Plenarprotokoll 18/40 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 40. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 I n h a l t : Begrüßung des Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Herrn Ranko Krivokapic 3489 A Tagesordnungspunkt 26: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer Drucksache 18/1528 3489 B b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Da?delen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schutzbedarf von Roma aus Westbalkanstaaten anerkennen Drucksache 18/1616 3489 C Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 3489 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) 3491 D Rüdiger Veit (SPD) 3493 B Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3495 B Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) 3497 B Sevim Da?delen (DIE LINKE) 3499 A Uli Grötsch (SPD) 3500 A Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3501 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 3502 C Daniela Kolbe (SPD) 3505 A Nina Warken (CDU/CSU) 3506 C Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen Drucksache 18/1115 3508 B Katja Kipping (DIE LINKE) 3508 C Albert Weiler (CDU/CSU) 3510 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 3512 A Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) 3513 A Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) 3513 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 3516 A Dr. Matthias Bartke (SPD) 3517 A Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3518 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) 3519 D Daniela Kolbe (SPD) 3520 D Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) 3522 A Katja Kipping (DIE LINKE) 3524 A Markus Paschke (SPD) 3524 B Kai Whittaker (CDU/CSU) 3525 D Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes (Künstlersozialabgabestabilisierungs-gesetz – KSAStabG) Drucksache 18/1530 3528 A Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staats-sekretärin BMAS 3528 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) 3529 A Jana Schimke (CDU/CSU) 3530 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 3531 B Ralf Kapschack (SPD) 3532 A Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 3533 B Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Resolution 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013 Drucksache 18/1416 3534 D Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg 3535 A Jan van Aken (DIE LINKE) 3536 C Achim Post (Minden) (SPD) 3537 C Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3538 C Philipp Mißfelder (CDU/CSU) 3539 C Dirk Vöpel (SPD) 3540 C Florian Hahn (CDU/CSU) 3541 B Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung des von den Abgeordneten Kai Gehring, Özcan Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (1. WissZeitVG-ÄndG) Drucksache 18/1463 3542 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3542 B Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU) 3543 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 3545 B Dr. Simone Raatz (SPD) 3546 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 3546 C Tankred Schipanski (CDU/CSU) 3548 A Dr. Daniela De Ridder (SPD) 3549 C Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) 3550 D Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United Nations Interim Force in Lebanon“ (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) vom 11. August 2006 und folgender Resolutionen, zuletzt 2115 (2013) vom 29. August 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksache 18/1417 3552 A Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg 3552 B Sevim Da?delen (DIE LINKE) 3553 C Niels Annen (SPD) 3554 D Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3556 A Philipp Mißfelder (CDU/CSU) 3557 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3557 D Thomas Hitschler (SPD) 3558 D Florian Hahn (CDU/CSU) 3559 D Nächste Sitzung 3560 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 3561 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ernst-Dieter Rossmann und Andreas Schwarz (beide SPD) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Lisa Paus, Ulle Schauws, Luise Amtsberg, Kai Gehring, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Drucksache 18/1662) (39. Sitzung, Tagesordnungspunkt 18) 3562 A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 3563 C Inhaltsverzeichnis 40. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 Beginn: 9.00 Uhr Vizepräsident Peter Hintze: Die Sitzung ist eröffnet. Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt, während der Haushaltsberatungen ab dem 24. Juni keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden durchzuführen. Als Präsenztage sind die Tage von Montag, dem 23. Juni, bis Freitag, dem 27. Juni 2014, festgelegt worden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann verfahren wir so. Auf der Ehrentribüne hat der Präsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, Herr Ranko Krivokapi?, der auch Präsident des Parlaments von Montenegro ist, mit seiner Delegation Platz genommen. (Beifall) Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie, sehr geehrter Kollege Krivokapi?, sehr herzlich. Die Bedeutung der OSZE wird ja gerade in diesen Tagen der Weltöffentlichkeit wieder stärker bewusst. Der Deutsche Bundestag fordert alle Konfliktparteien auf, die Beauftragten der OSZE zu respektieren und für ihren Schutz Sorge zu tragen. Für Ihren Aufenthalt bei uns und für Ihr weiteres Wirken in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE begleiten Sie unsere besten Wünsche. (Beifall) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer Drucksache 18/1528 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Da?delen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schutzbedarf von Roma aus Westbalkanstaaten anerkennen Drucksache 18/1616 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung hat das Wort Bundesminister Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Recht auf Asyl hat für uns einen hohen Stellenwert (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehabt!) und verdeutlicht den Willen Deutschlands, seine historische und humanitäre Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen zu erfüllen. Wir sollten klug und verantwortungsvoll mit dieser Verpflichtung umgehen. Eine verantwortungsvolle Asylpolitik muss auch darauf ausgerichtet sein, die große Aufnahmebereitschaft, die unsere Gesellschaft auszeichnet, für die Aufnahme von wirklich Schutzbedürftigen zu erhalten. Das gilt umso mehr, wenn wir uns die aktuelle Entwicklung der Flüchtlingszahlen anschauen. Seit einigen Jahren steigen die Zuzugszahlen in Deutschland wieder stark an. Innerhalb der Europäischen Union weist unser Land heute mit großem Abstand die meisten Asylbewerber auf. Im Jahr 2013 haben über 120 000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt, in Italien waren es 28 000, in Frankreich 66 000, in Großbritannien 30 000 und in den Niederlanden 17 000. Vor diesem Hintergrund würde ich Sie, Frau Kollegin Roth, gerne bitten, dass Sie, wenn Sie die Politik der Bundesregierung kritisieren, nicht davon sprechen, es ginge hier um Reste des Asylrechts. Wir sind stolz darauf, das Land in Europa zu sein, das die meisten Asylbewerber aufnimmt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Entwicklung setzt sich in diesem Jahr fort. Von Januar bis Mai 2014 betrug der Anstieg gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum erneut mehr als 60 Prozent. Wenn diese Entwicklung so weitergeht, dann liegen wir am Ende dieses Jahres bei rund 200 000 Asylanträgen. Die Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung ist auch angesichts dieser hohen Zahlen ungebrochen groß. Das sehen wir am Beispiel Syrien. Deutschlands Unterstützung für Syrien beläuft sich seit 2012 auf rund 520 Millionen Euro. Insgesamt sind 2011 nahezu 40 000 syrische Staatsbürger nach Deutschland eingereist, rechnet man die Zahlen aus den Aufnahmeprogrammen, die wir gemacht haben, und der Asylbewerber zusammen. Auch hier sind wir mit Abstand das Land, das außerhalb des Krisengebietes am meisten Flüchtlinge aus Syrien aufnimmt. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Was passiert im Krisengebiet?) Seit drei Jahren werden bundesweit keine Menschen mehr nach Syrien abgeschoben. Auch dafür haben die Menschen in unserem Land großes Verständnis. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dagegen gibt es ein wachsendes Unverständnis für die Armutsmigration aus Westbalkanstaaten im Asylverfahren. In der Tat, seit Aufhebung der Visumspflicht – nicht etwa wegen einer veränderten Lage in den entsprechenden Staaten – für Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina ist in Deutschland ein sprunghafter Anstieg der Antragszahlen festzustellen. Im Jahr 2009, also im letzten Jahr vor der Aufhebung der Visumspflicht, kamen etwa 1 000 Asylbewerber aus diesen Herkunftsstaaten. Im Jahr 2013 waren es bereits 32 000. Das war ein Viertel aller 2013 in Deutschland gestellten Asylanträge. Serbien, meine Damen und Herren, ist im Jahr 2014 das zweitstärkste Herkunftsland aller Staaten, aus denen Asylbewerber kommen. Die Zahl der anerkannten Schutzbedürftigen unter den Angehörigen dieser Staaten liegt jedoch bei unter 1 Prozent. Der vorliegende Gesetzentwurf, den ich hier heute einbringe, sieht deshalb vor, Mazedonien, Serbien sowie Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten nach dem Asylverfahrensgesetz einzustufen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverantwortlich!) Für sichere Herkunftsstaaten wird kraft Gesetzes vermutet, dass aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse dort keine politische Verfolgung droht. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit den Roma?) Dadurch sollen aussichtslose Asylanträge schneller bearbeitet und der Aufenthalt in Deutschland schneller beendet werden können. Die gesetzliche Vermutung der Verfolgungsfreiheit ist jedoch widerlegbar. Jeder Asylbewerber hat auch danach weiterhin die Chance, darzulegen, dass er abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsland in seinem konkreten Fall mit Verfolgung rechnen muss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat sich die Einstufung von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten nicht leicht gemacht. Wir haben uns anhand der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse ein Gesamturteil über die Verhältnisse in diesen drei Staaten gebildet. In der Begründung des Gesetzentwurfs werden die Erwägungen für jedes dieser drei Länder ausführlich dargelegt. Für alle drei Länder jedoch gilt: Nach der Berichterstattung des Auswärtigen Amtes, einschließlich der entsprechenden Asyllageberichte, sowie unter Berücksichtigung der Erkenntnisse lokaler Menschenrechtsgruppen, vor Ort vertretener Nichtregierungsorganisationen und auch internationaler Organisationen wie zum Beispiel des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen oder des Internationalen Roten Kreuzes, nach all diesen Bewertungen können Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina wirklich als sichere Herkunftsstaaten angesehen werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was sagt der UNHCR?) Serbien, mit dem die EU den Status eines EU-Beitrittskandidaten verabredet hat, bittet selbst um die Aufnahme in die Liste als sicheres Herkunftsland. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!) Wir teilen die Einstufung der drei Länder als sichere Herkunftsländer mit vielen unserer europäischen Nachbarn. Frau Roth, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Österreich, die Schweiz und Großbritannien stufen Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina bereits heute als sichere Herkunftsstaaten ein. Das ist ja nun keine Liste von Schurkenstaaten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Alle diese Staaten stimmen demnach ganz grundsätzlich überein mit der in unserem Gesetzentwurf vorgenommenen Einschätzung der Lage in Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Auch wenn wir diese Staaten als sichere Herkunftsländer im Sinne des Asylrechts einstufen, so verschließen wir nicht die Augen vor den bestehenden Defiziten, die es gerade im Hinblick auf den Umgang mit Minderheiten auch in diesen Ländern gibt. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Sehr wahr!) Die Bundesregierung setzt sich deshalb kontinuierlich und intensiv dafür ein, die Lebenssituation der Menschen vor Ort zu verbessern. Im Rahmen der bilateralen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit werden die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und die verbesserte Ausbildung insbesondere junger Menschen gefördert. Auf regionaler Ebene werden Regierungen und zivilgesellschaftliche Organisationen im Westbalkan dabei unterstützt, die soziale Situation benachteiligter Gesellschaftsgruppen zu verbessern. Die Integration der Minderheiten wird im Rahmen der Regierungsgespräche regelmäßig thematisiert. Das gilt umso mehr für die Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union mit Serbien, die im Januar dieses Jahres begonnen haben. Es ist von einem Staat, der Mitglied der Europäischen Union werden will, nicht zu viel verlangt, dass er seine eigenen Minderheiten vernünftig behandelt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass es auch Debatten gibt, zwei andere Staaten, darunter Albanien, in die Liste sicherer Herkunftsstaaten aufzunehmen; darüber wird in aller Ruhe zu sprechen sein. Dort ist die Lage teilweise vergleichbar, teilweise nicht ganz vergleichbar. Wir sollten das im weiteren Gesetzgebungsverfahren in Ruhe miteinander besprechen. Der heute von mir vorgelegte Gesetzentwurf enthält zudem eine Regelung, mit der wir die Situation der Asylbewerber in unserem Land künftig spürbar verbessern möchten. Die Wartefrist, nach der Asylbewerbern und Ausländern, die eine Duldung besitzen, die Ausübung einer Beschäftigung grundsätzlich erlaubt werden kann, möchten wir auf drei Monate verkürzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Durch die Verkürzung dieser Wartefrist sollen die Menschen früher die Möglichkeit erhalten, durch Aufnahme einer Beschäftigung ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, und zwar selbst. Auch da gibt es so etwas wie eine Vorrangprüfung. Aber man kann nicht einerseits sagen, die Asylbewerber sollen dem deutschen Steuer- und Beitragszahler nicht auf der Tasche liegen, aber andererseits, wenn es die Arbeitsmarktlage erlaubt und wenn die Betroffenen arbeiten können und wollen, sagen: Ihr dürft nicht arbeiten. – Deswegen ist es richtig, diese Frist zu verkürzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich will die Situation in der Vergangenheit jetzt aber nicht kritisieren; diese Regelungen haben wir ja schließlich auch beschlossen. Eingeführt wurde diese Frist allerdings vor dem Hintergrund einer ganz anderen Arbeitslosenzahl; auch das darf man nicht vergessen. Die Lage in Deutschland ist da unterschiedlich. In Gegenden mit einer sehr niedrigen Arbeitslosenzahl war der Druck, diese Frist zu verkürzen, höher als in anderen Gegenden. Wie auch immer, es ist jedenfalls richtig, dass wir jetzt so vorgehen. Es ist auch richtig, die Dreimonatsfrist in den Blick zu nehmen. Denn nach dem Asylrecht befinden sich die Asylbewerber in aller Regel drei Monate in Erstaufnahmelagern. (Rüdiger Veit [SPD]: Höchstens!) Wir wollen durch verschiedene Bemühungen erreichen, dass die Asylverfahren im Durchschnitt nach drei Monaten abgeschlossen sind, sodass nach diesen drei Monaten im Grunde klar ist, wer bleibt und wer nicht bleibt. Warum sollen diejenigen, die bleiben dürfen, nachdem das Verfahren abgeschlossen ist, nicht arbeiten dürfen, Beiträge und Steuern zahlen und sich hier integrieren? Das haben wir jetzt vor. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um ein kon-struktives und verantwortungsvolles Mitwirken an diesem Gesetzgebungsverfahren, das, wie wir alle wissen, mit der Entscheidung im Deutschen Bundestag noch keinen Abschluss gefunden hat; das müssen wir alle miteinander bedenken. Ich bitte Sie, in der Tonlage der Debatte einerseits dem Anspruch und der humanitären Verpflichtung, die wir mit dem Asylrecht in Deutschland gerne übernommen haben, und andererseits mit dem, was viele Menschen im Hinblick auf Asylbewerber aus bestimmten Ländern bewegt, behutsam und so umzugehen, dass wir zusammenbleiben und uns nicht von manchen, die genau darauf spekulieren, auseinanderdividieren lassen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sollen. Das bedeutet, dass die Asylanträge aller Asylsuchenden aus diesen Staaten in Zukunft im Schnellverfahren abgelehnt werden, (Christine Lambrecht [SPD]: Geprüft werden, nicht abgelehnt!) weil sie pauschal als unbegründet gelten, und dass sie innerhalb einer Woche das Land verlassen müssen. (Rüdiger Veit [SPD]: Das ist so nicht richtig!) Faktisch werden auch jetzt schon Asylanträge von Antragstellern aus dem Westbalkan im Eiltempo abgefertigt und nur oberflächlich geprüft. Trotzdem erhielten 2013 immerhin 60 Asylsuchende aus diesen Ländern einen humanitären Aufenthaltstitel durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, und weitere 82 erkämpften sich dieses Recht vor den Verwaltungsgerichten. Die Linke fordert ganz klar: Es muss weiterhin faire Asylverfahren für Menschen aus den Staaten im Westbalkan geben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will hier ganz deutlich sagen: Länder, in denen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen werden, dürfen nicht als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aus all diesen Staaten kommen vor allem Roma als Asylsuchende nach Deutschland. 90 Prozent der Asylsuchenden aus Serbien sind Roma. Aus Mazedonien sind es 80 Prozent und aus Bosnien-Herzegowina 65 Prozent. Es ist bekannt, dass diese Minderheiten dort am Rande der Gesellschaft leben und Opfer von rassistischen Übergriffen und Kampagnen sind. Gerade weil wir als Deutsche Roma gegenüber eine historische Verantwortung haben, meinen wir, dass diese Länder nicht einfach als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden können. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Über eine halbe Million Sinti und Roma sind während des Faschismus in ganz Europa umgekommen. Dieser Gesetzentwurf tut gerade so, als hätte es diesen Teil der Geschichte, diesen Antiziganismus, nie gegeben. Ich appelliere an Sie: Handeln Sie, und seien Sie hier nicht geschichtsvergessen! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In diesen Tagen gibt es erschreckende Meldungen aus Serbien und Bosnien-Herzegowina. Dort wurden durch eine Überschwemmungskatastrophe Häuser und ganze Siedlungen zerstört. Zehntausende Menschen sind obdachlos, und es besteht Seuchengefahr. Die Behörden versuchen, zu helfen, wo sie können; das ist keine Frage. Diese Hilfe kommt aber längst nicht bei allen an. Insbesondere Roma sind von den Fluten betroffen; denn ihre Siedlungen befinden sich direkt an den Flussufern. Erst in dieser Woche hat der Ombudsmann für Bürgerrechte, Saša Jankovi?, in Bosnien-Herzegowina beklagt, dass dort einer Gruppe von 30 Roma der Zugang zu Aufnahmezentren einfach verweigert wurde, weil sie Roma waren. Sie wurden stattdessen in einen Bunker verfrachtet, der durch Rattengift verseucht war – ohne Toiletten, ohne sauberes Wasser und ohne Anschluss an das Abwassersystem. Ihnen wurde die Unterstützung, die andere Bürgerinnen und Bürger dort selbstverständlich erhalten haben, nicht zuteil – und das einzig und allein, weil sie Roma sind. Das ist die schreckliche Realität, die auch Sie von der Koalition einfach einmal zur Kenntnis nehmen müssen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist eine von vielen Geschichten alltäglicher Diskriminierung, die Roma in den Staaten des ehemaligen Jugoslawien erdulden und erleiden müssen. Ich will noch weitere Beispiele aus Serbien nennen: 45 000 Roma, Flüchtlinge aus dem Kosovo, leben dort ohne Personaldokumente und damit völlig rechtlos. Sie haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und zu Sozialleistungen. Man muss hier ganz deutlich sagen: Insgesamt gibt es dort 400 informelle Roma-Siedlungen. Ein Drittel davon hat keine Wasserversorgung, 70 Prozent der Haushalte sind nicht an das Abwassersystem angeschlossen, und häufig gibt es auch keinen Strom. Ich glaube, ich muss hier nicht sagen, was das dort bedeutet – insbesondere für Kinder und für Frauen. Laut UNICEF ist die Kindersterblichkeit bei Roma in Serbien viermal so hoch wie im Durchschnitt. All diese Beispiele zeigen eindrucksvoll, wie schmal der Grat zwischen Diskriminierung und lebensbedrohender Ausgrenzung ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir reden nicht einfach über Armut. Wir reden über massive Verletzungen der sozialen Menschenrechte. Nach den Asylrichtlinien der EU muss auch eine Mehrfachdiskriminierung zur Anerkennung als Flüchtling führen. Herr Innenminister, ich sage es gerne noch einmal: Wenn diese Menschen in irgendeiner Weise von schwerwiegenden Verletzungen eines grundlegenden Menschenrechtes betroffen sind, muss auch das zum Schutz in unserem Land führen, nicht nur die enge Sicht auf die politische Verfolgung. (Beifall bei der LINKEN) Übrigens – auch das hat der Innenminister hier nicht erwähnt – hat auch der UNHCR in seiner Stellungnahme zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf klar gefordert, dass das europäische Recht angewendet bzw. endlich in die Praxis umgesetzt werden soll. In der Begründung des Gesetzentwurfs findet sich zu all diesen Menschenrechtsverletzungen kein einziges Wort. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat zu Recht von einer „Bagatellisierung“ der Menschenrechtslage in den Westbalkanstaaten gesprochen. In dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die zahlreichen Berichte von Menschenrechtsgruppen, Institutionen und dem Europarat sowie der US-Menschenrechtsbericht – das soll schon etwas heißen – ignoriert. Diese Ignoranz der Bundesregierung ist meines Erachtens wirklich unerträglich. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese ganze Debatte vergiftet zusehends das gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik. Am Mittwoch wurden zum Beispiel neue Zahlen einer Studie der Universität Leipzig zum Rassismus in der Mitte dieser Gesellschaft bekannt. Demnach haben 55,4 Prozent der Befragten ein Problem damit, wenn sich Roma und Sinti in ihrer Gegend aufhalten. 47,1 Prozent finden, Roma und Sinti sollten aus den Innenstädten verbannt werden. 55,9 Prozent unterstellen ihnen eine höhere Neigung zu Kriminalität. – All diese Werte sind im Vergleich zur Umfrage von 2011 deutlich gestiegen. Der grassierende Antiziganismus ist auch das Ergebnis dieser unsäglichen Asylmissbrauchsdebatten, die wir seit mindestens zwei Jahren in dieser Gesellschaft führen, besonders auf der rechten Seite dieses Hauses. Das ist unerträglich. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ja, Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Vizepräsident Peter Hintze: Das müssten Sie schon längst gekommen sein. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Man befeuert damit jedenfalls den Antiziganismus in dieser Gesellschaft. Ich sage zum Schluss noch einmal: Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Beenden Sie die Asylschnellverfahren, und erkennen Sie den Schutzbedarf von Roma aus den Westbalkanstaaten an! Seien Sie mit dieser Gruppe solidarisch. Ich denke, sie hat es historisch verdient. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Rüdiger Veit, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rüdiger Veit (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um mit einem Bekenntnis zu beginnen: Ich habe an diesem Pult und vor Ihnen selten mit so gemischten Gefühlen gestanden. Ich beginne mit dem, was aus meiner Sicht uneingeschränkt positiv ist und was wir mit unserem jetzigen Koalitionspartner erreicht haben. Es ist nach dem Vorlauf, auf den ich noch zu sprechen komme, in der Tat fast sensationell zu nennen: Die Dauer des Arbeitsverbotes für Asylbewerber und Geduldete wurde gekürzt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]) Diese Frist beträgt im Augenblick noch 12 bzw. 9 Monate. Wenn der vorliegende Entwurf Gesetz wird, wird die Dauer des Arbeitsverbotes in Zukunft auf 3 Monate verkürzt. Die Betreffenden sind damit in der Lage, sich und ihre Familien selbst zu versorgen. Wenn uns das gelingt, dann gelingt uns zugleich auch die Durchbrechung eines Teufelskreises in anderer Hinsicht; denn bei vielen, die hier zwar nicht als Flüchtlinge oder Asylberechtigte anerkannt werden, die aber nicht abgeschoben werden oder ausreisen können, ist es heute noch immer – so möchte man sagen – wie beim Hauptmann von Köpenick: Wenn du keinen Aufenthaltstitel hast, bekommst du keine Arbeit. Wenn du keine Arbeit hast, bekommst du keinen Aufenthaltstitel. – Auch diesen Teufelskreis werden wir durchbrechen, wenn die betroffene Personengruppe nach drei Monaten den Arbeitsmarktzugang haben wird. Ich bin schon lange in der Politik und erinnere mich daran, dass sogar Otto Schily und Günter Beckstein – das war wirklich so; das ist kein Missverständnis oder Hörfehler – in einer gemeinsamen Initiative vor vielen Jahren gefordert haben, dass das unselige Arbeitsverbot für Geduldete und Asylbewerber auf sechs Monate verkürzt werden muss. Das hat sich damals nicht durchgesetzt. Heute ist es endlich so weit. Es hat lange genug gedauert. Meine Kollegin Daniela Kolbe wird noch im Einzelnen darauf eingehen. Ich komme jetzt zu dem Teil, der mir zugegebenermaßen wenig Freude macht. Ich darf vorausschicken – ich bitte um Nachsicht für diese persönliche Bemerkung –: Ich gehörte innerhalb der hessischen SPD zu denjenigen, die den Asylkompromiss von 1993, zu dem auch das Prinzip und Konzept der sicheren Herkunftsstaaten gehörte und gehört, nachhaltig bekämpft haben. Deswegen können Sie mir gerne glauben, dass es mir in den Koalitionsverhandlungen wirklich schwergefallen ist, der Union zuzugestehen, dass wir die drei Westbalkanstaaten in die Liste der sicheren Herkunftsländer aufnehmen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber gemacht haben Sie es dann trotzdem!) Aber neben diesen grundsätzlichen Überlegungen und Vorbehalten, die ich auch heute noch gegenüber diesem System habe – das will ich nicht verhehlen; wir sind innerhalb der SPD durchaus unterschiedlicher Meinung, aber meine Position jedenfalls hat sich im Grundsatz nicht verändert –, (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Natürlich!) muss man klarstellend Folgendes sagen: Zunächst einmal ist es nicht so, liebe Ulla Jelpke, dass damit alle, die aus diesen Ländern zu uns kommen, rechtlos gestellt werden. Es gibt nach § 36 des Asylverfahrensgesetzes ein vereinfachtes, beschleunigtes Verfahren, auf das auch der Herr Minister bereits hingewiesen hat. Es gibt im Übrigen sogar Praktiker aus den Bundesländern, die bestreiten, dass eine Einstufung als sichere Herkunftsländer wirklich zu einer nachhaltigen Arbeitsentlastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge führt. Wir allerdings hoffen das und gehen davon aus. Es wird aber mit dieser Systematik der sicheren Herkunftsländer eine für jeden Einzelnen widerlegbare Regelvermutung begründet, er sei nicht verfolgt. Er kann also beim BAMF das Gegenteil geltend machen. Er kann dagegen auch Rechtsschutz in Anspruch nehmen, wenn auch in kürzester Frist. Das ist richtig. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Eine Woche!) Er kann auch nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung einstweiligen Rechtsschutz beantragen (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist es!) und darf dann, solange darüber nicht entschieden worden ist – auch hierbei gibt es eine kurze Frist –, nicht abgeschoben werden. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Individueller Rechtsschutz!) Angesichts der Tatsache, dass wir es bei den drei Westbalkanstaaten mit Schutzquoten zu tun haben, die in den vergangenen Jahren unter 0,5 Prozent gelegen haben, habe ich durchaus Zutrauen in das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, in die Qualität, Sorgfalt und Sensibilität der dortigen Bearbeiter und Entscheider (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sollen zehn Minuten einsparen!) – ich komme gleich dazu –, dass es gelingt, nach wie vor die Schutzbedürftigen zu erfassen und sie auch mit Bleiberechten auszustatten. Es ist nicht richtig, liebe Kollegin Amtsberg, dass wir dann ohne Weiteres von 10-Minuten-Anhörungen auszugehen haben. Ich sagte schon: Es gibt sogar Praktiker aus den Bundesländern, die meinen, das beschleunigte administrative Verfahren werde letztendlich gar keine großen administrativen Erleichterungen bringen. Ich wiederhole – in diesem Zusammenhang danke ich auch den Mitarbeitern in Nürnberg bzw. dort, wo sie sonst in der Bundesrepublik tätig sind –: Anders als früher, als die Behörde noch Bundesanstalt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hieß, aber in Wirklichkeit eher für die Ablehnung von Flüchtlingen eintrat, ist es heute so, dass unter der sensiblen Amtsführung des damaligen Präsidenten Albert Schmid und des derzeitigen Präsidenten Manfred Schmidt die Mitarbeiter in der Lage sind, die Schutzbedürftigen entsprechend herauszufinden. Dafür noch einmal meinen herzlichen Dank! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In Albanien und Montenegro – der Minister hat es angesprochen – ist die Situation etwas anders. Für Antragsteller aus Montenegro beträgt die Schutzquote 0,0. Bei Antragstellern aus Albanien ist sie, anders als bei den anderen Herkunftsstaaten, über die wir heute reden, deutlich höher. Das hat aber unterschiedliche Ursachen, die wir in der Tat sorgfältig beobachten müssen. Dazu laufen Gespräche. Ich gebe aber keine Erklärungen darüber ab, ob die SPD dazu bereit sein könnte, über die jetzt vereinbarten drei Staaten hinaus weitere Staaten aufzunehmen. Aber ich sichere zu, dass wir diesen Komplex weiterhin sachkundig, wie ich hoffe, und ohne Scheuklappen bearbeiten werden. Dann wird man das Ergebnis sehen. Übrigens, was Albanien angeht – liebe Ulla Jelpke, auch diesen Hinweis will ich geben –, ist es keineswegs so, dass alle, die aus Albanien zu uns kommen, Roma sind. Ausgerechnet aus dem Land sind es nur 6 Prozent. Alle anderen haben eine andere ethnische oder staatsbürgerschaftliche Herkunft. Jenseits dessen, was wir nun damit schaffen werden, ist dies für mich persönlich ein sehr schwieriger Kompromiss gewesen. Aber wir haben in den Koalitionsverhandlungen gerade im Bereich des Flüchtlingsrechts einiges erreicht. – Nun schaue ich ganz bewusst die beiden Verhandlungsführerinnen in der Arbeitsgruppe „Migration/Integration“, Frau Kollegin Maria Böhmer und Frau Kollegin Aydan Özo?uz, an. Ich denke, wir haben uns gerade für Flüchtlinge eine Reihe von Verbesserungen vorgenommen, die sich sehen lassen können. Dazu gehört das stichtagsunabhängige Bleiberecht, dazu gehört eine Ausweitung des Resettlement-Programms, dazu gehört die Fastabschaffung der Residenzpflicht, dazu gehört die frühzeitige Unterweisung in der deutschen Sprache, und dazu gehört natürlich auch die Frage der Handlungsfähigkeit von 16- und 17-Jährigen, die in Zukunft als Kinder einzustufen sind, was das Asylverfahrensrecht angeht. Das alles sind wichtige Maßnahmen für Flüchtlinge – auf den Arbeitsmarkt bin ich schon zu sprechen gekommen –, die sich sehen lassen können. Eine Koalitionsvereinbarung ist immer – wem sage ich das eigentlich hier im Haus, wer ist denn so unerfahren, dass er das nicht wüsste – ein Geben und ein Nehmen. Von daher gesehen ist das letztendlich ein Kompromiss, zu dem wir Sozialdemokraten stehen. Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Da ich von meiner persönlichen Befindlichkeit bei der Ausweisung von Ländern als sichere Herkunftsländer gesprochen habe, will ich darauf hinweisen, dass in unseren Reihen, auch bei unseren Länderinnenministern und Senatoren der SPD, durchaus die Sorge besteht, die Bundesminister de Maizière hier artikuliert hat, nämlich dass die Akzeptanz für die Aufnahme noch schutzbedürftigerer Menschen als derjenigen vom Westbalkan in unserer Bevölkerung schwinden kann, wenn wir alle wieder mit Größenordnungen konfrontiert sind, die man nur sehr schwer bewältigen kann. Wir sind zwar weit entfernt von den Größenordnungen von 1991/92. Damals gab es 450 000 Asylantragsteller und über 400 000 Spätaussiedler. Aber man sollte versuchen, die Sensibilität sich selber zu bewahren und in der Bevölkerung zu erhalten. Ich füge hinzu: Wenn das nach dem Prinzip kommunizierender Röhren funktioniert und man die Meinung vertritt, dass diejenigen, die vielleicht weniger schutzbedürftig sind, möglichst zügig in ihre Heimat zurückkehren sollen, damit wir uns um diejenigen kümmern können, die in besonderem Maße an Leib und Leben bedroht und traumatisiert sind, dann gehört dazu – darum bitte ich auch unseren Koalitionspartner –, dass wir uns in Europa, bezogen auf die Aufnahme syrischer Flüchtlinge, weiterhin so vorbildlich verhalten, wie wir das bisher getan haben. Da erwarte ich, Herr Minister, insbesondere von der nächsten Innenministerkonferenz in Bonn in der nächsten Woche entsprechende Fortschritte. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Lassen Sie mich noch etwas zur Situation der Sinti und Roma sagen. Ich weiß nicht, ob nur ich dieser Meinung bin, aber meine Einschätzung ist, dass diese größte Ethnie bzw. Minderheit überall in Europa schlecht behandelt wird, nicht nur auf dem Westbalkan. Ich erinnere mich an einen Besuch in der Harzer Straße in Berlin-Neukölln – die Kollegin Kolbe hat ihn freundlicherweise organisiert –, wo wir mit Betroffenen – dabei hat es sich um Roma vorwiegend aus Bulgarien und Rumänien gehandelt – genauso gesprochen haben wie mit Sozialarbeitern. Bei diesem Besuch wurde uns noch einmal klar und deutlich vor Augen geführt: Selbst hier bei uns in Deutschland – die Zahlen aus der Studie sind eben genannt worden – gibt es so etwas wie eine Hierarchie der Fremden. Diejenigen, die nicht zur Stammbevölkerung gehören, unterteilen sich ungefähr wie folgt – so wurde es uns gesagt; ich befürchte, dass das so ist –: Relativ weit oben stehen die Türken, die noch gut emanzipiert sind. Dann kommen diejenigen russischer Abstammung, gefolgt von denjenigen arabischer Abstammung oder Herkunft. Ganz am Schluss dieser Kette, wenn es um Anerkennung und Integration sowie um die Frage geht, wie man ihnen begegnet, befinden sich, auch bei uns in Deutschland, Sinti und Roma. Nach meiner Einschätzung ist das in ganz Europa so. Deswegen müssen wir unsere europäischen Anstrengungen darauf richten, die Lebensbedingungen, die für diese Ethnie in ganz Europa wirklich schändlich sind, dort, wo sie sich in erster Linie aufhält, zu verbessern. Das jedenfalls wäre der gemeinsamen Anstrengungen wert. Das würde unserer historischen Verantwortung dieser Ethnie und dieser Bevölkerungsgruppe gegenüber entsprechen. Das wäre eine Gemeinsamkeit, zu der wir uns zusammenfinden könnten. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Sie gehören zu den Verwundbarsten unserer Gesellschaft, vor allem wenn es darum geht, sie in unserem … Umfeld zu integrieren und sie zu fördern.“ Das wurde bei einem Treffen mit Papst Franziskus gestern Abend gesagt. Dieses Zitat stelle ich an den Anfang meiner Rede. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition! Ich finde es traurig, dass wir heute im Zusammenhang mit dem ersten Gesetzentwurf der Koalition im flüchtlingspolitischen Bereich eine weitere Einschränkung des Asylrechts diskutieren und nach meiner Auffassung mit diesem Gesetzentwurf dem Asylrecht den finalen Todesstoß versetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Heute, fast auf die Woche genau 21 Jahre später, bringen Sie einen Gesetzentwurf ein, bei dem mehr als deutlich wird, dass Sie erneut die bundesrechtlichen und -europarechtlichen Voraussetzungen auf Kosten der Menschenrechte und auf Kosten der europäischen Idee ignorieren. Das ist einfach nur enttäuschend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wundert es mich nicht. Von Ihnen haben wir gelernt, wie man so eine Grundgesetzverschärfung von langer Hand plant und vorbereitet. Blickt man zurück auf das Ende der letzten Legislatur, bekommt man dafür eine perfekte Handlungsanleitung. Das geht so: Erst lassen Sie den damaligen Bundesinnenminister wegen steigender Asylzahlen eine Debatte über die Wiedereinführung der Visumspflicht und innereuropäische Grenzen auslösen. Mal austesten, wie weit es so geht mit unserem europäischen Bewusstsein. – Na ja, für das Aufstellen von Schlagbäumen hat es zum Glück nicht gereicht, wohl aber dafür, das Bundesamt anzuweisen, das Asylverfahren für Menschen aus dieser Region zu beschleunigen. Dann lässt man die Schwesterpartei und ihr – nun ja – Flaggschiff Horst Seehofer, der mit seiner Einwanderungspolitik wirklich nur noch die Emotionalsten unter uns zum Kopfschütteln bringt, an den Ball. Der erzählt dann was vom Missbrauch unseres Sozialsystems – als ob es in Deutschland keine Gesetze gäbe, die diesen verhindern würden! –, macht mit Betrügergerüchten Front gegen Bulgaren und Rumänen und vergiftet damit vor der Europawahl das gesellschaftliche Klima in Deutschland gegenüber Europa. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Damit es dann auch alle glauben, spricht sogar die Kanzlerin von Sozialmissbrauch in einer ihrer Regierungs-erklärungen. Im letzten Schritt – und das ist wirklich unerträglich, durchsichtig und perfide – nehmen Sie die niedrigen Schutzquoten von Menschen aus dieser Region als Rechtfertigung für diesen Gesetzentwurf und berufen sich damit auf Fakten, die Sie mit Ihrer vorangegangenen Politik selber geschaffen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Man muss schon an Amnesie leiden, um diese Taktik nicht zu begreifen. Ihnen, liebe Christdemokraten, kann ich also an der Stelle keine unbedachte oder fahrlässige Politik vorwerfen; denn das, was Sie hier intendieren, ist absolut gewollt. Was aber um alles in der Welt ist eigentlich mit euch los, liebe Sozialdemokraten? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Wie konntet ihr nach 1993, als das Grundrecht auf Asyl seines Inhalts beraubt wurde, mit euren Stimmen – ich weiß, lieber Rüdiger, dass das vielen von euch noch auf der Seele liegt –, zulassen, dass an diese Politik jetzt wieder angeknüpft wird? Ihr wisst doch, dass mit dieser Grundgesetzänderung das elendige Hin- und Hergeschiebe von Schutzsuchenden in Europa erst möglich gemacht wurde, dass heute nur noch weniger als 2 Prozent der Asylsuchenden in Deutschland über unseren Verfassungsartikel geschützt werden, dass alle anderen unter die Dublin-Regulierung fallen und dass niemand in Deutschland einfach so vom Himmel fällt und Asyl beantragt. Wie kann es sein, dass ihr erneut vor der Panikmache der CDU vor steigenden Asylbewerberzahlen einknickt? Ich kann das wirklich nicht glauben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzentwurf schlägt – das wurde noch nicht gesagt – noch in einem anderen Bereich dem Fass den Boden aus; denn in dem Gesetz geht es auch um eine zweite Sache, die bedauerlicherweise überhaupt gar nichts mit der ersten -Sache zu tun hat – es handelt sich also um eine Art Sammelgesetz –: Es geht nämlich auch um den Arbeits-marktzugang von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in Deutschland. Keine Frage: Die Absenkung der Frist für den Zugang zum Arbeitsmarkt von neun auf drei Monate ist ein gutes Anliegen. Aber auch hier, wie auch schon bei der Debatte über den Optionszwang oder die Residenzpflicht, gehen Sie nur einen halben Schritt. Eine Lockerung der Arbeitsverbote macht doch nur dann Sinn, wenn die sogenannte Vorrangprüfung wegfällt. Wenn dieser Schritt nicht gegangen wird, dann ist den meisten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern leider überhaupt nicht geholfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Damit ist dieses zentrale Anliegen, liebe SPD, noch nicht mal mehr ein Zückerchen, sondern einfach nur – und das ist bedauerlich – an der Sache vorbei. Der Gesetzentwurf ist aber auch ein fantastisches Lehrstück dafür, mit welcher Arroganz große Mehrheiten hier in diesem Parlament Politik machen. Warum hat man denn an dieser Stelle Birnen und Tomaten in einen Topf geschmissen? Das kann man wohl nur damit begründen, dass dieser Gesetzentwurf im Bundesrat zustimmungspflichtig ist und man versucht hat, den SPD-Innenministern in irgendeiner Form Argumentationshilfen an die Hand zu geben oder uns als Opposition in die Enge zu treiben und zu unterstellen, dass wir mit einer Ablehnung dieses Gesetzes arbeitsmarktpolitische Verbesserungen blockieren würden. Ich sage nur: Meine Fraktion lässt sich nicht erpressen. Ich hoffe, dass es auch die SPD-Landesinnenminister nicht tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zurück zu den „sicheren Herkunftsstaaten“. Wir werden diesen Gesetzentwurf mit aller Schärfe zurückweisen. Die Logik darin ist nämlich folgende: Wenn die meisten Anträge auf Asyl von Bewerbern aus der -Region, um die es geht, abgelehnt werden, dann kann es dort, wo diese Menschen herkommen, ja nicht so schlimm sein; dann kann man so ein Land auch einfach als sicher einstufen. Meine Fraktion hat sich schon immer gegen die Praxis der „sicheren Herkunftsstaaten“ ausgesprochen. Denn das Einstufen eines Landes als sicher führt zur pauschalen Ablehnung von Asylanträgen und somit zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt kommen Sie vermutlich und sagen – ich habe es schon gehört –: Frau Amtsberg, regen Sie sich mal nicht so auf. Es ist ja nicht so, dass niemand Asyl beantragen kann. Die Möglichkeit dazu ist nach wie vor vorhanden. – Das stimmt. Nur, der entscheidende Unterschied ist, dass die Anträge nicht mehr sorgfältig geprüft werden. Damit unterwandert dieses Gesetz einen der zentralsten Grundsätze unseres Asylrechts: das Recht auf individuelle und gründliche Prüfung eines Asylbegehrens und auf effektiven – nicht individuellen, Herr Strobl! – Rechtsschutz. Der Hauptkritikpunkt an Ihrem Gesetzentwurf muss sich zweifelsohne nach meiner Auffassung auf den Rechtsbruch beziehen, den Sie begehen, indem Sie nicht, wie nach europäischem Recht vorgeschrieben, alle verfügbaren menschenrechtlichen Quellen zurate ziehen, wenn Sie ein Land als sicher einstufen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Denn unser europäisches Recht erlaubt es ohne Weiteres, existenzbedrohende Mehrfachdiskriminierung als Asylgrund einzustufen. Ich sage es mal so: Besonders vor dem Hintergrund unserer Geschichte – Frau Jelpke hat darauf hingewiesen – wäre es mehr als angezeigt, wenn Deutschland diesen Spielraum endlich nutzen würde. In all den benannten Ländern finden schwerwiegende Diskriminierungen statt. Fast alle Menschenrechts- und Flüchtlingsverbände haben sich dazu geäußert: das Deutsche Institut für Menschenrechte, Pro Asyl, Amnesty International, die Flüchtlingsräte, der UNHCR, das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen, der Jesuiten-Flüchtlingsdienst, die Diakonie, der UN-Flüchtlingshochkommissar, die Kommission; und sogar das Auswärtige Amt äußert sich dazu sehr deutlich. Sie alle haben gesagt, dass die menschenrechtliche Lage vor Ort besorgniserregend ist. Nur ein Beispiel: In Bosnien-Herzegowina sind Angehörige der Romaminderheit gleich mehrfachen Diskriminierungen ausgesetzt: Sie stecken in einem Teufelskreis aus Armut und Arbeitslosigkeit. Der Zugang zu Bildung, Arbeit, medizinischer Versorgung oder vernünftigen Wohnverhältnissen ist ihnen verwehrt. Roma werden häufig Opfer rassistischer Propaganda und Gewalt. Die Sterblichkeit von Romakindern ist in allen drei Staaten, um die es hier geht, doppelt so hoch wie anderswo. Die älteren Roma sterben zehn Jahre früher als der Rest der Bevölkerung. Das ist doch kein Zufall! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Bundesinnenminister, Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass man von Beitrittskandidaten und Ländern, die es werden wollen, erwarten kann, dass sie den Rechtsstaat und die Menschenrechte aufrechterhalten und achten. Der Wunsch und die Erwartung sind fromm. Ich teile sie. Auch ich habe diese Erwartung; denn die Achtung der Menschenrechte ist und muss europäischer Konsens sein. Aber gerade dann ist es doch fahrlässig, nicht zur Kenntnis zu nehmen, wie die menschenrechtliche Situation vor Ort ist, und diese Staaten, in denen die Beitrittskapitel zu Justiz und Menschenrechten noch nicht geschlossen sind, einfach als sicher einzustufen. Ein Staat ist eben nicht einfach sicher, weil man ihn hier so nennt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In meinen Augen ist das Vogel-Strauß-Taktik: Kopf in den Sand; denn was nicht sein darf, ist auch nicht. So macht man keine Politik. Liebe SPD, liebe Innenminister der SPD, macht den Rücken gerade und zeigt eure Verantwortung! Denn jeder Einzelfall ist es wert, beachtet zu werden. Wir sollten an unseren asylrechtlichen Grundsätzen festhalten. Menschen, die Schutz verdienen, müssen ihn hier bei uns auch bekommen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Herr Präsident Hintze! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir in diesen Tagen mit Bürgermeistern und Landräten in unseren Wahlkreisen sprechen, dann werden wir sehr häufig auf die steigenden Zahlen von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern angesprochen. Die Kommunen müssen Unterkünfte bereitstellen. Die Bürgerinnen und Bürger fragen uns besorgt: Geht dieser Anstieg immer weiter? 2009 waren es 28 000 Asylbewerber in der Bundes-republik Deutschland. Im letzten Jahr waren es knapp 100 000 mehr: 127 000. Innerhalb von fünf Jahren gab es also fast eine Verfünffachung der Asylbewerberzahlen in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei ist der Anstieg von Asylbewerbern aus den Balkanstaaten besonders groß: Fast jeder fünfte Bewerber kommt aus Serbien, Mazedonien oder Bosnien-Herzegowina. Diese Entwicklung ist kein Anlass für Alarmismus. Ich finde, dass die Koalition heute einen maßvollen Vorschlag macht. Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir auch: Wir wollen vor allem sicherstellen, dass wir unsere Anstrengungen für syrische Flüchtlinge aufrechterhalten und ausbauen können; denn wenn Flüchtlinge aus Syrien zu uns kommen und ein Asylverfahren durchlaufen, dann liegt die Schutzquote bei 100 Prozent. Bei Flüchtlingen aus den Westbalkanstaaten liegt sie bei nahe 0 Prozent. Deswegen: Wer aus Syrien kommt – Herr Kollege Veit, das möchte ich auch dem Koalitionspartner, der SPD, zusagen –, dem wollen wir effektiv helfen. Hier wollen wir den Schutz im Zweifel sogar ausbauen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dafür, meine Damen und Herren, ist es aber erforderlich, dass wir unsere Kräfte bündeln und die Ressourcen, die nicht unbegrenzt sind, entsprechend gezielt einsetzen. Deswegen verfolgt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zwei zentrale Ziele: Erstens. Wir wollen, dass Asylbewerber und geduldete Ausländer schneller arbeiten können, nämlich schon nach drei Monaten. Damit soll die Abhängigkeit von Sozialleistungen reduziert werden. Sie sollen mit ihrer eigenen Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt oder jedenfalls einen Teil davon selbst bestreiten können, und sie sollen auch nicht verdammt sein, tatenlos in den Tag hineinleben zu müssen. Das ist ein konkreter Fortschritt, der auch geduldeten Ausländerinnen und Ausländern zugutekommt. Frau Kollegin Amtsberg, das sollten eigentlich auch die Grünen anerkennen. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich ja auch gesagt!) Wir wollen zweitens zügige Verfahren bei Bewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten, damit solche aussichtslosen Asylanträge schneller bearbeitet werden und die Menschen schneller in ihre Heimatländer zurückkehren können. Das ist ein Kernanliegen, das wir mit diesem Gesetzentwurf verfolgen; denn wir brauchen zügig – zügig! – eine Verbesserung unseres Asylsystems. Wir erwarten, dass wir damit auch dem eigentlichen Ziel unseres Asylsystems, den tatsächlich politisch Verfolgten Schutz und einen sicheren Rechtsstatus gewähren zu können, einen Schritt näher kommen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie ignorieren auch die UN-Richtlinie für Asyl! Das ist ja unglaublich!) Das bedeutet konkret: Die steigende Zahl von Bewerbern stellt unsere Kommunen vor große Herausforderungen. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen: Stuttgart investiert augenblicklich 21 Millionen Euro in sogenannte Systembauten, in denen 1 000 Asylbewerber unterkommen sollen. Aber das ist nicht nur ein Problem für die großen Städte, sondern auch eines für den ländlichen Raum. Im Ostalbkreis in Baden-Württemberg rechnet man mit 1 000 Asylbewerbern am Ende dieses Jahres. Der Landrat und die Kommunalpolitiker arbeiten intensiv daran, Unterkünfte zu erstellen. Deshalb brauchen wir eine Entlastung der Kommunen. Unser Gesetzentwurf leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Den Kommunen ist am meisten damit geholfen, wenn die Bewerberzahlen aus Staaten zurückgehen, in denen offensichtlich keine politische Verfolgung stattfindet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]) Das ist offensichtlich bei Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina der Fall. Ich möchte nicht auf jedes Land im Einzelnen eingehen, aber lassen Sie mich zu Serbien Folgendes anmerken: Vor einem Jahr hat der Europäische Rat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien beschlossen. Diese Verhandlungen mit Serbien haben im Januar dieses Jahres begonnen. Die EU verhandelt mit Serbien auch deshalb, weil man davon ausgeht, dass Serbien inzwischen ein bestimmtes Maß an Rechtsstaatlichkeit erreicht hat und dort eben keine politische Verfolgung stattfindet. (Beifall des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU]) Serbien ist auf dem Weg in die europäische Wertegemeinschaft. Deswegen finde ich es sehr bemerkenswert und begrüße es, dass Serbien selbst um Aufnahme in die Liste der sicheren Herkunftsländer gebeten hat. Diesem Wunsch sollten wir doch auch entsprechen. Er deckt sich im Übrigen, Frau Staatsministerin Böhmer, mit den Analysen des Auswärtigen Amtes. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sind dabei, Frau Kollegin Amtsberg, auch nicht allein in Europa: (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Schlimme! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!) Großbritannien, Frankreich, die Schweiz, Österreich stufen Serbien als sicheres Herkunftsland ein. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn?) Wir befinden uns also in guter Gesellschaft. Ich weise zurück, dass Frankreich, Großbritannien und Österreich europäisches Recht brechen, wenn sie Serbien in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufnehmen. Wir können es auch tun. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit denen, die eine höhere Schutzquote haben, Belgien zum Beispiel?) Es gibt neben den drei Westbalkanstaaten auch andere europäische Staaten, aus denen immer mehr Asylbewerber nach Deutschland kommen. Herr Kollege Veit, wir sollten diese Entwicklung im Blick behalten und bei den anstehenden parlamentarischen Beratungen auch genau analysieren, wie sich etwa die Situation in Montenegro und in Albanien darstellt. 2010 waren es 39 Asylanträge von Albanern, in den ersten Monaten dieses Jahres aber schon über 3 000. Die Zahlen schießen durch die Decke. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie wollten doch keinen Alarmismus betreiben!) Uns ist bewusst – darauf hat Kollege Veit auch hingewiesen –, dass die Schutzquote bei Albanern in den letzten Jahren über den Quoten der übrigen Westbalkanstaaten lag. Im Augenblick liegt sie bei 2,7 Prozent. Aber sie geht deutlich nach unten. Albanien ist in Frankreich seit Dezember 2013 auf der Liste der sicheren Herkunftsstaaten. Die Zahlen albanischer Bewerber sind in Frankreich deutlich zurückgegangen. Bei uns allerdings sind sie dramatisch angestiegen. Das zeigt aber: Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat wirkt entlastend. Albanien ist im Übrigen seit 2009 NATO-Mitglied. Die Europäische Kommission hat gerade dieser Tage empfohlen, Albanien den Status eines Beitrittskandidaten für die Europäische Union zu verleihen. Auch hier gehen wir in einem anderen Kontext, bei dem es nicht um Asyl geht, davon aus, dass sich Albanien unserer Wertegemeinschaft annähert, auch wenn bei rechtsstaatlichen Standards und bei der Bekämpfung von Korruption sicherlich noch einiges zu tun ist. Wir sollten aber die Entwicklung Albaniens wie auch die Montenegros genau im Blick behalten und uns ernsthaft fragen, ob nicht eine Einstufung als sichere Herkunftsstaaten auch für diese beiden Länder infrage kommt. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Asylbewerber kommen aus Syrien. Dafür haben wir und dafür haben die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land großes Verständnis. Was in Syrien täglich geschieht, erfüllt uns mit Trauer und mit Schrecken. Deshalb begrüßen wir von der Koalition es ausdrücklich, dass der Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit den Ländern über die weitere Aufnahme syrischer Flüchtlinge verhandelt. Herr Innenminister, wir stehen bei diesen Verhandlungen als Koalition hinter Ihnen und ermutigen Sie ausdrücklich zu diesen Verhandlungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Rüdiger Veit [SPD]: Das höre ich gern!) Aber nimmt man die drei Balkanstaaten, um die es hier und jetzt geht, zusammen, dann muss man sagen, dass von dort derzeit mehr Asylbewerber kommen als aus Syrien, nämlich 11 600 Bewerber in den ersten vier Monaten dieses Jahres gegenüber rund 7 500 Asylbewerbern aus Syrien: 11 600 Bewerber aus dem westlichen Balkan, bei denen die Anerkennungsquote nahe null ist, 7 500 Syrer, bei denen die Anerkennungsquote, die Schutzquote 100 Prozent ist. Das ist unseren Bürgerinnen und Bürger schwer zu vermitteln. Damit bin ich beim zweiten Grund, warum wir die Liste der sicheren Herkunftsstaaten maßvoll erweitern wollen: Wir wollen unsere Kapazitäten in Deutschland für alle wirklich politisch Verfolgten wie etwa die aus Syrien nutzen. Das sind wir den Verfolgten, den tatsächlich politisch Verfolgten, und unseren Bürgerinnen und Bürgern auch schuldig. Nur wenn unser Asylsystem die wirklich politisch Verfolgten und die, die aus asylfremden Motiven zu uns kommen, klar differenziert und es auch unterschiedliche asylrechtliche Konsequenzen gibt, dann bleibt der Rückhalt in der Bevölkerung für unser Asylsystem vorhanden. Dann können wir unseren Verpflichtungen als humaner Rechtsstaat nachkommen. Das wollen wir alle zusammen gerne tun. Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Sevim Da?delen, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Da?delen (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Strobl, Sie sagten, man muss das Asylrecht verbessern. Wenn diese Aussage von Ihrer Fraktion kommt, dann ist das ein ernsthafter Grund zu besonderer Besorgnis in diesem Haus, vor allem, wenn man sich anschaut, was mit dem Asylrecht in den letzten Jahren und Jahrzehnten mit Ihrer Hilfe geschehen ist. Der Minister und Sie haben Syrien erwähnt. Deswegen erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung zum Thema Syrien. Vor einer Woche war ich mit dem Außenminister Steinmeier im Libanon und habe ein syrisches Flüchtlingslager des UNHCR besucht. Der Libanon hat bei einer Bevölkerungszahl von 4 Millionen über 1 Million syrische Flüchtlinge aufgenommen: Ein Viertel der gesamten Bevölkerung besteht aus syrischen Flüchtlingen. Angesichts dessen finde ich es wirklich beschämend, dass die Aufnahme weniger Tausend syrischer Flüchtlinge in Deutschland meistens zu einer Belastung erklärt wird. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben Sie vorhin nicht zugehört? – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ich habe gerade gesagt: Wir wollen doch syrische Flüchtlinge aufnehmen!) Ich finde, hier muss ein Schritt in die Richtung erfolgen, dass Deutschland deutlich mehr syrische Flüchtlinge aufnimmt, weil die Anrainerstaaten hoffnungslos überlastet sind. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sie müssen doch auch ein bisschen zuhören! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er hat doch das Gegenteil gesagt!) Dass Roma und andere Minderheiten in Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina massiv rassistisch diskriminiert werden, ihnen der Zugang zu Arbeit, zu medizinischer Versorgung, zu regulären Wohnungen und oft auch zu sauberem Trinkwasser verwehrt wird, haben wir schon von meiner Kollegin Jelpke, aber auch von meiner Kollegin von den Grünen gehört. Ich möchte mich dem kleinen Feigenblatt des Gesetzes widmen, den vermeintlichen Erleichterungen beim Arbeitsmarktzugang, wie es die Bundesregierung nennt. Wir sind der Auffassung: Auch hier haben wir es mit einer Mogelpackung der Großen Koalition zu tun. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man sich die Maßnahmen anschaut bezüglich des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer. Völlig zutreffend heißt es in der allgemeinen Begründung des Gesetzentwurfes, dass Asylsuchende und Geduldete durch den Zugang zum Arbeitsmarkt die Möglichkeit erhalten sollen, durch Aufnahme einer Beschäftigung ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, anstatt auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angewiesen zu sein. Diese Position vertritt die Linksfraktion seit Jahren. Aber nach den hehren Worten in der Gesetzesbegründung vermissen wir die Taten. (Beifall bei der LINKEN) Die Arbeitsverbote werden nämlich nicht abgeschafft. In der Praxis bleibt es bei dem faktischen Arbeitsverbot. Es wurde oft von der Vorrangprüfung gesprochen. Diese möchte ich für die Zuschauer erklären. Bei der Vorrangprüfung – sie soll für die ersten vier Jahre bestehen bleiben – wird aufwendig geprüft, ob deutsche oder sogenannte bevorrechtigte Arbeitslose den Job übernehmen könnten, auf den sich ein Asylsuchender oder ein Geduldeter bewirbt, ungefähr nach dem Motto: Arbeit zuerst für Deutsche. Das lehnen wir als Linke ganz konsequent ab. (Beifall bei der LINKEN) Da ist die Frage, lieber Rüdiger, ob das gesetzliche Arbeitsverbot drei, neun oder zwölf Monate beträgt, fast schon zweitrangig. Faktisch kommt diese Vorrangprüfung insbesondere in Regionen mit schlechter Arbeitsmarktlage zum Tragen; das sind ja die meisten. Das kommt einem Arbeitsverbot gleich. Wenn diese Menschen auf staatliche Hilfen angewiesen sind, obwohl sie arbeiten wollen, ist es immer wieder auch die Politik, die ihnen unter Benutzung der legalen Basis des Arbeitsverbotes vorwirft, dass sie nur wegen der Sozialleistungen nach Deutschland gekommen seien. Diese legale Basis wird sehr oft – ich habe das in meiner Heimatstadt Duisburg erlebt, besonders bei den Kommunalwahlen – für rechtspopulistische Kampagnen gegen Asylsuchende, gegen Geduldete und gegen Flüchtlinge benutzt. Diesen Kampagnen muss der Boden entzogen werden, und zwar, indem wir die gleichen sozialen Rechte allen Menschen geben, die in Deutschland leben. (Beifall bei der LINKEN) Wie schon gesagt, führt die Koalition in der Begründung an, dass die Asylsuchenden und Geduldeten durch den Zugang zum Arbeitsmarkt die Möglichkeit erhalten sollen, zu arbeiten, anstatt auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angewiesen zu sein. Da stellt sich mir die Frage: Wie kann es sein, dass Sie jetzt vor der Sommerpause wirklich alle Gesetzesvorhaben, auch in Bezug auf das Staatsangehörigkeitsrecht, durch den Bundestag jagen, aber nichts in Richtung Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils in Sachen Asylbewerberleistungsgesetz unternehmen? (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist ein -Skandal!) Dabei hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil den Bundestag aufgefordert, dieses verfassungswidrige Gesetz unverzüglich zu ändern. Das ist im Juli 2014 ganze zwei Jahre her. Ich frage mich: Wo ist denn da eigentlich der Eifer der Bundesregierung? (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit. Sevim Da?delen (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Ich finde, man kann Deutschland schlecht als Hort des Humanismus darstellen, Herr Minister, wenn man gleichzeitig die Menschenrechte mit Füßen tritt. Die Sondergesetzgebung – Asylbewerberleistungsgesetz, Sachleistungen, Residenzpflicht, menschenunwürdige Lagerunterbringung – muss abgeschafft werden. Wir möchten das Grundgesetz mit Leben füllen. Die Würde des Menschen, nicht die Würde des deutschen Menschen, ist laut unserem Grundgesetz unantastbar. Ich fordere Sie auf, der sich aus unserer Verfassung ergebenden Verpflichtung nachzukommen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Uli Grötsch, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Uli Grötsch (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Beginn dieser Wahlperiode sind die Schicksale von Flüchtlingen aus Syrien und die Situation der Asylbewerber in Deutschland auf jeder Tagesordnung des Innenausschusses, und das zu Recht. Das Schicksal von Flüchtlingen beschäftigt uns aber nicht nur im Bundestag, sondern betrifft uns alle auch ganz konkret zu Hause in den Wahlkreisen, etwa wenn es um geeignete Unterkünfte für diese hilfesuchenden Menschen geht. Wir sehen es nicht als Belastung, sondern als Herausforderung für die Kommunen in unserem Land, geeignete Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, Frau Kollegin Da?delen. Seien wir ehrlich: Es werden vor allem die Abgeordneten aus den Volksparteien sein, die gemeinsam mit ihren Bürgermeistern und ihren Landräten in den Wahlkreisen im ganzen Land dafür werben und nach geeigneten Unterkünften suchen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie schwer es oftmals für die Behörden ist, in den Kommunen noch zusätzliche Unterkünfte für Asylbewerber und Flüchtlinge zu finden, erfahren wir in vielen Städten und Gemeinden unseres Landes leider viel zu oft. Ein Blick auf die von Jahr zu Jahr steigende Zahl von Asylanträgen zeigt, dass Deutschland ein attraktives Zielland ist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat mehr als alle Hände voll zu tun, um die Anträge und Verfahren sorgfältig zu prüfen, und an dieser sorgfältigen Prüfung habe ich keinerlei Zweifel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bislang sind bereits in diesem Jahr knapp 26 000 Erst- und Folgeanträge beim Bundesamt eingegangen. Damit stieg die Zahl der Erstanträge – es wurde heute schon öfter erwähnt; es ist aber so wichtig, sodass ich es noch einmal sagen möchte – um 70 Prozent und die Zahl der Folgeanträge um fast 100 Prozent. Die Tendenz der eingehenden Anträge ist nach wie vor steigend. Immer mehr Menschen fliehen vor Verfolgung, Folter und Vertreibung aus ihrer Heimat und suchen bei uns in Deutschland Zuflucht. Ich begrüße es sehr, dass Deutschland neben Schweden das Land in der EU ist, das die meisten syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Damit sind wir top in der EU. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) Aber wir wollen noch besser werden. Das hat auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erst vor wenigen Tagen sehr eindrucksvoll bestätigt, und zwar – das haben wir alle gemerkt – aus seiner vollsten und tiefsten Überzeugung. Wir spüren seitens der SPD-Bundestagsfraktion sehr deutlich, dass das Schicksal der syrischen Bevölkerung, dass das Schicksal der Flüchtlinge aus Syrien bei Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in den besten Händen ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist aber auch so, dass viele Menschen ihre Heimat aus anderen Motiven als die syrischen Flüchtlinge verlassen und nach Deutschland kommen, um Asyl zu beantragen. Diesen Menschen droht in ihrer Heimat keine systematische politische Verfolgung oder gar Folter. Bei der Prüfung zur Einstufung als sicheres Herkunftsland hat sich die Bundesregierung an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und auch an den europäischen Vorgaben orientiert und ist zu dem Schluss gekommen, dass Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sogenannte sichere Herkunftsstaaten gemäß § 29 a des Asylverfahrensgesetzes einzustufen sind. Das heißt, dass zukünftig der Asylsuchende glaubhaft darlegen muss, dass er in seinem eigentlich sicheren Heimatland politisch verfolgt wird. Wir meinen, das ist nachvollziehbar; denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat 2013 ins-gesamt fast 22 000 Entscheidungen über Asylerst- und -folgeanträge von bosnischen, serbischen und mazedonischen Staatsangehörigen getroffen. Nur drei Menschen aus einem dieser Staaten wurde Asyl zugesprochen, vier Menschen wurde Flüchtlingsschutz gewährt, und bei 53 Personen wurde ein Verbot der Abschiebung erteilt. 90 Prozent der vor Gericht verhandelten und abgelehnten Asylanträge von Menschen aus den drei erwähnten Staaten wurden als unbegründet abgelehnt. Mit anderen Worten: Nur im Einzelfall haben die Antragsteller aus den drei Westbalkanstaaten Asyl zugesprochen bekommen. Gegen eine Äußerung aus Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, verwehre ich mich ganz entschieden und ausdrücklich: Die hohen Ablehnungsquoten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge seien „ein Indiz für unzureichende Prüfungen und pauschale Ablehnungen aufgrund politischer Vorgaben“. Das ist eine Unterstellung und wird dem Engagement der betroffenen Behörden nicht gerecht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Laut aktueller Asylgeschäftsstatistik hat das BAMF bislang in diesem Jahr mehr als 26 000 Entscheidungen getroffen. Das ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum eine Zunahme um mehr als 130 Prozent – und das bei auch dort leider knappen personellen Ressourcen. Wer schon einmal eine solche Behörde besucht hat, weiß, was dort geleistet wird. Von dieser Stelle aus möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Namen der SPD-Bundestagsfraktion meine ausdrückliche Anerkennung aussprechen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die genannten Zahlen belegen eines: Unbegründete Asylanträge binden ohnehin erschöpfte Kapazitäten bei Bund, Ländern und Kommunen und verhindern auch eine noch zeitnähere Bearbeitung von Anträgen tatsächlich schutzbedürftiger Asylsuchender beispielsweise aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak. Selbstverständlich muss nach wie vor jeder Asylantrag gewissenhaft geprüft werden, egal aus welchem Land die Flüchtlinge stammen. (Beifall bei der SPD) Aber es ist angesichts der erwähnten Zahlen, so meine ich, keine Zumutung für die Asylsuchenden aus den betroffenen Staaten, die Menschenrechtsverletzungen einzeln darzulegen, aufgrund derer sie um Asyl ersuchen. Ja, das ist eine Beweislastumkehr. Sie sollte deshalb in einem fairen und geordneten Verfahren stattfinden. Ich möchte auch ganz klar sagen: Wir leugnen nicht, dass insbesondere Sinti und Roma Anfeindungen und Diskriminierungen in ihren Heimatländern ausgesetzt sind. Wir wissen natürlich, dass gerade diese Bevölkerungsgruppe in ihren Heimatländern oftmals von sozialer Ausgrenzung und rassistischer Diskriminierung betroffen ist. Nicht nur für diese Menschen, sondern generell auch für andere Menschen, die aufgrund von Perspektivlosigkeit ihre Heimatländer verlassen, gilt es, die Bedingungen vor Ort in ihren Heimatländern in den Blick zu nehmen. Die Verbesserung der gesellschaftlichen Realitäten kann die deutsche Asylpolitik nicht leisten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist eine europäische Aufgabe. Ich bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung im Europäischen Rat entsprechend darauf hinwirken wird, dass die Regierungen von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina ihre Bemühungen entsprechend intensivieren werden. Es steht übrigens auch im Koalitionsvertrag, dass wir uns gegenüber den Regierungen dieser drei Staaten und gegenüber der EU-Kommission dafür einsetzen wollen, rasche und nachhaltige Schritte zur Verbesserung der Lebenssituation vor Ort zu ergreifen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, wenn Sie einen Blick auf die Zeit werfen, werden Sie feststellen, dass sie abgelaufen ist. Uli Grötsch (SPD): Ich komme zum Schluss. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns unserer Verantwortung ganz sicher bewusst. Deutschland kann mehr machen, und Deutschland wird auch mehr machen. Wir sind aber der Meinung, dass wir uns angesichts von Bürgerkriegen und massenhaften Vertreibungen in verschiedenen Brandherden der Welt schnell und effizient um die akut Schutzbedürftigen kümmern müssen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin in der Debatte erteile ich der Abgeordneten Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war mein Vater, der mir als Kind erklärt hat, was unser Grundgesetz, die Grundrechte bedeuten: dass die Menschenwürde kein Konjunktiv ist, dass die Menschenwürde ganz ohne Adjektiv auskommt und dass die Grundrechte jedem einzelnen Menschen gehören. So verhält es sich auch mit dem Grundrecht auf Asyl. Es ist ein individuelles Recht. Kein Staat, keine Regierung kann mich einfach enteignen, und wenn ich es für mich beanspruche oder einklagen will bzw. muss, dann bin nicht ich die Missbraucherin. Vielmehr missbrauchen diejenigen den Geist unserer Verfassung, die Menschen, die sich um Asyl bewerben, kriminalisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) Unser Asylrecht wird seit 20 Jahren malträtiert. Herr de Maizière, es soll jetzt weiter entleert und in sein Gegenteil verkehrt werden. Nichts anderes passiert doch, wenn per Gesetz sichere Herkunftsstaaten definiert werden, wenn per Gesetz politische Verfolgung sowie unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung ausgeschlossen und als nicht existent dekretiert werden. Ganz in kafkaesker Logik braucht es dann ja auch keinen vorläufigen Rechtsschutz mehr; denn das Recht hat gerade Sicherheit definiert. Man nennt das unter Juristen, so habe ich mir sagen lassen, „normative Vergewisserung“. Ich nenne das: Umdefinition der Realität in eine Welt, die es zwar so gar nicht gibt, die aber perfekt ins politische Kalkül passt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Was sind denn das für sonderbare Juristen bei den Grünen? Welche Juristen haben Sie denn da gefragt?) Ich wundere mich schon, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie sich nicht einmal ein bisschen schämen, das auch noch schwarz auf weiß zu benennen. Da steht geschrieben: „Deutschland soll … weniger attraktiv werden.“ Also geht es wieder einmal um die Anreizminderung, aber nicht um die Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es wird eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgemacht: Weniger Asylbewerber bedeuten mehr Geld in den Kassen von Bund, Ländern und Kommunen. – Ich befürchte, dass diese kalte Rechnung uns sehr teuer zu stehen kommen wird, weil wir damit das verlieren, was Humanität, Schutzgewährung und Schutzverantwortung ausmachen: unseren moralischen Imperativ nach dem Naziterror, der 500 000 Sinti und Roma das Leben gekostet hat. Ich lese im Gesetzentwurf, dass Menschen aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina angeblich – ich zitiere – „aus nicht asylrelevanten Motiven“ kommen. Lieber Herr Minister, waren Sie eigentlich schon einmal persönlich unter der Autobahnbrücke in Belgrad, wo die Roma zu überleben versuchen, die ihrer Menschenwürde beraubt wurden? Waren Sie im Lager von Deponija in Belgrad, wo die Menschen, die Roma, wie Abfall behandelt werden? Waren Sie schon einmal persönlich in Skopje, in Šutka, der wohl größten Romasiedlung weltweit, einem grauenhaften Ort, der an Bangladesch, aber nicht an Europa erinnert? Ich war vor Ort; ich habe die Not gesehen, ich habe die Verzweiflung erlebt, die Angst der Menschen vor rassistischer Gewalt, vor pogromartigen Angriffen. „Nicht asylrelevante Motive“? Trotz Diskriminierung, trotz versperrten Zugängen zur Gesundheitsversorgung, zum Bildungssystem, zur Arbeit, zur Ausbildung, trotz einer zehn Jahre geringeren Lebenserwartung? „Nicht asylrelevante Motive“? Trotz Verweigerung elementarster Teilhaberechte für Menschen, die oft aus dem Kosovo vertrieben wurden und alles, aber wirklich alles verloren haben? Keine gruppenspezifische Verfolgung, Herr Minister de Maizière? Ich bin, nachdem ich dort war, wirklich davon überzeugt: Wenn Sie in einem so menschenverachtenden Umfeld leben würden, dann würden auch Sie alles dafür tun, Ihre Kinder, Ihre Familie zu retten und ihnen eine Zukunft in Sicherheit zu eröffnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]) Eine vorgestern veröffentlichte Studie zum Rechtsextremismus in unserem Land, die schon genannt worden ist, hat erschreckende Auffassungen belegt: Über 50 Prozent der Deutschen glauben, dass Sinti und Roma kriminell sind; über 50 Prozent wollen nicht in ihrer Nähe leben. Verantwortliche Politik – da gebe ich Ihnen recht – muss Ängste und Vorurteile sehr ernst nehmen, aber sie darf sie nicht schüren. Doch genau das tut Ihr Gesetzentwurf nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deshalb sage ich: Bitte, bewahren wir unser Grundrecht auf Asyl! Das macht uns als Gesellschaft reich. Und bitte, spielen wir nicht Flüchtlinge aus Syrien gegen Flüchtlinge aus anderen Ländern aus! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Errichten wir keine zusätzlichen Mauern, sondern bewahren wir unser Grundrecht, und schaffen wir endlich ein modernes Einwanderungsrecht! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Deutschland verfügt über ein humanes, weltoffenes und tolerantes Asylrecht. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben Sie das eigentlich selber?) Ich glaube, gerade in einem Gedenkjahr wie diesem ist es wichtig, dass wir uns ständig unserer historischen Verantwortung bewusst werden, dass gerade Deutschland jederzeit für jeden offen sein muss, der verfolgt wird, aus welchen Gründen auch immer, und an Leib und Leben bedroht ist. Es ist unsere historische Aufgabe, dass wir jederzeit dem Schutz gewähren, der aufgrund seiner Religion, aufgrund seiner Ethnie, aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder aus politischen Motiven verfolgt wird. Ich glaube aber, dass wir mit Fug und Recht behaupten können: Wir Deutsche haben ein derartiges humanes und weltoffenes Asylrecht. Kein Land in Europa nimmt so viele Asylbewerber auf wie Deutschland. Deswegen stimmt es einfach nicht, Frau Kollegin Roth, dass wir mit diesem Gesetzentwurf unser Asylrecht malträtieren oder entleeren. Es stimmt auch nicht, Frau Kollegin Amtsberg, dass wir mit diesem sinnvollen Gesetzentwurf unserem Asylrecht den Todesstoß versetzen. Das Gegenteil ist der Fall. Deutschland ist offen für alle, die schutzbedürftig sind. Im letzten Jahr -haben wir insgesamt 127 000 Asylbewerber aufgenommen. Die Zahlen entwickeln sich weiter rasant nach oben. Allein im ersten Quartal dieses Jahres hatten wir 50 000 Erst- und Folgeanträge. Wenn sich die Entwicklung der ersten drei Monate fortschreibt, dann werden am Ende dieses Jahres in Deutschland über 200 000 Asyl-anträge gestellt worden sein. Ich glaube, dass es deshalb richtig ist, dass wir uns Gedanken darüber machen, wo wir die Prioritäten setzen. Da unter den sechs Ländern, aus denen die meisten Asylbewerber nach Deutschland kommen, vier Länder des westlichen Balkans sind, sollten wir das intensiver betrachten. Im letzten Jahr gehörten Bosnien-Herzegowina, Serbien, Mazedonien und Albanien zu diesen ersten sechs Ländern. Auch in den ersten vier Monaten dieses Jahres war das der Fall. Allein aus den drei Ländern Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien wurden in den ersten drei Monaten dieses Jahres insgesamt 13 000 Asylanträge gestellt. Im Vergleich dazu waren es in den ersten drei Monaten des letzten Jahres 5 000 Asylanträge. Die Anerkennungsquote liegt bei allen drei Ländern bei 0,0 Prozent. Die Schutzquote liegt, wenn man die Flüchtlinge und die subsidiär Schutzberechtigten hinzuzählt, bei maximal 0,4 Prozent. Bezogen auf Mazedonien, das Land mit der – in Anführungszeichen – höchsten Schutzquote, liegt sie bei gerade einmal 0,4 Prozent. Ich möchte eines klar herausstreichen: Auch mit diesem Gesetzentwurf bleibt es bei unserem individuellen Recht auf Asyl. Es gibt eine widerlegbare Vermutung, dass Personen aus den drei genannten Ländern, aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien, politisch nicht verfolgt werden. Aber natürlich gibt es für jedermann die Möglichkeit, im Einzelfall nachzuweisen, dass dies doch der Fall ist. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist es!) Es ist nur so: Das Verfahren wird insgesamt unkomplizierter, die Klagefrist wird auf eine Woche verkürzt, und eine Klage hat zunächst einmal zwar keine aufschiebende Wirkung, aber die aufschiebende Wirkung kann natürlich sofort angeordnet werden. Mit diesem Gesetzentwurf leisten wir einen aus meiner Sicht wichtigen Beitrag dazu, das Bundesamt für -Migration und Flüchtlinge und seine Mitarbeiter zu entlasten. In der vergangenen Nacht hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages richtigerweise den Beschluss gefasst, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge insgesamt 300 zusätzliche Stellen bekommt. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut!) Das ist ein wichtiger Schritt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch erwähnen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 900 zusätzliche Stellen als sachgerecht angemeldet hat und dass derzeit auch 40 Beamte der Bundespolizei ihren Dienst beim BAMF leisten. Um es klar zu sagen: Diese wären an anderer Stelle mindestens genauso notwendig. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ja!) Aber aus durchaus verständlichen Gründen sind diese Mitarbeiter derzeit zum BAMF abgeordnet worden; sie sollen dort die Arbeitsbelastung etwas reduzieren. Wenn durch die Deklaration von drei Ländern des westlichen Balkans als sichere Herkunftsländer erreicht wird, dass die Verfahrensdauer bzw. die Dauer der Einzelprüfung verkürzt wird, dann wird dies auch zusätzliche Ressourcen im BAMF schaffen. Diese Ressourcen sind dringend erforderlich angesichts der weiterhin rasant wachsenden Asylbewerberzahlen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich empfinde es als unanständig von der Fraktion Die Linke, wenn uns in dem Antrag unterstellt wird, dass die Mitarbeiter des BAMF erst einmal dazu angehalten werden müssen, sorgfältig, gewissenhaft und gründlich zu prüfen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Dafür haben wir Belege, Herr Mayer!) Das ist kein Affront gegenüber der Bundesregierung und uns – das würde man im politischen Geschäft vielleicht noch verstehen –, sondern gegenüber den Mitarbeitern des BAMF. Es ist, sehr verehrte Kollegin Jelpke, wirklich nicht fair, dass Sie den Mitarbeitern des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die wirklich keinen einfachen Job machen und unter einer enorm hohen Arbeitsbelastung leiden, unterstellen, sie würden die Anträge nicht gewissenhaft und gründlich prüfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte auch noch einmal auf Folgendes hinweisen: Es gibt ein gemeinsames Ziel. Ich hoffe, dass das Ziel, die Dauer der Asylverfahren zu reduzieren, von allen hier im Haus geteilt wird. Derzeit beträgt die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren neun Monate. Es gibt die klare Aussage im Koalitionsvertrag, dass wir die Dauer der Asylverfahren auf drei Monate reduzieren wollen. Wenn wir nur annähernd an dieses Ziel herankommen wollen, dann ist es erforderlich, diese Länder, insbesondere die, bei denen die Schutz- und Anerkennungsquoten gegen 0,0 Prozent tendieren oder wirklich 0,0 Prozent betragen, als sichere Herkunftsländer zu deklarieren. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns aber auch die Mühe machen, in dem anstehenden Gesetzgebungsverfahren intensiv zu prüfen, noch zwei weitere Länder des westlichen Balkans, Albanien und Montenegro, als sichere Herkunftsstaaten zu deklarieren. Auch ich bin da für eine vorurteilsfreie und offene Prüfung. Wenn man sich aber zum Beispiel im Falle Albaniens ansieht, dass im letzten Jahr insgesamt 1 247 Erstanträge gestellt wurden und allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 3 204, also fast dreimal so viel wie im gesamten letzten Jahr, dann sollte dies, glaube ich, schon Anlass sein, intensiv zu prüfen, ob nicht auch Albanien ein sicheres Herkunftsland ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau andersherum!) Zur Erklärung: Wie kommt es gerade im Fall Alba-niens zu diesem rasanten Anstieg? Frankreich hat genau das getan, was wir jetzt bezüglich der drei anderen Länder vorhaben. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Frankreich hat im Dezember des vergangenen Jahres Albanien als sicheres Herkunftsland deklariert. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es doch aber nicht richtig!) Das führt jetzt zu den genannten Umlenkungseffekten, was die Ströme der Asylbewerber anbelangt. Ähnlich ist es bei Montenegro. Da waren es im vergangenen Jahr insgesamt 258 Erstanträge und allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres schon 351. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, mir ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir in unserer Bevölkerung – aus meiner Sicht; das ist zumindest meine Wahrnehmung – eine außerordentlich hohe Empathie, Sympathie und auch ein großes Verständnis für die Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen haben. Die Situation der Kommunen ist alles andere als einfach. Ich möchte noch einmal sagen, Frau Kollegin Roth: Es gibt mittlerweile auch einige Bürgermeister, die der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angehören. Die ächzen genauso unter der Notwendigkeit, jetzt händeringend Unterkünfte für die Asylbewerber finden zu müssen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Das ist für keinen Oberbürgermeister, für keinen Bürgermeister und für keinen Landrat, egal in welchem Bundesland, derzeit eine einfache und angenehme Aufgabe. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vollkommen richtig! Wir sind ja in den Haushaltsberatungen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser finanziell ausstatten!) Alle Kommunalpolitiker tun hier ihr Möglichstes, unabhängig davon, welcher Fraktion und welcher Partei sie angehören. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir die Bereitschaft in der Bevölkerung gerade auch zu ehrenamtlichem Engagement und zu einer ehrenamtlichen Unterstützung der Asylbewerber weiterhin auf diesem hohen Niveau halten. Die Studie der Universität Leipzig, die vorgestern hier in Berlin veröffentlicht wurde, ist ja schon erwähnt worden. Was ich an dieser Studie interessant finde, ist, dass wir in Deutschland – ich glaube, darauf können wir auch ein Stück weit stolz sein – einen deutlichen Rückgang der Ausländerfeindlichkeit, auch des Antisemitismus, zu verzeichnen haben. Was ich aber aus dieser Studie mit großem Ernst und auch mit einer gewissen Sorge zur Kenntnis genommen habe – das gebe ich ganz offen zu –, ist, dass es laut der Zahlen dieser Studie eine enorme Ablehnung gegenüber Asylbewerbern gibt. In den neuen Bundesländern liegt sie bei 85 Prozent, in den westlichen Bundesländern bei 74 Prozent. Ich möchte eines nicht, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: dass wir in Deutschland wieder Zustände bekommen wie zu Beginn der 90er-Jahre. Ich möchte nicht, dass hier Brandstifter, politische Hetzer wieder das Sagen bekommen. Ich glaube, gerade deshalb müssen wir das gemeinsame Ziel haben, die Empathie, das Verständnis der Bevölkerung gegenüber Asylbewerbern und Flüchtlingen auf diesem hohen Niveau zu halten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist daher richtig, sich Gedanken zu machen, für wen wir prioritär offen sein sollen. Die syrischen Flüchtlinge sind da schon genannt worden. Die größte humanitäre Katastrophe auf unserem Globus spielt sich aus meiner Sicht derzeit in Syrien und in den Anrainerländern von Syrien ab. Gerade gegenüber syrischen Flüchtlingen gibt es in Deutschland eine hohe Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Mayer, lassen Sie uns einen Antrag machen! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Wir machen einen Antrag!) Frau Kollegin Roth, ich wehre mich dagegen, dass Sie uns unterstellen, wir würden die Menschen gegeneinander ausspielen oder das eine Schicksal gegen das andere Schicksal aufwiegen. Aber ich bin schon der Meinung, dass wir für zusätzliche Kontingente gegenüber syrischen Flüchtlingen offen sein sollten. Wir unterstützen hier unseren Bundesinnenminister in seinen Verhandlungen mit seinen Länderkollegen. Ich sage ganz offen: Es muss weitere zusätzliche Kontingente für die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen geben. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut!) Ich füge aber hinzu: Wir bekommen diese Bereitschaft in der Bevölkerung nur dann, wenn wir die Bevölkerung nicht überstrapazieren und nicht überfordern. Deshalb sollten wir, glaube ich, in den nächsten Wochen – Vizepräsident Peter Hintze: Die Zeit, Herr Kollege! Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): – dieses Gesetzgebungsverfahren gründlich, aber auch zügig vorantreiben. Insbesondere unsere Kommunen harren dringend darauf, dass wir diese Probleme lösen. In diesem Sinne freue ich mich auf ein konsequentes, auf ein gründliches, aber auch auf ein zügiges Gesetzgebungsverfahren. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Daniela Kolbe, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD) Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mich in meinem Redebeitrag auf den arbeitsmarktpolitischen Teil des Gesetzentwurfs konzentrieren. Er ist mir ein bisschen zu kurz gekommen, und ich finde es wichtig, dass wir uns darüber auch noch einmal kurz unterhalten. Mit dem Gesetzentwurf wird vorgeschlagen, Asylbewerbern und Geduldeten bereits nach drei Monaten den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. – Viele der Zuhörerinnen und Zuhörer wissen das vielleicht nicht: Nach der geltenden Gesetzeslage dürfen Asylsuchende erst nach neun Monaten arbeiten und Geduldete erst nach zwölf Monaten. – Die Opposition hat das hier in ihren Redebeiträgen anklingen lassen, aber ein bisschen kleingeredet. Die Kollegin Amtsberg hat es als „Zückerchen“ bezeichnet. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch nicht einmal!) Das finde ich, ehrlich gesagt, sehr schade; denn für die Betroffenen ist das ein riesiger Schritt nach vorn. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir als SPD stehen dafür, dass es ein starkes Recht auf Asyl geben muss. Frau Roth, da sind wir uns sicherlich einig. Wir wollen Schutzsuchenden Schutz gewähren, und wir müssen das auch tun. Aber wenn wir uns das gegenwärtige Asylsystem anschauen, dann sehen wir, dass selbst für die Menschen, die davon profitieren – das sind doch einige –, das Asylsystem derzeit eine zeitweilige Sackgasse ist, weil es sie ganz ungewollt in Passivität und Hilfsbedürftigkeit drängt. Die Regel, über die wir heute sprechen, dieses zwölfmonatige Arbeitsverbot, stammt aus dem Jahr 1980. -Damals gab es einen Anstieg der Zahlen der Asylsuchenden, auch dadurch ausgelöst, dass mit dem Anwerbestopp von 1973 legale Zuwanderungsmöglichkeiten beseitigt worden waren. Seither hat sich nicht nur die Welt weitergedreht, -sondern es hat sich auch einiges auf dem Arbeitsmarkt – und nicht nur da – verändert. Wir reden wieder über legale Zuwanderung, wir reden über Fachkräftebedarf, wir reden über Globalisierung und eine weltoffene Gesellschaft. Insofern ist es schlichtweg anachronistisch, dass wir Menschen per se von Erwerbstätigkeit ausschließen, zumal diese vielfach nichts lieber täten, als ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. (Beifall bei der SPD) Viele gut ausgebildete Menschen landen im Asylsystem. Bezeichnenderweise wissen wir, ehrlich gesagt, eigentlich gar nicht so richtig, was für eine Ausbildung die Asylsuchenden mitbringen. Das ist bezeichnend, weil wir uns bisher in diesem Zusammenhang gar nicht mit diesen Menschen auseinandergesetzt und uns gefragt haben, was für Fähigkeiten sie mitbringen. Ich weiß nur, dass ich in den Heimen, in den Asylbewerberunterkünften, die ich besuche, auf sehr unterschiedliche Menschen treffe, vielfach auch auf Ärzte, auf Ingenieure, auf Menschen, die vor allen Dingen eines beschreiben: dass sie es unerträglich finden, dass sie in diese Langeweile, in dieses Nichtstun, in dieses Ausharren gesteckt werden. Das empfinden sie wirklich vielfach als das größte Übel, das sie erleben, wenn sie hier in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben. Die Neuregelung ist insofern längst überfällig. Wir schaffen jetzt das formale Arbeitsverbot nach einer dreimonatigen Ankunftsphase ab. Das freut mich sehr. Das Asylrecht hat bisher den Aufenthaltsstatus von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern grundsätzlich als vorübergehend angesehen, als Provisorium. Die Realität sieht aber anders aus. Wir haben heute schon viel von Schutzquoten gehört. Im Durchschnitt liegt die Schutzquote bei 25 Prozent. Bei Menschen aus vielen Herkunftsstaaten liegt sie aber bei deutlich über 50 Prozent, zum Teil bei über 80 oder 90 Prozent, zum Beispiel bei Menschen aus Syrien. Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten, den -eigenen Aufenthaltsstatus zu legalisieren. Viele der 85 000 Menschen, die geduldet in Deutschland leben, leben hier sehr lange, jahrelang. Insofern leben die Menschen nicht regelmäßig nur vorübergehend hier, sondern regelmäßig nicht vorübergehend. Auch dieser Denkweise werden wir an dieser Stelle mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gerecht. Denn bisher war es so, dass wir Tausende Menschen über Jahre hinweg systematisch vom Arbeitsmarkt desintegriert haben, um sie dann nach einer positiven Aufenthaltsentscheidung individuell wieder zu integrieren. Erst dann gab es Sprachkurse, erst dann gab es Qualifizierung. Das war viel mühevoller und hatte viel weniger Aussicht auf Erfolg. Das ist total widersinnig, teuer, unmenschlich und falsch, sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft insgesamt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir geben den Betroffenen mit diesem Gesetz ein Mehr an Selbstbestimmung und die Chance, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Die Gesellschaft spart den Arbeits- und Kostenaufwand, der mit der Wiedereingliederung dieser Menschen, die jahrelang nicht auf den Arbeitsmarkt durften, verbunden wäre. Richtig ist auch – das ist von der Opposition angesprochen worden –, dass die Vorrangprüfung erhalten bleibt und die Arbeitsaufnahme im Regelfall nur nachrangig möglich ist. Gleichwohl ist das ein deutlicher Schritt, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Es ist ein ganz starkes Signal in Richtung der betroffenen Menschen: Sobald ihr euch nach drei Monaten zurechtgefunden habt, dürft, könnt und sollt ihr versuchen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, euren Lebensunterhalt selber zu bestreiten. – Es gibt auch derzeit schon Bereiche, in denen Menschen, die noch nicht gut Deutsch sprechen oder vielleicht auch nicht die erforderliche Qualifikation mitbringen, händeringend gesucht werden. Das heißt, trotz Nachrangigkeitsprüfung gibt es Bereiche, in denen Asylsuchende eine Chance haben. (Beifall des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Es gibt auch Bereiche, die nicht von der Nachrangigkeitsprüfung betroffen sind. Da geht es um die Berufsausbildung und Weiterbeschäftigung; auch das sei an dieser Stelle gesagt. Ehrlich gesagt ist mir ein Punkt am wichtigsten – er ist noch gar nicht angeklungen –: Dadurch, dass diese Menschen nun den prinzipiellen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, haben sie unabhängig davon, ob sie einen Job finden oder nicht, Zugang zu Leistungen, zu arbeitsmarktpolitischen Leistungen aus dem Bereich der Bundesagentur für Arbeit, dem SGB III, und zu einigen ESF-Programmen. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das nicht so laut! – Gegenruf der Abg. Christine Lambrecht [SPD]: Richtig laut sagen wir das sogar!) – Ich sage das trotzdem, und zwar richtig laut. Ich erkläre Ihnen einmal, worum es dabei geht. Es geht um Beratung, um Vermittlung in Arbeit, um Förderung aus dem Vermittlungsbudget. Jetzt sage ich Ihnen auf Deutsch, was das heißt. Dabei handelt es sich zum Beispiel um die Übernahme von Bewerbungskosten, wie Dolmetscherkosten, und von Kosten für die Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse. Nach dem SGB III hat man auch ein Recht auf Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung sowie zur beruflichen Weiterbildung, ein Recht auf Einstiegsqualifizierung und einen Eingliederungszuschuss und ein Recht auf die Förderung der Teilhabe behinderter Menschen, was für viele Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, auch sehr wichtig ist; denn es kann auch für Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen denkbar sein, eine solche Förderung zu bekommen. Mit dieser Änderung ist im deutschen Asylsystem beileibe nicht alles gut. Sie kennen ja die SPD: Wir wollen noch viele andere Verbesserungen. Es ist aber eine signifikante Verbesserung für die Menschen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Insofern freue ich mich für die Betroffenen und auch für die gesamte Gesellschaft von Herzen über diese Veränderungen, wenn wir sie hinbekommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als letzte Rednerin in dieser Debatte erhält die Abgeordnete Nina Warken, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Nina Warken (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland – das haben wir bereits gehört – steigt seit einigen Jahren deutlich. Zu den zehn Hauptherkunftsstaaten zählen aktuell nicht nur Länder mit massiven gewaltsamen innerstaatlichen Konflikten, wie etwa Syrien, Afghanistan, Somalia oder der Irak, sondern auch Länder aus der direkten Nachbarschaft zur EU, wie Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina. Allein aus den Balkanländern kamen zwischen Januar und April dieses Jahres 25 Prozent aller Asylantragsteller in Deutschland – und das, obwohl nach verschie-denen glaubhaften Quellen in diesen Ländern weder -Verfolgung noch andere systematische Menschenrechtsverletzungen drohen, die ein Asylgrund wären. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt einfach nicht! Hinfahren!) Zu diesem Schluss kommen entgegen der Kritik in dem vorliegenden Antrag der Linken nicht nur die Lagebilder des Auswärtigen Amtes, das seine Informationen aus verschiedenen Quellen bezieht, sondern auch die Fortschrittsberichte der EU-Kommission, die die Entwicklung eines Landes bekannterweise sehr kritisch beurteilt. Die einzelnen Berichte kommen zu der Einschätzung, dass es in allen drei Ländern keine diskriminierenden Gesetze gibt. Willkürliche oder unmenschliche Bestrafungen sowie staatliche Repression oder Verfolgung einzelner Bevölkerungsgruppen finden nicht statt. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was sagen Sie zu den Menschenrechtsorganisationen?) Bemerkenswert ist, dass selbst in den Berichten des -UNHCR und von Menschenrechtsorganisationen diese Länder betreffend nicht von Verfolgung oder schweren Menschenrechtsverletzungen die Rede ist. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was?) Um dennoch einen Schutzgrund annehmen zu können, wird von den Menschenrechtsorganisationen und dem UNHCR sowie im vorliegenden Antrag der Linksfraktion mit dem Begriff der „kumulativen Verfolgung“ aus der EU-Qualifikationsrichtlinie argumentiert. Demnach soll auch die Beeinträchtigung von weniger schwerwiegenden Rechten einen Anspruch auf Asyl begründen können. Betont werden muss hier allerdings, dass dies nur dann gilt, wenn die Rechtsverletzungen oder Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtwirkung einer schweren Menschenrechtsverletzung gleichkommen. Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass in Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina viele Menschen – darunter auch viele Sinti und Roma – aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der gesellschaftlichen Probleme in großer Armut leben. Ebenso ist unumstritten, dass viele Roma in diesen Ländern gesellschaftlich diskriminiert werden. Diskriminierung und soziale Ausgrenzung stellen zwar eine erhebliche Härte dar, sind aber selten mit Verfolgung und Schaden im asylrechtlichen Sinn gleichzusetzen. Um diesem Problem zu begegnen, ist vielmehr dringend ein Prozess des Umdenkens in der Gesellschaft dieser drei Balkanländer erforderlich. Dabei muss auch -gesagt werden, dass sich die Regierungen dieser Länder bemühen, diesen Prozess des Umdenkens voranzutreiben. Es wurden Gesetze zum Schutz nationaler Minderheiten verabschiedet, und durch verschiedene Programme wird versucht, die Lage der Roma zu verbessern, auch wenn sie bislang leider noch nicht die erhoffte Wirkung erzielt haben. Ein solcher Prozess kann nicht von heute auf morgen Erfolg haben. Umso wichtiger ist es, dass wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und Akteuren vor Ort im Zuge einer koordinierten Entwicklungszusammenarbeit dafür sorgen, dass die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden und die Hilfe bei den Betroffenen ankommt. Dazu müssen wir die Regierungen der drei Balkanländer diesbezüglich stärker in die Pflicht nehmen; denn diese erhalten im Zuge des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses mit der EU beträchtliche Finanzhilfen zur Integration ihrer nationalen Minderheiten. Vor diesem Hintergrund kann die Lage in Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina, auch wenn sie nach wie vor wirtschaftlich und sozial schwierig sein mag, nicht mit den Auswirkungen für die Betroffenen von Verfolgung oder anderen systematischen Menschenrechtsverletzungen, wie etwa in Syrien oder Afghanistan, gleichgesetzt werden. Vielmehr stellt sich bei der Prüfung der Asylanträge aus den Balkanstaaten in der Regel heraus, dass Armut und die wirtschaftlich schwierigen Verhältnisse in diesen Ländern die wahren Gründe sind, zusammen mit der Gewissheit, dass jeder, der in Deutschland Asyl auch nur beantragt, bereits Sozialleistungen erhält. Zu glauben, all dies sei kein Anreiz, um in Deutschland Asyl zu beantragen, ist naiv. Dafür sprechen auch die erheblich gestiegenen Zahlen der Asylfolgeanträge aus den Balkanstaaten. Aus Sicht der Antragsteller mag dieses Verhalten menschlich nachvollziehbar sein. Ihnen kann man es nicht verdenken, dass sie alles tun, um ihre Situation zu verbessern. Auf der anderen Seite geht dieses Verhalten zulasten der tatsächlich schutzbedürftigen Flüchtlinge, etwa aus Syrien, die in ihrer Heimat verfolgt werden und jeden Tag um ihr Leben bangen müssen. Diese Flüchtlinge müssen aufgrund der Flut von Anträgen aus den Balkanstaaten oft länger als notwendig warten, bis über ihre Anträge entschieden werden kann. Zudem sind mittlerweile – das haben wir gehört – die meisten Bundesländer bzw. Kommunen mit ihren Aufnahmekapazitäten schlicht an ihre Grenzen geraten. Wegen der Antragsteller aus den Balkanstaaten können dort weniger Flüchtlinge aus den Krisenregionen aufgenommen werden. Konzentrieren wir uns auf die wirklich Hilfsbedürftigen, auf diejenigen, in deren Herkunftsländern Krieg, Verfolgung, Plünderungen und Unterdrückung herrschen. Der Antrag der Linksfraktion differenziert nicht richtig. Es wird versucht, für alle irgendwie einen Anspruch auf Aufnahme zu begründen. Damit geht der Schuss, meine Damen und Herren Kollegen von der Linksfraktion, am Ziel vorbei. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]) Wir sagen stattdessen: Lassen Sie uns das Augenmerk auf die wirklich Hilfsbedürftigen richten, damit unsere Asylpolitik gerecht und durchführbar ist. Vor diesem Hintergrund ist es richtig und verantwortungsvoll, dass die Bundesregierung nun einen Gesetzentwurf zur Einstufung von Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten eingebracht hat. Wie der Bundesinnenminister bereits erläutert hat, können durch die Einstufung Asylanträge von Staatsangehörigen aus diesen Ländern schneller bearbeitet werden, da sie grundsätzlich als offensichtlich unbegründet betrachtet werden. Der Aufenthalt von nicht schutzbedürftigen Antragstellern kann künftig schneller beendet werden, wodurch den tatsächlich Schutzbedürftigen mehr Aufnahmekapazitäten zur Verfügung stehen. Davon unabhängig kann dennoch jeder Antragsteller weiterhin im Verfahren Beweise vorlegen, dass in seinem konkreten Fall eine schwere Menschenrechtsverletzung vorliegt. Dadurch ist sichergestellt, dass die betroffenen Menschen im Einzelfall nach wie vor Schutz erhalten. Gleichzeitig sollen mit dem Gesetzentwurf Asylbewerber schon nach drei Monaten Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen. Das bedeutet für viele Asylbewerber, die arbeiten können und wollen, eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben, was dazu beitragen kann, das Trauma von Flucht und Verfolgung zu überwinden. Obendrein werden dadurch die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen entlastet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Akzeptanz des Asylrechts in der Bevölkerung ist es wichtig, dass Asyl den tatsächlich Schutzbedürftigen vorbehalten bleibt. Das ist und muss der Maßstab für die Zuerkennung dieses zentralen Menschenrechts bleiben. Ich spreche mich deshalb dafür aus, auch die beiden weiteren Balkanländer Albanien und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten einzustufen; denn auch für diese beiden Länder gilt, dass dort keine Gefahr durch Verfolgung oder schwere Menschenrechtsverletzungen für die Menschen drohen und nur in wenigen Einzelfällen Schutz gewährt wird. Trotzdem ist die Zahl der Anträge von Asylbewerbern aus diesen Ländern in jüngster Vergangenheit stark gestiegen und hat sich innerhalb eines Jahres mehr als verzehnfacht. Besonders auffällig ist, dass es sich bei den Antragstellern überwiegend um junge Menschen handelt, die zuvor schon in Griechenland oder Italien gelebt haben. Dass es in diesen Fällen vor allem um wirtschaftliche Motive geht, liegt aus meiner Sicht auf der Hand. Mit dieser Einschätzung sind wir in Europa nicht allein. Viele weitere EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich, Belgien, Luxemburg, Österreich und Großbritannien haben nicht nur Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina, sondern auch Albanien und Montenegro bereits als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Dem Versuch, die Asylgründe so weit auszudehnen, dass allein aufgrund von Armut und sozialen Problemen ein Asylrecht besteht, möchte ich eine entschiedene Absage erteilen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]) Unser Asylsystem würde unter dem zu erwartenden Ansturm kollabieren. Zudem verwahre ich mich gegen den Vorwurf der Linken, Roma seien in Deutschland unerwünscht. Ganz im Gegenteil! Lassen Sie mich dies so klar formulieren – womit ich dann auch zum Ende kommen möchte –: Deutschland ist sich seiner historischen Verantwortung sehr bewusst. Deshalb ist es auch richtig, dass die Gruppe der Sinti und Roma als nationale Minderheit in unserem Land anerkannt ist und einen besonderen Schutz und eine spezifische Förderung erhält. Gerade deshalb müssen wir unbedingt darauf hinwirken, dass Roma denselben Schutz auch in Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina genießen. Meine Damen und Herren, vor Ort kann damit viel mehr Menschen geholfen und ein Beitrag zur Verbesserung des gesellschaftlichen Zusammenlebens in den sicheren Herkunftsstaaten geleistet werden. Lassen Sie uns das tun. Lassen Sie mich am Ende der Debatte noch eine Anmerkung an meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Innenausschuss richten und erklären, warum wir bzw. unser Obmann bislang einem gemeinsamen flüchtlingspolitischen Antrag eine Absage erteilt haben. Ich glaube, wir führen im Innenausschuss eine sehr moderate und in Teilen auch konstruktive Debatte zu diesem Thema. Aber hier wurde heute aus meiner Sicht diametral anders diskutiert als im Ausschuss. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt habt ihr endlich eine Begründung!) Deswegen sehe ich auf dieser Grundlage momentan keine Veranlassung zu einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen in dieser Frage. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/1528 und 18/1616 an die an der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen Drucksache 18/1115 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Als erster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Katja Kipping, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Katja Kipping (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke meint: Das Existenzminimum, also das Mindeste, was ein Mensch zum körperlichen und sozialen Überleben braucht, darf nicht gekürzt werden. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb bringe ich heute den Antrag ein, die Sanktionen bei Harz IV und Leistungseinschränkungen bei der So-zialhilfe abzuschaffen. Wir sagen Ja zur Sanktionsfreiheit. Das ist für uns ein erster wichtiger Schritt zu einer sanktionsfreien Mindestsicherung, und das wiederum ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer angstfreien Gesellschaft. (Beifall bei der LINKEN) Über 1 Million Sanktionen wurden im Jahr 2013 verhängt. Um den Begriff „Sanktionen“ noch einmal zu erläutern: Sanktion bedeutet, dass das ohnehin niedrige Arbeitslosengeld II gekürzt wird, und zwar im ersten Schritt um 30 Prozent, dann um 60 Prozent, und am Ende komplett gestrichen wird. Um Missverständnisse auszuschließen, möchte ich Folgendes klarstellen: Wenn wir das schikanöse Hartz-IV-System kritisieren, dann meinen wir damit ausdrücklich nicht die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bundesagentur und den Jobcentern, die unter schweren Umständen arbeiten und nach besten Kräften versuchen, die Betroffenen zu unterstützen. Ihnen gilt unser Dank und Respekt. (Beifall bei der LINKEN) Meine Kritik gilt den politisch Verantwortlichen, also all jenen Bundestagsabgeordneten, die immer wieder Nein zur Sanktionsfreiheit gesagt haben. Davon gibt es leider noch viel zu viele, und ich finde, das muss sich ändern. (Beifall bei der LINKEN) Die Gegner der Sanktionsfreiheit bedienen sich unter anderem, vereinfacht ausgedrückt, folgender Behauptung: Wer suchet, der findet. Also im Klartext: Wer erwerbslos ist, ist selber schuld. Die Mathematik spricht eine andere Sprache. Ich habe mich informiert: Das Verhältnis von offenen Stellen zu offiziell Erwerbsarbeitsuchenden war im vergangenen Jahr eins zu neun, wenn man nur die offensichtlichen statistischen Tricks herausnimmt. Auf eine offene Stelle kommen also neun Erwerbsarbeitsuchende. Das heißt, egal wie sich diese neun anstrengen: Acht von ihnen müssen nach mathematischen Grundsätzen leer ausgehen. Halten wir also fest: Erwerbslosigkeit ist keine individuelle Schuld; sie hängt mit dieser Wirtschaftsweise zusammen. Deswegen müssen wir da ansetzen. (Beifall bei der LINKEN) Ein weiteres Gegenargument, das ein Redner der CDU/CSU vor einigen Jahren bedient hatte, lautet: Sanktionen betreffen nur 3 Prozent aller Leistungsberechtigten; wenn wir uns darum kümmern, dann machen wir Politik vom Rande her. Ich finde, das ist eine ungeheuerliche Ignoranz gegenüber Menschen, die in einer besonderen existenziellen Notlage sind. (Beifall bei der LINKEN) Es stimmt vor allen Dingen nicht, weil die Möglichkeit einer Sanktion, dieses Damoklesschwert, viele bedroht und verunsichert. Die Sanktionen sind auch ein Angriff auf die Mitte. Deswegen ist die Standardantwort vonseiten der CDU/CSU so verlogen, man müsse auch an diejenigen denken, die von früh bis abends arbeiten. Ja, wenn Sie die Mitte steuerlich entlasten wollen, können Sie das machen. Sorgen Sie mit uns gemeinsam für Steuergerechtigkeit! Aber tun Sie nicht so, als ob die Verkäuferin, der Lehrer, die Kindergartenerzieherin oder der Krankenpfleger einen Cent mehr in der Tasche hätten, nur weil Erwerbslose noch schärfer und weiter sanktioniert werden. Das ist einfach verlogen. (Beifall bei der LINKEN) Wir wissen doch: Das Gegenteil ist der Fall. Das ist offiziell durch das IAB belegt worden. Im Zuge von Hartz IV hat die Bereitschaft zugenommen, schlechte Löhne und familienunfreundliche Arbeitszeiten zu akzeptieren. Hartz IV ist also auch ein Angriff auf das Lohngefüge. Deswegen liegt die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen im Interesse sowohl von Erwerbslosen und prekär Beschäftigten als auch von Kernbelegschaften. (Beifall bei der LINKEN) Ein weiteres Vorurteil lautet, Sanktionen träfen nur diejenigen, die den ganzen Tag faul vor dem Fernseher sitzen. Die offiziellen Zahlen sprechen eine andere Sprache. 72 Prozent der Sanktionen gehen auf Meldeversäumnisse zurück. Möglicherweise sind die Betroffenen nicht zu einem Termin erschienen, weil sie keinen Brief erhalten haben oder Angst hatten, den Brief zu öffnen, der in einer Sprache verfasst ist, die für viele bedrohlich wirkt. Nur 12 Prozent der Sanktionen gehen zurück auf mögliche Ablehnungen von Maßnahmen oder Arbeitsplätzen. Darunter sind Maßnahmen, die oft nichts anderes als eine fragwürdige Beschäftigungstherapie für Erwachsene darstellen. Ich habe mich mit einer Sozialarbeiterin aus Neukölln unterhalten. Sie sagte mir: Das SGB sollte doch eigentlich ein Sozialgesetzbuch sein. Ich erlebe es zunehmend als Strafgesetzbuch. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Meine Güte! Jetzt sinkt das Niveau noch tiefer!) Ja, Sanktionen sind Ausdruck eines paternalistischen Erziehungsstaates. Das steht in der Tradition des Arbeitshauses. Erwachsene werden als Erziehungsbedürftige betrachtet. Wir als Linke sagen Nein zu diesem paternalistischen Verständnis. Wir sagen Ja zu einem demokratischen Sozialstaat, der von demokratischen und sozialen Rechten ausgeht. Für uns ist es nicht hinnehmbar, wenn Erwachsene als Erziehungsbedürftige behandelt werden. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt einen weiteren Grund für uns. Das Regelsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts besagt ganz klar: Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Grunde nach unverfügbar … Weiter heißt es: Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt. Ich wiederhole: „Unverfügbar“ und „stets“ muss es den notwendigen Bedarf decken. Beim soziokulturellen Existenzminimum handelt es sich also um ein Grundrecht, und Grundrechte kürzt man einfach nicht. (Beifall bei der LINKEN) Vor einigen Wochen fand im Petitionsausschuss die öffentliche Behandlung der Massenpetition zur Abschaffung der Sanktionen gegen Inge Hannemann statt. Viele Betroffene sind zu diesem Termin angereist, um zuzuhören. Meine Fraktion hat danach die Betroffenen zu einem Fachaustausch eingeladen. Wir haben Expertinnen und Experten der Praxis angehört. Ich habe in den zweieinhalb Stunden, in denen ich zugehört habe, viele berührende Berichte vernommen, die mir gezeigt haben, wie sehr Hartz IV Spuren auf den Seelen der Betroffenen hinterlassen hat. Am Ende habe ich die Frage aufgeworfen: Wir haben uns nun ausgetauscht, wer und was alles unter Hartz IV leidet. Aber gibt es auch Profiteure von Hartz IV? Die Antwort lautete: Ja. Denn im Zuge von Hartz IV ist die Bereitschaft gestiegen – ich sprach bereits darüber –, schlechtere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Ja, ein Ziel von Hartz IV war und ist auch, Menschen gefügig zu machen und die Widerstandsfähigkeit zu schwächen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oh Mann!) – Mir ist schon klar, dass Sie das nicht gerne hören. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein, ich kann diesen Unsinn kaum noch ertragen!) Um es auf den Punkt zu bringen: In der Auseinandersetzung zwischen oben und unten stärkt Hartz IV die Besitzenden und schwächt diejenigen, die nur ihre Arbeitskraft als Ware haben. Deswegen werden wir, die Linke, uns niemals mit Hartz IV zufriedengeben. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Weltweit werden wir geachtet und bewundert für unsere soziale Sicherheit! Machen Sie die Augen auf für die Realität in Deutschland!) Wir sagen ganz klar: Wer wie wir eine angstfreie Gesellschaft möchte, der muss Hartz IV und vor allem die Hartz-IV-Sanktionen abschaffen und eine sanktionsfreie Mindestsicherung einführen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Albert Weiler, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Albert Weiler (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kipping, ich selbst habe nach meinen Ausbildungen bei der Eisenbahn Klos geputzt, ich habe Wagen gereinigt, aus den Aschenbechern Kaugummis herausgekratzt und fühlte mich dabei nicht unwohl; denn das war meine Arbeit, und ich wollte nicht arbeitslos werden. Sicherlich wollte ich das nicht auf Dauer machen, aber ich habe es gemacht, weil ich nicht arbeitslos werden wollte. Ich fühle mich von Ihnen diffamiert. Keine Arbeit ist schändlich. Jeder soll für seine Arbeit geehrt werden. Das ist wichtig. Ich ehre jeden, egal was er tut, auch wenn er, wie ich es getan habe, Aschenbecher saubermacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist wieder einmal so weit. Der obligatorische Antrag der Linken zur Abschaffung der Sanktionen bei Hartz IV ist da. Zum wiederholten Mal beschäftigt sich der Deutsche Bundestag mit diesem Antrag der Linken. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir hören auf, sobald Sie zustimmen!) Es war sicherlich nicht das letzte Mal. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Er kommt so lange, bis die Sanktionen weg sind!) Ich habe recherchiert. Allein in den letzten zwei Wahlperioden ist immer wieder ein derartiger Antrag von Ihnen eingebracht, diskutiert und abgelehnt worden. Ich sehe, dass Ihre Führungsspitze nicht da ist; dann ist das wohl auch Ihnen gar nicht so wichtig. Das ist eher Wahlkampfpropaganda. So werden wir auch heute wieder damit verfahren. Lassen Sie uns also die bekannten Argumente, die wir schon so oft ausgetauscht haben, noch einmal austauschen. Ich bin gerne bereit dazu. Kopfschütteln und Kommentare wie „Schwachsinn“, „Geht’s noch?“ und „Man nimmt uns damit das letzte Mittel, das wir haben“ waren nur ein Teil der Reaktionen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Jobcentern in Berlin und Thüringen, denen ich Ihren Antrag vorgelegt habe und die ich gebeten habe, diesen zu bewerten. Das Gespräch mit den Fachleuten in den Jobcentern hat mich darin bestärkt, dass ich mit meinem Gefühl der Ablehnung Ihres Ansinnens doch richtig liege. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Argumente, nicht um Gefühle!) Überall sind Regeln notwendig, in der Schule, im Verkehr, so auch in der Politik wie hier im Deutschen Bundestag. Es hat mit Fairness, Gerechtigkeit und Verantwortung zu tun, dass wir ein solches Sanktionssystem haben. Wir müssen ein solches haben; denn wenn unser Sozialsystem nicht ausgenützt würde, dann brauchten wir solche Sanktionen nicht. Das ist Fairness gegenüber den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die diesen Sozialstaat erst ermöglichen, und – das wird oft vergessen – gegenüber den arbeits-losen Menschen, die sich regelkonform verhalten. Die Jobcentermitarbeiter bestätigten mir, dass gegenüber 97 Prozent der Hartz-IV-Bezieher keine Sanktionen verhängt werden bzw. verhängt werden müssen. Dieser Großteil will ernsthaft aus seiner Notsituation herauskommen und einen Job finden. Lediglich 3 Prozent der Hartz-IV-Empfänger sind von Sanktionen betroffen. Wir sprechen hier wahrlich nicht von einem Massenphänomen, wie Sie es immer wieder darstellen, (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wie ich in meiner Rede sagte: Die anderen erleben es als Bedrohung!) um Wahlkampfpropaganda zu betreiben. Wir haben schließlich in Thüringen und Sachsen wieder Wahlkampf. Jetzt versuchen Sie, die Randgruppen noch weiter an den Rand zu drängen, um zu zeigen, dass Sie die Guten sind, die gewählt werden sollen. Das tun Sie in dem Wissen, dass man nichts erreicht; aber Sie wollen nur Stimmen fischen. Ich würde mir sehr wünschen, dass die Linken endlich damit aufhören, Politik vom Rand aus zu betreiben und so zu tun, als sei die Mehrheit der Gesellschaft von diesem Problem betroffen. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Von Wohnungslosigkeit sind auch nicht alle betroffen! Wieso interessieren Sie die dann?) Wir nehmen die gesamte Gesellschaft in den Blick und sorgen dafür, dass mit unserer Politik die guten Rahmenbedingungen erhalten bleiben. Wann bedankt sich die Partei Die Linke eigentlich bei den über 42 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben nicht 42 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer! Wir haben 29 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer!) die durch ihr fleißiges Tun und ihre Steuern und Abgaben erst ermöglichen, dass wir überhaupt Hartz IV zahlen können? (Beifall bei der CDU/CSU) Schauen wir uns doch einmal die Zahlen an. Worüber reden wir hier eigentlich? 2013 wurden laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit rund 1 Million Sanktionen gegenüber Menschen mit Hartz-IV-Bezug verhängt. Circa 726 000 Personen melden sich einfach nicht auf Schreiben der Jobcenter. Frau Kipping hat versucht, das kleinzureden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie hat es gut erklärt!) Aber wenn ich Arbeit habe, dann muss ich mich auch melden, wenn ich krank bin oder nicht kommen kann. Andere weigern sich sogar, eine Arbeit anzunehmen. Ich habe selbst auf Stellen gearbeitet, auf denen man nicht unbedingt arbeiten will, aber ich habe es getan. Manche weigern sich, eine Ausbildung aufzunehmen. Rund 5 000 von den vollsanktionierten Personen sind unter 25 Jahre. Es sind also junge Leute, die nicht arbeiten wollen. Das geht nicht. Die Sanktionen fallen nicht plötzlich und unangekündigt vom Himmel. In jeder Einladung zu einem Gespräch mit dem Betreuer im Jobcenter wird schriftlich darauf hingewiesen, dass bei unentschuldigtem Nichterscheinen oder bei Ausbleiben einer Rückmeldung eine Kürzung von 10 Prozent der Leistungen droht. Dem, der es dann noch nicht verstanden hat, drohen noch mehr Kürzungen. Zudem werden die Rechtsbelehrungen immer wieder mündlich im persönlichen Gespräch zwischen dem Betreuer und dem Empfänger vorgetragen. Es ist sogar so, dass Betreuer und Empfänger gemeinsam eine Vereinbarung unterzeichnen, in der explizit auf die Möglichkeit von Sanktionen hingewiesen wird. Es kann mir keiner erzählen, dass man keine Rückmeldung auf eine Einladung zum Gespräch im Jobcenter geben kann. Jeder Arbeitnehmer muss sich beim Arbeitgeber melden, wenn er krank ist oder einen wichtigen Termin wahrnehmen muss. Das ist, liebe Freunde, ganz einfach Ausdruck gesunden Menschenverstands. Den würde ich Ihnen gerne unterstellen. Im Moment fällt es mir schwer. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn man sich nicht bewerben will, folgen Sanktionen, und das halte ich für richtig. Schließlich muss es das Ziel sein, einen Arbeitslosen wieder in Arbeit zu bringen. Es ist nun einmal so, dass die Arbeit nicht vom Himmel fällt. Ohne Bewerbung kein Job! Deshalb wollen wir den Betroffenen helfen, durch Bewerbungen wieder Arbeit zu finden. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Was sagen Sie zu den von mir angeführten statistischen Daten?) Das Stichwort „Mitwirkungspflichten“ findet sich in allen Zweigen des Sozialgesetzbuches. Ohne die Mitwirkung der Menschen, für die die Leistungen des Sozialstaats angeboten werden – das ist gut so –, können keine Anträge gestellt, kann keine Untersuchung stattfinden, kann kein Anspruch geprüft werden, kann aber auch kein Geld ausgezahlt und keine Leistung erbracht werden. Es kann doch nicht sein, meine Damen und Herren, dass ich einen angebotenen Job ablehne oder zu Terminen unentschuldigt nicht erscheine und trotzdem unkontrolliert Steuermittel von fleißigen Arbeitern einkassiere. Das geht nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist der Kern des Ganzen: In einer guten Gesellschaft muss jeder seinen Beitrag leisten. Regeln müssen von allen eingehalten werden. Gegen Regeln zu verstoßen und weiter Geld einzukassieren, ist in unserem Sozialstaat Gott sei Dank verboten. Das ist nicht lediglich eine rechtliche Frage, sondern betrifft auch das Funktionsprinzip der Solidarität. Sie gilt für alle Seiten. An dieser Stelle gilt mein besonderer Dank den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den deutschen Jobcentern, die eine hervorragende Arbeit machen. Sie sind in einem sehr sensiblen Bereich tätig; denn sie haben es mit arbeitslosen Menschen zu tun, die sich teilweise in einer sehr schwierigen persönlichen Situation befinden, und sie müssen sich individuell auf diese Arbeitslosen einstellen. Das ist für beide Seiten nicht einfach. Dafür noch einmal vielen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter! (Beifall bei der CDU/CSU) An die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke gerichtet – passen Sie noch einen Moment auf; ich bin gleich fertig –: (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind ganz Ohr!) Nur weil man einen Antrag immer wieder hervorholt, wird er nicht besser und nicht richtiger. Noch viel schlimmer: Mit Umsetzung dieses Antrags würde nicht ein einziger Langzeitarbeitsloser in Arbeit gebracht. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Mit Ihrer Rede aber auch nicht!) Gerade das muss unser Ziel sein. Bitte sorgen Sie dafür, dass sich Firmen in unserem Land ansiedeln, und bringen Sie Leute in Arbeit. Dann tun Sie mehr, als nur den Betrieb zu stören. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Also das entscheiden wir in einer Demokratie noch selbst, was für einen Antrag wir einbringen! Was für ein Parlamentsverständnis! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ganz dünnes Eis!) Gerne diskutieren wir hier mit Ihnen, wie wir Menschen ohne Arbeit wieder in Lohn und Brot bringen. Ein Antrag aber, der auf Spaltung der Gesellschaft fokussiert ist und nur der Wahlpropaganda dient, ist falsch und muss daher, auch wenn wir Wahlkampf haben, heute zum wiederholten Male abgelehnt werden, egal wie leid Ihnen das tut. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber Sie wissen schon, dass das die erste Lesung ist? Ihr Parlamentsverständnis ist ja sowieso fragwürdig!) Vizepräsident Peter Hintze: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Weiler, Sie haben angekündigt, dass Sie Argumente gegen den Antrag der Linken vorbringen wollen. Ich habe kein einziges Argument gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Waren Sie draußen?) Stattdessen wird ein Menschen- und Gesellschaftsbild verbreitet, das eigentlich weder zu unserem Grundgesetz noch zum gesellschaftlichen Konsens passt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir haben an dieser Stelle vor zwei Wochen einen Festakt aus Anlass des 65. Jahrestages der Verkündung des Grundgesetzes mit einer großartigen Rede von -Navid Kermani erlebt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Artikel 1 des Grundgesetzes beginnt mit den Worten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das Bundesverfassungsgericht leitet aus Artikel 1 und aus Artikel 20 des Grundgesetzes ein Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums ab. Ich finde, dieses Grundrecht müssen wir rechtfertigen, verteidigen und den Menschen tatsächlich gewähren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber die Frage der Sanktionen ist nicht nur eine rechtliche Frage. Es geht darum: In welcher Gesellschaft wollen wir tatsächlich leben? Wir Grüne wollen in einer Gesellschaft leben, die inklusiv ist, in der niemand ausgegrenzt wird und in der jeder Mensch ein Recht auf selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe hat. An diesen Maßstäben – Grundrecht auf Existenzminimum und eine gesellschaftliche Realität, die allen selbstbestimmte Teilhabe ermöglicht – messen wir auch die Sanktionen. Wenn wir uns die derzeitige Sanktionspraxis angucken, stellen wir fest, dass die Sanktionen zurzeit diesen Maßstäben nicht genügen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die meisten Sanktionen sind in der Tat demütigend, sie sind häufig unnötig, und sie sind meist auch kontraproduktiv. Deswegen sagen wir: Wir brauchen ein Sanktionsmoratorium. Die Zeit, in der die Sanktionen ausgesetzt werden, sollten wir nutzen, um die Sanktionsregeln so zu ändern, dass sie den Maßstäben des Grundgesetzes aber auch den Maßstäben einer inklusiven Gesellschaft genügen, also Menschen nicht ausgrenzt werden und Teilhabe gefördert wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) An der Stelle eine kleine Anmerkung zu den Vorstellungen der Linken. Ich glaube, man muss auch darüber nachdenken, ob die sofortige Abschaffung aller Sanktionen diesem Anspruch tatsächlich gerecht wird oder ob nicht die komplette Abschaffung der Sanktionen auch dazu führen kann – wohlgemerkt: unter den derzeitigen Bedingungen –, dass Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe und aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Ich stelle das einmal als eine Frage in den Raum, über die man intensiv nachdenken müsste. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Guter -Gedanke!) Was heißt das, wenn wir sagen: „Menschen müssen in die Gesellschaft hereingeholt werden, dürfen nicht ausgegrenzt werden“? Das heißt, wir müssen Barrieren abbauen, wir müssen Hürden abbauen, wir müssen Mauern einreißen, und wir müssen Türen aufschließen, die verhindern, dass Menschen in die Gesellschaft hineinkommen. Die derzeitige Sanktionspraxis schafft das nicht. Zwei Beispiele: Totalsanktion. Dass Menschen eine Leistung komplett verweigert wird, das geht unseres Erachtens nicht. Meines Erachtens ist das auch nicht mit dem vom Verfassungsgericht festgestellten Grundrecht auf Gewährung eines Existenzminimums vereinbar. Dass Menschen gar nichts bekommen, das geht so nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir hatten dazu schon Anhörungen im Ausschuss; da ist dieser Punkt von allen Experten kritisiert worden, auch von den Verfassungsrechtlern. Wir haben jetzt die Bundesregierung einmal gefragt, wie viele Fälle das eigentlich sind. Es sind 9 000 Fälle. Da kann man sagen: Das sind nicht viele. Aber: 9 000 Menschen, denen das Existenzminimum tatsächlich verweigert wird – das müssen wir dringend ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Von diesen 9 000 Menschen sind 5 000 Menschen unter 25 Jahre. Wir finden, gerade bei jungen Menschen muss man darauf achten und ihnen dabei helfen, dass sie in die Gesellschaft hineinkommen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Richtig! Genau so! Ja!) Zweitens. Wir haben besonders scharfe Sanktionsregeln für die unter 25-Jährigen. Das ist von der letzten Großen Koalition eingeführt worden. Auch das wurde von allen Verfassungsrechtlern als problematisch bezeichnet. Insbesondere Altersdiskriminierung ist da ein rechtliches Problem. Diese schärferen Sanktionsregeln für unter 25-Jährige gehören also abgeschafft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Schließlich ist es wichtig, noch einmal die Bedeutung einer Grundsicherung für die Gesellschaft insgesamt zu betonen. Für uns als Freiheitspartei (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Liberale Seite! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) ist es wichtig, dass die Selbstbestimmung der Menschen gewährleistet wird. Zur Selbstbestimmung gehört eine verlässliche Grundsicherung als Existenzsicherung in allen Lebenslagen unmittelbar dazu. Eine stabile Grundsicherung ist die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Für die Sozialdemokraten spricht jetzt die Kollegin Dagmar Schmidt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich zu den Sanktionen direkt komme, möchte ich etwas Grundsätzliches zum Sozialstaatsverständnis sagen, weil Sie diesen Punkt nicht nur in Ihrem Antrag, sondern auch in Ihrer Rede angesprochen haben. Es ist für uns selbstverständlich, dass der Sozialstaat ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern muss. Aber es sollte genauso selbstverständlich sein, dass alle Menschen, die es können, auch ihren Beitrag zur Entwicklung und zum Wohlstand unserer Gesellschaft leisten und sich bemühen, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu verdienen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir sind uns wahrscheinlich einig, dass die ganz große Mehrheit genau das auch möchte. Die Menschen sind unterschiedlich. Sie haben unterschiedliche Voraussetzungen und befinden sich in unterschiedlichen Lebenslagen. Man kann nicht von allen das Gleiche erwarten. Aber dass man etwas von den Menschen erwartet, das hat auch etwas mit Respekt zu tun. Ich will keine Grundsatzdebatte zum bedingungslosen Grundeinkommen führen. Ich will aber ein paar kleine Worte dazu verlieren, weil es in Ihrem Antragstext zumindest angedeutet ist. Chancengleichheit stellt man nicht dadurch her, dass man Menschen bedingungslos alimentiert, sondern durch eine aktive, gute und gerechte Bildungspolitik, die individuell fördert mit Ganztagsschulen und die einen Nachteilsausgleich für sozial Schwächere vorsieht, und durch eine gute Familienpolitik, die Familien mit Zeit, Geld und guter Betreuung unterstützt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Man verändert Arbeitsbedingungen nicht dadurch, dass man alle Menschen alimentiert und eine eigenständige Existenzsicherung überflüssig macht, sondern durch solidarisches gewerkschaftliches Handeln und durch gute gesetzliche Rahmenbedingungen. Einen großen Schritt in die richtige Richtung haben wir gestern mit der Verabschiedung des Tarifpakets bereits gemacht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Statt den Menschen Scheinfreiheit unbegrenzter ehrenamtlicher Arbeit zu geben, wollen wir ihnen die Freiheit geben, durch eigenes Einkommen ihr Leben selber in die Hand zu nehmen. Aus Ihrer Sicht ist Fördern und Fordern Ausdruck eines paternalistischen Sozialstaates, aus unserer Sicht ist es Ausdruck eines emanzipatorischen Sozialstaats. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN) Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe hat für viele Menschen die Tür zu Hilfe und Unterstützung geöffnet. Wir wollen keinen Sozialhilfestaat mehr, der Menschen alimentiert und dann links liegen lässt. Fördern und Fordern heißt: Wir brauchen alle, wir wollen alle, wir erwarten von allen etwas, aber wir geben auch allen Hilfe und Unterstützung. Damit komme ich zu den Sanktionen. Entscheidend dafür, dass es gelingt, Arbeitslose in gute Jobs zu bringen, ist neben dem eigenen Engagement eines jeden Einzelnen – wir lassen da auch keinen raus – all das, was wir zur Förderung und Unterstützung zur Verfügung stellen. „Wir lassen den Einzelnen nicht raus“ heißt aber auch, dass wir Sanktionen nicht grundsätzlich abschaffen wollen. Ob sie in der jetzigen Form aber die Ziele -erreichen, die wir damit erreichen wollen, ist fraglich. Darüber muss geredet werden. Deswegen haben wir gemeinsam im Koalitionsvertrag verabredet, dass wir uns vor allem mit der Überprüfung der Sanktionsregelungen und der Sanktionspraxis für die unter 25-Jährigen beschäftigen wollen. Wir haben darüber hinaus beschlossen, dass wir uns mit den Ergebnissen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Rechtsvereinfachung im SGB II beschäftigen werden, (Katja Kipping [DIE LINKE]: Dann bekommen wir eine Verschärfung!) und zwar dahin gehend beschäftigen werden – das steht auch so im Koalitionsvertrag –, dass wir Verbesserungen sowohl für die Arbeitslosen als auch für die Verwaltung erreichen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Diese Ergebnisse werden bald auf dem Tisch liegen und sicher eine gute Grundlage für eine spannende und heftige Debatte werden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist richtig!) Ich persönlich kann mir vorstellen, dass wir uns an der Stelle vor allem über die Frage der Gleichbehandlung der unter und über 25-Jährigen unterhalten; denn die Unterscheidung in Altersgruppen hat sich weder als gerecht noch als zielführend erwiesen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte an der Stelle der Debatte noch nicht vorgreifen, aber zumindest möchte ich einen kurzen Eindruck davon vermitteln, was nach meinen Vorstellungen noch auf den Tisch kommen müsste. Auch mit der Frage, ob die Sanktionen auf den Bereich der Kosten der Unterkunft ausgedehnt werden sollten, müssen wir uns beschäftigen. Dies ist nämlich ein Punkt, der ganz hart in die Existenz von Menschen eingreift. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir werden uns darüber unterhalten, welche Sanktion wofür angemessen und was an dieser Stelle zielführend ist. Zum Weg in die selbstständige Existenzminderung gehört Förderung genauso wie eigenes Engagement. Es gehört dazu, Erwartungen zu formulieren und sich dann auf Vereinbarungen verlassen zu können. Wenn nicht, dann muss man auch mit Sanktionen rechnen. Das ist in anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht anders. Wer Vereinbarungen, wer Verträge, wer Verabredungen bricht, muss mit Konsequenzen rechnen. Das ist nicht paternalistisch, sondern hat etwas mit einem normalen und respektvollen Umgang miteinander zu tun. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Aber entscheidend ist dabei doch: Handelt es sich um eine Verabredung oder eine Verordnung? Deshalb finde ich andere Fragen viel entscheidender als die Frage der Sanktion. Nehmen wir als erstes Beispiel einmal die Eingliederungsvereinbarung. Ich finde, eine Eingliederungsvereinbarung ist ein Schlüsselinstrument, um Menschen den Weg in den Arbeitsmarkt zu ebnen, und zwar dann, wenn eine echte Verständigung stattfindet, die den Wünschen der Arbeitsuchenden genauso gerecht wird wie sie den realistischen Möglichkeiten entspricht, und sich die Arbeitsuchenden mit ihr auch identifizieren können. Dann ist sie ein Erfolgsinstrument. Aber sind die Voraussetzungen dafür überall geschaffen? Lässt der Betreuungsschlüssel an allen Stellen eine so intensive Betreuung und Beratung zu, dass es wirklich klappt? Stimmt die Chemie zwischen den Beratern und denen, die Beratung wünschen? Was passiert, wenn das nicht der Fall ist? Wer hat dann welche Rechte? Das sind für mich die viel interessanteren Fragen (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und: „Gibt es ausreichend Angebote?“!) als die, ob man grundsätzlich für oder gegen Sanktionen ist. Der zweite Punkt – Sie haben es angesprochen –: Sind die Schriftstücke, die informieren und darüber aufklären sollen, welche Rechte und Pflichten man hat, für alle wirklich immer so verständlich, dass daraus das richtige Handeln resultieren kann? Mit diesen Fragen möchten wir uns gerne in Zukunft beschäftigen. Die Reform des SGB II ist ein steter Prozess. Wir alle haben die Aufgabe, zu überprüfen, ob die angewandten Mittel die bestmöglichen sind, um zu den Zielen zu führen, die wir erreichen wollen. Unser sozialpolitisches Ziel ist es aber eben nicht, Arbeitslosigkeit zu bezahlen und uns mit Ihnen über die Höhe der Transferleistungen zu streiten. Unser Ziel ist es, Menschen in Arbeit zu bringen, und zwar zu guten Bedingungen und so, dass sie sich und ihre Familien ernähren können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die allermeisten Menschen wollen arbeiten und stolz auf das Geschaffene sein. Wir sind der Auffassung, dass „Menschen in Arbeit zu bringen“ Ausdruck eines emanzipatorischen Sozialstaatsverständnisses ist. Wir wollen alles dafür tun, die notwendige Hilfe und Unterstützung zu gewährleisten, auch und gerade für die, die es besonders schwer haben; frei nach Abraham Lincoln: Je schwerer etwas fällt, desto größer die Freude, wenn es uns gelingt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Professor Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katja Kipping [DIE LINKE]: Kommt Lafargue gleich am Anfang Ihrer Rede oder nicht?) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Psalm 127 sagt bekanntlich, dass es unnütz sei, früh aufzustehen und hernach lange zu sitzen, um das Brot mit Sorgen zu essen, denn den Seinen gebe es der Herr im Schlaf. Ich fühle mich ein wenig an diesen Psalm erinnert, wenn wir – nicht zum ersten Mal – auf Antrag der Fraktion Die Linke die Abschaffung von Sanktionen in der Welt der Sozialgesetzgebung debattieren. Ich will an einigen Punkten deutlich machen, warum die biblische Verheißung und die Solidarität in unserer Gesellschaft zwei verschiedene Dinge sind, in der Hoffnung – denn diese stirbt bekanntlich zuletzt –, dass die ganze Debatte ein wenig von der vordergründigen Perspektive der Fairness im Einzelfall auf das Grundsätzliche gestellt werden kann und am Ende die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion, die sich des Themas immer wieder annehmen, das Irrige ihrer Argumentation einzusehen in der Lage sind. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mann, jetzt nicht so poetisch! – Zurufe von der SPD: Oh!) Von der Abschaffung der Sanktionen in der Sozialgesetzgebung, meine Damen und Herren, ist es ein kaum noch wahrnehmbarer Schritt zum bedingungslosen Grundeinkommen. Ich habe sehr wohl wahrgenommen, dass es hierüber in der Fraktion der Linken wie auch bei den Grünen sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Aber ein sanktionsfreies Regime in der Sozialgesetzgebung ist ein bereits auf niedrigem Niveau installiertes Grundeinkommen, das an keine erzwingbaren Bedingungen mehr geknüpft ist. Hiergegen habe ich drei grundsätzliche Einwände. Der erste Einwand ist, dass wir durch ein solches System die Bedingungen von Solidarität selbst untergraben. Solidarität ist ein Sozialprinzip der gesamtschuldnerischen Haftung. Es ist aus dem römischen Privatrecht entlehnt und in der französischen Revolution dann zu einem politischen Prinzip der Gesellschaftsgestaltung umgedeutet worden. Mit anderen Worten: Wir kennen in der Gesellschaft, im Sozialverband das solidarische Eintreten für den Einzelnen, wenn er in Not gerät. Wir kennen hier unbedingte und bedingte Solidaritätspflichten. Unbedingte Solidaritätspflichten sind solche, die nicht auf Gegenseitigkeit beruhen oder beruhen können. Der Mensch, der sich in einer solchen Lage befindet, kann sich aus eigener Kraft und auch mit Hilfe anderer daraus nicht mehr befreien. Er bedarf der dauerhaften Hilfestellung. Anders in Fällen der bedingten Solidaritätspflichten. Hier kann sich der Einzelne selbst oder mit Hilfe anderer aus der Notlage befreien; denn sie ist nicht dauerhaft. Mehr noch: Die Legitimität der gesellschaftlichen Ressource Solidarität ist gerade davon abhängig, dass er dies auch tut, weil er es kann. Solidarität versteht sich hier als Einstehen für andere in unverschuldeten Notlagen, aber nicht als eine dauerhafte Subventionierung der Unwilligkeit, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Mein zweiter Einwand ist, dass damit der Wert von Arbeit selbst diskreditiert wird. Überspitzt formuliert: Wer arbeitet, ist der Dumme; denn es ginge ja auch anders. Das ist im Übrigen auch mein Haupteinwand gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Befürworter rechnen damit, dass sich in der Summe die Anzahl derjenigen, die durch produktive Arbeit ein solches Grundeinkommen finanzieren, nicht verändert. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr Kollege, es geht heute nicht um das bedingungslose Grundeinkommen!) Ich hingegen glaube schon, dass die Anzahl derjenigen, die sich ohne Arbeit auf niedrigerem Niveau einrichten, deutlich ansteigt. Die Finanzierung eines Grundeinkommens lebt damit von Voraussetzungen, die sie selbst untergräbt. Das gilt eben auch für die Überstrapazierung der Solidarität. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Davon steht nichts im Antrag!) Mein dritter Einwand ist, dass damit Menschen nicht mehr als selbstständig wahr- und ernstgenommen werden, sondern zum dauerhaften Objekt staatlicher Betreuung werden. Der enge Zusammenhang von Freiheit und Selbstverantwortung wird aufgelöst. Man kann Freiheit durchaus denken als dauerhafte staatliche Alimentierung, aber das ist ein Freiheitsbegriff, dem die Dimension der Selbstverantwortung fehlt. Aus meiner Sicht – ich glaube, hier spreche ich auch für die Union als Ganzes – verfehlt ein solcher Freiheitsbegriff den Kern der Personalität des Menschen. (Beifall bei der CDU/CSU) Er nimmt den Menschen nicht als mündig wahr. Wäre es nicht Aufgabe einer neuen Aufklärung, den Menschen an seine Mündigkeit zu erinnern und ihn aufzufordern, aus allen Formen der Unmündigkeit sich zu befreien, auch wenn diese noch so benevolent als staatliche Betreuung daherkommt? Damit zusammen hängt ein weiteres Argument. Die Linke behauptet in ihrem Antrag, dass Sanktionen gegen die Würde des Menschen verstoßen. Wenn wir aber Freiheit und Selbstverantwortung ernst nehmen, dann müssen wir auch die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen ernst nehmen. Wir knüpfen Sozialleistungen an Bedingungen und machen dies auch sehr deutlich; der Kollege Weiler hat in seiner Rede davon ja ausführlich gesprochen. Wenn diese Bedingungen wissentlich und willentlich nicht erfüllt werden, und zwar im Wissen um die Konsequenzen, dann ist das mitnichten ein Verstoß gegen die Würde. Es ist Ausfluss der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es verstieße, meine Damen und Herren, meines Erachtens gegen die Würde des Menschen, diese Entscheidungsfreiheit sozialtherapeutisch oder gesellschaftlich aufheben zu wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Hinter dem unscheinbar daherkommenden Antrag der Linken, die Sanktionen in der Sozialgesetzgebung abzuschaffen, verbirgt sich also mehr. Sie, meine Damen und Herren von den Linken, stellen damit in Wahrheit die Grundlagen unserer Wirtschafts- und Sozialordnung infrage, Sie stellen die Systemfrage. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das stimmt nicht! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In dem Antrag bestimmt nicht!) Nicht mehr und nicht weniger hatte ich auch von Ihnen erwartet. Im Wege der heutigen Rede wollte ich Sie wissen lassen: Wir haben es gemerkt und lehnen deshalb Ihren Antrag ab. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist für die Linken die Kollegin Sabine Zimmermann. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Zimmer, es geht in unserem Antrag nicht um das bedingungslose Grundeinkommen. Ich glaube, da haben Sie etwas falsch verstanden; denn beim bedingungslosen Grundeinkommen sollen alle Geld bekommen, egal ob sie arbeiten, ob sie nicht arbeiten, ob sie Millionäre sind oder sonst was. Es geht hier einfach darum, die Aussage von Artikel 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ umzusetzen. Um nichts anderes geht es hier. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, über 1 Million Sanktionen wurden im letzten Jahr wieder gegenüber Hartz-IV-Bezieherinnen und -Beziehern verhängt. Das sind alles Einzelschicksale; davon, wie es diesen Menschen geht, haben die meisten hier im Saal allenfalls eine vage Vorstellung. Wie ist es denn, wenn von einem Betrag, der als Existenzminimum gilt, noch etwas weggenommen wird? Was heißt denn das überhaupt: Leben unterhalb des Existenzminimums? Ich frage Sie hier: Kann man denn mit weniger als dem Existenzminimum überhaupt noch ein Leben in Würde führen? Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich kenne viele Menschen – zum Beispiel Frauen über 50 –, die vor dem Jobcenter stehen, zittern und Angst haben, dort hineinzugehen. Ich habe letztens erst einen alleinerziehenden Mann getroffen, der Aufstocker ist und 150 Euro gestrichen bekommen sollte. Der hat nächtelang davor nicht geschlafen. Wissen Sie, wie es den Kolleginnen und Kollegen geht? (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Warum kriegt er die denn gestrichen?) – Die sollte er ungerechtfertigerweise gestrichen bekommen, das ist dann später herausgekommen, was ich richtig finde. Danach konnte der Kollege wieder richtig schlafen. Vorher hatte er nur noch 700 Euro verdient und konnte sein Kind nicht mehr ernähren. Das war nämlich das ganze Problem dabei. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit den Sanktionen sollen – so das angebliche Ziel – Erwerbslose dazu angehalten werden, sich um Arbeit zu bemühen. Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen sagen, dass das ziemlicher Unsinn ist. Ich will es Ihnen auch belegen. Vor etwas längerer Zeit hat die Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld-II-Bezieher befragt. Danach stimmten 76 Prozent der Aussage zu: Arbeit zu haben ist das Allerwichtigste im Leben. 86 Prozent erklärten sogar: Arbeit ist wichtig, weil sie einem das Gefühl gibt, dazuzugehören. Meinen Sie wirklich, diesen Arbeitslosen müsste man noch mit Sanktionen drohen, damit sie sich um Arbeit bemühen? – Ich glaube das eher nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Denn sie bewirken zudem das Gegenteil: Sie entmutigen die Betroffenen, und das kann so weit gehen, dass manche den Kontakt zu den Jobcentern total abbrechen. Sie fördern keine Motivation, im Gegenteil, sie machen sie kaputt. Und das, meine Damen und Herren, ist Ihre Politik. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Warum das alles? – Die Antwort ist einfach. Sanktionen drangsalieren nicht nur Erwerbslose, sie zwingen auch dazu, schlechte, unsichere Jobs anzunehmen. Damit üben Sie auch Druck auf die Löhne aus. Erwerbslose im Hartz-IV-System sind bei der Jobsuche meist zu Zugeständnissen bereit. Meine Kollegin Katja Kipping hat es gesagt. Dazu sagt auch die erwähnte Befragung der Agentur für Arbeit: acht von zehn Hartz-IV-Beziehern sind bereit, eine Arbeit unterhalb ihrer Qualifikation anzunehmen. Zwei Drittel würden ungünstige Arbeitszeiten in Kauf nehmen und knapp die Hälfte ein geringeres Einkommen. Dass Sanktionen dazu führen, jede x-beliebige Arbeit anzunehmen, zeigt auch eine aktuelle Studie des Arbeitsministeriums aus Nordrhein-Westfalen. Dort heißt es: Harte Sanktionen führen häufig nicht zu einem „kontinuierlichen Beschäftigungsverhältnis“, sondern nur zu einer „kurzfristigen Beschäftigung zur Verbesserung der finanziellen Situation“. Wenn Sie glauben, dass ohne Sanktionen Erwerbslose zumutbare Arbeit ablehnen würden, dann muss ich Ihnen sagen, dass nur jede achte Sanktion zustande gekommen ist, weil Arbeit, Ausbildung oder eine Maßnahme abgelehnt oder abgebrochen wurden. Wenn Sie sich diese Fälle einmal ganz genau anschauen, dann erkennen Sie, dass in vielen Fällen Erwerbslose missbraucht und ihre Rechte mit Füßen getreten werden. Das ist der Ist-Zustand. Aber Sanktionen sind nicht nur ein Problem der Erwerbslosen. Wer einmal Betriebe besucht hat, die in wirtschaftlich schwierigen Situationen stecken, weiß, welches Drohpotenzial auch Arbeitgeber damit besitzen, welche Angst unter den Kolleginnen und Kollegen geschürt wird, auf Lohn zu verzichten, damit sie nicht in kürzester Zeit in Hartz IV landen; das will nämlich keiner. Auch der DGB merkte erst kürzlich in einer Stellungnahme zu den Sanktionen an, mit Hartz IV und anderen Maßnahmen der Hartz-Gesetze sollte erklärtermaßen der Niedriglohnbereich ausgebaut werden. – Das, meine Damen und Herren, ist Ihnen wirklich gelungen. Deutschland hat nach Litauen den zweitgrößten Niedriglohnsektor Europas. Sogar die internationale Wirtschaftsorganisation OECD hat die Bundesregierung -inzwischen aufgefordert, das Problem des Niedriglohnbereichs zu bekämpfen. Das geht nicht, wenn man Hartz IV außen vorlässt. Nach den derzeitigen Mindestlohnplänen sollen die Langzeitarbeitslosen – das sind 1,1 Millionen Menschen – für Löhne unterhalb des vorgesehenen Mindestlohns von 8,50 Euro arbeiten. Für uns gilt aber auch hier das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition und hier insbesondere von der SPD, wenn es Ihnen wirklich ernst damit ist, Niedriglöhne zu bekämpfen und für gute Arbeit zu sorgen, kommen Sie nicht daran vorbei, die Sanktionen abzuschaffen. Das liegt im gemeinsamen Interesse der Erwerbslosen und der Beschäftigten. Die Linke bleibt dabei – jetzt, Frau Pothmer, kommt mein Satz –: Hartz IV muss weg, und auch das Sanktionssystem muss weg. Es ist nichts anderes als ein Programm zur Drangsalierung der Erwerbslosen und zur Disziplinierung der Beschäftigten. Wir brauchen eine sanktionsfreie, armutsfeste Mindestsicherung. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege Matthias Bartke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Bartke (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines vorweg: Die überwältigende Mehrheit der Hartz-IV-Empfänger ist gesetzestreu. Es gibt unzählige Gründe, warum man in den Hartz-IV-Bezug gelangen kann: Verwerfungen am Arbeitsmarkt, Betriebsschließungen und persönliche Schicksalsschläge. Nur einen Grund gibt es fast nie: Unlust oder Faulheit. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Es ist wichtig, dies zu Beginn zu betonen; denn man hat in der Debatte über Leistungsmissbrauch zuweilen den Eindruck, dass ein signifikanter Anteil der Hartz-IV-Empfänger Leistungsmissbrauch betreibt. Ich sage Ihnen: Das stimmt nicht; das ist nicht zutreffend. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Von Sanktionen sind nach Angaben des IAB im Laufe der Zeit gerade einmal 5 Prozent der Leistungsbezieher betroffen, und die ganz häufig nur wegen Meldeversäumnissen; das wurde eben schon gesagt. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist dann aber doch trotzdem ein Problem!) Dennoch sind Sanktionen im System des SGB II unerlässlich. Grundsätzlich muss man sich vor Augen führen, dass es sich bei Hartz-IV-Leistungen um Steuergelder handelt, die von anderen Menschen hart erarbeitet worden sind. Gerade die wenig verdienenden Menschen sind es, die in der Regel am wenigsten Verständnis dafür haben, wenn Menschen nicht alles daransetzen, aus dem Leistungsbezug wieder herauszukommen. Der richtige Grundgedanke, der hinter dem Sanktionskonzept steht, ist der Ansatz der fordernden Aktivierung. Damit soll sichergestellt werden, dass die Leistungsberechtigten mit den Jobcentern kooperieren, und es sollen dadurch Bewerbungsaktivitäten und die Annahme von angebotenen Stellen gewährleistet werden. Wenn man arbeitslos und bedürftig ist und kein ALG I erhält, bekommt man ALG II. Man muss dafür nicht arbeiten; das liegt in der Natur der Sache. Aber man muss schon die Auflagen des Jobcenters erfüllen. Das ist die Gegenleistung für staatliche Unterstützung, und das ist, mit Verlaub, auch richtig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht der Grundsatz!) Die Linke fordert in ihrem vorliegenden Antrag, bei Fehlverhalten von Leistungsbeziehern komplett auf Sanktionen zu verzichten. Das, meine Damen und Herren, ist ein weitgehender Schritt in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen: (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Zurufe von der LINKEN) Man muss keine Leistung erbringen, man muss keine Auflagen erfüllen, und man muss nicht arbeiten, aber Geld vom Staat bekommt man trotzdem. Meine Damen und Herren, das geht nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die Große Koalition ist ohne Wenn und Aber gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen, und ich war bisher davon ausgegangen, dass es auch bei der Linken differenziert betrachtet wird. In Ihrem Wahlprogramm fordern Sie noch eine Enquete-Kommission dazu; (Katja Kipping [DIE LINKE]: Die haben wir immer gefordert!) nun fordern Sie aber die völlige Abschaffung der Sanktionen im SGB II. Damit setzen Sie einen Kurs fort, den Sie mit der ziemlich populistischen Kampagne von Inge Hannemann zum bedingungslosen Grundeinkommen begonnen haben. (Zurufe von der LINKEN) Ich kenne Frau Hannemann; sie kommt aus meinem Wahlkreis. Ich sage Ihnen: Sie ist zweifellos eine kluge Frau, die mit ihrer Kritik in vielen Einzelpunkten recht hat; nur sind die Handlungskonsequenzen – so ist das häufig bei Kritikern – nicht zu Ende gedacht. Meine Damen und Herren von der Linken, in Ihrem Antrag fordern Sie die Totalabschaffung aller Sanktionen im SGB II. Damit hat sich bei Ihnen in dieser zentralen Frage der populistische Flügel durchgesetzt. Ich bedaure das sehr. Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Das heißt im Umkehrschluss aber keineswegs, dass wir das Sanktionssystem in seiner jetzigen Form gutheißen. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Da sind wir ja mal gespannt!) Es ist nicht gut; es ist zu kompliziert, es ist intransparent, und es wird von vielen Betroffenen als Schikane empfunden. (Zuruf von der LINKEN: Das ist wohl wahr!) Besonders das verschärfte Sanktionssystem gegen Jugendliche geht gar nicht. Verstöße von Jugendlichen gegen Auflagen der Jobcenter werden stärker geahndet als die von Erwachsenen. Das ist eine Verdrehung der tatsächlichen Notwendigkeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eine Streichung sämtlicher ALG-II-Leistungen inklusive aller KdU-Leistungen ist bei Jugendlichen deutlich schneller möglich als bei Erwachsenen. Das setzt häufig eine Abwärts- und Verschuldungsspirale in Gang, die niemand wollen kann. Sogar das IAB hat kürzlich festgestellt, dass das zutiefst problematisch ist. Selbst im Strafrecht werden Jugendliche milder behandelt als Erwachsene. Dabei stehen pädagogische Erwägungen im Vordergrund. Solche Erwägungen müssen auch im SGB II stärker zum Tragen kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das vorhin schon von Ihnen zitierte Institut für Sozial- und Gesellschaftspolitik hat dazu festgestellt: Je höher die Sanktionen bei Jugendlichen, desto stärker schwindet ihr Vertrauen in die Berater. Das ist ja auch kein Wunder. Das Sanktionssystem des SGB II, insbesondere das für Jugendliche, gehört auf den Prüfstand. Das hat die Große Koalition daher auch in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Rechtsvereinfachung im SGB II“ hat sich dieses Auftrags angenommen. Vorgestern haben wir im Ausschuss erfahren, dass sich die Arbeitsgruppe auf der Zielgeraden befindet. Wir werden also in Kürze mit Ergebnissen rechnen können. Es ist geplant, dass die notwendigen SGB-II-Änderungen spätestens im kommenden Frühjahr im Bundesgesetzblatt stehen werden. Das Sanktionssystem für Erwachsene wird vereinfacht und transparenter, und das Sanktionssystem für Jugendliche wird völlig geändert. Ich sage: Je schneller das passiert, desto besser. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Na, wir werden nachfragen!) Meine Damen und Herren, ich komme aus Hamburg. Wir haben dort das System der Jugendberufsagenturen entwickelt. Ein Bestandteil dieses Systems ist, dass wir immer wieder auf Jugendliche zugehen. Wir sorgen so dafür, dass keiner von ihnen verloren geht. Das, was die Hamburger Jugendberufsagenturen machen, hat der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz einmal fürsorgliche Belagerung genannt. Ich sage Ihnen: Eine solche fürsorgliche Belagerung ist viel wirksamer als Sanktionen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist daher gut, dass die Große Koalition die bundesweite Einführung der Hamburger Jugendberufsagenturen im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat. Unterm Strich lässt sich festhalten: Erstens. Die ganz überwältigende Mehrheit der Hartz-IV-Empfänger verhält sich rechtskonform. Zweitens. Das von der Linken geforderte weitgehend bedingungslose Grundeinkommen ist ein gesellschaftlicher und politischer Irrweg. (Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD] – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die fordern das gar nicht!) Drittens. Das gesamte Sanktionsregularium im SGB II bedarf dringend der Überarbeitung, insbesondere hinsichtlich der unter 25-Jährigen. Viertens. Die GroKo ist dabei. Wir liefern. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Dr. Bartke, vielen Dank. – Es spricht jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Weiler ist leider schon gegangen, aber ich möchte trotzdem das Argument, das er hier vorgebracht hat, aufgreifen. Herr Weiler sagte: Wo ist eigentlich das Problem? Es sind doch sowieso nur 3 Prozent aller Arbeitslosen von Sanktionen betroffen. – Das zeigt, dass er die Wirkung von Sanktionen total verkennt; denn wenn 3 Prozent sanktioniert werden, erleben 97 Prozent der Betroffenen die Sorge, ebenfalls von Sanktionen betroffen zu werden. Sanktionen wirken weit über die Gruppe hinaus, die von ihnen unmittelbar betroffen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Trotzdem sage ich an dieser Stelle – Herr Strengmann-Kuhn hat es schon angedeutet –: Die Grünen sind ausdrücklich nicht grundsätzlich und in jedem Fall gegen Sanktionen. Wir stehen zu dem Prinzip „Solidarität ist keine Einbahnstraße“. Da, wo es möglich ist, müssen diejenigen, die Solidarität erfahren haben, im Rahmen ihrer Möglichkeiten etwas zurückgeben. Das finden wir richtig. Aber dafür müssen die Voraussetzungen stimmen, und die Voraussetzungen stimmen ausdrücklich nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sanktionen können nicht nach dem Prinzip „Vogel friss oder stirb“ ausgesprochen werden. Herr Zimmer, wir haben die Situation – das können Sie mir glauben; denn ich bin wirklich Handlungsreisende in Sachen Jobcenter –, dass Arbeitslose jeden Job annehmen müssen, dass sie jede ihnen angebotene, auch jede unsinnige, Maßnahme annehmen müssen. Das ist aus meiner Sicht ein Verstoß gegen die Würde. Ich finde, das geht gar nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn immer sofort mit der Keule der Sanktionen gedroht wird, dann ist das ebenfalls ein Angriff auf die Würde. Frau Schmidt, Sie haben hier zu Recht gesagt, dass es um Fordern und Fördern geht. Aber finden Sie nicht auch, dass die Balance zwischen Fordern und Fördern, die herzustellen wir den Menschen versprochen haben, nie da war und dass das Verhältnis zwischen Fordern und Fördern im Laufe der Jahre sogar vollständig aus den Fugen geraten ist? Ich finde, an der Stelle ist es der Staat, der nicht vertragstreu ist, es sind nicht die Arbeitslosen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Mittel der Arbeitsförderung sind auf der einen Seite immer weiter gekürzt worden. Auf der anderen Seite sind die Sanktionen, insbesondere für die unter 25-Jährigen, verstärkt worden. Das ist auch der Grund dafür, dass dieses Hartz-IV-System in der gesamten Gesellschaft, aber in besonderer Weise von den Arbeitslosen als ein sehr repressives System wahrgenommen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, daran ändert die Abschaffung aller Sanktionen schlicht gar nichts. Dadurch bekommt kein einziger Arbeitsloser wieder einen Job. Dafür brauchen wir tatsächlich ganz andere Jobcenter. Wir müssen die Jobcenter umbauen in Servicecenter für Arbeitslose, aber auch in Servicecenter für Beschäftigte, die zum Beispiel nach einer neuen beruflichen Perspektive suchen. Wir brauchen Jobcenter, in denen diejenigen, die vor dem Schreibtisch sitzen, und diejenigen, die hinter dem Schreibtisch sitzen, tatsächlich auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Obrigkeitsstaatliches Verhalten darf da keine Rolle spielen. Wir haben, Herr Zimmer, nach wie vor ein asymmetrisches Machtverhältnis zwischen den Jobcentern und den Arbeitslosen. Immer noch kommen sich die Arbeitslosen in den Jobcentern wie Bittsteller vor. Deswegen müssen wir die sozialen Bürgerrechte dringend stärken, und wir müssen die Zumutbarkeitsregelungen ändern. Daran führt kein Weg vorbei, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) jedenfalls dann nicht, wenn wir wirklich die Potenziale der Arbeitslosen heben wollen. Wenn wir Arbeitslose nachhaltig in Arbeit bringen wollen, dann geht das nicht mit Drohungen, sondern nur dann, wenn Arbeitslose auch mitarbeiten, wenn ihre Ideen und ihre Vorstellungen in diesen Prozess einbezogen werden, wenn sie auch einmal Nein sagen können, wenn sie eine echte Wahlmöglichkeit haben. Ich sage Ihnen noch etwas: Natürlich gibt es auch Situationen, in denen ein Arbeitsloser und ein Fallmanager sich so ineinander verhaken, dass es nicht weitergeht. In diesem Fall müssen Arbeitslose sich einen anderen Fallmanager suchen können; da muss es eine Wechselmöglichkeit geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich plädiere im Übrigen dafür, dass wir in allen Jobcentern Ombudsstellen einrichten. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ein guter Punkt!) Ich prognostiziere Ihnen: Das wird die Zahl der Klagen, die es derzeit vor den Arbeitsgerichten gibt, exorbitant reduzieren. Das lohnt sich also in jeder Hinsicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, es geht um weniger Bürokratie und mehr Freiheit. Es geht um qualifiziertes Personal. Es geht um bessere und individuelle Förderung. Am Ende geht es tatsächlich auch um mehr Geld. Solange diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, solange wir diese Arbeitssituation in den Jobcentern haben, wie sie sich derzeit leider immer noch darstellt, so lange wollen wir ein Sanktionsmoratorium. Wenn die Bedingungen sich bessern, dann muss es, finde ich, tatsächlich ein Projekt auf Gegenseitigkeit werden. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Weder ja noch nein! Enthaltung! Typisch Grün! Lauwarm!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege Matthäus Strebl. (Beifall bei der CDU/CSU) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über den Antrag „Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen“ der Linken. Um es gleich vorwegzusagen: Die vornehmste Aufgabe des deutschen Sozialstaats ist es, einen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, der nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten, finanziell zu unterstützen. An dieser Aufgabe werden wir nach wie vor festhalten. Jedem kann es passieren, dass er unverschuldet in eine Notlage gerät, und dann sollte er nicht allein zurückgelassen werden und nicht sich selbst überlassen werden. Wenn wir uns jetzt mit dem Kapitel 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch befassen, müssen wir uns die Stichwörter Fördern und Fordern als grundlegende Maßstäbe vergegenwärtigen. Neben ihrer Regelleistung, den Kosten für Unterkunft und Heizung, können Bezieher von Arbeitslosengeld II weitere Unterstützung erhalten. Ich nenne hier Qualifizierungsmaßnahmen, Umschulungen, finanzielle Unterstützung beim Umzug oder beim Führerschein und Coaching. Dies sind nur einige der vielen Maßnahmen, die bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt helfen. Aber wir müssen uns auch dem Stichwort Fordern widmen. Dabei müssen wir uns vor Augen halten, dass das Arbeitslosengeld II nur eine temporäre Unterstützung sein sollte und nicht zur Dauerleistung im Sinne einer Bürgerrente oder ein bedingungsloses Grundeinkommen werden darf. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, darin unterscheiden wir uns von der Antragstellerin. Der Arbeitslosengeld-II-Bezieher wird aktiv gefordert, seine Hilfsbedürftigkeit zu beenden. Allein gelassen wird er dabei auch nicht. Unterstützung erhält er zum Beispiel durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Jobcentern und den Trägern. Dafür muss er Meldetermine in den Jobcentern wahrnehmen. Nur in einem persönlichen Gespräch können Qualifizierungsmöglichkeiten oder Stellenausschreibungen angeboten werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bemüht, Meldeversäumnisse zu verhindern. Ein neuer Weg ist zum Beispiel die kostenlose Erinnerung per SMS durch das Jobcenter einen Tag vor dem Termin. Allein im März dieses Jahres wurden fast 500 000 SMS an Arbeitslosengeld-II-Bezieher versandt. Diese Zahl ist bezeichnend. Mit jeder Einladung zu einem Meldetermin erhält der Arbeitslose auch eine Rechtsfolgenbelehrung für den Fall, dass er nicht zum Termin erscheint. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Richtig!) Außerdem erfolgt bei Nichterscheinen nicht gleich eine Kürzung der Leistung. Der Arbeitslose erhält zunächst die Möglichkeit einer Anhörung mit einer erneuten Rechtsfolgenbelehrung. Ihm bleibt somit offen, die Entschuldigungsgründe zu benennen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, entgegen der weitverbreiteten Auffassung werden Sanktionen nicht willkürlich und plötzlich erlassen. Liegt kein wichtiger Grund vor und die Sanktion wird erlassen, hat das nicht zur Folge, dass der Arbeitslose keine Unterstützung mehr bekommt. Er kann dann immer noch ergänzende Sachleistungen beantragen. Außerdem kann von dem Leistungsbezieher erwartet werden, dass er alles Mögliche unternimmt, um sich aus dem Leistungsbezug zu lösen. Dazu gehört eben auch, dass man sich eine Arbeit sucht, die nicht immer den eigenen Fähigkeiten oder Vorlieben entspricht. Aber auch hier werden Grenzen der Zumutbarkeit nach § 10 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch beachtet. Jeder Leistungsbezieher hat die Möglichkeit, zunächst eine nicht so beliebte Tätigkeit aufzunehmen, sich aber trotzdem weiterhin auf andere Jobs zu bewerben. Somit kann eine Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit verhindert werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Tätigkeit ist zum Beispiel dann nicht zumutbar, wenn jemand körperlich dazu nicht in der Lage ist oder wenn durch die Ausübung der Arbeit die Erziehung des Kindes gefährdet wäre. Entgegen der Auffassung der Linken teilen wir die Ansicht, dass Sanktionen weder gegen das Grundrecht der Berufswahlfreiheit noch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoßen. Auch bleibt es mir unverständlich, welchen Weg die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter wählen sollen, wenn sich diejenigen, die Leistungen beziehen, jeglicher Mitwirkung entziehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei aller Kritik, meine sehr verehrten Damen und Herren, die an den Sanktionen geäußert wird, darf eines nicht vergessen werden: Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch sind steuerfinanzierte Leistungen, die von der Allgemeinheit aufgebracht werden. Die Allgemeinheit kann erwarten, dass jemand, der vorsätzlich und in Kenntnis aller Rechtsfolgen nicht dazu beiträgt, seine Hilfsbedürftigkeit zu überwinden, mit Konsequenzen rechnen muss. Das ist auch die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, die Regelungen und auch die Praxis der Sanktionen im SGB II auf ihre Wirkung zu überprüfen. Dieser Aufgabe werden wir uns effizient widmen. Wir wollen im Herbst erste Ergebnisse vorlegen. Zusammenfassend kann zum Schluss gesagt werden: Im Ergebnis halten wir an Sanktionen und Leistungseinschränkungen im Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch fest. Wir werden deshalb den Antrag der Linken ablehnen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege Strebl. – Für die Sozialdemokraten spricht jetzt die Kollegin Daniela Kolbe. (Beifall bei der SPD) Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, über Sanktionen zu sprechen, ist mehr als sinnvoll. Immerhin sprechen wir auch über einen zum Teil sehr massiven Eingriff in das Leben von Menschen. Deshalb lohnt die Reflexion darüber, auch als Gesetzgeber, ob wir mit dem Sanktionsregime, das wir installiert haben, die Ziele wirklich in dem Maße erreichen, wie wir uns das vorstellen. Auch deshalb gibt es derzeit eine Bund-Länder-Kommission mit dem Titel – ob er eingängig ist, darüber kann man sich streiten – „Rechtsvereinfachung im SGB II“. Diese Kommission beschäftigt sich auch mit dem Thema Sanktionen. Wir haben am Mittwoch im Ausschuss für Arbeit und Soziales einen ersten Zwischenbericht gehört, der sich aus meiner Sicht sehr positiv anlässt. Allerdings wird dort nicht die Abschaffung aller Sanktionen gefordert oder vorgeschlagen, und das ist auch gut so. Sehr wohl aber deutet sich an, dass die verschärften Sanktionen gegenüber U25, also unter 25-Jährigen, kritisch gesehen werden. Das sehen wir als Sozialdemokraten ähnlich. Es gibt aus meiner Sicht keine wirklich guten Gründe, warum unter 25-Jährige härter bestraft werden sollten als Ältere. Ich finde auch, dass dies Sanktionen als erzieherische Maßnahme ein ganzes Stück überbewertet. Ich bezweifle, dass möglichst scharfe Sanktionen dazu führen, dass sich bei jungen Erwachsenen Verhaltensänderungen einstellen oder dadurch gar eine Nachsozialisation möglich wird. Scharfe Sanktionen sind dann womöglich gerade eine Maßnahme, die Türen nicht öffnet, sondern zuschlägt. Die verschärften Sanktionen haben zudem oft krasse Auswirkungen auf das reale Leben der Betroffenen. Sie stehen häufig von einem Tag auf den anderen ohne Ressourcen für alltägliche Dinge da. Die verschärften Sanktionen widersprechen auch dem gesellschaftlich eigentlich weitverbreiteten Ansatz, dass Menschen am Anfang ihrer Berufskarriere eher eine zweite Chance verdient haben, als sofort abgestraft zu werden. Deswegen finde ich den Ansatz der Bundesregierung richtig, einen anderen Weg zu wählen, nämlich diese jungen Menschen gezielt zu fördern und eine viel stärkere Betreuung durch die Behörden zu organisieren. Wir orientieren uns dabei an den sehr guten Erfahrungen, die unter SPD-Führung in Hamburg gemacht wurden, und an den dort sehr erfolgreich erprobten Jugendberufsagenturen. Dort gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Behörden, die damit zu tun haben: zwischen Jugendämtern, Schulen, Jobcentern, Arbeitsagenturen und vielen anderen mehr. Ziel ist ganz klar: Niemand soll durchs Netz fallen, weder nach der Schulzeit noch dann, wenn es mit der Ausbildung schiefgegangen ist und man sie abgebrochen hat, noch nach Beendigung einer Ausbildung. Niemand soll also durchs Netz fallen. Das ist genau der richtige Ansatz. (Beifall bei der SPD) Im besten Fall führt das dazu, dass die jungen Menschen die Behörden eben nicht mehr als Gegner, wie es manchmal mitunter der Fall ist, sondern als Partner wahrnehmen. Uns als Sozialdemokraten erscheint es zielführender, genau diesen Zustand zu erreichen. Sanktionen sind allerdings grundsätzlich notwendig. Wir lehnen die radikale Abschaffung aller Sanktionen ab. Oft wird in diesem Zusammenhang von den Gegnern der Sanktionen eine Studie aus NRW ins Feld geführt – die ich übrigens sehr interessant finde –, die auch im Antrag erwähnt ist. Man sucht sich aus Studien ja immer gerne das heraus, was passt. Es stehen aber auch einige andere Aspekte darin, zum Beispiel, dass die Tatsache, dass Leistungen des Staates an bestimmte Pflichten gebunden sind, auch bei den Betroffenen auf Zustimmung stößt und dass der überwiegende Teil der Betroffenen weiß, warum eine Sanktion gegen ihn oder sie ergangen ist. 80 Prozent der Betroffenen haben zudem auch die Rechtsschutzbelehrung verstanden. Sie wissen also, welche Folgen ihr Handeln hat. Am wichtigsten finde ich: Es gibt ein grundsätzliches Verständnis der Betroffenen dafür, dass es Sanktionen gibt und warum es sie gibt. Wir halten Sanktionen als grundsätzlich vorhandenes Mittel für notwendig, und daran werden wir als SPD auch weiter festhalten. Trotzdem sagen wir ganz klar: Veränderungen in diesem Bereich sind notwendig. Gerade wenn es um den KdU-Bereich – Wohnung, Miete, Heizung – geht, sind Sanktionen oft kontraproduktiv. Wenn jemand erst einmal obdachlos geworden ist, sind viel größere Maßnahmen und Ressourcen notwendig. Ganz grundsätzlich halte ich noch einmal fest: Zielstellung ist, dass die Jobcenter als Partner gesehen werden. Dazu gehört, dass die Jobcenter die Kundinnen und Kunden als individuelle Personen wahrnehmen können und wahrnehmen. Das wird zunehmend schwieriger. Ich will noch einen Aspekt einführen, der noch gar nicht richtig zur Sprache gekommen ist. Wir erleben auch eine Veränderung bei den Arbeitsuchenden. Ein immer größerer Anteil der Kundinnen und Kunden der Jobcenter ist durch wirklich große Schwierigkeiten belastet und hat es auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer. Das hat unterschiedlichste Gründe: persönliche Gründe, gesundheitliche Gründe, psychologische Schwierigkeiten, Suchtprobleme, Verschuldung. Ich denke, dass wir alle mit unserem gesunden Menschenverstand sagen: Bei dieser Klientel ist einfach nur ein Mehr an Sanktionen womöglich nicht der richtige Weg; vielmehr sind hier Verbesserungen in ganz anderer Weise vonnöten. Ich rede allerdings nicht von der Abschaffung von Sanktionen, sondern es geht zum Beispiel darum, eine bessere Betreuung durch einen besseren Betreuungsschlüssel zu organisieren. Die Jobcenter müssen in der Lage sein, auf jeden Einzelnen wirklich individuell zugehen zu können. Dazu brauchen sie die notwendigen Ressourcen, aber sicherlich auch die richtige Grundhaltung, um jeden, der kommt, als Individuum zu betrachten. Daneben brauchen wir eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Träger in diesem Bereich usw. usf. Zum Schluss will ich sagen: Das ist ein sehr wichtiges Thema. Reformen sind nötig, allerdings keine pauschale Ablehnung von Sanktionen. Insofern lehnen wir an dieser Stelle nur Ihren Antrag pauschal ab. Wir werden die Diskussionen anhand eines Gesetzentwurfs, der noch vorgelegt wird – wir haben die Bund-Länder-Kommission ja nicht zum Spaß eingesetzt –, fortsetzen. Nach der Sommerpause werden wir dann viel Gelegenheit haben, miteinander zu diskutieren. Ich freue mich darauf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Christel Voßbeck-Kayser, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eigentlich schon alles gesagt worden, nur noch nicht von mir. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Vielleicht ist es ja auch gut, einmal aus NRW-Sicht über dieses Thema zu reden. Bis September letzten Jahres habe ich fast 30 Jahre lang im Sozialpsychiatrischen Dienst gearbeitet – auch in Zusammenarbeit mit den Jobcentern. Ich fühle mich durch Ihren Antrag, Kolleginnen und Kollegen der Linken, schon auch angegriffen und verärgert. Die Arbeit, die in den Jobcentern von den Mitarbeitern geleistet wird, finde ich hier nicht ausreichend gewürdigt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das sind alles Theoretiker! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Dazu habe ich gar nichts in meiner Rede gesagt! Das ist eine Unverschämtheit!) Ich habe in den letzten Wochen öfter hier gestanden und habe auch immer wieder negative Äußerungen gehört. Alles wird kaputtgeredet. Das ist wieder Stimmungsmache vor anstehenden Landtagswahlen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping? Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Nein, ich würde gerne meine Rede zu Ende führen. Vielleicht erledigt sich die Frage dann von selbst. Zur Sache. Die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II basiert auf dem Solidaritätsprinzip. Dieses Prinzip unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens hat sich seit Jahrzehnten bewährt. Das ist kein einseitiges System, keine Einbahnstraße. Jedes Mitglied in unserer -Gesellschaft hat Rechte und Pflichten. Ja, in der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II sind Einschränkungen aufgeführt. Aber es kann und wird abgewogen. Es wird nicht willkürlich gekürzt. Es gibt unterschiedliche zeitliche Abläufe, es gibt auch unterschiedliche -finanzielle Abstufungen. Die Möglichkeit, Leistungen zu mindern, ist sehr wohl ein arbeitsmarktpolitisches Instrument. Es ist auch ein pädagogisches Instrument. Mir haben in meiner beruflichen Tätigkeit viele Kunden rückgemeldet: Ja, die Kürzung war ein Schock. Sie hat wehgetan. Aber sie hat mich auch wachgerüttelt. – Die Kürzung entmutigt nicht, und die Menschen werden auch nicht alleine gelassen. Das Beratungs- und Hilfesystem in Deutschland ist mit eines der größten. Wer will, kann sich mit den Mitarbeitern ein entsprechendes Beratungssystem aussuchen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Studie des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ist schon genannt worden. Es wird darin eindeutig aufgezeigt, dass eine Kürzung, die dazu dient, Fehlanreizen im System der Arbeitslosenversicherung entgegenzuwirken, als Maßnahme sehr wohl Früchte trägt und als Sanktion dazu führt, dass die Leute in die Gänge kommen. Somit ist Ihre Aussage widerlegt, dass Sanktionen nicht zu Verhaltensänderungen führen würden. Sie tun es sehr wohl. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber oft in die falsche Richtung!) Damit die zur Verfügung stehenden Arbeitsmarkt-instrumente, die den Jobcentern zur Verfügung stehen, Wirkung zeigen können, bedarf es nun einmal eines regelmäßigen Kontaktes zwischen den Leistungsbeziehern und den Jobcentermitarbeitern, sonst können die eingesetzten Maßnahmen nicht wirken. Leistungsempfänger erhalten nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern sie werden auch aktiv unterstützt. Diese aktive Unterstützung heißt Fallmanagement; darüber haben wir uns gestern im Rahmen einer Debatte zu diesem Thema ausgetauscht. Hier sitzen die Mitarbeiter der Jobcenter mit Mitarbeitern der Beratungsstellen – ich kann Ihnen das, wie gesagt, aus meinem eigenen Erleben und aus meiner beruflichen Tätigkeit versichern – zusammen und suchen gemeinsam nach dem richtigen Instrument für die Zusammenarbeit mit den Kunden. Im Rahmen des Fallmanagements, der aktiven Unterstützung, gibt es verschiedene Formen. Es gibt die Qualifizierung und Unterstützung zur Eingliederung, sei es ein Bewerbungstraining, sei es eine fachspezifische Weiterbildung, seien es Arbeitsgelegenheiten in unterschiedlichen Gewerken zur Berufsorientierung. Die Sanktionen wegen Meldeversäumnissen – der häufigste Grund für Sanktionen – sind angesprochen worden. Seit dem vergangenen Jahr versenden die Jobcenter Termin-SMS. Von Januar bis Oktober letzten Jahres waren das 430 000 Termin-SMS. Ich frage Sie, Kolleginnen und Kollegen: Welcher Arbeitnehmer erhält diese Form der Unterstützung von seinem Arbeitgeber? (Beifall bei der CDU/CSU) Wie gesagt, die Personen mit Vermittlungshemmnissen, die wirklich auf Unterstützung angewiesen sind, bekommen diese Unterstützung auch. Ich kann doch nicht sagen: Es gibt in Deutschland kein Hilfe- und Fürsorgesystem. – Die Sache ist eher die: Ich muss dort hingehen. – Darüber hinaus wird auch aufsuchende Hilfe geleistet. Es werden nicht einfach Sanktionen ausgesprochen und dann, plumps, steht auf einmal keiner mehr als Ansprechpartner zur Verfügung. Das ist Unsinn. Das stimmt so nicht. Das Prinzip des Förderns und Forderns, insbesondere das Prinzip des Förderns, habe ich anhand der gerade genannten Beispiele sehr deutlich gemacht. Aber es darf doch auch gefordert werden, dass eine Person mithilft, die eigene Situation nach ihren Möglichkeiten zu verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie die Abschaffung von Sanktionen fordern, dann erklären Sie uns bitte, was Sie einer Krankenschwester, einem Handwerker oder einem Fabrikarbeiter sagen und damit all denen, die jeden Tag frühmorgens aufstehen, zur Arbeit gehen, ihrer Arbeit nachgehen und vielleicht auch noch zwischendurch Familienmanager sind, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kriegen häufig selber Hartz IV und sind von Sanktionen bedroht! Was für ein blödes Argument!) also Kinder zur Kita, zur Schule, zu Freunden, zum Kinderarzt oder zum Vereinssport bringen, und die hart für ihren Beitrag zur Sozialversicherung arbeiten. Wie erklären Sie ihnen, dass ihre Sozialversicherungsbeiträge per Gießkannenprinzip verteilt werden, ohne etwas zu fordern? (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie verhindern doch, dass sie steuerlich entlastet werden, weil Sie die Mil-lionäre nicht stärker besteuern wollen!) Dieses Gießkannenprinzip können Sie niemandem erklären. Es widerspricht auch allen Grundsätzen unseres Zusammenlebens und der sozialen Gemeinschaft in unserem Land. Das alles hat nichts mit einer Solidargemeinschaft zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein anderer Aspekt: Hat nicht jeder, der einen Beitrag für die Solidargemeinschaft leistet, indem er Beiträge einzahlt, das Recht, dass mit seinem Beitrag verantwortungsvoll umgegangen wird? Ich fände es deshalb wesentlich hilfreicher, Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, wenn Sie statt wiederholter Showanträge zu Sanktionen bei Hartz IV einmal einen konstruktiven Antrag einbringen würden, der einer Solidargemeinschaft gerecht wird. Wir haben im Koalitionsvertrag – meine Vorrednerinnen und Vorredner haben es schon erwähnt – gerade die junge Generation berücksichtigt. Wir wollen uns den jungen Menschen widmen und Lücken zwischen der Jugendhilfe und anderen Hilfesystemen weiter reduzieren. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist doch höchst intransparent!) Lassen Sie uns deshalb gemeinsam konstruktiv an Lösungen und Ideen arbeiten, (Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie haben uns doch die Mitarbeit in dieser AG verweigert!) um den Menschen zu helfen, in Arbeit zu kommen und damit eine geregelte Tagesstruktur zu haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie stellen mit Ihrem Antrag quasi die Jobcentermitarbeiter unter den Generalverdacht, nichts Besseres zu tun haben, als den Leistungsbeziehern immer nur Schlechtes zu wollen und sie zu sanktionieren. Das stimmt einfach nicht. Eben wurde es schon angesprochen: Worum geht es heute Mittag? Es geht um 3 Prozent der Leistungsbezieher. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh nein! Das ist doch Quatsch!) – Doch, das ist so. Der Jahresdurchschnitt der Leistungsberechtigten mit mindestens einer Sanktion lag im vergangenen Jahr bei 147 000 Personen. Das sind die genannten 3 Prozent. 97 Prozent der Leistungsberechtigten sind nicht von Sanktionen betroffen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch falsch!) Die Mehrheit der Leistungsberechtigten verhält sich verantwortungsvoll. Auch das Instrumentarium der Leistungsminderung wird von den Jobcentermitarbeitern nicht ausgenutzt. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie wirklich schon einmal mit Langzeitarbeitslosen zu tun gehabt?) Ihr Antrag vermittelt den Eindruck, es gäbe eine generelle Ungerechtigkeit im gesamten Leistungsbereich des SGB II. Ich wünsche mir, wie sicherlich viele andere Kollegen auch, dass Sie aufhören, Einzelfälle, die nicht gut laufen, als allgemeingültig hinzustellen und damit ein Versagen des ganzen Hilfesystems zu unterstellen. Denn dies entspricht in keiner Weise der Realität. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb lehnen wir auch diesen Antrag, den Sie eingebracht haben, ab. Denn er verstößt gegen den Grundsatz der Solidargemeinschaft und torpediert das Prinzip der Solidarität. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Bevor der Kollege Paschke gleich das Wort ergreifen wird, hat die Kollegin Kipping die Möglichkeit zu einer Kurzintervention. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Jetzt wird es kritisch!) Katja Kipping (DIE LINKE): Frau Voßbeck-Kayser, es ist ein beliebtes Spiel Ihrerseits: Wir kritisieren die gesetzliche Regelung, und Sie unterstellen uns, wir würden die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht würdigen. Ich möchte Sie an den Beginn meiner Rede erinnern: Ich habe gleich zu Anfang den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Respekt und Anerkennung ausgesprochen. (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das war das erste Mal, dass Sie das gemacht haben!) Meine Fraktion hat darum gekämpft, dass die vielen befristeten Stellen bei der Bundesagentur in unbefristete Stellen umgewandelt werden. Wir haben gegen Kürzungen bei der Bundesagentur für Arbeit gekämpft, die den Mitarbeitern das Leben schwermachen. Wir wissen von vielen Mitarbeitern, dass sie selber darunter leiden, dass sie laut Gesetz verpflichtet sind, Sanktionen umzusetzen, weil sie ansonsten mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen haben. Das ist nicht nur mein Eindruck. Meine Kollegin Zimmermann ist in verschiedenen Beiräten von Jobcentern tätig und hat das ebenfalls bestätigt. Deswegen sage ich noch einmal: Stellen Sie sich Ihrer politischen Verantwortung, und hören Sie auf, sich hinter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verstecken! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Weil Sie mir unterstellt haben, dass ich immer nur auf Einzelfälle verweise, will ich daran erinnern – das sind die offiziellen Zahlen der Regierung –: Rund 40 Prozent der Widersprüche gegen Sanktionen wird – je nach Jahr – in Gänze oder teilweise stattgegeben. Das heißt, allein bei den falschen Sanktionen reden wir nicht über Einzelfälle, sondern über 40 Prozent. Es ist also etwas grundlegend falsch. Da muss man ran. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Voßbeck-Kayser, möchten Sie darauf erwidern? – Das ist nicht der Fall. Dann hat jetzt der Kollege Markus Paschke, SPD, das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Markus, es ist doch alles gesagt!) Markus Paschke (SPD): Nur noch nicht von mir. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es macht keinen Sinn, wenn wir uns über den Prozentsatz der Betroffenen streiten. Gerade bei diesem Thema geht es um Recht, Gerechtigkeit und Gerechtigkeitsempfinden. Da zählt für mich im Zweifel jeder Einzelne. Als ich Ihren Antrag gelesen habe, habe ich sofort den Eindruck gewonnen – auch wenn Sie das in der heutigen Debatte immer wieder abstreiten –: Es geht darum, das bedingungslose Grundeinkommen light einzuführen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: So ist es!) Die Diskussion in der Gesellschaft darüber ist erst am Anfang. Es gibt aber auch viele, die behaupten, sie sei schon zu Ende. Jedenfalls finde ich, dass die Einführung eines solchen Einkommens durch die Hintertür gegen die gesellschaftlichen und politischen Mehrheiten erfolgen würde. Das ginge auch meilenweit an den Interessen der Menschen vorbei. Stattdessen sollten wir uns die Frage stellen: Was wollen wir denn mit dem SGB II und den Sanktionen erreichen? Wollen wir Erwachsene erziehen, oder wollen wir alle motivieren und befähigen, am gesellschaftlichen Leben – dazu gehört maßgeblich auch die Erwerbsarbeit – teilzuhaben? Das führt wiederum zu der Frage: Wie erreichen wir dieses Ziel am besten? Sind Sanktionen das beste Mittel, und wenn ja, wann und in welcher Höhe sind sie angemessen und akzeptiert? (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zumindest einmal die richtigen Fragen!) Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels verdeutlichen. Ein junge Frau unter 25 Jahren bezieht seit Jahren ununterbrochen Leistungen nach dem SGB II. Trotz Hauptschulabschluss stellt das Amt immer wieder fest, dass sie keine Ausbildungsreife hat. Verschiedene Fördermaßnahmen konnten sie weder in eine Ausbildung noch in eine Anstellung bringen. Hinzu kam, dass die Mutter sie aus dem gemeinsamen Haushalt geworfen hatte und die junge Frau daraufhin zu ihrem Vater in eine Einzimmerwohnung zog. Die Geschichte der jungen Frau lässt vermuten, dass sie Schwierigkeiten hat, Inhalt und Bedeutung amtlicher Schreiben zu verstehen und den Aufforderungen Folge zu leisten. Zwischen ihr und dem Jobcenter wurde dann eine Eingliederungsvereinbarung getroffen. Die darin enthaltenen Auflagen hat sie nicht vollständig erfüllt. Als Reaktion gab es seitens des Jobcenters eine Sanktion: Der Leistungsanspruch wurde gemindert; die junge Frau bekam weniger Geld. Für sie brach die Welt zusammen. Sie hat keinen Widerspruch eingelegt, aber auch keine Einladung des Jobcenters mehr angenommen. Kurz und gut: Es dauerte nicht lange, und ihr Leistungsanspruch wurde auf null herabgesetzt. Sie bekam also nicht nur weniger, sondern gar kein Geld. Auch die Mittel zur Deckung der anteiligen Miete für die Einzimmerwohnung und der Heizkosten wurden gekürzt. Damit drohten Vater und Tochter als Bedarfsgemeinschaft die Wohnung zu verlieren. Das ist zwar ein Einzelfall, aber wir finden sicher in jedem Wahlkreis ähnliche Fälle. Es ist eine völlig unangemessene Bestrafung eines Vaters, der seinen Beitrag leisten wollte, um seiner Tochter zu helfen. Deswegen ist das für mich ein gutes Beispiel, das zeigt: Es gibt Bedarf, das bestehende System zu verändern. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein erster Schritt hierzu wäre für mich eine verständliche Sprache in den Schreiben an die Betroffenen. (Daniela Kolbe [SPD]: Das stimmt!) Anträge und Bescheide sind rechtlich einwandfrei, aber für Laien häufig völlig unverständlich verfasst. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wie sollen Menschen darauf reagieren, wenn sie nicht oder nur teilweise verstehen, was man eigentlich von ihnen will? Haben Sie schon einmal das Vergnügen gehabt, ein solches Schreiben jemandem erklären zu müssen, der es nicht verstanden hat? Manche Sätze muss auch ich zwei- oder dreimal lesen. Das ging mir allerdings bei dem vorliegenden Antrag ähnlich. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber Ihnen droht keine Streichung der Diäten um 30 Prozent! Keine Angst! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt aber nicht nur für Anträge der Linken!) Zweitens. Bei der Ausgestaltung der Sanktionen besteht für mich Handlungsbedarf. Ich finde, Gelder für Miete und Heizung dürfen nicht gekürzt werden. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen Teilhabe organisieren, nicht Wohnungslosigkeit. Drittens. Die Verhältnismäßigkeit des bürokratischen Aufwands müssen wir überprüfen. Macht es denn wirklich Sinn, alle sechs Monate einen neuen Antrag zu stellen? Ich finde, wir sollten weniger verwalten und mehr unterstützen und fördern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Viertens. Wir brauchen mehr Klarheit und Verständlichkeit in den Regeln zum SGB II. Wir wollen nicht Richter und Rechtsanwälte beschäftigen, sondern Menschen zur Teilhabe befähigen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich stelle also fest: Die Sanktionspraxis bedarf einer gründlichen und nachhaltigen Überprüfung. Ich sage bewusst: Überprüfung. Denn bei den Leistungen nach dem SGB II handelt es sich um einen Interessenausgleich zwischen Leistungsempfängern und Leistungsgebern. Die Leistungsgeber sind wir alle; das ist unsere Gesellschaft. Ich denke, unsere Gesellschaft hat einen Anspruch darauf, dass sich jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten bemüht, diese Unterstützung zu beenden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben aber auch die Pflicht, diejenigen, die sich bemühen, zu unterstützen, egal in welchem Bereich diese Unterstützung benötigt wird. Ich persönlich habe den Eindruck, dass in den vergangenen Jahren das Fordern gegenüber dem Fördern deutlich die Oberhand gewonnen hat. (Beifall der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Hier muss wieder eine Balance geschaffen werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb packen wir die Themen in der Großen Koalition an. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, das warten wir mal ab!) Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, in einem ersten Schritt die gesonderten Sanktionen für junge Menschen bis 25 Jahre zu überprüfen. Unterschiedliche Strafen für jemanden, der 25 Jahre alt ist, und jemanden, der 26 Jahre alt ist, sind für mich und für ganz viele Betroffene überhaupt nicht nachvollziehbar. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitet bereits seit letztem Jahr sowohl für den Bereich Rechtsvereinfachung als auch für den Bereich Sanktionen konkrete Vorschläge für Verbesserungen. Erste Ergebnisse erwarten wir noch in diesem Sommer. Danach werden wir uns hier im Bundestag mit diesen Vorschlägen auseinandersetzen. Ich finde, es ist ein gutes parlamentarisches Verfahren, wenn man erst einmal den Rat der Experten abwartet, bevor man politische Entscheidungen trifft. Gute politische Arbeit bedeutet für uns: motivieren und fördern statt alleinlassen, einfache und verständliche Regeln statt Bürokratiemonster – und vor allem: kümmern statt verwalten. Bei allem, was wir hier in die Wege leiten, sollten wir immer die Menschen in den Mittelpunkt stellen. In diesem Sinne danke ich für die Aufmerksamkeit und wünsche allen frohe Pfingsten. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Kai Whittaker, CDU/CSU, dem ich hiermit das Wort erteile. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Kai Whittaker (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kollegen! Heute reden wir über Sanktionen für Leistungsempfänger – ein Thema, liebe Linke, das Ihnen am Herzen liegt. Seit Jahren stellen Sie Anträge hierzu. Man sollte meinen, dass Sie sich mit diesem Thema sehr gut auskennen. Ich saß also mit Ihrem Antrag da und habe überlegt, wie ich das Ganze am besten kritisieren kann. Zwei Dinge ließen mich dabei nicht mehr los: Das eine war in der Tat die Reflexartigkeit meiner Handlung. Ich habe gerade erst hier angefangen, und schon habe ich mir ein Ritual dieses Hauses angewöhnt: Da flattern Anträge von der Opposition herein, und noch bevor man sie gelesen hat, weiß man, dass man sie ablehnen wird. Der Grund ist einfach: Trotz vielleicht wahrem Kern glänzen viele der Anträge durch unrealistische Forderungen. Das ist aus Sicht der Opposition nicht wirklich schlimm; denn für sie muss Politik nicht realistisch sein, sondern großzügig klingen. Wenn die am Steuer aussehen wie zynische Geizhälse, dann wird das gern in Kauf genommen, quasi als Kollateralschaden – Ziel erreicht! Unsichtbar für die Außenstehenden werfen dann die zuständigen Abgeordneten die Selbstverteidigungsmaschinerien an: Da sitzen dann knapp eine Woche lang ungefähr 50 emsige Mitarbeiter in unseren Büros und googeln sich die Finger blutig. Man will alles wissen: Was für Anträge hat die Opposition in den letzten 100 Jahren zu dem Thema gestellt? Irgendetwas Peinliches? Gibt es irgendwo Widersprüche? (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte zum Thema reden!) Hauptsache, man kann sie bloßstellen. – Eine hausinterne Detektei hätte wahrscheinlich mehr zu tun als unser Wissenschaftlicher Dienst. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Diebisch freut man sich dann über jede Verwundbarkeit, die da auftaucht, und Suchergebnisse verwandeln sich in wahre Trefferlisten. Manchmal macht so ein Treffer ja auch Spaß. Auch ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage. Doch, meine Damen und Herren, ich frage Sie ganz im Ernst: Ist das die Existenzberechtigung der Opposition? (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ja, in dem Fall schon!) Anträge zu schreiben, bloß damit die regierenden Parteien schlecht dastehen? Sie hauen hier ein Ding raus mit meterlangen Begründungen – für zwei magere Forderungen. Klar, es wäre toll, wenn die Sanktionen wegfielen. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist jetzt widersprüchlich! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Da freuten sich alle Betroffenen – für fünf Minuten. Aber aus der Arbeitslosigkeit, aus der sozialen Not holen Sie die Leute damit nicht heraus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wie Sie das Problem lösen wollen, dazu sagen Sie nichts. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dafür haben wir gute andere Vorschläge!) Wem wäre mit Ihrem Antrag denn wirklich geholfen? Doch nur Ihrem Profil! Dafür verstopfen Sie den halben Ausschuss, während wichtige Arbeit liegen bleibt. Das ist weit unter dem Potenzial, das parlamentarische Entscheidungsfindung leisten kann. Sicher, die eigentliche Arbeit findet in den Ausschüssen statt. Aber genau dieser Moment im Plenum, an dem Sie oder ich hier stehen und reden, das ist der Moment, in dem die wenigen Zuschauer, die wir hier noch haben, den Bundestag erleben. Lassen Sie uns den Zuschauern doch wirklich einmal etwas bieten statt der sitzungstäglichen Show, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie das doch endlich!) die wir hier veranstalten. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben noch kein einziges inhaltliches Argument gebracht!) Vielleicht wollen uns die Wählerinnen und Wähler etwas sagen, wenn sie eine Partei mit dem Slogan „Inhalte überwinden“ wählen. Die Partei mit diesem Slogan hat bei der letzten Europawahl nämlich 180 000 Stimmen bekommen. Ich will hier nicht den Moralapostel spielen; nach so kurzer Zeit der Zugehörigkeit steht mir das auch nicht zu. Aber wir sollten aufhören, uns mit uns selbst zu befassen, und wir müssen konstruktiv zusammenarbeiten. Liebe Linke, bitte geben Sie sich da ein bisschen mehr Mühe. Die zweite Sache, die mir auffiel, klang zum Teil schon durch. Das Thema Sanktionen ist nur ein Bruchteil eines großen Problems, das wir alle gemeinsam tragen: Arbeitslosigkeit. Bei diesem Thema hatte ich, -ehrlich gesagt, gar keine Lust, Ihren Antrag auseinanderzupflücken und in Definitionsorgien zu verfallen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann lassen Sie es doch einfach! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber jetzt müssen Sie mal ein Argument liefern! Sie haben neun Minuten! Sie haben so viel Redezeit!) Es bringt doch niemanden weiter, ständig Scheindiskussionen über dieses Thema zu führen. Ich bin überzeugt, dass unsere Gesellschaft hier eine Großbaustelle ignoriert. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen nicht die ganzen neun Minuten reden!) Lassen Sie uns wirklich einmal über das Thema Arbeitslosigkeit reden. In der Tat werden manche unserer Gesetze oder auch deren Ausführungen der Realität nicht gerecht. Fest steht: Bei der Arbeitslosigkeit warten eine Menge Probleme auf uns. Wenn wir die Langzeitarbeitslosen in den Blick nehmen, dann sehen wir Folgendes: Akribisch verfolgen wir da die Regelverstöße. Manchmal verlieren wir die aus dem Blick, die statt komplizierter Regeln Hilfe bräuchten. Diesen Menschen müssen wir ein besseres Angebot machen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, aber dann machen Sie mal!) Wir bieten ihnen momentan nicht sehr viel außer Beschäftigungsprogrammen, die eher Ablenkungsmanövern gleichen. Damit geben wir in der Tat eine halbe Million Menschen in diesem Land einfach auf. Wir müssen unsere Kriterien der Realität anpassen. Wir brauchen Regeln, denen die Arbeitslosen gerecht werden können. Versuchen Sie einmal, einen Ball in einen Briefkasten zu bekommen: Da können Sie drücken, so fest Sie wollen, das wird nicht passen. Genauso ist es manchmal mit unseren Sozialgesetzen, die Vielfalt keinen Raum lassen. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir Menschen mit unterschiedlichsten Problemen schnell in den ersten Arbeitsmarkt bringen können. Und eine bessere Bastelstunde ist auch nicht die Lösung. Wir sollten einsehen, dass manch einer nur langfristig wieder zum Arbeitsmarkt findet und wir eine Arbeitsvermittlung brauchen, die Wirtschaft, sozialpädagogische Betreuung und Integrationsbetriebe miteinander verzahnt. Arbeitslosigkeit macht krank; das wissen wir. Wir wissen ebenfalls, dass Sanktionen, wie wir sie jetzt haben, nicht so effizient sind, wie wir uns das wünschen, dass manche jungen Menschen Schwierigkeiten bekommen und aus dem System auch verschwinden, bis sie vielleicht auf der Straße oder gar im Gefängnis wieder angespült werden. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was schlagen Sie vor?) Aus rechtlicher und aus volkswirtschaftlicher Perspektive müssen wir dieses System tatsächlich in einigen Bereichen überdenken. (Zurufe von der LINKEN: Überdenken Sie mal! – Wohin denn?) Da wir gerade bei der Wirtschaft sind, möchte ich gern einen Vorschlag machen: Warum nicht auch Anreize setzen? Eine Menge an Belegen deutet darauf hin: Mit einer durchdachten Anreizstruktur schafft man Motivation und Ziele für die, denen keiner mehr etwas zutraut. Man kann, wenn man will, sanktionieren ohne die ganzen negativen Effekte. Wo wirkliche Belohnungen gegeben werden, können wir sie auch wieder nehmen. Fazit: Wir dürfen die Leute nicht einfach so abschreiben. Unsere Gesetzgebung und unsere Verwaltungsstrukturen müssen Möglichkeiten schaffen, haushaltsgerecht und bedürfnisgerecht zu fördern. Ein weiteres Problem, meine Damen und Herren, sehe ich bei der Messung unserer Ergebnisse. Die Bundesagentur kann mir zum Beispiel nicht sagen, wie lange ein Langzeitarbeitsloser insgesamt unter dem System des ALG II betreut wurde. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es Statistiken vom IAB!) Wenn jemand zum Beispiel sieben Wochen krank ist, fängt seine offizielle Betreuungsdauer wieder bei null an. Das halte ich wirklich für absurd. So kann der Bundestag, so können wir nicht effektiv sehen, wie unsere Maßnahmen wirken. Für ein klares Bild darüber, wie erfolgreich wir sind, brauchen wir bessere Erfolgskriterien, transparentere Daten und das gesammelte Know-how all jener, die sich mit Arbeitslosen beschäftigen. Nachdem wir angefangen haben, unsere Arbeitslosen in den Agenturen und Jobcentern „Kunden“ zu nennen, sollten wir sie nun auch so behandeln und sie in den Mittelpunkt unserer Bemühungen stellen. So könnten wir, wenn wir uns denn dafür entscheiden, Politik zur Dienstleistung für den Bürger machen – eine Sichtweise, die der britischen Verwaltungsstruktur übrigens Millionen einspart. Denn wenn ich den Kunden im Blick habe, schaffe ich ein Produkt, das jeder versteht, das einfach wirkt und die versprochene Leistung bringt. Aber konkret noch einmal zu Ihrem Antrag, liebe Linke. Sie haben vielleicht gemerkt: Den innersten Kern Ihres Antrags zu den Sanktionen habe ich gehört. Ablehnen muss ich Ihren Antrag trotzdem. Lassen Sie mich im Geiste der Großen Koalition hier einen SPD-Politiker, Kurt Schumacher, zitieren: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Wesen der Opposition ist der permanente Versuch, an konkreten Tatbeständen mit konkreten Vorschlägen der Regierung und ihren Parteien den positiven Gestaltungswillen der Opposition aufzuzwingen. Sie haben zwar einen Teil des Problems im Ansatz richtig benannt, aber den positiven Gestaltungswillen konnte ich nicht finden. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sehr gut!) Die notwendige Einordnung in den Kontext und einen echten Lösungsvorschlag bleiben Sie uns schuldig. Damit bewegen Sie sich weit unter Ihren Möglichkeiten als Opposition. Nehmen Sie mir das nicht krumm; das ist konstruktiv gemeint. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Danke schön!) Ich sage Ihnen auch ganz eindeutig: Ich lasse mich nicht in die Ecke drängen, dieses Parlament in die Guten und die Bösen aufzuteilen. Wir machen hier Bundespolitik und müssen die Verantwortung für die viertstärkste Wirtschaftsnation der Welt sowie für 80 Millionen Menschen übernehmen. Sowohl unsere Anträge als auch unser Gebaren müssen das widerspiegeln; denn die Menschen bezahlen uns nicht für rhetorische Schaukämpfe. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Nehmen Sie das bitte mal zur Kenntnis!) Daher biete ich Ihnen an, liebe Kollegen: Schalten Sie die automatische Wiedervorlage für „Antrag stellen: Sanktionen abschaffen“ aus, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn wir das gemacht hätten, gäbe es den Mindestlohn nicht!) und lassen Sie uns gemeinsam ein System überarbeiten, bei dem es offensichtlich Probleme gibt und das den Menschen in unserer Republik nicht hilft! Dafür werden wir alle gewählt. Ich denke, das ist eine angemessene Aufgabe für ein selbstbewusstes Parlament wie uns. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit sind alle vorgesehenen Redebeiträge zu diesem Tagesordnungspunkt gehalten, und deshalb schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1115 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, dass sich kein Widerspruch dagegen erhebt. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sta-bilisierung des Künstlersozialabgabesatzes (Künstlersozialabgabestabilisierungsgesetz – KSAStabG) Drucksache 18/1530 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist für die Bundesregierung die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller, der ich hiermit das Wort erteile. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen: Ohne die Gestaltungskraft der Künstler und Kreativen wäre unser Land nicht so lebenswert und um einiges ärmer. Aber auch für unsere Wirtschaft ist diese Branche ein wichtiger Impulsgeber. Immerhin 143 Milliarden Euro Umsatz machte die Kreativwirtschaft allein im Jahr 2012 – Tendenz steigend. Hinter diesen Zahlen stehen mehr als 1 Million Frauen und Männer, die ihren Beruf mit ganz besonderem Einsatz und viel Herzblut ausüben. Viele von ihnen nehmen dafür soziale Risiken auf sich: selbstständige und abhängige Beschäftigung, die sich abwechseln oder überschneiden, projektbezogene und unvorhersehbare Arbeit und nicht zuletzt unregelmäßiges Einkommen, das oft kaum zum Leben reicht. Aufgrund all dieser Unsicherheiten brauchen Künstler und Designer, Kreative und Werbefachleute, Schriftsteller und Publizisten eine soziale Absicherung, auf die sie sich verlassen können. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Einführung der Künstlersozialkasse vor 30 Jahren war dafür ein Meilenstein. Heute leisten wir mit dem Gesetz zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes dazu einen weiteren wichtigen Beitrag. Es sind vor allem zwei Ziele, die wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen: erstens echte Abgabengerechtigkeit zwischen den Unternehmen und zweitens einen stabilen Abgabesatz. In den letzten beiden Jahren musste der Künstlersozialabgabesatz deutlich angehoben werden: von 3,9 auf 5,2 Prozent. Einen weiteren Anstieg werden wir mit diesem Gesetzentwurf durch einen effektiven Prüfmechanismus verhindern, und zwar ohne dass unnötiger bürokratischer Aufwand entsteht. Die Rentenversicherung wird die Künstlersozialabgabe bei den alle vier Jahre stattfindenden Sozialversicherungsprüfungen mitprüfen. Das ist effizient, weil keine zusätzlichen Kontrolltermine notwendig sind. Zugleich wird die Rentenversicherung die Arbeitgeber umfassend informieren und beraten. Von den Unternehmen, die weniger als 20 Beschäftigte haben, werden nur die-jenigen geprüft, bei denen das Bestehen einer Abgabepflicht am wahrscheinlichsten ist. Arbeitgeber, die nicht geprüft werden, müssen bestätigen, abgabepflichtige Sachverhalte von sich aus zu melden. Genau damit wird der Verwaltungsaufwand für kleinere Betriebe gegenüber flächendeckenden Prüfungen deutlich reduziert. Gleichzeitig aber stellen wir sicher, dass alle abgabepflichtigen Arbeitgeber erfasst werden. Darüber hinaus führen wir eine Bagatellgrenze ein. Wer zum Beispiel zu Werbezwecken kleinere Aufträge an einen selbstständigen Designer erteilt, die unterhalb von 450 Euro im Jahr liegen, ist nicht abgabepflichtig. Das erleichtert die Anwendung des Künstlersozialversicherungsgesetzes. Es schafft auch mehr Rechtssicherheit für Unternehmen ohne nennenswerte Einnahmeausfälle. Wir stellen also sicher, dass es gerecht zugeht. Aber wir verlieren auch nicht die Lebenswirklichkeit in den Unternehmen aus den Augen. So haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart, und so setzen wir es um. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Künstlersozialkasse und die Rentenversicherung werden bei der Arbeitgeberprüfung eng zusammenarbeiten. Die Künstlersozialkasse erhält zudem ein eigenes Prüfrecht, um branchenspezifische Schwerpunktkontrollen und anlassbezogene Prüfungen selbst durchzuführen. Gleichzeitig wird sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Rentenversicherung mit ihrem Wissen über die Kultur- und Kreativwirtschaft, eine ja besondere Branche, unterstützen. So verbessern wir Fachkompetenz vor Ort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine starke, innovative Kulturbranche braucht eine zukunftsfeste Künstlersozialkasse. Mit diesem Gesetz sorgen wir dafür, dass Künstlerinnen, Künstler und Kreative Zeit für das haben, was sie am besten können, ohne sich ständig Sorgen über ihre soziale Absicherung machen zu müssen; denn wir wissen: Nur wer den Kopf frei hat, kann wirklich kreativ sein. Das wollen wir erreichen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Es steht dem Präsidenten nicht zu, die Bundesregierung oder andere zu loben, aber ich muss doch feststellen, dass Ihre Rede bezüglich der Redezeit eine Punktlandung war, nämlich auf die Sekunde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nächste Rednerin ist die Kollegin Sigrid Hupach, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass die jetzige Koalition im Gegensatz zur vorherigen endlich den so dringend notwendigen Gesetzentwurf zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes vorgelegt hat. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Gesetzesnovelle war überfällig und ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Das Gesetz stellt klar, dass geltendes Recht auch umgesetzt werden muss. Es ermöglicht eine gegenüber der bisherigen Praxis deutlich ausgeweitete Überprüfung von Unternehmen. Diese regelmäßige Überprüfung der Abgabepflicht ist unabdingbar und sollte eine Selbstverständlichkeit sein: (Beifall bei der LINKEN) für die Deutsche Rentenversicherung als Überprüfende genauso wie für die Unternehmen. Aber von dieser Selbstverständlichkeit sind wir beim Thema Künstler-sozialkasse leider noch weit entfernt. In den letzten Jahren haben sich so viele Unternehmen ihrer Abgabepflicht entzogen, dass 2014 der Abgabesatz von 4,1 Prozent auf 5,2 Prozent hochgesetzt werden musste. Wir, die Linke, fordern schon lange eine flächendeckende Überprüfung der Verwerter, sprich: der Unternehmen. (Beifall bei der LINKEN) Denn wir brauchen Abgabegerechtigkeit. Die gibt es nur mit einem gesetzlich festgelegten Prüfrhythmus. Es kann nicht sein, dass die Unternehmen, die ehrlich zahlen, letztendlich mit einem höheren Abgabesatz bestraft werden, weil andere ihre Beiträge nicht zahlen. Gut finde ich, dass Rentenversicherung und Künstlersozialkasse zukünftig enger zusammenarbeiten sollen. Effektivere Abläufe helfen sicherlich, auf Unternehmensseite das Verständnis für die Abgabe zu verbessern. Akzeptanz ist wichtig; denn fatalerweise steigt oder fällt die Akzeptanz der Künstlersozialkasse mit der Höhe des jeweiligen Abgabesatzes. Es darf aber nicht sein, dass bei jeder neuen Festlegung des Beitragssatzes über die Zukunft der Künstlersozialkasse neu diskutiert wird. Leicht hatte es die Kasse nie. Immer war sie massiven Angriffen von Arbeitgeberseite ausgesetzt. Für eine derartig großartige sozialpolitische Errungenschaft wie die Künstlersozialkasse ist es aber verheerend, wenn die -Debatte um eine potenzielle Erhöhung des Abgabesatzes jedes Jahr neu zur Existenzfrage wird. (Beifall bei der LINKEN) Hier brauchen wir endlich Stabilität, nicht zuletzt für unsere Künstlerinnen und Künstler. (Beifall bei der LINKEN) Warum, zeigt ein Beispiel, das der Deutschlandfunk vor einiger Zeit sendete: Sonntagnachmittag in einem Kindertheater in Köln. Auf der Bühne: Hänsel und Gretel. Gretel heißt eigentlich Sophie. Die 28-Jährige spielt diese Rolle mehrmals im Monat, allerdings ohne festes Bühnenengagement. Gerade einmal 50 Euro brutto verdient sie pro Auftritt. Der Weg in die Selbstständigkeit war für sie nur machbar, weil sie sich günstig sozial absichern kann, wie eine Angestellte. Möglich ist das nur mit der Künstlersozialversicherung. So wie Sophie sind in Deutschland fast 180 000 Kreative sowie Publizistinnen und Publizisten versichert. Laut Künstlersozialkasse haben sie ein durchschnittliches Einkommen von circa 14 500 Euro im Jahr. Das ist nicht gerade üppig. Deswegen gibt es diese Kasse. Ich verstehe nicht, dass die Wirtschaft schon wieder sagt, dass das neue Abgabeverfahren zu kompliziert und/oder der Aufwand zu hoch sei. Die Abgabepflicht der Unternehmen wird schließlich nicht durch eine neue Gesetzeslage begründet, sondern besteht seit Jahren. Ich plädiere zudem dafür, dass in einer neuen gesetzlichen Regelung auch die Grundlagen für ein elektronisches Meldeverfahren geschaffen werden. Dies könnte dem Argument des potenziell zu hohen bürokratischen Aufwands den Wind aus den Segeln nehmen. Der heute debattierte Gesetzentwurf ist ein Kompromiss, ein Kompromiss vor allem mit der deutschen Rentenversicherung, deren völlig überzogene Zahlen maßgeblich für das Scheitern einer Überprüfungsregelung im letzten Sommer mit verantwortlich waren. Die grundsätzlichen finanziellen Probleme der Künstlersozialkasse kann dieses Gesetz allein aber nicht lösen, und ob es sich bewährt, wird die für das Jahr 2019 geplante Evaluation zeigen. Will man die Künstlersozialkasse dauerhaft erhalten, müssen wir weitergehen, als es dieses Gesetz heute tut. Da wäre einerseits über den Bundeszuschuss zu reden, andererseits über die Weiterentwicklung und den Zugang zur Künstlersozialkasse. Denn in ihr spiegelt sich ein gesamtgesellschaftliches Problem wider: Viele Menschen sind heute kurzfristig beschäftigt oder in wechselnden Erwerbsformen tätig. Vor allem betrifft dies Freiberufler und Selbstständige, vorwiegend im künstlerischen Bereich. Für die soziale Absicherung und Altersvorsorge dieser Menschen brauchen wir dringend Lösungen. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist für die CDU/CSU die Kollegin Jana Schimke. (Beifall bei der CDU/CSU) Jana Schimke (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Künstlersozialversicherung hat eine Sonderstellung in der deutschen Sozialversicherung, und das aus gutem Grund; denn den Raum für das Andersdenken zu garantieren und Freiheit von Kunst und Kultur zu fördern, ist das Prinzip der Bundesregierung. Es ist Arbeitsauftrag und Verpflichtung zugleich. Künstlerinnen und Künstler in Deutschland – das sind zahllose Schriftsteller, Musiker, Grafiker, Fotografen, Tänzer oder auch Schauspieler. Sie leben von ihren kreativen Leistungen, und die Gesellschaft lebt von und mit ihnen. Kunst und Kultur sind mehr als eine Bereicherung für unsere Gesellschaft, sie haben identitätsstiftende Kraft. So sorgen der föderale Aufbau Deutschlands und die Kulturhoheit der Länder für eine Vielzahl kultureller Einrichtungen und eine reiche Kulturszene in Deutschland. Mehr als 100 Opernspielstätten gibt es bundesweit, so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Ebenso gehört unser Land mit über 94 000 neuen und neu aufgelegten Büchern pro Jahr zu den großen Buchnationen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe davon aus, dass alle hier Anwesenden mindestens eine Tageszeitung am Tag lesen. Die insgesamt etwa 350 Tageszeitungen und die enorme Zeitschriftenvielfalt in Deutschland sind nicht nur der Beleg für eine lebendige Medienlandschaft. Sie sind der Beleg für Meinungsfreiheit und für Vielfalt, die sich täglich in der Arbeit unserer Journalistinnen und Journalisten ausdrückt. Kunst und Kultur existieren nicht einfach so, sondern sie entstehen überhaupt erst durch die Arbeit der Künstler. Wir brauchen unsere selbstständigen Künstlerinnen und Künstler in Deutschland. Sie sind Voraussetzung für diese lebendige Kulturlandschaft. Das alles geht nicht ohne einen Schutz in der Sozialversicherung. Die Künstlersozialversicherung bietet diesen Schutz in der gesetzlichen Kranken, Pflege- und insbesondere Rentenversicherung. Sie ist eine bedeutende Einrichtung für die soziale Absicherung und -Altersvorsorge der deutschen Künstler. Der heute diskutierte Gesetzentwurf zur Stabilisierung des Künstlerso-zialabgabesatzes ist eine Antwort auf die Entwicklung der letzten Jahre. Zum 1. Januar stieg der Beitragssatz über 1 Prozentpunkt von 4,1 Prozent auf 5,2 Prozent. Jetzt schaffen wir Abgabengerechtigkeit und Beitragssatzstabilität und setzen damit die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages um. Dazu werden wir auch die Prüfungen durch die Träger der Rentenversicherung erheblich ausweiten. Denn unser Ziel ist es, einen weiteren Anstieg der Künstlersozialabgabe zu vermeiden und die Künstler-sozialkasse zu stabilisieren. Das Ziel der Stabilisierung des Abgabesatzes ist wichtig und richtig. Wir wissen alle, dass die Höhe von Abgaben und das Ausmaß von Bürokratie Arbeit in Deutschland verteuern können. Deshalb ist es wichtig, an die Unternehmen und insbesondere an unsere kleinen Unternehmen zu denken. Sie erteilen oft Aufträge nur zum Zweck der Eigenwerbung und werden jetzt über die Einführung der Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro entlastet. Auch die Begrenzung auf stichprobenartige Prüfungen bei kleinen Betrieben ist positiv und zeigt, dass wir bei den Anforderungen kleine Betriebe berücksichtigt haben. Natürlich kann man immer darüber nachdenken, wo weitere Entlastungen geschaffen und Vereinfachungen erzielt werden müssen. Ich halte deshalb auch die Anregungen der Wirtschaft für wichtig, künftig unter anderem über die Höhe der Geringfügigkeitsgrenze oder auch über die Anzahl der Aufträge, an die diese Grenze gekoppelt ist, zu sprechen. Deshalb ist es sinnvoll, dass wir diese neuen Regelungen im Jahr 2019 einer Prüfung unterziehen werden. Sie wissen, wir reden gerade auch im Rahmen der Mindestlohndebatte darüber, wie und wann wir evaluieren. Ich glaube, das ist etwas, was alle Gesetzgebungsverfahren kennzeichnen sollte. Eine Evaluation ist auch deshalb geboten, da der Aufwand und die zusätzlichen Einnahmen durch die verstärkte Prüftätigkeit sehr unterschiedlich eingeschätzt wurden. Ich denke, wir sind mit der jetzigen Reform auf dem richtigen Weg. Dennoch sollten wir auch für weitere Diskussionen und alternative Regelungen offenbleiben. Nicht von der Hand zu weisen ist die Kritik, dass Unternehmen die Künstlersozialabgabe auch zahlen müssen, wenn Künstler nicht in der Künstlersozialversicherung versichert sind. Diese Regelung ist kritikanfällig, da weder der Auftraggeber noch der Künstler oder die Künstlerin selbst von diesem Beitrag profitieren. Sie erinnern sich vielleicht an die Diskussion um das Rentenpaket und die Einführung der Flexirente. Auch da haben wir diese Frage im Zusammenhang mit der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer und der Beschäftigung von Rentnern diskutiert. Sie tritt hier erneut auf. Ich denke, die Debatte sollte deswegen auch in Zukunft aufgegriffen, geführt und bewertet werden. Auch die Ausweitung des Künstlerbegriffs und die Frage „Was ist Kunst?“ sind letztendlich gerechtfertigt. Ebenso müssen wir abwarten, wie sich die Schaffung eines eigenen Prüfrechts auf die Künstlersozialkasse auswirken wird. Mit der Reform im Jahr 2007 wurde die flächendeckende Prüfung der Abgabepflicht explizit auf die Deutsche Rentenversicherung übertragen, um Abgabegerechtigkeit herzustellen. Unser zukünftiger Auftrag wird deshalb sein, zu beobachten, wie dieser Prüfauftrag wirkt. Auch sollten wir über grundlegende Fragen wie zum Beispiel über die des Verwerters im Gespräch bleiben. Verlage, Theater oder auch Musikproduzenten können als Verwerter angesehen werden. Trifft dies aber auch auf das kleine Unternehmen zu, das sich die Homepage von einem Webdesigner gestalten lässt, der nicht in der Künstlersozialversicherung versichert ist? Die Künstlersozialversicherung ist ein kompliziertes Konstrukt für eine spezifische Gruppe der Selbstständigen. Unser Ziel und Auftrag für die Zukunft sollte daher sein, weiterhin über die grundsätzlichen und sozialpolitischen Fragen der Künstlersozialversicherung im Gespräch zu bleiben. Heute aber leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Rechtssicherheit in der Künstlersozialversicherung und für den Fortbestand der Kunst und Kultur in Deutschland. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Künstlersozialversicherung ist ein typisches Beispiel dafür, wie soziale Sicherung eine Grundlage für selbstbestimmte Tätigkeit, für Freiheit, für Kreativität und für die Förderung von Innovationen sein kann. Ich glaube, dass man das nicht stark genug betonen kann, weil oft Freiheit, Kreativität, Selbstbestimmung und soziale Sicherung als Widerspruch gesehen werden. Sie ist aber geradezu die Voraussetzung für tatsächliche Freiheit und Selbstbestimmung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Man sollte auch über eine Sozialversicherung nicht nur für diese Gruppe der Selbstständigen, sondern vielleicht für alle Selbstständigen nachdenken im Sinne einer Bürgerversicherung für alle Selbstständigen. Aber das ist ein anderes Thema, das wir an anderer Stelle sicher noch einmal diskutieren müssen. Wichtig ist, dass eine Einrichtung wie die Künstler-sozialversicherung auch gesellschaftliche Akzeptanz findet. Dazu ist es wichtig, dass die Abgabensätze nicht ins Uferlose steigen. Es ist wichtig, dass die finanzielle Stabilität gewährleistet ist, dass die Mittel vernünftig fließen. Zu diesem Zweck leistet dieser Gesetzentwurf tatsächlich einen wichtigen Beitrag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Man darf das aber auch nicht überschätzen. Es ist ein wichtiger Beitrag, aber nicht der Einzige. Ich möchte an dieser Stelle übrigens nicht nur der Bundesregierung danken, der es – im Gegensatz zur letzten Bundesregierung – gelungen ist, jetzt einen Gesetzentwurf vorzulegen, sondern auch den über 70 000 Menschen, die eine Petition an den Deutschen Bundestag gerichtet haben, in der das, was jetzt umgesetzt worden ist, gefordert wurde. Das ist ein Zeichen lebendiger Demokratie und zeigt noch einmal, wie wichtig der Petitionsausschuss für unsere Demokratie ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wie gesagt: Manches, was im letzten Jahr in der Diskussion gesagt worden ist – es hieß, durch das fehlende Gesetz würde die Existenz der Künstlersozialversicherung gefährdet oder sie quasi abgeschafft –, halte ich für übertrieben. Andererseits ist es aber auch übertrieben, zu behaupten, dass mit dem Gesetz, das wir hoffentlich bald verabschieden können, alle Probleme gelöst sind. Vielmehr gibt es weitere strukturelle Probleme bei der Künstlersozialversicherung. Man muss schauen, wie sich der Beitragssatz weiterentwickelt und wovon sonst die Abgabenentwicklung abhängt. Ich glaube, wir sollten hier ohne Tabus herangehen. Es gibt da wichtige strukturelle Fragen, die wir tatsächlich angehen müssen. Auch so etwas wie der Bundeszuschuss darf meines Erachtens kein Tabu sein; möglicherweise muss man auch an der Stelle nachjustieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Einnahmeseite ist nicht das einzige Problem im Hinblick auf die Akzeptanz einer Sozialversicherung; auch die Ausgabenseite, die Leistungsseite, ist wichtig. Es ist schon angesprochen worden: Die Einkommenssituation von Künstlerinnen und Künstlern ist in vielen Fällen mehr als prekär. Das Durchschnittseinkommen der in der Künstlersozialversicherung Versicherten liegt bei ungefähr 16 000 Euro, in manchen Berufsgruppen – Musiker, bildende Künstler – deutlich darunter. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Im Jahr!) Das heißt, die Armutsbedrohung ist bei Künstlerinnen und Künstlern sehr groß. Viele von ihnen haben Angst vor Altersarmut. Wir haben mit der Garantierente ein Konzept vorgelegt, das auch für diese Gruppe eine gute Absicherung bedeuten würde, weil 30 Versicherungsjahre reichen würden, um das Minimum der Garantierente zu erhalten. Die Künstlersozialversicherung gibt es jetzt seit über 30 Jahren. Wer dauerhaft in der Künstlersozialversicherung war, hätte also nach unserem Modell Anspruch auf ein Minimum in der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch bei der solidarischen Lebensleistungsrente – wenn sie denn überhaupt mal kommen sollte – müsste dieser Aspekt berücksichtigt werden, damit sie für Künstlerinnen und Künstler überhaupt erreichbar ist; ich habe da meine Zweifel. Ich will die letzte halbe Minute meiner Redezeit nutzen, um auf ein weiteres Problem aufmerksam zu machen. Nicht nur Altersarmut ist für Künstlerinnen und Künstler ein Problem, sondern auch Armut im aktuellen Leben, während sie erwerbstätig sind und Kunst schaffen. Auch da müssen wir über Lösungen nachdenken, wie vielleicht innerhalb der Künstlersozialversicherung, aber vielleicht auch mit anderen Maßnahmen dafür gesorgt werden kann, dass das Existenzminimum von Künstlerinnen und Künstlern gewährleistet wird. Denn Hartz IV ist für Künstlerinnen und Künstler sicherlich nicht die perfekte Existenzsicherung. Wir brauchen da andere Maßnahmen, um die Existenz zu sichern und damit tatsächlich Freiheit und Kreativität in dieser Gesellschaft zu fördern; davon brauchen wir noch mehr. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege Ralf Kapschack. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ralf Kapschack (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Gruß an die Zuschauer auf der Besuchertribüne! „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ – diese Erkenntnis stammt von Karl Valentin, dem genialen bayerischen Künstler, der am Mittwoch 132 Jahre alt geworden wäre. Ja, Kunst und Kultur machen Arbeit, aber sind auch Arbeit; sie sind für viele Künstlerinnen, Künstler und freie Autoren – auch um sie geht es heute – Quelle des Lebensunterhalts. Sie leben häufig in prekären Verhältnissen. Deshalb ist es notwendig, ihnen einen sicheren Zugang zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zu gewährleisten; (Beifall bei Abgeordneten der SPD) das war die Idee, als die Künstlersozialversicherung 1981 ins Leben gerufen wurde. Der SPD-Abgeordnete Egon Lutz hat den Gesetzentwurf damals so begründet – mit Genehmigung des Präsidenten zitiere ich aus dem Protokoll –: Nichts zu tun und die Künstler und Publizisten weiterhin ohne jeden sozialen Schutz zu belassen, wie er für die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung längst schon eine Selbstverständlichkeit ist, das ist in einem gewissen Umfang … schändlich. Aus heutiger Sicht wäre es also schändlich, durch Nichtstun die Künstlersozialversicherung vor die Wand fahren zu lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Künstlersozialversicherung ist einzigartig in Europa, und sie ist Ausdruck der Wertschätzung für die vielen Kulturschaffenden, die mit ihrer Arbeit diese Gesellschaft bereichern und etwas lebenswerter machen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Zurzeit sind 180 000 von ihnen über diesen Weg abgesichert. Die Finanzierung der Künstlersozialversicherung ist eine solidarische: über die Beiträge der Versicherten, über den Bundeszuschuss und über die Beiträge der Unternehmen und Einrichtungen, die Aufträge an freischaffende Künstler und Publizisten vergeben, die sogenannten Verwerter. Genau da liegt der Hase im Pfeffer: Es ist offensichtlich, dass einige Unternehmen ihrer Zahlungspflicht nicht nachkommen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat es noch abgelehnt – das ist schon erwähnt worden –, eine gesetzliche Überprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung auf den Weg zu bringen. Die Große Koalition dagegen hat vereinbart, die Künstler-sozialkasse zu erhalten und zu stabilisieren. (Beifall bei der SPD) Deshalb ist der vorliegende Gesetzentwurf konsequent. Er ist ein konkreter, dringend notwendiger Schritt hin zu mehr Abgabengerechtigkeit und damit zur Beitragssatzstabilität; denn durch die verstärkten Prüfungen werden auch die Verwerter herangezogen, die sich bisher ihrer Zahlungspflicht entzogen haben. Davon profitieren alle – wir haben es schon gehört –, weil die Chance, den Beitragssatz stabil zu halten, mit höheren Einnahmen größer wird. In der Diskussion ist mir in der Tat das Argument begegnet, durch die Ausweitung der Prüfungen würden Unternehmen unter Generalverdacht gestellt. Das ist natürlich völliger Unsinn. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dass der Staat kontrolliert, dass geltendes Recht durchgesetzt wird, ist für mich nicht besonders bemerkenswert, sondern eigentlich selbstverständlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Mangelnde Kontrolle hat dazu geführt, dass längst nicht alle Unternehmen, die dazu verpflichtet wären, die Abgabe zahlen. Das kann aus Unkenntnis, aber auch aus anderen Gründen so sein. Beim Deutschen Kulturrat ist uns erzählt worden, dass Steuerberater ihre Unternehmen animiert haben, sich der Zahlungspflicht zu entziehen, weil ja gar nicht geprüft würde. An diesem Beispiel kann man sehen, dass da einiges im Argen liegt. Durch die regelmäßige Prüfung, alle vier Jahre, wird der Druck erhöht, der Zahlungspflicht nachzukommen. Wir finden das gut so. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Gleichzeitig gibt es eine Bagatellgrenze, um den bürokratischen Aufwand für die Verwerter in einem vertretbaren Rahmen zu halten. Das ist für eine ganze Reihe von ihnen eine deutliche Entlastung. Aus unserer Sicht gibt es auch einen ausreichenden Schutz der ehrenamtlich Tätigen, zum Beispiel der Musikvereine. Wir sehen hier keine unzumutbare Belastung und auch keine Notwendigkeit für Sonderregelungen. Wir werden gleich möglicherweise noch etwas dazu hören. Es taucht immer wieder die Frage auf: Brauchen wir die Künstlersozialkasse eigentlich als eigene Einrichtung? Unsere Antwort ist: Ja. Als Ziel haben wir Sozialdemokraten allerdings nach wie vor die Ausweitung der Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung, in der dann auch alle Selbstständigen pflichtversichert wären. (Beifall bei der SPD) Bis dahin steht die SPD zur Künstlersozialversicherung. Aber wir wissen natürlich – das ist vom Kollegen Strengmann-Kuhn vorhin schon angesprochen worden –, dass das nicht reicht, um die soziale Lage der Künstler und freischaffenden Publizisten grundlegend zu verbessern. Wir sind uns dessen durchaus bewusst. Zu einer Verbesserung gehört zum Beispiel ein leichterer Zugang zum Arbeitslosengeld I. Darüber werden wir in nächster Zeit sprechen. Mit großem Interesse wird im Kulturbereich auch unser Plan zur solidarischen Lebensleistungsrente verfolgt. Kultur fällt uns nicht wie eine reife Frucht in den Schoß. Der Baum muß gewissenhaft gepflegt werden, wenn er Früchte tragen soll. Das hat Albert Schweitzer gesagt. Es gibt noch einiges zu tun. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das in diesem Haus mit einer großen Mehrheit hinbekommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Was macht die Kunst?“, fragt der Prinz in Lessings Emilia Galotti den Hofmaler Conti. Dieser antwortet: „Prinz, die Kunst geht nach Brot“, was so viel heißt, wie: Erst einmal muss man satt werden, bevor an die Kunst zu denken ist. Lessing war nicht der einzige Schriftsteller, der das Einkommen und die soziale Lage von Künstlern und Publizisten thematisiert hat. Johann Wolfgang von Goethe hat dem Thema bekanntlich mit seinem Torquato Tasso gleich ein ganzes Stück gewidmet. Im Vordergrund dieser Werke stehen die Abhängigkeiten der Künstler und Dichter von Mäzenen und Monarchen. Ohne die war Künstlerleben damals nicht denkbar. Nun gibt es heute keine Prinzen, Fürsten und Könige, keine Friedrichs und Ludwigs mehr, welche die Kunst und deren Erschaffer nach eigenem Gusto aus der Staatsschatulle fördern könnten. Das ist ja im Prinzip auch ganz gut so. Doch umso mehr Verantwortung für die Entwicklung von Kunst und Kultur liegt nun beim Demos, beim Volk, also bei uns. Nun ist die Bundesrepublik Deutschland ja bekanntlich nicht nur ein Sozial- und Rechtsstaat, sondern auch ein Kulturstaat, worauf wir immer wieder gern und zu Recht verweisen. Wir haben deshalb eine ganz besondere Verantwortung. Das bedeutet ausdrücklich nicht, dass wir alle Künstler alimentieren müssten. Eine Alimentierung kann nicht Aufgabe eines freiheitlichen Kulturstaates sein. Sie würde neue Abhängigkeiten schaffen, die wir nicht wollen. Was wir aber tun können, ist, den Boden zu schaffen, den Kultur braucht, um gedeihen zu können. Das Kunstwerk, zum Beispiel einen Roman oder ein Gedicht, das der Künstler oder Publizist schafft, verstehen wir oft als öffentliches Gut. Die soziale Absicherung des Künstlers ist aber Privatsache. An genau diesem Punkt greift die Künstlersozialversicherung. Seiner Aufgabe kann der Künstler oder Publizist nämlich nur gerecht werden, wenn auch seiner sozialen Situation Rechnung getragen wird. Diese unterscheidet sich zum Teil ganz erheblich von der anderer Berufsgruppen. Die -Erwerbsbiografien von selbstständigen Künstlern und Publizisten sind risikoreich. Das zeigen auch die Werdegänge berühmter Künstler und Dichter, die eben oft auch brotlose Künstler waren und sind. Die Einkommensverhältnisse unterliegen überdurchschnittlichen Schwankungen – und das oft auf niedrigem Niveau. Die Gründe hierfür sind vielschichtig, zum Beispiel die Abhängigkeit vom Publikumsgeschmack oder von geistigen Modeströmungen, die wirtschaftliche Situation des öffentlichen Kulturbetriebes und die Fördermöglichkeiten von Bund, Ländern und Kommunen, Stiftungen und Banken. Umso wichtiger war die Einführung der Künstlerso-zialversicherung vor gut 30 Jahren. Mit ihr wurde es den freischaffenden Künstlern und Publizisten de facto erst ermöglicht, die größten Lebensrisiken abzusichern. Sie bekamen Zugang zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung zu Konditionen, die sie sich leisten konnten. Damals betrat Deutschland Neuland. Bis heute ist die Künstlersozialversicherung ein weltweit einmaliges Konstrukt, aber eben auch eine herausragende sozialpolitische Institution in der deutschen Kulturlandschaft, um die wir im Übrigen von vielen Ländern beneidet werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Genauso einmalig wie die Versicherung selbst ist die Finanzierung. Die Hälfte der Kosten tragen die versicherten Kulturschaffenden selbst, 20 Prozent trägt der Bund, und 30 Prozent übernehmen die Verwerter, also die Unternehmen, welche die künstlerische Leistung in Auftrag geben. So weit, so gut. Aber es gibt ein Problem, sonst wären wir heute nicht hier. Der Abgabesatz für diese abgabepflichtigen Verwerter steigt gerade rasant an, allein innerhalb der vergangenen beiden Jahre von 3,9 auf 5,2 Prozent. Das liegt zum einen an der stark steigenden Mitgliederzahl der Künstlersozialversicherung, zum anderen an der ausbaufähigen Zahlungsmoral einiger Unternehmen bei der Künstlersozialabgabe, was oft daran liegt, dass die Unternehmen noch nicht einmal wissen, dass sie abgabepflichtig sind. Ein steigender Abgabesatz gefällt jedoch niemandem und gefährdet die Stabilität der Versicherung als Ganzes. Genau hier setzt der vorliegende Gesetzentwurf an, den wir von der Union ausdrücklich begrüßen. Im Kern des Entwurfs wird festgelegt, dass ab 2015 ein strengeres Prüfverfahren eingeführt wird, das die Finanzierung auf solide Beine stellt und für Abgabegerechtigkeit sorgt. Mehr Unternehmen werden regelmäßiger auf ihre Abgabepflicht hin geprüft. Denn wir bleiben dabei: Wer von der Arbeit freischaffender Künstler profitiert, muss sich auch an deren sozialer Sicherung beteiligen. (Beifall bei der CDU/CSU) Entscheidend war für uns dabei von Anfang an die Art und Weise der Prüfungen. Wir wollen ein Prüfverfahren, dass effektiv und effizient ist. Das ist, meine ich, mit dem Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt, gut gelungen. Im Rahmen der alle vier Jahre stattfindenden Arbeitgeberprüfungen werden alle bei der Künstlersozialkasse erfassten Unternehmer und alle Arbeitgeber mit mindestens 20 Beschäftigten auch auf die Künstlerso-zialabgabe hin geprüft. So wird sichergestellt, dass Unternehmen ihre Abgabepflicht aufgrund fehlender Prüfungen nicht vernachlässigen. Von den kleineren Arbeitgebern mit bis zu 19 Beschäftigten werden im Kalenderjahr mindestens 40 Prozent geprüft. Jene Arbeitgeber, die nicht Teil des Prüfkontingents sind, werden von den Prüfern der Deutschen Rentenversicherung beraten und bestätigen schriftlich, dass sie abgaberelevante Sachverhalte melden werden. So erreichen wir – das war uns wichtig –, dass kleinere mittelständische Unternehmen im Schnitt nur alle zehn Jahre geprüft werden. Das bedeutet weniger Aufwand für diese und hält die allgemeinen Bürokratiekosten im Rahmen. Trotzdem: Die Rentenversicherung benötigt und bekommt dafür zusätzliches Personal. Die Mehrkosten werden jetzt auf 12,3 Millionen Euro geschätzt. Dem stehen erwartete Mehreinnahmen in Höhe von 32 Millionen Euro gegenüber. Aufwand und Ertrag stehen also in einem akzeptablen Verhältnis zueinander. Das alles sind Schätzungen, daher können wir nicht genau sagen, wie sich die neuen Regelungen letztlich tatsächlich in der Praxis auswirken werden. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir nach einem vierjährigen Prüfturnus eine Evaluation vorsehen. Denn erst dann sind klare Aussagen über das Kosten-Nutzen-Verhältnis möglich. Ein weiterer wichtiger Punkt im Gesetzentwurf ist die Einführung einer Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro. Wer innerhalb eines Jahres Aufträge erteilt, die insgesamt diese Summe nicht überschreiten, wird von der Abgabe befreit. Mit dieser Bagatellgrenze schaffen wir Rechtssicherheit; denn in diesem Punkt war das Gesetz bisher missverständlich. Nebenbei hat diese 450-Euro-Grenze auch den Effekt, dass insbesondere kleine Unternehmen – etwa Handwerksbetriebe –, die nur in geringem Umfang Aufträge an Künstler erteilen, entlastet werden. Der Gesetzentwurf berücksichtigt damit die Aspekte der Abgabegerechtigkeit, der Effektivität und der Effizienz. Er beinhaltet die richtigen Instrumente, um die Künstlersozialversicherung kurz- und mittelfristig zu stabilisieren. Die regelmäßige Überprüfung, die nun festgeschrieben wird, ist notwendig, um das System in dieser Weise in Deutschland zu erhalten. Wir müssen aber auch überlegen, wie wir die Künstlersozialversicherung langfristig stabilisieren können. Dabei darf eine kritische Überprüfung der Kriterien für die Aufnahme in diese Versicherung kein Tabu sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch die Abgrenzung zwischen ehrenamtlicher und künstlerischer Arbeit, wie wir sie uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, steht noch auf der Agenda. Das Ehrenamt, das die kulturelle Vielfalt in unserem Land wahrt, darf nicht über Gebühr belastet werden. Doch nun wollen wir mit dem Gesetz zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes einen ersten und sehr, sehr wichtigen Schritt tun. Künstler und Publizisten wären in früheren Jahren vermutlich heilfroh gewesen, wenn sie eine Künstlersozialversicherung gehabt hätten. Man stelle sich einmal vor, wie viele Werke der Weltliteratur hätte Friedrich Schiller wohl noch schreiben können, hätte er eine ordentliche Krankenversicherung gehabt. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Während einer seiner etlichen Erkrankungen soll er seine Nachwelt aufgefordert haben: Sorgt für eure Gesundheit, ohne diese kann man nicht gut sein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/1530 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Resolution 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013 Drucksache 18/1416 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe. Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung ersucht heute um Ihre Zustimmung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali, -MINUSMA. Die Entwicklung der Sicherheitslage im Norden Malis ist beunruhigend und zeigt, dass eine Stabilisierung des Landes weiter notwendig ist. Bedauerlicherweise sind durch die bewaffneten Auseinandersetzungen immer wieder Opfer zu beklagen, die durch einen durch alle Seiten getragenen Vermittlungs- und Versöhnungsprozess vermieden werden könnten. Mehr denn je sind wir deshalb gefordert, die uns zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um die Lage in diesem westafrikanischen Staat zu verbessern. Mit dem vorliegenden Mandat zu MINUSMA stehen wir auch weiterhin zusammen mit unseren europäischen und internationalen Partnern zu der durch uns übernommenen sicherheitspolitischen Verantwortung für die Region. Das Ziel unseres gesamten Engagements in Mali bleibt es, die malischen Streitkräfte selbst in die Lage zu versetzen, die wiedererlangte territoriale Integrität Malis aufrechtzuerhalten und nachhaltig für Stabilität zu sorgen. Wir Deutsche engagieren uns im europäischen Verbund für die Menschen in Afrika, damit sie ihre Probleme selbst lösen können. Das ist und bleibt der richtige Ansatz. Ihn verfolgen wir weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen uns weiterhin bewusst sein, dass der militärische Beitrag zu dieser VN-Mission nur ein Teil des mit unseren Partnern abgestimmten mehrdimensionalen Ansatzes zur Stabilisierung der Region sein kann. Insbesondere im Norden Malis bleibt die Lage fragil. Eine zentrale Herausforderung bleibt vor diesem Hintergrund die Stabilisierung der großen Bevölkerungszentren im Norden des Landes. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die humanitäre Lage in Mali hat sich seit dem Beginn der internationalen Bemühungen insgesamt verbessert. Ein ungehinderter Zugang zu allen Regionen Malis ist für die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe aber weiterhin noch nicht vollständig sichergestellt. Insbesondere die langfristigen Aufgaben der Entwicklungszusammenarbeit im Norden Malis können bisher nur sehr begrenzt umgesetzt werden. Zur Stabilisierung des Landes als Grundvoraussetzung zur Verbesserung der Sicherheitslage bleibt deswegen das weitere Engagement der internationalen Gemeinschaft auch im Rahmen der VN-geführten Mission MINUSMA erforderlich. Der Einsatz im Rahmen von MINUSMA bleibt Teil eines umfassenden Engagements der Bundesregierung für Mali im Rahmen eines vernetzten Ansatzes. Damit stellen wir einen Teil der Voraussetzungen zum Einsatz von Krisenpräventionsmitteln, von Entwicklungshilfe, dem Ausstattungshilfeprogramm der Bundesregierung und der Ausbildung von Polizei und Sicherheitskräften im Rahmen der EU- und VN-Missionen. Die kürzlich durch die Bundesregierung verabschiedeten afrikapolitischen Leitlinien haben einen Bogen für unser Engagement in Afrika aufgespannt, aus dem wir bei weiterer Verbesserung der Sicherheitslage noch weitere Instrumente im Rahmen eines regionalen Ansatzes zum Einsatz bringen können. So sollen Konfliktursachen bekämpft und die malischen Behörden und Sicherheitskräfte in die Lage versetzt werden, Sicherheit und staatliche Souveränität selbst aufrechtzuerhalten. Entsprechende Beschlüsse, zum Beispiel für das Engagement im Rahmen von EUTM Mali, sind auf europäischer Ebene bereits gefasst. Auch darüber hinaus wird uns ein komplementär und umfassend angelegter Ansatz langfristig fordern, gerade im Bereich der direkten Stabilisierung des Landes und beim Aufbau von Sicherheitskräften als Grundvoraussetzung eines insgesamt erfolgreichen Vorgehens. Meine Damen und Herren, die Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte steht unter dem Vorbehalt der konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages. Die Fortsetzung erfolgt auf der Grundlage der Resolution 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April letzten Jahres. Aller Voraussicht nach wird der UN-Sicherheitsrat nach Ende Juni eine Verlängerung des Mandats um ein Jahr bis zum 30. Juni 2015 beschließen. Im Rahmen des deutschen Engagements bei MINUSMA können bis zu 150 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden, solange ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages vorliegen, längstens jedoch bis zum 30. Juni 2015. Das Mandat der Mission MINUSMA soll inhaltlich unverändert bleiben. Die deutsche Beteiligung soll im zweiten Mandatszeitraum vergleichbar zum bisherigen Rahmen beibehalten werden. MINUSMA, die wesentlich von afrikanischen Truppenstellern getragen wird, verfolgt eine umfassende Stabilisierung des Landes. Sie bildet den unverzichtbaren Gesamtrahmen für den fokussierten Beitrag der EU zum Aufbau der Streitkräfte. Das Mandat umfasst die Unterstützung bei der Wiederherstellung der staatlichen Autorität im gesamten Land, die Unterstützung für die Umsetzung des Fahrplans für den Übergang, die sogenannte Roadmap, den Schutz von Zivilpersonen, die Förderung und den Schutz der Menschenrechte, die Unterstützung für humanitäre Hilfe, die Unterstützung für die Erhaltung des Kulturguts und die Unterstützung für die nationale und internationale Justiz. Diese abgestimmte Aufgabenteilung mit besonderer Einbeziehung regionaler Akteure, ergänzt um vielfältige Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit und weiterer nationaler und internationaler Bemühungen, illus-triert unsere Vorstellung davon, wie eine ganzheitliche Stabilisierung eines Landes mit einem Konfliktherd gestaltet werden kann, nämlich umfassend, multidimensional und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Seit Beginn der internationalen militärischen Mission und des darüber hinausgehenden umfassenden Engagements der internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung der malischen Sicherheitskräfte bei der Wiederherstellung der staatlichen Integrität Malis und der nachhaltigen Verbesserung der Sicherheitslage sind bereits beachtliche Fortschritte erzielt worden. Der für die Lösung des Konflikts entscheidende politische Prozess hat auch seit dem Beginn der Mission wesentliche Fortschritte gemacht. Mali verfügt nach den weitgehend friedlich verlaufenen freien und demokratischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen wieder über eine demokratisch legitimierte Regierung, die den Reform- und Aufbauprozess in die Hand genommen und sich den Aussöhnungsprozess zwischen den Volksgruppen im Land als wichtiges Ziel gesetzt hat. Die Gespräche dazu dauern weiter an, wobei unstrittig ist, dass man diesen Prozessen Zeit geben muss. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, es ist wichtig, dass wir uns immer wieder vor Augen führen bei all den Problemen, die es in Ländern gibt, in denen wir uns entwicklungspolitisch und auch militärisch engagieren, dass diese Probleme nicht durch die Bundeswehr ausgelöst worden sind, sondern dass unsere Soldatinnen und Soldaten im Gegenteil einen Beitrag dazu leisten, dass diese Probleme gelöst werden. Sie können sie nicht alleine lösen, aber sie leisten einen Beitrag zur Problemlösung, und sie haben die Probleme nicht verursacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Weil dies so ist und weil unsere Soldatinnen und Soldaten in Mali einen sehr wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Landes, zum Aufbau selbsttragender Streitkräfte und für die Zukunft der Menschen in der Region leisten, ist es gut, dass unsere Soldatinnen und Soldaten dort sind. Sie sind in unserem Auftrag dort. Um die Zustimmung zur Verlängerung dieses Auftrages bittet Sie die Bundesregierung. Ich bitte Sie um Unterstützung dieses Antrags. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Jan van Aken für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Frankreich im Januar 2013 im Alleingang in Mali intervenierte, haben wir das scharf kritisiert. Wir haben damals auch kritisiert, dass die Bundesregierung Frankreich sofort militärische Unterstützung angeboten hat; denn damals wie heute – das ist Ihnen wahrscheinlich genauso klar wie mir – ging es Frankreich nicht um die Menschen in Mali. Es geht nicht um den Schutz der Zivilbevölkerung oder um die Menschenrechte, sondern als ehemaliger Kolonialmacht geht es Frankreich natürlich um regionalen Einfluss und auch um den Zugriff auf die Ressourcen in der Region. Leider hat der UNO-Sicherheitsrat vor einem Jahr beschlossen, Frankreich mit einem Militäreinsatz –  MINUSMA – zu unterstützen. Diesen wollen Sie heute verlängern, und wieder einmal sind Ihre beiden Argumente – das läuft doch gut und ist erfolgreich und außerdem weiterhin nötig – falsch. Das wissen Sie auch. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Und Sie wissen wieder mal alles besser!) Ein Blick in den jüngsten Mali-Bericht des UN-Generalsekretärs spricht hier eigentlich Bände: Die Sicherheitslage im Norden des Landes ist katastrophal. Die Gewalt durch bewaffnete Gruppen hat in den letzten drei Monaten massiv zugenommen; es gab allein 25 Raketen-angriffe, und das, obwohl mehr als 7 000 MINUSMA-Soldaten und zusätzlich 3 000 französische Soldaten im Land sind! (Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Das ist zu -wenig!) In Kidal, im Nordosten des Landes, gab es am 17. Mai 2014 wieder offene Kämpfe zwischen malischen Soldaten und der MNLA. Die MNLA, die Nationale Befreiungsbewegung für Azawad, ist eine überwiegend aus Tuareg bestehende Bewegung. Sie will im Norden einen eigenen Staat errichten. Der Anlass am 17. Mai 2014 war der Versuch des malischen Premierministers Moussa Mara, die Stadt Kidal zu besuchen. Am Ende gab es an die 50 tote malische Regierungssoldaten. Das Erschütternde daran ist, dass all das unter den Augen und sogar mit der Billigung der Franzosen stattgefunden hat. Sie wissen: Nach dem Waffenstillstand im letzten Jahr hätte die MNLA schon lange Kidal verlassen und die Waffen abgeben müssen, und die malische Regierung hätte Kidal übernehmen müssen. Es waren die Franzosen, die dafür gesorgt haben, dass die MNLA die Waffen nicht abgegeben und weiter die Kontrolle über Kidal behalten hat. Der Grund dafür ist relativ simpel: Zum einen kämpfen die Franzosen gemeinsam mit der MNLA gegen die Islamisten, und zum anderen verhandeln die Franzosen gerade mit der MNLA über die Ausbeutung der Ressourcen im Norden Malis. Das ist die Wahrheit. Um das Ganze einmal auf den Punkt zu bringen – das muss ich mir immer wieder vor Augen halten –: Sie schicken jetzt Bundeswehrsoldaten zur Unterstützung der malischen Regierung, um gegen die MNLA zu kämpfen, die wiederum von Frankreich unterstützt wird. Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein. (Beifall bei der LINKEN) Es kommt noch schlimmer. Ich habe gesagt: Bei den Kämpfen um Kidal sind 50 malische Regierungssoldaten getötet worden. Das sind genau die malischen Soldaten, die Sie gerade in einer anderen Mission, EUTM Mali, ausbilden. Da wird es für mich am Ende vollkommen absurd. Ich fasse das einmal zusammen: Sie bilden malische Soldaten für den Kampf gegen Separatisten aus, die von Frankreich unterstützt werden. Sie unterstützen wiederum Frankreich im Kampf gegen die Islamisten, die wiederum von Katar unterstützt werden, einem Land, das wiederum Sie mit Waffen beliefern. – Irgendwann finden Sie sich auf beiden Seiten des Konfliktes wieder. Es ist doch vollkommener Irrsinn, was Sie da machen. Eine Friedensmission ist das jedenfalls nicht. (Beifall bei der LINKEN) Sie wissen auch: Nach einem Jahr können Sie -MINUSMA nicht als Erfolgsgeschichte verkaufen. Das Land ist nicht friedlicher geworden. Die Probleme sind nicht einmal im Ansatz gelöst. Das ist auch kein Wunder: Militärisch – das haben Sie selbst gesagt, Herr Brauksiepe – lassen sich die Probleme nicht lösen, aber für einen politischen Prozess haben Sie im letzten Jahr nullkommanichts getan. Sie reden hier immer von einem vernetzten Ansatz – das haben Sie auch eben wieder getan –, in dem -MINUSMA nur ein Baustein sei. Aber ich sehe nur Militär. Ich sehe Bundeswehrsoldaten, die andere Soldaten in das Einsatzgebiet fliegen. Ich sehe Bundeswehrsoldaten, die französische Kampfflugzeuge auftanken. Ich sehe Bundeswehrsoldaten, die malische Soldaten ausbilden. Ich will einmal konkret hören: Wo sind die anderen Bausteine? Wo sind die politischen Maßnahmen? Was haben Sie getan? Es gibt in Mali ganz viele Partner für zivile Konfliktlösungen. Hier sehe ich bei Ihnen gar nichts. Warum setzen Sie sich zum Beispiel nicht dafür ein, dass die jetzt wieder neu gebildete Wahrheits- und Versöhnungskommission nicht wieder so eine Farce wird wie die Vorgängerkommission, sondern dieses Mal funktioniert? Setzen Sie sich doch einmal ganz konkret und knallhart dafür ein, dass in dieser Wahrheitskommission auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen mitreden und auch wirklich mitbestimmen können; denn diese gibt es dort, und sie machen eine gute Arbeit. Setzten Sie sich doch endlich für ein vernünftiges Programm zur Beseitigung der Ursache der Krise ein. Die Ursache – das wissen Sie so gut wie ich – ist die Ausgrenzung des Nordens und die Armut im Norden Malis. Auf diesem Gebiet tun Sie gar nichts. Anstatt jetzt weitere 15 Millionen Euro in einen Bundeswehreinsatz in Mali zu versenken, sollten Sie diese 15 Millionen Euro in eine zivile Konfliktbearbeitung in Mali investieren. Damit könnten Sie wirklich für eine friedliche Situation vor Ort sorgen. Das aber verweigern Sie. Zum Abschluss muss ich sagen: Es gäbe in Mali so viel Gutes zu tun. Aber dieser Militäreinsatz gehört ganz sicher nicht dazu. Beenden Sie die Beteiligung an -MINUSMA! Vor allem: Sorgen Sie dafür, dass Ihr Bündnispartner Frankreich endlich mit dieser blutigen Interessenpolitik aufhört! (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Ich will noch hinzufügen: im Moment nicht nach Frankreich und nach Mali sowieso nicht. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Achim Post das Wort. (Beifall bei der SPD) Achim Post (Minden) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege van Aken, die Sache mit dem Export von Waffen nach Frankreich überlegen wir uns noch einmal. Wenn wir keine Waffen mehr nach Frankreich liefern und nicht mehr mit den Franzosen zusammenarbeiten dürfen, frage ich mich, mit wem wir als Bundesrepublik Deutschland Ihrer Ansicht nach überhaupt noch zusammenarbeiten dürfen. (Johannes Selle [CDU/CSU]: Das ist unser Bündnis! Es ist nicht sein Bündnis!) Ich fange einmal ganz anders an. Was ist in der Außen- und Sicherheitspolitik das wichtigste Gut oder eines der höchsten Güter? – Vertrauen und Verlässlichkeit. Das gilt gerade in dieser Debatte. Das macht gerade der Antrag der Bundesregierung deutlich; denn wir gewährleisten beides mit der Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte in Mali. Fast alle hier wissen: Mali galt bis 2012 als Musterbeispiel der Demokratisierung in Afrika. Ende 2012 drohte dieses Land in die Hände von radikalen islamistischen Gruppen und Terroristen zu fallen. Gewalt, Vertreibung, Hunger und Tod gingen mit dem Vormarsch dieser Rebellengruppen einher. Es ist vor allem Frankreich zu verdanken, dass der Vormarsch der Rebellen gestoppt werden konnte. Seit Beginn des internationalen Engagements gibt es Fortschritte: die weitgehende Wiederherstellung der territorialen Integrität des Staates, die Verbesserung der Sicherheitslage und die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Spätsommer 2013. Ich bin fest davon überzeugt: MINUSMA und der deutsche Beitrag haben erheblich zu diesen Fortschritten beigetragen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, sowohl Mali als auch unsere UN-Partner verlassen sich auf unseren Beitrag. Es ist richtig: Es bleibt noch sehr viel zu tun. Die sicherheitspolitische Lage in Mali ist fragil. Die Ziele der Mission werden nur schrittweise erreicht. Der Dialog- und Versöhnungsprozess läuft unstet. Die Bemühungen um die Friedensverhandlungen wurden durch die Auseinandersetzungen in Kidal unterbrochen. Immer noch sind Hunderttausende Menschen auf der Flucht. Warum ist die Verlängerung des Mandats notwendig? Lassen Sie mich für die SPD-Fraktion vier Kernpunkte nennen. Erstens. Mali braucht Unterstützung bei der Umsetzung des Aktionsplans der Regierung, das heißt bei der Schaffung starker und glaubwürdiger Institutionen, bei der Wiederherstellung der Sicherheit, bei der Umsetzung einer aktiven Politik der nationalen Versöhnung, beim Wiederaufbau des malischen Schulwesens und beim Aufbau einer aufstrebenden Wirtschaft. Die malische Regierung kann all diese Herausforderungen noch nicht alleine bewältigen. Deshalb geht es darum, die politischen Probleme auch politisch zu lösen. Zweitens. Mali braucht die langfristige Entwicklungszusammenarbeit – das hat der Herr Staatssekretär gerade ausgeführt – in der Landwirtschaft, bei der Dezentralisierung, bei guter Regierungsführung und bei der Wasserversorgung. Deshalb ist die Erhöhung der Mittel für die staatliche Entwicklungszusammenarbeit auf 120 Mil--lionen Euro für 2013/2014 richtig. Ich glaube, dass es im Interesse des gesamten Hauses ist, dass Mali ein Schwerpunktland der deutschen Entwicklungspolitik bleibt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Drittens. Mali braucht eine nachhaltige sicherheitspolitische Stabilisierung. Dabei leisten die genannten Missionen der EU gute Arbeit. Viertens. Mali braucht einen Friedensprozess und einen strukturierten Dialog zwischen den Konfliktparteien. Die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens in Kidal vor zwei Wochen ist ein erster Lichtblick. Das gilt es zu nutzen. Wir brauchen verstärkten diplomatischen Druck auf die malische Regierung und die Organisationen der Rebellen, um die zügige Implementierung von Friedensverhandlungen zu erreichen. Ich fasse zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Deshalb braucht diese Mission internationale Unterstützung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Diese Mission braucht eine umfassende politische Strategie, und sie braucht einen steten und zügigen Dialog zwischen den Konfliktparteien. Deshalb unterstützt meine Fraktion den Antrag der Bundesregierung und die vorgeschlagene Mandatsverlängerung. Mali hat ein Recht auf Vertrauen und Verlässlichkeit. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Uwe Kekeritz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr van Aken, eigentlich habe ich mir geschworen, nicht auf Sie einzugehen. Aber ich habe gestern einen Fehler gemacht: Ich habe nämlich Ihre Rede vom 23. Juni 2013 gelesen. Dabei habe ich gelernt, wie Sie Ihre Reden zusammenstellen: Sie gehen dabei modular vor. Die Rede, die Sie damals gehalten haben, „fits for all those questions“. Das ist ganz phantastisch. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Welche Rede?) – Vom 23. Juni 2013. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Fits for all?) – Ja, das ist ein Basismodul, das sich immer für solche Themen eignet. Sie müssen es nur ein bisschen individuell anpassen. (Zurufe von der LINKEN) – Ja, da sind Sie jetzt durcheinandergekommen. Mit der französischen Intervention und dem vorgesehenen Mandat sind die Gefahren in Mali bei weitem nicht gebannt. Die Lage – das wurde schon gesagt – ist erschreckend. Nichtsdestotrotz können wir heute sagen, dass das Mandat seine Aufgabe in einer noch akzeptablen Weise erfüllt. Die Alternative zu diesem Mandat und der französischen Intervention wäre ein radikaler islamistischer Staat gewesen, in dem die Terrorherrschaft zum dominierenden Regierungsprinzip geworden wäre. Es gibt gar keinen Grund zu der Annahme, dass bei einer erfolgreichen Einnahme Malis der Ausdehnungswille der Terroristen gestoppt gewesen wäre. Es wäre verantwortungslos gewesen, Burkina, Mauretanien, Niger und die anderen angrenzenden Staaten einer schleichenden terroristischen Unterwanderung oder einer offenen militärischen Konfrontation auszusetzen. Die Beispiele Boko Haram und Lords Resistance Army und viele andere Terrorgruppen mit ihren Warlords zeigen doch deutlich, dass solche Terrorgruppen, so sie einmal Fuß gefasst haben, nicht mehr oder kaum mehr unter Kontrolle zu bringen sind und welche Gefahren mit ihnen verbunden sind. Boko Haram – Sie wissen es – hat in den letzten Jahren 4 000 Menschen ermordet. Beim Kampf gegen die terroristischen Islamisten in Mali ging es deshalb nicht nur um die Situation in Mali. Es musste unbedingt eine Destabilisierung der gesamten Region verhindert werden, genauso wie das Entstehen eines gefestigten, erstarkten Terrorbandes von Mali bis Nigeria. Wir alle in diesem Hause wissen, dass durch dieses Mandat allein keine langfristige Stabilisierung erfolgen wird. Wir müssen in Mali Menschenrechte etablieren -sowie soziale und ökologische Gerechtigkeit entwickeln. Deshalb begrüßen wir es natürlich sehr, dass vor zwei, drei Wochen in Bamako die Wiederaufnahme der -entwicklungspolitischen Zusammenarbeit beschlossen wurde, und auch, dass diese Zusammenarbeit europäisch koordiniert werden soll. Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang beim Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Herrn Fuchtel. Zwei Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sind besonders zu begrüßen. Den einen Schwerpunkt bildet die ländliche Entwicklung. Dabei geht es vor allem um Wasserversorgung und Wasserentsorgung sowie die Ernährungssituation im Land. Den zweiten Schwerpunkt bildet das Thema Good Governance. In Mali könnte Good Governance tatsächlich sehr schnell große Wirkung erzielen. Das mag Sie etwas verblüffen, weil Good Governance in vielen Entwicklungsländern eigentlich zu den Bereichen gehört, in denen nur wenige Fortschritte zu erzielen sind. Im Sinne von Good Governance müssten bestehende Altverträge gerade im Bergbaurecht überprüft werden. Ich fordere den Staatssekretär Fuchtel auf, dafür zu sorgen. Ich spreche ganz besonders den Goldabbau an. In Mali werden jährlich circa 90 Zentner Gold gefördert. Tatsächlich verbleiben von diesem Goldwert in Mali gerade einmal 1 bis 2 Prozent, ein erschreckender Wert. Dies reicht noch nicht einmal aus, um den ökologischen Schaden, der durch den auf unqualifizierte Art und Weise betriebenen Goldbergbau entstanden ist, auszugleichen. Bei einer fairen Besteuerung des Goldabbaus mit 60 oder 70 Prozent – bei Gold und Diamanten sind solche Sätze durchaus üblich und legitim – ließe sich der Haushalt Malis innerhalb eines Jahres schlichtweg verdoppeln. Der Staatssekretär hat vorhin gesagt, dass eine Eigenleistung Malis erwünscht ist und auch erbracht werden muss. Eine solche Besteuerung wäre ein sehr guter Weg dorthin. Wir müssen allerdings feststellen, dass es Freihandelsverträge gibt, die Investitionen enorm schützen. Da haben wir ein riesengroßes Problem. Diese Freihandelsverträge sorgen dafür, dass Investitionen einen höheren Stellenwert als ökologische, soziale oder menschenrechtliche Aspekte haben. Das verhindert natürlich eine vernünftige Entwicklung in Mali. Deswegen sollten wir uns Gedanken darüber machen, welche Möglichkeiten wir haben, alte Abbauverträge zu kündigen. Es kann nicht sein, dass wir, global gesehen, Milliarden in Form von Investitionen oder Hilfeleistungen zur Verfügung stellen und gleichzeitig zulassen, dass die eigentlichen Werte, über die dieses Land verfügt, zum Beispiel das Gold, das Land verlassen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Kekeritz, Sie sind schon weit über Ihre Redezeit. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr van Aken hat mir meine Redezeit geklaut. Vizepräsidentin Petra Pau: Er nicht. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bedanke mich bei Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Philipp Mißfelder das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! (Jan van Aken [DIE LINKE]: Der stiehlt uns die Zeit!) – Ich kann Ihnen, Herr van Aken, nur sagen: Hören Sie genau zu! Von dem, was unser Kollege von den Grünen gerade gesagt hat, konnten Sie etwas lernen, was verantwortungsvolle Opposition und Politik angeht. Sie wiederholen bei jeder Rede Ihr „ceterum censeo“, dass Karthago zerstört werden muss. Es lohnt sich schon, das Ganze genauer zu betrachten. Sie können natürlich eine radikalpazifistische Position vertreten, aber Sie können uns gerade im Fall von Mali nicht unterstellen, dass das ein interventionistischer Vorstoß der Bundesregierung sei. Ganz im Gegenteil, wir sichern mit dem, was wir tun, unsere gesamten humanitären Aktivitäten ab. Darum geht es an der Stelle, um nichts anderes. Deshalb ist es ein Zerrbild, was Sie gezeichnet haben. Vor dem Hintergrund weise ich das, was Sie sagen, zurück. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich behaupte angesichts der Komplexität des Konflikts nicht, dass Sie mit allem, was Sie sagen, unrecht haben. Deshalb prüfen wir auch ganz genau, inwiefern dieses Mandat Sinn macht oder nicht. Wir können ein Jahr nach Beginn des MINUSMA-Mandats sagen: Der Einsatz war richtig, und er ist es immer noch. Deshalb unterstützen wir die Verlängerung und werden diesem Mandat auch zustimmen. Die Ereignisse der vergangenen Wochen – ich verweise auf die Ausschreitungen in der nordmalischen Stadt Kidal am 17. Mai – machen deutlich, dass die Lage weiterhin fragil ist, selbst wenn die Medien sich nicht in dem Umfang damit beschäftigen, wie wir das hier im Deutschen Bundestag mit Blick auf das Mandat tun müssen. Wir sind in einer schwierigen Situation. Es sind noch immer über 200 000 Menschen auf der Flucht. Davon befinden sich rund 140 000 Menschen in den Nachbarländern Malis, sodass die Gefahr besteht, dass der Konflikt übergreift. Vor dem Hintergrund haben wir die Verantwortung, uns um diese Nachbarländer zu bemühen, sie zu stabilisieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, mit der Flüchtlingsproblematik klarzukommen. Das Mandat MINUSMA, wozu Deutschland konkret einen sehr bescheidenen Beitrag leistet, ist eine beruhigende und stabilisierende Maßnahme. Wir beteiligen uns mit bis zu 150 Soldatinnen und Soldaten. Davon sind zurzeit 77 im Einsatz. Das ist wie jedes Bundeswehrmandat eine nicht ungefährliche Mission. Deshalb danke ich all denjenigen, die für unser Land dort ihren Dienst tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir beteiligen uns darüber hinaus mit einer polizeilichen Komponente, die aus bis zu zehn Polizisten besteht. Die Hauptaufgabe der deutschen Soldaten liegt weiterhin, auch beim neuen Mandat, darin, den Lufttransport und die Luftbetankung zu unterstützen und in Führungs- und Verbindungsstäben Beratungs- und Unterstützungsaufgaben zu übernehmen. Das ist wichtig; denn das zeigt den Charakter des Mandats und wie wir in diesem Land vorgehen, nämlich unterstützend und nicht interventionistisch. Das gehört aus meiner Sicht zu den Kernaufgaben der Bundeswehr und fügt sich in das ein, was die Bundesregierung mit ihrer Afrika-Strategie anstrebt. Auch das ist – das sage ich hier ganz deutlich – an manchen Stellen noch ausbaufähig. Wir diskutieren und ringen darum, welcher Weg der beste für Afrika sein soll. Ich schließe nicht aus, dass auch militärische Maßnahmen zur Konfliktlösung gehören können. Sie sind aber nicht ein -Allheilmittel. Das hat im Übrigen auch niemand von unserer Fraktion oder von der Regierung gesagt. Insbesondere der Beitrag von Staatssekretär Brauksiepe hat gezeigt, dass sich dieses Mandat in ein Gesamtkonzept einfügt, das entwicklungspolitische und diplomatische Maßnahmen umfasst. Vor dem Hintergrund können wir diesem Mandat zustimmen. Wir hoffen, dass in den nächsten zwölf Monaten dieses Mandat einen kleinen stabilisierenden Beitrag für das Land leistet. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dirk Vöpel das Wort. (Beifall bei der SPD) Dirk Vöpel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Afrika wird unterschätzt. In weiten Teilen des Kontinents vollzieht sich ein dramatischer, wenn nicht gar epochaler Wandel zum Besseren. Es ist noch nicht lange her, da hätte das niemand für möglich gehalten, da galt die Wiege der Menschheit als hoffnungsloser Fall. Der Name Afrika war nur ein anderes Wort für Hunger, Gewalt, Stagnation und millionenfaches Elend. Natürlich gibt es nach wie vor Regionen, auf die das alles zutrifft; aber in seiner Einseitigkeit ist dieses Afrika-Bild, das viele Menschen noch immer im Kopf haben, definitiv falsch. Viele Länder Afrikas erleben eine ökonomische und soziale Gründerzeit, die in ihrer Dynamik vielleicht nur mit dem Aufbruch der asiatischen Tigerstaaten vergleichbar ist. Mali gehört zu den Ländern, die nach wie vor auf der Schattenseite dieses afrikanischen Aufbruchs stehen. Es ist eines der ärmsten Länder der Welt und stand vor zwei Jahren unmittelbar vor dem Staatszerfall. Eine Rebellion im Norden und ein Putsch im Süden hatten den westafrikanischen Staat innerhalb eines Vierteljahres von einer scheinbar stabilen Demokratie in einen neuen internationalen Krisenherd verwandelt. Nur das Eingreifen der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der Franzosen im Rahmen der Operation Serval, hat den Absturz in das völlige Chaos verhindert. Seit dem Anlaufen der VN-Mission MINUSMA, die von afrikanischen Partnern ganz wesentlich mitgetragen wird, ist die Gesamtsituation in Mali nicht schlechter, sondern besser geworden. Staatsgewalt und territoriale Integrität sind im Wesentlichen wiederhergestellt, wenn man von den weiten Wüstengebieten im Norden absieht. Diese sind schon aus geografischen Gründen nur sehr schwer zu kontrollieren. Die Sicherheitslage und damit auch die Arbeitsvo-raussetzungen für die zivilen Aufbauhelfer konnten im Süden und in der Mitte des Landes erheblich verbessert werden. Die politische Stabilisierung hat mit den Präsidentschafts- und den Parlamentswahlen im letzten Jahr ebenfalls große Fortschritte gemacht. Nur wo sich die regionale Sicherheitslage entspannt, verbessert sich auch die humanitäre Situation. Es gibt also Hoffnung für Mali; aber es ist noch lange nicht über den Berg. Die Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft und damit auch durch Deutschland bleibt notwendig. Sie bleibt notwendig, um das bisher Erreichte abzusichern und weitere Fortschritte überhaupt erst in Reichweite zu bringen. Gerade die besorgniserregenden Ereignisse der jüngsten Tage im Norden Malis zeigen überdeutlich, dass die Fähigkeiten auch zu einem robusten Vorgehen zurzeit nicht verzichtbar sind, wenn man den mühsam erkämpften Erfolg nicht aufs Spiel setzen will. Diese Ereignisse zeigen aber auch, dass der stockende Friedensprozess wieder in Gang kommen muss. Seit den Wahlen sind hier leider keine sichtbaren Fortschritte erzielt worden. Eine Befriedung des Nordens hängt aber in hohem Maße gerade von diesen politischen Fortschritten ab. Jetzt ist weiterer diplomatischer Druck auf die malische Regierung und die MNLA sowie auf deren Verbündete zwingend erforderlich. (Beifall bei der SPD) Heute liegt uns der Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der MINUSMA-Mission der Vereinten Nationen in Mali vor. Das deutsche Engagement bleibt hinsichtlich der Instrumente und des entsandten Personals im Rahmen der Gesamtoperation MINUSMA eine kleine Mission. Die Bereitstellung von taktischen Lufttransportkapazitäten wie auch – im Anforderungsfall – die zugesicherte Fähigkeit zur Luftbetankung gehören jedoch zu den Kompetenzen, ohne die eine solche Mission kaum durchgeführt werden könnte. Bemerkenswert und vorbildlich finde ich die konsequente entwicklungspolitische Unterfütterung und Flankierung des MINUSMA-Einsatzes. Es ist sehr erfreulich und markiert durchaus einen beachtlichen Fortschritt, dass mit den deutsch-malischen Regierungsverhandlungen Mitte Mai nun auch ganz offiziell die vollständige Wiederaufnahme der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit in Mali erfolgen kann. Auch die Mission EUTM Mali und die zivile EU-Mission EUCAP Sahel Mali zeigen deutlich, dass der Lösungsansatz für Mali gut vernetzt und breit aufgestellt ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für unsere internationalen Partner, aber vor allem für Mali ist unsere Unterstützung auch weiterhin wichtig und notwendig. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Florian Hahn hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Achim Post [Minden] [SPD]) Florian Hahn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In Malis Norden liegt die Oasenstadt Timbuktu: Zentrum islamischer Gelehrsamkeit, geprägt vom Sufismus, Heimat Tausender Handschriften aus dem Mittelalter, Standort vieler Heiligengrabmäler, Moscheen und Bibliotheken, UNESCO-Weltkulturerbe der Menschheit. Erinnern wir uns an das Frühjahr 2012: Die Regierung in Bamako wird gestürzt. Tuareg und Söldner aus dem libyschen Bürgerkrieg erobern die Stadt Timbuktu. Nach wenigen Tagen werden die Tuareg von Islamisten der Gruppe Ansar al-Din aus der Stadt gejagt. Zusammen mit al-Qaida des Islamischen Maghreb versuchen diese, die Scharia in ihrer strengsten Form durchzusetzen. Es beginnt ein Regime des Terrors und der Verwüstung. Mehrere berühmte Mausoleen wurden als „unislamisch“ zerstört, eine Bibliothek mit unersetzlichen Handschriften wurde in Brand gesetzt. Erst Ende Januar 2013 machte die Militäraktion Serval der Franzosen diesem Spuk Gott sei Dank ein Ende – ein gutes Beispiel, das zeigt, warum in bestimmten Fällen auch kurzfristige militärische Interventionen unerlässlich sein können. Ziel der Mission MINUSMA in Mali ist es nun, Bevölkerungszentren zu stabilisieren, staatliche Autorität im ganzen Land wiederherzustellen und den Übergangsfahrplan zu unterstützen, vor allem den nationalen politischen Dialog. Der deutsche militärische Beitrag dazu ist im Schwerpunkt taktischer Lufttransport mit zwei Flugzeugen vom Typ Transall, die in Dakar im Senegal und in Bamako bereitstehen. Sie bilden die German Airlift Support Group und fliegen fast täglich Transporte in den unruhigen Norden zur Versorgung der UN-Truppen. Außerdem stellen wir optional Luftbetankung für französische Streitkräfte bereit, und Einzelpersonal ist in den Führungsstäben bzw. als Verbindungsoffizier tätig. Nicht alle Probleme sind mit militärischen Mitteln lösbar – schon gar nicht ethnische Konflikte. Aber wir müssen als Übergangslösung so viel Stabilität und Sicherheit schaffen, dass ein geordneter Neuaufbau von Sicherheitskräften und Verwaltungsapparat beginnen kann. Im nichtmilitärischen Bereich hilft Deutschland durch die Bereitstellung von Krisenpräventionsmitteln – allein 2013  10 Millionen Euro – für Versöhnung und Entwicklung im Norden Malis, durch humanitäre Hilfe, insbesondere Nahrungsmittelhilfe – hierfür sind 8,1 Millionen Euro ausgegeben worden – und die Entwicklungszusammenarbeit: Hier werden allein 2013/2014  120 Millionen Euro aus den Mitteln der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit und 20 Millionen Euro über nichtstaatliche Träger bereitgestellt. Außerdem beteiligen wir uns an der Ausbildung von Polizei und Sicherheitskräften. Lassen Sie mich abschließend sagen: Unsere Transportflieger leisten unter extremen Bedingungen Herausragendes. Wir müssen auch hier unserer Fürsorgepflicht nachkommen und sicherstellen, dass bei den Einsatzbedingungen, was Material und Einsatzzeiten angeht, die Belastungsgrenze nicht überschritten wird. Militärische Unterstützung und Ausbildung in Mali stehen für uns nicht allein; wir verfolgen zu Recht einen ganzheitlichen Ansatz beim Staatsaufbau. Versöhnung aller Volksgruppen und Beteiligung aller Regionen am Staatswesen sind Voraussetzungen für langfristige Stabilität. Die jüngsten Rückschläge im Norden zeigen deutlich: In Mali werden wir einen längeren Atem brauchen. Aber unser Engagement ist wichtig und notwendig für Mali, für die Menschen dort und ist nicht zuletzt auch in unserem eigenen Interesse. Den zivilen und militärischen Beteiligten an der Unterstützung in Mali wünsche ich Gesundheit, Erfolg und Gottes Segen bei ihrem Tun. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1416 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Kai Gehring, Özcan Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (1. WissZeitVG-ÄndG) Drucksache 18/1463 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Wochen hat dieses Haus gegen die Stimmen der grünen Bundestagsfraktion ein milliardenschweres, aber ungerechtes Rentenpaket verabschiedet. Aber was ist mit der jungen Generation? Was tut die Bundesregierung für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland, der mit seinem Wissen und Können für dringend benötigte Innovationen sorgt? Die Antwort ist: bisher nichts. Wenn es um verlässliche Perspektiven für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen geht, zeigt sich diese Koalition erschreckend ideenlos und erschreckend tatenlos. So darf es nicht bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind Herzstücke unseres Wissenschaftssystems. Sie müssen attraktive Arbeitgeber mit guten und zukunftsfähigen Arbeitsbedingungen sein. Schauen wir uns den Gesetzentwurf an, den wir heute debattieren. Ich möchte zunächst fragen: Liebe Koalition, warum muss diese Initiative zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes eigentlich aus der Opposition kommen? Sie selbst kündigen doch im Koalitionsvertrag eine Novelle des Gesetzes an. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das werden wir auch machen!) Der Gesetzentwurf, den wir heute in den Bundestag einbringen, wurde schon im Frühjahr 2013 von grün-rot und rot-grün regierten Ländern in den Bundesrat eingebracht. Sie – und hier meine ich vor allem die Kolleginnen und Kollegen der SPD – hätten längst handeln können. Ihre Zögerlichkeit als Koalition schadet dem wissenschaftlichen Nachwuchs. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Dr. Simone Raatz [SPD]: Ach jemine!) Meine Fraktion hat die prekären Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses schon mehrmals im Bundestag zum Thema gemacht. Sie kennen die Zahlen: Beinahe neun von zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an den deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind befristet beschäftigt. Das gilt auch für die Phase nach der Promotion, in der 51 Prozent der Verträge an den Hochschulen und 40 Prozent der Verträge in den Forschungseinrichtungen eine Laufzeit von unter einem Jahr haben. Das sind Zustände, die sich kein Unternehmen leistet, das genauso wie der Wissenschaftsbetrieb auf Spitzenpersonal angewiesen ist. Hier ist etwas aus dem Lot geraten, und das müssen wir ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen hier durchaus von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die gut und gern ihr viertes, teils sogar fünftes Lebensjahrzehnt erreicht haben. Diese erfahrenen Kräfte wollen Sie weiter mit kurzfristigen Verträgen hinhalten. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Nein, wollen wir nicht!) Mit einer solchen Politik schafft man keine Innovationen und kein wettbewerbsfähiges Wissenschaftssystem, das kreative Menschen an sich bindet. Man schafft vielmehr Frustration und riskiert das Abwandern dieser klügsten Köpfe in die Wirtschaft oder ins Ausland. Das kann hier niemand ernsthaft wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das tut auch keiner!) Mit unserer Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes schlagen wir konkrete Verbesserungen vor. Dabei ist uns bewusst, dass es nur ein Baustein ist, den wir im deutschen Wissenschaftssystem voranbringen müssen. Im Bereich dieses Gesetzes hat der Bund originäre Zuständigkeiten und Handlungsmöglichkeiten. Deshalb schieben Sie in der Debatte die Verantwortung nicht nur auf die Länder und Hochschulen, sondern lassen Sie uns dort, wo wir es als Bund können, einen klaren Rahmen setzen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zu diesem klaren Rahmen gehört, Mindestvertragslaufzeiten für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der zweiten Qualifizierungsphase einzuführen. Wer seine Promotion erfolgreich abgeschlossen hat, soll nur noch in begründeten Ausnahmefällen eine Vertragslaufzeit von unter zwei Jahren erhalten. Außerdem soll für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Qualifizierungsphasen gelten, dass die Laufzeit der Verträge, die auf Drittmittelbefristung beruhen, mindestens der Laufzeit der Finanzierungsbewilligung des Drittmittelgebers entsprechen muss. Sorgen wir endlich dafür, dass sachgrundlose Befristungen Vorrang haben vor Drittmittelbefristungen. Das täte dem wissenschaftlichen Nachwuchs gut. Mit diesen Vorschlägen können wir einiges tun gegen das Befristungsunwesen in unserem Wissenschaftssystem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wenn wir schon dabei sind: Lassen Sie uns auch die Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz aufheben, um so die Autonomie der Hochschulen zu stärken. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter im Wissenschaftsbereich müssen endlich die Möglichkeit erhalten, eigene adäquate Tarifregelungen für die Wissenschaft auszuhandeln. Es ist aus unserer Sicht allerhöchste Zeit, dass die Bundesregierung auch junge Beschäftigte in Deutschland in den Blick nimmt. Promovierende und Postdocs an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind Teil einer Generation, von der sich dieses Land superwichtige Impulse für seine wirtschaftliche, soziale und ökologische Modernisierung erhofft. Um diese Hoffnung zu erfüllen, brauchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verlässliche Perspektiven und planbare Karrierewege. Das beginnt bei der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, es geht weiter bei der Zukunft der Wissenschaftspakte und endet im Kern bei der dringend notwendigen Verbesserung der Grundfinanzierung der Hochschulen. Letzterem, liebe Koalitionäre, haben Sie im Haushalt 2014 und in der gestrigen Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses einen Bärendienst erwiesen. Die bei Schäuble zwischengeparkte halbe Milliarde Euro fließt nun doch nicht in Bildung und Forschung, sondern Sie stopfen damit Lücken im Gesamthaushalt. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Fehlinterpretation! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das stimmt nicht!) Damit hätten Sie so viel für die Wissenschaft tun können, unter anderem ein neues Juniorprofessorenprogramm mit Tenure Track auflegen, wie wir es in den Haushaltsberatungen beantragt haben. Ihre Politik ist dagegen unsäglich zukunftsvergessen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Alte -Kamelle!) – Wenn Sie das „alte Kamelle“ nennen, dann rate ich Ihnen: Sprechen Sie einmal mit Vertretern des Wissenschaftsbetriebs. Die werden Ihnen sagen, dass ein neues Juniorprofessorenprogramm Perspektiven schafft, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Die sagen mir etwas ganz anderes!) wichtig und ein Fortschritt ist. Das könnten Sie machen, anstatt 500 Millionen einfach so zu versenken. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das stimmt nicht, Herr Kollege!) Ich sage Ihnen: Es ist dringend notwendig, Wissenschaft als Beruf wieder attraktiver zu machen. Wir wollen es im Wissenschaftssystem fair statt prekär. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Alexandra Dinges-Dierig das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wichtigste vorweg: Deutschland ist ein hervorragender und attraktiver Forschungsstandort. Diesen gilt es weiter zu stärken. Dies haben wir bei den Haushaltsberatungen ganz deutlich gezeigt. Die Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD hat sich ausgesprochen für zusätzliche 3 Milliarden Euro für die Forschung und, lieber Herr Gehring, für weitere 6 Milliarden Euro, die sich auf Kita, Schulen und Hochschulen verteilen. Es bleibt also bei den 9 Milliarden Euro, egal bei welchem Posten sie nun stehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Unsere politische Verantwortung ist es, den geeigneten Rahmen für erfolgreiche Forschung zu schaffen. Da sind wir beieinander, Herr Gehring; das haben auch Sie gesagt. Wir sind auch da beieinander, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz dazu ein Baustein ist. Wir debattieren heute das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf Wunsch der Grünen noch einmal. Ich muss aber sagen – Sie haben es selber erwähnt, Herr Gehring –: Ihr Gesetzentwurf entspricht dem Gesetzentwurf der SPD aus dem letzten Jahr (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Der Bundesratsinitiative!) – nahezu –; ich vermisse die Ergebnisse der Debatten und der Anhörungen des letzten Jahres. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Es hätte uns in der Diskussion viel weiter gebracht, wenn Sie dies konstruktiv eingebaut hätten. Dann hätten wir jetzt über andere Inhalte sprechen können, nämlich über die Stärkung der Forschung und die Schaffung verlässlicher Karrierewege für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Weil es ein Gesetzentwurf von gestern ist, wird die CDU/CSU ihn auch diesmal wieder ablehnen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt Ihr Änderungsantrag?) Meine Damen und Herren, Kern des Gesetzes ist – für diejenigen, die sich damit noch nicht beschäftigt haben – die Regelung von Möglichkeiten, im Bereich der Wissenschaft Arbeitsverträge abzuschließen, die befristet sind. Das betrifft besonders Nachwuchswissenschaftler, also Personen, die ihr Studium abgeschlossen haben. Es geht um die Befristung für einen festen Zeitraum, und zwar ohne Angabe von Gründen. Natürlich gibt es auch befristete Arbeitsverträge mit Angabe von Gründen. Hier geht es insbesondere um Arbeitsverträge mit Befristungsgrund, zum Beispiel bei Drittmittelprojekten oder auch wegen notwendiger Kinderbetreuung oder Pflege. Eine Evaluation aus dem Jahr 2011 und eine Expertenanhörung im vergangenen Jahr haben gezeigt: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz wird in hohem Maße der projektorientierten Arbeitsweise in der Forschung gerecht. Es gibt den Arbeitgebern die notwendige Rechtssicherheit bei Arbeitsverträgen, weil es einfach zu handhaben ist. Außerdem – für diejenigen, die das nicht so gerne hören – stößt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auch bei den jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aufgrund ihrer individuellen Arbeitsweise auf hohe Akzeptanz. – Diese Punkte sollten wir nicht unter den Tisch fallen lassen. Darüber hinaus können wir in Deutschland beobachten: Seitdem wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz haben, nimmt die Anzahl der Promotionen enorm zu. Wir liegen in Deutschland inzwischen weit über dem EU-Durchschnitt. Dass wir international attraktiv sind, das zeigt der nicht nachlassende Zustrom von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an unsere Universitäten. Das ist eine erfreuliche Entwicklung. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich stelle also fest: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist im Kern ein wichtiger und richtiger Baustein. Mit seiner Hilfe gewinnen wir die Besten der Besten. Gleichzeitig – das haben Sie leider nicht erwähnt – können wir den Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern vermehrt die Möglichkeit des Einstiegs in eine wissenschaftliche Laufbahn bieten. In dem Zeitraum seit 1992 bis heute stieg die Zahl derer immerhin um 80 Prozent. Das ist ein gutes Zeichen für einen sich entwickelnden Wissenschaftsstandort. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht hier um Befristungen!) Meine Damen und Herren, aber neben viel Licht gibt es auch Schatten. Dieser Schatten ist die zunehmende Zahl kurzfristiger Arbeitsverträge. Dies war – und ist – nicht die Intention des Gesetzgebers in 2007. Ich gebe Ihnen zu 100 Prozent recht, dass hier Handlungsbedarf besteht. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Debatten des letzten Jahres haben aber gezeigt, dass es keine Lösung ist, die Fristen mit Mindestzeiten bei gleichzeitig begründeter Verkürzungsmöglichkeit zu belegen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr -richtig!) Denn das wiederum führt zu Starrheit in einem flexiblen System, zu Rechtsunsicherheit und vor allem zu neuer Ungerechtigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine kurzfristige Verlängerung der bestehenden Verträge, für sechs Monate, weil jemand mit der Arbeit nicht fertig ist, weil jemand in die Familienphase eintritt oder weil ein Überbrückungsvertrag nötig ist, bis ein neuer Vertrag geschlossen wird, wird extrem schwierig. Das hemmt unsere Entwicklung. Deshalb sind in meinen Augen systemfremde Änderungen der falsche Weg. Der Gesetzentwurf der Grünen, so wie er jetzt vorliegt, ist in meinen Augen wieder ein Beispiel dafür, dass versucht wird, Symptome zu bekämpfen, ohne die Ursachen aufzudecken. (Lachen des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das sehen wir anders!) Ich sage es ganz deutlich: Es gibt kein Problem von gesetzgeberischer Seite, sondern ein Umsetzungsproblem in den Ländern. Die Hochschulen haben in vielen Ländern nicht den Stellenwert, der ihnen zusteht. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Das ist auch in Hamburg so!) Es fehlen – das zeigt auch die Empfehlung der HRK vom 13. Mai 2014; das ist gerade einmal drei Wochen her – die rechtlich und finanziell verlässlichen Rahmenbedingungen an den Hochschulen. Hier sind die Länder in der Pflicht. Lassen Sie mich eines deutlich machen: Die Regierungskoalition von CDU, CSU und SPD hat in den vergangenen Tagen beschlossen, dass der Bund zukünftig die Kosten für das BAföG vollständig übernimmt. Damit haben die Länder zusätzliche finanzielle Möglichkeiten, in Schule und Hochschule zu investieren. Jetzt geht es darum, dass die Länder dies auch tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn für den wissenschaftlichen Nachwuchs vereinbart? Gibt es Juniorprofessuren?) Im Bereich der Hochschulen zum Beispiel könnte mit diesen Mitteln eine veränderte, attraktive Personalstruktur aufgebaut werden. Neben den Ländern sind bezüglich der Umsetzung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auch die Hochschulen in der Pflicht. Herr Gehring hat gerade einige Zahlen genannt; die sind richtig. Ich möchte aber zeigen, dass, wenn man eine andere Auswahl von Zahlen heranzieht, man vielleicht zu einem anderen Ergebnis kommt. Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin, das können Sie gerne tun, aber ab jetzt geht das zulasten der Kollegen Ihrer Fraktion. Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): Ich bin auch sofort fertig. – An den Hochschulen haben wir 53 Prozent kurzfristige Verträge, an Helmholtz-Instituten nur 23,8 Prozent. An den Hochschulen haben wir 11 Prozent langfristige Verträge, an Helmholtz-Instituten 50 Prozent. Das spricht für sich. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was tun Sie für die Hochschulen?) Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz schafft einen flexiblen Rahmen. Schwächen in der Umsetzung des Gesetzes sind bei den Ländern und Hochschulen zu beheben. Der Bund will gern dabei unterstützen, dieses zu ändern. Das werden wir mit der Änderung des Artikels 91 b Grundgesetz auch tun. Die Flexibilität zu nehmen, ist der falsche Weg. Deshalb werden wir vonseiten der CDU/CSU, wie zu Beginn ausgeführt, den Gesetzentwurf ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Novelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist überfällig. Es reicht aber nicht, Frau Dinges-Dierig, nur die Schwächen zu benennen und alles andere schönzubeten; Sie müssen handeln. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Haben wir getan!) Mit dem Handeln ist das bei Ihnen aber so eine Sache: Sie kündigen an, und es passiert nichts. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie mit 19 ein Studium beginnen, nach Studienabschluss über vier Jahre in 20 Stunden Teilzeit mit Halbjahresverträgen bis zur Promotion angestellt werden, aber real über 40 Stunden im Labor schuften und abends zu Hause büffeln, um dann weitere sechs Jahre mit jahresbefristeten Teilzeitverträgen am wissenschaftlichen Fortschritt der Bundesrepublik teilzuhaben und sich anschließend mit Quartalsverträgen auf Drittmittelprojekten bis zur Rente hangeln zu müssen? Ausgebeutet und missbraucht würden Sie sich fühlen – zu Recht. Deshalb ist es höchste Zeit, dieses Gesetz zu hinterfragen. (Beifall bei der LINKEN) Mit flexibleren Forschungsmöglichkeiten und mehr Chancen für angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begründete die letzte GroKo die Einführung dieses Gesetzes. Was hat es für unseren wissenschaftlichen Nachwuchs an den Hochschulen gebracht? Nur noch einer von zehn Wissenschaftlern hat eine feste Stelle. 50 Prozent der Befristungen sind kürzer als ein Jahr. Kettenbefristungen sind die bittere Realität. Damit haben die Betroffenen oft mehr abgelaufene Arbeitsverträge als Lebensjahre. An den außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist die Situation nicht viel besser. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Doch, die ist besser!) Und die Folgen? Es ist kein Wunder, dass Absolventen die erste Chance ergreifen, in die Industrie oder ins Ausland zu wechseln. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was haben Sie gegen die Industrie? Wir brauchen doch auch gute Leute in der Industrie!) Mehr Geld, mehr Anerkennung und eine planbare Zukunft sind starke Argumente. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Entscheiden sich Akademikerfamilien für die Wissenschaft, dann wird Familienplanung verdammt schwer, und der Kinderwunsch wird häufig zu lange aufgeschoben. Ignorieren Sie dies nicht länger! Sie beschädigen die Zukunft unserer Familien. (Beifall bei der LINKEN) Begreifen Sie endlich, dass Sie so auch die Qualität unserer Hochschulen und Forschungseinrichtungen ruinieren! Die ständigen Projektbefristungen bei Verwaltungsangestellten und technischem Personal sind für die Linke ebenfalls inakzeptabel. Unternehmen der freien Wirtschaft haben auch keine Auftragssicherheit über mehrere Jahre. Trotzdem arbeitet die Industrie mit wesentlich mehr Dauerverträgen. Warum? Weil es strengere Gesetze für Befristungen gibt. Ehrlich: Unsere Professoren sind doch nicht unfähiger als die Manager in der Indus-trie. Bringen wir Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit härteren Befristungsvorschriften zum Abschluss von Dauerverträgen! Alle Beschäftigten haben ein Recht auf eine planbare Zukunft. (Beifall bei der LINKEN) Es sind erste gute Schritte, die unsere Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem Gesetzentwurf vorschlagen: weniger Willkür bei Befristung durch die verpflichtende Einbeziehung der Tarifpartner und durch garantierte Qualifizierungszeiten bei wissenschaftlichen Befristungen. Das unterstützt die Linke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Doktoranden und das gesamte Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben für die Linke Anspruch, erstens, auf eine Mindestbefristungszeit der Verträge nach Dauer der Qualifizierungsphase, jedoch mindestens auf zwölf Monate, zweitens, bei Drittmittelprojekten auf eine Mindestbefristung nach Projektdauer und gesicherter Finanzierung, jedoch mindestens auf zwölf Monate, und, drittens, einen rechtssicheren Anspruch auf Verlängerung vereinbarter Befristungen um die Länge von Kinderbetreuungs- und Pflegezeiten. Wir fordern, dass bei Drittmittelprojekten das nichtwissenschaftliche Personal unbefristete Arbeitsverträge erhält. Grundsätzlich wollen wir die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen für Personal in Lehre und Forschung an öffentlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen für die Wiederbelebung des akademischen Mittelbaus. (Beifall bei der LINKEN) Es wird höchste Zeit, die Lehr-, Lern- und Forschungsbedingungen an öffentlichen Einrichtungen des Wissenschafts- und Forschungssystems zu verbessern. Machen Sie da mit! Verweigern Sie sich nicht; sonst gefährden Sie den Wissenschaftsstandort Deutschland. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Simone Raatz für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Simone Raatz (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Gehring, ich bin schon ein bisschen verwundert, dass Ihre Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, es wirklich schafft, einen SPD-Gesetzentwurf aus dem vergangenen Jahr zu 100 Prozent, nahezu wortwörtlich, als ihren eigenen in diese Debatte einzubringen (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine gemeinsame Bundesratsinitiative!) und dazu nicht ein Wort zu sagen. Man kann das natürlich verschmitzt machen. Ich verstehe es ja. Es ist Aufgabe der Opposition, ein paar Themen zu setzen und zu sagen: Guckt mal, das habt ihr vergangenes Jahr gemacht. – Aber Sie sollten es wirklich nicht so unkritisch zu 100 Prozent übernehmen. Vielleicht haben Sie es nicht ganz zu 100 Prozent übernommen. Dann sind es 99,9 Prozent; denn es sind wirklich nur zwei Punkte anders und auch die haben Sie aus Vorlagen von Nordrhein-Westfalen und Hamburg abgeschrieben. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine gemeinsame Bundesratsinitiative! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Strategisches Know-how müssen Sie noch lernen!) Ein bisschen Kreativität hätte ich mir sehr gewünscht, weil – da stimme ich, wie viele andere auch, mit Ihnen überein – gute Arbeit in der Wissenschaft ein ganz wichtiges Thema ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich denke, dass wir uns des Themas „gute Arbeit in der Wissenschaft“ in dieser Legislatur unbedingt annehmen müssen. Hier wurden schon einige Argumente genannt. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Raatz, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Klein-Schmeink? Dr. Simone Raatz (SPD): Gerne. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kann ich, nachdem Sie darauf hingewiesen haben, dass der Gesetzentwurf im Wesentlichen dem entspricht, was rot-grün regierte Länder in den Bundesrat eingebracht haben, davon ausgehen, dass Sie diesem Gesetzentwurf im weiteren Verfahren zustimmen werden? (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Mein Gott! Das ist billige Spielerei! Das ist überflüssig wie nur was!) Dr. Simone Raatz (SPD): Ich denke, Sie haben verfolgt, dass wir weiter an einer Vorlage arbeiten werden, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner. Ich werde in den paar Minuten Redezeit, die ich habe, schon einige Punkte benennen, an denen wir über die Bundesratsinitiative hinausgehen. Prinzipiell entspricht Ihr Gesetzentwurf dem vom vergangenen Jahr, den wir damals gerne durchgebracht hätten. Aber seitdem ist ein bisschen Zeit vergangen, und wir werden das nun weiterentwickeln. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns dabei unterstützten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Im vergangenen Jahr wurde intensiv über dieses Thema debattiert; ich war noch nicht dabei, aber konnte die Debatte nachverfolgen. Die Zahlen haben sich seitdem nicht verändert: 83 Prozent der hauptberuflich tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen sind in befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Auch an außeruniversitären Forschungseinrichtungen – da muss ich meiner geschätzten Kollegin Frau Dinges-Dierig ein klein wenig widersprechen – sieht die Lage nicht besser aus. Sicherlich ist die Situation an einigen Instituten schon ganz gut – wir hatten einen Vertreter der Helmholtz-Gemeinschaft im Ausschuss zu Gast –, aber an manchen Instituten gibt es eine Befristungsquote von 80 bis 90 Prozent. Ich kann mir überhaupt nicht erklären, wie gerade an außeruniversitären Forschungseinrichtungen solch eine Befristungsquote zustande kommt. Da muss dringend etwas geändert werden. (Beifall bei der SPD) Wenn man sich einmal anschaut, wohin unsere Spitzenwissenschaftler gehen, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie kommen nach Deutschland!) dann sieht man: zum großen Teil in die USA. Warum? Wie ist da die Befristungsquote? Sie liegt bei 14 Prozent. Das ist natürlich etwas anderes. In England liegt sie bei 28 Prozent. Ich denke, daran sollten wir uns orientieren und auch messen lassen. Es wurde schon gesagt: Die Hälfte der befristeten Beschäftigungsverhältnisse an den Einrichtungen in Deutschland ist auf weniger als ein Jahr angelegt; über 20 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sogar mit Sechsmonatsverträgen leben. Das können wir nicht fortführen. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das macht deutlich: Hier ist etwas gewaltig aus dem Ruder gelaufen. Diesem Missstand müssen und werden wir einen Riegel vorschieben. Wir werden mit der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes – ich denke, dass wir da zukünftig unseren Koalitionspartner an der Seite haben – Mindeststandards einführen; denn dies allein den Hochschulen zu überlassen, hat, wie wir gesehen haben, nicht zu dem Ergebnis geführt, das wir uns wünschen. Wir wünschen uns für unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler planbare und verlässliche Karrierewege; das wurde hier schon gesagt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Drei unserer Kernforderungen, die sich im Gesetzestext wiederfinden werden, will ich an dieser Stelle benennen – ich staune und freue mich, dass wir diesbezüglich sogar etwas weiter sind als die Linken –: (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Was?) Erstens. Wichtig ist für uns, dass zukünftig sowohl in der ersten als auch in der zweiten Qualifizierungsphase eine Vertragslaufzeit von mindestens 24 Monaten gilt. Natürlich können Sachgründe dagegen sprechen – Sie haben einige genannt –, aber das ist die Ausnahme. Wenn Sachgründe dagegen sprechen, dann kann man sicherlich einmal davon abweichen; aber prinzipiell wollen wir in der Qualifizierungsphase Vertragslaufzeiten von mindestens 24 Monaten. Zweitens. Die Drittmittelbefristung wird zukünftig an die Dauer der Drittmittelförderung gekoppelt. Das heißt, bei Dreijahresverträgen gibt es einen Beschäftigungsvertrag über drei Jahre. Drittens ist uns die Tarifsperre sehr wichtig. Die Linken haben 12 Monate genannt. Ich gehe etwas weiter und sage: 24 Monate. Das ist doch etwas. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Aber immer sicher! Ohne Ausnahme! Nicht wie bei Ihnen: mit Hintertür!) Ich denke, das allein reicht nicht, um die Situation für unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachhaltig zu verbessern. Dazu gehört in jedem Fall auch, dass die Grundfinanzierung unserer Hochschulen deutlich verbessert wird, um dem Stellenkürzungswahn Einhalt zu gebieten. In Sachsen – das ist Wahnsinn – sollen über 1 000 Stellen gestrichen werden; keiner weiß, wie. Dem muss Einhalt geboten werden. Wir müssen – das ist unser Ziel – mehr dauerhafte Stellen im Hochschul- und Forschungsbereich einrichten. (Beifall der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD]) Die komplette Übernahme der Kosten für das BAföG durch den Bund wurde schon von meiner Kollegin erwähnt. Die Aufhebung des Kooperationsverbots steht auch bevor. Das eröffnet zeitnah Spielräume für die Länder. Dieser Spielraum muss – da bin ich ganz an Ihrer Seite – aber auch genutzt werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Für Sachsen bedeutet das 84 Millionen Euro. Damit kann man doch etwas machen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Damit muss man etwas machen!) Bei der Verlängerung des Paktes für Forschung und Innovation sollten wir auch daran denken, mit den außer-universitären Forschungseinrichtungen messbare Zielvereinbarungen zu treffen, die eine wirklich signifikante Reduzierung der Befristungsquote sicherstellen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, es ist einiges zu tun. Ein erster wichtiger Schritt wurde bereits unternommen. So haben wir die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes gemeinsam mit der Union im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Wir sind uns also einig, dass es hinsichtlich der prekären Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft einen dringenden Handlungsbedarf gibt. Der nächste Schritt wird sein, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner und im Dialog mit den Betroffenen und den Fachgemeinschaften von GEW oder Verdi in den nächsten Monaten an einer Lösung zu arbeiten, die attraktive Beschäftigungsverhältnisse schafft und so das deutsche Wissenschaftssystem international wieder wettbewerbsfähiger macht. Anderenfalls werden wir – das wurde schon gesagt – unsere Spitzenleute und guten Nachwuchswissenschaftler verlieren, weil sie aus dem System ausscheiden oder abwandern. Ich denke, damit wäre keinem geholfen. Ich lade also die Fraktionen, aber auch Sie persönlich, Herr Gehring, ganz herzlich dazu ein, sich jetzt in den Prozess der Ausgestaltung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes konstruktiv einzubringen, (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Nicht nur abschreiben, sondern mitarbeiten!) und zwar nicht durch Abschreiben von Gesetzentwürfen, sondern mit eigenen Ideen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind auf Ihre gespannt!) Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Tankred Schipanski hat für die Fraktion der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf die Debatte an dieser Stelle wieder ins richtige Fahrwasser führen. Insbesondere nach dem Beitrag der Linken scheint es nötig zu sein, den Sachstand aufzuzeigen und den Fahrplan der Koalition in dieser Frage zu skizzieren. Lassen Sie mich Folgendes voranstellen – das wurde schon gesagt –: Herr Gehring, ich finde es einfallslos, einen Gesetzentwurf einzubringen, der fast identisch ist mit einer Vorlage, über die in der letzten Legislaturperiode diskutiert wurde und die mit sehr guten Argumenten abgelehnt worden ist. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit schlechten Argumenten!) Von daher knüpfe ich argumentativ gerne an meine Ausführungen in der letzten Legislaturperiode an. Ich darf Sie herzlich einladen, unsere Debatten vom 10. April und vom 27. Juni letzten Jahres in den Parlamentsprotokollen nachzulesen. Der Eindruck, der in dieser Debatte vermittelt wird, die Politik würde ein als wichtig erkanntes Problem nicht lösen, ist grob falsch. Ich finde es unverantwortlich, dass die Grünen hier einen solchen Eindruck erwecken, zumal Ihnen, lieber Herr Gehring, die verschiedensten Maßnahmen bekannt sein müssten, da Sie in der letzten Legislaturperiode dabei waren. Ausgangspunkt und Impuls dieser gesamten Debatte waren die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes durch die HIS GmbH im Jahre 2011 sowie der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs im Jahr 2013. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zahlen habe ich Ihnen ja vorgesagt!) Die Kernbotschaften waren damals: Dem wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland geht es gut. Die Arbeitsbedingungen sind insgesamt zufriedenstellend. Noch nie strömten mehr Wissenschaftler an unsere Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Noch nie schlossen so viele junge talentierte Menschen eine Promotion ab. Noch nie entschieden sich mehr junge Menschen für eine Karriere in der Wissenschaft. (Beifall bei der CDU/CSU – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was steht da drin zum Befristungsunwesen?) Liebe Frau Raatz, die Leute verlassen Deutschland als Forschungsstandort nicht, sondern sie kommen zu uns, weil wir die attraktiveren Bedingungen haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Berichte benennen zwei Probleme, unter denen junge Wissenschaftler in Deutschland leiden. Das ist zum einen die Personalstruktur, die derzeit als einziges Karriereziel die Vollprofessur bietet. (Dr. Simone Raatz [SPD]: Genau das müssen wir ändern!) Das ist zum anderen die überbordende Befristungspraxis – wir haben es gehört –: Stellensplitting, Vertragslaufzeiten von teilweise unter einem Jahr, Kettenverträge. Jeder kennt Beispiele aus seinem Bekanntenkreis. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie dagegen?) Die christlich-liberale Koalition hat daher in der letzten Legislaturperiode konkrete Maßnahmen ergriffen und vor allen Dingen mit Blick auf die Universitäten – Sie kennen die Vorlage, die wir hier behandelt haben – konkrete Verbesserungen vorgeschlagen. Stichwortartig darf ich Ihnen nennen: Associate-Professuren, befristete Assistenzprofessuren mit Tenure-Track-Option, also ein ganz ausgewogenes Karrieremodell neben der Vollprofessur und nicht irgendwelche aufgewärmten Juniorprofessorenprogramme. Das sind Modelle, die sich in der Praxis bewähren. Wir können das an der TU München sehen, die diese Personalstruktur eingeführt hat. Das ist praxistauglich. Jede andere Uni kann dieses Modell einführen. Es bedarf keiner Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, um hier planbare Karrierepfade zu ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU) Zum zweiten Problem, der überbordenden Befristungspraxis, hat die christlich-liberale Koalition in diesem Hohen Hause im Jahre 2013 sowie bereits 2012 im Ausschuss einen Antrag beschlossen, in dem wir die Verantwortlichen auffordern, die Vertragslaufzeiten „an die Laufzeit der Qualifikationsphase bzw. der Projekte zu koppeln, in denen die wissenschaftlichen Nachwuchskräfte beschäftigt sind.  … Das Stellensplitting in Einheiten von weniger als einer halben Stelle muss gänzlich unterbleiben“. Wir wissen zudem um die Notwendigkeit, auf den immer schneller werdenden Wissenschaftsbetrieb mit flexiblen Personallösungen zu reagieren. – Adressiert waren diese Forderungen an die Forschungseinrichtungen und Hochschulen, die daraufhin Leitlinien erlassen haben für die Ausgestaltung -befristeter Beschäftigungsverhältnisse mit ihrem wissenschaftlichen Personal, sogenannte Selbstverpflichtungserklärungen. Wir werden schauen, ob sich die Einrichtungen an diese Selbstverpflichtungserklärungen halten oder nicht. Das evaluieren wir jetzt. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Simone Raatz [SPD]: Das klappt doch nicht! Das wissen wir alle!) Sind die Missstände in der Befristungspraxis aufgehoben, werden wir nicht reagieren. Sind sie nicht aufgehoben, bedarf es eventuell einer gesetzlichen Regelung. Diese gesetzliche Regelung – meine Kollegin von der SPD hat es angesprochen – haben wir im Koalitionsvertrag als „flankierend“ bezeichnet. Sie haben es angesprochen, liebe Frau Raatz: Wir können uns auch vorstellen, dass der Bund bei der Ausgestaltung der Pakte lenkend einwirkt. Aber darüber können wir erst entscheiden, wenn wir wissen, wie es um die Selbstverpflichtungserklärungen steht. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hat in der letzten Legislaturperiode einen ähnlichen Gesetzentwurf diskutiert und am 12. Juni letzten Jahres eine Sachverständigenanhörung dazu durchgeführt. Im Rahmen dieser Anhörung wurde eindeutig aufgezeigt, dass mit den vorgeschlagenen Änderungen an diesem Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein Missbrauch der Befristungsmöglichkeiten nicht ausgeräumt werden kann. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wurde als Fortschritt bezeichnet!) Vielmehr müssen die einschlägigen Landeshochschulgesetze geändert werden; Frau Dinges-Dierig hat das hier zu Recht betont. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich waren wir in unterschiedlichen Anhörungen!) Die damalige Expertenanhörung – das kann ich Ihnen nicht ersparen – hat zudem gezeigt, dass der Grund für die überbordende Befristungspraxis nicht dieses Gesetz ist, sondern die mangelnde finanzielle Planbarkeit der Hochschulen. Um diese zu verbessern, dürfen die Länder auf gar keinen Fall bei der Grundfinanzierung sparen. Die Redner der Koalition haben es angesprochen: Wir haben vereinbart, das BAföG komplett zu übernehmen. Das ist eine milliardenschwere Entlastung der Länder. Das Geld können sie in die Grundfinanzierung ihrer Hochschulen investieren. Somit setzen wir auch unser Versprechen im Koalitionsvertrag um, uns an der Grundfinanzierung zu beteiligen. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie doch noch nicht mal vereinbart!) Die Verfassungsänderung im Hinblick auf Artikel 91 b haben wir im Blick. Meine Damen und Herren, das sind Meilensteine in der Wissenschaftspolitik, die natürlich auch positive Auswirkungen auf den wissenschaftlichen Nachwuchs haben werden. Ich darf den Grünen nur empfehlen, sich hieran konstruktiv zu beteiligen und nicht alte Gesetzentwürfe aufzuwärmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann legen Sie endlich was vor!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Dr. Daniela De Ridder das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Daniela De Ridder (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Großen Koalition ist man miteinander verpartnert, Herr Schipanski. Das bedeutet auch – so kenne ich das aus meiner Ehe –, dass man gelegentlich beim Abendessen, beim Frühstück eine hitzige Diskussion führt. Auf die mit Ihnen im Ausschuss, auch jenseits des Ausschusses, freue ich mich, (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Abends oder morgens?) weil ich Sie gerne davon überzeugen möchte, dass wir hier wirklich Änderungs- und Handlungsbedarf haben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Einladung steht. Sie können das auch gleich heute einlösen. Heute sprechen wir aber zunächst – scheinbar – über die Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen, die sich ja inhaltlich weitestgehend bei jenem Gesetzentwurf bedient haben, den die SPD im vergangenen Jahr in dieses Hohe Haus eingebracht hat. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gemeinsam mit den Grünen!) – Es freut mich doch, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dass Sie unseren Gesetzentwurf offensichtlich so klasse fanden, dass Sie ihn fast eins zu eins übernommen haben. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir ja schon gehört!) Worum ging es bei diesem Gesetzentwurf? Wir wollten gegensteuern, weil im wissenschaftlichen Bereich in der Tat prekäre Beschäftigungsverhältnisse zunehmend zum Standard zu werden drohen. Davon werden wir Sie, Herr Schipanski, auch noch überzeugen. Fast der gesamte akademische Mittelbau arbeitet nämlich befristet, meist projektbezogen, häufig sogar mit Arbeitsvertragslaufzeiten von unter einem Jahr. Am Ende stehen dann die meisten vor der ungeklärten Frage, wie ihre Jobperspektiven aussehen. Gelingt der Aufstieg zur Professur, oder folgt der Abstieg in die Arbeitslosigkeit? Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben keineswegs vergessen, was wir gesagt haben. Heute, ein Jahr danach, wissen wir noch besser, was wir wollen. Es ist nämlich unser Gesetzentwurf aus dem vergangenen Jahr, der die Grundlage für die Arbeit in dieser Legislaturperiode legt. Wie gesagt: Sie sind alle herzlich eingeladen, mit uns darüber zu diskutieren, um mit uns für den wissenschaftlichen Nachwuchs den besten Weg zu entwickeln. (Beifall bei der SPD) Mich stimmt es sehr optimistisch, wenn wir hier zu einer großen Übereinstimmung kommen. Die werden wir herstellen; davon bin ich felsenfest überzeugt. Denn es geht um faire Arbeitsbedingungen; das wollen wir für unsere Wissenschaft weiterentwickeln. Beim Wissenschaftszeitvertrag, lieber Herr Gehring, geht es um die Perspektive für die Jüngeren. Unser wissenschaftlicher Nachwuchs braucht bessere Arbeitsbedingungen. Wer heute als junger Mensch einen sicheren Job will, dem kann man in der Tat kaum empfehlen, an der Uni zu bleiben. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Ja!) 80 Prozent – ich wiederhole: 80 Prozent – der wissenschaftlich Beschäftigten unter 30 Jahren arbeiten auf befristeten Stellen. Das sind die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Das ist, ehrlich gesagt, alles andere als Planbarkeit. Das gilt nicht nur für den wissenschaftlichen Nachwuchs, sondern umso mehr für die Universitäten und Forschungseinrichtungen; denn die wollen ihre Talente bewahren können. Wer also Exzellenz will, insbesondere wissenschaftliche Exzellenz, muss lebensnahe und faire Arbeitsbedingungen schaffen. Das gilt im Übrigen auch – lassen Sie mich das aus meiner Perspektive betonen – für die Familienfreundlichkeit an Hochschulen. Schon vor rund 20 Jahren habe ich mich als Gleichstellungsbeauftragte an einer Hochschule für mehr Familienfreundlichkeit eingesetzt. Am Ende meiner Wünsche bin ich heute noch lange nicht; aber das Ziel – da bin ich ganz sicher – scheint heute näher zu rücken. Wir müssen dafür sorgen und klarstellen, dass die sogenannte familienpolitische Komponente deutlich häufiger angewandt wird. Die erlaubt nämlich, dass der Arbeitsvertrag, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben, aus familiären Gründen pro Kind um jeweils zwei Jahre verlängert werden kann. Beschäftigte – das ist unser Problem, Herr Schipanski – haben darauf bislang aber noch keinen verbindlichen Rechtsanspruch. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Leider, ja!) Das ist ein Problem, und deshalb müssen wir hier tätig werden und nicht nur die Länder. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Steht aber nicht im Gesetz!) – Weil es nicht im Gesetz steht, haben wir hier Handlungsbedarf. Wie gesagt: Ich überzeuge Sie gern davon, dass das eine Perspektive ist, die wir gemeinsam diskutieren müssen. Kommen Sie also ruhig mit mir! Ich trinke gerne Tee oder Kaffee. Über anderes reden wir dann noch. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Die SPD wird in der Diskussion dafür Sorge tragen – das versichere ich Ihnen –, dass an den Hochschulen Elternzeit, Betreuungs- und Pflegezeiten ernster genommen werden als bisher. Denn unser Versprechen – Sie kennen es – lautet: gesagt, getan, gerecht. Ich lade Sie alle, die Sie sich als Bildungspolitikerin bzw. -politiker verstehen, dazu ein. Dies ist eine Situation, die wir herstellen müssen, insbesondere in der Bildungspolitik. Wer, wie wir in der SPD, will, dass wir möglichst vielen jungen Menschen mehr Chancen geben, der darf doch vor den Toren der Hochschulen nicht haltmachen. Wer will, dass unsere Talente, unsere Wettbewerbsfähigkeit und unser Innovationspotenzial in einer globalis-ierten Welt konkurrenzfähig bleiben – denn darum geht es –, der lässt nicht zu, dass der wissenschaftliche Nachwuchs ausgebeutet wird. Wir sollten deshalb klar benennen, welche Stressfaktoren in der wissenschaftlichen Arbeitswelt leistungssteigernd und welche blockierend wirken. Wir haben – das bleibt eine Tatsache – zu viele Beschäftigungsverhältnisse, die am Menschen vorbei nur negativen Stress produzieren. Deshalb brauchen wir faire Arbeitsbedingungen. Dazu werden wir Mindeststandards entwickeln – Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin De Ridder, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Dr. Daniela De Ridder (SPD): – das tue ich – und positive Anreize setzen, mit mehr Planungssicherheit. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Das gilt im Übrigen für alle Phasen der wissenschaftlichen Qualifikation. Wir machen das – davon bin ich überzeugt – gemeinsam, wohlüberlegt, zeitnah und im Konsens. Ich lade Sie alle herzlich ein, daran mitzuwirken. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Simone Raatz [SPD]: Los, Herr Stefinger, jetzt mal etwas Freundliches! – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Nehmen Sie meine Einladung an! Sie sind mit gemeint!) Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): Liebe Frau Kollegin De Ridder, wenn ich richtig informiert bin, haben wir bereits einen Termin ausgemacht. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Michaela Noll [CDU/CSU]: Aha, jetzt hat er die beiden geoutet!) Nach Ihrer Rede freue ich mich umso mehr auf das Mittagessen mit Ihnen. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Danke schön!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Beginn meiner heutigen Rede möchte ich nutzen, um mich bei unseren Wissenschaftlern für die Innovationskraft zu bedanken, mit der sie Deutschland im Forschungsbereich international wettbewerbsfähig halten. (Beifall bei der CDU/CSU) – Ja, da darf man ruhig klatschen. Zahlreiche Studien und Berichte der letzten Zeit belegen: In vielen Bereichen ist die deutsche Wissenschaft, sind unsere Wissenschaftler Weltspitze. Unser Wissenschaftssystem scheint attraktiv zu sein. Welche Zahlen könnten dies eindrucksvoller belegen als die der ausländischen Wissenschaftler, die gerne zu uns kommen, um hier zu forschen und sich weiterzuentwickeln? Wir wissen nämlich: Spitzenwissenschaftler gehen dorthin, wo sie die besten Arbeitsbedingungen vorfinden. Sie wollen unter optimalen Bedingungen arbeiten und Grundlagenforschung betreiben. Hervorragende Bedingungen bieten auch unsere außeruniversitären Einrichtungen. Sie genießen weltweit ein hohes Ansehen und sind national wie international begehrte Arbeitgeber. Ja, unsere Einrichtungen ziehen Wissenschaftler an. Dies liegt zum einen an ihrem weltweit hervorragenden Ruf und zum anderen auch an den Arbeitsbedingungen; davon konnte ich mich bei meinen Besuchen in Forschungszentren überzeugen. Denn das Ziel unserer Forschungseinrichtungen ist und muss es sein, als attraktiver Arbeitgeber im deutschen Wissenschaftssystem wahrgenommen zu werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gute Entwicklungsmöglichkeiten gehören selbstverständlich dazu. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat hierfür die Rahmenbedingungen geschaffen. Unsere Einrichtungen wissen – davon bin ich überzeugt –, dass sie eine Verantwortung haben: nicht nur eine Verantwortung gegenüber dem Staat oder den Drittmittelgebern, die für die Forschung bewilligten Gelder zu rechtfertigen, sondern auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, mit neuen Erfindungen und durch die Erforschung von Ursachen Probleme zu lösen, Krankheiten zu bekämpfen, neue Technologien zu entwickeln und ressourcenschonende Werkstoffe zu erfinden. Sie wissen auch um ihre Verantwortung für ihre Mitarbeiter und deren Familien. Genau diese Verantwortung spiegelt sich in den Leitlinien der Forschungsorganisationen wider. Viele Einrichtungen haben in diesen nämlich geregelt, dass sie verantwortlich und nachvollziehbar mit der Befristung von Arbeitsverhältnissen umgehen. (Dr. Simone Raatz [SPD]: Es wäre schön, wenn sie es auch machen würden!) Wenn ich mit den Einrichtungen spreche, dann sagen mir diese auch: Bitte engt uns mit gesetzlichen Vorgaben nicht zu sehr ein. Wir brauchen eine gewisse Flexibilität, um an Themenfelder herangehen zu können. Bei meinen Besuchen treffe ich auch Wissenschaftler, die nur an einem Teilbereich eines Forschungsprojektes mitarbeiten möchten und von sich aus nur sechs, acht oder zwölf Monate mitforschen wollen. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Die kenne ich nicht!) Hier stelle ich mir die Frage: Wollen wir für diese hochmotivierten Forscher wirklich eine Begründungspflicht einführen? Brauchen wir wirklich ein Mehr an Bürokratie? (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weniger Befristung brauchen wir!) Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Gerade als junger Mensch weiß ich natürlich, wie wichtig es ist, Perspektiven zu haben und sich Ziele zu setzen. Natürlich ist es notwendig, ein Stück weit berufliche Planungssicherheit zu bekommen, vor allem dann, wenn es an die Familiengründung geht. Aus diesem Grund werden bei der Weiterentwicklung unserer großen Wissenschaftspakte auch verlässliche und planbare Karrierewege in der Wissenschaft eine wichtige Rolle spielen. Wir wollen die bisherigen Bemühungen der Wissenschaftsorganisationen durch eine maßvolle Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes unterstützen und nicht belasten. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Immerhin!) Das 2007 in Kraft getretene Gesetz wurde 2011 eva-luiert. Die gesetzlichen Befristungsvorschriften haben sich, so das Ergebnis der Evaluation, im Grunde bewährt. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Na, na! – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Nicht ganz!) Auf einer seiner nächsten Sitzungen wird sich der Wissenschaftsrat mit den Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses befassen. Ich denke, dessen Stellungnahme sollten wir abwarten. Eines ist klar: Wo Anpassungen sinnvoll sind, werden wir diese vornehmen, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist ein Wort!) aber mit Maß und Ziel. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/1463 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United Nations -Interim Force in Lebanon“ (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) vom 11. August 2006 und folgender Resolutionen, zuletzt 2115 (2013) vom 29. August 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksache 18/1417 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD]) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entwicklungen in Syrien und darüber hinaus im ganzen Nahen und Mittleren Osten verdienen unverändert unsere ganze Aufmerksamkeit; denn das Leiden der Bevölkerung in Syrien geht weiter. Millionen von Flüchtlingen haben das Land bereits verlassen und suchen Zuflucht in den Nachbarstaaten. Erst kürzlich hat deshalb der Deutsche Bundestag aus guten Gründen mit großer Mehrheit einer Beteiligung deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz für die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen zugestimmt. Das ist aus Sicht der Bundesregierung weit mehr als nur ein symbolischer Beitrag. Wir leisten einen aktiven Beitrag dafür, dass Massenvernichtungswaffen vernichtet werden, und ich bin dankbar, dass es dafür eine so große Zustimmung hier in diesem Hohen Hause gegeben hat. Wer dem nicht zugestimmt hat, hat hinsichtlich der Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen wirklich jede politische Glaubwürdigkeit verloren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ursprünglich eine reine Beobachtermission, machte UNIFIL den Waffenstillstand zwischen Israel und dem Libanon vom 14. August 2006 erst möglich. Seitdem ist diese robuste VN-Mission ein entscheidender Stabilitätsfaktor in der Region. Der Auftrag der Mission ist es letztlich, den Rahmen für politische Lösungen offener Fragen zwischen dem Libanon und Israel zu bieten. Es gilt, die Beziehungen zwischen diesen beiden Nachbarn stabil zu halten und damit zur Stabilität der gesamten Region beizutragen. Genau das ist das, was wir tun können. Man kann als erster Redner nicht alles vorhersehen, was nachher noch gesagt wird. Aber wir haben heute ja schon eine Debatte über ein Mandat gehabt, und wir haben unsere Erfahrungen. Es ist wahr: Natürlich sind die Konflikte zwischen dem Libanon und Israel noch längst nicht gelöst. Aber diese Konflikte hat nicht die Bundeswehr ausgelöst, die Ursachen dafür liegen ganz woanders. Wir leisten mit der Bundeswehr einen Beitrag für einen Rahmen zur Konfliktlösung. Den Konflikt müssen andere lösen. Wir tragen zur Konfliktlösung bei. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD]) Es geht aber auch konkret darum, die libanesische Regierung auf Anforderung bei der Sicherung der Grenzen zu unterstützen und zu verhindern, dass Rüstungsgüter und sonstiges Wehrmaterial illegal in den Libanon verbracht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer wirklich dagegen ist, dass Rüstungsgüter unkontrolliert und illegal in ein Land verbracht werden, der muss für dieses Mandat bzw. die Fortsetzung dieses Mandats stimmen. Nur so kann in dieser Region ein Beitrag zur Verhinderung der illegalen Verbringung geleistet werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD] – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Völliger Quatsch!) Wir sind mit der Bundeswehr seit dem Jahr 2006 an UNIFIL beteiligt, genauer gesagt: am damals neu aufgestellten Marineeinsatzverband der Mission. Auftrag unserer Soldatinnen und Soldaten ist es, die seeseitigen Grenzen des Libanon zu sichern. Wichtiger Teil des deutschen Beitrags ist aber auch der Fähigkeitsaufbau der libanesischen Marine. Wir wollen die libanesische Marine so weit ausbilden und ausstatten, dass sie den Schutz der seeseitigen Grenzen künftig selbstständig durchführen und gewährleisten kann. Es ist durch deutsche Unterstützung in den vergangenen Mandatszeiträumen bereits ein bemerkenswerter Fähigkeitsaufbau bei der libanesischen Marine erreicht worden. Als letztes großes Projekt wurde bisher im vergangenen Jahr der Aufbau der Küstenradarorganisation mit deutschen Mitteln abgeschlossen. Heute sind acht Stationen personell besetzt und bereits voll funktionsfähig. Zusätzlich haben wir seit dem Jahr 2007 drei Patrouillenboote, Schiffssicherungsausstattung, Anlagen für eine Maschinenwerkstatt und Schulmöbel an die libanesische Regierung übergeben. Zudem wurde eine hochmoderne Navigations- und Radarausbildungsanlage beschafft. Auch für dieses Jahr ist wieder ein wichtiges Projekt geplant. Ressortübergreifend werden durch das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung drei Elektronikwerkstätten sowie ein Werkstattfahrzeug aufgebaut und ausgerüstet. Damit soll die libanesische Marine in die Lage versetzt werden, die Ausbildung und Durchführung von Wartung und Instandsetzung elektronischer Anlagen künftig eigenständig wahrzunehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sicherheitslage im Nahen und Mittleren Osten ist nach wie vor angespannt. Innenpolitische Probleme vieler Länder und der Konflikt in Syrien fordern unverändert unsere ganze Aufmerksamkeit. UNIFIL ist dabei einer der wichtigsten Stabilitätsanker in der Region. Er kann nicht allein die Probleme lösen, aber er ist und er bleibt ein wichtiger Stabilitätsanker. Deswegen ist es gut, dass wir mit unseren Soldatinnen und Soldaten zu dieser Stabilität beitragen. Deswegen ist es naheliegend und nicht erstaunlich, dass sowohl der Libanon als auch Israel eine Fortsetzung der Mission wünschen. Sie legen ausdrücklich großen Wert auf eine fortgesetzte deutsche Beteiligung an dieser so nachhaltigen Mission. Gemeinsam mit ihren Kameraden aus 36 anderen Nationen haben unsere deutschen Soldatinnen und Soldaten für UNIFIL viel geleistet und für die Region eine Menge erreicht. Unsere Soldatinnen und Soldaten auf unseren Schnellbooten, unsere Stabs- und Unterstützungskräfte in Limassol auf Zypern, unsere Soldaten in den Stäben des UNIFIL Force Headquarters im Libanon sowie unsere Ausbilder im Libanon erfüllen die ihnen zugewiesenen Aufgaben gewissenhaft und erfolgreich. Sie können stolz auf das Geleistete sein. Wir können dankbar für das sein, was unter diesen schwierigen Bedingungen geleistet wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ein bisschen mehr Leidenschaft kann man erwarten!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch unsere vielfältigen Beiträge haben sich über die letzten acht Jahre intensive Kontakte zwischen Deutschland und dem Libanon entwickelt. Deutschland wird heute als vertrauensvoller Partner in der Region geschätzt. Auch in Zukunft wird es noch eines starken internationalen Engagements bedürfen, um die Lage vor Ort zu stabilisieren und den Aufbau der libanesischen Streitkräfte voranzubringen. Die personelle Obergrenze für die deutsche Beteiligung am UNIFIL-Flottenverband wird bei 300 Soldatinnen und Soldaten belassen. In der Realität liegen wir deutlich darunter. Aber es ist sicherlich sinnvoll, diese Obergrenze zu belassen; denn sie erlaubt es uns, alle im Rahmen des Mandats vorgesehenen Aufgaben zu erfüllen, und sie trägt der unverändert angespannten Sicherheitslage in der Region Rechnung. Wir wollen auf dem bisher Erreichten aufbauen und weiterhin einen Beitrag zu Stabilität und Sicherheit in einer Region leisten, die in unserer Nachbarschaft liegt und diese Stabilität im Hinblick auf eine friedliche Entwicklung ganz dringend braucht. Deswegen ist es der Wunsch der Bundesregierung, dass das Mandat für die deutsche Beteiligung an UNIFIL um zwölf Monate verlängert wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung bittet Sie daher um Unterstützung für diesen Antrag im Sinne der Stabilität in unserer Nachbarregion und im Sinne der Menschen im Nahen und Mittleren Osten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Jetzt wäre ich bald eingeschlafen! – Gegenruf von der CDU/CSU: Wir wecken Sie wieder auf!