Plenarprotokoll 18/46 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 46. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Dr. Klaus-Peter Schulze 4089 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 4089 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 8 4090 D Tagesordnungspunkt 4: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) Drucksachen 18/1558, 18/2010 (neu) 4091 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/2011 4091 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro Stunde einführen Drucksachen 18/590, 18/2010 (neu) 4091 A Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS 4091 B Klaus Ernst (DIE LINKE) 4093 D Dietmar Nietan (SPD) 4094 C Karl Schiewerling (CDU/CSU) 4096 B Michael Schlecht (DIE LINKE) 4098 B Karl Schiewerling (CDU/CSU) 4098 D Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4099 B Katja Mast (SPD) 4100 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 4102 A Stephan Stracke (CDU/CSU) 4103 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 4104 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4105 C Dr. Carola Reimann (SPD) 4106 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 4107 B Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) 4108 B Bernd Rützel (SPD) 4110 A Michael Schlecht (DIE LINKE) 4110 C Wilfried Oellers (CDU/CSU) 4111 A Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) 4112 A Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 4113 A Namentliche Abstimmungen 4114 D, 4117 B Ergebnisse 4115 C, 4119 D Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Karl Holmeier, Thomas Jarzombek, Patrick Schnieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Martin Dörmann, Kirsten Lühmann, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Moderne Netze für ein modernes Land – Schnelles Internet für alle Drucksache 18/1973 4118 A Ulrich Lange (CDU/CSU) 4118 B Herbert Behrens (DIE LINKE) 4122 A Martin Dörmann (SPD) 4123 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 4125 A Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4126 A Patrick Schnieder (CDU/CSU) 4127 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 4128 C Kirsten Lühmann (SPD) 4129 D Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4130 D Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) 4132 A Saskia Esken (SPD) 4133 C Herbert Behrens (DIE LINKE) 4135 C Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) 4135 D Stefan Zierke (SPD) 4137 B Thomas Jarzombek (CDU/CSU) 4138 C Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen Drucksache 18/1874 4140 B b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung Drucksachen 18/7, 18/879 4140 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) 4140 D Wilfried Oellers (CDU/CSU) 4141 C Klaus Ernst (DIE LINKE) 4143 A Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4143 C Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 4144 B Matthäus Strebl (CDU/CSU) 4146 A Michael Schlecht (DIE LINKE) 4147 A Markus Paschke (SPD) 4147 D Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4149 C Namentliche Abstimmung 4150 C Ergebnis 4155 D Tagesordnungspunkt 32: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zweiten Zusatzprotokoll vom 8. November 2001 zum Europäischen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen Drucksache 18/1773 4150 C b) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel einschränken Drucksache 18/1873 4150 C c) Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Caren Lay, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bad-Bank-Pläne der Atomkonzerne zurückweisen – Rückstellungen der AKW-Betreiber in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen Drucksache 18/1959 4150 D d) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt Drucksache 18/1963 4150 D e) Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stellungnahme im Rahmen des Konsultationsverfahrens der Europäischen Kommission zum Investitionsschutzkapitel im geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP Drucksache 18/1964 4151 A f) Unterrichtung durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages Drucksache 17/4325 4151 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Maßgabebeschluss des Bundesrates zur Spielverordnung umgehend in Kraft setzen Drucksache 18/1875 4151 A Tagesordnungspunkt 33: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 25. und 30. April 2007 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Vertragsgesetz EU-USA-Luftverkehrsabkommen – EU-USA-LuftverkAbkG) Drucksachen 18/1569, 18/1997 4151 C b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Mittel-meer-Luftverkehrsabkommen vom 15. De-zember 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Haschemitischen Königreich Jordanien andererseits (Vertragsgesetz Europa-Mittelmeer-Jordanien-Luftverkehrsabkommen – Euromed-JOR-LuftverkAbkG) Drucksachen 18/1570, 18/1998 4151 D c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und der Republik Moldau über den Gemeinsamen Luftverkehrsraum (Vertragsgesetz EU-Moldau-Luftverkehrsabkommen – EU-MDA-LuftverkAbkG) Drucksachen 18/1571, 18/1999 4152 A d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. September 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik der Philippinen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksachen 18/1568, 18/1984 4152 C e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltinformationsgesetzes Drucksachen 18/1585, 18/1992 4152 D f) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sofortiges Moratorium für die Wohnungs- und Grundstücksverkäufe durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben Drucksache 18/1952 4153 A g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Wolfgang Gehrcke, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kürzungspolitik beenden – Soziale Errungenschaften verteidigen – Soziales Europa schaffen Drucksachen 18/1116, 18/1605 4153 A h) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsauschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine Milliarde Euro Entlastung für Kommunen im Jahr 2014 umsetzen Drucksachen 18/975, 18/1655 4153 B i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesregierung: Zweite Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Drucksachen 18/1233, 18/1379 (neu) Nr. 2.1, 18/1677 4153 C j) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Erste Verordnung zur Änderung der Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Drucksachen 18/1471, 18/1702 Nr. 2, 18/1993 4153 C k) Beratung der Dritten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses: zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 Drucksache 18/1810 4153 D l) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zur Übersicht 2 – über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/1970 4154 A m)–s) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 67, 68, 69, 70, 71, 72 und 73 zu Petitionen Drucksachen 18/1882, 18/1883, 18/1884, 18/1885, 18/1886, 18/1887, 18/1888 4154 A Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, Christian Kühn (Tübingen), Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Moratorium beim Verkauf von Wohnimmobilien in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben Drucksache 18/1965 4154 D b)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81 und 82 zu Petitionen Drucksachen 18/1974, 18/1975, 18/1976, 18/1977, 18/1978, 18/1979, 18/1980, 18/1981, 18/1982 4155 A Tagesordnungspunkt 7: Wahl eines Mitglieds der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, Satz 3 und 6 des Standortauswahlgesetzes Drucksache 18/1961 4158 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu Einwänden der EU-Kommission in Bezug auf die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland 4158 B Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4158 B Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin BMVI 4159 C Herbert Behrens (DIE LINKE) 4162 B Sören Bartol (SPD) 4163 C Steffen Bilger (CDU/CSU) 4164 C Thomas Lutze (DIE LINKE) 4165 D Kirsten Lühmann (SPD) 4166 C Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4167 C Andreas Scheuer (CDU/CSU) 4168 C Martin Burkert (SPD) 4169 D Oliver Wittke (CDU/CSU) 4171 A Ulrich Lange (CDU/CSU) 4172 C Arnold Vaatz (CDU/CSU) 4173 D Zusatztagesordnungspunkt 6: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer Drucksachen 18/1528, 18/1766, 18/1954, 18/2004 4174 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Da?delen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schutzbedarf von Roma aus Westbalkanstaaten anerkennen Drucksachen 18/1616, 18/1954, 18/2004 4174 D Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 4174 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) 4176 A Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) 4177 A Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4178 B Nina Warken (CDU/CSU) 4179 D Uli Grötsch (SPD) 4181 A Andrea Lindholz (CDU/CSU) 4181 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4182 B Zusatztagesordnungspunkt 7: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Drucksache, 18/1312, 18/1759, 18/1955, 18/2005 4183 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Sevim Da?delen, Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht Drucksachen 18/1092, 18/1955, 18/2005 4183 C – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Drucksachen 18/185 (neu), 18/1955, 18/2005 4183 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Da?delen, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht Drucksachen 18/286, 18/1955, 18/2005 4183 C Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 4183 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4185 A Sevim Da?delen (DIE LINKE) 4185 C Rüdiger Veit (SPD) 4186 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4187 D Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 4189 B Aydan Özo?uz, Staatsministerin BK 4190 D Helmut Brandt (CDU/CSU) 4191 C Josip Juratovic (SPD) 4193 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4193 C Namentliche Abstimmungen 4194 D Ergebnisse 4197 D, 4200 A Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulle Schauws, Renate Künast, Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen (Führungskräftegesetz) Drucksache 18/1878 4195 B Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4195 C Gudrun Zollner (CDU/CSU) 4196 C Cornelia Möhring (DIE LINKE) 4202 B Birgit Kömpel (SPD) 4204 A Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) 4205 B Christina Jantz (SPD) 4206 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 4207 D Tagesordnungspunkt 30: a) Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur der Rentenüberleitung beheben Drucksache 18/1644 4209 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das Westniveau sofort auf den Weg bringen Drucksachen 18/982, 18/1994 4209 D Roland Claus (DIE LINKE) 4209 D Jana Schimke (CDU/CSU) 4211 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4212 D Dr. Martin Rosemann (SPD) 4213 D Daniela Kolbe (SPD) 4214 B Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 4215 B Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) 4216 B Matthäus Strebl (CDU/CSU) 4217 B Namentliche Abstimmung 4218 C Ergebnis 4221 C Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Sevim Da?delen, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: 100 Jahre Erster Weltkrieg, 100 Jahre Nein zum Krieg – Gedenktafel für Karl Liebknecht Drucksache 18/1950 4218 D Sevim Da?delen (DIE LINKE) 4219 A Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) 4219 C Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) 4221 A Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4223 B Hiltrud Lotze (SPD) 4224 D Julia Bartz (CDU/CSU) 4226 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 4226 D Axel Schäfer (Bochum) (SPD) 4228 A Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens Drucksachen 18/1284, 18/2009 4229 A Dr. André Berghegger (CDU/CSU) 4229 B Frank Tempel (DIE LINKE) 4230 B Gabriele Fograscher (SPD) 4231 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4232 B Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) 4233 A Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Hans-Christian Ströbele, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus den Erkenntnissen des NSU-Untersuchungsausschusses Drucksache 18/776 4234 C Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4234 C Clemens Binninger (CDU/CSU) 4235 C Petra Pau (DIE LINKE) 4236 C Gabriele Fograscher (SPD) 4237 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 4238 B Tagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 2014/2015 (BBVAnpG 2014/2015) Drucksache 18/1797 4239 A Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Diana Golze, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesteilhabegesetz zügig vorlegen – Volle Teilhabe ohne Armut garantieren Drucksache 18/1949 4239 B Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 4239 C Uwe Schummer (CDU/CSU) 4240 A Kerstin Tack (SPD) 4241 A Diana Golze (DIE LINKE) 4241 D Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4242 D Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes Drucksachen 18/1780, 18/1966, 18/1983 4243 B Kordula Kovac (CDU/CSU) 4243 C Gustav Herzog (SPD) 4244 D Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4246 A Norbert Schindler (CDU/CSU) 4247 A Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine schnelle und unbürokratische Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland und in der EU – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Tom Koenigs, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verantwortung übernehmen – Zügig mehr syrische Flüchtlinge aufnehmen Drucksachen 18/840, 18/846, 18/1760 4248 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) 4248 D Nina Warken (CDU/CSU) 4249 D Rüdiger Veit (SPD) 4250 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) 4251 C Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4252 B Tagesordnungspunkt 17: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Drucksachen 18/1529, 18/1776, 18/1995 4253 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/2006 4253 B Olav Gutting (CDU/CSU) 4253 B Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 4254 B Andreas Schwarz (SPD) 4255 A Richard Pitterle (DIE LINKE) 4256 C Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4257 B Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen einführen Drucksache 18/1872 4258 C Artur Auernhammer (CDU/CSU) 4258 C Dieter Stier (CDU/CSU) 4259 D Christina Jantz (SPD) 4261 A Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 4262 A Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4263 A Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu der Unterrichtung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter zum: Jahresbericht 2013 der Bundesstelle und der Länderkommission Drucksachen 18/1178, 18/2003 4263 C Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 4263 D Erika Steinbach (CDU/CSU) 4265 C Frank Schwabe (SPD) 4266 D Annette Groth (DIE LINKE) 4267 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4268 D Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: LKW-Maut nachhaltig und ökologisch ausrichten Drucksache 18/1620 4269 C Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes (Künstlersozialabgabestabilisierungsgesetz – KSAStabG) Drucksachen 18/1530, 18/1770, 18/1985 4269 D Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 4270 A Uwe Lagosky (CDU/CSU) 4271 A Burkhard Blienert (SPD) 4271 D Ralf Kapschack (SPD) 4272 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 4273 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4274 B Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die europäische Perspektive der Republik Moldau unterstützen Drucksache 18/1956 4275 B Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 4275 B Manfred Grund (CDU/CSU) 4276 B Dietmar Nietan (SPD) 4277 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 4278 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4279 C Tagesordnungspunkt 24: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz von Elefanten und Nashörnern vor Wilderei stärken Drucksache 18/1951 4280 B b) Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wildtierhandel mit geschützten Arten verbieten Drucksache 18/1960 4280 B Josef Göppel (CDU/CSU) 4280 C Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) 4281 D Carsten Träger (SPD) 4283 B Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 4284 A Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4284 D Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 4285 D Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verringerung der Abhängigkeit von Ratings Drucksache 18/1774 4286 D Matthias Hauer (CDU/CSU) 4286 D Bettina Kudla (CDU/CSU) 4287 D Andreas Schwarz (SPD) 4289 A Dr. Axel Troost (DIE LINKE) 4289 D Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4291 A Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: 20 Jahre nach Kairo – Bevölkerungspolitik im Kontext internationaler Entwicklungszusammenarbeit und der Post-2015-Agenda Drucksache 18/1958 4292 A Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 4292 B Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) 4293 C Michaela Engelmeier-Heite (SPD) 4294 A Gabriela Heinrich (SPD) 4295 B Niema Movassat (DIE LINKE) 4296 D Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4298 A Nächste Sitzung 4299 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 4301 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ute Finckh-Krämer und Daniela Kolbe (Leipzig) (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Azize Tank, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Drucksache 18/2019) (Tagesordnungspunkt 4 a) 4301 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Cansel Kiziltepe (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Azize Tank, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Drucksache 18/2019) (Tagesordnungspunkt 4 a) 4302 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über den Änderungsantrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Azize Tank, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Drucksache 18/2019) (Tagesordnungspunkt 4 a) 4303 B Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heike Brehmer, Manfred Grund, Frank Heinrich (Chemnitz), Jörg Hellmuth, Matthias Lietz, Eckhardt Rehberg, Dr. Klaus-Peter Schulze, Tino Sorge, Carola Stauche, Dieter Stier, Arnold Vaatz, Volkmar Vogel (Kleinsaara) und Kees de Vries (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 4 a) 4304 A Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 4 a) 4304 D Günter Baumann (CDU/CSU) 4304 D Veronika Bellmann (CDU/CSU) 4305 C Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) 4307 B Klaus Brähmig (CDU/CSU) 4308 A Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) 4308 D Mark Hauptmann (CDU/CSU) 4309 D Uda Heller (CDU/CSU) 4310 C Robert Hochbaum (CDU/CSU) 4311 B Carsten Körber (CDU/CSU) 4311 B Katharina Landgraf (CDU/CSU) 4312 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 4312 D Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) 4313 C Yvonne Magwas (CDU/CSU) 4313 C Maria Michalk (CDU/CSU) 4314 A Dietrich Monstadt (CDU/CSU) 4314 B Martin Patzelt (CDU/CSU) 4315 A Jana Schimke (CDU/CSU) (CDU/CSU) 4315 D Tankred Schipanski (CDU/CSU) 4316 A Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) 4316 D Michael Groß (SPD) 4317 A Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Inge Höger und Ulla Jelpke (beide Die Linke) zur namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 4 a) 4317 B Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrike Bahr, Klaus Barthel, Dr. Matthias Bartke, Bärbel Bas, Dr. Karl-Heinz Brunner, Marco Bülow, Dr. Lars Castellucci, Petra Crone, Sabine Dittmar, Michael Gerdes, Martin Gerster, Michael Groß, Dr. Ute Finckh-Krämer, Bettina Hagedorn, Ulrich Hampel, Gabriela Heinrich, Gabriele Hiller-Ohm, Frank Junge, Josip Juratovic, Ralf Kapschack, Gabriele Katzmarek, Cansel Kiziltepe, Daniela Kolbe, Steffen-Claudio Lemme, Hiltrud Lotze, Kirsten Lühmann, Hilde Mattheis, Klaus Mindrup, Markus Paschke, Dr. Simone Raatz, Gerold Reichenbach, Andreas Rimkus, Annette Sawade, Dr. Dorothee Schlegel, Ewald Schurer, Stefan Schwartze, Ursula Schulte, Norbert Spinrath, Martina Stamm-Fibich, Kerstin Tack, Bernd Westphal, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und Gülistan Yüksel (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungspunkt 6 b) 4317 D Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kerstin Griese und Dr. Martin Rosemann (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungspunkt 6 b) 4318 B Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungspunkt 6 b) 4318 D Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Petra Sitte (Die Linke) zur Abstimmung über die dritte Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 (Tagesordnungspunkt 33 k) 4319 B Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrike Bahr, Marco Bülow, Petra Crone, Dr. Daniela De Ridder, Dr. Karamba Diaby, Petra Ernstberger, Saskia Esken, Elke Ferner, Christian Flisek, Kerstin Griese, Gabriele Groneberg, Josip Juratovic, Christina Kampmann, Steffen-Claudio Lemme, Caren Marks, Katja Mast, Klaus Mindrup, Ulli Nissen, Dr. Simone Raatz, Andreas Rimkus, Sönke Rix, Johann Saathoff, Dagmar Schmidt (Wetzlar), Ursula Schulte, Svenja Stadler, Sonja Steffen und Gülistan Yüksel (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer (Zusatztagesordnungspunkt 6 a) 4320 A Anlage 13 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer (Zusatztagesordnungspunkt 6 a) 4320 D Heike Baehrens (SPD) 4321 A Bärbel Bas (SPD) 4321 B Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 4321 D Dr. Lars Castellucci (SPD) 4322 A Mechthild Rawert (SPD) 4322 D Dr. Martin Rosemann (SPD) 4323 B Susann Rüthrich (SPD) 4323 C Dr. Carsten Sieling (SPD) 4324 B Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 7 a) 4324 C Anlage 15 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hubert Hüppe (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD 20 Jahre nach Kairo – Bevölkerungspolitik im Kontext internationaler Entwicklungszusammenarbeit und der Post-2015-Agenda (Tagesordnungspunkt 31) 4325 A Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Bundesbesoldungs- und versorgungsanpassungsgesetzes 2014/2015 (BBVAnpG 2014/2015) (Tagesordnungspunkt 9) 4325 D Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) 4325 C Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) 4326 D Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) 4327 D Frank Tempel (DIE LINKE) 4328 B Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4328 D Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 4329 C Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes (Tagesordnungspunkt 15) 4330 B Roland Claus (DIE LINKE) 4330 B Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: LKW-Maut nachhaltig und ökologisch ausrichten (Tagesordnungspunkt 22) 4331 A Steffen Bilger (CDU/CSU) 4331 A Karl Holmeier (CDU/CSU) 4331 D Sebastian Hartmann (SPD) 4332 C Herbert Behrens (DIE LINKE) 4333 D Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4334 C Inhaltsverzeichnis 46. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 Beginn: 10.30 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir die Sitzung eröffnen, möchte ich Ihr Einverständnis dazu herbeiführen, dass wir mit der Sitzung beginnen können, obwohl der Flügel nach der Gedenkstunde noch hier im Plenarsaal steht. Aus noch nicht restlos geklärten Gründen sind die Techniker, die ihn vorher hatten wieder zurückbringen sollen, im Augenblick nicht verfügbar. Da ich aber ziemlich sicher bin, dass die Verfügbarkeit eines Flügels der Harmonie unserer Beratungen nicht im Wege steht, bin ich zuversichtlich, dass Sie damit einverstanden sind. Ist das so? (Beifall) – Sehr gut. Vizepräsidentin Claudia Roth: Einen schönen guten Morgen von meiner Seite nach einem sehr bewegenden Vormittag! Der Präsident hat schon darauf hingewiesen, dass wir heute musikalisch begleitet werden. Ich habe bisher eine Rednerliste vorliegen, aber noch nicht die Liste derjenigen, die uns zwischendurch etwas spielen wollen. Aber es ist eine Pre-miere, und ich bin mir ganz sicher, dass uns dieser Flügel in unserer heutigen Debatte beflügeln wird. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Kollegen Dr. Klaus-Peter Schulze sehr, sehr -herzlich im Namen des ganzen Hauses zu seinem heutigen kugelrunden 60. Geburtstag gratulieren. Ich wünsche im Namen des Hauses alles, alles Gute, Herr Dr. Schulze. (Beifall) Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Vereinbarte Debatte Bedrohung der regionalen Stabilität durch das Vorgehen der ISIS-Truppen ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Beschaffungsprogramm von Drohnen für die Bundeswehr (ZP 1 und 2 siehe 45. Sitzung) ZP 3 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 32 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Maßgabebeschluss des Bundesrates zur Spielverordnung umgehend in Kraft setzen Drucksache 18/1875 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Gesundheit ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache Ergänzung zu TOP 33 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, Christian Kühn (Tübingen), Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Moratorium beim Verkauf von Wohnimmo-bilien in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt durch die Bundesanstalt für -Immobilienaufgaben Drucksache 18/1965 b) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 74 zu Petitionen Drucksache 18/1974 c) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 75 zu Petitionen Drucksache 18/1975 d) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 76 zu Petitionen Drucksache 18/1976 e) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 77 zu Petitionen Drucksache 18/1977 f) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 78 zu Petitionen Drucksache 18/1978 g) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 79 zu Petitionen Drucksache 18/1979 h) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 80 zu Petitionen Drucksache 18/1980 i) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 81 zu Petitionen Drucksache 18/1981 j) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 82 zu Petitionen Drucksache 18/1982 ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zu Einwänden der EU-Kommission in Bezug auf die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland ZP 6 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als -sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer Drucksachen 18/1528, 18/1766 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksachen 18/1954, 18/2004 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Da?delen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schutzbedarf von Roma aus Westbalkanstaaten anerkennen Drucksachen 18/1616, 18/1954, 18/2004 ZP 7 a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Drucksachen 18/1312, 18/1759 – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Sevim Da?delen, Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht Drucksache 18/1092 – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Drucksache 18/185 (neu) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksachen 18/1955, 18/2005 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Da?delen, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht Drucksachen 18/286, 18/1955, 18/2005 ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) Antrag auf Genehmigung zum Vollzug eines gerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses Drucksache 18/1990 (siehe 45. Sitzung) Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) Drucksache 18/1558 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/2010 (neu) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/2011 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro Stunde einführen Drucksachen 18/590, 18/2010 (neu) Zu dem Gesetzentwurf liegen drei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung sowie über einen Änderungsantrag der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen. Ich möchte darauf hinweisen, dass zur Annahme des Gesetzentwurfs nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit, das sind 316 Stimmen, erforderlich ist. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Andrea Nahles. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zehn Jahre diskutieren wir nun über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Zehn Jahre streiten wir uns über das Für und Wider. Zehn Jahre bestimmt dieses Thema die politische Debatte in diesem Land. Jetzt kommt er. Das ist ein Grund zur Freude, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am 27. November 2013 war klar: Er kommt. Daran hat sich notwendigerweise eine Debatte über die Frage angeschlossen: Wie wird er ausgestaltet? Ich möchte mich an dieser Stelle bei Ihnen und bei allen, die sich an dieser ernst und intensiv geführten Debatte beteiligt haben, herzlich bedanken. Wir haben viele Hinweise und kritische Anmerkungen bekommen. Sie sind alle in diesen hier vorliegenden Gesetzentwurf eingeflossen. Wir haben hart gerungen. Das ist aber auch kein Wunder; denn wir beschließen hier heute nicht irgendetwas. Was wir heute beschließen, ist von herausragender Bedeutung für Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land, die endlich einen anständigen Lohn erhalten werden. Deswegen war es richtig, um den besten Weg zu ringen, und heute haben wir nun ein gutes Ergebnis vorliegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist nicht übertrieben, zu behaupten: Wir setzen heute einen Meilenstein in der Arbeits- und Sozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) So sehr ich mich ja gerade für viele Beiträge in der Debatte bedankt habe, muss ich allerdings auch sagen, dass in der letzten Phase der eine oder andere Debattenbeitrag dabei war, den man in meiner Heimat schlicht als Kokolores bezeichnen würde. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deswegen will ich doch noch einmal die Fakten vortragen. Fakt ist: Ab 1. Januar 2015 gilt in Deutschland flächendeckend der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro, und zwar in Ost und West gleichermaßen, ohne dass irgendeine einzige Branche ausgenommen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ja, keine einzige Branche. Wer anderes behauptet: Kokolores! Lassen Sie uns doch einmal über die sogenannten Ausnahmen reden. An dieser Stelle hilft schlicht der Blick ins Gesetz. Ich fange einmal mit der sogenannten Ausnahme „Praktika“ an. Unser Gesetz schreibt fest: Wer einen Abschluss hat – ob nun Berufsabschluss oder Studium – bekommt in Deutschland ab 1. Januar 2015 einen Mindestlohn. Es gibt kein Fegefeuer mehr, in dem man sich von Praktikum zu Praktikum schwitzt, um dann am Ende vielleicht doch noch einen bezahlten Job zu ergattern. Damit ist nun endlich Schluss. Die Generation Praktikum gehört der Vergangenheit an. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ja, richtig ist: Während der Ausbildung oder während des Studiums sind auch Praktika ohne Mindestlohn möglich, beispielsweise Pflichtpraktika oder auch freiwillige Praktika, aber klar begrenzt auf drei Monate und nur, wenn sie dem Zweck der Ausbildung dienen. Durch dieses Gesetz wird zum ersten Mal überhaupt ein Qualitätsrahmen für Praktika geschaffen. Zum ersten Mal werden in Deutschland feste Regeln für Praktika eingeführt, klare Ansprüche definiert, Ausbildungsziel, Dauer und Lohn im Vertrag festgehalten, und jeder hat ein Recht auf ein Zeugnis. Das gilt – und ansonsten gilt der Mindestlohn. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage es ganz klar: Die sogenannte Ausnahme „Praktika“ ist keine Ausnahme. Kommen wir zur nächsten sogenannten Ausnahme, über die ja in den letzten Tagen sehr viel geredet wurde: den Erntehelfern. Das Gesetz sagt klar: Für Erntehelfer gilt wie für alle anderen auch der Mindestlohn. Wenn für sie kein Tarifvertrag abgeschlossen wird – die Verhandlungen laufen derzeit –, gilt ab 1. Januar 2015 der Mindestlohn. Ich lasse mir übrigens keine Kritik dafür gefallen, dass ich zusammen mit Landwirtschaftsminister Schmidt versuche, die Einführung des Mindestlohnes für diese Branche möglichst vernünftig zu gestalten. Dafür haben wir uns einige Hilfestellungen überlegt. Wenn sich zum Beispiel Landwirte und Saisonbetriebe mit gefälschten Sozialversicherungspapieren he-rumschlagen müssen und nachher noch auf ihrer Beitragsschuld sitzen bleiben, dann müssen wir Abhilfe schaffen. Oder ein anderer Punkt: sehr bürokratische Formen der Inrechnungstellung von Kost und Logis. Hierzu habe ich auch in seriösen Medien in den letzten Tagen einen ziemlichen Quatsch gehört, nämlich, dass wir Kost und Logis auf den Lohn anrechnen würden. So etwas geht gar nicht. Es gibt keine Anrechnung von Kost und Logis auf den Lohn. Was wir aber machen, ist, das Verfahren der Inrechnungstellung von Kost und Logis einfacher und transparenter zu gestalten – nicht mehr und nicht weniger. Es ist gut für die Betriebe, dass wir das gemacht haben, und übrigens auch gut für den Zoll, der jetzt wesentlich leichter kontrollieren kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Und: Wir wollen eine vierjährige Übergangszeit für die ohnehin jetzt schon geltende Möglichkeit der kurzfristigen sozialabgabenfreien Beschäftigung schaffen, in der der Zeitraum der Befreiung von Sozialabgaben von 50 auf 70 Tage verlängert wird. Das alles wird den Saisonarbeitern, aber auch den Erntebetrieben helfen. Aber es gibt hier keine Ausnahme vom Mindestlohn. Die sogenannte Ausnahme für Ern-tehelfer und Saisonarbeiter ist keine Ausnahme, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kommen wir zu der sogenannten Ausnahme für Zeitungsausträger. Auch hier gilt: Für sie gilt der Mindestlohn. Ich hätte mir eine tarifliche Übergangsregelung gewünscht, die die Sozialpartner miteinander aushandeln. Aber das ist nicht gelungen. Deswegen legen wir eine gesetzliche Übergangsregelung vor. Das ist übrigens der einzige Unterschied zu dem, was wir für andere Branchen regeln, die es selber in die Hand nehmen und tariflich regeln. Die sogenannte Ausnahme für Zeitungsausträger ist keine Ausnahme. Sie sind von Anfang an im Mindestlohn, wie andere Branchen auch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Aber für einen Hungerlohn!) Ein weiterer Punkt, der immer wieder kritisiert wird, ist, dass Langzeitarbeitslose den Mindestlohn erst nach sechs Monaten bekommen sollen. Es gibt hier sehr viele Befürchtungen, dass diese Leute jetzt ausgenutzt werden. Ich möchte Ihnen einmal aus der Realität am deutschen Arbeitsmarkt berichten: Wir finden kaum -genügend Arbeitgeber, die überhaupt bereit sind, Langzeitarbeitslosen eine Chance zu geben. Wir werden im nächsten Jahr ein ESF-Programm auflegen, das die Akquise von Arbeitgebern, die Langzeitarbeitslosen eine Chance geben, zum Thema hat, weil es so schwer ist, sie zu finden. Das hat viele Gründe, die wir heute nicht diskutieren können. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber nicht den Lohn!) In jedem Falle ist es eine Sonderregel, die Chancen schaffen soll. Ich gebe ehrlich zu: Wir wissen nicht, ob es so funktioniert. Deswegen haben wir uns in der Koalition vorgenommen, dass wir diese Regeln für Langzeitarbeitslose in zwei Jahren auf den Prüfstand stellen. Ich gebe auch zu: Das ist eine befristete Ausnahme. Aber vielleicht birgt sie für viele Menschen die Chance, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun komme ich zur Ausnahme für Schüler bis 18 Jahre. Die Ausnahme für Schüler bis 18 Jahre ist tatsächlich eine Ausnahme, und das hat einen guten Grund: Gerade schwache Schulabgänger sollen nicht durch einen ungelernten Job davon abgehalten werden, eine Ausbildung zu machen; dazu stehe ich. (Zuruf von der LINKEN: So ein Quatsch!) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, steckt also wirklich hinter den sogenannten Ausnahmen und der einzigen wirklichen Ausnahme, die das Gesetz vorsieht. Lassen Sie uns jetzt doch auch mal darüber reden, was dieses Gesetz schafft, was es leistet, was es verändert. Lassen Sie uns über den Kern und die wirkliche Substanz des Gesetzes reden, liebe Kolleginnen und Kollegen. „Fleißig, billig, schutzlos“ – so hat es mal ein kluger Kopf auf den Punkt gebracht. „Fleißig, billig, schutzlos“ – das ist doch bisher die Realität für Millionen Arbeitnehmer in Deutschland, und damit ist jetzt Schluss. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das Gesetz, das wir hier heute verabschieden wollen, kann niemand ehrlich anders interpretieren. Der Mindestlohn gilt flächendeckend, er gilt in Ost und West, er gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Er bringt endlich anständige Löhne für Millionen von Menschen, die fleißig arbeiten, aber bisher billig abgespeist wurden. Wenn Sie demnächst bei einer netten Frau einen Blumenstrauß kaufen, wenn Sie beim Callcenter anrufen, um eine Auskunft zu bekommen, wenn Sie bei Ihrem Einkauf jemanden sehen, der Waren in die Regale räumt, dann können Sie sicher sein: Hier überall wird der Mindestlohn gelten. Fast 4 Millionen Menschen werden ab Januar besser schlafen, besser zurechtkommen, besser fühlen, dass sich ihr Einsatz lohnt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch weil wir im Gesetz nicht nur regeln, dass sie mehr Geld bekommen; übrigens für viele die höchste Lohnerhöhung ihres Lebens. Wir regeln auch, wie wir den -Mindestlohn durchsetzen und kontrollieren wollen; denn der Mindestlohn auf dem Papier nützt niemandem, er muss in der Wirklichkeit ankommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen werden wir 1 600 neue Kolleginnen und Kollegen beim Zoll einstellen. Ich möchte Finanzminister Schäuble ausdrücklich dafür danken, dass er das möglich gemacht hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Mit einer solchen Kontrolle – das ist wichtig – wird Wettbewerbsfairness geschaffen. Es darf nicht sein, dass sich einige schwarze Schafe vor dem Mindestlohn drücken und anderen, die den Mindestlohn zahlen, mit Dumpinglöhnen Konkurrenz machen. Ein weiterer Punkt, der zum Kern und zur Substanz dieses Gesetzes gehört, ist die Stärkung der Tarifautonomie. Wir haben die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtert und das Arbeitnehmer-Entsende-gesetz für alle Branchen geöffnet. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes geben wir den Mindestlohn übrigens in die Hände der Sozialpartner zurück. Sie – und nicht wir, die Politik; und das ist auch gut so – werden in Zukunft in einer Mindestlohnkommission die Entwicklung des Mindestlohnes bestimmen; zum ersten Mal übrigens schon ein Jahr früher als ursprünglich geplant. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass wir hier und heute den Mindestlohn verabschieden können, dass wir diesen Schritt heute machen, ist – und das muss an dieser Stelle auch gesagt werden – ein Verdienst und ein großer Erfolg der deutschen Gewerkschaften. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte einen ganz besonders nennen, der sich jahrelang für diesen Mindestlohn eingesetzt hat. Er ist heute mit vielen Kollegen unter uns: Michael Sommer, schön, dass du da bist. Herzlichen Dank für dein Engagement! (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben um dieses Gesetz gerungen, wir haben um dieses Gesetz gekämpft. Ich bin überzeugt: Das Gesetz, das uns heute vorliegt, ist gut geworden und ein notwendiger Schritt. Es schafft sozialen Frieden und mehr soziale Stabilität, es schafft ein Stück mehr soziale Gerechtigkeit in unserem Land. Es ist wichtig und richtig, dass wir ein festes Haltenetz nach unten spannen, dass wir endlich dem Niedriglohnsektor einen Riegel vorschieben, dass Millionen Menschen endlich ihren verdienten Lohn bekommen. Das ist moderne soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert. (Beifall bei der SPD) Ich bitte jeden einzelnen Abgeordneten und jede einzelne Abgeordnete um seine, um ihre Stimme. Es ist eine Stimme für die, die hart arbeiten, eine Stimme für die Tüchtigen, deren Arbeit endlich einen Wert bekommt. Jede Stimme für dieses Gesetz ist ein Beitrag für mehr soziale Gerechtigkeit. Ich danke Ihnen. (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Ministerin Andrea Nahles. – Nächster Redner in der Debatte: Klaus Ernst für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn ohne Ausnahmen ist dringend notwendig. (Beifall bei der LINKEN) Durch die sogenannten Reformen auf dem Arbeitsmarkt sind die Löhne in der Bundesrepublik Deutschland auf eine Rutschbahn nach unten geraten. Wir können jetzt nur fragen, wer für die Reformen auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich ist, die die Löhne zum Sinken gebracht haben. Fast 25 Prozent aller Beschäftigten arbeiten bei uns inzwischen zu Niedriglöhnen. Zur Erinnerung – weil der ein oder andere von Ihnen das offensichtlich nicht mehr weiß –: Vor fast genau zwölf Jahren, am 2. Juli 2002, hat der Bundestag auf -Antrag einer unserer Vorgängerparteien, der PDS, zum ersten Mal über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns abgestimmt. Selbstverständlich waren alle anderen dagegen. (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist das! Wir waren das!) Gefühlte zehn Mal haben Sie seit 2005 hier im Deutschen Bundestag vernünftige Löhne für Millionen von Menschen verhindert. Ja, es ist ein Erfolg, dass Sie endlich zur Vernunft gekommen sind. (Beifall bei der LINKEN – Dietmar Nietan [SPD]: Dann stimmen Sie mit!) Der ehemalige Herausgeber der FAZ Müller-Vogg schreibt dazu im Cicero am 1. Juli dieses Jahres: Dieser „Meilenstein in der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik der Bundesrepublik“ … ist in erster Linie das Verdienst der Linkspartei. Die SPD hatte nämlich jahrelang diese „Begrenzung der -Tarifautonomie im unteren Bereich“ … abgelehnt. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der SPD) Nehmen Sie doch wenigstens die Realität zur Kenntnis, meine Damen und Herren! Dass Sie heute in der Koalition einen gesetzlichen Mindestlohn vorlegen, hat im Wesentlichen drei Gründe: Es waren der Kampf und die Kampagne der -Gewerkschaften, es war der unermüdliche Kampf der Linkspartei, und es war der Zeitgeist, gegen den Sie sich nicht länger stellen konnten. Deshalb haben wir jetzt -einen gesetzlichen Mindestlohn, meine Damen und -Herren. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der SPD) Ja, es ist auch ein Erfolg der Linken. Warum machen Sie einen richtigen Punkt wie den gesetzlichen Mindestlohn so grottenschlecht wie in diesem Gesetz? In Ihrem Koalitionsvertrag versprechen Sie zum 1. Januar 2015 einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Ich zitiere: Von dieser Regelung unberührt bleiben nur Mindestlöhne nach dem AEntG. Sie sehen im Koalitionsvertrag Ausnahmen vor, die allerdings nur tariflich möglich sein sollen. Und heute, kein Jahr später? (Zuruf von der SPD: Na? – Abg. Dietmar Nietan [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Da will einer eine Frage stellen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich dachte, Sie wollen den Satz noch zu Ende führen, bevor Sie – – Also nicht. Klaus Ernst (DIE LINKE): Ich greife den Satz noch einmal auf. Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie greifen den Satz noch einmal auf. Das heißt, Sie erlauben eine Zwischenfrage. Klaus Ernst (DIE LINKE): Ja freilich, selbstverständlich. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er wusste eh nicht, was er als Nächstes sagen soll! – Heiterkeit bei der CDU/CSU) – Sie brauche ich dazu nicht. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. – Bitte schön. Dietmar Nietan (SPD): Herzlichen Dank, Herr Kollege Ernst. – Ich habe Ihren Äußerungen entnommen, dass Sie für die heutige Entscheidung zur Einführung des Mindestlohns wirklich brennen. Sie sehen sich bestätigt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich frage Sie: Rührt Ihr Enthusiasmus daher, dass Sie uns jetzt sagen können, dass Ihre Fraktion geschlossen zustimmen und Teil dieses historischen Ereignisses sein wird? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gute Frage! – Thomas Oppermann [SPD]: Bitte keine Enthaltung! Ja oder Nein?) Klaus Ernst (DIE LINKE): Ich danke Ihnen für diese Frage, Herr Kollege. Sie gibt mir Gelegenheit, ganz ausführlich zu begründen, warum wir uns enthalten werden. (Zurufe von der SPD: Oh! – Christine Lambrecht [SPD]: So eine Enthaltung spürt man richtig im Geldbeutel! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) Wir werden uns enthalten, weil Sie eben nicht das machen, was Sie versprochen haben, weil der Mindestlohn zum Beispiel für unter 18-Jährige überhaupt nicht gelten soll. Sie schließen sämtliche Menschen unter 18 von der Regelung aus. Jetzt frage ich Sie: Warum soll die Schülerin Johanna, die im Supermarkt an der Kasse sitzt, 17 Jahre alt ist und dort ihre Tätigkeit verrichtet, mit 5 oder 6 Euro abgespeist werden, während ihr Kollege, der vielleicht Student und 18 Jahre alt ist, 8,50 Euro kriegen soll? Wo ist da bei Ihnen eigentlich die Logik? Wo ist die Gerechtigkeit? (Beifall bei der LINKEN – Christine Lambrecht [SPD]: Sie soll erst einmal eine Ausbildung machen und nicht an der Kasse sitzen!) Es gibt überhaupt keinen Grund für Ihre Ausnahmeregelungen. (Katja Mast [SPD]: Sie sollen mit Ja oder Nein antworten! – Abg. Dietmar Nietan [SPD] nimmt wieder Platz) – Ich bin noch nicht fertig. Ich beantworte noch Ihre Frage. Sie haben gefragt, wie wir uns dazu verhalten. Ich habe gesagt: Wir werden uns enthalten. Ein Grund, warum wir uns enthalten, ist: Sie führen keinen gesetzlichen Mindestlohn für alle ein, sondern nur für einen Teil der Beschäftigten. Frank Bsirske, der Vorsitzende des DGB, sagt, dass bis zu 3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von der Mindestlohnregelung -eigentlich betroffen sein sollten, nicht betroffen sein werden. Deshalb werden wir uns enthalten. Deshalb können wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen. (Beifall bei der LINKEN) Da wir gerade bei den unter 18-Jährigen sind, sage ich auch Folgendes: Wir haben die Bundesregierung gefragt, wie viele unter 18-Jährige davon betroffen sein werden. Knapp 30 Prozent der 450 000 Beschäftigten unter 18 Jahren sind Auszubildende. Es geht nur um 9 200 der unter 18-Jährigen, die zurzeit einer normalen, einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Der größte Teil, mehrere Hunderttausend junge Menschen, sind ganz normale Jobber. Sie verrichten bei Lidl oder sonst wo ihre Tätigkeit, weil sie sich etwas -dazuverdienen wollen. Warum wollen Sie denen den Mindestlohn nicht zugestehen? Sie brechen damit in -eklatanter Weise Ihr Versprechen, das auch in Ihrem Wahlprogramm steht, Herr Kollege. (Beifall bei der LINKEN) Ferner enthalten Sie über 1 Million Langzeitarbeits-losen den Mindestlohn vor – darauf wird meine Kollegin Sabine Zimmermann eingehen –, und Sie erhöhen die versicherungsfreie Zeit für Saisonarbeiter von 50 auf 70 Tage. Jetzt sagen Sie: Na ja, bei den Saisonarbeitern gab es schon immer die Möglichkeit, Kosten für Unterkunft und Verpflegung anzurechnen. Ich sage Ihnen: Wenn man einen Mindestlohn einführt, darf man nicht an einer vorkapitalistischen Regelung wie der Verrechnung der Kosten für Kost und Logis mit dem Lohn festhalten. Wir wollen, dass die Menschen ihren Lohn voll ausgezahlt bekommen und der mächtige Arbeitgeber die Kosten für Kost und Logis nicht abziehen kann. Auch diese Regelung, die Sie vorschlagen, ist unmöglich. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben von Kontrolle gesprochen: Wie wollen Sie denn das kontrollieren? Was ist das für eine Regelung? Wie wollen Sie kontrollieren, wie viel abgezogen wird? Es ist unmöglich, das zu kontrollieren. Deshalb ist diese Regelung unmöglich. Jetzt kommen wir zu den Zeitungsausträgern. Auch sie erhalten ab 2015 nicht einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Ihr Lohn ist weit davon entfernt. Ich nehme als Beispiel den Zeitungsausträger Helmut: Er ist erwerbsgemindert und will sich etwas dazuverdienen. Er steht um 4 Uhr morgens auf, um Zeitungen auszutragen. Sie haben ihm einen Mindestlohn von 8,50 Euro ab 2015 versprochen – deshalb hat er Sie vielleicht auch gewählt; das würde er heute wahrscheinlich nicht mehr machen. Heute bekommt er gerade einmal 6,38 Euro in der Stunde, 2015 bekommt er 6,38 Euro in der Stunde, 2016 7,23 Euro und ab 2017, wo der allgemeine flächendeckende Mindestlohn nach Ihrer Regelung das erste Mal angehoben werden soll, erhält er 8,50 Euro, und bei 8,50 Euro bleibt sein Lohn dann erstmal stehen. Er erhält die Anhebung der 8,50 Euro, die Sie ihm versprochen haben, frühestens in vier Jahren, also 2018. Das ist Ihr Mindestlohn! „Mein Gott!“, kann ich dazu nur sagen. (Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: So wie es im Koalitionsvertrag steht! – Christine Lambrecht [SPD]: Von Ihnen bekommt er nur harte Worte!) Der entscheidende Punkt bei dieser Regelung ist folgender: Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass Abweichungen nur auf der Grundlage von Tarifverträgen möglich sind. Bei den Zeitungsverlegern, einer Branche ohne Tarifvertrag, machen Sie jetzt eine Ausnahme. Warum haben die anderen eigentlich Tarifverträge abgeschlossen? Die müssen sich ja jetzt an den Kopf fassen. Da Sie dieses Gesetz jetzt auch noch als Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie bezeichnen, ist die Kritik der Gewerkschaften vollkommen berechtigt. Ursula Engelen-Kefer, die ehemalige stellvertretende Bundesvorsitzende des DGB, Kollegin des Kollegen Sommer, der auf der Tribüne sitzt, hat das im Handelsblatt als – Zitat – „Täuschungsmanöver“ bezeichnet. Sie schreibt: Durch die Ausnahmeregelungen werden „etwa drei Millionen Arbeitnehmer vom Mindestlohn aus-geschlossen, vor allem diejenigen, die ihn dringend brauchen. Am meisten betroffen sind wieder einmal die Frauen, die mit 67 Prozent etwa doppelt so viele Dumping-Löhner stellen wie die Männer.“ Zitateende. Das ist der Grund. Mit diesem Gesetzentwurf, den Sie vorlegen, sind wir von einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn meilenweit entfernt. Herr Bsirske, der Vorsitzende von Verdi, sagt – ich zitiere –: Das hat mit dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, den die SPD in ihrer Mitgliederbefragung vor der Regierungsbildung zur Abstimmung gestellt hat, nichts mehr zu tun. Zitateende. Das ist nicht in Ordnung. (Beifall bei der LINKEN) Ich will auf ein Argument eingehen, das im Zusammenhang mit den Zeitungsausträgern formuliert wurde. Es wurde gesagt, die Pressefreiheit wäre in Gefahr, wenn der Lohn der Zeitungsausträger 8,50 Euro betragen würde. Für wie dumm halten Sie eigentlich die Bevölkerung? Jeder weiß, dass bei den Tageszeitungen ein Riesenkonzentrationsprozess vor sich geht. Bei den Tageszeitungen haben die zehn größten Verlagsgruppen inzwischen 60 Prozent Marktanteil; der Anteil stieg von 2006 bis 2014 um 6 Prozentpunkte. Bei den Kaufzeitungen haben die fünf größten 97 Prozent Marktmacht. Wenn Sie etwas für die Pressefreiheit tun möchten, dann versuchen Sie, das Problem der Konzentration im Pressebereich zu lösen. Sie dürfen aber nicht den -Zeitungsausträgern ihren Lohn vorenthalten, meine Damen und Herren! (Beifall bei der LINKEN) Weil meine Redezeit gleich vorbei ist, nur noch eine kurze Bemerkung. Ich habe den Eindruck, wir müssen uns einmal die Frage stellen: Wer regiert eigentlich wirklich? Zwar hat der Zeitungsausträger Helmut bei Wahlen genauso viel Stimmrecht wie Friede Springer; das ist richtig. Aber hat er auch genauso viel Einfluss? Wer sagt der Regierung eigentlich, wie diese Regelungen auszugestalten sind? In der Anhörung hat Herr Professor Dr. Dr. h. c. Preis zur Regelung für Zeitungsausträger Folgendes gesagt: Ich möchte – Zitat – „nicht ausschließen, dass diese Regelung ein Produkt eines außerordentlich intensiven Lobbyismus ist“. So machen Sie inzwischen die Gesetze, und sie sind meilenweit von dem entfernt, was Sie versprochen haben. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege. Klaus Ernst (DIE LINKE): Was Sie hier vorlegen, ist kein flächendeckender Mindestlohn, sondern ein Flickenteppich. Da kann ich nur sagen: Versprechen gegeben, Versprechen gebrochen. (Beifall bei der LINKEN – Bernd Rützel [SPD]: Oh!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Ernst. – Das Wort hat Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt kommt Substanz in die Debatte!) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ernst, ich finde es schon sehr spannend, in welchem Wettbewerb Sie seit Jahren sind, um festzustellen, wer der Erfinder des Mindestlohnes ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ja, wenn es nun mal so ist! Das wird man doch sagen dürfen!) Ich will Ihnen sagen, dass das ein bisschen arrogant und überheblich ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN) Wissen Sie, es hat Zeiten gegeben – sie sind noch gar nicht so lange her –, da war auch der DGB davon überzeugt, dass der Mindestlohn falsch ist; da hat auch er dagegen gestimmt, mit der SPD, mit den Grünen und mit der Union. Damals hat sich Deutschland in einem Veränderungsprozess befunden. Inzwischen hat es neue -Entwicklungen gegeben, und es gibt neue Perspektiven. Die Situation 2014 ist eine andere als die Situation 2002 und 2003. Deswegen wird heute gehandelt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der Union geht es darum, Arbeitsplätze zu erhalten, den Menschen eine Perspektive zu geben, ja, für -Fairness am Arbeitsplatz zu sorgen, dabei die bewährte Tarif- und Sozialpartnerschaft zu stärken und so die Leistungsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft sicherzustellen. Dabei stehen wir vor der Herausforderung, die wirtschaftliche Prosperität in Deutschland zu erhalten und dabei in der Tat für faire und gerechte Bedingungen in unserem Land zu sorgen. Das ist die Grundlage sozialpolitischer Maßnahmen dieser Koalition. Meine Damen und Herren, heute legen wir den Entwurf eines Tarifautonomiestärkungsgesetzes vor. Es heißt deswegen „Tarifautonomiestärkungsgesetz“, weil die Tarifautonomie im Mittelpunkt steht. Es geht um die Frage: Wer ist in diesem Land für die Findung von Löhnen zuständig? Es sind Arbeitgeber und Gewerkschaften, die Tarifverträge aushandeln, und nicht der Staat. Denn wenn der Staat anfangen würde, die Höhe der Löhne festzusetzen, dann würde er eines Tages auch über die Gurkenpreise entscheiden. Wir müssen klar sagen, wer zuständig ist. Deswegen fordern, fördern und unterstützen wir mit diesem Gesetz die Tarifautonomie. Ich darf Sie an Folgendes erinnern – das ist ein Teil der deutschen Geschichte –: Als die deutschen Bundeskanzler in den 70er- und 80er-Jahren nach Moskau gefahren sind, um mit den Sowjets auch über Wirtschaft zu reden, haben sich die Sowjets verwundert die Augen gerieben, dass im Gefolge des jeweiligen Kanzlers nicht nur Wirtschaftsvertreter, sondern auch Gewerkschaftsvertreter waren. Der Gegensatz von Arbeit und Kapital, von dem der Kommunismus gezehrt hat, war in Deutschland in der sozialen Marktwirtschaft aufgehoben. Betriebspartnerschaft und Tarifpartnerschaft haben dazu geführt, dass wir nicht nur Betriebsfrieden und gesellschaftlichen Frieden – auch wenn es zu Auseinandersetzungen kam – hatten, sondern dadurch haben wir auch gemeinsam die Grundlage für unseren wirtschaftlichen Erfolg gelegt. Der Weg, den wir damals gegangen sind und den wir stolz verkündet haben, hat sich bewährt. Deswegen gehen wir ihn weiter. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Überall dort, wo sich die Tarifpartnerschaft bewährt, geht es den Menschen besser, haben wir höhere Löhne, haben wir höhere Einkommen. Deswegen steht sie im Zentrum dieses Gesetzentwurfs. Wir wollen es bestimmten Branchen leichter ermöglichen, in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen zu werden, damit für -diejenigen, die zu uns kommen und bei uns arbeiten, die gleichen Bedingungen gelten. Wir wollen die Tarifautonomie stärken, indem wir dafür sorgen, dass Tarifverträge leichter auf eine gesamte Branche erstreckt werden können, wenn ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt, ohne dabei den Wettbewerb zu verhindern. Weil das alles allerdings nicht ausreicht, halten wir es für notwendig, den Mindestlohn einzuführen. Wenn es nach der Union gegangen wäre, hätten wir die Entscheidung darüber, wie hoch der Mindestlohn sein soll, von Anfang an der Mindestlohnkommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften unter Beteiligung der Wissenschaft übertragen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Da wir aber vereinbart haben, dass 8,50 Euro Gesetz sind, haben die Verhandlungen länger gedauert und waren sie geprägt von der Sorge, wie alle Menschen von diesem Mindestlohn profitieren können. Die Diskussion hat deswegen im Rahmen dieser Gesetzgebungsmaßnahmen stattgefunden. Ansonsten hätte sie in der Mindestlohnkommission nach den Regeln, die in Großbritannien gelten, geführt werden müssen. Ich glaube, der Weg, den wir hier gegangen sind, ist sehr verantwortungsbewusst. Wir haben deutlich gesagt, warum wir Ausnahmen für Branchen nicht wollen, aber dennoch einige Ausnahmen für bestimmte Personengruppen geregelt haben. Wir wollen, dass der Mindestlohn erst für Menschen ab 18 Jahren gilt. Wenn es nach der Union gegangen wäre, dann wäre die Altersgrenze noch höher gewesen, damit sich junge Menschen nicht in erster Linie für die Erwerbsarbeit entscheiden, sondern zuerst eine Berufsausbildung machen. Ob wir das damit erreichen oder nicht, wird die Zeit zeigen. Auch heute gibt es schon junge Menschen, die sofort in die Erwerbsarbeit gehen; es sind – die Zahl mag stimmen – 9 000. Ich sage Ihnen aber: Mir wäre es lieber, diese 9 000 jungen Menschen wären nicht in der Erwerbsarbeit, sondern in einer Berufsausbildung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir tun dies nicht, um die jungen Menschen zu ärgern, sondern wir tun dies, um sicherzustellen und den Weg dafür zu ebnen, dass wir nicht die Verantwortung dafür tragen, dass sie keine Berufsausbildung machen. Sie sollen den Weg in die Berufsausbildung gehen. Daneben haben wir eine Ausnahme für die Langzeitarbeitslosen eingeführt. Wir wissen nicht, ob sich diese Ausnahme für die Langzeitarbeitslosen, die ein halbes Jahr lang kein Anrecht auf den Mindestlohn haben, negativ oder positiv entwickelt. Man sagt uns, dass Langzeitarbeitslose es besonders schwer haben, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren. Gleichzeitig sagt man uns, dass das damit zusammenhängt, dass wir einen Mindestlohn einführen werden. Ich sage Ihnen: Wir wollen nicht, dass der Zugang in ein Arbeitsverhältnis und in den ersten Arbeitsmarkt durch einen falsch gesetzten Lohn behindert wird. Wir werden sehen, ob wir recht haben oder nicht, und wir sind auch bereit, neue Wege zu gehen. Das ist deswegen notwendig, weil wir es bei der Einführung des Mindestlohns mit einer Operation am offenen Herzen der sozialen Marktwirtschaft zu tun haben; denn keiner kann richtig beurteilen, wie sich die Einführung des Mindestlohns, die wir heute beschließen werden, auswirken wird. Als weitere Ausnahme haben wir die Ausnahme für Praktikanten formuliert. Was Frau Nahles dargestellt hat, ist richtig: Das war unser gemeinsamer Wunsch, weil wir aus der Zeit 2004 bis 2007 geprägt sind, als Praktika vornehmlich angeboten wurden, um Ausbildungsplätze nicht besetzen oder jemanden nicht fest anstellen zu müssen. Durch die wirtschaftliche Entwicklung und den Fachkräftemangel sind wir Gott sei Dank aus dieser -Situation heraus, aber die Gefahr besteht, dass dies wieder geschieht, und deswegen haben wir das getan. Für uns ist völlig klar: Praktika dienen der Vertiefung der beruflichen Erfahrungen und Erkenntnisse, um eines Tages nach einem Studium oder einer Berufsausbildung in den Beruf übergehen zu können. Ich bin froh, dass wir diese Regelungen so getroffen haben – auch mit einer schriftlichen Vereinbarung des Praktikumvertrags, damit das Ganze Rechtskraft und eine Ordnung hat –, dass wir vor allen Dingen die Flexibilität behalten haben, dass bei Praktika in den ersten drei Monaten nicht zwangsweise ein Mindestlohn -gezahlt werden muss. Ich bin froh, dass der von uns eingeschlagene Weg den jungen Menschen eine Perspektive gibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Sätze zu der Mindestlohnkommission sagen. Im Laufe des Dialogs haben wir mitbekommen, dass es den einen oder anderen Vertreter der Tarifvertragsparteien etwas geschüttelt hat, wenn sie darüber nachdachten, dass sie sich plötzlich um einen Mindestlohn zu kümmern haben, während sie im Rahmen der Tarifpolitik normalerweise ganz andere Löhne und Gehälter aushandeln. Ich kann das sogar verstehen. Wenn wir aber die Tarifautonomie stärken wollen, wenn die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände eine besondere Verantwortung in dieser Gesellschaft tragen und für die Lohnfindung zuständig sein sollen, dann müssen sie ihre Verantwortung auch in diesem Bereich übernehmen. Ich freue mich sehr, dass das jetzt im Konsens so -geregelt ist, dass sie sich bei der Lohnfindung und der Frage, wie der Mindestlohn auszugestalten ist, die gesamte wirtschaftliche Entwicklung und die gesamte Entwicklung der Löhne und Gehälter anschauen und dass sie in diesem Zusammenhang im Blick behalten, dass es einen vernünftigen Wettbewerb in Regionen und Branchen geben muss und dabei die Arbeitnehmer zu schützen sind, weil auch sie, wie alle anderen, ein Anrecht auf Schutz haben. Ich bin sicher, dass die Mindestlohnkommission ähnlich wie in Großbritannien über all die Zeit Erfahrungen sammeln wird. Das ist vor allem deswegen wichtig, weil sie für die Evaluation, die Überprüfung, verantwortlich sein wird. Die Auswirkungen des Mindestlohns, den wir zum 1. Januar 2015 einführen, wollen wir beobachten. Wir wollen uns genau anschauen, welche Wirkungen er in Regionen und Branchen entfaltet. Ich bin ganz sicher, dass wir dann miteinander verantwortungsvoll die weiteren Entscheidungen treffen. Ich danke der Bundesarbeitsministerin, dem Bundesarbeitsministerium und unserem Koalitionspartner für die äußerst konstruktiven Gespräche sehr herzlich, auch wenn es – das liegt in der Natur der Sache – gelegentlich mühsam war. Aber wir haben das Ganze gemeinsam sehr verantwortungsbewusst gestaltet. Lassen Sie mich als Christdemokrat am Schluss einem lieben Kollegen ein besonders herzliches Dankeschön sagen, der durch seinen großen Einsatz und sein unglaubliches Engagement in unserer Partei dafür -gesorgt hat, dass wir die Diskussion so führen, wie wir sie jetzt führen. Ich meine Karl-Josef Laumann. Karl-Josef, das ist auch Dein Tag. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat Michael Schlecht. Michael Schlecht (DIE LINKE): Herr Schiewerling, ich möchte Sie gerne zu einem Punkt befragen, und zwar zu der Ausnahme für die Zeitungszustellerinnen und -zusteller. Es ist seit mehreren Wochen bekannt, dass der Verlegerverband versucht hat, Ausnahmeregelungen im Gesetz durchzusetzen. Ich muss, ehrlich gestanden, sagen, dass ich dieses Begehren von Anfang an so abstrus fand, dass ich mir gar nicht so richtig vorstellen konnte, dass die Regierungskoalition auf diesen Wunsch überhaupt eingehen würde. Es ist vollkommen abstrus, dass die 300 000 Zeitungszusteller – das ist eine relativ große Anzahl von Menschen –, die unter ziemlich harten Bedingungen arbeiten müssen – sie müssen sehr früh aufstehen, und zwar im Sommer wie auch im Winter, und schwer -tragen, um nur einige der erheblichen Belastungen zu nennen –, weiterhin nur einen Hungerlohn bekommen sollen. Im nächsten Jahr gilt für sie ein Mindestlohn von 6,38 Euro. Es ist vollkommen unklar, weshalb Sie auf die Forderung des Verlegerverbands eingegangen sind; denn viele Unternehmen in diesem Bereich stehen finanziell sehr gut da. Hinter diesen Unternehmen stehen häufig Eigentümerfamilien, im Regelfall sind das Millionäre. Es war mir vollkommen unverständlich, weshalb auf derartige Wünsche und Forderungen eingegangen wird, weshalb man von Ihrer Seite weiterhin Hungerlöhne zulässt, damit die Millionäre unter den Verlegern weiterhin ungestört auf ihrem Geld sitzen können. Vor diesem Hintergrund meine Frage: Wie genau ist denn der Lobbyprozess gelaufen? Wer hat denn dabei am meisten Einfluss gehabt? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das Neue Deutschland! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mensch, Leute!) Wer von den beiden Koalitionspartnern hat am ehesten die Verlegerposition übernommen und sich für die Beibehaltung der Hungerlöhne starkgemacht? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das Neue Deutschland!) War das die Union? War das die SPD? Waren es beide gleichermaßen? Mich interessiert, wie diese Kampagne des Verlegerverbandes im Hintergrund gelaufen ist. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt langt es doch mal! Wie lange darf der denn reden? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gefühlt sind das schon sechs Minuten!) Die letzte Frage dazu: Schwingt bei der Tatsache, dass Sie auf dieses Begehren eingegangen sind, am Ende die Sorge mit, dass Sie dann, wenn Sie die Verleger nicht so behandeln, wie sie behandelt werden wollen, durch die publizistische Macht dieser Verleger Nachteile erfahren könnten? Danke schön. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Schiewerling kann, wenn er möchte, auf die Kurzintervention, die drei Minuten nicht überschreitet, Herr Kauder, antworten. Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herzlichen Dank, Herr Kollege Schlecht. – Auf Ihre lange Anfrage will ich Ihnen kurz antworten. Die -Bundesarbeitsministerin hat genau wie Mitglieder unserer Fraktion umfangreiche Branchendialoge geführt. Mit diesen Dialogen sollte sichergestellt werden, dass die Branchen, die gesagt haben, dass sie mit dem von uns festgelegten Mindestlohn von 8,50 Euro besondere Probleme haben, im Rahmen dieser Einführung Hilfestellungen bekommen. Das Ergebnis dieses Branchendialogs ist sehr erfreulich: Zahlreiche Branchen haben sich auf den Weg gemacht, einen Tarifvertrag abzuschließen. Ich kann nur hoffen, dass wie in der Landwirtschaft mit der IG BAU schnell der Tarifvertrag abgeschlossen wird und man sich nicht auf dem Ergebnis von heute Morgen ausruht. Ein zweites Ergebnis des Branchendialogs war die Erkenntnis, dass einige Branchen wirkliche Probleme haben. Wir hatten die Arbeitsplätze und die Auswirkungen des Mindestlohns auf diese Arbeitsplätze im Blick, und wir haben keine ideologische Debatte darüber geführt, wer in welchem Land wo wann was zu sagen oder zu schreiben hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Als Ergebnis ist das herausgekommen, was Ihnen jetzt vorliegt. Ich sage sehr deutlich: Dieser Mindestlohn kennt keine Branchenausnahmen. Wir bauen vielmehr Brücken und Wege, um 2016 bzw. spätestens 2017 einen Mindestlohn für alle zu haben. Hätten wir von Anfang an die Mindestlohnkommission gehabt, hätte sie all diese Entscheidungen abzuwägen und zu treffen gehabt. Da es sie nicht von Anfang an gab, sondern wir einen Stundenlohn festgelegt haben, mussten wir uns zwangsläufig mit dieser Situation auseinandersetzen. Uns liegt die Situation der Menschen, die in diesen Branchen arbeiten, sehr am Herzen. Deswegen bauen wir eine Brücke. Deswegen wird auch dort der Mindestlohn gelten, und deswegen haben wir die Strukturen so geschaffen, dass jede Branche sich auf den Pfad begeben kann, dass es am Ende keinen Tarifvertrag mehr gibt, der unter dem Mindestlohn liegt, und dass auch diejenigen, die keinen Tarifvertrag wollen, den Mindestlohn nicht unterschreiten können. Ich halte das im Gegensatz zu Ihnen für einen vernünftigen Weg. Aber das hängt auch damit zusammen, dass wir als Unionsfraktion und als Koalition nicht nur für die Frage der Mindestlöhne Verantwortung tragen, sondern auch für die wirtschaftliche Prosperität unseres Landes und für vernünftige Entscheidungen, die den Menschen dienen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Schiewerling. – Das Wort hat nun für Bündnis 90/Die Grünen Brigitte Pothmer. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es ist richtig: Der Mindestlohn in Deutschland ist seit langem überfällig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben lange dafür gekämpft, dass der Wettbewerb nicht länger über Lohndumping ausgetragen wird. Wir haben lange dafür gekämpft, dass Löhne von 5 oder 6 Euro brutto pro Stunde endlich der Vergangenheit angehören. Wir haben mit anderen Worten lange dafür gekämpft, dass die Arbeit ihre Würde zurückerhält. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vielleicht hat es wirklich etwas von einer historischen Dimension, wie es heute in der Süddeutschen Zeitung zu lesen ist, wenn wir heute die Einführung des Mindestlohns in Deutschland beschließen. Schade ist nur, dass Ihr Gesetzentwurf dieser historischen Dimension so gar nicht gerecht wird. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Dieser Gesetzentwurf ist durchdrungen von kleinlichen Kämpfen um politische Geländegewinne untereinander. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieser Gesetzentwurf ist durchdrungen vom Einknicken vor mächtigen Lobbyinteressen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Oppermann [SPD]: Im Gegenteil!) Die Verlierer lassen sich genau benennen: Es sind die Langzeitarbeitslosen, die Jugendlichen, die Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller und die Saisonarbeiter. Die haben heute keinen Grund, zu jubeln, Frau Nahles. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wirklich übel nehme ich Ihnen die Ausnahmen bei den Langzeitarbeitslosen. Die haben Sie auf dem Altar des Koalitionsfriedens geopfert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sind die Bauernopfer, die Sie der CDU/CSU dargebracht haben. Eine solche Regelung gibt es in keinem einzigen anderen Land. Dafür gibt es auch gute Gründe. Langzeitarbeitslose sind eine sehr heterogene Gruppe. Es gibt leistungsstarke, und es gibt leistungsschwache. Sie scheren sie alle über einen Kamm und stigmatisieren damit über 1 Million Menschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Botschaft, die Sie damit aussenden, lautet: Die können nichts, die kriegt ihr billiger, und zwar alle, ohne Ansehen der Person. – Aber diese Botschaft ist falsch. Ich schlage Ihnen vor: Lesen Sie sich doch einfach einmal die Stellungnahme des IAB zu der Anhörung zum Mindestlohn durch! Dann werden Sie erkennen, dass derzeitig fast die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen, die Arbeit aufnehmen, über 8,50 Euro die Stunde verdienen. Ich will jetzt einmal den Arbeitgeber, der nicht tarifgebunden ist, sehen, der nach dieser Entscheidung noch den Mindestlohn oder sogar mehr bezahlt. Da komme ich zu der nächsten Ungereimtheit Ihres Gesetzentwurfs. Herr Schiewerling, Sie haben ja so großen Wert darauf gelegt, zu sagen: Dieses Gesetz heißt Tarifautonomiestärkungsgesetz. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!) Aber von Ihrer Lohndumpingregelung für die Langzeitarbeitslosen können nur die Betriebe profitieren, die sich aus der Tarifgemeinschaft verabschiedet haben. Es gibt keine Tarifverträge, nach denen ehemalige Arbeitslose weniger als 8,50 Euro verdienen. Und, meine Damen und Herren, das ist auch gut so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie schaffen einen Wettbewerbsvorteil für die Betriebe, die sich aus der Tarifgemeinschaft verabschiedet haben. Sie konterkarieren Ihre eigenen Ziele. Wo da die Logik ist, das müssen Sie einmal erklären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Richtig schämen sollten Sie sich für die Sonderregelung für Zeitungszusteller. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der Treppenwitz der Weltgeschichte ist nun wirklich, dass Sie das jetzt auch noch pathetisch mit der verfassungsrechtlich geschützten Pressefreiheit begründen. Meine Damen und Herren, da lacht doch die Koralle. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn die Pressefreiheit in Deutschland tatsächlich an den Dumpinglöhnen für Zeitungszusteller hängt, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht, Marie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nein, diese Sonderregelung für Zeitungszusteller – das hat Ihr Sachverständiger in der Anhörung gesagt – ist Ausdruck äußerst gelungenen Lobbyismus. Mit anderen Worten: Sie sind einfach vor den Springers dieser Welt eingeknickt. Sie wollten keine schlechte Presse, und auslöffeln müssen das jetzt die Zeitungszusteller, die wirklich einen Knochenjob machen und bis 2018 auf einen Mindestlohn warten müssen. Ich sage Ihnen noch etwas anderes: Sie werden sich noch wundern, was die Sonderregelung für Saisonarbeit alles so mit sich bringt. Was in Zukunft alles Saisonarbeit sein wird, das kommt Sie teuer zu stehen. Meine Damen und Herren, die Kritikpunkte – ich konnte sie nicht alle vortragen – wiegen wirklich schwer. Trotzdem sage ich Ihnen: Wir haben uns dazu durchgerungen, heute mit Ja zu stimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir haben uns dazu durchgerungen, weil wir einen Mindestlohn in Deutschland für dringend notwendig halten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben uns dazu durchgerungen, weil wir uns weiter dafür einsetzen werden, dass dieser Mindestlohn besser, umfassender und gerechter wird. Wenn Sie so wollen, kann man das vielleicht auch ein bisschen mit der aktuellen Situation der deutschen Na-tionalmannschaft vergleichen. Die Jungs spielen derzeitig wirklich nicht gut, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die kriegen auch keinen Mindestlohn!) und wir unterstützen sie trotzdem, weil es derzeit einfach keine andere amtierende Nationalmannschaft gibt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Redezeit!) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt aber einen Unterschied zwischen der Bundesregierung und der Truppe von Jogi Löw. Die haben einen in Bestform befindlichen Torhüter. Das hat diese Bundesregierung nicht. Sigmar Gabriel ist nicht Manuel Neuer. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eigentlich schade für die Geringverdienenden in diesem Land. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. Danke schön auch für die Erkenntnis, dass die Koralle lacht. Ihre Aussage über das Spielvermögen unserer Nationalmannschaft werden wir morgen Abend um 18 Uhr verifizieren. Die nächste Rednerin ist Katja Mast für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Katja Mast (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Jeder, der hier Empörungsrhetorik anwendet, muss gut begründen können, warum er hinterher zustimmt oder das schärfste Schwert des Parlamentarismus, die Enthaltung, wählt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Ich will mich zu Beginn meiner Rede bei unserer Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles für die sehr gute Zusammenarbeit bedanken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In diesen Dank schließe ich das gesamte Haus ein, weil der vorliegende Gesetzentwurf unter anderem in einigen Nachtschichten erarbeitet wurde. Ich danke aber auch beiden Fraktionen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen, weil alle bei den Leidenschaftsthemen „Stärkung der Tarifautonomie“ und „Mindestlohn in Deutschland“ alles gegeben haben, was sie konnten, damit dieser Gesetzentwurf heute verabschiedet werden kann. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es waren anstrengende Wochen und anstrengende Verhandlungen. Aber wir erleben heute eine historische Stunde, weil Deutschland endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von zunächst 8,50 Euro – gleichermaßen in Ost und West sowie ohne Branchenausnahmen – bekommt. (Beifall bei der SPD) Dafür haben wir in mehr als zehn Jahren mit unseren Freundinnen und Freunden von den Gewerkschaften gekämpft. Ich will an dieser Stelle Michael Sommer, der das viele Jahre begleitet hat, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Betrieben, nicht begleitet!) und Reiner Hoffmann sowie die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften, die heute anwesend sind, herzlich begrüßen. Wir sind stolz, dass ihr mit uns diesen langen Weg gemeinsam gegangen seid. (Beifall bei der SPD) Es war nicht immer einfach. Am Anfang mussten wir uns zusammenraufen, um überhaupt eine gemeinsame Position einzunehmen. Dann mussten wir ziemlich lange dafür kämpfen, dass der Mindestlohn kommt. Er kommt eben heute. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben im Wahlkampf versprochen: Mit uns gibt es nur eine Regierung, wenn dafür gesorgt wird, dass derjenige, der Vollzeit arbeitet, von seiner Hände Arbeit leben kann. Dafür legen wir heute einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Schlussabstimmung vor. Gesagt, getan! Das ist gerecht. (Beifall bei der SPD) Mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz schaffen wir aber auch etwas ganz Neues. Wir schaffen endlich bundesweit Tarifvertragsstrukturen in Branchen, bei denen wir uns vor einem Jahr noch nicht einmal hätten vorstellen können, dass es dort überhaupt zu Tarifverhandlungen kommt. Wir haben es schon in der Fleischindustrie und beim Friseurhandwerk geschafft. Das Taxigewerbe versucht, einen Arbeitgeberverband zu gründen. Die Landwirtschaft verhandelt über einen bundesweiten Tarifvertrag, genauso wie der DEHOGA. Das ist ein Gewinn für unsere soziale Marktwirtschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir schaffen das nicht nur dadurch, dass wir aufgrund des zur Verabschiedung anstehenden Gesetzes alle Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen können. Vielmehr schaffen wir auch neue Strukturen der Tarifautonomie, weil wir künftig die Allgemeinverbindlichkeitserklärung erleichtern werden. Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten als Partei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist es immer wichtig, unsere Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften und den Betrieben mit unseren Gesetzen zu stärken. (Beifall bei der SPD) Der Mindestlohn schützt aber nicht nur die Beschäftigten, indem er eine untere Haltelinie festlegt. Der Mindestlohn schützt auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, weil keine Dumpinglöhne mehr über Steuergelder quersubventioniert werden müssen. Er schützt vor allen Dingen – das will ich insbesondere als Baden-Württembergerin an dieser Stelle sagen – unsere Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die für faire Arbeitsbedingungen in ihren Betrieben sorgen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn die können jetzt nicht mehr durch Dumpingkonkurrenz ausgestochen werden. Auch das ist wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Mindestlohn stärkt also die soziale Marktwirtschaft, er schwächt die soziale Marktwirtschaft nicht. Ich will noch etwas zu unseren großen Punkten sagen. Wir haben auf der letzten Strecke die Generalunternehmerhaftung durchgesetzt, sodass jetzt die gleiche gilt wie im Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Wir haben durchgesetzt, dass die Mindestlohnkommission ein Jahr früher die Mindestlöhne für ungefähr 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhöhen kann. Wir haben die Situation also im Vergleich zum Koalitionsvertrag verbessert und nicht verschlechtert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben durchgesetzt, dass alle, die in Deutschland morgens, nachts oder wann auch immer arbeiten gehen, ab dem 1. Januar 2015 mindestens einen Lohn von 8,50 Euro bekommen. Es sind ungefähr 4 Millionen Menschen, deren Situation wir verbessern. Wir verbessern für alle, die die Überbrückung über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz nutzen, die Situation ab 1. Januar 2017. Dann gilt überall der Mindestlohn von 8,50 Euro. Ich will zum Schluss kommen, Frau Präsidentin. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist heute (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein toller Tag!) ein bewegender Tag, Herr Kauder, ein echt bewegender Tag. Wir stärken die Tarifautonomie, wir stärken die -soziale Marktwirtschaft, wir stärken die Menschen, die arbeiten gehen und gute Arbeit schaffen. Wir sind stolz auf dieses Gesetz. Wir sind stolz darauf, dass wir einstimmig diesem Gesetz zustimmen werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Mast. Nicht nur die Sozialdemokraten begrüßen die Vertreter der Gewerkschaften. Das möchte ich jetzt auch für das ganze Haus tun. Michael Sommer ist schon begrüßt worden. Ich begrüße auch recht herzlich Reiner Hoffmann, seinen Nachfolger, und freue mich auf eine gute Zusammenarbeit mit dem gesamten Haus. (Beifall) Das gilt auch für die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften. Frank Bsirske, auf eine gute Zusammenarbeit! Bevor ich jetzt abschweife, erteile ich Sabine Zimmermann für die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Mast, die Agenda 2010 haben Sie nicht für die Gewerkschaften gemacht. Damit haben Sie garantiert, dass sich die Lohnspirale in Deutschland in den letzten zehn Jahren immer weiter nach unten gedreht hat. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gewerkschaften, Verbände, Vereine und viele andere haben seit Jahren für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn geworben. Sie haben dafür gekämpft, sie haben dafür gestritten, und sie haben dafür demonstriert. Alle dürfen heute einen Teilerfolg einfahren. Wenn ich den Reden der CDU/CSU und der SPD hier zuhöre, dann muss ich feststellen: Sie wollen sich den Erfolg einfach am liebsten allein an die Brust heften. (Widerspruch bei der SPD) – Nein, hören Sie mir zu! – Ich kann Ihnen nur sagen: Ohne uns hätten Sie das alles nicht geschafft. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU und der SPD) Es gehört auch zur Wahrheit, dass die Linke die erste Partei war, die diese Frage hier im Deutschen Bundestag gestellt hat. Da Sie, Kolleginnen und Kollegen der SPD, hier so herumschreien, will ich Ihnen sagen: Wir haben zehnmal einen entsprechenden Antrag gestellt, sogar wortgleich mit Ihrem eigenen Aufruf. Sie haben immer dagegen gestimmt. Wir hätten den Mindestlohn schon früher haben können. (Beifall bei der LINKEN) Was Sie heute hier abliefern, ist nun wirklich kein echter flächendeckender Mindestlohn, wie ihn viele Menschen erwarten und den Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, im Wahlprogramm ausdrücklich versprochen haben. Unter den Ausnahmen Ihres Flickenteppichs ist die wohl skandalöseste die geplante Ausnahmeregelung für 1 Million Menschen, die langzeitarbeitslos sind. (Widerspruch bei der SPD) Ich frage die Kolleginnen und Kollegen der Union und der SPD: Finden Sie Stundenlöhne von 1,60 Euro vertretbar? So viel hat nämlich ein Brandenburger Rechtsanwalt mit arbeitsgerichtlicher Genehmigung zwei langzeitarbeitslosen Kollegen für Aushilfstätigkeiten gezahlt. Das ist ungerecht. So etwas darf es in diesem Land doch nicht geben! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ist es das, was Sie mit Ihrer Ausnahmeregelung auch weiterhin möglich machen wollen? Müssen dafür Langzeitarbeitslose zu Beschäftigten zweiter Klasse degradiert werden? Wollen Sie diesen Menschen dafür ihre Würde und ihre Wertschätzung absprechen? Und Sie frage ich: Glauben Sie ernsthaft, dass Arbeitgeber Menschen, die zehn oder elf Monate erwerbslos gewesen sind, zum Mindestlohn einstellen? Nein, das werden sie nicht, weil sie dank Ihrer Regelung nur etwas zu warten brauchen, und dann können sie diese Kolleginnen und Kollegen einstellen und unterhalb des Mindestlohns bezahlen. Sie behaupten, Sie wollten Langzeitarbeitslosen eine Chance eröffnen. Meine Damen und Herren, das ist einfach nur Unsinn. Sie diskriminieren die Kolleginnen und Kollegen, die langzeitarbeitslos sind, und das können wir nicht zulassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, es sind vor allen Dingen Frauen, die Sie hier diskriminieren; denn diese sind häufiger langzeitarbeitslos als Männer. Unter den betroffenen Frauen sind übrigens auch besonders viele Alleinerziehende. Ich frage Sie: Entspricht ein Lohn unterhalb des Mindestlohnes, der insbesondere Frauen trifft, Ihrer Vorstellung von Geschlechtergerechtigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen -Koalition? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!) Es darf doch wohl nicht wahr sein, dass wir so etwas in diesem Haus zulassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was für Frauen gilt, gilt leider auch für Menschen mit Behinderung. Auch sie sind von Langzeitarbeitslosigkeit leider überproportional betroffen. Deutschland hat den zweitgrößten Niedriglohnsektor Europas. Damit sich das nicht so schnell ändert, öffnen Sie großzügig die Türen zur Umgehung des Mindestlohnes. Hire and fire, anstellen und entlassen, wird so ein attraktives Modell für -Arbeitgeber werden, und das geht nicht. (Beifall bei der LINKEN) Damit sich die Betroffenen dagegen auch gar nicht wehren können, halten sie zudem stur an den Sanktionen bei Hartz IV fest. (Zuruf von der LINKEN: Genau!) Das ist nicht nur ein sozialer Skandal, es ist auch arbeitsmarktpolitisch völlig unsinnig. (Beifall bei der LINKEN) Es droht ein Drehtüreffekt bei den Langzeitarbeitslosen, ein Hin- und Herpendeln zwischen kurzfristigen Dumpingjobs und Arbeitslosigkeit. Damit wird ihnen die dauerhafte Beschäftigung verwehrt. Ich komme zum Schluss. (Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!) Es gibt nichts, aber auch gar nichts, was diese Ausnahmeregelung rechtfertigt. Ein Mindestlohn ohne Ausnahmen ist nur dann ein Mindestlohn ohne Ausnahmen, wenn der Mindestlohn keine Ausnahmen hat. – Wer hat das wohl gesagt? Das war der DGB. Und er hat recht! Wo bleiben denn da Ihre sozialdemokratischen Wurzeln, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD? (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Ja, ich komme zum Schluss. Ich sage Ihnen: Die Linke wird weiter für einen Mindestlohn streiten, der seinen Namen auch verdient. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Frau Kollegin. – Wie ich aus gutunterrichteten Kreisen höre, bittet der Bundesfinanzminister um einen differenzierten Umgang mit der Spieltaktik unserer Nationalmannschaft. Ich übermittle diese Bitte gerne. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich verstehe kein Wort!) Ich erteile das Wort Stephan Stracke für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Stephan Stracke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Koalition unter Führung von Angela Merkel ist erfolgreich. Seit 1. Juli 2014 ist die Mütterrente da. Das nutzt über 9 Millionen Frauen, aber auch Männern in diesem Land, die in ihrem Leben viel geleistet haben. Jetzt bringen wir ein Gesetzespaket auf den Weg, das zum einen die tarifliche Bindung in diesem Land weiter stärken wird und zum anderen einen gesetzlichen Mindestlohn vorschreibt. Das nutzt 4 Millionen Menschen in diesem Land, und das ist gut. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir stellen faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen sicher, indem wir die Sozialpartnerschaft stärken, und wir schaffen gleichzeitig einen Mindestschutz für Beschäftigte. Ich finde, das, was wir auf den Weg bringen und Ihnen vorlegen, ist ein guter Kompromiss, der die Vorgaben des Koalitionsvertrages umsetzt und dabei auch die Belange der Wirtschaft mit in den Blick nimmt und beachtet. Dabei lassen wir uns von einem Grundsatz leiten, nämlich: Gute Leistung muss sich lohnen und soll auch fair bezahlt werden. Dafür zu sorgen, das ist Aufgabe der Sozialpartnerschaft. Die Sozialpartner haben ihre Aufgaben in den letzten Jahren hervorragend erledigt. Beispielhaft will ich an dieser Stelle die Branchenmindestlöhne nennen: Es liegen bereits 90 Prozent aller Branchenmindestlöhne über 8,50 Euro und knapp 80 Prozent bei 10 Euro und mehr. Ich glaube, das ist ein Beispiel dafür, dass Sozialpartnerschaft in diesem Land gut funktioniert, auch wenn es das eine oder andere Mal wie beim Fleischereihandwerk eines Schubses bedarf. Aber insgesamt können wir feststellen: Das funktioniert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen wollen wir in dieser Frage die Sozialpartnerschaft stärken; denn wir wissen auch, dass die direkte Tarifbindung in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat. Diesen Trend wollen wir umkehren. Deswegen stärken wir zum einen die Allgemeinverbindlichkeitserklärung und stellen damit sicher, dass die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften das Arbeitsleben künftig wieder weitgehend gemeinsam ordnen. Wir tun dies, -indem wir das 50-Prozent-Quorum abschaffen und an diese Stelle ein konkretisiertes öffentliches Interesse rücken. Ich glaube, das ist eine gute Reform. Ein zweiter Ansatz dieser guten Reform ist es, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu verändern. Die Branchenmindestlöhne haben sich bewährt. 4 Millionen Menschen fallen darunter. Diesen erfolgreichen Weg wollen wir fortsetzen, indem wir das Gesetz für alle Branchen entsprechend öffnen. Wir beseitigen die weißen Flecken, die im Rahmen der tarifvertraglichen Bindung entstanden sind, durch -einen Mindestlohn. Die gesetzliche Umsetzung haben wir im Dialog mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmern aller Branchen erarbeitet, um dabei mögliche Probleme zu berücksichtigen. Wichtig war uns immer: Wir wollen einen Mindestlohn mit Augenmaß. (Beifall bei der CDU/CSU) Dies ist das zentrale Ergebnis unserer Verhandlungen. Wir haben eine Mindestlohnkommission. Diese Mindestlohnkommission haben wir gestärkt. Es gab bei dem einen oder anderen die Vorstellung, man setzt sich hier zusammen und hat eine bloße Notarfunktion gegenüber dem, was beispielsweise das Statistische Bundesamt feststellt. Genau diesen Automatismus – unter Umständen bei der Anpassung der Mindestlöhne nach oben – wollen wir nicht. Die Sozialpartner haben anfangs gesagt: Wir brauchen eigentlich gar keine Geschäftsstelle. Ein bloßes Sekretariat würde vielleicht genügen. – Klar, wenn man zum Kaffeetrinken zusammenkommen will, dann braucht man unter Umständen nur ein Sekretariat. Aber genau das ist nicht unser Ansatz, sondern unser Ansatz ist es, dass wir verantwortungsvoll vorgehen, wenn es darum geht, Mindestlöhne zu überprüfen und unter Umständen zu einer Erhöhung zu kommen. Dieser Verantwortung müssen und sollen auch die Sozialpartner gerecht werden. Genau deswegen haben wir die Mindestlohnkommission in unserem Gesetz stärker in die Pflicht genommen, (Beifall bei der CDU/CSU) indem wir beispielsweise eine Evaluation vornehmen lassen, bei der vor allem der Blick darauf gerichtet werden soll: Wie ist der Schutz der Arbeitnehmer? Wie ist es mit den Wettbewerbsbedingungen? Wie ist die Beschäftigung in bestimmten Branchen und Regionen? Es ist im Übrigen nicht die einzige Evaluation, sondern wir wollen eine breite wissenschaftliche Expertise im Land darüber haben, wie der gesetzliche Mindestlohn wirkt. Deswegen sagen wir: Der Mindestlohn soll evaluiert werden. Aber die Bundesregierung soll das Gesetz auch insgesamt evaluieren. Bevor sich dann die -Mindestlohnkommission im Jahre 2016 an die Arbeit macht, sollen zusammen mit dem IAB bereits gewisse Grunddaten festgestellt werden, damit wir Sicherheit darüber haben, wie es sich insgesamt auswirkt. Ein Mindestlohn mit Augenmaß bedeutet auch immer, dass wir diesen an der Lebenswirklichkeit messen. Deswegen war für uns eine Regelung wichtig, die die Praktikantenverhältnisse umfasst. Auch wir als Bundestagsabgeordnete erleben es doch oft, wenn wir beispielsweise Lebensläufe von Bewerberinnen und Bewerbern bekommen, dass sie sehr viele Praktika machen, ganz überwiegend nach Abschluss eines Studiums. Es ist nicht Ausdruck von Wertschätzung gegenüber zum Teil sehr gut ausgebildeten jungen Menschen, dass sie auf Praktika verwiesen werden und nicht eine Anstellung erhalten, sei sie auch befristet. Deswegen verändern wir das. Wir sagen, die Generation Praktikum hat keine -Zukunft mehr. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen verändern wir dies im Rahmen des Mindestlohngesetzes, indem wir zum einen Pflichtpraktika vom Mindestlohn ausnehmen und zum anderen die -Attraktivität von freiwilligen Praktika erhalten. Wir sind mit einem Vorschlag von vier Wochen gestartet und kommen nun mit einer Regelung von drei Monaten heraus. Ich glaube, das ist eine gute Lösung. Eine weitere gute Lösung sind die Sonderregelungen, die wir getroffen haben, gerade auch was die Befürchtungen von einzelnen Branchen angeht, Befürchtungen, die beispielsweise an uns herangetragen wurden vonseiten der Obst- und Gemüsebauern, die Angst haben um ihre Zukunft, oder aus dem Bereich des Gaststätten- und Hotelgewerbes. Beides hat ja die Ministerin mit großer Absicht auch in den Blick genommen. Wir haben jetzt entsprechende Regelungen im Rahmen eines Maßnahmenbündels getroffen. In diesem Zusammenhang danke ich ganz herzlich unserem Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt, der hier wirklich eine hervorragende Arbeit geleistet hat, damit dieses Maßnahmenbündel tatsächlich gut ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Kost und Logis werden auf den Mindestlohn angerechnet, und zwar dauerhaft. Das ist eine gute Regelung. Hier können bis zu 450 Euro im Monat bei der Monatsabrechnung ausgewiesen werden. Wir weiten den Begriff der kurzfristigen Beschäftigung aus. Als kurzfristig gilt eine Beschäftigung bis zu 70 Tagen bzw. drei Monaten – befristet auf vier Jahre. Was in der Praxis auch von wesentlicher Bedeutung ist: Wir schützen den redlichen Arbeitgeber, der auf die Richtigkeit von ausländischen Sozialversicherungs-bescheinigungen vertraut. Wir haben uns darauf verständigt, dass er von der unter Umständen drohenden doppelten Beitragszahlung – das ist die Gefahr – freigestellt wird. In dem Fall, dass er an die Sozialversicherung des Herkunftslandes zahlt und sich herausstellt, dass das zu Unrecht geschehen ist, gilt diese Zahlung gegenüber der deutschen Sozialversicherung als geleistet, und zwar unabhängig von der tatsächlichen Höhe. Ich finde, das ist ein guter Kompromiss, und das zeigt, dass wir hier für die Saisonarbeit insgesamt gute Maßnahmen getroffen haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Gleiche gilt im Übrigen auch für Menschen mit Behinderung. Mit Blick auf Arbeitsverhältnisse, für die in Zukunft der Mindestlohn gilt, darf es nicht dazu kommen, dass Menschen, die in Integrationsfirmen beschäftigt sind – da gibt es auch Zuschüsse –, die Ersten sind, die dann auf der Straße landen. Deswegen haben wir uns politisch dahin gehend verständigt, dass wir unter Umständen die Fördermöglichkeiten anpassen werden, wenn es zu Verwerfungen kommen sollte. Auch das ist ein gutes Ergebnis. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Tack [SPD]) Klar ist natürlich auch: Der Mindestlohn muss kontrolliert werden. Wir haben hier die goldene Mitte ge-funden, was den administrativen Aufwand angeht. -Deswegen wird das BMF im Rahmen einer Verordnungsermächtigung in Zukunft im Einvernehmen mit dem BMAS die Art und Weise der Erfüllung der Dokumentationspflichten gegebenenfalls anpassen. Auch das ist etwas, was der Wirtschaft insgesamt guttut. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Stracke, erlauben Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Birkwald? Stephan Stracke (CDU/CSU): Ja, herzlich gern. Meine Zeit wäre jetzt abgelaufen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich verstehe auch nicht, warum der Kollege das jetzt macht; aber gut. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen! Auch an Sie, Herr Stracke, vielen Dank! – Außerdem: Ihre Zeit ist zum Glück noch nicht abgelaufen; nur Ihre Redezeit ist fast abgelaufen. Das ist doch ein bedeutsamer Unterschied. (Heiterkeit – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Eine richtige Einschätzung!) Sie haben eben über zahlreiche Ausnahmen beim Mindestlohn gesprochen. Sie haben in Ihrer Aufzählung aber eine Ausnahme nicht erwähnt, und das ist die Ausnahme der Zeitungszusteller und Zeitungszustellerinnen, (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das haben doch andere schon gesagt!) die heute schon ein paar Mal angesprochen wurde. Ein Thema ist dabei allerdings nicht behandelt worden. Wir haben gestern im Ausschuss zusammen darüber diskutiert. Heute lesen wir in der Beschlussempfehlung, dass unter bestimmten Bedingungen bei den Zeitungszustellern und -zustellerinnen das Wegegeld als Entgelt-bestandteil auf den Mindestlohnanspruch angerechnet werden kann. Das heißt, die Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller kriegen für ihren harten Job früh am Morgen und spät in der Nacht nicht nur lediglich 6,38 Euro im kommenden Jahr und 7,23 Euro im Jahr danach, sondern darauf soll zum Teil auch noch Wegegeld angerechnet werden. Da würde ich Sie bitten, a) uns einmal zu erläutern, wie das gedacht ist, und b) das zu bewerten. Meine zweite Frage an Sie ist: Wie ist denn dann der Mindestlohn Ihrer Regierung überhaupt definiert? So weiß doch überhaupt niemand mehr, was gilt. Deswegen – Sie haben gerade über die Kontrolle gesprochen – hat heute ein Forscher vom DIW, Herr Brenke, gesagt: „Das Problem der Kontrolle ist überhaupt nicht gelöst.“ Wie das werden soll, ist unklar. Zu den Zeitungszustellern will ich zum Schluss noch sagen: Diese Männer und Frauen, die jede Nacht bzw. morgens früh dafür sorgen, dass wir die Zeitung im Briefkasten haben, leisten einen knallharten Job, bei Wind und Wetter. Ich habe mich am 16. April von 3.30 Uhr bis 5.30 Uhr bei einem Selbstversuch davon überzeugen können. Ich sage: Sie brauchen den vollen Mindestlohn ab sofort. (Beifall bei der LINKEN) Stephan Stracke (CDU/CSU): Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege. – Da sieht man einmal, was ein Rollentausch – angeblich – an Erkenntnisgewinn für den einen oder anderen bringen kann. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Machen Sie das doch auch mal!) Bei uns ist das nicht nötig. Wir haben uns intensiv mit den Dingen beschäftigt. Insofern geht es vor allem darum, dass wir keine Sonderregelung auf den Weg bringen wollen, was das Wegegeld angeht. Es besteht bereits jetzt die gesetzliche Möglichkeit, dass das Wegegeld, -solange es Entgeltbestandteil ist, auf den Mindestlohn angerechnet wird. Das ist nichts Neues. Wenn Sie das mit den Aufwendungen beispielsweise für Fahrtkosten vergleichen, so muss man sagen: Das ist selbstverständlich nicht auf den Mindestlohn anrechenbar. Wir werden im Rahmen einer Durchführungsverordnung alle diese Fragen, auch was die Anrechenbarkeit angeht, klarstellen, sodass auch die Rechtspraxis in diesen Dingen hinreichende Klarheit hat. In dem Gesamtzusammenhang stellt es sich so dar, dass man nicht sagen kann: Wir haben es hier, was Ausnahmen angeht, mit einem Schweizer Käse zu tun. – Ganz im Gegenteil: Jede Ausnahme lässt sich gut begründen. Das betrifft die Praktikanten, das betrifft die Langzeitarbeitslosen; das betrifft die unter 18-Jährigen. Insgesamt stellt dieses Gesetzgebungsvorhaben einen guten Kompromiss dar und verdient Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das war es jetzt offensichtlich. Danke schön, Herr Stracke. – Jetzt hat das Wort Beate Müller-Gemmeke für Bündnis 90/Die Grünen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen wurde heftig gestritten und gedealt wegen eines Mindestlohnes von 8,50 Euro. Ich frage mich wirklich: In welcher Welt leben wir eigentlich? (Volker Kauder [CDU/CSU]: In einer schönen Welt!) In einem reichen Land wie Deutschland muss dieser Mindestlohn nicht nur möglich sein, sondern eigentlich muss mehr möglich sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Noch mehr?) Mit „mehr“ meine ich Tariflöhne. Deshalb stimmen wir heute nicht nur über den Mindestlohn ab, sondern über das Tarifautonomiestärkungsgesetz. Es geht um den Dreiklang von Mindestlohn und Erleichterungen im Tarifvertragsgesetz und im Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Der Mindestlohn soll das Tarifsystem von unten stützen und im Zusammenspiel mit Branchenmindestlöhnen und Tarifverträgen, die für alle Beschäftigten einer Branche gelten, die Tarifbindung erhöhen. Endlich wird die Tarifflucht nicht mehr ignoriert, sondern bekämpft. Es geht um soziale Leitplanken, die die Tarifpartnerschaft wirklich stärken. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Endlich setzt die Bundesregierung um, was wir Grünen bereits 2011 auf die Tagesordnung gesetzt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Maßnahmen sind bitter nötig; denn viel zu viele Unternehmen haben sich in den letzten Jahren aus der Tarifpartnerschaft verabschiedet. Die Tarifbindung sinkt. Heute sind nur noch knapp 60 Prozent der Beschäftigten durch tarifliche Vereinbarungen geschützt. Deshalb konnte sich in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern auch ein ausgeprägter Niedriglohnbereich entwickeln. Die Tarifflucht hält die Löhne auch insgesamt auf niedrigem Niveau, insbesondere bei den unteren Einkommen. Das Tarifsystem muss also gestärkt werden; denn die Beschäftigten haben faire Löhne, also Tariflöhne, verdient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die Intention des Tarifautonomiestärkungsgesetzes unterstütze ich also von ganzem Herzen. Kritik aber haben wir bei der -Ausgestaltung. Den Beschäftigten wurde ein flächen-deckender gesetzlicher Mindestlohn versprochen. Der gesetzliche Mindestlohn kommt, aber für viele Menschen nur auf dem Papier; denn gleichzeitig entsteht ein neuer Niedrigstlohnbereich. Die Sonderregelungen und Ausnahmen sind fatal. Sie sind nicht akzeptabel. Der Mindestlohn wird zum Flickenteppich, und zwar zulasten der Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt. Soziale Gerechtigkeit sieht anders aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Ausnahmen bei den Arbeitslosen gehen mir besonders unter die Haut. Damit stigmatisieren sie die Menschen und behandeln sie wie Beschäftigte zweiter Klasse; denn trotz Mindestlohn gilt für Langzeitarbeitslose weiterhin nur die Grenze der Sittenwidrigkeit. Das werden wir immer und immer wieder kritisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Ausnahmen treffen aber nicht nur die Menschen direkt, sondern sie wirken auch kontraproduktiv. Denn sie schwächen das Tarifsystem, anstatt es zu stärken, weil die Ausnahmen nur von tarifungebundenen Betrieben genutzt werden können. Das Gleiche gilt für die neue Sonderregelung für die Zeitungsverleger. Eigentlich wollen Sie ja die Tarifbindung erhöhen. Jetzt ent-lasten Sie aber eine Branche, die Tarifverhandlungen -ablehnt. Das alles macht einfach keinen Sinn. Das ist widersinnig und deshalb nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein anderes Beispiel. Im Tarifvertragsgesetz fällt ja die 50-Prozent-Hürde. Das ist richtig. Nur so können mehr Branchen beantragen, dass ihre Tarifverträge für alle Beschäftigten gelten, und damit verhindern, dass die Schmutzkonkurrenz in den eigenen Reihen immer größer wird. Das ist ausdrücklich auch unser Ziel. Überhaupt nicht nachvollziehbar ist aber, dass Sie das Abstimmungsverfahren im Tarifausschuss nicht verändern. Es können zwar leichter Anträge auf Allgemeinverbindlicherklärung gestellt werden, im Tarifausschuss können diese Anträge aber weiter blockiert werden. Das macht keinen Sinn. Das ist nicht schlüssig und auch nicht konsequent. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE]) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, das Tarifautonomiestärkungsgesetz allein reicht nicht aus. Der gesetzliche Mindestlohn und die branchenspezifischen Mindestlöhne müssen auch tatsächlich durchgesetzt werden. Die möglichen Ausweichmanöver sind bekannt: Scheinwerkverträge, Scheinselbstständigkeit, fingierte Stundenabrechnungen. Hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Notwendig sind also effektive Kontrollen. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit hat aber schon heute zu wenig Personal. Die -Zollgewerkschaft fordert ja mindestens 2 000 bis 2 500 neue Stellen. Sie haben im Haushalt 2014 keine einzige zusätzliche Stelle bewilligt. Für 2015 scheint es so, als würden Sie, wenn überhaupt, maximal 500 Stellen bewilligen. Effektive Kontrollen gibt es nicht zum Nulltarif. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir begrüßen den Dreiklang im Tarifautonomiestärkungsgesetz; denn für tariftreue Betriebe entsteht so ein verlässlicher Wettbewerbsrahmen und Schutz vor Dumpingkonkurrenz. Tarifflucht hingegen wird sich zukünftig immer weniger lohnen, zum Vorteil der Beschäftigten. Aber ich muss schon sagen: Wir hätten das Tarifautonomiestärkungs-gesetz besser gemacht. Dennoch: Die Richtung stimmt. Deshalb werden wir trotz der vielfältigen Kritik auch zustimmen. Wir bleiben aber dran. Wir werden die Ungerechtigkeiten weiter aufzeigen und notwendige Korrekturen einfordern; das kann ich Ihnen versichern. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. Danke auch, dass Sie die Redezeit eingehalten haben. – Nächste Rednerin: Dr. Carola Reimann für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Carola Reimann (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir schließen heute mit dieser Lesung eine intensive parlamentarische Debatte zum Tarifpaket ab. Wir haben, wie in Gesetzgebungsverfahren üblich, in den letzten Wochen bei ein paar wenigen Punkten noch -Änderungen und Präzisierungen vorgenommen. Bei der Debatte über diese letzten Änderungen darf man nicht aus dem Blick verlieren, was wir mit diesem Gesetz erreichen werden: Deutschland bekommt einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für Millionen von Menschen bedeutet dies die größte Gehaltserhöhung ihres Lebens. Das, meine Damen und Herren, ist eine der größten Sozialreformen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kolleginnen und Kollegen, wir haben von Anfang an klargemacht, dass wir die Sorgen einzelner Branchen sehr ernst nehmen und mögliche Probleme bei der -Umsetzung berücksichtigen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, eine zweijährige Übergangszeit zu ermöglichen, wenn tarifvertragliche Lösungen vereinbart werden. Und deshalb gab es auch einen intensiven Branchendialog. Für diese umfangreichen Gespräche will ich mich hier ausdrücklich bei der Ministerin und ihrem Haus bedanken. Durch sie konnten in Branchen tarifvertragliche Vereinbarungen gefunden werden, die man bisher wohl als tarifpolitisches Niemandsland bezeichnen musste. Wir setzen damit nicht nur einen ersten Mindestlohn in Branchen fest, die von Lohndumping geprägt waren. Wir haben damit zugleich auch die Tarifautonomie gestärkt – und das alles, bevor das Gesetz überhaupt in Kraft getreten ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Beispiel zeigt: Dialog und Praxisnähe lohnen sich, und vor allen Dingen lohnt es sich, auf das Erfolgsmodell Tarifpartnerschaft zu setzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben bei der Gesetzgebung eine klare Linie verfolgt: Hilfen für praxistaugliche Übergänge ja, aber keine Branchenausnahmen. Genau so sieht das Gesetz aus, das nun vorliegt. Wer hier große Ausnahmen anprangert, redet einfach an der Sache vorbei. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Der Mindestlohn kommt wie versprochen: 8,50 Euro, flächendeckend und ohne jede Branchenausnahme. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst? Dr. Carola Reimann (SPD): Sehr gern. Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann ist Herr Ernst jetzt dran. Klaus Ernst (DIE LINKE): Danke schön. – Frau Kollegin, ist Ihnen noch folgender Satz bekannt? Ich zitiere: Es muss sichergestellt werden, dass kein Arbeit-suchender auf einen Arbeitsplatz unterhalb der -ortsüblichen Entlohnung verwiesen wird. Der Mindestlohn von 8,50 Euro muss in jedem Fall gewährleistet sein. Ich helfe Ihnen weiter: Das ist aus Ihrem Wahlprogramm. Jetzt habe ich heute hier viele Stimmen aus Ihrer Partei gehört, die gerade jene Regelung verteidigen, nach der Arbeitsuchende sechs Monate lang keinen Mindestlohn bekommen; sie gilt übrigens nicht befristet, sondern auf Dauer. Wie kriegen Sie das mit Ihrem Wahlprogramm zusammen? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. Carola Reimann (SPD): Lieber Kollege Ernst, auch da bitte ich um ein bisschen Differenzierung. Es geht um die Langzeitarbeitslosen; aber Arbeitsuchende werden Mindestlohn erhalten – (Christine Lambrecht [SPD]: Ja, selbstverständlich! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Langzeitarbeitslose sind auch Arbeitsuchende!) in vielen Branchen hoffentlich die Löhne, die in den Tarifen vorgesehen sind. (Beifall bei der SPD) Die Ausnahme für Langzeitarbeitslose ist hier mehrfach angesprochen worden. Es ist ein offenes Geheimnis, dass wir Sozialdemokraten auch diese Ausnahme lieber nicht gehabt hätten. Aber Sie haben auch die Begründung gehört: Es soll verhindert werden, dass die Hürde beim Zugang zum Arbeitsmarkt – man muss fairerweise sagen, dass sich diese Leute sehr schwertun und Arbeitgeber ihnen in vielen Fällen keine Chance geben; das ist sehr mühsam, und in fast allen Fällen ist Unterstützung nötig – höher gelegt wird. Das haben wir mit dem Koalitionspartner vereinbart. Wir haben darüber hinaus in den letzten Änderungen, die ich angesprochen habe, eine Evaluierung vorgesehen, die vorgezogen werden soll, weil wir das sehr genau beobachten wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Mindestlohn kommt wie versprochen: 8,50 Euro, flächendeckend und ohne jede Branchenausnahme. Davon profitieren fast 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und, Kollegin Zimmermann, insbesondere sehr viele Frauen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Es profitieren nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch die Unternehmen – die redlichen Unternehmen nämlich, die beim Unterbietungswettbewerb auf dem Rücken der Menschen nicht mitmachen. Ich freue mich, dass wir das nun gegen alle Widerstände durchsetzen konnten. Kolleginnen und Kollegen, ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Mit dem Tarifpaket beenden wir auch die Auswüchse bei der Generation Praktikum. Wir dulden nicht länger, dass sich gut ausgebildete und hochmotivierte junge Menschen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung von Praktikum zu Praktikum – mies oder gar nicht bezahlt – hangeln müssen. Mit dem vorliegenden Gesetz verhindern wir Ausbeutung und ermöglichen doch weiterhin Qualifizierung und Orientierung während der Ausbildung. Auch dies ist eine sehr praxisnahe Lösung im Interesse der jungen Menschen. Dazu zählt auch, dass es in Zukunft zu jedem Praktikum einen schriftlichen Vertrag gibt. Dort werden Ziele, Arbeitszeiten und vor allem Vergütung festgehalten. Damit stärken wir nicht nur die Rechte der Praktikantinnen und Praktikanten, sondern senden auch eine klare Botschaft aus: Wir brauchen unsere gut qualifizierten Nachwuchskräfte und anerkennen ihre Leistungen durch gute Arbeitsbedingungen auch bei Praktika. (Beifall bei der SPD) Das wird im Übrigen auch für die Praktikantinnen und Praktikanten des Deutschen Bundestages gelten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den vergangenen Wochen intensive Gespräche geführt, Präzisierungen vorgenommen und nicht wenige Angriffe auf den Mindestlohn abgewehrt. Ich bin sicher, wir haben eine Regelung gefunden, die für mehr Ordnung am Arbeitsmarkt sorgt, einen neuen Fairnessstandard setzt und sich in der Praxis bewähren wird. Ich möchte an dieser Stelle all denjenigen danken, die über viele Jahre hinweg gegen große Widerstände für diesen Mindestlohn gekämpft haben. Sie alle können heute zu Recht stolz auf sich sein. Mein ganz besonderer Dank gilt unserer Ministerin Andrea Nahles, die dieses Gesetz mit uns gemeinsam mit viel Engagement, mit viel Herzblut und mit großer Ausdauer auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin sicher: Der Mindestlohn wird eine Erfolgsgeschichte. Er wird nicht nur knapp 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern helfen, er wird auch unserem Land guttun. Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es richtig ist, dass es Aufgabe des Staates ist, in der sozialen Marktwirtschaft Schiedsrichter des Wettbewerbs, Hüter des Gemeinwohls und vor allem Anwalt für die Schwachen zu sein, dann ist der Mindestlohn, wie wir ihn heute beschließen, ordnungspolitisch richtig und normativ geboten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Und doch ist es richtig, auf einige kritische Argumente einzugehen. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hat durchaus recht, wenn sie sagt: Die Mindestlohndebatte ist geprägt von Halbwissen und Mythen. Leider stammen viele der aus Halbwissen vorgetragenen Mythen von dieser Initiative selbst. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) So behauptet die Initiative, der Mindestlohn gefährde Arbeitsplätze, und sie begründen das mit den ökonomischen Theorien. Nun kann man aus schiefen Annahmen in der ökonomischen Theorie immer die passenden Schlüsse ziehen. Deswegen lohnt ein Blick in die empirische Wirklichkeit. In Großbritannien ist der Mindestlohn 1998 eingeführt worden. Wir haben die zuständige Mindestlohnkommission dort besucht und gefragt: Hat der Mindestlohn Arbeitsplätze gekostet? Die eindeutige Antwort war: Nein, auch nicht in strukturschwachen Gebieten. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Super!) Das ist alles sehr genau untersucht worden, und es entspricht auch den Ergebnissen der internationalen Forschung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Nun wird man einwenden: Na ja, der Mindestlohn ist in Großbritannien doch viel niedriger. Das ist richtig. Aber man muss die Zahlen vergleichbar machen. Der Mindestlohn liegt in Großbritannien bei etwa 53 Prozent des Medianlohnes, in Deutschland wären es 2015 weniger als 52 Prozent des Medianlohnes; das ist also durchaus vergleichbar. Nein, hier drängt sich der Verdacht auf, meine Damen und Herren, dass es der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft nicht um das Erbe von Ludwig Erhard geht. Sie halten Verwerfungen und Verzerrungen der Wettbewerbsordnung in der sozialen Marktwirtschaft für normal, weil der Markt nun einmal so ist, wie er ist. Nein, hier – der Verdacht drängt sich auf – will jemand das Soziale neu denken, während es doch darauf ankommt, das Neue sozial zu denken. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das Neue ist: Die Tarifbindung hat deutlich abgenommen. Die Tarifpartner erreichen heute viele Arbeitsverhältnisse nicht mehr. Dadurch kommt es zu einem Niedriglohnsektor, den viele für ungerecht halten. Er ist es auch; denn nichtauskömmliche Löhne müssen durch den Staat aufgestockt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Niedriglohnsektor ist eine Subvention nichtauskömmlicher Löhne. Mir ist überhaupt nicht bekannt, dass sich die Ideologen der Neuen Sozialen Marktwirtschaft jemals über diese Subventionen beschwert hätten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn die gesellschaftlichen Kräfte wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer etwas nicht mehr regeln können, wird subsidiär der Staat tätig. Das ist eine der wunderbaren Ideen aus der katholischen Soziallehre, die auch den Geist der sozialen Marktwirtschaft durchdrungen haben. Subsidiarität heißt auf der einen Seite: Kompetenz-anmaßungsverbot. Der Staat soll nicht eingreifen, wo es die Menschen oder die sozialen und gesellschaftlichen Akteure selbst richten könnten. Insofern ist Subsidiarität ein wirksames Instrument gegen Staatsallmachtsideologien. Subsidiarität heißt aber auch: Hilfestellungsgebot, wo die Menschen und die sozialen Akteure einen Regelungsbereich nicht mehr durchdringen können. Das ist hier der Fall. Die Ordnung der Lohnfindung in unserer sozialen Marktwirtschaft ist aus den Fugen geraten. Gewerkschaften und Arbeitgeber alleine können es nicht richten. Deswegen ist der gesetzliche Mindestlohn, wie wir ihn heute verabschieden, eine subsidiäre Maßnahme. Er ist eine Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft aus dem System der sozialen Marktwirtschaft heraus. Er entspricht der Denklogik, indem er der sozialen Marktwirtschaft ein Ordnungsgefüge einzieht und Lohnspiralen nach unten verhindert. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir anerkennen damit auch, dass der Arbeitsmarkt ein besonderer Markt ist, nicht einer, auf dem Pfeffer und Käse, Gurken und Wein gehandelt werden und lediglich das Spiel von Angebot und Nachfrage gilt. Nein, der Arbeitsmarkt ist ein abgeleiteter Markt, und er hat etwas mit Wertvorstellungen zu tun, die jenseits der Preise angesiedelt sind. Aus unserem Selbstverständnis als christliche Demokraten gehört nämlich die Arbeit zur Identität des Menschen und darf deswegen nicht vollständig dem Markt unterworfen sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, sozial ist nicht, was Arbeit schafft – das war schon immer eine gedankenlose und falsche Aussage –, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist so was von richtig!) sondern sozial ist, was gute Arbeit schafft. So denken wir als christliche Demokraten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) das Neue sozial in der Tradition von Ludwig Erhard und in der Tradition der Sozialphilosophie der Kirchen. Wir haben lange gerungen, bis dieses Gesetz zustande gekommen ist. Viele berufene und unberufene Stimmen haben sich zu Wort gemeldet. Einige haben zur Verbesserung des Gesetzgebungsprozesses geführt, andere nicht. Mich hat häufig überrascht, wie sehr alle im Prinzip den Mindestlohn begrüßt haben, aber doch bitte nicht in dieser oder jener Branche. Und tatsächlich, es gab in der ein oder anderen Branche objektive Probleme. Sie sind aus meiner Sicht aber sehr konstruktiv abgearbeitet worden. Ein bemerkenswertes Argument hat aus meiner Sicht Professor Di Fabio, der ehemalige Verfassungsrichter, vorgetragen. Er argumentiert, die Einführung eines Mindestlohnes bei der Zeitungszustellung könne gegen die Pressefreiheit verstoßen. Nun sind Professoren kluge Leute, und Verfassungsrichter sind das allemal. Aber nicht alles, was sie sagen, ist gleichermaßen klug. