmittelbar. Wer versucht diese globalen Herausforderungen voneinander getrennt zu lösen, wird zwangsläufig in die Sackgasse laufen und letztendlich scheitern. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Tagesordnungspunkt 17) Markus Koob (CDU/CSU): Heute beraten wir in erster Lesung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Damit wird das ergänzt und konkretisiert, was dieses Haus in der letzten Wahlperiode auf den Weg gebracht hatte. Mit der einkommensteuerrechtlichen Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaften wurde die erste Etappe im Sommer vergangenen Jahres genommen. Es stand da bereits fest, dass wir uns in der 18. Wahlperiode mit Folgeanpassungen beschäftigen würden, nachdem wir sorgfältig und besonnen weitere steuerrechtliche Vorschriften auf einen Gleichstellungsbedarf analysiert haben würden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf befinden wir uns nun vor dem zweiten Etappenziel. Mit diesem wird die vollständige Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaften in anderen steuerlichen Belangen hergestellt. Das Anpassungspaket dieses Gesetzentwurfs enthält eine Vielfalt von Bereichen, in denen der verbleibende Modifikationsbedarf umgesetzt wird. Wie in jedem Regulierungspaket gibt es hier natürlich Schwerpunkte, die herausstechen. Drei gute Beispiele dafür sind die Anpassungen in der Abgabenordnung, im Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz oder im Eigenheimzulagengesetz. Dann gibt es natürlich andere Aspekte, die auch eine Bedeutung haben, aber eben keine gleichrangige. Es sei mir an dieser Stelle die Vermutung gestattet: Wohl nur wenige haben damit gerechnet, dass die Einkommensteuerrechtliche Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaften dazu führt, dass sogar die Kaffeesteuerverordnung geändert werden muss. Im Vordergrund steht ja auch etwas anderes: Es geht uns um die Vervollständigung einer lebensnahen und in der Steuerpraxis spürbaren Gleichstellung der Lebenspartnerschaften. Genau hier wird auch diese Folgegesetzgebung ansetzen. Um ein Gespür dafür zu bekommen, wie sich in diesem Regelungskomplex originäre Gesetzgebung und die jetzige Folgegesetzgebung zueinander verhalten, möchte ich das gerne an einem Beispiel festmachen. Mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs in der vergangenen Wahlperiode hat der Gesetzgeber infolge der Entscheidung der Rechtsprechung das Ehegattensplitting auch für Lebenspartnerschaften geöffnet, also das Verfahren, nach dem verheiratete Paare besteuert werden, die sich für die gemeinsame Veranlagung entschieden haben. Dies hat unter anderem zur Folge, dass seit Inkrafttreten des Gesetzes zum Beispiel die Unterhaltsaufwendungen nicht mehr gesondert geltend gemacht und nach-gewiesen werden müssen. Statt zwei getrennter Steuererklärungen müssen Lebenspartner heute nur noch eine gemeinsame Steuererklärung abgeben. Das ist bereits geltende Rechtslage. Das ist die eine Seite der Medaille. Auch die zweite Seite spielt in der Folgeanpassung eine Rolle. Wir werden mit diesem Gesetz gewährleisten, dass in Zukunft die Bekanntgabeerleichterungen – insbesondere für Steuerbescheide – nun auch für Lebenspartner gelten werden. Damit mindern wir auch den Verwaltungsaufwand aufseiten der Steuerbehörden. Wir sorgen hier für eine spürbare Gleichstellung im Alltag: Wenn steuerlich gemeinsam veranlagte Eheleute eine gemeinsame Steuererklärung abgeben, erhalten sie auch einen gemeinsamen Steuerbescheid. Dies wird jetzt auch für Lebenspartner gelten. Eine gemeinsame Steuererklärung, ein gemeinsamer Steuerbescheid – ein handfestes und wichtiges Beispiel dafür, wie die Vervollständigung der steuerlichen Gleichstellung in der Lebenswirklichkeit aussieht. Ähnlich lebensnah ist ein anderes Beispiel, nämlich die private Altersvorsorge. Versicherungsnehmer können bei Abschluss einer zertifizierten privaten Rentenversicherung zusätzlich auch eine Hinterbliebenenabsicherung für den Todesfall vereinbaren. Diese zusätzliche, private Hinterbliebenenabsicherung ist für die Fälle vorgesehen, in denen der Versicherte kurz nach Auszahlungsbeginn oder im fortgeschrittenen Ansparstadium verstirbt. Die Hinterbliebenen erhalten in diesem Falle dann eine Auszahlung. Bislang bestand der Kreis der möglichen Hinterbliebenen, also der