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sevim Da?delen für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Da?delen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, die Unterstützung der Linken werden Sie auch im neunten Jahr des UNIFIL-Mandates nicht bekommen. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei dank!) Die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, aber auch der Grünen, die diesen Einsatz immer befürwortet haben, müssen sich immer dringender die Frage stellen, ob der Aufwand – bislang hat der Einsatz 330 Millionen Euro gekostet – und der Ertrag dieses Einsatzes in einem guten Verhältnis zueinander stehen. Wenn wir uns den Anspruch der Mission, den Waffenschmuggel vor der Küste des Libanon zu unterbinden, vor Augen führen, und dann den Blick darauf richten, wie das Ganze vor Ort gehandhabt wird, dann müssen auch dem stärksten Befürworter der globalen Präsenz deutscher Streitkräfte eigentlich Zweifel am Sinn des Einsatzes kommen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ganz im -Gegenteil!) Wie sieht die Unterbindung dieses Waffenschmuggels durch die deutsche Marine aus? Die Bundeswehr meldet verdächtige Schiffe an die libanesische Küstenwache, die diese dann im Rahmen ihrer eigenen Kapazitäten durchsucht. Bei all diesen Aktionen in neun Jahren wurde rein gar nichts gefunden. Vielleicht muss ich mich korrigieren: Die UNIFIL-Mission hat doch etwas gefunden, nämlich geschmuggelte Zigaretten. Das ist zwar auch verdienstvoll, aber ich frage mich und Sie: Rechtfertigt dies aus Ihrer Sicht den Einsatz der Bundeswehr vor der libanesischen Küste? (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ja! Die trauen sich nicht mehr!) Ich denke, das ist keine Rechtfertigung. Die Linke jedenfalls will diesen kafkaesken Einsatz beenden. Das Geld, das für den Schiffsdiesel der Bundeswehrflottille hinausgeblasen wird, könnte weitaus besser verwendet werden als dafür. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Fraktionsmittel für die Linke, oder was?) Dass bei dem Einsatz rein gar nichts an Waffen gefunden wurde, ist nicht weiter verwunderlich, meine Damen und Herren. Der Einsatz ist nämlich so angelegt, dass nichts gefunden werden kann. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Jetzt kommen wieder Verschwörungen!) Bei unserem Besuch letzte Woche mit Außenminister Steinmeier im Libanon hatten wir Abgeordneten die Gelegenheit, die Bundeswehroffiziere der UNIFIL selbst zu befragen. Zu unser aller Überraschung wurde uns mitgeteilt, dass es trotz des Ausbruchs des Syrien-Krieges und erhöhten Waffenschmuggels auch für diesen Krieg bisher keine gesteigerte Aktivität von UNIFIL gibt, (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein! Die Seegrenze ist dicht!) und dies, obwohl wir wissen, dass ein Gutteil der Waffen für den Syrien-Konflikt über den Libanon und seine Küste kommt. Ebenso verwunderlich ist diese Aussage vor dem Hintergrund, dass Auseinandersetzungen im Libanon im Kontext des Syrien-Krieges bereits über 400 Menschen das Leben gekostet haben. Die Hisbollah jedenfalls gilt bereits seit mehreren Jahren trotz der peniblen Kontrollen der Bundeswehr als viel stärker ausgerüstet als vor dem Waffengang 2006. Auch diverse andere paramilitärische Akteure im Libanon sind bis an die Zähne bewaffnet. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Es gibt auch Landgrenzen!) Letzteres kann man auch an den immer wiederkehrenden gewaltsamen Aktionen der saudi-arabisch und vor allen Dingen US-amerikanisch finanzierten islamistischen Fatah al-Islam ablesen, als Teil des Syrien-Konfliktes, der in den Libanon hineingetragen wurde. Die Bevölkerung des Libanon braucht deshalb ganz dringend die Lösung des Syrien-Konflikts. (Beifall bei der LINKEN) Die Bevölkerung des Libanon braucht keine Bundeswehrschiffe vor der Küste, die nach Phantomen jagen. Nachdem die angebliche Aufgabe von UNIFIL mittlerweile schon fast in Vergessenheit geraten ist, verändern Sie nun auch noch den Fokus. Die verschiedenen westeuropäischen Soldatenkontingente wollen nämlich jetzt verstärkt auf die Ausbildung der libanesischen Armee setzen. Was dieser neue Schwerpunkt bedeuten könnte, haben jüngst wieder die italienischen UNIFIL-Soldaten gezeigt. Vergangene Woche haben italienische Soldaten zum wiederholten Mal libanesische Soldaten im Bereich Riot Control, also in der Bekämpfung ziviler Aufstände, ausgebildet. Was der Libanon tatsächlich braucht, ist Hilfe für die vielen Flüchtlinge im Land und nicht eine Armee, die das Zerschlagen von Demonstrationen trainiert. (Beifall bei der LINKEN – Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Das ist ja wohl eine Unverschämtheit!) Wenn wir heute über den Libanon sprechen, müssen wir auch darüber sprechen, dass wir dringend eine politische Lösung des Syrien-Konflikts brauchen. Unsere libanesischen Gesprächspartner jedenfalls haben sich in diesem Zusammenhang über die neue Initiative des US-amerikanischen Präsidenten Obama zur verstärkten Aufrüstung der Aufständischen entsetzt gezeigt, weil sie davon ausgehen, dass dies die Region noch mehr destabilisieren und noch mehr Blutvergießen bedeuten wird. Die Bundesregierung schweigt sich dazu bislang leider öffentlich aus. Ich finde, das ist wirklich absurd. Ein Teil der Waffen wird an der libanesischen Küste angelandet, wo sie die Bundeswehr selbstverständlich wieder einmal nicht finden wird. Deshalb lautet unser Appell: Beenden Sie lieber diesen Einsatz! Die beantragten 23,6 Millionen Euro für diesen UNIFIL-Einsatz wären an anderer Stelle viel besser aufgehoben, zum Beispiel für eine substanzielle Unterstützung des libanesischen Roten Kreuzes oder eine stärkere Unterstützung bei der Aufnahme von Flüchtlingen im Libanon. Der Libanon hat bei einer Bevölkerung von rund 4 Millionen Einwohnern über 1 Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Hier und nicht bei der Bundeswehr sollte ein substanzieller Beitrag geleistet werden. Danke. (Beifall bei der LINKEN – Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Das ist doch ein substanzieller Beitrag!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Niels Annen für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Niels Annen (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Da?delen, Sie haben die berechtigte Frage nach dem Verhältnis von Aufwand zu Ertrag gestellt. Ich glaube, diese Frage lässt sich relativ eindeutig beantworten. Wir sollten uns zurückerinnern, welches der Anlass für die maritime Komponente von -UNIFIL war. Ich erinnere Sie an das Jahr 2006. Damals gab es Krieg zwischen Israel und der Hisbollah. Dieser Krieg hat weit über 1 000 Tote gefordert und wichtige Teile der libanesischen Infrastruktur zerstört und ist in einer ökologischen Katastrophe gemündet. Frau Kollegin, darf ich Sie daran erinnern, dass es der damalige und heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier gewesen ist, der mit unermüdlichen diplomatischen Anstrengungen mit dafür gesorgt hat, dass es zu einem Waffenstillstand gekommen ist, der bis heute hält! Kernelement dieses Waffenstillstands und der entsprechenden Vereinbarung ist die maritime Komponente von UNIFIL, über die wir heute diskutieren. Aufwand und Ertrag stehen also in einem hervorragenden Verhältnis zueinander, Frau Kollegin Da?delen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe bei der logischen Argumentation, die Sie vorgetragen haben, genau zugehört. Sie haben aus einem Gespräch berichtet, an dem ich teilgenommen habe. Ich habe in den letzten Monaten zweimal die Gelegenheit gehabt, mit UNIFIL-Soldaten zu sprechen. Bei einem Gespräch waren Sie dabei. Das war ein Briefing am Rande des Besuchs von Außenminister Steinmeier. In der Tat sind bislang keine Waffen gefunden worden. Wenn das Ziel dieser Operation ist, den Küstenschutz insgesamt zu stabilisieren und die lokale Marine in die Lage zu versetzen, diese Aufgabe eigenständig wahrzunehmen, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das steht aber nicht im Mandat!) und alle sagen: „Wir sind in die Lage versetzt worden und haben in einer ganz schwierigen Situation dafür gesorgt, dass dieser Seeraum inzwischen kontrolliert wird und kein Schmuggel mehr stattfindet“, dann ist das doch ein Erfolg und nichts, was man kritisieren sollte. Ich finde Ihre Logik ein wenig merkwürdig. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will die Gelegenheit nutzen, auf Folgendes aufmerksam zu machen – der Staatssekretär hat bereits darauf hingewiesen –: Wir diskutieren nicht über eine isolierte Mission, sondern über einen deutschen Beitrag in einer Region, in der wir einen Konflikt erleben, der inzwischen biblische Ausmaße angenommen hat, eine Katastrophe von ungekannter Intensität, die uns alle hier betrifft, wenn es um Flüchtlinge und regionale Stabilität geht. Da haben Sie, Frau Kollegin, wie ich finde, zu Recht auf die prekäre Lage im Libanon hingewiesen. Man kann die Zahlen gar nicht häufig genug wiederholen. Es sind inzwischen über 1 Million Flüchtlinge, die ein Land mit etwas über 4 Millionen Einwohnern aufnimmt. Das ist eine gigantische Leistung. An dieser Stelle muss man vielleicht auch sagen: Ohne den Beitrag der Vereinten Nationen und ihrer Unterorganisationen, UNHCR, Welternährungsprogramm, aber auch UNIFIL im Libanon, wäre dieses Land überhaupt nicht in der Lage, mit diesem immensen Druck klarzukommen. Deswegen will ich Ihnen Folgendes berichten: Ich habe mir die Arbeit des deutschen Einsatzkontingentes in Nakura angeschaut. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an diesen Krieg 2006. Damals gab es eine Vereinbarung über eine sogenannte Waffenstillstandslinie. Das ist nicht die völkerrechtliche Grenze zwischen Israel und dem Libanon, sondern es ist eine vereinbarte Grenze, die dort markiert wird. Das ist ein ganz schwieriger, im Grunde genommen technischer Prozess. Es geht darum, dass weithin sichtbare, blau angemalte Tonnen verankert werden, um diese Linie zu markieren. Ich würde das nicht erläutern, wenn es sich nur um einen technischen Prozess handeln würde. Es handelt sich um einen Prozess, auch wenn die libanesische Seite das offiziell in dieser Form nicht eingesteht, in dem UNIFIL, Israel und der Libanon zusammenarbeiten. Sie, Frau Kollegin, werden bei unserer gemeinsamen Reise in den Libanon festgestellt haben, dass dort über viele Probleme geredet worden ist; aber über ein Problem ist nicht mehr geredet worden, nämlich über den andauernden Konflikt mit Israel. Der Süden des Libanon ist heute – das muss man einmal sagen – im Grunde genommen der sicherste und stabilste Teil des Landes. Ist der Libanon deswegen ein stabilisiertes Land? Nein, natürlich nicht, weil die Konflikte jederzeit wieder aufbrechen können. Aber die Präsenz von UNIFIL unter professioneller und engagierter Beteiligung unserer deutschen Soldatinnen und Soldaten leistet dazu einen essenziellen Beitrag. Wir sollten dazu beitragen, dass diese Arbeit fortgesetzt werden kann. Deswegen will ich auf Folgendes hinweisen: Die unterschiedlichen Komponenten – einmal die Präsenz der Vereinten Nationen, gerade in diesem ehemals so umstrittenen und umkämpften Teil im Süden des Landes, der technische Vorgang der Markierung, der ein praktischer Beitrag zur Vertrauensbildung ist, und die maritime Komponente, über die wir hier diskutieren – gehören zusammengedacht. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung diesen Antrag hier vorgelegt hat. Gleichzeitig tragen wir dazu bei, dass die technischen Fähigkeiten der libanesischen Marine verbessert werden, dass die Soldatinnen und Soldaten ausgebildet werden, dass technisches Gerät angeschafft und auch die Fähigkeit vermittelt wird, dieses Gerät eigenständig zu warten und einzusetzen. Ich halte das für ganz essenziell. Ganz am Ende meines kurzen Beitrages will ich noch Folgendes sagen: Die libanesische Armee genießt etwas, was im Libanon kaum jemand genießt, nämlich Vertrauen von allen Seiten, und das in einem Land, in dem es weiterhin intern massive Probleme gibt. Die sogenannte Antiterroroperation, begonnen in Tripoli im Norden des Landes, dann in der Bekaa-Ebene und im Süden und in der Hauptstadt des Landes fortgeführt, ist von allen Teilen des politischen Spektrums im Libanon mitgetragen worden. Riot Control ist etwas, was die libanesische Armee beherrschen muss, um den Terrorismus beispielsweise in Tripoli zu bekämpfen, und zwar mit Unterstützung der gesamten Regierung. Das ist geschehen. Wenn die italienischen Soldaten dazu einen Beitrag geleistet haben, haben sie einen Beitrag zum Frieden geleistet. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Herzlich Willkommen von meiner Seite aus zum Endspurt. Die nächste Rednerin ist Dr. Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebes Publikum! Aus dem Nahen Osten kommen seit geraumer Zeit eigentlich nur schlechte Nachrichten. Zwischen Israel und Palästina scheint nach den gescheiterten Verhandlungen ein friedliches Nebeneinander weiter entfernt denn je, in Ägypten hat sich gerade der Exmilitärchef zum Präsidenten „wählen“ lassen, der sich anschickt, sein Land in die Vor-Mubarak-Ära zurückzuführen, auch in Syrien gibt es einen „Wahlsieger“, Baschar al-Assad, obwohl die Schreckensherrschaft weitergeht. Direkt betroffen von diesem Krieg ist eben nicht nur Jordanien, sondern auch der Libanon. Es wurde von Niels Annen gerade schon gesagt: Vom Libanon wurden über 1 Million Menschen aufgenommen. Jeder Fünfte im Libanon ist Flüchtling, die Nachbarstaaten Syriens nehmen gerade ungeheure Belastungen – so hat es Herr Steinmeier bezeichnet – auf sich. Leider ist nur selten Positives zu vermelden. Ich glaube, man kann sagen, dass der UNIFIL-Einsatz, der den Waffenstillstand zwischen Israel und dem Libanon absichert, positive Auswirkungen hat. Man darf nicht vergessen, was zu diesem Einsatz geführt hat. Nach jahrelangen blutigen Auseinandersetzungen im israelisch-libanesischen Grenzgebiet stellte dieser Einsatz, beschlossen im Jahr 2006, eine Möglichkeit dar, dort wenigstens für weniger Tote und für etwas Frieden zu sorgen. Man sollte auch daran erinnern, dass die meisten Leidtragenden der Auseinandersetzungen damals Zivilisten waren. Viele von ihnen kamen durch diesen Konflikt ums Leben. Es geht um eine Mission, die sich in dieser sich täglich weiter destabilisierenden Region um zumindest etwas Stabilität bemüht. Ich glaube, wenn diese Mission heute aufhören würde, würden die Spannungen zwischen Israel und dem Libanon sofort wieder aufflackern, (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sofort!) weil die Grenzstreitigkeiten noch nicht endgültig beigelegt sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir wissen ja durch Gerüchte oder schon bewiesene neue Informationen über Rohstoffquellen in diesem Gebiet, dass der Konflikt dort nach Abzug von UNIFIL bestimmt nicht kleiner würde; vielmehr könnte es zu einer Verschärfung der Auseinandersetzungen über Grenzfragen kommen. Deswegen ist UNIFIL heute immer noch genauso wichtig wie zuvor. Ein Abzug von UNIFIL wäre politisch nicht nur ein fatales Signal für den Libanon, sondern auch für die ganze Region. Das bedeutet nicht, wie ich finde, dass wir der internationalen Gemeinschaft oder Europa Versagen im Hinblick auf den Konflikt in Syrien vorwerfen müssen, auch wenn es die internationale Gemeinschaft nicht schafft, dort für Frieden und damit für ein Ende der wirklich grausamen Situation – sie ist nicht akzeptabel und nicht länger ertragbar – zu sorgen. Ich habe mich gewundert, als ich gelesen habe, dass Gerd Müller, immerhin einer unserer Minister, der Europäischen Union in der Syrien-Krise ein Aussitzen vorgeworfen hat. Ich habe mich da schon gefragt: Was trägt die deutsche Bundesregierung denn dazu bei, diesen Krieg wirklich zu beenden? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was ist denn der Vorschlag der Grünen? Mit Truppen dort einmarschieren, oder was? – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Schlagen Sie doch mal was vor!) – Wir glauben, dass man über Dialog in dieser Region wesentlich mehr erreichen könnte und dass man sowohl auf die russische Seite als auch auf die Partner Saudi-Arabien und Katar wesentlich mehr Druck ausüben müsste. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Dann fangen Sie damit mal an! Sehr wegweisend!) Beide Seiten sorgen dafür, dass der Konflikt dort anhält und sich somit für sie lohnt, weil sie Waffen dorthin liefern können. Für uns ist klar: Beide Kriegsparteien in Syrien haben Akteure hinter sich, die dafür sorgen, dass man von dem Krieg dort profitiert und man sich nicht auf eine friedliche Einigung einlässt. (Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Wenn Sie jetzt noch sagen, wie Sie den Druck ausüben wollen! – Gegenruf der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jedenfalls nicht mit Waffenlieferungen!) – Nicht mit Waffenlieferungen; die dürfen auf jeden Fall nicht stattfinden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Erlauben Sie mir am Ende meiner Rede noch einen kritischen Hinweis zu dem Mandat, über dessen Verlängerung wir abstimmen. Nicht nur bei der Debatte über dieses Mandat haben wir festgestellt, dass die Bundesregierung im Antrag auf seine Verlängerung darauf verzichtet, wichtige Angaben, zum Beispiel die völker- und verfassungsrechtlichen Grundlagen, den Auftrag, die einzusetzenden Fähigkeiten, den Rechtsstatus und das Einsatzgebiet, explizit zu nennen. Stattdessen verweist sie einfach nur auf die Fortgeltung der Regelungen der acht Mandatsbeschlüsse seit 2006. Wir bitten wirklich darum, dass die Bundesregierung dem Bundestag künftig Mandate vorlegt, die zumindest die im Parlamentsbeteiligungsgesetz aufgeführten Angaben enthalten. Im Interesse aller Abgeordneten wünschen wir uns, dass uns diese Angaben wieder vollständig und korrekt vorgelegt werden. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Nicht bitten, sondern fordern muss man das!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin Brantner. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist Philipp Mißfelder. (Beifall bei der CDU/CSU) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Brantner, ich kann mich noch daran erinnern, dass vor nicht allzu langer Zeit hier einmal eine Abgeordnete – sie ist heute Ministerin – gestanden und ein Lied gesungen hat; singen kann ich nicht so gut wie sie. Ich kann nur sagen, dass der Inhalt des Liedtextes in etwa dem entsprach, was Sie gerade an außenpolitischer Konzeption aufgezeigt haben: Sie malen sich die Welt, wie es Ihnen gefällt. Nichts anderes machen Sie. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn?) Den wegweisenden und bahnbrechenden Hinweis, man solle jetzt auf Dialog setzen, nehmen wir gern auf. Nur: Das tun wir seit Ausbruch des Konflikts. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn?) Angesichts dessen bin da ein bisschen sprachlos. Ich weiß nicht, was wir da noch tun sollen. Ich weiß nicht, wie lange Sie jetzt schon dabei sind, Frau Brantner – ich habe nicht im Volkshandbuch nachgesehen –, aber lassen Sie sich von einem zweifellos älteren Abgeordneten sagen: (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ist Ihnen das Argument nicht zu billig?) Auch in der vorherigen Koalition haben wir auf Dialog gesetzt. Ich habe hier schon mehrmals zum Thema gesprochen, das letzte Mal vor ein paar Tagen, als wir den gemeinsamen Antrag zu Syrien auf den Weg zu bringen versucht haben. Der Konflikt, was Syrien angeht, hat sich natürlich auch insgesamt verändert. Man ging von einer ganz anderen Ausgangssituation aus. Wir haben über Monate hinweg Treffen mit den sogenannten Friends of Syria gehabt, die wir für die – in Anführungszeichen – „Richtigen“ gehalten haben, zumindest für solche, die hehre Motive für die Zukunft ihres Landes haben. Nur: Währenddessen hat sich der Konflikt verändert, wie Sie ja selbst sagen. Von außerhalb des Landes sind zusätzliche Spieler hinzugekommen – mit eigenen Interessen und mit einer eigenen Agenda. Die Alternative zu unserer Dialogbereitschaft damals wäre Intervention gewesen. So schlimm das Leid in -Syrien auch ist: Ich bin froh, dass wir nicht interveniert haben, weil ich mir sicher bin, die Situation wäre dadurch nicht besser geworden. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Deshalb sage ich, dass es von uns richtig war, von Anfang an die militärische Option vom Tisch zu nehmen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Mißfelder, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Omid Nouripour? Er ist ein bisschen älter als Sie. (Heiterkeit) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Selbstverständlich, Frau Präsidentin. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Aber er schaut jünger aus! – Heiterkeit – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat noch nie jemand über mich gesagt!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Wollen Sie eine Bemerkung dazu machen, Herr Mißfelder? – Nein. Gut. Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Nein; ich nehme das einfach so hin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Nouripour, bitte. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Mißfelder, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Selbstverständlich. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich glaube nicht, dass jemand im Hohen Hause sagen würde: Es gibt eine klare militärische Lösung für die Situation in Syrien. – Aber das, was die Kollegin Brantner angesprochen hat, blieb unbeantwortet. Die Frage war doch – und das ist gerade auch aus Ihren Reihen gekommen –: Wie kann man denn Druck auf Staaten machen, die doch einiges an Unheil ins Land bringen? Zu nennen sind auf der einen Seite die Russen und die Iraner, auf der anderen Seite die Golfstaaten. Wir sagen ja – nicht meine Fraktion, aber die Bundesrepublik sagt es die ganze Zeit –, dass genau diese Golfstaaten unsere Partner sind. Also: Welche Vorstellung haben Sie davon, wie wir Druck auf Saudi-Arabien und Katar machen können? Das sind Staaten, von denen wir wissen, dass sie, während wir ihnen gleichzeitig Waffen liefern, Gruppierungen finanzieren, die nicht nur Terror nach Syrien bringen, sondern auch in Ländern wie Afghanistan oder Mali Gruppen finanzieren, die auf Bundeswehrsoldaten schießen. Wie wollen Sie diesen Druck überhaupt aufbauen und aufrechterhalten? Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Sie sprechen die Problematik zu Recht an. Das betrifft unsere Partner in Peace und unsere Partner im Kampf gegen den internationalen Terrorismus ganz klar. Die Janusköpfigkeit manch unserer Partner in der Region ist uns schon bewusst. Sie ist ja auch Ihnen bekannt; Sie sind ja bei den Besprechungen dabei, Herr Kollege Nouripour. An einer Stelle muss ich Sie korrigieren. Wenn Sie per se sagen: „Saudi-Arabien unterstützt das, Katar unterstützt das“, dann ist das nicht ganz korrekt; das wissen Sie selbst. Es sind zum Teil Einzelpersonen, die konkrete Aktionen unterstützen. Ich würde sie nicht gleichsetzen mit dem Staat. Davor würde ich warnen. Das ist gerade der Balanceakt, den man in der gesamten Golfregion schaffen muss. Es ist ja so, dass wir die Golfstaaten nicht als Partner abschreiben wollen, sondern mit ihnen zusammenarbeiten wollen, wissend, dass es schwierige Partner sind und dass Einzelpersonen, wenn nicht sogar größere Gruppierungen in einzelnen Ländern, Leute, die sehr viel Einfluss haben, konkret hinter solchen Aktionen stecken. Wir können die ja zum Teil genau lokalisieren und auch konkret benennen, wer das ist. Aber ich würde trotzdem nicht sagen: Der Staat Saudi-Arabien selbst ist hier die treibende Kraft. – Das würde ich schon differenzierter darstellen. Was die Art und Weise der Zusammenarbeit angeht: Ich kann Ihnen da – wir haben darüber schon oft gesprochen – nur recht geben. Es gibt halt kein Schwarz und Weiß in dieser Region; es gibt aber Interessen. Wir reden hier über UNIFIL. Denken Sie nur daran zurück, wie UNIFIL auf den Weg gekommen ist. -UNIFIL ist – Niels Annen hat es angesprochen – auf den Weg gekommen, weil wir damals einen Beitrag dazu leisten wollten, das Existenzrecht des jüdischen Staates Israel zu sichern. Das war der Ausgangspunkt. Bei uns lief die Debatte damals eigentlich in die falsche Richtung. Bei uns haben alle ausgeschlossen, dass Deutschland in dieser Region militärisch tätig werden könne, während der damalige israelische Premierminister -Olmert uns öffentlich aufgefordert, eingeladen und dringend gebeten hat, tätig zu werden. Wir wurden tätig, aber nicht mit Landstreitkräften, sondern mittels eines sehr moderaten und, wie ich finde, gelungenen Beitrages im Rahmen von UNIFIL. Deshalb ist dieses Mandat auch eine Erfolgsgeschichte. Wenn wir über die Region insgesamt reden, dann dürfen wir die deutschen Interessen nicht außen vor lassen. Dazu gehören auch wirtschaftliche Interessen und vielerlei andere Aspekte. Definitiv gehört aber auch der Schutz Israels dazu. Wir beschäftigen uns mit der Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien eingehend. Es ist zum Teil sehr schwer nachvollziehbar, was dort passiert. Aber aus strategischen Gründen gilt: Saudi-Arabien ist und bleibt ein wichtiger Verbündeter und Partner für uns, wenn es darum geht, den Hegemon Iran teilweise in seine Schranken zu weisen. Das möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen. In welchem Grad Unterstützung und Kooperation stattfinden kann, das wird im Bundessicherheitsrat – das steht ja in der Zeitung – offenbar sehr lebhaft diskutiert. Wir im Parlament spiegeln diese Diskussion wider und tun uns deshalb mit Rüstungsexporten insgesamt sehr schwer. Niemand trifft hier leichtfertige Entscheidungen. Ich komme zum UNIFIL-Mandat zurück. Ich halte dieses Mandat, wie gesagt – ich wiederhole mich – nach wie vor für eine Erfolgsgeschichte. Es zeigt, wie einsatzfähig unsere Streitkräfte mittlerweile sind und zu welch großartigen Leistungen sie in der Lage sind. Ich sehe diesen Einsatz auch deswegen als Erfolgsgeschichte an, weil es nicht jeden Tag Vorkommnisse gibt. Ehrlich gesagt, wünsche ich mir das auch nicht. Lieber berate ich hier über ein Mandat, bei dem es nur wenige Zwischenfälle gibt und das nach außen weniger spektakulär zu sein scheint. Ich werte dieses Mandat also als vollen Erfolg und sage im Namen meiner Fraktion die Unterstützung für dieses Mandat zu. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Mißfelder. – Nächster Redner ist Thomas Hitschler für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Hitschler (SPD): Sie sagten viel, sie schrieben viel, Tränenschiffe und Seidenlandschaften. Gedichte, die das Ende der Erde erreichten, verwundete Gedichte. Sie sagten: Die Heimat des Taubengurrens verfällt, die Heimat der Zeit, die abermals baute und lehrte. Und die Erde weinte. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Zeilen stammen von der libanesischen Sängerin Fairuz. 1978 veröffentlichte sie das Lied „Der Vogel kehrt zurück“, zu einer Zeit, als sich ihr Heimatland mitten in einem blutigen Bürgerkrieg befand. -Fairuz hat sich damals bewusst nicht für eine Seite entschieden. Sie engagiert sich für die Einheit von Norden und Süden, von Arm und Reich, von allen Menschen im Libanon und für den Frieden. Dies ist ein wichtiger Beitrag in einem Land, das wie kaum ein anderes in der Region von verschiedenen Konfliktlinien durchzogen und geteilt wird. Nicht zuletzt deshalb gilt Fairuz als eine der beliebtesten und am meisten respektierten Persönlichkeiten in der arabischen Welt. Im Jahr 1978 startete die Mission UNIFIL, über die wir gerade beraten. Heute ist es jedoch der Bürgerkrieg im benachbarten Syrien, der die Sicherheit im Libanon bedroht – zusätzlich zu allen anderen Problemen, die dieses Land hat. Wir haben die Zahlen heute schon das eine oder andere Mal gehört: Etwa 1 Million Flüchtlinge aus Syrien sind im Libanon, eine enorme Belastung für ein Land mit gerade einmal 4 Millionen Einwohnern. Zum Vergleich: Deutschland müsste die gesamte Bevölkerung Australiens aufnehmen, um eine ähnliche Quote zu erreichen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Die Australier wollen aber nicht!) Bei uns finden aber gerade einmal 40 000 syrische Flüchtlinge Zuflucht. Ich meine, Deutschland müsste da einiges mehr tun. Frank-Walter Steinmeier hat in der vergangenen Woche angekündigt, mehr Menschen aus Syrien nach Deutschland zu holen und ihnen damit Schutz zu gewähren. Gut, wieder einen echten Außenminister zu haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Es muss auch unser Anliegen sein, den Libanon zu entlasten. Die großen Flüchtlingsströme haben enorme Auswirkungen auf die Lage der Gesellschaft, Auswirkungen auf das fragile Gleichgewicht zwischen den Konfessionen. Auch hier müssen wir helfen. Die Syrienkrise hat auch enorme Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Libanon, und sie ist in hohem Maße sicherheitsrelevant, nicht nur, weil die Hisbollah an der Seite Assads und sunnitische Kräfte aufseiten der Rebellen direkt in den Konflikt eingreifen. Es grenzt eigentlich an ein Wunder, dass der syrische Bürgerkrieg noch nicht auf den Libanon übergegriffen hat. Die aktuelle Situation im Libanon gleicht, wenn man das vergleichen darf, dem Spiel „Jenga“, bei dem man kleine Bausteine aus einem Turm ziehen muss. Wenn der Turm umfällt, hat man verloren. Nur gewinnen würde im Libanon niemand. Mit den genannten Konfliktlinien, mit Akteuren wie der Hisbollah, mit den demografischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen und dem Bürgerkrieg vor der eigenen Haustür schwankt der libanesische Turm gewaltig. UNIFIL mag dabei nur ein kleiner, ein stabilisierender Baustein sein. Wer ihn in dieser Situation jedoch wieder herauszieht, riskiert den Zusammensturz des gesamten fragilen Gebildes mit schlimmen Folgen für die Region. (Beifall der Abg. Gabi Weber [SPD]) UNIFIL ist ein Beitrag zu mehr Stabilität. Bei allen Zwischenfällen an den libanesischen Grenzen möchte ich mir nicht ausmalen, wie die Lage ohne die Mission aussehen würde. Dass sich die libanesische und die israelische Armee bei regelmäßigen Treffen im UNIFIL-Hauptquartier direkt austauschen können, ist ein von allen Seiten hochgeschätzter Beitrag zu mehr Stabilität. Der Aufbau der Marine mit dem Ziel einer eigenständigen Sicherung der Seegrenzen ist ein langfristiger Beitrag zu mehr Stabilität. Wir müssen die Kräfte in der Region stärken, die sich für mehr Stabilität einsetzen. Wir müssen den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen allen gesellschaftlich relevanten Akteuren unterstützen. Und wir müssen weiterhin helfen, tragfähige Sicherheitsstrukturen aufzubauen. Dazu wird auch der deutsche Beitrag zu UNIFIL benötigt, der sowohl von den Vereinten Nationen als auch von der libanesischen und der israelischen Regierung ausdrücklich begrüßt wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mission UNIFIL ist eine der ältesten UN-Missionen überhaupt. Angesichts dieser langen Zeit wäre es naiv, zu hoffen, dass sie schon bald überflüssig sein könnte. Nicht aufgeben will ich aber die Hoffnung, dass ein erneuter Bürgerkrieg im Libanon verhindert werden kann, dass der Frieden und die Vögel zurückkehren bzw., um es mit den Worten von Fairuz zu sagen: Aber wir kehren zurück. Wir kehren aus Bränden zurück. Aus Straßen unter Geschossen. Der wahre Libanon kehrt zurück, räumt gefärbte Geschichte und falsche Versprechen weg. Und der Winter nimmt sie fort. Liebe Heimat, der Fluss glüht vor Freude, und mit der Morgendämmerung wird das Leben strahlen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege, auch für die schönen Zitate, die Sie gebracht haben. Wie heißt das Spiel, das Sie genannt haben? Ich habe neugierige Blicke gesehen. Thomas Hitschler (SPD): Jenga. Vizepräsidentin Claudia Roth: Jenga. Gut, beim nächsten Mal werden wir es spielen. Mal schauen, welcher Turm dann einstürzt. Letzter Redner in der Debatte ist Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum Thema komme, möchte ich kurz Stellung nehmen zu dem Zwischenruf, den ich vorhin gemacht habe. Ich möchte nämlich nicht, dass der Kollege Mißfelder frustriert in die Ferien geht. Ich meinte natürlich, dass der Kollege Nouripour jünger aussieht, als er ist. Das war nicht auf dich gemünzt, lieber Philipp; nur, damit da nichts aufkommt. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD): Aha!) Als letzter Redner vor den Pfingstferien, darf ich vielleicht eins sagen: Spätestens nach Ihrer Rede, Frau Da?delen, bin ich urlaubsreif. Die Mischung aus Ideologie, Weltverschwörungstheorie und Unsinn ist so unglaublich anstrengend – das war leider nicht das erste Mal in dieser Woche –, dass ich froh bin, dass wir gleich in die Ferien gehen können. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Von mir aus können Sie sofort gehen!) Meine Damen und Herren, wenn wir über die internationalen Mandate sprechen, stellen wir naturgemäß den deutschen Beitrag ganz besonders heraus. Ich möchte aber heute mit Brasilien beginnen. Wenn man über Brasilien redet – aktuell denkt man hier vor allem an den Fußball und die kommende Fußballweltmeisterschaft; darüber hinaus fallen einem vielleicht noch andere Brasilienklischees ein –, vergisst man meistens, dass es um ein aufstrebendes Schwellenland geht, das internationale Verantwortung übernimmt und sich im Rahmen der Vereinten Nationen militärisch engagiert. Schon seit Anfang 2011 führt Brasilien den Flottenverband, die Maritime Task Force, im Rahmen von UNIFIL an. Dafür möchte ich an dieser Stelle Brasilien ganz herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Daneben sind noch viele andere Nationen vor der Küste des Libanon beteiligt. Insgesamt haben schon 15 Nationen die Maritime Task Force unterstützt. Zurzeit sind etwa 10 500 Soldatinnen und Soldaten im -UNIFIL-Einsatz, davon etwa 1 000 im Flottenverband. Dieser besteht aus drei Fregatten aus Brasilien, Indonesien und Bangladesch sowie vier Patrouillenbooten aus Bangladesch, der Türkei, Griechenland und Deutschland. Hier ist das Schnellboot „Wiesel“ unterwegs. Die Operation UNIFIL dient als Friedensmission zum einen der Begleitung der Waffenruhe zwischen dem Libanon und Israel und zum anderen der Unterstützung der libanesischen Regierung bei der Grenzsicherung. Der deutsche Beitrag dient im Schwerpunkt dem Ausbau der Fähigkeiten der libanesischen Marine, Küste und Territorialgewässer zu überwachen, damit sie sie irgendwann einmal selbstständig überwachen kann. Unsere Beteiligung soll bis zum 30. Juni 2015 mit einer unveränderten Personalobergrenze von 300 Soldatinnen und Soldaten fortgesetzt werden. UNIFIL war bislang erfolgreich. Die Mission ist aber noch nicht abgeschlossen. Damit ein nachhaltiger Erfolg sichtbar wird, müssen wir das Engagement fortsetzen. Aufbau und Training der libanesischen Marine sind wichtig, damit der Libanon seine Sicherheitsaufgaben künftig eigenverantwortlich wahrnehmen kann. Hierbei wurden erste Erfolge erzielt. Hervorzuheben ist, dass Israel ebenso wie die libanesische Regierung und die Vereinten Nationen weiterhin größten Wert auf eine deutsche Beteiligung am UNIFIL-Flottenverband legen. UNIFIL wird auch als Forum für Vertrauensbildung und Austausch zwischen Israel und Libanon genutzt. Die Beteiligung am Flottenverband ist – wie bei praktisch allen unseren Mandaten – nur ein Teil eines umfassenderen Engagements für den Libanon und die gesamte Region. Deutschland hilft dem Libanon bei der Durchführung des nationalen Dialogs, beim Hariri-Tribunal, bei der Verbesserung der Flüchtlingssituation, bei der Grenzsicherung, beim Wiederaufbau der Wasser- und Abwasserinfrastruktur sowie bei der Berufsausbildung. Der deutsche Beitrag im Rahmen von UNIFIL ist ein wichtiges Element im Hilfskonzept für den Libanon und die Region. Für mich ist er durch den klar greifbaren Nutzen, die erkennbaren Fortschritte bei der libanesischen Marine, ein besonders überzeugender Beitrag. Wie bei vielen anderen Einsätzen zeigt sich auch hier, wie viel man mit einem konsequenten und durchdachten Einsatz bewegen kann. Dies wird auch auf libanesischer Seite anerkannt. Gerade in dieser zerrissenen Region, in diesem Land am Abgrund, ist dieses enge Zusammenwirken ein kleines, ermutigendes Signal. Hier ist in den Jahren seit 2006 nicht nur eine pro-fessionelle Beziehung vertieft worden, sondern auch Freundschaft gewachsen. Im letzten November pflanzten deutsche und libanesische Soldaten im Marinestützpunkt Beirut eine deutsche Steineiche als Geschenk an die libanesische Marine. Der deutsche UNIFIL-Kontingentführer merkte an: „Wir pflanzen einen jungen Baum, der so groß und stark werden soll wie die Freundschaft zwischen unseren Marinen“. Die Tafel neben dem Baum trägt die Inschrift: „Wo Freunde sind, da ist Reichtum“. Ich wünsche Ihnen allen schöne Pfingstferien. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Hahn. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1417 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ja. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 24. Juni 2014, 10 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen, aber auch unseren Gästen und den Mitarbeitern des Hauses ruhige, friedliche und schöne Pfingsttage. Wer daran glaubt: Hoffentlich schickt uns der Heilige Geist ziemlich viel Erleuchtung. Schöne Pfingsten und bis zum nächsten Mal! Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 15.23 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 06.06.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 06.06.2014 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 06.06.2014 Bulmahn, Edelgard SPD 06.06.2014 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 06.06.2014 Freitag, Dagmar SPD 06.06.2014 Dr. Friedrich (Hof), Hans-Peter CDU/CSU 06.06.2014 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 06.06.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 06.06.2014 Golze, Diana DIE LINKE 06.06.2014 Grindel, Reinhard CDU/CSU 06.06.2014 Groß, Michael SPD 06.06.2014 Gunkel, Wolfgang SPD 06.06.2014 Hänsel, Heike DIE LINKE 06.06.2014 Hartmann, Sebastian SPD 06.06.2014 Dr. Hendricks, Barbara SPD 06.06.2014 Hinz (Essen), Petra SPD 06.06.2014 Hochbaum, Robert CDU/CSU 06.06.2014 Dr. Hoppenstedt, Hendrik CDU/CSU 06.06.2014 Dr. Jüttner, Egon CDU/CSU 06.06.2014 Kampeter, Steffen CDU/CSU 06.06.2014 Klare, Arno SPD 06.06.2014 Klingbeil, Lars SPD 06.06.2014 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.06.2014 Lange (Backnang), Christian SPD 06.06.2014 Dr. Lauterbach, Karl SPD 06.06.2014 Lay, Caren DIE LINKE 06.06.2014 Dr. Malecha-Nissen, Birgit SPD 06.06.2014 Mast, Katja SPD 06.06.2014 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 06.06.2014 Möhring, Cornelia DIE LINKE 06.06.2014 Dr. Neu, Alexander S. DIE LINKE 06.06.2014 Nietan, Dietmar SPD 06.06.2014 Pilger, Detlev SPD 06.06.2014 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.06.2014 Rüthrich, Susann SPD 06.06.2014 Schavan, Annette CDU/CSU 06.06.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 06.06.2014 Dr. Schockenhoff, Andreas CDU/CSU 06.06.2014 Schwabe, Frank SPD 06.06.2014 Steinke, Kersten DIE LINKE 06.06.2014 Tank, Azize DIE LINKE 06.06.2014 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 06.06.2014 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.06.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.06.2014 Werner, Katrin DIE LINKE 06.06.2014 Wiese, Dirk SPD 06.06.2014 Ziegler, Dagmar SPD 06.06.2014 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ernst-Dieter Rossmann und Andreas Schwarz (beide SPD) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Lisa Paus, Ulle Schauws, Luise Amtsberg, Kai Gehring, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Drucksache 18/1662) (39. Sitzung, Tagesordnungspunkt 18) In einer aufgeklärten Gesellschaft ohne Diskriminierung versteht sich die vollständige Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe von selbst. Gleichwohl lässt sich dieses Selbstverständnis nicht verordnen – es sind Kompromisse zu suchen, über die in einer Demokratie Mehrheiten entscheiden. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD wurde für diese Legislaturperiode vereinbart: Sexuelle Identität respektieren – Lebenspartnerschaften, Regenbogenfamilien Wir wissen, dass in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Werte gelebt werden, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind. Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende – Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen – Lebenspartnerschaften und von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen beendet werden. Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitigen. Wir sind froh, dass sich Vereine und Körperschaften für die Rechte Homosexueller einsetzen. Gemäß § 52 Absatz 2 Nummer 7 AO können diese Vereine und Körperschaften zur Förderung der Volksbildung als gemeinnützig anerkannt werden. Zu einer vollständigen Gleichstellung gehört auch, dass die Förderung der Lebenspartnerschaft als gemeinnütziger Zweck neben Ehe und Familie explizit in der Abgabenordnung verankert wird; denn sie leisten einen wichtigen Beitrag für die Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft. Sie klären auf und unterstützen Homosexuelle bei der Bewältigung von Problemen. Hier die Förderungswürdigkeit in die Abgabenordnung aufzunehmen, folgt unmittelbar aus der Koalitionsvereinbarung. Wir bedauern sehr, dass die CDU/CSU dieser Vereinbarung noch nicht folgen kann und zwischen den Koalitionspartnern hier keine Einigung über die Erweiterung der gemeinnützigen Zwecke erzielt werden konnte. Aus Rücksichtnahme auf den Koalitionsvertrag, in dem sich die Koalitionspartner auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten verständigt haben, können wir dem Antrag der Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion leider nicht zustimmen. Dieses einheitliche Abstimmungsverhalten ermöglicht es uns, erfolgreich deutliche Verbesserungen für viele Menschen zu erreichen – auch im Hinblick auf ein selbstbestimmtes Leben. Damit wird also – trotz dieses einzelnen Aspekts in der Abgabenordnung – viel erreicht. Diese Erfolge wollen wir nicht durch Zustimmung zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gefährden. Wir werden uns aber weiterhin für dieses Anliegen einsetzen und eine vollständige Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften unterstützen. Mit dem heute verabschiedeten Gesetz zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird eine steuerliche Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, hergestellt. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 922. Sitzung am 23. Mai 2014 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen: – Erstes Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes – Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Aufhebung des Beschlusses 2007/124/EG, Euratom des Rates Darüber hinaus hat der Bundesrat in seiner 922. Sitzung am 23. Mai 2014 gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 und Satz 3 des Standortauswahlgesetzes in Ergänzung seines Beschlusses vom 11. April 2014 als Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen – Klaus Brunsmeier (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) und – Jörg Sommer (Deutsche Umweltstiftung) zu Mitgliedern der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gewählt. Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2013 Drucksachen 18/1046, 18/1379 (neu) Nr. 1.3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2013 Drucksachen 18/1047, 18/1379 (neu) Nr. 1.4 Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus Antisemitismus in Deutschland – Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze Drucksachen 17/7700, 18/770 Nr. 2 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Auswirkungen der Regelungen zur Anzeigepflicht gewerblicher und gemeinnütziger Sammlungen gemäß der §§ 17 und 18 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (Monitoring-Bericht) Drucksachen 18/800, 18/1042 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Petitionsausschuss Drucksache 18/1393 Nr. A.1 EP P7_TA-PROV(2014)0204 Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.7 EP P7_TA-PROV(2013)0383 Drucksache 18/419 Nr. A.8 EP P7_TA-PROV(2013)0389 Drucksache 18/544 Nr. A.7 Ratsdokument 17859/13 Drucksache 18/822 Nr. A.1 EuB-BReg 14/2014 Drucksache 18/822 Nr. A.2 EuB-BReg 15/2014 Drucksache 18/822 Nr. A.4 EuB-BReg 20/2014 Drucksache 18/1048 Nr. A.4 Ratsdokument 7509/14 Drucksache 18/1048 Nr. A.5 Ratsdokument 7536/14 Drucksache 18/1137 Nr. A.1 Ratsdokument 7537/14 Drucksache 18/1393 Nr. A.6 EuB-BReg 38/2014 Drucksache 18/1393 Nr. A.11 EP P7_TA-PROV(2014)0229 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/419 Nr. A.37 Ratsdokument K(2013)3539 endg. Drucksache 18/419 Nr. A.39 Ratsdokument 11499/13 Drucksache 18/419 Nr. A.54 Ratsdokument 17645/13 Drucksache 18/822 Nr. A.10 Ratsdokument 6113/14 Haushaltsausschuss Drucksache 18/1048 Nr. A.7 Ratsdokument 5398/14 Drucksache 18/1137 Nr. A.2 Ratsdokument 7907/14 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 18/419 Nr. A.100 Ratsdokument 11460/13 Drucksache 18/419 Nr. A.101 Ratsdokument 11474/13 Drucksache 18/419 Nr. A.102 Ratsdokument 11926/13 Drucksache 18/419 Nr. A.103 Ratsdokument 16220/13 Drucksache 18/419 Nr. C.36 Ratsdokument 8040/12 Drucksache 18/419 Nr. C.37 Ratsdokument 15865/12 Drucksache 18/544 Nr. A.37 Ratsdokument 5567/14 Drucksache 18/544 Nr. A.38 Ratsdokument 17367/13 Drucksache 18/544 Nr. A.39 Ratsdokument 17650/13 Drucksache 18/544 Nr. A.40 Ratsdokument 18151/13 Drucksache 18/642 Nr. A.5 EP P7_TA-PROV(2014)0012 Drucksache 18/642 Nr. A.6 EP P7_TA-PROV(2014)0014 Drucksache 18/822 Nr. A.26 Ratsdokument 6220/14 Drucksache 18/1137 Nr. A.4 Ratsdokument 7978/14 Drucksache 18/1137 Nr. C.2 Ratsdokument 6715/12 Drucksache 17/9475 Nr. A.17 Ratsdokument 8042/12 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 18/419 Nr. A.148 EP P7_TA-PROV(2013)0284 Drucksache 18/419 Nr. A.150 EP P7_TA-PROV(2013)0390 Drucksache 18/419 Nr. A.153 EP P7_TA-PROV(2013)0420 Drucksache 18/1393 Nr. A.36 EP P7_TA-PROV(2014)0206 Drucksache 18/1393 Nr. A.37 EP P7_TA-PROV(2014)0253 Drucksache 17/14284 Nr. A.12 EP P7_TA-PROV(2013)0223 Drucksache 17/14284 Nr. A.14 EP P7_TA-PROV(2013)0232 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 18/419 Nr. A.197 EP P7_TA-PROV(2013)0274 Drucksache 18/419 Nr. A.198 EP P7_TA-PROV(2013)0329 Drucksache 18/419 Nr. A.199 EP P7_TA-PROV(2013)0350 Drucksache 18/419 Nr. A.200 EP P7_TA-PROV(2013)0368 Drucksache 18/419 Nr. A.201 Ratsdokument 10469/13 Anlagen II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung, Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung, Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3567 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 3572 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung, Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung, Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3571