Anspruchsberechtigten dieser privaten Versicherungsleistung, aus Ehepartnern sowie kindergeldberechtigten Kindern. Jetzt werden auch die Lebenspartner in diesen Kreis der möglichen Hinterbliebenen aufgenommen. All dies sind im Grunde unstrittige und sinnvolle Regelungsinhalte. In jedem Fall sind es rechtlich notwendige Folgeanpassungen, über die wir zu beschließen haben. Lebenspartnerschaften sind auch Verantwortungsgemeinschaften – auch in dieser Form des Zusammenlebens werden Werte gelebt und Verantwortung für einander übernommen. Ganz in diesem Sinne leisten diese Anpassungen ebenfalls einen Beitrag zur steuerlichen Gleichstellung der Lebenspartnerschaften, so wie es durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erforderlich wurde. Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Der Entwurf des Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichtes dient der zeitnahen Umsetzung eines noch verbliebenen Anpassungsbedarfs zur steuerlichen Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften in verschiedenen Steuergesetzen. Dieser Gesetzentwurf wurde bereits in der letzten Legislaturperiode angekündigt und enthält weitere Maßnahmen zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 7. Mai 2013. Letztlich ist es eine wohl für notwendig erachtete -Folgeänderung zum Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom 15. Juli 2013, mit dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Einkommensteuergesetz bereits weitgehend Rechnung getragen wurde. Vor Ende der letzten Legislaturperiode war eine abschließende Prüfung des erforderlichen weiteren Anpassungsbedarfs in der Kürze der damals zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr möglich. Die Änderungen betreffen nun Bereiche der Ab-gabenordnung, des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes, des Bewertungsgesetzes, des Bundes-kindergeldgesetzes, des Eigenheimzulagengesetzes, des Wohnungsbauprämiengesetzes, des Energiesteuerge-setzes, ja sogar der Kaffeesteuerverordnung und der deutsch-schweizerischen Konsultationsvereinbarung. Insgesamt sind es 16 Gesetze und Verordnungen, die mit diesem Gesetzentwurf geändert werden. Hier fällt einem wieder einmal auf, wie umfänglich unsere Steuergesetze alles regeln wollen. Sie fragen sich ja vielleicht auch, genauso wie ich, welche bedeutenden Regelungen in der Kaffeesteuerverordnung erfasst sind. Nun, es geht hier um die Befreiung von der Kaffeesteuer der – ich zitiere aus der Verordnung – Leiter der diplomatischen und konsularischen Vertretungen, ihrer diplomatischen Mitglieder, Konsularbeamten, Mitglieder ihres Verwaltungs- und technischen Personals und ihres dienstliche Hauspersonals sowie der Familienmitglieder dieser Personen. Familienmitglieder im Sinn dieser Bestimmung sind der Ehegatte und – jetzt neu – auch der Lebenspartner, die unverheirateten und – wiederum jetzt neu – nicht in einer Lebenspartnerschaft lebenden Kinder und die Eltern, wenn sie von diesen Personen wirtschaftlich abhängig sind und in ihrem Haushalt leben. Nicht begünstigt sind Deutsche oder solche Staatenlose und Ausländer, die ihren ständigen Wohnsitz im Geltungsbereich des Gesetzes hatten, ehe sie zu den in Absatz 2 Nummer 2 genannten Personen gehörten – Ende des Zitats. Das ist doch einmal eine ganz entscheidende Vorschrift, die dringend neu geregelt werden musste. Es wundert einen bei diesen zahlreichen Regelungen, dass es nicht noch viel länger gedauert hat, bis dieses Änderungsgesetz als Entwurf dem Hohen Haus zugeleitet werden konnte. So ganz mag sich mir allerdings nicht erschließen, warum man auch noch ein Gesetz ändert, bei dem es seit dem Jahr 2006 keine neuen Fälle mehr gibt, weil es ausgelaufen ist. Die Eigenheimzulage wird ab dem 1. Januar 2006 nämlich nicht mehr für neue Fälle gewährt und ist damit spätestens 2013 ausgelaufen. Es ist doch auch eher unwahrscheinlich, dass hier noch viele Fälle vorliegen, in denen Einsprüche eingelegt wurden, und die damit so lange verfahrensrechtlich offengehalten wurden. Aber gründlich wie wir bei der Gesetzgebung nun mal sind, ändern wir eben auch dieses Gesetz. Bei der Vorbereitung auf die Rede habe ich mich auch noch einmal mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes beschäftigt, zu dem es zwei abweichende Voten der Richter gab. In der Begründung führt das Gericht unter anderem aus: Zweck des Splittingverfahrens ist es, Ehen unabhängig von der Verteilung des Einkommens zwischen den Ehegatten bei gleichem Gesamteinkommen gleich zu besteuern. Das Splittingverfahren nimmt hierbei den zivilrechtlichen Grundgedanken der Ehe als Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs auf. Da das bei einer Lebenspartnerschaft ähnlich sei, müsse das Einkommensteuerrecht entsprechend angepasst werden, begründete das Gericht sinngemäß seine Entscheidung. Die Verfassung stellt Ehe und Familie aber in Artikel 6 Absatz 1 GG unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dieser besondere Schutz wird der Ehe zuteil, weil sie Vorstufe zur Familie sein kann, die wiederum Voraussetzung der Generationenfolge und damit der Zukunftsgerichtetheit von Gesellschaft und Staat ist. Wenn Ehe und Familie aber unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt sind, dann ergibt sich zwangsläufig, dass daraus eine Ungleichbehandlung anderer Formen des Zusammenlebens abgeleitet werden muss. Dies ist nicht nur meine Meinung, sondern die einiger rechtlich wesentlich versierterer Fachleute. Für mich stellt sich damit die Frage, ob aus dieser starken Betonung der Gleichheitsnorm des Artikels 3 GG die Schutzfunktion des Artikels 6 GG für Ehe und Familie so weit eingeschränkt werden kann. Selbstverständlich müssen wir die Entscheidung unseres höchsten Gerichtes akzeptieren und die Gesetze und Verordnungen, wie im vorliegenden Entwurf geschehen, anpassen. Die Frage, ob das Verfassungsgericht die Verfassung in ihrem Kern schützen soll oder, wie in letzter Zeit immer mehr geschehen, durch politische Entscheidungen weiterentwickeln darf, wird uns aber sicher auch noch bei weiteren zu erwartenden Entscheidungen des Gerichtes beschäftigen. Richard Pitterle (DIE LINKE): Heute reden wir zum x-ten Mal über die steuerliche Gleichstellung gleich-geschlechtlicher Lebenspartnerschaften mit der Ehe. Das alles hätten wir sehr viel einfacher und vor allem früher haben können, wenn die konservative Seite dieses Hauses sich nur mal rechtzeitig der Realität gestellt hätte. Doch weit gefehlt: Sowohl den heute vorliegenden -Gesetzentwurf als auch die vorhergehende Änderung des Einkommensteuerrechts zum Ende der letzten Legis-laturperiode haben Sie nur aus einem einzigen Grunde zustande gebracht: weil Ihnen das Bundesverfassungs-gericht im Mai letzten Jahres nämlich mal wieder die -Leviten gelesen hat. Das Gericht hat unmissverständlich klargestellt, dass an einer steuerlichen Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften auf der einen und Ehen auf der anderen Seite kein Weg vorbeiführt. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung und insbesondere auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion: Bei der Frage der Gleichstellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe haben Sie sich leider nicht mit Ruhm bekleckert! Im Gegenteil, Sie haben leider eine offensichtlich eher oberflächliche Kenntnis der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland zur Schau gestellt. Während der gesellschaftlichen und juristischen Debatte der letzten Jahre hätte nämlich ein Blick in das Grundgesetz genügt, um hier einmal von selbst auf die Notwendigkeit der steuerrechtlichen Gleichstellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe zu kommen. Aber nein, leider musste wieder einmal erst das Bundesverfassungsgericht tätig werden und Ihnen auf die Finger hauen, damit es endlich zur Verwirklichung durch die Verfassung garantierter Rechte kommt. An anderer Stelle berufen Sie sich zwar gern mal auf das Grundgesetz, aber wenn es dann um elementare Prinzipien wie den Gleichheitssatz aus Artikel 3 des Grundgesetzes geht, nehmen Sie es mit der Verfassung dann doch nicht so genau. Das ist, mit Verlaub, schon etwas peinlich. Immerhin ist der vorliegende Gesetzentwurf nun ein weiterer kleiner Schritt hin zur Gleichberechtigung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und Ehe. Die Fraktion Die Linke begrüßt das. Die jetzige Legislaturperiode ist noch jung und es bleibt Ihnen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, aller Voraussicht nach noch etwas Zeit, um sich der weiteren Aufgaben in diesem Bereich anzunehmen – zumindest solange Ihre per Koalitionsvertrag -geschlossene Lebenspartnerschaft nicht vorzeitig geschieden wird. Zu diesen Aufgaben gehört unter anderem die Umsetzung der vom Bundesverfassungsgericht geforderten steuerrechtlichen Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und Ehen in der Praxis – ich erinnere an die Probleme der zuständigen Finanzverwaltungen der -Länder beim Vollzug der Besteuerung eingetragener -Lebenspartnerinnen und Lebenspartner im Rahmen der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale. Eines sollte Ihnen jedenfalls klar sein: Dieser Gesetzentwurf kann nur ein weiterer von vielen Schritten sein – es gibt noch diverse Baustellen, auf denen weiter angepackt werden muss. Ringen Sie sich endlich dazu durch, die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe auch im Adoptionsrecht zu verwirklichen. Die Fraktion Die Linke fordert seit langem die rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Akzeptanz der Vielfalt der Lebensweisen. Dazu gehören auch Einelternfamilien, Singles, Regenbogenfamilien mit mehr als zwei Elternteilen, zusammenlebende Freunde, Verwandte, Patchworkfamilien, Wahlverwandtschaften oder auch Paare, die sich gegen Ehe und Lebenspartnerschaft entschieden haben. Eine Öffnung der Ehe für Lebenspartnerinnen und -Lebenspartner ist hier aus unserer Sicht nur ein Zwischenschritt. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ich hoffe für Sie, dass dies das letzte Mal war, dass das Bundesverfassungsgericht Ihnen den Weg weisen musste. Also setzen Sie sich konsequent für die -Abschaffung jeglicher Benachteiligung eingetragener Lebenspartnerinnen und Lebenspartner gegenüber Eheleuten ein. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die -Koalitionsparteien wollen also dafür gelobt werden, dass sie hier eine Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften im Steuerrecht auf den Weg bringen. In Wahrheit aber hinkt auch diese Koalition der Lebenswirklichkeit weit hinterher. Während sie sich heute als Wohltäter diskriminierter Menschen gerieren, werden sie schon bald, nämlich beim Adoptionsrecht, erneut vom Bundesverfassungsgericht darüber belehrt, schwule und lesbische Lebensrealitäten mit Kindern zu akzeptieren und rechtlich mit der Ehe gleichzustellen. Unermüdlich weist Karlsruhe seit mehr als zehn Jahren darauf hin, dass die Ungleichbehandlung von Ehen und Lebenspartnerschaften dem Grundgesetz widerspricht. Bislang mussten die Richter die Einhaltung der Verfassung in jedem einzelnen Fall erzwingen: bei der Beamtenbesoldung, bei der Erbschaftsteuer, bei der Grunderwerbsteuer, bei der Einkommensteuer und bei der Sukzessivadoption. Ohne die mutigen Menschen, die ihr Recht in Karlsruhe erstritten haben, würden Sie bis heute an ihrer Blockadehaltung festhalten. Sie enthalten Menschen in diesem Land grundlegende Rechte vor, meine Damen und Herren von der CDU, CSU und auch von der SPD – und zwar weil die Bundeskanzlerin höchstselbst sich bei dem Gedanken an die Gleichstellung „unwohl“ fühlt. Dabei hatte die SPD noch vor einem halben Jahr getönt, sie stehe für eine umfassende – nicht nur steuerliche – Gleichstellung. Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz definieren Sie Lebenspartner als Angehörige im Sinne der Abgabenordnung. Wie wollen Sie denn erklären, dass Lebenspartner steuerlich eine Familie sind, sonst aber nicht? Dieser Widerspruch muss selbst Ihnen auffallen. Widerwillig also schießen Sie eine klaffende Gerechtigkeitslücke im Steuerrecht. Doch Sie pflegen immer noch Ihre Vorurteile und Ressentiments gegen andere Lebensentwürfe. Wie zum Beweis beklagen Sie, dass so viele Gesetze geändert werden müssten – der ganze Aufwand lohne doch kaum für die wenigen Betroffenen. Damit zeigen Sie, wie zynisch und unseriös Sie diese Debatte führen. Der einfachste und kostengünstigste Weg ist: Öffnen Sie die Ehe. Lassen Sie zwei Menschen gleichen Geschlechts einander heiraten. Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Wenn es Ihnen nur wichtig genug wäre, könnten Sie die Öffnung der Ehe genauso schnell beschließen wie eine Diätenerhöhung. 1Anlage 3 2Ergebnis Seite 2786 D 3Ergebnis Seite 2797 D 4Ergebnis Seite 2818 D 5Anlage 5 6Anlage 4 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 V Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 2708 2888 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 2889