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Ich habe den Eindruck, die Klugheit der Argumente nimmt deutlich ab, wenn man sie in fremdem Auftrag entwickelt und vorbringt. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Professor Di Fabio hat einmal in einem bemerkenswerten Buch geschrieben, bürgerlich sei es, Freiheit auch als Freiheit zur Bindung zu begreifen. Zumindest hat er uns nicht im Unklaren darüber gelassen, an wen er sich gebunden hat. (Heiterkeit bei der SPD) Meine Damen und Herren, am Ende verabschieden wir heute einen Kompromiss. Wir als christliche Demokraten hätten sicherlich vieles anders geregelt, die Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei sicherlich auch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Entscheidend ist aber, dass wir uns in die Augen sehen und sagen können: Wir haben eines der großen kontroversen Themen der vergangenen Jahre vernünftig geregelt. Von diesem Gesetz werden viele Menschen profitieren, denn sie haben ab 1. Januar 2015 einen gesetzlichen Anspruch auf den Mindestlohn. Von dem Gesetz werden viele Betriebe profitieren, denn Wettbewerbsvorteile durch Lohndrückerei wird nicht mehr möglich sein. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Von dem Gesetz können auch die Sozialversicherungen profitieren, denn es wird mehr einbezahlt. Nicht zuletzt profitiert auch die Zeitautonomie der Abgeordneten, die sich mit dem Thema über Jahre beschäftigt haben. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war ein echter Zimmer!) Wir werden heute entscheiden. Unsere Arbeit ist damit getan. Unsere Aufgabe ist erfüllt. Ich denke, wir haben Gutes getan. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD hat jetzt Bernd Rützel das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernd Rützel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beschließen heute das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie. Prominentester Teil dieses -Gesetzes ist zweifelsohne der Mindestlohn, der allgemeine und flächendeckende Mindestlohn. Zur historischen Dimension dieser Einführung haben wir in der letzten Stunde viel Richtiges und Wichtiges gehört. Wer genau hingehört hat, hat vielleicht erkannt, was wirklich wichtig ist und was nur vorgeschoben ist. Der Mindestlohn ist aber nicht das Ziel, sondern er ist ein Stück des Weges, ein breites und gut ausgebautes Wegstück, kein „Flickenteppich“. Das Ziel ist die Stärkung der Tarifautonomie. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Geschichte der Tarifautonomie ist im Grunde die Geschichte des Kampfes von benachteiligten Menschen, nicht nur zur Sicherung eines lebenswerten Daseins, sondern oftmals zur Erlangung einer existenzsichernden Versorgung. Die Tarifautonomie, wie wir sie heute kennen, dient dem Wohle der Menschen, aber auch und vor allem dem Wohle der ganzen Volkswirtschaft. Um diese Tarifautonomie – das haben wir in England wieder -gehört – beneiden uns viele Länder. Die Sozialpartner haben sich oft gestritten. Es wurde gestreikt, aber die -Sozialpartner haben immer wieder verhandelt und schließlich Frieden geschlossen. Es gab immer eine Verlässlichkeit in diesem System. Aber in den letzten 20 Jahren ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Die Löwen haben gebrüllt. Man hat den brüllenden Löwen ein Stück Fleisch hingeworfen, aber sie sind nicht ruhiger geworden. Sie haben immer lauter gebrüllt, und mit jedem Stück Fleisch haben sie noch mehr verlangt. Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind gefordert. Wir werden dafür sorgen, dass wieder Ordnung herrscht. Untertarifliche Entgelte, die Streichung oder Kürzung von Sonderzuwendungen, längere Arbeitszeiten und vieles mehr wollen wir nicht. Das ist die falsche Weichenstellung. Es muss sich etwas ändern. Heute setzen wir ein ganz wichtiges Zeichen. Das ist ein Signal und eine wichtige Weichenstellung. Vielen Dank an die Bundesarbeitsministerin. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vielen Dank an alle, die tatkräftig und sehr effektiv in den letzten Wochen und Monaten mitgearbeitet haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Rützel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht? Bernd Rützel (SPD): Ja, bitte. Michael Schlecht (DIE LINKE): Lieber Herr Kollege, ich stimme mit Ihnen hinsichtlich der positiven Würdigung der Tarifautonomie überein. Auch ich bin der Meinung, dass diesbezüglich manches, wie Sie es gesagt haben, „aus dem Ruder gelaufen“ ist; ich finde, das ist noch eine relativ harmlose Formulierung. Wenn Sie das so sehen, sind Sie dann auch mit mir der Meinung, dass in diesen Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie, mit dem erstmalig -offiziell anerkannt wird, dass politische Rahmenbedingungen etwas mit der Handlungsfähigkeit von Gewerkschaften in der Tarifpolitik zu tun haben – bisher ist das ja immer negiert worden –, eine ganze Menge mehr -hineingehörte, zum Beispiel eine Neuregelung hinsichtlich der Befristungen, damit dieses elende Befristungswesen abgeschafft wird, eine Regelung zur Leiharbeit, eine Regelung, nach der Werkverträge nicht mehr möglich sind, usw.? Ich könnte Ihnen eine Reihe weiterer Maßnahmen aufzählen. Das ist doch nur Stückwerk, was hier vorgelegt wird. Bernd Rützel (SPD): Herr Schlecht, ich habe Ihnen doch das mit den -Löwen erklärt. Die Weichenstellung war falsch. Ich bin Ihnen dankbar für diese Zwischenfrage. Es ist richtig: Das, was wir jetzt gebaut haben, ist ein erstes, breites, wichtiges Stück auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit in der Arbeitswelt, im Tarifvertragswesen und in der Tarifautonomie. Diesen Weg werden wir weitergehen. Die Punkte, die Sie angesprochen haben, werden wir nach der Sommerpause wieder auf der Agenda haben; denn es geht weiter. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Wir werden als Nächstes in diesem Gesetz die Allgemeinverbindlichkeit stärken. Das ist ein vielleicht noch wichtigerer Punkt. Dies wird dazu führen, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber künftig wieder mehr Tarifverträge aushandeln und diese für wesentlich mehr Menschen bzw. für die breite Masse gelten werden. Die starre 50-Prozent-Marke, die aufgrund der abnehmenden Tarifbindung immer schwieriger zu erreichen war – das wird sich in Zukunft wieder ändern –, schaffen wir ab. Es muss ein öffentliches Interesse vorliegen; das ist zukünftig das entscheidende Kriterium für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Damit werden auch die Trittbrettfahrer erfasst, die sich die Ordnungsfunktion eines Tarifvertrages zunutze machen, aber nicht Mitglied in einem Verband sind, keine Mitgliedsbeiträge zahlen und Tarifverträge nach Gutsherrenart anwenden. Das wird nach diesem Gesetz nicht mehr möglich sein. Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mit der Öffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle Branchen schaffen wir eine wichtige Grundlage für einen fairen Wettbewerb und gleichzeitig gleiche und -gerechte Arbeitsbedingungen unabhängig von der Herkunft von Arbeitgeber und Beschäftigten. Wahrlich: Heute ist ein historischer Tag. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir könnten doch jetzt abbrechen, oder?) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Entwurf des Tarifautonomiestärkungsgesetzes. Die besondere Bedeutung des Gesetzespakets wurde von den Vorrednern schon hervorgehoben. Die besondere Bedeutung ist natürlich auch mit besonderen Auswirkungen verbunden. Das Mindestlohngesetz legt einen Mindestlohn von 8,50 Euro fest, der die Basis des Lohns sein soll. Mit dieser grundsätzlichen Feststellung wird die weitere Anpassung des Mindestlohns in die Hände der Mindestlohnkommission und damit der Tarifvertragsparteien gelegt. Dort gehört diese Aufgabe auch hin, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hier wird die besondere Aufgabe zu erfüllen sein, den Mindestlohn unter Berücksichtigung aller zur Entwicklung des Mindestlohns in Betracht zu ziehenden Umstände weiterzuentwickeln. Der Gesetzgeber gibt hier nur einen beispielhaften und keinen abschließenden Rahmen vor. Es ist daher Aufgabe der Mindestlohnkommission, die weiteren Kriterien zu erarbeiten. Es muss hier quasi eine Gesamtabwägung erfolgen. Dies soll nicht ausschließen, dass die Mindestlohnkommission für bestimmte Branchen und Regionen Ausnahmeregelungen treffen kann; diese Freiheit hat die Mindestlohnkommission. Denn es muss gewährleistet sein, dass auf der einen Seite ein angemessener und fairer Lohn gezahlt wird, auf der anderen Seite aber auch berücksichtigt wird, dass der Lohn erwirtschaftet werden muss. Das kann in bestimmten Branchen und Regionen unterschiedlich sein. Ich wünsche mir, dass die Kommission von dieser flexiblen Ausgestaltung nach Bedarf hinreichend Gebrauch macht und ihrer Verantwortung für die Entwicklung des Mindestlohns gerecht wird. Es ist daher auch richtig, dass die Entwicklung des Mindestlohns nicht fest an einen Tarifindex gekoppelt ist. Denn dies würde der Kommission nicht die Möglichkeit geben, sämtliche Umstände zu berücksichtigen. Wir sind froh, dass unsere Forderung an dieser Stelle umgesetzt werden konnte. Es ist ebenfalls zu begrüßen, dass unserer Forderung nach einer sofort einsetzenden Datenerfassung zur Evaluation Rechnung getragen worden ist. Dies ist die unerlässliche Voraussetzung zur Feststellung und Beurteilung einer Gesamtsituation bzw. Gesamtentwicklung, um hiernach die Höhe des Mindestlohns anpassen zu können. Es ist wichtig, dass hiermit sofort begonnen wird, damit die Auswirkungen des Mindestlohns bestmöglich erfasst werden können. Die bereits angesprochenen Regelungen für Zeitungszusteller und Saisonarbeiter berücksichtigen besondere Umstände. Hinsichtlich der Praktikanten ist eine -Regelung schon deswegen geboten, damit weiterhin die Bereitschaft der Unternehmer besteht, jungen Menschen die Möglichkeit zu gewähren, zur Berufsorientierung oder zur Wahl eines Ausbildungsplatzes Einblicke in die jeweiligen Berufe zu bekommen und im Rahmen von Ausbildungs- und Studienordnungen die notwendigen Pflichtpraktika zu erfüllen. Die Generation Praktikum wird es hiernach nicht mehr geben. Man muss es den Unternehmern daher hoch anrechnen, dass sie jungen Menschen diese Möglichkeit gewähren, da der Aufwand, der damit verbunden ist, größer ist als der Nutzen, den die Unternehmer dadurch sofort haben. Die Unternehmer kommen damit ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung gegenüber jungen Menschen nach. Daher ist es richtig, dass hier kein Mindestlohn gefordert, sondern die Möglichkeit des Praktikums für junge Menschen gefördert wird. Wie angekündigt, haben wir auch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen geöffnet. Daneben -haben wir die nach dem Tarifvertragsgesetz mögliche Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen von der starren und oft schwer nachweisbaren 50-Prozent-Grenze entlastet. Hierzu ist neben einem gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien das Vorliegen eines -öffentlichen Interesses erforderlich. Dieses liegt dann vor, wenn der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen überwiegende Bedeutung erlangt hat. Der Tarifvertrag muss sich demnach durch faktische Anwendung durchgesetzt haben, das heißt also auch im Vergleich zu Arbeitgebern, die die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten nicht entsprechend gestalten. Nicht ausreichend ist dabei, dass sich der Tarifvertrag bloß relativ im Vergleich zu anderen Tarifverträgen durchgesetzt haben muss. Das Ministerium ist hier -gehalten, die Voraussetzungen und insbesondere das öffentliche Interesse sorgfältig zu prüfen. Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang auch – lassen Sie mich das als Jurist erwähnen –, dass im Arbeitsgerichtsgesetz eine einheitliche und klare gerichtliche Zuständigkeit geregelt ist. Dies dient der Verfahrens-beschleunigung und der schnelleren Herstellung von Rechtssicherheit. Es gilt nun, die neuen gesetzlichen Regelungen mit Augenmaß und im Sinne aller umzusetzen und auszugestalten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christine Lambrecht [SPD]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die heutige Debatte verfolgt, der kann, glaube ich, unschwer feststellen, dass sie mit Pathos und Superlativen belegt und aufgeladen ist. „Historische Stunde“, „historischer Tag“, „historische Dimension“, sagen die einen, die anderen sprechen von „Täuschungsmanöver“. Die einen sprechen von einem „flächendeckenden Mindestlohn“, der erreicht wird, während die anderen von einem „Flickenteppich“ reden. Unzweifelhaft wird deutlich, welche höchste politische Symbolik das Thema Mindestlohn hat. Es wurde aber auch deutlich: Egal, wie viele Debatten wir in der Vergangenheit geführt haben oder in Zukunft noch führen werden: Den universalen, allgemeingültigen Mindestlohn gibt es nicht, und den wird es auch nie geben. Der Mindestlohn muss richtig ausgehandelt und aufgestellt sein, um auch die Vielfalt des Landes zu berücksichtigen und abzubilden. Ein Mindestlohn – egal, wie er aufgestellt und zustande gekommen ist – wird nie in der Lage sein, alle Probleme unseres Landes zu lösen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt auch niemand!) Ob der Eingriff, den wir heute vornehmen – ich sage es einmal nüchtern: Es ist schon ein einzigartiger und, so hoffe ich, auch einmaliger Eingriff in die Tarifautonomie; wir sind uns hoffentlich einig, dass es dabei bleibt –, am Ende des Tages volkswirtschaftlich sinnvoll und arbeitsmarkt- und sozialpolitisch richtig ist, wird sich noch zeigen. Der Begriff, den der Kollege Schiewerling gewählt hat – „Operation am offenen Herzen der -sozialen Marktwirtschaft“ – ist insoweit richtig und zu unterstreichen. Denn ein Mindestlohn, der Arbeitsplätze vernichtet, in Schwarzarbeit abdrängt oder das Lohn-abstandsgebot so verletzt, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Landes gefährdet ist, hilft niemandem weiter. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb wurde hart gerungen, um die richtigen Lösungen zu finden und die Vielfalt unseres Landes in einem Instrumentenmix abzubilden. Es ist auch richtig, dass es keine starren Lösungen gibt; denn wir brauchen Flexibilität. Frau Nahles, es ist egal, wie man das nennt. Sie haben versucht, deutlich zu machen, dass es in diesem Gesetz keine Ausnahmen gibt, dass Kost und Logis bei den Saisonarbeitern auf den Mindestlohn angerechnet werden. Mir ist es letztlich egal – den Menschen und der Volkswirtschaft im Allgemeinen übrigens auch –, ob das als Ausnahme bezeichnet wird oder als Anrechnung. Wir brauchen Flexibilität, und es ist uns gemeinsam gelungen, dies gegenüber dem Entwurf, der ursprünglich auf dem Tisch lag, zu verbessern. Es ist auch sehr wichtig – das wurde in der Debatte deutlich –, dass die Rolle der Mindestlohnkommission aufgewertet wird. Es wird bei einem einmaligen Eingriff in die Tarifautonomie bleiben. Zukünftig werden wieder diejenigen, die in der sozialen Marktwirtschaft verantwortlich sind, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Tarifautonomie in der Mindestlohnkommission übernehmen und sehr genau beobachten, welche Auswirkungen der Mindestlohn in den einzelnen Branchen, in den Regionen und in den Bereichen hat, über die diskutiert wurde. Die Frage wird sein, ob der richtige Maßstab angelegt wurde. Deshalb hat die Kommission zukünftig die Möglichkeit, hier zu differenzieren und entsprechende Vorschläge zu machen. Wir legen das Verfahren somit wieder in die Hände derer zurück, die soziale Marktwirtschaft am besten können, und stärken damit die bereits angesprochene Vielfalt des Landes. Ich will die anderen Punkte nur stichwortartig ansprechen: Übergangsregelungen, Praktika, Einstiegsqualifizierungen, Saisonarbeitnehmer. Auch die Dokumenta-tionspflichten mit Augenmaß – das Ziel ist, dies möglichst unbürokratisch umzusetzen – seien nur noch einmal erwähnt. Ich will noch auf einen Punkt eingehen, der heute vonseiten der Linken angesprochen wurde. Da hieß es, die Langzeitarbeitslosen würden auf dem Altar des Ko-alitionsfriedens geopfert. Ich frage Sie: Was nützt einem Langzeitarbeitslosen, der seit über einem Jahr arbeitslos ist und im Zweifel andere sogenannte multiple Hemmnisse hat, die Einführung des Mindestlohns, wenn er keine Arbeit findet? Mit einem Mix an Instrumenten kann es gelingen, ihn weiter auszubilden, ihn weiter zu fördern und ihn in Lohn und Brot zu bringen. Warum soll dieser Langzeitarbeitslose nicht übergangsweise, zeitlich begrenzt, zu einem geringeren Lohn arbeiten? Das ist allemal besser, als weiterhin arbeitslos zu sein. Wir brauchen alle Instrumente, die sich in der Vergangenheit schon bewährt haben, ob das die Zeitarbeit ist oder ob das neue Programme sind, die sich speziell an Langzeitarbeitslose richten und diese fördern. Ich stelle fest: Auch wenn der Mindestlohn wirtschafts- und ordnungspolitisch immer noch eine Herausforderung darstellt, so ist der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf, der einen Kompromiss darstellt, tragbar. Damit sind wir aber sicher nicht am Ende der Diskussion. Wir werden uns weiter mit dem Thema befassen müssen, dann aber bitte mit den Mitteln der Tarifautonomie in der Mindestlohnkommission. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, bitte ich Sie, die Stimmkarten so geräuschlos wie möglich zu holen. Wenn es dringende Gespräche gibt, bitte ich Sie, diese vor den Türen zu führen; denn sie stören den jeweiligen Redner. Der nächste Redner ist jetzt der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf die Abschlussrede in dieser Debatte halten und freue mich darüber. Heute ist ein guter Tag; denn wir beenden heute eine große gesellschaftspolitische Debatte, deren klare Botschaft lautet: Wir wollen die Tarifautonomie in Deutschland stärken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ludwig Erhard, der Vater der sozialen Marktwirtschaft, der Vater des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg, hat damals ein eingängiges und bei den Leuten hochbeliebtes Motto ausgegeben: Wohlstand für alle! Wohlstand für alle ist für viele, für die große Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land, dadurch Wirklichkeit geworden, dass sie durch gute Tarifverträge und gute Löhne in angemessener Weise am wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes beteiligt wurden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir Ludwig Erhard mit seinem Motto „Wohlstand für alle“ noch einmal den Rücken stärken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) In der Öffentlichkeit ist vor allen Dingen das Thema „Mindestlohn“ bzw. das Thema „Ausnahmen vom Mindestlohn“ diskutiert worden. Die zentrale und wichtigste Botschaft dieses Gesetzentwurfs ist, dass wir Tarifverträgen, die zwischen starken Gewerkschaften und starken Arbeitgeberverbänden ausgehandelt werden, wieder zu mehr Geltung verhelfen, indem wir die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtern und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen öffnen, sodass jede Branche, in der es Arbeitgeber und Arbeitnehmer wollen, für sich eine eigene Mindestlohnregelung für allgemeinverbindlich erklären lassen kann, wie es bislang schon bei 14 Branchen in Deutschland der Fall ist, in der Regel übrigens mit einer unteren Lohngrenze, die über 8,50 Euro liegt. Dass das, was wir vorhaben, nicht nur ein frommer Wunsch ist, sondern bereits Wirkung gezeigt hat, zeigen die folgenden Beispiele: In den vergangenen Legislaturperioden wurden hier mehrere Reden gehalten, in denen immer wieder ein Mindestlohn von 3,50 Euro für Friseure in Ostdeutschland angeführt worden ist. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 3,80 Euro!) Das gibt es mittlerweile nicht mehr. Das Friseurhandwerk hat es geschafft, in Deutschland einen einheitlichen Tarifvertrag hinzubekommen. Das ist eine großartige Leistung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Im Umfeld des Bundestagswahlkampfes ist über skandalöse Verhältnisse bei der Entlohnung von Arbeiterinnen und Arbeitern in den großen fleischverarbeitenden Unternehmen unseres Landes diskutiert worden. Die Diskussion ist beendet. Wir haben vor wenigen Wochen einen Mindestlohn für das Fleischerhandwerk in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen. Das ist eine großartige Leistung der Tarifpartner. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In diesen Tagen verhandeln Gewerkschaft und Arbeitgeber darüber, ob sie bundesweit die Lohnregelungen für das Hotel- und Gaststättengewerbe, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Landwirtschaft und für das Bäckerhandwerk so ausgestalten, dass sie ebenfalls in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden können. Mit unserem Gesetzentwurf stärken wir zuallererst die Tarifpartner. Hut ab vor den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden, die sich jetzt anstrengen, einen vernünftigen Tarif auf den Weg zu bringen und endlich Zustände zu beenden, in denen Tarife kaum noch oder gar nicht mehr Geltung haben! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Mindestlohn ist für uns kein Referenzlohn neuer Art, sondern eine untere Auffanglinie für all die Bereiche, in denen es leider nicht gelingt, einen Tarifvertrag abzuschließen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sicherlich wäre es uns allen, zumindest uns in der Koalition, lieber, es gäbe überall einen gültigen Tarifvertrag und wir bräuchten keinen Mindestlohn. Der Mindestlohn ist ein Hilfsinstrument. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) In der Tat legen wir den Mindestlohn zum ersten Mal durch einen Beschluss des Bundestages auf 8,50 Euro fest. Wir haben uns aber – dafür bin ich sehr dankbar – in der Koalition darauf geeinigt, dass der Mindestlohn in Zukunft durch eine gemeinsame, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzte Kommission festgelegt wird. Wir wollen, dass nicht wir im Deutschen Bundestag, sondern diejenigen, die etwas von Lohnfindung verstehen und deren tägliches Geschäft das ist, in Zukunft definieren, wie der Mindestlohn steigt. Das heißt, auch bei der Festlegung des Mindestlohns wählen wir einen Weg zur Stärkung der Sozialpartnerschaft. Die Gewerkschaften und die Arbeitgeber haben es künftig in der Hand, wie der Mindestlohn in Deutschland definiert wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir haben der Kommission durch die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen noch zusätzliche Aufgaben übertragen, indem sie sich auch um die Evaluierung und die Auswertung der Evaluierung der Mindestlohnregelung kümmert, also sehr genau hinschaut und begründet, wie sich der Mindestlohn künftig entwickeln soll. Meine sehr geehrten Damen und Herren, von vielen Wissenschaftlern in Deutschland wird immer die Frage gestellt, ob ein Mindestlohn zu einer sozialen Marktwirtschaft passt. Ich glaube, da liegt zum Teil ein Missverständnis vor. Soziale Marktwirtschaft ist in der Tat eine Wettbewerbsordnung, aber sie ist keine Wettbewerbsordnung für Lohndumping. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es geht in der sozialen Marktwirtschaft nicht darum, dass der einen Vorteil hat, der den niedrigsten Lohn zahlt, sondern darum, dass sich derjenige mit seinem Produkt oder seiner Dienstleistung gut positioniert, der im Wettbewerb um gute Qualität, um gute Ideen, um gute Dienstleistungen, um mehr Kreativität antritt. Das ist Wettbewerb in der sozialen Marktwirtschaft. Es ist nicht ein Wettbewerb um Lohndumping; Lohndumping gehört nicht zur sozialen Marktwirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir einige Ausnahmen bzw. eine zweijährige Übergangsfrist vorsehen, dann bedeutet das nicht, dass wir am Prinzip einen Abstrich machen. Wir wollen vielmehr, dass auf dem Weg zu einem allgemeinen Mindestlohn in Deutschland alle Branchen und alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitgenommen werden. Es wäre schlimm, wenn die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns zum Verlust von Arbeitsplätzen und zur Zunahme von Schwarzarbeit führen würde. Deshalb finde ich die Debatte um die Ausnahmen auch reichlich daneben. Es geht uns nicht darum, dauerhaft Ausnahmen zu machen, sondern wir wollen sinnvolle Übergänge schaffen, damit in allen Bereichen in Deutschland die Menschen zu einem anständigen und angemessenen Lohn kommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei den unter 18-Jährigen ist es auf Dauer!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, guter Lohn für gute Arbeit – das gehört für uns wesentlich zu einer sozialen Marktwirtschaft. Deshalb ist dieses Gesetz, das wir heute zur Stärkung der Tarifautonomie und zur Vermeidung von Lohndumping in Deutschland beschließen, ein Gesetz, mit dem wir die Ideen der sozialen Marktwirtschaft in unserem Land stärken. Ich freue mich, dass das deutsche Parlament diesem Gesetz, das ein Gesetz zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft, zur Stärkung der Sozialpartnerschaft und zur Stärkung der Tarifpartnerschaft ist, mit großer Mehrheit zustimmt. Heute ist ein guter Tag für unser Land. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, erinnere ich daran, dass wir gleich zwei namentliche Abstimmungen durchführen werden. Ich mache darauf aufmerksam, dass im Laufe des Tages weitere namentliche Abstimmungen folgen werden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Unglaublich!) Wir kommen zur Abstimmung über den von der -Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie. Es liegen 36 Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vor.1 Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt -unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2010 (neu), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1558 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen drei Änderungs-anträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen. Wir beginnen dabei mit einem Änderungsantrag, zu dem eine namentliche Abstimmung verlangt wurde. Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren Namen tragen. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2019. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/2019. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.2 Ich möchte Sie bitten, sich jetzt zu Ihren Plätzen zu begeben, bevor wir zur Abstimmung über zwei weitere Änderungsanträge der Fraktion Die Linke kommen. Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2017 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir stimmen über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/2018 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. (Unterbrechung von 12.51 Uhr bis 12.59 Uhr) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder Platz zu nehmen. Ich gebe zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 122, mit Nein haben gestimmt 479, Enthaltungen keine. Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion Die Linke abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 601; davon ja: 120 nein: 481 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özo?uz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die absolute Mehrheit – das sind 316 Stimmen – erforderlich. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall. Ich eröffne die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Bitte! – Haben jetzt alle ihre Stimme abgegeben? – Ich sehe, das ist der Fall. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.3 4 Wir kommen jetzt zur Abstimmung über zwei Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2020. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2021. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 4 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro Stunde einführen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2010 (neu), den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/590 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile Ihnen mit, dass sich die Fraktionen verständigt haben, den Tagesordnungspunkt 8 – es handelt sich um den Jahresbericht 2013 des Wehrbeauftragten – von der Tagesordnung -abzusetzen. An dieser Stelle sollen nunmehr die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b – es handelt sich um Vorlagen zu Renten in Ostdeutschland – beraten werden. Ich weise darauf hin, dass wir zu diesen Tagesordnungspunkten eine namentliche Abstimmung durchführen werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl Holmeier, Thomas Jarzombek, Patrick Schnieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Martin Dörmann, Kirsten Lühmann, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Moderne Netze für ein modernes Land – Schnelles Internet für alle Drucksache 18/1973 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Ulrich Lange, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist der Minister? Schade eigentlich! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Staatssekretär ist da!) Ulrich Lange (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! … wir müssen die Versorgung mit Breitband verbessern … Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Es geht in diesem Zusammenhang darum, dass wir die Telekommunikations- und Netzunternehmen beim Ausbauprozess durch vernünftige Rahmenbedingungen unterstützen … So Bundeskanzlerin Angela Merkel am 25. Juni im Rahmen der Haushaltsberatungen. Mit der „Netzallianz Digitales Deutschland“ hat unser Bundesminister Alexander Dobrindt das richtige Format gewählt, um ebendiese vernünftigen Rahmenbedingungen gemeinsam mit der Branche zu erarbeiten; denn wir haben uns als Koalition ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: flächendeckend 50 Megabit pro Sekunde für alle Bürgerinnen und Bürger. Der nun hier vorliegende Antrag – es ist ein ambitionierter Antrag; das sieht man auch an seinem Umfang – versteht sich als ein konstruktiver und konkreter Beitrag zu ebendieser Netzallianz. Die Vorstellungen der Koalitionsfraktionen, von Union und SPD, sollen auf diese Weise in das Kursbuch für den Breitbandausbau Eingang finden, und wir sind zuversichtlich, hier gute Akzente zu setzen. Beim Zugang zur digitalen Welt handelt es sich um die grundlegenden Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe am öffentlichen und wirtschaftlichen Leben und um die Frage der Innovationsgerechtigkeit. Betroffen sind Stadt und Land, Ost und West und unser Land als europäischer und Weltwirtschaftsstandort. Ziel ist es, in wettbewerblichen Strukturen eine starke deutsche und europäische Telekommunikations- und IT-Industrie sicherzustellen und den Breitbandausbau insbesondere im ländlichen Raum konsequent voranzutreiben. Dass es dabei keine allgemeingültige, keine einfache und auch nicht nur eine einzige Lösung gibt, zeigt der Antrag in seiner Vielschichtigkeit. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen auch und insbesondere pragmatische Ansätze. Wir wollen eines vermeiden: Brüche im Regulierungsregime. Bund, Länder und Kommunen profitieren gemeinsam vom Breitbandausbau. Deshalb muss auch jede staatliche Ebene ihren -Beitrag leisten. Wir setzen dabei insbesondere auf -folgende Schwerpunkte: deutliche Kostenreduzierung beim Ausbau der Glasfasernetze mit einer entsprechenden Umsetzung der Kostenreduzierungsrichtlinie der EU im Breitbandinfrastrukturausbaugesetz, den schnellen -Einsatz hochleistungsfähiger Mobilfunkfrequenzen, den effizienten Einsatz von Fördermitteln, aber nur dort, wo es wirtschaftlich keine sinnvollen Lösungen für den Netzausbau gibt. Dann wollen wir den Blick auf die europäische Ebene lenken. Eines ist für uns auch klar: Es darf von dort zu keinen Maßnahmen kommen, die sich negativ auf den Breitbandausbau auswirken. 80 Prozent der Kosten sind Grabungskosten. Deswegen ist der Breitbandausbau – liebe Kolleginnen und Kollegen, das wissen wir alle, die wir aus dem ländlichen Raum kommen – insbesondere im ländlichen Raum so teuer und teilweise schwierig. Das heißt aber, dass wir die Synergien durch die Mitnutzung anderer Infrastrukturen nutzen müssen. Es gibt Hunderte von Abwasserleitungen, Wasserleitungen, Stromleitungen und sonstigen Verkehrsnetzen, die derzeit nur auf freiwilliger Basis mitgenutzt werden. Hier wollen wir einen Rechtsanspruch auf Mitnutzung vor Ort. Ich habe gesagt, wir brauchen pragmatische Lösungen. Dazu gehört, dass bei Verkehrsprojekten, zum Beispiel bei Brückensanierungen, verpflichtend Leerrohre mitverlegt werden. Auch bei der Querung von Bahntrassen darf es nicht zu monatelangen Diskussionen, Verhandlungen und Verzögerungen kommen. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Jahre!) Gerade in dem Bereich – Stichwort für alle Liebhaber unter anderem: Hindenburgdamm – müssen wir schneller und besser werden. Auch die Oberlandleitungen, die wir im ländlichen Raum noch haben, eignen sich, um hier Glasfaserleitungen anzusetzen. Teuer verbuddeln können wir auch später noch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer dann, wenn es zu Streitfällen kommt, brauchen wir schnelle und verbindliche Entscheidungen. Es darf nicht sein, dass der Breitbandausbau durch eine juristische Salamitaktik über Monate und Jahre ins Stocken gerät. Hier muss die Bundesnetzagentur schnell verbindlich entscheiden können. Der Einsatz von mobilem Breitband ist zwingend notwendig, insbesondere im ländlichen Raum: kurzfristig, um leistungsfähige Internetzugänge zu schaffen, mittel- und langfristig für innovative Geschäftsmodelle im -Verkehrs- und Logistikbereich. Wir müssen auch im 700-Megahertz-Bereich die Weichen stellen. Dieser Bereich etabliert sich weltweit als nächster Standard für die mobile Breitbandanwendung. Wir werden – auch das haben die Diskussionen gezeigt – natürlich auf die Belange des Rundfunks Rücksicht nehmen und die Interessen von Behörden und die Sicherheitsaufgaben unseres -Landes ausreichend berücksichtigen. Aber am Ende des Tages muss bei den 700-Megahertz-Frequenzen ein attraktiver Bereich für den Breitbandausbau übrig bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist unsere Aufforderung an Bund und Länder zum nationalen Konsens: konstruktiv, zügig und zielorientiert zu arbeiten. Verzögerungen schaden uns allen am Standort Deutschland. Wir wissen, dass der Breitbandausbau in gewissen Teilen des Landes und insgesamt von uns ohne Förderung nicht gestemmt werden kann. Das gilt insbesondere im Hinblick auf mögliche Erlöse aus den Frequenzvergaben. Hier würden wir gerne Haushaltsspielräume nutzen, wohl wissend, dass die Haushaltskonsolidierung auch in dieser Koalition ein hohes Gut ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Fördern und Fordern: Immer nur dann Geld zur Verfügung stellen, wenn alle Maßnahmen zur Reduzierung der Ausbaukosten vor Ort genutzt sind. Wir wollen die erfolgreiche Arbeit des Breitbandbüros auch in diesem Zusammenhang weiter ausbauen und stärken. Wir haben seit Beginn unserer Tätigkeit als Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur dessen wertvolle Arbeit kennengelernt. Auch darauf liegt unser Augenmerk. Ich habe schon gesagt, dass wir darauf achten müssen, dass von Brüssel aus nicht negativ auf den Breitbandausbau in Deutschland eingewirkt wird. Hierzu gehört auch, sich bei der Diskussion um die Netzneutralität nicht gänzlich von netzpolitischen Erwägungen leiten zu lassen. Wettbewerbs- und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen müssen vielmehr so ausgestaltet sein, dass Investitionen in den Ausbau hochleistungsfähiger Netze weiterhin wirtschaftlich tragfähig sind. Für den Verbraucher muss transparent und erkennbar sein, -welche Bandbreite des Anschlusses bei ihm zu Hause tatsächlich nutzbar ist. Das ist eine wichtige Forderung von uns. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Martin Dörmann [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir legen mit diesem Antrag die Sicht des Parlamentes und der Koalitionsfraktionen dar, und wir legen ein Maßnahmenpaket für den zukünftigen Breitbandausbau vor, das nun in der Netzallianz Digitales Deutschland des Bundesministeriums einen entsprechenden Niederschlag finden wird; davon sind wir überzeugt. So ist es möglich, über die Ebenen gemeinsam das von uns im Koalitionsvertrag vereinbarte, wirklich ehrgeizige Ziel eines Breitbandausbaus bis 2018 flächendeckend mit 50 Megabit pro Sekunde zu erreichen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, darf ich Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 535, mit Nein haben gestimmt 5, Enthaltungen 61. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 601; davon ja: 535 nein: 5 enthalten: 61 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Lammert Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özo?uz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Gitta Connemann Dr. Thomas Feist Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Jana Schimke Enthalten CDU/CSU Veronika Bellmann Ulrich Petzold DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) Der Gesetzentwurf hat die erforderliche Mehrheit nach Artikel 87 Absatz 2 Grundgesetz erreicht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Herbert Behrens, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Schnelles Internet für alle“, wie es im Titel des Antrags heißt, klingt gut, das gebe ich zu. Nun muss man aber auch alles tun, um zumindest genauso schnell an das Umsetzen heranzugehen. Ich will noch einen Punkt hinzufügen, nämlich: Schnelles Internet für alle und für alle bezahlbar. (Beifall bei der LINKEN) Nur dann ist ein wirklich freier Zugang zum Netz möglich. Ist das gewährleistet, bekommt die Regierung die notwendige Unterstützung in der Gesellschaft, und es bleibt nicht bei einer digitalen Spaltung. Nun reden wir nicht das erste Mal über dieses Thema und über den Ausbau der Netze. Der Koalitionspartner CDU/CSU hat bereits 2009 in der damaligen Koalition eine Breitbandstrategie vorgelegt mit dem Ziel, kurzfristig flächendeckend 1 Megabit pro Sekunde zu erreichen. Bis Ende 2014 sollten drei Viertel aller Haushalte mit bis zu 50 Megabit Downstreamgeschwindigkeit ausgestattet sein. Die tatsächliche Zahl lautet: Ende 2013 waren erst knapp 60 Prozent aller Haushalte so versorgt. Dennoch ist der Fortschritt beachtlich. Doch der -Datenverkehr wird in den nächsten Jahren erheblich zunehmen. Der Breitbandausbau muss jetzt mit Druck -vorangetrieben werden, damit die Menschen an ihrem Wohnort in modernen Betrieben einen modernen Arbeitsplatz finden können, dessen technische Infrastruktur digital aufgebaut ist, damit sie Zugang zu moderner Bildung an Schulen und Hochschulen haben und damit sie auch im Privatleben digitale Angebote nutzen können. Die Linke unterstützt deshalb die Initiativen für ein -flächendeckendes, schnelles Internet; wir haben bereits Anträge dazu vorgelegt. (Beifall bei der LINKEN) Nur sie bieten, wenn sie wirklich so ausgestaltet sind, dass sie gut realisiert werden können, gleiche Lebenschancen in Stadt und Land, in Ost und West und ohne Barrieren. Nun sind die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass es dazu kommt. Das heißt im Wesentlichen, Geld in die Hand zu nehmen; denn es wird teuer, die letzten 40 Prozent der Haushalte an das Glasfasernetz anzuschließen. Wir wissen, dass es schwierig sein wird, diese Leistung auf dem Land zu erbringen. Dort ist es nämlich, anders als in den Ballungsräumen, für die großen Investoren und Telekommunikationsunternehmen nicht interessant, zu investieren; dort wird erheblicher Mangel festzustellen sein. Die Koalition eint zwar die feste Überzeugung, dass nur im Rahmen „wettbewerblicher Strukturen“ – so nennen Sie das – bis 2018 flächendeckend eine Internetversorgung mit 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung gestellt werden kann. Aber wie auf diesem Wege die benötigten Investitionsmittel von 20 Milliarden Euro zusammenkommen sollen, bleibt Ihr Geheimnis. Der Wettbewerb soll es bringen, heißt Ihre Devise. Wo die privaten Investoren nicht einsteigen wollen, soll es öffentliche Förderung geben, damit sich das Geschäft auch lohnt. Ich denke, öffentliche Zuschüsse können einen wesentlichen Schub auslösen, damit der Netzausbau nicht ausschließlich über bessere Marktbedingungen realisiert werden muss. Auch Kommunen, kommunale Stadtwerke und Genossenschaften sind Investoren, die das hinbekommen können, (Beifall bei der LINKEN) und zwar ohne bei ihren Investitionen auf den höchsten Gewinn zu schauen. Schon heute gibt es viele Beispiele dafür, dass es auf diese Art erfolgreich praktiziert wird: in Marburg, in Moos, in Herrieden und anderswo. Auf der Internetseite des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie wird auf diese Art basisorientierter Selbstversorgung hingewiesen; im Antrag von CDU/CSU und SPD kommt nicht einmal das Wort „Genossenschaft“ vor. Investitionen in die Zukunft müssen den Menschen in den Mittelpunkt rücken und nicht die Profitinteressen von Investoren. (Beifall bei der LINKEN) Die Kommunen sollen wichtige Aufgaben übernehmen, um den Breitbandausbau voranzubringen, fordert der Antrag. Das macht Sinn, denn die Kommunen besitzen, bauen und unterhalten die technische Infrastruktur für ihre Bürgerinnen und Bürger. Aber da stellt sich die Frage, wie sie das finanziell leisten sollen. Bei Baumaßnahmen sollen gleichzeitig Leerrohre verlegt werden, damit das Glasfaserkabel später einfach durchgezogen werden kann. Aber viele Kommunen, insbesondere die, die finanziell knapp dran sind, können das gar nicht leisten; denn die Kommunalaufsicht würde ihnen überhaupt nicht genehmigen, Mittel für diese zusätzliche Investition in ihren Haushalt einzustellen, weil es sich hierbei um sogenannte freiwillige Leistungen handelt. Im Antrag heißt es: „Hier muss den Kommunen die Möglichkeit gegeben werden, in zukunftsweisende Breitbandinfrastruktur zu investieren.“ Ja, wie denn? Kommunen brauchen mehr Geld für eine gute soziale -Infrastruktur und auch für eine gute technische Infrastruktur. Darum fordert die Linke ein Zukunftsinvesti-tionsprogramm für Kommunen. (Beifall bei der LINKEN) Es könnte ohne neue Schulden finanziert werden. Allein, wenn Reiche und Superreiche wieder stärker besteuert würden, wenn deren Steuern zumindest auf das Niveau der Regierungszeit Helmut Kohls angehoben würden, wären wir dem Ziel eines schnellen Internets für alle schon ein gehöriges Stück näher. (Beifall bei der LINKEN) Die Kommunen sind aus einem weiteren Grund ein wichtiger Partner bei der Breitbandversorgung – Sie schreiben es selbst in Ihrem Antrag –: Die Kommunen sind Träger von Baumaßnahmen, sie verfügen über Geoinformationen, über Planungs- und Bauämter. Aber wie sind diese Ämter denn personell ausgestattet? Kommunalpolitiker wissen es: Seit Jahren bauen Kommunen Personal ab, weil sie ihre Haushalte ausgleichen sollen oder weil sie sich aus Aufgaben zurückziehen. Und nun sollen sie die – nicht vorhandenen – personellen Ressourcen für den Breitbandausbau auf regionaler Ebene einsetzen? Das ist doch absurd. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, schnelles Internet für alle ist nicht zu verwirklichen, wenn man schöne Ziele nur formuliert und es ausschließlich bei Ankündigungen einzelner Gesetzesänderungen und bei Absichtserklärungen belässt. Es muss richtig viel Geld in die Hand genommen werden; das wissen Sie. Minister Dobrindt weist immer auf die Digitale Dividende II, also Geld aus Frequenzvergaben, hin. Die entsprechenden Mittel reichen aber nicht aus. Wir reden hier über 1,2 Milliarden Euro, die vielleicht in die Kasse kommen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht!) Angesichts der Ziele, die Sie sich selbst gestellt haben, ist mindestens die zehnfache Summe nötig; das wissen Sie. Es bleibt nur eins: Entweder Sie backen kleinere Brötchen, oder Sie präsentieren ein realistisches Finanzierungskonzept. Ich hoffe – nein, ich fordere –, dass Sie sich für das Letztere entscheiden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist Martin Dörmann. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Martin Dörmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Digitalisierung und das Internet haben immer größeren Einfluss auf alle Lebensbereiche. Der viel zu früh verstorbene Frank Schirrmacher wurde nicht müde, auf den gesellschaftlichen Wandel durch das Internet hinzuweisen. Er sprach von einer „Informationsexplosion“, die einen ähnlichen Effekt auf die Menschen habe wie die industrielle Revolution. Vor diesem Hintergrund gilt es, dafür zu sorgen, niemanden im „vordigitalisierten“ Zeitalter zurückzulassen; um bei Schirrmachers Bild zu bleiben. Gerade auch die Wirtschaft ist immer stärker von einer leistungsfähigen IT-Infrastruktur abhängig. Schnelles Internet muss deshalb für alle Menschen und Regionen in ganz Deutschland verfügbar sein. Es sichert gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten und wirtschaftliche Chancen. Im Koalitionsvertrag streben Union und SPD eine flächendeckende Breitbandabdeckung mit Geschwindigkeiten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde an. Das ist ein wahrlich sehr ehrgeiziges Ziel gerade vor dem Hintergrund, dass die diesbezügliche Versorgungsquote Ende letzten Jahres erst bei 60 Prozent lag. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!) Selbst wenn man die in den nächsten Jahren bereits angekündigten Investitionen der Unternehmen – das sind Milliardeninvestitionen – durchaus berücksichtigt, wird ohne zusätzliche Maßnahmen etwa jeder vierte oder fünfte Haushalt in Deutschland unterversorgt bleiben. Damit würden ganze Regionen vom digitalen Fortschritt abgehängt. Diese digitale Spaltung gilt es zu vermeiden bzw. zu überwinden. Deshalb will die Koalition die Rahmenbedingungen dafür schaffen, Breitbandinvestitionen deutlich nach vorne zu bringen. Mit dem vorliegenden Antrag legen wir ein schlüssiges Gesamtkonzept mit einer Vielzahl konkreter -Maßnahmen vor. Ich freue mich, dass darin viele Punkte enthalten sind, die wir in der SPD-Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode in unserem Projekt „Infrastrukturkonsens“ erarbeitet haben. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion, aber durchaus auch bei allen in der Unionsfraktion bedanken, dass es uns gelungen ist, gemeinsam einen sehr umfassenden Antrag vorzulegen, und das in relativ kurzer Zeit. Das ist ein hoher Anspruch, den wir aber erfüllen wollen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Den Dank erwidern wir!) Wir setzen auf einen Technologiemix. Nur wenn wir die Potenziale der unterschiedlichen Technologien, insbesondere DSL, Kabel, Glasfaser, Satellit und Funktechnologie, miteinander verbinden, können wir die Breitbandziele erreichen. Es geht also um eine optimale Kombination aus guten Festnetz- und Mobilfunkanwendungen, die jeweils eine hohe Bandbreite beinhalten. Wo liegt nun die größte Herausforderung beim Breitbandausbau? In städtischen Gebieten, in denen viele Kunden wohnen, gibt es eine gute Versorgung, weil es dort einen Infrastrukturwettbewerb gibt. Etwa 60 Prozent der Haushalte werden von Kabelunternehmen versorgt. Die TK-Unternehmen ziehen mit hohen Bandbreiten nach, um konkurrenzfähig zu sein. Das ist die eine Seite der Medaille. Im ländlichen Raum haben wir eine ganz andere Situation. Dort handelt es sich eben nicht um dichtbesiedelte Regionen mit ganz vielen Kunden, sondern um eher dünner besiedeltes Gebiet. Die Strecken bis zum Kunden sind länger, und dadurch sind die Kosten pro Haushalt höher. Laut einer TÜV-Studie aus dem letzten Jahr liegen die Kosten in den unterversorgten Gebieten, je nach Region, pro Haushalt im Schnitt zwischen 700 und 4 000 Euro. Das ist angesichts der üblichen Flatratetarife natürlich ein hoher Betrag. Daran erkennt man, dass es sich heute nicht unbedingt in jeder Region lohnt, zu investieren. Das Hauptproblem beim Breitbandausbau ist die -beschriebene Wirtschaftlichkeitslücke in weniger dicht besiedelten Gebieten. Deren Folge sind zu geringe Investitionen und geringe Internetbandbreiten. Genau da setzt der Antrag der Koalition an. Um zusätzliche Investitionsanreize zu setzen und Wirtschaftlichkeitslücken zu schließen, schlagen wir ein Maßnahmenbündel vor, das auf fünf Säulen beruht. Erste Säule. Wir wollen eine innovations- und investitionsfreundliche Regulierung sicherstellen und den Wettbewerb stärken; denn auch in Zukunft brauchen wir die Milliardeninvestitionen möglichst vieler TK-Unternehmen. Der Staat selber würde sich übernehmen, könnte es sich auch gar nicht leisten, die Netze selber auszubauen und alleine zu finanzieren. Zweite Säule. Um Ausbaukosten zu senken und damit die Wirtschaftlichkeitslücken zumindest teilweise zu schließen, brauchen wir eine optimale Hebung von -Synergieeffekten; das ist bereits vom Kollegen Lange erwähnt worden. Darunter verstehen wir die Nutzung bzw. Mitnutzung bereits bestehender Netzinfrastrukturen für den Breitbandausbau. Es geht also um Strom-, Gas-, Fernwärme- oder Abwassernetze, in die dann Kabel- oder Glasfasernetze mit verlegt werden können. Hier sorgen wir mit zahlreichen neuen Regelungen dafür, dass das erleichtert wird. Dritte Säule. Wir wollen die Potenziale von Funkfrequenzen für den Breitbandausbau konsequent nutzen. Deutschland braucht beides, eine hochleistungsfähige Glasfaserinfrastruktur und ein modernes Mobilfunknetz. Wir alle wollen ja mit hohen Geschwindigkeiten nicht nur am Heim-PC arbeiten, sondern unterwegs auch auf dem Tablet und dem Smartphone. Funktechnologie ersetzt aber nicht den weiteren Festnetzausbau, sondern ergänzt diesen. Allerdings bietet gerade der weiterentwickelte Mobilfunkstandard LTE--Advanced durchaus Möglichkeiten, den Breitbandausbau gerade in den ländlichen Räumen kostengünstiger und damit schneller mit höheren Bandbreiten zu realisieren. So ließen sich laut der zitierten TÜV-Studie die Kosten für die teuersten 5 Prozent der Haushalte um 8 Milliarden Euro senken, wenn wir das zusätzlich mit LTE-Advanced machten. Auch das wäre also ein Beitrag zur Kostensenkung und damit zur Schließung der Wirtschaftlichkeitslücke. Besonders heiß wird in diesem Zusammenhang die Nutzung der sogenannten Digitalen Dividende II diskutiert. Hierbei geht es um die Frequenzen im 700Megahertz-Band, die derzeit vom Rundfunk genutzt werden. Wir unterstützen ausdrücklich die Länder und die Rundfunkanstalten bei ihrem gemeinsamen Ziel, den Umstieg dort auf den neuen, zukunftsträchtigen Standard DVBT2 vorzunehmen; denn damit können terrestrische Rundfunkanbindungen mit HD-Qualität realisiert, eine stärkere Durchdringung bei der Bevölkerung erreicht und im Übrigen beim Rundfunk Kosten und Frequenzbelegungen eingespart werden. Hierdurch frei werdende Frequenzen sollen nach dem Umstieg aus unserer Sicht vorrangig für den Breitbandausbau genutzt werden, wobei klar ist, dass wir bei der neuen Frequenzordnung die Belange anderer Bedarfsträger berücksichtigen werden, nämlich insbesondere von Kultureinrichtungen, die drahtlose Mikrofone nutzen, oder die Sicherheitsfrequenzen im Bereich der Polizei und der Feuerwehr. Wir hoffen, dass die derzeit laufenden Gespräche -zwischen dem Bund und den Ländern insofern bald zu einem Erfolg führen und abgeklärt wird, bis wann DVBT2 umgesetzt werden kann. Anschließend können diese Frequenzen auch für den Breitbandausbau genutzt werden. Vierte Säule. Ja, um unsere ehrgeizigen Breitbandausbauziele bis 2018 erreichen zu können, brauchen wir eine effiziente und stärkere finanzielle Förderung für unterversorgte Gebiete. Förderprogramme sollen Wirtschaftlichkeitslücken nicht nur schließen, sie sollen auch zusätzliche private Investitionen anregen, und das mit einem Faktor 1: 3 oder 1: 4, je nach Ausgestaltung. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Dörmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Martin Dörmann (SPD): Gerne. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege Dörmann. – Sie sprachen eben an, dass Sie die kabellosen Mikrofone der Kulturschaffenden schützen wollen. Ich stelle die Frage, wie das stattfinden soll, da es zurzeit weder ausgereifte technische Lösungen gibt, dass das Frequenzband für diesen Bereich umgestellt werden kann, noch klar ist, welches künftige Frequenzband von Kulturschaffenden und Veranstaltungen genutzt werden kann. Da dies nicht klar ist, Sie aber gleichzeitig eine Beschleunigung der Abgabe und der Versteigerung dieser Frequenzen ankündigen, frage ich Sie wirklich, wie die Kultur- und Veranstaltungslandschaft in unserem Land als ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geschützt werden soll. Vor allen Dingen frage ich Sie, warum Sie, da die Bänder um 1 800 Megahertz nach wie vor noch nicht richtig ausgenutzt werden und noch genügend Kapazitäten bestehen, nicht darauf drängen, dass diese Kapazitäten genutzt werden, bevor Sie eine Chance für Kultur und Veranstaltungen in unserem Land kaputtmachen oder zumindest erschweren. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke, Herr Kollege Lenkert. – Bitte schön, Herr Kollege Dörmann. Martin Dörmann (SPD): Herr Kollege Lenkert, ich bin dankbar für diese Frage, weil sie durchaus Besorgnisse aufgreift, die auch an uns herangetragen werden. Ich versichere Ihnen, dass wir diese Besorgnisse nicht nur sehr ernst nehmen, sondern auch an Lösungen arbeiten. Es ist nicht ganz richtig, dass es dafür keine Vorschläge gibt; denn die Bundesnetzagentur hat in ihrem Projekt 2016 bereits im letzten Jahr dargestellt, wo die Frequenzbedarfe anderer Bedarfsträger, insbesondere bei den drahtlosen Produktionsmitteln, also auch der Kultureinrichtungen, liegen. Sie sind nämlich in dem etwas unteren Bereich angesiedelt, der ökonomisch günstiger ist als der Bereich um 1 800 Megahertz, in dem höhere Kosten anfallen. Das ist also genau der Punkt, der jetzt geklärt wird. Das ist auch Bestandteil der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. Sie wissen, es gab Eckpunkte, die noch nicht endgültig verifiziert sind. Die klare Maßgabe ist: Bevor die Frequenzverordnung geändert wird – das kann nur im Einvernehmen mit den Ländern geschehen –, werden diese Punkte geklärt. Darum gibt es diese Arbeitsgruppe der Beteiligten. Sie können gewiss sein: Wir werden keiner Änderung der Frequenzverordnung zustimmen, sofern die von Ihnen und mir geschilderten Fragen nicht gelöst sind. Ich denke, wir werden eine sehr befriedigende Lösung finden. Sie haben gefragt, warum der Bereich von 1 800 Megahertz nicht noch stärker für den Mobilfunk genutzt wird. Warum brauchen wir auch den 700-Megahertz-Bereich? Es ist einfach so: Je größer der Kuchen ist, den Sie für Breitband zur Verfügung haben, desto höhere Bandbreiten können Sie verwirklichen. Sie brauchen nämlich bestimmte Frequenzpakete. Der Standard LTE-Advanced ist ein zukunftsträchtiger Standard. Ich bin davon überzeugt, dass er in fünf Jahren in technischer Hinsicht noch ganz andere Bandbreiten ermöglichen wird als die, die wir heute kennen. Deshalb müssen alle Frequenzen zusammen betrachtet werden. Dazu gehört die 900er-, die 1 800er-, aber auch die 700er-Frequenz. Sie wissen ebenso wie ich, dass der Bedarf an mobilen Breitbandangeboten ständig wächst. Der größte -Zuwachs hinsichtlich der Internetnutzung wird zurzeit im Mobilfunkbereich verzeichnet. Dafür müssen wir ein zukunftsfestes Konzept entwickeln. Der 700-Megahertz-Bereich – das ist vom Kollegen Lange bereits angesprochen worden – ist nun einmal der Bereich, der international auch für die Nutzung von Mobilfunk vorgesehen ist. In anderen Ländern gibt es die gleichen Bestrebungen. Bald wird es auch mehr Endgeräte geben, die den LTE-Standard beherrschen. Das wäre aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer der optimale Erfolg. Daran arbeiten wir. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich habe bereits geschildert, dass es darauf ankommt – Stichwort „vierte Säule“ –, dass wir zusätzliche finanzielle Mittel generieren, um die Wirtschaftlichkeitslücke zu schließen. Uns ist bewusst, dass das bei unserem Breitbandkonzept die größte Herausforderung ist. Klar ist: Wir brauchen zusätzliche Mittel im Bundeshaushalt, und das vor dem Hintergrund, dass wir nach wie vor das Ziel haben, nicht nur im nächsten, sondern auch in den folgenden Jahren einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen. Von daher steht in unserem Antrag, dass es Aufgabe des Ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur und des Finanzministeriums ist, mögliche Haushaltsspielräume zu prüfen und zu eröffnen. Dies-bezüglich kommen in der Tat die möglichen Erlöse aus Frequenzvergaben im Jahr 2015 in Betracht. Wir hoffen – das ist dargestellt worden –, dass es eine Klärung bei der Frage der Digitalen Dividende II, also im 700-Megahertz-Bereich geben wird. Zusätzlich gibt es andere -Frequenzbereiche, die unabhängig von der Zustimmung der Länder in jedem Fall 2015 zur Vergabe anstehen. Die Bundesnetzagentur hat das ausgerechnet: Sie erwartet Mindesteinnahmen von 1 Milliarde Euro aus diesen Bereichen. Wenn es zu einer Versteigerung kommt oder der 700-Megahertz-Bereich einbezogen werden kann, wird dieser Betrag noch deutlich höher sein. Ich freue mich, dass die Bundesregierung bereits angekündigt hat, zusätzliche Einnahmen aus dem Bereich 700 Megahertz für den Breitbandausbau zu nutzen. Die Bundeskanzlerin höchstpersönlich hat das in der letzten Woche in der Generaldebatte so dargestellt. Ich komme nun zur fünften und letzten Säule. Neben den dargestellten Maßnahmen für Investitionsanreize und zur Schließung von Wirtschaftlichkeitslücken brauchen wir beim Breitbandausbau eine bessere Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die Koalition strebt deshalb einen nationalen Konsens zum Breitbandausbau an. Mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller Beteiligten können wir viel bewegen. Sie sehen: Die Koalition hat sich sehr ehrgeizige Ziele gesetzt, um den Breitbandausbau in Deutschland nach vorne zu bringen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass schnelles Internet für alle realisiert werden kann. Damit tragen wir dazu bei, dass gesellschaftliche Teilhabe möglich ist. Damit sichern wir aber auch unsere wirtschaftlichen Zukunftschancen. Das ist, glaube ich, ein gemeinsames Ziel aller in diesem Hause. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Tabea Rößner. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Werte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach meiner letzten Rede zum Thema Breitband kam ein Bundesminister auf mich zu – er soll hier unerkannt bleiben; er ist auch nicht anwesend – und sagte, ich solle doch nicht immer so schimpfen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das kenne ich!) worauf ich entgegnete: Ich höre gerne mit der Kritik auf, wenn es keinen Grund mehr gibt, zu schimpfen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Ich bin nicht maßlos, aber es gibt immer noch keinen Grund für diese Bundesregierung, sich zufrieden in die Sommerpause zu verabschieden. Der Breitbandausbau ist eine der drängendsten Infrastrukturaufgaben für dieses Land. Jahr für Jahr verlieren wir enorme Potenziale. Deutschland ist in Sachen Breitband weit abgeschlagen. Laut FTTH Council Europe hat gerade einmal 1 Prozent der Haushalte einen Glasfaseranschluss, und es gibt noch viele Gebiete, in denen die Menschen nur mit Modemgeschwindigkeit ins Netz kommen. Immerhin geben Sie das jetzt in Ihrem Antrag zu. Sie zitieren sogar die OECD-Studie, die wir Ihnen sonst immer um die Ohren hauen; das ist gut. Aber dann muss man auch den eigenen Minister in die Pflicht nehmen und auffordern, endlich zu liefern, liebe Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die bisherige Antwort von Herrn Dobrindt und -seinem neu geschaffenen Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur war vor allem Palaver mit der Internetwirtschaft und die Ankündigung, die Erlöse der Digitalen Dividende II in den Ausbau zu stecken. Das ist wenig. Es ist noch viel weniger, wenn man einmal auf die Fakten schaut. Resultat der sogenannten Netzallianz Digitales Deutschland ist, dass man ein Kursbuch erarbeiten will, in dem man Meilensteine festhält. Mit -Kursbüchern und Meilensteinen gewinnt man beim Buzzword-Bingo. Aber die Menschen, die dort leben, wo weiße Flecken sind, haben gar nichts davon. Die wollen heute am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Die lassen Sie im Stich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Zeit der Ankündigungen ist lange vorbei. Der Minister hat eine Zahl genannt, an der er sich messen lassen muss: 50 MBit/s. Die Koalitionsfraktionen haben nun einen Antrag vorgelegt. Man könnte ja meinen, sie sagen darin, wie sie dieses Ziel erreichen wollen. Aber statt den Minister an die kurze Leine zu nehmen und ihm Aufgaben auf die To-do-Liste zu schreiben, ergeht man sich im Hätte, Sollte, Könnte – von wegen „ehrgeizig“, lieber Kollege Dörmann. (Martin Dörmann [SPD]: Das kann man doch wohl nicht bestreiten!) Darin heißt es: Die Bundesregierung soll prüfen, sie soll Konzepte erarbeiten, es ist anzustreben und darauf hinzuwirken. Allein „die Bundesregierung sollte“ kommt in diesem Antrag 35 Mal vor. Aber: Man kann im Konjunktiv nun einmal nicht regieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Am schwierigsten ist die Finanzierungsfrage. Der Breitbandausbau kostet richtig viel Geld. Sie stellen aber nicht 1 Euro bereit und planen mit Einnahmen aus einer Frequenzversteigerung, von der noch niemand weiß, wann sie eigentlich kommt, und erst recht nicht, wie viel Geld sie überhaupt einbringt. Schon die letzte Versteigerung brachte nur halb so viel wie erwartet. Vor allem ist das nicht allein Ihr Geld; das wissen Sie. Sie sagen ja auch: Ja, über die Verwendung der Erlöse muss man dann mit dem Finanzministerium verhandeln. – Dann gibt es da ja auch noch die Bundesländer. Die wollen die Hälfte und lassen sich kaum von Ihnen vorschreiben, wofür sie das Geld einsetzen sollen. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: O ja! Vor allem diese ganzen grün regierten Länder!) Der Breitbandausbau ist in den Ländern ja auch ganz unterschiedlich weit fortgeschritten. Die für 2018 versprochenen 50 MBit/s werden Sie mit Funkanbindungen nicht erreichen, genauso wenig wie mit der ursprünglich einmal angedachten 1 Milliarde Euro. Die Kosten für den festnetzgebundenen Ausbau liegen im zweistelligen Milliardenbereich. Die Unternehmen investieren diese Milliarden nur, wenn es sich tatsächlich lohnt. Das ist auf dem Land schwierig. Deshalb werden Sie sich hier ehrlich machen müssen, woher dieses Geld denn kommen soll. Gute Regulierung hin oder her, am großen Rad drehen Sie jedenfalls nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wie kommt Breitband in ländliche Regionen, in -denen die Investitionen hoch und die zu erwartenden -Gewinne niedrig sind? Sie wollen eine Grundversorgung – immerhin. Aber den konsequenten Schritt unterlassen Sie. Wir Grüne fordern, dass jeder Haushalt einen -Anspruch auf einen Breitbandanschluss hat. Auch die SPD wollte das, bis zur Bundestagswahl. Gemessen daran ist die Forderung, jetzt doch bitte die Regionen mit unter 2 Mbit/s zu erschließen, ein trauriger Abschied von Ihren Versprechungen und das Eingeständnis eines -mageren Ergebnisses in den Koalitionsverhandlungen aufseiten der SPD. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Martin Dörmann [SPD]: Wir wollen flächendeckend 50 Megabit!) – Ja, da bin ich mal gespannt. Dafür planen Sie einen Bürgerfonds. Das klingt irgendwie nett und wie etwas Gutes für die Bürgerinnen und Bürger. Aber was steckt denn dahinter? Private Einzahler erwarten doch eine solide Rendite, wenn sie Geld in einen Fonds einzahlen. Wie sollen diese Renditen bei defizitären Breitbandprojekten denn erwirtschaftet werden? Der Ausbau in den ländlichen Regionen ist nicht lukrativ; denn sonst hätten die TK-Unternehmen das doch schon längst gemacht. Und was, wenn die erwartete Rendite dann nicht kommt? Zahlt dann der Staat die Differenz? (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ach, das ist doch Quatsch!) Das ist im besten Falle unausgegoren und im schlimmsten Falle eine große Mogelpackung für die Bürgerinnen und Bürger. Noch ein paar Worte zur Netzneutralität. Nachtigall, ick hör dir trapsen! Die gleichberechtigte Übertragung von Daten war Garant der bisherigen demokratischen Entwicklung des Internets, und sie ist elementar für dessen Zukunft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Debatte darüber führen wir seit vielen Jahren. Vorschläge zur gesetzlichen Absicherung gibt es, auch von der SPD. Aber noch immer weigern Sie sich, die Netzneutralität im Sinne der Verbraucher effektiv zu sichern. Ihre Vorschläge reichen nicht aus, die Einführung von Managed Services und Co. zu verhindern. Im Gegenteil: Sie legitimieren diese Praxis durch Ihre Initiativen sogar noch. Indem Sie auf die EU-Ebene verweisen, die Ähnliches plant, machen Sie sich als Gesetzgeber einen schlanken Fuß. Schaffen Sie endlich eine gesetzliche Regelung zur Sicherung der Netzneutralität! Das ist dringend notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber ich soll ja nicht nur schimpfen. Es ist ein Fortschritt, dass sich die Koalition zum Wettbewerb bekennt. Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes hat den Nutzern viel Gutes gebracht. Trotzdem haben Sie im Koalitionsvertrag eine Lockerung der Regulierungsauflagen angekündigt. Das hat nicht nur mich irritiert, sondern auch die ganze Branche. Na ja, vielleicht nicht die ganze Branche: Die Telekom hat sich, glaube ich, sehr darüber gefreut. Sie wäre nämlich die Profiteurin einer solchen Lockerung. Gut, dass bei Ihnen Vernunft eingekehrt ist; denn der Wettbewerb funktioniert eben nur mit mehreren Anbietern und nicht mit einem Monopolisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, wenn man zum großen Sprung ansetzt und auf halber Strecke beschließt, anzuhalten, passiert eines: Man fällt auf die Nase. Das ist beim Breitband weder dem Land noch den Menschen hier zu wünschen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Patrick Schnieder, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Patrick Schnieder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Internet ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Weite Lebensbereiche sind von einer immer stärkeren Digitalisierung durchdrungen. Das gilt für Anwendungen, die wir zu Hause nutzen, für Anwendungen im gewerblichen Bereich und zunehmend aber auch für mobile Anwendungen. Deshalb ist die Versorgung mit schnellem Internet eine Zukunftsaufgabe für Deutschland. Das gilt ganz besonders für ländliche Räume; denn dort geht es in diesem Zusammenhang zwar auch um die Zukunft von Unternehmen, Standorten und Arbeitsplätzen, aber eben auch um die Zukunft der ländlichen Räume schlechthin, nämlich um die Frage, ob Menschen in Zukunft dort noch wohnen und arbeiten wollen und können. Deshalb müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, die weißen Flecken, die wir haben – dort gibt es keine ausreichende Versorgung mit schnellen Internetverbindungen –, möglichst schnell zu beseitigen und dort zu einer flächendeckenden Versorgung mit schnellem Internet zu kommen. Das ambitionierte Ziel, das sich diese Koalition in ihrem Koalitionsvertrag gesetzt hat, ist deshalb genau richtig. Es ist auch richtig, dass wir das nicht nur in einem überschaubaren Zeitraum bis 2018 schaffen wollen, sondern dass wir auch eine Mindestversorgung mit einer Bandbreite von 50 Megabit pro Sekunde angesetzt haben; denn alles andere wird in Zukunft nicht mehr genügen. Wir werden zunehmende Datenmengen haben und deshalb auch auf immer größere Geschwindigkeiten angewiesen sein. Der Antrag, den wir als Koalition hier vorgelegt haben, ist ambitioniert, aber er wird diesen ambitionierten Zielen auch gerecht. Wir zeigen einen Weg auf, wie wir das erreichen wollen. Das werden wir nur mit einer gemeinsamen Anstrengung von Bund, Ländern und Gemeinden und auch nur mit einem Technologiemix schaffen, indem wir alle Möglichkeiten, die sich bieten, auch nutzen: sowohl kabelgebundene als auch mobile Lösungen, Funklösungen und satellitengestützte Lösungen – all das, was technisch möglich ist. Wir müssen uns auch eingestehen – das gehört zum Ehrlichmachen dazu, verehrte Frau Kollegin Rößner –, dass wir das Geld, das wir in Kürze für einen flächendeckenden Glasfaserausbau bräuchten, heute nicht zur Verfügung haben. Deshalb bin ich schon etwas erstaunt über die Lässigkeit, mit der Sie über diese Tatsache und auch über das hinweggehen, was Landesregierungen, auch von Ihnen gestützte Landesregierungen, zum Beispiel in Rheinland-Pfalz, auf den Weg gebracht haben. Dort wurden in den letzten sieben Jahren 29 Millionen Euro für den Breitbandausbau zur Verfügung gestellt. Wer dann mit dem Finger auf den Bund zeigt und Milliarden einfordert, aber nicht sagt, woher sie kommen, der macht sich unglaubwürdig. Er macht sich noch unglaubwürdiger vor dem Hintergrund, dass die genannte Landesregierung gerade 500 Millionen Euro am Nürburgring in den Sand gesetzt hat. Von diesem Geld hätten wir viele Glasfaserkabel verlegen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 10 Milliarden für die Rente!) Wir wollen einen Schwerpunkt auf die Möglichkeiten legen, die wir in den nächsten Jahren haben. Dazu gehört der kabelgebundene Ausbau. Aber dazu gehört eben auch die Nutzung von Funkfrequenzen, und zwar in doppelter Hinsicht: Wir werden nicht nur die Erlöse aus der Vergabe der frei werdenden Frequenzen in den Breitbandausbau stecken, sondern es geht eben auch um die Nutzung der 700-Megahertz-Bänder. Ich will hier sehr deutlich betonen: Wir wollen die verschiedenen Nutzer nicht gegeneinander ausspielen. Ich bin dem Kollegen Dörmann dankbar, dass er das noch einmal deutlich gesagt hat. Wir brauchen diese Frequenzen für schnelle Internetverbindungen, aber wir brauchen sie auch für den Rundfunk; das ist überhaupt keine Frage. Ich bin allerdings der Meinung, dass die Ziele, die noch bis vor kurzem in den Köpfen der Intendanten von Rundfunkanstalten waren, noch etwas ambitionierter ausgestaltet werden können. Ich glaube, dass wir noch etwas schneller darin sein können, auf den neuen Standard DVB-T2 umzustellen. Wir sollten überlegen – auch das steht in dem Antrag –, ob nicht große Ereignisse wie die Fußballeuropameisterschaft im Jahr 2016 auch für den Markt einen besonderen Anreiz bieten, eine solche Umstellung bei den Endgeräten schneller durchzuführen und dieses Ereignis in diesem Sinne zu nutzen. Aber wir sind uns einig – auch das möchte ich noch einmal betonen –: Wir brauchen die 700-Megahertz-Bänder, sowohl für den Rundfunk als auch für sicherheitsrelevante Belange, aber auch für die drahtlosen Produktionsmittel, die im Antrag genannt sind. Die Erlöse, die wir aus der Vergabe der Frequenzen erzielen, müssen wir verstärkt wieder in die Netze investieren; darin sind wir uns einig. Ich hoffe, dass wir auf nationaler Ebene den angestrebten Konsens zwischen Bund und Ländern erreichen. Ich glaube, dass man diesen Konsens finden kann. Mir wäre es auch recht, wenn möglicherweise die Länder, die an der Lösung beteiligt sind, das Geld vorrangig in den Breitbandausbau stecken; denn uns alle eint das Ziel, dass wir es möglichst schnell schaffen, für alle in Deutschland schnelles Internet verfügbar zu machen: für die Menschen in Ballungsräumen genauso wie für die Menschen im ländlichen Raum. Das brauchen wir für die Weiterentwicklung unseres Landes. Das brauchen wir für die wirtschaftliche Prosperität unseres Landes. Das brauchen wir aber auch, weil wir darauf angewiesen sind, dass Teilhabe am gesellschaftlichen Leben überall und in gleicher Art und Weise möglich ist. Deshalb werbe ich sehr eindringlich für den Antrag. Ich werbe auch eindringlich dafür, dass alle Akteure, die wir brauchen und deren Interessen wir unter einen Hut bringen müssen, Verantwortung wahrnehmen und sich am Ziel orientieren, anstatt herumzumäkeln und zu fragen: Was könnte uns in den Weg kommen? Man darf nicht nur die Schwierigkeiten sehen, sondern auch das Ziel und die Chancen. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Ich werbe dafür, dass wir diesen Antrag mit breiter Mehrheit hier im Deutschen Bundestag verabschieden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt Halina Wawzyniak. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Großen Koalition beschreibt viele Maßnahmen, die dazu führen sollen, dass bis 2018 eine flächendeckende Breitbandversorgung von mindestens 50 Megabit die Sekunde gewährleistet wird. Das ist – das haben wir hier gehört – ein durchaus ambitioniertes Ziel. Aber in puncto Breitbandausbau sind ambitionierte Ziele nichts Neues. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Doch selten wurden sie erreicht. Ob sie dieses Mal erreicht werden, darf durchaus bezweifelt werden; denn ohne Geld in die Hand zu nehmen, wird das nicht funktionieren. (Beifall bei der LINKEN) Der Antrag enthält einige Vorhaben, die wir begrüßen. Wir begrüßen, dass Sie die Netzneutralität gesetzlich verankern wollen. Die Debatte auf europäischer Ebene ist bereits an diesem Punkt angelangt. Aber es könnte problematisch werden, dass die Netzneutralität nicht durch eine, wie Sie schreiben, „Vielzahl von Managed Services“ eingeschränkt werden darf. Hier muss man nämlich aufpassen, dass dies die Netzneutralität nicht gleichzeitig wieder unterhöhlt. Es ist völlig unstreitig, dass zeitkritische Dienste wie zum Beispiel Videotelefonie eine gewisse Bevorzugung benötigen, um zu funktionieren. Wenn aber Anbieter von Diensten anfangen, Geld an Provider zu bezahlen, um in irgendeiner Form besser behandelt zu werden, zum Beispiel indem ihre Daten schneller durchgeleitet werden, dann hat das mit Netzneutralität nichts mehr zu tun. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir begrüßen weiterhin, dass Sie endlich die Störerhaftung bei Betreibern offener WLANs abschaffen wollen. Praktischerweise haben wir in der letzten Legislaturperiode auf Basis eines Vorschlages der Digitalen Gesellschaft einen Gesetzentwurf eingebracht, der dieses Problem sehr elegant lösen würde. Den können Sie einfach übernehmen. (Beifall bei der LINKEN) Doch Ihr Antrag bringt auch Probleme mit sich und wirft einige Fragen auf. Sie erkennen richtig – das ist schon mehrfach gesagt worden –, dass das Gefälle zwischen Stadt und Land eines der größten Probleme ist. Was den Leuten auf dem Land teilweise zugemutet wird, ist haarsträubend. Kürzlich wandte sich eine junge Familie aus Woltersdorf bei Berlin an mich. Sie hatte sich dort gerade ein Haus gekauft und wollte nun auch einen schnellen Internetanschluss haben. Nun bestand aber das Problem, dass das Haus nicht mit dem DSL-Netz verbunden war. Allerdings wird es mit Kabelfernsehen versorgt, worüber eine Internetverbindung möglich ist. So einfach, wie gedacht, ist es aber nicht. Denn der zuständige Kabelbetreiber vertreibt in Woltersdorf nur eine bestimmte Anzahl von Anschlüssen. Sie können sich vorstellen, dass diese schon alle vergeben sind. Das soll vorkommen. Das heißt also, obwohl die notwendige Infrastruktur vorhanden ist, wird der Familie, aus welchen Gründen auch immer, verwehrt, einen Internetanschluss nutzen zu können. Das ist ein wenig absurd. Denn der Familie bleiben jetzt nur wenige Möglichkeiten: entweder wie zu DDR-Zeiten auf ein Auto jetzt auf einen Internetanschluss zu warten, mit hoher Eigenbeteiligung das Haus an das DSL-Netz anschließen zu lassen oder auf Funk- und Satellitenverbindung zu setzen, die teuer sind. Das bringt uns gleich zum nächsten Problem. Um das Ziel eines flächendeckenden Breitbandinternets bis 2018 zu realisieren, schlagen Sie einen Technologiemix aus kabelgebundener Technologie, Funk- und Satellitentechnologie vor. Nun sind wir uns hoffentlich einig, dass Funktechnologien einen DSL-Anschluss nicht ersetzen können. Das hat mehrere Gründe. Funktechnologien sind deutlich anfälliger für Fehler, und die Übertragungsleistung ist schwankend. Sie sind für den Endverbraucher vor allem teurer und bieten deutlich weniger Leistung. Während es bei Festnetzanschlüssen im Großen und Ganzen noch echte Flatrates gibt, sind bei Mobilfunkverträgen Datenvolumengrenzen schon längst gang und gäbe. Wir reden hier aber nicht von Grenzen von 300 Gigabyte im Monat; wir reden von Grenzen von 10 Gigabyte im Monat. Für die alltägliche Nutzung ist das kaum brauchbar, und das im Übrigen zu Preisen jenseits von VDSL-Verträgen. Auf Dauer ist das den Endverbrauchern kaum zuzumuten. (Beifall bei der LINKEN) Hier schließt sich auch der Kreis zur Netzneutralität. Sie ist nämlich im Mobilfunkbereich schon längst passé. Es gibt keine echten Flatrates; es gibt eine Vielzahl von Managed Services. Wer also ein neutrales Netz will, muss entweder die Netzneutralität im Mobilfunkbereich wiederherstellen oder auf Mobilfunk als Ersatz für kabelbasiertes Internet verzichten. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thomas Jarzombek von der CDU/CSU? Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Nein, heute ausnahmsweise nicht. Ich bin nämlich gleich fertig. Ich hätte mir von Ihnen im Übrigen auch eine deutlich solidere Finanzierung und auch ein paar innovative Ideen gewünscht. Wie wäre es beispielsweise mit Ideen wie einer Commons-basierten Förderung? Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Ich könnte dem sehr viel abgewinnen. Letztendlich muss ich aber sagen: Sie setzen nur das fort, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht. Sie haben hohe Ziele, aber selber finanzieren wollen Sie sie nicht. So wird es mit dem flächendeckenden Breitbandausbau nicht klappen. Sie müssen irgendwann realisieren, dass ein Breitbandanschluss zur Daseinsvorsorge gehört und jedem zur Verfügung gestellt werden muss. (Beifall bei der LINKEN – Martin Dörmann [SPD]: Das ist ja unser Ziel!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Kirsten Lühmann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Kirsten Lühmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! WLAN in Zügen stand am Anfang. Aber das ist nicht das wichtigste Ziel, das wir uns mit unserer Breitbandstrategie vornehmen. Als regelmäßige Bahnfahrerin weiß ich natürlich, wie nervig es ist, wenn ich Mails und Anhänge nicht öffnen kann, weil die Übertragung stockt. Aber im Zug ist das nur eine Frage von wenigen Reisestunden. Zu Hause ist eine solche Situation oft von Dauer. Das betrifft in Deutschland immer noch viele Menschen und auch viele Unternehmen insbesondere in ländlichen Räumen. Diesem Zustand wollen wir abhelfen, liebe Kollegen und Kolleginnen. Deshalb legen wir Ihnen heute diesen hervorragenden Antrag vor. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer wie ich in einer ländlichen Region zu Hause ist, kennt die Problematiken aus nächster Nähe. In meinem Heimatort gibt es zum Beispiel einen Elektronikfachmarkt, der täglich erhebliche Datenpakete transportieren muss und das aufgrund der nur wenigen zur Verfügung stehenden Frequenzen in der normalen Geschäftszeit gar nicht mehr abwickeln kann. Es ist abzusehen, dass er irgendwann die Wettbewerbsfähigkeit verliert und im schlimmsten Fall sogar schließen muss. Das bedeutet nicht nur den Verlust von Arbeitsplätzen, sondern das bedeutet auch, dass seine Kunden und Kundinnen mindestens 30 Kilometer bis in das nächste Mittelzentrum fahren müssen. Dass solche Unternehmen vor Ort bleiben, ist nicht nur im Interesse der betroffenen Menschen, die ihren Wohnort nicht aufgeben wollen, sondern es ist auch im Interesse der Kommunen, die den Wirtschaftsstandort erhalten müssen. Die Digitalisierung des Alltags ist bereits weit vorangeschritten. Keiner von uns hier wird mehr denken, dass eine gute Internetverbindung nur für Nerds von Interesse ist, die den ganzen Tag im abgedunkelten Zimmer „World of Warcraft“ spielen. (Heiterkeit der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die schnelle Breitbandverbindung wird auch im Alltag von Privatmenschen immer wichtiger. Ob ich nun im Rahmen des E-Governments einen Antrag bei meinem Meldeamt abwickeln will, ob ich eine Anzeige bei der Polizei aufgeben will, ob ich eine ärztliche Online-Sprechstunde in Anspruch nehmen will oder ob ich mich als Bürgerin an einem Dialog zu einem Bauprojekt beteiligen will, für all das brauche ich guten Zugang zum Internet. Den werden wir schaffen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein gut ausgebautes Internet ist für die Entwicklung einer Region heutzutage genauso wichtig wie ein gut ausgebautes Straßen- oder Schienennetz. Deshalb haben wir uns zum Ziel gesetzt, dass wir bis 2018 flächendeckend ein schnelles Internet verfügbar machen. Es wurde mehrfach gesagt: Wir haben uns ein hohes Ziel gesetzt, aber, liebe Kollegen und Kolleginnen, wir werden dieses Ziel auch erreichen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen wir es hoffen!) Der Antrag, den wir heute vorgelegt haben, stellt ausführlich dar, wie wir das machen. Ich fasse die wichtigen Ziele noch einmal in zwei Punkten zusammen. Wir brauchen eine gezielte, effiziente Förderung des Breitbandausbaus in dünnbesiedelten Regionen. Denn dort wird es wegen der mangelnden Wirtschaftlichkeit, die ja mehrfach angesprochen wurde, nicht allein der Markt regeln. Außerdem brauchen wir flankierende Maßnahmen – das ist der zweite Punkt, den wir sehr schnell umsetzen müssen –, mit denen der Ausbau beschleunigt wird, wie zum Beispiel Erleichterungen für alternative Kabelverlegungen. Dazu ist es von großer Bedeutung, dass wir mit den Ländern und Kommunen eng zusammenarbeiten. Die Kommunen sind in dieser Frage unsere Partner; denn sie profitieren am meisten davon. Ich hatte es bereits erwähnt. Das betrifft unter anderem die Abstimmung von -Förderprogrammen, die wichtig ist, damit wir mit dem Einsatz von Fördermitteln einen maximalen Effekt erzielen können. Es gibt bei Kommunen ganz unterschiedliche Voraussetzungen, zum Beispiel im Hinblick auf die Eigenanteile, die die Kommunen bei den Förderprogrammen leisten müssen, oder im Hinblick auf Bürgschaftsverpflichtungen, was insbesondere für Kommunen mit Haushaltsnotlagen von Bedeutung ist. Wenn zum Beispiel eine Kommune bei Tiefbauarbeiten keine Leerrohre mit verlegen darf, weil das unter dem Gesichtspunkt der Haushaltssicherung eine unzulässige Zusatzinvestition ist, dann steht diese Regelung nicht nur unserem Ziel des schnellen Breitbandausbaus entgegen, sondern sie ist auch unwirtschaftlich, weil der Erdboden nämlich später ein zweites Mal teuer aufgebuddelt werden muss. Das ist sinnlos. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aus meiner Sicht sollten wir daher die Länder und Kommunen auch bei der Netzallianz mit ins Boot nehmen. Ich sagte schon: In dünnbesiedelten Regionen sind es gerade die Kommunen, die das Projekt Breitbandausbau inzwischen in die eigene Hand nehmen. Schließlich wird es auch darauf ankommen, die Förderprogramme in ausreichendem Maße finanziell auszustatten. Auch ich halte es deshalb für erforderlich, dass wir uns den Einnahmen aus der Neuvergabe der Frequenzen widmen. Hier wurde ja sehr lange und ausführlich über den Frequenzbereich von 700 Megahertz und über die Schwierigkeiten gesprochen. Aber es gibt daneben die Bereiche von 900 und 1 800 Megahertz, die wir wesentlich früher und einfacher vergeben können. Ich denke, dass sich der Verkehrsminister in Zusammenarbeit mit dem Finanzminister unseren Bemühungen, Gelder für die Lösung dieses Problems zu generieren, anschließen wird. (Beifall bei der SPD) Abschließend: Investitionen in den Breitbandausbau sind gut angelegte Gelder. Denn eine Breitbandversorgung ist Grundlage für das Erreichen von zwei ursozialdemokratischen Zielen: die gesellschaftliche Teilhabe und das wirtschaftliche Wachstum. In diesem Sinne: Packen wir es an! Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter nicht anwesender Ankündigungsminister Dobrindt, (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Es geht nichts über eine sachliche Auseinandersetzung!) ich bin aus Bayern einiges gewohnt. So wollen wir Bayern immer in der Champions League spielen. Wenn Sie aber wirklich Champions League beim Breitbandausbau gewollt hätten, dann hätten Sie während der Koalitionsverhandlungen diese 1 Milliarde Euro nicht gestrichen. Diese Mittel brauchen wir nämlich dringend. Sie werden es mit den Frequenzerlösen allein nicht schaffen; das wissen Sie ganz genau. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann natürlich auch einmal fragen: Ist es das Ziel, dass wir bei der Fußballeuropameisterschaft 2016 über DVB-T Fußball schauen können? Ich glaube nicht, dass dies das ist, was die Menschen beschäftigen wird, wie man am Zuspruch für das Public Viewing bei der laufenden Weltmeisterschaft sehen kann. Das Ziel wird sein, dass wir den Breitbandausbau auch im ländlichen Raum – ich komme aus Niederbayern und weiß daher um die Probleme in den ländlichen Regionen – so effizient gestalten, dass die Breitbandinfrastruktur selbst für den mittelständischen Wettbewerber vor Ort attraktiv wird. Hier ist Bayern nicht gerade Vorbild. Wenn man sich die Verflechtungen mit der Telekom in Bayern anschaut, dann stellt man fest, dass in der Regel nicht die kleinen Unternehmen zum Zuge kommen, sondern die Telekom das Geschäft macht. Ich bitte Sie, dass das ganz im Sinne des Mittelstands abgewickelt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich kann den Bayern auch folgenden Punkt nicht ersparen: Nur 16 Prozent der Haushalte im ländlichen Raum haben in Bayern einen Breitbandzugang. Auch hier sind wir Bayern keine Vorreiter. Kommen wir zur Bürokratie. Dazu finden Sie wolkige Worte. Aber Realität ist: Das Förderprogramm in Bayern war an 700 Kommunen adressiert. Aber wie viele davon haben in den ersten Jahren dieses Programm durchlaufen? Zwei! Machen Sie sich Gedanken, wie man hier vorankommen könnte! Wenn Herr Dobrindt von einem Daten-Tsunami spricht, dann ist das Ausdruck der Erkenntnis, dass hier etwas Gewaltiges auf uns zukommt; das teile ich. Aber bei ihm hört sich das nach einer Bedrohung und nicht nach der Möglichkeit an, Basis und Rohstoff für den Erfolg unserer Wirtschaft im Zeitalter der digitalen Revolution zu schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Laut Statistischem Bundesamt verfügte 2013 nur -jedes vierte Unternehmen mit mindestens zehn Beschäftigten über eine schnelle Onlineverbindung von mindestens 30 Megabit pro Sekunde. Da haben wir Nachholbedarf. Schauen Sie nach Belgien, in die Niederlande oder nach Dänemark! Dort liegt der Anteil bei 40 Prozent. Es ist gut, wenn wir uns das nun zum Ziel setzen. Ich habe Ihren Antrag durchaus sorgfältig gelesen und festgestellt, dass dort viel Richtiges steht. Wenn es aber konkret werden soll, dann steht dort nur noch sehr wenig. Sie müssen das Ganze mit Zahlen und Fakten unterlegen. Sonst wird es nichts mit dem Breitbandausbau. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Martin Dörmann [SPD]: Sie haben ihn doch nicht ganz gelesen!) 2013 standen 8 Prozent der Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten nur ein ISDN-Anschluss oder ein analoger Anschluss zur Verfügung. Laut einer Studie der bayerischen Wirtschaft gibt ein Viertel der Unternehmen an, dass sie wichtige netzbasierte Anwendungen nicht nutzen können. Was bedeutet das heutzutage im Zeitalter von Big Data und Wettbewerb? Diese Unternehmen haben ein Problem. Sie kommen nicht mehr mit. Die Wertschöpfung verschiebt sich von der Hardware hin zur Software. Wir sind sehr stark bei der Hardware. Aber bei der Software sind wir wirklich noch nicht gut. Deshalb empfehle ich Ihnen, hier besser in die Spur zu kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für mich ist das Bekenntnis zum Wettbewerb sehr wichtig. Wettbewerb ist im Telekommunikationsbereich unerlässlich. Wir haben diesbezüglich gute Erfahrungen in der Europäischen Union gemacht. Schauen Sie sich nur die Preise in den USA an. Sie sind teilweise doppelt so hoch, weil dort Monopole vorherrschen. Wir in Europa haben eine Vielzahl von Wettbewerbern zugelassen und haben die Deutsche Telekom – nicht zu ihrer eigenen Freude, wohl aber zur Freude des Verbrauchers – in den Wettbewerb gezwungen. Nun haben wir auf dem Markt eine Konzentrationsballung zu beobachten. Ich kann von meinem Wahlkreisbüro in München auf den O2-Tower sehen. Gestern fiel die Entscheidung, den Zusammenschluss von O2 und einem Wettbewerber zu genehmigen. Das kann man zur Kenntnis nehmen, aber Sie müssen bitte darauf achten, dass auch in der Zukunft mittelständische Stadtwerke beim Breitbandausbau eine Rolle spielen. Die Gefahr, die insbesondere von der EU-Ebene ausgeht, ist real, nämlich dass man zu stark in großen Strukturen denkt. Wenn zu stark in großen Strukturen gedacht wird, dann wird das schlecht für die Verbraucher und die Marktteilnehmer insgesamt sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Martin Dörmann [SPD]: Dazu haben wir klare Aussagen in dem Antrag!) Ein Punkt, der schon angesprochen wurde, ist mir wichtig: Rechtssicherheit für WLAN-Netze zu schaffen. Beim Thema WLAN-Verfügbarkeit hat Deutschland noch einen gewissen Nachholbedarf. Sie haben das Beispiel von WLAN im Zug geschildert. Man könnte auch ähnliche Beispiele von Cafés oder Hotels schildern. Dazu gehört auch die Frage, ob man nicht zu einem offenen Standard kommen kann, der das Internet frei zugänglich macht. Das ist mittlerweile in vielen Ländern wie den USA und Südkorea, wo ich in letzter Zeit war, ein Standard, der gepflegt wird. Auch darüber muss man nachdenken. WLAN-Zugang hat viel mit wandelnden Lebensstilen zu tun, aber auch mit wirtschaftlicher Innovationskraft; denn junge Kreative und Start-ups arbeiten gerne einmal im Park oder im Café. Deswegen ist es wichtig, dass man diese Infrastrukturentscheidung grundsätzlich für diejenigen trifft, die so etwas nutzen können. Man sollte da nicht nur in großen Zusammenhängen denken, sondern auch den Mittelstand in Betracht ziehen. In diesem Sinne unterstützen wir Sie, dass Sie da vorankommen, bitten Sie aber, dass Sie das konkret unterlegen, damit wir wirkliche Fortschritte erzielen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Andreas Lämmel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass wir mit dem Breitbandausbau in Deutschland in den letzten Jahren enorm vorangekommen sind, zeigt sich alleine an der Tatsache, dass Sie heute auf Ihrem Handy oder – neudeutsch – auf Ihrem Smartphone die Sitzungen des Deutschen Bundestages live verfolgen -können. Das hätten Sie vor drei Jahren oder vor vier Jahren niemals gekonnt. Das ist die Folge des Ausbaus vor allem im LTE-Bereich, des Ausbaus des mobilen Internets. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber wer braucht denn das?) – Wer braucht das? Ich meine, wenn die Linken damit nicht umgehen können, dann ist das nicht unser Problem. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Oh!) Ich denke, die Bevölkerung schätzt das sehr. Warum brauchen wir diesen Breitbandausbau? Dazu ist heute viel gesagt worden. Die Bevölkerung hat einen Anspruch darauf. Aber ich möchte das Augenmerk auf das Thema der wirtschaftlichen Entwicklung lenken. Ich hatte das schon anlässlich der Haushaltsdebatte an-gesprochen: Wir befinden uns im Übergang zur Indus-trie 4.0. Die Industrie 4.0 lebt von vernetzten, internet-basierten Dienstleistungen. Das heißt, wenn es uns nicht gelingt, in den nächsten Jahren unser Ziel – bis 2018 flächendeckend 50 Megabit pro Sekunde – zu erreichen, dann werden wir die Vorreiterrolle, die wir im Moment noch beim Übergang zur Industrie 4.0 haben, einbüßen. Deshalb ist das ein existenzielles Thema für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Schaut man sich den sehr detaillierten Breitbandatlas an, der im Internet abrufbar ist – auch das ist eine Innovation aus Deutschland; vielleicht haben Sie auch in den noch keinen Blick hineingeworfen, was ich Ihnen aber dringend empfehlen würde, weil sehr viele Informationen zum Breitbandausbau in Deutschland dort ablesbar sind –, dann kann man sehen, dass wir beim Breitbandausbau bis 6 Megabit pro Sekunde schon sehr gut vorangekommen sind, aber die großen Bandbreiten nach wie vor fehlen, zumindest flächendeckend. Herr Janecek, es ist ganz interessant, dass Sie sich für Wettbewerb aussprechen. (Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir Grüne immer!) Da sind wir durchaus einer Meinung; denn auch wir -stehen dafür, dass dieser Ausbau eigentlich nur im -Wettbewerb gelingen kann, und zwar im Wettbewerb der Unternehmen, aber auch im Wettbewerb der Technologien. Nur das bringt Innovationen und vor allem effiziente Lösungen hervor. Bei einer Sache sind Sie auf dem „Bayern-Auge“ -etwas blind; denn Bayern hat – da kann man noch Sachsen und einige andere Bundesländer hinzufügen – mit eigenem Geld enorme Anstrengungen unternommen, um den Breitbandausbau auf Landesebene voranzubringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie wissen ganz genau, dass Bayern alleine 1,5 Milliarden Euro in die Hand nimmt, um da schneller voranzukommen. Da Sie aus Bayern kommen, sollten Sie auch das loben, was aus Ihrem Lande kommt. Zumindest entspricht es dem sächsischen Anspruch, Leistungen aus dem eigenen Lande zu loben. Dass Sie das nicht machen, ist, wie ich finde, Ausdruck von fehlendem Lokalpatriotismus. (Beifall bei der CDU/CSU) Man sollte sich einmal fragen: Wie sind die durchschnittlichen Geschwindigkeiten in anderen Ländern dieser Welt? Wer liegt dabei an der Spitze? Ganz vorn liegt Südkorea: Dort beträgt die durchschnittliche Geschwindigkeit 21,9 Megabit pro Sekunde. In Deutschland liegt die durchschnittliche Geschwindigkeit bei 7,7 Megabit pro Sekunde. Die Südkoreaner haben auf diesem Gebiet eine enorme Leistung erbracht; das ist überhaupt keine Frage. Wir konnten uns davon überzeugen. Ich finde die Leistung dieses kleinen Landes sehr beeindruckend. Aber dort herrschen natürlich andere Bedingungen: Erstens. Man hat die notwendigen Arbeiten im Wesentlichen unter dem Dach eines monopolistischen Staatskonzerns erbracht. Zweitens. Dort gibt es überwiegend Freileitungen, was in Deutschland kaum noch möglich ist. Dann möchte ich noch etwas zur Versteigerung von Frequenzen sagen. Alle rechnen mit mehr Geld: Der Bund und auch die Länder rechnen mit mehr Geld; alle wollen sie eine Menge zusätzliches Geld durch die Versteigerung der Frequenzen bekommen. Man muss natürlich auch sagen: Das Geld, das den Unternehmen durch die Ersteigerung von Frequenzen entzogen wird, steht ihnen für den Netzausbau nicht mehr zur Verfügung. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Richtig!) Insofern muss man die Sache schon von beiden Seiten betrachten. Wir haben bei der Versteigerung der UMTS-Frequenzen sehr gut sehen können: Diese Versteigerung hat zwar den Finanzminister hoch erfreut und eine Menge Geld in die Staatskasse gespült; aber sie hat die Investitionskraft der Unternehmen stark geschwächt. Die damals erworbenen UMTS-Frequenzen liegen teilweise bis heute sozusagen brach. Ein weiteres Thema – es wurde heute mehrfach angesprochen; es wird auch in unserem Antrag ausgeführt – ist der diskriminierungsfreie Zugang zum Netz. Die Linken fordern, endlich einmal eine deutsche Regelung für ein schnelleres Netz zu treffen. Wissen Sie, wir leben in Europa. Jetzt eine deutsche Regelung zu treffen, die womöglich in einem halben Jahr durch europäische Regelungen, etwa durch Verordnungen, die die Europäische Kommission erlässt, überholt wird, ist sinnlos. Ich weiß, dass die Linken dann die Ersten wären, die hier eine Debatte anzetteln und behaupten würden: Die Regierung ist einfach unfähig, eigene Regulierungen zu schaffen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wenn man die Wahrheit benennt, muss man so reden!) – Sie müssen sich mal für irgendetwas entscheiden. Aber Sie wissen anscheinend selber nicht, wohin Sie wollen. Ihr Verweis vorhin auf die glorreichen Zeiten der DDR war bezeichnend. Die Dichte an Telefonen in der DDR war geringer als die Dichte an Breitbandanschlüssen auf dem Land heutzutage. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ihr Verweis auf die DDR ist völliger Unfug. Wissen Sie, wozu der Einsatz des Internets in der DDR, wenn es sie noch geben würde, dienen würde? Er würde vor allem zur Überwachung der Bürger genutzt werden, aber nicht zum Wohl der Bürger. Solch einen Schwachsinn sollten Sie von diesem Pult aus lieber nicht mehr verbreiten. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, zum Thema Netzneutralität. Es wird sicherlich sehr wichtig sein, dass wir in den nächsten Monaten intensiv darüber diskutieren. Natürlich kommen all die Dinge zur Sprache, die heute hier diskutiert worden sind. Wir brauchen den diskriminierungsfreien Zugang; er muss gesetzlich garantiert werden. Aber die Regulierung an sich muss sich auf das Festlegen von Mindeststandards für das Netz beschränken. Wir brauchen jetzt keine Regulierung, die sämtliche Standards festlegt, da diese Standards in einem halben oder in einem Jahr schon wieder überholt sind. (Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/CSU]) Noch einmal: Was wir brauchen, sind Mindeststandards. Man muss sich Folgendes klarmachen: Die Netzausbauer investieren jedes Jahr viel Geld, egal ob in Kabelnetze oder in Funknetze. Aber sie sind im Prinzip nur diejenigen, die den Verbreitungskanal bauen. Die Diensteanbieter, wie die großen amerikanischen Konzerne, nutzen diese Infrastruktur völlig kostenlos, und sie treiben sozusagen von hinten immer wieder dazu an, noch schnellere Netze aufzubauen. Ich halte das für ein Missverhältnis: Auf der einen Seite sitzen die Nutznießer, die mit einer großen Power immer mehr Inhalte durch das Netz transportieren wollen, und auf der anderen Seite sitzen diejenigen, die die Infrastruktur schaffen und keine Möglichkeit haben, daraus Nutzen zu ziehen. Man sollte hier für Ausgewogenheit sorgen und eine Balance finden. Nötig ist, wie gesagt, ein diskriminierungsfreier Zugang; das ist ganz klar. Darüber hinaus muss es möglich sein, über Managementsysteme Vorrangspuren zu schaffen – wenn genügend Bandbreite vorhanden ist, ist das auch möglich –, um die Netzbetreiber und die für die Infrastruktur Verantwortlichen in die Lage zu versetzen, mit schnellen Diensten zusätzliche Einnahmen zu erwirtschaften. Ich kann also nur für den Antrag werben. Er ist hervorragend. Er ist zwar ein bisschen umfangreich geworden. Aber so ist es nun einmal: In einer Großen Koalition braucht man auch einen großen Antrag. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Insgesamt umfasst er alle Bereiche, die beim Breitbandausbau berücksichtigt werden müssen. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Saskia Esken, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD) Saskia Esken (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Wahlkreis Calw liegt im nördlichen Schwarzwald. Dieser wunderschöne, bei Touristen aus der ganzen Welt sehr beliebte Landstrich zeichnet sich aus durch dichte Wälder, durch Berge und verwinkelte Täler. Ich gebe es gerne zu: Ich genieße die Ruhe, wenn ich dorthin zurückkehre. Doch das Arbeiten im Internet, die Recherche, die Kommunikation, die Vernetzung mit Kolleginnen und Kollegen und mit anderen, das ist oft sehr beschwerlich; denn schon für die ganz triviale Internetnutzung einer Bundestagsabgeordneten ist das Netz in vielen kleineren Orten in meiner Heimat nicht ausreichend. Die Architekten, die Grafikdesigner, die kleinen Energieunternehmen oder die Krankenhäuser im ländlichen Raum können ein Lied singen von den wirtschaftlichen Auswirkungen der fehlenden oder zumindest unzureichenden Breitbandversorgung. Lange werden sie sich an solchen Standorten nicht halten können. Auch Einrichtungen, Schulen und Vereine sind auf schnelles und verlässliches Internet angewiesen. Ich stelle einmal die Frage in den Raum: Liegt die wirtschaftliche Stärke Deutschlands nicht auch in einer dezentralen Struktur, und wäre es nicht unsere Aufgabe, diese zu erhalten? Nicht nur die Industrie und ihre besonderen Potenziale im Zuge einer sogenannten vierten industriellen Revolution verdienen unsere Aufmerksamkeit. Dies tun auch die beiden Sektoren, die in Deutschland die meisten und die zweitmeisten Arbeitsplätze hervorbringen. An erster Stelle steht hier die berühmte Wirtschaftsmacht von nebenan, also das Handwerk. An zweiter Stelle steht der Tourismus, der ohne ein schnelles, verlässliches und kostenfreies WLAN-Angebot in der Gunst der Gäste schnell ins Hintertreffen gerät. Mit dem vorliegenden Antrag erneuern und konkretisieren wir das Ziel dieser Koalition, bis 2018 eine Versorgung aller deutschen Haushalte, aber auch Einrichtungen und Unternehmensstandorte mit 50 Megabit pro Sekunde zu erreichen. 50 Megabit pro Sekunde, das ist für eine ländliche Kommune wie die, von der ich gerade gesprochen habe und die gerade einmal über Übertragungsraten von 1 oder 2 Megabit pro Sekunde verfügt, ein recht ambitioniertes Ziel. Ich glaube, wir könnten uns eines großen Fortschritts rühmen, wenn wir diese Rate flächendeckend und verlässlich installiert haben. (Beifall bei der SPD) Aber ich möchte nicht nur am Rande anmerken, dass dieses Ziel im internationalen Vergleich und bei der rasanten Zunahme auch der Anwendungsbereiche in digitaler Wirtschaft und Gesellschaft ganz sicher kein zu ambitioniertes Ziel ist. Für die datenintensive Wirtschaft ist eine Übertragungsleistung von 50 Megabit schon heute bei weitem nicht ausreichend. Neben der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft ist der Breitbandausbau aber auch eine Grundbedingung dafür, dass alle Menschen im Land an der Wissens- und Informationsgesellschaft, am sozialen und am öffentlichen Leben und immer mehr übrigens auch an politischen Prozessen teilhaben können. Der Staat – diese Überzeugung teilen sicher alle in diesem Haus – ist dem Wohl seiner Bürger verpflichtet. Dazu gehört auch die Daseinsvorsorge. Deshalb kümmern wir uns darum, dass auf gut ausgebauten Straßen überall im Land Menschen fahren können und Güter transportiert werden können. Wir sorgen dafür, dass zu Hause und in der Fabrik das Licht brennt und dass morgens sauberes Wasser aus der Dusche kommt. Wir betreiben Bildungs- und Kultureinrichtungen überall im Land. Wenn Menschen krank sind, dann sorgen wir dafür, dass sie auch in der Fläche eine gute medizinische Versorgung vorfinden. (Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Ich bin vollkommen davon überzeugt: Aufgabe der Daseinsvorsorge ist es ebenso, allen Menschen überall im Land eine gute und zukunftsfähige Netzinfrastruktur zu bieten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die digitale Spaltung in besser versorgte und weniger oder gar nicht breitbandversorgte Wohnorte und Unternehmensstandorte muss überwunden werden. Jeder muss dieselben Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Teilhabe an Wirtschaft und Gesellschaft haben. Deshalb bin ich auch dankbar, dass dieser Antrag ein klares Bekenntnis zur Netzneutralität enthält. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Einschränkungen!) Zur Netzneutralität werden wir noch einen Gesetzentwurf vorlegen. Entsprechende Regelungen sind selbstverständlich nicht Bestandteil dieses Antrags. Wir wollen mit diesem Antrag ja nicht die Welt retten; es geht hier um den Breitbandausbau. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, doch!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben der digitalen Bildung – diese Bemerkung mögen Sie mir als Bildungspolitikerin verzeihen – ist das schnelle Internet für alle eine weitere grundlegende Bedingung für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland. Weil Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen von den Chancen der Digitalisierung profitieren, sind sie auch gemeinsam für das Gelingen verantwortlich. Die Wirtschaft und die Politik im Bund, in den Ländern und in den Kommunen müssen sich also gemeinsam auf den Weg machen, um den Ausbau des schnellen Internets voranzubringen; das befördernde Element des Wettbewerbs ist schon angesprochen worden. In einer idealen Welt würden wir dabei sicher von Anfang an jeden Haushalt, jeden Betrieb, jede Schule und jedes Rathaus mit Glasfaserkabeln ans schnelle Netz anbinden. Angesichts der finanziellen Begrenzungen können wir aber auf den Einsatz von Funklösungen zumindest im Übergang nicht verzichten, wenn wir die gesteckten Ziele bis 2018 erreichen wollen. Ich möchte als Abgeordnete eines ländlichen Raums deutlich sagen: Gerade bei uns im ländlichen Raum – das weiß jeder, der auf der Fahrt durch den Schwarzwald schon einmal mobil telefoniert hat, selbstverständlich als Beifahrer – (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Aha! Keine Freisprecheinrichtung, Frau Kollegin?) stoßen Funklösungen schnell an ihre natürlichen Grenzen. Wenn in einem solchen Funknetz nicht nur ich, sondern auch mein Nachbar größere Datenmengen laden und verarbeiten will, dann verkommt die versprochene hohe und stabile Übertragungsleistung schnell zur schönen Theorie. Deshalb müssen zu den Unterschieden zwischen vertraglich vereinbarter und tatsächlich zur Verfügung stehender Leistung bei Funklösungen klare, transparente Informationen auf den Tisch. Langfristig muss in der ganzen Fläche des Landes der Ausbau des Glasfasernetzes vorangetrieben werden. Die vorbereitenden Arbeiten – das wissen wir –, insbesondere der Tiefbau, machen hier 90 Prozent der Kosten aus. Deswegen müssen die Arbeiten im Zuge einer Mitverlegungspflicht heute schon so ausgeführt werden, dass die Aufrüstung später erleichtert wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Politik ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Vielerorts haben sich Kommunen – das wurde auch schon erwähnt – im Sinne der angesprochenen Daseinsvorsorge auf den Weg gemacht. Sie gründen Zweckverbände – es war die Rede von Genossenschaften und anderen Zusammenschlüssen –, um die Breitbandversorgung für ihre Bevölkerung und für die ansässige Wirtschaft zu verbessern. Insbesondere in der Fläche, (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau da!) wo die Kosten pro Anschluss kaum refinanziert werden können, müssen wir die Kommunen dabei unterstützen. Der bürokratische Aufwand für die Projektierung selbst – der Kollege hat es angesprochen –, aber auch für die Erlangung der unterschiedlichsten Fördermittel muss dabei vor allem für die Kommunen deutlich reduziert werden. Einen erfolgreichen und schnellen Breitbandausbau werden wir nur auf den Weg bringen können, wenn auch die finanziellen Mittel dafür gewährleistet sind; der Punkt ist ebenfalls schon angesprochen worden. Basierend auf einer eher konservativen Kostenaufstellung haben wir deutlich gemacht – da waren sich alle Fachpolitiker einig –, dass für den anvisierten Breitbandausbau, den wir uns vorgenommen haben, pro Jahr mindestens 1 Milliarde Euro investiert werden müsste. Erwartet wird jetzt, dass durch die Versteigerung von freiwerdenden Funkfrequenzen einmalig rund 1 Milliarde Euro oder etwas mehr erzielt werden kann. Selbst wenn diese Einnahmen zu 100 Prozent in den Breitbandausbau gingen, wären wir von der notwendigen Bereitstellung von 1 Milliarde Euro pro Jahr weit entfernt. Ich möchte deshalb hier deutlich sagen: Wenn wir die Potenziale, die mit der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft verbunden sind, ausschöpfen wollen, wenn wir mit der internationalen Entwicklung Schritt halten wollen, dann muss der Bund bereit sein, künftige Haushaltsspielräume hierfür zu nutzen. (Beifall bei der SPD) Die Koalition muss hier auch ein Zeichen setzen: Investitionen in die digitale Infrastruktur sind prioritär. Zur Nutzung der sogenannten Digitalen Dividende II müssen Bund und Länder zu einer guten gemeinsamen Strategie zusammenfinden, um weitere Investitionsmittel für den Breitbandausbau freizumachen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland ist ein modernes und ein wohlhabendes Land. Chancengleichheit, Innovation und eine starke Wirtschaft waren auf dem Weg dahin unsere Erfolgsmotoren, und das sollen sie auch bleiben. Um nicht einen Schritt zurück zu machen, sondern weiter nach vorn zu gehen, müssen wir uns für die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft starkmachen, also für den Ausbau der Breitbandversorgung. Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin – – Saskia Esken (SPD): Politik, Gesellschaft und Wirtschaft dürfen den vorliegenden Antrag deshalb durchaus als Auftrag verstehen, Deutschland zu einem – wie heißt es so schön? – modernen Land mit modernen Netzen zu machen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin, wenn Sie noch eine Sekunde stehen bleiben würden. – Sie hatten die Zeit leicht überzogen. Das hatten Sie schon selbst gemerkt, und deswegen haben Sie einfach weitergesprochen, statt mir zuzuhören. Es gibt aber noch den Wunsch des Kollegen Behrens von der Linken, eine Frage zu stellen. Wenn Sie die noch zulassen, haben Sie Gelegenheit, präzise und kurz darauf zu antworten. Mögen Sie sie zulassen? Saskia Esken (SPD): Ich lasse das zu. Bitte schön. Vizepräsident Peter Hintze: Bitte schön. Herbert Behrens (DIE LINKE): Vielen Dank, Kollegin Esken, dass Sie das noch zulassen! – Sie haben eben von Zeichen und auch von Geld gesprochen. Nun habe ich in einer Antwort des Ministeriums erfahren, wie es denn um die Finanzierung und den Einstieg in den Ausbau der Netze steht. In der Antwort wird uns mitgeteilt: Von Bund und Ländern werden – unter Einbeziehung der EU-Mittel – in den nächsten Jahren rund zwei Milliarden Euro für den Ausbau hochleistungsfähiger Breitbandnetze eingesetzt. Ist das das Zeichen, von dem Sie sprechen, oder ist es schon das Geld, was zu erwarten ist? (Martin Dörmann [SPD]: Das ist der bisherige Stand!) Saskia Esken (SPD): Ich denke, dass es ein guter Anfang ist. Das ist der bisherige Stand. Ich habe von einer gemeinsamen -Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gesprochen. Ich denke, wenn wir uns zusammentun, können wir das auch leisten. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Andreas Nick, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Guter Mann!) Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns als Netzpolitiker stehen die Chancen des Internets im Vordergrund: das gesamte Wissen der Welt mit einem Mausklick überall verfügbar, zumindest theoretisch. Bei aller Faszination, die von den ungeahnten Möglichkeiten im Netz ausgeht: Grundlegende Voraussetzung für die Teilhabe an den Chancen der digitalen Gesellschaft ist und bleibt der physische Zugang zum Internet selbst. Breitband ist Standortfaktor Nummer eins. Das ergab vor kurzem eine Umfrage für die Breitbandstudie 2014 des Verbands BREKO. Für mittelständische Unternehmen und Selbstständige ist die Fähigkeit, vielfältige Informationen und große Datenmengen – von Verträgen bis hin zu komplexen technischen Zeichnungen – mit Kunden und Partnern weltweit jederzeit rasch und verlässlich austauschen zu können, zu einem entscheidenden Faktor in einem internationalen Wettbewerb geworden. Aber auch die Attraktivität einer Gemeinde als Wohnstandort hängt inzwischen vom Internetzugang ab. Ohne Zugang zu schnellem Internet sind Orte nicht nur für junge Familien als Wohnstandort unattraktiv, Einfami-lienhäuser an derartigen Standorten erweisen sich daher zunehmend als praktisch unverkäuflich. Eine „digitale Spaltung“ unseres Landes können und dürfen wir uns nicht leisten. Es wäre doch geradezu absurd, wenn wir die mit dem Internet verbundenen Chancen zur Dezentralisierung vieler Funktionen und Aktivitäten in ihr krasses Gegenteil verkehren würden. Wenn die erforderliche Infrastruktur nur in den Ballungs-räumen verlässlich zur Verfügung stünde, wären die -volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten einer solchen Fehlentwicklung auf Dauer immens. Deshalb brauchen wir ein modernes Netz für ein modernes Land, und zwar flächendeckend und so rasch wie möglich. Natürlich wäre – jedenfalls nach heutigem Stand der Technik – ein flächendeckendes Glasfasernetz das Idealziel. Das sollte es vor allem längerfristig auch bleiben. Über den Investitionsbedarf von gut 90 Milliarden Euro, der dafür notwendig wäre, ist schon gesprochen worden. Zu erwähnen ist hier auch, dass die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher für den Mehrwert des schnellen Netzes nur eingeschränkt ausgeprägt ist. Deswegen ist der flächendeckende Breitbandausbau mit 50 MBit pro Sekunde bis 2018 ein richtiges und wichtiges Etappenziel, aber nur ein Etappenziel auf einem Weg, der weiterführen muss. Dazu müssen wir – das ist schon gesagt worden – in einem ersten Schritt auf einen breiten Technologiemix setzen. Kernstück ist natürlich der zielgerichtete Ausbau der Kabel- und -Glasfasernetze, ergänzt durch die Möglichkeiten, die die moderne Mobilfunktechnologie mit LTE und Next -Generation Mobile Networks, NGMN, bietet. Damit können wir in bisher unversorgten Gebieten Lücken schließen, aber auch die Voraussetzung für die Nutzung zukünftiger mobiler Anwendungen schaffen. Mobiles Internet – vor wenigen Jahren kaum vorstellbar – ist durch die rasante Verbreitung von Smartphones und Tablets, nicht nur in diesem Hause, bereits allgegenwärtig. Aber 76 Prozent der Internetnutzungen mit -mobilen Endgeräten erfolgen in festnetzgebundenen WLAN-Netzen. Auch deshalb brauchen wir in Deutschland eine möglichst weitgehende Verfügbarkeit von allgemein zugänglichem WLAN, wie es bereits in vielen anderen Ländern Standard ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Saskia Esken [SPD]) Dazu müssen wir Rechtsunsicherheiten – Stichwort „Störerhaftung“ – möglichst rasch beseitigen. Es darf auch nicht vergessen werden, dass die notwendige Festnetzinfrastruktur für Mobilfunk und WLAN mit dazu beiträgt, Glasfaser immer näher an den Endkunden heranzubringen. Für das Erreichen des Ziels bis 2018 kommt aber vor allem der Ertüchtigung der bestehenden DSL-Infrastruktur durch sogenanntes Vectoring eine besondere Bedeutung zu. Allerdings kann Vectoring immer nur von einem einzelnen Netzbetreiber in einem Leitungsbündel eingesetzt werden, das heißt, der Betreiber benötigt die Kontrolle über sämtliche Leitungen, die an dem jeweiligen Kabelverzweiger ankommen. Hier müssen wir durch wirksame Regulierung dafür sorgen, dass dies möglich ist, aber weiterhin auch -Wettbewerb sicherstellen, und zwar nicht nur den -Wettbewerb der Infrastrukturanbieter um die einzelnen Kabelverzweiger – Stichwort „Vectoring-Liste“ der Bundesnetzagentur –, sondern darüber hinaus auch den weiteren diskriminierungsfreien Wettbewerb unterschiedlicher Leistungsanbieter auf dieser Infrastruktur. Wir brauchen nicht nur den Wettbewerb der Technologien, sondern auch den Wettbewerb unterschiedlicher Infrastruktur- und Dienstleistungsanbieter. Es wäre ein gewaltiger Irrweg, zu glauben, mit einer weitgehenden Remonopolisierung, ob verdeckt oder offen, wäre der Netzausbau durch große nationale Anbieter effektiver zu erreichen. Das Gegenteil ist häufig der Fall. Es sind doch gerade die kleineren, alternativen Netzbetreiber, die für einen deutschlandweiten Ausbau mit Highspeed-Internet unentbehrlich sind. (Beifall bei der CDU/CSU) So haben sich zum Beispiel die alternativen Netz-betreiber des BREKO-Verbandes mit dem Start ihrer Glasfaseroffensive bei entsprechenden politischen und regulatorischen Vorgaben dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2018 bis zu 9,1 Milliarden Euro zu investieren und damit bis zu 11,2 Millionen Anschlüsse – das sind nahezu 75 Prozent der Anschlüsse außerhalb der Ballungszen-tren – mit Bandbreiten bis zu 50 MBit pro Sekunde zu versorgen. Ein typisches Beispiel für die Bedeutung alternativer Anbieter findet sich in meinem ländlich geprägten Wahlkreis. Das ist bei vielen Kollegen ähnlich. Bei uns investiert derzeit die KEVAG Telekom als Tochter des regionalen Energieversorgers evm 18 Millionen Euro in die Anbindung von mehr als 150 Ortsgemeinden durch mehr als 250 Kilometer Glasfaserleitung. Oftmals ist es ja gerade erst dieser Wettbewerb, ob durch Kabelanbieter oder regionale Anbieter, der einen großen Player wie die Telekom dazu bringt, selbst aktiv zu werden, dann auf einmal auch in Regionen, die aus der Sicht eines großen Versorgers lange Zeit offenbar keine Relevanz hatten. Ein praktisches Beispiel dafür findet sich ebenfalls in meinem Wahlkreis. In der Verbandsgemeinde Montabaur errichtet die VGM-net, eine kommunal getragene Anstalt öffentlichen Rechts, derzeit für 2,3 Millionen Euro ein Glasfasernetz, über das künftig 13 000 Einwohner in 16 kleineren Gemeinden mit schnellem Internet versorgt werden können. Das ist im Übrigen eine kommunale Eigeninitiative, die ohne Fördermittel des Landes Rheinland-Pfalz auskommt. Erst als das zunächst noch deutlich größer angelegte Projekt bereits auf den Weg gebracht war, erklärte sich die Telekom, nachdem zuvor jahrelange Gespräche vergeblich geblieben waren, plötzlich bereit, die Versorgung des Kerngebiets der Stadt Montabaur selbst zu übernehmen. Wettbewerb wirkt! (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sören Bartol [SPD]) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen in der Tat erst am Anfang des digitalen Zeitalters, das von rasanten Entwicklungen geprägt ist: Smartphone, Tablet-PC, modernes Auto, Internet der Dinge, das alles wird unseren Alltag noch viel mehr durchdringen. In fast allen gesellschaftlichen Bereichen haben digitale Technologien bedeutenden Einfluss darauf, wie wir leben und arbeiten. Ohne das Internet wären die digitale Wirtschaft oder Industrie 4.0 nicht denkbar. Der Breitbandausbau und damit die Möglichkeit, am schnellen Internet teilzuhaben, ist deshalb kein Selbstzweck. Er ist essenziell für die weitere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands als ein modernes und zukunftsfähiges Land. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Ich freue mich, dem Abgeordneten Stefan Zierke, SPD-Fraktion, zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag das Wort zu geben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Stefan Zierke (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute über 40 Prozent der deutschen Bevölkerung, die nicht am Internet teilhaben können. Wir reden nicht über die 60 Prozent, die sich aussuchen können, mit wem sie denn ins Internet gehen. Liebe Kollegen von der Linksfraktion und von der Fraktion der Grünen, helfen Sie doch diesen 40 Prozent der -Deutschen, damit auch sie 2018 Internetzugänge haben können, und unterstützen Sie die Daseinsvorsorge der Regionen vor Ort. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür kämpfen wir schon die ganze Zeit!) – Ich kann dem Kollegen, der gesagt hat, dass Sie immer zwischenrufen und pessimistisch sind, nur zustimmen. Ich möchte den Menschen in ländlichen Regionen helfen. Ich möchte dafür auch einige Beispiele bringen. Ich komme aus der Uckermark. Wer die Uckermark nicht kennt: Sie liegt 90 Kilometer nördlich von Berlin. Diese Region hat erhebliche Probleme. Bei uns in der Uckermark verfügen nur 5 Prozent der Haushalte im ländlichen Raum über einen Breitbandzugang mit einer Geschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde. Das heißt, 95 Prozent der Haushalte im ländlichen Raum können zum Beispiel gar nicht meine heutige erste Rede über den Livestream des Bundestages miterleben. (Zurufe von der SPD: Oh! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das ist ja unglaublich!) – Ja, das ist traurig; aber 95 Prozent der Haushalte können auch Ihre Reden nicht miterleben. – (Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Martin Dörmann [SPD]: Alles hat seine zwei Seiten! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist gut! Da bleibt ihnen viel erspart!) In 24 von 48 Gemeinden existiert gar kein schnelles Internet. Über Teilhabe und gleiche Wettbewerbsbedingungen für urbane und ländliche Räume wurde heute schon viel diskutiert. Ich möchte einen typischen Architekten zitieren – das Beispiel wurde schon genannt –, den es in der Uckermark wirklich gibt. Er hat gesagt: Die Standortvorteile, die die Uckermark aufweist – die Ruhe und die Natur, die mir ein Ausleben der Kreativität ermöglichen, das ich für meinen Beruf wirklich brauche –, sind sehr gut, die Baukosten sind niedrig; aber leider kann ich nicht an den Standort kommen, weil ihr es nicht schafft, eine Datenleitung bereitzustellen, über die ich mit meinen Partnern, die überall auf der Welt sind, über Videokonferenzen kommunizieren kann und meine architektonischen Leistungen per Datenpaket an meine Partner weitergeben kann. – Das muss geändert werden, und das wollen wir mit diesem Antrag bis 2018 ändern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wer mich kennt, der weiß, dass ich mit Herz und Blut Tourismuspolitiker bin. Im ländlichen Raum ist gerade der Tourismus einer der Wirtschaftsfaktoren, mit dem man Defizite in anderen Wirtschaftszweigen, die momentan nicht mehr ihre Blüte erreichen, auffangen kann und wirtschaftliche Potenziale heben kann. Was stört aber momentan die Entwicklung des Tourismus im ländlichen Raum? – Es ist der fehlende Zugang zum Internet. Es geht nicht nur darum, dass die Hoteliers ihre Angebote im Internet weltweit präsentieren wollen, sondern auch darum – das ist der umgekehrte Fall –, dass diejenigen Gäste, die sich ihre Reisen zum größten Teil im Internet aussuchen – es sind 60 Prozent –, nur die Reisen finden, die dort zu finden sind. Im Internet findet man nicht so viele Angebote zu Reisen in den ländlichen Raum, obwohl die Leistungsfähigkeit der dortigen Tourismusbranche groß ist. Der fehlende Zugang zu schnellem Internet ist ein großer Nachteil. Ich hoffe, dass wir diesen Nachteil mit dem Antrag ausmerzen und damit dem Tourismus im ländlichen Raum einen Wachstumsschub geben können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin im Verkehrsausschuss, und Verkehre im ländlichen Raum interessieren mich. Ich habe festgestellt – da kann man ruhig die Berliner als Beispiel nehmen –, dass sich die Berliner sehr gut in ihrem S-Bahn-Netz auskennen; sobald sie aber in den ländlichen Raum gehen und nicht mehr gesicherten Zugriff auf eine Reisekette verschiedener Verkehrsträger haben, fällt es den Berlinern sehr schwer, den Nahverkehr zu nutzen. Ein Internetzugang und eine flächendeckende Funkverbindung für Mobiltelefone erleichtern es den Gästen erheblich, die verschiedenen Verkehrsträger zu nutzen, die aufeinander abgestimmt sind. Sie erhalten einen viel besseren Zugang zum öffentlichen Nah- und Fernverkehr, wenn sie sich mithilfe ihres Smartphones und des Internets ihre Reiseketten zusammenstellen können und damit viel sicherer zum Ziel, zur Destination, zum gebuchten Haus kommen. Das ist Fortschritt. Ich denke, die Regionen brauchen diesen wirtschaftlichen Fortschritt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das erreichen wir nur mit unserem Antrag, mit dem wir bis 2018 einen flächendeckenden schnellen Internetzugang schaffen wollen. Ich habe noch zwei Sekunden Redezeit, muss aber einfach noch ein paar Worte zur Bildung loswerden; als Sozialdemokrat muss man die Bildung ansprechen. Entschuldigen Sie die Überziehung! – Schüler, die in meiner Heimatstadt Prenzlau auf das Gymnasium gehen, erhalten vom Lehrer die Aufgabe, im Internet zu recherchieren. Alle, die in Prenzlau wohnen, sagen: Kein Thema; ich bin in einer halben Stunde zu Hause und recherchiere. – Diejenigen, die aus dem ländlichen Raum kommen und nach der Schule noch eine Dreiviertelstunde lang in ihr Dorf fahren müssen, fragen sich: Wie soll ich im Internet recherchieren? Meine Heimat ist ja gar nicht angebunden. – Das heißt, sie haben schon bei der Aufgabenstellung den Stress und fragen sich: Wo komme ich wie ins Internet, um diese Aufgabe zu lösen? Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, bitte unterstützen Sie alle diesen Antrag, damit unsere Schülerinnen und Schüler im gesamten ländlichen Raum die Möglichkeit haben, Bildungsangebote wirklich wahrzunehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Peter Hintze: Wir gratulieren dem Kollegen Stefan Zierke zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag (Beifall) und sind sicher, dass er in Zukunft die Redezeit ordnungsgemäß einhalten wird. Sie können das dann wieder abarbeiten. Herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen weitere interessante Debatten. Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Thomas Jarzombek, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir herzlichen Glückwunsch zu dieser Jungfernrede, Herr Kollege. Sie hat eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig eine gute Breitbandinfrastruktur ist. Im Übrigen habe ich heute auch gelernt, dass der Berliner den Mut haben soll, einmal ins Umland zu fahren. Das war ein starkes Plädoyer. (Heiterkeit der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/CSU] – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Sagt der Düsseldorfer!) – Sagt der Düsseldorfer, ganz genau. Sie werden es nicht glauben: Ich war in meinem Leben sogar schon mal in Köln. Es geht nichts über interkulturellen Austausch. Nach all den Beiträgen, die wir heute zum Thema Breitbandausbau gehört haben, ist mir wichtig, festzuhalten: Wir sind viel besser, als es in manchen Reden klingt. Das möchte ich anhand eindrucksvoller Zahlen belegen. Hier wird oft nur über die Kabel geredet. Aber das, worauf es ankommt, ist doch: Wie viele Menschen nutzen die Dienste? (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Genau!) Noch vor rund fünf Jahren, im Jahr 2008, haben lediglich 55 Prozent der deutschen Haushalte tatsächlich einen Breitbandanschluss gehabt. Laut Eurostat ist dieser Anteil in den letzten Jahren von 55 Prozent auf 85 Prozent gestiegen. Es ist ein großer Erfolg der Politik der letzten Jahre, (Martin Dörmann [SPD]: Da haben wir unsere Zweifel!) dass wir in Deutschland mittlerweile eine so hohe Verfügbarkeit und auch Nutzung von Breitbandanschlüssen haben. Damit liegen wir immerhin auf Platz vier, nur drei Punkte hinter dem Spitzenreiter Finnland. Ich glaube, das kann sich sehen lassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen, wenn wir sehr detailliert beschreiben, wie wir unsere Ziele beim Breitbandausbau erreichen wollen, auch an die Nutzung denken; das ist für mich ein wichtiger Punkt, der nicht vergessen werden darf. Ich persönlich finde es, ehrlich gesagt, absolut unbefriedigend, dass im Jahr 2014 in der Schule das Thema Medien immer noch stiefmütterlich behandelt wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen uns wirklich dafür einsetzen, dass die Chancen, die das Internet auch im Bereich Bildung bietet, erkannt und nutzbar gemacht werden. Wir reden viel zu viel über Risiken. Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel nennen. Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat einen Erlass herausgegeben, der jeden Schüler ab der zehnten Klasse dazu verpflichtet, sich einen Grafiktaschenrechner für 85 Euro zu kaufen. In meinem Wahlkreis gibt es mehrere Schulen, die sagen: Da können wir doch eigentlich gleich ein Tablet anschaffen; das kostet nicht viel mehr, aber man kann viel mehr damit machen, zum Beispiel auf Wikipedia zugreifen oder ausländische Zeitungen lesen etc. Die NRW-Landesregierung sagt: Nein, das dürft ihr nicht, ihr müsst diesen Grafiktaschenrechner kaufen, und keiner darf vom Plan abweichen. – Da unser Koalitionspartner eventuell bessere Drähte nach Nordrhein-Westfalen hat, wünschen wir uns von ihm, dass er hier aktiv wird; denn da gibt es noch Luft für Verbesserungen. (Beifall bei der CDU/CSU) Zum Thema „Internet und seine Entwicklung“. Wir diskutieren darüber, ob 50 Megabit pro Sekunde eigentlich ein ambitioniertes Ziel oder ein realistisches Ziel sind. Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Zahl nennen. Die erste mobile Internetnutzung über paketvermittelte Netzwerke gab es im Jahr 2000 mit 38 Kilobit pro Sekunde; das hat übrigens sogar für den DB-Navigator gereicht, aber für viel mehr auch nicht. (Lachen der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zehn Jahre später war man schon bei 3,6 Megabit pro Sekunde. Wir sehen, dass sich die Datenmengen in diesem Zeitraum um den Faktor 100, in anderen Bereichen sogar um den Faktor bis zu 1 000 erhöht haben. So wird es weitergehen. Weitere Anwendungen werden folgen. Es wird immer wieder von Unternehmen berichtet, die im ländlichen Raum Probleme haben. Ich höre vielmehr von Bürgermeistern, die sich darüber Sorgen machen, wie sie Anreize schaffen könnten, damit sich Familien mit kleinen Kindern ansiedeln; denn heutzutage ist es so: Wenn kein YouTube in HD zur Verfügung steht, dann ist der Familienfrieden in ernsthafter Gefahr. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht für Kleinkinder! Für die Jugendlichen!) – Für die Jugendlichen. – Dieses Problem darf man nicht zu gering ansehen. Es ist wichtig, auf mobile Lösungen zu setzen. Das zeigt gerade das Thema Automobil, worüber hier viel diskutiert wird. Wenn das autonome Auto seine gesamte wundervolle Funktionalität im Ballungsgebiet, im städtischen Raum entfalten kann, der Fahrer aber im ländlichen Raum selbst die Kontrolle übernehmen muss, weil, zum Beispiel, wenn man nach Brandenburg fährt, die Netze nicht funktionieren, dann ist das ein zentrales Problem. Deshalb ist es sehr wichtig, einen Schwerpunkt beim Thema Mobile zu setzen. Ich glaube, dass die mobile Anwendung in Zukunft noch viel wichtiger sein wird als die kabelgebundene. Mein Plädoyer geht hier deutlich an die Länder und insbesondere an die Intendanten der Rundfunkanstalten. Ich persönlich finde das Vorgehen beim Thema terrestrisches Fernsehen total unambitioniert. Das sage ich einfach einmal in voller Härte. Ich war vor einigen Tagen mit einem alten Freund in einer Kneipe und habe dort ein WM-Spiel angeguckt. Der Fernseher war mit DVBT angebunden. Wir hatten Schwierigkeiten, überhaupt die Spielzeit abzulesen. Da fragte einer: Was für ein komisches System habt ihr da? Wir können nicht einmal sehen, in welcher Minute gerade gespielt wird. Das ist doch nicht mehr der Standard für terrestrisches Fernsehen im Jahr 2014. Wenn die ARD erklärt, dass man den Umstieg auf hochauflösendes Antennenfernsehen erst in fünf Jahren schafft, finde ich das unambitioniert. Ich wünsche mir das früher, zur Europameisterschaft 2016. Wenn RTL das kann, werden doch die Öffentlich-Rechtlichen das mit unseren ganzen Gebühren erst recht hinbekommen können! (Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beitrag!) Wichtig ist aber nicht nur die Frage des Mobilfunk-internets, sondern auch die Frage des drahtlosen Internets über WLAN. Auch hier behandelt der Antrag einen Punkt aus unserer Koalitionsvereinbarung. Ich glaube, es ist wichtig, hier schnell nachzulegen. Das jetzige Recht, dass man als Provider seine Kunden gar nicht mehr genau identifizieren muss – durch Richterrecht entstanden –, man aber als Betreiber eines Restaurants oder eines Cafés oder eines Hotels genau festlegen muss, wer der Nutzer gewesen ist, finde ich nicht fair, insbesondere den Kleinen gegenüber nicht. Beim Thema WLAN müssen wir den Koalitionsvertrag sehr schnell erfüllen und die Haftungsvoraussetzungen so verändern, dass auch in Deutschland ein WLAN-Anschluss flächendeckend und problemlos möglich wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von der LINKEN: Sehr schön!) Vorhin ist verschiedentlich das Thema Netzneutralität beleuchtet worden. Auch dazu möchte ich gern etwas sagen, zumal das Europäische Parlament dazu gerade Beschlüsse gefasst hat. Bei der Netzneutralität ist aus unser aller Sicht wichtig, dass niemand diskriminiert wird, dass alle die gleichen Zugangschancen bekommen und dass dem Endkunden nicht einfach irgendwelche Dienste abgedreht werden, dass es nicht zu einem Internet der Deals kommt. Das alles haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt. Sie können es nachlesen. Wir haben es auch in unserem Antrag genau so geschrieben. Ich finde auch wichtig, dass man beim Thema Netzneutralität den Blick auf die Innovationen richtet; denn am Ende – glaube ich – müssen wir hier Regelungen treffen, die Innovationen ermöglichen. Wir sind uns dabei alle einig, dass bestimmte Maßnahmen zum Netzwerkmanagement einfach schon deshalb wichtig sind, weil man Dienste wie beispielsweise E-Health anbieten kann. Wir haben aber auch gesehen, dass es Dienste wie zum Beispiel IP-TV gibt – von der Deutschen Telekom mittlerweile schon mit erheblichem Marktvolumen –, aber auch Dienste, mit denen man Musikstreaming auf dem Mobiltelefon realisieren kann, und zwar, indem man dafür im Monat 10 Euro mehr bezahlt und für diese Art von Diensten aus der Volumenbeschränkung herauskommt. Ich wünsche mir nicht, dass das für alle Anbieter gelten muss. Aber das sind Innovationen, die wir nicht kaputtmachen dürfen. Solche Innovationen müssen meiner persönlichen Meinung nach auch in Zukunft möglich sein. Deshalb darf man den Innovationsaspekt nicht vernachlässigen. Zum Thema Volumenbeschränkung. Die Kollegin Wawzyniak hat leider vorhin hier am Rednerpult meine Frage nicht angenommen. Wenn man von Volumenbeschränkungen beim Mobilfunk spricht, muss man feststellen: Das ist etwas, was es früher auch im Festnetz gegeben hat. Mein erster DSL-Anschluss hatte ein Volumen von 5 Gigabyte. Das erschien einem damals als die Welt; heute ist es nicht mehr so viel. Insofern ist es einfach der technischen Restriktion geschuldet. Ich bin mir sicher, beim Mobilfunk wird sich das ähnlich wie beim Festnetz entwickeln. Das ist sicherlich keine der Fragen, die wir im Zusammenhang mit dem Punkt Netzneutralität lösen müssen. Meine Damen und Herren, ich bedanke mich dafür, dass wir dieses komplexe Antragswerk hinbekommen haben, und zwar nicht nur bei meinen eigenen Kollegen, bei Uli Lange, bei der Bundesregierung, bei Doro Bär, die mit der Netzallianz einen ganz hervorragenden Job macht, sondern auch bei unserem Koalitionspartner. Ich habe gestaunt, wie oft ich einem Sozialdemokraten zustimmen musste, wenn Martin Dörmann gesprochen hat. Dafür danke ich dir vielmals. (Heiterkeit bei der SPD – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So kann sich das ändern!) Insofern bin ich überzeugt: Wir werden etwas Gutes zuwege bringen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Martin Dörmann [SPD]: Das rahme ich mir jetzt ein!) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1973 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen Drucksache 18/1874 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung Drucksache 18/7 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/879 Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, insbesondere aus Hameln! Wir haben heute Morgen über das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie diskutiert. Ein ganz wichtiger Teil hat aus unserer Sicht dabei gefehlt, und zwar die Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen. (Beifall bei der LINKEN) Seit dem 1. Mai 1985 haben die Arbeitgeber mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz die Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse ohne Angabe von Gründen zu befristen. Die Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse hat sich seitdem verdoppelt. Jede zweite Neueinstellung erfolgt sachgrundlos befristet. Von den sachgrundlosen Befristungen hat sich Schwarz-Gelb damals große beschäftigungspolitische Effekte erhofft. Wie zu erwarten war, sind diese nicht eingetreten. Stattdessen sind immer mehr unbefristete Arbeitsverhältnisse durch befristete ersetzt worden. Das ist ein Drehtüreffekt nach unten. Sachgrundlose Befristungen haben in Deutschland Hochkonjunktur. Die Arbeitgeber begründen ihre Vorliebe für Befristungen mit Sätzen wie diesen: Was denn? Wir machen das doch nur, weil es gesetzlich erlaubt ist. Wir machen das doch nur, weil wir es machen dürfen. Was wollen eigentlich die Beschäftigten? Knapp 90 Prozent ist ein unbefristetes Arbeitsverhältnis wichtig. Das zeigt eine Umfrage der IG Metall aus dem letzten Jahr unter Beschäftigten. Im Grunde fordern alle Gewerkschaften die Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen. Wir finden das gut und laden die Gewerkschaften ein, mit uns gemeinsam dafür zu kämpfen. (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich ein paar Sätze zu den Folgen von Befristungen für die Beschäftigten sagen. Hier gibt es zwei große Probleme: Die Arbeitsschutzgesetze werden ausgehöhlt, und die Qualität der Arbeit leidet. Eine Befristung führt praktisch zu einer Ausweitung der gesetzlichen Probezeit. Darüber hinaus können die Unternehmen unliebsame Beschäftigte, beispielsweise kritische Betriebsräte, werdende Mütter und Menschen mit Behinderungen, einfacher loswerden als in anderen Fällen. Aber auch eine Krankmeldung kann im Zweifel schon zu einem Problem werden. Das zeigt das Beispiel einer befristet Beschäftigten bei der Deutschen Post. Die Kollegin hatte über einen Zeitraum von 17 Jahren – ich wiederhole: 17 Jahre – mehr als 80 Arbeitsverträge, um ihren Job zu behalten. Das allein ist schon ein Unding. (Beifall bei der LINKEN) Weil sie Anfang des Jahres krankheitsbedingt ausgefallen ist, wurde ihr Vertrag nicht weiter verlängert. Das zeigt: Wer für den Arbeitgeber unbequem ist oder seine Rechte einfordert, läuft Gefahr, nach Ablauf der Befristung nicht weiterbeschäftigt zu werden. Nur durch massiven Druck ist es gelungen, zu erreichen, dass diese Frau einen unbefristeten Vertrag bekommen hat. Das ist eine unglaubliche Geschichte. So etwas darf es einfach nicht geben. (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn das kein Skandal ist, was denn dann?) Auch für die Qualität der Arbeit ist es entscheidend, ob ein Arbeitsvertrag befristet ist oder nicht; denn wer befristet beschäftigt ist, hat Angst vor dem Verlust seiner Arbeit und hält deswegen lieber die Klappe. Wer befristet beschäftigt ist, wehrt sich nicht gegen Ungerechtigkeit und beteiligt sich auch nicht an so etwas wie Warnstreiks oder Streiks im Betrieb; das ist der Zusammenhang zum Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie. Nur so kann man auch die Tarifautonomie stärken. (Beifall bei der LINKEN) Wer befristet beschäftigt ist, kann deshalb nie seine Rechte als Beschäftigter in vollem Umfang wahrnehmen. Das darf es aus unserer Sicht in Deutschland nicht länger geben. Besonders schlimm finde ich, dass viele junge Menschen davon betroffen sind. Jeder zweite Berufseinsteiger wird heute nur noch befristet eingestellt. Das erschwert nicht nur die berufliche Lebensperspektive, sondern auch die Lebensplanung für die Zukunft. Dass die Große Koalition dies nicht anerkennt, zeigt, wie unwichtig ihr diese Generation praktisch ist, Fachkräftemangel hin oder her. Dabei war gerade die SPD auf dem richtigen Weg. Wir alle erinnern uns: Noch vor neun Monaten war auch die SPD für die Abschaffung sachgrundloser Befristungen. Das stand in ihrem Wahlprogramm. Jetzt schweigen Sie und hoffen, dass es keinem auffällt. Aber nicht mit uns! (Beifall bei der LINKEN) Meine Fraktion und ich werden dafür sorgen, dass das Thema Befristung weiterhin präsent bleibt. Ich kämpfe nicht umsonst seit 1985 gegen befristete Arbeitsverhältnisse. Wir werden so lange nicht locker lassen, bis das unbefristete Arbeitsverhältnis in Deutschland wieder zur Regel wird. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und -Herren! Wir beraten heute zwei Vorlagen der Fraktion Die Linke zur Befristung von Arbeitsverhältnissen nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz. In Ihrem Gesetzentwurf geht es um die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Ihr Antrag trägt den Titel „Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen“. (Beifall bei der LINKEN) – Ich habe Sie zunächst einmal nur zitiert. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, eben! Richtig so! – Heiterkeit bei der LINKEN) Zunächst sei dazu Folgendes erwähnt: Als Neuling hier im Hause war ich im Rahmen des Verfahrens schon überrascht, Ihren Gesetzentwurf zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung zu lesen. Grund hierfür war, dass dieses Thema hier bereits in der letzten Legislaturperiode – es war im Jahre 2010 – beraten worden ist. (Michael Schlecht [DIE LINKE]: Man muss das doch wiederholen!) Interessant war in diesem Zusammenhang, zu erfahren, dass Sie nun den gleichen Gesetzentwurf einbringen, den in der letzten Wahlperiode die SPD-Fraktion eingebracht hat. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber er ist ja nicht falsch, nur weil er schon mal eingebracht wurde!) Ihr Gesetzentwurf datiert vom 23. Oktober 2013; das war unmittelbar nach der Konstituierung des 18. Deutschen Bundestages, als die Koalitionsverhandlungen stattfanden. Das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass Sie die SPD-Fraktion vorführen wollen und nicht an einer sachlichen Diskussion interessiert sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Für mich ist das schlicht und ergreifend eine Sauerei. Das muss an dieser Stelle einmal deutlich gesagt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der LINKEN) Zudem sind Ihre Vorlagen in sich widersprüchlich und unschlüssig. Das stellt man fest, wenn man sich die Zahlen und Fakten genau anschaut. In Ihrem Antrag schreiben Sie, dass Sie unbefristete Arbeitsverhältnisse zur Regel machen wollen. Wenn man sich die Zahlen genau anschaut, stellt man jedoch fest: Dies ist bereits der Fall, auch nach dem derzeitigen Teilzeit- und Befristungsgesetz. Seit 2006 liegt der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse in Deutschland gleichbleibend bei unter 9 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss, dass 91 Prozent der Arbeitsverhältnisse unbefristeter Natur sind. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Entscheidend sind doch die Zahlen für die neu zu besetzenden Jobs!) Damit ist das unbefristete Arbeitsverhältnis bereits die Regel und nicht die Ausnahme, wie von Ihrer Seite hier fälschlicherweise vorgetragen wird. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, es gibt eine Flut von Wünschen nach einer Zwischenfrage; nein, es sind nur zwei. Der Herr Kollege Ernst und die Frau Kollegin Krellmann wollen eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie zulassen, oder wollen Sie weitersprechen? Wilfried Oellers (CDU/CSU): Nein, ich möchte sie nicht zulassen. Das muss sich die Fraktion Die Linke jetzt einmal anhören. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Machen wir!) Ich habe gerade gesagt, dass 91 Prozent der Arbeitsverhältnisse unbefristeter Natur sind. Das ist ein eindeutig positives Signal für Deutschland und vor allen Dingen auch für das Teilzeit- und Befristungsgesetz. Daneben ist die Zahl der befristeten Neueinstellungen seit 2011 von seinerzeit etwas unter 1 Million auf nunmehr etwas unter 900 000 gesunken. Relativ gesehen ist die Zahl der befristeten Neueinstellungen sogar bereits seit 2009 von 47 auf 42 Prozent zurückgegangen. Von einem Missbrauch der befristeten Arbeitsverhältnisse kann daher nicht die Rede sein. Weiter kommt das IAB auch zu dem eindeutigen Ergebnis, dass sachgrundlose Befristungen häufig das Sprungbrett in eine unbefristete Beschäftigung bzw. in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis sind. Die Übernahmequote ist von 30 Prozent im Jahre 2009 auf derzeit 39 Prozent gestiegen. Das ist eine absolut positive Entwicklung, und diese sollten wir nicht durch eine Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes aufhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Es muss uns doch ein Anliegen sein, Menschen in Beschäftigung zu bekommen. Ob das befristet oder unbefristet ist, sollte in meinen Augen zunächst einmal egal sein, da es besser ist, zunächst einmal befristet als gar nicht beschäftigt zu sein. Wir wissen, dass die Menschen mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen auch eine Beschäftigung haben. Das wüssten wir nicht – und wir können uns auch kein Urteil darüber erlauben, ob das so wäre –, wenn es diese Möglichkeit nicht gäbe. Wenn man die positive Entwicklung bei den Übernahmequoten sieht, die ich eben erwähnt habe, dann erkennt man, dass es keine schlechte Aussicht ist, zunächst ein befristetes Arbeitsverhältnis aufzunehmen. Dabei ist ausdrücklich zu betonen, dass eine sachgrundlose Befristung, wie sie angesprochen worden ist, nur für zwei Jahre erfolgen kann. Ihr Beispiel wäre sicherlich einmal juristisch zu überprüfen. Ob das nicht geschehen ist, kann ich nicht beurteilen. Rein rechtlich kann dies aber nur für zwei Jahre erfolgen. Sicherlich ist mir in diesem Zusammenhang natürlich auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bekannt. Diese Rechtsprechung des höchsten Arbeitsgerichts in Deutschland sollte man hier im Hause auch einmal akzeptieren. Zudem sei erwähnt, dass eine Befristung mit Sachgrund ohne zeitliche Begrenzung vorgenommen werden kann. Wenn Sie also Ihr Ansinnen konsequent fortsetzen würden, dann müssten Sie die vollständige Aufhebung des § 14 Teilzeit- und Befristungsgesetz verlangen. Das tun Sie hier nicht, und daher ist Ihr Antrag in sich schon einmal unschlüssig. Die Befristungsmöglichkeiten nach § 14 Teilzeit- und Befristungsgesetz sollten so bestehen bleiben, wie sie sind, da sie sich als arbeitsmarktpolitisches Instrument absolut bewährt haben. Wir müssen schon schauen, dass wir den Unternehmen auch flexible Instrumente an die Hand geben, um auf besondere wirtschaftliche Situationen reagieren zu können, wie zum Beispiel bei Auftragsspitzen. Ich betone noch einmal, dass fast 40 Prozent der befristeten neuen Arbeitsverhältnisse in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt werden. Von Missbrauch kann hier keine Rede sein, (Beifall bei der CDU/CSU) zumal es die meisten befristeten Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Sektor und nicht in der freien Wirtschaft – ich denke, Ihr Vorwurf zielt in diese Richtung – gibt. (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Das müsste doch auch Sie von der Fraktion Die Linke überzeugen. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Nein!) Insgesamt ist zu bewerten, dass sämtliche Zahlen und auch Feststellungen des IAB gegen Ihren Antrag sprechen. Dieser neutralen Einrichtung sollten Sie einmal Glauben schenken, meine Damen und Herren der Fraktion Die Linke. Im Übrigen erlaube ich mir, auf den Inhalt des Protokolls aus dem Jahre 2010 zu diesem Thema zu verweisen, um die Diskussion hier nicht unnötig in die Länge zu ziehen. In der Hoffnung, dass wir nun nicht jedes Jahr über solche Gesetzentwürfe und Anträge zu debattieren haben, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Zu einer Kurzintervention hat sich der Abgeordnete Klaus Ernst, Fraktion Die Linke, gemeldet. Klaus Ernst (DIE LINKE): Lieber Kollege Oellers, der Vorwurf, wir wollten die SPD vorführen, ist nun wirklich Quatsch. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich mich als ehemaliger Sozialdemokrat – 30 Jahre lang! – zusammen mit meiner damaligen Partei immer dafür eingesetzt habe, dass Menschen ein planbares Leben haben. Planbar heißt: Sie müssen wissen, ob sie in einem Betrieb beschäftigt werden, und zwar nicht nur für ein halbes Jahr, für ein Jahr oder für zwei Jahre, sondern für länger. Sie müssen ein planbares Leben haben. Dieses Argument haben Sie überhaupt nicht beachtet. Wir reden darüber, dass junge Menschen eine Familie gründen und dass sie sich am Anfang möglicherweise verschulden sollen, weil sie wenig verdienen. Auch 8,50 Euro ist nicht gerade der Renner. Gleichzeitig verwehren wir den jungen Menschen eine planbare Perspektive, um ihr Arbeitsleben zu gestalten. Ich halte es für sehr bedauerlich, dass Sie sich diesem Problem überhaupt nicht zuwenden, sondern bei dem bleiben, was Sie bisher vertreten haben. Ein zweiter Punkt. Wir haben heute Vormittag über die Stärkung der Tarifautonomie gesprochen. Dieses Anliegen wollen Sie gemeinsam mit der Koalition verfolgen. Glauben Sie, dass Sie die Tarifautonomie stärken, wenn Sie zulassen, dass Menschen für zwei Jahre ohne eine Perspektive auf eine feste Anstellung beschäftigt werden? Was glauben Sie, was diese Menschen ohne feste Anstellung machen, wenn es zur Stärkung der Tarifautonomie erforderlich wird, dass einer der beiden Tarifpartner für seine Sache streikt? Glauben Sie, dass sich jemand, der befristet beschäftigt ist, an einem solchen Streik beteiligt, wenn er damit rechnen muss, gekündigt zu werden? Glauben Sie, dass sich dieser Mensch wehrt, wenn es um unbezahlte Überstunden oder um die Nichteinhaltung des Tarifvertrages geht? Nein! In meiner Region erlebe ich es immer wieder, dass Menschen aus einem Betrieb herausfliegen, sie im nächsten Betrieb wieder mit einem befristeten Arbeitsvertrag eingestellt werden und sie nach zwei Jahren wieder in den ersten oder einen anderen Betrieb kommen, und zwar wieder mit einer befristeten Anstellung. Viele Menschen haben jahrelang nur befristete Jobs. Wenn das Ihr Zukunftsmodell ist, wenn das Ihre Stärkung der Tarifautonomie ist, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Flexibilität erfordert Anpassungsfähigkeit. Die Beschäftigten in Deutschland sind in den vergangenen Jahren äußerst anpassungsfähig geworden. Unter dem Dogma der Flexibilisierung nehmen sie ständig wechselnde Arbeitszeiten in Kauf. Sie verleihen ihre Arbeitskraft. Vor allem arbeiten sie aber immer häufiger auf Zeit, also befristet. Ja, Flexibilität ist notwendig, aber sozialverträglich. Deshalb sehen auch wir Reformbedarf. Deshalb wollen auch wir die sachgrundlose Befristung abschaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Befristungen waren eigentlich als Brücke in dauerhafte Beschäftigung gedacht, aber das funktioniert zu wenig. Befristungen führen die Beschäftigten stattdessen häufig in eine Sackgasse. Von Qualifizierungsmaßnahmen und Karrieremöglichkeiten in einem Betrieb sind sie per se ausgeschlossen. Sie verdienen weniger und haben häufiger Phasen der Erwerbslosigkeit. Alles zusammen führt zwangsläufig zu Problemen bei der Alters-sicherung. Nehmen Sie, die Regierungsfraktionen, das endlich zur Kenntnis. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Fast 3 Millionen Menschen hatten im letzten Jahr einen befristeten Job. Das sind zu viele! Manche von ihnen arbeiten sogar jahrelang befristet, wie etwa die Postbotin, die vor kurzem der Öffentlichkeit bekannt wurde, weil ihr Vertrag 17 Jahre lang immer wieder befristet wurde: 88 Mal insgesamt! Das ist unglaublich. Das zeigt: Manche Arbeitgeber missbrauchen die Befristungsmöglichkeiten in unverantwortlicher Weise. Das ist nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Fast die Hälfte aller Befristungen hat keinen sachlichen Grund. Betroffen sind insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene. Eine aktuelle Untersuchung des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt eindeutig zu dem Ergebnis: Die erste Phase des Erwerbslebens für junge Menschen ist heute instabiler und unsicherer als noch vor einigen Jahren. Befristete Arbeitsverträge erschweren die Lebens- und Familienplanung. Die beruflichen Perspektiven sind unsicher, und Brüche in den Erwerbsbiografien sind vorgezeichnet. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist das unverantwortlich. Aber vor allem für die jungen Menschen ist das nicht gut und ermutigend erst recht nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Natürlich sind flexible Möglichkeiten der Beschäftigung für die Wirtschaft in unserem Land wichtig. Die heutigen Regelungen zur sachgrundlosen Befristung werden aber inzwischen von manchen Unternehmen hemmungslos ausgenutzt, beispielsweise in der Callcenterbranche. Wenn die soziale Verantwortung in Teilen der Wirtschaft verloren geht, dann muss die Politik handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Mir kann auch niemand erzählen, die Betriebe wären ohne die sachgrundlose Befristung nicht mehr flexibel genug in ihrer Personalplanung. Es gibt eine ausreichend lange Probezeit. Kleine Betriebe sind ohnehin vom Kündigungsschutz befreit, und für die anderen gibt es noch die Befristung mit sachlichem Grund. Wer gute Gründe hat, kann also auch weiterhin befristen. Vor der Bundestagswahl war das den Sozialdemokraten auch noch klar. Noch vor zwei Jahren forderte die jetzige Ministerin Nahles wortgewaltig – ich zitiere –: Schluss mit immer mehr befristeten Verträgen. Sachgrundlose Befristung gehört abgeschafft. Gut gebrüllt, Frau Nahles! Wo bleibt aber jetzt die entsprechende parlamentarische Initiative? Im Koalitionsvertrag sind die sachgrundlosen Befristungen mit keinem einzigen Wort erwähnt. Wir hingegen bleiben bei unserer Haltung: Durch Befristungen darf weder das unternehmerische Risiko auf die Beschäftigten übertragen noch der Kündigungsschutz umgangen werden. Nur so wäre es richtig und fair. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deshalb werden wir heute dem Gesetzentwurf der Linken zustimmen, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) auch wenn wir im Detail geringfügig andere Schwerpunkte setzen. Entscheidend ist und bleibt: Flexible Arbeitsverhältnisse dürfen keine Einbahnstraße sein. Denn die Menschen brauchen soziale Sicherheit. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fakt ist: Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden heute nur noch befristet eingestellt. Häufig geschieht dies sogar ohne jegliche sachliche Begründung. Die Beschäftigten wissen dann oft bis zum letzten Arbeitstag nicht, ob sie übernommen werden oder nicht bzw. ob sie in die Arbeitslosigkeit entlassen werden oder wieder eine Chance bekommen. Das finden wir falsch. Deshalb stimmen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dem Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs der Linken, die sachgrundlose Befristung abzuschaffen, inhaltlich durchaus zu. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) In der letzten Legislaturperiode – bereits im Mai 2010 – haben wir zu diesem Thema einen Antrag mit dem Titel „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ vorgelegt, übrigens vor den Initiativen von Linken und Grünen. (Beifall bei der SPD) In unserem Wahlprogramm steht – ich zitiere: Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht es doch einfach! Wir stimmen zu!) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt nach wie vor. Das ist die SPD-Position. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir!) Denn wir wollen erstens nicht, dass inzwischen fast jeder zweite Arbeitsvertrag nur noch auf Zeit abgeschlossen wird, zweitens vor allem junge Menschen dadurch unsichere Berufsaussichten und Lebensperspektiven erhalten und drittens Frauen besonders hart von Befristungen betroffen sind. Was heute möglich ist, zeigt das bereits erwähnte Negativbeispiel der Postzustellerin, die 88 befristete Verträge in 17 Jahren bekommen hatte. Solche Kettenbefristungen sind mit Sachgründen, beispielsweise Elternzeit- oder Krankheitsvertretungen, möglich. Auch dem müssen wir einen Riegel vorschieben. Das ist unwürdig, und nötig ist so etwas auf keinen Fall. Gerade in großen Unternehmen wie der Post gibt es immer Möglichkeiten, Menschen vernünftige feste Arbeitsverträge anzubieten, auch den Vertretungskräften. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und auch der Grünen, man muss die Kirche im Dorf lassen. Es ist schließlich nicht so, dass wir in Deutschland nur noch befristete Arbeitsverträge haben. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir auch nicht gesagt!) Je nach Quelle sind 9 bis 10 Prozent aller Arbeitsverhältnisse befristet. Richtig ist aber auch, dass über 90 Prozent der Beschäftigten ein unbefristetes Arbeitsverhältnis haben. Aufgrund der guten Konjunktur ist die Zahl der Befristungen in den letzten Jahren glücklicherweise wieder etwas zurückgegangen. Fakt ist auch, dass Befristungen und insbesondere sachgrundlose Befristungen ein Sprungbrett in unbefristete Beschäftigung sein können. Trotzdem würden wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen die sachgrundlose Befristung gern abschaffen und die Auswüchse bei befristeten Verträgen mit Sachgrund angehen. Das Beispiel der Postzustellerin mit den 88 Verträgen in 17 Jahren zeigt, dass auch hier dringend gehandelt werden muss. Nun ist es aber bekanntlich so, dass in jeder Regierungskoalition Kompromisse gemacht werden müssen. Keiner kann alle eigenen Forderungen in einem Koalitionsvertrag unterbringen. An vielen Stellen konnten wir mit der Union gute Lösungen finden, bei den Befristungen leider nicht. Deshalb, meine Kolleginnen und Kollegen von der Linken, werden wir Ihren Initiativen heute auch nicht zustimmen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Schade!) Die entscheidende Frage ist aber doch, ob der Koalitionsvertrag der Großen Koalition ein guter und richtiger Kompromiss ist, den einzugehen sich insgesamt lohnte. Die Antwort ist ein klares Ja. (Beifall bei der SPD) Denn der Koalitionsvertrag ist ein gutes Handlungsfundament, in dem ein Großteil unserer sozialdemokratischen Forderungen enthalten ist. Vieles von dem, wofür wir seit Jahren – auch gemeinsam mit den Gewerkschaften – gekämpft haben, kann jetzt Wirklichkeit werden. Genau deshalb findet die Große Koalition breite Unterstützung – so zum Beispiel beim DGB in seiner Zeitung klartext. Ich zitiere daraus: Koalitionsvertrag: Deutschland wird ein Stück gerechter. … Die Richtung stimmt. Gut für Deutschland, gut für Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Umfragen zeigen deutlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung diese Große Koalition will und mit ihrer Arbeit zufrieden ist. Auch 76 Prozent unserer Mitglieder haben basisdemokratisch für den Koalitionsvertrag gestimmt, und das, obwohl sie die Große Koalition von 2005 bis 2009 und das daraus resultierende Ergebnis für die SPD noch schmerzhaft in Erinnerung hatten. Meine Damen und Herren, diese Bewertungen fallen deshalb so aus, weil wir zahlreiche Maßnahmen durchsetzen konnten, die die Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land verbessern werden. Da ist natürlich an einem so historischen Tag wie heute zuallererst der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn zu nennen, den wir gerade beschlossen haben. Ich freue mich sehr, dass uns hier dieser Kraftakt gemeinsam gelungen ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ab dem nächsten Jahr kommt der einheitliche und flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Flächendeckend noch nicht!) und spätestens ab 2017 gilt er nach Ende der Übergangsregelungen ausnahmslos in allen Branchen. Davon werden etwa 4 Millionen Menschen direkt profitieren und mehr Geld auf ihrem Konto haben. Gleichzeitig werden wir mit dem Mindestlohn auch die Ausbeutung von Praktikantinnen und Praktikanten beenden. Die sogenannte Generation Praktikum, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber jetzt diskutieren wir eigentlich über Befristungen!) die nach ihrem Hochschulabschluss ohne Bezahlung vollwertige Tätigkeiten in Unternehmen ausübt, wird es ab 1. Januar 2015 nicht mehr geben. Das ist dann Vergangenheit. (Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir stärken außerdem die Tarifautonomie und die Sozialpartner. Wir weiten das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf alle Branchen aus. Diese Öffnung ermöglicht es allen Wirtschaftszweigen, zusätzlich verbindliche Branchenmindestlöhne zu vereinbaren, die natürlich über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen müssen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Hiller-Ohm, wir reden jetzt über Befristungen!) Außerdem können zukünftig Tarifverträge und damit das gesamte Lohngefüge leichter auf gesamte Branchen ausgeweitet werden. Damit bekämpfen wir auch unlauteren Wettbewerb durch Dumpinglöhne und helfen den Unternehmen, die gute Löhne zahlen wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns noch mehr vorgenommen. So werden wir den Missbrauch von Werkverträgen verhindern und die Leiharbeit regulieren und auch hier den Menschen helfen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!) Auch das Thema „Gerechte Löhne“ werden wir gesetzlich angehen; denn immer noch verdienen Frauen im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer. Das, meine Damen und Herren, ist eine nicht hinnehmbare Ungerechtigkeit. Das müssen wir ändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Eine Sauerei ist das!) Hier muss endlich genauso wie für die Leiharbeiter das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gelten. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe bereits von 2005 bis 2009 eine Große Koalition als Abgeordnete begleitet. Ich hätte mir nach den damals gewonnenen nicht so guten Erfahrungen nicht träumen lassen, dass wir einmal mit der Union als Partner so viel für die Menschen in unserem Land erreichen. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Da sieht man mal, wie gut wir sind!) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, mit Ihren Initiativen zur Einschränkung von Befristungen laufen Sie bei uns offene Türen ein. Uns brauchen Sie nicht zu überzeugen. Vielleicht haben Sie ja bei unserem Koalitionspartner, der CDU/CSU, Erfolg. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten würden uns darüber freuen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion. Matthäus Strebl (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über den von der Linken eingebrachten Antrag „Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen“ und den Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Vorab einige Bemerkungen: Grundsätzlich müssen wir zwischen den einzelnen Befristungen differenzieren. Im Teilzeit- und Befristungsgesetz werden die Arbeitsverhältnisse mit und ohne Sachgrund genannt. Befristete Arbeitsverhältnisse mit Sachgründen können sich aus unterschiedlichen Faktoren ergeben – ich glaube, das sind wichtige Argumente –: dem Alter des Beschäftigten, dem Bedarf in dem Unternehmen, der Erprobung des Beschäftigten und der Vertretung eines anderen Arbeitnehmers. Kollegin Hiller-Ohm, ich möchte daran erinnern, dass das von der Fraktion der Linken kritisierte Arbeitsverhältnis ohne Sachgrund nach § 14 Absatz 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes von Rot-Grün in der 14. Legislaturperiode eingeführt wurde, um Arbeitslosen die Rückkehr in die Beschäftigung zu erleichtern. Ich bin der Auffassung, dass ein Arbeitsverhältnis mit einer Befristung ohne Sachgrund nicht automatisch negativ zu bewerten ist. Der Arbeitnehmer kann – genauso wie in jedem anderen Arbeitsverhältnis – Erfahrungen sammeln, seine Fähigkeiten erweitern und sich im Betrieb einsetzen und dadurch seinen Arbeitgeber überzeugen. Vergessen sollten wir dabei nicht, dass befristete Arbeitsverhältnisse eine echte Alternative zur Arbeitslosigkeit und einen Einstieg in die Dauerbeschäftigung bedeuten können. Ich muss auch der Aussage der Linken widersprechen, wonach es für die Qualität von Arbeit entscheidend ist, „ob ein Arbeitsvertrag befristet ist oder nicht.“ Ich gehe davon aus, dass diese Aussage auf unsere befristet beschäftigten Mitarbeiter in unseren Abgeordnetenbüros nicht zutrifft und auf Ihre Mitarbeiter doch wohl auch nicht. Zweifelsfrei ist eine Altersgruppe am meisten von Befristungen betroffen: die jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Berufseinsteiger nach einem Studium oder einer Ausbildung. Das kann aber auch im Einzelfall seine berechtigten Gründe haben. Zum Beispiel kann eine Befristung hier dem Erwerb von Vertrauen und dem Nachweisen von Fähigkeiten dienen. Hier ist das entscheidende Stichwort die Übernahmequote. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat vor kurzem festgestellt, dass insbesondere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse oft als Brücke zu dann unbefristeten Arbeitsverhältnissen genutzt werden. Bei diesem Thema dürfen wir auch nicht vergessen, dass insbesondere in der heutigen Zeit Arbeitgeber flexibel handeln müssen. Gerade Start-up-Unternehmen und Existenzgründer können am Anfang ihrer Unternehmensgründung schwer einschätzen, wie viele Beschäftigte sie tatsächlich benötigen. Ebenso kann in großen Betrieben die Auftragslage aufgrund verschiedener Gründe erheblich schwanken. Dann müssen Arbeitgeber schnell reagieren können. Dazu gehört auch das Instrument der Befristung von Arbeitsverträgen. Deshalb dürfen wir nicht – so glaube ich – zu viele Eingriffe in die Privatautonomie vornehmen, die zu erheblichen Einschränkungen der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Firmen führen könnten. Als Gesetzgeber haben wir die Verantwortung und auch die Pflicht, zwischen dem Sicherheitsbedürfnis des einzelnen Arbeitnehmers und der Flexibilität der Wirtschaft genau abzuwägen. Um beiden Seiten gerecht zu werden, gibt das Teilzeit- und Befristungsgesetz Rahmenbedingungen vor, auf die sich der Arbeitnehmer berufen kann; mit diesem Gesetz kann er seinen Anspruch auf dem Rechtsweg durchsetzen. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, Frau Kollegin Hiller-Ohm würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Mögen Sie sie zulassen? Matthäus Strebl (CDU/CSU): Ich würde das gerne in einem Zusammenhang vortragen, Herr Präsident. Auch unterliegen befristete Arbeitsverhältnisse gesetzlichen Vorschriften, die zum Beispiel die Schriftform und den Zeitraum betreffen. Ein Ausschluss von befristeten Arbeitsverträgen könnte den gesamten Arbeitsmarkt verändern. Ich sehe die Gefahr, dass Arbeitgeber dann zurückhaltender bei Einstellungen sein könnten und eher auf Leiharbeitskräfte zurückgreifen, um Personal flexibler einzusetzen. Laut derzeitigen Statistiken gewinnen befristete Verträge an Bedeutung – das wurde heute schon in dieser Debatte mehrmals gesagt –, dennoch müssen wir auch das Zahlenverhältnis sehen. Schauen wir uns das letzte Jahr an: Nach Auskunft des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung waren 2013 nur 7,5 Prozent aller Arbeitsverträge befristet. Das bedeutet, dass über 92 Prozent aller Arbeitsverträge unbefristet waren. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels setzen viele Unternehmen darauf, kompetente und gute Beschäftigte langfristig zu halten. Genau das spiegeln die gerade genannten Zahlen wider. Ich halte Arbeitsverträge mit Befristungen für ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument. Diese haben sich in der Praxis bewährt, und wir wollen auch daran festhalten. Wir sehen bei der Befristung mit und ohne Sachgrund keinen Änderungsbedarf und werden deshalb den Antrag der Fraktion Die Linke ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Überraschung!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Michael Schlecht, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Michael Schlecht (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Befristungen sind ein entscheidender Hebel zur Beschädigung der Tarifautonomie in den letzten zehn, fünfzehn Jahren – eigentlich schon seit 1985 – geworden; denn es ist vollkommen klar, dass befristet eingestellte Arbeitnehmer nicht in der Weise frei sind und sich sicher im Betrieb fühlen wie unbefristet Beschäftigte. Sie sind nämlich Beschäftigte quasi ohne Kündigungsschutz. Wenn man ohne Kündigungsschutz ist und ein auf sechs Monate, ein Jahr oder wie lange auch immer befristetes Arbeitsverhältnis hat, dann überlegt man sich natürlich dreimal, ob man mit seiner Gewerkschaft gemeinsam eine Tarifauseinandersetzung führt, sich zum Beispiel an Warnstreiks und anderen Kampfformen beteiligt, um in einer Tarifrunde Druck zu machen. Dann ist man unter Umständen sogar bereit, wenn die anderen Kollegen aus dem Betrieb streiken, sich zum Büttel des Unternehmers machen zu lassen und als Streikbrecher zu operieren, weil man Angst hat, dass man seine Arbeit verliert, wenn man das nicht macht, weil das befristete Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt wird. Insofern ist es dringend notwendig – wenn man die Tarifautonomie und das Handeln der Gewerkschaften wieder stärken will –, dass man die sachgrundlose Befristung abschafft. Die muss weg. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will mit einem Satz illustrieren, wozu das faktisch führt. Wir haben in Deutschland nach wie vor die Situation, dass der durchschnittliche Beschäftigte über 3,6 Prozent weniger Reallohn verfügt als im Jahr 2000. Deutschland ist das Land des Lohndumpings. Das ist deshalb so gekommen, weil die Politik den Gewerkschaften in den letzten zehn, fünfzehn Jahren in einer absolut brutalen Weise zwischen die Beine gegrätscht ist. Damit muss Schluss sein. Heute Morgen ging es ja um ein Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie; nur, dieses Gesetz ist leider vollkommen unvollständig. Es müsste mindestens eine Neuregulierung der Befristung dort hinein. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte noch einen zweiten Punkt nennen. Befristungen sind ein Instrument, das eigentlich menschenunwürdig ist. Mir fällt dazu eine junge Frau aus meinem Wahlkreis Mannheim ein, Janine F. – ich will sie hier ja nicht outen –, 29 Jahre alt, die als Hotelfachfrau gut qualifiziert ist. Sie hat in ihrem Leben noch keine anderen Jobs als nur befristete gehabt. Sie weiß auch nicht, wie es weitergehen wird. Sie geht davon aus, dass es mit den befristeten Jobs immer so weitergehen wird. Sie hat einen Lebenspartner. Wenn ich sie frage: „Wie stellst du dir das alles vor? Was wollt ihr machen? Wie stellt ihr euch euer Leben vor? Wollt ihr vielleicht einmal Kinder haben?“, dann antwortet sie mir: „Das ist natürlich ganz schwierig. Ich würde schon gerne mit meinem Freund ein Kind haben; allerdings ist auch er befristet beschäftigt. Wir überlegen uns das gut. Woher sollen wir in solchen Zeiten eigentlich den Mut nehmen, uns für ein Kind zu entscheiden? “ Wenn man sich dies einmal ernsthaft anschaut, dann wird klar, welche Folgen die Befristung nicht nur für die Arbeitswelt, sondern auch unter familienpolitischen Gesichtspunkten hat; dann wird klar, dass auch das dazu beiträgt, dass die Geburtenrate in Deutschland so niedrig ist. Sonst wird allenthalben, insbesondere von der CDU/CSU, immer wieder beklagt, dass die Geburtenrate so niedrig ist, und es werden alle möglichen Gründe dafür herangezogen, warum junge Frauen keine Kinder mehr bekommen. Ich sage Ihnen: Die Politik, die in der Arbeitswelt gemacht worden ist, zum Beispiel mit den Befristungen, eine Politik, die Sie zu verantworten haben, die Sie heute hier wieder hoch gelobt haben, ist dafür verantwortlich, dass Menschen solche Restriktionen ihrer Privatsphäre aufgezwungen werden. Es ist wirklich zynisch und pervers, wenn auf der anderen Seite immer wieder darüber gejammert wird, dass in Deutschland so wenig Kinder geboren werden; schließlich werden den jungen Leuten durch die Befristungen die Möglichkeiten genommen, sich positiv und offensiv für Familie und Kinder zu entscheiden. Auch deshalb müssen die sachgrundlosen Befristungen endlich weg. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Markus Paschke, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Markus Paschke (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Linken hat den Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vorgelegt. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Guter Vorschlag!) Es ist kein Geheimnis – das wurde heute schon erwähnt –, dass sich die SPD in ihrem Wahlprogramm für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen hat. Ich will es wiederholen, damit es sich gut einprägt – das ist für jedermann nachlesbar –: Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Stimmen Sie also zu!) Es ist aber auch kein Geheimnis, dass wir uns seit dem Mitgliederentscheid im Dezember letzten Jahres in einer Koalition mit der CDU und der CSU befinden. In den Koalitionsverhandlungen konnten wir unsere Position an dieser Stelle nicht durchsetzen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Links blinken, rechts abbiegen!) An anderer Stelle dagegen schon. Erst heute Morgen haben wir das Tarifpaket mit dem Mindestlohn und der Beendigung der Generation Praktikum beschlossen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Matthäus Strebl [CDU/CSU]: Genau! Mit der CDU/CSU!) – Genau. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Antrag der Linken steht zu Recht, dass fast die Hälfte der Neueinstellungen befristet sind. Wenn wir genauer hinschauen, stellen wir fest, dass es in den einzelnen Branchen sehr unterschiedlich ist. Selbst in den zehn Branchen mit dem höchsten Anteil von befristeten Arbeitsverträgen sind die Unterschiede riesig. Auf Platz zehn liegt der Bereich „Verkehr und Logistik“ mit einem Anteil von 6,4 Prozent befristet Beschäftigten, und auf Platz eins liegt – hören Sie jetzt genau hin; ich sehe viele Schüler auf der Besuchertribüne – der Bereich „Erziehung und Unterricht“ mit einem Anteil von 17,2 Prozent befristet Beschäftigten; das ist fast jeder Sechste. Wir finden unter den zehn Branchen mit den meisten befristet Beschäftigten viele Dienstleistungsbranchen, auch solche mit schwankenden Arbeitsvolumen. Die Wirkung eines Verbots der sachgrundlosen Befristung darf man von daher nicht überbewerten, weil sich für viele Fälle Sachgründe finden lassen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Warum habt ihr dann deren Abschaffung gefordert? Seid ihr dafür oder dagegen?) Wenn in der Land- und Forstwirtschaft gerade einmal 8 Prozent der Mitarbeiter in unbefristete Arbeitsverhältnisse übernommen werden, ist dies, glaube ich, ein deutlicher Hinweis. Ich finde, dass die Anzahl befristeter Arbeitsverträge viel zu hoch ist. Betroffen sind vor allem Frauen und junge Menschen. Was mich aber viel mehr als diese Zahlen bewegt, möchte ich an einem Beispiel deutlich machen – der Kollege Schlecht hat das fast vorweggenommen; aber ich will aus eigenem Erleben berichten –: Im Rheiderland lernte ich vor ein paar Jahren – es ist schon einige Jahre mehr her – Keno kennen. Keno machte gerade eine Ausbildung zum Kommunikationselektroniker, war richtig motiviert und machte kurz darauf seine Abschlussprüfung. Er bestand sie auch noch mit „sehr gut“. Das waren die besten Startchancen für den Einstieg in den Beruf – dachte er und ich auch. Relativ schnell nach der Ausbildung fand er auch einen Job, jedoch als Leiharbeiter, mit einem befristeten Vertrag. Als dieser Vertrag auslief, nahm er in der Hoffnung auf eine in Aussicht gestellte Festanstellung eine Stelle in Nordrhein-Westfalen an. Er zeigte also nicht nur Interesse an Arbeit, war nicht nur motiviert, sondern war auch flexibel und bereit, umzuziehen etc. In Nordrhein-Westfalen blieb er vier Jahre, aber nicht ein einziges Mal hatte er eine Festanstellung. Er hatte immer nur befristete Stellen, war immer nur in Leih-arbeit tätig, vier lange Jahre. Mit 28 kam er dann wieder zurück nach Ostfriesland und begann eine weitere Ausbildung, seine zweite, weil ihm in Aussicht gestellt wurde, er würde, wenn er noch einmal eine Ausbildung macht, anschließend eine Festanstellung bekommen. Doch auch hier ein Satz mit x: Das war nämlich nix. Er erhielt wieder nur befristete Arbeitsverträge. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie doch einfach zu!) Letztes Jahr kam endlich die Wende. Mit 34 – 34 Jahre war er alt! – erhielt er die erste Festanstellung seines Lebens. Sosehr ich mich für ihn persönlich freue, so sehr beunruhigt mich jedoch sein Lebenslauf; denn die Zahlen zeigen deutlich, dass es sich hierbei nicht um eine Ausnahmeerscheinung handelt. Im Gegenteil: Es wird zunehmend zur Regel, dass gerade junge Menschen nur befristete Arbeitsverträge erhalten. Das finde ich nicht nur sehr bedauerlich, sondern ich halte es schlichtweg für falsch. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie doch einfach unserem Antrag zu!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren reden wir über Fachkräftemangel, den demografischen Wandel und darüber, dass wir etwas für junge Familien tun müssen. Zu Recht reden wir darüber. Aber hier zeigt sich leider sehr deutlich, dass zwischen Reden und Realität eine Riesenlücke klafft; denn Fakt ist: Um junge Familien zu fördern, bedarf es erst einmal vernünftiger Rahmenbedingungen, die es den jungen Menschen überhaupt ermöglichen, eine Familie zu gründen. Planungssicherheit ist mit befristeten Arbeitsverhältnissen nicht zu haben. Wenn ich nicht weiß, ob ich im nächsten Jahr noch einen Job habe, wenn ich nicht weiß, ob ich mich selbst, meinen Partner und meine Kinder ernähren kann, dann überlege ich es mir dreimal, ob ich eine Familie gründe. Es ist, finde ich, kurzsichtig, und es bringt uns nicht voran, wenn wir auf Kosten kurzfristiger Gewinne und kurzfristiger Flexibilität die Zukunft unserer Jugend aufs Spiel setzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere auch von unserem Koalitionspartner, lassen Sie uns gemeinsam für gute Rahmenbedingungen und für die notwendige Sicherheit für die jungen Menschen sorgen, damit unsere Jugend auch wieder Familien gründen kann, (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie doch einfach mit uns!) ohne Existenzangst und mit Lust auf die Zukunft. Einen ersten Schritt sind wir bereits gegangen; denn im Koalitionsvertrag haben wir uns auf viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verständigt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) deutliche Verbesserungen hin zu guter Arbeit und weg von prekärer Beschäftigung. Ich finde, das ist ein großer Erfolg. Das Erreichen großer Ziele – wie die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns, wie die Rente mit 63, wie die Bekämpfung des Missbrauchs bei Werkverträgen und Leiharbeit, wie das Ende der Generation Praktikum – erfordert aber hin und wieder auch das Schlucken von Kröten. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss man mal einen Schluck Wasser hinterhertrinken!) Einige der Kolleginnen und Kollegen von der Union haben heute Morgen auch geschluckt. Wir haben uns mit der Union im Zuge der Koalitionsverhandlungen auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten geeinigt. Wir sind vertragstreu, und wir halten uns an die Abmachungen. Die SPD steht zu ihrem Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Aber nicht gegenüber den Wählern!) Wir schlucken jetzt also diese Kröte und werden den vorliegenden Gesetzentwurf heute ablehnen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Obwohl er sehr sinnvoll ist!) Meine Eltern – das will ich zum Schluss einmal sagen – haben mir beigebracht, dass man sich an Vereinbarungen und Absprachen unbedingt hält; sonst sollte man sie gar nicht erst treffen. (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Man soll aber auch nicht gegen eigene Wahlaussagen agieren!) Das hat etwas mit Verlässlichkeit zu tun. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Links blinken, rechts abbiegen!) Auf Sozialdemokraten – das will ich auch einmal deutlich sagen – kann man sich jederzeit verlassen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Links blinken, rechts abbiegen!) Vizepräsident Peter Hintze: Denken Sie bitte an die Zeit. Markus Paschke (SPD): Da dies wahrscheinlich meine letzte Rede in dieser Woche war, wünsche ich schon jetzt uns allen neun intensive und erholsame Wochen im Wahlkreis. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Kann man sich darauf verlassen?) Danke schön. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als letzter Rednerin in der Aussprache erteile ich das Wort der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Markus Paschke, offen gestanden lässt mich deine Rede etwas ratlos zurück. Zeitweise klang sie wie eine Begründung für die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der Linksfraktion. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dann habe ich wieder gedacht: Wahrscheinlich ist das eine Fortbildungsveranstaltung für euren Koalitionspartner. (Heiterkeit bei der LINKEN – Markus Paschke [SPD]: Brigitte, auch für die Grünen!) – Nein, da brauche ich wirklich keinen Nachhilfeunterricht, jedenfalls nicht von den Sozialdemokraten. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Hoi!) Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem; ich bin mal gespannt, wie das am Ende ausgeht. Lieber Herr Oellers, lieber Herr Strebl, wir sollten doch mal eines klarstellen: Es geht in dem Gesetzentwurf der Linken nicht darum, Befristungen abzuschaffen. Sie wissen vielleicht, dass das Teilzeit- und Befristungsgesetz (Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Haben Sie das mal gelesen?) neben der sachgrundlosen Befristung acht Gründe für Befristungen enthält, und dieser Katalog ist nicht abgeschlossen. Hinzu kommt, dass Betriebe mit bis zu zehn Beschäftigten überhaupt keinen Kündigungsschutz-regeln unterliegen. Das heißt, wir haben in der Arbeitswelt ein hohes Maß an Flexibilität. Gerade ich als Grüne, die auch ein Stück Mitverantwortung dafür trägt, dass wir die sachgrundlose Befristung haben, sage Ihnen: Wir haben das evaluiert und mussten feststellen: Es gibt in dieser Frage tatsächlich einen Missbrauch. Wenn über 40 Prozent aller Neueinstellungen befristet erfolgen, dann hat das mit einer -Flexibilitätsreserve und mit atmenden Betrieben nichts mehr zu tun, sondern dann ist das schlicht die Verlängerung von Probezeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist Aufgabe der Politik, ein ausgewogenes Verhältnis zu finden zwischen den Bedürfnissen der Betriebe, die wir ernst nehmen, und den Bedürfnissen von Menschen, ein Stück Sicherheit in ihrem Leben zu haben. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Wir streiten hier jedes Mal über familienpolitische Leistungen. Wir geben inzwischen 200 Milliarden Euro für familienpolitische Leistungen aus, auch um den jungen Menschen zu ermöglichen, eine Familie zu gründen und Kinder zu kriegen. Wir machen doch einen Riesenfehler, wenn wir diese Intention mit der Arbeitsmarktpolitik konterkarieren. Dann ist das am Ende des Tages rausgeschmissenes Geld, und das jedenfalls müssen wir jetzt endlich einmal zur Kenntnis nehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen in der Politik raus aus dem schlichten Ressortdenken. Wir müssen die Lebenswirklichkeit der Menschen endlich zur Kenntnis nehmen. Da braucht es einen Arbeitsmarkt, der auf die Bedürfnisse von Menschen und jungen Familien Rücksicht nimmt, (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) der ihrem Bedürfnis nach Lebensplanung und dem Bedürfnis der Betriebe nach Flexibilität Rechnung trägt. Die sachgrundlose Befristung brauchen wir dazu nicht, und deswegen werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1874 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Zu diesem Gesetzentwurf liegen zahlreiche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung des Bundestages vor.5 Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/879, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Druck-sache 18/7 abzulehnen. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Damit eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.6 Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 f sowie den Zusatzpunkt 3 auf: 32 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zweiten Zusatzprotokoll vom 8. November 2001 zum Europäischen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen Drucksache 18/1773 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel einschränken Drucksache 18/1873 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Caren Lay, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bad-Bank-Pläne der Atomkonzerne zurückweisen – Rückstellungen der AKW-Betreiber in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen Drucksache 18/1959 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt Drucksache 18/1963 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stellungnahme im Rahmen des Konsulta-tionsverfahrens der Europäischen Kommission zum Investitionsschutzkapitel im geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP Drucksache 18/1964 f) Unterrichtung durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages Drucksache 17/4325 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Sportausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Maßgabebeschluss des Bundesrates zur Spielverordnung umgehend in Kraft setzen Drucksache 18/1875 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Gesundheit Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überweisungen der Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d und 32 f sowie Zusatzpunkt 3. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit -einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 32 e. Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1964 mit dem Titel „Stellungnahme im Rahmen des Konsultationsverfahrens der Europäischen Kommission zum Investitionsschutzkapitel im geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der -Sache über ihren Antrag auf Drucksache 18/1964, die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie und zur Mitberatung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, an den Ausschuss für Arbeit und Soziales, an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit sowie an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/1964 in der Sache nicht ab. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 s sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 j auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 33 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 25. und 30. April 2007 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Vertragsgesetz EU-USA-Luftverkehrsabkommen – EU-USA-LuftverkAbkG) Drucksache 18/1569 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/1997 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 18/1997, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1569 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsabkommen vom 15. Dezember 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Haschemitischen Königreich Jordanien andererseits (Vertragsgesetz Europa-Mittelmeer-Jordanien-Luftverkehrsabkommen – Euromed-JOR-LuftverkAbkG) Drucksache 18/1570 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/1998 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1998, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1570 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 33 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und der Republik Moldau über den Gemeinsamen Luftverkehrsraum (Vertragsgesetz EU-Moldau-Luftverkehrsabkommen – EU-MDA-LuftverkAbkG) Drucksache 18/1571 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/1999 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 18/1999, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1571 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 33 d: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. September 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik der -Philippinen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/1568 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/1984 Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1984, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1568 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltinformationsgesetzes Drucksache 18/1585 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/1992 Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1992, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1585 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 f: Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sofortiges Moratorium für die Wohnungs- und Grundstücksverkäufe durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben Drucksache 18/1952 Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuss und zur Mitberatung an den Innenausschuss, an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, an den Finanzausschuss sowie an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/1952 nicht in der Sache ab. Damit entfällt die hierzu bereits beantragte namentliche Abstimmung. Tagesordnungspunkt 33 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Wolfgang Gehrcke, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kürzungspolitik beenden – Soziale Errungenschaften verteidigen – Soziales Europa schaffen Drucksachen 18/1116, 18/1605 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1605, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1116 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsauschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine Milliarde Euro Entlastung für Kommunen im Jahr 2014 umsetzen Drucksachen 18/975, 18/1655 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1655, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/975 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 i: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Zweite Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Drucksachen 18/1233, 18/1379 (neu) Nr. 2.1, 18/1677 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 18/1233 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 j: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Erste Verordnung zur Änderung der Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Drucksachen 18/1471, 18/1702 Nr. 2, 18/1993 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, der Verordnung auf Drucksache 18/1471 zuzustimmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 33 k: Beratung der dritten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 Drucksache 18/1810 Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.7 Tagesordnungspunkt 33 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zur Übersicht 2 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/1970 Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 33 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 67 zu Petitionen Drucksache 18/1882 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 67 mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 68 zu Petitionen Drucksache 18/1883 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 68 mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 69 zu Petitionen Drucksache 18/1884 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 69 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion angenommen bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke. Tagesordnungspunkt 33 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 70 zu Petitionen Drucksache 18/1885 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 70 mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 71 zu Petitionen Drucksache 18/1886 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 71 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 r: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 72 zu Petitionen Drucksache 18/1887 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 72 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 33 s: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 73 zu Petitionen Drucksache 18/1888 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 73 mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 4 a: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, Christian Kühn (Tübingen), Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Moratorium beim Verkauf von Wohnimmobilien in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt durch die Bundesanstalt für Immobi-lienaufgaben Drucksache 18/1965 Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache, die Fraktionen CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuss, zur Mitberatung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, an den Finanzausschuss sowie an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Überweisung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/1965 in der Sache nicht ab. Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Zusatzpunkt 4 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 74 zu Petitionen Drucksache 18/1974 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 74 mit den Stimmen aller Fraktionen beschlossen. Zusatzpunkt 4 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 75 zu Petitionen Drucksache 18/1975 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist auch die Sammelübersicht 75 mit den Stimmen aller Fraktionen beschlossen. Zusatzpunkt 4 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 76 zu Petitionen Drucksache 18/1976 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 76 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen. Zusatzpunkt 4 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 77 zu Petitionen Drucksache 18/1977 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 77 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke so beschlossen. Zusatzpunkt 4 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 78 zu Petitionen Drucksache 18/1978 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 78 mit den Stimmen aller Fraktionen beschlossen. Zusatzpunkt 4 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 79 zu Petitionen Drucksache 18/1979 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 79 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beschlossen. Zusatzpunkt 4 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 80 zu Petitionen Drucksache 18/1980 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 80 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke beschlossen. Zusatzpunkt 4 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 81 zu Petitionen Drucksache 18/1981 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 81 mit den Stimmen der Fraktion der CDU/CSU und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke so beschlossen. Zusatzpunkt 4 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 82 zu Petitionen Drucksache 18/1982 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 82 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir mit unserer Tagesordnung fortfahren, darf ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke bekannt geben: abgegebene Stimmen 585. Mit Ja haben gestimmt 119, mit Nein haben gestimmt 466. Der Gesetzentwurf ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 585; davon ja: 119 nein: 466 Ja SPD Stefan Rebmann Peer Steinbrück DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Michael Hennrich Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier-Heite Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özo?uz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Martin Rabanus Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung auch die weitere Beratung. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 7: Wahl eines Mitglieds der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, Satz 3 und 6 des Standortauswahlgesetzes Drucksache 18/1961 Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1961 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Vorschlag ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zu Einwänden der EU-Kommission in Bezug auf die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Valerie Wilms für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Aktuelle Stunde zur Pkw-Maut haben Sie uns Grünen zu verdanken. Wir wollen nämlich endlich einmal Klarheit haben, nachdem die Zeitungen am Wochenende zu diesem Thema schon gut gefüllt waren. Inzwischen rufen schon die Spatzen von den Dächern, dass es bei dem Konzept für eine Ausländermaut à la CSU eine deutliche Verzögerung gibt. Die CSU hatte das zur Bundestagswahl noch großspurig angekündigt. Und von wem ist davon bisher nichts zu hören? Von Minister Dobrindt – er ist heute leider auch in dieser Debatte abwesend – (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er arbeitet am Konzept!) – wahrscheinlich! –, obwohl er als Wahlkämpfer diese Ausländermaut immer besonders laut gefordert hatte. Man muss inzwischen schon vermuten, dass der Minister mit seiner Pkw-Maut à la CSU im letzten Sommer nur einen Wahlkampfschlager als bayerischer Löwe herausbrüllen wollte. Jetzt ist er aber kleinlaut auf dem harten Boden der Realität gelandet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Abwarten!) Aus allen Ecken kommen deutliche Hinweise, dass so eine CSU-Maut mit der Gleichbehandlung aller Menschen in der Europäischen Union nicht vereinbar ist. Denn sie wird nur dazu dienen, ausländische Autofahrer abzukassieren. EU-Verkehrskommissar Siim Kallas hat Ihnen das am letzten Sonntag in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben. Ich zitiere: Eine Pkw-Maut darf somit nicht einfach mit der Kfz-Steuer verrechnet werden. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Ein richtiger Einwand, wie ich finde, den Sie nicht so einfach vom Tisch fegen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Soll Ihr Konzept dann etwa die Einführung einer Pkw-Maut für alle Autofahrer in Deutschland durch die Hintertür sein, wie man es den heutigen Veröffentlichungen im Focus oder von der dpa entnehmen kann? Man hört aber nichts Genaues von Ihnen. Inzwischen verschieben Sie die Veröffentlichung Ihres Konzeptes erneut von Woche zu Woche. Der Verkehrsminister ist der Ankündigungsminister dieser Großen Koalition, der Minister für unerledigte Dinge. Werfen wir doch einmal einen Blick auf den Zeitplan dieses bayerischen Traumprojekts – oder sollte ich besser „Albtraumprojekt“ sagen? (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: O ja!) Erst sollte im Mai, zu Himmelfahrt, etwas vorgelegt werden. Dann hieß es: im Frühjahr. Dann hieß es: zur CSU-Klausur im Juni, und jetzt heißt es: vor der Sommerpause. Wenn man den Minister beim Wort nimmt, müsste bis morgen etwas kommen. Danach sind wir hier im Bundestag nämlich in der Sommerpause. Aber es geht weiter mit immer neuen Ankündigungen des Verkehrsministers. In einer dpa-Meldung war gestern Nachmittag schon wieder eine neue Aussage zu lesen: Jetzt sollen bis zum 11. Juli 2014 Eckpunkte vorgelegt werden. Uns soll also nicht, wie uns immer mitgeteilt wurde, ein Gesetzentwurf, den wir dann parlamentarisch beraten könnten, vorgelegt werden, sondern es sollen nur irgendwelche Eckpunkte vorgelegt werden. Wir kennen das Spielchen ja schon vom EEG. Wir wissen daher, wie Sie damit umgehen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so!) Selbst aus der eigenen Koalition, sogar aus den Reihen der CSU, kommt Gegenwind zur Pkw-Maut. Das zeigt die Aussage der CSU-Landesgruppenchefin, Gerda Hasselfeldt. Sie sagte am Dienstag gegenüber der Presse – ich zitiere –: „Dass das nicht so einfach ist, liegt auf der Hand.“ Ganz so leicht, wie Sie es sich im Wahlkampf erträumt hatten – damals gab es den vor Ressentiments triefenden Ruf nach einer Ausländermaut –, scheint es nicht zu werden, werte Kolleginnen und Kollegen von der CSU. Ich frage mich inzwischen, wie Sie das Kunststück „Pkw-Maut für Halter von im Ausland zugelassenen Fahrzeugen“ hinbekommen wollen. Sie müssen es ja quasi jedem recht machen: Herrn Seehofer, der Ihnen aus München diktiert: „Maut für ausländische Fahrzeughalter, egal wie“, der EU-Kommission, die berechtigterweise sagt: „Maut nur, wenn dadurch ausländische Fahrzeughalter nicht diskriminiert werden“, und dann kam letzte Woche auch noch der Finanzminister ins Spiel, der sagte: „Maut nur, wenn sie auch zu Mehreinnahmen führt“. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat sie nicht eingestellt!) Nach ersten Schätzungen werden den Einnahmen aus Ihrer diskriminierenden CSU-Maut in Höhe von rund 300 Millionen Euro aber Bürokratiekosten in Höhe von rund 300 Millionen Euro gegenüberstehen. Das ist also ein echtes Nullsummenspiel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit ist der Fall klar: Ihre Ausländermaut ist der Einstieg in eine Pkw-Maut für alle, und das wäre Betrug am Wähler durch die CSU. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Wirklich sinnvoll hingegen wäre eine Ausweitung der Nutzerfinanzierung durch diejenigen, die die Schäden an den Straßen verursachen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Das sind die Lkw – das wird Ihnen auch im Wegekostengutachten sehr deutlich aufgezeigt –; denn der normale Lkw beansprucht die Straßen bis zu 60 000-mal stärker als ein Pkw. Die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen würde auf Anhieb, wenn Sie sie jetzt schnellstens in Gang setzen würden, bis zu 2,3 Milliarden Euro Mehreinnahmen bringen. Dafür brauchte man keinen so großen ideologischen Aufwand zu betreiben, wie Sie es bei der Pkw-Maut tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) Geben Sie Ihre Planungen zum CSU-Traum „Ausländermaut“ endlich auf, und konzentrieren Sie sich auf die wichtigen Dinge in der Verkehrspolitik. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Bundesregierung hat nun die Parlamentarische Staatssekretärin Dorothee Bär das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich denke, wir sind uns alle einig – das gilt sicherlich auch für Sie, Frau Wilms –, dass wir eine gesunde Verkehrsinfrastruktur in Deutschland brauchen, die den wachsenden Verkehren in den nächsten Jahren gerecht wird. Wir haben trotz einer geringer werdenden Einwohnerzahl einen starken Anstieg in den Bereichen Güterverkehr und Personenverkehr. Deswegen brauchen wir, wenn Deutschland weiterhin den Anspruch hat, ein modernes Land zu sein, moderne Netze für dieses Land. Ich glaube, wir sind uns ferner alle darüber einig, dass der Wohlstand in diesem Land auch von einer modernen Infrastruktur abhängt. Wir wissen alle, was man noch bauen könnte, wenn zusätzliche Einnahmen vorhanden wären. Diesbezüglich hat jeder Einzelne, insbesondere jeder einzelne Verkehrspolitiker, viele Ideen. Da gibt es zwei Denkschulen: Die eine ist global und hat die ganze Bundesrepublik im Blick, die andere – auch sie betrifft jeden Einzelnen hier – hat die eigene Heimat, die eigene Region im Blick. Wir diskutieren seit Jahren darüber, wie zusätzliche Einnahmen generiert werden können. Wir sind sehr froh, dass es in den Koalitionsverhandlungen gelungen ist, in dieser Legislaturperiode 5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung zu stellen. (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Sehr gute Entscheidung!) Wir wissen aber, dass wir noch mehr Geld brauchen. Deswegen diskutieren wir in Deutschland seit Jahrzehnten über die Nutzerfinanzierung für Pkw. Ich verstehe, ehrlich gesagt, eines nicht: Wir haben hier in diesem Haus schon so viele Debatten geführt, bei denen es wirklich um Reizthemen ging, die man hochstilisieren kann, über die man sich auch ideologisch auseinandersetzen kann, bei denen man vielleicht sogar sagen kann: Das ist eine Gewissensentscheidung. – Das gilt aber doch, bei aller Liebe, nicht beim Thema Pkw-Maut! (Beifall bei der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das ist keine Gewissensentscheidung! Da geht es um Geld!) – Für mich sind Gewissensentscheidungen, Herr Kollege Behrens, Entscheidungen, bei denen es um Leben und Tod geht, aber nicht solche Entscheidungen, bei denen es darum geht, wo weitere Einnahmen generiert werden können. Aber dazu kann jeder seine eigene Meinung haben. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Deshalb habe ich ja gesagt: Es ist keine Gewissensentscheidung, es geht um Geld! ) Für uns ist es eine Frage der Notwendigkeit. Sie bringt vor allem unsere ganz große Überzeugung zum Ausdruck. Liebe Frau Kollegin Wilms, das ist auch kein CSU-Projekt, sondern es ist das gemeinsame Projekt dieser Bundesregierung. Das ist auch im Koalitionsvertrag nachzulesen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Dass ich nicht lache! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das merkt man! Lesen Sie mal die Zeitungen! Die SPD gibt Ihnen Ausstiegshilfe!) – Ich sehe stürmischen Applaus beim Kollegen Bartol; das überzeugt mich an dieser Stelle. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Weil wir davon überzeugt sind, sagen wir aber auch – das richtet sich an die Menschen in diesem Land –: Das ist ein absolutes Gerechtigkeitsprojekt. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Käse ist das! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Diskriminierungsprojekt!) Wir wollen keine Ungerechtigkeit. Wenn man sich Deutschland anschaut, dann sieht man – da muss man kein Geografiegenie sein –, dass wir ein Transitland im Herzen Europas sind. Deutschland ist das Land mit dem am besten ausgebauten Autobahnnetz. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war mal! Die Zeiten sind vorbei! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist es verrottet, weil Sie nicht investieren!) Es wird natürlich nicht nur von inländischen Fahrern genutzt, sondern eben auch von Millionen Transitreisenden aus allen denkbaren Nachbarländern, (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! So wie die Deutschen in den Niederlanden oder in Dänemark fahren! Und?) und zwar kostenfrei und gebührenfrei, während deutsche Autofahrer in vielen europäischen Nachbarländern über entsprechende Systeme an der Infrastrukturfinanzierung beteiligt werden. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: So ist es!) Ich nenne nur Polen, Tschechien, Slowenien, Österreich, Italien, die Schweiz oder auch Frankreich. Wenn man von München nach Verona fährt, dann fallen in Österreich und Italien für einen relativ kurzen Zeitraum 30 Euro an. Wenn man von Köln nach Bordeaux fährt, dann zahlt man in Frankreich 70 Euro. Wenn man aber von Rotterdam bis ins wunderschöne Rosenheim fährt, bis zur Kollegin Ludwig, dann zahlt man 0 Euro. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also eine Maut für alle?) Es kann mir keiner sagen, dass es gerecht ist, dass man nichts zahlen muss, wenn man sich nur auf deutschem Boden bewegt, dass man aber zahlen muss, sobald man außerhalb Deutschlands unterwegs ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also eine Maut für alle, Frau Kollegin? – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dafür schaffen Sie einen riesigen bürokratischen Apparat!) Das ist eine Ungleichbehandlung, und das ist eine Gerechtigkeitslücke, die wir schließen wollen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oho!) Das ist unser Kernanliegen. Spannenderweise teilt dieses Anliegen – so das Ergebnis, nachdem man die Befragung einmal richtig durchgeführt hat – mittlerweile auch weit über die Hälfte aller ADAC-Mitglieder in Deutschland; (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind 53 Prozent! Das ist nicht „weit über die Hälfte“!) auch das ist sehr erfreulich. Es ist also ein Gesellschaftsprojekt, ein Projekt, das in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Natürlich weckt ein solches Konzept, liebe Frau Kollegin Wilms, große Neugierde; das verstehe ich natürlich. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klar!) Wir haben, wie gesagt, jahrelang darüber diskutiert. Was ich nicht nachvollziehen kann – ich habe es angesprochen –, ist, dass man teilweise sehr ideologisch diskutiert. Gerade weil diesem Projekt eine so wahnsinnig große Aufmerksamkeit zuteil wird, ist ein Höchstmaß an Sensibilität geboten. Ich bin sehr froh, dass unser Minister zu den Sensiblen in dieser Bundesregierung gehört. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Martin Burkert [SPD]: Der war gut!) Wenn man sich anschaut, worüber wir hier eigentlich reden – es geht um 42 Millionen Autofahrer in Deutschland, und es geht um viele weitere Millionen Autofahrer aus dem Ausland –, dann muss man ganz ehrlich sagen: Natürlich geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Sonst wären Sie doch die Ersten, die kritisieren würden, man habe hier einen Schnellschuss gemacht. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Der Schnellschuss war schon im Wahlkampf!) Deswegen ist uns die Gründlichkeit an dieser Stelle wichtig. Man muss auch sagen: In einer Zeit, in der es heißt, dass jedes Selbstgespräch in Berlin öffentlich ist, ist es doch toll, dass es auch noch möglich ist, etwas vertraulich miteinander zu besprechen. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wurde doch gar nicht in Berlin geplant! Das wurde in der Staatskanzlei in München gemacht!) Es gehört zur Normalität des Verfahrens, dass der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur sein Konzept erst einmal mit dem Bundesfinanzminister und mit dem Bundeskanzleramt bespricht. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Der hat es ja noch gar nicht, der Finanzminister! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schäuble hat gesagt, er hat nichts!) – Nein, das stimmt nicht, Frau Lemke. Die beiden haben Vertraulichkeit vereinbart, und genau diese Vertraulichkeit ist auch gewahrt worden. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und deswegen sagt der Finanzminister, er habe das Konzept noch nicht? Aha!) Ich zumindest habe keine solche Aussage gelesen. Da liegen Sie völlig falsch. – Natürlich bespricht der Minister sein Konzept auch erst einmal mit den Koalitionsfraktionen, also mit der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion, bevor es dann den Grünen zugänglich gemacht wird. Auch das ist selbstverständlich, genauso wie die Tatsache, dass er es mit der EU-Kommission erörtert. Unser Bundesminister führt diese Diskussionen also seit geraumer Zeit und mit einer sehr hohen Intensität. Wenn er davon sprach, dass er sein Mautkonzept noch vor der Sommerpause vorstellen wird, (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Morgen? Oder wann? – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fehlt nur noch die Jahreszahl!) dann war das, Frau Wilms, auch ernst gemeint. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen, dass das Konzept steht und dass es detailliert ausgearbeitet ist. Wenn Sie der Meinung sind, dass für Sie schon morgen die Sommerpause anfängt, dann kann ich nur sagen: Wir arbeiten noch etwas länger. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sommerpause in diesem Parlament fängt morgen an!) Ich sage Ihnen: Wenn die notwendigen vertraulichen Gespräche geführt und die letzten Rückkopplungen erfolgt sind – das wird sehr bald sein –, dann wird Ihnen dieses Konzept, das bereits steht, auch vorgestellt werden, und natürlich halten wir uns auch an die vereinbarten Vorgaben: keine Zusatzbelastungen für deutsche Pkw-Fahrer und selbstverständlich eine Übereinstimmung mit den Europaregeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir wissen um die Sensibilität – gerade bezogen auf die Europakonformität. Sie haben vorhin Herrn Kallas zitiert. Herr Präsident, das werde ich jetzt auch tun. Auch ich habe den Artikel nämlich gelesen, wie Sie sich denken können. Ich darf Ihnen jetzt also einmal vier Aussagen aus dem Artikel von Herrn Kallas in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zitieren: Zitat eins: Die Europäische Kommission empfiehlt Mitgliedstaaten, Straßenbenutzungsgebühren zu erheben, um die für die Instandhaltung benötigten Mittel aufzubringen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht solche!) Zitat zwei: So werden die Verkehrsteilnehmer nach dem Verursacher- und dem Nutzerprinzip an den Kosten beteiligt, die sie der Gesellschaft verursachen. Zitat drei: Die Europäische Kommission begrüßt deshalb die Einführung oder Ausweitung von Mautsystemen in einer zunehmenden Zahl von Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland. Zitat vier: Die Mitgliedstaaten entscheiden selbst darüber, wie sie die Maut erheben – ob zeitabhängig mit Vignetten oder mit Gebühren, die sich nach der gefahrenen Strecke bemessen. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Ob Ausländer oder Inländer!) Sie sehen also: Das hat Herr Kallas auch dargelegt. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also doch die Maut für alle!) Ich kann Ihnen sagen: Der Minister hat Gespräche geführt, und aus der Europäischen Kommission kommen hier sehr positive Signale, die uns zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Maut für alle werden Sie einführen!) Deswegen noch einmal an die Adresse der Grünen: Für uns ist es selbstverständlich, dass wir ein europarechtskonformes Modell vorstellen und einführen werden. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber immer noch nicht da! Wie lange brauchen Sie denn dafür?) Das ist überhaupt nicht der Diskussion wert, und ich bin mir ganz sicher: Wenn wir die Pkw-Maut erfolgreich eingeführt haben, werden Sie alle nicht verstehen können, wie Sie dieses Zukunftsmodell jemals haben blockieren können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben wir endlich vollständige Klarheit!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herbert Behrens von der Fraktion Die Linke ist der nächste Redner. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Bär, Sie haben sich wacker geschlagen, aber ich finde es unfair, dass Ihr Minister Sie hier ins Rennen schickt, um das zu vertreten, was er schon längst vorbereitet hat bzw. was er nicht durchsetzen kann. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das kann sie! Da machen Sie sich mal keine Gedanken!) Darum will ich mich auch vornehmlich an Herrn Dobrindt abarbeiten, und ich hoffe, dass das, was hier vorgetragen wird, auch bei ihm ankommt. Als Erstes möchte ich ihn einmal zitieren: Es gibt zwei Dinge, die ohne Zweifel sind: dass Deutschland ins WM-Finale kommt und dass die Pkw-Maut zum 01.01.2016 scharfgeschaltet wird. Das ist eine gewagte These. Sie stammt vom Verkehrsminister und ist gerade einmal knapp drei Wochen alt. Der erste Teil seiner Prophezeiung kann noch in Erfüllung gehen, beim zweiten sehe ich allerdings schwarz. Gestern war Minister Dobrindt bei EU-Verkehrskommissar Siim Kallas in Brüssel. Es hieß, das sei ein Rou-tinearbeitstreffen. Ein Routinearbeitstreffen, obwohl es noch nicht einmal einen Antrittsbesuch in Brüssel gegeben hat? Das ist eine merkwürdige Art von Routine. Nein, man muss hier nur einmal eins und eins zusammenzählen, um zu sehen, wie es zu diesem spontanen Besuch gekommen ist. Da es im Kanzleramt mit der Präsentation des Mautkonzepts gar nicht mehr so schnell gehen muss, ist doch jedem klar, dass ihn die Kanzlerin nach Brüssel geschickt hat, um dort nachzufragen, was möglich ist und was nicht. Das heißt, hier von einem Routinebesuch zu sprechen, ist eine ziemliche Frechheit. (Beifall bei der LINKEN) Die Europäische Kommission hat von Anfang an klargemacht, dass die Ausländermaut – das ist der Unterschied, Frau Bär – und das Europarecht einfach nicht zusammengehen werden. Ich weiß nicht, wie oft Herr Kallas in den letzten Monaten mit folgendem Satz zu hören war: Eine Pkw-Maut darf so nicht einfach mit der Kfz-Steuer verrechnet werden. Das ist ein wichtiger Satz, den Sie vorhin nicht zitiert haben. Ihr Vorschlag verstößt eindeutig gegen das Diskriminierungsverbot. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, um das zu erkennen, reichen ein paar europarechtliche Grundkenntnisse. Sie sollten sich einmal ansehen, wie die Einführung der Maut in den 90er-Jahren in Österreich verlaufen ist. Sie müssen offensichtlich genau auf die Höhe der Mautsätze achten, wenn Monats- und Wochenvignetten eingeführt werden sollen, wie zuletzt angekündigt worden ist. Diese Regelung ist den Österreichern nämlich auf die Füße gefallen, weil sie dabei einen Fehler gemacht hatten. Oder nehmen Sie doch einfach das EU-Ratsdokument 10166/12 zur Kenntnis. Diese Art Grundkurs in Sachen Verhältnismäßigkeitsprüfung sollte eigentlich genügen. An Ihrer Stelle würde ich mir Gedanken darüber machen, wie Ihre Mautpläne mit dem europäischen Beihilferecht zu vereinbaren sind, wenn es diese Pläne noch geben sollte. Es gibt in Deutschland mehrere Hunderttausend Mietwagen. Wenn diese bei der Maut durch die Kfz-Steuer genauso entlastet werden sollten wie die Privat-Pkw, dann kann mit einer Welle von Klagen von Autovermietern zum Beispiel aus Enschede oder Stettin gerechnet werden, da ihnen der Marktzugang durch diese Art der Verrechnung schlicht und ergreifend erschwert würde. Das wäre vielleicht eine Denksportaufgabe für das kommende Wochenende. (Beifall bei der LINKEN) Aber der Gegenwind kommt beileibe nicht nur aus Brüssel. Wie in den letzten Tagen zu hören war, gibt es offenbar auch eine kleine Palastrevolution im Verkehrsministerium. Auf den Fluren des Ministeriums beklagt man die fehlende Kommunikation in Sachen Pkw-Maut. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo nichts ist, kann man auch nichts kommunizieren!) Andere Ressorts sind verstimmt, weil es eine Abstimmung mit der EU und vor allem mit dem Finanzministerium nicht gab und weiterhin nicht gibt. Minister Schäuble dürfte aufgefallen sein, dass mit der Dobrindt’schen Ausländermaut einfach kein Geld zu machen ist und dass das Konzept hinten und vorne nicht stimmt. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Gleiches gilt wohl auch für den CSU-Parteivorsitzenden Seehofer. Die für das Wochenende groß angekündigte Vorstellung der Mautvorschläge wurde kurzfristig abgeblasen. Herr Dobrindt steht inzwischen vor dem Nichts. Er hat sich die Suppe aber selbst eingebrockt. Er war für den Rechtsruck im Bundestagswahlkampf der Union verantwortlich. Er ist kein Sensibelchen, wie eben dargestellt worden ist. Er hat beispielsweise Volker Beck aufs Übelste beschimpft und schwulenfeindliche Klischees bedient, um seine Politik zu machen. (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Hören Sie mit dem Mist auf, der überhaupt nicht stimmt!) Bei dem Versuch, mit der Pkw-Maut die AfD rechts zu überholen, ist er in eine verkehrspolitische Sackgasse geraten. (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Oh Mann, sind Sie weit weg!) Wer mit einer Ausländermaut üble Ressentiments bedient, der hat auch nichts anderes verdient. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So kommt der Verkehrsminister aus der Zwangslage nicht heraus. Eine Maut, die nur Ausländer belastet und trotzdem Geld in die Kasse spült, gleicht einer Quadratur des Kreises. Das dürfte auch Siim Kallas im Hinterkopf gehabt haben, als er dem Minister bei der Einführung der Pkw-Maut „Viel Spaß“ gewünscht hat. Aber der Spaß dürfte wohl bald ein Ende haben. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Ich werde jetzt nicht den Rücktritt des Ministers fordern. Aber was sagen seine Parteifreunde? Ich will es einmal fußballtechnisch ausdrücken: Was bedeutet es, wenn ein Vereinsvorstand seinem Trainer nach einer Niederlage der Mannschaft das volle Vertrauen ausspricht? Richtig, er sollte sich schleunigst einen neuen Job suchen. – Die Vertrauensbekundung von Gerda Hasselfeldt für ihren Parteifreund Dobrindt sollte ihn sehr stutzig machen. Er sollte genau zur Kenntnis nehmen, wie sein Parteivorsitzender Seehofer auf das Mautkonzept reagiert hat. (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Da machen Sie sich mal keine Gedanken!) Herr Minister Dobrindt, Sie haben ganz offensichtlich das Vertrauen verloren, nicht das der Linken – das hatten Sie nie –, aber das der CSU-Spitze, der Kanzlerin und Ihrer Ministerkollegen von der SPD und der CDU/CSU. Was sehen wir nach sechs Monaten Amtszeit? Einen Mauthelden auf dem Schleudersitz. Frau Bär, einen schönen Gruß an Ihren Minister. Er möge sich das, was ich gesagt habe, zu Herzen nehmen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sören Bartol ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass nach unserer Geschäftsordnung die Reden in einer Aktuellen Stunde nicht länger als fünf Minuten dauern dürfen. – Wenn das keine Steilvorlage ist: Bitte schön, Herr Bartol. Sören Bartol (SPD): Herr Präsident, die Frage ist, warum bei mir dieser Hinweis kommt. – Aber vielen Dank. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Plan der Opposition ist sehr durchschaubar. Sie wollen die Bundesregierung unter Druck setzen und den zuständigen Minister öffentlich bloßstellen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht er schon selbst!) Ich sage Ihnen ganz klar: Sie sollten Ihre Ungeduld etwas zügeln. Geben Sie doch dem Bundesverkehrsminister und seinem Ministerium und den Kollegen im Bundesfinanzministerium und im Bundeskanzleramt die notwendige Zeit, um in Ruhe ein Konzept für eine Pkw-Maut auszuarbeiten! Das ist eine große Herausforderung, die höchste Präzision erfordert. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Hören Sie gut zu! – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Sie beruhigen. Am Ende wird der Deutsche Bundestag entscheiden, und zwar nicht nur auf der Grundlage von Eckpunkten, (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kennen wir aber anders!) sondern auf der Basis eines konkreten Gesetzentwurfes in einem geordneten Verfahren mit Expertenanhörung und Beratungen in den Ausschüssen. Offensichtlich schaut gerade das ganze Land nach Berlin und will die Details der Pkw-Vignette erfahren. Das ist nur zu verständlich, da es sich um kein ganz einfaches Unterfangen handelt. Ich weiß jedoch, dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt gerade sehr hart und intensiv an einer Lösung arbeitet. Dabei hat er mein vollstes Vertrauen. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gut ist auch, dass sich das Bundesfinanzministerium jetzt intensiv in die Beratungen eingeschaltet hat. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Großes Kino!) Aus unserer Sicht drängt die Zeit nicht. Der Minister hat selbst angekündigt, noch vor der Sommerpause etwas vorzulegen. Ob das eine Woche früher oder später passiert, ist aus unserer Sicht nicht entscheidend. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir sind uns in der Koalition einig, dass der Koalitionsvertrag gilt. Mobilität muss in Deutschland auch in Zukunft für alle bezahlbar bleiben. Das haben CDU, CSU und SPD miteinander fest vereinbart. Deswegen darf auch kein einziger Autofahrer aus Deutschland durch eine Pkw-Maut mehr belastet werden. Das ist ein Versprechen, auf das sich alle verlassen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gleichzeitig haben sich CDU, CSU und SPD darauf verständigt, dass wir uns an die Spielregeln der Europäischen Union halten werden: Alle Autofahrer, auch aus den Niederlanden und Dänemark, die nach Deutschland kommen, müssen gleichbehandelt werden. Das ist eine Frage der guten Nachbarschaft und damit eine Selbstverständlichkeit in einem gemeinsamen Europa. Daher nehme ich die Hinweise des EU-Kommissars Siim Kallas sehr ernst, der letzten Sonntag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geschrieben hat – es ist bereits einiges daraus zitiert worden –: Eine Pkw-Maut darf somit nicht einfach mit der Kfz-Steuer verrechnet werden. Es kann nicht sein, dass ein inländischer Autofahrer die Maut über die Steuer automatisch zurückerstattet bekommt. Wenn das die Position der Europäischen Kommission ist, gehe ich davon aus, dass die Bundesregierung das selbstverständlich bei ihrer Erarbeitung der Pläne berücksichtigt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland kann kein Selbstzweck sein. In den Koalitionsfraktionen sind wir uns einig, dass eine Pkw-Vignette nur dann die breite Akzeptanz der Bevölkerung finden wird, wenn es am Ende auch nennenswerte Einnahmen gibt. Die Bürgerinnen und Bürger werden genau darauf achten, ob durch die Kosten der Erhebung die zusätzlichen Einnahmen nicht umgehend wieder aufgefressen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD im Bundestag steht zum Koalitionsvertrag. Das gehört sich auch so unter Koalitionspartnern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn die im Koalitionsvertrag formulierten Bedingungen erfüllt sind, dann – und nur dann – wird es in Deutschland eine Pkw-Vignette geben. Jetzt ist die Bundesregierung, vorneweg der Bundesverkehrsminister, an der Reihe, etwas Konkretes vorzulegen. Wenn das vorliegt, werden wir als SPD bzw. als Koalitionspartner und, ich denke, auch Sie alle – dafür ist die wunderbare Sommerpause da – das gemeinsam wohlwollend, aber kritisch prüfen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird das Sommerlochthema in diesem Jahr!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich weiß jetzt, Herr Bartol, warum ich den Hinweis auf die Redezeit zu Beginn Ihrer Rede gegeben habe: weil ich geahnt habe, dass Sie den Nachweis führen würden, dass es auch in vier Minuten geht. (Heiterkeit) Nächster Redner ist der Kollege Steffen Bilger für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Steffen Bilger (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie gestatten, werde ich versuchen, die fünf Minuten auszunutzen. – Mütterrente, Mindestlohn, Pkw-Maut – das waren Schlagworte, die die Koalitionsverhandlungen überschrieben haben, die aber auch wichtige Anliegen der drei Parteien wiedergeben. Vielleicht erklärt der Umstand der politischen Bedeutung des Themas Pkw-Maut auch die, wie ich finde, etwas unsinnige Aufgeregtheit, mit der diese Debatte bisweilen geführt wird, bis hin zu dieser Aktuellen Stunde im Bundestag. (Beifall bei der CDU/CSU) Eigentlich sind sich alle einig. Die Infrastruktur braucht mehr Geld. Da ist es doch naheliegend, über Zusatzeinnahmen nachzudenken. Frau Wilms, wir denken selbstverständlich auch an die Lkw-Maut; (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist auch richtig!) wir werden dieses Thema heute Abend noch im Bundestag debattieren. Wir denken aber auch an andere Zusatzeinnahmen. Wenn es Zusatzeinnahmen sind, die noch nicht einmal den deutschen Autofahrer zusätzlich belasten, dann ist diese Überlegung, glaube ich, sinnvoll. Zumindest ist die Aufregung, mit der sich auch hier manche eingebracht haben, in höchstem Maße unangemessen. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass über die Pkw-Maut schon so lange diskutiert wird und wahrscheinlich jeder Deutsche dazu eine klare Meinung – entweder dafür oder dagegen – hat. Ich kann nur sehr begrüßen, dass diese Koalition die Umsetzung der Pkw-Maut in Angriff nimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich persönlich hätte nicht gedacht, dass ich in wenigen Wochen sowohl der Rente mit 63 als auch dem Mindestlohn zustimmen würde. (Beifall bei der SPD – Sören Bartol [SPD]: Das war eine gute Entscheidung! – Martin Burkert [SPD]: Willkommen in der Koalition!) Daher bitte ich um Gelassenheit, wie Sie Sören Bartol gerade ausgestrahlt hat. Nach den genannten politischen Großprojekten freuen wir uns natürlich über Unterstützung für dieses Anliegen, das uns besonders wichtig ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe darauf verzichtet, zusammenzutragen, wann sich welche Landesverbände welcher Partei für welche Art einer Pkw-Maut ausgesprochen haben. Ich glaube, uns allen ist bewusst, dass die Positionierung zu diesem Thema doch sehr von regionalen Erfahrungen abhängt, sodass es keinesfalls so ist, dass die eine Partei dafür und die andere komplett dagegen wäre. So gab es vor kurzer Zeit auch einen Vorschlag von Ministerpräsident Albig, der auf viel Kritik gestoßen ist, der aber gezeigt hat, dass bei dem Thema Infrastrukturfinanzierung Handlungsbedarf besteht. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Er wollte das jedenfalls nicht zum 1. Januar umsetzen!) Ausgangslage für unsere aktuellen Überlegungen zur Pkw-Maut ist der Koalitionsvertrag; das wurde schon angesprochen. Dort ist festgehalten: Die Pkw-Maut wird im Inland zugelassene Fahrzeuge nicht zusätzlich belasten. Die erzielten Einnahmen fließen in die Infrastruktur, und – ganz klar – das Ganze muss europarechtskonform sein. Ich muss wegen der Art, wie diese Diskussion zurzeit geführt wird, noch einmal darauf hinweisen: Brüssel hat überhaupt nichts gegen eine Pkw-Maut; das wurde schon gesagt. Ganz im Gegenteil: EU-Verkehrskommissar -Kallas hat in seinem bereits angesprochenen Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Kommission den Mitgliedstaaten die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren empfiehlt. Was vielen auch nicht richtig bewusst ist, ist, dass die EU auch heute schon eine gewisse Benachteiligung von Haltern ausländischer Fahrzeuge zulässt. Denn wer eine 10-Tages-Vignette in einem EU-Mitgliedstaat erwirbt, der bezahlt mehr als der, der die Jahresvignette hat, wenn man es auf die Tage der Autobahnbenutzung herunterrechnet. Eine gewisse Benachteiligung ausländischer Verkehrsteilnehmer ist also durchaus konform mit den Vorgaben der Europäischen Kommission. Deshalb wundere ich mich manchmal über die Erwartung, die jetzt an Brüssel gerichtet wird, dass die Pkw-Maut auf jeden Fall scheitern wird. Ich bin mir sehr sicher, dass wir mit der EU-Kommission einen Weg finden werden, die Pkw-Maut in Deutschland einzuführen. Ich will allerdings noch eine Vorstellung, die Herr Kallas geäußert hat, ansprechen; denn sie ist keine Vorstellung, die wir teilen. Entfernungsabhängige Gebühren für Pkw – er hat sie nicht zur Bedingung gemacht, aber in seinem Beitrag empfohlen – halten wir nicht für die richtige Lösung. Wir wollen eine einfache Lösung, die zudem keinen Anlass zur Besorgnis hinsichtlich einer Überwachung der Autofahrer bietet und nicht zu einer Benachteiligung von Berufspendlern und ländlichen Räumen führt. (Beifall bei der CDU/CSU) Gerade einmal fünf Länder in Europa verzichten komplett auf eine Pkw-Autobahnmaut. Dass ausgerechnet das Transitland Nummer eins, Deutschland, dazu gehört, kann doch wirklich nicht sein, meine Damen und Herren. Wir haben gute Gründe für die Einführung einer Pkw-Maut: Transitland Nummer eins bedeutet vielfach Stauregion Nummer eins. Unsere Infrastruktur ist unterfinanziert; wir brauchen einfach mehr Geld im System. Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit. Wer unsere Straßen benutzt, soll dafür bezahlen, genauso wie Millionen deutscher Pendler und Urlauber. Herr Behrens, eines will ich doch noch einmal klarstellen: Die Einführung einer Pkw-Maut für ausländische Fahrzeuge hat nun wirklich nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Na ja!) Aus den genannten Gründen sollten wir alle an der Einführung einer Pkw-Maut arbeiten. Ich bitte hierfür um Unterstützung und auch um die nötige Gelassenheit bei dieser Debatte. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Thomas Lutze ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Thomas Lutze (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Staatssekretärin, es geht Ihnen um Gerechtigkeit. Das ist eine gute Idee. Bei diesem Thema sind wir sogar dabei. (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt doch für die Maut?) – Warten Sie es ab! – Ihnen geht es, wenn ich Sie richtig verstanden habe, darum, dass sich alle, die auf deutschen Straßen Auto fahren, an der Finanzierung beteiligen. Vor diesem Hintergrund verweisen Sie darauf, dass ausländische Pkw hierzulande ohne Plakette fahren dürfen, während deutsche Autofahrer im Ausland zumeist für Plaketten oder an Mautstationen zahlen müssen. Nun suchen Sie genauso wie Ihre Vorgänger nach einer Lösung und haben sich dabei sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Sie haben ein für meine Begriffe in der Öffentlichkeit sehr populäres Thema aufgebauscht, um Ihre zurückgehenden Wahlergebnisse in Bayern wieder etwas aufzubessern. Es tut mir leid, aber mit Realpolitik hat das relativ wenig zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Nun zieht ausgerechnet die von Ihnen sehr geliebte EU die Notbremse. Alle vorausgegangenen Warnungen – übrigens auch aus den Reihen der Union und des Koalitionspartners SPD – haben Sie kontinuierlich ignoriert. Doch es ist noch nicht zu spät. Blasen Sie einfach die ganze Aktion ab! Das Ganze kommt Sie gar nicht so teuer. Vielleicht steht morgen noch etwas Negatives in der Presse. Aber spätestens am Samstag hat jeder das Thema vergessen. Wenn Sie nach Lösungen unter dem Gerechtigkeitsaspekt vor allem bei der Finanzierung im Verkehrssektor suchen, dann probieren Sie es doch einmal mit folgendem Thema: Zum Beispiel im Fernverkehr konkurrieren die Bahn, das Flugzeug und neuerdings die Fernbus-linien um die Reisenden. Nun kann man zu jedem Verkehrsmittel seine eigene Meinung haben; auch wir waren an der ein oder anderen Stelle sehr kritisch. Wenn Sie aber schon Wettbewerb organisieren und zulassen, dann muss dieser Wettbewerb wenigstens zu denselben Rahmenbedingungen stattfinden. Gehen Sie also einmal der Frage nach, warum ein Bahnbetreiber für jeden Kilometer, der auf der Schiene zurückgelegt wird, eine Gebühr zahlt, warum ein Eisenbahnverkehrsunternehmen für jeden Halt an einem Bahnhof oder Haltepunkt ebenfalls eine Gebühr zahlen muss. Ich frage Sie: Warum fahren die Fernlinienbusse auf deutschen Autobahnen kostenlos? Warum wird hier keine Maut erhoben? Ich glaube, ein entsprechendes Gesetz benötigt eine halbe DIN-A4-Seite, und Sie haben dann eine zusätzliche Einnahme für die Verkehrsinfrastruktur. (Beifall bei der LINKEN) Oder haben wir etwa keine Probleme bei der Finanzierung der Sanierung von Autobahnbrücken? Ich stelle auch die Frage, warum gerade die Kommunen, deren Kassen ohnehin sehr klamm sind, selber die Haltestellen für Fernbusse bezahlen müssen, während die Betreiber der Fernbuslinien völlig außen vor sind. Ist das Gerechtigkeit, Frau Staatssekretärin? Ich glaube nicht. Noch eine Frage ist interessant, Stichwort „Treibstoff“. Während die Betreiber von Bussen und Bahnen Mineralölsteuer und Ökosteuer und was weiß ich für Steuern zahlen müssen, fliegen die Airlines kostenlos. Kerosin? Fehlanzeige bei Mineralölsteuer und Ökosteuer! Ist das Gerechtigkeit im Verkehrssektor, wenn es um die Finanzierung geht? Ich glaube: Nein. Liebe Frau Staatssekretärin – das geht auch an die Adresse von Herrn Dobrindt –, kümmern Sie sich bitte um die gravierenden Probleme im Verkehrssektor und um dessen Finanzierung! Lassen Sie den Unfug mit der Pkw-Maut! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, das uneingeschränkte Lob der Opposition und vielleicht auch aus Teilen der Regierung wird Ihnen dann hier im Hohen Hause sicher sein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun der Kollegin Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kirsten Lühmann (SPD): Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr verehrte Gäste! In einer Aktuellen Stunde sollte man sich mit aktuellen Themen befassen, also mit etwas Neuem zu einem Thema, über das debattiert wird. Ich habe geschaut, was es Neues zum Thema Maut gibt. Ich habe etwas gefunden: Eine Gemeinde im Kreis Oldenburg bei uns in Niedersachsen plant eine Treckermaut, um Geld für den Erhalt ihrer Wirtschaftswege einzunehmen. Das ist eine aktuelle Meldung von gestern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber doch wohl nicht nur für ausländische Trecker!) Ich glaube aber, dass das kein Thema ist, mit dem sich der Deutsche Bundestag befasst. Wenn ich der Meldung glauben darf, wird dieser Vorschlag keine Mehrheit finden. Wenn es nun aber nichts Neues zur Maut gibt, dann könnten Sie auch andere Formate nehmen, liebe Freunde von den Grünen, zum Beispiel eine Pressekonferenz, um die eigene Meinung zu gewissen Themen darzulegen. Das, was die Koalition zum Thema Maut vereinbart hat, steht schon seit längerem in unserem Koalitionsvertrag. Da haben wir übrigens auch alle Pläne, wie wir uns eine Infrastrukturfinanzierung vorstellen, dargelegt. Wir haben dort nämlich festgelegt, dass es uns hauptsächlich um die Sanierung von Straßen und Brücken geht. Wir haben festgelegt, dass wir um einen Neubau nicht ganz herumkommen werden, um den prognostizierten Zuwachs des Güterverkehrs um 39 Prozent bewältigen zu können. Wir haben dort auch festgelegt, dass wir die Finanzierung dazu auf zwei Säulen stellen werden. Die erste Säule ist die Steuerfinanzierung, und die zweite Säule wird die Nutzerfinanzierung sein. Wir haben auch gesagt, dass wir das so eingenommene Geld effizienter verplanen und verbauen wollen, sodass wir mehr für unsere Infrastruktur tun können. Ich glaube, das sind sehr gute Verabredungen. Zum einen stärken wir das Prinzip „Erhalt vor Neubau“. Das ist ein ganz wichtiges Thema, das die Menschen draußen betrifft. In meinem Wahlkreis gibt es eine viel befahrene Bundesstraße durch einen Ort, die diese Woche erneuert wird. Die Fahrbahn wird neu gemacht; das ist eine Maßnahme, auf die die Menschen schon sehr lange warten, weil sie lärmgeplagt sind und es mit dieser neuen Fahrbahndecke wesentlich ruhiger werden wird. Zum anderen werden wir beim Neubau darauf achten, dass die geförderten Projekte auch einen optimalen Nutzen entfalten können. Wir werden Verkehrsknoten entlasten und zusätzliche Kapazitäten auf den meistgenutzten Verbindungen schaffen. Geld, das am Ende des Jahres noch nicht verbaut wurde, muss nun nicht mehr an den Finanzminister zurückgegeben werden, sondern steht im nächsten Jahr zusätzlich zur Verfügung. Das ist eine weitere sinnvolle Neuerung, die wir eingeführt haben. Doch ohne weiteres Geld werden wir die Herausforderungen nicht bewältigen. Darum haben wir verabredet, zusätzliche 5 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode zur Verfügung zu stellen. Wir wollen die Infrastruktur wieder in einen Zustand versetzen, wie es für den Wirtschaftsstandort Deutschland unabdingbar ist. Wir wissen auch: Wenn wir das wollen, reichen diese 5 Milliarden Euro nicht aus. Wir werden also um eine verstärkte Nutzerfinanzierung nicht herumkommen. Dabei berücksichtigen wir aber, dass ein Lkw – das wurde schon erwähnt – unsere Straßen 60 000-mal mehr schädigt als ein Pkw. Deshalb haben SPD und Union vereinbart, die Lkw-Maut auf alle Bundesfernstraßen und auf Lkw ab 7,5 Tonnen auszudehnen. Wir haben weiterhin vereinbart, dass wir über die Einführung einer Pkw-Maut für Halter und Halterinnen von im Ausland gemeldeten Kraftfahrzeugen nachdenken. In 21 europäischen Ländern gibt es eine allgemeine Pkw-Maut, meist streckenbezogen, manchmal mit Vi-gnette. Aber zehn Länder in Europa verzichten darauf, darunter auch unsere Nachbarn Niederlande, Dänemark und Großbritannien. Daher können wir die Mauterhebung nicht zu einer Frage der Gerechtigkeit machen. Wenn wir das nämlich machten, dürften wir nur von den Fahrern solcher Länder Maut erheben, in denen auch wir zahlen müssen. Also, für die Dänen, bei denen wir freie Fahrt haben, wäre die deutsche Pkw-Maut ungerecht. (Beifall bei der SPD) Die Pkw-Maut, so wie wir sie vereinbart haben, muss drei gleichwertige Bedingungen erfüllen – sie sind genannt worden –: Die Halter und Halterinnen von in Deutschland gemeldeten Kraftfahrzeugen dürfen nicht zusätzlich belastet werden, weil sie genug in den allgemeinen Haushalt einzahlen, aus dem wir unsere Straßen bezahlen. Es müssen erhebliche zusätzliche Mittel generiert werden. Ein Verwaltungsmonster, das den Großteil der Einnahmen auffrisst, wäre sinnlos. Und sie muss dem europäischen Recht entsprechen. Verkehrsminister Dobrindt hat versichert, dass er eine so ausgewogene Lösung vorlegen wird. Also, warten wir sie ab. Ich weiß nicht, woher diese Hektik kommt. Wenn dieser Gesetzesvorschlag auf dem Tisch liegt, dann wird die EU-Kommission qualifiziert dazu Stellung beziehen. Da ich nicht hellsehen kann, weiß ich weder, was in dem Gesetzentwurf zur Pkw-Maut steht, noch weiß ich, welche Gedanken sich die EU-Kommission dann dazu machen wird. Darum erschließt sich mir nicht, warum wir heute darüber reden. Eine Aktuelle Stunde dient üblicherweise dazu, aktuelle und nicht zukünftige Themen zu debattieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn die Stellungnahme der EU-Kommission vorliegt, freue ich mich darauf, diese Stellungnahme mit Ihnen zu debattieren. Jetzt freue ich mich erst einmal auf den Beginn der Parlamentspause Ende der Woche. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin! Kirsten Lühmann (SPD): Ich wünsche uns allen gute Erholung, damit wir im September die dann aktuellen Themen und eventuell die vorliegenden Gedanken der EU-Kommission zu dem einen oder anderen Thema gemeinsam debattieren können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun freue ich mich auf den nächsten Redner der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, den Kollegen Gastel, den ich bitten möchte, wenn er ebenfalls schöne Wünsche für die Urlaubspause unterbringen möchte, das innerhalb der fünf Minuten Redezeit zu tun, die er zur Verfügung hat. (Heiterkeit) Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wann die Pause losgeht, definiert ja in diesem Jahr der Minister. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über eines der größten Staatsgeheimnisse unserer Zeit. Ich spreche nicht über die Handytelefonate unserer Kanzlerin. Nein, ich spreche über die geplante CSU-Maut. Wenn die Pläne vorgelegt werden, dann bleiben viele spannende Rätsel zu lösen: Rätsel Nummer eins: Sind die Mautpläne EU-rechtskonform? Die Aussagen von EU-Verkehrskommissar Kallas vom Wochenende haben nochmals die hohen Hürden aufgezeigt. Unabhängig davon ist der Gedanke, Autofahrer aus dem Ausland einseitig zu belasten, schlichtweg antieuropäisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Rätsel Nummer zwei: Wie wird eine Mehrbelastung deutscher Autofahrer vermieden? Eine solche Vermeidung war ja ein zentrales Wahlversprechen der CSU. Aber selbst dann, wenn eine Kompensation über die Kfz-Steuer gelingen sollte: Was ist, wenn die Niederländer oder die Dänen als Reaktion auf die deutsche Maut ebenfalls eine Maut einführen? Spätestens dann ist dieses Versprechen gebrochen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Rätsel Nummer drei: Werden Gelder in nennenswertem Umfang für die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung generiert? Der Aufwand für die Pkw-Maut wird gigantisch sein. Für die Erhebung der Kfz-Steuer sind schon jetzt knapp 1 800 Personalstellen eingerichtet. Wenn die Steuer künftig mit verschiedenen Mautsätzen, beispielsweise für Tages-, Wochen-, Monats- oder Jahresvignetten, verrechnet werden muss, wird noch viel mehr Personal erforderlich sein. – Jetzt einmal Tacheles gesprochen: Jährlich fehlen für den Erhalt der Infrastruktur in Deutschland 7,2 Milliarden Euro. Was macht die Große Koalition? Sie finanziert mit ihrer CSU-Maut den Betrag hinter dem Komma, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und dafür verursacht sie einen gigantischen bürokratischen Aufwand mit enormen Verwaltungskosten: mehr Personal für die Verwaltung bei geringeren Einnahmen aus der Kfz-Steuer. Sie sollten sich besser endlich einmal um die Infrastruktur kümmern. Wie es um diese steht, ist nämlich im Gegensatz zu Ihren Mautplänen kein Geheimnis. Die Infrastruktur an Schienenwegen und Straßen verlottert zusehends. Aber was machen Sie? Sie arbeiten an einer Maut, die nichts bringt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum vierten und letzten Rätsel: Worin liegt der Sinn dieser Maut? Dieses Rätsel, meine Damen und Herren, kann ich lösen: Sie macht keinen Sinn, und sie ist noch dazu ungerecht; denn egal ob Viel- oder Wenigfahrer, die Einheitsmaut kostet alle das Gleiche, und egal ob Spritschlucker oder sparsames Fahrzeug, die Einheitsmaut kostet alle das Gleiche. Mit dieser Flatratevignette werden völlig falsche Anreize gesetzt: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einmal zahlen und dann fahren, so viel man will. So wird der Stau nicht weniger, und so gibt es auch keinerlei Anreiz, vermehrt öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Was wir von Ihnen als Regierung erwarten, ist ein Konzept, wie Sie Mobilität mit geringerem Ressourcenverbrauch möglich machen wollen, und dafür bedarf es der richtigen Anreize. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann Dobrindt aber nicht!) Meine Damen und Herren, Sie sehen: Diese Maut ist das Ergebnis eines unsinnigen, populistischen Wahlversprechens der CSU. Sie bringt nichts, kostet aber viel. Im Übrigen bricht einer von Ihnen ohnehin ein Wahlversprechen: entweder die Kanzlerin, die vor laufenden Kameras versprochen hat: „Mit mir gibt es keine solche Maut“, oder die CSU, die im Wahlkampf genau das Gegenteil verspochen hat. Wir wünschen uns, dass die CSU ihr Versprechen brechen muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn deren Mautidee ist der Versuch einer Quadratur des Kreises: hohe Einnahmen ohne Mehrbelastungen für deutsche Autofahrer, und das auch noch EU-rechtskonform. Die Vignette kann aber nur eines davon sein: entweder rund oder eckig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Minister – er ist zwar nicht da, ich sage es ihm trotzdem –, nutzen Sie die Sommerpause! Nicht um vorher noch einen Schnellschuss mit einer unsinnigen Maut zu machen, nein, nutzen Sie die Sommerpause, um sich im schönen Bayern zu entspannen! Steigen Sie in Bayern auf einen hohen Berg und erhaschen Sie einen Weitblick, um zu erkennen: Die CSU-Maut ist ein Rohrkrepierer und gehört gestoppt! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Andreas Scheuer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Andreas Scheuer (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Kollegen Gastel sieht man, dass es guttut, dass die Sommerpause bald kommt, damit man sich wieder ein bisschen abreagieren kann, Herr Kollege Gastel. Sie sind ja selbstständiger Wirtschaftsmediator. Wenn Sie alle Probleme in den von Ihnen zu beratenden Unternehmen lösen, wie Sie manche politischen Probleme lösen, dann wird daraus nichts. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, Herr Kollege Gastel kommt ja aus Baden-Württemberg. Da las ich schon am 13. August 2012: Vorstoß für Pkw-Maut. Wir brauchen dringend mehr Geld. – 25. August 2013: Eine Maut für alle ist die beste Lösung. – 24. August 2013: Hermann fordert Pkw-Maut auf allen deutschen Straßen. – Meine Damen und Herren, das ist Ihr baden-württembergischer Verkehrsminister, der die CSU in ihrem Kurs unterstützt. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pkw-Maut für alle! – Weiterer Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Unterschied kann man schon erkennen!) Wir haben jetzt auch entdeckt, dass die Kolleginnen und Kollegen der Grünen-Fraktion hellseherische Fähigkeiten haben. Sie diskutieren jetzt schon über ein Konzept, (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schon längst vorliegen sollte!) das der Bundesminister erst sehr sorgfältig erstellen und dann vorlegen wird. Sie aber spekulieren und kommentieren schon. Das ist, glaube ich, der falsche Weg. Das soll auch die Weltöffentlichkeit wissen. Wenn es richtig wäre, was Sie sagen, nämlich dass es antieuropäisch wäre, eine Pkw-Maut einzuführen, dann wären 21 Staaten in der EU, die ein Pkw-Maut-System haben, antieuropäisch. Ja, was ist denn das für eine Logik? (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist doch, dass sich unsere Kolleginnen und Kollegen von den Grünen in einer verkehrspolitischen Sackgasse bewegen. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Damals, am 28. Oktober 2013, hat der Europaabgeordnete Cramer von den Grünen nämlich eine Antwort des EU-Kommissars Siim Kallas bekommen, und darin heißt es ganz eindeutig: Die EU-Kommission hat nichts gegen eine Pkw-Maut. – Das ist in Wahrheit Ihr verkehrspolitischer Rohrkrepierer, mit dem Sie jetzt nicht zurechtkommen; denn die EU-Kommission ist in dieser Antwort klar für ein nutzerfinanziertes System und für eine Pkw-Maut, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht für Ihr Modell! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es darf Ausländer nicht diskriminieren!) – Herr Kollege, regen Sie sich wieder ab! Ich konzentriere mich jetzt auf die Linksfraktion. Ich habe nämlich gerade mitbekommen, Herr Kollege Lutze, dass Sie gegen die wichtigen Fernbuslinien in Deutschland argumentieren; denn Sie wollen jetzt eine Bus-Maut für die Fernbuslinien einführen. Sie wollen doch auch, dass unsere jungen Menschen, unsere Rentnerinnen und Rentner, die vielleicht nicht so auf die Zeit, aber vor allem auf ihr Portemonnaie schauen müssen, Mobilität in Deutschland haben. Dass diese Fernbuslinien zum Erfolgsschlager, zu einem Erfolg für die Mobilität in Deutschland geworden sind, sieht man an dem breiten Angebot. (Beifall bei der CDU/CSU) Für mich ist neu, dass die Linke jetzt so unsozial ist, dass sie diese Personengruppen am liebsten noch zusätzlich durch steigende Preise belasten will, indem wir eine Bus-Maut einführen sollen. Das ist eine gute Nachricht für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion; denn wir haben das in der letzten Wahlperiode eingeführt, und die Fernbuslinien sind ein großer Erfolg. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, was ist die eigentliche Situationsanalyse, wenn man es verkehrspolitisch betrachtet? Seit Jahrzehnten diskutieren wir über eine Pkw-Maut. Seit Jahrzehnten diskutieren die EU-Kommission, der EU-Ministerrat über nutzerfinanzierte Systeme. Seit Jahrzehnten beklagen sich die Verkehrspolitiker, dass zu wenig Geld im Infrastruktursystem ist. Diese Große -Koalition schafft es zum einen, dass wir 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Infrastruktur bekommen und damit auch den Länderinteressen und -anliegen Rechnung tragen, indem unsere Infrastruktur noch besser wird. Wir erschließen auf der anderen Seite zusätzliche Finanzierungsquellen und schließen, liebe Kollegin Lühmann, eine Gerechtigkeitslücke, indem wir die beteiligen, die kostenlos durch das Transitland Deutschland durchfahren. Wir beteiligen die ausländischen EU-Mitbürger an der Finanzierung der Infrastruktur, die unser Land bis dato kostenlos zum Durchfahren nutzen. Wir beteiligen sie an der Infrastrukturfinanzierung. Es ist doch gerecht, dass sie herangezogen werden, wenn sie unsere Infrastruktur benutzen. Meine Damen und Herren, schauen wir uns doch einmal die Vorschläge an, die in den letzten Jahrzehnten auf dem Tisch gelegen haben: Im letzten Jahr forderte der ADAC eine Erhöhung der Mineralölsteuer. 92 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind gegen die Erhöhung der Mineralölsteuer. Die Grünen fordern in ihrem Programm die Citymaut. 78 Prozent sind gegen die Einführung einer Citymaut. Aber 88 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind für das Modell der Pkw-Maut für Ausländer, und das setzt die Große Koalition um. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird man sehen!) Wir machen das, was die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will, nämlich die Gerechtigkeitslücke zu schließen und zusätzlich Finanzierungsquellen für unsere In-frastruktur zu erschließen. Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, werden sehr überrascht sein davon, wie viel Mehreinnahmen wir bekommen. Deswegen freue ich mich auf das Konzept, das Bundesverkehrsminister Dobrindt (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann?) ausarbeitet. Er war gestern in Brüssel. Er ist mit guten Nachrichten aus Brüssel zurückgekommen und wird zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen in der Bundesregierung und in den Koalitionsfraktionen ein Konzept auf den Weg bringen, wovon alle profitieren, die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland am allermeisten, wenn sie nämlich durch zusätzliche Mauteinnahmen eine bessere Infrastruktur bekommen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Martin Burkert ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Martin Burkert (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Bär, mich würde einmal interessieren, ob Sie sich vorgestellt haben, dass es mit der Pkw-Maut jemals ernst werden könnte. Denn die ersten Rufe nach der Pkw-Maut vom Podium im Deutschen Bundestag ertönten, als dieser noch in Bonn war. Da waren wir beide noch Teenager. (Zuruf von der CDU/CSU: Die Frau Bär vielleicht! – Heiterkeit) – Der Herr Scheuer auch; darauf können wir uns vielleicht einigen. Ich denke da gerade an jemanden aus Ihren Reihen. Von dem CSU-Abgeordneten Dionys Jobst – Sie wissen, wer das war – stammt bekanntermaßen auch die Idee, dass man Mallorca zum 17. Bundesland machen könnte. Daraus ist bis heute nichts geworden. Da stehen die Aktien und die Chancen für die Pkw-Maut aktuell besser. Präsident Dr. Norbert Lammert: Es wird unterschiedlich beurteilt. Martin Burkert (SPD): Sie werden es noch wissen, Herr Präsident. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich sage ja gerade: Es wird sehr unterschiedlich beurteilt, ob daraus nichts geworden ist. (Heiterkeit) Martin Burkert (SPD): Aus Mallorca, ja? – Das wäre eine extra Aktuelle Stunde wert. (Heiterkeit – Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir in der Sommerpause!) Sie haben es mit Ihren CSU-Mitstreitern geschafft, erst den Unionsfreunden außerhalb Bayerns die Pkw-Maut aufs Auge zu drücken, und dann – das will ich auch sagen – haben Sie es geschafft, dieses von uns nicht gewollte Kind der Großen Koalition in die Wiege zu legen. Die Verhandlungsführer sind da: der Kollege Pronold, der Kollege Ramsauer. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Herr Ramsauer eigentlich?) Deshalb werden wir das jetzt begleiten; völlig klar. Wir Sozialdemokraten stehen zu dem, was im Koalitionsvertrag enthalten ist; nicht mehr, aber auch nicht weniger. So ist das. Ihr Parteifreund Jobst wetterte bereits in den 80er-Jahren, also vor 30 Jahren, er sei es leid, vergeblich darauf zu warten, dass die Nachbarstaaten ihre Autobahngebühr abschaffen, während Ausländer auf deutschen Autobahnen umsonst fahren. Ob allerdings eine Politik nach dem Motto „Wie du mir, so ich dir“ unbedingt christlich ist, das wage ich zu bezweifeln. (Beifall des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es sind nicht unbedingt edle Gefühle, die bei den Wählerinnen und Wählern abgerufen werden, wenn das Motto heißt: Wenn wir im Ausland zahlen, sollen die Ausländer auch bei uns zahlen. – Zu diesem Thema und zu den mäßigen finanziellen Effekten hat Peer Steinbrück im Kanzlerduell das Nötige gesagt. Es würde auch ganz bestimmt nicht die Weitsicht der Autofahrer fördern, wenn die Windschutzscheibe mit Dutzenden farbenfroher Plaketten zugeklebt würde, weil jedes Land in Europa ein „Papperl“ verlangt. Von einer wünschenswerten einheitlichen europäischen Verkehrspolitik will ich in diesem Zusammenhang gar nicht reden. Wir haben uns im Koalitionsvertrag geeinigt, dass wir uns einer Pkw-Maut unter bestimmten Voraussetzungen nicht entgegenstellen werden. Die Punkte müssen erfüllt sein – es ist mehrfach genannt worden –: Die Maut darf nicht gegen Europarecht verstoßen und darf den deutschen Autofahrer nicht stärker belasten. Ich will daran erinnern, dass die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland das mehrfach und vor allem in dem Kanzlerduell Millionen von Zuschauern gesagt hat. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen mehr Geld in die Kasse bekommen und nicht, dass Verwaltungskosten gleich alles auffressen; denn in einem sind wir uns hier im Hohen Hause einig: Wir brauchen mehr Geld für die Infrastruktur, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist der entscheidende Punkt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Wir haben auch Vorschläge gemacht. Die Lkw-Maut – wir haben sie gefordert – gibt es heute. Frau Bär, verstehen Sie mich nicht falsch, ich will Ihre Qualitäten als Köchin nicht infrage stellen. (Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär: Das ist noch so eine Frechheit! – Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Kampeter, Sie halten sich auf der Regierungsbank bitte heraus, solange Sie sich nicht ordentlich zu Wort melden. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter begibt sich von der Regierungsbank in die Reihen der CDU/CSU-Fraktion) Martin Burkert (SPD): Herr Präsident, die Zeit läuft davon, aber es macht nichts. Ich will nur sagen, dass der andere Koch nicht anwesend ist. Aber, Frau Bär, ich hoffe, Brüssel wird die Suppe dann nicht versalzen. Darauf werden wir genau schauen. Das EU-Recht haben wir angesprochen. Es wäre auch ungerecht – das will ich noch einmal sagen –, wenn jemand, der im Jahr Tausende Kilometer auf Autobahnen fährt, genauso viel zahlen müsste wie derjenige, der einmal im Jahr von dem wunderschönen Rosenheim über den Brenner zum Gardasee fährt. Auch hier müssen wir aufpassen. (Beifall des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zum Schluss möchte ich als bayerischer Abgeordneter anmerken: (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fränkischer!) Liebe Opposition, die Sommerpause beginnt in Bayern im August. Das muss man einmal sagen. Um eines möchte ich Sie, Frau Bär und Herr Scheuer, ausdrücklich bitten: Die bayerische CSU hat die Pkw-Maut in die Welt gesetzt, weil sie die Ausländer nicht ungeschoren auf unseren Autobahnen fahren lassen will. Bitte achten Sie beide und auch Herr Minister Dobrindt darauf, dass Herr Seehofer in der Hitze des Sommerlochs nicht noch den bayerischen Stammtischen folgt und für die Preußen eine Extramaut auf bayerischen Autobahnen vorschlägt. Darum bitte ich Sie. (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Als bayerischer Landesgruppenchef habe ich einige Sperenzchen mitgemacht und bin es gewohnt. Deshalb will ich zum Schluss schon sagen, dass unsere Zusammenarbeit erfreulich gut ist. Das darf man heute auch sagen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Oliver Wittke für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Oliver Wittke (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Haltung der Bundesregierung zu Einwänden der EU-Kommission in Bezug auf die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland So lautet das Thema der Aktuellen Stunde, die Bündnis 90/Die Grünen beantragt hat. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber reden wir!) Ich stelle zu Beginn meiner Rede fest, dass von Ihnen, Frau Wilms und Herr Gastel, kein einziger Einwand von Bedeutung der EU-Kommission gegenüber einer Pkw-Maut in Deutschland, die im Konzept vorliegt, vorgetragen worden ist. Das kann auch gar nicht sein; denn es wäre komisch, wenn die Einwände vor der Veröffentlichung eines Gesetzentwurfes öffentlich werden. Von daher ist die heutige Debatte, die Sie beantragt haben, nichts anderes als der Versuch, einen Vorgang zu skandalisieren, der gar nicht skandalisierbar ist, weil ein tatsächliches Konzept das Licht der Öffentlichkeit noch gar nicht erblickt hat. Darum kann es keine Einwände der Europäischen Union in dieser Frage geben. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem, was in der Zeitung steht?) – Wenn Sie den Entwurf haben, dann stellen Sie ihn hier vor. Wenn es tatsächlich Einwände der EU-Kommission gibt, tragen Sie diese hier vor. Sie haben es bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht getan. Der Kollege Scheuer hat gerade EU-Kommissar -Kallas zitiert. Ich will dies auch noch einmal tun. In der gerade erwähnten Antwort vom 28. Oktober 2013 auf eine Anfrage von Michael Cramer, Mitglied Ihrer Fraktion im Europäischen Parlament, hat der Verkehrskommissar wörtlich gesagt: Grundsätzlich stellt eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuern für gebietsansässige Nutzer … bei gleichzeitiger Erhebung angemessener Nutzungsgebühren für alle Nutzer also keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar. Deutlicher geht es nimmer. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Das ist ein Kommentar der Kommission der Europäischen Union. Die ist hier maßgebend. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht noch mehr drin! Er hat noch mehr dazu gesagt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, worum geht es hier tatsächlich? Es geht darum, darüber nachzudenken, wie wir mehr Geld in unsere Verkehrsinfrastruktur investieren können. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, klar! Sie wollen an die Lkw-Maut ran!) Das ist mittlerweile eine politische Binsenweisheit, die auch bei Ihnen, Frau Wilms, angekommen sein müsste. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Klar!) Wir müssen mehr Geld in die Unterhaltung, in die Sanierung und auch in den Ausbau unserer Fernstraßen investieren. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen an die ran, die sie uns kaputtmachen!) Da gibt es nur drei Möglichkeiten, woher das Geld kommen kann: entweder neue Schulden oder Steuermittel oder Gebühren. Neue Schulden sind mit uns nicht zu machen. Aus Steuermitteln stellen wir in dieser Legislaturperiode schon 5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für den Neubau von Straßen!) Darüber hinaus werden wir gebührenfinanziert, nämlich durch eine Pkw-Maut, zusätzliche Mittel für den Fernstraßenbau und für die Sanierung von Fernstraßen in Deutschland generieren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unglaublich!) Sie unterliegen einem Irrtum, wenn Sie glauben, es ginge darum, Ausländer abzuzocken. Nein, es geht, wie es im Koalitionsvertrag heißt, um die zusätzliche Finanzierung von Fernstraßenbau in Deutschland, um nichts anderes – nicht um Abzocke, sondern um mehr Mittel für Investitionen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht für den Erhalt, nur für den Neubau! Oder was?) Darum haben wir – das ist mehrfach vorgetragen worden – zwei Bedingungen ausdrücklich festgelegt. Ich komme gleich noch zu einer weiteren konkludenten Bedingung, wenn man so sagen will. Die beiden ausdrücklich niedergeschriebenen Bedingungen lauten „keine Mehrbelastung für deutsche Autofahrer“ und „die Regelung soll EU-rechtskonform sein“. (Beifall des Abg. Martin Burkert [SPD]) Ich habe keinen Zweifel daran, dass beide Bedingungen im Gesetzentwurf von Minister Dobrindt enthalten sein werden. Lassen Sie uns dann darüber reden, wenn der Gesetzentwurf vorliegt. Ich sage Ihnen: Beide Bedingungen werden erfüllt sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wann kommt der Gesetzentwurf? – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2015! Oder was?) Es gibt eine konkludente Bedingung, die ich hier auch noch erwähnen will: Vernünftig muss die Regelung schon sein. Vernünftig heißt: Der Aufwand muss deutlich geringer sein als der Nettoertrag. Beides muss in einem vernünftigen Verhältnis stehen; denn nur zum Geldwechseln werden wir natürlich keine Pkw-Maut einführen können. Wir wollen, dass am Ende Mittel für den Fernstraßenbau übrig bleiben. Wenn ich mir anschaue, dass seit der erfolgreichen Einführung der Lkw-Maut gerade einmal 10 Prozent des Aufkommens für deren Verwaltung aufgewandt werden, dann muss ich sagen: Da liegt die Latte in einer richtigen Höhe. Sie muss nach Möglichkeit noch darunter liegen, damit möglichst viele Mittel in den Fernstraßenbau investiert werden können und nicht nur Geld gewechselt wird. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihrer Pkw-Maut wird viel mehr Bürokratie gebraucht!) Das bedeutet im Übrigen auch, dass die Regelung praktikabel sein muss. Wir wollen kein bürokratisches Monster. Wir wollen eine praktikable Handhabung der Pkw-Maut; auch das ist selbstverständlich. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin sicher, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dass all diese Bedingungen in einem Gesetzentwurf von Minister Dobrindt enthalten sein werden. Darum verstehe ich die Aufregung zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Wir werden – dann auf dem Fundament eines ordentlichen Gesetzentwurfs – ja noch viele Möglichkeiten haben, darüber zu debattieren. Dann werden Sie sehen: Der Koalitionsvertrag wird Punkt für Punkt eingehalten werden, so wie wir es vereinbart haben (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wird es also keine Ausländermaut geben!) und wie wir es im Übrigen der Infrastruktur und damit den Menschen in diesem Land schulden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ulrich Lange ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ulrich Lange (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Hurra, sie lebt noch, die Opposition. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Wenn ihr schon gar nichts mehr einfällt, dann nimmt sie noch ein Thema, zu dem es eigentlich nichts Neues gibt. Liebe Kollegin Wilms, lieber Kollege Gastel, wo waren Sie denn heute in der Fachdebatte zur digitalen Infrastruktur? (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir nach Ihrem Konzept gesucht und es nicht gefunden!) Da waren Sie weit und breit nicht zu sehen, weil Sie hier noch Ihren Showtanz vorbereiten mussten, für den es eigentlich keinen Anlass gibt. Seien Sie beruhigt: Vonseiten der CSU gab und gibt es keinen Betrug am Wähler, liebe Kollegin Wilms. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Ich kann mich noch sehr gut an die letzte Aktuelle Stunde vor der Sommerpause vor der Bundestagswahl erinnern. Da habe ich Ihnen auf die Frage, wie diese Pkw-Maut denn in den Koalitionsvertrag kommen soll, geantwortet: Seien Sie beruhigt, die CSU verhandelt mit. – Sie steht jetzt im Koalitionsvertrag. Wie es Horst Seehofer gesagt hat: ohne Maut keine Unterschrift, und wie es die Kanzlerin gesagt hat: keine Mehrbelastung für die deutschen Bürgerinnen und Bürger. (Beifall bei der CDU/CSU und der der SPD – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kanzlerin hat gesagt: keine Maut!) Also sind die Bedingungen abgesteckt. Damit ist auch klar, in welchem Rahmen die Maut kommt. Herr Kollege Lutze, schön, dass Sie auch mal wieder da sind; im Ausschuss sehen wir Sie nicht mehr so häufig. Es ist klar: Wir brauchen kein Lob von Ihnen. Das ist der Unterschied zwischen Opposition und Regierung. Wir haben einen Wählerauftrag, den wir hier erfüllen. Loben können Sie sich in der Opposition selber; es wird nichts bringen. Kollege Burkert, eine Bemerkung sind Sie mir als bayerischer Kollege jetzt wert. Ihre Rede hat gezeigt, warum die Verhältnisse in München so sind, wie sie sind: Das, was Sie sagen, geht manchmal am bayerischen Lebensgefühl vorbei. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Martin Burkert [SPD]: In München stellen wir den Oberbürgermeister!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon mehrfach angesprochen worden: Es gibt eigentlich nichts Neues. Auch der Namensartikel von Siim Kallas in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bietet keinen Anlass zu dieser Diskussion. Darin stellt er nur fest: Die EU sagt Ja zu einer Nutzerfinanzierung, weil sie genau weiß, dass es ohne Nutzerfinanzierung nicht genügend Geld für die in Europa so notleidende Verkehrsinfrastruktur gibt. Ja, die EU sagt, dass wir frei entscheiden können, wie wir die Pkw-Maut aufsetzen. Auch das ist nichts Neues, sondern nur eine Bestätigung unserer Position. (Beifall bei der CDU/CSU) Am Ende des Artikels heißt es, dass wir nicht diskriminieren dürfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke doch, dass wir hier im Deutschen Bundestag bisher sehr gute Europäer sind und waren; wir werden die europäischen Grundsätze mit Sicherheit nicht verletzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Martin Burkert [SPD]) Ich glaube, dass das hier Konsens ist, und in diesem Konsens werden wir die Pkw-Maut auf den Weg bringen. (Martin Burkert [SPD]: Sehr gut!) Für mich steht außer Zweifel, dass die Einführung der Maut am Ende eine Frage der Gerechtigkeit ist. In über 20 EU-Staaten ist eine solche Infrastrukturfinanzierung in Form einer Nutzerfinanzierung möglich. Dann ist es doch nur eine Frage der Gerechtigkeit und Solidarität, die ich durchaus empfinde, wenn ich durch Österreich oder Italien fahre; (Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/CSU]) ich habe Verständnis für die Österreicher, dass sie für die Nutzung ihrer Straßen von mir Geld verlangen, denn ich nutze sie ja auch – ich nutze sie in Italien, ich nutze sie in Frankreich, ich nutze sie in über 20 Staaten der EU. Das ist gerecht; (Beifall bei der CDU/CSU) das ist europäische Solidarität. Ich glaube, auch wir können uns in diesem Rahmen bewegen. Der Vergleich mit einem Trainer amüsiert mich. Wer ist denn Präsident, wer ist Trainer, und wer ist Kotrainer? – Liebe Frau Staatssekretärin, ich würde Sie hier auf der Regierungsbank nie als Kotrainerin sehen. – Das gilt insbesondere deshalb, lieber Kollege Behrens, weil die Kollegin Dorothee Bär als sehr kompetente und sehr gute Staatssekretärin heute hier den Minister vertreten hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Martin Burkert [SPD]: Ausdrücklicher Beifall!) Der Präsident leuchtet schon. (Heiterkeit) Aber ich bleibe im Rahmen der bisherigen Überziehungen in der letzten Aktuellen Stunde vor der Sommerpause; wir wollen ein bisschen amüsiert in diese Pause gehen. Ich halte fest: Wir haben einen Koalitionsvertrag, in dem es heißt, dass die Pkw-Maut zu keiner Mehrbelastung deutscher Autofahrer führen darf und EU-rechtskonform ausgestaltet werden soll. Das ist die Aufgabe, die uns gestellt ist. Wir werden sie erfüllen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Ulrich Lange (CDU/CSU): Eine Koalition mit der CSU, mit der Union heißt immer: mehr Geld für die Infrastruktur, Schließung der Gerechtigkeitslücke und Straßenbau. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem Neubau, Neubau, Neubau!) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Martin Burkert [SPD]: Schönen Urlaub!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, wenn die Koalition die eigene Regierung lobt, bleibt dem Präsidenten eigentlich nichts mehr, als zu leuchten. (Heiterkeit) Nun hat als letzter Redner der Kollege Arnold Vaatz das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Danke, Herr Präsident, für Ihre wertvolle Erläuterung zu Ihrer Rolle. (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es stellt sich die Frage: Wozu führen wir diese Debatte? (Heiterkeit bei der SPD – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Herr Lammert, eine Frage an Sie!) An manchen Sitzungstagen gehen die Debatten bis tief in die Nacht. Wir verplempern heute unsere wertvolle Zeit, indem die Möglichkeit, eine Aktuelle Stunde durchzuführen, missbraucht wird, um über Dinge zu reden, die der Volksmund als ungelegte Eier bezeichnet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann setzen Sie sich doch wieder!) Solange wir den Gesetzentwurf nicht kennen, ist eine Diskussion darüber reine Spekulation; das müsste eigentlich jedem klar sein. Eines wissen wir – das ist vielleicht der einzige Bezug zum Thema der heutigen Debatte –: Kommissar Kallas hält es prinzipiell für richtig, dass wir stärker in die Nutzerfinanzierung eintreten. Das sollte eigentlich auch unser gemeinsames Bestreben sein. Ich bin trotzdem nicht ganz unglücklich über die Debatte, weil sie uns die Gelegenheit gibt, etwas dazu zu sagen, was die Menschen empfinden, die in der Nähe der Grenze von Ländern wohnen, in denen eine Maut erhoben wird. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau! Sehr richtig!) Sie empfinden die Situation als grobe Ungerechtigkeit und die Art, wie wir darüber reden, als ignorant, und zwar aus dem ganz einfachen Grund: Es sind ärmere Gegenden, die an jene Länder grenzen, in denen Maut erhoben wird, zum Beispiel das Erzgebirge oder der Bayrische Wald. Die Menschen dort wünschen sich von uns, dass wir diese tiefempfundene Ungerechtigkeit beseitigen. Sie möchten nicht als Ausländerfeinde oder als Antieuropäer bezeichnet werden, sondern Sie wollen ernst genommen werden. Sie wollen, dass dieselben Regeln, die sie im Ausland beachten müssen, auch von Menschen aus dem Ausland, die zu uns ins Inland kommen, beachtet werden müssen. Das ist der Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das setzt das Gesetz voraus!) Ich kann daran nichts Negatives erkennen. Es gibt zwei Möglichkeiten der Finanzierung: einerseits durch Steuern und andererseits durch eine Nutzerfinanzierung durch die Maut. Ich kann an diesem dualen Prinzip nichts Falsches erkennen. Falsch ist allerdings, dass fortwährend Dinge vermischt werden, wo es nichts zu vermischen gibt. Was bedeutet das? Wir wollen eine Maut für alle (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aha! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, jetzt ist es raus!) – Moment! –, wir wollen allerdings eine Maut, die unsere inländischen Autofahrer nicht zusätzlich belastet. Das haben wir gesagt, und an diese Prämisse werden wir uns halten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Martin Burkert [SPD]) Die Kraftfahrzeugsteuer festzusetzen, ist ein originäres souveränes Recht jedes europäischen Landes; wir brauchen dafür keine Genehmigung der Europäischen Union. Wenn wir die Kraftfahrzeugsteuer neu festsetzen, dann ist das unser Recht als Parlament. Wenn inländische Autofahrer, also Fahrzeughalter, die ihre Fahrzeuge in Deutschland zugelassen haben, im Zuge dieser Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer keine zusätzliche Belastung erfahren, dann ist das kongruent zu unserem Wahlversprechen, und wir werden es auch so umsetzen. Wie das genau geschehen wird, das werden Sie dem Gesetzentwurf entnehmen, den der Herr Minister bald vorlegen wird. Ich bin sicher: Wenn dieser Gesetzentwurf vorliegt, dann wird Ihr Empörungspotenzial – das ist der einzige Grund, warum Sie die heutige Debatte beantragt haben – erheblich zurückgegangen sein. Ich wünsche Ihnen eine schöne Sommerpause, viel Sonne und Zeit zum Nachdenken. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Noch ist es nicht so weit. – Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich rufe die Zusatzpunkte 6 a und 6 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer Drucksachen 18/1528, 18/1766 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksachen 18/1954, 18/2004 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Da?delen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schutzbedarf von Roma aus Westbalkanstaaten anerkennen Drucksachen 18/1616, 18/1954, 18/2004 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister des Innern, Thomas de Maizière, das Wort. Dr. Thomas de Maizière (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung einen Gesetzentwurf, der zwei wichtige Bestandteile hat, die Einstufung von drei Ländern als sichere Herkunftsstaaten und eine erleichterte Arbeitsaufnahmemöglichkeit für Asylbewerber. Seit Aufhebung der Visumspflicht für Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien haben wir in Deutschland einen sprunghaften Anstieg der Zahl der Asylanträge aus diesen Ländern beobachtet. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum haben sich die Zahlen mehr als verdoppelt. Für das zweite Halbjahr 2014 ist nochmals eine deutliche Steigerung zu erwarten. Die Zahl der anerkannten Schutzbedürftigen bei den Angehörigen dieser Staaten liegt jedoch bei unter 1 Prozent. Die Aufhebung der Visumspflicht für diese Staaten war gedacht, damit Reiseverkehr entsteht, Handel entsteht, Wandel entsteht, Kontakte entstehen, aber die Aufhebung der Visumspflicht war nicht dazu gedacht, damit man ohne Visum hier Asyl beantragen kann. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf sollen aussichtslose Asylanträge von Angehörigen dieser Staaten schneller bearbeitet und ihr Aufenthalt in Deutschland schneller beendet werden können. Bund, Länder und Kommunen können dadurch von erheblichen Kosten entlastet werden. Hinzu kommt, dass die hohe Zahl der letztlich erfolglosen Asylanträge aus den Westbalkanstaaten im Ergebnis zulasten der tatsächlich schutz-bedürftigen Asylsuchenden geht. Wir können mehr -Verfolgte aus Syrien aufnehmen, wenn weniger Nichtverfolgte zum Beispiel aus Serbien zu uns kommen. So einfach ist die Lage. Die Anhörung im Deutschen Bundestag hat unsere Einschätzung bestätigt, dass diese drei Staaten als sichere Herkunftsstaaten angesehen werden können. Dort drohen weder Verfolgung noch Folter noch unmenschliche Behandlung. Das gilt auch in Bezug auf die Volksgruppe der Sinti und Roma. Die Anhörung hat ferner gezeigt – Herr Oppermann hat das in der Generaldebatte sehr überzeugend vorgetragen –: Das Asylrecht ist nicht der richtige Ort, der zweifellos schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Lage in bestimmten Herkunftsländern zu begegnen und die damit verbundenen Fragen zu lösen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Sachverständigen haben auch deutlich gemacht, dass es sich bei diesem Gesetzentwurf um eine Regelung handelt, die die materielle Rechtsposition der betroffenen Asylbewerber nicht schmälert. Jeder Asylbewerber aus den drei Westbalkanstaaten hat die Chance, darzulegen, dass er abweichend von der allgemeinen Lage in dem als sicher dargestellten Herkunftsland in seinem konkreten Fall dennoch mit Verfolgung rechnen muss. Das kann vorgetragen werden und wird geprüft. Deutschland folgt – ein wichtiger Punkt, ich habe schon darauf hingewiesen – mit diesem Gesetzentwurf dem Beispiel anderer, auch unterschiedlich politisch regierter Staaten, die diese drei Staaten längst zu sicheren Herkunftsländern erklärt haben: Belgien, Frankreich, Österreich, das Vereinigte Königreich. Dieses Gesetz hat auch noch einen anderen Aspekt. Das Gesetz verkürzt die Wartefrist, nach der Asylbewerbern und Ausländern, die eine Duldung besitzen, die Ausübung einer Beschäftigung grundsätzlich erlaubt werden kann, auf nur noch drei Monate. Wir wollen durch verschiedene Bemühungen erreichen, dass die Asylverfahren im Durchschnitt nach drei Monaten abgeschlossen sind, sodass nach diesen drei Monaten klar ist, wer bleibt und wer nicht bleibt. Warum sollen denn diejenigen, die bleiben dürfen, nicht arbeiten dürfen, ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten, Beiträge und Steuern nicht zahlen und sich hier nicht integrieren? Die Verkürzung der Wartezeit ist richtig, und auch dafür bitte ich um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Gesetz ist zustimmungspflichtig. Das heißt, der Bundesrat muss diesem Gesetz zustimmen. Dazu gibt es Gespräche. Wir werden aufnahmebereit zuhören, was von einigen Ländern in diesen Gesprächen dazu vorgetragen wird, gegebenenfalls auch in einem Gesamtzusammenhang mit dem Thema Migration. Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten als solches kann aber nicht zur Disposition stehen. Es ist europäisches Recht. Ich sehe im Rat überhaupt keine politische Mehrheit, das zu ändern. Die Staats- und Regierungschefs haben in ihren Beschlüssen zum Post-Stockholm-Prozess, also zu ihren Vorhaben in der Innen- und Rechtspolitik in den nächsten fünf Jahren gesagt: Wir haben eine gemeinsame europäische Asylpolitik. Wir wollen sie jetzt einheitlich und solidarisch angewendet sehen, aber wir wollen sie nicht grundsätzlich ändern. Unser Bundespräsident hat zu Beginn dieser Woche eine vielbeachtete Rede zum Flüchtlingsschutz gehalten. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Er hat Sie auch kritisiert!) – Zunächst einmal hat er auf meinen Migrationshintergrund hingewiesen. Das ist das eine. – Über manches wird sicher noch zu reden sein, auch selbstkritisch, Frau Jelpke; das ist klar. Das werden wir tun. Das Thema „Flüchtlingsschutz/Asylbewerber“ bleibt uns in der ganzen Legislaturperiode im Zusammenhang mit dem Thema „Migration und Integration“ erhalten. Das ist so. Daran gibt es gar keinen Zweifel. Der Bundespräsident forderte aber auch – ich zitiere ihn –, „die Verfahren für die Flüchtlinge gerechter und effektiver zu gestalten“. Ferner sagte er: Zu einer effektiveren Flüchtlingspolitik gehört aber auch, dass wir diejenigen auf humane Weise zurückweisen, die nach den gültigen Kriterien keine Fluchtgründe haben, die zur Aufnahme … in der Bundesrepublik berechtigen … Er beendete diesen Gedanken mit dem Satz: Ich wünsche mir eine Solidarität, die wir auch leben können. Darum geht es. Ich meine, dass wir mit diesem Gesetz einen maßvollen und vernünftigen Beitrag dazu leisten, dass wir in unserer gesamten Gesellschaft eine solche Solidarität leben können und die Aufnahmebereitschaft der deutschen Bevölkerung, die sehr groß ist, für die wirklich politisch Verfolgten erhalten können. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ulla Jelpke ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalition will heute einen Gesetzentwurf durch das Parlament peitschen, der zu einem weiteren Einschnitt beim Flüchtlingsschutz in Deutschland führen wird. Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien sollen pauschal als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Flüchtlinge aus diesen Ländern werden in Zukunft im Asylschnellverfahren abgelehnt. Der Rechtsschutz wird extrem eingeengt. Die Linke lehnt diese Änderungen strikt ab. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir fordern in unserem Antrag, auf dieses Vorhaben zu verzichten. Statt Menschen im Schnellverfahren abzufertigen, sollten die Fluchtgründe wirklich genau geprüft werden. Niemand, Herr Innenminister, der in seinem Herkunftsland unter massiven Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen zu leiden hat, darf abgeschoben werden. Vor allen Dingen darf man nicht Flüchtlinge aus dem einen Land gegen Flüchtlinge aus dem anderen Land ausspielen. Das halte ich wirklich für unglaublich skandalös. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Innenausschuss hat in der letzten Woche eine Sachverständigenanhörung durchgeführt. Am Dienstag fand mal eben eine Sondersitzung statt, in der dieser Gesetzentwurf durchgewinkt wurde. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Ergebnis der Anhörung hat es überhaupt nicht gegeben. Der Koalition war es wichtiger, diesen Gesetzentwurf vor der Sommerpause durchzuprügeln, als sich mit den Bedenken der Sachverständigen auseinanderzusetzen. Die Berichte des Europarats oder auch die Menschenrechtslage, die von vielen NGOs beschrieben wurde, spielten überhaupt keine Rolle. Dabei gilt: Wenn der Gesetzgeber – das sind wir – in diesem Haus eine Liste sicherer Herkunftsstaaten erstellt, muss er sich selbst ein umfassendes Bild von der Lage dieser Herkunftsstaaten machen. Das war die Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts von 1996. Aber die -Koalition hat sich davor gedrückt. Sie folgen nicht menschenrechtlichen Erwägungen, sondern koalitionspolitischer Räson. Sie opfern Flüchtlingsrechte auf dem Altar des Koalitionsfriedens. Ich kann dazu nur sagen: Das finde ich schäbig. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, in der erwähnten Anhörung wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung deutlich kritisiert. Die Sachverständige Dr. Waringo zum Beispiel hat der Bundesregierung vorgeworfen, Rechtsverstöße zu bagatellisieren und zu verharmlosen. Insbesondere Roma würden in den drei Staaten, von denen heute die Rede ist, gesellschaftlich diskriminiert und an den Rand gedrängt. Sie hat an vielen Beispielen geschildert, wie Roma die Aufnahme in Krankenhäuser verwehrt wird, wie ihre Kinder in Sonderschulen verschoben werden, nur weil sie Roma sind. Die Armut der Roma sei Ergebnis einer strukturellen Diskriminierung über Jahrzehnte hinweg, sagte die Sachverständige. Die Polizei schreite bei Angriffen auf Minderheiten einfach nicht ein. Es sei klar, dass alle diese Diskriminierungen zusammengenommen zu einer Situation führen, in der Menschen in ihrer Existenz und Menschenwürde gefährdet sind. Diesen Menschen müssen wir weiter Schutz bieten; das kann überhaupt keine Frage sein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, die Anhörung im Ausschuss hat weitere gravierende rechtliche Mängel Ihres Gesetzentwurfes aufgezeigt. Sie orientieren sich bei der Einstufung als sicherer Herkunftsstaat weiterhin an der Frage, ob der Staat selbst für politische Verfolgung verantwortlich ist. Das ist ein viel zu enger Maßstab. Der Sachverständige Dr. Marx – übrigens ein sehr versierter Asylanwalt – hat dargelegt, dass nach europäischem Recht die Frage lauten müsste, ob der Staat effektiv und dauerhaft vor Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen schützt, egal von wem sie ausgehen. Das ist der erste Mangel. Der zweite Mangel besteht darin, dass europarechtlich auch kumulative Diskriminierungen als Verfolgung gewertet werden müssen. Das bedeutet, Menschenrechtsverletzungen müssen nicht so weit gehen, dass Leib und Leben bedroht sind. Auch viele kleine Menschenrechtsverletzungen können die Lage für die Betroffenen so unerträglich machen, dass ein Anrecht auf Schutz besteht. Auch Verletzungen der sozialen Menschenrechte müssen berücksichtigt werden. Darauf, Herr Innenminister, hat im Übrigen der UN-Flüchtlingskommissar in seiner Stellungnahme deutlich hingewiesen. Dem schließen wir uns an. Wenn Menschen dauerhaft an den Rand gedrängt werden, darf ihnen die Flucht aus dieser lebensbedrohlichen Armut nicht zum Vorwurf gemacht werden. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss. Ihr Gesetzentwurf ist rechtlich mangelhaft, er verletzt die verfassungsrechtlich gebotene Sorgfaltspflicht, er ignoriert europäisches Recht, und er verharmlos rassistische Ausgrenzung und Diskriminierung in den Herkunftsländern. Ich kann nur an Sie appellieren – insbesondere an die Vertreter der Grünen im Bundesrat –: Knickt nicht ein! Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf nicht zu! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Özdemir das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf des Gesetzes der Bundesregierung zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer wurde anlässlich der ersten Lesung differenziert debattiert. Hierbei stand und steht der humanitäre Gesichtspunkt, aber vielmehr der Mensch für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten immer im Mittelpunkt. Nüchtern zu lösen ist die dem Thema innewohnende Problematik, wenn man sich emotional gelöst den Komplexen erstens einer Priorität von Asylsuchenden aufgrund von politischer Verfolgung vor anderen Gründen wie Armut nähert und zweitens analytisch unter verwaltungsjuristischem Aspekt die politische Dimension nicht nur aus Berlin, sondern auch unmittelbar aus den betroffenen Kommunen heraus betrachtet. Die Kommunen sind nämlich die erste Instanz, mit der die Asylbewerber und die geduldeten Ausländer in Berührung kommen. Diese Ebene ist befähigt, für das BAMF ein Höchstmaß an Entscheidungsreife aufgrund von Fakten herbeizuführen. Gleichsam wurden die Kommunen in der Vergangenheit in den betroffenen Ressorts leider kontinuierlich ausgedünnt. Gerade deshalb will ich als Mitglied im Unterausschuss Kommunales diesen Blickwinkel noch einmal herstellen. Der Gesetzentwurf konstatiert die Fakten, auf die ich noch einmal kurz eingehen möchte: Seit Aufhebung der Visumpflicht für die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien und Serbien … sowie für Bosnien und Herzegowina … ist die Zahl der … Asylanträge sprunghaft angestiegen. So steht es im Gesetzentwurf. Der Beleg hierfür ist, dass ein Fünftel der Erstanträge Staatsangehörigen dieser Herkunftsstaaten zuzurechnen ist. Das ängstigt uns Sozialdemokraten nicht. Vielmehr sind wir uns unserer deutschen Verantwortung bewusst, und wir haben gerade in diesem Bewusstsein auch den Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU ausgehandelt. Auf dieser Basis werte ich zunächst die Erleichterung hinsichtlich des Arbeitsmarktzuganges als sehr positiv und begrüßenswert. Natürlich können wir gemessen an unserer Wirtschaftskraft mehr tun. Die Bundesregierung in Person von Staatsministerin Özo?uz hat dies auch bereits in die richtige Richtung formuliert. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das äußert sich nicht in Ihrem Gesetz!) Fraglich ist hingegen, wo wir als Erstes ansetzen. Ein Blick ins Grundgesetz erleichtert hier die Gesetzgebung. Aus Zeitmangel verweise ich auf Artikel 16 a Absatz 3 Grundgesetz. Die umstrittene Beweislastumkehr, auf die ich hier abstelle, ist bereits Verfassungsrecht und durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit 1996 auch etabliert. Entscheidende Prüfsteine, so Karlsruhe, sind die Rechtsstaatlichkeit und die Freiheitlichkeit im Allgemeinen. Damit gibt uns unser Grundgesetz quasi vor, prioritär nach der zuweilen lebensbedrohlichen politischen Verfolgung der Menschen zu entscheiden. Selbstredend kann man über das Rechtsstaats- und Freiheitsverständnis der betroffenen drei Staaten diskutieren. Diese Diskussion hat allerdings eine völlig andere Qualität als die Diskussion darüber, ob die Gefahr für Leib, Leben und Freiheit durch Verfolgung zum Asyl berechtigt. Ich möchte diese Gruppen gar nicht gegeneinander ausspielen. Jedoch müssen wir garantieren, dass wir denjenigen, deren Notlage am größten ist, helfen können, indem wir eine fundierte Bearbeitung zügig gewährleisten und indem wir zunächst nicht asylrelevante Tatsachen ausscheiden. Die Zahlen geben uns in dieser Hinsicht recht. Die Anerkennungsquote – das haben wir vom Minister gehört – liegt bei unter 1 Prozent. Zu diesen Herkunftsstaaten sind rund 12 000 Gerichtsurteile ergangen, und eine Schutzgewährung erfolgte nur in 82 Fällen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Weil ihr eingeengt habt auf die Frage von Verfolgung durch den Staat!) Die Obliegenheit eines Asylbewerbers aus einem sicheren Herkunftsstaat, Gründe beizubringen, die sein Anliegen untermauern, ist verhältnismäßig, wenn man beachtet, dass dadurch die Schutzintensität möglicherweise dringlich schutzbedürftiger Asylbewerber erheblich steigt. Angesichts von 127 000 Asylanträgen allein im Jahre 2013 ist es vielmehr geboten, asylrelevante und asylfremde Tatsachen durch eine Vorprüfung zu trennen. Die Einzelfallprüfungen sämtlicher Rechte werden ja nicht ausgehebelt – ebenso wenig wie das Recht, den -Erstantrag durch das Vorbringen eines Folgeantrags zu erneuern und zu vertiefen. Ich kenne die persönlichen Schicksale von europäischen und nichteuropäischen Flüchtlingen und geduldeten Ausländern aus meinem Wahlkreis in Duisburg. Willy Brandt hat einst gesagt, er habe gesehen, wie Krieg zu Armut führe, und er möchte nicht sehen, wie Armut zu Krieg führe. – Tauscht man das martialische Wort „Krieg“ gegen „sozialer Unfrieden“, so haben wir ein ziemlich passgenaues Zitat für das Jahr 2014. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht das, was Willy Brandt meinte!) Die Kommunen haben nämlich neben ihren üblichen Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge – vom Stopfen der Straßenlöcher bis zum Strom – eine massiv erhöhte Zahl von Asylanträgen vor Ort zu bearbeiten. Aus Erstanträgen werden Folgeanträge. Es grenzt schier an Unmöglichkeit, alle Asylbewerber unterzubringen, weil Übergangswohnheime für Asylantragsteller erst eingerichtet und teilweise neu gebaut werden müssen. Dies setzt zunächst voraus, dass ein unumstrittener Standort in der Nachbarschaft anständig kommuniziert wird. In meiner Heimatstadt sind jüngst 280 Wohnungen für die Unterbringung von Asylbewerbern beschlagnahmt worden – Tendenz steigend. Mit Beton alleine ist es aber auch nicht getan. Das Betreuungspersonal der Wohnanlagen und der Sammel-unterkünfte finanzieren ebenfalls die Kommunen aus dem eigenen Etat. Ich möchte daher in diesem Hohen Hause die Gelegenheit nutzen, den Oberbürgermeistern, den Bürgermeistern, den Beigeordneten und auch den ehrenamtlichen Menschen vor Ort aufrichtig für ihren Einsatz zu danken, unser Asylrecht – jenseits der Auslegung von Gesetzestexten – herunter bis in die Stadtviertel verständlich zu vermitteln. Auf diese Art können wir den Menschen vor Ort ihre Sorgen nehmen, etwa um den Wert der eigenen Immobilie. Vor allem aber gilt es, die Sorgen aufgrund der sich immer größer auftuenden Diskrepanz zu nehmen, der Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Aufgaben aus Berlin auf der einen Seite, die gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erfüllen sind, und dem kommunalen Sparzwang auf der anderen Seite, der durch die Schließung von kommunalen Einrichtungen augenfällig wird. Diese Diskrepanz müssen wir als Bundespolitiker gemeinsam beseitigen. Hier möchte ich ansetzen. In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Glück auf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: Die dürfen nicht klatschen!) Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich brauche keinen Klatscher am Anfang, Herr Özdemir. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zahlreiche Flüchtlings-, Menschenrechts- und Bürgerrechtsorganisationen haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten an uns als Parlamentarier, an den Bundesrat und an die Bundesregierung gewandt, um die Pläne, die drei schon mehrfach genannten Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, zu verhindern. Wir finden diese Aufrufe richtig; denn die Grünenfraktion widerspricht vehement der Auffassung der Bundesregierung und der Großen Koalition, dass Asylbewerber aus den Balkanstaaten keinen Schutz brauchten und Armutszuwanderer seien. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Fakt ist, dass ethnische Minderheiten und Homo-sexuelle extrem diskriminiert werden, die serbischen, mazedonischen und bosnischen Behörden sie nicht ausreichend vor Übergriffen schützen wollen oder können, und es gibt eklatante Mängel im Justizsystem. Ausgrenzung und Diskriminierung von Roma in den Balkanstaaten haben zudem eine derartige Dimension angenommen, dass sie für diese Menschen existenziell und lebensgefährdend werden können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dass Sie, Herr de Maizière, sagen, es gebe keine Verfolgung von Roma, erschließt sich mir nicht. Ich halte das für eine ganz gewagte These und empfehle noch einmal, vielleicht im Kontext dieses Parlamentes, in diese Region zu reisen und vor Ort mit Betroffenen zu reden. Gerade weil solche im Europarecht angelegten Verfolgungsmomente, wenn sie im Kontext eines Beitrittslandes stattfinden, nicht so offensichtlich auszumachen sind wie in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt, ist eine einzelfallbezogene Betrachtung in einem sorgfältigen und individuellen Asylverfahren dringend notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Der vorliegende Gesetzentwurf verhindert eine – das sage ich ganz bewusst – unvoreingenommene Anhörung der Fluchtgründe, wenn man einen Staat vorher pauschal als sicher einstuft. Ihre Argumente zu diesem Gesetzentwurf folgen zudem einer wirklich schrägen Logik. Ich referiere aus den Erfahrungen der Anhörung im Innenausschuss. Die Logik heißt übersetzt: Wenn wir schon so viele Syrer aufnehmen, können wir nicht auch noch so viele Mazedonier oder Bosnier aufnehmen. Das läuft frei nach dem Motto: Das Boot ist voll. Wir müssen uns entscheiden, wen wir aufnehmen. (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Das habe ich im Ausschuss nicht gehört!) So funktioniert unser Asylrecht nicht, auch das europäische funktioniert so nicht; denn der Schutzanspruch ist keine Auslegungssache. Das ist auch gut so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es kommt eben nicht auf die Nationalität oder die ethnische Zugehörigkeit an, sondern auf die Gründe eines einzelnen Menschen und die Dinge, die er oder sie erlebt hat. Weil Sie das eben nicht steuern können, greifen Sie zu dem Mittel der sicheren Herkunftsstaaten. Sie bestreiten noch nicht einmal – zumindest einige aus der Fraktion der CDU tun das nicht –, dass es Mehrfachdiskriminierungen gibt, die nach Europarecht einen Menschen in die Lage versetzen, Schutz zu beanspruchen. Trotzdem halten Sie es für gerechtfertigt, das Grundrecht auf Asyl einzuschränken. Meine Damen und Herren, ich finde, das geht entschieden zu weit. Und Flüchtlingsgruppen gegeneinander auszuspielen, ist wirklich unter aller Kanone. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Für die Menschen, die es betrifft, hat es enorme Auswirkungen. Die Frist, gegen eine Ablehnung mit dem Vermerk „offensichtlich unbegründet“ zu klagen, beträgt eine Woche. Ich brauche keine Juristin zu sein, um zu wissen, dass effektiver Rechtsschutz ganz anders aussieht. Darüber hinaus berufen Sie sich immer auf Frankreich, das diese Staaten bereits als sicher eingestuft hat, und rekurrieren auf die niedrige Schutzquote. Ich habe es schon einmal gesagt: Das sind Fakten, die Sie selber geschaffen haben. Sie beziehen sich also auf Frankreich, halten es aber nicht für nötig, zu erwähnen, dass viele andere Staaten das nicht so handhaben, also diese Länder nicht als sicher einstufen, und dass die Schutzquoten in anderen Ländern deutlich höher sind als bei uns. Für mich ist das Augenwischerei. Was ich auch nicht mehr hören kann, ist das Argument, dass ein Beitrittskandidat wohl per se ein sicheres Land sein muss. Ich weiß nicht, was dieses Argument soll. Beitrittsverhandlungen sind dafür gedacht, Staaten, noch dazu welche, die sich nach wie vor im Aufbau befinden, dabei zu unterstützen, die Anforderungen aus dem Kapitel für Menschenrechte und Justiz schrittweise umzusetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir erwarten von diesen Staaten, dass sie diese Diskriminierungen abbauen. Natürlich: Das ist unser Ziel. Aber diesen Prozess beschleunigen wir eben nicht durch den Passus oder den Stempel des sicheren Herkunftsstaates. Im Gegenteil: Wir senden eine ganz andere Botschaft. Kurzum: Ihre Politik in dieser Sache, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, soll den Korridor für Schutzsuchende verengen. Das ist das Ziel dieses Gesetzentwurfes. An Lösungen, die den Menschen auf lange Sicht tatsächlich helfen, auch hier in Deutschland, arbeiten Sie leider nicht. Liebe CDU-Kollegen, Sie rechtfertigen den Entwurf mit der Situation in den Kommunen. Es ist richtig, über die Kommunen zu reden; denn sie stehen vor großen Herausforderungen, manche vor Herausforderungen, die sie nur schwer oder vielleicht auch gar nicht meistern können. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Aber das bedeutet doch nur: Wenn mehr Flüchtlinge kommen, dann muss sich auch unser Engagement – auch unser finanzielles – vergrößern. Das heißt doch nicht, dass man auf der anderen Seite eine Attacke auf das Asylrecht fahren kann, indem Sie sagen: Wir verengen den Korridor und lassen die Leute nicht mehr rein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Was sind die Vorschläge für die Hilfen der Kommunen?) Nebenbei bemerkt haben wir in den vergangenen Tagen überall lesen können, was Schutzsuchende und Geflüchtete selbst zu ihrer Situation zu sagen haben. Es lohnt sich, das anzusprechen. Denn das Parlament ist der richtige Ort dafür. In diesem Parlament entscheiden wir über das Asylrecht. Zu Recht fordern die protestierenden Flüchtlinge in Berlin ein liberales Bleiberecht, Bewegungsfreiheit und Zugang zum Arbeitsmarkt ohne Vorrangprüfung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das wurde übrigens hier gar nicht erwähnt. All das lässt sich in den Vorstößen des BMI nicht finden. Liebe CDU/CSU, wenn Sie den Kommunen helfen wollen, dann schaffen Sie das Asylbewerberleistungsgesetz ab und helfen Sie bei der Unterbringung! (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Damit würden Sie die Kommunen wirklich entlasten, und dann hätten diese auch kein Problem damit. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Was sind denn Ihre konkreten Vorschläge für die Unterbringung?) Zum Verfahren werde ich jetzt nichts mehr sagen. Interessant ist aber, dass hier nicht auf den anderen Teil in dem Gesetzentwurf eingegangen wurde, nämlich den Arbeitsmarktzugang und die großen Verbesserungen, die in diesem Zusammenhang angekündigt wurden. Daran erinnere ich alle in diesem Hause und fordere Sie auf: Ziehen Sie die beiden Vorschläge auseinander! Dann haben wir vielleicht auch etwas zum Zustimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wollen diesen Angriff auf das Grundrecht auf Asyl? Bitte schön. Aber Sie haben die Rechnung ohne die Grünen in den Ländern gemacht. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Restriktionen im Asylrecht mit grüner Unterstützung wird es so nicht geben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU hat die Kollegin Nina Warken das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nina Warken (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Migrationsströme in die Europäische Union haben in den letzten Jahren massiv zugenommen. Zum einen ist dafür die gestiegene Anzahl an Flüchtlingen verantwortlich, die aus Krisenländern wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak fliehen, wo sie jeden Tag fürchten müssen, gefoltert, vergewaltigt oder getötet zu werden. Zum anderen gibt es aber auch immer mehr Menschen, die in ihren Heimatländern wirtschaftlich keine Zukunft mehr für sich sehen und deshalb unbedingt in die EU wollen, wo sie sich gut bezahlte Arbeit und soziale Sicherheit erhoffen. Viele dieser Menschen stellen einen Asylantrag in einem EU-Mitgliedstaat, allen voran in Deutschland. Genau darin liegt das Problem im Hinblick auf die Balkanstaaten. Wir erleben bei den Asylbewerberzahlen aus diesen Ländern seit der Visaliberalisierung einen massiven Anstieg, obwohl dort keine systematische Verfolgung oder andere Gefahren für Leib und Leben drohen, die asylrechtlich relevant wären. Erst vergangene Woche wurde in einer Expertenanhörung vom Präsidenten des zuständigen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bestätigt, dass 49 Prozent der Asylbewerber aus Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina von sich aus angeben, dass sie nach Deutschland gekommen sind, weil sie hier arbeiten wollen oder der Schulbesuch und die medizinische Versorgung in Deutschland besser seien als bei ihnen zu Hause. (Zuruf von der LINKEN: Stimmt ja auch!) Damit handelt es sich in den meisten Fällen nicht um Asylbewerber, sondern um Zuwanderer, für die unser Asylsystem eindeutig nicht zuständig ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nach den Erfahrungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist den meisten Antragstellern auch bewusst, dass sie keinen Anspruch auf Asyl haben. Sie kommen dennoch, weil sie wissen, dass sie allein dadurch, dass sie einen Asylantrag stellen, bei uns staatliche Leistungen erhalten, die vielfach höher sind als das Einkommen, das sie in ihren Heimatländern haben. Das ist nicht gerecht, und diesen Missbrauch unseres Asylsystems müssen wir dringend beenden. (Beifall bei der CDU/CSU) Anders als von der Opposition behauptet, hat die -Expertenanhörung ergeben, dass nur in ganz wenigen Einzelfällen die Schwelle zur sogenannten kumulativen Verfolgung erreicht wird. Dabei wurde von den Sachverständigen unmissverständlich klargestellt, dass für eine asylrechtliche Anerkennung Einschränkungen von wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Rechten allein nicht ausreichen. Das bestätigt auch die Spruchpraxis der Gerichte. Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass es in Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien noch verschiedene Defizite gibt. Ebenso ist unbestritten, dass die Lage der Roma in diesen Ländern nach wie vor verbessert werden muss. Das möchte ich an dieser Stelle klar betonen. Andererseits muss man auch sagen: Das Asylrecht ist nicht der Ort, um die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Herkunftsstaaten zu lösen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dafür gibt es andere Instrumente, und Deutschland hat diesbezüglich schon sehr viel getan und setzt dies auch fort, sei es im Rahmen der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit oder mit den zahlreichen Stiftungen und Organisationen, die vor Ort tätig sind. Die Lage der Roma anzuerkennen, meine Damen und Herren, bedeutet daher nicht, den Gesetzentwurf ablehnen zu müssen. Entscheidend für die gesetzliche Vermutung, dass die drei Balkanländer als sicher eingestuft werden können, ist letztlich, dass die Sicherheitslage in allen drei Ländern stabil ist und weder Verfolgung noch systematische Menschenrechtsverletzungen drohen. Darauf kommt es beim vorliegenden Gesetzentwurf an, und das ist laut den Sachverständigen für alle drei Länder auch eindeutig gegeben. Dass die Opposition das nicht hören will, ist mir klar. Die Sachverständigen haben aber bestätigt, dass keine EU-rechtlichen oder verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Gesetzentwurf bestehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in Deutschland ein faires Asylsystem haben möchten, müssen wir klar zwischen Zuwanderung und Asyl trennen und dafür sorgen, dass die Kapazitäten unseres Asylsystems den tatsächlich Schutzbedürftigen vorbehalten bleiben. Das sind wir nicht nur den Flüchtlingen aus Syrien und anderen Ländern mit Menschen in Not, die unsere Hilfe dringend brauchen, sondern auch unseren Kommunen schuldig. Denn es sind unsere Kommunen, die letztlich die Unterbringung und Versorgung schultern müssen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist das!) Wenn uns die Kommunen sagen – damit meine ich auch die grün regierten Landkreise, Städte und Gemeinden –, dass sie bei der Unterbringung der Asylbewerber mit dem Rücken zur Wand stehen, dürfen wir dies nicht einfach ignorieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb brauchen wir ein klares Signal durch die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten, dass ein Asylantrag in Deutschland kein Mittel zur Zuwanderung ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Damit entlasten wir unsere Kommunen und sorgen dafür, dass die Kapazitäten in unserem Asylsystem den wirklich Schutzbedürftigen zur Verfügung stehen. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam dieses Signal für ein gerechtes und effizientes Asylsystem setzen! Das ist es, was die Menschen in Deutschland, aber auch in den Krisenländern von uns erwarten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Einen schönen Nachmittag von meiner Seite aus. Nächster Redner in der Debatte ist Uli Grötsch für die SPD. (Beifall bei der SPD) Uli Grötsch (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, vielen Dank für die Erinnerung. Wir hätten es natürlich nicht vergessen, dass wir heute nicht nur die Regelungen über sichere Herkunftsstaaten, sondern auch die Erleichterungen des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer beraten. Das möchte ich am Beginn meiner Rede ganz dick unterstreichen, weil ich glaube, dass uns von der SPD mit dieser Regelung ein wirklich großer Schritt im Zusammenhang mit den Chancen, die Asylbewerberinnen und Asylbewerber bei uns im Land haben, gelungen ist. (Beifall bei der SPD – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Warum nur der SPD? Uns auch!) Ich beginne mit dem zweiten Teil dieses Gesetzes, weil meines Erachtens dieser Teil und insbesondere – ich habe es schon gesagt – die Dimension dessen in der bisherigen Debatte, auch in der heutigen Debatte, leider etwas zu kurz gekommen sind. Bislang mussten Asylbewerber neun Monate warten und Geduldete sogar zwölf Monate, bis sie die Chance, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, nutzen konnten. Ich bin auch meiner Kollegin Daniela Kolbe dankbar, dass sie in ihrer Rede im Rahmen der ersten Beratung des Gesetzentwurfs deutlich gemacht hat, was das konkret bedeutet. Der frühe Zugang zum SGB III nach drei Monaten bedeutet nämlich zum Beispiel die Übernahme von Bewerbungskosten. Wenn man nicht über viel Geld verfügt, dann sind auch die Portokosten oder die Kosten für Papier ein durchaus relevanter Betrag, den die betroffenen Menschen zu stemmen haben. Dieser frühe Zugang beinhaltet auch Beratungs- und Vermittlungsangebote durch die Bundesagentur für Arbeit. Ich würde mich freuen, wenn dieser große und längst fällige Schritt vorwärts von der Opposition nicht kleingeredet würde. (Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Denn für die Betroffenen selbst ist es eine immense Erleichterung. Wir erleichtern die Integration dieser Schutzbedürftigen in unsere Gesellschaft, wir bauen ein Integrationshemmnis ab und erhöhen damit auch die Akzeptanz der Asylbewerber bei uns im Land. Der andere Teil betrifft die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten. Das bedeutet in der Praxis des BAMF, dass künftig ein Antragsteller aus einem dieser sicheren Herkunftsländer für seinen Einzelfall glaubhaft darlegen muss, warum er in seinem eigentlich sicheren Heimatland doch politisch verfolgt wird bzw. Menschenrechtsverletzungen erfahren hat, um in Deutschland Asyl gewährt zu bekommen. Der Grund für diese getroffene Regelung ist die Tatsache, dass von den 22 000 Entscheidungen des BAMF über Asylerstanträge und Asylfolgeanträge von bosnischen, serbischen und mazedonischen Staatsangehörigen im Jahr 2013 nur einer Handvoll Menschen Asyl bzw. Abschiebeverbot zugesprochen wurde. Die überwiegende Mehrheit wird als unbegründet abgelehnt. Trotzdem sind sie regelmäßig und in beachtlichem Umfang in der Top Ten der Herkunftsländerstatistik des BAMF vertreten. Der Vorwurf, das BAMF sei zu restriktiv und lehne unberechtigt massenhaft ab, greift auch nicht. Nicht einmal 1 Prozent der Klagen von Menschen aus diesen drei Westbalkanstaaten ist vor den Verwaltungsgerichten erfolgreich. Das alles bindet Kapazitäten beim BAMF; das wurde schon gesagt. Wir wollen niemanden gegeneinander ausspielen. Trotzdem müssen wir der Realität ins Auge blicken. Der Bundestag hat in der letzten Woche erfreulicherweise – es ist wichtig, das zu erwähnen – 300 zusätzliche Stellen für das BAMF bewilligt. Das war dringend notwendig. Ich meine, dass diese personellen Ressourcen für die wirklich schutzbedürftigen Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und anderen Ländern genutzt werden müssen. Wir alle wollen doch die Bearbeitungsdauer von Asylanträgen verkürzen. Zurzeit beträgt die Bearbeitungsdauer etwa ein Jahr. Ein Jahr bedeutet für die asylsuchenden Menschen in unserem Land ein Jahr Ungewissheit über ihre eigene Zukunft. Das wollen wir ändern. (Beifall bei der SPD) Ich gebe zu, dass die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten keine Herzensangelegenheit der Sozialdemokratie ist. Sie steht aber im Koalitionsvertrag, und deshalb tragen wir diese Entscheidung mit. Dort steht auch – Herr Minister de Maizière hat in seiner Rede darauf hingewiesen –, dass wir auf europäischer Ebene auf die Regierungen der Westbalkanstaaten einwirken wollen, um die Lebenssituation vor Ort in den Ländern zu verbessern. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die ist doch gar nicht so schlimm!) Armutsmigration kann nur so bekämpft werden. Das ist keine Aufgabe der deutschen Asylpolitik. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ab. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Grötsch. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Weltweit sind über 43 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Gründe für Flucht und Vertreibung sind vielschichtig. Gewalttätige Konflikte wie der Bürgerkrieg in Syrien sind die offensichtlichste Ursache. Aber auch ökologische, ökonomische und soziale Probleme führen dazu, dass sich heute Millionen Menschen gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Klimawandel, Wassermangel, Dürreperioden, starkes Bevölkerungswachstum und Verstädterung verursachen ebenfalls enorme Flüchtlingsströme. Die multiplen Fluchtursachen finden sich auch in dem Bericht, den die Vereinten Nationen am Weltflüchtlingstag am 20. Juni vorgestellt haben. Auch wenn diese Probleme weit weg zu sein scheinen, betreffen sie Europa und Deutschland ganz unmittelbar. Für Deutschland rechnet das Bundesinnenministerium in diesem Jahr mit rund 200 000 Asylanträgen. Das ist eine Steigerung um über 700 Prozent im Vergleich zu 2008. Allein im letzten Jahr hat die Zahl der Asylanträge um rund 60 Prozent zugenommen. Rund ein Viertel der heutigen Asylbewerber stammt aus Serbien, Bosnien-Herzegowina oder Mazedonien. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellt seit Jahren in über 99 Prozent aller individuellen Anhörungen, Frau Kollegin Amtsberg, keine asylrelevanten Schutzgründe fest. Die Menschen vom Westbalkan fliehen nach eigenen Angaben in erster Linie vor Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Not. Das wurde uns in der letzten Woche in der Anhörung vom Präsidenten des BAMF bestätigt. Er hat nochmals dargelegt, wie individuell und gründlich jeder einzelne Antrag geprüft wird. Unser Asylrecht dient dem Schutz von politisch Verfolgten und nicht der Entwicklungshilfe. Die EU hat für Serbien, Mazedonien und Bosnien die Visumspflicht aufgehoben. Serbien und Mazedonien haben den offiziellen Status eines EU-Beitrittskandidaten. Bosnien-Herzegowina wird als potenzieller Beitrittskandidat geführt. Ohne wesentliche soziale und politische Fortschritte wäre die Visaliberalisierung nicht erfolgt. Diese Länder erfüllen die Kriterien eines sicheren Herkunftslandes. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung von Herrn Nouripour? Andrea Lindholz (CDU/CSU): Bitte. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade gesagt, jeder einzelne Fall werde tatsächlich geprüft. Warum soll denn jeder einzelne Fall geprüft werden, wenn der Betroffene aus einem Staat kommt, der vorher per Gesetz als tatsächlich sicher erklärt wurde? Was ist die Logik der Geschichte? Andrea Lindholz (CDU/CSU): Erklären Sie doch bitte den Menschen nicht jedes Mal, sie hätten dann bei uns keinen Asylanspruch. Das ist doch nicht richtig. Vizepräsidentin Claudia Roth: Moment, Frau Kollegin. Vielleicht lassen Sie ihn bitte ausreden. Dann können Sie auch darauf antworten. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt haben Sie mich auf eine Idee gebracht, und ich kann meine Frage so schließen – das ist ja wundervoll –: Wie kommen Sie dazu, zu behaupten, die Leute hätten einen Anspruch auf Asyl, wenn ihre Anträge sowieso von vorneherein negativ beschieden werden – egal wie man sie prüft –, weil die Leute aus einem sicheren Drittstaat kommen? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Herr Kollege, so ist das nicht korrekt. Auch dann, wenn wir die Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklären, besteht nach wie vor beim Vorliegen kumulativer Gründe – Frau Kollegin Amtsberg und Frau Kollegin Jelpke weisen regelmäßig zu Recht darauf hin – ein Anspruch darauf, bei uns Asyl zu beantragen. Genau das wird vom BAMF geprüft. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Kein Rechtsschutz!) – Natürlich gibt es einen Rechtsschutz. Dass Ihnen der Rechtsschutz nicht weit genug geht, weiß ich, aber es besteht ein Rechtsschutz. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Woche Rechtsschutz!) Es besteht die Möglichkeit, hier Asyl zu beantragen. Aber es gibt keinen Anspruch auf Asyl, wenn keine politische Verfolgung oder keine kumulativen Gründe vorliegen. Ganz einfach. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Daran wird sich auch nichts ändern, auch wenn Sie es nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Was wir auch machen müssen, ist, die Kommunen zu entlasten. Mit all diesen Maßnahmen tun wir dies. Wir können doch nicht den Blick davor versperren, dass es in vielen Städten und Gemeinden schwierig ist, die Asylbewerber unterzubringen. In Bayern kommen inzwischen täglich rund 100 neue Asylbewerber an. Die Erstunterkünfte platzen aus allen Nähten. Selbst in einer wohlhabenden Stadt wie München muss ernsthaft über die Errichtung von Zeltstädten nachgedacht werden, um allen Ankommenden ein Dach über dem Kopf bieten zu können. Angesichts dieser prekären Situation müssen wir handeln, und wir müssen die Anreize, aus rein wirtschaftlichen und sozialen Gründen nach Deutschland zu kommen, verringern. Sonst fehlen uns nämlich für diejenigen die Kapazitäten, die unseren Schutz wirklich brauchen. Deutschland übernimmt im europäischen Asylsystem mehr Verantwortung als alle anderen Länder. Auch das wurde erst gestern bei der Anhörung mit Zahlen belegt. Das ist auch gut so. Aber auch unsere Aufnahmekapazitäten sind begrenzt. Wir sind verpflichtet, uns auf die wirklich schutzbedürftigen Flüchtlinge zu konzentrieren. Gleichzeitig sollten wir denjenigen, die zu uns kommen und die ein begründetes Recht auf Asyl haben, echte Zukunftsperspektiven in Deutschland eröffnen. Das tun wir, indem wir den Arbeitsmarktzugang erleichtern; das tun wir, indem wir die Verfahrensdauer verkürzen. Das ist im Sinne einer langfristigen Integration der Menschen und ist hinsichtlich ihres Wunsches, schneller mehr Sicherheit zu haben, schneller arbeiten zu können oder schneller selbstständig bei uns sein zu können, der bessere Weg, als auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein. Ein letzter Satz noch, an die Grünen gerichtet: Wenn wir uns mit den Landespolitikern in den Bundesländern unterhalten, dann stellen wir fest, dass diese wesentlich näher an der Realität sind als Sie. Ich empfehle Ihnen einfach, mit Ihren Landesregierungen zu sprechen, damit Sie sehen, wie man dort zu diesen Themen steht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer. Dazu liegt eine ganze Anzahl von Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor.8 Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/1954 und 18/2004, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/1528 und 18/1766 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, CDU/CSU und SPD, bei Neinstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit der Zustimmung von CDU/CSU und SPD bei Ablehnung durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion und einer Enthaltung einer Kollegin aus der SPD angenommen. Beschlussempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Schutzbedarf von Roma aus Westbalkanstaaten anerkennen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/1954 und 18/2004, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1616 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 7 a und 7 b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Drucksachen 18/1312, 18/1759 – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Sevim Da?delen, Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht Drucksache 18/1092 – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Drucksache 18/185 (neu) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksachen 18/1955, 18/2005 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Da?delen, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht Drucksachen 18/286, 18/1955, 18/2005 Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heute zu entscheidende Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts ist das Ergebnis einer langen und leidenschaftlichen Debatte in unserer Gesellschaft und auch in der Koalition. Ich halte das für angemessen und richtig; denn es geht um die Staatsangehörigkeit. Darüber zu debattieren, ist wertvoll im umfassenden Sinne des Wortes. Die Staatsangehörigkeit ist für uns alle ein hohes Gut. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die vorgeschlagene Neuregelung erfüllt zwei Ziele: Erstens. Das geänderte Staatsangehörigkeitsrecht ist gut für die Betroffenen. Es gibt ihnen Rechtssicherheit und soll ihr Heimatgefühl stärken. Beides brauchen wir Menschen, wenn wir daran denken, eine dauerhafte berufliche Existenz aufzubauen und eine Familie zu gründen. Zweitens. Das geänderte Staatsangehörigkeitsrecht ist gut für unser Gemeinwesen. Es befriedet einen langjährigen politischen Konflikt, und es stärkt den Zusammenhalt in unserem Land. Das Staatsangehörigkeitsrecht muss immer beides im Blick behalten: den Einzelnen und die Allgemeinheit. Mit dieser Änderung haben wir einen Ausgleich gefunden zwischen den Interessen der jungen Deutschen, die ihre Staatsangehörigkeit durch Geburt in Deutschland erworben haben, und der besonderen Bedeutung der Staatsangehörigkeit für unser Staatswesen. Für den überwiegenden Teil der Betroffenen, die in Deutschland aufgewachsen sind und dadurch Bindungen zu unserem Land aufgebaut haben, sagen wir in Zukunft Ja zu einer Mehrstaatlichkeit. Sie leben hier seit ihrer Geburt ganz selbstverständlich sowohl mit der deutschen Staatsangehörigkeit als auch mit der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern. Ihnen, die in Deutschland in der Regel ihre berufliche und private Zukunft sehen und sich hier integriert haben, trauen wir den loyalen Umgang mit der Bindung an Deutschland und das Land ihrer Mütter und Väter zu. Für „in Deutschland aufgewachsen“ haben wir eine klare und praktikable Definition gefunden. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bürokratiemonster!) Die Voraussetzungen sind sachgerecht, einfach in der Anwendung, und sie sind einfach nachzuweisen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und europarechtswidrig!) Mit dieser Modifikation des Optionsrechts werden sowohl die Betroffenen als auch die Verwaltungen erheblich entlastet. Herr Beck wird gleich in seiner Rede vortragen, es handele sich um ein Bürokratiemonster. Das hat in der Anhörung allerdings niemand bestätigt, auch nicht die Leiter von Ausländerbehörden. Diese haben nämlich gesagt, der Gesetzentwurf sei eine große Erleichterung für ihre Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Europarechtswidrig!) Ich traue, was die Beurteilung der Bürokratiegefahr angeht, den Leitern von Ausländerbehörden mehr zu als dem geschätzten Kollegen Beck; das muss ich sagen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da liegen Sie aber falsch!) – Das finden Sie. Meine Damen und Herren, mit der Änderung senden wir ein Signal an über 90 Prozent der bisher von der Optionspflicht betroffenen und zumeist jungen Menschen: Ihr gehört zu Deutschland, nicht nur gefühlt, sondern auch auf dem Papier, nicht nur beim Public Viewing, sondern auch auf dem Amt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Diese Botschaft ist umso deutlicher, als wir gleichzeitig daran festhalten, den Verzicht auf die Optionspflicht nicht auf diejenigen auszuweiten, die seit ihrer Geburt kaum etwas mit Deutschland zu tun hatten. Wer bis zu seinem 21. Geburtstag keine Beziehung zu Deutschland aufgebaut hat, von dem können und müssen wir eine Entscheidung verlangen. Das ist zumutbar und nicht zu viel verlangt. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Staatsangehörigkeit ist mehr als Aufenthalts- und Einreiserecht. Sie definiert ein besonderes Verhältnis zwischen Staat und Bürger, das durch Identifikation und -Loyalität geprägt ist. Hier ist das berechtigte Interesse der Allgemeinheit begründet in der besonderen Sorge um das Staatsangehörigkeitsrecht. Das Staatsangehörigkeitsrecht ist aufgrund dieser besonderen Bedeutung für den Zusammenhalt unseres Gemeinwesens auf einen breiten Konsens angewiesen. Über die Staatsangehörigkeit definiert unsere Verfassung, wer zum Staatsvolk gehört, wer der eigentliche Souverän ist. Mit der Staatsangehörigkeit ist das Recht verbunden, über unser Gemeinwesen vollumfänglich mitzubestimmen. Aus diesem Grunde kann es nicht darum gehen, jeweils Maximalpositionen durchzusetzen. Wer mehr Zusammenhalt will, muss aufeinander zugehen. Das gilt und galt innerhalb der Koalition, und das gilt für unsere Gesellschaft. Dafür reichen manchmal kleine Schritte nicht aus. Dafür sind auch große Schritte notwendig. Das war im Ausländerrecht immer so. Was wir heute tun, ist ein solcher großer Schritt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Trippelschritt!) Für die Sozialdemokraten ist die Zustimmung zu diesem Gesetz nicht leicht. Sie kommen von einem ganz anderen Modell, einem Modell einer prinzipiell doppelten Staatsbürgerschaft. Für die Union ist die Zustimmung zu diesem Gesetz auch nicht leicht. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die GroKo hat es nicht leicht!) Sie kommt nämlich von einer grundlegenden inneren Ablehnung einer doppelten Staatsbürgerschaft. Darüber sind erbitterte Wahlkämpfe geführt worden. Darüber sind Landesregierungen gestürzt und andere Landesregierungen gebildet worden; wir wissen das. Das war zwischen den beiden großen Volksparteien ein bitterer und harter Streit. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr de Maizière, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung des Kollegen Mutlu? Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Lassen Sie mich diesen Gedanken zu Ende führen; dann gerne, Frau Präsidentin. Wenn jetzt diese beiden großen Volksparteien in dieser Frage aufeinander zugehen, dann hat das nicht den Charakter eines Kompromisses innerhalb dieser Koalition, sondern dann hat das für unser Land einen nachhaltig befriedenden Charakter. Darin liegt der eigentliche Wert dieses Kompromisses. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Bitte schön, Herr Kollege. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, letzte Woche war eine junge Frau bei mir, die im August 23 Jahre alt wird und optionspflichtig ist. Sie wird, bevor dieses Gesetz, dieser sogenannte große Schritt, von dem Sie reden, in Kraft getreten ist, vermutlich ihre deutsche Staatsbürgerschaft zwangsweise verlieren, weil sie eben ihre beiden Staatsbürgerschaften gerne behalten würde. Sie haben gesagt, dass die Verbundenheit zu diesem Land in einem Alter von 21 Jahren gegeben sein müsse. Was raten Sie denn solchen jungen Leuten, die jetzt während des Gesetzgebungsverfahrens ihre deutsche Staatsbürgerschaft verlieren? Was tun Sie in all den Fällen – es sind mehrere Tausend –, in denen Menschen bis zu dem Zeitpunkt, bis zu dem dieses Gesetz in Kraft getreten ist, die deutsche Staatsbürgerschaft abgeben mussten oder sie verloren haben? Warum wollen Sie diese Altfälle nicht in den Genuss dieses sogenannten großen Schrittes kommen lassen? Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Wir haben über die Frage einer Altfallregelung diskutiert. Sie kennen den alten Grundsatz: Wenn ein Gesetz nicht nötig ist, dann soll man es nicht machen. Die junge Frau soll einen Antrag auf Einbürgerung stellen. Wenn sie die Voraussetzungen für die Einbürgerung erfüllt, wird das zuständige Bundesland ihre Einbürgerung sehr schnell entscheiden, und das ist auch richtig so. (Zurufe von der LINKEN) Jeder Stichtag ist ein Stichtag; das kennen wir. Wir sind jetzt dabei, eine wirklich befriedende Lösung zu finden. Es wird Ihnen nicht gelingen, mit Verweis auf zwei, drei Einzelfälle, die vielleicht ein Problem sein könnten und die die Länder pragmatisch regeln können, das Gesetz insgesamt madigzumachen. Es ist ein gutes Gesetz. Das war nicht leicht für unsere Koalition und für die Bundesregierung. Es ist im Übrigen auch nicht zustimmungspflichtig. Wir freuen uns, dass es bald in Kraft tritt, damit wir wenige solcher Fälle haben, von denen Sie berichten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind mehrere Tausend Fälle!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr de Maizière. – Das Wort hat die Kollegin Da?delen für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Da?delen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister de Maizière, das Gesetz, das Sie hier vorgelegt haben, ist weder ein großer Schritt, noch ist es ein gutes Gesetz; es ist eine wirklich kleingeistige Änderung des bestehenden Staatsangehörigkeitsgesetzes. Es ist nichts weiter als Murks. Es ist eigentlich ein Armutszeugnis, dass auch diese Koalition es nicht geschafft hat, die unsägliche Optionsregelung tatsächlich ersatzlos abzuschaffen – (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und das nur, weil Sie aus der Union ideologisch borniert an dem längst überholten Dogma der Vermeidung von Mehrstaatigkeit in diesem Land festhalten. Allein deshalb werden ab dem Jahr 2018 etwa 40 000 Optionsverfahren pro Jahr durchgeführt werden müssen. 40 000 Optionsverfahren jährlich! Was, wenn nicht ein Bürokratiemonster, ist das bitte schön, meine Damen und Herren? Wir als Linke wollen jedenfalls diese verwaltete Welt nicht. Wir möchten kein sinnloses Beschäftigungsprogramm für die Verwaltung. Deshalb möchten wir diese Regelung einfach ersatzlos streichen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Uns stimmt es traurig, dass die SPD hier mitmacht, obwohl sie im Wahlkampf und in den Koalitionsverhandlungen (Thomas Oppermann [SPD]: Das ist doch geheuchelt!) sogar die doppelte Staatsangehörigkeit versprochen hatte. (Thomas Oppermann [SPD]: Heuchelei!) Ich finde es wirklich unsäglich, wenn man, wie bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs im Parlament, auch noch wahrheitswidrig behauptet, dass mit dem Gesetz die Optionspflicht abgeschafft werden würde. Das ist schlicht falsch, und das wissen Sie auch. Die Optionspflicht bleibt im Grundsatz in diesem Gesetz enthalten. Natürlich kann die Optionsregelung auch künftig dazu führen, dass hier geborene Kinder ihre deutsche Staatsangehörigkeit im Erwachsenenalter wieder verlieren. Ich bitte Sie deshalb, redlich zu sein und bei den Fakten zu bleiben. Sagen Sie den Leuten klar, was Sie hier machen! Sie verhindern nämlich dauerhaft die doppelte Staatsbürgerschaft als Regel. (Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unsinn!) Wenn Sie die Abschaffung der Optionspflicht tatsächlich wollen, müssten Sie den § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes komplett abschaffen. (Beifall der Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sollten Sie das tatsächlich wollen, dann bietet die Linke Ihnen hier eine Gelegenheit, das umzusetzen. (Johannes Kahrs [SPD]: Die Linke ist doch gar nicht regierungsfähig!) Wir haben einen Gesetzentwurf eingereicht, über den heute Abend hier namentlich abgestimmt wird. Dieser Gesetzentwurf sieht genau die Streichung von § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes vor. Wenn Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen, meine Damen und Herren von der SPD, stimmen Sie eigentlich sich selbst zu; denn dieser Gesetzentwurf bildet eins zu eins eine Bundesratsinitiative von drei SPD-regierten Bundesländern ab. (Beifall bei der LINKEN) Sie können Ihrer eigenen Vorlage hier zustimmen. Das Gute ist: Sie würden damit auch das erreichen, was Sie schon in der ersten Beratung versprochen haben: Sie würden sozusagen eine rechtlich verbindliche Regelung für all die Menschen schaffen, die die deutsche Staatsangehörigkeit infolge des Optionsmodells bereits verloren haben. Die Zahl dieser Menschen steigt von Tag zu Tag. Diese Menschen darf man nicht vage auf irgendwelche Ermessensspielräume im geltenden Recht verweisen, wie Sie es machen. (Zuruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) – Nein, ein Ermessensspielraum im geltenden Recht hilft nicht. Wir möchten Tatsachen und klare Verhältnisse schaffen. (Gerold Reichenbach [SPD]: Meine Oma hat immer gesagt: Mit Meckern ist noch keine Scheune gebaut worden! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie haben keine Tatsachen geschaffen!) Neben vielen Betroffenen wären auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einbürgerungsbehörden dankbar für eine konsequente Abschaffung der Optionspflicht. Herr Bundesinnenminister – ich muss Sie enttäuschen –, die Sachverständigenanhörung in der letzten Woche, bei der ich anwesend war, hat ergeben, dass die Arbeitszeit, die für die jährlich etwa 40 000 Optionsverfahren aufgewendet werden muss, weitaus besser für eine Verkürzung der viel zu langen Einbürgerungsverfahren genutzt werden könnte. (Beifall bei der LINKEN) Dass Sie nicht wirklich an einer Verbesserung der Lage für die Betroffenen interessiert sind, (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch peinlich!) zeigt das unwürdige Politikgeschacher, das hier von der Großen Koalition in den letzten Tagen aufgeführt wurde. (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist unsäglicher Unsinn, den Sie hier von sich geben! – Gegenruf des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) Die Erleichterungen bei der Optionspflicht wollen Sie nur dann beschließen, (Zuruf von der SPD: Nur dummes Geschwätz!) wenn im Gegenzug Verschlechterungen im Asylrecht im Bundesrat eine Mehrheit finden. Geben Sie es doch zu! Wir haben darüber doch debattiert. Wir finden das Verfahren zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht einfach unwürdig. Deshalb haben wir Ihnen zwei Anträge vorgelegt: einen Gesetzentwurf, unterstützt von drei SPD-regierten Ländern (Zuruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) – Sie können dem zustimmen und damit ein gemeinsames Zeichen setzen für gleiche Rechte, gegen Ausgrenzung und tatsächlich für die Abschaffung der Optionspflicht –, und einen Antrag, in dem wir umfangreiche Vorschläge für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht gemacht haben. Ich denke, es ist wichtig, die Optionspflicht abzuschaffen. Aber es ist auch wichtig und richtig, Einbürgerungen zu erleichtern. Auch das ist eine Erkenntnis aus der Sachverständigenanhörung. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Ich möchte darauf hinweisen, dass man sehr unterschiedlicher Meinung zu diesem Thema sein kann. Aber der Kommentar „dummes Geschwätz“ passt in irgendwelche Bierzelte, aber nicht in eine solche Debatte. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nichts gegen Bierzelte, ich komme auch aus Bayern. Nächster Redner ist Rüdiger Veit für die SPD. (Beifall bei der SPD) Rüdiger Veit (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu – das sieht auch die SPD so –: Es ist ein besonderer Tag, und es ist ein bedeutendes Gesetz zu einer ausgesprochen wichtigen Frage. Deswegen – wenn ich das einmal beiläufig sagen darf, selbstkritisch an uns alle gerichtet, die für das Timing verantwortlich sind – hätte man sich sicherlich eine längere und ausführlichere Debatte als 36 Minuten vorstellen können. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So werden wir uns bemühen müssen, uns kürzer zu fassen. Dieser Tagesordnungspunkt ist zugleich auch ein Beleg dafür, dass Politik die Kunst des Möglichen ist. Das sage ich mit der Bitte, dies als Trost aufzufassen, sowohl an die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion als auch ein Stück weit an die sozialdemokratische Seite gerichtet. Wir brauchen von Ihnen, von euch nicht daran erinnert zu werden: Wir treten seit 1998, 1999 konsequent dafür ein, dass in Deutschland die Mehrstaatlichkeit generell hingenommen werden darf. (Beifall bei der SPD – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Warum habt ihr es 2000 nicht gemacht? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Ergebnis sieht aber ganz schön dürftig aus!) – Deswegen – liebe Ulla Jelpke, ich fahre mit meinem Satz fort – haben wir bei der Staatsbürgerschaftsreform dieses alte Gesetz aus der Kaiserzeit zwar nicht ganz ersetzen können – durch die hessische Landtagswahl ging die Mehrheit im Bundesrat verloren –, sondern wir mussten diesen Kompromiss mit der Optionspflicht eingehen. Alle Sozialdemokraten haben nie etwas davon gehalten. Wir haben uns ein bisschen damit getröstet, dass die Optionspflicht spätestens im Verwaltungsvollzug bei den ersten Fällen noch einmal von fachlicher Seite durchleuchtet wird. Das haben wir auch als wichtiges Ziel im Wahlprogramm formuliert. Es stand auch im Hundert-Tage-Programm von Peer Steinbrück. Ihr braucht uns nicht daran zu erinnern. Das wissen wir selber. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wozu sind wir da? Wir sind Opposition und dürfen euch daran erinnern!) Wir hätten selbstverständlich gerne im Koalitionsvertrag mit der Union eine Regelung gehabt, dass wir die Mehrstaatlichkeit generell hinnehmen. Das ist nicht gelungen. So ist es zu einem Kompromiss gekommen. Es ist im Ergebnis dann aber doch kein ganz schlechter Kompromiss gewesen. Aus unserer Sicht ist dieses Glas nicht halb leer, sondern deutlich mehr als halb voll. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann alles schönreden!) Trotz des Beifalls wollen wir es auf der einen Seite mit dem Lob nicht übertreiben, weil uns, wenn wir ihn zu sehr loben, auf der anderen Seite vielleicht noch der eine oder andere von der Fahne geht. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wir loben es auch!) Wir stehen jetzt aber zu diesem Kompromiss. Ich komme dann noch einmal kurz zu der Anhörung und zu dem, was wir, wie ich finde, leider bei der Gelegenheit nicht mit berücksichtigt haben. Die Praktiker, Herr Minister, die diesmal übrigens auf Wunsch der SPD eingeladen worden sind, haben eine Reihe wichtiger Änderungen vorgeschlagen, nämlich die Überprüfung des Verfahrens und die Einleitung von Amts wegen und den Wegfall der Ausschlussfrist bei der Beibehaltungsgenehmigung, und auf das Problem einer angemessenen Übergangsregelung hingewiesen. Das alles konnte nicht mehr aufgegriffen werden, sicherlich zum Teil auch aus Zeitgründen, zum Teil aber auch, weil es politisch nicht gewollt war. Das müssen wir akzeptieren. Es gibt Verbesserungsbedarf. Auch der Kollege Volker Beck hat auf einige rechtliche Aspekte hingewiesen. Das kann man dann vielleicht bei anderer Gelegenheit machen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum nicht jetzt?) Trotzdem sollten wir jetzt hier im Bundestag zum Ende kommen. Damit das auch nicht gering geschätzt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich sage das auch mit Blick auf die Öffentlichkeit –: Das betrifft sehr viele junge Menschen – jetzt 4 000, ab 2018 40 000 –, die sich dann eben nicht mehr zwischen der Staatsangehörigkeit des Landes, aus dem ihre Eltern kommen, und der deutschen Staatsbürgerschaft entscheiden müssen und die deshalb nicht mehr in diesen Konflikt kommen. (Beifall bei der SPD) Das Entscheidende ist – darauf haben uns auch die Praktiker in der Anhörung hingewiesen –, dass mit den Regelungen, die jetzt gefunden worden sind – da bin ich Ihnen, Herr Minister de Maizière, genauso dankbar wie Heiko Maas, der an dieser Einigung mitgewirkt hat –, höchstwahrscheinlich allenfalls eine Zahl im einstelligen Prozentbereich dieser jungen Menschen – wie gesagt 4 000 bzw. fast 40 000 –, unter die Optionspflicht fällt. Für alle anderen ist mit den jetzt zu schaffenden gesetzlichen Voraussetzungen das Problem, sich irgendwann einmal zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheiden zu müssen, vom Tisch. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für 400 Menschen 40 000 Verfahren! Das ist schon eine große Leistung!) Darüber können wir uns auch im Interesse der Betroffenen für die Zukunft alle freuen. Danke sehr. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Veit. – Nächster Redner in der Debatte: Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir -beraten heute über das Optionspflichtverlängerungs- und -abschmelzungsgesetz. Es beinhaltet eben nicht die Abschaffung der Optionspflicht, (Rüdiger Veit [SPD]: Fast! – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Richtig! Genau!) obwohl Ihr Parteivorsitzender Ihnen im November letzten Jahres sogar versprochen hat, er unterschreibe nur einen Koalitionsvertrag, der die doppelte Staatsangehörigkeit beinhalte. (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE] – Rüdiger Veit [SPD]: Das wissen wir! Das habe ich gerade gesagt!) Das Dramatische daran, Rüdiger Veit, sind nicht diese 400 Leute, die übrig bleiben und sich dann optionspflichtig zwischen einem deutschem Pass und dem Pass des Herkunftslandes ihrer Eltern entscheiden müssen. Das Dramatische ist: Wir sagen jungen Deutschen, dass sie nur Deutsche auf Probe sind. Das sagen wir all diesen 40 000 jungen Menschen. Das ist verfehlt. Es gibt keine Deutschen unterschiedlichen Rechts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich will Ihnen einmal plastisch machen, wie absurd das im Ergebnis ist: José ist in Bolivien geboren. Sein Vater, der Deutscher ist, verlässt die Mutter noch während der Schwangerschaft, erkennt aber die Vaterschaft an. José hat seinen deutschen Vater nie kennengelernt. Er war nie in Deutschland. Er spricht kein Wort Deutsch. Er ist Deutscher und nicht optionspflichtig. Veli ist in Köln-Ehrenfeld geboren. Seine Eltern sind 30 Jahre zuvor nach Deutschland eingewandert, aber noch nicht eingebürgert. Nach seinem sechsten Lebensjahr geht seine Familie – der Vater Ingenieur, die Mutter Deutschlehrerin – nach Frankreich, um dort zu arbeiten. Er unterliegt nach Ihrem Gesetz nicht nur der Optionspflicht, sondern er wird wahrscheinlich auch seinen deutschen Pass verlieren, obwohl er – das ist das Absurdeste an Ihrem ganzen Vorhaben – das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union, die ihm als deutschem Staatsbürger zusteht, wahrnimmt und sich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union aufhält. Das ist ethnische Diskriminierung! Wir wollten Ihnen im Innenausschuss die Chance geben , wenigstens diesen Unsinn zu bereinigen und zu sagen, dass Aufenthalte in der Europäischen Union den Aufenthalten in Deutschland gleichstehen, dass Schulabschlüsse aus der Europäischen Union den deutschen Schulabschlüssen gleichstehen und dass wenigstens ein Abschluss an einer deutschen Auslandsschule so behandelt wird wie ein inländischer Abschluss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie waren dazu nicht bereit. Und warum? (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kuhhandel!) Es liegt ja nicht am schlechten Willen der Sozialdemokratie; das weiß ich. Es liegt daran, dass die CDU/CSU an der schwarzen Pädagogik im Staatsbürgerschaftsrecht festhalten will; (Widerspruch bei der CDU/CSU) sie setzt damit ihre Integrationspolitik fort. Sie tun so, als ob sich diese jungen Deutschen noch bewähren müssten, um anständige Deutsche zu sein. Nein, es gibt nach unserer Verfassung keine Deutschen unterschiedlichen Rechts, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) und nach den europäischen Verträgen hat jeder Deutsche das Recht, sich in der Europäischen Union frei zu bewegen. Das sprechen Sie den Menschen, die ausländische Eltern haben, hiermit ab. Das ist schändlich und verkehrt. Deshalb ist dieser Gesetzentwurf integrationspolitisch verfehlt und europarechtswidrig; deshalb werden wir ihn heute ablehnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir sind für die Abschaffung der Optionspflicht ohne Wenn und Aber. Ihre damalige Einführung war ein hoher Preis, um das Geburtsortsprinzip überhaupt ins deutsche Recht übernehmen zu können. (Rüdiger Veit [SPD]: Das habe ich doch gesagt!) – Wir waren uns einig, dass es der größte Unfug ist, was wir da im Staatsangehörigkeitsrecht anrichten, und haben immer gehofft, die Optionspflicht zu überwinden. (Rüdiger Veit [SPD]: Den Rest beseitigen wir, wenn wir wieder eine rot-grüne Mehrheit haben!) Ich will Sie an jene Länder erinnern, die eine ganz andere Rechtskultur haben. Daran hat der Bundespräsident am 22. Mai in seiner großen Rede zur Einbürgerungsfeier im Schloss Bellevue erinnert. Er hat nämlich gesagt, die Deutschen würden sich gar nicht mehr daran stören, dass man durch Geburt Deutscher wird, auch wenn man ausländische Eltern hat. – Leider ist es noch nicht so weit. Es ist nicht nur die Optionspflicht, die noch besteht; die Eltern müssen hier zudem acht Jahre lang eine Aufenthaltserlaubnis gehabt haben, bevor ihre Kinder überhaupt als Deutsche in diesem Land zur Welt kommen können, unabhängig davon, wie lange sie sich hinterher tatsächlich in diesem Land aufhalten. Da rate ich Ihnen einen Blick in die amerikanische Verfassung. Im 14. Amendment steht: All persons born … in the United States … are citizens of the United States … Im kanadischen Recht heißt es: … a person is a citizen if the person was born in Canada … So einfach kann man es machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das bleibt eine Aufgabe für die Zukunft: Wenn Kinder von hier legal lebenden Eltern in Deutschland geboren sind, dann gehört ihnen ohne Wenn und Aber der deutsche Pass; das müssen wir nach diesem Tag noch durchsetzen. Ich kündige Ihnen an: Da werden wir im Parlament erneut initiativ werden, auch beim Thema „Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft bei der Einbürgerung“. Vizepräsidentin Claudia Roth: Kommen Sie bitte zum Ende. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schon heute hat jeder Zweite, der eingebürgert wird, das Recht auf die doppelte Staatsbürgerschaft. Warum machen wir bei der Hälfte ein solches Buhei, wenn wir die doppelte Staatsbürgerschaft bei den anderen selbstverständlich hinnehmen? Hören Sie auf, die Staatsbürgerschaft dazu zu nutzen, um die Menschen, die zu uns gekommen sind, zu knuten. Sagen Sie Ja zur Willkommenskultur. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da können Sie auf der rechten Seite des Hauses noch eine Menge lernen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Beck. – Nächster Redner ist Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir setzen mit dem Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts den Koalitionsvertrag um. Auch wenn dieses Gesetz – ich möchte das gar nicht negieren – nicht der innigste Wunsch der Unionsfraktion war und ist, auch wenn es uns kein Herzensanliegen war und ist, möchte ich schon betonen: Wir verabschieden heute ein gutes, ein zukunftsweisendes Gesetz. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Murks ist das!) Ich möchte ganz klar festhalten: Es bleibt beim Grundsatz der Optionspflicht. Es bleibt auch beim richtigen Grundsatz der Vermeidung der doppelten Staatsangehörigkeit. Es wird allen Unkenrufen zum Trotz auch in Zukunft in Deutschland keinen generellen Doppelpass geben. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts mit Abschaffung!) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte klar herausstreichen: Die Staatsbürgerschaft ist keine Vereinsmitgliedschaft, die man schnell annimmt und auch schnell wieder aufgibt. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Rüdiger Veit [SPD]: Das hat niemand gesagt!) Mit der Staatsangehörigkeit wird ein intensives Band zwischen dem Staat und dem Bürger vermittelt. Ich verstehe das, um es klar festzuhalten, nicht als ein Unter- und Oberordnungsverhältnis. Ich sehe dies gleichrangig. Natürlich impliziert die Staatsangehörigkeit klare Rechte, aber auch klare Pflichten. Deshalb ist sie ein hohes Gut, vielleicht mit das höchste Gut, das ein Staat ausreichen kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte auch betonen: Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht hat sich bewährt. Wir haben in den letzten Legislaturperioden häufig über das Thema Staatsangehörigkeit debattiert. Ich und viele andere Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU haben deutlich gemacht, dass wir das Ausreichen der deutschen Staatsangehörigkeit ganz eindeutig an klare Integrationsvoraussetzungen knüpfen. Es kann nicht sein, dass jemand, ohne dass er nachweist, in Deutschland integriert zu sein, die deutsche Staatsangehörigkeit bekommt. Ich bin der festen Überzeugung: Die mit diesem Gesetz vorgelegten Änderungen, in denen die Bedingungen dafür genannt werden, wie man von der Optionspflicht ausgenommen werden kann, sind aus meiner Sicht mehr als ein Indiz dafür, dass die betreffenden Personen in Deutschland integriert sind. Wenn jemand mindestens acht Jahre in Deutschland lebt, wenn jemand mindestens sechs Jahre in Deutschland die Schule besucht hat, wenn jemand in Deutschland erfolgreich die Schule oder eine Berufsausbildung absolviert hat, dann sind das ganz klare Hinweise darauf, dass diese Person in Deutschland angekommen ist, dass sie in Deutschland beheimatet ist und dass sie in Deutschland integriert ist. Mit diesem Gesetz machen wir guten Gewissens deutlich, dass wir den Koalitionsvertrag in seinem eigentlichen Sinn umsetzen: Wir werden die Optionspflicht für die Personen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, abschaffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin der Überzeugung, dass dieses Gesetz integrationspolitisch eine sinnvolle Maßnahme ist. Ich knüpfe die Hoffnung daran, dass es auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland stärkt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion oder auch von den Grünen, es handelt sich beileibe nicht um ein Bürokratiemonster. Ich verstehe die Aufregung nicht. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 40 000 Verfahren für 400 Fälle! Das ist doch absurd!) Es ist doch ganz einfach: Wenn jemand in Deutschland erfolgreich die Schule abgeschlossen hat, dann braucht er nur das Schulabschlusszeugnis an die Ausländerbehörde zu schicken. Damit wird er von der Optionspflicht befreit und hört nie mehr etwas vom Staat. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das Gesetz nicht gelesen! Erst einmal prüft das Ausländeramt, ob die Meldebescheinigung vorliegt! Ein Teil der Meldedaten ist gar nicht vorhanden, wenn die Leute hierher gezogen sind!) Wenn jemand erfolgreich seine Berufsausbildung abgeschlossen hat, muss er nur sein Abschlusszeugnis an die Ausländerbehörde schicken, und er hört von den Ausländerbehörden nie mehr etwas. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie einmal Ihr Gesetz!) Was hat denn das mit Bürokratie zu tun? (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie Ihren Gesetzentwurf! Wo waren Sie eigentlich während der Anhörung?) Mit diesem Gesetz wird vermieden, dass jemand, der zum Beispiel im dritten oder vierten Lebensjahr mit seinen Eltern Deutschland verlässt und in die Türkei zieht, auch von der Integrationspflicht ausgenommen wird. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder zum Beispiel nach Frankreich oder nach Österreich!) – Herr Kollege Beck, vielleicht zu Ihrem Beispiel vom Willi aus Köln-Ehrenfeld und vom José. (Lachen des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Veli heißt der! Der Willi, das ist der Ostermann! Der hat damals die Karnevalslieder gemacht! Der Veli ist aus der Türkei!) Was ich nicht verstehe, Herr Kollege Beck: Sie haben mit Ihrer Aussage sogar impliziert, dass Sie dem José gerne die deutsche Staatsangehörigkeit nehmen würden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, aber ich will den Veli nicht schlechter behandeln! Das ist ethnische Diskriminierung, was Sie hier machen!) Wir wollen dies aber nicht: Ihr Freund aus Köln-Ehrenfeld wird auch mit diesem Gesetz beide Staatsangehörigkeiten behalten können. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht, wenn er in Frankreich ist!) Ich sage Ihnen zu. Wir haben eine Härtefallklausel in das Gesetz eingebaut. Ich gehe davon aus, dass die Länder sehr vernünftig und auch sehr weitsichtig mit dieser Härtefallklausel umgehen werden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn der Gesetzgeber alles, was er regeln müsste, in die Härtefallklausel schreibt!) Ich bin mir sehr sicher, Herr Kollege Beck, dass der von Ihnen geschilderte Fall unter die Härtefallregelung fällt, (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) was im konkreten Fall dazu führt, dass Ihr Freund beide Staatsangehörigkeiten behalten kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir beenden mit dieser heutigen Debatte eine langjährige Diskussion über unser Staatsangehörigkeitsrecht. Es ist schon erwähnt worden: Es fällt dem einen oder anderen Kollegen seitens der CDU/CSU mit Sicherheit nicht leicht, diesem Gesetz zuzustimmen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind genügend Leute da, dann können sie rausgehen!) Herr Minister de Maizière hat schon darauf hingewiesen: Mit diesem Gesetz sind Wahlkämpfe geführt worden. Es sind Landesregierungen gewählt oder abgewählt worden. Ich bin der Überzeugung: Von diesem Gesetz wird eine Befriedungswirkung für unser Land ausgehen. Ich glaube auch, dass dieses Gesetz den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland Rechnung trägt. Deswegen können wir diesem Gesetz guten Gewissens zustimmen. Es ist ein zukunftsweisendes, modernes Staatsangehörigkeitsgesetz, und ich bitte herzlich um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Mayer. – Nächste Rednerin in der Debatte ist Frau Staatsministerin Aydan Özo?uz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aydan Özo?uz, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche einmal, das zusammenzufassen: Deutschlands Kinder, die mit ihrer Geburt zwei Pässe haben, behalten diese zukünftig in den allermeisten Fällen, müssen ihre Herkunft auch nicht mehr verleugnen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die behalten sie nicht, die haben sie schon!) Das heißt, genau zehn Jahre nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes bekennt sich Deutschland zu den Kindern seiner Einwanderer mit ihren Herkünften. Das ist ein sehr schöner Befund. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie es ja vorbehaltlos abschaffen!) Ich kann Kritik sehr gut verstehen. Ich höre auch sehr genau zu. Man zählt die Nachteile, die durch die Optionspflicht entstehen, die einmal gemeinsam beschlossen wurde, auf – das sind eventuell die Ausnahmen, die noch bestehen bleiben – und übersieht vollkommen, dass Hunderttausende Kinder und Jugendliche – die Zahlen sind gerade genannt worden –, die schon geboren sind, von diesem neuen Gesetz profitieren werden, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe doch vom Abschmelzen gesprochen! – Rüdiger Veit [SPD]: Jedenfalls über 300 000!) von dieser belastenden Entscheidung befreit werden und sich im wahrsten Sinne des Wortes in einem Deutschland befinden, das sagt: „Ja, du gehörst hierher, (Beifall bei der SPD) du bist deutsch, und du bist noch etwas anderes.“ Das kann man doch nicht kritisieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich kann man das kritisieren! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kritisieren, dass Sie es nicht ganz abschaffen! Das war noch gnädig im Vergleich zu Frau Da?delen!) Ich finde auch, dass wir den Streit um das Wort „Aufwachsen“ gut gelöst haben. Denn tatsächlich, wir hätten mehr gewollt – das kann man nicht oft genug wiederholen –, und die Unionsfraktionen hätten etwas anderes gewollt. Auch das ist kein Geheimnis. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind die Bundesregierung, Sie haben gar nichts zu wollen!) Wir haben uns darauf geeinigt, zu sagen: Wenn jemand acht Jahre hier ist – Entschuldigung, es sind doch fast alle acht Jahre hier; es gibt wenige Ausnahmen –, wenn jemand seinen Schulabschluss oder seinen Berufsausbildungsabschluss hier gemacht hat, dann gilt diese Regelung, die wir heute gemeinsam treffen, ab jetzt. Das ist doch ein gutes Signal, welches wir an die deutsche Jugend mit zwei Pässen und alle anderen senden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – -Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie auf, das schönzureden! Es ist Murks und bleibt Murks!) Die Härtefallregelung gibt es auch noch. Sie ist ja gerade für solche Fälle gedacht, die wir uns heute nicht alle überlegen können. Diese Jugendlichen können dann zeigen: Ich habe einen Bezug zu Deutschland, ich bin hier genauso verwurzelt. Ich finde, das Staatsangehörigkeitsrecht wird ein Stück gerechter. Es hat mit Identität zu tun, mit Verwurzelung, nicht mit dem Herkunftsland, aus dem jemand kommt. Danach haben wir ja bisher unterschieden. Wir werden allen jungen Menschen, die jetzt so gebannt darauf warten, dass wir das endlich umsetzen, dass sie endlich eben nicht mehr diese Angst haben müssen, diese Angst nehmen, das Gesetz jetzt umsetzen und nicht sagen: Lieber gar nichts, wenn man nicht 100 Prozent und alles bekommt. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – -Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Richtig wäre, den Murks ganz abzuschaffen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Bevor ich dem Kollegen Helmut Brandt das Wort gebe, bitte ich die anderen Kolleginnen und Kollegen, den letzten zwei Rednern in dieser Debatte noch zuzuhören. Sie haben es definitiv verdient. – Helmut Brandt für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt der Integrationsexperte!) Helmut Brandt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich glaube, der Wortbeitrag der Staatsministerin hat zur Versachlichung der Atmosphäre beigetragen. Deshalb danke ich ihr ausdrücklich für ihren Beitrag. Da kann man hundertmal „Murks“ rufen; das disqualifiziert nur den Rufer und nicht den Diskussionsbeitrag als solchen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Natürlich hätte man heute noch einmal sehr lange über diesen Gesetzentwurf diskutieren können, Herr Kollege Veit. Aber wir haben im letzten Jahr über die Frage der Staatsangehörigkeit und über die Frage der Optionspflicht – ja oder nein? – oft diskutiert. Jetzt debattieren wir schon zum fünften Mal darüber. Deshalb halte ich es für angemessen, dass wir die Debatte heute abschließen. Wir haben heute in zweiter und dritter Lesung diese Neuregelung zu beschließen, die für die betroffenen jungen Leute sicherlich eine enorme Erleichterung bedeutet. Wir haben in der Sachverständigenanhörung, die hier schon mehrfach erwähnt worden ist, gehört, dass die Zahl der Betroffenen bis zum Jahr 2018 auf 40 000 im Jahr ansteigen wird. Deshalb ist es, glaube ich, an der Zeit, sich mit dieser Neuregelung abschließend zu beschäftigen. (Beifall des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Wir haben mit diesem Kompromiss natürlich nicht alle Erwartungen erfüllen können. Es gab und gibt bis heute vehemente Befürworter einer kompletten Abschaffung der Optionspflicht. Aber die Anhörung der Sachverständigen hat deutlich gezeigt, dass die geplante -Modifizierung der Optionspflicht ausgewogen und praktikabel ist, dass sie den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt und vor allen Dingen auch sachgerecht ist. Sie verstößt gerade nicht, wie von den Linken und vom Bündnis 90/Die Grünen immer wieder behauptet, gegen das Grundgesetz. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verstößt vor allen Dingen gegen das Europarecht!) Sie ist auch keine unzulässige Entziehung der Staatsangehörigkeit im Sinne des Artikels 16 Absatz 1. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Grundgesetz kennt keine Deutschen zweiter Klasse!) Ich erinnere an die Ihnen sicherlich bekannte Rechtsprechung, nach der eine Verlustzufügung nur dann vorliegt, wenn der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbare Weise dieselbe beeinflussen kann. Das ist hier aber nicht der Fall. Die jungen Erwachsenen, die nach dieser neuen Regelung von der Optionspflicht betroffen sein werden, haben es selbst in der Hand, ob sie sich für die deutsche Staatsangehörigkeit oder für die ihrer Eltern entscheiden, auch wenn diese Entscheidung in dem einen oder anderen Fall vielleicht eine unbequeme Entscheidung ist – unbequem, aber durchaus zumutbar. (Unruhe) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich meine das wirklich sehr ernst. Der Herr Kollege Brandt redet über ein sehr wichtiges Thema. Entweder Sie hören jetzt zu – dann reden Sie aber bitte nicht mit den Nachbarn, sondern hören ihm zu –, oder Sie reden draußen weiter. Das gilt für die Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem der CDU!) das gilt aber auch für die Regierungsbank. – Herr Kollege, Sie haben das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Helmut Brandt (CDU/CSU): Besten Dank, Frau Präsidentin. Nach mir redet ja noch ein Kollege. Insofern ist der Appell mehr als berechtigt. Einer Hinnahme des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit steht das legitime Interesse des deutschen Staates an der Vermeidung von Konflikten rechtlicher, politischer, auch persönlicher Art gegenüber, die vielleicht nicht regelmäßig, aber eben doch mit einer doppelten Staatsangehörigkeit verbunden sind. Auch wenn einige das nicht gerne hören oder nicht glauben wollen, ist es nun einmal so, dass eine doppelte Staatsangehörigkeit zu Loyalitätsproblemen führen kann, insbesondere wenn im Heimatland der Eltern ganz andere Wertvorstellungen als in Deutschland vorherrschen. Genau deshalb halte ich die Bedingungen, die wir an den Wegfall der Optionspflicht geknüpft haben, für absolut notwendig und integrationsfördernd. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorsicht vor der österreichischen Matura!) An die Adresse von Bündnis 90/Die Grünen sage ich, dass der Besuch einer deutschen Schule im Ausland – das ist ein beliebtes Beispiel von Ihnen, Herr Beck – ein Leben in Deutschland nicht ersetzt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah! Hört! Hört!) Integration (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Findet nur in Deutschland statt! Da zeigt er sein wahres Gesicht!) findet doch nicht nur in der Schule statt, sondern auch im Freundeskreis, in Vereinen und in der Familie, also im Alltag. All das ist im Ausland doch gerade nicht gewährleistet, (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist interessant! Das Innenministerium meinte, das sei ein Fall für die Härtefallklausel!) weshalb wir Ihren Antrag immer wieder aufs Neue ablehnen. Die von Ihnen, Herr Beck – ich muss Sie in dieser Debatte leider öfters ansprechen, weil Sie immer wieder die gleichen falschen Behauptungen aufstellen –, behauptete Unvereinbarkeit mit Europarecht, ist auch von den Sachverständigen nicht bestätigt worden. (Widerspruch des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit einhergehende Verlust der Unionsbürgerschaft beeinträchtigt zwar das Recht auf Freizügigkeit. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört!) – Herr Beck, Sie haben nur einer Sachverständigen und nicht allen Sachverständigen zugehört, weshalb Sie sich auch nur ein einseitiges Bild von der Rechtslage gebildet haben. Aber das war ja auch Ihr Ziel von Anfang an. – Der Verhältnismäßigkeit des Verlustes, die der Europäische Gerichtshof verlangt, steht jedoch auch hier gegenüber, dass es der Betreffende selbst in der Hand hat, sich die deutsche Staatsangehörigkeit und damit den Status der Unionsbürgerschaft zu erhalten. Der Europäische Gerichtshof hat zudem explizit festgestellt, dass es legitim ist, dass der Mitgliedstaat das zwischen ihm und seinen Staatsbürgern bestehende Verhältnis besonderer Verbundenheit und Loyalität sowie die Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten schützt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit? Helmut Brandt (CDU/CSU): Ja. Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Ich bin – ich denke, das gilt für uns alle, jedenfalls für die meisten von uns – letztlich zufrieden mit dem Kompromiss, den wir jetzt gefunden haben. Letzte Bemerkung. Der Kollege Veit hat recht, dass die von der SPD-Fraktion präsentierten sachverständigen Praktiker Anregungen gegeben haben. Wir wollten das nicht in der Kürze der Zeit übers Knie brechen, zumal dadurch vielleicht auch die Möglichkeiten der Zustimmung durch den Bundesrat vergeben worden wären. (Rüdiger Veit [SPD]: Trotzdem vielen Dank!) Aber wir sind bereit, darüber in den nächsten Monaten mit den Ländern und auch mit Ihnen zu diskutieren, – Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber jetzt nicht mehr! Helmut Brandt (CDU/CSU): – um vielleicht noch die eine oder andere Gelegenheit für eine Verbesserung zu nutzen. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Brandt. – Letzter Redner in dieser Debatte ist Josip Juratovic. Ich bitte Sie, dem Redner, der für die SPD redet, zuzuhören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit unserem Gesetzentwurf beenden wir eine entwürdigende Situation. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie beenden gar nichts!) Bisher waren hier geborene Kinder ausländischer Eltern Deutsche unter Vorbehalt; das hatten wir der Kampagne von Roland Koch aus dem Jahre 1999 zu verdanken. Dieser Vorbehalt ist nun weg. (Beifall bei der SPD) Ein hier geborenes Kind, das hier aufwächst, ist nun ein Deutscher. Kolleginnen und Kollegen, ich will nicht verhehlen, dass wir als SPD mehr anstreben. Da denke ich vor allem an die erste Generation der Einwanderer nichtdeutscher Herkunft. Diese Generation, die sogenannten Gastarbeiter, bleiben in der aktuellen Debatte leider unbeachtet. Warum wollen wir für sie die generelle Akzeptanz von Mehrstaatlichkeit? Weil es einfach zur Redlichkeit gehört. Diese Menschen haben ihre Lebensleistung zum größten Teil hierzulande erbracht. Diese Menschen haben unser Land unter schweren Bedingungen mit aufgebaut. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung des Kollegen Beck? Josip Juratovic (SPD): Herr Beck, Sie haben schon viel geredet. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich möchte Ihnen wirklich eine Frage stellen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Moment! – Erlauben Sie das? Josip Juratovic (SPD): Ja, bitte. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. – Kollege Beck. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Der Kollege Beck redet ja schon die ganze Zeit!) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, weil mich die Rede des Kollegen Brandt verwirrt hat, was wir denn jetzt beschließen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Dass Sie verwirrt sind, glaube ich Ihnen sofort!) Herr Brandt hat gerade erklärt, Abschlüsse an deutschen Auslandsschulen führten zur Optionspflicht. Das Bundesinnenministerium hat auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion geantwortet, dies könne ein Fall für die Härtefallregelung sein. Damit das Hohe Haus weiß, was es tut, wenn es diesen Gesetzentwurf jetzt verabschiedet – in ihm steht ja nicht, was in diesem Fall gilt –, würde ich gerne von Ihnen, sozusagen koalitionsamtlich, eine Auslegungsentscheidung hören. Josip Juratovic (SPD): Herr Beck, ich gehe davon aus, dass Sie den Gesetzentwurf und die Beschlussempfehlung gelesen haben. Ich möchte jetzt keine langen Erklärungen vortragen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen es also auch nicht? Ein sehr gutes Gesetz ist das!) – Ich weiß es sehr wohl. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Fall für die Härtefallklausel!) Ich wiederhole: Warum wollen wir die generelle Akzeptanz von Mehrstaatlichkeit? Weil es einfach zur Redlichkeit gehört. Diese Menschen haben ihre Lebensleistung zum größten Teil hierzulande erbracht. Diese Menschen haben unser Land unter schweren Bedingungen mit aufgebaut und es zu dem gemacht, was es heute ist: eine starke Wirtschaftsmacht. Diese Menschen haben sich auch im Vereinsleben in unseren Städten und Gemeinden engagiert und damit zu einer Gesellschaft beigetragen, um die wir weltweit beneidet und für die wir respektiert werden. Wie loyal, Herr Minister, muss ein Mensch noch sein? Ich meine, es wäre nur redlich, dass wir den emotional berechtigten Anspruch dieser Menschen auf Respekt und Anerkennung würdigen, indem wir zu ihnen sagen: Du gehörst dazu, ohne dass du deine Herkunft verleugnen musst. (Beifall bei der SPD) Kolleginnen und Kollegen, als Integrationsbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion betrachte ich Integration als einen Prozess auf dem Weg zur Identifikation mit der Vielfalt in unserem Land – sowohl aufseiten der Einwanderer als auch aufseiten der aufnehmenden Gesellschaft. Vielfalt ist dabei nicht Beliebigkeit, sondern muss in unseren grundgesetzlichen Werten eingerahmt sein. Deshalb ist es für mich nicht wichtig, wie viele Pässe jemand in der Hosentasche hat. Es ist für mich vielmehr entscheidend, was er im Herzen trägt. Für mich reicht auch gegenseitige Toleranz nicht aus. Deutschland muss auf gegenseitiger Empathie, Achtung und Respekt aufgebaut sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der vor uns liegende Gesetzentwurf ist ein Kompromiss, für den ich mich bei unserem Koalitionspartner trotz einiger Bedenkenträger bedanken möchte. Den Bedenkenträgern möchte ich sagen: Wir sollten die Fenster in diesem Haus einmal öffnen und nach draußen schauen. Sie werden sehen, dass uns die Realität in Deutschland längst überholt hat. Seit Roland Koch ist viel passiert. Deutschland ist seit 2005 offiziell ein Einwanderungsland. 50 Prozent der Zuwanderer haben bereits mehrere Pässe. Die internationale Vielfalt ist aus unserer Wirtschaft, Kunst und Kultur nicht mehr wegzudenken. (Unruhe) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich bitte Sie, dem Kollegen zuzuhören. Er versteht fast sein eigenes Wort nicht mehr. Wir können die Debatte auch unterbrechen, wenn Sie wichtigere Dinge zu besprechen haben. Ansonsten hören Sie dem Kollegen jetzt bitte die letzten 30 Sekunden zu. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Josip Juratovic (SPD): Danke, Frau Präsidentin. – Wir feiern und identifizieren uns mit unserer Nationalmannschaft, in der längst nicht mehr die Herkunft zählt, sondern die Qualitäten und Fähigkeiten. Diese Realität müssen wir in Gesetzen abbilden, die helfen, dass sich alle Menschen in unserem Land als Bürgerinnen und Bürger mit einem Deutschland der Vielfalt identifizieren. Die wachsende Vielfalt Deutschlands wird mit diesem Gesetzentwurf einmal mehr als Wert anerkannt. Es ist ein weiterer Schritt zu mehr Gerechtigkeit und Zusammenhalt in unserem Land. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aussprache. Ich bitte Sie jetzt um Ihre Aufmerksamkeit, weil vonseiten der CDU/CSU und der SPD eine zweite namentliche Abstimmung angemeldet worden ist. Wir werden unter Zusatzpunkt 7 a also nicht nur über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke namentlich abstimmen, sondern auch – das tun wir jetzt zuerst – über den von der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes auf Drucksache 18/1312, über den wir debattiert haben. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, diesen Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diese Schlussabstimmung ist namentlich. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze an den Boxen einzunehmen. – Sind die Plätze an den Boxen besetzt? – Also, die Plätze an den Boxen sind besetzt. (Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: Urnen!) – Die Plätze an den Boxen, die manche „Urnen“ nennen, sind besetzt. Damit eröffne ich die Abstimmung. – Haben alle Kolleginnen und Kollegen jetzt abgestimmt? – Ich gehe davon aus, dass jetzt alle Mitglieder abgestimmt haben. Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen, wie immer, später bekannt gegeben.9 Jetzt kommen wir zu der Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktion Die Linke über die Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/1955 und 18/2005, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1092 abzulehnen. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab.10 Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Die Plätze sind besetzt. Ich eröffne die Abstimmung über den Gesetzentwurf. Solange noch abgestimmt wird, möchte ich im Namen des Präsidiums Ansgar Heveling ganz herzlich zu seinem Geburtstag gratulieren. (Beifall) Gibt es noch Mitglieder des Hauses, die ihre Stimme nicht abgegeben haben? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch hier wird Ihnen das Ergebnis der Abstimmung, wie immer, später bekannt gegeben.11 (Volker Kauder [CDU/CSU]: Schön!) – Ja, so ist es, Herr Kauder. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/1955 und 18/2005, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/185 (neu) abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und der Linksfraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Zusatzpunkt 7 b. Beschlussempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem -Titel „Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/1955 und 18/2005, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/286 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen mit Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Ablehnung von der Linksfraktion und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulle Schauws, Renate Künast, Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen (Führungskräftegesetz) Drucksache 18/1878 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch, dann ist es jetzt so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Ulle Schauws für Bündnis 90/Die Grünen. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern wurde der neue Public Women-on-Board-Index vorgestellt. Angesichts der bekannten Frauen- und Männeranteile in Aufsichtsräten der Wirtschaft ist das Ergebnis jetzt nicht wirklich überraschend. Vielmehr zeigt sich hier noch einmal eines deutlich: Freiwillige Vereinbarungen und unverbindliche gesetzliche Regelungen führen nicht zu einer signifikanten Steigerung des Frauenanteils, nicht einmal in Unternehmen mit Beteiligung des Bundes. Nein, ganz im Gegenteil. Denn in den Vorständen und in den Geschäftsführungen von Bundesunternehmen wurde bisher nur jede fünfte Position mit einer Frau besetzt. Das sind 13,9 Prozent, und das ist viel zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, es zeigt vor allem: Dort, wo die Politik unmittelbar Einfluss auf die Besetzung von Führungsposten hat, nutzt sie diesen Einfluss nicht. Damit nehmen die öffentlichen Unternehmen keine Vorbildfunktion für die Privatwirtschaft ein. Der faktische Ausschluss von Frauen ist auch nicht gerecht. Liebe Kolleginnen von der Bundesregierung, auch das ist ein Grund dafür, dass wir Grünen heute erneut einen eigenen Gesetzentwurf zur geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen einbringen. Denn – das sage ich Ihnen noch einmal ganz klar – die Geduld der Frauen ist zu Ende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Es gibt keinen Grund, den vielen hochqualifizierten Frauen den Zugang zu Karriere und besser bezahlten Jobs weiter zu verweigern. Wir wollen deshalb erstens eine 40-Prozent-Frauenquote für börsennotierte Unternehmen oder Unternehmen, die der Mitbestimmung unterliegen. Diese Quote soll in zwei Stufen erreicht werden: ab 2016 für alle Neubesetzungen, dann ab 2018 für alle Aufsichtsratsmitglieder. Das betrifft etwa 3 500 Unternehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir fordern zweitens die dringend notwendige Reformierung des Bundesgremienbesetzungsgesetzes aus dem Jahr 1994. Auch hier fordern wir eine Mindestquote für beide Geschlechter von 40 Prozent ab 2018 und die Streichung der vielen Ausnahmeregelungen. Diese beiden Forderungen sollen drittens einhergehen mit Regelungen für Führungspositionen unterhalb des Vorstandes, damit Frauen konsequent gefördert werden. Nur so erreichen wir es, dass Frauen nicht länger an die gläserne Decke stoßen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, gut ist, dass bei dieser Bundesregierung angekommen ist, dass die Frauenförderung angepackt werden muss – anders als bei der letzten. Ehrlich gesagt glaube ich allerdings, dass diese Erkenntnis tatsächlich nur bei den Kolleginnen und Kollegen von der SPD so richtig angekommen ist. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?) Von der Union hört man ja gar nichts zu dem Referentenentwurf. Ich will es einmal so sagen: Allgemeines Schweigen im Walde bei der Union offenbar nach dem Motto „Die Wirtschaft wird schon dagegen Sturm laufen“ – das tut sie bereits auch panisch – „und alles wieder richten“. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach, seien Sie nicht so streng!) Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, wenn ich mir den Referentenentwurf ansehe, besteht eigentlich gar kein Grund zu dieser -Hysterie. Denn die von Maas und Schwesig vollmundig angekündigte Quote ist jetzt schon ein einziger Knicks vor der Wirtschaft: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Quötchen!) eine Quote von 30 Prozent für Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen ab 2016 und nur für Neu- und Nachbesetzungen. Das trifft nur 101 Unternehmen. Darunter ging es ja kaum noch. Nein, Frau Schwesig und Herr Maas, man muss es klar benennen: Ihre Quote ist ein Quötchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind gespannt, was am Ende im Bundesgesetzblatt stehen wird, wenn die CDU/CSU noch mehr Ausnahmen einbaut. Die große Mehrheit in der Wirtschaft geht ja beim Thema Quote immer wieder reflexartig auf Abwehrhaltung, obwohl die Quote natürlich immer an die gleichen Qualifikationen von Männern und Frauen gebunden ist. Hierüber wird gern ein falsches Bild gezeichnet, nämlich das von einer Bevorteilung von Frauen gegenüber Männern. Das ist Quatsch. Denn ohne eine verbindliche gesetzliche Regelung gäbe es weiterhin diese ausgesprochen gut funktionierende Quote für Männer zum Teil sogar bis 100 Prozent. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Mal ehrlich, anstatt als eine der Topwirtschaftsnationen richtig nach vorne zu gehen, wagen Sie von der Regierung auch jetzt nur einen halbherzigen Schritt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Worauf es ankommt, ist die Mischung von Frauen und Männern in Führungsetagen. Einige wenige Unternehmen haben das verstanden. Der Strategiechef von Roland Berger sagt ganz schlicht: „Wir brauchen die Vielfalt, weil sie zu besseren Ergebnissen führt.“ Also: Es gibt genug qualifizierte Frauen für Führungspositionen und für Aufsichtsräte und für Bundesgremien. Man muss sie aber auch finden wollen. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, wir feiern in diesem Jahr den 20. Jahrestag der Ergänzung des Artikels 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Dieser Satz fordert die Bundesregierung zu aktivem Handeln bei der Frauenförderung auf. Nehmen Sie dieses Jubiläum zum Anlass! Nutzen Sie Ihre Mehrheiten! Trauen Sie sich, den Frauen und Männern in diesem Land sowie auch der Wirtschaft effiziente Maßnahmen zur Gleichstellung zu! Nehmen Sie unsere Vorschläge auf, damit wir nicht bei einem Quötchen landen, sondern bei einer wirklichen Quote, einer Quote, die am Ende nicht nur wenigen Frauen hilft. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin in der Debatte ist Gudrun Zollner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit der Einführung einer gesetzlichen Frauenquote zur geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen bringen wir heute ein Vorhaben auf den Weg, das ich als historisch bezeichnen möchte. Ich erinnere genauso wie meine Vorrednerin an Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleich-berechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Die bestehenden Nachteile beseitigen wir jetzt, wir Frauen von der CDU/CSU: 30 Prozent Geschlechterquote für Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen, die ab dem Jahr 2016 neu besetzt werden, und verbindliche Zielgrößen für die Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und obersten Managerebenen mitbestimmungspflichtiger und börsennotierter Unternehmen mit einer transparenten Berichterstattung. Auch wenn der Aufschrei der Unternehmer noch -immer groß ist: Sie sind selbst schuld, weil sie sich seit Jahren nicht an ihre eigenen freiwilligen Zusagen gehalten haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Der Regelkatalog der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, der Empfehlungen für gute Unternehmensführung macht, ist für viele Manager anscheinend nur ein Papiertiger. Wenn ihnen alle Argumente gegen die Quote ausgehen, dann kommt das Schlagwort der unqualifizierten Quotenfrau, die keiner haben will. Topmanager – wohlgemerkt: Männer – -haben in den letzten Jahren Milliarden in den Sand gesetzt. Wer hat da nach deren Qualifikation gefragt? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich bitte Sie aber: Lassen Sie uns die Debatte über das Für und Wider einer Frauenquote beenden. Sie heizt nur die Stimmung gegen die Quote an und schadet so im Prinzip der richtigen Sache. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da war Frau Pawelski anderer Meinung! Die war gut!) Die gesetzliche Quote kommt, und nur das zählt. Auch wir Frauen sollten uns nicht auseinanderdividieren lassen. Jede von uns sollte den Weg gehen, den sie für sich selbst für richtig hält. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Werden wir gefragt, ob wir eine Führungsposition übernehmen wollen, dann denken wir bitte nicht erst nach: Kann ich das? Schaffe ich das mit meiner Familie? Bin ich qualifiziert genug? – Glauben Sie mir: Wir können das, und wir schaffen das. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Bei der Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreuung hilft der Bund den Ländern seit Jahren nachhaltig und tatkräftig. Insgesamt stellt der Bund den Ländern bis 2014 5,4 Milliarden Euro zur Verfügung, um zusätzliche Plätze in Kitas und der Kindertagespflege zu schaffen und ihren Betrieb zu finanzieren. Ab 2015 unterstützt der Bund den dauerhaften Betrieb der neu geschaffenen Kitas mit jährlich 845 Millionen Euro. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt!) – Danke schön, Herr Kauder. – Wir schaffen Rahmenbedingungen, damit Frauen und ihre Familien die Kinder in guten und qualifizierten Händen wissen. Die ersten Umfragen zeigen schon, dass die neue Familienpolitik eine stärkere Berufsorientierung bei Müttern bewirkt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der Gesetzgeber setzt jetzt Impulse für die Gesellschaft, um ein Umdenken aktiv zu provozieren – und dies insbesondere in der männerdominierten Unternehmenskultur. Wir müssen der gläsernen Decke ein Ende setzen, den Aufsichtsräten in Männerhänden Adieu sagen. Um nichts anderes geht es. Lassen Sie uns doch bitte, werte Kolleginnen und Kollegen, nicht darüber debattieren, ob jetzt 30 Prozent oder 40 Prozent Frauenquote richtig ist; denn irgendwann sollen doch die Quote und die Debatten darüber überflüssig sein, und das werden sie. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 30 Prozent Frauenanteil in Aufsichtsräten für börsennotierte und voll mitbestimmungspflichtige Unternehmen zu fordern, ist ambitioniert und setzt im aktuellen Referentenentwurf das richtige Signal. Sicherlich ist das mehr als nur ein Quötchen. Wir binden die Unternehmen an die konkrete Umsetzung von Zielvorgaben, wir verpflichten sie zur transparenten Berichterstattung, und bei Nichteinhaltung der Geschlechterquote droht der leere Stuhl. Mit dem Antrag zum Bundesgleichstellungsgesetz gehen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, anscheinend erfreulicherweise mit uns konform; denn dazu finde ich keine Vorschläge in Ihrem Antrag. Wenn Sie sagen, unsere Regierung mache zu wenig in den eigenen Reihen, so darf ich Sie daran erinnern, dass zu Beginn der Regierungszeit Ihres Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg 27 neue Stellen mit B-Besoldung geschaffen wurden und davon nur vier an Frauen vergeben wurden. Ich glaube, wir können überall etwas unternehmen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit? Gudrun Zollner (CDU/CSU): Jawohl. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich habe das ganz sanft gesagt. Gudrun Zollner (CDU/CSU): Eine erst in dieser Woche veröffentlichte Ketchum-Umfrage belegt: Nach Ansicht der Befragten haben Frauen in Führungspositionen ihre männlichen Kollegen hinter sich gelassen. Sie seien die besseren Chefs. Das sehen zumindest 58 Prozent der Deutschen so. Ich freue mich auf den Moment, wenn es keiner Quotendiskussion mehr bedarf, um Frauen dorthin zu bekommen, wohin sie gehören, nämlich gleichberechtigt an die Spitze der Unternehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bitte lassen Sie uns von einem inszenierten Quotenhorror Abstand nehmen und vielmehr Quotengeschichte schreiben – für die Frauen, für die Firmen und für den Fortschritt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Zollner. – Bevor Frau Möhring das Wort hat, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der beiden namentlichen Abstimmungen bekannt geben. Erste Abstimmung: Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, Drucksachen 18/1312, 18/1759, 18/1955 und 18/2005. Abgegebene Stimmen 575. Mit Ja haben gestimmt 463, mit Nein haben gestimmt 111, Enthaltungen 1. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 572; davon ja: 461 nein: 110 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Oliver Wittke Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özo?uz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Bärbel Höhn Nein CDU/CSU Veronika Bellmann Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Matthias Hauer Sylvia Pantel DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Katja Kipping Jan Korte Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn (Dresden) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck (Bremen) Zweite Abstimmung: Entwurf eines Gesetzes über die Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht, Drucksachen 18/1092, 18/1955 und 18/2005. Abgegebene Stimmen 569. Mit Ja haben gestimmt 461, mit Nein haben gestimmt 108, Enthaltungen keine. Der Gesetzentwurf ist abgelehnt. Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 569; davon ja: 107 nein: 462 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Katja Kipping Jan Korte Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn (Dresden) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Oliver Wittke Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özo?uz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Schnitt. Jetzt kommen wir wieder zur Quote oder wie auch immer man es zukünftig nennt. Also: Cornelia Möhring hat das Wort für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Cornelia Möhring (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Zollner, ehrlich gestanden, finde ich, dass heute genau der richtige Zeitpunkt ist, um wieder über die Frauenquote zu reden. Das zeigen nicht nur die vorliegenden Leitlinien der Koalition für das Gesetzgebungsverfahren, sondern auch Ihr Diskussionsbeitrag. Darauf will ich gleich noch genauer eingehen. Der Anlass unserer heutigen Debatte ist der Gesetzentwurf der Grünen. Ich will trotzdem die Gelegenheit nutzen, etwas zum geplanten Gesetzentwurf der Großen Koalition zu sagen. Zuerst zu den Grünen. Ich finde es natürlich sehr gut, dass in ihrem Gesetzentwurf der Anwendungsbereich deutlich weiter gefasst ist als im GroKoEntwurf. Ulle Schauws hat gesagt, von ihrem Gesetzentwurf seien immerhin 3 500 Unternehmen betroffen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?) Im Vorschlag der Koalition steht aber nicht „oder“ zwischen „börsennotiert“ und „mitbestimmungspflichtig“, sondern „und“. Dieses kleine Wörtchen macht den großen Unterschied aus. Was uns da nämlich als gleich-stellungspolitischer Meilenstein verkauft werden soll, gilt gerade einmal für 101 Unternehmen, und sie suchen – bei einer Quote von 30 Prozent – gerade einmal 174 Frauen. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: 176!) Ich finde, da ist der Begriff „Quötchen“ durchaus angebracht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was die angedachten Sanktionen angeht, etwa die Drohung mit dem leeren Stuhl: Ich sehe wirklich schon, wie die betroffenen Unternehmen in Angst und Schrecken ausbrechen. Das, was angedacht ist, ist wirklich alles andere als eine harte Sanktion. Ich finde aber auch, dass der Vorschlag der Grünen, eine 40-Prozent-Quote einzuführen, ebenfalls nicht weit genug geht. Es gibt keinen Grund, warum wir uns mit weniger als der Hälfte zufriedengeben sollten. (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es können auch 40 Prozent Männer sein, Frau Kollegin!) Frauen sind keine Minderheit. Für gleiche und unteilbare Menschenrechte sind Zwischenschritte unsinnig. Vor 100 Jahren kam niemand auf die Idee, den Frauen erst einmal ein anteiliges Wahlrecht einzuräumen. Die Linke bleibt dabei: Wir wollen 50 Prozent. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wie viel? 50 Prozent?) Ein weiterer Punkt. Die Grünen fordern so wie die Bundesregierung die Quote für Aufsichtsräte, aber nicht für Vorstände. Doch genau dort spielt die Musik. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer wählt den Vorstand?) In den Vorständen werden die weitreichenden Entscheidungen getroffen. Deswegen brauchen wir eine verbindliche Quote für alle Führungsetagen, erst recht, wenn man ein Gesetz „Führungskräftegesetz“ nennt. (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht dieses hier! Ihr habt ja auch keine Doppelspitze bei euch in der Fraktion!) – Darüber können wir gerne an anderer Stelle diskutieren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Hier!) Hier geht es um die gleiche und ungleiche Verteilung von Ressourcen in unserer Gesellschaft, wofür der Bundestag die Zuständigkeit besitzt. Es geht nicht um unsere Fraktion. Noch ein paar ganz grundsätzliche Anmerkungen. Sowohl im vorliegenden Gesetzentwurf der Grünen als auch im Gesetzentwurf der Bundesregierung, soweit er uns bekannt ist, sind alle Regelungen geschlechtsneutral formuliert. Da mittlerweile sogar von einer Geschlechterquote gesprochen wird, möchte ich hier ganz explizit noch einmal auf den Sinn einer Frauenquote eingehen. Frauenquoten wurden hier und in anderen Ländern aus einem einzigen Grund auf die politische Agenda gesetzt: Es gibt eine sichtbare Diskriminierung von Frauen in Führungsetagen – und nicht nur dort. Frauen wird der gleichberechtigte Zugang zu gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen verwehrt. Mit der Frauenquote sollte diesen Zuständen so lange auf den Leib gerückt werden, bis die Gleichstellung auch wirklich in der Praxis ankommt. (Beifall bei der LINKEN) Es geht nämlich nicht, auch wenn das hier teilweise durchklingt, um den Ausgleich zufällig zusammengesetzter Gremien, wo einmal Frauen und einmal Männer in der Mehrheit oder Minderheit sind. Frauen sollen nicht deshalb vertreten werden, weil sie irgendwelche geheimnisvollen Befähigungen haben oder anders mit knappen Ressourcen und ungelösten Herausforderungen umgehen. Auch wenn es manche erstaunen mag: Frauen sind nicht die besseren Menschen. Sie haben aber das gleiche Recht auf Beteiligung an wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen. (Beifall bei der LINKEN) Die Frauenquote ist einzig und allein eine Antidiskriminierungsmaßnahme. Erst wenn das Geschlecht bei Einstellungen und Beförderungen keine Rolle mehr spielt, Frau Zollner, wird die Quote überflüssig. Eine strukturelle Diskriminierung von Männern gibt es jedoch nicht. Männer sind in Führungsetagen und in der Politik nicht unterrepräsentiert. Wofür bräuchten sie dann eine gezielte Förderung? Deswegen teile ich auch die Kritik der Gleichstellungsbeauftragten der Bundesministerien, die völlig berechtigt auch das Quotengesetz der Großen Koalition kritisieren, weil jetzt im öffentlichen Bereich ein echter Rückschritt wartet. In der Novelle zum Bundesgleichstellungsgesetz wird die Frauenförderung ohne Not in eine Männer- und Frauenförderung umgewandelt. Männerförderung ist aber – da müssen jetzt einige ganz tapfer sein – tatsächlich in der Gleichstellung noch nicht angesagt. Die gesellschaftliche Realität liefert andere Ausgangsbedingungen. Der Anteil von Frauen in Vorständen beträgt 5,7 Prozent, in Parlament und Politik 30 Prozent. 80 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. 87 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. 80 Prozent aller unbezahlten Tätigkeiten werden von Frauen ausgeführt. Ich meine, da muss doch bei Ihnen mal was klingeln. Wer so tut, als würden wir Gleichstellung durch die Förderung des jeweils unterrepräsentierten Geschlechts erreichen, der hat das Klingeln nicht gehört und verkennt die gesellschaftliche Realität. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erinnern wir uns immer an die Worte von Grethe -Nestor, die sagte: Die größte Gefahr für die Gleichberechtigung ist der Mythos, wir hätten sie schon. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. Ich muss leider etwas korrigieren; denn bei uns gab es einen Zahlendreher. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Schade! Wir hatten uns schon so gefreut!) – Das hat aber nur ein Einziger von Ihnen gemerkt. Eigentlich war es ja ein Test. Sie haben es gemerkt. Wir haben nämlich den Gesetzentwurf der Linksfraktion nicht mehrheitlich angenommen. Da gab es einen Zahlendreher. Deswegen möchte ich das Ergebnis noch einmal bekannt geben. Entwurf eines Gesetzes über die Aufhebung der Op-tionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht, Drucksachen 18/1092, 18/1955 und 18/2005. Abgegebene Stimmen 569. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Für fünf Minuten war das Gesetz durch!) Mit Ja haben gestimmt 108, mit Nein haben gestimmt 461. – Es ehrt den Parlamentarischen Geschäftsführer der Linken, dass er es gesagt hat. (Sönke Rix [SPD], an Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE] gewandt: Warum hast du das gesagt?) Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die falsche Entscheidung muss wenigstens richtig dargestellt werden!) Nächste Rednerin in der Debatte: Birgit Kömpel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Birgit Kömpel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin Roth! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Wir begrüßen den Gesetzentwurf der Grünen. Ja, Sie haben richtig gehört. Wir begrüßen den Gesetzentwurf, weil wir ihn als Rückendeckung für die Regierungspläne sehen, eine gesetzliche Quote für Aufsichtsräte einzuführen. (Beifall bei der SPD) Es macht allerdings überhaupt keinen Sinn, um das „wie hoch“ und „wie weitreichend“ und „wie umfassend“ zu debattieren. So kommen wir nicht weiter. Wir müssen konkret etwas tun, meine Damen und Herren. Der Fuß in der Tür ist allemal besser als eine verschlossene Tür. Unsere Idee „Für eine gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ macht unser gemeinsames und, ich hoffe, unser aller Anliegen nicht nur konkret. Sie macht es erstmals auch real. Und genau das ist es, was wir brauchen. Wir brauchen Fakten. Wir brauchen konkrete Schritte. Es muss endlich etwas passieren. Die Zeiten der Appelle sind vorbei. 13 Jahre freiwillige Regelungen waren erfolglos. Nein, schlimmer: Sie waren ein erneuter Freifahrtschein für unsere Unternehmen, die doch wieder fast ausschließlich Männer in die Führungsetagen geholt haben. 2013 waren nur 15,1 Prozent der Führungspositionen der Top-200-Unternehmen in Deutschland mit Frauen besetzt. Das ist sehr schade, und das müssen wir ändern. Aber worum geht es eigentlich? Worum geht es uns genau? Es geht darum, dass die Vormachtstellung der Männer in der Wirtschaft und in der Verwaltung gebrochen werden muss. – Herr Kauder; wenn Sie vielleicht bitte zuhören würden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist ein wichtiges Thema. Es wäre schön, wenn Sie zuhören würden. – Danke. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich bin wenigstens hier! Wo ist denn Ihr Fraktionschef?) Es geht um Macht. Es geht um Geld. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich bin wenigstens hier, als Einziger von der Führung! – Gegenruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber körperliche Anwesenheit alleine reicht nicht!) Und es geht um Einfluss. Davon trennt sich niemand freiwillig, schon gar nicht, wenn er in der Chefetage angekommen ist. Das wäre etwa so, als würden Sie mit Fischen über die Trockenlegung des Teichs verhandeln. Deswegen – genau deswegen! – kommt die Quote. Wenn uns das Beispiel Norwegen, wo die Quote vor zehn Jahren eingeführt wurde, eines gelehrt hat, dann das: Kein Erfolg ohne gesetzlich bindende Quote. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es wird einfach höchste Zeit. Nur ganz kurz zur Erinnerung: Es studieren in Deutschland heute mehr Frauen als Männer. Häufig schließen sie ihr Studium auch erfolgreicher ab als ihre männlichen Mitstreiter. Frauen sind häufig auch besser qualifiziert als ihre männlichen Kollegen. Nur, warum spiegelt sich das nicht eins zu eins in unseren Führungsetagen wider? (Sönke Rix [SPD]: Genau!) Ich habe eine Idee. Ich denke, es gibt noch viel zu viele konservative Rollenbilder bei uns im Land. Wir trauen unseren Frauen zu, dass sie unsere Kinder erziehen – eine sehr stressige und höchst anspruchsvolle Aufgabe, wie ich aus eigener Erfahrung weiß – (Sönke Rix [SPD]: Eine wertvolle Aufgabe!) – und wertvoll; vielen Dank –, aber wir unterstellen unseren Frauen, dass sie keine Lust an der Macht, keinen Gefallen am Führen und keine Freude am Entscheiden haben. Gleiches gilt übrigens für Männer im Hinblick auf -familiäres Engagement. Deshalb behaupte ich: Wir brauchen zum Beispiel auch familienfreundliche Arbeits-zeiten. Viele junge Männer möchten mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen. Unsere Frauen möchten nicht mehr die Nachteile in der Karriere hinnehmen, nur weil sie Teilzeit arbeiten. Politik und Wirtschaft sollen sich bitte schön nach unseren Menschen im Land richten. Wir von der Politik tun dies, und zwar mit der Einführung einer Quote. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir fangen endlich an. Wenn Frauen in den Aufsichtsräten angekommen sind, dann werden diese Frauen sich auch dafür einsetzen, dass mehr Gleichberechtigung bei der Besetzung von Vorstandsposten herrscht; davon bin ich überzeugt. Dann – da bin ich mir auch sicher – wird sich die Tatsache, dass es noch nie so viele so gut ausgebildete Frauen wie heute gab, auch in unseren Chefetagen widerspiegeln, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dann werden hoffentlich weder Männer noch Frauen Nachteile für ihre Erwerbsbiografien befürchten müssen, nur weil sie sich auch in familiärer Hinsicht engagieren. Also: Her mit verbindlichen gesetzlichen Regeln! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie gehen wir vor? Im Wesentlichen in drei parallelen Schritten: Schritt eins ist eine verbindliche Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent für Aufsichtsräte. Schritt zwei ist die Verpflichtung für börsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen, verbindliche Zielgrößen für Aufsichtsräte, Vorstände und oberste Managementebene festzulegen. Schritt drei ist die Novellierung des Bundesgleichstellungsgesetzes – übrigens etwas, was in Ihrem Gesetzentwurf völlig fehlt, liebe Freundinnen und Freunde von den Grünen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unser Entwurf ist aber eingebracht, Ihrer noch nicht! Wie der dann aussieht! – Gegenruf des Abg. Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Das Gute zuletzt!) Ganz wichtig ist mir dabei, zu betonen, dass wir uns mit unseren Regierungsplänen nicht mehr überwiegend an Frauen richten – ich komme zum Schluss –, sondern an Männer und Frauen gleichermaßen. Es geht um echte Gleichberechtigung, um echte Chancengleichheit. Wir machen Schluss mit Geschlechterstereotypen. Wie meine allseits geschätzte Kollegin aus dem hohen Norden immer sagt: Anpacken, nicht schnacken! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Das Wort hat Ursula Groden-Kranich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich vom Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen erfuhr, war ich erstaunt. Zum einen liegt zu diesem Thema bereits der Entwurf des Familienministeriums vor. Er setzt die entsprechenden Vereinbarungen der Regierungsparteien aus dem Koalitionsvertrag um und trägt damit den jahrelangen Forderungen ganz unterschiedlicher politischer Parteien und Verbände nach einer Frauenquote Rechnung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Offensichtlich ist der Tenor dieser Vorlage der Grünen, die sie in Rheinland-Pfalz in ähnlicher Form vorgelegt haben: Ja, es ist ein Fortschritt, aber er genügt uns nicht. – Frei nach dem Sportlermotto: Schneller, höher, weiter. Es ist zwar legitim, noch mehr Fortschritt zu fordern, aber idealerweise doch erst dann, wenn geplante und als richtig erkannte Schritte überhaupt erst einmal umgesetzt sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sollten erst einmal den vorliegenden Entwurf der Regierung umsetzen, die 30-Prozent-Quote erfüllen. Dann können wir gerne die 40 Prozent oder wie viel Prozent auch immer als nächstes Ziel anpeilen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Wort! Das will ich sehen!) Meine Überzeugung ist – das belegen mannigfaltige Studien aus europäischen Ländern, die in Sachen Quote schon mehr Erfahrungen haben –, dass eine einmal eingeführte Frauenquote in sehr vielen Fällen dazu führt, dass sich der Frauenanteil mit der Zeit fast automatisch noch weiter erhöht, sogar über die anfangs vorgegebene Zielgröße hinaus. Der Gesetzentwurf der Grünen und die Forderung nach einer Frauenquote von 40 Prozent hat mich aber aus einem anderen Grund noch sehr viel mehr verwundert, den man mit dem Sprichwort zusammenfassen könnte: Erst einmal vor der eigenen Haustür kehren. – Ich komme aus Rheinland-Pfalz, das bekanntlich eine rot-grüne Landesregierung hat. (Sönke Rix [SPD]: Eine sehr gute!) In den Aufsichtsgremien von Gesellschaften mit Landesbeteiligung ist eine Frauenquote von 40 Prozent, milde ausgedrückt, ein frommer Wunsch und ein geradezu utopisch weit entferntes Ziel. Oder ist Ihr Gesetzentwurf der Wunsch an Ihre eigenen Vertreterinnen in den Landes-regierungen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, an alle!) doch – neben der Ministerinnenebene – an die eigenen frauenpolitischen Ansprüche zu erinnern? Ich darf Ihnen ein paar Zahlen nennen und beziehe mich auf die Kleine Anfrage 1116 von CDU-Landtagsabgeordneten vom 27. September 2012: Von 146 Mitgliedern, die vom Land Rheinland-Pfalz in Aufsichtsgremien von Gesellschaften mit Landesbeteiligung entsandt wurden, waren 119 männlich und 27 weiblich. Das entspricht einem Frauenanteil von 18,49 Prozent. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ja, da müssen Sie jetzt durch. Ich kann Ihnen nicht helfen. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde das gut! Machen Sie alle Bundesländer durch!) Insgesamt gab es in den entsprechenden Aufsichtsgremien 258 Mitglieder, davon 221 männliche und 37 weibliche. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei welchem Bundesland sind Sie jetzt?) – Rheinland-Pfalz, Frau Künast. (Sönke Rix [SPD]: Rheinland-Pfalz immer noch! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiter! Hessen!) Ich will Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht weiter mit Zahlenkolonnen langweilen, (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ah!) aber ich denke, die Tendenz ist klar geworden: Die meisten der genannten Frauenanteile lagen weit unter 20 Prozent. Die rheinland-pfälzische SPD und die rheinland--pfälzischen Grünen haben vor ziemlich genau einem Jahr in einem Antrag, den wir jetzt hier wortgleich vorliegen haben, dies gefordert. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit bzw. zwischen Antrag und Umsetzung klafft in dieser Frage eine große Lücke. Ich komme auf meinen Punkt zurück, den ich vorhin angesprochen habe. Bevor wir uns damit befassen, wie wir den Frauenanteil auf 40 Prozent anheben können, sollten wir uns zuerst einmal an das leider an manchen Stellen weit entfernte Ziel der 30-Prozent-Quote machen und überall dort handeln, wo wir selbst dazu in der Lage sind, auch in Rheinland-Pfalz und auch die Grünen. (Beifall bei der CDU/CSU) Um es ganz deutlich zu sagen: Ich bin durchaus aus vielen Gründen auch davon überzeugt, dass wir eine Quote brauchen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann trauen Sie sich doch!) und wünschte mir oft an vielen Stellen mehr partnerschaftliches Miteinander von Mann und Frau, nicht nur in der Politik, sondern auch im Leben und im Beruf. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Fraktion!) – Ja, Frau Künast, ich überrasche immer. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Das werden wir nachhaltig aber nicht durch Quoten, sondern durch ein Umdenken in der Gesellschaft insgesamt erreichen. Wir brauchen die Quote, aber wie schnell und weit der tatsächliche Frauenanteil in Aufsichtsräten, Gremien und anderen Führungsebenen wachsen wird und ob wir vielleicht sogar in absehbarer Zeit die 30-Prozent-Quote übertreffen, hängt auch von uns ab, davon, wie wir dies in der Praxis leben und was wir als Politikerinnen vormachen. Einen schönen Tag. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Groden-Kranich. – Nächste Rednerin in der Debatte: Christina Jantz für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christina Jantz (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Hartnäckigkeit und Durchsetzungsvermögen sind zwei Eigenschaften, die Frauen in der Geschichte ihres parlamentarischen Wirkens immer wieder beweisen mussten. Der Passus „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes kam 1949 beispielweise nur zustande, nachdem die Sozialdemokratin Dr. Elisabeth Selbert über mehrere Jahre dafür kämpfte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Tolle Frau!) Nachdem die Gleichberechtigung in das Grundgesetz aufgenommen wurde, passierte allerdings erst einmal nichts. Wieder waren es die Frauen, die innerhalb der Verfassungskommission 1994 – das Datum ist schon -angesprochen worden – eine Ergänzung des besagten Artikels bewirkten. Seitdem heißt es dort weiter: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Seit diesem imperativen Auftrag an den Gesetzgeber sind nun weitere 20 Jahre vergangen. Was ist seither passiert? Wieder nichts. Die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder hatte in der letzten Legislaturperiode versucht, über die sogenannte Flexi-Quote mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Es sollte eine freiwillige Selbstverpflichtung geben. Die Resonanz bei den DAX-Unternehmen – meine Damen und Herren, Sie wissen es – war gering. Manche würden sogar sagen: Sie war so gut wie nicht messbar. Meine Damen und Herren, ein nüchterner Blick auf die Zahlen verdeutlicht: Der Anteil weiblicher Führungskräfte in Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft und der Bundesverwaltung hat sich in den letzten Jahren kaum verändert. 2013 lag die Frauenquote in Aufsichtsratspositionen bei 15,3 Prozent. Das entspricht einer Erhöhung von 0,2 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Hier von einer echten Steigerung zu reden, wäre blanke Ironie. (Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Die zahlenmäßige Gleichstellung in Aufsichtsräten würde damit noch über 150 Jahre auf sich warten lassen. Für mich ist eindeutig: Die Gleichstellung von Frauen und Männern in Führungsebenen bedarf einer klaren gesetzlichen Regelung. (Beifall bei der SPD) Seien wir ehrlich: Der Appell an die Unternehmen, freiwillig zu handeln, ist doch kläglich gescheitert. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: So ist es!) Die krasse Unterrepräsentanz von Frauen kann heute auch nicht mehr mit einem mangelnden Qualifikationsniveau gerechtfertigt werden. Die Zahl qualifizierter Frauen in Deutschland hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Knapp 33 Prozent aller Frauen -haben heutzutage einen Hochschulabschluss, bei den Männern liegt diese Quote mit 31 Prozent darunter. Es ist gesellschaftspolitisch nicht zu erklären, dass Frauen, die über 50 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ausmachen, immer noch an die sogenannte gläserne Decke stoßen. Vor diesem Hintergrund besteht zwingender politischer Handlungsbedarf, wenn der verfassungsrechtliche Auftrag zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen tatsächlich erfüllt werden soll. Daher begrüße ich es ausdrücklich, dass die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig gemeinsam mit Bundesjustizminister Heiko Maas -bereits im März Leitlinien eines Gesetzesvorhabens für eine gerechte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen vorgelegt hat. (Beifall bei der SPD) Der Gesetzentwurf wird in den kommenden Monaten im Bundeskabinett beratschlagt werden. Für uns als SPD ist dabei klar, dass wir im darauf folgenden Gesetzgebungsverfahren nicht von den im Koalitionsvertrag vereinbarten Zielen abrücken werden. (Beifall bei der SPD) Werte Kolleginnen und Kollegen, meine Kollegin, Frau Kömpel, hat es vorhin schon kurz umrissen. Wir wollen erstens die bereits im Koalitionsvertrag zugesagte Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent für Aufsichtsräte von Unternehmen, die börsennotiert und voll mitbestimmungspflichtig sind – mit klaren Sanktionen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut!) Denn wird die Quote nicht erreicht, bleibt der Aufsichtsratsstuhl leer. Die sogenannten Europa-AGs sollten hier nach Möglichkeit nicht ausgespart werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]) Wir wollen zweitens eine Verpflichtung zur Festlegung von Zielgrößen für Aufsichtsräte, Vorstände und oberste Managementebenen. Das beträfe immerhin über 3 500 Unternehmen. Zudem müssen Konzepte und Berichte veröffentlicht werden, denn so wird der benötigte öffentliche Druck aufgebaut. Wir wollen drittens die dringend notwendige Novellierung des Bundesgleichstellungsgesetzes und die Stärkung der Rechte der Gleichstellungsbeauftragten. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Sie sehen: Wir ähneln uns in unseren Vorstellungen, (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau: ähneln!) insbesondere in unseren Zielen. Gleichwohl bin ich der Meinung, dass wir die Quote fest vorgeben und diese nicht in Relation zur Geschlechterverteilung in der Arbeitnehmerschaft eines Unternehmens setzen sollten. Mit den von unseren Ministerien entwickelten Eckpunkten sind wir hier auf dem richtigen Weg. Das Gesetzesvorhaben wird noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht, damit das Gesetz 2015 in Kraft treten kann. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sollte doch längst da sein!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Jantz, Sie denken an die Redezeit, die vereinbart wurde? Christina Jantz (SPD): Gerne. – Wir als SPD werden zeigen, dass dank der eingangs beschriebenen Hartnäckigkeit und unseres Durchsetzungsvermögens am Ende ein Gesetz stehen wird, das die Gleichstellung in Deutschland tatsächlich voranbringt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Alexander Hoffmann, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir als Hahn im Korb (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als Quotenmann! Vergessen Sie’s!) – so kann man es auch sagen, Frau Künast –, am Ende der Debatte einen ausschließlich juristischen Blick auf die Sachlage zu werfen. Im Kern geht es um die Frage der Vereinbarkeit entsprechender Quotenregelungen mit dem Verfassungsrecht, den Grundrechten und den EU-Grundfreiheiten. Bei der Beurteilung der Frage ist entscheidend, welche Art der Quote vorliegt. Man unterscheidet drei Arten: Erstens: eine absolute Frauenquote, also das Erreichen eines bestimmten Prozentsatzes unabhängig von der Frage, ob die Frauen gleichermaßen qualifiziert und geeignet sind wie männliche Mitbewerber. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Eine solche absolute Frauenquote sehen Sie in Ihrem Gesetzentwurf vor, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Zweitens gibt es die relative Quote. Hier wird das Erreichen von vornherein unter den Vorbehalt gestellt, dass für die Besetzung der Stelle Frauen zur Verfügung stehen, die ebenso geeignet sind. Das dritte diskutierte Modell ist eine starre Geschlechterquote, die aber eine Öffnungsklausel für den Fall enthält, dass nicht genügend qualifizierte Frauen zur Verfügung stehen. Um es vorwegzunehmen: Während viel dafür spricht, dass eine relative Quote bzw. eine starre Quote mit Öffnungsklausel und wohl auch die Variante des Referentenentwurfes verfassungskonform ausgestaltet werden können, ist die absolute Quote, die Sie hier in Ihrem Gesetzentwurf fordern, nach Ansicht vieler Staatsrechtler und Verwaltungsrechtler und auch nach der Rechtsprechung wohl verfassungswidrig. Denn er verstößt gegen das Grundgesetz und auch gegen europäische Grundfreiheiten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) – Hören Sie zu! Es kommt gleich. Eine absolute Frauenquote greift zunächst einmal in den Schutzbereich des Artikels 3 Absatz 1 Grundgesetz ein, denn Sie benachteiligen dadurch einen Mann aufgrund seines Geschlechts. Das ist grundsätzlich natürlich jeder Quote zueigen. Es liegt weiterhin ein Eingriff in Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz vor, denn Sie beschränken die Freiheit der Berufswahl beim unterlegenen männlichen Mitbewerber. Sie beschränken außerdem die grundrechtlich geschützte Freiheit der betroffenen Unternehmer bzw. Anteilseigner in ihren Grundrechten auf Berufsausübungsfreiheit nach Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz und auf Eigentumsfreiheit nach Artikel 14 Grundgesetz. Letztendlich tangieren Sie auch das Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit nach Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz, welches auch – – (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Lesen Sie doch alle vor!) – Hören Sie doch zu! Es ist eine einmalige Chance. Ich habe mir wirklich Mühe gemacht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wir hören ja zu! Das ist ja das Schlimme! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er war stets bemüht!) Wenn Sie das Thema Frauenquote ernstlich verfolgen, dann haben Sie jetzt die Chance, zuzuhören, mitzuschreiben und einen Gesetzentwurf vorzulegen, der verfassungskonform ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber vor Ihnen haben schon andere verfassungsrechtliche Prüfungen gemacht!) Sie tangieren also das Recht auf Vereinigungsfreiheit, welches auch das Recht auf Selbstbestimmung über Gründung, Organisation und Verfahren der Mitbestimmung erfasst. Da Ihr Entwurf auch § 7 des Mitbestimmungsgesetzes ändern möchte, um für Gewerkschaftsvertreter eine feste Quote einzuführen, greifen Sie zudem in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz ein. All diese Eingriffe – und das ist jetzt wichtig – könnten selbstverständlich zu rechtfertigen sein mit der den Staat treffenden Gleichstellungspflicht – sie ist geregelt in Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz –, aber immer nur dann, wenn eine ebenso geeignete Mitbewerberin vorhanden ist. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Sie ist vorhanden! Überall!) Verfassungskonform ist eine Quote dann nicht, wenn als einzige Mitbewerberin eine Frau in Betracht kommt, die deutlich geringer qualifiziert ist und dennoch den Vorzug erhält. Gerade für diese Variante, meine Damen, meine Herren von den Grünen, sieht Ihr Entwurf jedoch weder eine Relativierung noch eine Öffnungsklausel vor, weshalb er gegen das Grundgesetz verstößt. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!) All das von mir Gesagte ist keine freie Erfindung, sondern geht zurück auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Von Männern!) Gemäß EuGH sind Frauenquoten nur dann verfassungs- und europarechtskonform, wenn sie erstens einen Bereich betreffen, in dem Frauen unterrepräsentiert sind, wenn zweitens die Regelung den Frauen nur dann den Vorrang einräumt, wenn sie gleichermaßen qualifiziert und geeignet sind, und wenn drittens eine Härtefallregelung für den Fall formuliert ist, dass in der Person des männlichen Bewerbers besondere persönliche Gründe vorliegen, eine Behinderung zum Beispiel, die unter Umständen überwiegen. All das regelt Ihr Entwurf nicht. Die genannten Voraussetzungen hat der EuGH im Bereich des öffentlichen Dienstes entwickelt. Sie müssen also umso mehr für den Bereich der Privatwirtschaft gelten, der mit weitaus mehr Grundrechten durchdrungen ist. Ihre Idee der Nichtigkeit von Beschlüssen nicht quotengerecht besetzter Aufsichtsräte – das ist Ihr neuer § 255 a des Aktiengesetzes – geht viel zu weit. Ihr Gesetz zur geschlechtergerechten Besetzung von Führungsebenen ist zu unbestimmt, wenn Sie Zuwiderhandlungen im dortigen § 5 noch mit Ordnungswidrigkeiten belegen. Zu guter Letzt: Das Gleichstellungskonzept zielt auch auf eine Quote für Vorstände ab. Da aber ein Vorstand von den Aufsichtsräten besetzt wird, müssten Sie zunächst einmal abwarten, ob eine Quotenregelung in den Aufsichtsräten nicht mittelfristig dazu führt – Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Hoffmann, darf ich auch Sie an die vereinbarte Redezeit erinnern? Alexander Hoffmann (CDU/CSU): – danke; das ist schon das Ende, Herr Präsident –, dass die Vorstände im Laufe der Zeit zunehmend von Frauen besetzt sind. Ein Grundrechtseingriff muss immer das letzte Mittel sein. Aufgrund meiner Ausführungen werden Sie Verständnis dafür haben, dass wir Ihren Gesetzentwurf nicht mittragen können. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen überhaupt keinen Gesetzentwurf zur Quote!) Wenn die Wirtschaft nicht liefert, müssen wir eine Regelung finden; dann aber bitte verfassungskonform. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Mein Hahn im Korb sind Sie nicht mehr! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich will Frau Pawelski wiederhaben!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit ist die vereinbarte Rednerliste abgearbeitet. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Redeliste! Das ist eine Redeliste, keine Rednerliste! – Zuruf von der CDU/CSU: Eine Rednerinnenliste!) – Ja, die Rednerinnen waren deutlich in der Mehrheit. Jetzt kommen wir zur interfraktionellen Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/1878 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Die Federführung ist allerdings strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen die Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wo denn sonst? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht der Maas überhaupt noch was?) Deshalb werden wir darüber abstimmen. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, also über die Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Wer dies möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Großen Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Großen Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Bei einer Enthaltung!) – Bei Enthaltung des Kollegen Wunderlich. Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur der Rentenüberleitung beheben Drucksache 18/1644 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das Westniveau sofort auf den Weg bringen Drucksachen 18/982, 18/1994 Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Weil ich keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass das so beschlossen ist. Ich eröffne hiermit die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Roland Claus, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Roland Claus (DIE LINKE): Herr Präsident! Vielen Dank für das präzise Vorlesen unserer guten Antragsüberschriften. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren! Wir beraten in der Tat über zwei verschiedene Anträge der Linken zur Rente im Osten oder – besser – zur Rente von Ostdeutschen. Abschließend werden wir über einen Antrag zur Rentenangleichung in Ost und West entscheiden. Wir sagen Ihnen ganz deutlich: Es geht uns um nicht mehr und nicht weniger als um die Anerkennung gleicher Lebensleistungen in Form von gleichen Renten, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Wir verlangen dazu die namentliche Abstimmung, um in allen Wahlkreisen der Bundesrepublik kenntlich zu machen, wie sich einzelne Abgeordnete dazu verhalten haben. Einführend werden wir über einen Antrag beraten, der Lücken und Rückstände bei der Rentenüberleitung zwischen dem Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik und dem Rentenrecht der Bundesrepublik thematisiert. Ja, meine Damen und Herren auf den Tribünen, Sie haben richtig verstanden: Es gibt solche Lücken noch immer – (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?) 24 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit und immer zum Nachteil der Betroffenen. Genau das will die Linke ändern. (Beifall bei der LINKEN) Fangen wir mit der Rentenangleichung an. Das war bekanntlich ein Versprechen der Vorgängerkoalition und ein ganz persönliches Versprechen von Bundeskanzlerin Merkel. Es folgte ein glatter und vollständiger Vertrauensbruch. Heute schreiben Sie in Ihre Koalitionsvereinbarung, Sie wollten im Jahre 2016 einmal prüfen, was sich denn da so getan hat. Meine Damen und Herren, das ist blanker Zynismus. Das kann man so nicht hinnehmen. (Beifall bei der LINKEN – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das kann man so nicht sagen! – Daniela Kolbe [SPD]: Das lesen Sie noch mal nach, bitte! So viel Ehrlichkeit muss sein!) Unser Antrag spricht für sich und für die Betroffenen dieses Rentenunrechts. Ich will nur einen einzigen Fakt hervorheben. Es sind im Monat durchschnittlich 100 Euro weniger, die eine Ostrentnerin gegenüber einem Westrentner erhält. Das sind 100 Euro im persönlichen Budget. Aber es sind auch 100 Euro, die für eine Gerechtigkeitslücke sprechen, die wir so nicht mehr hinnehmen wollen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Ich will mich mit ein paar Gegenargumenten auseinandersetzen, die ich gelegentlich zu hören kriege. Da wird mir gesagt: Wenn man die Rentenformel pur wirken ließe, also wenn man die Hochwertung aussetzte, könnte das Gegenteil des Beabsichtigten eintreten: Die Ossis könnten weniger bekommen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Das ist eine völlig falsche Logik. Nach dieser Logik hätte die Politik einer Rentenformel, also einer Berechnungsgrundlage zu folgen. Nach unserem Verständnis von Politik folgen Berechnungsverfahren aber der Politik. So herum muss es sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Kauder, der Volksmund hat für Ihre Deutungshoheit einen wirklich schönen Spruch gefunden: Hier wackelt der Schwanz mit dem Hund. – Genau so ist das. (Beifall bei der LINKEN) Zuweilen höre ich, die Linke wolle schon wieder einen Schnellschuss. Als Schnellschuss bezeichnet man bekanntlich eine voreilige Handlung mit bösen Folgen. Ich bitte Sie! Im 24. Jahr der deutschen Einheit von einer voreiligen Handlung zu sprechen, wenn wir Rentengerechtigkeit verlangen, das ist doch nicht zu fassen. (Beifall bei der LINKEN) Gelegentlich höre ich auch den Einwand, die Linke stelle diesen Antrag alle Jahre wieder. Was denken Sie denn? Jahr für Jahr werden Hoffnungen enttäuscht und Versprechen gebrochen. Und dazu sollen wir schweigen? Wovon träumen Sie eigentlich nachts? (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Von Ihnen nicht!) Wir werden Ihnen diesen Antrag immer und immer wieder vorlegen. Mit dem Antrag zu Lücken und Versäumnissen bei der Rentenüberleitung weisen wir auf circa 15 Betroffenengruppen hin, die bisher vergeblich auf Rentengerechtigkeit warten. Ich will nur wenige Beispiele nennen: Am 26. Juni dieses Jahres trafen sich in Magdeburg Frauen des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen zum 15. Jahrestag ihres gemeinsamen Engagements. Feierlaune ist dabei nicht aufgekommen; denn es waren für sie 15 Jahre ohne Ergebnis, und gedacht haben sie vieler inzwischen Verstorbener. Beschäftigte im Gesundheitswesen der DDR, Lehrerinnen und in der Braunkohleveredlung tätige Bergleute warten vergeblich auf Renten, mit denen ihre Lebensleistung anerkannt wird. Wir wollen nicht vergessen: Gelebtes Leben lässt sich nicht wiederholen. Man kann nicht noch einmal von vorne anfangen. Schließlich sind da noch die aus der DDR Geflüchteten, Ausgereisten und Abgeschobenen. Diese Menschen hatten ihre Gründe, die DDR zu verlassen. Aber Anfang der 90er-Jahre wurden sie via Rentenrecht wieder zu DDR-Bürgern gemacht. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das stimmt gar nicht!) Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan. Flüchtlinge waren nur so lange willkommen, wie sie als Kronzeugen gegen die DDR gut zu gebrauchen waren. Dazu sagen wir Ihnen: Machen Sie in dieser Frage vor dem 9. November dieses Jahres reinen Tisch. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie dürfen dabei Folgendes nicht vergessen: Im Osten ist die gesetzliche Rente meistens das einzige Einkommen. Das wird bei Ost-West-Rentenvergleichen häufig vergessen. Dabei geht es nicht nur um die heutigen, sondern auch um viele künftige Rentnerinnen und Rentner. 24 Jahre deutsche Einheit und 25 Jahre Mauerfall – diese Gedenktage stehen demnächst ins Haus. Wir sagen Ihnen: Nicht nur Sonntagsreden halten, sondern endlich Rentengerechtigkeit schaffen! Das ist das Gebot der Stunde, und heute haben Sie die Chance dazu. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Jana Schimke, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Jana Schimke (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich teile ja Ihre Auffassung, dass nicht nur die politische, sondern auch die soziale Einheit Deutschlands zu den großen Aufgaben vergangener, derzeitiger und künftiger Tage zählt. Aber glauben Sie denn ernsthaft, dass Ihnen von Mecklenburg bis Thüringen noch irgendjemand abnimmt, dass es in Deutschland keine soziale Einheit gibt und Altersarmut vorherrscht? (Widerspruch bei der LINKEN) Das ist nicht so. Ich will Ihnen auch sagen, warum: Mit dem Rentenüberleitungsgesetz – wohlgemerkt einer der wichtigsten sozialpolitischen Regelungen der deutschen Einheit überhaupt – wurden nach der Wiedervereinigung die Bestimmungen zur gesetzlichen Rentenversicherung auf die neuen Bundesländer ausgeweitet. Im Grundsatz wurde damit ein einheitliches Rentenrecht hergestellt, das aber auch folgende Regelung beinhaltete: Bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse sind unterschiedliche Rechengrößen und Verfahrensweisen für die neuen und alten Bundesländer vorgesehen. Diese heute noch geltenden Unterschiede bei der Berechnung der Renten hatten und haben gute Gründe. Denn bei der Ermittlung der Lebensverhältnisse in Ost und West stellt man fest: Es ist eben noch nicht alles gleich. Wir sind deshalb gut beraten, nicht vorschnell in die Rentenformel einzugreifen. Doch ich erinnere daran, dass es in Deutschland nicht nur Unterschiede zwischen Ost und West, sondern auch Unterschiede zwischen Nord und Süd gibt. Deshalb sollte man nicht herumtönen, sondern es kommt darauf an, konkret an den Stärken der Regionen zu arbeiten und sie zu fördern. Genau daran arbeiten wir. (Beifall bei der CDU/CSU) Um der Legendenbildung vorzubeugen, meine Damen und Herren, möchte ich Ihnen gerne ein paar klarstellende Zahlen nennen. Zwischen 1991 und 2008 stiegen die Renten im Osten um sage und schreibe 116 Prozent und in den alten Bundesländern um 25 Prozent. Die Renten in Ostdeutschland werden heute immer noch um 18 Prozent hochgewertet, und bei gleichem Bruttogehalt gibt es im Osten einen höheren Rentenwert als im Westen. Deshalb sollten wir auch auf die Erfolge schauen, die wir bereits erzielt haben. In der Politik kommt es ja oft darauf an, ob das Glas, wie bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, halb leer ist oder ob es, wie es bei uns der Fall ist, halb voll ist. Bei Ihnen ist es ein Skandal, dass es zwischen dem Rentenniveau Ost und dem Rentenniveau West einen Unterschied von gerade einmal noch 7,8 Prozent gibt. Wir hingegen sind stolz darauf, dass wir das Rentenniveau in den neuen Ländern im Vergleich zu dem in den alten Ländern zum 1. Juli dieses Jahres auf 92,2 Prozent angehoben haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Der Prozess der Wiedervereinigung ist ein gesamtgesellschaftliches Jahrzehnteprojekt. Es wird nicht von heute auf morgen umgesetzt, sondern das erfordert Jahre und Jahrzehnte. Diese Aufgabe ruft auch Probleme hervor und läuft sicherlich nicht spannungsfrei ab. Aber wir sind auf dem richtigen Weg und fast am Ziel. Auch deshalb haben wir im Koalitionsvertrag die vollständige Angleichung der Renten in Ost- und Westdeutschland vereinbart und einen Fahrplan mit einem angemessenen Zeitraum festgelegt. Wir werden die Renten bis 2020 angleichen. Dies bleibt eines unserer wichtigsten Ziele, liebe Kolleginnen und Kollegen. Daran erkennt man aber auch – jetzt wird es interessant – die rückwärtsgewandte Politik und Sicht der Linken auf die Ostdeutschen. (Zurufe von der LINKEN: Oh! – Na, na!) Es werden scheinbare Ungerechtigkeiten identifiziert und bereits erzielte Fortschritte verklärt. Und: Sie verkennen die großen Fragen der Zukunft in den neuen Bundesländern. Ich denke, das kann ich als junge Abgeordnete aus den neuen Bundesländern mit gutem Gewissen sagen. Da spreche ich nicht nur für meine Generation, sondern vor allen Dingen auch für die Generationen meiner Eltern und meiner Großeltern. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Na ja!) Künftig wird es um folgende Fragen gehen: Wie können wir die ostdeutsche Wirtschaft und den jungen Mittelstand weiter stärken, gerade vor dem Hintergrund des Auslaufens des Solidarpaktes? Wie sichern wir den Lebensstandard in den ländlichen Regionen gerade mit Blick auf den demografischen Wandel? Wie gelingt es uns, die jungen Menschen – wohlgemerkt eine Generation, die die DDR nur aus Geschichtsbüchern kennt – in ihrer Heimat zu halten und vielleicht sogar dazu zu bewegen, selbst Unternehmen zu gründen und Werte und Wohlstand zu schaffen? (Beifall bei der CDU/CSU) Und, liebe Kolleginnen und Kollegen – daran würde im Übrigen auch eine Angleichung der Renten nichts ändern –: Wie schaffen wir es, sowohl das private Vermögen aufzubauen als auch die private Vorsorge zu stärken? Das Programm der Linkspartei gibt auf diese Fragen keine Antworten. Letzteres ist eine zentrale Frage, gerade mit Blick auf die Altersvorsorge. Von 1998 bis 2008 ist das durchschnittliche Geld- und Immobilienvermögen der Ostdeutschen von nur 35 Prozent auf nur 42 Prozent angestiegen. Eine Rentenangleichung zwischen Ost und West ändert auch daran nichts. Was sich hier abbildet – Sie bezeichnen das ja immer sehr gerne als Missachtung der Lebensleistung –, ist – das sage ich, wie schon bei der ersten Lesung, erneut an Sie gerichtet – immer noch das Erbe von 40 Jahren DDR. (Beifall bei der CDU/CSU – Kersten Steinke [DIE LINKE]: Deswegen wird es nicht besser!) Dass die Menschen mitunter der Chancen, die sie anderswo möglicherweise gehabt hätten, beraubt wurden, zeigt sich heute auch an den Vermögen und ganz konkret an diesen Zahlen. Sicher wäre auch der eine oder andere Lebensweg anderswo anders verlaufen. Fest steht jedenfalls, dass die wirtschaftliche Situation der Ostdeutschen nichts mit der Rentenangleichung in Ost und West zu tun hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Heute, meine Damen und Herren, leben nur 31 Prozent der Ostdeutschen in selbst genutztem Wohneigentum. In Gesamtdeutschland sind es 43 Prozent. Es gilt, diesen Trend weiter zu stärken und zu fördern; denn die Schaffung von Eigentum und von Vermögen ist Bestandteil der Altersvorsorge in Ost und West. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir gerade, wenn es um die Altersvorsorge und die Generationengerechtigkeit geht, künftig mehrere Dinge in den Blick nehmen müssen. Ich unterstütze hier zum Beispiel gerne die Initiative der Deutschen Rentenversicherung, die mit dem „Rentenblicker“ bereits Schülerinnen und Schülern die Bedeutung der Altersvorsorge nahebringt. Gleichzeitig freue ich mich, dass es die Initiative Schule-Wirtschaft gibt, die Schülern wirtschaftliche Zusammenhänge näherbringt und damit auch aufzeigt, dass Wohlstand eben nicht durch Umverteilung vom Himmel fällt, sondern erarbeitet werden muss. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Beim Blick auf die ältere Rentnergeneration in Ostdeutschland sieht man, worin sich Lebensleistung ganz konkret ausdrückt; denn auch hier gilt: Wer viel gearbeitet hat, erhält auch mehr Rente. Die durchschnittliche Rente im Osten liegt heute bei wohlgemerkt 44 Prozent des Arbeitsentgelts und damit wesentlich höher als in den alten Bundesländern. Durch ihre Lebensleistung und die gelungene Überleitung des Rentenrechts sind die Rentnerinnen und Rentner heute insgesamt sehr gut abgesichert. Das darf an dieser Stelle auch einmal gesagt sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]) Lassen Sie mich abschließend noch auf eines hinweisen: In meinem Wahlkreis fand kürzlich eine Vielzahl von Veranstaltungen anlässlich der Brandenburger Se-niorenwoche statt. Dabei habe ich mich nicht nur gewundert, ab wann man in Deutschland schon zu den Senioren zählt, nämlich ab ungefähr 50 Jahren (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Oh, oh!) – da waren 50- bis ungefähr 90-Jährige –, sondern ich bin insgesamt auf eine Generation getroffen, die natürlich fit und aktiv ist, die bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hilft, die sich sozial engagiert und die vor allen Dingen den Anspruch hat, sich aktiv in das gesellschaftliche und politische Leben einzubringen. Deshalb ist es gut, dass wir diese Entwicklung auch vonseiten der Politik erkannt haben. Sie erinnern sich vielleicht: Im Rahmen des kürzlich beschlossenen Rentenpakets haben wir uns in der Koalition darauf verständigt, auch den Übergang vom Erwerbsleben in die Rente zu flexibilisieren und damit einen unmittelbaren Beitrag zur Altersvorsorge zu leisten. Ich glaube, das sind die richtigen Antworten, die unser Land braucht und die vor allen Dingen auch die Rentnerinnen und Rentner und die Erwerbstätigen in den neuen Bundesländern brauchen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Ich darf eine verfahrensleitende Anmerkung machen: Bei den Redezeiten handelt es sich nicht um ungefähre Richtwerte, sondern um präzise vereinbarte Vorgaben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Bitte ist, diese auch einzuhalten. Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Markus Kurth. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Roland Claus, kann es sein, dass das Einbringen dieser beiden Anträge zum jetzigen Zeitpunkt irgendetwas damit zu tun hat, dass demnächst in drei ostdeutschen Bundesländern Landtagswahlen anstehen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Roland Claus [DIE LINKE]: Ja! Natürlich auch!) Sie wollen hier doch gerne wieder den üblichen Zinnober veranstalten, sich vor diesen Landtagswahlen hier hinstellen und sagen: Wir sind die Einzigen, die sich um die Rentnerinnen und Rentner im Osten kümmern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das stimmt aber nicht. Ich sage Ihnen einmal die Botschaft, die Sie mitnehmen sollten: Sie sollten ganz klar sagen: Bündnis 90/Die Grünen sind diejenigen, die sich für die echte Gleichsetzung des Rentenwertes in Ost und West einsetzen. Das ist eine Tatsache! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das möchten Sie gerne!) Wenn die Bürgerinnen und Bürger Sie fragen: „Warum haben die denn dem Antrag der Linken nicht zugestimmt?“, dann sagen Sie, die Linke: Wir sind mal wieder über das Ziel hinausgeschossen. – Sagen Sie ihnen das! Sie wollen nämlich nicht nur die Gleichsetzung des Rentenwertes Ost und West, sondern Sie wollen auch noch die Höherwertung beibehalten und damit faktisch eine Ungleichbehandlung schaffen. Das ist es doch! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Diese Ungleichbehandlung rechtfertigen Sie mit den regionalen Lohnunterschieden. Ja, die gibt es. Die gibt es aber nicht nur zwischen Ost und West. Während das Lohnniveau in Brandenburg und Schleswig-Holstein ungefähr gleich ist – da gibt es nur einen minimalen Unterschied –, gibt es zum Beispiel ein großes Lohngefälle zwischen Schleswig-Holstein und Bayern. Niemand käme auf die Idee, jetzt einen Höherwertungsfaktor für Schleswig-Holstein einzuführen. Das müsste man ja nach Ihrer Logik. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Sehr gut! Ich bin dafür! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD) – Ich habe die schleswig-holsteinische Kollegin Hiller-Ohm jetzt auf einen Gedanken gebracht. Das war eigentlich nicht meine Absicht. Sie haben dann einen zweiten Antrag, der sich mit der Überleitung der DDR-Renten beschäftigt, eingebracht. Auch das ist ein Antrag, den Sie regelmäßig einbringen, bei dem Sie verschiedene rentenrechtliche Begünstigungen, die es im DDR-Recht gab, in einen Topf werfen. Ich sage Ihnen: Sie müssen sich die Gruppen schon einmal differenziert ansehen. Bei bestimmten Zuwendungen wären wir als Grüne bereit, etwas zu machen. Ich nenne beispielhaft die Balletttänzerinnen und Balletttänzer. Für sie gab es rentenrechtliche Begünstigungen, die gewährt wurden, weil klar war, dass man den Beruf der Balletttänzerin oder des Balletttänzers nicht bis zur Rente ausüben kann, weil nach 15, 20 oder 25 Jahren Verschleißerscheinungen auftreten, die dazu führen, dass man diesen Beruf nicht mehr ausüben kann. Es gibt aber andere Begünstigungen, die man überhaupt nicht nachvollziehen kann, zum Beispiel Begünstigungen für Spitzensportler oder Begünstigungen für Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR, die man wohl aus arbeitsmarktpolitischen Gründen gefördert hat. Da muss man sehr differenziert hinsehen. Westdeutsche Pfleger und Sozialarbeiter bekommen auch keinen berufsbezogenen Zuschlag auf die Rente. Wenn man die Angleichung und Überführung des Rentensystems der DDR in das westliche Rentensystem vorgenommen hat, muss man dieser Logik bis zum Schluss folgen und überlegen: Was ist entschädigungsbedingt notwendig? Für bestimmte Gruppen kann man Sonderregelungen einführen, aber man kann das nicht pauschal tun, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Ich sage noch einmal, an die Adresse der Koalition gerichtet: Wir müssen etwas für die in der DDR geschiedenen Frauen tun. Sie sitzen weiterhin auf dem Trockenen. Während westdeutschen Geschiedenen ein Versorgungsausgleich zusteht, fehlt eine entsprechende Regelung für in der DDR geschiedene Frauen. Meine Kollegin Monika Lazar aus Sachsen hat an die Bundesarbeitsministerin geschrieben und gefragt, wann es denn in ihrem Haus zu einer Regelung oder zumindest zu einer Prüfung komme. Die Bundesarbeitsministerin hat geantwortet, sie sehe derzeit noch nicht einmal die Möglichkeit, die Angelegenheit zu prüfen. Mit Verlaub: Das finde ich ein bisschen armselig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Kurth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Rosemann? Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber gerne. Bitte. Dr. Martin Rosemann (SPD): Herr Kollege Kurth, nachdem Sie in den ersten drei Minuten Ihrer Rede den einen Antrag der Fraktion Die Linke erfolgreich und brillant zerlegt haben – das war wirklich brillant –, frage ich Sie, ob Sie denn auch so konsequent sind, diesen Antrag abzulehnen. Das wäre die Konsequenz dessen, was Sie hier ausgeführt haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Rosemann, wir haben diese Sache natürlich innerhalb der Fraktion beraten. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Ah!) Dieser Antrag der Linken schrammt in der Tat aus meiner Sicht sehr hart an der Ablehnungswürdigkeit vorbei. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir finden es richtig, dass die Diskussion über die Angleichung des Rentenwertes Ost und West auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Wir sind auch für die Angleichung des Rentenwertes Ost und West, lehnen aber die von den Linken vorgeschlagene Höherwertung entschieden ab. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ein Herumgeeiere!) In diesem Sinne haben wir uns für Enthaltung entschieden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Mannhaft! Super!) – Trotz der vielen Ahs und Ohs gibt es in der Politik häufig nicht nur die Entscheidung zwischen Schwarz und Weiß, sondern eben auch eine ganze Menge Grautöne. Lassen Sie mich mit dem Thema schließen, das ich vor der Frage des Kollegen Rosemann angesprochen hatte. Für die in der DDR geschiedenen Frauen brauchen wir dringend eine Lösung; sie werden immer älter. An dieser Stelle sollten wir etwas tun und nicht nur wie bei der Angleichung des Rentenwertes Ost und West mit einem Prüfauftrag daherkommen. Da ist die Große Koalition wirklich gefragt. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Sozialdemokraten spricht jetzt die Kollegin Daniela Kolbe. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich ist heute ein wirklich großartiger Tag. Wir haben heute das Tarifpaket inklusive Mindestlohn beschlossen: 8,50 Euro in Ost und West. (Beifall bei der SPD) Für Millionen Menschen bedeutet das mehr Lohn und Gehalt. Allein die Debatte über den Mindestlohn in den letzten Monaten hat zu Tarifverträgen geführt, wo die Tarifparteien früher nicht einmal voneinander wussten. Bei den Friseuren zum Beispiel, bei denen das Lohnniveau früher bei 4 Euro lag, gibt es bald einen Mindestlohn von 7,50 Euro im Westen und 6,50 Euro im Osten. Ab 1. August 2015 sind es 8,50 Euro für alle Friseurinnen und Friseure in diesem Land. Auch in der Fleischbranche gibt es jetzt einen solchen Mindestlohn. Das finden wir als SPD gut, und das finde auch ich als Vegetarierin gut. (Beifall bei der SPD) Wir reden am selben Tag – die Linke hat es heute auf die Tagesordnung gesetzt – über die Angleichung der Rentensysteme. Das trifft sich sehr gut. Denn das eine hat mit dem anderen zu tun. Ich finde, das ist eine gute Gelegenheit, über Mindestlohn, Tarifabdeckung und Lohnpolitik zu reden; denn der Rentenwert, der immer noch in Ost und West getrennt berechnet wird – das ist die Krux an der Sache –, richtet sich nach den Durchschnittslöhnen im jeweils gültigen Rechtsgebiet. Wären die Löhne gleich, wäre der Rentenwert in Ost und West gleich, und die Höherwertung könnte wegfallen. Dann hätten wir automatisch ein Rentenrecht. Das wäre elegant, großartig und wunderbar. Das ist aber nun einmal sehr schwierig und womöglich nicht oder erst in einigen Jahrzehnten erreichbar; denn auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt ist einiges in Unordnung. 53 Prozent der Beschäftigten in den neuen Bundesländern sind nicht tarifgebunden. In den alten Bundesländern sind es „nur“ 40 Prozent. Fast 30 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten bekommen Löhne unter 8,50 Euro – ich kann glücklicherweise hinzufügen: noch; ab 1. Januar 2015 wird sich das glücklicherweise für die meisten ändern –, und wir haben in Ostdeutschland sehr viele prekär Beschäftigte. Diese Unordnung auf dem Arbeitsmarkt ist neben der Kleinteiligkeit der Unternehmensstruktur einer der Gründe, warum die Angleichung der Entgeltpunkte und damit der Rentenwerte nur so quälend langsam vorankommt. Aber mit dem Tarifpaket gehen wir diese Themen an. Danach ist nicht alles großartig und toll, aber es ist der richtige Weg. Man kann es auch so machen wie die Linken. Der Antrag liest sich vielleicht für manche verlockend. Aber es werden grundsätzlich zwei Rentensysteme fortgeschrieben; denn der Hochwertungsfaktor ist in Ihrem Antrag enthalten. Er ändert auch nichts an den Gründen für die beiden unterschiedlichen Rentensysteme. Zudem werden gravierende neue Ungerechtigkeiten verursacht. Das sind die Gründe, warum wir diesen Antrag heute mit gutem Gewissen – erzählen Sie das ruhig in unseren Wahlkreisen! – ablehnen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch aus diesem Grund ist das, was die Koalition tun will, gut. Wir haben vier Maßnahmen vor: Erstens. Wir tragen dazu bei, dass die Löhne steigen. Der Mindestlohn für 4 Millionen Menschen wird für -einen Teil von ihnen die größte Lohnsteigerung ihres -Lebens sein. Der Osten profitiert überdurchschnittlich. Das wird zu einer Erhöhung des Rentenwertes und zu einer Schließung der Lücke führen. Zweitens. Wir helfen nach, dass die Tarifbindung steigt. Ich habe es erwähnt: Schon heute kommt es durch den Mindestlohn und das Tarifpaket zunehmend dazu, dass Tarifverträge abgeschlossen werden. Drittens. Eines der nächsten Projekte von Bundesministerin Andrea Nahles wird eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt im Hinblick auf Leiharbeit und Werkverträge sein. Auch hier wollen wir auf dem Arbeitsmarkt Ordnung schaffen. Viertens werden wir uns 2016 noch einmal mit der Angleichung der Rentensysteme befassen. Unser Fahrplan ist im Koalitionsvertrag glasklar festgeschrieben: Wir wollen die vollständige Angleichung. 2016 prüfen wir, wie weit der Angleichungsprozess vollzogen ist. Wenn die Löhne nicht ordentlich gestiegen sind, wollen wir nachsteuern, und dann werden wir auch nachsteuern. Das heißt auch, dass wir, wenn nötig, Geld ins System leiten, um den Rentenwert entsprechend anzuheben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Woher kommt das Geld?) – Sie fragen nach dem Geld, Herr Kauder. Das steht im Koalitionsvertrag. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das gemeinsam hinbekommen, weil wir alle miteinander wissen, dass sich die Menschen auf uns verlassen. Ich denke, auf diese Koalition können sich die Menschen auch verlassen. Ich will mit der Bemerkung schließen, dass die Rentenüberleitung in den letzten fast 25 Jahren ein Erfolg war und ist. Aber fast 25 Jahre nach der Wiedervereinigung wird es auch langsam Zeit, sie abzuschließen. Spätestens 2019 soll sie nach unserem Koalitionsvertrag abgeschlossen sein. Wir stehen dazu: Das Ende des Solidarpakts muss auch das Ende dieser zwei parallelen Rentensysteme sein. Vielen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, auch für die präzise Einhaltung der Redezeit. – Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, die Rentenüberleitung Ost/West ist kein Grund zum Klagen. Hätten wir dies nicht gemacht, würden die Rentnerinnen und Rentner im Osten Deutschlands am Hungertuch nagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es war eine großartige Solidarleistung, die die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in Ost und West mitfinanziert haben und bis zum heutigen Tag finanzieren, dass wir die Rentnerinnen und Rentner im Osten nicht auf dem niedrigen Niveau der DDR-Renten gelassen haben, sondern in ein anständiges und funktionierendes Rentensystem in Deutschland übergeleitet haben und sie ihren Lebensabend davon auch finanzieren können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Mechanismus ist allerdings in der Tat kompliziert. Eine Komponente ist der Rentenwert. Vorgestern, am 1. Juli, erfolgte die Rentenanpassung dieses Jahres. Im Westen steigen die Renten um 1,67 Prozent, im Osten um 2,53 Prozent, also schneller. Letztes Jahr, am 1. Juli, war der Unterschied noch größer: Im Osten gab es 3,29 Prozent mehr, im Westen nur klägliche 0,25 Prozent. – Das zeigt, dass die Anpassung des Rentenwerts Ost an den Rentenwert West vorankommt. Mit dem Mindestlohngesetz wollen wir dafür sorgen – das ist auch völlig richtig –, dass diese Rentenanpassung noch schneller vonstattengeht, um den Rentenwert in Ost und West anzugleichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Nun verschweigt die Linke eine wichtige Tatsache, die als Wort schon vorkommt, nämlich die sogenannte Höherwertung. Weil wir nach wie vor einen deutlichen Unterschied im Lohnniveau von Ost zu West haben, wird all das, was ein Arbeitnehmer auf seinem Rentenkonto an Ansprüchen angesammelt hat – das sind die sogenannten Entgeltpunkte –, am Tag des Renteneintritts in diesem Jahr um über 18 Prozent aufgewertet. Das heißt, er bekommt einen Zuschlag von über 18 Prozent. Der Unterschied zwischen dem Rentenwert Ost und dem Rentenwert West, also dem Zahlbetrag, beträgt zurzeit 8,4 Prozent; die Höherbewertung liegt bei über 18 Prozent. Zu gut Deutsch: Wer sagt: „Ich führe heute exakt das gleiche Rentenrecht in Ost und West ein“, der verzichtet auf eine Höherwertung der Rentenansprüche um 18 Prozent, (Daniela Kolbe [SPD]: Was die Grünen tun!) hat dafür aber einen um 8,4 Prozent höheren Rentenwert. Wer rechnen kann, weiß: Das ist ein Verlust, das ist weniger. Deswegen – das sage ich ganz klipp und klar – werden wir als Große Koalition nicht hingehen und von einem auf den anderen Tag den Schalter umlegen. Die Rentnerinnen und Rentner im Osten wären nämlich die Verlierer einer solchen Operation. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das weiß Herr Kollege Kurth auch! Deshalb ist er so unglücklich, dass er sich enthalten muss!) Das ist übrigens auch der Grund, warum die Fraktion Die Linke gar nicht gleiches Rentenrecht in Ost und West beantragt. Wer den Antrag liest, weiß: Sie beantragt, dass für alle Zukunft Deutschland in zwei unterschiedliche Rentengebiete gespalten bleibt. Sie möchte nämlich, dass der Rentenwert, also der Zahlbetrag, der jedes Jahr verändert wird, in Ost und West der gleiche ist – schön! –, aber dass die Höherwertung der Rentenansprüche über 18 Prozent im Osten für alle Zukunft gelten soll. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: So ein Unsinn!) Das würde bedeuten, dass für den gleichen Lohn der Rentner im Osten eine höhere Rente bekommt als der Rentner im Westen. Das ist keine Rentengerechtigkeit, sondern die Spaltung Deutschlands im Rentenrecht auf Dauer, was die Linken beantragen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will das nicht in Abrede stellen: In der Tat ist es für Menschen, die wenig verdienen, ein Problem, dass sie auch wenig Rente bekommen. Aber Menschen, die relativ wenig verdienen und geringe Rentenansprüche haben, gibt es im Osten, aber leider auch im Westen. Es gibt Gott sei Dank auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die relativ gut verdienen, und zwar sowohl im Westen als auch im Osten. Daher kann man das Problem nicht mit einer generellen Teilung Deutschlands in zwei Zonen im Rentenrecht bewältigen. Vielmehr müssen im Rentenrecht Regelungen geschaffen werden, die dafür sorgen, dass Menschen mit einem niedrigen Verdienst eine Höherwertung ihrer Renten erhalten, damit sie im Alter von ihrer Rente leben können. Aber ansonsten werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ost und West gleichbehandelt. Unser Ziel ist, eine schrittweise Rentenanpassung vorzunehmen, die dazu führt, dass die Rentnerinnen und Rentner im Osten nichts verlieren, dass Deutschland im Rentenrecht nicht mehr zweigeteilt ist, sondern dass gleiches Rentenrecht in Ost und West geschaffen wird – Gerechtigkeit für alle – und dass Niedrigverdiener im Rentenrecht eine Hilfestellung bekommen, sodass sie von ihren Renten leben können. Der Antrag der Linken ist in Wahrheit ein Antrag auf Spaltung Deutschlands auf Dauer. Das passt zur Linken. Aber wir, die Große Koalition, wollen ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West, Gerechtigkeit für Rentnerinnen und Rentner, ob im Osten oder im Westen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Waltraud Wolff, SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich hatte vor zwei Wochen eine außergewöhnliche Begegnung. (Zurufe bei der SPD und der CDU/CSU: Oh!) In meiner Heimatstadt Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt kam ein glücklicher Mann mit leuchtenden Augen auf mich zu. (Zurufe bei der SPD und der CDU/CSU: Oh! Oh!) Herr Präsident, ich brauche eine Verlängerung meiner Redezeit. Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich bitte, der Rednerin aufmerksam zuzuhören. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das machen wir doch!) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Dieser Mann drückte mir eine Rose in die Hand. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe bei der SPD und der CDU/CSU: Oh! Oh!) – Weit gefehlt! Es war kein neuer Verehrer. (Zurufe bei der SPD und der CDU/CSU: Oh! Oh!) Als dieser Mann mir die Rose in die Hand drückte, sagte er – das ist mein voller Ernst –: Frau Wolff, ich will mich bei Ihnen bedanken. Ich bin im Mai 63 geworden. Ich darf nach 45 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. Herzlichen Dank, dass Sie das beschlossen haben! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Glauben Sie mir meine Damen und Herren: Ich war überwältigt. Ich bin seit 16 Jahren Bundestagsabgeordnete, aber so etwas war mir zuvor noch nie passiert. Aber was zeigt diese Begegnung? Sie zeigt, dass die Rentenpolitik, die wir machen, bei den Menschen ankommt, und zwar auch in Ostdeutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In dieser Woche ist das Rentenpaket in Kraft getreten. Heute Vormittag haben wir die Einführung eines Mindestlohns beschlossen. Ich kann nur sagen: Eine gute Woche für die Menschen in Deutschland! (Beifall bei der SPD) Der Mindestlohn sorgt dafür, dass viele Menschen in den neuen Bundesländern höhere Löhne und demzufolge später höhere Renten bekommen. Wir haben eine gesamtdeutsche Entscheidung getroffen: flächendeckend 8,50 Euro im Westen wie im Osten. Das war richtig und notwendig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei der Rente muss es in Zukunft heißen: Rentenwert West ist gleich Rentenwert Ost. – Das ist uns allen klar. Die Menschen in den neuen Bundesländern fühlen sich selbstredend weniger wert, wenn es für Kindererziehungszeiten, Zivildienst, Wehrdienst oder Pflegezeiten weniger Rentenpunkte gibt. Aber nach 25 Jahren Wiedervereinigung ist auch klar, dass die Unterschiede zwischen West und Ost bei der Wirtschaftskraft nicht mehr allein zählen können. Das heißt, ein einheitliches Rentensystem ist eine berechtigte Forderung. Deshalb haben wir einen Fahrplan dafür beschlossen. Meine Damen und Herren von den Linken, das ist nicht Ihr Fahrplan, das stimmt; aber es ist der Fahrplan, der die Rentenangleichung endlich 2020 bringt. Das ist es, was zählt. (Beifall bei der SPD) 2016 werden wir diesen Angleichungsprozess überprüfen. Das macht auch Sinn, weil wir durch den Mindestlohn, den wir beschlossen haben, ganz deutliche Lohnsteigerungen in Ostdeutschland zu verzeichnen haben. Auf dieser Grundlage legen wir anschließend das Gesetz vor, mit dem wir dann den Abschluss in der Rentenüberleitung festschreiben werden. Wir werden auch die offenen Fragen der Rentenüberleitung, die hier mehrfach von den Grünen und auch den Linken angesprochen wurden, beantworten. Aber eines ist Fakt: Die Probleme kann man nicht im Rentenrecht lösen. Das hat die Vergangenheit gezeigt, und ich habe keine Hoffnung, dass das in der Zukunft so sein wird. Ich könnte mir vorstellen, dass es zu einer Fondslösung kommt. Damit wäre es auch möglich, die soziale Lage der Betroffenen zu berücksichtigen. (Beifall bei der SPD) Erste wichtige Botschaft: Ende dieser Wahlperiode haben wir die vollständige Rentenangleichung im Gesetz stehen. Zweite wichtige Botschaft: Wir sorgen nicht nur für den gleichen Rentenwert wie in den alten Bundesländern, sondern auch dafür, dass die Renten höher sind als jetzt. Ich fasse das zu gern heute Abend zusammen, weil ich auf so viel sozialdemokratische Politik stolz bin: Rentenpaket, Mindestlohn, Rentenangleichung und die noch ausstehende solidarische Lebensleistungsrente. Wenn wir das zusammenzählen, gibt es nur einen Schluss: Unsere Politik in der Großen Koalition ist gut für die Menschen in Deutschland. Sie ist gut für gerechtere Löhne und auch für höhere Renten. Meine Damen und Herren von den Linken, Sie reden, und Sie schreiben jährlich neue Anträge; wir tun einfach das, was wir beschlossen haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE] überreicht Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD] eine Rose – Heiterkeit und Beifall) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Wolff, Sie haben gespürt, dass Ihre Rede mit besonderer Anteilnahme des Hohen Hauses begleitet worden ist. Wir kommen zum Abschluss dieses Tagesordnungspunkts zum Kollegen Matthäus Strebl, der für die CDU/CSU spricht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich darf an dieser Stelle darum bitten, weil es der letzte Redebeitrag vor der namentlichen Abstimmung ist, dass wir gemeinsam die nötige Aufmerksamkeit für diesen Redebeitrag finden. Matthäus Strebl (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten den Antrag der Linken zur Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das Westniveau. Sie haben in Ihrem Antrag ganz einfach verdrängt, dass wir die geforderte Angleichung schon vor vielen Jahren in Angriff genommen haben. Eine solche Forderung mag zwar populär sein, eher sogar populistisch, ist aber derzeit nicht zu realisieren. Die jeweiligen Oppositionsparteien, wie jetzt die Linken, bringen mit schöner Regelmäßigkeit Anträge zur Rentenangleichung ein. Dies tun sie, obwohl sie wissen, dass eine solche absolute Angleichung aus einer Vielzahl von Gründen derzeit überhaupt nicht machbar ist. Selbst die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion räumen in ihrem jüngsten Antrag ein, dass sich die Differenz zwischen den Rentenwerten von 2012 auf 2013 um 2,7 Prozentpunkte verringert hat. Erst vor wenigen Tagen, zum 1. Juli, ist die Differenz um weitere 0,7 Prozentpunkte verringert worden. Heute hat sich das Rentenniveau schon auf über 92 Prozent angeglichen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht das Rentenniveau! Das ist der Rentenwert!) Das wurde heute schon gesagt; aber das kann man der Fraktion Die Linke wahrscheinlich nicht oft genug sagen. 1990 war der Wert bei 60 Prozent. In diesem Bereich sind die Rentner in den neuen Ländern übrigens schon heute deutlich weiter als die Beschäftigten im Osten, die derzeit nur 80 Prozent des Westbruttolohnniveaus erreichen. Das zeigt doch, dass es bereits heute eine deutliche Annährung gegeben hat und dass es mit der Angleichung vorangeht. Erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang auch, dass ebenfalls zum 1. Juli 2014 die Renten in den neuen Ländern um 2,53 Prozent gestiegen sind, in den alten Bundesländern nur um 1,67 Prozent. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Strebl, ich darf Sie kurz unterbrechen, um die Kolleginnen und Kollegen hier um Aufmerksamkeit zu bitten. Wir wissen, dass es viel besser ist, Gespräche außerhalb dieses Plenarsaals zu führen. Ich bitte -darum, dem Kollege Strebl die entsprechende Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Richtig ist auch, meine sehr verehrten Damen und Herren: Viele Menschen in den neuen Bundesländern haben durch längere Versicherungsbiografien höhere Rentenansprüche erworben; das ist hier schon dargestellt worden. Das -betrifft vor allem die Frauen im Osten, die viel stärker erwerbstätig waren als die im Westen. Das gehört zur Geschichte und zur Wahrheit dazu. Zur Frage, ob die sofortige Angleichung der Renten, wie im Antrag der Linken gefordert, wirklich ein Gewinn für die Ostrentner wäre, möchte ich einen ausgewiesenen Experten zu Wort kommen lassen, nämlich den Chef der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland, Wolfgang Kohl. Ich zitiere: Die volle Angleichung wird nach meiner Einschätzung kein Gewinn für die Ost-Rentner. Denn im Moment werden die ostdeutschen Gehälter höher gewertet. Ohne diese Höherbewertung würden sich die Bezüge deutlich vermindern. Der Ostdeutsche bekommt also für 1 000 Euro Lohn eine höhere Rentenanwartschaft als derjenige, der im Westen 1 000 Euro verdient. Ich zitiere weiter: Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das beibehält, wenn die Rentenwerte angeglichen werden. Dann könnten sich die Schleswig-Holsteiner auch hinstellen – dieses Beispiel hat auch der Kollege Kurth genannt – und eine Höherbewertung ihrer Gehälter fordern, weil diese nicht viel höher sind als die in Sachsen. Bekanntermaßen werden Ostlöhne und -gehälter für die Rente so lange aufgewertet, wie die Differenz bei den Durchschnittseinkommen noch besteht. Derzeit wird um 18,73 Prozent aufgewertet. Das Problem dabei ist: Die Aufwertung gilt generell und führt dazu, dass bei gleichem Einkommen Ostbeschäftigte besser dastehen als ihre Westkollegen. Kollege Claus, hören Sie zu: 2 000 Euro Monatslohn werden beispielsweise im Osten so bewertet, als wären es 2 374,60 Euro. Um es mit anderen Worten zu sagen: Trotz des niedrigeren Rentenwertes Ost erhalten dadurch die Beschäftigten im Osten einen höheren Rentenanspruch als die Westkollegen mit gleichem Gehalt. Es ist bezeichnend, dass die Linken verlangen, den Rentenwert Ost umgehend an den Rentenwert West -anzugleichen, die Lohnaufwertung aber beizubehalten. Damit würden bestehende Verwerfungen noch einmal verstärkt und neue Ungerechtigkeiten geschaffen. In der Koalitionsvereinbarung heißt es – das möchte ich hier noch einmal erwähnen –, dass zum Auslaufen des Solidarpakts, wenn die Lohn- und Gehaltsangleichung weiter vorangeschritten ist, in einem letzten Schritt die vollständige Angleichung der Rentenwerte erfolgen soll. Ich möchte keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, dass die CDU/CSU die Angleichung der Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland weiter voranbringen wird, und hierzu gehört auch die Angleichung des Rentenniveaus. Die Renten bis 2020 anzugleichen, ist politisch vernünftig und liegt in einem zeitlich und vor allen Dingen auch finanziell vertretbaren Rahmen. An dieser Aussage und an dieser Beschlussfassung wollen wir festhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Dem vorliegenden Antrag können wir daher nicht zustimmen; wir lehnen ihn ab. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1644 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich höre keinen Widerspruch. Also sind Sie damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die -Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das Westniveau sofort auf den Weg bringen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 18/1994, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/982 abzulehnen. Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Abstimmungsurnen vollständig besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ist noch eine Kollegin oder ein Kollege im Plenarsaal anwesend, die oder der noch gerne abstimmen möchte, dies aber noch nicht getan hat? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann warten wir noch. – Ich frage noch einmal nach: Haben alle, die es beabsichtigen, ihre Stimme -abgegeben? – Ich sehe jetzt niemanden mehr im Saal, der seine Stimme noch nicht abgegeben hat, dies aber tun wollte, und schließe die Abstimmung über diese -Beschlussempfehlung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen wie üblich später bekannt gegeben.12 Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Da?delen, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE 100 Jahre Erster Weltkrieg, 100 Jahre Nein zum Krieg – Gedenktafel für Karl Liebknecht Drucksache 18/1950 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne damit die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kollegin Sevim Da?delen, Die Linke, der ich hiermit das Wort erteile. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Da?delen (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 100 Jahre Erster Weltkrieg. Erinnern wir uns! Wie groß war der Druck auch in diesem Haus, hier mitzutun? Am 4. August 1914 hatte Kaiser Wilhelm II. die Vertreter -aller im Reichstag vertretenen Parteien um sich versammelt und erklärte – ich zitiere –: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ Auch die oppositionelle SPD gelobte die Unterstützung des deutschen Angriffskrieges. Es war bei weitem nicht nur der rechte Noske-Flügel der SPD, der den Krieg unterstützte; (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht schon wieder!) nein, auch Linke in der SPD wollten den Krieg und fielen auf die Argumente – heute würde man das nennen: die Argumente der humanitären Intervention – herein und rechtfertigten diesen Krieg mit einem notwendigen Feldzug gegen den russischen Zarismus. Umso schwerwiegender war die Entscheidung Karl Liebknechts. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagt mal, ihr Linken: Was macht ihr da? Danach klagt ihr wieder, dass keiner mit euch reden will!) Als es keine Fraktion mehr hier im Hause gab, die sich dem mörderischen Krieg verweigerte, tat er es als Einzelner. Wir wollen ihn deshalb stellvertretend für viele andere, die gegen den Krieg kämpften, ehren. Ja, Karl Liebknecht ist ein Vorbild für Widerstandsgeist. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er nicht verdient! Das hat er nicht verdient, was Sie mit ihm machen!) Und wir wollen die Botschaft aussenden: Von deutschem Boden darf niemals wieder Krieg ausgehen! (Beifall bei der LINKEN) Als am 2. Dezember 1914 erneut die Kriegskredite durch Aufstehen im Reichstag befürwortet werden -sollten, blieb Karl Liebknecht als einziger Abgeordneter sitzen. Sein Abstimmungsverhalten begründete er in einer schriftlichen Erklärung wie folgt – ich zitiere –: Dieser Krieg, den keines der beteiligten Völker selbst gewollt hat, ist nicht für die Wohlfahrt des deutschen oder eines anderen Volkes entbrannt. Es handelt sich um einen imperialistischen Krieg, -einen Krieg um die kapitalistische Beherrschung des Weltmarktes, um die politische Beherrschung wichtiger Siedlungsgebiete für das Industrie- und Bankenkapital. Fast 100 Jahre sind seitdem vergangen. Liebknechts Vermächtnis ist damals wie heute sein klares Nein zum Krieg. Dieses Vermächtnis sollten wir endlich auch in diesem Hause ehren, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Ernst Bloch hat einmal gesagt – ich zitiere –: Auf tausend Kriege kommen keine zehn Revolutionen; so schwer ist der aufrechte Gang. Liebknecht war einer, der aufrecht ging. Seit seiner Ermordung durch rechtsradikale Freikorpssoldaten unter Billigung des sozialdemokratischen Reichswehrministers Gustav Noske erinnert nichts an ihn hier im Reichstag. Wir, die Linke, wollen das ändern. Karl Liebknecht ist ein Vorbild für Zivilcourage. Ich bitte Sie deshalb im Namen meiner Fraktion um Unterstützung unseres Antrags zur Anbringung einer Gedenktafel für Karl Liebknecht, um zu erinnern: damals wie heute: Nein zum Krieg! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Philipp Lengsfeld, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Martin Dörmann [SPD]) Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, wir haben heute Morgen gemeinsam bereits an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erinnert. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Beginn! An den Kriegsbeginn!) Die Gedenkstunde gab uns die Gelegenheit, das Leid und den Schrecken, die der Krieg über die Menschen brachte, noch einmal zu reflektieren. Dies führt uns noch einmal drastisch vor Augen, wie groß die Verantwortung politischer Entscheidungsträger sein kann. Vor diesem Hintergrund halte ich das Grundanliegen Ihres Antrags – übrigens trotz Ihrer Rede, muss ich jetzt einmal sagen, Frau Kollegin – für diskussionswürdig. Ich sage dies auch, obwohl ich die ersten Sätze Ihres Antrags natürlich für absolut nicht richtig halte. Inhaltlich fordert die Linke eine Gedenktafel für den damaligen SPD-Reichstagsabgeordneten Karl Liebknecht, und zwar als Würdigung seines Abstimmungsverhaltens im Dezember 1914. Schauen wir uns die Sachlage einmal genauer an. Wir haben schon einiges gehört, aber ich möchte es etwas ausführen. Als der Krieg im Sommer 1914 ausbrach, stimmten die Parlamentarier aller Fraktionen im Reichstag im August zunächst geschlossen den von der Regierung beantragten Kriegskrediten zu. Karl Liebknecht und einige Unterstützer votierten zwar intern in der SPD gegen die Kredite, folgten aber in der Abstimmung im Plenum der Fraktionsdisziplin. Am 2. Dezember 1914 – das ist hier schon gesagt worden – stellte sich Karl Liebknecht als erster und einziger Reichstagsabgeordneter gegen weitere Kredite für den Krieg. In einer dritten Abstimmung votierten zwei Abgeordnete gegen erneute Kriegskredite. Bei weiteren Abstimmungen wuchs die Zahl der Neinstimmen. Sie blieben aber eine kleine Minderheit. Die Haltung von Liebknecht und seinen Unterstützern radikalisierte sich zunehmend und führte schließlich zum Bruch mit der SPD. 1916 wurde Liebknecht verhaftet, verurteilt und eingesperrt. Zum Kriegsende amnestiert, radikalisierte sich Liebknecht weiter und beteiligte sich Anfang 1919 in Berlin aktiv am Januaraufstand zur Bekämpfung der neu entstehenden Republik. Am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg durch Freikorpsoffiziere ermordet. So weit die Fakten. Die Gewissensfreiheit eines Abgeordneten ist ein verfassungsrechtlich verankertes hohes Gut der Demokratie. Karl Liebknechts eindeutige Haltung zum aufziehenden und im Gang befindlichen Krieg verdient unseren Respekt und eine angemessene Würdigung. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Immerhin stand er gegen die Kriegsbegeisterung in der Bevölkerung, bei den anderen Parteien, aber auch bei Teilen seiner eigenen Partei. Eine Information über dieses bedeutende Ereignis für die deutsche Parlamentshistorie sollte sicherlich in einem der vielfältigen Informationsmedien unseres Hauses herausgearbeitet werden. Wir werden im Ausschuss Gelegenheit haben, uns über den Stand der Dinge zu informieren und hier gegebenenfalls Anregungen geben. Aber eine Gedenktafel, liebe Kolleginnen und Kollegen, des Deutschen Bundestages am Reichstagsgebäude wäre ein doch sehr viel weiter gehender Schritt. Hier sollten wir auch die weiteren -politischen Handlungen von Karl Liebknecht berücksichtigen. Zunächst möchte ich daran erinnern, dass es in diesem Land wirklich keinen Mangel an Erinnerungen an Karl Liebknecht gibt, weder an Orten noch Institutionen noch Mahnmalen. Es ist nicht nur die Bundeszentrale der Linkspartei nach Karl Liebknecht benannt. Wir haben Karl-Liebknecht-Straßen und -Plätze in Berlin, in seiner Geburtsstadt Leipzig, in Chemnitz, in Halle – um einige zu nennen –, aber auch in Dortmund unweit des Westfalenstadions inklusive eigener U-Bahn-Station. In Potsdam spielt die erfolgreiche Frauenfußballmannschaft Turbine Potsdam im Karl-Liebknecht-Stadion. Es gibt Grundschulen und Gymnasien, die nach Karl Liebknecht benannt sind. In meinem Wahlkreis Berlin-Mitte im Ortsteil Tiergarten erinnert am Neuen See eine Stele an den Ort, an dem Karl Liebknecht ermordet wurde. Der Friedhof der Sozialisten inklusive Mahnmal ist ein weiterer prominenter Ort, der auch jedes Jahr von der Linkspartei und neuerdings auch von anderen linken Gruppen Ziel eines Gedenkmarsches ist. Der Name Karl Liebknecht hat in der deutschen Öffentlichkeit also eine starke Präsenz. Ich möchte in diesem Zusammenhang Ihren Blick auf ein besonders interessantes, in der Öffentlichkeit fast völlig unbekanntes Liebknecht-Denkmal richten. Es steht nicht weit von hier, am Potsdamer Platz. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sockel!) – Genau. – Sein Sockel wurde im Jahr 1951 durch die SED errichtet. Zehn Jahre später fiel es, noch unvollendet, dem wesentlich größeren kommunistischen Projekt, nämlich dem Mauerbau, zum Opfer. Nach dem Fall der Mauer und dem Umbau des Potsdamer Platzes wurde es im Jahr 2003 neu aufgestellt, unfertig als ein leerer Sockel. Die Deutung des Denkmals bleibt offen. Es wird für den Betrachter jedoch klar, dass es eben nicht nur den einen, unkritischen Blick auf Karl Liebknecht geben kann. Damit komme ich zum dritten und aus meiner Sicht wichtigsten Aspekt. Karl Liebknecht ist einer der Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands. Das Wirken der KPD in der Weimarer Republik kann und wird jeder Demokrat negativ bewerten. Dies fing schon in der Gründungsphase 1918/19 an. Die KPD und Karl Liebknecht setzten von Anfang an auf bewaffneten Umsturz, in den Worten der Kommunisten verbrämt als revolutionärer Kampf. Die Demokratie im Allgemeinen und die SPD im Besonderen wurden von den Kommunisten unerbittlich bekämpft. Die Entstehung der KPD ist auch untrennbar mit dem Abstimmungsverhalten von Karl Liebknecht und seinen Unterstützern beim Thema Kriegskredite verbunden. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das kann doch wohl nicht wahr sein!) Die Linie führte von der Gruppe International, dem Zusammenschluss der Kriegskreditgegner und ihrer Unterstützer, später dann benannt als Spartakusbund, über die USPD zur KPD. Der Name Liebknecht steht damit auch am Anfang einer antidemokratischen und antiparlamentarischen Tradition; denn die KPD hat einen Anteil am Scheitern der Weimarer Demokratie. Schauen wir noch einmal auf die beiden positiven Traditionslinien des Abstimmungsverhaltens von Karl Liebknecht am 2. Dezember 1914, die Gewissensfreiheit und den Antimilitarismus. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bismarck hat auch nicht lange genug gelebt!) Fühlte sich die KPD diesen beiden Traditionslinien ihres Gründers wirklich verpflichtet? Nein, im Gegenteil: Die KPD war eine straff geführte Kaderpartei, durch und durch undemokratisch. Innerparteiliche Demokratie und Gewissensfreiheit wurden offen denunziert und brutal bekämpft. Und der Kampf gegen Militarismus und Krieg? Sie wollen es vielleicht nicht hören, aber auch da haben Kommunisten eine klare Haltung. Sie sind eben keine Pazifisten, sondern bekämpfen Krieg und Militär immer dann, wenn es sich um Kriege und Militär ihrer politischen Feinde handelt, dies dann aber mit großer Konsequenz und riesigem propagandistischen Aufwand. Ihre eigenen Armeen und ihre eigenen Kriege sind für Kommunisten dagegen völlig legitim. Vizepräsident Johannes Singhammer: Kollege Lengsfeld, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Anmerkung des Kollegen Dr. Dehm? (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Bitte nicht!) Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Dr. Dehm, ich respektiere Ihre Lieder. Ich höre mir gern Ihre Frage an. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Sie haben ja am Anfang Verständnis für das Grundanliegen gezeigt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie wirklich der Meinung sind, dass das, wofür Sie Verständnis zeigten, nämlich Karl Liebknecht in einer, wenn auch von uns abweichenden Dimension zu ehren, tatsächlich dadurch eingeschränkt würde, dass Sie die, wie ich finde, jetzt von Ihnen nicht belegte These aufstellen, dass der arme Mensch, der an diesem Januartag 1918 ermordet wurde, schon da um die Bolschewisierung der KPD gewusst hatte und dafür mitverantwortlich ist? In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auch gerne fragen: Wenn Europa dieser grausame Krieg erspart geblieben wäre, wäre nicht vielleicht auch die Entwicklung zu Stalin verhindert worden? Tragen nicht alle, die an diesem Krieg mitgewirkt haben nicht nur bezogen auf seinen -Ausbruch, sondern auch bezogen auf die ökonomischen Interessen, die dahintergestanden haben, eine Mitverantwortung daran, dass dieses grausame Jahrhundert der Extreme, wie es heute Morgen von Alfred Grosser genannt wurde, so zustande kam? Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Lieber Herr Dehm, vielen Dank für diese Frage. – Dafür haben wir ja Ausschusssitzungen. Da können wir dann im Detail darüber reden. Ich habe ausgeführt, dass ich der Meinung bin, dass eine Information über das -Abstimmungsverhalten des Reichstagsabgeordneten Liebknecht angemessen sein kann. Darüber werden wir im Ausschuss reden. Sie sind stellvertretendes Mitglied. Ich lade Sie herzlich dazu ein, dass wir dort gemeinsam diese Diskussion fortführen. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist aber eine schlappe Antwort!) Ich bin auch schon fast am Ende. Ich sage es hier noch einmal ganz deutlich: Diesen Teil der Geschichte kann und wird der Deutsche Bundestag ganz sicherlich nicht veredeln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch das sage ich ganz deutlich: Antikommunismus ist für mich ein selbstverständlicher Teil der Grundüberzeugung eines Demokraten. Diesen Punkt werden wir bei der parlamentarischen Beratung Ihres Antrages nicht aus dem Auge verlieren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Bevor gleich die Kollegin Schauws zu Wort kommt, darf ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Tagesordnungspunkt „Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das Westniveau sofort auf den Weg bringen“ bekannt geben: abgegebene Stimmen 570. Mit Ja haben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt 50, Enthaltungen 54. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 570; davon ja: 466 nein: 50 enthalten: 54 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Oliver Wittke Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Katja Kipping Jan Korte Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn (Dresden) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Jetzt hat die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Da?delen, lieber Herr Lengsfeld, eines vorweg: Diese Debatte hätte Karl Liebknecht so sicher nicht gewollt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Wir haben bereits heute Vormittag hier im Deutschen Bundestag gemeinsam des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren gedacht. Dieser Jahrestag ist eine Chance, uns mit den verschiedensten Facetten einer der größten kriegerischen Katastrophen in Europa und der Welt zu beschäftigen. Als Generation, die diesen Krieg nicht selbst erlebt hat und keine Gelegenheit mehr hat, sich mit den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auszutauschen, müssen wir uns der Erinnerung anders stellen, als es unsere Eltern und Großeltern taten. Wir Grünen begrüßen daher ausdrücklich die verschiedenen Initiativen zum Gedenken an diesen Krieg und an die vielen Millionen Opfer. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine Verantwortung für unsere Vergangenheit. Diese Verantwortung zu übernehmen, bedeutet auch, die Menschen in ihrem friedlichen Streben nach Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen. Es bedeutet auch, Repressionen entgegenzutreten und sich für den Schutz von Menschenrechten einzusetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Martin Dörmann [SPD]) Die Lehren aus der Vergangenheit geben uns aber auch einen ganz klaren kulturpolitischen Auftrag mit auf den Weg, und den nehmen wir sehr ernst. Die Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen der beiden Weltkriege und der DDR als Unrechtsstaat muss ihren Niederschlag in einer vielfältigen Erinnerungskultur finden. Wenn diese Verantwortung keine Worthülse sein soll, dürfen sich unsere Initiativen nicht nur in Feierlichkeiten zu Gedenktagen niederschlagen. Die Fraktion Die Linke hat den vorgelegten Antrag zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs zum Anlass genommen, um an Karl Liebknecht und seine Ablehnung der Kriegskredite zu erinnern. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich verstehe Ihre Motivation; aber mir greift diese Initiative zu kurz. Wir wissen, dass bei späteren Abstimmungen zu den Kriegskrediten auch 30 weitere Abgeordnete den Saal verließen; auch diese hätten eine Würdigung verdient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!) Um dem Anspruch eines verantwortungsvollen Umgangs mit unserer Vergangenheit gerecht zu werden, genügt es meines Erachtens nicht, Gedenktafeln für eine einzelne Persönlichkeit zu fordern. Jenseits aller Gedenkveranstaltungen brauchen wir eine eigenständige, starke, lebendige Erinnerungskultur. Denn wie sonst sollten wir ein kollektives Gedächtnis jenseits der Zeitzeuginnengeneration wachhalten? Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Aspekt, der mir wichtig ist: Auch heute finden wir Formen der Kriegsverherrlichung, des Rechtsextremismus und Antisemitismus in unserer Gesellschaft, und zwar bis weit in ihre Mitte. Eine lebendige und vielfältige Erinnerungskultur ist daher eine entscheidende Voraussetzung dafür, diesen Tendenzen offensiv entgegenzutreten. Dem Bereich der politischen Bildungsarbeit kommt dabei eine entscheidende Aufgabe zu. Gerade hier müssen wir neue und innovative Formen der Erinnerungskultur systematisch verankern. Die Aufarbeitung unserer Vergangenheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist in vielerlei Hinsicht ein offenes Kapitel, beispielsweise der deutschen Kolonialgeschichte; ihre Verbrechen und ihre Kontinuität verdienen in der Forschung und der Erinnerung mehr Aufmerksamkeit, als es bislang der Fall ist. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Haben wir beantragt!) Auch die Auseinandersetzung mit dem Leben oder Werk verfolgter Künstlerinnen und Künstler muss gestärkt werden. Aber nicht nur vergangene Verbrechen sind zentral. Wir müssen unseren Blick auch auf überlebende Opfer, beispielsweise des NS-Terrors, richten, die bislang nur wenig Anerkennung erfahren haben. Das gilt zum Beispiel für die überlebenden Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion. Erinnerung und Aufarbeitung dürfen aber nicht nur eine staatliche Angelegenheit sein. Es ist gerade ein Verdienst der Zivilgesellschaft, den kritischen Umgang mit der Geschichte einzufordern und Versäumnisse aufzuholen. Wenn sich unsere Aufarbeitung nicht auf offizielle Gedenkfeiern und das Anbringen von Gedenktafeln beschränken soll, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann müssen wir einmal mehr die Initiativen aus der Mitte der Gesellschaft fördern. Die Lehren aus der Geschichte dürfen wir nie vergessen; sie helfen uns, unsere Demokratie und Menschenrechte täglich mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verteidigen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Sozialdemokraten spricht jetzt die Kollegin Hiltrud Lotze. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Hiltrud Lotze (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste auf der Besuchertribüne! Wir haben heute bei der Gedenkstunde aus Anlass des 100. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs Alfred -Grosser gehört. Er hat den Ersten Weltkrieg und seine Folgen sehr differenziert beleuchtet, und das war dem Anlass angemessen. Der Antrag der Linken wird dem Anlass nicht gerecht. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Also keine Tafel! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Welchem Anlass?) – Dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg. – Er missbraucht das Gedenken an den Ersten Weltkrieg für parteipolitische Motive, indem er uns, den Bundestag, auffordert, alleine Karl Liebknecht mit einer Gedenktafel zu ehren. Die Kolleginnen und Kollegen der Linken nehmen in ihrem Antrag eine Wahrheitsgewissheit für sich in Anspruch, die nicht zur Realität passt. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihr so leicht dahingeworfenes Urteil über die Schuld der wirtschaftlichen Eliten des deutschen Kaiserreiches und seiner politischen und militärischen Führung, wie es im Antrag heißt, blendet die Wirklichkeit des Jahres 1914 aus. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ach so! Da sind wir aber gespannt!) Sie ignorieren die Ergebnisse neuerer historischer Forschungen zu Ursache und Verlauf des Krieges, und Sie ignorieren vor allen Dingen auch die öffentliche Debatte, die gerade in diesem Jahr sehr differenziert geführt wird. Sie ignorieren letztendlich auch die vielen Begegnungen auf verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Ebenen zwischen Menschen, die sich vergeben wollen und die der Opfer des Krieges gedenken. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Also so was!) Wir wissen heute, dass die Katastrophe Erster Weltkrieg nicht nach einem einfachen Muster erklärt werden kann. (Lachen des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Tiefes Misstrauen unter den europäischen Großmächten und verhängnisvolle politische Fehleinschätzungen, das Versagen der Eliten und das Versagen der Demokratie führten letztendlich zum Krieg. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Welche Demokratie denn? – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die kaiserliche Demokratie?) Fakt ist: Es gibt unter den Historikern im Jahr 2014 keinen Konsens über die Schuldfrage. Ich will diese -Debatte hier auch gar nicht führen; der sogenannte Historikerstreit zeigt, wie komplex diese Frage ist. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Waren Sie im Plenum heute Morgen?) Aber trotz der neueren Forschungen: Die Verantwortung, die Deutschland für diese Katastrophe trägt, ist auch für die SPD unbestritten. Es ist für uns eine historische Verantwortung und auch ein politisches Vermächtnis. Das macht letztendlich die Idee eines Friedensraumes Europa so faszinierend und so wichtig für uns. Wenn es so ist, dass wir uns alle der deutschen -Verantwortung für den Ersten Weltkrieg, dieser Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, bewusst sind, und wenn wir uns vor allen Dingen der Lehren bewusst sind, die wir aus dieser Katastrophe ziehen müssen, kann der Beitrag des Bundestages dann darin bestehen, eine Gedenkplakette für eine Person an die Wand zu nageln? (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: „An die Wand zu nageln“?) Ich meine das nicht despektierlich, Gedenktafeln sind absolut notwendig für unsere Erinnerung. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja, die werden auch nicht an die Wand genagelt!) Ich meine nur, dass wir damit der Komplexität und der Bedeutung dieses Themas nicht gerecht werden. Das weiß auch die Linke, und dennoch hat sie diesen Showantrag hier eingebracht, dessen Absicht doch sehr durchsichtig ist. (Zuruf von der LINKEN: Das ist ernst gemeint! Todernst!) Jeder hier weiß doch, dass Sie mit Ihrem Antrag – Sie haben es auch in Ihrer Einführung gesagt –, den damaligen SPD-Politiker und späteren Gründer der KPD, Karl Liebknecht, zu ehren, gleichzeitig auf die schwierige Rolle der SPD in den Jahren 1914 ff. verweisen wollen, weil die SPD 1914 im sogenannten Burgfrieden den Kriegskrediten zugestimmt hat. Ich sage: Ihr Antrag ist ein vergifteter Antrag. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Unser Antrag ist richtig!) Es ist unwürdig, an so einem Tag – wir haben heute Morgen in einer sehr ehrenvollen Gedenkstunde an den Ersten Weltkrieg erinnert und seiner Opfern gedacht – solch eine Nummer abzuziehen, wie Sie das mit Ihrem Antrag tun. (Zuruf von der LINKEN: Sie sollten sich einmal Ihre Wortwahl überlegen!) Nein, wir sind überzeugt davon, dass Europa im Mittelpunkt des Gedenkens stehen muss; denn Europa ist die Antwort auf die Frage nach Frieden. Deutschland kann sich keine autistische Erinnerung und auch keine autistische Weltsicht leisten, und schon gar nicht eine rein parteipolitisch ausgerichtete, wie die Linke es mit ihrem Antrag macht. Ich bin sehr froh, dass wir mit Frank-Walter Steinmeier einen Außenminister haben, der sich mit -diplomatischen Mitteln unermüdlich für eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts einsetzt. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Der Außenminister hat Ihre Rede nicht verdient!) Er leistet damit einen wesentlichen Beitrag dazu, dass es in Europa nie wieder Krieg gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Karl Liebknecht war ohne Zweifel ein Politiker, der eine einmalige Weitsicht auf die Ereignisse seiner Zeit hatte. Er war mutig, und er war unbeirrbar, und er musste für seine Überzeugungen mit seinem Leben zahlen. Das ist zu würdigen. Nicht ohne Grund haben Sie Ihre Parteizentrale nach ihm benannt. Dort ist dann auch der richtige Ort für eine Gedenktafel, die an diese mutigen Leistungen von Karl Liebknecht erinnert. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als Nächste spricht die Kollegin Julia Bartz, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Julia Bartz (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor 100 Jahren herrschte in Europa eine Situation, die zwar zu den besten wissenschaftlich aufgearbeiteten Epochen der Menschheitsgeschichte gehört, aber trotzdem mehr Fragen aufwirft, als Antworten gibt. Wie konnten Staaten und Imperien mit verwandtschaftlich eng verbundenen Königshäusern und aufgeklärten Bevölkerungen innerhalb kürzester Zeit in einen Vernichtungskrieg industriellen Ausmaßes ziehen, einen Krieg, der unsere Landkarte bis in unsere Zeit so verändert hat, dass selbst wir hier in diesem Haus uns in den letzten Wochen noch mit den Auswirkungen beschäftigt haben? So haben wir Mandate für unsere Soldatinnen und Soldaten erteilt, um auf dem Balkan, im Nahen -Osten und in Afrika für Stabilität zu sorgen. In den Jahrzehnten vor dem Kriegsausbruch war viel erreicht worden, politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich. Aber anstatt daraus Sicherheit und Zuversicht zu ziehen, herrschte gerade bei den Regierungen Zukunfts- und Überlebensangst. In einer Situation, in der die Nationalstaaten in unsicheren Bündnissen lebten, entstand ein fataler Nährboden. Die Marokko-Krise, der Panthersprung nach Agadir und das Attentat von Sarajewo waren dann nur noch relativ beliebig austauschbare Katalysatoren. 100 Jahre später sieht Europa anders aus. Ein Jahrhundert voller Höhen und Tiefen hat seine Spuren hinterlassen und wichtige Lektionen erteilt. Wir haben gelernt, dass wir im friedlichen Miteinander weit mehr erreichen können. Wir haben gelernt, dass sich umsichtige und weitsichtige Menschen über tiefe Gräben hinweg Hände reichen können. Wir haben auch gelernt, dass Imperien innerhalb kürzester Zeit verschwinden und Revolutionen nahezu friedlich verlaufen können und dass international aufwachsende, global denkende und vernetzte Generationen Nationalismen weit weniger betonen und optimistisch in die Zukunft schauen können. Vor bald 25 Jahren dachten vielleicht einige von Ihnen – ich selbst war damals noch sehr jung –, ein wenig vom Glück der Situation berauscht, über ein aufziehendes Jahrhundert des Friedens nach. Bis vor wenigen Wochen gingen wir ja auch im Großen und Ganzen davon aus, dass eine enge Verflechtung der Gesellschaften und Wirtschaften imperiales Denken und Großmachtsehnsüchte verhindern können. Dass dies trügerisch war, haben wir in unserer unmittelbaren östlichen Nachbarschaft erlebt. Wir sind heute glücklicherweise in intakte und starke Bündnisse integriert, und die gewachsene tiefe Freundschaft zu unseren Nachbarn, die noch vor 100 Jahren unsere Gegner waren, ist belastbar. Unser Weg zu einem vollkommen geeinten und friedlichen Europa wird zwar noch Generationen dauern, ist aber wohl die einzige sinnvolle Möglichkeit für uns alle, Sicherheit und Wohlstand zu gewährleisten. Das wissen auch die europäischen Bürgerinnen und Bürger sehr genau. Intakte Bündnisse müssen aber auch wehrhaft sein. Vielleicht ist gerade das eine zentrale Lehre aus dem Ersten Weltkrieg und den aktuellen Geschehnissen an den Ostgrenzen der Europäischen Union. Zwar haben Zukunfts- und Überlebensängste den Ersten Weltkrieg begünstigt, doch insbesondere der Irrglaube, dass Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zwischen Großmächten irgendwie kalkulierbar sei, hat die Katastrophe möglich gemacht. Deshalb müssen wir als Parlament zukünftig unsere inzwischen recht kleinen Streitkräfte noch stärker in die Lage versetzen, sich so tief in unsere Bündnisse zu integrieren wie nur irgend möglich, sich so gut auszurüsten wie technologisch machbar und für potenzielle Herausforderer unserer Bündnisse so glaubhaft abschreckend wie nur irgendwie möglich zu sein. Intakte, wehrhafte Bündnisse schützen unsere Sicherheit und unseren Wohlstand. Aber ein Großteil der Menschen auf diesem Planeten lebt ganz anders als wir, weit entfernt von dem Wohlstand, den wir als Existenzminimum definieren. Auf meinen Reisen nach Mali und Afghanistan habe ich das mit eigenen Augen gesehen, und obwohl ich genau wusste, was mich dort erwarten würde, hat es mich sehr berührt. In vielen Teilen der Erde gibt es mehr Smartphones als Toilettenspülungen. 2,6 Millionen Menschen leben von weniger als 2 Dollar pro Tag. Diese Menschen wissen aber über das Internet ganz genau, in welchem Wohlstand wir hier in Europa leben. Allein in den vergangenen Monaten sind Zigtausende Flüchtlinge nach Europa aufgebrochen, und es werden immer mehr. Wir werden also nicht umhinkommen, mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen. In einer immer vernetzteren Welt werden wir vernetzte Antworten auf komplexe Probleme finden müssen. Diese Antworten liegen in einem vernetzten Politikansatz. Das heißt, es bedarf wirtschaftlicher Zusammenarbeit, Diplomatie, Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus einem Guss. Nur so können wir langfristig unseren Wohlstand erhalten, für Sicherheit in Europa sorgen und Frieden in der Welt erreichen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Wolfgang Gehrcke, Die Linke, spricht jetzt als nächster Redner. (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Schönen Dank, Herr Präsident. – Wir wollten hier eine Debatte über die geschichtlichen Hintergründe und über Widersprüche – Karl Liebknecht kann man nur differenziert betrachten, genauso wie Rosa Luxemburg; das ist doch selbstverständlich – anstoßen, und wir wollten eine Debatte über die Erinnerungskultur hier im Hause anstoßen. Dass es viele andere Plätze gibt, die an Karl Liebknecht erinnern, ist kein Argument, warum nicht auch in diesem Parlament, in dem die Auseinandersetzungen stattfanden, in besonderer Art und Weise an Karl Liebknecht erinnert werden sollte. (Beifall bei der LINKEN) Mit einer künstlerisch gestalteten Plakette oder Tafel – wie auch immer – möchte ich eine Debatte vom Zaune brechen und die Erinnerung an Karl Liebknecht wachhalten, an einen beeindruckenden, mutigen Abgeordneten, der als Einzelner gegen eine große Fraktionsmehrheit in dieser Frage gestimmt hat und konsequent geblieben ist. Diesen Mut muss man in diesem Parlament doch würdigen können, Frau Lotze. Da ich nicht so viel Zeit habe, will ich Ihnen jetzt nicht vorlesen, was unser Parlamentspräsident, Herr Lammert, dazu geschrieben hat. Er ist darauf eingegangen und hat den Mut von Karl Liebknecht gewürdigt. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Frau Lotze auch!) Es geht darum, diesen Mut hier im Parlament zu würdigen und nicht nur an anderen Plätzen. Ich möchte, dass die aus meiner Sicht entscheidende Frage der damaligen Zeit – ja oder nein zu Kriegskrediten und damit ja oder nein zum Krieg – hier wieder aufgerufen wird. Damit werden wir uns immer auseinandersetzen müssen. In einer Zeit der Trommeln und Hurrarufe hat Karl Liebknecht eine andere Richtung eingeschlagen. Ich glaube, diese Richtung ist für die Geschichte Deutschlands von außerordentlich großer Bedeutung und darf daher nicht verdrängt werden. (Beifall bei der LINKEN) Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg haben ihre mutigen Enthaltungen später mit dem eigenen Leben bezahlt. Hunderttausenden Menschen war ihr Leben bereits auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges geraubt worden. Ich sage Ihnen: Wer über 1945 nachdenkt, über die Befreiung vom Faschismus, darf über 1933, über die Machtübernahme der Nazis, nicht hinweggehen, und die Machtübernahme begann mit der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, mit dem Bündnis der Eliten des Kaiserreichs, den Militärs, dem deutschen Kastenwesen und der Rüstungsindustrie. Dagegen hat Liebknecht Widerstand geleistet. Bei aller Differenziertheit der Untersuchungen zum Ersten Weltkrieg: Dieses furchtbare Bündnis – Kastenwesen, Militärs, Rüstungsindustrie – ist immer noch lebendig bzw. lebendig geblieben. Mit ihm muss man sich immer noch auseinandersetzen. (Beifall bei der LINKEN – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Ach, das ist doch Quatsch! – Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Eine sehr, sehr verblendete Sicht haben Sie!) Hier im Bundestag haben wir in einer Gedenkstunde gemeinsam die Rede des französischen Publizisten Alfred Grosser als geistige Herausforderung wahrgenommen. (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Sie haben offensichtlich nicht zugehört!) Vor dem Hintergrund der großen Rede, die Alfred -Grosser gehalten hat, schäme ich mich schon ein bisschen dafür, wie diese Debatte verläuft. (Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Das liegt vor allem an Ihrem Beitrag!) Man muss nicht alles teilen; aber man sollte sich erst einmal auf dieses Niveau einlassen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Das sollten Sie sich selbst auch mal vornehmen!) – Ja, „Setzen, sechs!“ für Sie. Ich möchte gern, dass man auch über die Haltung von Karl Liebknecht, die damaligen Auseinandersetzungen und die Spaltung der Arbeiterbewegung nachdenkt; das ist für mich ein wichtiges Thema. Die Spaltung der Arbeiterbewegung in diesem Lande hat mit dazu beigetragen, dass die Nazis die Macht erobern konnten. Die Spaltung der Arbeiterbewegung aufzuheben, das bleibt für mich die große Herausforderung, der wir alle gerecht werden müssen. (Beifall bei der LINKEN) Das wird nicht immer ganz einfach werden. (Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Sie hatten doch die SED!) – Ich will die SPD ja gar nicht vorführen. (Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Die SED!) Ich will sie ja gewinnen; das ist doch bekannt. (Heiterkeit bei der SPD) Ich würde Ihnen zum Schluss gern noch einen Gedanken von Karl Liebknecht vorlesen, (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Ich glaube, dafür reicht die Zeit nicht mehr! Wie schade!) den er 1912 aufgeschrieben hat. Damals hat er geschrieben: Es kann kein Krieg mehr geführt werden, der nicht begeisterten Widerhall in der Masse der Bevölkerung findet. Das war, wie gesagt, 1912. Und wie will man einen Krieg führen heutzutage, wenn die Masse des Volkes nicht nur keine Begeisterung für den Krieg empfindet, wenn sie mit Abscheu, Hass und Empörung den Kriegshetzereien gegenübersteht, wenn sie entschlossenen Willen besitzt, den Weltfrieden aufrechtzuerhalten, koste es, was es wolle. In dieser Frage war Karl Liebknecht, wie auch in anderen Fragen, seiner Zeit voraus. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Gehrcke, auch bei großzügiger Auslegung der Redezeit müssen Sie zum Schluss kommen. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ja, okay, ich komme zum Schluss. – In dieser Frage war Liebknecht seiner Zeit, wie gesagt, voraus. Heute erleben wir, dass Kriege nicht mehr gegen den Willen der Bevölkerung einfach vom Zaun gebrochen werden können. Ist das nicht eine gewaltige Errungenschaft? In diesem Punkt bin ich mit Deutschland mehr versöhnt, als ich es je gewesen bin. Auch darüber kann man doch gemeinsam nachdenken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Axel Schäfer, SPD. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Unterschied zwischen 1914 und 2014 ist in einem Punkt völlig klar: Der Beginn des Krieges 1914 war, besonders in Deutschland, das Ergebnis der Erziehung für Verdun, also der Vorbereitung auf den Krieg. Ich glaube, die historische Beurteilung in Deutschland hat vor 50 Jahren einen entscheidenden Durchbruch erzielt, nämlich den, dass die Hauptverantwortung dafür beim Deutschen Kaiserreich lag; das ist der entscheidende Punkt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen in dieser Debatte aber schon ein bisschen differenzieren. Was die Kollegin Da?delen hier dargelegt hat, zeigt eine andere Traditionslinie, und zwar die Traditionslinie der KPD, für die der Hauptfeind immer die SPD war. Wo das hingeführt hat – Stichwort „Sozialfaschismus“ etc. –, ist allgemein bekannt; das ist die andere Seite. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Das stimmt so nicht, Herr Schäfer!) Die Ausführungen, die der Kollege Lengsfeld zu Anfang gemacht hat, kann ich alle unterstreichen. Aber eines unterscheidet uns: Nein, man konnte am 15. Januar 1919 nicht die Stalinisierung der KPD und alles andere, was dann geschah, sozusagen vorwegnehmen und sagen: In den Worten und Taten von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war das alles angelegt. – Das ist wirklich Unsinn. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darüber sollten Sie sich ein bisschen besser informieren und sich auch mit Rosa Luxemburgs Aussage „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ auseinandersetzen. Gemeint waren diese Worte übrigens als Kritik an der Russischen Revolution und nicht als Kotau davor. Ja, Kollege Gehrcke, in einem Punkt haben Sie unbestreitbar recht – das muss ein Sozialdemokrat auch vor diesem Auditorium sagen –: Die SPD hat seit genau 100 Jahren das Problem, dass die Auseinandersetzung um den Krieg zu einer Spaltung geführt hat, die uns an vielen Stellen schwerstens zu schaffen gemacht hat und die uns in Form weiterer Spaltungen – siehe Existenz der Linkspartei und WASG-Gründung – bis in die heutige Zeit zu schaffen macht; überhaupt keine Frage. Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied. 1914 hat der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, der wie 13 andere in der Fraktion auch gegen die Kriegskredite war, gesagt: „In der Stunde der Gefahr lassen wir das Vaterland nicht im Stich“. – Es gab die Vorstellung, dass man angegriffen werden könnte. Der russische Zarismus, der britische Imperialismus und die Revisionsbestrebungen auf territorialer Ebene – auch in Frankreich – haben dazu geführt, dass im Unterschied zu 1933/39 eben nicht diese Klarheit da war, sondern dass auch die Mitglieder des Parlaments – auch die, die gegen den Krieg waren – von der OHL und allen Verantwortlichen, die damals an der Regierung waren, ein Stück desinformiert und hinter das Licht geführt wurden. Das ist der grundlegende Unterschied. Das Verdienst von Karl Liebknecht, damals als Erster widersprochen zu haben, ist völlig unbestritten. Sehr viele, die hinterher in der Sozialdemokratie geblieben oder zur Sozialdemokratie zurückgekommen sind, haben diesen Weg auch eingeschlagen. Viele von ihnen – ich denke an Kurt Eisner – haben damals für ihre demokratische und antimilitaristische Überzeugung mit dem Leben bezahlt. Auch das gehört zur historischen Wahrheit. Warum können wir heute nicht einfach solch einen Antrag beschließen? Ein Grund ist: Bei einem solchen Antrag ist es nicht möglich, apodiktisch einfach zu sagen: Das war es; das war die Geschichte. Wir müssen uns darüber schon differenziert auseinandersetzen, und wir müssen auch die Konsequenzen, die in der Demokratie gezogen worden sind, aus meiner Sicht anders würdigen und wertschätzen. Das allerwichtigste demokratische Ergebnis dieses schrecklichen Ersten Weltkrieges, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, war, dass sich der Parlamentarismus, die Demokratie, die Frauengleichstellung und die Betriebsräte durchgesetzt haben. Das ist auch erkämpft worden und war der fundamentale Unterschied zu 1945, als es zur Niederlage und Befreiung kam. Etwas anderes unterscheidet uns hier aber auch noch: Ganz viele, die 1914/1918 widerstanden und hinterher die Republik aufgebaut haben, wie insbesondere die -Sozialdemokraten, aber auch die Liberalen und das Zentrum, haben mit ihrem Leben dafür bezahlt, weil sie gegen diejenigen für Demokratie standen, die den Krieg herbeigeführt und hinterher mit der Durchstoßlegende die Demokratie kaputtgemacht haben. Das ist der eindeutige Unterschied zu 1945. Es ist jetzt nicht die richtige Reaktion, dass wir über das Anbringen einer Gedenktafel nachdenken. Ich glaube, es ist wichtig für uns, dass wir eine Diskussion darüber führen; denn spätestens seit der Rede von Richard von Weizsäcker hat im Bundestag quer durch alle Parteien eine Entwicklung stattgefunden. Wir haben uns mit unserer Geschichte nach vorne gewandt ausei-nandergesetzt. Alle alten Ideologien, durch die viele Dinge beschönigt wurden – Deutschlands Rolle wurde so heruntergeredet, dass möglichst die anderen Schuld hatten und unsere Verantwortung relativiert wurde –, wurden beseitigt. Damit ist zum Beispiel der 30. Januar 1933 nicht mehr vom 8. Mai 1945 zu trennen. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss wirklich, in diesem Parlament mit dazu beizutragen, dass wir zu einer differenzierten, kritischen und selbstkritischen Debatte kommen. Gedenktafeln sind richtig und wichtig; für die 94 Reichstagsabgeordneten, die 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben, ist das auch völlig unumstritten. Für alle weiteren Diskussionen steht die SPD zur Verfügung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1950 (neu) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden, weil ich keinen Widerspruch höre. Dann ist diese Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens Drucksache 18/1284 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/2009 Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. André Berghegger, CDU/CSU, das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. André Berghegger (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten abschließend über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens; der Titel ist so kompliziert, dass man ihn aufschreiben muss, um ihn fehlerfrei vorzutragen. Wir werden mit diesem Änderungsgesetz verschiedene Veränderungen vornehmen und dafür sorgen, dass sie reibungslos in das Melderecht eingefügt werden. Dabei geht es insbesondere um die steuerliche Gleichstellung von Ehen und Lebenspartnerschaften, die mit diesem Änderungsgesetz nachvollzogen werden soll. Trotz dieser fortgeschrittenen Stunde werden wir eine ausführliche Debatte führen. Ich glaube, das ist angesichts der Vorgeschichte gut und richtig so. Der Bundesrat hat uns gebeten, zu prüfen, wie bei Kirchen beschäftigte Personen, die eine Lebenspartnerschaft führen, und wiederverheiratete Geschiedene in ihren Interessen geschützt werden können; denn diese -Lebenssituationen können Loyalitätsverstöße gegen kirchliche Vorschriften darstellen. Das heißt, sie können arbeitsrechtliche Relevanz haben. Das war – so habe ich die Debatte wahrgenommen – der einzig wesentliche Diskussionspunkt zwischen den Parteien. Einige Stichworte zum Verfahren, wie es bisher gelaufen ist. Der Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Prälat Dr. Jüsten, hat uns schriftlich mitgeteilt, dass die katholische Kirche die von den Meldebehörden übermittelten Daten, also auch den Personenstand, nicht für arbeitsrechtliche Zwecke nutzt. Im Dialog mit der katholischen Kirche haben wir mehrere Gespräche geführt, auch unter Einbeziehung der Oppositionsparteien. Wir haben auf Wunsch der Oppositionsparteien eine Sachverständigenanhörung im Innenausschuss durchgeführt. Das heißt, wir wollen alle einbeziehen. Wir wollen uns umfassend über dieses Thema informieren und eine ausgewogene Lösung finden. Ich denke, inhaltlich haben wir eine gute Lösung gefunden, wie auch die Debatte im Innenausschuss gezeigt hat. Aber dennoch ein Hinweis auf das geltende Recht. Nach dem Zweckbindungsgrundsatz sind im Datenschutzrecht die Betroffenen schon jetzt geschützt; denn Daten dürfen nach diesem Grundsatz nur zu dem Zweck verwendet werden, zu dem sie auch erhoben bzw. übermittelt worden sind. Das ist in diesem Fall das Steuerrecht, aber nicht das Arbeitsrecht. Die schriftliche Zusage von Prälat Jüsten hat sich in den Gesprächen und in der Sachverständigenanhörung bestätigt, aber dennoch wollen wir natürlich die Sorgen und Nöte ernst nehmen. Deswegen wird es eine Ergänzung geben. Es wird eine rechtsverbindliche Klarstellung in den kirchlichen Amtsblättern der Bistümer geben, also einen Hinweis, dass die Meldedaten nicht für arbeitsrechtliche Zwecke genutzt werden dürfen. Mit dieser Regelung hätte ich mich gut einverstanden erklären können. Sie wäre aus unserer Sicht ausreichend gewesen. Dennoch werden wir einen Änderungsantrag vorlegen, mit dem in § 42 des Bundesmeldegesetzes eine Klarstellung aufgenommen wird. Darin wird aufgenommen, dass die übermittelten Daten nicht für arbeitsrechtliche Zwecke genutzt werden dürfen. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass hierdurch keine neuen Pflichten begründet werden. Das ist eine rein deklaratorische Änderung. Das ist eine angemessene Regelung. Wir greifen diese Regelung nicht auf – Herr Beck, ich greife Ihnen wahrscheinlich vor, das haben Sie auch im Innenausschuss gesagt –, weil Sie die Sachverständigenanhörung beantragt haben, sondern weil wir von Anfang an Fragen und Unklarheiten vermeiden wollen. Deswegen erfolgt diese Klarstellung im Bundesmelderecht. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor zwei Wochen wollten Sie das noch unverändert verabschieden!) – Gemach, gemach. – Noch ein Hinweis an dieser Stelle. Die Kirchen haben aus dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht gewissermaßen einen Anspruch darauf, vom Staat die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Daten und damit auch die Personenstandsdaten zu erfahren; denn die Familienstandsdaten brauchen sie zur Steuererhebung. Wir werden den Änderungsantrag der Grünen ablehnen. Er ist aus unserer Sicht viel zu weitgehend. Er ist nicht erforderlich und verfassungsrechtlich, höflich formuliert, sehr bedenklich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Bei mir – ich darf Sie noch einmal ansprechen, Herr Beck – verfestigt sich der Eindruck, dass es Ihnen in dieser Debatte eigentlich gar nicht um das Melderecht geht, sondern Sie stellen – so haben Sie es in den Gesprächen immer wieder betont – auf das Staatskirchenrecht ab. Ich vermute – das ist mein Eindruck –, dass Sie wesentliche Elemente des Staatskirchenrechts infrage stellen. Das hat aber nichts mit diesem Melderecht zu tun, sondern das muss an geeigneter Stelle thematisiert werden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir in der letzten Wahlperiode auch getan!) Lassen Sie uns hier über das Melderecht reden und das Staatskirchenrecht an der geeigneten Stelle diskutieren. Deswegen werbe ich um den aus meiner Sicht angemessenen Vorschlag der Änderung des Melderechtes. Wir werden auf Wunsch der Länder das Inkrafttreten des Gesetzes vom 1. Mai auf den 1. November 2015 hinausschieben. Das ist eine angemessene Lösung. Herzlichen Dank für das freundliche Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Linken spricht jetzt der Kollege Frank Tempel. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, wir debattieren heute noch einmal gesetzliche Änderungen zur Fortentwicklung des Meldewesens. Das habe ich mir auch aufgeschrieben. Das heißt, auf der einen Seite geht es um notwendige Datenerhebungen vom Bürger für den Staat, um grundsätzlich eine Vielzahl von staatlichen Verwaltungsvorgängen zu ermöglichen. Auf der anderen Seite geht es in einem solchen Gesetz auch um den Datenschutz, also Schutz vor missbräuchlicher Datenverarbeitung. Bei diesem Teil geht es um das verfassungsmäßige Recht auf informationelle Selbstbestimmung, den Schutz der Persönlichkeitsrechte bei der Datenverarbeitung und auch den Schutz der Privatsphäre. Selbstverständlich sind das alles Kriterien, bei denen sehr unterschiedliche Abwägungen und Bewertungen zum Tragen kommen. In der jetzigen Regierung haben sich zwei Fraktionen gefunden, die oftmals gar nicht -genug Daten erheben können, wenn sie nur irgendwie verwendbar sind. Die Fraktionen, die eindeutig einen größeren Schwerpunkt auf die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der Datenerhebung Wert legen, also die Datensparsamkeit vertreten, finden sich in der Opposition zusammen. Auch bei den aktuellen Melderechtsänderungen geht es neben den notwendigen Anpassungen, die sich auf andere Rechtsänderungen beziehen, erneut um Fragen wie: Sammelwut oder Sammelsparsamkeit? Datenschutz oder eher großzügige Weitergabe im Vertrauen auf die korrekte Verwendung der Daten? Auch bei einer zugegeben sehr sachlichen Debatte im Ausschuss, im Parlament, in Berichterstattergesprächen und Sachverständigenanhörungen ist mit dem vorliegenden Entwurf mit nicht akzeptablen Lösungsansätzen aus Sicht der Linken kein Fortschritt erzielt worden. Ich möchte auf einige Beispiele eingehen. Sie haben es schon angesprochen: Die Weitergabe von Personenstandsdaten an Religionsgemeinschaften als Arbeitgeber ist aus unserer Sicht nach wie vor ein Risiko für die betroffenen Beschäftigten. (Beifall bei der LINKEN) Eine Lebenspartnerschaft oder auch eine zweite Eheschließung nach einer Scheidung können zum Beispiel in der katholischen Scheidung zur Kirche führen. (Heiterkeit) – Okay: in der katholischen Kirche zur Scheidung führen. Das sei mir um diese Zeit verziehen. (Beifall) Der Änderungsantrag der Regierungskoalition stellt zumindest die Absicht klar, diese Datenermittlung nicht arbeitsrechtlich zu verwenden. Wir respektieren auch, dass es nach dieser gründlichen Debatte zu diesem Änderungsantrag kommt, aber er ist aus unserer Sicht nicht ausreichend und nicht bestimmt genug. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Denn machen wir uns nichts vor: Wenn diese Erkenntnis zum Beispiel über die erneute Eheschließung eines Kirchenbeschäftigten erst einmal bei seinem Arbeitgeber angekommen ist, dann lässt sich auch sehr schnell eine Ersatzbegründung finden, und dann kommt es eben doch zur Kündigung. Das kann nicht im Sinne eines Meldegesetzes sein. (Beifall bei der LINKEN) Merkwürdig ist auch ein weiterer Teil – wir bleiben immer schön beim Meldegesetz, wie Sie es gefordert haben –: Gegen die allgemeine Übermittlung der Daten an Religionsgemeinschaften können bestimmte Familienmitglieder Widerspruch einlegen. Nach dem Gesetzentwurf können auch diese Widersprüche an die Religionsgemeinschaften übermittelt werden. Machen wir uns nichts vor: Das hebelt den Schutzzweck des Widerspruchs völlig aus. (Beifall bei der LINKEN) Noch ein Beispiel zum Thema Religionsgemeinschaften: Wozu sollen die frühere Anschrift eines Mitglieds der Religionsgemeinschaft sowie die aktuellen und früheren Adressdaten von Familienangehörigen übermittelt werden? Mit der Erfüllung einer Aufgabe einer Religionsgemeinschaft hat das gar nichts zu tun. Auch mit Datensparsamkeit hat das nichts mehr zu tun. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Letztendlich wurde die Chance einer Änderung des Meldegesetzes nicht genutzt, um die von Datenschützern mehrfach geforderte Änderung vorzunehmen. Das hätten wir bei dieser Gelegenheit machen können. Die Grünen versuchen, das mit Änderungsanträgen zu erreichen, was wir natürlich mit unserer Zustimmung unterstützen werden. Ich spreche von der Hotelmeldepflicht und auch der Pflicht des Wohnungsgebers zur Mitwirkung bei An- und Abmeldung, weil Aufwand und Nutzen nicht im Verhältnis stehen. Das hätte man schon längst kürzen können. Es ist auch bei der Regelung geblieben, dass Unternehmen, die bei den Meldeämtern personengebundene Daten erwerben, die Einwilligung des jeweiligen Bürgers zur Weitergabe vorlegen. Sicherer wäre gewesen, die Meldebehörden holen sich diese Einwilligung selber. Dann hätten sie die Gewährleistung, dass diese echt ist, bevor sie die Daten an Unternehmen weitergeben. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit solchen Schwachstellen im Datenschutz gespickt, ist es leider ein Gesetz geworden, dem die Linke auch nach der sachlichsten Debatte nicht zustimmen kann. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Einen schönen Abend von mir, auch einen schönen Abend unseren späten Gästen hier im Parlament. Die nächste Rednerin ist Gabriele Fograscher für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabriele Fograscher (SPD): Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf regelt zum einen technische Einzelfragen, die zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens notwendig sind, zum anderen wird die steuerliche Gleichstellung von Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften, die das Bundesverfassungsgericht angemahnt hat, jetzt im Melderecht vollzogen. Diese Änderungen müssen wir jetzt vornehmen; denn die Zeit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes im November 2015 brauchen wir für die technisch-organisatorischen Umsetzungsmaßnahmen. Außerdem wollen wir mit dem Gesetz auch noch den Bundesrat zu seiner Sitzung am 11. Juli erreichen. Die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts hat uns vor ein Problem gestellt, das auch der Bundesrat thematisiert hat. Die Meldebehörden übermitteln bisher die Daten über Begründung oder Auflösung einer Ehe an die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften. Aufgrund der steuerlichen Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften müssen die Daten über Begründung oder Auflösung einer solchen nun auch an Religionsgemeinschaften übermittelt werden. Die Religionsgemeinschaften benötigen diese Daten zum Beispiel für die Erhebung der Kirchensteuer oder für pastorale oder soziale Seelsorge. Das kann zu Problemen führen. Prälat Dr. Jüsten erklärte in der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf – ich zitiere –: Die als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfassten Kirchen haben nach alledem einen Anspruch auf Übermittlung des Familienstandes. Ich möchte bereits an dieser Stelle zugleich deutlich machen, dass das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften auch umfasst, dass die Religionsgemeinschaften ihren Beschäftigten Loyalitätsobliegenheiten auferlegen können, die sich auch auf das Privatleben erstrecken. Das bedeutet, dass sich Beschäftigte der katholischen Kirche auch in ihrer privaten Lebensführung an die moralischen Vorgaben der Kirche halten müssen. Eingetragene Lebenspartnerschaften und die Wiederverheiratung nach einer Scheidung entsprechen nicht diesen Vorstellungen. Prälat Dr. Jüsten, als Vertreter der katholischen Kirche, versicherte in der Anhörung, dass die Meldedaten, vor allem der Familienstand, noch nie für arbeitsrechtliche Zwecke verwendet wurden. Das mag durchaus sein. Ein Pfarrer in einer Gemeinde hat sicherlich andere Möglichkeiten als die Meldedaten, um etwas über die Lebenssituation seiner Beschäftigten zu erfahren. Manches erfährt er von den Betroffenen selbst, manches sicherlich auch über die Kollegen und Kolleginnen der Betroffenen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion begrüßen es ausdrücklich, dass die katholische Kirche eine Klarstellung zum Melderecht in den Amtsblättern ihrer Bistümer veröffentlicht hat. Darin heißt es: Zur Klarstellung wird nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die seitens der kommunalen Melde-behörden übermittelten Daten nicht für arbeitsrechtliche Zwecke, insbesondere die Anbahnung, Durchführung oder Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen, genutzt werden dürfen. Doch bei dem Problem, das wir als Bundesgesetzgeber zu lösen haben, geht es nicht nur um die katholische Kirche, sondern um alle Religionsgemeinschaften, die Meldedaten erhalten oder in Zukunft erhalten könnten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Wir als Bundesgesetzgeber müssen deshalb zwischen den berechtigten Interessen der Religionsgemeinschaften und den schutzwürdigen Interessen der betroffenen Beschäftigten einen Ausgleich finden. Deshalb halten wir es für richtig, im Gesetz eine Klarstellung vorzunehmen. Wir werden § 42 um die Worte „nicht jedoch zu arbeitsrechtlichen Zwecken“ ergänzen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass diese Ergänzung kein Misstrauen gegenüber der katholischen Kirche zum Ausdruck bringen soll. Es geht um alle öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften, nicht nur um die katholische Kirche. Bündnis 90/Die Grünen haben Änderungsanträge gestellt. So soll zum Beispiel die Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei An- und Abmeldung wieder abgeschafft werden und die Hotelmeldepflicht entfallen. Beide Anliegen haben wir in der Debatte über das Bundesmeldegesetz ausführlich diskutiert und begründet. Wir werden deshalb diese Diskussion hier nicht mehr fortsetzen und lehnen die Anträge ab. Das Bundesmeldegesetz in der jetzt geänderten Fassung, das 2015 in Kraft treten wird, ist ein wichtiger Baustein hin zu einer modernen Verwaltung. Ich danke an dieser Stelle den Mitberichterstattern sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums für die Unterstützung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Fograscher. – Nächster Redner in der Debatte ist Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist mir zu dieser späten Stunde eine besondere Freude, zum ersten Meldewesenfortentwicklungsänderungsgesetz reden zu dürfen. Es ist das erste seiner Art und ist deshalb von ganz besonders epochaler Wirkung. Wir führen in diesem Hohen Haus schon länger eine Diskussion über die Frage, was wir im Melderecht im Sinne der Datensparsamkeit brauchen; denn Datensparsamkeit ist einfach der beste Datenschutz. Daten, die es nicht gibt, können nicht zu anderen Zwecken missbraucht werden. Im Melderechtsrahmengesetz wurden einst die Mitwirkungspflichten der Vermieter gestrichen, weil sie nichts brachten. Dann wurden sie im Rahmen des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens wieder eingeführt, ohne dass man neue Erkenntnisse gehabt hätte. Wir meinen, dass die entsprechende Vorschrift wieder in den Papierkorb gehört. Deshalb haben wir Ihnen einen Änderungsantrag auf Streichung dieser Vorschrift vorgelegt. Ähnliches gilt für die leidige Hotelmeldepflicht. Hier fragt man sich: Wozu müssen wir das alles wissen? Misstrauen wir allen Menschen, die in ein Hotel gehen? Zumindest zur Durchführung eines Verwaltungsakts braucht kein Mensch zu wissen, wer wann wo in welchem Hotel welche Nacht verbracht hat und welche Personen die Nacht miteinander verbracht haben. Das geht den Staat nichts an. Deshalb sollte er diese Daten nicht erheben. Wir schlagen Ihnen die Streichung der entsprechenden Vorschrift vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Richtig gestritten haben wir uns aber nicht über diese Fragen. Denn es war klar: Hier liegen wir so weit ausei-nander, dass wir nicht zusammenkommen. Richtig auseinandergesetzt haben wir uns über die Weitergabe von Familienstandsdaten an Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Hier zeigt sich, dass die Opposition dazu beigetragen hat, dass die Große Koalition zur Besinnung gekommen ist. Sie wollten ursprünglich in der letzten Sitzungswoche vor der Haushaltswoche das Gesetz unverändert verabschieden. Heute legen Sie es mit einer Änderung vor. Nun wird immerhin festgelegt – das ist nur die zweitbeste Lösung; wir haben die beste –, dass Melderechtsdaten betreffend den Familienstand nicht für arbeitsrechtliche Zwecke missbraucht werden dürfen. Das ist meines Erachtens – hier habe ich eine andere Meinung als Sie, Herr Tempel – eine rechtlich relevante Änderung. Es ist mir egal, um welche Religionsgemeinschaften es dabei geht: um die katholische Kirche, die Mormonen, die Zeugen Jehovas oder die künftigen islamischen Wohlfahrtsverbände. In Zukunft muss ein Arbeitgeber, der jemanden wegen Wiederverheiratung oder einer geschlossenen Lebenspartnerschaft kündigen will, darlegen, dass die entsprechenden Informationen nicht aus den Meldedaten stammen. Unter Umständen muss er auch darlegen, dass er, wenn er eine andere Quelle angibt, diese Quelle nicht erst angezapft hat, als er schon Ermittlungswissen aus den Melderechtsdaten hatte, aufgrund dessen er wusste, dass es sich um einen lotterhaft lebenden Menschen handelt, und dass er nicht über diesen Weg einen zweiten Beleg gesucht hat, den er arbeitsrechtlich verwenden darf. Das werden die Arbeitsgerichte zukünftig den Religionsgemeinschaften, die so etwas praktizieren, nicht durchgehen lassen. Insofern ist das ein Schritt voran. Sie haben völlig recht: Das hier ist nicht das Arbeitsrecht. Es geht auch nicht um das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, bei dem solche Fragen in der Sache zu regeln wären. Aber wir als Staat, als Melderechtgesetzgeber, haben die Aufgabe, darauf zu achten, dass die Daten, die wir in einem staatlichen Zwangsverhältnis von den Bürgerinnen und Bürgern erheben, nicht zu ihrem Nachteil an Dritte weitergegeben werden. Da haben wir einen Fortschritt erreicht. Ohne die Anhörung, die wir zusammen mit den Linken erzwungen haben, hätten Sie, Frau Fograscher, das nicht durchbekommen. Insofern zeigt sich: Wo wir helfen können, helfen wir gerne weiter. Dies ist ein schöner Tag, ein kleiner Erfolg für die grüne Opposition gemeinsam mit der Linken. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Volker Beck. Der letzte Redner in dieser Debatte ist Dr. Tim Ostermann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir widmen uns heute zum zweiten Mal und damit abschließend der Fortentwicklung des Meldewesens. Ich habe es jetzt etwas abgekürzt. In meiner letzten Rede hatte ich noch voller Hoffnung angekündigt, dass wir die Beratungen zu diesem Gesetz effektiv und zügig abschließen werden. Das ist bedauerlicherweise nicht eingetreten. Unstrittig ist die Umsetzung einiger Vorschläge, die der Bundesrat eingebracht hat. Dazu zählt einerseits die Ergänzung der Datenübermittlung an öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften um die letzte frühere Anschrift der Mitglieder und Familienangehörigen und andererseits die einmalige Übermittlung des Datenbestandes zur Inbetriebnahme der regelmäßigen Datenübermittlung. Ein Punkt war und ist jedoch strittig: das Ansinnen des Bundesrates, für Kirchenbeschäftigte, die eine Lebenspartnerschaft führen oder als Geschiedene eine zweite Ehe eingegangen sind, ein Sonderrecht zu schaffen, das die Übermittlung von diesbezüglichen Daten an die Kirchen verhindert. Damit sollen mögliche arbeitsrechtliche Konsequenzen vermieden werden. Dies hat zu reichlich Diskussionen und sogar einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses geführt. Ich habe schon meine Zweifel, ob dies wirklich alles notwendig war; denn schon jetzt dürfen die Kirchen die übermittelten Meldedaten nicht für arbeitsrechtliche Zwecke einsetzen, und sie tun es auch nicht. Dies wurde uns von Prälat Jüsten, dem Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe, versichert, und zwar glaubhaft und mehrfach. Schließlich bewegen sich die Kirchen nicht im rechtsfreien Raum. Sie unterliegen ebenfalls Datenschutzbestimmungen und weiteren Vorschriften. Man konnte bei den Beratungen dieses Gesetzentwurfs den Eindruck gewinnen, dass die Grünen die Kirchen, insbesondere die katholische Kirche, unter den Generalverdacht der datenschutzrechtlichen Untreue stellen wollen. Aus der Thematik wurde ein Politikum sondergleichen gemacht. Der Tiefpunkt war die Anhörung, in der der von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Grünen-Fraktion, benannte Sachverständige das Melderecht zum Vehikel für eine Generalabrechnung mit der katholischen Kirche machte. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Genau so war es!) Diese Äußerungen gehörten dort nicht hin. Schließlich saß man nicht in einem kirchenpolitischen Seminar der Heinrich-Böll-Stiftung, sondern in einer Anhörung des Deutschen Bundestages zum Meldewesen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben dann – auch das haben wir schon gehört – einen Änderungsantrag vorgelegt, nach dem die Meldedaten nur dann übermittelt werden dürfen, wenn die Kirchen zuvor ausdrücklich erklärt haben, keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen aufgrund eines bestimmten Familienstandes zu ziehen. Es hat sich schnell herausgestellt, nicht zuletzt in der Anhörung, dass eine solche Regelung verfassungswidrig wäre. Sie wäre verfassungswidrig, weil es ein im Grundgesetz garantiertes Selbstbestimmungsrecht der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften gibt. In dieses Recht würde mit Ihrer Regelung in unzulässiger Weise eingegriffen. (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Hinzu kommt, dass Ihr Vorschlag auch rechtssystematisch daneben ist, Herr Beck. Sie wollen eine arbeitsrechtliche Frage im Melderecht regeln. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Das müssen Sie einmal denjenigen erklären, die dieses Recht anwenden müssten. Aber dies alles ficht Sie in keiner Weise an. Als Ergebnis der langen Diskussionen steht nun zu Buche – das soll hier nicht unerwähnt bleiben –, dass die Einführung des Bundesmeldegesetzes um ein halbes Jahr verschoben werden muss. Aus meiner Sicht kann man hier schon von einem schuldhaften Zögern sprechen; denn man konnte nicht den Eindruck gewinnen, dass es den Grünen in erster Linie um das Melderecht ging. Stattdessen haben sie den parlamentarischen Beratungsprozess zu diesem konkreten Gesetzgebungsvorhaben dazu benutzt, eine Fehde mit der katholischen Kirche auszutragen. Die vielen Vorteile, die das neue Melderecht bringen wird, nämlich die Senkung der Bürokratiekosten, wodurch die Wirtschaft laut Bundesinnenministerium jährliche Kosten im dreistelligen Millionenbereich einspart, aber auch die Bekämpfung von Scheinanmeldungen – dies alles kann nun erst verspätet starten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie nicht getrödelt hätten!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so viel Freude uns allen die Beschäftigung mit dem Meldewesen bereitet, lieber Herr Beck, ist es dennoch auch ein Grund zur Freude, dass wir die Debatte mit unserem heutigen Beschluss zum Änderungsgesetz endlich abschließen können. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der -Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2009, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1284 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstimmen. Änderungsantrag auf Drucksache 18/2022. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 18/2023. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 18/2024. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten hat sich die Linke. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die einzig wahre Opposition hat dagegen gestimmt!) Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenige, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich nun zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf. Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Hans-Christian Ströbele, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequenzen aus den Erkenntnissen des NSU-Untersuchungsausschusses Drucksache 18/776 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an Monika Lazar von Bündnis 90/Die Grünen. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor circa einem Jahr haben alle Fraktionen des Bundestages einmütig in einem gemeinsamen Votum im Abschlussbericht zum NSU-Untersuchungsausschuss hier in diesem Hause bekräftigt – Zitat –: Wir müssen mehr gegen Rassismus und rechte Gewalt tun, auf allen Ebenen! Initiativen brauchen eine bessere und verstetigte Förderung. Dieser Konsens wurde im Frühjahr dieses Jahres wiederum vom ganzen Haus in einem Antrag für diese Wahlperiode bekräftigt. Somit haben die Fraktionen und die Ministerien Arbeitsaufträge für die nächsten drei Jahre. Die grüne Bundestagsfraktion gab zum Abschluss des NSU-Untersuchungsausschusses ein Sondervotum ab. Die wichtigsten Forderungen sind in den Antrag, über den wir heute diskutieren, eingeflossen. Wir fordern einen Neustart beim Bundesamt für Verfassungsschutz, Konzepte für eine neue Polizeikultur und eine langfristige und verlässliche Förderung von Initiativen gegen Rechtsextremismus. Kanzlerin Merkel versprach den Angehörigen der Opfer eine lückenlose Aufklärung. Doch bis heute sind immer noch viele Fragen unbeantwortet. So bitter es klingt: Ohne die Blindheit auf dem rechten Auge hätte man den NSU früher enttarnen und Morde verhindern können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) Die einzig logische Schlussfolgerung daraus muss lauten: Kein „Weiter so!“, sondern eine Zäsur und ein Neustart bei der Sicherheitsarchitektur. Aber im gerade beschlossenen Haushalt für dieses Jahr erfolgt das Gegenteil: Der Verfassungsschutz wird für sein Versagen mit mehr Kompetenzen und zusätzlichen Millionen ausgestattet. Das ist ein Skandal, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) einerseits, weil sich die Angehörigen der Opfer einmal mehr vor den Kopf gestoßen fühlen müssen; andererseits, weil das Geld dann dort fehlt, wo tatsächlich wirksam gegen Demokratiefeindlichkeit gearbeitet werden kann: bei den zivilgesellschaftlichen Initiativen. Gerade verkündete Ministerin Schwesig die Eckpunkte für das neue Bundesprogramm ab dem nächsten Jahr. Wer mehr Geld erhofft hatte, wurde enttäuscht. Es wird nicht mehr geben als – wie bisher – die 30,5 Millionen Euro pro Jahr. Dabei wären 50 Millionen Euro jährlich das Mindeste, um gute Strukturen nicht nur zu sichern, sondern bundesweit auf ein gutes Niveau auszubauen. Auch die vom NSU-Untersuchungsausschuss angemahnte Verstetigung erfolgt nicht. Immerhin soll die Förderperiode auf fünf Jahre ausgedehnt werden. Das ist ein Schritt nach vorn; denn damit entfällt die Zitterpartie, die es jedes Mal zum Ende der Wahlperiode gab. Für diese Verbesserungen möchte ich auch Ministerin Schwesig und ihrem Team ganz ausdrücklich danken. Da könnte zumindest die SPD einmal klatschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) – Auch der Koalitionspartner, sehr gut! Gleichzeitig sage ich – jetzt kommt wieder die bittere Pille –: Das genügt uns nicht. Notwendig ist eine dauerhafte Absicherung auf gesetzlicher Grundlage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir von Bündnis 90/Die Grünen unterstützen die Ministerin gerne, wenn sie diesen Weg weitergeht. Wir brauchen einen fraktionsübergreifenden Konsens gegen Rechtsextremismus; denn das heißt „Demokratie leben!“, wie ja der Name des neuen Bundesprogramms zu Recht lautet. Wir müssen aber auch staatliche Behörden wie Polizei und Justiz sensibilisieren und uns auch mit dem institutionellen Rassismus befassen. Wir brauchen gezielte Bildung, unabhängige Forschung und kompetente Beratung, die schon bei der Ausbildung beginnt. Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Aufarbeitung des Versagens ist eine Aufgabe von Behörden, von Bundesregierung und Bundestag. Jetzt müssen klare Konsequenzen gezogen werden. Für die Behebung struktureller Mängel brauchen wir Reformen bei den Sicherheitsbehörden, eine bessere Qualifizierung ihres Personals sowie eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus auf allen Ebenen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Monika Lazar. – Nächster Redner in der Debatte ist Clemens Binninger für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Clemens Binninger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 14 Banküberfälle und Sicherheitsbehörden in ganz Deutschland, die die Täter nicht erkannt haben: Das waren die erschütternden Befunde des Versagens. Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode in einem Untersuchungsausschuss damit beschäftigt, dieses Versagen aufzuklären. Ich sage in jedem Debattenbeitrag immer wieder: Es war nicht nur der Verfassungsschutz, der Fehler gemacht hat, sondern es gab Fehler bei der Polizei, aber auch bei der Justiz. Auch unsere föderale Sicherheitsarchitektur war beim Zusammenwirken der verschiedenen Sicherheitsbehörden nicht gerade hilfreich. Der Ausschuss hat aber durchaus – ich glaube, dafür sind wir alle, die wir mitgearbeitet haben, und dafür sind alle Fraktionen, die ihn getragen haben, verantwortlich – etwas geleistet, das wir so bisher noch nie hatten. Parteiübergreifend 15 Monate etwas zu untersuchen und einstimmig zu einem Abschlussbericht mit 47 Empfehlungen zu kommen, das ist so bisher noch nie dagewesen. Wir waren uns immer einig, Frau Kollegin Lazar, dass wir natürlich parteipolitische Unterschiede haben, die auch nicht weggewischt werden. Das gilt für uns, die CDU/CSU, natürlich genauso wie für die Linken. Ich glaube, dass wir uns keinen Gefallen tun, wenn wir nach den 47 Maßnahmen, die wir einstimmig beschlossen haben – Sie haben darauf hingewiesen: der Bundestag hat dieses Ergebnis übernommen –, schon sehr früh wieder sagen: Aber die eine Fraktion hätte noch diese Vorschläge, und die andere Fraktion hätte noch jene Vorschläge. – Ich glaube, es wäre besser, wenn wir uns nach wie vor gemeinsam daranmachen würden, dafür zu sorgen, dass in dieser Legislaturperiode die 47 Maßnahmen umgesetzt werden, die wir gemeinsam identifiziert haben; dann leisten wir, glaube ich, der Sache den größten Dienst, und dann erreichen wir auch die Verbesserungen, die wir dringend brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will nur drei Maßnahmen nennen: bessere Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz, was Informationsaustausch angeht; Reformen im Verfassungsschutz – die sind teilweise schon begonnen worden – und eine grundlegende Reform des V-Leute-Wesens. Hier sage ich wieder: So wie im Bereich Rechtsextremismus in den Jahren, als der NSU seine Straftaten verübt hat, V-Leute eingesetzt waren, standen Aufwand und Risiko in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn. Das muss sich dringend ändern. Das sollten wir gemeinsam anpacken, obwohl ich weiß, dass Sie in der letzten Konsequenz etwas anderes wollen als wir. Aber jetzt ganz ehrlich: Ich glaube, wenn wir sehr früh schon wieder die parteipolitischen Debatten führen, laufen wir eher Gefahr, dass von den 47 gemeinsamen Vorschlägen der eine oder andere auf der Strecke bleibt. Deshalb wäre mein Appell, diese Dinge, so wie wir es im Ausschuss auch gehandhabt haben, noch einmal zurückzustellen und gemeinsam dafür zu sorgen, dass diese 47 Maßnahmen umgesetzt werden: im Bereich Verfassungsschutz, im Bereich Polizei, im Bereich Justiz, im Bereich zivilgesellschaftliches Engagement, wo wir auch mehr tun müssen; da sind wir uns einig. Wir sind nicht weit auseinander. Aber andere Punkte, die Sie in Ihrem Antrag haben, finde ich, haben mit dem NSU-Ausschuss direkt wenig bis gar nichts zu tun. Bei der Kennzeichnung von Polizeibeamten oder anderen Dingen mehr sind wir einfach anderer Auffassung. Trotz dieser inhaltlichen Unterschiede, die, glaube ich, bestehen bleiben – wir sollten sie aber nicht in den Mittelpunkt der Debatte stellen –, bin ich dankbar für den Antrag, weil er das Thema NSU, wenn auch zu später Stunde, noch einmal auf die Tagesordnung setzt. Wir alle, die wir im Ausschuss gearbeitet haben – Petra Pau, Eva Högl, Hans-Christian Ströbele, ich selber –, nehmen in diesen Tagen wahr – Sie haben es kurz angesprochen –: Viele Fragen sind trotz unserer Arbeit ungeklärt. Wir hatten nur 15 Monate Zeit, was wahnsinnig wenig war. Wir hatten viele Dinge zu untersuchen. Ich bin deshalb froh, dass es auch in Länderparlamenten, wo es bisher noch keine solchen Ausschüsse gab, jetzt Untersuchungsausschüsse gibt, nämlich in Hessen und Nordrhein-Westfalen. Aber ein Bundesland – es fällt mir schwer, das zu sagen, weil ich aus dem Bundesland komme; man muss es aber sagen – ziert sich und will irgendwie nicht. Ich frage mich, warum. Das ist Baden-Württemberg. Baden-Württemberg ist das Bundesland, von dem wir wissen, dass die meisten personellen Bezüge des NSU dorthin geführt haben. 52 Personen aus dem NSU-Umfeld – das hat der Innenminister selber eingeräumt – hatten Kontakte von oder nach Baden-Württemberg. Ihrem Antrag werden wir nicht zustimmen. Aber wenn wir uns heute Abend vielleicht auf zwei Dinge verständigen könnten, Frau Kollegin Lazar – das sage ich auch in Richtung der anderen Fraktionen im Hause –, wäre das schon etwas: Lassen Sie uns in den Vordergrund stellen, die 47 Maßnahmen umzusetzen, dafür zu kämpfen, dass es dort keine Abstriche gibt! Dann wäre es schön, wenn wir in Baden-Württemberg – ich glaube, das müssen wir gemeinsam tun – vielleicht doch für eine kleine Veränderung sorgen und erreichen könnten, dass man auch dort keine Scheu vor einem Untersuchungsausschuss hat. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die SPD hat das Problem!) – Ja, aber, ich glaube, wenn wir zwei es machen, hat es auch schon einen Wert. (Zuruf der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das wäre in der Sache, glaube ich, ein guter Schritt. Dann war die Debatte heute zu später Stunde durchaus ein Erfolg. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Binninger. Danke für sehr konstruktive Vorschläge in die Länder hinein! – Petra Pau ist die nächste Rednerin für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Petra Pau (DIE LINKE): Frau Präsidentin! (Rückkopplung der Tonanlage) – Zumindest sind wir jetzt alle wieder wach. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wolltest du sagen, bei meiner Rede ist jemand eingeschlafen?) – Nein, ganz im Gegenteil, Clemens Binninger. Ich wollte gerade dem letzten Abschnitt der Rede ganz ausdrücklich zustimmen und noch erweitern – ich habe das schon in mehreren Reden gesagt –: Wir haben in allen Bundesländern, ob sie Tatorte waren oder ob das Unterstützernetzwerk dort unterwegs war, weiteren Aufklärungsbedarf. Das vorneweg. Entschuldigung, Frau Präsidentin. Natürlich freue ich mich, dass Sie da sind. Ich habe Sie noch nicht angesprochen, weil ich gleich auf den Zuruf eingegangen bin. Im Tagesspiegel war jüngst zu lesen: Die Zeichen mehren sich: Der NSU-Schock ist vorbei, die alten Routinen sind anscheinend stärker als die öffentliche Scham nach dem NSU-Skandal. In dem Artikel ging es um eine aktuelle Statistik der Bundesregierung zu rechtsextremer Gewalt, die noch immer oder schon wieder kleingerechnet wird; so als hätte es das NSU-Desaster nie gegeben. Es geht nicht nur um Zahlen. Noch immer kann keine Rede von der bedingungslosen Aufklärung sein, die Bundeskanzlerin Angela Merkel im Februar 2012 versprochen hat. Ganz ausdrücklich: Das bezieht sich nicht nur auf den Bund. Clemens Binninger hat es gerade deutlich gemacht. Der Schutz von V-Leuten der Sicherheitsbehörden aus dem Nazimilieu gilt noch immer mehr als die Aufklärung rechtsextremer Verbrechen. Das jüngste Beispiel hierfür lieferte Hamburg. Andererseits sterben V-Leute plötzlich auf mysteriöse Weise, just in dem Moment, wo sie Aussagen machen sollen. Die aktuellen Erklärungen des Bundeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes dazu im Innenausschuss waren nicht ausreichend. Ich erspare mir andere Vokabeln. Also dreimal „noch immer“. Bündnis 90/Die Grünen haben das anhaltende NSU-Desaster erneut auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt. Ich gestehe: Anderenfalls, vielleicht mit einem etwas anderen Einschlag, hätte es die Linke in nächster Zeit getan; (Beifall bei der LINKEN) denn noch immer wurde so gut wie keine der 47 Schlussfolgerungen aus dem Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses umgesetzt: nicht im Bund und nicht in den Ländern. Das ist aus meiner Sicht nicht nur schäbig, sondern auch gefährlich. Bevor das NSU-Nazitrio aufflog, wollten die Behörden nichts von Rechtsterrorismus wissen. Zugleich lässt sich aber Rechtsterrorismus nicht auf NSU reduzieren. Es ist also höchste Zeit, aktiv zu werden, sowohl – da bin ich ganz bei Ihnen – bei den 47 Forderungen, aber auch im gemeinsamen Nachdenken darüber hinaus. Damit zu einem letzten Punkt. Bündnis 90/Die Grünen schlagen in ihrem Antrag drei Aktionsfelder vor. Ich nehme positiv auf, dass sich die Positionen der Grünen und der Linken dabei weiter annähern. Für die Fraktion Die Linke unterstreiche ich dabei noch einmal drei Punkte: Erstens. Die Ämter für Verfassungsschutz standen im Zentrum des Versagens bei der NSU-Nazimordserie. Sie sind Fremdkörper in einer lebendigen Demokratie, aus meiner Sicht nicht reformierbar und kontrollierbar. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb sind die Ämter aufzulösen und die V-Leute-Praxis zu beenden. Zweitens. Zu den gesellschaftlichen Initiativen und zur dauerhaften Förderung wurde etwas gesagt. Die Linke plädiert für ein Stiftungsmodell, fernab von parteipolitischen Konjunkturen. Drittens. Wir müssen uns endlich dem Thema Rassismus zuwenden. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Petra Pau. – Nächste Rednerin in der Debatte: Gabriele Fograscher für die SPD. Gabriele Fograscher (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im November 2011 sind die schrecklichen Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt geworden. Wir alle waren schockiert. Keiner von uns hätte es für möglich gehalten, dass eine rechtsextreme terroristische Vereinigung über Jahre hinweg in Deutschland morden kann, Sprengstoffanschläge verüben kann, Straftaten begehen kann. Wir haben uns alle die Frage gestellt, wie das möglich war. Warum hat die Polizei bis heute die Taten nicht vollständig aufklären können? Warum hatte der Verfassungsschutz keine Erkenntnisse? Warum wurde ein rechtsextremistischer Hintergrund nicht in Erwägung gezogen? Der Untersuchungsausschuss, den ja alle Fraktionen gemeinsam eingesetzt haben, hat eklatante Fehler der Sicherheitsbehörden offenbart. Die gewonnenen Erkenntnisse haben im Abschlussbericht zu gemeinsamen Empfehlungen geführt – 47 an der Zahl; wir haben es schon gehört –, sich unter anderem mit der künftigen Struktur der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden, ihren Befugnissen und ihrer Qualifizierung, der effektiven Bekämpfung des Rechtsextremismus und der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, der kontinuierlichen Demokratieförderung, der Erweiterung der Bundesförderung und der Verstetigung der Bundesprogramme zu befassen. Trotz des Bundestagswahlkampfes 2013 ist es uns gelungen, uns auf diese gemeinsamen Empfehlungen und Maßnahmen zu verständigen. Dies war und ist ein Signal an die Opfer, die Angehörigen, die Öffentlichkeit, die Behörden und die Institutionen. Wir waren uns auch alle einig, dass sich dieses Thema nicht zur parteipolitischen Profilierung oder zu parteipolitischen Alleingängen eignet. Es ist das gute Recht und die Aufgabe der Opposition, die Regierung zu kontrollieren, zu treiben oder auf Versäumnisse hinzuweisen. Aber – den Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen – mit dem Antrag, den Sie uns heute hier vorlegen, kündigen Sie auch ein Stück weit diesen gemeinsamen Konsens auf. Mit Ihrem Antrag unterstellen Sie uns Untätigkeit. Das weise ich entschieden zurück. Sie behaupten in Ihrem Antrag, es hätte kein Wort der Entschuldigung oder des Bedauerns an die Opfer und die Angehörigen gegeben. Auch das ist nicht richtig. Es gäbe viele Beispiele dafür. Ich verweise auf den Besuch des Bundespräsidenten vor wenigen Wochen in der Kölner Keupstraße. Er hat dabei den Opfern und Angehörigen versichert, dass wir alle zusammengehören. Er sagte: Und wir stehen zusammen, um allen, die von fremdenfeindlicher Gewalt bedroht sind, zu sagen: Ihr seid nicht allein. Auch wir hier im Deutschen Bundestag sind nicht untätig gewesen. Wir haben diesen Beschluss aus der letzten Legislaturperiode im Februar 2014 nochmals bekräftigt. Wir werden die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums verändern. Wir geben uns nicht mehr mit dem zufrieden, was die Dienste uns erzählen wollen. Wir haben uns ein Arbeitsprogramm gegeben, für das auch mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Wir werden uns in nächster Zeit unter anderem mit folgenden Fragen befassen: Wie ist der Stand bei der Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses? Wie verhält es sich mit dem Einsatz von V-Leuten in der rechtsextremen Szene? Welche Maßnahmen ergreift der Militärische Abschirmdienst, um extremistische Einstellungen und Bestrebungen von Bundeswehrangehörigen aufzudecken? Wir wollen die Zusammenarbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit den ausländischen Nachrichtendiensten näher untersuchen. Auch was die Stärkung der Zivilgesellschaft angeht, haben wir gehandelt. Als nahezu erste Amtshandlung haben Bundesfamilienministerin Schwesig und Bundesinnenminister de Maizière die sogenannte Extremismusklausel abgeschafft, ein wichtiges Signal für Initiativen und an die Zivilgesellschaft. Für das neue, ab dem 1. Januar 2015 geltende Bundesprogramm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ stehen 30,5 Millionen Euro zur Verfügung. Dabei möchte ich betonen – das war uns immer ganz wichtig –, dass Strukturprojekte ab dem nächsten Jahr mit einer Laufzeit von fünf Jahren planen können. Die mobilen Beratungsteams und die Opferberatung werden gestärkt. Aber das ist nicht das einzige Programm, das wir haben: Vom Bundesinnenministerium gibt es das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“; es ist mit 6 Millionen Euro ausgestattet. Die Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung haben wir in der vergangenen Woche für das Haushaltsjahr 2014 erheblich aufgestockt. Das Bundesprogramm Xenos des Bundesarbeitsministeriums hilft jungen Menschen beim Ausstieg aus der rechten Szene. Auch wenn wir die Marke von 50 Millionen Euro, die wir von der SPD angepeilt haben, noch nicht erreicht haben, stehen dennoch mehr Mittel zur Verfügung als bei der Vorgängerregierung. Wir werden den Verfassungsschutz reformieren. Da sind wir unterschiedlicher Meinung; denn unsere Auffassung ist: Wir brauchen den Verfassungsschutz. Wir werden mit den Verfassungsschutzämtern der Länder Gespräche über eine bessere und effektivere Zusammenarbeit führen. Mir und uns allen ist klar, dass es noch viel zu tun gibt; aber Untätigkeit kann man uns auch nicht vorwerfen. Was allerdings Zeit und Ideen braucht, ist das notwendige Umdenken in den Köpfen; damit beziehe ich mich sowohl auf die Sicherheitsbehörden als auch auf die Gesellschaft. Hier müssen wir Aufklärungsarbeit leisten und Sensibilität schaffen; dabei sind wir alle gefordert. Lassen Sie uns auf diesem gemeinsamen Weg weitergehen. Parteipolitische Alleingänge sind dabei der falsche Ansatz. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin Fograscher. – Zum Abschluss spricht als letzter Redner in der Debatte Dr. Volker Ullrich, Augsburg. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Mordserie der NSU-Terrorzelle hat dieses Land erschüttert. Auch heute Abend gedenken wir der Opfer, und unsere Gedanken sind bei den Angehörigen. Die Konsequenzen, die dieser Staat, der an eine wehrhafte, freiheitlich-demokratische Grundordnung glaubt und sie verteidigt, gezogen hat, sind umfassend. Wir haben uns nicht mit reinem Bedauern zufriedengegeben; der Untersuchungsausschuss hat 47 Maßnahmen aufgezeigt, die kenntlich machen, dass wir lernen und dass dieser Staat weiterhin die Menschenwürde, die Freiheit und den Rechtsstaat verteidigen möchte. Das ist ein -positives Signal. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gabriele Fograscher [SPD]) Es ist auch zu begrüßen, wenn sich eine Fraktion weitere Gedanken macht. Jeder Gedanke, der diesen Staat stärkt, mit seinen Rechten, mit seinen Grundwerten, mit seiner Idee der Freiheit, ist in diesem Hause gerne gesehen. Das Problem ist nur, dass die Grünen mit ihrem Antrag diesen Staat zwar stärken möchten, ihn im Ergebnis aber schwächen würden, weil die Instrumente, die sie vorschlagen, nicht dazu führen würden, dass unsere Demokratie und unser Rechtsstaat stark bleiben. Vielmehr würden sie Angriffspunkte für die Feinde unserer Freiheit schaffen. Das wollen wir in dem Maße nicht tolerieren. Der Verfassungsschutz, meine Damen und Herren, hat im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie schwere Fehler begangen; das ist Konsens in diesem Hohen Hause. Wir müssen uns aber auch vor Augen führen, dass der Verfassungsschutz weitreichende Aufgaben hat. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist keine wertneutrale Verfassung, sondern eine, die sich an der Menschenwürde, an der Gewaltenteilung und an der Rechtsstaatlichkeit orientiert. Diese Werte hat der Verfassungsschutz zu verteidigen, auch mit Mitteln, die möglicherweise im Bereich der geheimdienstlichen Aufklärung angesiedelt sind, weil auch die Feinde unserer Freiheit nicht darauf warten, nur mit legalen Mitteln unsere Grundordnung anzugreifen. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist generell nicht legal, sie anzugreifen!) Ich glaube, vor diesem Hintergrund ist es unsere gemeinsame Pflicht, den Verfassungsschutz dort, wo es notwendig ist, zu reformieren und mehr Kontrolle und mehr Transparenz einzuführen. Es ist unsere Pflicht, die 47 Punkte des Berichts gemeinsam umzusetzen, weil durch diesen Ergebnisbericht des NSU-Untersuchungsausschusses letzten Endes unsere Verfassung und die Menschenwürde in unserem Land gestärkt werden. Aber lassen Sie uns nicht auf den Weg begeben, aus rein parteitaktischem Kalkül heraus Organe zu schwächen; denn das bedeutet letztendlich eine Schwächung unseres Gemeinwesens. Das können wir alle nicht wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dieses Hohe Haus wird genügend Arbeit damit haben, die 47 Punkte des Berichts des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, da sind wir uns ja einig!) Das wird uns in den nächsten Jahren sehr viel Kraft kosten. Aber die Opfer dieser Mordserie, der hohe Wert unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die Würde des Menschen, die Rechtsstaatlichkeit und auch unser Ansehen, das wir durch diese Arbeit gewinnen wollen, sind es wert, dass wir uns gemeinsam und ohne parteipolitische Spielchen auf diesen Weg machen. In diesem Sinne sind alle eingeladen, mitzuwirken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/776 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 2014/2015 (BBVAnpG 2014/2015) Drucksache 18/1797 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu Protokoll gegeben werden.13 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/1797 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Werner, Diana Golze, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundesteilhabegesetz zügig vorlegen – Volle Teilhabe ohne Armut garantieren Drucksache 18/1949 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Sportausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Liebe Kollegen der Linkspartei, ich habe Ihren Antrag gelesen. Ich unterstütze viele Dinge, die Sie darin schreiben. Ja, es besteht Handlungsbedarf. Ja, es müssen mehr Wahlmöglichkeiten für die Menschen mit -Behinderung geschaffen werden. Ja, wir haben ein -gemeinsames Ziel: ein gutes Bundesteilhabegesetz. Neben diversen Meinungsverschiedenheiten, die dann doch bestehen, zum Beispiel bei der Finanzierung, muss ich Ihnen aber vor allem sagen: Auch Rom ist nicht an einem Tage erbaut worden. Vielleicht haben Sie die Komplexität dieses Themas noch nicht ganz erkannt. Aber Sie selbst sprechen von „einer große[n] Lösung“, von „einer grundlegenden und umfassenden Reform“, die im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes nötig ist. Fest steht: Das Bundesteilhabegesetz lässt sich nicht so schnell erarbeiten, wie Sie Anträge schreiben können. Denn es geht hier nicht um eine Kleinigkeit, es geht hier um einen großen Reformprozess, der das Denken, die Strukturen und die Institutionen umfasst. Wir sprechen hier über einige Millionen betroffene Menschen, die direkt auf Teilhabeleistungen angewiesen sind. Eigentlich sprechen wir sogar von 80 Millionen Menschen, die alle gemeinsam das Projekt der inklusiven Gesellschaft vorantreiben müssen. Wir sprechen über Milliarden von Euro, die nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern effektiv und -effizient verteilt werden müssen. Das Geld muss da -ankommen, wo es gebraucht wird und darf nicht in -irgendwelchen Kanälen versickern. Wir sprechen hier über teils mehrere Hundert Jahre alte Strukturen und Institutionen, die nicht alle schlecht sind. Wenn man sich hier so manche Rede anhört, muss man sich schon wundern, wie die tolle und wertvolle Arbeit, die die Menschen für andere Menschen in den bestehenden Institutionen leisten, verunglimpft wird. Ich warne deshalb davor, funktionierende und gewachsene Strukturen aus Prinzip zu zerstören. Wir sollten eher auf ihnen aufbauen, sie flankieren. Wir fangen also nicht bei null an. Das ist im Prinzip gut, vor allem für die Menschen mit Behinderung. Auch konzeptionelle Vorarbeiten wurden schon getan, wie Sie in dem Antrag selbst schreiben. Aber das ist auch einer der Gründe dafür, dass die Reform der Eingliederungshilfe so kompliziert ist. Unterschiedliche Interessen, vor allem die der Betroffenen, müssen -gehört und in ein Bundesteilhabegesetz integriert werden. Das ist der Hauptgrund dafür, dass wir Ihnen, liebe Linke, heute noch kein Bundesteilhabegesetz vorlegen können. Sie selbst geben uns ja sogar bis zum Ende der Legislaturperiode Zeit, das Gesetz vorzulegen. Wie sollten wir dann jetzt, „unverzüglich“, wie Sie fordern, die Eckpunkte dazu schon vorlegen können? Planung und Orientierung sind bei einem Großprojekt wie dem Bundesteilhabegesetz das A und O. Das ist wie beim Wandern: Wenn man da ohne Karte und Kompass einfach drauflos geht, dann geht man die doppelte Strecke und braucht doppelt so lange – wenn es gut läuft. Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, erst einmal die Karte mit dem Höhenprofil zu nehmen und den Weg zu planen. Damit haben wir nun begonnen. Und damit auch die ganze Wandergruppe über die Berge kommt, beteiligen wir sie an den Planungen. So finden wir einen gemeinsamen Weg, der uns – da bin ich mir sicher – über keine bis wenige Umwege an das richtige Ziel führt. Dann legen wir Ihnen ein gutes und durchdachtes Bundesteilhabegesetz vor, ohne dass Sie noch einen Antrag dafür schreiben müssen. Uwe Schummer (CDU/CSU): Die Große Koalition hat sich vorgenommen, die überfällige Eingliederungshilfereform anzupacken. Ein wesentlicher Reformschritt wird sein, die Hilfen für Menschen mit Behinderungen aus der Sozialhilfe herauszuführen. Damit wird dann auch ein wesentliches Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt: Fürsorgeleistungen für Menschen mit Behinderungen werden in Teilhabeleistungen umgewandelt. Dabei geht es nicht nur um eine Reform im Sozialrecht, es geht um einen fundamentalen Paradigmenwechsel. Wir sind dabei, diese Reform zügig und vor allem gründlich voranzutreiben. Die Erwartungen bei den betroffenen Menschen sind verständlicherweise hoch. Aber auch die Kommunen fordern Veränderungen, um die seit Jahren steigenden Ausgaben für Eingliederungshilfen in den Griff zu bekommen. In diesem Spannungsverhältnis befinden wir uns. Dabei wollen wir als Unionsfraktion unseren Fokus auf die Bedarfe von Menschen mit Behinderungen legen, was sie in ihrem Alltag brauchen, um schneller an Hilfen zu gelangen. Wir wollen für sie die Chance auf gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen erreichen. In der Kindertagesstätte, Schule, Ausbildung, im Beruf, beim Wohnen oder in der Freizeit muss künftig der Grundsatz gelten „so viel Teilhabe wie möglich, so viel Unterstützung wie nötig“. Ein zentrales Anliegen ist für uns auch, dass Hilfen zur Teilhabe keine Armutsfalle sein dürfen. Menschen mit Behinderungen, die ein eigenes Einkommen erwirtschaften und daraus Vermögen aufbauen wollen, sollen dies auch tun können. Beruflicher Aufstieg und Altersvorsorge müssen für alle unabhängig von einer Beeinträchtigung möglich sein. Weitere Ziele für ein Bundesteilhabegesetz sind Teilhabeleistungen, die den Bedarf des Einzelnen decken und nicht an einen bestimmten Ort gekoppelt sind. Die Hilfen sollen sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren und nicht umgekehrt. Dazu ist aus Sicht der Union vor allem ein bundeseinheitliches Bedarfsermittlungsverfahren unerlässlich. Für alle Lebensbereiche muss ein generelles Wunsch- und Wahlrecht gelten, sei es die eigene Wohnung oder ein Platz im Wohnheim, die Förder- oder eine Regelschule, die Werkstatt oder der ortsansässige Handwerksbetrieb. Teilhabe hat viele Facetten, und diese müssen für jeden zugänglich sein. Wer Arbeit hat und die Chance bekommt, seine Fähigkeiten und Talente zu entfalten, fühlt sich anerkannt und ist zufrieden. Das gilt für alle Menschen. Mithilfe von Assistenz sind Menschen mit Behinderungen vielfältig in der Arbeitswelt einsetzbar. Das erkennen auch immer mehr Betriebe. Viele schätzen die Fähigkeiten und die Loyalität von Mitarbeitern mit Behinderungen. Sie haben erkannt, dass eine Behinderung nicht automatisch mit einer verminderten Leistung einhergeht. Diese guten Beispiele wollen wir unterstreichen und damit Arbeitgeber, die keine oder nur wenige Mitarbeiter mit Handicap in ihrer Belegschaft haben, zum Umdenken bewegen. Dazu sind Informationen, passgenaue Beratung und neue, flexible Förderinstrumente nötig. Das „Budget für Arbeit“ ist aus meiner Sicht hervorragend geeignet, alternative Wege der Beschäftigung zu gehen. Die bisherigen Modellprojekte auf Landesebene waren erfolgreich. Nun ist es an der Zeit, dieses Instrument bundesweit einzusetzen. In Deutschland arbeiten derzeit fast 300 000 Menschen in einer Werkstatt. Die Zugangszahlen steigen seit Jahren. Damit hat sich ein zweiter Arbeitsmarkt etabliert, der mit der UN-Konvention in diesem Umfang nicht vereinbar ist. Darauf muss das Bundesteilhabegesetz reagieren. Die meisten Eingliederungsleistungen im Arbeitsbereich sind heute an die Werkstatt gekoppelt. Vor allem der Eingangs- und der Berufsbildungsbereich müssen künftig auch für andere qualifizierte, verlässliche und geeignete Anbieter aus der freien Wirtschaft geöffnet werden. Die Quote der Vermittlung der Werkstätten in reguläre Betriebe liegt bundesweit unter 1 Prozent. Ich bin mir sehr sicher, dass diese Quote nicht die tatsächliche Befähigung der Mitarbeiter widerspiegelt. In den Werkstätten sind mittlerweile viele Menschen, die dort schlicht und ergreifend nicht hingehören. Für sie wollen wir Anreize setzen, ihren Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu gehen. Dazu wollen wir vor allem eine Option zur Rückkehr in die Werkstatt garantieren und dafür sorgen, dass ihre sozialrechtlichen Ansprüche bestehen bleiben. Was die Ausbildung angeht, wollen wir weg vom Alles-oder-nichts-Prinzip hin zu einer beweglichen und anpassungsfähigen beruflichen Qualifizierung. Verkürzte Ausbildungszeiten oder Ausbildungsmodule sind Optionen, mit denen sich auch die Kammern und Gewerkschaften in Zukunft auseinandersetzen müssen. Dies sind nur einige Bereiche, die ein Bundesteilhabegesetz neu regeln soll. Viele weitere Schnittstellen gehören noch dazu, etwa die Kinder- und Jugendhilfe oder die Pflege. Wir stehen vor einer komplexen Strukturreform, die intensiv vorbereitet werden muss. Deswegen wird bereits ab der kommenden Woche eine hochkarätig besetzte Arbeitsgruppe im zustän-digen Ministerium mit den Vorarbeiten für einen -Gesetzentwurf für ein Bundesteilhabegesetz beginnen. 15 Vertreterinnen und Vertreter von Menschen mit Behinderungen werden dieser Arbeitsgruppe angehören. Sie repräsentieren alle wesentlichen Gruppen von Menschen mit Behinderungen. Diese unmittelbare Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren ist nicht selbstverständlich und zeigt, wie ernst diese Bundesregierung die Forderung der Menschen mit Behinderungen „Nichts über uns ohne uns“ nimmt. Diese Koalition macht sich auf, die Verantwortung für ein Bundesteilhabegesetz zu übernehmen. Damit gehen wir eine große Verpflichtung gegenüber den rund 10 Millionen schwerbehinderten Menschen in Deutschland ein. Daher gilt für uns der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“ Und dieser Grundsatz ist mit einem Inkrafttreten vor 2017 vereinbar. Kerstin Tack (SPD): Spätestens mit dem im Jahre 2006 vereinbarten Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vollzog sich ein Paradigmenwechsel in der Politik für Menschen mit Behinderungen. Menschen mit Behinderungen werden nicht länger als Objekte der Fürsorge betrachtet, sondern als eigenständige Individuen mit individuellen Stärken und Schwächen. Es ist das Bewusstsein gewachsen, dass auch Menschen mit Behinderungen ein Recht auf Selbstbestimmung und umfassende Teilhabe am Leben in der Gesellschaft haben und geltend machen können. Bereits 147 Staaten haben die im Jahre 2008 in Kraft getretene UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unterzeichnet und ratifiziert. Die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete die Konvention als einer der ersten Staaten im Jahr 2007 und ratifizierte diese zwei Jahre später. Dies führte dazu, dass die Bundesregierung zum ersten Mal einen nationalen Aktionsplan sowie einen Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorlegte. Die einzelnen Bundesländer zogen nach und veröffentlichten ihrerseits umfangreiche Maßnahmenpakete zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen. Mit den verschiedensten Projekten wird in den Städten und Gemeinden mittlerweile auch ganz unkonventionell versucht, dafür zu sorgen, dass Menschen mit und ohne Behinderungen von Anfang an gemeinsam aufwachsen, zusammen lernen, in einem Betrieb arbeiten und ihre Freizeit miteinander verbringen. Denn nur so lassen sich die grundlegendsten Hindernisse überwinden: die Barrieren in den Köpfen. Die vielzähligen Anträge der SPD-Bundestagsfraktion zur Verbesserung der Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen sowie die vielzähligen Handlungsaufträge hierzu im Koalitionsvertrag zeigen, dass wir seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention alles daransetzen, diese Konvention zu erfüllen und ihrer Forderung nach umfassender gesellschaftlicher Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gerecht zu werden. Eines der wohl bedeutendsten Vorhaben in dieser Legislaturperiode wird die Erarbeitung eines Bundesteilhabegesetzes sein. Auch dies haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir wollen ein modernes Teilhabegesetz, das den Bedürfnissen und besonderen Belangen von Menschen mit Behinderungen Rechnung trägt. Vor diesem Hintergrund ist es auch zu verstehen, dass das neue Bundesteilhabegesetz im Jahr 2016 verabschiedet werden soll. Wir wollen, dass das Bundesteilhabegesetz noch in dieser Legislaturperiode in Kraft tritt. Dafür setzen wir uns ein. Wir wollen aber auch ein Bundesteilhabegesetz, dessen Inhalt hält, was der Name verspricht. Wir wollen eine wirkliche Verbesserung im Bereich der Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderungen erreichen. Und wir wollen, dass die Betroffenen und ihre Interessenverbände an der inhaltlichen Entwicklung und Ausgestaltung des Gesetzes aktiv beteiligt sind. Das sind unsere Ansprüche. Die werden wir erfüllen. Von diesem Anspruch wollen und werden wir nicht abweichen. Denn gemäß dem Motto „Nichts über uns ohne uns!“ sind Menschen mit Behinderungen Expertinnen und Experten in eigener Sache. Ihre Beteiligung am Entstehungsprozess des Gesetzes ist insofern auch ein Ausdruck ihrer Selbstbestimmung, und die werden wir ihnen nicht nehmen. Wir freuen uns daher, dass das für das Gesetz federführende Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen breit angelegten Beteiligungsprozess noch vor der Vorlage eines ersten Gesetzentwurfes anstrebt. Bis dahin werden wir uns weiterhin mit den notwendigen Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz auseinandersetzen, noch offene Fragen klären und mögliche Lösungswege erarbeiten. Zudem hat das BMAS seinen Zeitplan zur Entwicklung des Gesetzes bereits vorgelegt. Dieser ist allen Fraktionen bekannt. Der Zeitplan zeigt, dass das BMAS den Entwurf des Bundesteilhabegesetzes zügig und ohne Umschweife erarbeiten wird. Insofern entspricht dieser den Forderungen des vorliegenden Antrages. Diana Golze (DIE LINKE): Inklusion ist ein Lebensentwurf – ein Weg für Gesellschaftsgestaltung und Veränderung. Es geht also bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht um abstrakte Paragrafen. Es geht darum, allen Menschen gleichberechtigt Chancen zu eröffnen. Es geht darum, nach seinen Fähigkeiten in regulären Schulen lernen und in Unternehmen arbeiten zu können, wohnortnah Kultur zu genießen und medizinisch gut versorgt zu sein, jede Behörde barrierefrei nutzen und alle politischen Rechte ausüben zu können. Die dafür erforderlichen behinderungsbedingten Nachteilsausgleiche und inklusiven Rahmenbedingungen muss die Politik schaffen. Dieser Prozess verläuft in Deutschland zu langsam, obwohl die Bundesrepublik doch so gern ihre Vorreiterrolle betont. Noch immer leben wir mit der politischen Fehleinschätzung, in Deutschland seien viele Anforderungen der UN-Konvention bereits umgesetzt und deshalb bestehe kaum Handlungsbedarf. Doch diese Selbstzufriedenheit ist völlig fehl am Platz. In allen gesellschaftlichen Bereichen bestehen erhebliche Defizite. Auch wenn die Zahl von beschäftigten Menschen mit Behinderung absolut gewachsen ist: Die Arbeitslosenquote unter Menschen mit Behinderung ist doppelt so hoch wie unter Menschen ohne Beeinträchtigungen. Überproportional viele sind langzeiterwerbslos. Zugleich sondert die Parallelgesellschaft Werkstätten für behinderte Menschen weiterhin aus. Die Zahl der dort Beschäftigten wächst, die Vergütungen für ihre Arbeit jedoch kaum. Die als wichtiges Ziel gestellte Vermittlung in den regulären Arbeitsmarkt geschieht in so geringem Maße, dass man auch hier den Tatsachen ins Auge schauen muss: Diese Werkstätten erfüllen ihren gesetzlichen Auftrag nicht, der nun einmal genau in dieser Vermittlung besteht. Auch die – zugegeben wachsenden – Anstrengungen hin zu einer inklusiven Bildungslandschaft reichen nicht aus. Die Inklusionsrate in den Schulen stagniert seit Jahren auf niedrigem Niveau. Realität ist, dass Förderschulen zwar geschlossen werden, der notwendige Ausgleich barrierefreier Bedingungen in den -Regelschulen aber nicht entsprechend vorgenommen wird. Es fehlt an inklusiven Lehrplänen im Lehrer-studium ebenso wie an der ausreichenden Personalausstattung vor Ort. So erleben Familien mit behinderten Kindern, dass sie im Namen der Inklusion weitere Schulwege und zusätzliche Belastungen in Kauf nehmen müssen, ohne die entsprechenden Bedingungen vorzufinden. So wird eine tragende Idee der UN-Konvention konterkariert und gerät in den Verruf, ein Sparmodell zu sein. Wie so oft wird für die Lösung all dieser Probleme auf die Zuständigkeit der Länder verwiesen. Dabei wird außer Acht gelassen, dass es bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention um eine klare und stärkere Bundesverantwortung geht. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung internationale Abkommen zeichnet und die Länder und Kommunen auf der Umsetzung sitzen bleiben. Alle sozialen Aufgaben, die der Bund dorthin delegiert, müssen auch entsprechend finanziell unterlegt werden. Entlastungspakete, die sich nicht selten als Nullsummenspiel wenn nicht gar als Minusgeschäft für die Städte und Gemeinden -entpuppten, können und dürfen nicht die Lösung sein. Aus politischen Verpflichtungen, die der Bund eingegangen ist, darf er sich nicht mit taschenspielartiger Zahlenakrobatik verabschieden. Denn die Umsetzung der in den Artikeln der UN-Konvention formulierten Menschenrechte ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Menschen mit Behinderung haben das gleiche Recht auf eine aktive Beteiligung. Sie muss in gleichem Maße gesichert sein wie Teilhabe von Menschen ohne Behinderung und darf nicht von privaten finanziellen Möglichkeiten und erst recht nicht vom Zufall des Wohnortes abhängen. Dazu gehört auch die Ermöglichung der Teilhabe an einem der Lieblingsprojekte der Bundespolitik der vergangenen Jahre. Bürgerschaftliches Engagement und eine Kultur der Mitverantwortung gewinnen als Wege zur Gestaltung der Gesellschaft in einer freiheitlichen, demokratischen Wirtschaftsordnung im Zuge dessen an Bedeutung. Engagement trägt zur Sicherung und Stärkung des Zusammenhaltes der Gesellschaft bei. So heißt es im ersten Engagementbericht der Bundesregierung. Dass Menschen mit Behinderung hierin keine Rolle spielen, spricht eine deutliche Sprache. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass eine aktive Arbeit in einem Vereinsvorstand oder in einem Verband daran scheitert, dass es an einer persönlichen Assistenz für Menschen mit Behinderung fehlt. Es besteht also hoher Handlungsbedarf und ich hoffe, dass unser Antrag endlich eine Debatte anstößt, um die sich die Bundesregierung nicht länger drücken kann. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Probleme sind bekannt, seit Jahren: Menschen mit Behinderungen erleben Diskriminierungen in fast allen Lebensbereichen. So ist teilweise der Wohnort entscheidender für Qualität und Umfang der Unterstützungsleistungen und nicht die Frage, wie viel -Unterstützung gebraucht wird. Und Deutschland ist noch weit davon entfernt, barrierefrei zu sein: Versuchen Sie mal kurzfristig eine Unterkunft zu finden für eine -Reisegruppe von zehn Personen, in der vier Leute Rollstuhl fahren, zwei ihre Assistenten im Zimmer haben müssen und niemand ein Auto hat. Versuchen Sie mal, in ermüdenden Auseinandersetzungen darüber, wer Ihre Teilhabeleistungen finanzieren muss, nicht den Mut zu verlieren. Mit Blick auf die Probleme, denen Menschen mit Behinderungen im Alltag begegnen, ist die Frustration über das Schneckentempo des politischen Prozesses durchaus verständlich. Schließlich ist es diese Woche 20 Jahre her, dass Artikel 3 unseres Grundgesetzes um einen entscheidenden Satz ergänzt wurde: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Die Linksfraktion formuliert in ihrem Antrag eine Reihe von Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz, das Antwort auf die genannten Probleme sein soll. Sie nimmt viele Forderungen auf, die seit Jahren von unterschiedlichen Seiten genannt werden. Ich freue mich, dass wir mit diesem Antrag im Zuge des parlamentarischen Beratungsprozesses die Gelegenheit haben, ein wenig konkreter zu werden. Denn was von den Koalitionsfraktionen bisher kommt, ich habe das schon mehrfach angemerkt, sind große Töne – und wenig mehr. Da wird viel Richtiges gesagt: Zumindest hier im Bundestag scheint sich niemand mehr wirklich zu trauen, für die Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf Teilhabeleistungen zu argumentieren. Das hilft aber nichts, solange wir weiter vertröstet werden. Es ist richtig, komplexe Gesetze mit der dafür nötigen Ruhe und Zeit zu erarbeiten. Es ist richtig, die Möglichkeit zur Beteiligung zu eröffnen und auf die Kompetenz von Menschen mit Behinderungen als -Expertinnen und Experten in eigener Sache zurückzugreifen. Aber es ist falsch, in der parlamentarischen Auseinandersetzung immer nur das zu sagen, was alle hören möchten, ohne sich mit den Niederungen der -Arbeit am Detail zu befassen. Kommen Sie aus Ihrer Deckung, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD. Ich möchte hier endlich über verschiedene Vorschläge diskutieren und die politischen Differenzen sichtbar machen. Denn auch wenn in allen Fraktionen Abgeordnete sich im Sinne von Menschen mit Behinderungen stark machen: Es stimmt auch, dass wir nicht alle einer Meinung sind, nur weil es um Menschen mit Behinderungen geht. Die Qualität des Bundesteilhabegesetzes wird sich daran messen lassen, wem es zugutekommt. Ich bin bisher nicht überzeugt, dass das alle Menschen mit -Behinderungen sein werden. Wenn ich mir die Vorschläge angucke, die bisher kursieren, dann stehen nicht diejenigen mit besonders hohem Unterstützungsbedarf im Vordergrund. Lassen Sie uns gemeinsam -darauf hinwirken, dass sich das ändert. Und, liebe Bundesregierung: Legen Sie endlich überhaupt irgendetwas vor. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1949 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes Drucksachen 18/1780, 18/1966 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/1983 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Kordula Kovac für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Kordula Kovac (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir wollen heute über den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes abstimmen. Erlauben Sie mir dazu einen kurzen persönlichen Einstieg. Vatertag in Südbaden: Mann und Frau, ja, die ganze Familie sitzt bei Musik an der Wanderhütte Baßgeige und lässt den Blick über die herrliche Kaiserstuhl-Landschaft, vor allem über die Weinberge schweifen. – Ortswechsel. Rheinland-Pfalz: Ein herrlicher Sommertag in St. Martin bei Edenkoben mit Blick auf das Hambacher Schloss. Der ganze Ort ist dabei, wenn die traditionelle Wanderung in den Weinbergen stattfindet, und bewirtet die Gäste mit Köstlichkeiten. Ich könnte jetzt noch die anderen traditionsreichen Weinbaugebiete in Deutschland nennen: Franken, Rheinhessen, Pfalz, Saale-Unstrut, die Steillagen der Mosel und den Rheingau. Bei allen ist eines gleich: die Liebe der Menschen in den Regionen zu ihren Weinbaugebieten und der Stolz auf die damit verbundenen Kulturlandschaften, die ihre Vorfahren über viele Jahrhunderte hinweg gehegt und gepflegt haben. Diese Kulturlandschaften gilt es zu erhalten; denn wir dürfen nicht vergessen: Der Weinbau ist eines der ältesten Kulturgüter Deutschlands. Seit mehr als 2 000 Jahren wird bei uns Wein hergestellt. Heute nimmt Deutschland einen Spitzenplatz unter den weinanbauenden Ländern ein. Die deutsche Weinwirtschaft erzeugt ausgezeichnete Produkte, die für Lebensqualität und Tradition stehen. Die Winzer leisten einen wertvollen Beitrag zum Erhalt dieser Kulturlandschaft, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) für den Tourismus in den Anbaugebieten und schaffen zudem noch Arbeitsplätze. Dafür, dass uns dies erhalten bleibt, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir als CDU/CSU uns ein. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Wir auch!) – Gut. Danke. Mit aktuell knapp 100 000 Hektar Ertragsrebfläche gehört Deutschland im internationalen Vergleich zwar zu den kleineren Erzeugerländern, die Qualität unserer Spitzenweine braucht den Vergleich mit Produkten aus Frankreich oder Italien aber nicht zu scheuen. Im Gegenteil. In Deutschland haben wir die besten Voraussetzungen, qualitativ hochwertigen und regionaltypischen Wein zu erzeugen und uns im weltweiten Wettbewerb zu behaupten. Unsere Weine sind weltweit begehrt. (Beifall bei der CDU/CSU) Neben dem Absatz in Übersee – zu nennen sind vor allem Kanada und Japan, aber auch China – entwickelten sich auch die Exporte ins europäische Ausland besonders -positiv: nach Norwegen, nach Schweden und in die Niederlande, welches mittlerweile den zweiten Rang in der deutschen Exportstatistik einnimmt. Gründe für diese erfreuliche Entwicklung sind unter anderem eine positive Medienberichterstattung und eine wachsende Wertschätzung in der internationalen Fachwelt. Damit unsere Weine in Zukunft von dieser Entwicklung vielleicht sogar noch stärker profitieren können, wollen wir heute das von der Bundesregierung Ende April beschlossene Achte Gesetz zur Änderung des Weingesetzes verabschieden. (Beifall bei der CDU/CSU) Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir die entsprechende EU-Verordnung über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse – kurz GMO – in nationales Recht um. Durch die neuen Fördertatbestände im Rahmen der Stützungsprogramme werden die deutschen Winzer von der neuen EU-Maßnahme zur Absatzförderung auf dem Binnenmarkt erheblich profitieren. Gleichzeitig wird der Bundeshaushalt jedoch nicht belastet. Die besondere Bedeutung der herkunfts- und gebietsbezogenen Absatzförderung wurde auch vom Bundesverfassungsgericht kürzlich noch einmal besonders betont. Auch werden mit dem neuen Gesetz schnell und unkompliziert die Voraussetzungen geschaffen, geografische Angaben auch für aromatisierte Weinerzeugnisse zu schützen. Lassen Sie uns das Gesetz heute verabschieden, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit unsere Erzeuger frühzeitig vor Inkrafttreten der neuen EU-Regelung entscheiden können, ob und inwieweit sie heimische Produkte mit einer geschützten Angabe versehen möchten. Wir wollen vor allem die kleinen und mittelständischen Familienbetriebe unterstützen, indem wir dem deutschen Wein eine bessere Profilierung auf dem Weinmarkt ermöglichen. Gleichzeitig haben wir die Verbraucher im Blick, die von der verbesserten Information profitieren. Das neue Gesetz erlaubt künftig die Nennung einer kleineren, gekoppelten Einheit wie einer Katasterlage zusätzlich zur Einzellage. Das ist für die Herausstellung von Spitzenlagen sinnvoll, zumal der Trend im Wein-export verstärkt zum Absatz höherwertiger Weine geht. Klasse durch Qualität ist gefragt. Darin liegt die Chance des deutschen Weins. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Regionen in Deutschland sind mit dem Weinbau sehr eng verbunden. Gestatten Sie mir, dass ich bei meiner ersten Rede in diesem Hohen Hause zum Schluss etwas persönlich werde. Seit 27 Jahren haben mein Mann und ich in Südbaden eine wunderbare Heimat gefunden. Da ich nun auch mit dem Bergbau – im wahrsten Sinne des Wortes – verheiratet bin, möchte ich an dieser Stelle mit zwei Zeilen aus dem Badnerlied enden: Zu Haslach gräbt man Silbererz, Bei Freiburg wächst der Wein. Ich denke, sowohl im Parlamentarischen Weinforum als auch im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft haben wir über diesen Gesetzentwurf gut und einmütig diskutiert. Deshalb meine Bitte an die Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns mit dieser Gesetzesänderung die Weichen dafür stellen, dass auch in Zukunft der Weinbau in Deutschland im Sinne der Bürgerinnen und Bürger sowie der Winzerinnen und Winzer weitergeht. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Kovac, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich denke, ich spreche im Namen des gesamten Hauses, wenn ich Ihnen für Ihre Arbeit viel Erfolg wünsche. (Beifall) Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der lebhaften Glückwünsche herrscht offensichtlich ein gewisses Missverständnis. Wir sind noch in der Debatte zum Thema Weingesetz. (Zuruf von der LINKEN: Ich dachte, jetzt wird der Wein serviert!) – Die Verkostung und andere Dinge sollten wir auf die Zeit nach dem Abschluss der heutigen Tagesordnung verschieben. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: War das eine Einladung?) Der Beitrag der Fraktion Die Linke durch den Kollegen Roland Claus wurde zu Protokoll gegeben.14 (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo er doch so aktiv ist!) Er hat darauf aufmerksam gemacht, dass es, wie die Kollegin Kovac eben schon dargestellt hat, im Vorfeld der heutigen Debatte zwischen den Fraktionen sehr viel Übereinstimmung gab, und durch seinen Vortrag keine Widersprüche aufgetaucht wären. Das Wort hat nun der Kollege Gustav Herzog für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gustav Herzog (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will eine Äußerung des Kollegen Claus zitieren. Am Montag hat er gesagt: Am Donnerstagabend, in der Debatte zum Weingesetz, wird der Bundestag seinen ganzen Charme entfalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN) – Da klatscht sogar die Union, wenn ein Linker zitiert wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Woche gab es hier im Hohen Hause eine ganze Reihe von strittigen Auseinandersetzungen. Das ist auch gut so, weil wir darum ringen, den besten Weg zum richtigen Ziel zu finden. Aber es gibt auch Themen, bei denen wir uns sehr einig sind. Dass das bei diesem Thema der Fall ist, war schon am vergangenen Montag, beim Parlamentarischen Weinforum, festzustellen. Frau Kollegin Kovac, Sie haben darauf hingewiesen, dass sich Saale-Unstrut hervorragend präsentiert hat. Wir konnten uns sozusagen auf die Woche einstimmen. Jetzt ist die Materie etwas trockener. Es geht um die achte Änderung des deutschen Weingesetzes. Es liegt auch ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen vor, mit dem wir eine Anregung des Bundesrates aufgenommen haben. Es geht darum, die Gelder, die uns die Europäische Union zur Weinförderung zur Verfügung stellt, einem größeren Kreis zuzuführen. Insbesondere für die Kolleginnen und Kollegen, die nicht so sehr in der Materie stecken, muss man sagen: Als wir 2007 die große Weinreform durchgeführt haben, haben wir uns entschieden, nicht länger zu reparieren, indem wir Übermengen destillieren oder den Einsatz von RTK subventionieren, sondern das Geld zu nehmen, um die europäische, um die deutsche Weinwirtschaft wettbewerbsfähig zu machen, um die Qualität zu steigern. Das sind fast 40 Millionen Euro, die jedes Jahr der Weinwirtschaft in Deutschland zur Verfügung stehen. Wir haben damals gesagt – ich glaube, das war eine kluge Entscheidung –, dass wir 1 Million Euro nicht den Ländern und den Weinbaugebieten zur Verfügung stellen wollen, sondern über das Deutsche Weininstitut ausgeben, um insbesondere Exportförderung zu betreiben. Diese Summe werden wir auf 1,5 Millionen Euro erhöhen. Das ist gut für den deutschen Wein, weil die so geförderten Maßnahmen dafür sorgen werden, dass die Qualität steigt, dass wir wettbewerbsfähiger werden und der Absatz steigt. Konkret geht es um Umstrukturierungen im Weinberg, Investitionen in die Kellerwirtschaft und um Verbraucheraufklärung. Im Parlamentarischen Wein-forum haben wir uns vorgenommen, dies gemeinsam mit den Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss und mit der Drogenbeauftragten, Kollegin Marlene Mortler, umzusetzen. Zu der Frage der Absatzförderung gab es in der letzten Woche eine wichtige Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dazu geäußert. Es lohnt sich, die Pressemitteilung zu dieser Entscheidung zu lesen. -Daraus könnte man vieles zitieren, nicht nur die gute Nachricht, dass der Weinfonds grundgesetzkonform ist, sondern auch, dass das höchste deutsche Gericht festgestellt hat: Ein Aufgabenschwerpunkt des Weinfonds ist die Qualitäts- und Absatzförderung. – Ich sage bewusst: Es geht auch um die Qualitätsförderung, nicht nur darum, die Menge an den Kunden zu bringen. Als überzeugter Sozialdemokrat und Republikaner muss ich aber auch sagen: Es gibt da etwas, bei dem ich im Hinblick auf die Monarchie schwach werde. Auch die Deutsche Weinkönigin ist durch dieses Urteil gerettet worden, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) weil es nämlich das Deutsche Weininstitut ist, das hochqualifizierte Frauen aus der deutschen Weinwirtschaft gewinnt, die ein Jahr lang unsere hervorragenden Produkte in der ganzen Welt vertreten. Was die Exportförderung betrifft, kann ich jedem, der die Gelegenheit hat, empfehlen, die entsprechenden Berichte zu lesen. Wenn man beispielsweise an Messeauftritte in China denkt, kann man nur sagen: Da ist jeder Euro gut angelegt. Gut gefallen an der Entscheidung hat mir die Aussage, dass eine privatwirtschaftliche Organisation nicht so erfolgreich wäre wie diese Anstalt des öffentlichen Rechts. Ich glaube, es ist auch ein Signal an uns Parlamentarier, die wir den Weinfonds ja per Gesetz eingerichtet haben, dass dies eine kluge Entscheidung war. Da ich auch Mitglied im Absatzförderungsfonds der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft bin, kann ich Ihnen sagen: Hier wurde die Verfassungsmäßigkeit ja nicht festgestellt, und wir sehen, dass es keine private Organisation gibt, die so etwas leisten kann. Es geht also nicht darum, die Menge zu erhöhen, sondern darum, die -Qualität und den Preis und damit das Einkommen der Winzerinnen und Winzer, der Genossenschaften und der Kellereien zu erhöhen. Was die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betrifft, muss man aber auch einen kleinen Tropfen -Wasser in den Wein gießen. Sie wurde nämlich auch mit Bezug auf Weinskandale, die Jahrzehnte zurückliegen, begründet. Ich glaube, damit hat der deutsche Weinbau überhaupt nichts mehr zu tun. Da sind wir einige Schritte weiter. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zum Abschluss ein Thema ansprechen, das uns in der zweiten Jahreshälfte beschäftigen wird. Es geht um das Pflanzrechteregime. Die Europäische Kommission ist der Auffassung, nicht wir als Nationalstaat sollten darüber -entscheiden, wo in unseren Weinbaugebieten Wein angepflanzt wird, sondern sie würde das gerne freigeben. Aber in diesem Haus herrscht Übereinstimmung: Wein ist ein Kulturgut, und wir wollen keine industrielle Massenproduktion. Deswegen sage ich von dieser Stelle aus schon heute: Wir werden gemeinsam dafür kämpfen, dass wir weiterhin darüber entscheiden können, wo Wein angebaut wird, damit die Steilhänge an der Mosel und andere Flächen in Deutschland weiterhin ihren Beitrag als Kulturlandschaft leisten können. Damit schaffen wir den Rahmen für unsere Winzerinnen und Winzer, für die Kellereien und für die Genossenschaften. Das Ergebnis ist ein hervorragendes Produkt, das uns hoffentlich auch heute Abend, wenn die Sitzung beendet ist, Frau Präsidentin, schmecken wird. Wir stimmen dem Gesetzentwurf aus Überzeugung gerne zu. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Markus Tressel das Wort. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluss des Tages geht es um ein schönes Thema mit großem Konsensfaktor. Liebe Kollegin Kovac, eines muss ich Ihnen allerdings übel nehmen: Sie haben bei der Aufzählung der schönen Weinregionen das Saarland vergessen. Die Kollegin Ferner und ich haben auch ganz betroffen geguckt, weil wir die ganze Zeit darauf gewartet haben, dass Sie auch das Saarland nennen. Aber wir sehen es Ihnen nach. Das war heute ja Ihre erste Rede. Vielleicht nennen Sie das Saarland beim nächsten Mal ganz zu Anfang. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weinbau in Deutschland stärkt die regionale Wertschöpfung, er schafft – die Kollegin und der Kollege, die vor mir gesprochen haben, haben das ja bereits gesagt – Arbeitsplätze auf dem Land, und er fördert den Tourismus in einzigartigen Kulturlandschaften, die von Weinbergen, Steilterrassen und Trockenmauern geprägt sind. Diese landwirtschaftliche Attraktivität gilt es zu bewahren. Für die enorme wirtschaftliche Bedeutung des Weinbaus für den ländlichen Raum setzen wir hier und heute mit dieser Novelle des Weingesetzes die Rahmenbedingungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Gustav Herzog [SPD]) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung passt das deutsche Weingesetz an Änderungen im EU-Recht an. Mit den Neuerungen beschreiten wir den richtigen Pfad, den wir in der Weingesetzgebung ja schon länger im Konsens gehen. Auch das haben die Kollegin und der Kollege vor mir ja bereits gesagt. Wir fördern die Qualität des Weins aus Deutschland. Das ist gut für die Wirtschaft, für die Regionen und nicht zuletzt für das Image unseres Landes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Gustav Herzog [SPD]) Bei den neuen Stützungsprogrammen für den Weinsektor begrüßen wir besonders, dass die Gelder auch für die Aufklärung über gesundheitliche Auswirkungen des Weinkonsums genutzt werden können. So wird die -Absatzförderung aus Perspektive der Gesundheit auch kritisch begleitet. Auch die neuen Verfahren, die Herkunft des Weins oder des Weinerzeugnisses anzugeben, schaffen -Transparenz und ermöglichen eine bewusste Kaufentscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Davon profitiert auch die Weinwirtschaft. Die Regelungen zu den Herkunftsangaben sorgen nämlich dafür, dass nur der Wein einen guten Namen trägt, der den guten Namen auch verdient. Ein hochqualitativer Wein kann mit dem guten Image seines Namens für sich werben. Der Grundsatz „Klasse statt Masse“ ist die Stärke der deutschen Weinwirtschaft. Das soll auch so bleiben, und das erreichen wir auch mit diesem Gesetzentwurf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Der Kollege Herzog hat es bereits gesagt: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung über den Deutschen Weinfonds getroffen. Wir freuen uns, dass das Bundesverfassungsgericht den Deutschen Weinfonds und seine Finanzierung vollumfänglich bestätigt hat, und auch ich kann von dieser Stelle aus nur noch einmal begrüßen: Das sorgt nicht nur dafür, dass wir den Absatz weiter vorantreiben können, sondern das sichert auch die Existenz der Deutschen Weinkönigin. Diese Pointe hat der Gustav Herzog eben vorweggenommen, (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD) aber ich möchte das an dieser Stelle auch nicht unerwähnt lassen. Trotz dieser erfreulichen Entwicklung gibt es in der Weingesetzgebung natürlich auch Gefahren für eine -qualitätsorientierte Zukunft des Weinbaus. Der Kollege Herzog hat das Pflanzrechteregime angesprochen. Hier brauchen wir eine Lösung, die den Qualitätsweinbau in diesem Land garantiert. Wir wollen keine Produktionsausweitung in die Flachlagen. Das würde den Preisdruck verschärfen und hätte einen Qualitätsverlust zur Folge. Das kann nicht unser Ziel sein. Deswegen müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass das in dieser Form nicht kommt. Ich muss an dieser Stelle auch das Freihandelsabkommen TTIP nennen, ohne dass ich hier jetzt eine grund-legende Debatte zum Thema TTIP führen möchte. Auch das kann Auswirkungen haben, etwa dann, wenn es um die geschützten regionalen Herkunftsbezeichnungen für Wein in der EU geht, die es in den USA nicht gibt. Das sollten wir auf dem Schirm haben, wenn wir über dieses Thema sprechen. Einen Punkt möchte ich noch ansprechen: Die globale Erwärmung ist natürlich auch eine große Gefahr für die Weinwirtschaft. Diese müssen wir in Zukunft auch in unsere Beratungen mit einbeziehen. Deutliche Veränderungen bei Vegetationsphasen, Reifedauern und dem -Lesebeginn: Hier gibt es viel zu tun. Deswegen muss die Bundesregierung an dieser Stelle auch etwas für den -Klimaschutz tun. Das wird klar, wenn wir über die -Weinwirtschaft sprechen. Heute liegt ein Gesetzentwurf vor, den wir voll unterstützen und dem wir zustimmen werden, da er die Qualität des Weins fördert, die gesundheitliche Aufklärung über den Weinkonsum unterstützt und – das ist ganz wichtig – die regionale Wertschöpfung im ländlichen Raum stärkt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Norbert Schindler für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Norbert Schindler (CDU/CSU): Einen schönen guten Abend zu diesem Dämmerschoppengespräch! Den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes werden wir einstimmig verabschieden. Seit über 2 000 Jahren haben wir in Deutschland eine Weintradition, vor allem in den Flussniederungen an Mosel und Rhein. Auch die Saale-Unstrut-Region muss man nennen, aber im Osten gab es den Weinbau erst circa 1 000 Jahre später, wobei es nicht die Römer waren, die den Wein dorthin brachten. Trotzdem ist es ein sehr gutes Kulturgut. Die Auseinandersetzung ist aktuell – darauf komme ich zum Schluss noch einmal – wir müssen mit der Europäischen Union noch einmal das Rebpflanzrechteregime für die Zukunft abgleichen. Ich war bis zur Weitergabe der Verantwortung an meinen eigenen Sohn aktiver -Winzer: Ich kann aus Trauben Wein machen. Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, um ein erfolgreicher Winzer zu sein. – Was Gustav Herzog schon sagte: Vor acht -Tagen haben wir angesichts des zu erwartenden Urteils in Karlsruhe die Luft angehalten und uns gefragt: Wie urteilt das Bundesverfassungsgericht beim Weinfonds – wir haben darüber debattiert – im Vergleich zur CMA? Leider hat das Gericht in Karlsruhe da verkehrt entschieden. (Gustav Herzog [SPD]: Richtig!) Da wurde uns ein wichtiges Mittel aus der Hand genommen. Gott sei Dank hat diese Einsicht beim deutschen Weinbau getragen. Ein Grund dafür war vielleicht der Sturm der Entrüstung und die Tatsache, dass wir schon viele Strukturen in Deutschland auflösen mussten. Das haben wir alles schon erlebt. Ich bin nicht nur wegen des Überlebens der Weinköniginnen froh, sie hätten auch dieses Urteil überlebt. Aber dass die Weinwirtschaft dieses Mittel zur Strukturförderung in den Händen behält, war so selbstverständlich nicht. Wir haben uns wirklich große Sorgen gemacht. Mit diesem Änderungsgesetz geben wir in der Frage der Zuordnung von Werbemitteln den Bundesländern, aber vor allem der Weinwirtschaft, noch einmal erweiterte Möglichkeiten. In der leidigen Frage, wie wir mit Weinen mit hohem Säureanteil umgehen, erhalten die Länder die Verfügungsgewalt. Wir führen keine großen Debatten, bis die Europäische Union ein Genehmigungsverfahren durchführt; denn solche Verfahren sind in der Regel abgeschlossen, wenn der Wein schon vergoren ist. Dass wir dieses Ärgernis jetzt ausräumen, ist gut, so können wir vernünftige Ziele erreichen. Meine Damen und Herren, angesichts der erfolgreichen Entwicklung, die wir politisch vorgegeben haben, erinnere ich – so lange begleiten wir schon die Änderungen des Weingesetzes – an die Dubliner Beschlüsse von 1984. Damals übernahm ich immer mehr die Verantwortung. Es ging darum, den Winzern beizubringen: Weniger ist mehr! Keine Massenproduktion wie bei Henry Ford mehr, sondern Qualitätsstreben. Das hat einige führende Personen das Amt und uns, die CDU, damals in Rheinland-Pfalz die Mehrheit gekostet. (Gustav Herzog [SPD]: Nicht nur deswegen!) Das war eine bittere Erkenntnis. Heute sind alle wie nach einer Flurbereinigung dabei und sagen: Das haben wir schon immer so gemacht. Aber ich habe das in meiner Jugendzeit als Verantwortlicher im Weinbau erlebt. Wie erfolgreich wir heute mit unserem Qualitätsstreben sind, zeigen die guten Ergebnisse bei internationalen Messen von Paris bis Bordeaux und natürlich beim Wettbewerb unserer Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz. Was uns drückt, ist folgendes Problem: Wie gehen wir mit der Rebflächenausweitung um? Wir wollen keine Massenstückgutproduktion, bei der es nach altem europäischen Denken heißt: Wein kann man überall erzeugen. – Wir wollen auch keine Fraktionierungsmaßnahmen, wie sie in Neuseeland oder in den USA selbstverständlich sind. Der freie Geist der Europäischen Union in den Vorlagen hat schon viel Verärgerung ausgelöst. Dass wir uns übereinstimmend über alle Landesregierungen, über alle Parteien hinweg gegen diese multiliberalen Vorstellungen seitens der Europäischen Kommission gewehrt haben und wir auch jetzt bei der Ausweisung von Rebflächen eine restriktive Haltung eingenommen haben, ist ein guter Start in der Auseinandersetzung mit den privilegierten Rechtsakten seitens der Europäischen Union, die in den nächsten Wochen erwartet werden. Wir werden in diesem Haus im Oktober oder im November dieses Jahres in dieser sehr strittigen Frage mit der Kommission mit Sicherheit noch einmal heftig debattieren müssen. Es geht um unsere Qualitätsphilosophie. Wir wollen keine fraktionierten Weine, die – wie man das in Kalifornien erleben kann – am Computer wieder zusammen-gesetzt und dann wie die Light-Version von Cola auf den Weltmarkt gebracht werden. Vielmehr geht es um die -Individualität der geografischen Herkunft. Darauf zielt auch eine der Änderungen im Zusammenhang mit dem Katasternamen. Dafür haben wir hier vor zwei Jahren geworben und beschlossen, dies mit der kleinsten zu bestimmenden geografischen Einheit Terroir umzusetzen. Damit tun sich manche Länder noch ein bisschen schwer, auch meine Freunde in Rheinland-Pfalz. Dass diese Möglichkeit vom Bundesgesetzgeber vorgegeben wird, dient der Profilierung der Einheit Terroir. Damit weiß auch der preiswillige Konsument, worum es bei diesem Begriff geht. Jetzt will ich nicht alle bekannten Weinlagen nennen. Das ist das Gute an diesem Gesetz. Aber ich wünsche mir, dass wir im Oktober oder November die deutsche Vorstellung einer geringeren Flächenausweitung gegenüber der Europäischen Union vertreten. Ich werbe schon heute dafür, dass man den erzielten Kompromiss von 1 Prozent jährlicher Ausweitung der Rebfläche debattiert. Wir müssen von dem 1 Prozent wegkommen. Es geht um weniger Flächenausweitung und die Angleichung an die geografische Nachbarschaft, damit nicht irgendwo ein Acker in Mutterstadt in der Vorderpfalz auf einmal Rebflächengelände wird und die übrigen Landwirte auf diese Erzeugung Rücksicht nehmen müssen. Das sind Problempunkte bis hin zur Abgrenzung von Einzellagen. Jetzt gehe ich sehr ins Detail. Sie merken, wir haben noch ein bisschen Arbeit vor uns. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Schindler, es ist hochinteressant. Das Präsidium hört gebannt zu. (Beifall bei der LINKEN) Aber Sie müssen trotzdem zum Schluss kommen. Norbert Schindler (CDU/CSU): Das mache ich gern. Wenn Sie uns zu einer gescheiten Runde mit trockenem Riesling einladen, mache ich das noch viel schneller. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir haben heute noch zehn Tagesordnungspunkte zu behandeln. Ich mache Sie nur darauf aufmerksam. Norbert Schindler (CDU/CSU): Jawohl, Frau Präsidentin. – Wir haben noch ein paar Hausaufgaben zu machen. Aber ich bin stolz auf den internationalen guten Ruf unserer deutschen Weine. Dazu hat der Gesetzgeber seit 1985 entscheidend mit beigetragen. So schlecht kann unsere Politik also nicht gewesen sein. Die Winzer haben diese Herausforderung umgesetzt. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Weingesetzes. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1983, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/1780 und 18/1966 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Richtig schade, dass uns die Besucher schon vor geraumer Zeit verlassen haben. (Zuruf von der SPD: Einige sind noch da!) – Einige sind noch da, gut. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. (Zuruf: Das feiern wir gleich!) – Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das können Sie gleich feiern. Aber davor hat uns der Ältestenrat in der Verabredung noch zehn Tagesordnungspunkte zur Beratung aufgegeben. Ich bitte Sie jetzt um gemeinsames konzentriertes Bearbeiten. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für eine schnelle und unbürokratische Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland und in der EU – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Tom Koenigs, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verantwortung übernehmen – Zügig mehr syrische Flüchtlinge aufnehmen Drucksachen 18/840, 18/846, 18/1760 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Am vergangenen Montag erhielten wir die Nachricht, dass 30 Flüchtlinge in einem mit 600 Menschen völlig überfüllten Boot im Mittelmeer erstickt sind. Solche schrecklichen Tragödien schockieren im Deutschen Bundestag jeden. Denn eines steht völlig außer Frage: Zur Rettung von Menschenleben gibt es keine Alternative. Darum begrüße ich es, dass unsere Kollegen im Europaparlament im Frühjahr dieses Jahres die europäische Grenzschutzagentur Frontex rechtlich dazu verpflichtet haben, Flüchtlinge in Seenot zu retten. In diesem Zusammenhang muss aber auch gesagt werden, dass Frontex bereits in den Jahren vor der rechtlichen Verpflichtung über 40 000 Flüchtlinge aus Seenot gerettet hat. Eine wesentliche Ursache für die Katastrophen auf dem Mittelmeer und den anschwellenden Flüchtlingsstrom ist der Bürgerkrieg in Syrien. Täglich fordert der anhaltende Zerfall des syrischen Staates neue Todesopfer. Inzwischen sind über 9,3 Millionen Syrer innerhalb und außerhalb ihrer Heimat auf der Flucht. Alle diese Menschen brauchen dringend humanitäre Hilfe. Dem oft erhobenen Vorwurf, Europa sei eine Festung, muss ich an dieser Stelle widersprechen. Seit 2008 ist die Zahl der Menschen, denen im europäischen Asylsystem Schutz gewährt wurde, um rund 55 Prozent gestiegen. Das belegen die Zahlen von Eurostat, die zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2014 vorgelegt wurden. Es ist aber eine traurige Tatsache, dass sich die gestiegene Aufnahmebereitschaft in Europa auf wenige Länder, vor allem Deutschland und Schweden, beschränkt. Das zeigt sich am Beispiel der Syrien-Hilfe ganz deutlich. In Deutschland gilt seit 2011 ein absoluter Abschiebestopp nach Syrien. In den letzten Jahren sind über 35 000 Syrer nach Deutschland gekommen und erhalten über das gewöhnliche Asylverfahren Schutz. Allein zwischen Januar 2013 und Mai 2014 wurden in Deutschland nahezu 21 000 Erstanträge aus Syrien verzeichnet. Die Anerkennungsquote bei diesen Anträgen liegt bei fast 100 Prozent. Seit Ausbruch des Bürgerkrieges hat sich die syrische Gemeinschaft in Deutschland auf rund 66 000 mehr als verdoppelt. Zusätzlich hat die Bundesregierung im letzten Jahr zwei Sonderprogramme aufgelegt, um 10 000 besonders schutzbedürftigen Syrern Schutz in Deutschland zu gewähren. Diese Programme werden voraussichtlich erst im August abgeschlossen sein. Trotzdem haben die 16 Innenminister der Länder zusammen mit dem Bundesinnenminister im Juni beschlossen, weiteren 10 000 syrischen Flüchtlingen in Deutschland im Rahmen eines dritten Senderprogramms Schutz zu bieten. Damit wird das bestehende Bundesprogramm verdoppelt. Diesen zusätzlichen Einsatz begrüße ich ausdrücklich und bin den Innenministern für dieses wichtige Signal sehr dankbar. Deutschland hilft mit den Sonderprogrammen nicht nur den insgesamt 20 000 Flüchtlingen. Die Bundesregierung sendet damit und mit seinem insgesamt offenen Asylsystem ein wichtiges Signal an den Rest der Europäischen Union. Auch unsere europäischen Partner haben eine humanitäre Verantwortung und müssen mehr für die Bewältigung der Flüchtlingskatastrophe in Syrien unternehmen. Bisher haben die Staaten der EU 33 000 syrischen Flüchtlingen Schutz zugesagt. 20 000 davon entfallen allein auf Deutschland. Auch große Länder wie Frankreich oder Großbritannien stellen nur 500 Sonderplätze zur Verfügung. Diese massive Schieflage im europäischen Asylsystem muss behoben werden. Aktuell werden rund 60 Prozent aller Asylanträge innerhalb der EU in Deutschland gestellt. Dieser Zustand ist auf Dauer nicht tragbar. Auf nationaler Ebene haben wir heute etwas getan, um den Migrationsdruck an anderer Stelle zu reduzieren. Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina haben wir heute zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Damit kann rund ein Viertel aller Asylanträge in Deutschland schneller bearbeitet werden. Auf europäischer Ebene setzt sich die Bundesregierung seit Jahren mit Nachdruck für ein größeres Engagement unserer europäischen Partner ein. Zuletzt hat sie das auf dem High Level Meeting in Genf am 27. Juni getan. Ich hoffe, dass den Worten nun auch Taten folgen. Ganz Europa muss sich seiner humanitären Verantwortung angesichts der katastrophalen Lage in Syrien bewusst werden. Letztendlich müssen wir aber einsehen, dass wir mit Sonderprogrammen und dem europäischen Asylsystem immer nur punktuell helfen können. Wir haben aber eine humanitäre Verpflichtung gegenüber allen Flüchtlingen. Deswegen ist es absolut richtig, dass die Bundesregierung ihre Mittel trotz der Verdoppelung der Sonderprogramme nach wie vor auf die Hilfe vor Ort fokussiert. Seit 2012 hat die Bundesregierung über eine halbe Milliarde Euro für syrische Flüchtlingshilfe bereitgestellt. Damit gehört Deutschland zu den größten bilateralen Geldgebern. Vor Ort leistet unser Technisches Hilfswerk praktische Hilfe in den Flüchtlingslagern. Die Mitarbeiter des THW und der anderen Hilfsorganisationen vor Ort verrichten einen unschätzbaren Dienst für Millionen von Flüchtlingen. Ihnen gebührt unser größter Dank. Vor diesem Hintergrund können die Anträge von Linken und Grünen getrost abgelehnt werden. Die Bundesregierung hat mit ihrem großen und stetig wachsenden Engagement in Syrien die Anträge längst obsolet werden lassen. Nina Warken (CDU/CSU): Es ist leicht, die Aufnahme von mehr Flüchtlingen aus Syrien zu fordern, wenn man sich als Bundespolitiker nicht um deren Unterbringung und Versorgung kümmern muss. Solche Forderungen greifen aber zu kurz. Die Meldungen aus Städten wie Hamburg, aber auch aus meiner Heimat bringen es auf den Punkt: „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand!“, heißt es dort, wenn es um die Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern geht! Ich denke, deutlicher kann man es kaum ausdrücken. Mehr als 60 Prozent aller syrischen Flüchtlinge in Europa hat Deutschland mittlerweile aufgenommen. Wir erwarten dieses Jahr einen Rekordwert von 200 000 Asylanträgen in der Bundesrepublik. Davon stammen jeden Monat 1 700 von syrischen Flüchtlingen. Das sind Zahlen, die unsere Kommunen erst einmal bewältigen müssen. All dies wird von den beiden Anträgen, gelinde gesagt, heruntergespielt. Das Gleiche gilt für das beträchtliche deutsche Engagement in den syrischen Nachbarstaaten. Es liegt doch ganz klar auf der Hand, dass zuerst die notwendigen Aufnahmekapazitäten vorhanden sein müssen, bevor wir die Menschen aufnehmen können. Deshalb müssen wir, was Aufnahmekontingente angeht, auch auf unsere Kommunen hören, denn sonst sitzen die Flüchtlinge bei uns in naher Zukunft auch auf der Straße, wie in einigen anderen Ländern in Europa. Das kann doch nicht das Ziel sein, wenn wir den Menschen wirklich helfen wollen. Hinzu kommt, dass Kapazitäten in den Aufnahmeeinrichtungen und beim zuständigen Bundesamt durch Asylbewerber aus den Balkanstaaten gebunden werden. Ich appelliere deshalb dringend nochmals an die Länder, dem Gesetzentwurf zur Einstufung von -Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina als sichere Herkunftsländer zuzustimmen, damit die Kapazitäten unseres Asylsystems den tatsächlich Schutzbedürftigen, wie den Menschen aus Syrien, auch zur Verfügung stehen. Bund und Länder haben nun beschlossen, die bundesweite Aufnahme auf 20 000 syrische Flüchtlinge aufzustocken. Hinzu kommen noch die separaten -Aufnahmeprogramme der Länder, wodurch Tausende weitere Syrer bei ihren Verwandten in Deutschland unterkommen können. Vor dem Hintergrund des andauernden Bürgerkriegs in Syrien und der angespannten Lage in den Nachbarstaaten ist dies in jeder Hinsicht gerechtfertigt. Doch man muss sich darüber im Klaren sein, dass jede deutsche Aufnahmeaktion stets nur eine begrenzte Zahl syrischer Flüchtlinge aufnehmen können wird. Deshalb ist es richtig, den Schwerpunkt der Flüchtlingshilfe auf die Nachbarstaaten zu konzentrieren, wohin mittlerweile drei Millionen Syrer nach Schätzungen geflohen sind. Deutschland hat seit 2012 rund 520 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und zur Verbesserung der Infrastruktur in den Nachbarstaaten Syriens bereitgestellt. Zudem ist das Technische Hilfswerk vor Ort und sorgt für sauberes Trinkwasser in den Flüchtlingslagern. Die Erfahrungen aus diesem breit angelegten Engagement haben eines unmissverständlich gezeigt: Jeder Euro hilft vor Ort viel mehr Menschen als bei einer Aufnahme in Deutschland. Und das ist es schließlich, was wir wollen, dass unsere Hilfe so viele Menschen wie möglich erreicht und damit auch so effektiv wie möglich ist. Wir können daher nur an alle Mitgliedstaaten in der Europäischen Union appellieren, diesem Beispiel zu folgen. Meine inständige Bitte lautet daher, dass die neue EU-Kommission, sobald sie im Amt ist, endlich zu einer Syrien-Konferenz einlädt, was die Bundesregierung schon seit über einem Jahr fordert. Denn nur -Europa als Ganzes kann dafür sorgen, dass die dringend benötigten Hilfsmittel für die Flüchtlinge in den syrischen Nachbarstaaten zusammenkommen und eine europäische Aufnahmeaktion anlaufen kann. Lassen Sie mich abschließend noch eines betonen: Wir dürfen bei allen notwendigen Hilfsmaßnahmen nicht vergessen, das Problem bei der Wurzel zu packen. Die Menschen aus Syrien verlassen ihre Heimat nicht freiwillig, sondern weil sie dort um ihr Leben bangen müssen. Der Zustand, dass die Friedensverhandlungen bis auf Weiteres abgebrochen wurden, bis ein „konstruktiver Dialog“ möglich ist, darf nicht einfach hingenommen werden. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam alles dafür tun, dass der Krieg in Syrien beendet wird und die Menschen wieder sicher in ihrer Heimat leben können. Rüdiger Veit (SPD): Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir es noch geschafft, hier mit den Stimmen aller Fraktionen des Hauses eine einheitliche Position mit dem Titel „Syrische Flüchtlinge schützen“ zu verabschieden. Das war ein Zeichen der humanitären Anteilnahme mit den Opfern des Konflikts, und wir haben auch – wie gesagt, gemeinsam – die damalige Bundesregierung auf diesem Gebiet unterstützt. In diesem Jahr war das leider nicht möglich: Wir entscheiden hier heute nur über Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der Partei Die Linke. Warum es also dieses Jahr nicht wieder gemeinsam möglich ist, kann ich Ihnen zwar berichten, nachvollziehen und verstehen kann ich es aber nicht. Nur so viel sei gesagt: An der Bereitschaft zur konstruktiven Mitarbeit aus der sozialdemokratischen Fraktion heraus hat es nicht gefehlt. Es hat sich auch an der Sachlage eigentlich nichts geändert, sondern im Gegenteil: Die humanitäre Katastrophe innerhalb Syriens und in den an Syrien angrenzenden Staaten hat sich dramatisch vergrößert. 2,8 Millionen Syrer sind ins Ausland geflohen, und weitere 9,3 Millionen sind in Syrien selbst auf der Flucht und jedenfalls dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Im Libanon halten sich mittlerweile mehr als 1 Million Flüchtlinge auf. Bei einer Einwohnerzahl dieses Staates, die nur knapp fünfmal so hoch liegt, kann sich jeder auch ohne Aufbietung von besonderer Fantasie vorstellen, dass der Libanon kurz vor einem Kollaps seiner Infrastruktur und vielleicht des ganzen Staatswesens steht. Deutschland leistet mit mittlerweile schon über 400 Millionen Euro Unterstützung für die Lage vor Ort. Beispielhaft nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt – natürlich ausgenommen die unmittelbaren Anrainerstaaten – ist auch unsere Bereitschaft, Flüchtlinge aus Syrien bei uns aufzunehmen. Seit Ausbruch des Bürgerkrieges haben 34 000 Asylsuchende bei uns Schutz gefunden. Mit Aufnahmeprogrammen des Bundes – zunächst 5 000, dann 10 000, jetzt nach der letzten Innenministerkonferenz 20 000 Personen – und verschiedenen Länderaufnahmeprogrammen – nur Bayern macht hier leider eine Ausnahme – sind mittlerweile weitere 10 000 syrische Flüchtlinge in Deutschland eingetroffen. Im Februar dieses Jahres hat der UNHCR die gesamte internationale Staatengemeinschaft aufgerufen, 30 000 Plätze für die dauerhafte Neuansiedlung oder humanitäre Aufnahme von besonders schutzbedürftigen syrischen Flüchtlingen bereitzustellen. Für 2015 und 2016 rechnet er mit einem Bedarf für weitere 100 000 Plätze. Innerhalb Europas hat sich Deutschland – diesmal und erfreulicherweise – nicht auf den Standpunkt zurückgezogen, man wolle zunächst abwarten, was andere tun, um sich dann erst selbst der Verantwortung zu stellen. Wir haben im Gegenteil versucht, mit der Aufnahme syrischer Flüchtlinge bei uns auch für die anderen Mitgliedstaaten ein ermunterndes Beilspiel zu geben. Diese Hoffnung war leider bisher vergeblich, und es wird nunmehr allerhöchste Zeit, dass die neu zu wählende Europäische Kommission sich dieser Frage engagiert annimmt. Um es klar und deutlich zu sagen: Die bisherige Untätigkeit der anderen europäischen Mitgliedstaaten halte ich, gelinde gesagt, für einen Skandal und mit unseren ansonsten immer viel beschworenen europäischen Grundwerten für nicht vereinbar. Selbst die frühere Opposition von Bündnis 90/Die Grünen, Linkspartei und Sozialdemokraten hat die damalige Bundesregierung nachdrücklich unterstützt, und zwar sowohl bezüglich der finanziellen Hilfen in der Krisenregion als auch im Bezug auf die Flüchtlingspolitik, und wir sollten auch heute mit allem Nachdruck die Verhandlungsposition der jetzigen Regierung und hier namentlich unserer Minister Frank-Walter Steinmeier und Thomas de Maizière unterstützen, um auf europäischer Ebene weiterzukommen. In diesem Zusammenhang muss ich wiederholen, was ich vor zwei Tagen in einer anderen Debatte erwähnt und beklagt hatte. Für den 27. Juni 2014 hatte der UNHCR zu einem High-Level-Meeting nach Genf eingeladen. Dort vertreten waren 42 Staaten. Herausgekommen ist: Aufnahmebereitschaft für weitere 565 Personen – wohlgemerkt nicht am Tag, in der Woche oder im Monat, sondern insgesamt! Ich betrachte das als eine Schande. Mutmaßlich werden die Kosten dieser angeblichen High-Level-Veranstaltung höher gewesen sein als der mehrmonatige Aufwand für die Aufnahme von diesen 565 Personen. Ich finde, unser Bundespräsident Joachim Gauck hat in seiner bemerkenswerten Rede von Anfang dieser Woche zu Recht darauf hingewiesen, man werde nie genug tun können, um dem Flüchtlingselend in der Welt überall entgegenwirken zu können, man kann aber wesentlich mehr tun, als man gemeinhin glaubt. Das betrifft Deutschland genauso wie die europäische und die internationale Staatengemeinschaft. Um den notwendigen politischen und moralischen Druck aufzubauen und von einer glaubwürdigen Position aus verhandeln zu können, sollten wir weiterhin mit gutem Beispiel vorangehen. Wir haben dabei im Übrigen – was bei diesen Themen nicht immer der Fall ist – in der großen Mehrheit unserer Bevölkerung mit mitfühlendem Verständnis und Hilfsbereitschaft zu rechnen. Lassen Sie uns hier in diesen Fragen beieinander bleiben – auch wenn es heute zu einem gemeinsamen Antrag noch nicht wieder gereicht hat. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wir beraten heute abschließend einen Antrag der Fraktion Die Linke zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien. Darin fordern wir eine deutliche Auf-stockung der Aufnahmekontingente für syrische Flüchtlinge, Erleichterungen bei der Aufnahme bei Verwandten in Deutschland und den Verzicht auf Abschiebungen von syrischen Asylsuchenden in andere EU-Staaten. Wir meinen: Alle EU-Staaten müssen sich an der Aufnahme syrischer Flüchtlinge beteiligen und dabei von der EU unterstützt werden. Die Konferenz der Landesinnenminister im Juni hat tatsächlich das Kontingent für die Aufnahme von Flüchtlingen, die sich bereits in den Anrainerstaaten Syriens befinden, von 10 000 auf 20 000 aufgestockt. Wir freuen uns selbstverständlich für jeden einzelnen Flüchtling, der den überfüllten Flüchtlingslagern oder den schwierigen Lebensbedingungen außerhalb der Lager entkommen kann. Wir sagen aber auch: Die Bundesrepublik könnte mehr tun. Das gilt zum einen für die Aufnahmeverfahren selber. Die im Mai und Dezember letzten Jahres beschlossenen Aufnahmekontingente von jeweils 5 000 Flüchtlingen sind nämlich noch gar nicht ausgeschöpft. Das liegt unter anderem an den Auswahlverfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den bürokratischen Visaverfahren an den Botschaften. Hier müssen weiterhin Verfahrensbeschleunigungen vorgenommen werden, besonders für die humanitär dringlichen Fälle. Zum anderen gilt das auch hinsichtlich der Zahl der Flüchtlinge, die aufgenommen werden sollen. Fast drei Millionen Menschen sind in die Anrainerstaaten Syriens geflohen. Das bedeutet für diese Staaten eine unglaubliche Belastung. Es wäre auch ein Zeichen der Solidarität gegenüber diesen Staaten, deutlich mehr Flüchtlingen die Ausreise nach Deutschland zu ermöglichen. Eine sofort wirksame Maßnahme ist die Erleichterung des Verwandtennachzugs. Es ist erfreulich, dass über die entsprechenden Aufnahmeprogramme der Länder inzwischen immerhin 5 500 Visa erteilt wurden. Doch es liegen noch weitere 75 000 Anträge auf Nachzug von Verwandten vor, die noch nicht kommen konnten. Denn weiterhin sind die hier lebenden Syrer, die sich um ihre Verwandten sorgen, mit hohen finanziellen Anforderungen konfrontiert. Sie müssen sich verpflichten, für den Unterhalt ihrer Verwandten aufzukommen, und sie müssen das entsprechende Einkommen und Vermögen dafür nachweisen können. Unter Umständen müssen sie so die belastende Wahl treffen, wen sie holen und wer dort bleiben muss. Bund und Länder haben damit eine Entscheidung über die Zukunft dieser Menschen und ihre Überlebenschancen an ihre hier lebenden Verwandten delegiert. Keiner von uns hier will sich wohl in einer Situation wiederfinden, in der er über das Leben seiner Geschwister, Eltern und Kinder entscheiden muss. Eine solche Entscheidung ist moralisch unzumutbar. Deshalb bleiben wir bei unserer Forderung: Der Nachzug von Verwandten ersten und zweiten Grades darf keine Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit sein. Er muss jetzt und ohne weitere Anforderungen möglich sein. Bund und Länder sind dringend gefordert, noch einmal deutlich nachzubessern. Die nun von den Innenministern beschlossene Kostenübernahme im Krankheitsfall kann da nur der erste Schritt sein. Von der Koalition wird gern auf die Verantwortung aller EU-Staaten und die hohe Zahl syrischer Asylsuchender in Deutschland verwiesen. Deshalb sollten sich die anderen EU-Staaten selbst um die Asylsuchenden kümmern, die bei ihnen ankommen. Zugleich macht die Bundesregierung Druck auf die Länder an den Außengrenzen der EU, dass diese ihre Grenzen effektiver abschotten sollen. Die Bundesregierung ist mitverantwortlich für eine Politik, die schutzsuchende Menschen nur als sogenannte irreguläre Migranten behandelt und sie gar nicht erst einreisen lässt. Die Landgrenzen Griechenlands und Bulgariens zur Türkei sind mittlerweile zu einer unüberwindbaren Hürde geworden. Es ist diese Abschottung, die zu den täglichen Dramen im Mittelmeer führt. Erst gestern hat der UNHCR 75 Flüchtlinge im Mittelmeer als vermisst gemeldet. Am Tag zuvor meldete die italienische Marine den Tod von 45 Flüchtlingen, die auf der Überfahrt von Libyen erstickt waren. Deshalb fordern wir, endlich sichere Fluchtwege in die EU zu schaffen, um die Menschen nicht in Lebensgefahr zu treiben. Davon würden nicht zuletzt die syrischen Flüchtlinge profitieren, die weiterhin zu Tausenden Tag für Tag ihre Heimat verlassen müssen. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es geht in beiden Anträgen im Schwerpunkt um die Forderung eines weiteren Aufnahmekontingents des Bundes für syrische Flüchtlinge, das sich in der Größenordnung an den Interessensbekundungen syrischer Verwandter hier in Deutschland orientiert. Es gibt circa 76 000 Meldungen. Denn trotz des engagierten Einsatzes von Bund, Ländern und Kommunen reicht meines Erachtens der deutsche Beitrag für syrische Flüchtlinge noch nicht aus. Es ist dieses wichtigen humanitären Themas unwürdig, dass es nicht gelungen ist, hierzu einen gemeinsamen Antrag vom Deutschen Bundestag beschließen zu lassen, und dies bei einem Thema, das angelblich allen Fraktionen am Herzen liegt. Dies ist sehr bedauerlich. Es wäre auch mit Blick auf die Innenministerkonferenz ein gutes Signal gewesen, wenn der Bundestag hierzu ein geschlossenes Bild abgegeben hätte. Es ist begrüßenswert, dass die Innenministerkonferenz dennoch im Juni 2014 beschlossen hat, dass Deutschland ein weiteres Kontingent von 10 000 syrischen Flüchtlingen aufnimmt. Fakt ist nur, dass auch ein neues Kontingent von weiteren 10 000 syrischen Flüchtlingen nicht ausreichen wird, um alle Anfragen aus Deutschland zu befriedigen, zumal es bis heute auch noch keine Aufnahmeanordnung des Bundesinnenministeriums für das neue Kontingent mit den Details gibt. Es ist mir unverständlich, warum nicht direkt ein Kontingent gebildet wird, das sich an der Zahl der Interessenbekundungen orientiert, zumal die Bereitschaft in der Bevölkerung zur Aufnahme und Hilfe für weitere syrische Flüchtlinge groß ist. Ehrenamtliche setzen sich bereits jetzt zahlreich für die ankommenden Flüchtlinge ein. Engagierte Bürger und Bürgerinnen helfen bei der Wohnungssuche, beim Ämtergang, bringen den Ankommenden das Fahrradfahren bei oder bieten Deutschkurse an. Neben der Forderung eines weiteren Kontingents bleibt für meine Fraktion nach wie vor das Problem von Dublin-Überstellungen syrischer Flüchtlinge ungelöst, die in Deutschland Verwandte haben. Hierzu ist mir nicht bekannt, dass das BAMF seine Praxis geändert hätte, außer wenn man in Einzelfällen darauf aufmerksam macht. Für hoch problematisch halten wir auch die weiter fortbestehende Praxis der Inhaftierung von syrischen Flüchtlingen in Zurückschiebungshaft. Erst am 17. Juni 2014 ist ein schwer traumatisierter syrischer Flüchtling nach 35 Tagen Haft, veranlasst durch die Bundespolizei, trotz Vorliegens ärztlicher Atteste über seine Traumatisierung und Folterungen nach -Polen rücküberstellt worden. Der Flüchtling wollte hier in Deutschland zu seinem Bruder. Es ist skandalös, dass man Opfer des Krieges als Erstes in eine Arrestzelle steckt, anstatt ihnen Unterstützung und medizinische Versorgung zukommen zu lassen. Ebenso ungelöst ist der Ausbau der personellen Kapazitäten für die Bearbeitung von Einreiseanträgen von Flüchtlingen an den deutschen Botschaften in den Nachbarstaaten Syriens. Mir sind keine entsprechenden Anträge im Haushaltsverfahren bekannt geworden. Auch hier gab es ein großes Versäumnis, Vorkehrungen für eine schnellere Bearbeitung der Visaanträge zu schaffen. Klar ist, dass es eine gesamteuropäische Verantwortung für die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen gibt. Dies haben wir mit einem überfraktionellen Antrag am 7. Mai im Bundestag auch festgehalten. Deshalb hätte sich meine Fraktion gewünscht, dass die Bundeskanzlerin beim Europäischen Rat letzte Woche das Thema auf den Tisch gebracht hätte. Denn es ist doch angesichts der sich stets verschlimmernden Situation in Syrien und den Anrainerstaaten viel zu zögerlich, auf die Möglichkeit einer EU-Flüchtlingskonferenz auf Ministerebene Ende dieses Jahres zu verweisen. Wie die Koalitionsfraktionen die Ablehnung der beiden Oppositionsanträge rechtfertigen wollen, bleibt ihr Geheimnis. Menschenrechtliche Glaubwürdigkeit sieht anders aus. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 18/1760. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/840. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/846. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen beider Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Drucksachen 18/1529, 18/1776 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/1995 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/2006 Die Reden gehen auch hier zu Protokoll, und Sie haben Ihr Einverständnis erklärt. Olav Gutting (CDU/CSU): Der vorliegende Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter Lesung abschließend beraten, enthält verschiedene redaktionelle Anpassungen und Änderungen in verschiedenen Steuergesetzen. Namensgeber des Gesetzes sind die durch den Beitritt Kroatiens zur EU notwendigen Anpassungen des nationalen Einkommensteuerrechts und des Tabaksteuergesetzes. -Daneben werden wir unter anderem eine Vielzahl von redaktionellen Änderungen und auch Vereinfachungen im Steuerrecht vornehmen. Im Koalitionsvertrag -haben wir gemeinsam mit der SPD verabredet, die Bürokratie – auch im Steuerrecht – weiter abzubauen. Versprochen und geliefert! Im Einkommensteuer-, Körperschaft- und Gewerbesteuergesetz erfolgt durch Streichung von über 100 Absätzen eine Straffung der Anwendungsregelungen. Wir werden auch den Grenzbetrag für die jährliche Abgabe einer Lohnsteueranmeldung von 1 000 Euro auf 1 200 Euro anheben. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, für Hörbücher den ermäßigten Umsatzsteuersatz anzuwenden. Auch dies setzen wir mit diesem Gesetz um, wobei wir uns darin einig waren, dass die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes die Lieferung eines körperlichen Speichermediums – also zum Beispiel eine CD-ROM oder einen USB-Stick, aber auch eine analoge Kassette – voraussetzt. Downloads aus dem Internet hingegen fallen nicht unter diese Begünstigung. Wir waren uns auch darüber einig, dass zukünftig Einrichtungen zur ambulanten Rehabilitation in die Gewerbesteuerbefreiung einbezogen und somit stationären Einrichtungen gleichgestellt werden, soweit diese im Rahmen der verordneten Rehabilitation Leistungen erbringen. Bei dieser Ergänzung haben wir uns davon leiten lassen, dass es keinen Unterschied machen kann, ob eine verordnete Rehabilitation stationär oder ambulant ausgeführt wird. Gleichzeitig wollen wir damit zur Verbesserung der Versorgungsstruktur insgesamt beitragen. Wir haben mit dem vorliegenden Gesetz auch eine Vielzahl von Anregungen aus den Bundesländern aufgegriffen. Ein sehr gutes Beispiel, wie wir gemeinsam mit den Ländern auf mögliche neue Fehlentwicklungen schnell und konsequent reagieren und damit missbräuchliche Steuergestaltungen verhindern, ist unsere Klarstellung zur Wegzugsbesteuerung in § 50 i Einkommensteuergesetz. Ziel dieser schnellen Reaktion ist die Gewährleistung der Besteuerung von in Deutschland entstandenen stillen Reserven. Wir wollen nicht, dass durch Wegzug ins Ausland und weitere steuerliche Gestaltungen eine steuerfreie Verbringung ins Ausland möglich ist. Die CDU/CSU-Fraktion setzt sich für die Bekämpfung von missbräuchlichen steuerlichen Gestaltungen ein. Obwohl dieses Ansinnen oftmals dem Hase-Igel-Rennen gleichkommt, zeigt die schnelle Reaktion mit dem vorliegenden Gesetz, wie flexibel auch der Gesetzgeber gemeinsam mit dem Bundesrat reagieren kann, um solchen Gestaltungen einen Riegel vorzuschieben. Durch die nun geregelte systematisch zutreffende Umsatzbesteuerung am Verbrauchsort von Telekommunikationsleistungen sowie auf elektronischem Weg erbrachten Dienstleistungen an Verbraucher und dem gleichzeitig eingeführten Registrierungsprozess für das Mini-One-Stop-Shop-Verfahren als einzige Mini-Anlaufstelle erwarten wir jährliche Umsatzsteuermehreinnahmen von circa 400 Millionen Euro. Hintergrund der etwas sperrigen Regelung ist die Sicherstellung der Umsatzbesteuerung von Leistungen, die hier in Deutschland in Onlinestores von beispielsweise Apple oder Google an Endverbraucher erbracht werden. Es handelt sich hierbei im Übrigen nicht um eine Steuererhöhung. Es geht vielmehr darum, dass das Steuersubstrat, das nach Deutschland gehört, auch hier ankommt. Ein Punkt, den wir bei den Beratungen und auch bei der Anhörung intensiv besprochen haben, war die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen und bei Gebäudereinigungsleistungen nach der aktuellen Rechtsprechung des BFH. Auch hier wurde eine praktikable Lösung im Interesse der Betroffenen gefunden und die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft für Bau- und Gebäudereinigerleistungen so wiederhergestellt, wie diese bereits vor einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013 bestanden hat. Das sorgt für Rechtssicherheit. Abschließend bedanke ich mich bei den Berichterstattern in der Koalition für die sehr gute und -zielorientierte Zusammenarbeit. Mein Dank gilt auch allen beteiligten Mitarbeitern des BMF für die schnelle und teilweise weit über die normalen Dienstzeiten hinausgehende Zuarbeit. Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, enthält Änderungen des Einkommensteuergesetzes und des Tabaksteuergesetzes, die wegen des Beitritts Kroatiens zur EU notwendig geworden sind. Die Änderungen sind zwingend, um die europäische Richtlinie 2013/13/EU in nationales Steuerrecht umzusetzen. Gleichzeitig werden mit diesem Gesetz weitere Änderungen des Steuerrechts vorgenommen, die teils aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen, teils aufgrund besonderer Anliegen der Bundesländer und teils zur Sicherung der Steuerquellen in Deutschland erforderlich sind. Mit diesem Gesetz werden über 100 Absätze im Einkommensteuer-, Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuergesetz gestrichen. Damit wird eine Straffung der Anwendungsregelungen erreicht. Hier könnte ein wenig Hoffnung aufkeimen, dass dies ein erster Schritt zur Vereinfachung und Entbürokratisierung des deutschen Steuerrechts sein könnte. Ich würde mich sehr freuen, wenn dies tatsächlich auch der Fall wäre; denn wir wären gut beraten, die dringend notwendigen Schritte zur Vereinfachung des Steuerrechts energisch weiter fortzusetzen. Allerdings fürchte ich, dass der Schwung zur Steuervereinfachung wieder einmal schnell erlahmen wird. Von den zahlreichen Änderungen, die mit diesem Gesetzentwurf verbunden sind, möchte ich nur einige herausgreifen und im Folgenden darstellen. Durch eine neue Bestimmung in § 50 i EStG wird es in Zukunft nicht mehr möglich sein, dass in Deutschland entstandene stille Reserven durch steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten bei einem Wegzug des Steuerpflichtigen ins Ausland der deutschen Steuer entzogen werden. Mit dieser Vorschrift soll unter anderem auf das BFH-Urteil aus dem Jahr 2009 reagiert werden, in dem entschieden wurde, dass eine Veräußerung oder Entnahme von Wirtschaftsgütern durch einen im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen nur vom Ansässigkeitsstaat besteuert werden kann. Mit der Klarstellung in § 50 i EStG wird nun dem deutschen Fiskus wieder die Möglichkeit gegeben, diese Sachverhalte unabhängig von Doppelbesteuerungsabkommen nach deutschem Steuerrecht zu behandeln und das entsprechende Steueraufkommen für Deutschland zu sichern. Mit der Änderung des Umsatzsteuergesetzes bezüglich des Leistungsorts bei Telekommunikationsleistungen und ähnlichen Leistungen wird eine weitere Regelung getroffen, damit der deutsche Fiskus ihm zustehende Steuereinnahmen erhält. Zukünftig gilt in diesen Fällen als Leistungsort bei Leistungen an Nichtunternehmer der Ort, an dem der Leistungsempfänger seinen Sitz hat. Damit wird eine zutreffende Besteuerung am tatsächlichen Verbrauchsort erreicht. Diese Regelung wird zu einem zusätzlichen Steueraufkommen von schätzungsweise 400 Millionen Euro führen. Im Ausschuss wurde von der Opposition behauptet, dass diese Regelungen tatsächlich Steuererhöhungen seien und wir damit unser Wahlversprechen brechen würden. Liebe Kollegen der Opposition, sehen Sie doch bitte von so billiger Polemik ab, denn hierdurch werden nur Steuern in Deutschland erhoben, die bisher im Ausland anfielen und nun zu Recht dem deutschen Staat zugutekommen. Eine weitere Änderung betrifft die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft für Bauleistungen und Gebäudereinigerleistungen sowie für Fälle des Metallhandels und des Handels von Tablets und Spielekonsolen. Damit wird wieder der Zustand hergestellt, wie er vor der Entscheidung des BFH vom 22. August 2013 herrschte. Hier entsprechen wir einem Anliegen der Bundesländer und auch den Forderungen der Betroffenen. Neben diesen Änderungen enthält das Gesetz eine weitere Reihe von Änderungsregelungen für eine Vielzahl von Vorschriften von der Steuerfreiheit von Un-fallentschädigungen für Beamte über den Zweiterwerb von Lebensversicherungen bis hin zur Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Hörbücher. Wie eingangs gesagt, entsprechen wir mit diesem Gesetz auch bestimmten Anliegen der Bundesländer und stellen Sachverhalte wieder klar her, die durch Urteile des BFH geändert wurden. Wir sichern dem deutschen Fiskus das ihm zustehende Steueraufkommen und straffen das Steuerrecht in einigen Vorschriften. Deshalb bitte ich Sie, dem Gesetz heute Ihre Zustimmung zu geben. Andreas Schwarz (SPD): Das Kroatien-Gesetz hat mich zweimal überrascht: erst mit seinem trügerischen Namen und danach mit seinem Umfang. Der Name intendiert gesetzliche Anpassungen im Steuerrecht, die ganz überwiegend im Zusammenhang mit dem kroatischen Beitritt zur Europäischen Union stehen – über den wir uns seit einem Jahr bereits freuen. Zu einem nicht unwesentlichen Teil handelt es sich beim vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung um die Anpassung geltenden Steuerrechts. Das sind weitestgehend unstrittige -redaktionelle oder rechtsförmliche Anpassungen, die geschehen müssen, um bestehende Gesetze an den -Beitritt Kroatiens anzupassen. Ich denke da etwa an die Anpassung der Mutter-Tochter-Richtlinie oder die Anpassung der Richtlinie über die Zins- und Lizenz-gebühren. Nun hat man aber sinnvoller Weise die Chance -erkannt, notwendige redaktionelle Anpassungen im gesamten Steuerrecht vorzunehmen, um ein abgerundetes technisches Gesetz vorzulegen. Aber wie das dann so ist in der Politik – je mehr Akteure, desto mehr Begehrlichkeiten, ob nun aus dem Bundesfinanzministerium, dem Bundestag oder am Ende dem Bundesrat –: Aus einem rein technischen Gesetz entstehen nun, auch dank der Fachleute aus der Anhörung, Maßnahmen, die das Steuerrecht häufig entschlacken, präzisieren oder sinnvoll verändern. Da gilt es, auch zwischen allen Ebenen Kompromisse zu schließen. Auf vier davon möchte ich in meiner Rede kurz eingehen. In der Umsatzsteuer, genauer gesagt in § 13 b, kehren wir zu einer bewährten Methode zurück, die zugegebenermaßen auch ich erst mal verstehen musste. Beim Reverse-Charge-Verfahren ist nach der bisherigen Verwaltungspraxis der Empfänger von Bauleistungen Steuerschuldner, wenn er als Unternehmer selbst nachhaltig Bauleistungen erbringt. Dieses Modell hat bisher vieles vereinfacht und letztlich auch vermieden, dass es zu größeren Steuerausfällen in diesem Bereich kommt. Der BFH hat in seinem Urteil vom 22. August 2013 entschieden, dass die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen nur in Betracht komme, wenn der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte Leistung selbst für eine steuerpflichtige Bauleistung verwende, also die sogenannte bauwerksbezogene Betrachtung. Auf die Eigenschaft des Leistungsempfängers als Bauleister und dementsprechend die Höhe der von ihm ausgeführten Bauleistungen komme es danach nicht an. Dies führt in der Verwaltungspraxis zu zahlreichen Problemen, drohenden -Einnahmeausfällen und zu Unklarheiten zwischen Unternehmern und Subunternehmern. Deshalb reagieren wir hier auch zum Wohle des Mittelstandes und der vielen ehrlichen und fleißigen Bauunternehmer in unserem Land auf das Urteil des BFH und gießen ein rechtssicheres Fundament für die Bauwirtschaft. Durch den neuen Satz 2 wird bereits eindeutig im Gesetz definiert, dass der Leistungsempfänger nur dann Steuerschuldner für eine an ihn erbrachte Bauleistung ist, wenn er selbst nachhaltig Bauleistungen ausführt. Entsprechend wird gesetzlich klargestellt, dass der Leistungsempfänger auch dann Steuerschuldner ist, wenn er die an ihn im Einzelfall erbrachte Dienstleistung nicht zur Ausführung einer Bauleistung verwendet. Damit kommt künftig die vom BFH formulierte bauwerksbezogene Betrachtung nicht mehr zur -Anwendung, sondern es kommt darauf an, dass der Leistungsempfänger nachhaltig Bauleistungen erbringt. Diese Regelung wird auch von Verbänden, -Unternehmen, Steuerberatern und Finanzverwaltung begrüßt und bringt für alle Beteiligten ein großes Stück an Sicherheit zurück. Der Gesetzentwurf, den wir heute gemeinsam beschließen wollen, bietet eine weitere Verbesserung im Bereich des Einkommensteuergesetzes. Wenn beispielsweise Lebensversicherungen den Charakter der Risikovorsorge verlieren und zu einem reinen Renditemodell werden, dann wird dieser Umstand künftig steuerpflichtig. Wir reagieren damit auf Modelle, bei denen Fonds im großen Umfang „gebrauchte“ Versicherungen – insbesondere Todesfallversicherungen – von den Versicherten erworben haben. Mit diesen -Produkten wird der Zweck verfolgt, vorab kalkulierte Erträge in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen der ausgezahlten Versicherungssumme beim Eintritt des Versicherungsfalls, also den Tod der versicherten Person, und den Anschaffungskosten der Versicherung für den Zweiterwerber steuerfrei zu erzielen. Ich möchte Ihnen das gern an einem Beispiel erläutern. Es kam vor einigen Jahren dazu, dass sogenannte Investoren massenhaft Lebensversicherungen von Schwerstkranken, häufig Aidskranken, aufkauften und mit dem Sterbedatum spekulierten, um somit Geld zu verdienen. Ich muss Ihnen nicht sagen, was ich von solchen Wetten auf den Tod ethisch und moralisch halte. Aber dass solche Modelle auch noch steuerfrei bleiben sollen, das führt unser System ad absurdum. Diese Steuerlücke wird geschlossen, und das ist auch gut! Einen großen Schritt vorangekommen sind wir bei den sogenannten Mini-One-Stop-Shops – oder zentralen Anlaufstellen. Hier geht es um die Bestimmung des Leistungsortes bei Telekommunikationsleistungen, Rundfunk- und Fernsehleistungen und bei auf elektronischem Weg erbrachten Leistungen an Nichtunternehmer. Kurzum: Welcher Steuersatz gilt, wenn ich hier in Berlin ein Musikstück kostenpflichtig, etwa bei Amazon, herunterlade, aber das Unternehmen seine Steuern beispielweise in Luxemburg bezahlt und somit ein Steuersatz gilt, der hierzulande unter ferner liefen eingestuft werden würde? Die neue Regelung verhindert zum einen totalen Steuerausfall, aber auch eine Niedrigbesteuerung im Ausland. Künftig gilt: Lade ich in Deutschland etwas Kostenpflichtiges he-runter, wird auch in Deutschland zu dem hier gültigen Satz versteuert. Dies vereinfacht die aktuellen Regelungen massiv, sorgt für Klarheit bei allen Beteiligten, vereinfacht die aktuellen Regelungen und sorgt auch für ein kräftiges Plus an Steuereinnahmen. Glaubt man den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums – und mein Vertrauen ist da fast uneingeschränkt –, dann können wir jährlich mit Mehreinnahmen von 400 Millionen Euro rechnen, von denen Länder und Kommunen um gut die Hälfte profitieren. Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, liegt mir besonders am Herzen, und ich freue mich, dass die Union hierbei unseren Vorschlägen gefolgt ist. Ich möchte zur Entstrickungsbesteuerung kommen, wie sie in § 50 i Einkommensteuergesetz geregelt ist, weil wir hier gemeinsam eine ganz wesentliche Steuerlücke schließen. Hier konnte relativ unbemerkt zuletzt eine Lücke genutzt werden, um in Deutschland erzielte -Gewinne, die als stille Reserven noch in deutschen -Depots liegen, am Fiskus vorbei ins Ausland zu schleusen. Dabei handelt es sich um Veräußerungsgewinne, die durch einen Wegzug nachfolgend in eine Personengesellschaft umgewandelt werden und so steuerneutral ins Privatvermögen überführt werden sollen. Anschließend kann man diese Personengesellschaft dann -beispielsweise in eine Kapitalgesellschaft umwandeln und einige Jahre später das Vermögen steuerfrei entnehmen. Ich will eines ganz deutlich sagen: Das mag zwar bis dato legale Steuerumgehung sein, aber moralisch handelt es sich hierbei um Steuerhinterziehung. Damit machen wir jetzt endlich Schluss. Und es handelt sich hierbei eben nicht um einen konstruierten Fall, der irgendwann mal auftreten könnte. Im März dieses Jahres konnten wir es in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ doch nachlesen. Da geht es um einen Erben der Porsche-Familie, der versucht, genau dieses Modell anzuwenden. Es geht hier um Hunderte Millionen Euro an Steuergeldern, die man versucht zu vermeiden, um ein milliardenschweres Vermögen, das hier in Deutschland erarbeitet wurde. Ich zitiere mal aus dem Artikel: „Er verpackt seine Beteiligungen in ein inländisches Betriebsvermögen und zieht erst dann weg. Anschließend entpackt er die Beteiligungen wieder in eine GmbH. Der Charme dieser Konstruktion: Dividenden könnten steuerfrei ausgeschüttet werden. Außerdem fällt in Österreich keine Erbschaft- oder Schenkungsteuer an.“ Dafür soll er sogar bei Finanzministern anrufen, in – und ich zitiere erneut – „Verantwortung für seine Familie und das Erbe zwischen seinen vier Kindern“. Für mich steht der Name Porsche für Innovation, Erfolg und unternehmerische Verantwortung, Gerade deshalb frage ich mich manchmal, wo der ehrenvolle deutsche Unternehmer hin ist, der seine Verantwortung für das Gemeinwohl erkennt und auch verstanden hat, dass es zu großem Teil ebendieser Staat ist, der die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass solche Unternehmen in diesem Land Erfolg haben. Wer schafft denn die Strukturen in Infrastruktur und Bildung, von denen besonders auch unsere Automobilindustrie derart profitieren kann, wie sie es nur hierzulande tut? Als ich den Artikel in der „FAZ“ seinerzeit las, fiel mir der Satz von Charles Baudelaire ein: „Für einen Kaufmann ist sogar Ehrlichkeit eine finanzielle Spekulation.“ Wir antworten in unserem Gesetzentwurf mit dem Talmud: „Fehlt die Gelegenheit zum Stehlen, glaubt der Dieb, er sei ehrlich.“ In diesem Sinne reagiert die Große Koalition und schließt eine weitere Steuerlücke. Die Änderung im § 50 i des Einkommensteuergesetzes nenne ich präventive Steuerehrlichkeit! Abschließend möchte ich mich noch – weil es mein erstes etwas größeres Gesetz war, das ich für meine Fraktion als Berichterstatter begleiten durfte – beim Bundesministerium der Finanzen, dessen Fachbeamtinnen und Fachbeamte immer unterstützend und fachkundig zur Seite standen, und natürlich beim Kollegen Olav Gutting von der CDU, mit dem ich sehr gute und offene Gespräche geführt habe, bedanken. Wenn alle Gesetzesverfahren zwischen uns Koalitionspartnern so -ablaufen wie das Kroatien-Gesetz, ich denke, dann können wir uns auf produktive und gewinnbringende weitere drei Jahre freuen. Richard Pitterle (DIE LINKE): Der uns vorliegende Gesetzentwurf trägt nach wie vor einen etwas irreführenden Namen – um den EU-Beitritt Kroatiens geht es nämlich nur am Rande. Steuerjahresgesetz 2014 wäre wohl passender gewesen. Aber vielleicht kommt ein solches ja auch noch in der zweiten Hälfte dieses Jahres, angesichts der vielen Baustellen in der Steuerpolitik. Aber zurück zum Entwurf. In großen Teilen handelt es sich bei dem hier von der Bundesregierung vorgelegten Wirrwarr um eine, salopp formuliert, Entrümpelung des Steuerrechts. Die Fraktion Die Linke begrüßt ein solches Vorhaben ausdrücklich. Insbesondere im nahezu undurchdringlichen Labyrinth des Einkommensteuergesetzes ist ein Großreinemachen nämlich dringend notwendig. Jedoch hätten Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, bedenken sollen, dass sich bei einem solchen Großvorhaben schnell der eine oder andere Fehler einschleichen kann. Sowohl durch den Bundesrat als auch durch die Sachverständigen in der Anhörung zu vorliegendem Entwurf im Finanzausschuss wurde angeregt, für eine sorgfältige Überprüfung noch etwas mehr Zeit einzuräumen. Darauf sind Sie bedauerlicherweise nicht eingegangen, und ich befürchte, dass sich noch einige Schwachstellen in Ihrem Mammutentwurf auftun werden. Aber auch bereits jetzt gibt es schon einiges zu kritisieren. So wollen Sie zum Beispiel, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ambulante Rehaleistungen zulasten der Kommunen von der Gewerbesteuer befreien. Falls Sie es immer noch nicht mitbekommen haben sollten – viele Kommunen sind quasi pleite. Was Sie hier machen, ist eine weitere Steuersubventionierung der Privatisierung des Gesundheitssektors, das hat mit verantwortungsvoller öffentlicher Daseinsvorsorge leider nichts zu tun. An anderer Stelle in Ihrem Entwurf führen Sie eine Steuerpflicht für Gewinne aus gebrauchten Lebensversicherungen ein. Dabei scheint es Ihnen offenbar nichts auszumachen, dass Geschäfte mit gebrauchten Lebensversicherungen häufig eine Spekulation auf den Tod des Versicherungsnehmers darstellen. Solche Spekulationen sind aber ethisch schlichtweg nicht tragbar und gehören daher nach Ansicht der Fraktion Die Linke grundsätzlich verboten. Versteckt in Ihrem Wust verschiedenster Gesetzesänderungen sind auch Regelungen, die auf den ersten Blick ganz harmlos wirken, aber für die Betroffenen tatsächlich verheerende Auswirkungen haben könnten. Nehmen wir zum Beispiel die geplanten Änderungen im Steuerberatungsgesetz. Da führen Sie zum einen für die Finanzbehörden die Pflicht ein, in bestimmten Fällen unbefugte Hilfeleistungen in Steuersachen an die Steuerberaterkammern zu melden. Obendrein werden die Steuerberaterkammern dann noch verpflichtet, in diesen Fällen wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend zu machen. Im Ergebnis sollen also die Finanzbehörden bei den Steuerberaterkammern petzen und die Steuerberaterkammern dann die Verpetzten mit Klagen überziehen. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, erstens ist das hier rechtsdogmatisch fragwürdig, vermischen Sie doch staatliche Sanktionen und zivilrechtliche Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche. Zweitens erschweren Sie hier den -ohnehin gegenüber Steuerberaterinnen und Steuerberatern benachteiligten Buchhalterinnen und Buchhaltern ihre Berufsausübung ganz erheblich, da diese ständig fürchten müssen, in rechtlichen Grauzonen zu agieren und in der Folge mit Bußgeldern und Schadensersatzansprüchen überzogen zu werden. Das ist, mit Verlaub, ständisch orientierte Interessenpolitik zugunsten der Steuerberaterlobby. Ich habe es eingangs schon erwähnt, die Fraktion Die Linke begrüßt eine übersichtlichere Gestaltung des Steuerrechts ausdrücklich. Nur leider ist der von Ihnen vorgelegte Entwurf eben etwas vorschnell und schwächelt in den besagten Teilen. Daher können wir hier leider keine Zustimmung geben, sondern werden uns der Stimme enthalten. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften regelt die Begrenzung der zollfreien Menge von Zigaretten, die aus Kroatien mitgebracht werden darf. Darüber hinaus haben die von Regierung und Koalition vorgesehenen Änderungen in 15 Gesetzen, 3 Durchführungsverordnungen und 19 eingebrachten Änderungsanträgen nur wenig bis gar nichts mit dem EU-Beitritt Kroatiens zu tun. Die Koalition schiebt uns hier ein kleines Jahressteuergesetz unter, ohne es so zu nennen. Im Herbst kommt dann der nächste Schwung in einem Jahressteuergesetz, das auch so heißen darf. Die Befürchtung bleibt, dass die Koalition auch dann die großen steuerlichen Baustellen unbearbeitet lässt. Mit der Änderung bei der sogenannten Entstrickungsbesteuerung mit dem § 50 i des Einkommensteuergesetzes schließen Sie ein Einfallstor für Gestaltungsmissbrauch, das noch vor einem Jahr die Regierung Merkel selbst mit dem Amtshilferichtlinien-Umsetzungsgesetz in die Welt gesetzt hat. So war das aber nicht gemeint, wenn im Koalitionsvertrag eine Initiative gegen Steuergestaltung angekündigt wird. Erst die Löcher selbst zu schaffen, um sie dann wieder zuzuschütten wird hoffentlich nicht zur Methode dieser Großen Koalition. Mit der Einführung des sogenannten Mini-One-Stop-Shop wird eine Vorgabe der Mehrwertsteuersystemrichtlinie umgesetzt. Der Leistungsort von elektronischen Telekommunikations-, Rundfunk- und Fernsehleistungen wird an den Verbraucher gekoppelt. Diese Änderung führt zu deutlichen Umsatzsteuermehreinnahmen, sodass aus einem Gesetzespaket, das eine volle Jahreswirkung von lediglich 20 Millionen Euro umfassen sollte, nunmehr jährlich etwa 350 Millionen Euro zusätzlich erwartet werden. Doch die großen Themen, die Ihnen die EU-Kommission und die Sie sich selbst in ihrem Koalitionsvertrag ins Stammbuch geschrieben haben, geht diese -Koalition nicht an. Die EU-Kommission fordert Deutschland auf, die Abgabenlast für Geringverdiener zu senken, Kapitaleinkommen höher zu besteuern und Fehlanreize für Zweitverdiener endlich abzuschaffen. Und obwohl selbst der Bundesfinanzminister von sich behauptet, nie ein großer Freund der Abgeltungsteuer gewesen zu sein, schaffen Sie es nicht, die ungerechtfertigte steuerliche Subventionierung von Kapital- gegenüber Arbeitseinkommen abzuschaffen. Hinzu kommt der Koalitionsvertrag, der diese Koalition zur Bekämpfung unerwünschter Steuergestaltung verpflichtet. Die EU-Kommission wird aktiv und unterzieht Irland und Luxemburg einem Prüfverfahren wegen Wettbewerbsverzerrung bei der Besteuerung von Großkonzernen. Was kommt von Ihnen? Nichts. Stattdessen gelingt es Ihnen, bei der Umsatzsteuer auch noch neue Ausnahmen zu schaffen, die an Realitätsferne kaum überboten werden können. Die Reform der Umsatzsteuer ist überfällig, doch statt sich von der Klientelpolitik der schwarz-gelben Koalition zu lösen und beispielsweise die Hotelsteuer endlich abzuschaffen, setzt diese Koalition den Weg der Aushöhlung des Umsatzsteuergesetzes weiter fort. Die Erhebungslücke der Umsatzsteuer gefährdet die öffentlichen Haushalte. Jetzt soll auf den Verkauf von Hörbüchern der ermäßigte Umsatzsteuersatz von sieben Prozent gelten. In der Begründung Ihres Änderungsantrages schreiben Sie: „Von den begünstigten Hörbüchern sind Hörspiele abzugrenzen, die von der Umsatzsteuerermäßigung ausgeschlossen sind. Hörspiele -unterscheiden sich von den begünstigten Hörbüchern durch die Verwendung dramaturgischer Effekte, verteilte Sprecherrollen, Geräusche sowie von Musik und gehen damit über die Wiedergabe einer bloßen Buchlesung hinaus.“ Außerdem sind sie abzugrenzen gegen Hörzeitschriften, für die weiter der volle Mehrwertsteuersatz gilt, und natürlich auch gegenüber allen Downloads, die ebenfalls vom verminderten Steuersatz nicht profitieren. Irrsinn! Alle Experten, von den Finanzbeamten bis zum DIHK, lehnten diesen neuen Ermäßigungstatbestand in der öffentlichen Anhörung ab und stellten die Frage: Wie sollen diese Abgrenzungskriterien in der Praxis überhaupt greifen? Wie sollen Umsatzsteuersonderprüfer nach Kriterien wie „keine dramaturgischen Effekte oder Geräusche“ eine sinnvolle Prüfung durchführen? Das ist doch offensichtlich gar nicht umsetzbar. Betriebsprüfungen und Umsatzsteuersonderprüfungen kommen regelmäßig zu Mehrergebnissen in Höhe von vier Milliarden Euro pro Jahr, die ohne diese -Prüfungen im Erhebungsverfahren unter den Tisch -gefallen wären. Allein die Steuerfahndung sorgt für weitere Umsatzsteuermehreinnahmen im Umfang von etwa zwei Milliarden Euro. Diese prüfungsbedingten -Mehreinnahmen sind ein Indiz für den unentdeckt gebliebenen Bereich wirtschaftlicher Tätigkeiten, die der Umsatzbesteuerung entgehen. Zählt man die Niederschlagungen und Insolvenzen dazu, zeigt sich, wie groß das Ausfallrisiko im Umsatzsteuersystem ist. All das hindert diese Koalition nicht, eine neue Ausnahme für Hörbücher zu beschließen. Fazit: Dieses Omnibusgesetz ist ein kleines Gesetz, mit dem der Gesetzgeber seiner Pflicht nachkommt, seine Hausaufgaben erledigt, nämlich missbräuchliche Steuergestaltungs- und Hinterziehungsmöglichkeiten einzudämmen. Das begrüßen wir. Aber die GroKo patzt vollständig bei der Kür. Mit dem verminderten Mehrwertsteuersatz auf Hörbücher läuten Sie wider besseres Wissen und grob fahrlässig die nächste Runde im steuerpolitischen Irrsinn Deutschlands ein. Wir werden uns deshalb enthalten. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1995, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/1529 und 18/1776 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen einführen Drucksache 18/1872 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden, und ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Artur Auernhammer (CDU/CSU): Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen zu fordern, weckt in mir als allererstes ostalgische Gefühle. Vor etwa 23 Jahren besuchte ich eine brandenburgische „Milchproduktionsstätte“ mit 2 500 Milchkühen, die – fernab von bäuerlicher Idylle – separate Sonderstallungen für bis zu 100 trächtige Färsen und Kühe vorhielt. In Akkordarbeit widmete man sich dort gemeinsam mit dem Tierarzt den in Reih und Glied stehenden kalbenden Rindern. Kalbungen im Fließbandtakt, ein ganz neues Erlebnis. So auch die Bezeichnung dieses Verschlags: Abkalbestall. Dieses Bild drängt sich mir immer wieder auf, wenn ich Ihren Antrag lese, meine Damen und Herren Kollegen von der Linken. Immer wenn ich von diesem Erlebnis berichte, verdrängt ein Bild von scheinbar „böser Massentierhaltung“ die Idylle der „lächelnd grasenden lila Kuh“. Doch es ist falsch. Konventionelle Tierhaltung, Intensivtierhaltung und kleinteilige, vielfältige Landwirtschaft sind jeweils eine Seite derselben Medaille. Das obige Bild des brandenburgischen Großbetriebes – so weit er von der gefühlten ländlichen Idylle eines Familienbauernhofes entfernt scheint – sagt nichts aus über die fachliche Betriebsführung – diese war gut –, sagt nichts aus über die veterinärmedizinische Versorgung der Rinder im Speziellen und sagt nichts aus über die Tiergesundheit der Hausrinder im Allgemeinen. Nichts von alledem, was Tierwohl ausmacht, ist durch mein eingangs geschildertes Erlebnis per se gefährdet gewesen. Es zeigt vielmehr eines: Gute landwirtschaftliche Praxis ist keine Frage der Stallgröße; vielmehr sind Wissen und der richtige Umgang mit dem Tier entscheidend. Fachkenntnis ist nach wie vor Garant der deutschen Agrarwirtschaft. Meine Damen und Herren Kollegen von der Linken, manchmal scheint es, dass Sie den Großbetrieben diese Fachkenntnis grundsätzlich absprechen wollen. Nach diesen ersten, ostalgischen Gefühlen, will ich gern zu Ihrem Antrag inhaltlich Bezug nehmen. a) Ich teile nicht Ihre Auffassung, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher konventionelle Tierhaltung gering schätzen. Zwar ist es zutreffend, dass ein Teil der Bevölkerung Biofleischprodukte im besonderen Maße honoriert und auch bereit ist, diese trotz höherer Einkaufspreise zu konsumieren. Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger orientiert ihre Kaufentscheidung jedoch allein am Fleischpreis je Kilogramm, und diese Einstellung ist nachvollziehbar und auch in der Debatte um Tiergesundheit zu beachten. Der Kostenfaktor ist erfahrungsgemäß nur so lange ausreizbar und die Akzeptanz für weitere und höhere Standards gegeben, bis Stallumrüstungen oder Ähnliches zu Betriebsschließungen führen und Produktionsverlagerungen ins Ausland die deutsche Tierhaltung enorm reduzieren.   b) Dabei ist unser Export gerade deshalb so gut, weil die Qualität stimmt. Die deutschen Standards sind auf einem guten und dem internationalen Vergleich standhaltenden hohen Niveau.   Sie fragen zudem in Ihrem Antrag: Wie und wie viele Tiere an einem Standort und in einer Region gehalten werden, muss bei einer solchen Diskussion im Fokus stehen. Doch verkennen Sie, dass das Tierwohl durch die Qualität der Pflege und Betreuung geprägt wird, durch Ernährung und artgerechte Haltebedingungen und nicht von der Anzahl der Tiere je Region abhängt. Da sind mir auch gesetzliche Regelungen bekannt, deren Einhaltung und Umsetzung dem Tier und dessen Fürsorge dient. Von Ihnen geforderte Regularien gibt es bereits in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. In dieser steht auch das Rind und dessen Wohl im Fokus; erstens.   Zweitens. Ich schätze, dass Standards auch hinterfragt werden und ihre Überprüfung gefordert wird. Wir können aber nicht allein einen nationalen Weg suchen, wenn der Markt der Produkte längst schon ein internationaler ist. Ich fordere deshalb eine Harmonisierung der EU-Staatenstandards im Sinne einer Vereinheitlichung, die hohe Güte europaweit garantiert. Das heißt eben nicht, die deutschen Standards zu nivellieren. Hier jedoch einseitig die guten Tiergesetze unseres Landes unter dem Deckmantel der Vorreiterrolle weiterentwickeln zu wollen, ohne die Auswirkungen auf die deutsche Agrarwirtschaft zu bedenken, ist der falsche Weg. Dies lehnen wir entschieden ab. c) Ihr Antrag enthält aber auch Punkte, die wir nachvollziehen können, deren Ansicht wir teilen, das gebe ich offen zu.   In der Summme sind die Gründe, die für eine Ablehnung sprechen, jedoch gewichtiger. Ich will Ihnen dies abschließend an weiteren Beispielen aufzeigen.   So spricht der Antrag von einem Primat der Steigerung der Tierhaltungsqualität. Doch der Zusammenhang eines Verbandsklagerechtes mit dem Tierwohl drängt sich mir nicht auf. Vielleicht können Sie dies noch einmal aufzeigen. d) Zudem bin ich der festen Überzeugung, dass wir die Tiergesundheit nicht steigern, wenn eine Region einen zugewiesenen Tierschlüssel erhält und ein Bundesgesetz eine Obergrenze an Paarhufern je Landkreis festschreibt. Doch Sie fordern von der Bundesregierung einen Gesetzentwurf, der „Bestandsdichten für Regionen“ definiert, soll also heißen: Wenn ich ein Rind kaufe und zur Milchproduktion halte, muss mein Nachbar zwei Schweine schlachten, damit die regionale Tierdichte stimmt?– Und das im Namen des Tierwohls? Das ist nicht im Interesse des Tieres, nicht im Interesse der deutschen Landwirtschaft und nicht im Interesse des Verbrauchers. Und mutmaßlich auch nicht in Ihrem Sinne, oder? Meine Damen und Herren, die Antragsfraktion will die „Tiergesundheitsvorsorge und die konkrete Situation vor Ort“ durch ein Bundesgesetz aus Berlin „in den Mittelpunkt … rücken“. Ich halte dagegen und sage: Vergessen wir alle nicht, dass Landwirtschaft die Wirtschaft des ländlichen Raumes ist. Sie dient – trotz aller Greeningmaßnahmen – primär der Lebensmittelproduktion. Die Landwirtschaft ist ökologisch, sie ist sozial und auch tiergerecht; aber sie muss auch ökonomisch sein und bleiben. Ein nationaler Agrarsektor und eine deutsche Agrarpolitik, die die Marktlage verkennt, handelt fahrlässig und riskiert zudem enormes Potenzial – auch für den Lebensmittelexport.   Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Meinung, 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger wollen wir auch weiterhin ernähren. Die Linke hält dagegen, der Versorgungsgrad an Rindfleisch liegt mit 109 Prozent deutlich über dem Bedarf. Ist das wirklich Ihre Einstellung, die deutsche Lebensmittelproduktion so zu gestalten, dass wir nur für uns produzieren und nichts in den Export geben? Gilt dies dann auch für die Automobilindustrie? Ich frage mich: Was machen wir, wenn andere Länder dann auch nichts in den Export geben? Kurt Tucholsky wüsste auf jeden Fall eine Antwort. Er würde rufen: Deutsche, kauft deutsche Bananen! Dieter Stier (CDU/CSU): Wir beraten heute über einen Antrag der Fraktion Die Linke, welche die Einführung von Obergrenzen für Tierhaltungen fordert. Zunächst einmal bin ich der Fraktion Die Linke dankbar, dass sie mir kurz vor der Sommerpause des Parlamentes mit ihrem Antrag Gelegenheit gibt, ein landwirtschaftliches Thema hier im Hohen Hause zu diskutieren. Denn die Bäuerinnen und Bauern und die Mitarbeiter der landwirtschaftlichen Betriebe, auch der Veredlungsbetriebe mit Tierhaltungen, sind es, die wesentlich zum Wohlstand in unserer Gesellschaft beitragen. Dafür sage ich zu Beginn meiner Rede den Beschäftigten in dieser Branche, die sich 365 Tage im Jahr, an Wochentagen, an Samstagen und Sonntagen, aber auch an Feiertagen, mit viel Hinwendung um ihre Tiere kümmern, herzlichen Dank. Und ich sage zu Beginn meiner Rede ebenfalls unserem Minister für Landwirtschaft und Ernährung, Christian Schmidt, herzlichen Dank, dass er sich klar zur Tierhaltung in Deutschland bekennt, und dieses klare Bekenntnis zur Tierhaltung gebe auch ich heute für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hier im Plenum des Deutschen Bundestages ab. Mit Ihrer Forderung, Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen einzuführen, werfen Sie die Frage auf, wie groß Anlagen für die landwirtschaftliche Nutztierhaltung sein dürfen. Wir sind bei Ihnen, wenn es darum geht, einen gesellschaftlichen Diskurs über Größen von Tierhaltungsanlagen zu führen; dabei sind wir in der Großen Koalition jedoch bereits auf einem guten Weg. Nun komme ich zu einzelnen Forderungen aus Ihrem Antrag: Sie fordern, einen Gesetzentwurf vorzulegen, in welchem Obergrenzen pro Standort und Bestandsdichten für Regionen zu definieren sind. Wir unterstützen die weitere Diskussion zu diesen Themen, halten aber die Festlegung von absoluten Tierzahlen, wie von Ihnen gefordert, aus heutiger Sicht für den falschen Weg. Mir stellt sich dabei zuerst die Frage: Wie wollen wir den Begriff „Standort“ definieren? Wie wollen wir den Begriff „Region“ beschreiben? Wollen wir auch zum Beispiel verschiedene Nutztierarten pro Quadratkilometer oder Ortschaft zusammenrechnen oder sie einzeln betrachten? Mit welcher Begründung wollen Sie einem Landwirt in einem Ort die Tierhaltung genehmigen und einem weiteren, weil er sich vielleicht erst später zur Tierhaltung entscheidet, aber die festgesetzte Obergrenze bereits erreicht ist, das Wirtschaften oder den Stallneubau verbieten? Für mich viele Fragen, die wohl sicher nicht mit der schnellen Festlegung von Zahlen zu beantworten sind. Und ich sage es Ihnen deutlich: Ich bin nicht dafür, landwirtschaftlichen Betrieben, die in entsprechender Größe nicht nur produzieren wollen, sondern es durch die fachliche Qualifikation ihrer Mitarbeiter oder die Einhaltung anderer vertretbarer Parameter auch können, einen Deckel aufzusetzen und mit einer Bestands-obergrenze die ohnehin stark reglementierte Tierhaltung auszubremsen. Gerade mein Heimatbundesland Sachsen-Anhalt ist schon heute eines der viehärmsten Flächenländer Deutschlands; ich weiß jedoch, dass es in anderen Regionen unseres Landes auch anders ist. Ich darf auch daran erinnern, dass die Städte, Gemeinden und Landkreise bereits heute vielfältige Instrumente des Planungsrechts in der Hand halten, um sachgerecht über Tierhaltungsanlagen zu entscheiden. Dabei „Groß“ gegen „Klein“ auszuspielen, halten wir für falsch. Jede Betriebsgröße sollte in unserem Land eine Daseinsberechtigung haben, jede hat auch Vorteile, und jede hat auch Nachteile. Ich glaube auch, dass die Frage der Größe von Tierhaltungen vor Ort viel besser entschieden werden kann, weil auch die regionalen Unterschiede in unseren ländlichen Regionen dieses so zulassen, aber auch unterschiedliche Siedlungsstrukturen dieses erfordern. Diese mit Sach- und Fachverstand abzuwägen, sie aber auch unter den Aspekten der Wirtschaftlichkeit zu betrachten, sollten wir vorrangig den Betriebsinhabern mit ihrer Berufserfahrung überlassen und sie dabei mit möglichst wenig Bürokratie begleiten. Wir sind bei Ihnen, wenn es um die Minimierung des Risikos der Einschleppung und Verbreitung von Tierseuchen, insbesondere Zoonosen, und volkswirtschaftlicher Schäden geht. Auch dazu bedarf es allerdings Ihres Antrages nicht. Bereits in der vorhergehenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages haben wir das alte Tierseuchengesetz durch ein modernes Tiergesundheitsgesetz abgelöst, welches Ihre Forderung bereits aufgreift. Viel Geld haben wir auch in die Forschung gesteckt. Damit sind wir auch bereits auf einem guten Weg, die Sicherung der Umsetzung von wissenschaftlich begründeten Bekämpfungskonzepten im Fall des Ausbruchs von Tierseuchen abzuarbeiten. Ich erinnere hierbei zum Beispiel an das erst im vergangenen Jahr eingeweihte hochmoderne Forschungslabor beim Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems. Ihren Vorschlag, bei Stallneubauten eine Förderung auch von Verbesserungen für den Tierschutz abhängig zu machen, finden wir gut. Aber auch dazu sage ich Ihnen: Jeder Stallneubau ist heute schon ein Fortschritt für mehr Tierwohl. Es gibt aber auch Forderungen in Ihrem Antrag, welchen wir nicht folgen können. So lehnen wir zum Beispiel ein Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisationen auf Bundesebene weiterhin klar ab. Bereits heute muten wir unseren Landwirten viel Bürokratie zu, es kann keineswegs richtig sein, hier weitere planungsrechtliche Hürden aufzubauen, Fachkundige Behörden in unserem Land sind durchaus in der Lage, die gesetzlich vorgegebenen hohen Tierschutzstandards zu beurteilen. Es braucht hier nicht die Einschaltung weiterer Organisationen, welche nur die Bearbeitungszeiten verlängern würden. Sie sehen also, dass wir bei vielen von Ihnen angesprochenen Themen auf einem guten Weg sind. Im -Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, weitere Verbesserungen auch in dieser Legislaturperiode zu erreichen. So ist es zum Beispiel Ziel, das Tiergesundheitsgesetz und das Tierarzneimittelrecht sinnvoll in einem einheitlichen Rechtsrahmen zusammenzuführen. Ein weiteres Ziel ist die Förderung der Sachkunde der Tierhalter. Dabei dürfen wir nach meiner Meinung jedoch auch den Heimtierbereich nicht auslassen. Wir laden auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition ein, die Diskussion zur weiteren Entwicklung der ländlichen Räume und der Tierhaltungsanlagen mit uns sachlich zu führen. Im Rahmen einer nationalen Tierwohl-Offensive wird auch diese Große Koalition in den nächsten Jahren weitere Verbesserungen erreichen. Dabei geht jedoch Gründlichkeit vor Schnelligkeit; die Wissenschaft und den Berufsstand beziehen wir bei unseren Vorhaben in die Entscheidungsfindung ein. Ihren Antrag lehnen wir heute ab, da er aus unserer Sicht nicht zielführend ist. Christina Jantz (SPD): Zu später Stunde beraten wir den Antrag der Linken, der überschrieben ist mit „Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen einführen“ – so klar der Titel scheint, so wenig zielführend ist das, was dahintersteckt. Der Antrag der Linken geht inhaltlich an vielen Stellen in die richtige Richtung – keine Frage – und ist doch zu kurz gedacht und weist handwerkliche Fehler auf. Es ist schon irritierend, wenn in einem Antrag zur landwirtschaftlichen Nutztierhaltung an keiner Stelle die Worte „Bäuerin“ bzw. „Bauer“ auftauchen oder nur an einer einzigen Stelle von Landwirtinnen und Landwirten die Rede ist. Es wird uns nicht gelingen, echte und nachhaltige Verbesserungen beim Tierwohl in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zu erlangen, wenn wir diejenigen ausschließen, die tagtäglich mit den Tieren umgehen. Nachhaltige Nutztierhaltung fängt im Stall an. Die große Mehrheit der deutschen Bauernschaft ist engagiert und kümmert sich um die Tiere in ihrer Verantwortung – das ignorieren Sie mit diesem Antrag! Darüber hinaus ignorieren Sie, dass uns die Landwirte neben beispielsweise den Tierschutzorganisationen viel zu guter Tierhaltung sagen können. Und gute Tierhaltung lässt sich nicht auf die Anzahl der in einem Stall gehaltenen Tiere reduzieren. Vielmehr ist die Frage des „Wie“ entscheidend. Nur im Dialog können wir zu besseren Haltungsbedingungen gelangen. Wir wollen keine Schnellschüsse. Wir wollen tragfähige Entscheidungen für die Landwirte, damit wir eben nicht, wie Sie es so schwammig formulieren, zu einer „Verdrängung von kleinen Tierhaltungen“ kommen. Vielmehr wollen wir spürbare Verbesserungen für die Tiere – keine bloße Deckelung des Bestandes. Ebenso wie Sie die Bauern ignorieren, degradieren Sie in Ihrer Begründung die Konsumenten. Sie unterstellen ihnen, schon gewählt zu haben. Ihre Rede von der „Abstimmung mit dem Einkaufswagen“ suggeriert, dass sich der Konsument bereits dauerhaft entschieden hat und wir deshalb verstärkt regulierend in den Markt eingreifen müssten. Wir hingegen halten den Bürger für mündig und wollen, bevor wir den Markt überregulieren, dem Konsumenten eine echte Chance geben und eine umfassende Kennzeichnung von Lebensmitteln befördern. Wir sehen bereits, dass Qualität auf dem Markt Bestand hat. Eine tiergerechte Nahrungsmittelproduktion wird zunehmend vom Verbraucher honoriert. Grundvoraussetzung dafür ist jedoch, dass wir diese hohen Standards sichtbar machen. Dafür brauchen wir eine entsprechende Zertifizierung. Nur durch eine klare und transparente Kennzeichnung mit einem Tierschutzsiegel hat der Verbraucher eine echte Wahl und kann bewusste Entscheidungen treffen. Natürlich geht das Wohl der Tiere vor – es muss zudem sichergestellt werden, dass wir mit unseren Betrieben und unseren Produkten am Markt bestehen können und zugleich einen der höchsten Standards in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung haben. Das werden Sie mit Ihrem Einheitskonzept, bei dem grundsätzliche Bestandsobergrenzen festgelegt werden, nicht erreichen. Sie ignorieren damit nicht nur weitestgehend die regionalen Besonderheiten und Gegebenheiten vor Ort, sondern auch, dass die Haltungsbedingungen maßgeblich sind. Zu einer guten Gesetzgebung gehört es, dass man nicht systematisch bestimmte Beteiligte aus diesem Dialog ausklammert. Wir haben uns in der Großen Koalition klar auf eine Marschroute geeinigt. Deshalb werden wir in den kommenden Monaten intensiv mit allen Beteiligten diskutieren und handwerklich saubere Entscheidungen treffen. Der Koalitionsvertrag gibt dabei die Richtung vor. Wir haben unter anderem eine nationale Tierwohl-offensive vereinbart. Denn wir wollen sichtbare Verbesserungen beim Tierwohl. Die Nutztierhaltung muss tiergerechter werden. Sie passt sich damit auch den genannten veränderten Wünschen in der Gesellschaft an. Gemeint sind unter anderem: erstens die allgemeine Tiergesundheit – hier spreche ich insbesondere das Tiermittelarzneimittelrecht an –, zweitens den Tieren zu ermöglichen, sich natürlich zu verhalten, drittens eine stärkere Berücksichtigung des Wohlbefindens der Tiere. Das heißt, dass die Verletzungs-, Schmerz- und Stressrisiken möglichst verhindert werden. Dies alles auch vor dem Hintergrund, dass gute Haltungsbedingungen weniger kranke Tiere bedeuten und damit der Medikamenteneinsatz zurückgefahren wird. Die gesetzlichen Regeln zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes werden wir unbürokratisch und praxisnah umsetzen. Daran schließt sich an, dass wir ein bundeseinheitliches Prüf- und Zulassungsverfahren für Tierhaltungssysteme einführen werden. Die SPD hat schon früh einen Tierschutz-TÜV gefordert. Das bedeutet, dass es zukünftig für serienmäßig hergestellte Stallsysteme einheitliche Prüfrichtlinien geben wird. In diesem Bereich werden wir in den kommenden Wochen und Monaten intensiv diskutieren und praktikable Lösungen entwickeln. Ziel ist es außerdem, EU-weit einheitliche und höhere Tierschutzstandards durchzusetzen. Wir streben eine flächengebundene Nutztierhaltung an. Ziel ist es, eine tiergerechte Haltung in Deutschland zu fördern. In den kommenden Monaten werden wir mit allen Beteiligten – den Tierschutzorganisationen, den Landwirten, Wissenschaftlern und auch Konsumenten – sprechen. Nur auf diesem Wege kommen wir zu vernünftig ausgearbeiteten Lösungen im Bereich der Nutztierhaltung. Wir werden diesen Prozess nutzen, um die von uns bereits im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Leitlinien einer zukünftigen landwirtschaftlichen Nutztierhaltung vernünftig auszuarbeiten und in eine gute Gesetzgebung umzumünzen. Schnellschüsse, die einzelne Gruppen ignorieren, notwendige regionale Fragestellungen übergehen, die Versorgungssicherheit der Bevölkerung gefährden können und die Haltungsbedingungen als entscheidendes Element weitestgehend außer Acht lassen, werden wir nicht mittragen. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die landwirtschaftliche Tierhaltung steckt in einem Dilemma. Klar ist: Wir brauchen sie, für Milch und Fleisch, aber auch Leder, Wolle und andere Produkte, zur Pflege der Kulturlandschaft, für den Naturschutz und den Landtourismus. Nutztiere sind die besten Deichschützer, und sie sichern die Bodenfruchtbarkeit im Ackerbau. Darüber hinaus bindet eine Landwirtschaft mit Tierhaltung mehr Arbeitsplätze in den Dörfern als der reine Ackerbau. Aber die Tierhaltungsbetriebe stehen am Pranger, zumindest viele von denen, die noch übrig geblieben sind. Denn gerade landwirtschaftliche Tierhaltungen sind Opfer des Strukturwandels und geben auf. Fakt ist, dass wir dramatische Fehlentwicklungen in der Tierhaltung haben. Im Zentrum der Kritik stehen die Betriebe. Aber aus Sicht der Linken gehören die eigentlichen Ursachen und die wirklichen Profiteure dieser Entwicklung an den Pranger gestellt, allerdings ohne die aus ihrer -Verantwortung zu entlassen, die das mitmachen oder rechtfertigen und gar so tun, als ob es gar keine Probleme gäbe – wie gerade aus der Union oft zu hören ist. Das marktwirtschaftliche Regelwerk des Kapitalismus zwingt auch landwirtschaftliche Betriebe, immer billiger zu produzieren. Die Diktatur des Geldes macht ausgerechnet die zu Verlierern, die mit sozialer und ökologischer Verantwortung arbeiten. Sieger sind die, die skrupellos und gierig genug sind, Bedenken – auch ethische – beiseite zu schieben. Deshalb ist dieser sogenannte Wettbewerb absurd und seine Folgen sind inakzeptabel. Eigentlich müsste die Dominanz des Geldes gebrochen werden, um Nutztiere wirksam vor Profitgier zu schützen. Aber für so tiefgreifende Systemkorrekturen gibt es zurzeit keine politischen Mehrheiten. Leider. Aber das entlässt uns als Gesetzgeber erst recht nicht aus der Pflicht, wenigstens die gröbsten Fehler im System zu verhindern oder zu beseitigen. Dazu brauchen wir Mut im Parlament; denn wir müssen uns mit den Profiteuren des Systems anlegen. Das heißt zum Beispiel, die Preisdiktatur der Verarbeiter und des Lebensmitteleinzelhandels zu verhindern. Was dabei herauskommt, wenn man dem Markt das Regieren überlässt, sieht man an der dramatischen Fehlentwicklung in der Tierhaltung. Dabei geht es nicht nur um Schnäbelkürzen, betäubungslose Ferkelkastration oder Schreddern männlicher Küken. Dazu gehört auch, dass immer mehr Tierhaltungsanlagen weder in die Landwirtschaft noch in die Region in-tegriert sind. Diese Entkoppelung trägt dazu bei, dass Tierhaltungsanlagen immer größer werden. Megaställe mit über 400 000 Hähnchen oder 40 000 Schweinen sind längst keine Ausnahmen mehr. Allein in Brandenburg sind aktuell 35 solcher Vorhaben beantragt. Und in einigen Regionen werden so viele Tiere gehalten, dass für die Gülleentsorgung ein Vielfaches der Landkreisfläche gebraucht würde, zum Beispiel im niedersächsischen Schweine- und Geflügelgürtel. Es stimmt, dass in Ostdeutschland zu wenige -Nutztiere für funktionierende landwirtschaftliche -Stoffkreisläufe gehalten werden. In Brandenburg sind es 0,4 Großvieheinheiten je Hektar. In NRW gigantische 121! Aber diesen regionalen Mangel mit Megaställen auszugleichen, ist inakzeptabel! Außerdem zeigt ein Blick auf den Selbstversorgungsgrad, dass wir nicht mehr Nutztiere brauchen: 116 Prozent beim Schweine- und 111 Prozent beim Geflügelfleisch. Wir brauchen eine sozial-ökologisch verträglichere regionale Verteilung der Nutztierbestände, statt ostdeutsche Böden als Gülle- und Mistentsorgungsflächen zu missbrauchen und Gülletourismus aus dem Westen zu organisieren. Deshalb legt die Linke heute diesen Antrag zur Deckelung der Tierbestände vor, die pro Standort und pro Region definiert werden soll. Und das ist dringend; denn es geht nicht um eine hypothetische Gefahr, sondern um einen real existierenden Prozess, den wir aufhalten müssen. Wenn alle bisherigen Argumente nicht überzeugen konnten, zum Schluss ein dramatisches Szenario: Bei Verdacht auf Afrikanische Schweinepest, die ja gerade vor der Tür steht, muss ein Bestand getötet werden, auch wenn er aus 40 000 gesunden Schweinen besteht. Das will sich wohl niemand vorstellen müssen, -geschweige denn erleben. Auch deshalb sind solche Megaställe nicht zu verantworten. Wir sind als Gesetzgeber gefordert. Lassen sie uns gemeinsam diesen Unsinn stoppen. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich glaube, Sie haben ein Problem. Einerseits ist es richtig, dass die Bürgerbewegung gegen die Massentierhaltung längst auch den Osten erreicht hat und zu einer entscheidenden politischen Kraft geworden ist. Zum Zweiten ist es richtig, dass im August und September Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen sind und dort die Großtierhaltungen ein wichtiges Thema sind. Zum Dritten ist es richtig, dass die Bewegung gegen Massentierhaltung ein erhebliches Wählerpotenzial darstellt. Diese Bewegung und die sie tragenden Menschen wollen keine flächendeckende Massentierhaltung im Westen, aber sie wollen auch keine agroindustriellen Großmastfabriken im Osten mit 36 000 Schweinen oder 400 000 Hühnchen. Der vorliegende Antrag ist der Versuch, diese Tatsache etwas zu kaschieren. Machen Sie sich nicht zu Handlangern von Straathof und Co. Das muss ich Ihnen ja wohl nicht sagen. So wie Sie leider immer gegen eine Deckelung der EU-Direktzahlungen waren, so scheuen Sie auch bei der Tierhaltung die deutliche Kritik an der ganz großen Agrarindustrie. Verbünden Sie sich im Osten nicht mit den Falschen, so wie es die CDU im Westen tut. Sie versuchen einen Spagat, der nicht gelingen kann. Einerseits schreiben Sie Forderungen aus unseren Anträgen ab, wenngleich sie dabei ungenau bleiben und sich um Zahlen drücken. Vielleicht lesen Sie da noch einmal bei uns nach. Das steht alles sehr genau drin. -Andererseits drücken Sie sich um das grundsätzliche Problem herum. Warum setzen Sie das Wort Massentierhaltung eigentlich durchgängig in Anführungszeichen, sprechen von „sogenannter Massentierhaltung“ und bezeichnen diesen Begriff als Produkt der Medien? Massentierhaltung ist eine Tatsache. 40 000 Schweine, 400 000 Hühner in einer Anlage sind Massentierhaltung. Das kann man nicht wegdiskutieren, indem man behauptet, es ginge nicht um „Groß gegen Klein“. Ihr Antrag führt am Ende zu einer Ost-West--Spaltung: In den Intensivregionen im Westen soll es Begrenzungen geben, aber die ein oder andere Tierfabrik im Osten darf schon sein, wenn es insgesamt nicht zu viele werden. Sie versuchen, sich mit technokratischen Begriffen wie der epidemiologischen Einheit aus der Affäre zu ziehen, nur um nicht bekennen zu müssen, dass Sie die Hauptforderung der Bürgerinitiativen, der Volksinitiative gegen Massentierhaltung, des Bündnisses „Bauernhöfe statt Agrarfabriken“ und der „Wir haben es satt“-Demo eben nicht teilen: die Abkehr von der Massentierhaltung und die Förderung einer bäuerlichen Landwirtschaft. Hier liegt der Unterschied zwischen der Linken und uns Grünen: Die Linke glaubt immer noch daran, dass mit technologischen Lösungen innerhalb des agro--industriellen Komplexes die Probleme zu lösen seien. Wir sagen: Nur eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft ist imstande, Tiere artgerecht und wesensgemäß zu halten. Nur eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft ist in der Lage, lebendige ländliche Räume zu schaffen. Es geht um das rechte Maß in der Tierhaltung. Massentierhaltung kann nie das richtige Maß sein, weder im Westen noch im Osten. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1872 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter zum Jahresbericht 2013 der Bundesstelle und der Länderkommission Drucksachen 18/1178, 18/2003 Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hat uns den Jahresbericht 2013 vorgelegt, den wir heute zur Kenntnis nehmen und debattieren. Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe hat diese Debatte bereits geführt, die Beschlussempfehlung dazu wird die CDU/CSU heute annehmen. Bevor ich inhaltlich auf den Jahresbericht eingehe, möchte ich heute einmal mit einem namentlichen Dankeschön beginnen. Sehr geehrter Herr Lange-Lehngut, sehr geehrter Herr Adam, die ehrenamtliche Arbeit, die Sie bei der Bundesstelle gemeinsam mit Ihren Kollegen Rainer Dopp, Petra Heß, Michael Thewalt und Dr. Helmut Roos von der Länderkommission leisten, ist kaum zu ermessen. Mit hohem Zeitaufwand und viel persönlichem Engagement sind Sie im Einsatz, um die Sicherung der Menschenrechte in den Haftanstalten in Deutschland zu wahren. Ihre Arbeit ist ein wesentlicher Faktor dafür, dass in der Bundesrepublik das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe sowie das Fakultativprotokoll vom 18. Dezember 2002 umgesetzt werden. Vor gut fünf Jahren hat die Bundesstelle zur Verhütung von Folter ihre Arbeit aufgenommen, eineinhalb Jahre später die Länderkommission. Die Bundesregierung erfüllt damit ihre Verpflichtung zur Errichtung eines nationalen Präventionsmechanismus. Dass von einer nur formellen Erfüllung dieser Verpflichtung in Deutschland keine Rede sein kann, verdanken wir Ihnen, Herr Lange-Lehngut und Herr Adam. Regelmäßig legen Sie nicht nur Ihre Berichte vor, sondern suchen den persönlichen Kontakt zu Abgeordneten und dem Menschenrechtsausschuss. Dabei habe ich Sie als kompetente und ausgesprochen engagierte Vertreter Ihres Anliegens kennengelernt. Dass es sich hier nicht nur um meine persönliche, subjektive Einschätzung handelt, zeigt die Feststellung des VN-Unterausschusses zur Verhütung von Folter, der Deutschland 2013 besuchte, um die Nationale Stelle zu beraten. In seinem Abschlussbericht bescheinigte dieser Ausschuss, dass große Anstrengungen unternommen werden, um die Orte der Freiheitsentziehung zu überwachen. Das ist nicht weniger als ein Qualitätssiegel unter Ihre Tätigkeit. Mein herzlichen Dankeschön Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Bei aller Dankbarkeit gilt aber auch: Die Arbeit der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter kann – trotz der hohen Einsatzbereitschaft der Ehrenamtlichen – nicht dauerhaft mit den knappen personellen und finanziellen Ressourcen auskommen. Auch das stellte der VN-Unterausschuss in seinem Bericht fest. Ich begrüße daher ausdrücklich, dass am 25./26. Juni die Justizministerkonferenz beschlossen hat, den finanziellen Anteil der Länder an der Finanzierung der Stelle von 200 000 auf 360 000 Euro aufzustocken. Da auch der Bund bereit ist, seinen Anteil in gleichem Umfang, also von 100 000 auf 180 000 Euro zu erhöhen, werden der Nationalen Stelle ab 2015 540 000 Euro zur Verfügung stehen. Zurückweisen muss ich an dieser Stelle, die Forderung der Fraktion Die Linke, die eine unverhältnismäßige Erhöhung fordert. Ich zitiere aus der alternativen Beschlussempfehlung: „Hierfür muss das Budget verzehnfacht werden.“ Mit der tatsächlichen Aufstockung der Mittel, die fast eine Verdoppelung darstellt, wird die Arbeit erleichtert. Mit diesen Mitteln kann eine Aufstockung der Zahl der ehrenamtlichen Mitglieder der Länderkommission einhergehen. Sie soll von bisher vier auf acht Personen verdoppelt werden. Neben den praktischen Erwägungen für eine Erweiterung der Kommission – nach der einfachen Gleichung: mehr Personen gleich mehr Zeit und mehr Möglichkeiten – spielen auch fachliche Erwägungen eine Rolle: Das Expertenteam kann künftig breiter und stärker interdisziplinär zusammengesetzt sein. Das ist eine gute Nachricht und eine Anerkennung für die hochwertige Arbeit der Nationalen Stelle sowie des beharrlichen Einsatzes für die Sache: die Verhütung von Folter. Und damit komme ich zum inhaltlichen Teil meiner Rede: zum Thema Folter in Deutschland – und in diesem Zuge zu einer weiteren guten Nachricht: Der erwähnte VN-Unterausschuss stellte nach dem Besuch 2013 in seinem Abschlussbericht fest, dass es in Deutschland keine Fälle von Folter gab. Wie gut diese Nachricht tatsächlich ist, verrät ein Blick auf die Welt um uns her, den ich mir als Mitglied der Ausschüsse für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe sowie Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erlaube. Am 26. Juni, also vor einer Woche, wurde der Internationale Tag gegen Folter begangen. 30 Jahre nach Inkrafttreten der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen lässt sich nur eine ernüchternde Bilanz ziehen: 155 Staaten sind Vertragsstaaten der UN-Kon-vention. Bereits mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 erkennen die Staaten das Grundrecht auf ein Leben ohne Folter für jeden -Menschen weltweit an. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte schreibt das ausdrückliche und umfassende Verbot von Folter und andere Formen der Misshandlung fest. Am 26. Juni 1984 trat die Antifolterkonvention in Kraft. Das weltweite absolute Folterverbot ist aber auch nach 30 Jahren noch immer nicht umgesetzt. Folter ist eine fundamentale Menschenrechtsverletzung, die in vielen Staaten ungeachtet ihres Verbots noch immer gezielt und sogar routinemäßig zur Unterdrückung Oppositioneller, zum Erpressen von Geständnissen oder zur Ahndung von Straftaten in unerträglichem Ausmaß angewandt wird. Jegliche Art von Folter, von grausamer und unmenschlicher Behandlung muss geächtet werden, so wie es die UN-Antifolterkonvention verlangt. Der unlängst von Amnesty International veröffentlichte Bericht macht das immense Ausmaß der Anwendung von Folter deutlich. Insbesondere in Ländern des Nahen Ostens, den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und in asiatischen Ländern kommt Folter dem Bericht zufolge noch immer zum Einsatz. In 79 Ländern, die zu den Unterzeichnerstaaten der Konvention zählen, hat die Nichtregierungsorganisation in diesem Jahr bereits wieder Fälle von Folter dokumentieren müssen. Folteropfer leiden – sofern sie überhaupt überleben – oft ein Leben lang an physischen und schwersten psychischen Folgeerkrankungen. Da Folter meist im Verborgenen geschieht, muss Licht ins Dunkel, um Menschen vor diesem grausamen Verbrechen zu schützen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Berichte sind dramatisch. Um es zu wiederholen: Die Lage in Deutschland ist gut. Gerade im Lichte der weltweiten Situation ist das mehr als deutlich. Aber das ist eben keine Selbstverständlichkeit. Die Vermeidung von Folter lebt von verschiedenen Voraussetzungen, die in Deutschland durchweg gegeben sind – und eben erhalten und verstärkt werden müssen. Ich nenne einige Beispiele: Um Folter zu vermeiden braucht es Beschwerde-mechanismen innerhalb der Behörden sowie rechtsstaatliche Mittel, um gegen Verletzungen der eigenen Rechte auch klagen zu können. Entsprechend braucht es eine funktionierende Gewaltenteilung, eindeutige Gesetze und zuständige unabhängige Gerichte. Dazu gehört der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Ein wesentlicher Faktor zur Vermeidung von Folter ist das Personal: gut ausgebildete und speziell im Bereich der Menschenrechte geschulte Fachkräfte bei der Polizei, der Bundespolizei und der Justiz. Die Curricula der Ausbildungsgänge in Deutschland zielen auf diese Kernkompetenzen ab. Das ist ausdrücklich zu würdigen. Und natürlich ist die Umsetzung des VN-Präventionsmechanismus durch die Nationale Verhütungsstelle von Folter zu nennen. Dazu gehört elementar, sie – wie erwähnt – angemessen finanziell und personell auszustatten. Dazu gehört ebenfalls, ihre Vorschläge aufzunehmen und umzusetzen. Konkrete Vorschläge enthält der Jahresbericht. In jedem Jahr setzt die Stelle Schwerpunkte in ihrer Tätigkeit. Im Jahr 2013 lag dieser Schwerpunkt auf der Abschiebungshaft. Da deren Vollzug in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt, war hier eine enge Zusammenarbeit mit der Länderkommission notwendig. Untersucht wurden ebenfalls die Rückführungen per Flugzeug. Folgende konkrete Vorschläge wurden unterbreitet: Für den Vollzug von Rückführungen sind spezielle Abschiebungshafteinrichtungen nötig, die es bislang erst in drei Ländern gibt. Die anderen Länder sind nun am Zug, diese Vorschläge umzusetzen. Aber auch zum Schwerpunktthema zeigt der Berichte vor allem positive Erfahrungen: In den besuchten neun Einrichtungen ist die Länderkommission „auf zahlreiche gelungene und vorbildliche Praxisbeispiele beim Vollzug der Abschiebungshaft“ getroffen. Auch die beobachteten Rückführungen seien zufriedenstellend verlaufen. So musste die Bundesstelle nur geringe Empfehlungen zur Verbesserung der Situation geben. Das ist mehr als erfreulich. Durch die verbesserte Ausstattung der Nationalen Verhütungsstelle wird deren Arbeit ab 2015 weiter intensiviert werde. Das begrüße ich ausdrücklich. Denn die Bundesregierung muss weiter alles tun, um sich konsequent für das Verbot von Folter im In- und Ausland einzusetzen, wie es der Menschenrechtsausschuss in seiner Beschlussempfehlung fordert. Nur durch eine gute Arbeit in Deutschland können wir Standards setzen und ihnen auch international Geltung verschaffen. Erika Steinbach (CDU/CSU): Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede kurz den völkerrechtlichen Hintergrund skizzieren: Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe wird durch das Fakultativ-protokoll vom 18. Dezember 2002 um einen präventiven Ansatz erweitert. Es sieht vor, den Schutz vor Folter und Misshandlung durch ein Besuchssystem zu verbessern. Dies ist in Artikel 3 durch die Verpflichtung zur Errichtung nationaler Präventionsmechanismen beschrieben. Deutschland hat das Fakultativprotokoll am 4. Dezember 2008 ratifiziert. Die Bundesstelle zur Verhütung von Folter hat am 1. Mai 2009 ihre Arbeit aufgenommen, die Länderkommission am 24. September 2010. Beide Einrichtungen zusammen bilden als -Nationale Stelle den deutschen Präventionsmechanismus zur Verhütung von Folter. Gegenwärtig sind für die Bundesstelle der ehrenamtliche Leiter und seit Mai 2013 ein stellvertretender Leiter sowie für die Länderkommission vier ehrenamtliche Mitglieder tätig. Sie werden von vier hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterstützt. Hauptaufgabe der Nationalen Stelle ist es, Orte der Freiheitsentziehung aufzusuchen, auf Missstände aufmerksam zu machen und den Behörden Empfehlungen und Vorschläge zur Verbesserung der Situation der Untergebrachten, zur Verhütung von Folter und sonstigen Misshandlungen zu unterbreiten. Dies sind 280 Einrichtungen des Bundes sowie fast 2 000 Einrichtungen, für die die Länder zuständig sind. Den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit legte die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter im Jahr 2013 auf die Abschiebungshaft, deren Vollzug in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt, sowie auf Rückführungen auf dem Luftweg. Für den Vollzug plädiert die Nationale Stelle für spezielle Abschiebungshafteinrichtungen, die es bislang in drei Ländern gibt. Andere Länder nutzen für die Unterbringung Justizvollzugsanstalten. In den besuchten neun Einrichtungen ist die Länderkommission „auf zahlreiche gelungene und vorbildliche Praxisbeispiele beim Vollzug der Abschiebungshaft“ getroffen. Auch die beobachteten Rückführungen seien zufriedenstellend verlaufen, und die Bundesstelle musste nur geringe Empfehlungen zur Verbesserung der Situation geben. Der auch für die Bundespolizei insgesamt positive Jahresbericht 2013 stellte keinerlei Hinweise auf Verletzung der Menschenwürde innerhalb der Bundespolizei fest und lobte das persönliche Engagement der Beamtinnen und Beamten, die schwierige Situation von Betroffenen abzumildern. Daneben äußerte sich die Bundesstelle positiv über besondere Initiativen einzelner Dienststellen, beispielsweise bei der Bereitstellung von Hygieneartikeln für mittellose Personen. 2013 besuchte der zuständige VN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter Deutschland, um die Nationale Stelle zu beraten. In seinem Abschlussbericht stellt der Ausschuss rechtliche, strukturelle und institutionelle Probleme fest und bezieht sich dabei vor allem auf die finanziellen und personellen Ressourcen der Stelle und auf das Auswahlverfahren der Experten. Gleichzeitig hat der Unterausschuss die Anstrengungen der Behörden zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Fakultativprotokoll begrüßt und zur Kenntnis genommen, dass es nicht nur keine Fälle von Folter gab, sondern auch große Anstrengungen unternommen werden, um die Orte der Freiheitsentziehung zu überwachen. So sind die Themen Menschenrechte bzw. Menschenwürde und interkulturelle Kompetenz fester -Bestandteil der Aus- und Fortbildung in allen Laufbahngruppen der Bundespolizei. In den Fächern bzw. Bereichen Staats- und Verfassungsrecht/Politische -Bildung, Europarecht, Eingriffsrecht, Situations- und Kommunikationstraining, Fahndung und Vernehmung und Psychologie werden die Themen Menschenrechte, Grundrechte, Diskriminierungsverbot, Verbot von Misshandlungen und Folter, UN-Charta und Europäische Menschenrechtskonvention sowie interkulturelle Kompetenz behandelt. Verschiedene Fortbildungsveranstaltungen klären über Hintergründe und Ursachen von Diskriminierung auf und sensibilisieren für fremde Kulturen, Religionen und das Thema Migration. -Dadurch sollen Verständnis und Toleranz für alle -Menschen geweckt werden. Führungskräfte werden zusätzlich in komplexen und interkulturellen Kommunikationsprozessen geschult. Die Bundespolizeiakademie bietet weitere Fortbildungsmaßnahmen zur Förderung der interkulturellen Kompetenz und des kulturellen Verständnisses an. Beispielhaft seien genannt die Seminare „Polizei und Fremde“, „Globalisierung und Polizei“, „Politische Bildung für Führungskräfte“ und „Training zum Ausbau sozialer Kompetenz“. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in besonderen Aufgabenbereichen wie der Luftsicherheitskontrolle, der Rückführung und vor einer Auslandsverwendung werden im Themenfeld der interkulturellen Kompetenz gesondert geschult. Spezifische Angebote gibt es darüber hinaus in der dienststelleninternen Fortbildung. Die Aus- und Fortbildungsmaßnahmen der Bundespolizei werden regelmäßig hinsichtlich gegebenenfalls bestehenden Anpassungsbedarfs überprüft und – soweit erforderlich – optimiert. Zudem sind die vielfältigen Aufgaben der Bundespolizei mit Auslandsbezug, die regionalen und überregionalen Projekte und -Kooperationen mit interkultureller Ausprägung und die Kampagnen zur Gewinnung von Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund zu erwähnen. Sofern Fehlverhalten oder Misshandlungen durch Polizeibeamte gerügt werden, bestehen innerbehördliche und außerbehördliche Beschwerdemöglichkeiten, um dieses Verhalten in einem unabhängigen Verfahren rechtlich überprüfen zu lassen. Das im Strafrecht verankerte Legalitätsprinzip gewährleistet, dass bereits bei einem Anfangsverdacht für das Vorliegen einer Straftat staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Dabei haben die Ermittlungen umfassend, effektiv und objektiv zu erfolgen. Neben dem Rechtsweg zu den Gerichten stehen innerbehördliche Beschwerdemöglichkeiten gegen polizeiliches Fehlverhalten jedem offen. Jedermann kann eine ihn betreffende polizeiliche Maßnahme mit einer Dienst- oder Fachaufsichtsbeschwerde beanstanden, um die eigentliche Tätigkeit oder das persönliche Verhalten der Beamten durch den Dienstvorgesetzten überprüfen zu lassen. Der dezentrale, den Föderalismus widerspiegelnde Aufbau der Polizei in Deutschland sichert eine fachlich, personell und rechtlich enge Aufsicht durch vorgesetzte Stellen, die zuletzt durch die zuständigen Innenministerien wahrgenommen werden. Vor diesem Hintergrund erkennen wir das große -Engagement der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter im Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2013 ausdrücklich an. Die intensive Auseinandersetzung der zuständigen Bundes- und Ländereinrichtungen mit den jährlichen Berichten der Nationalen Stelle und die zeitnahe Umsetzung vieler Empfehlungen zeigen das Bestreben aller Beteiligten, das erreichte hohe Niveau in diesem Bereich weiter zu verbessern. Wir begrüßen es sehr, dass die Justizministerkonferenz am 25./26. Juni beschlossen hat, den finanziellen Anteil der Länder von 200 000 auf 360 000 Euro -aufzustocken. Zugleich soll die Zahl der ehrenamt-lichen Mitglieder der Länderkommission auf acht verdoppelt werden. Das Expertenteam soll künftig stärker interdisziplinär zusammengesetzt sein. Da der Bund bereit ist, seinen Anteil von 100 000 auf 180 000 Euro zu erhöhen, werden der Nationalen Stelle ab 2015 540 000 Euro zur Verfügung stehen. Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe verbindet diese Bewertung in der Beschlussempfehlung mit den Forderungen an die Bundesregierung, sich weiterhin konsequent für das Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe im In- und Ausland einzusetzen, die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter weiterhin zu unterstützen und die Empfehlungen des VN-Unterausschusses zur Verhütung von Folter in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe konstruktiv weiterzuverfolgen. Frank Schwabe (SPD): Folter ist niemals gerechtfertigt. Sie ist ein Angriff auf die Menschenwürde und eine der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen überhaupt. Deshalb ist Folter weltweit geächtet. Das Folterverbot ist völkergewohnheitsrechtlich und in zahlreichen internationalen Verträgen – allen voran in der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen – fest verankert. Folter macht Staaten zu Unrechtsstaaten. Sie traumatisiert die meisten Opfer ein Leben lang. Den Opfern von Folter wurde letzte Woche, am 26. Juni, dem Internationalen Tag zur Unterstützung der Opfer von Folter, gedacht. Ich begrüße es sehr, dass wir uns heute, eine Woche später, damit befassen, wie wir sicherstellen können, dass Deutschland auch in Zukunft eine Vorreiterrolle bei der Prävention von Folter einnehmen kann. Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter – unser nationaler Präventionsmechanismus – spielt dabei eine wichtige Rolle. Der nationale Präventionsmechanismus beruht auf dem Fakultativprotokoll zur UN-Antifolterkonvention vom 18. Dezember 2002. Deutschland setzt sich weltweit dafür ein, dass möglichst viele Staaten das Fakultativprotokoll ratifizieren; denn wirksame Prävention und Kontrolle ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit Folter nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis weltweit geächtet wird. Das Fakultativprotokoll wurde bisher nur von 73 Staaten ratifiziert. Das muss sich ändern. Wir fordern die Länder, die das Fakultativprotokoll noch nicht ratifiziert haben, auf, dies schnellstmöglich nachzuholen. 30 Jahre nach der Verabschiedung der UN-Antifolterkonvention sollten wir nicht mehr darüber sprechen müssen, dass Folter und Misshandlungen tabu sind und auf das Schärfste bekämpft werden müssen. Leider ist die Realität, wie dem aktuellen Bericht von Amnesty International zu entnehmen ist, eine andere. Obwohl 151 Staaten die UN-Antifolterkonvention ratifiziert haben, werden Menschen in 141 Ländern immer noch gefoltert und grausam misshandelt. Das darf nicht sein. Umso wichtiger ist es, dass sich Deutschland auch in Zukunft entschieden für die Ächtung von Folter und für die Ratifizierung der UN-Antifolterkonvention und des Fakultativprotokolls einsetzt. Deutschland selbst hat das Fakultativprotokoll am 4. Dezember 2008 ratifiziert. Es sieht vor, den Schutz vor Folter und Misshandlung durch ein Besuchssystem in Gewahrsamseinrichtungen zu verbessern. Das ist in Artikel 3 durch die Verpflichtung zur Errichtung nationaler Präventionsmechanismen beschrieben. Zur Umsetzung hat Deutschland die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter eingerichtet. Diese besteht aus der Bundesstelle zur Verhütung von Folter und der Länderkommission, die am 1. Mai 2009 respektive am 24. September 2010 ihre Arbeit aufgenommen haben. Hauptaufgabe der Nationalen Stelle ist es, Einrichtungen, in denen Menschen die Freiheit entzogen ist, durch unangemeldete Besuche zu überprüfen und den Behörden Vorschläge zur Verbesserung der Situation der Untergebrachten zu unterbreiten. Zu diesen Einrichtungen zählen 360 Gewahrsamseinrichtungen in der Zuständigkeit des Bundes, 186 organisatorisch selbstständige Justizvollzugsanstalten, 1 430 Dienststellen der Landespolizei, 326 psychiatrische Kliniken und alle Gerichte mit Vorführzellen, 7 Abschiebehafteinrichtungen und 27 Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe mit geschlossenen Plätzen. Für diese Mammutaufgabe hatte die Nationale Stelle bisher nur eine ehrenamtliche Leitung und drei angestellte wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie eine Bürofachkraft zur Verfügung. Eine bessere Ausstattung konnte mit 300 000 Euro nicht finanziert werden. Daher möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nationalen Stelle ganz herzlich für ihr großartiges Engagement bedanken. Ihre jährlichen Berichte und Empfehlungen tragen dazu bei, das hohe Niveau in Deutschland zu erhalten und auszubauen und Missstände zu beseitigen. Gott sei Dank gibt es in Deutschland keine Folter, wie die Berichte der Nationalen Stelle bestätigen; aber es ist gut, eine Institution zu haben, die ein wachsames Auge hat. Umso erfreulicher ist es, dass sich die Länder in der Justizministerkonferenz vom 25./26. endlich darauf einigen konnten, ihren Kostenanteil von 200 000 auf 360 000 Euro aufzustocken. Da die Nationale Stelle von Bund und Ländern im Verhältnis 1 : 2 finanziert wird, stehen ihr ab 2015 540 000 Euro zur Verfügung. Meine Partei hat sich jahrelang für eine Erhöhung der Mittel der Nationalen Stelle eingesetzt, die ansonsten ihrer Aufgabe – das heißt, die eben genannten insgesamt circa 2000 Einrichtungen zu überprüfen – nicht vollständig gerecht werden kann. Daher freut es mich, dass diesbezüglich nun ein erster Schritt getan werden konnte. Die Ausstattung ist im Vergleich zu anderen Ländern wie Frankreich, Österreich und der Schweiz verbesserungsfähig. Allerdings ist das aufgrund der föderalen Struktur in Deutschland und der daraus resultierenden komplexen Verfahren nicht so einfach zu erreichen. Ich hoffe sehr, dass es möglich sein wird, die Mittel für die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter in Zukunft weiter aufzustocken. Zumindest ist nun ein erster Schritt getan. Abschließend bitte ich die Bundesregierung, sich weiterhin konsequent für das Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe im In- und Ausland einzusetzen und die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter zu unterstützen. Mit gemeinsamen Kräften müssen wir alles dafür tun, damit Folter und Misshandlungen verboten werden. Es ist Zeit für eine Welt ohne Folter. Annette Groth (DIE LINKE): Mit der Schaffung der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter wurde im Jahr 2009 eine wichtige -Institution geschaffen, die aktiv dazu beitragen soll, Missstände in Gefängnissen und geschlossenen Einrichtungen aufzuzeigen und zu einer Verbesserung der Situation in den Gefängnissen beizutragen. Seit ihrer Gründung hat die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter wichtige Arbeit geleistet. Im Namen der Fraktion Die Linke möchte ich allen dort Tätigen für ihre unverzichtbare Arbeit danken. Wer Menschenrechte ernst nimmt, muss gerade auch Personen, denen die Freiheit durch Gerichte oder staatliche Anordnungen entzogen wird, eine menschenwürdige Behandlung zukommen lassen. In den Zuständigkeitsbereich des Bundes fallen 280 Gewahrsamseinrichtungen der Bundeswehr, der Bundespolizei und des Zolls. Außerdem beobachtet die Bundesstelle Abschiebemaßnahmen, die von der Bundespolizei begleitet werden. Für die meisten Einrichtungen ist die Länderkommission zuständig. Mit 186 Justizvollzugsanstalten, 1 430 Dienststellen der Landespolizei, 326 psychiatrischen Kliniken, allen Gerichten mit -Vorführzellen, aber auch 7 Abschiebungshafteinrichtungen und 27 Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe mit geschlossenen Plätzen ist der Aufgabenbereich riesig. Gleichzeitig ist die Länderkommission auch für die 11 000 Alten- und Pflegeheime zuständig. Ich finde es sehr erschreckend, dass die Nationale Stelle in ihrem Jahresbericht darauf hinweisen muss, dass es bei nahezu allen Besuchen in Einrichtungen „Anlass zu einer Reihe von Empfehlungen zur Verbesserung der Unterbringung und Behandlung der untergebrachten Personen gegeben“ habe, „die sich teils auf nicht akzeptable Missstände beziehen“. Es ist auch bedenklich, dass der Schutz der Privat- und Intimsphäre der Insassen in vielen Gewahrsamseinrichtungen nicht gewährleistet ist. Dies ist umgehend zu ändern. Wenn im Bericht steht, dass „nur wenige Bundesländer ausdrückliche gesetzliche Regelungen zum Schutz der Intimsphäre im Justizvollzug bzw. für die Unterbringung im Polizeigewahrsam getroffen haben“, besteht dringend Handlungsbedarf. Pro Jahr werden etwa 2 000 Ermittlungen wegen Körperverletzung im Amt angezeigt. Der Strafrechtler Tobias Singelnstein von der Freien Universität Berlin spricht jedoch von einer viel höheren Dunkelziffer. Die meisten Betroffenen erstatteten keine Anzeige, da sie keine Chance auf Erfolg sähen und vielmehr mit einer Gegenanzeige rechnen müssten, die häufig dazu führe, dass aus Opfern Täter gemacht werden. Beispielsweise wurden im Jahr 2008 bei 2 000 Anzeigen lediglich 94 Strafverfahren wegen mutmaßlicher Körperverletzung im Amt eingeleitet. In Berlin kam es zwischen 2006 und 2008 zu nur 34 Verurteilungen, obwohl in diesem Zeitraum über 1 000 Anzeigen wegen Körperverletzung durch Polizisten vorlagen. Auch Amnesty weist in der Studie „Täter unbekannt – mangelnde Aufklärung von mutmaßlichen Misshandlungen durch die Polizei in Deutschland“ darauf hin, dass bei ihnen innerhalb von fünf Jahren über 850 Beschwerden über Probleme mit der Polizei eingegangen seien. Artikel 18 des Fakultativprotokolls verlangt ausdrücklich, dass den Nationalen Stellen eine funktionale -Unabhängigkeit garantiert und ihnen ausreichende -finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden müssten. Die Fraktion Die Linke hat einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, in dem sie eine Anhebung des Budgets der Nationale Stelle zur Verhütung von Folter um jährlich 200 000 Euro fordert, bis eine jährliche Finanzierung von einer Million gewährleistet ist. Wenn man sieht, dass aufgrund der fehlenden personellen und finanziellen Ausstattung der Nationalen Stelle im Jahr 2013 von den 280 Einrichtungen des Bundes lediglich 36 Einrichtungen besucht werden konnten, zeigt dies einen eklatanten Widerspruch zu den Notwendigkeiten auf. Wenn die Nationale Stelle darauf hinweist, dass -aufgrund der personellen Unterbesetzung Besuche in psychiatrischen Kliniken und Alten- und Pflegeheimen nicht möglich waren, ist dies nicht akzeptabel. In Artikel 12 der abschließenden Empfehlungen des WSK-Ausschusses aus dem Jahr 2011 zu Deutschland wurde festgestellt: Der Ausschuss stellt mit tiefer Besorgnis fest, dass der Vertragsstaat keine hinreichenden Maßnahmen zur Verbesserung der Lage in Pflegeheimen ergriffen hat, in denen ältere Menschen Berichten zufolge in menschenunwürdigen Verhältnissen leben und wegen eines Mangels an Fachkräften und der unzulänglichen Anwendung von Pflegevorschriften nach wie vor nicht die geeignete Pflege erhalten. Die Fraktion hält den Beschluss der Justizministerkonferenz, den Anteil der Länder von 200 000 auf 360 000 Euro anzuheben, bei weitem für nicht ausreichend. Auch die Anhebung der Mittel durch den Bund von 100 000 auf 180 000 Euro ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist nicht akzeptabel, dass sich der Gesetzgeber vor seiner Verantwortung drückt, der Nationalen Stelle ausreichend finanzielle und damit auch personelle Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Fraktion Die Linke wird deshalb in den Haushaltsberatungen für den Bundeshaushalt 2015 eine deutliche Nachbesserung dieser Beschlüsse einfordern. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesstelle konnte ihre Aufgabe nur ansatzweise erfüllen. (Jahresbericht 2009/2010) Mit den vorhandenen personellen und finanziellen Mitteln kann die Nationale Stelle ihren gesetzlichen Auftrag, wie er sich aus dem Fakultativprotokoll ergibt, nicht erfüllen. (Jahresbericht 2010/2011) Mit der gegenwärtigen Ausstattung kann die Nationale Stelle ihrem gesetzlichen Auftrag regelmäßiger Besuche nicht gerecht werden. (Jahresbericht 2012) Am 1. Mai 2009 hat die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter ihre Arbeit aufgenommen. Seit ihrem Bestehen musste die Nationale Stelle Jahr um Jahr darauf verweisen, dass sie ihren gesetzlichen Auftrag nicht erfüllen konnte. Aufgabe der Stelle ist vor allem der Besuch von Haftanstalten, aber auch von Polizeidienststellen und psychiatrischen Einrichtungen. Weit über 200 solcher Einrichtungen gibt es bundesweit. Dazu kommen rund 10 000 Altenheime, in denen zum Teil Senioren in Sicherheitseinrichtungen untergebracht sind. Alle Jahre wieder hat die Bundesregierung diesen Appell ignoriert. Sie hat auch den Rücktritt von Hansjörg Geiger ignoriert, der im Herbst 2012 frustriert das Handtuch geschmissen hatte, nachdem seine Appelle, die Nationale Stelle besser auszustatten, kein Gehör fanden. Dies hatten zuletzt auch die Vereinten Nationen angemahnt: In seinem Prüfbericht vom April 2014 hatte der Fachausschuss über das Verschwindenlassen darauf gedrängt, die personellen und finanziellen Mittel aufzustocken, damit die Nationale Stelle ihr Mandat erfüllen kann. Nun endlich soll die Nationale Stelle mehr Geld -erhalten. Der Impuls dazu allerdings ging von den Ländern aus. Der Bund hat jetzt nachgezogen und seinen Anteil um 80 000 Euro erhöht. Rund 13 000 Einrichtungen in der gesamten -Bundesrepublik soll die Nationale Stelle regelmäßig überprüfen. Im vergangenen Jahr standen der Nationalen Stelle dafür sechs ehrenamtliche Mitglieder, drei wissenschaftliche Mitarbeiter sowie eine Fachkraft für Bürokommunikation zu Verfügung. Die Aufstockung der Mittel ist dringend notwendig, um das Team zu -vergrößern und um auch Mediziner und Psychiater einstellen zu können. Mein Dank geht an das Team der Nationalen Stelle, das trotz der mangelnden Ausstattung großartige Arbeit leistet, die bislang nicht in ausreichendem Maße gewürdigt wurde. Die Arbeit der Nationalen Stelle ist nach wie vor notwendig, auch in einem Land wie Deutschland – das zeigen die Entwicklungen in der Terrorismusbekämpfung oder der Abschiebepraxis. Darauf hat die Nationale Stelle im vergangenen Jahr einen Fokus gesetzt und grundlegende Änderungen der Abschiebungshaft empfohlen, die nicht mehr in Justizvollzugsanstalten vollstreckt werden sollte. Bedenken gab es unter anderem auch, ob die Inhaftierung alleinreisender Minderjähriger mit dem Schutz des Kindeswohls zu vereinbaren ist. Mit der geplanten Erhöhung der Mittel ist ein erster, wichtiger Schritt getan. Doch das reicht bei weitem nicht aus. Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung die Nationale Stelle nicht länger derart stiefmütterlich behandelt. Das Bekenntnis zum internationalen Folterverbot muss sich auch übersetzen in die Ausstattung in den zentralen nationalen Präventionsmechanismus; ansonsten macht sich Deutschland als Verfechter von Menschenrechten international unglaubwürdig. Im internationalen Vergleich steht Deutschland immer noch nicht gut da: Frankreich etwa gibt jährlich über 3 Millionen Euro für diesen Präventionsmechanismus aus. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, ihren Anteil deutlich – auf 300 000 Euro im Jahr – zu erhöhen. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf Drucksache 18/2003. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 18/1178 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2007. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2008. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN LKW-Maut nachhaltig und ökologisch ausrichten Drucksache 18/1620 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.15 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1620 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes (Künstlersozialabgabestabilisierungsgesetz – KSAStabG) Drucksachen 18/1530, 18/1770 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/1985 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Bei der Künstlersozialkasse in Wilhelmshaven gehen Tag für Tag rund 80 Aufnahmeanträge ein. Sie werden gestellt von Malern und Bildhauern, von Musikern und Sängern, von Journalisten und Publizisten, von Übersetzern und Filmemachern – aber auch von Akrobaten und Büttenrednern, von Clowns und DJs, von Zauberern und Puppenspielern. Die ganze Palette künstlerischen Schaffens findet sich in der Künstlersozialversicherung wieder. Die Künstlersozialkasse ist eine begehrte Einrichtung, sie gewährt selbstständigen Künstlern Zugang zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung, und zwar zu günstigen finanziellen Bedingungen. Jeden Tag werden von den Sachbearbeitern in Wilhelmshaven aber auch Dutzende Anträge abgelehnt – was dort ebenfalls Tag für Tag zu Streit führt. Anders als ein selbstständiger Dachdecker müssen KSK-Versicherte nur die Hälfte ihrer Sozialversicherungsbeiträge selbst zahlen. Die andere Beitragshälfte wird zu 20 Prozent aus Bundesmitteln und zu 30 Prozent von den Unternehmen finanziert, die die Künstler beauftragen. Diese Finanzierung ist wie die ganze Versicherung einmalig und ein eindrucksvolles solidarisches Konstrukt. Sie beruht auf zwei Annahmen: Erstens. Selbstständige Künstler haben meist nur ein geringes Einkommen und sind deshalb auf eine solidarische Finanzierung ihrer Sozialversicherung angewiesen. Zweitens. Wir als Kulturnation sind der Meinung, dass freischaffende Künstler und Publizisten einen wichtigen Beitrag zur Kultur in unserem Land leisten und sie deshalb eine besondere Förderung verdienen. Ich denke, dass diese Annahmen – heute wie vor 30 Jahren zur Einführung der Künstlersozialversicherung – zutreffen. Denn das kulturelle Leben in Deutschland, im Großen wie im Kleinen, in der Hochkultur wie in der Alltagskultur, privat und in der Wirtschaft, wird von einer Vielfalt an freischaffenden Künstlern und Publizisten getragen. Viele dieser Selbstständigen leben auch heute in prekären und bescheidenen Verhältnissen. Sie sind schlichtweg auf die Leistungen der Künstlersozialversicherung angewiesen. Unser Ziel war und ist es deshalb, die Versicherung zu erhalten. Das vorliegende Gesetz wird dazu beitragen und sie vorerst stabilisieren. Die Prüfungen werden zu mehr Abgabengerechtigkeit führen und die Kasse finanziell stützen. Die Geringfügigkeitsgrenze behebt unklare Formulierungen im Gesetz, die bisher einer der Hauptkritikpunkte vonseiten der Verwerter waren. Die Entwicklung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses sollte dennoch turnusmäßig evaluiert werden, um endgültige Aussagen zu Effektivität und Effizienz des Gesetzes machen zu können. Grundsätzlich muss es uns als Gesetzgeber auch wichtig sein, dass die Gesetze, die wir hier beschließen, ausgeführt und umgesetzt werden. Das war bisher in diesem Bereich nicht durchgängig der Fall und soll sich durch die getroffenen Klarstellungen verbessern. Betrachtet man die Gesamtsituation der Kasse und die steigenden Mitgliederzahlen und Kosten, wird man auf Dauer aber auch andere Probleme lösen müssen – einmal die innerhalb des Systems der Künstlersozialversicherung. Hier darf auch eine Diskussion über die an einigen Stellen sehr weite Auslegung des Künstlerbegriffs und damit des Zugangs kein Tabu sein. Schon heute sind viele Berufsgruppen in der Grauzone des Begriffs angesiedelt und können nur per Einzelfallentscheidung zur Versicherung berechtigt oder abgelehnt werden. Das kann nicht nur bei den Mitarbeitern in Wilhelmshaven hängen bleiben, sondern bedarf auch einer kulturpolitischen Richtungsentscheidung, wer förderungswürdig oder förderungsbedürftig ist und wer nicht. Eine unbegrenzte Ausweitung des Begriffs könnte die Versicherung hingegen an ihre Grenzen und darüber hinaus führen. In dem Zusammenhang müssen wir auch darauf achten, dass wir mit der Künstler-sozialversicherung keinen Ansporn zum sogenannten Outsourcing setzen. Das normale Arbeitnehmerverhältnis sollte in den meisten Berufen das Ziel bleiben. Eine Ausweitung des Künstlerbegriffs könnte auch hier kontraproduktiv wirken. An diesem Punkt – das kann man auch dem Entschließungsantrag der Linkspartei entnehmen – gibt es hier im Parlament unterschiedliche Ansichten. Die sollten wir zu gegebener Zeit diskutieren. Eine Einengung der Lösungsoptionen auf eine Erhöhung des Bundeszuschusses halte ich jedenfalls nicht für produktiv und wird auch nicht der speziellen Logik der Künstlersozialversicherung gerecht. Aber auch außerhalb der Künstlersozialversicherung müssen einige Rahmenbedingungen stimmen. So sollten wir beispielsweise dafür sorgen, dass Kreative auch weiterhin die grundsätzliche Möglichkeit haben, von ihren künstlerischen und publizistischen Leistungen leben zu können. Dafür müssen ihre Leistungen bezahlt werden, auch in Zeiten des Internets und der fast unendlichen Vervielfältigungsmöglichkeiten. Wer Kunst und publizistische Erzeugnisse nutzt, muss dafür auch angemessen zahlen. Das gilt für den Privatmann genauso wie für das Unternehmen. Hier ist ein Umdenken notwendig. Wir können Kultur nur bewahren und fördern, wenn wir die schützen und fördern, die diese Kultur aktiv erhalten, weitergeben und schaffen. Das sollte unser Ziel sein. Denn – und das fasste Bundestagspräsident Norbert Lammert vor einiger Zeit prägnant zusammen –: „… was von dieser Generation übrig bleiben wird, sind nicht die Bahnhöfe, Flughäfen oder Steuergesetze, sondern das Selbstverständnis, das sich auf den Schöpfungen von Kunst und Kultur gründet.“ Uwe Lagosky (CDU/CSU): Ruheräume im Rundfunk, leere Spalten in Zeitungen, Kinos ohne Filme – vor dieser unschönen Vorstellung bewahren uns Künstler und Publizierende. Trotzdem lautet ein deutsches Sprichwort: Armut ist aller Künste Stiefmutter. Genau deswegen gibt es seit 1981 die Künstlersozialversicherung, die vielen Menschen überhaupt erst eine selbstständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit ermöglicht. Die Finanzierung der Künstlersozialversicherung erfolgt zu 50 Prozent aus Versichertenbeiträgen, zu 30 Prozent aus Künstlersozialabgaben von Unternehmen und Verwertern sowie zu 20 Prozent aus Bundesmitteln. 2013 hatten die Bundesmittel eine Höhe von circa 171 Millionen Euro. Die Aufgaben der zuständigen Künstlersozialkasse decken drei Bereiche ab: Erstens entscheidet sie, ob ein Antragsteller als Künstler oder Publizist anzuerkennen ist. Zweitens meldet sie die versicherten Künstler und Publizisten bei den Kranken- und Pflegekassen sowie bei der Rentenversicherung an. Drittens leitet sie die Beiträge an die zuständigen Träger weiter. Rente, Kranken- sowie Pflegegeld werden dementsprechend von den Trägern der Renten-versicherung sowie den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen erbracht. Künstlersozialabgaben werden erhoben, wenn selbstständige Künstler oder Publizisten regelmäßig Aufträge zum Beispiel von Presseagenturen, Fernsehsendern, Rundfunkanstalten, Galerien erhalten oder Unternehmen Eigenwerbung bzw. Öffentlichkeits-arbeit betreiben und dazu Kunstschaffende oder Publizisten beauftragen. Nun kommen einige der Auftraggeber dieser vom Bundesverfassungsgericht 1987 bestätigten Verpflichtung nicht nach, weshalb die Kosten durch die übrigen aufgefangen werden müssen. In der Folge stiegen die Beitragssätze von 3,9 Prozent 2012 auf 5,2 Prozent 2013. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir deshalb Abgabengerechtigkeit. Durchgesetzt -werden soll sie mittels alle vier Jahre stattfindender Prüfungen. Für die Unternehmen sind diese risiko-basiert, da nie alle gleichzeitig geprüft werden. -Insgesamt gestaltet sich das neue Prüfungsverfahren effizienter und effektiver, da die Gesamtsozialversicherungsbeiträge und die Künstlersozialabgabe zeitgleich in den Blick genommen werden. Während bei der Künstlersozialkasse ein eigener Prüfdienst geschaffen wird, erhält die Deutsche Rentenversicherung 233 neue Mitarbeiter. Mit ihnen wird der ausgeweiteten Prüfung der Künstlersozialabgabe im Rahmen der Arbeitgeberprüfung ebenso Rechnung getragen wie entsprechenden regelmäßigen Informations- und Beratungsangeboten für Arbeitgeber. Zur dritten Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfes reichte die Fraktion Die Linke einen Entschließungsantrag ein. Ihre Zweifel an einer Wirksamkeit der Abgabenprüfungen von Deutscher Rentenversicherung und Künstlersozialkasse teile ich nicht. Dazu ein Zitat aus der Begründung im Gesetzentwurf: In den Jahren 2007 bis 2011 haben sich die Prüfdienste der Träger der Deutschen Rentenversicherung zunächst erfolgreich auf die Neuerfassung von -abgabepflichtigen Unternehmen und deren Prüfung konzentriert… Ab dem Jahr 2011 wurde das Anschreibeverfahren eingeschränkt und damit die Prüftätigkeit im Hinblick auf Neuerfassungen erheblich reduziert. Eine Prüfung des Verwerterbestandes fand bis Mitte 2013 nicht statt. Aus der Prüftätigkeit wurden zwischenzeitlich kaum noch Einnahmen erzielt. Eben deshalb kommt es jetzt zur Kooperation der Prüfdienste von Künstlersozialkasse und Deutscher Rentenversicherung, wodurch die Künstlersozialabgabe stabilisiert wird. Akzeptanz für die Künstlersozialabgabe setzt meines Erachtens zwei Punkte voraus: Erstens müssen sämtliche abgabepflichtigen Verwerter ihre Beiträge an die Künstlersozialkasse entrichten. Zweitens muss gewährleistet sein, dass die Mittel der Künstlersozialkasse ausschließlich für ihren tatsächlichen Zweck eingesetzt werden: die Unterstützung selbstständiger Künstler und Publizisten. Für eine großzügige Öffnung der Künstlersozialkasse, wie im Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke gewünscht, sehe ich deshalb keinen Grund. Evaluationen sollen die Zielumsetzungen im Zusammenhang mit ihren Kosten bewerten. Erstmals sind sie nach Abschluss eines vollen vierjährigen Prüfturnus im Jahr 2019 geplant. Ruheräume im Rundfunk, leere Spalten in Zeitungen, Kinos ohne Filme – vor dieser unschönen Vor-stellung bewahren uns Künstler und Publizierende. Danken wir ihnen mit einer stabilen Künstlersozialversicherung. Burkhard Blienert (SPD): Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes wollen wir ein wichtiges Vorhaben unserer Koalitionsvereinbarung umsetzen, und die Zeit drängt. Die Abgabe ist in diesem Jahr deutlich angestiegen. Diesen Trend wollen wir jetzt aufhalten; denn ein zu hoher Abgabesatz gefährdet die Akzeptanz der Künstlersozialversicherung. Ich will an dieser Stelle daran erinnern, dass wir das bereits in der vergangenen Legislaturperiode hätten regeln können. Aber die damaligen Koalitionsfraktionen haben zum Unverständnis aller Beteiligten eine ähnliche Vorlage aus dem BMAS im Bundestag scheitern lassen. Wertvolle Zeit ist dadurch verloren gegangen. Aber nun sind wir entschlossen, zu handeln. Wir brauchen dieses Gesetz, damit die selbstständigen Kultur- und Medienschaffenden – derzeit sind 180 000 Mitglied in der Künstlersozialkasse – weiterhin Absicherung in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung finden können. Die Kreativen sind darauf angewiesen. Sie arbeiten in der großen Mehrzahl unter schwierigen Bedingungen. Ihre Auftragslage ist unsicher, und sie müssen sich mit geringen Einkommen durchschlagen. So betrug das jährliche Durchschnittseinkommen der KSK-Versicherten zu Anfang dieses Jahres gerade einmal 14 992 Euro. Damit kann man nicht für seine soziale Absicherung sorgen. Deshalb haben wir Anfang der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Künstlersozialversicherung geschaffen. Dieses System ist international einmalig und findet im Ausland große Anerkennung. Die Künstler zahlen die Hälfte des Versicherungsbeitrags, was dem Arbeitnehmeranteil in der gesetzlichen Ver-sicherung entspricht. Die Künstlersozialkasse übernimmt die andere Hälfte der Versicherungsbeiträge, quasi den Arbeitgeberanteil. Der speist sich aus einem Bundeszuschuss und den Abgaben der Verwerter von künstlerischen und publizistischen Leistungen. Die Künstlersozialabgabe ist also der Beitrag der verwertenden Unternehmen zur sozialen Absicherung selbstständiger Künstler und Publizisten. Der Abgabesatz hat in diesem Jahr mit 5,2 Prozent eine Schmerzgrenze erreicht. Der Grund dafür ist, dass sich bisher zu viele abgabepflichtige Unternehmen ihrer Pflicht entzogen haben. Das ist in höchstem Maße ungerecht gegenüber den zahlenden Verwertern; denn die zahlen für die anderen mit. Beides aber – hohe Abgabe und fehlende Abgabegerechtigkeit – stellt die Akzeptanz der Künstlersozialkasse insgesamt infrage. Das dürfen wir nicht zulassen. Mit dem Gesetz sorgen wir nun mit geeigneten Maßnahmen dafür, dass alle ihrer Abgabepflicht nachkommen werden. An der Notwendigkeit dieser Versicherung für selbstständige Künstler und Publizisten hat sich bis heute nichts geändert, eher im Gegenteil. Die florierende Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihren breiten Erwerbsmöglichkeiten stützt sich auf viele dieser Kultur- und Medienschaffenden, die meist unter prekären Bedingungen und mit viel Selbstausbeutung arbeiten. Die zahlreichen Aufnahmeanträge bei der Künstlersozialkasse deuten an, dass die Versichertenzahlen weiter zunehmen werden. Aber nicht nur die Kulturwirtschaft ist auf das kreative und künstlerische Schaffen angewiesen. Vielmehr profitiert unsere Gesellschaft als Ganzes von der kreativen Kraft und den innovativen Leistungen der Kunst- und Kulturschaffenden. Die vielen Kreativen machen unser kulturelles und geistiges Leben in seiner Breite und Vielfalt überhaupt erst möglich. Ohne sie würde sozusagen das Fundament wegbrechen. Deshalb halten wir es für eine vorrangige kulturpolitische – eben nicht nur sozialpolitische – Aufgabe, die Künstlerso-zialversicherung zukunftsfest zu machen. Ich bin froh, dass wir uns da über alle Fraktionsgrenzen hinweg einig sind. Das kommt auch im Entschließungsantrag der Fraktion der Linken zum Ausdruck; das begrüße ich. Zustimmen können wir diesem Antrag allerdings nicht, da hier Problemfelder aufgemacht werden, die weit über die Künstlersozialversicherung hinausgehen. Wir sind uns vollauf bewusst: Die Künstlersozialversicherung ist nur ein – wenn auch zentraler – Pfeiler der Absicherung der Kreativen, und diese Novelle wird auch nicht die letzte sein. Deshalb haben wir auch eine Evaluierung bis 2019 vorgesehen. Lassen Sie uns das doch erst einmal abwarten. Dann werden wir uns das noch einmal ganz genau anschauen und gegebenenfalls erneut nachsteuern. Soziale Absicherung im Kulturbereich geht aber über die Künstlersozialversicherung hinaus. Ich möchte zum Abschluss nur zwei Projekte ansprechen, die wir in nächster Zeit angehen werden: Wir brauchen eine Reform des Urheberrechts, die das geistige Eigentum wirksam schützt und den Kreativen damit Einkommen sichert. Und die Beschäftigten im Kulturbereich brauchen eine vernünftige Anschlussregelung für das Ende dieses Jahres auslaufende Gesetz zum Arbeitslosengeld für kurzbefristete Beschäftigungsverhältnisse. Mit diesen und weiteren Aufgaben werden wir uns gleich nach der parlamentarischen Sommerpause befassen. Ralf Kapschack (SPD): Nach intensiven Debatten haben wir heute den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro verabschiedet. Auch viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Kulturszene werden davon profitieren. Umso erfreulicher ist es, dass wir heute – an diesem besonderen Tag – mit dem Gesetz zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes auch die soziale Absicherung selbstständiger Künstlerinnen und Künstler sowie Publizistinnen und Publizisten stärken. Ich finde es bemerkenswert und sehr erfreulich, dass dieser Gesetzentwurf im Ausschuss für Arbeit und Soziales einstimmig verabschiedet worden ist. Das ist ein gutes Zeichen für konstruktive Zusammenarbeit in diesem Parlament. Es ist aber vor allem ein gutes Zeichen für die Wertschätzung von Kunst, Kultur und Publizistik in diesem Land. Die Künstlersozialkasse ist europaweit ein einzigartiges Modell. Sie spiegelt die Bedeutung wider, die der Kulturszene Deutschlands zukommt, von Kunst über Theater, Musik, Sport, Film bis hin zu Journalismus und Literatur. Kurz: 180 000 Menschen, die unser Land bunter, vielfältiger und – schlichtweg – auch unterhaltsamer machen, erfahren dadurch ein Mindestmaß an sozialer Absicherung. Die Künstlersozialkasse wird solidarisch finanziert: 50 Prozent zahlen die Mitglieder, 30 Prozent die sogenannten Verwerter, also Unternehmen, die künstlerische Leistungen in Anspruch nehmen, weitere 20 Prozent werden vom Bund bezuschusst. Trotz der großen Bandbreite an kulturellen Angeboten stagnieren die Einnahmen, sie sind sogar rückläufig. Zurückzuführen ist dies unter anderem auf eine mangelnde Überprüfung der Verwerter. Bis 2011 hat sich die Prüfung auf die Neuerfassung von abgabepflichtigen Unternehmen beschränkt. Danach ist auch das eingestellt worden. „Wenn ich nicht geprüft werde, dann zahle ich auch nicht“, mag vielleicht der eine oder andere Unternehmer denken. Andere sind sich ihrer Zahlungspflicht auch nicht bewusst. Kernstück des neuen Gesetzes ist deshalb die Ausweitung des Prüfverfahrens durch die Deutsche Rentenversicherung. Ihr gilt es an dieser Stelle auch einmal ausdrücklich zu danken. Nach intensiven Gesprächen zwischen dem Ministerium und der Rentenversicherung ist es hier zu einer guten Lösung für alle gekommen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund wird im Rahmen ihrer turnusmäßigen Arbeitgeberprüfung alle vier Jahre auch die Unternehmen hinsichtlich der Künstlersozialabgabe prüfen. Außerdem wird sie beratend und informierend tätig sein. Dies trifft für alle Unternehmen mit mindestens 20 Beschäftigten zu. Kleinere Unternehmen werden in einem Pool zusammengefasst und alle zehn Jahre geprüft. Aufwand und Ertrag stehen dabei in einem vernünftigen Verhältnis: Insgesamt können wir dadurch mit Einnahmen in Höhe von 32 Millionen Euro jährlich rechnen. Der Beitragssatz, der aktuell bei 5,2 Prozent liegt, kann somit stabil gehalten und die Künstlersozialkasse zukunftsfest gemacht werden. Für kleinere Unternehmen wird eine Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro eingeführt. Für Leistungen, die darunter liegen, wird keine Abgabe fällig. Dies verhindert unnötige Bürokratie und schafft Rechtssicherheit. Im Ergebnis schafft dieses Gesetz die Grundlage für Beitragsgerechtigkeit und Beitragsstabilität. In den vergangenen Wochen ist sehr oft und sehr viel darüber diskutiert worden, ob und wie das Ehrenamt zum Beispiel in Musikvereinen durch die Abgabe zur Künstlersozialversicherung bedroht ist. Es ist ganz klar: Eine Schwächung des Ehrenamtes soll es nicht geben. Aber auch selbstständigen Künstlern, wie Musiklehrern, muss der Zugang zur sozialen Sicherung gewährleistet werden. Wenn sie Leistungen wie jeder andere Arbeitnehmer bzw. jede andere Arbeitnehmerin erbringen, müssen sie dafür auch entsprechend entlohnt werden – dazu gehört auch eine Sozialabgabe. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Honorare für selbstständige Musiklehrer etwa sind nach wie vor bis zu 2 400 Euro im Jahr abgabefrei. In sogenannten Ausgleichsvereinigungen können sich auch Musikvereine zusammentun und sich etwa durch eine Pauschale pro Schüler von der individuellen Melde- und Abgabepflicht befreien. Das entlastet die einzelnen Vereine von Bürokratie und erleichtert die finanzielle Planung. Die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände hat so etwas ja gerade erst für ihren Bereich beschlossen. Das neue Gesetz nimmt die Hinweise aus der Praxis auf und erleichtert und stärkt die Bildung von Ausgleichsvereinigungen. Das vorliegende Gesetz ist ein wichtiger und dringend notwendiger Schritt, um die soziale Absicherung freischaffender Künstler und Publizisten zu stärken. Dass es sich hierbei nicht um der Weisheit letzten Schluss handelt, ist uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bewusst. Es sind weitere Änderungen notwendig, etwa was die Anerkennungszeiten für das Arbeitslosengeld, die Rentenhöhe oder auch insgesamt die prekäre Arbeitsmarktsituation betrifft. Die Hinweise aus den Fraktionen von Grünen und Linken sind hier völlig berechtigt. Diese Themen werden wir auch angehen. Karl Valentin hat einmal gesagt: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Recht hat er. Und unsere gemeinsame Arbeit für die Kunst und Kultur in diesem Land lohnt sich allemal. Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Für die Linke ist die Künstlersozialversicherung eine sozialpolitische Errungenschaft. Sie hat sich -bewährt. Nun müssen die Bedingungen geschaffen werden, damit sie auf Dauer stabilisiert werden kann. Die Bundesregierung setzt in modifizierter Weise um, wozu sich die Vorgängerregierung nicht durchringen konnte: Die Prüfintensität bei Unternehmen, ob und in welcher Höhe sie gegenüber der Künstlersozialkasse abgabenpflichtig sind, wird gesetzlich festgelegt. Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass die Einhaltung gesetzlicher Pflichten auch geprüft wird. Es ist außerordentlich bedauerlich, dass es so lange gedauert hat. Es gibt leider guten Grund zu der Annahme, dass die abgabenpflichtigen Arbeitgeber in den letzten Jahren ihrer Pflicht nicht vollumfänglich nachgekommen sind. Die Zahl der Abgabenpflichtigen hat sich in den Jahren nach 2006 von etwa 56 000 auf 167 000 im Jahr 2013 verdreifacht. Trotz des massiven Anstiegs der Abgabenpflichtigen stiegen die gemeldeten Honorarsummen aber nicht – wie man erwarten müsste –, sondern stagnierten bei etwa 4 Milliarden Euro. Deutlich mehr Arbeitgeber und Verwerter melden in der Summe dieselben Honorarsummen. Dies ist doch sehr verwunderlich. Es ist daher im Sinne der Beitragsgerechtigkeit -unumgänglich, durch verstärkte Prüfungen dafür zu sorgen, dass alle Abgabenpflichtigen erfasst werden und darüber hinaus auch die Abgabenhöhe kontrolliert wird. Es ist nicht hinzunehmen, dass gesetzliche Vorschriften wie die Künstlersozialgabe von einigen Unternehmen nicht ernst genommen werden. 143 Milliarden Euro betrug 2012 der Umsatz der Kultur- und Kreativwirtschaft. Über die Künstlersozialabgabe gehen gerade einmal 200 Millionen Euro an die KSK. Das ist keineswegs überzogen. Zudem möchte ich auf zwei Entwicklungen hinweisen, die die Künstlersozialversicherung auf Dauer belasten werden, wenn die Bundesregierung nicht endlich gegensteuert. Das Ausmaß an selbstständiger und freiberuflicher Tätigkeit wächst im Bereich Kunst, Kultur und Publizistik, nicht zuletzt bedingt durch den Personalabbau in den öffentlichen Einrichtungen. -Damit steigt auch der Andrang in die KSK. Die Anzahl von Selbstständigen und in kurzzeitig, unständig und wechselnden Beschäftigungsformen Tätigen, die keinen Zugang zur Künstlersozialkasse haben, nimmt insgesamt zu. Vielfach handelt es sich bei diesen Beschäftigungsverhältnissen auch um Scheinselbstständigkeit. Es ist nicht zu akzeptieren, dass die Arbeitgeber sparen und den sozial- und arbeitsrechtlichen Schutz der -Beschäftigten untergraben. Die Betroffenen wenden sich in ihrer Not an die Künstlersozialkasse. Hier werden sie teilweise wieder mit Verweis auf ihre Scheinselbstständigkeit abgelehnt. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ich sage Ihnen: Das darf nicht sein. Tun Sie -etwas gegen Scheinselbstständigkeit. Helfen Sie wegen Scheinselbstständigkeit von der KSK abgelehnten Beschäftigten, ihre Rechte gegenüber den Arbeitgebern durchzusetzen. Werden Sie zudem aktiv in ihrer ureigensten Zuständigkeit: Ändern Sie Ihre Kulturförderung und machen Sie gute und nicht billige Arbeit zur Voraussetzung von Kulturförderung. Die zweite Entwicklung ist die unzureichende -soziale Absicherung vieler Selbstständiger. Viele Selbstständige und Freiberufler haben keinen Zugang zu einer bezahlbaren und solidarischen Sozialversicherung, insbesondere auch hinsichtlich der Alters-sicherung. Sorgen Sie für sozialen Schutz für Selbstständige und Freiberufler, dann reduziert sich auch der Druck auf die KSK. Wir begrüßen zwar den vorliegenden Gesetzentwurf, aber damit sind die Hausaufgaben noch nicht gemacht. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Künstlersozialkasse ist in ihrer Ausgestaltung auf die ganz spezielle Arbeits- und Lebenssituation ihrer Mitglieder, die vor allem durch oft wechselnde Beschäftigungsformen und häufig geringe Einkommen geprägt ist, zugeschnitten. Hinzu kommt, dass der Anteil der geringfügig Beschäftigten im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen ist, ganz im Gegensatz zu dem Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Vor diesem Hintergrund ist die Künstlersozialversicherung eine Errungenschaft und ein existenzielles Instrument im Rahmen der sozialen Absicherung und Integration von selbstständigen Kulturschaffenden in die bestehenden Sozialversicherungssysteme. Unabdingbar für die Existenz dieser Solidargemeinschaft ist jedoch eine solide Finanzierungsgrundlage. Immerhin 30 Prozent der KSK-Kosten werden durch die Künstlersozialabgabe generiert. Wenn ein Großteil der abgabepflichtigen Unternehmen vorsätzlich oder unwissentlich ihrer Pflicht aber nicht nachkommt, gerät diese Solidargemeinschaft in eine Schieflage und bedroht die Stabilität der Künstlerso-zialversicherung in ihrer Gesamtheit. Bündnis 90/Die Grünen begrüßt daher die nun vorliegende Gesetzeskonkretisierung zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatten wir uns für einen entsprechenden Gesetzentwurf ausgesprochen, der im letzten Moment durch die damalige Koalition aus CDU/CSU und FDP zurückgezogen wurde. Die Unternehmen sowie Verwerter und Verwerterinnen tragen für die von ihnen beauftragten Kulturschaffenden eine arbeitgeberähnliche Verantwortung, der sie nachkommen müssen. Die Einbeziehung aller Verwerter und Verwerterinnen ist aus Gründen der Gerechtigkeit gegenüber allen Abgabepflichtigen bzw. Zahlenden und den Künstlern und Künstlerinnen sowie Publizisten und Publizistinnen, die über die Künstlersozialkasse versichert sind, dringend geboten. Umfassende Kontrollen sind zur Herstellung dieser Gerechtigkeit ein wirkungsvolles, notwendiges und, mit Verlaub, auch ein ganz gängiges Steuerungsinstrument. Die Überprüfung der Künstlersozialabgabe an die ohnehin durch die Rentenversicherung alle vier Jahre stattfindende Arbeitgeberprüfung zu koppeln, ist ein sinnvoller Mechanismus. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf geht dies allerdings zulasten der Beitragszahler und Beitragszahlerinnen in der Rentenversicherung. Denn Mehreinnahmen ergeben sich für die Rentenversicherung aus der zusätzlichen Überprüfung nicht und ein Ausgleich der entstehenden Kosten sieht der Gesetzentwurf nicht vor. Hier besteht aus unserer Sicht Nachbesserungsbedarf. Weiteren Diskussionsbedarf sehen wir auch bezüglich der Einführung eines Freibetrags von 450 Euro pro Jahr. Diese Neuregelung wird zwar auf der einen Seite besonders kleinere Unternehmen vor einem höheren Bürokratieaufwand schützen, aber auf der anderen Seite auch eine Reduzierung der KSK-Einnahmen zur Folge haben. Wie erheblich diese Reduzierung letztlich ist, bedarf einer genauen Überprüfung, ebenso die bestehende Geringfügigkeitsregelung von drei abgabefreien Veranstaltungen pro Jahr. Auch hier können die Einnahmeausfälle für die KSK, wenn es sich zum Beispiel um besonders umfangreiche und kostenaufwendige Veranstaltungen handelt, enorm sein. Eine Kombination beider Voraussetzungen könnte daher eine sinnvolle Alternative sein. Klar ist: Der nun vorliegende Gesetzentwurf kann nur ein erster Schritt sein, hin zu einer zukunftssicheren Künstlersozialversicherung. Es gibt weitere strukturelle Probleme, die angegangen werden müssen. Nicht nur die Entwicklung des Beitragssatzes der KSK und die Höhe des Bundeszuschusses müssen wir hierbei im Blick haben. Es geht vor allem auch um die Akzeptanz der KSK in der Gesellschaft. Dies ist gerade vor dem Hintergrund, dass vielen Kulturschaffenden der Zutritt zur KSK verwehrt bleibt, ein großes Thema. Die Probleme, die wir im Bereich der sozialen und wirtschaftlichen Lage von Kulturschaffenden haben, sind zu vielschichtig, als dass wir sie allein über eine Reform der Künstlersozialversicherung lösen könnten. Hier gibt es verschiedene Hebel, und wir Grüne haben in der Vergangenheit hierzu bereits einige Vorschläge gemacht. Aber ohne das soziale Sicherungssystem der Künstlersozialversicherung lösen wir die Probleme schon gar nicht. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1985, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/1530 und 18/1770 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1996. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die europäische Perspektive der Republik Moldau unterstützen Drucksache 18/1956 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind wiederum einverstanden. Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Die heutige Debatte zeigt wieder einmal, dass bei einigen immer noch eine unklare Gemengelage zwischen den Begriffen Europa, EU, Assoziierung und Beitritt besteht. Wenn wir heute über die Europäische Perspektive der Republik Moldau debattieren, reden wir noch lange nicht über eine Beitrittsperspektive. Europäische Perspektive heißt nicht EU-Perspektive, jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Selbst im Eilverfahren wird es Monate dauern, bis das am letzten Freitag unterzeichnete Assoziierungsabkommen wenigstens vorläufig angewendet werden kann, und noch länger, bis es vollständig in Kraft tritt. Lassen Sie uns doch erst einmal dieses Vorhaben abschließen und vor allem mit Leben füllen, statt gleich über Beitritt zu reden. Denn trotz der guten Fortschritte, die das Land unter Ministerpräsident Iurie Leanca gemacht hat, müssen noch große Anstrengungen auf dem Reformkurs unternommen werden. Die Republik Moldau gilt mit einem Bruttoinlandsprodukt von unter 2 300 Dollar pro Kopf weiterhin als das ärmste Land Europas. Auch bei den Menschenrechten bestehen noch Defizite. Bei der Korruptionsbekämpfung muss Moldau seine Anstrengungen weiter intensivieren. Erste kleine Erfolge in diesem Bereich machen zwar Mut. Dennoch ist Korruption unter anderem in weiten Teilen der Verwaltung, der Justiz, dem Gesundheitswesen und im Wirtschaftsleben immer noch ein Thema, was nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit der Regierung, vor allem aber das Investitionsklima schädigt. Bei ausländischen Direktinvestitionen liegt die Republik Moldau in Europa auf dem letzten Platz. Ja, es ist wichtig, Moldau und vor allem dessen Bürgern Perspektiven zu zeigen. Es ist daher unerlässlich, dass die Moldauer möglichst bald spürbare Veränderungen erleben – auch damit sie das Vertrauen in die europäische Perspektive im Hinblick auf die Parlamentswahlen im November nicht verlieren. Bei ihren entsprechenden Reformbemühungen kann die seit 2009 im Amt befindliche Regierung Moldaus durchaus Erfolge vorweisen. Die zügige Umsetzung des Aktionsplans zur Visaliberalisierung ist ein positives Beispiel, das es den Moldauern seit April dieses Jahres möglich macht, visumfrei in die Europäische Union einzureisen. Vor allem die bei der Presse- und Meinungsfreiheit erzielten Fortschritte sind eine für den Einzelnen direkt spürbare Veränderung, denn es macht eben einen Unterschied, ob am Zeitungskiosk nur eine oder aber fünf Sichtweisen präsentiert werden. Weitere Schritte im Bereich der Grundrechte müssen folgen, sei es bei Rechtsstaatlichkeit, Eigentumsrechten oder Minderheitenschutz. In der Ukraine konnten wir in der jüngsten Vergangenheit beobachten, welche Kraft das Streben nach diesen Grundrechten entwickeln kann, die wir in Westeuropa so oft als selbstverständlich erachten – und welche Gegenwehr von vormaligen Partnern und Bruderstaaten kommt. Wie im Fall der Ukraine wird Russland schon bald wirtschaftlichen Druck ausüben, der in der Bevölkerung schnell spürbar werden wird. Ich denke da zum Beispiel an die 600 000 moldauischen Wanderarbeiter, die in Russland arbeiten und denen die russische -Reaktion auf das Assoziierungsabkommen zeitweise den Job kosten könnte, bevor sie eine neue Perspektive erhalten. Die Rücküberweisungen dieser Wander-arbeiter, mit denen häufig auch die Familien versorgt werden, machen 19 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Republik Moldau aus. Ich muss, glaube ich, nicht weiter ausführen, was 600 000 unzufriedene arbeitslose Wanderarbeiter mit den dazugehörigen Familien in einem Land mit 3,5 Millionen Einwohnern für dessen Stabilität bedeuten. Deshalb dürfen wir nicht abwarten, bis die ersten positiven Folgen des Assoziierungsabkommens irgendwann im Herbst oder gar nächstes Jahr spürbar werden, sondern brauchen jetzt, sofort und heute überbrückende Maßnahmen. Im Falle der Ukraine ist die EU noch vom russischen Vorgehen überrascht worden. Im Fall der Republik Moldau sollte sie vorbereitet sein. Der hier vorliegende Antrag sieht deshalb vor, dass die Bundesregierung sich gegenüber der EU für eine Erhöhung der Exportquoten für landwirtschaftliche Produkte und für die kurzfristige Einrichtung eines Krisenfonds im Falle von wirtschaftlichen Sanktionen einsetzt. Dies sind genau die richtigen Maßnahmen, um dem zu erwartenden Druck zu begegnen. Bei diesen muss es nicht bleiben, geht doch das Assoziierungsabkommen mit der Republik Moldau weit über den wirtschaftlichen Bereich hinaus. Ich nenne nur beispielhaft die Kapitel 23 zu Bildung, Mehrsprachigkeit, Jugend und Sport und Kapitel 25 unter anderem zu Kultur und Medien. Auch hier muss nicht erst Monate auf das Inkrafttreten gewartet werden. Zivilgesellschaftliche Projekte und Initiativen, Fördermittel im Bereich Kunst und Kultur, Sport, Freiwilligenaustausch usw. gibt es schon jetzt. Es bedarf doch nicht dieses Assoziierungsabkommens, damit in -diesem Bereich etwas ganz neu entsteht, sondern damit etwas Bestehendes optimal weiterentwickelt wird, und es bedarf der Menschen, die das Abkommen mit Leben füllen. Franz Beckenbauer hat einmal gesagt: „Gehts raus und spielts Fußball.“ Ich sage: „Gehts raus und assoziierts euch.“ Manfred Grund (CDU/CSU): In der „FAZ“ vom 26. Juni hat Heinrich August Winkler in einem Namensartikel unter der Überschrift „Was wir aus der deutschen Geschichte lernen können“ mit Bezug auf die Ukraine-Krise unter anderem Folgendes ausgeführt: „Vermutlich werden spätere Historiker zu dem Schluss gelangen, dass im Jahre 2014 eine Zwischenphase zu Ende ging – jene Zeit, die vor einem Vierteljahrhundert mit den friedlichen Revolutionen in Ostmitteleuropa begann, im Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 ihr historisches Symbol fand und die Welt mit der Hoffnung erfüllte, dass sich die Ideen der atlantischen Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts wenn nicht global, so doch im gesamten Bereich der damals noch existierenden Sowjetunion durchsetzen würden.“ So weit das Zitat. Diese Zwischenphase, diese Zwischenzeit ist zu Ende. Putin hat Klarheit geschaffen. Er baut mit seiner Eurasischen Union einen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gegenentwurf zur Europäischen Union, zum Westen, auf. Es geht nicht mehr um gegenseitigen Vorteil, um gemeinsame Interessen und Projekte, es geht nicht mehr um „win-win“, es geht -darum, rückwärts begründete russische Interessen durchzusetzen, um den eigenen Einfluss in den Nachbarländern abzusichern. Die Nachbarländer, insbesondere die Ukraine, Moldau und Georgien, wurden durch uns als EU in einem europäischen Zwischenraum verortet, zwischen Russland und der EU. Dem diente die Nachbarschaftspolitik der EU, in gewissem Sinne auch die bisher ausgehandelten Assoziationsabkommen. Diese Staaten sollten an die EU herangeführt werden, aber in einer Distanz von der EU, eben in einem Zwischeneuropa, geparkt werden. Russland – und nicht die EU – hat seine Nachbarschaft vor die Wahl gestellt. Die von der EU mit der Ukraine, Moldau und Georgien ausgehandelten Assoziationsabkommen, einschließlich der darin vorgesehenen Freihandelsabkommen, sind mit allen Verträgen, die diese Länder mit Russland haben, voll vereinbar, einschließlich des Freihandels und der Freizügigkeit, die im GUS-Raum gelten. Was nicht vereinbar ist, ist die von Russland als Gegenmodell gegründete Eurasische bzw. Zollunion. Zölle und Freihandel gehen natürlich nicht zusammen. Vordergründig, aber nur vordergründig handelt es sich bei der Konkurrenz zwischen europäischer und eurasischer Integration in Osteuropa um eine geopolitische Auseinandersetzung, in der sich Russland auf vermeintliche Sicherheitsinteressen beruft. Für die betroffenen Länder, und dabei besonders auch die Republik Moldau, richtet sich die Politik der europäischen Integration aber tatsächlich nicht gegen Russland. Es ist absurd, anzunehmen, dass das kleine Moldau, das an seiner Neutralität festhält, sich in irgendeiner Weise gegen Russland wendet. Weder in den Worten noch in den Taten der moldauischen Regierung finden Sie irgendeine Wendung gegen Russland. Für Moldau, aber auch für die Ukraine oder Georgien geht es tatsächlich um etwas ganz anderes als Geopolitik. Es geht um die eigene Modernisierung und Entwicklung. Seit ihrer Unabhängigkeit haben diese Länder Jahrzehnte der Stagnation, der Isolation und des Verfalls erlebt. Die jungen und gut ausgebildeten Menschen verließen und verlassen diese Länder in großer Zahl. Die wirtschaftliche, soziale und demografische Lage aller dieser Länder ist in keiner Weise nachhaltig und langfristig unhaltbar. Schwache Institutionen und Korruption beschränkten die Entwicklungschancen. In einer Art Pufferzone zwischen West und Ost gewannen diese Länder nie ein Entwicklungsmodell für ihre Zukunft. Das ist es, was Zwischeneuropa für Gesellschaften in diesen Ländern bedeutete: Das Fehlen einer Entwicklungsperspektive. Darin liegt die eigentliche und tiefere Ursache der Krise in Osteuropa. Wir werden diese Krise nur dauerhaft überwinden können, wenn diese Länder eine klare Modernisierungsperspektive erlangen. Diese Modernisierungsperspektive wird es nur mit der europäischen Integration geben. Ungewissheit führt zu Instabilität. Wir haben stets den Grundsatz verteidigt, dass jedes Land selbst entscheiden kann, ob und welchem Integrationsmodell es sich anschließen will. Aber als EU haben wir selbst offengelassen, worin diese Wahl besteht. Heute erleben wir eine massive Propagandakampagne gegen die EU und gegen die europäische Integration in Osteuropa. Das stärkste Argument dieser Kampagne ist, dass die Länder Osteuropas in Putins Eurasische Union willkommen sind, aber nicht in der Europäischer Union. Diesem Argument müssen wir eine klare Absage erteilen. Die Europäische Perspektive wird diesen Konflikt zwischen europäischer und eurasischer Integration nicht verschärfen, sondern die Lage vielmehr klären. Ohne Klarheit in dieser Frage wird es keine dauerhafte Überwindung der Krise in Osteuropa geben. Wenn wir heute die europäische Perspektive der -Republik Moldau bekräftigen, sprechen wir nicht von einer Erweiterung der EU morgen oder übermorgen. Die Voraussetzungen dafür müssen durch die notwendigen Reformen zuerst im Lande selbst geschaffen werden. Die Implementierung des mit der EU geschlossenen Assoziierungsabkommens allein wird Jahre in Anspruch nehmen. Was wir mit der europäischen Perspektive bekräftigen, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wir bestätigen lediglich, was bereits in Artikel 49 des EU-Vertrages enthalten ist: Das Recht jedes europäischen Landes, der EU beizutreten, wenn es die Voraussetzungen dafür erfüllt. Die Republik Moldau ist ein europäisches Land. Die Republik Moldau hat gemeinsam mit den baltischen Staaten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion seine Unabhängigkeit erlangt. Es teilt mit den baltischen Staaten in ähnlicher Weise die tragischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. Im Vergleich zu den baltischen Staaten hat sich Moldaus Weg in die EU verspätet. Aber es gibt keinen Grund, weshalb Moldau einen geringeren Anspruch auf eine Zukunft in der EU hätte. Die Mehrheit seiner Bürger hat aufgrund ihrer Herkunft und Geschichte einen Anspruch auf eine EU-Staatsbürgerschaft. Die Frage ist nicht, ob die Moldauer Mitglied in der EU werden, die Frage ist nur, ob ihr Land mit ihnen kommt. Moldau ist nicht nur geografisch der nächste Nachbar der EU. Moldau hat in vieler Hinsicht auch die größten Fortschritte auf seinem proeuropäischen Kurs erzielt. Das deutlichste Beispiel dafür ist, dass die Republik Moldau bereits seit April – als erstes unter den Ländern der östlichen Partnerschaft – Visafreiheit mit der EU erlangt hat. Das Land wird von einer entschieden proeuropäischen Regierung geführt, die unsere Unterstützung verdient. Die östliche Partnerschaft beruht auf dem Prinzip „Mehr für mehr“. Das darf auch die europäische Perspektive nicht mehr ausschließen. Deshalb bekräftigen wir mit diesem Antrag heute besonders die europäische Perspektive der Republik Moldau. Aber wir setzen damit auch ein Zeichen für ganz Osteuropa, das Zeichen einer neuen Offenheit, ein Zeichen, dass die Alternative von Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik der EU überholt ist. Die Menschen in Moldau haben lange schwierige Zeiten hinter sich. Sie stehen vor großen Herausforderungen. Wir zwingen niemandem die europäische -Integration auf. Aber wir dürfen auch die Länder nicht im Stich lassen, die sich für Europa entscheiden. Die Republik Moldau und ihre europäische Perspektive verdienen unsere Unterstützung. Dietmar Nietan (SPD): Neben der Ukraine und Georgien hat nun auch die Republik Moldau einen großen Schritt in Richtung Annäherung getätigt und am 27. Juni das Assoziierungsabkommen mit der EU unterschrieben. Das sollten wir als Bundestag zum Anlass nehmen, unsere Unterstützung für die Republik Moldau mit dem vorliegenden Antrag zu bekräftigen. Die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens verdeutlicht zwei Entwicklungen: Zum einen weisen die seit 20 Jahren gewachsenen gegenseitigen Beziehungen zwischen Moldau und der EU nun eine neue Qualität auf und haben eine wichtige Etappe erreicht. Mit der jüngst geleisteten Unterschrift ist aber gleichzeitig auch ein neuer Startpunkt erreicht: ein Startpunkt für weiter wachsende Beziehungen zwischen der Republik Moldau und der EU, die – das sage ich an dieser Stelle ausdrücklich – für Moldau ebenso wie für alle weiteren Assoziierungspartner der EU eines Tages auch die Vollmitgliedschaft in der EU bedeuten können. Die jüngst unterzeichneten Assoziierungsabkommen bilden damit keinen Endpunkt, sondern läuten eine neue Phase weiter wachsender Beziehungen -zwischen der EU und ihren neuen Assoziierungspartnern ein. Dabei ist es wichtig, dass wir als Deutscher Bundestag, wie es der heute zu beschließende Antrag von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen klar ausdrückt, die europäische Ausrichtung der Republik Moldau und die bisherigen Reformbemühungen auf dem Weg Richtung Europa würdigen und die europäische Perspektive der Republik Moldau bekräftigen. Das ist an dieser Stelle ganz entscheidend: Denn der Weg Moldaus und anderer Assoziierungspartner zur weiteren Annäherung an die EU ist kein Selbstläufer. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es braucht hierfür weiterhin auch unsere, die Unterstützung des Deutschen Bundestages, damit Moldau und weitere Assoziierungspartner ihren Weg Richtung EU selbstbestimmt fortsetzen können. Das bedeutet zweierlei: Für uns in Deutschland heißt es, auch zukünftig aktiv auf der Seite Moldaus zu stehen und das Land in seinem weiteren Reformprozess zu unterstützen. Das gilt sowohl für die notwendigen innenpolitischen Reformen in Moldau – um die Beitrittsvoraussetzungen zu erfüllen –, aber auch mit Blick auf die nach wie vor vorhandenen -außen- und regionalpolitischen Herausforderungen, denen sich Moldau gegenübersieht. Wir als Bundes-regierung sind weiterhin gefragt, uns hier aktiv ein-zubringen. Unsere Bemühungen zur friedlichen -Beilegung des Transnistrien-Konflikts müssen aufrechterhalten werden. Auch müssen wir uns dafür einsetzen, dass der Dialog zwischen der Republik Moldau und Gagausien zur künftigen Ausgestaltung der Autonomie zu einer Regelung führt. Gegenüber Rumänien gilt es, dass wir uns für die Ratifizierung des Grenzvertrags einsetzen. Es ist klar, dass ohne eine Lösung dieser bisher ungelösten Konflikte und Streitfragen die Aufnahme Moldaus in die EU nicht möglich sein wird. An dieser Stelle kommt auch mit Blick auf Moldau einmal mehr unserer Russland-Politik besondere Bedeutung zu. Die Bundesregierung und, ich bin mir ziemlich sicher, auch die Partner innerhalb der EU -sowie der G 7 sind unverändert an konstruktiven -Beziehungen zu Russland interessiert; aber eine imperialistisch anmutende russische Einflusssphärenpolitik nach dem Motto „Teile und herrsche“ wird von uns nicht akzeptiert. So war es gestern, so ist es heute und so wird es morgen sein. Entschieden trete ich deshalb Äußerungen wie jenen des stellvertretenden Außenministers Grigorij Karassin entgegen, der Presse-berichten zufolge gesagt haben soll, dass die Unterschrift der Ukraine und der Republik Moldau unter das Assoziierungsabkommen zweifellos ernste Folgen nach sich ziehen werde. Russland hat absolut keine Handhabe, den Regierungen und den Menschen in den Ländern der Region Anweisungen zu geben, in welche Richtung der jeweilige außenpolitische Kurs gehen soll. Nach wie vor kann sich jeder souveräne Staat auf sein Selbstbestimmungsrecht berufen und selbstständig entscheiden, ob, wann und mit welchem Nachdruck er sich der EU annähern möchte – unabhängig davon, wie Russlands Präsident Putin und sein außenpolitischer Beraterstab dazu stehen. An dieser Stelle ist ebenfalls klar, dass die EU an der Seite Moldaus stehen muss, sollte das Land seitens Russlands wirtschaftlich mit weiteren Sanktionen unter Druck gesetzt werden. Hierzu sind wir als Bundesregierung in der Pflicht, uns für einen Notfallfonds auf EU-Ebene einzusetzen, mit dem Moldau im Krisenfall wirtschaftlicher Sanktionen unterstützt werden könnte. Die Unterstützung des Bundestages und der Bundesregierung nimmt auf der anderen Seite genauso die Republik Moldau in die Pflicht, sofern das aktuelle Ziel eines Beitritts zu der EU zukünftig aufrechterhalten bleibt. In mehreren Bereichen sind in den kommenden Jahren – und mit Blick auf das langfristige Ziel des EU-Beitritts sicher auch Jahrzehnten – weitgehende Reformen in mehreren Politikbereichen nötig. Die -Regierung der Republik Moldau muss unterstützt und angehalten werden, die Anstrengungen im Bereich der Korruptionsbekämpfung aufrechtzuerhalten und Korruption auf allen Ebenen entschiedener als bisher zu bekämpfen. Genauso müssen ein transparentes System der Parteienfinanzierung geschaffen und das moldauische Justizwesen weiter reformiert werden. Moldau muss weitere Anstrengungen unternehmen, Menschenrechtsstandards der Europäischen Menschenrechtskonvention uneingeschränkt Geltung zu verschaffen und besonders auch den Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution entschlossen fortzusetzen. Dies sind nur einige wichtige Politikbereiche, die -verdeutlichen, dass für Moldau genauso wie für die weiteren Assoziierungsländer nun eine neue Etappe beginnt und große Anstrengungen sowie, seitens der Regierung, großer Veränderungs- und Gestaltungswille unabdingbar sind. Für uns als Abgeordnete des Bundestages genauso wie für unsere Partner in der EU gilt es dabei, Moldau aktiv zu unterstützen und alle Hilfe zukommen zu lassen, die notwendig ist, um den Weg in Richtung Europa weiterhin zu beschreiten; das ist der Pfad, den Moldau, die Ukraine und Georgien gewählt haben. Lassen Sie uns alle Unterstützung geben, die nötig ist, damit die europäische Perspektive für unsere Assoziierungspartner nicht nur auf dem Papier steht, sondern politische Realität wird! Deshalb bitte ich um Ihre Unterstützung für den vorliegenden Antrag. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Die Linke wird den Antrag von CDU/CSU, SPD und Grünen, der Republik Moldawien eine europäische – oder genauer gesagt: eine EU-Perspektive – zu geben, ablehnen. Die Vorschläge der anderen Parteien sind gegenüber Moldawien heuchlerisch und wiederholen alle Fehler, die in der Ukraine zur politischen Katastrophe geführt haben. Ein Beispiel gefällig? In dem vorliegenden Antrag heißt es, dass grundlegende Entscheidungen über die Orientierung der -Republik Moldawien nur infolge freier und verfassungsmäßiger Wahlen gefunden und anerkannt werden können. Die Praxis sieht völlig anders aus: Es ist bekannt, dass Wahlen in Moldawien im Oktober/November stattfinden. Die EU hätte ohne Probleme die Schlussphase einer Unterzeichnung oder Nicht-Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens auf einen -Termin nach den Wahlen legen können. Das entspräche dieser Aussage des Antrages. Anders jedoch als hier geheuchelt wird, hat man das Abkommen jetzt durchgesetzt und den Kolleginnen und Kollegen im Parlament Moldawiens keine Chance gegeben, sich über dieses grundlegende Abkommen im Wahlkampf auseinanderzusetzen. Warum geht man so vor? Alle Meinungsumfragen sprechen dafür, dass die Kommunisten in Moldawien die Wahlen gewinnen werden. Da will die EU das, was sie später vielleicht nicht mehr bekommt, schnell noch unter Dach und Fach bringen. Sieht so eine demokratische, gleichberechtigte Zusammenarbeit aus? Ich behaupte: Nein. Moldawien hat bittere Bürgerkriegserfahrungen entlang des Dnestr. Im Land selbst arbeitet eine OSZE-Mission. Ihre Erfahrung wäre interessant gewesen für die Formulierung künftiger Politik. Kein Wort davon in dem vorliegenden Antrag von CDU/CSU, SPD und Grünen. Das Assoziierungsabkommen und seine Inkraftsetzung machen eine Lösung der Transnistrienproblematik fast unmöglich und befördern in raschen Schritten eine Abtrennung Gagausiens. Hier „wiederholt“ sich in bitterer Art und Weise die falsche und unverantwortliche Herangehensweise im Ukraine-Konflikt. Erneut wird ein Land gezwungen, sich zu entscheiden -zwischen enger Kooperation mit der EU oder engerer Zusammenarbeit mit Russland. Auch gegenüber -Moldawien wird das exekutiert. Zusätzlich zu diesem Tatbestand enthält das Assoziierungsabkommen Festlegungen über militärische Zusammenarbeit. Mit -diesem Trick wird auch Moldawien zum direkten EU-Militär- und indirektem NATO-Partner. Glauben Sie im Ernst, das würde im Parlament von Moldawien und in Russland nicht bemerkt? Der vorliegende Antrag von CDU/CSU, SPD und Grünen drückt sich vor einer klaren rechtlichen Aussage, was die Assoziierungsabkommen angeht. Dies gilt schon für das Abkommen mit der Ukraine, einem Nachbarland Moldawiens, und jetzt auch für das Abkommen mit Moldawien. Wenn die Abkommen in Kraft treten sollen, müssen sie im Bundestag ratifiziert werden. Dazu hat die Bundesregierung bislang keine Initiativen ergriffen. Ich stelle Ihnen gern das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zur Verfügung, dann können Sie das selber noch einmal nachlesen. Die ganze Vorgehensweise der EU und der USA, die mit Unterstützung der Bundesregierung agieren, verschärft die ethnischen Spannungen in Moldawien. Es ist doch bekannt, dass in Moldawien das Nachbarland Rumänien rumänische Pässe verteilt, womit Schengen unterlaufen wird. Ähnliches hat der Bundestag im Georgienkonflikt gegenüber Russland zu Recht kritisiert. Auch hier setzt man sich wieder dem Vorwurf aus, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Vorschläge für praktische Hilfe für Moldawien sind in diesem Antrag eher weniger enthalten. Es wäre zum Beispiel dringend notwendig, bei der Entsorgung von militärischen Hinterlassenschaften – seit dem Ersten Weltkrieg hat jeder seinen Waffendreck in Bessarabien hinterlassen – zu helfen. Schon die PDS-Fraktion hatte in der 14. Legislaturperiode finanzielle Unterstützung für Moldawien bei der Entsorgung von flüssigen Raketentreibstoffen beantragt. Diese sind hochgiftig, und die Lagerstätten sind nicht sicher genug. Abgelehnt von der Mehrheit des Bundestages, wie so vieles Vernünftige. Der Antrag gibt vor, dass Deutschland sich mit seiner Annahme für eine Deeskalation der Spannungen in Osteuropa einsetzt. Es gehören keine hellseherischen Fähigkeiten dazu, Ihnen vorauszusagen, dass das -Gegenteil der Fall sein wird. Falsche Politik, heuchlerische Anträge – das ist die Linie der Parlamentsmehrheit mit Beifall und Zustimmung der Grünen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der Unterzeichnung der Assoziierungsabkommen mit der Republik Moldau, Georgien und der Ukraine rücken die Länder näher an das geeinte Europa heran. Europa wächst weiter zusammen. Dieser historische Schritt ist ein mutiger für die drei Länder. Denn alle drei Staaten stehen unter massivem Druck Russlands, das die Annäherung an die EU zu verhindern sucht. Alle drei Länder sind von Territorialkonflikten betroffen, die von Russland instrumentalisiert oder hervorgerufen wurden. Sie alle werden von Russland mit Handelsboykotten für ihren frei gewählten Weg bestraft. Bereits im Vorfeld der Assoziierung hatte Russland Weinimporte aus Moldau verboten. Am Tag der Ratifizierung des Abkommens durch das moldauische Parlament folgte gestern die nächste Strafaktion. Russland verbietet jetzt auch die Einfuhr von Fleischprodukten aus Moldau. Die schwach entwickelte Wirtschaft des Landes wird davon schwer getroffen, denn sie ist auf den wichtigen russischen Markt angewiesen. Zudem steht die Androhung im Raum, Hunderttausende moldauische Gastarbeiter aus Russland auszuweisen. Auch dies würde die Moldauerinnen und Moldauer hart treffen. Gut ein Viertel der Landsleute arbeitet im Ausland und trägt mit seinen Rücküberweisungen einen unverzichtbaren Anteil zum Einkommen moldauischer Familien bei. Der Transnistrien-Konflikt wird vom Kreml neu befeuert. Gestern traf sich der stellvertretende russische Premier Dmitrij Rogosin mit der Führung aus Tiraspol und sagte ihr Unterstützung für einen unversöhnlichen Kurs gegenüber Kischinau zu. Dies lässt schlechtes für den Meseberg-Prozess erwarten, mit dem nach langjähriger Pause das Fünf-plus-Zwei-Vermittlungs-format der OSZE wiederbelebt werden soll. Wir dürfen nicht vergessen, dass Russland wie beim Budapester Memorandum zum Schutz der Ukraine auch im Transnistrien-Konflikt bereits vertragsbrüchig geworden ist. Im Dokument des OSZE-Gipfels 1999 in Istanbul verpflichtete sich Russland zum Abzug seiner Truppen aus Transnistrien bis Ende 2002. Bis heute hat der Kreml diese Verpflichtung nicht erfüllt. Die Politik des Kremls gegenüber den Nachfolgestaaten der Sowjetunion erinnert fatal an die Breschnew-Doktrin, mit der man die Nachbarstaaten als Vorhof reklamierte und ihnen die volle Souveränität nicht zugestehen wollte. Solch imperiale Politik hat keinen Platz im Europa des 21. Jahrhunderts und ist zurückzuweisen. Wegen der wirtschaftlichen Strafmaßnahmen Russlands fürchten vielen Menschen in Moldau Nachteile, die ihnen durch die Assoziierung mit der EU entstehen könnten. Umso wichtiger ist das breite Signal der -Unterstützung des Deutschen Bundestags, das wir heute mit dem interfraktionellen Antrag nach Moldau senden. Für die Bundesregierung und EU gilt, Moldau in seinem frei gewählten Weg nach Kräften zu unterstützen. Das Assoziierungsabkommen mit Moldau ist mehr als ein Freihandelsabkommen. Es sieht vielfältige -Reformen vor und soll die demokratische und wirtschaftliche Transformation des Landes unterstützen. Sorgen der Menschen wegen möglicher sozialer Folgen der dringend notwendigen Modernisierung der Wirtschaft müssen wir ernst nehmen und dem Land bei der Abfederung sozialer Härten helfen. Wir benötigen alle Anstrengungen, damit die Annäherung an die EU für die Menschen in Moldau so schnell wie möglich zu spürbaren Verbesserungen führt. Die Gewährung der Reisefreiheit im April 2014 war ein erster richtiger Schritt. So wird das Zusammenwachsen Europas auch für Moldauerinnen und Moldauer konkret erlebbar. Auch für die anderen Assoziierungsländer Ukraine und Georgien müssen wir jetzt rasch Reisefreiheit erreichen. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1956. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutz von Elefanten und Nashörnern vor Wilderei stärken Drucksache 18/1951 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wildtierhandel mit geschützten Arten verbieten Drucksache 18/1960 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind einverstanden. Josef Göppel (CDU/CSU): Ich freue mich, dass wir heute einen interfraktionellen Antrag zum Elefanten- und Nashornschutz beraten und beschließen können. Der Schutz beider Arten drängt, wenn die nächste Generation sie noch wild lebend sehen soll. 1979 gab es noch 1,3 Millionen Elefanten in Afrika, jetzt sind es nur noch etwa 470 000, und die Zahl sinkt dramatisch weiter. Über 10 Prozent des Elefantenbestandes fallen jährlich brutalen Wilderern zum Opfer. Damit wäre die Art in zehn Jahren nahezu ausgestorben. Bei den Nashörnern ist die Lage ähnlich ernst: Es leben sogar nur noch etwa 29 000 Tiere in Freiheit, davon werden jährlich über 1 000 ihrer Hörner wegen umgebracht – Tendenz steigend. Beide Tiere sind im Washingtoner Artenschutzabkommen in der höchsten Schutzkategorie aufgeführt. Doch dazu später mehr. Nashörner gehören zu den ältesten Säugetieren auf unserer Erde, es gab sie bereits vor über 50 Millionen Jahren. Die heute verbliebenen 29 000 Tiere verteilen sich auf fünf Arten. Bei zwei Arten leben nur noch wenige Hundert Exemplare; ihnen droht das völlige Verschwinden. Neben der Wilderei ist die Lebensraumveränderung einer der Gründe für den Artenschwund – hiergegen wurden bereits erfolgreiche Schutzgebiets-programme aufgelegt. Die Wilderei nimmt jedoch weiter zu und ist zur Hauptbedrohung geworden. Allein in Südafrika wurden im Jahr 2013 fast 800 Nashörner von Wilderern getötet. Angefacht durch die massive Nachfrage, vor allem in der Chinesischen Medizin, findet ein wahres Gemetzel statt. Dem pulverisierten Horn werden allerlei positive Wirkungen nachgesagt – Forschungen belegen nichts dergleichen. Es gilt also vor allem, den Mythos zu brechen und die Bürger in den Abnehmerländern aufzuklären. Kommen wir zum Elefanten. Der afrikanische Elefant ist seit 1989 in der höchsten Schutzkategorie im Washingtoner Artenschutzabkommen gelistet. Zuvor erlitt dieses majestätische Tier durch Verfolgung und Zerstörung seines Lebensraums einen starken Rückgang. Die Aufnahme in das Artenschutzabkommen und das damit verbundene Handelsverbot hat vor allem im südlichen Afrika zu einer Stabilisierung beigetragen. In einigen Staaten Afrikas wurde der Schutz Ende der 1990er-Jahre wieder herabgestuft und damit ein Verkauf von Lagerbeständen ermöglicht. Diese gut gemeinte Aktion hat letztlich großen Schaden angerichtet. Zum einen erleichterte sie durch falsche Kennzeichnung den Verkauf von gewildertem Elfenbein, zum anderen erweckte sie in den Abnehmerländern den Eindruck, die Bedrohung der Art sei vorüber. Zusammen mit der positiven Wirtschaftsentwicklung in China, Thailand und Vietnam trug diese Fehleinschätzung zu einer gesteigerten Nachfrage bei. Das facht die Wilderei erneut an. In einigen Regionen Afrikas haben Wilderei und -illegaler Elfenbeinhandel ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht und zu massiven Bestandseinbrüchen geführt. Ein besonders drastisches Beispiel ist die Tötung von etwa 400 Tieren Anfang letzten Jahres im Bouba-Ndjida-Nationalpark in Kamerun. Hier wie auch in anderen Bereichen stehen oft große, militärisch ausgerüstete Wildererbanden aus Nachbarstaaten hinter den Taten. Aber auch einige afrikanische Staaten handeln illegal mit Elfenbein. Der Kauf des „weißen Goldes“ finanziert also korrupte Regime. Wie beim Nashorn leben die meisten Kunden in asiatischen Ländern, in denen Elfenbein als Statussymbol und Luxusobjekt gilt. Vor allem in China und Hongkong, aber auch in Malaysia, Vietnam, Thailand und anderen Ländern hat die positive wirtschaftliche Entwicklung die Nachfrage nach Elfenbein so weit angefacht, dass 2013 erneut ein Rekordjahr bei der Beschlagnahmung von illegalem Elfenbein war – nach 2011 und 2012. Schätzungen zufolge werden pro Jahr rund 50 000 Elefanten gewildert, das sind über 10 Prozent des weltweiten Bestands. Die Tendenz ist steigend aufgrund steigender Absatzpreise. Würde sich dieser Trend fortsetzen, wäre in weiten Regionen Afrikas mit dem vollständigen Verlust dieser Art zu rechnen. Gesunde und tragfähige Elefantenpopulationen sind jedoch entscheidend für viele Ökosysteme des afrikanischen Kontinents. Der Elefant leistet einen wichtigen Beitrag zur Offenhaltung der typischen afrikanischen Savannen. Er reduziert den Baumbewuchs und erhält so maßgeblich die Lebensgrundlage für zahlreiche weitere Arten. Von einem konsequenten Elefantenschutz profitieren also auch andere Geschöpfe. Elefanten, als symbolträchtige Tiere der afrikanischen Steppe, steigern in besonderem Maße die touristische Attraktivität vieler Regionen für Safaris und Tierbeobachtungsreisen. Gesunde Wildtierbestände stellen also eine wesentliche wirtschaftliche Grundlage vieler afrikanischer Kommunen dar und sind somit von materieller Bedeutung für die lokale Bevölkerung. Die zunehmende Wilderei kann demnach nicht nur das Tourismusgeschäft, sondern zugleich die wirtschaftliche Stabilität der Region massiv gefährden. Auch anerkannten Projekten zur Armutsbekämpfung, die auf den Einnahmen aus dem Tourismus basieren, kann durch Wilderei die Grundlage entzogen werden. Ein erfolgreicher Schutz der Elefanten hat also positive -Effekte, die weit über den Artenschutz hinausgehen. Der Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste und der KAZA-Peace-Park im südlichen Afrika, sind nur zwei Beispiele der erfolgreichen deutschen Entwicklungszusammenarbeit beim Schutzgebietsmanagement, die die enge Verknüpfung eines wirksamen Natur- und Waldschutzes mit den wirtschaftlichen Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung belegen. Diese Projekte gilt es fortzusetzen und weiter auszudehnen. Die Mittel dafür stehen, auch dank deutscher Unterstützung, bereit. Ich sagte es eingangs schon: In manchen Gegenden wirkt sich das Artenschutzabkommen positiv auf die Tierbestände aus. In den Bereichen Afrikas mit stabilen Elefantenpopulationen, wie Botswana, Namibia, Simbabwe und Südafrika, gibt es jedoch teilweise Probleme durch das Ausweichen von Elefanten aus den zu engen verbliebenen Lebensräumen in menschliche Siedlungen oder auf landwirtschaftliche Flächen. Hier müssen die Schutzgebiete erweitert oder durch Korridore vernetzt werden, sodass der Lebensraum der Elefanten vergrößert und Konflikte zwischen Menschen und Wildtieren verringert werden. Auch beim Nashorn können größere Schutzgebiete den Tier- mit dem Menschenschutz und mit einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung verbinden, in Afrika und Asien. Auf internationaler Ebene gilt es, die betroffenen Staaten in ihren direkten Schutzbemühungen und die Vollzugsorgane bei deren Umsetzung zu unterstützen. Es müssen aber auch die Transit- und Abnehmerländer deutlich auf ihre Verantwortung hingewiesen werden. Und in der Bevölkerung der Zielländer muss das Bewusstsein für den Schutz von Nashörnern und Elefanten gefördert werden, um die Nachfrage nach Elfenbein und Nashorn-Hörnern zu reduzieren. Hierbei ist die Eindeutigkeit im Schutzstatus von großer Hilfe. Ausnahmen vom Handelsverbot bewirken das Gegenteil. Nur wenn die Absatzmärkte kleiner werden, wird sich die Wilderei verringern. Unser gemeinsamer Antrag gibt der Bundesregierung klare Vorgaben bei internationalen Verhandlungen auf all diesen Handlungsfeldern. Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Als im April 2012 der mittlerweile abgedankte spanische König Juan Carlos wegen seiner Elefantenjagd weltweit in die Schlagzeilen geriet und, wie ich meine, zu Recht die Öffentlichkeit ihre große Empörung hierüber zum Ausdruck brachte, konnte man allenfalls von einer großen Geschmacklosigkeit sprechen. Denn illegal war der Abschuss des etwa 50 Jahre alten Elefantenbullen nicht, da in Botswana die Jagd in engen Grenzen erlaubt ist. Nicht nur geschmacklos, sondern äußerst befremdlich war der Anfang des Jahres 2014 öffentlich gemachte und als eher unfachmännisch beschriebene Jagderfolg des ehemaligen Zentralabteilungsleiters des Thüringischen Ministeriums für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz, welches auch für den Artenschutz verantwortlich zeichnet. Der Hobby-Elefantenjäger hatte sich mit – seinen Jagderfolg dokumentierenden – Fotos vor seinen Kollegen gebrüstet und damit in der Öffentlichkeit eine große Welle des Unverständnisses ausgelöst. Auch hier war die Jagd legal, aber – wie ein WWF-Vertreter passend formulierte – nicht wirklich legitim. Das Thema Elefantenjagd ist also durchaus auch in Europa und sogar in Deutschland ein aktuell diskutiertes – und das 25 Jahre nachdem der Handel mit Elefantenprodukten weltweit verboten wurde. Aber nicht die offizielle und nach recht strengen Kriterien zugelassene Jagd nach den Dickhäutern ist Thema des vorliegenden Antrags von Union, SPD und Grünen. Kernpunkt ist die gewerbsmäßige Wilderei, die weltweit den Bestand vieler Tierarten gefährdet. Und hier sind es insbesondere die Bestände von Elefant und Nashorn, die durch eine organisierte Wildereimafia schwer gefährdet sind. Allein im Jahr 2012 wurden in Afrika schätzungsweise 22 000 Elefanten gewildert. Auch im vergangenen Jahr waren es nach Angaben des Washingtoner Artenschutzübereinkommens, CITES, mehr als 20 000 Tiere, weshalb die Elefantenbestände in vielen west- und zentralafrikanischen Ländern als stark gefährdet gelten (vergleiche „Neue Zürcher Zeitung“ vom 14. Juni 2014: „Über 20 000 Elefanten gewildert“). Insbesondere in Zentralafrika wird in den letzten elf Jahren ein Rückgang der Waldelefantenpopulation um 65 Prozent beklagt. Das Monitoringsystem, MIKE, des CITES hat festgestellt, dass zwei Drittel der im vergangenen Jahr gestorbenen Elefanten der Wilderei zum Opfer fielen. Mit Blick darauf, dass es in ganz Afrika nur noch etwa 500 000 Elefanten geben soll, ist dies eine bedrückende Zahl. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es nach Angaben von Pro Wildlife in Afrika noch 10 Millionen Elefanten, 1940 nur noch 5 Millionen und 1979 waren es gerade einmal 1,3 Millionen Tiere, und für 1989 wird ein Bestand von etwa 600 000 Elefanten benannt. Erschreckend ist auch die Zahl der beschlagnahmten illegalen Elfenbeinlieferungen. In den Jahren 2011 bis 2013 wurde die höchste Menge an Elfenbeinbeschlagnahmungen der vergangenen 25 Jahre festgestellt. Wurden 2012 noch 25 Tonnen Stoßzähne konfisziert, waren es 2013 bereits über 40 Tonnen. Insbesondere die Zahl der Großbeschlagnahmungen mit mehr als 500 Kilogramm Rohelfenbein hat stark zugenommen. Geht man davon aus, dass vermutlich nur jede zehnte Schmuggelei durch den Zoll entdeckt wird, wird das ganze Ausmaß erst richtig deutlich. Hauptziele der meist per Containerschiff außer Landes gebrachten Schmuggelware sind China und Thailand. Auch bei den Nashörnern ist die Wilderei die Haupt-ursache des Rückgangs der Bestände, die durch -CITES seit 1977 unter das internationale Handelsverbot gefallen sind. Da die kommerzielle Jagd und der Handel mit Nashornprodukten in fast allen Staaten mit Nashornpopulationen untersagt sind, sind die in freier Wildbahn getöteten Tiere größtenteils Opfer von Wilderei. Allein in Südafrika sind im Jahr 2013 über 1 000 Nashörner getötet worden, während es 2007 nur etwa 13 Tiere gewesen sind. Erschreckend ist hier, dass allein im Krüger-Nationalpark mehr als 600 Tiere getötet wurden. Und sehr beunruhigend ist es für mich, dass auch in diesem Jahr ein neuer Negativrekord erreicht werden könnte, da bereits 442 Nashörner gewildert wurden (Zum gleichen Zeitpunkt waren es im vergangenen Jahr 370 Tiere). Bei einer Gesamtpopulation von gerade einmal 25 000 Tieren ist das eine dramatisch hohe Zahl. Die Hörner werden meist im Fluggepäck nach Vietnam geschmuggelt, wo sie als angeblich entgiftende Medizin verwendet werden, wenngleich eine solche Wirkung tatsächlich nicht festgestellt werden kann. In Asien wird das Horn mittlerweile zu Schwarzmarktpreisen von bis zu 40 000 Euro gehandelt. Zum Schutz der Nashörner werden mittlerweile neue Wege gegangen. In Kenia startet demnächst ein Projekt, bei dem den Tieren ein Chip ins Horn eingepflanzt werden soll. In Südafrika hingegen werden die Tiere neuerdings kurzzeitig betäubt und in das Nashorn ein Giftstoff injiziert, der für Menschen gesundheitsschädlich oder sogar tödlich sein kann. Die Hörner der so behandelten Nashörner werden mit roter Farbe markiert, und damit sind diese Tiere für potenzielle Wilderer sofort als nicht mehr verwertbar zu erkennen. Wir als Antragsteller sehen aber nicht allein die erschreckenden ökologischen Folgen der Wilderei von Elefanten und Nashörnern. Uns beunruhigt es auch, dass der Handel mit den illegal getöteten Tieren bzw. deren Produkten zu den fünf einträglichsten Sparten der international organisierten Kriminalität gehört und sich große Kartelle, aber auch Terrorgruppen und Bürgerkriegsparteien aus den Erlösen finanzieren. Nach Angaben der Vereinten Nationen profitieren zahlreiche Verbrecher- und Terroristenbanden von der seit Jahrzehnten schwersten Wildereikrise in Afrika. Und während einerseits die Armut auf dem Kontinent die Jagd nach Elefanten und Nashörnern begünstigt, steigt im immer reicher werdenden Asien die Nachfrage nach Luxusartikeln wie Elfenbein und Nashornpulver dramatisch an (vergleiche „Süddeutsche Zeitung“ vom 28. Juni 2014: „Jäger und Gejagte“). Die Wilderer profitieren von den steigenden Preisen und sind bestens organisiert, sie rüsten immer mehr auf und verfügen über modernste automatische Waffen und Nachtsichtgeräte. Die Wildhüter haben es zunehmend schwerer, dieser Entwicklung etwas Wirkungsvolles entgegenzusetzen. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, UNEP, und die Internationale kriminalpolizeiliche Organisation Interpol haben jüngst das Gesamtvolumen der Umweltverbrechen auf bis zu 213 Milliarden US-Dollar geschätzt. Angesichts einer Förderquote der Entwicklungszusammenarbeit von etwa 135 Milliarden US-Dollar wird hier noch eine ganz andere Pro-blematik deutlich. Wilderei und Handel mit illegal erzeugten Wildtierprodukten gefährden also auch unsere gleichzeitigen Anstrengungen im Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und unsere Bemühungen im internationalen Umweltschutz, wo sich Deutschland mit beträchtlichen finanziellen Mitteln engagiert. Bereits in der letzten Wahlperiode hat der Deutsche Bundestag mit seinem Antrag „Neue Impulse für einen wirksamen und umfassenden Schutz der Afrikanischen Elefanten“ (Drucksache 17/11554) wichtige Feststellungen und Forderungen zu dieser Problematik beschlossen. Die aktuellen Entwicklungen, die ich eingangs beschrieben habe, lassen uns jedoch dahin gehend erneut initiativ werden, um die Bemühungen der Bundesregierung zu untermauern und das wichtige und international sichtbare Signal zu senden, dass Deutschland alles tut, um diesen verbrecherischen Machenschaften Einhalt zu gebieten. Das beginnt beim Schutz der gefährdeten Tiere vor Wilderei, geht weiter über die Bekämpfung des Schmuggels durch stärkere Kontrollen und die Reduzierung der Nachfrage nach Elfenbein- und Nashornprodukten und endet schließlich bei der Problematisierung auf höchster politischer Ebene bei allen geeigneten internationalen Zusammenkünften. Wir begrüßen daher ausdrücklich die Bemühungen der Bundesregierung, auf diplomatischem Wege weiterhin und unvermindert gegen Wilderei und illegalen Wildtierhandel vorzugehen und im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit das Thema zu berücksichtigen. Und wir fordern von der Bundesregierung, dass sie sich mit Blick auf die rasant steigenden Wildereivorfälle gegen weitere Freigaben des internationalen Elfenbeinhandels einsetzt. Deutschland muss sich zudem verstärkt auf internationaler Ebene – insbesondere bei Gesprächen mit den wichtigen Ursprungs-, Transit- und Abnehmerländern – für eine Eindämmung der Nachfrage nach Elfenbein- und Nashornprodukten aussprechen. Und nicht zuletzt müssen wir dafür sorgen, dass der illegale Wildtierhandel durch eine noch intensivere Zusammenarbeit mit Interpol, Europol und der Weltzollorganisation eingedämmt wird. Denn eines dürfte mittlerweile allen Beteiligten klar sein: Wilderei und illegaler Elfenbein- und Nashornhandel sind keine alleinigen Probleme des Artenschutzes. Sie spiegeln ein politikfeldübergreifendes Kriminalitäts- und Sicherheitsproblem internationalen Ausmaßes wider und müssen daher durch globale und interdisziplinäre Maßnahmen bekämpft werden. All das berücksichtigt unser Antrag, weshalb ich Sie um Zustimmung hierzu bitte. Carsten Träger (SPD): 20 000 getötete Elefanten, mehr als 1 000 tote Nashörner, 1 000 ermordete Wildhüter – hinter dem Titel zu unserem Antrag „Schutz von Elefanten und Nashörnern vor Wilderei stärken“ verbirgt sich die Bekämpfung einer neuen Dimension von organisierter Kriminalität. Wir alle kennen die furchtbaren Bilder von abgeschlachteten Elefanten und Nashörnern, die wegen ihrer Stoßzähne und Hörner einen grausamen Tod sterben mussten. Es ist für uns unvorstellbar, dass diese Tiere in großer Zahl getötet werden, weil in bestimmten Regionen Asiens Produkte aus Elfenbein Statussymbole sind und weil dem Horn des Nashorns eine Art medizinische Superkraft zugesprochen wird. Schlimm genug: das Leiden dieser Tiere, denen bei lebendigem Leib die Stoßzähne und Hörner abgeschlagen werden und die langsam qualvoll sterben. Aber das Problem ist vielschichtiger. Die Elefanten und Nashörner werden so massiv gewildert, dass wir es mit einem Artenschutzproblem zu tun haben. Ihre Zahl ist dramatisch zurückgegangen. Im letzten Jahr haben Wilderer in Afrika mehr als 20 000 Elefanten umgebracht. Ähnlich dramatisch sieht die Lage bei den Nashörnern aus: Allein in Südafrika wurden im letzten Jahr über 1 000 Nashörner illegal getötet. Zum Vergleich: 2007 fielen 13 Nashörner den Wilderern zum Opfer. Wir haben es hier also mit einem explosiven Anstieg dieser Entwicklung zu tun. Elefanten und Nashörner spielen auch eine große Rolle für die lokalen Ökosysteme. Ihr Verschwinden hätte weitreichende Folgen auch für die anderen dort lebenden Arten. Unsere Schutzbemühungen zielen auf den Erhalt der Biodiversität in Afrika. Neben der ökologischen gibt es weitere gesellschaftspolitische Dimensionen. Die Wilderei gehört inzwischen zu den einträglichsten Sparten der international organisierten Kriminalität. Sie steht auf einer Stufe mit Drogen-, Menschen- und Waffenhandel. Schmuggler und Zwischenhändler haben ihre Strukturen professionalisiert und sind technisch hervorragend ausgerüstet. Als Finanzierungsbasis für terroristische Gruppen in Afrika spielt die Wilderei eine immer größere traurige Rolle. Es geht um sehr viel Geld. Der Markt des illegalen Handels mit wild lebenden Arten wird auf 12 Milliarden Euro geschätzt. Laut UNEP, dem UN-Umweltprogramm, haben sich der illegale Elfenbeinhandel und die Wilderei seit 2007 verdoppelt. 2013 wurde die größte Menge illegalen Elfenbeins seit 25 Jahren beschlagnahmt. Das Horn des Nashorns ist auf Schwarzmärkten mehr wert als Gold. Und: Auch Menschen sind Opfer von Wilderei. Immer wieder werden Wildhüter, das letzte Schutzschild für Elefanten und Nashörner, bei ihrer Arbeit durch die Wilderer getötet. Mehr als 1 000 Wildhüter wurden in den letzten zehn Jahren in 35 verschiedenen Ländern ermordet. Was kann nun Deutschland tun? Deutschland ist weder Ursprungs- noch Abnehmerland. Es gibt bei uns minimale Mengen von Elfenbein, deshalb macht eine öffentliche Zerstörung, wie sie auch im Antrag der Linken gefordert wird, wenig Sinn. Schaufensterpolitik hilft nicht weiter, sondern wir können nur auf dem mühsamen Weg der internationalen Verhandlungen beharrlich bleiben und mit ressortübergreifenden Anti-Wilderei-Maßnahmen und konkreter Hilfe für die Menschen in den Ursprungsländern die Lage verbessern. Bereits heute nimmt die deutsche Regierung bei den internationalen Bemühungen zum Schutz für Elefanten und Nashörner eine Vorreiterrolle ein und bezieht klar Position. Die Parlamentarische Staatssekretärin ist in ihrer Rede auf die derzeitigen Aktivitäten eingegangen. Fest steht: Das besonders große Engagement der Umweltministerin Hendricks verdient unsere Anerkennung. Eine klare Positionierung gegen weitere Freigaben des internationalen Elfenbeinhandels ist dabei unabdingbar. Ebenso muss in den internationalen Verhandlungen weiter versucht werden, die Nachfrage nach Elfenbein und Nashornprodukten zu senken. Die internationale Zusammenarbeit und auch die Kontrollen müssen weiter gestärkt werden. Ich würde es sehr begrüßen, wenn es im Rahmen der geplanten Resolution der UN-Generalversammlung im September gelänge, sich auf ein noch schärferes und umfassenderes Vorgehen gegen den illegalen Wildtierhandel zu verständigen. Der Aspekt der organisierten Kriminalität bei der Wilderei auf Elefanten und Nashörner und damit verbundener Delikte sollten größere Beachtung finden bei den entsprechenden UN-Konventionen gegen Korruption und gegen grenzüberschreitende organisierte Kriminalität. Ich habe in aller Kürze versucht, deutlich zu machen: Hier handelt es sich nicht nur um eine arten- und naturschutzpolitische Problemstellung, sondern um eine massive Fehlentwicklung mit menschlichen Opfern, ausufernder organisierter Kriminalität und weitreichenden Folgen für Ökosysteme wie auch Gesellschaft. Deshalb freut es mich, dass wir bei diesem Antrag überfraktionell zusammenarbeiten. Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Die Linke will mehr Schutz von bedrohten Wildtieren erreichen. Dazu haben wir den vorliegenden Antrag eingebracht, der in seinen Forderungen über den der Grünen und der Koalition hinausgeht. Es wird höchste Zeit, dass auf internationaler Ebene endlich wirksame Schritte gegen den Wildtierhandel geschützter Tiere unternommen werden. Die Lage könnte kaum dramatischer sein: Von den einst 100 000 lebenden Tigern existieren heute nur noch rund 3 000 Tiger weltweit. Wenn der Wildtiermafia nicht endlich wirksam das Handwerk gelegt wird, könnte es schon bald gar keine Tiger mehr geben. Ähnliches gilt für Elefanten und Nashörner. Laut der internationalen Tierschutz-organisation WWF wurden im letzten Jahr rund 22 000 Elefanten in Afrika abgeschlachtet, andere Organisationen gehen sogar von einer Zahl von bis zu 50 000 getöteten Elefanten aus. Dies sollte für alle internationalen Akteure ein Alarmsignal sein; denn auch hier steht längerfristig die Existenz dieser Tierart auf dem Spiel. Der Handel mit Elfenbein, Nashornhorn und Tigerfellen blüht. Wir schlagen deshalb in unserem Antrag ein dauerhaftes EU-weites Im- und Exportverbot von Produkten geschützter Tierarten vor. Aber auch in weiteren Transit- sowie in Ursprungs- und Abnehmerländern müssen die Märkte für Produkte bedrohter Wildtiere geschlossen werden. Zugleich braucht es Aufklärungsmaßnahmen über den Unsinn dieser Produkte. Das internationale Artenschutzübereinkommen CITES, welches sich die Bekämpfung des Wildtierhandels auf die Fahne geschrieben hat, muss erweitert werden. Wir wollen das Ländermodell der von CITES geschützten Wildtiere ändern in ein Populationsmodell. Für den Schutz der Elefantenpopulationen ist es beispielsweise nicht sinnvoll, nach den Ländergrenzen zu trennen und sie somit den unterschiedlichen Schutzstandards im CITES-Übereinkommen zu unterstellen. Denn Elefantenpopulationen machen nicht vor Grenzen halt, und ein Elefant in Simbabwe ist nicht weniger schützenswert als ein Elefant im benachbarten Sambia. Leider klammert der vorliegende Antrag der Grünen und der Koalitionsfraktionen Armut und fehlende Perspektiven in den Ursprungsländern als eine der wichtigsten Ursachen für den Wildtierhandel komplett aus: Wir sind der Meinung, dass die wirtschaftlichen und sozialen Probleme in Afrika wesentlich dazu beitragen, dass Menschen in die Fänge der Wildtiermafia geraten. Solange viele afrikanische Staaten weiterhin bewusst in neokolonialer Abhängigkeit vom globalen Norden gehalten werden, um die Profitinteressen multinationaler Konzerne abzusichern, wird sich der Trend nicht umkehren lassen. Insofern heißt Schutz der Wildtiere auch, in der Außen- und Entwicklungspolitik umzusteuern und den betroffenen Staaten eine faire Chance für eine eigenständige Entwicklung zu geben, die den Menschen vor Ort eine Perspektive bietet. Die gegenüber Afrika gegebenen Entwicklungsfinanzierungsversprechen müssen endlich eingehalten und die bisher entstandenen Schulden afrikanischer Länder komplett erlassen werden. Dies machen wir mit unserem Antrag deutlich. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es mag sich ja schön und vielleicht auch ein wenig lustig anhören, wenn es hier einen Tagesordnungspunkt mit dem Titel „Elefanten und Nashörner“ gibt, leider muss ich aber sagen: Diese Angelegenheit ist sehr ernst, und zwar todernst. 2013 wurde die größte Menge illegalen Elfenbeins seit 25 Jahren beschlagnahmt. Jährlich werden Zehntausende Elefanten gewildert. Bei Nashörnern steigen die Zahlen in ähnlich hohem Tempo: Während 2007 in Südafrika noch 13 Nashörner gewildert wurden, waren es im letzten bereits Jahr über 1 000 Nashörner. Es geht hier aber nicht nur um Artenschutz und den Schutz von vom Aussterben bedrohten Tier, sondern auch um eine viel tiefgreifendere gesellschaftspolitische Dimension. Denn es zeigt sich ein dramatisches Bild: In den letzten 10 Jahren wurden in 35 verschiedenen Ländern mehr als 1 000 Wildhüter ermordet, die sich im Schutz von Elefanten und Nashörnern verdient gemacht haben. Für viele vom Aussterben bedrohte Arten sind die Wildhüter das letzte schwache Schutzschild. Opfer werden aber nicht nur die Wildhüter vor Ort, die Wilderei zieht noch viel größere Kreise. Wilderei ist mittlerweile eine der fünf größten Sparten der international organisierten Kriminalität: Laut UNEP und Interpol steht der illegale Handel mit geschützten Tieren und Pflanzen mittlerweile auf der gleichen Stufe mit Drogen-, Menschen- und Waffenhandel. Die Schmuggler- und Händlerringe haben ihre Strukturen professionalisiert und verfügen über weitreichende Finanzierung und teilweise hochtechnisierte Ausrüstung. Sie bereichern sich extrem gut an dem illegal florierenden Geschäft. Oftmals finanzieren sich kriminelle Kartelle, Terrorgruppen und Bürgerkriegsparteien aus den Profiten des illegalen Wildtierhandels. Auch Gruppen wie Somalias al-Schabab und die kongolesische Lord’s Resistance Army sollen laut Berichten den Elfenbeinhandel für sich entdeckt haben. Außerdem werden die Dschandschawid-Kämpfer aus dem Sudan, eine lokale Miliz im Darfur-Konflikt, für den Tod von 400 Elefanten im Norden Kameruns verantwortlich gemacht. Mit dem Elfenbein finanzieren sie ihre Waffenkäufe und schüren damit neue Konflikte. Allein das Horn des Nashorns ist auf den Schwarzmärkten mittlerweile mehr wert als Gold. Die Wilderei ist mit ihren geschätzten Milliardengewinnen ein blutiges Geschäft geworden. Die vorliegenden Berichte von UNEP und Interpol zeigen, dass Wilderei zur organisierten Kriminalität avanciert ist und sogar Bürgerkriege bzw. terroristische Gruppen mitfinanziert. Dies muss auch das BMI zur Kenntnis nehmen. Denn wenn es das nicht tut, ist das eine gefährliche Lücke, die es sich nicht leisten kann. Ich freue mich, dass uns nach einigem Ringen dieser interfraktionelle Antrag gelungen ist und dass die Bundesregierung zugesagt hat, sich bei internationalen Verhandlungen deutlich gegen die weitere Freigabe des Elfenbeinhandels einzusetzen, um der Wilderei und dem illegalem Handel mit Elfenbein und Nashornhorn einen wirksamen Riegel vorzuschieben, auch wenn uns ein generelles und konsequentes Verbot des Handels mit Elfenbein und Nashornprodukten lieber gewesen wäre. Denn jeglicher legaler Handelsweg öffnet Tür und Tor für illegale Machenschaften. Die gegenwärtige Situation zeigt ganz deutlich, wie drastisch sich die Aufweichungen des generellen Verbots von Elfenbeinhandel ausgewirkt hat: Die Wilderei hat derzeit wieder ein Ausmaß angenommen wie zuletzt in den 1980er-Jahren, bevor der internationale Elfenbeinhandel 1989 verboten wurde. Der Markt wurde nach und nach wieder angeheizt. Laut Experten gab es hierfür zwei Ursachen: Erstens wurde im Washingtoner Artenschutzabkommen von 2007 ausgehandelt – übrigens jeweils mit Beteiligung der damaligen Bundesregierung –, den südafrikanischen Staaten Botswana, Namibia, Südafrika und Simbabwe einmalig den Verkauf von 108 Tonnen Elfenbein aus Staatsbesitz zu erlauben. Zweitens wurde im Jahr 2008 China als Importland anerkannt. Diese legalen Absätze heizten den Markt und damit auch die illegalen Machenschaften und die Kriminalität erst richtig an. Dabei darf man auch die Ausnahmereglung im -CITES-Abkommen für europäisches Elfenbein nicht unterschlagen. Diese erlaubt den Export von Elfenbein aus den Jahren vor 1976. Auch diese Exporte bieten ein Schlupfloch für frisch gewildertes Elfenbein. Der Generalsekretär von CITES sagte Berichten zufolge, Experten gingen davon aus, dass Spekulanten Elfenbein lagern in der Hoffnung auf steigende Preise, sobald Elefanten eines Tages ausgestorben sein werden. Es ist eben nicht nur ein Hirngespinst von Naturschützern, dass Elefanten und Nashörner eines Tages ausgerottet sein werden. Die heutigen Spekulationen zeigen, wie ernst es um den Bestand dieser edlen Tiere tatsächlich steht. Die Wilderei und der Kampf gegen Wilderei ist kein Randthema mehr, sondern ein Thema mitten in der gesellschaftlichen und auch politischen Debatte. Auf der Tagesordnung der ersten Sitzung der UNEA, die vergangene Woche zum ersten Mal in Nairobi tagte, stand der Kampf gegen Wilderei prominent auf der Tagesordnung. Kürzlich kümmerte sich auch Prinz William von England höchstpersönlich um ein Treffen mit hochrangigen Regierungschefs, um dieses Thema in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit zu tragen. Nächste Woche wird der Ständige Ausschuss des Washingtoner Artenschutzabkommens über einen -Entscheidungsmechanismus zum zukünftigen Umgang mit Elfenbeinhandel verhandeln. Es ist wichtig, dass Deutschland zum Schutz von Elefanten und Nashörnern mit einer starken Stimme gegen jegliche weitere Freigaben des Elfenbeinhandels spricht. Dieser interfraktionelle Antrag wird der Delegation dabei den -Rücken stärken. Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Ich freue mich über den Antrag der Regierungsfraktionen und der Fraktion Bundnis 90/Die Grünen und bedanke mich im Namen der Bundesregierung über das darin zum Ausdruck kommende Lob für unsere Arbeit. Wir können nicht hinnehmen, dass jedes Jahr 20 000 Elefanten illegal abgeschossen werden. Und wir können nicht zulassen, dass die Nachfrage nach Nashornpulver in Vietnam zum Aussterben des Nashorns führt. Die Wilderei auf Elefanten und Nashörner hat dramatische Ausmaße angenommen. Das ist schlimm für die Tiere, die Natur und die Ökosysteme. Diese Wilderei und der illegale Wildtierhandel bringen international organisierte Kriminalität in Regionen mit schwacher, zum Teil bestechlicher Verwaltung. Sie nimmt den Menschen, die mit den Tieren leben, die Chance, einen Nutzen daraus zu ziehen. Sie bringt Destabilisierung und einen Verlust an Sicherheit mit sich. Die Bundesregierung hat daraus vier Schlüsse gezogen: Erstens. Wir müssen dieses wichtige Thema inter-national auf der höchsten Regierungsebene in Ursprungs-, Transit- und Abnehmerländern ansprechen. Das haben wir getan bei den Vereinten Nationen, wo die Erarbeitung einer UN-Resolution im September dieses Jahres vorgesehen ist. Wir haben uns für den „African Elephant Summit“ in Gaborone eingesetzt, der zehn dringliche Maßnahmen zum Elefantenschutz formuliert hat. Bundesministerin Hendricks hat an dem Londoner Gipfel im Februar dieses Jahres gegen den illegalen Wildtierhandel persönlich teilgenommen. Gerade ist die deutsche Delegation von der ersten Umweltversammlung der Vereinten Nationen zurückgekehrt, die letzte Woche in Nairobi stattgefunden hat. Zu den wichtigen, von mehr als 190 Umweltministern behandelten Themen gehört auch der illegale Wildtierhandel. Dieses internationale Momentum muss genutzt und erhalten werden. Das Zweite ist: Bei den Beschlüssen auf internationaler Ebene darf es nicht bleiben. Ihnen müssen Taten folgen. In Afrika und Asien ist in Folge dieser -Beschlüsse einiges geschehen. Das stellen wir im -Rahmen der Diskussionen unter dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen und den dort vorgelegten Berichten fest. Ferner werden wir im März 2015 -Bilanz ziehen; Botswana hat zu einem weiteren Treffen eingeladen, um zu erörtern, ob die Teilnehmer der früheren Konferenzen ihre Zusagen eingehalten haben. Drittens: Wir müssen den Menschen in den Ursprungsländern helfen, mit den gewaltigen Problemen fertigzuwerden. Im Rahmen der Entwicklungshilfe und mit ressortübergreifenden Antiwilderei-Maßnahmen gehen wir darauf ein. Deutschland stellt dafür 240 Millionen Euro zur Verfügung. Wegen der Details verweise ich auf die Drucksache 18/1243. Auch andere Staaten -sowie die Europäische Union und die UNDP sollen und wollen Antiwildereimaßnahmen inklusive nationaler Sicherheitsstrategien in Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit integrieren. Viertes: Wir müssen die internationale Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung in Bezug auf die Wilderei verbessern. Dazu soll unter anderem das Mandat der Konventionen erweitert werden, die sich mit grenzüberschreitender Kriminalität befassen. Die illegale Wilderei hat ungeahnte Dimensionen erreicht. Wir brauchen handfeste Antworten und entschlossene Maßnahmen gegen diesen Sumpf. Der Antrag der Fraktion Die Linke enthält Übereinstimmungen mit dem der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Allerdings sind darin einige Punkte enthalten, denen ich mich nicht anschließen kann. Lassen Sie mich zwei herausgreifen: Die Vernichtung von beschlagnahmtem Elfenbein ist sicherlich ein sinnvolles Zeichen für solche Staaten, die Ziel- oder Transitland illegalen Elfenbeins sind. Dazu gehört Deutschland aber gerade nicht. Ich nehme im Übrigen Bezug auf die detaillierten Erläuterungen in der bereits erwähnten Drucksache 18/1243. Ich glaube, dass die in dem anderen Antrag genannten Beiträge viel eher zur Bewältigung dieser Krise beitragen. Zweitens fordert der Antrag der Fraktion Die Linke ein dauerhaftes EU-weites Ex- und Importverbot von Produkten geschützter Tierarten sowie ein Verbot des innergemeinschaftlichen Handels. Wir wollen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Der Handelsartenschutz sollte auf die Naturverträglichkeit des Handels mit Tieren und Pflanzen hinarbeiten, das heißt sicherstellen bzw. helfen, dass Entnahmen die frei lebenden Populationen nicht schädigen, im Übrigen aber Handel zulassen. Es gibt sehr gewichtige Gründe, dieses Prinzip im Grundsatz beizubehalten. Viele -Nationen leben von der Vermarktung nachhaltig bewirtschafteter Ressourcen. Die Forderung, wie sie von der Fraktion Die Linke gestellt ist, hätte nach meiner Erfahrung auf europäischer Ebene nicht den Hauch einer Unterstützung zu erwarten und wäre im Zweifel in dieser pauschalen Form auch nicht mit der WTO zu vereinbaren. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1951 mit dem Titel „Schutz von Elefanten und Nashörnern vor Wilderei stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 24 b: Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1960 mit dem Titel „Wildtierhandel mit geschützten Arten verbieten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verringerung der Abhängigkeit von Ratings Drucksache 18/1774 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Matthias Hauer (CDU/CSU): Ratingagenturen haben bekanntlich zur Entstehung der Finanzkrise im Jahre 2008 erheblich beigetragen. Was ist ihnen vorzuwerfen? Die Ratingagenturen bewerteten Finanzprodukte, Unternehmen und Staaten über Jahre hinweg oftmals unrealistisch positiv. Dadurch wurde häufig ein viel zu geringes Risiko suggeriert, und Ausfallrisiken wurden unterschätzt. Selbst als sich die Finanzkrise zuspitzte, erfolgte die Anpassung der Ratings nur sukzessive und viel zu spät. Die Gefahr eines zu positiven Ratings wurde zudem durch massive Interessenkonflikte begünstigt. Indem die Auswahl und die Vergütung der Ratingagentur in der Regel durch das bewertete Unternehmen erfolgt, kommen abgegebene Ratings oftmals eher den Wünschen des Emittenten entgegen als den Bedürfnissen der Anleger. Ratingagenturen berieten Emittenten bei der Strukturierung ihrer Finanzprodukte zur Erzielung eines optimalen Ratings und nahmen später selbst -Bewertungen genau dieser Produkte vor – diese Vermischung von Beratungs- und Bewertungsleistungen ließ an der strikten Neutralität bei der Bewertung von Risiken zweifeln. Hinzu kommen bis heute teilweise enge Verflechtungen der Beteiligten: Wesentliche Anteilseigner der drei großen Ratingagenturen bzw. deren Muttergesellschaften sind gleichzeitig große Käufer und Verkäufer von Finanzprodukten, die von ihren eigenen Agenturen -bewertet werden. Es ist offensichtlich, dass derartige Konstellationen zu Interessenkonflikten führen können. Zudem bewegen wir uns auf einem Markt, der nach wie vor von den drei großen Ratingagenturen -beherrscht wird, bei deren Entscheidungen kontinentaleuropäische Belange schon mal außen vor geblieben sind. Auf diese Missstände hat sowohl der nationale als auch der europäische Gesetzgeber reagiert. Bereits mit der Ratingverordnung aus dem Jahre 2009, CRA I, hat die Europäische Union einen wichtigen Beitrag zur strengeren Beaufsichtigung von -Ratingagenturen geleistet. Seitdem besteht für alle Ersteller von Kreditratings eine Registrierungspflicht mit umfangreichen Prüfungs- und Genehmigungsverfahren sowie einer laufenden Beaufsichtigung. Damit wurden erste Schritte unternommen, die Transparenz des Bewertungsprozesses von Ratingagenturen zu -erhöhen, Interessenkonflikte zu vermeiden und Regelverstöße mit Bußgeldern zu ahnden. Mit der ersten Novelle der Ratingverordnung im Jahr 2011, CRA II, konzentrierte der europäische -Gesetzgeber die Aufsichtszuständigkeit bei der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, ESMA, und erhöhte die Transparenz für Ratings strukturierter Finanzprodukte. Mit der aktuellen, zweiten Novelle, CRA III, wird dieser richtige Weg nun konsequent weitergegangen, unter anderem mit folgenden Regelungen: Der ausschließliche oder automatische Rückgriff auf Ratings zu aufsichtsrechtlichen Zwecken soll verhindert und eigene Kreditrisikobewertungen sollen vorgenommen werden. Es gilt, Interessenkonflikte zu vermeiden, indem beispielsweise durch Höchstlaufzeiten der vertraglichen Beziehungen zu einer Ratingagentur ein Rotationsprinzip eingeführt wird. Außerdem werden zu den Länderratings Regelungen hinsichtlich Zeitpunkt und Anzahl der Veröffentlichungen getroffen. Die Verantwortung von Ratingagenturen wird darüber hinaus dadurch erhöht, dass diese bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit für fehlerhafte Ratings gegenüber den Anlegern sowie den bewerteten Unternehmen haften können. Ebenso müssen nunmehr für die Bewertung eines strukturierten Finanzinstruments zwei Ratings unterschiedlicher Agenturen eingeholt und dabei auch kleinere Ratingagenturen einbezogen werden. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung dient der Umsetzung der Richtlinie 2013/14/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 in nationales Recht und zur Anpassung des Aufsichtsrechts an die zweite Novelle der EU--Ratingverordnung. Sowohl mit der Richtlinie als auch mit der Verordnung soll ein übermäßiger Rückgriff auf externe Ratings zur Bewertung des Ausfallrisikos der gehaltenen Anlagen vermieden werden. Die Richtlinie schreibt Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung, EbAV, Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren, OGAW, und Verwaltern alternativer Investmentfonds, AIFM, vor, einen übermäßigen Rückgriff auf Ratings zur Bewertung des Ausfallrisikos der gehaltenen Anlagen abzubauen. Der Gesetzentwurf setzt diese Regelungen in nationales Recht um; die BaFin erhält die Befugnis, die hierzu eingerichteten Verfahren zu überwachen. Im Koalitionsvertrag haben wir deutlich gemacht, dass Ratingagenturen eine zentrale Machtstellung auf den Finanzmärkten haben und sie deshalb einer strengen Regulierung bedürfen. Wir müssen dabei auch -sicherstellen, dass Ratingagenturen bei einem Fehlverhalten effektiv zivilrechtlich haften und dass die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Ratingagenturen – gegenüber den drei noch immer dominierenden US-amerikanischen Agenturen – gefördert wird. Diverse Anläufe, sowohl politisch als auch privatwirtschaftlich motiviert, eine gemeinsame europäische Ratingagentur ins Leben zu rufen und am Markt zu etablieren, sind in den letzten Jahren leider gescheitert. Nun gilt es, den Wettbewerb und die Vielfalt in der Ratingbranche anzukurbeln und Markteintrittsbarrieren für die schon vorhandenen kleinen Ratingagenturen abzubauen. Wir wollen das Handeln von Ratingagenturen -weiterhin transparenter machen, die Qualität von in der EU abgegebenen Ratings verbessern und die -Regulierung in diesem Bereich fortsetzen, um die häufig schematische Übernahme von Ratings von Ratingagenturen zu unterbinden und Ausfallrisiken besser einschätzen zu können. Bettina Kudla (CDU/CSU): Wesentliche Ursache der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 war, dass sich viele Unternehmen und Anleger auf das Rating der großen Ratingagenturen verlassen haben. In vielen Fällen war das Rating nicht sachgerecht untersetzt: Triple-AAA-Rating und trotzdem nur wertlose Immobilien im Bestand. Das war das Ergebnis, weil sich zum Beispiel die Landesbanken beinahe blind auf den Ausweis der Ratings verlassen haben. Ein bestimmtes Rating ist häufig Bestandteil von Kreditverträgen oder Vereinbarungen über Kapitalanlagen. Rating ist der Ausweis von Bonität. Verändert sich das Rating eines Kreditnehmers, so wird der -Kreditnehmer laut Kreditvertrag verpflichtet, gegebenenfalls einen höheren Zins zu zahlen oder zusätzliche Sicherheiten zu stellen. Versicherungen oder Stiftungen dürfen gemäß ihrer Satzung in der Regel nur das Geld der Kunden in Anlagen tätigen, die ein einwandfreies Rating vorweisen. Verändert sich das Rating -dieser Geldanlagen, so werden zum Beispiel Versicherungen und Stiftungen unter Umständen gezwungen, ihre Vermögensanlage durch eine bonitätsmäßig bessere Anlage auszutauschen, was weitreichende Konsequenzen haben kann. Rating hat enormen Einfluss auf Finanzmarktgeschäfte. Im Sinne des Anlegerschutzes muss auf das Rating Verlass sein. Ein Rating muss objektiv und qualitativ hochwertig untersetzt sein. Bisher unterlagen Ratingagenturen keinen klaren Regeln. Zwar wurde auf europäischer Ebene bereits in den Jahren 2009 und 2011 mit der Novellierung der Ratingagenturen der richtige Weg eingeschlagen, gleichwohl bedarf es weitreichender Regelungen, um das Ziel eines verlässlichen Ratings zu erhalten. -Darüber hinaus gilt es, die Abhängigkeit der Finanzmarktakteure vom Rating zu verringern. Diese -Abhängigkeit hat sich als ein zunehmendes finanzmarkpolitisches Problem herausgestellt. Ein falsches Rating führte zu einer Unterschätzung von Verlustrisiken und leistete damit einen erheblichen Beitrag zum Entstehen und zur Verschärfung der Finanzkrise von 2008/2009. Wie kann man das Problem nun lösen? Gelöst werden kann das Problem nur, indem Ratingagenturen zu mehr Sorgfalt und Objektivität verpflichtet werden. Dies kann nur durch eine verschärfte Haftung und eine bessere Aufsicht über Ratingagenturen erreicht werden und auch durch mehr Wettbewerb. Eine Monopolstellung von einigen wenigen Ratingagenturen ist immer ein hohes Risiko für diejenigen, die sich auf Ratings verlassen. CDU, CSU und SPD haben die Problematik der zentralen Machtstellung der Ratingagenturen auf den Finanzmärkten erkannt und eine strenge Regulierung von Ratingagenturen zum politischen Ziel erklärt. Im Koalitionsvertrag wurde deshalb vereinbart, sich für eine effektive Anwendung der zivilrechtlichen Haftungsregelungen für Ratingagenturen einzusetzen und die Wettbewerbsfähigkeit von Ratingagenturen zu fördern. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verringerung von Abhängigkeit von Ratings liegt heute in erster Lesung vor. Die Rechtsnormen, die eine Einschaltung der drei großen Ratingagenturen – also Standard & Poor’s, Fitch Ratings und Moody’s – vorschreiben, sollen mit diesem Gesetz reduziert werden. Ratingagenturen müssen einem größeren Wettbewerb ausgesetzt werden. Die Bedeutung externer Ratings soll dabei insgesamt reduziert werden. Ein wirksames Instrument ist die bereits geltende Registrierungspflicht von Ratingagenturen mit dem einhergehenden umfangreichen Prüfungs- und Genehmigungsverfahren durch die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA, European Securities and Markets Authority. Erst wenn dieses Verfahren erfolgreich durchlaufen wird, können Ratingagenturen mit ihrer Arbeit beginnen. Die Akteure am Finanzmarkt dürfen auch nur auf Kreditratings von Ratingagenturen zurückgreifen, die bei der ESMA registriert sind. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung nunmehr die europäische Richtlinie 2013/14 vom Mai 2013 in nationales Recht um. Damit wird die bereits eingeschlagene Linie fortgesetzt, das Handeln von Ratingagenturen transparenter zu -machen und die Erstellung der Ratings einer strengen Regulierung zu unterwerfen. Es soll verhindert werden, dass der Rückgriff auf externe Ratings automatisch erfolgt. Erforderlich sind Anpassungen einiger Finanzmarktgesetze. Vorgabe der EU-Richtlinie und gleichzeitig auch politisches Ziel der Bundesregierung ist es, die Unternehmen der Finanzbranche, nämlich im Speziellen die Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge, EbAV, die Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren, OGAW, und die Verwalter alternativer Investmentfonds, AFIM, anzuhalten, künftig mehr und besser auf ihre eigene Einschätzung bei der Bonitätsbewertung von Kreditnehmern, Wertpapieren und sonstigen Ausfallrisiken zu achten und Ratings nicht unkritisch und schematisch und vor allen Dingen nicht als Automatismus zu übernehmen. Zweite Vorgabe der EU-Richtlinie 2013/14 ist die strenge Überwachung dieser Vorgabe durch nationale Aufsichtsbehörden. Der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, BaFin, obliegt es dabei hierzulande, auf die Einhaltung von Regelungen zu achten, Regelverstöße zu sanktionieren und auch dem automatischen Rückgriff auf Ratings entgegenzuwirken. Im -Kapitalanlagegesetzbuch werden deshalb die Bußgeldvorschriften für Verstöße gegen das Regelwerk verschärft und auch neu geschaffen, um eine wirksame Sanktionierung zu ermöglichen. Damit wird der BaFin auch ein entsprechend scharfes Schwert in die Hände gelegt, um ihrer Aufsichtspflicht effektiv nachkommen zu können. Mit der Änderung des Börsengesetzes erfolgt die von der EU-Richtlinie geforderte Klarstellung, dass auch die Börsenaufsichtsbehörden der einzelnen europäischen Staaten – in Deutschland ist dies die BaFin – Informationen an die europäischen Finanzaufsichts-behörden weitergeben dürfen. Damit ist einerseits Informationsfluss gewährleistet, und andererseits haben die Aufsichtsbehörden auf europäischer Ebene eine solide Basis, um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Baustein für ein klares Regelwerk unseres Finanzmarktes und findet unsere Zustimmung. Andreas Schwarz (SPD): Die weltweite Finanzkrise, die sich später zu einer Weltwirtschaftskrise ausgeweitet hat, ist in ganz -Europa immer noch spürbar. Schuldige gibt es viele. Ursachen gibt es viele. Und für einen funktionierenden Staat muss es nach jeder Krise heißen, nicht nur die richtigen Lehren zu ziehen, sondern daraus auch die entsprechenden Handlungen und Veränderungen -abzuleiten. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir genau diesen Weg und packen ein wichtiges Puzzleteil des gesamten Tableaus an Ursachen für die Finanzkrise an. Auch wenn es nur ein weiterer von vielen Schritten ist und sein kann. Die Finanzwelt, aber auch die Staaten selbst, haben sich in den letzten Jahren in eine Art Abhängigkeit gegenüber den Ratingagenturen begeben, die die Abwärtsspirale der vergangenen Jahre massiv beförderte. Wir müssen uns davon endlich lösen und vor allem hinterfragen, was und vor allem wer hinter diesen Ratings steckt. Es sind keine Gutmenschen und keine höheren Instanzen, welcher Art auch immer, die sich hier als unabhängige und neutrale Marktbeobachter aufspielen wollen. Es sind Akteure am Finanzmarkt, die am selbigen partizipieren und profitieren wollen. Peer Steinbrück hat zu Recht die Frage aufgeworfen, wer in Europa eigentlich den Taktstock des Geschehens in der Hand halten soll. Das sind aus -unserer Sicht ganz sicher nicht die Ratingagenturen. Und deshalb hat die SPD im vergangenen Bundestagswahlkampf richtigerweise gefordert, dass das Primat der Politik endlich wiederhergestellt werden muss. Es ist vollkommen absurd und nicht nachvollziehbar, dass hier über Jahrzehnte hinweg im Grunde keine Regulierung stattgefunden hat. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag diesen ersten wichtigen Schritt festgehalten, und ich darf an dieser Stelle zitieren: „Die Bundesregierung wird sich für eine effektive Anwendung der zivilrechtlichen Haftungsregelungen für Ratingagenturen einsetzen und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Ratingagenturen fördern. Wir wollen die Rechtsnormen reduzieren, die eine Einschaltung der drei großen Ratingagenturen vorschreiben. Wir wollen auch die Bedeutung externer Ratings reduzieren.“ Und weiter heißt es: „In Zukunft muss noch stärker gelten: Gemeinschädliches -Handeln von Unternehmen und Managern muss angemessen sanktioniert werden. Wir unterstützen die -Aufnahme strenger Vorschriften in den maßgeblichen europäischen Rechtsakten, welche insbesondere den Rahmen für Geldsanktionen auf ein angemessenes -Niveau anheben und die Verhängung spürbarer Sanktionen gegen Unternehmen vorsehen, die gegen regulatorische Vorgaben verstoßen, und werden für deren Umsetzung ins deutsche Recht Sorge tragen.“ Sie sehen also, dass wir uns durchaus etwas vorgenommen haben, was noch gar nicht alles in diesem -Gesetzentwurf vollzogen werden kann, aber wir gehen mit diesem Regierungsentwurf einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung: Ziel muss es sein, die Abhängigkeit der Finanzbranche von den Bewertungen der Ratingagenturen zu reduzieren. Die unkritische und oftmals schematische Übernahme der Ratings der Ratingagenturen zur Einstufung der Bonitätsgewichtung der Kreditnehmer und Wertpapiere muss endlich verringert werden. Dies führte doch häufig zu erheblichen Fehleinschätzungen von Ausfallrisiken und muss künftig vermieden werden. Das ist eine der klaren Lehren aus der Finanzmarktkrise aus dem Jahre 2008. Dafür ist es unabdingbar, dass sich die Finanzbranche künftig viel stärker auf eigene Einschätzungen in der Bonitätsprüfung stützt, um unabhängiger Risiken beurteilen zu können. Es darf nicht sein, dass der eine einfach das übernimmt, was der andere bereits formuliert hat. Ich bin überzeugt: Hier kommen wir mit dem Gesetzentwurf ein gutes Stück voran. Außerdem werden wir mit dem Gesetz dafür sorgen, dass neue Ordnungswidrigkeiten ins Kapitalanlagegesetzbuch aufgenommen werden, um klare Grenzen aufzuzeigen und auch, was es bedeutet, diese zu überschreiten. Im Gesetzentwurf werfen wir auch einen Blick auf die Abhängigkeiten innerhalb der Finanzbranche und blicken auf Interessenkonflikte im Zusammenhang mit Investitionen in Ratingagenturen und auf die Höchstlaufzeiten der vertraglichen Beziehungen zu Ratingagenturen. Dazu werden wir im Finanzausschuss sicher spannende Debatten führen. Ich bin dem Bundesminister für Finanzen sehr dankbar für diesen Gesetzesvorschlag, den wir – gestatten Sie mir diesen Ausblick in die Zukunft – im -weiteren Gesetzgebungsverfahren ganz sicher an der einen oder anderen Stelle noch präzisieren werden. Auch in der Stellungnahme des Bundesrates sind Änderungen angemahnt, die das Bundesfinanzministerium nun prüfen möchte. Auf die Ergebnisse bin ich sehr gespannt. Ich freue mich auf die gemeinsamen Beratungen dieses Gesetzes. Es handelt sich hierbei um eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft. Lassen Sie uns gemeinsam das Primat der Politik zurückerobern! Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Der vorliegende Gesetzentwurf soll bestimmte Änderungen an der Europäischen Ratingverordnung aus dem Jahr 2013 in deutsches Recht umsetzen. Anliegen des Gesetzes bzw. der entsprechenden Verordnung ist es, dafür zu sorgen, dass sich die Finanzbranche nicht mehr so scheuklappenhaft von den Bewertungen der Ratingagenturen abhängig macht bzw. den Ratings nicht länger blind vertraut. Ratings – das sollte hier noch einmal deutlich gesagt werden – sind nach eigener Aussage der Ratingagenturen nichts anderes als Meinungsäußerungen, Meinungsäußerungen darüber, für wie wahrscheinlich es eine Ratingagentur hält, dass ein Schuldner seinen Verpflichtungen nachkommt. Meinungsäußerungen sind bekanntlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das Problem liegt aber -darin, dass Ratingagenturen nicht nur Meinungen haben, sondern damit auch wesentlich die Meinung aller anderen Finanzmarktteilnehmer bestimmen. Natürlich wissen wir alle, dass die Ratingagenturen eine zentrale Rolle in der globalen Finanzkrise gespielt haben und spielen. Ihre Bewertungen von komplexen Finanzinstrumenten stellten sich als weit-gehend falsch heraus. Ich rate aber dringend davon ab, den Ratingagenturen die Alleinschuld zuzuweisen. Für mich stellt sich das Bild eher so dar: Die Ratingagenturen übernahmen mit der Entfesselung der Finanzmärkte seit den 1980er-Jahren zunehmend die Rolle des Orakels und wurden auch in diese Rolle gedrängt. Die Macht eines Orakels liegt bekanntlich darin, dass sich die Menschen in einer quasireligiösen Art an den Weissagungen des Orakels bereitwillig orientieren. Vordergründig war es eine Win-win-Situation. Die Ratingagenturen konnten einerseits mit ihren Meinungsäußerungen reichlich Geld verdienen. Da -ihnen die Finanzbranche zutraute, zu allen noch so abwegigen Finanzinstrumenten eine Meinung zu haben und gleichzeitig die Zahl dieser Instrumente immer größer wurde, war dies ein lohnendes Geschäft für die Agenturen. Für die Finanzdienstleister andererseits war die Orakelfunktion der Ratingagenturen ebenfalls eine komfortable Sache, denn so mussten sie sich kaum eigenständig Gedanken über die immer komplexeren Instrumente machen. Außerdem gab es für die Banker und Fondsmanager dann immer schon einen Schuldigen, auf den man die Verantwortung abwälzen konnte, wenn im Einzelfall doch mal etwas schiefging. Im Ergebnis entwickelte sich ein immer stärkeres Schwarmverhalten ohne klare Verantwortlichkeiten. Das ganze funktionierte so lange gut, wie die Renditen an den Finanzmärkten durch Spekulation und Blasenbildung und durch die Umverteilung von den Lohn- zu den Gewinneinkommen hoch waren. Nachdenkliche Zeitgenossen haben aber schon vor vielen Jahren die Frage gestellt, wie lange es wohl dauern werde, bis dieser Schwarm bzw. eine solche Herde wie die Lemminge auf eine Klippe zusteuern und entschlossen in den Abgrund springen würde. Die Politik war an dieser Entwicklung keineswegs unschuldig. Einerseits ließ die Politik es durch die -Liberalisierung der Finanzmärkte zu, dass sich immer neuere und kompliziertere Finanzinstrumente in kurzer Zeit verbreiteten. Noch schwerer aber wog die politische Fehlentscheidung, es vielen Finanzdienstleistern sogar vorzuschreiben, sich an Ratings zu orientieren. Die gesamte Bankenregulierung von Basel II fußt im Wesentlichen auf der These, dass durch ausgeklügelte und vermeintlich unbestechliche Ratings die Banken viel besser und effizienter in der Kreditvergabe würden. Diese Vorgeschichte ist wichtig, um das heutige -Gesetz einzuordnen. Natürlich ist es eine richtige -Lektion aus der Finanzkrise, dass blindes Vertrauen bzw. die Abschiebung der Verantwortung für Risiko-bewertungen auf Ratingagenturen falsch sind. Bis hierhin teilen wir die Stoßrichtung des Gesetzes bzw. der entsprechenden EU-Verordnung. Wer das aber tatsächlich erreichen will, muss deutlich mehr tun, als in diesem Gesetz steht. Für Anleger liegt der Reiz von Ratings – insbesondere von Ratings von komplexen Finanzinstrumenten – genau darin, dass damit eine vermeintliche Bewertbarkeit suggeriert wird, die praktisch nicht existiert. Die Finanzkrise hat eindrucksvoll gezeigt, dass viele Derivate so komplex sind, dass zuverlässige Vorhersagen über deren Ausfallrisiko und Wertentwicklung schlicht unmöglich sind. Aus der Tatsache, dass es vor und während der Finanzkrise viele falsche Ratings gegeben hat, ziehen die EU-Verordnung und das vorliegende Gesetz die verkürzte und daher falsche Schlussfolgerung, die Ratings seien aufgrund von Interessenkonflikten oder aufgrund handwerklicher Fehler schlecht erstellt worden. Das ist falsch, denn auch ohne Interessenkonflikte und bei höchster handwerklicher Fertigkeit lässt sich für komplexe Finanzinstrumente keine seriöse Vorhersage darüber machen, wie diese auf Änderungen wichtiger Rahmenbedingungen reagieren werden. Es ist daher nur eine Scheinalternative, wenn in Zukunft die Anleger, Banken, Versicherungen etc. die Finanzinstrumente stärker selber bewerten sollen. Wenn Risiken aufgrund der Komplexität des Produkts schlicht nicht bewertet werden können, dann hilft es auch nichts, wenn dies in Zukunft jemand anders als die Ratingagenturen machen soll. Die Risikobewertung von Finanzinstrumenten muss dem Ziel dienen, Risiken besser zu kennen, sie besser bewältigen zu können und letztlich unkalkulierbare -Risiken gar nicht erst einzugehen. Als Gesetzgeber -haben wir dabei die besondere Pflicht, die Öffentlichkeit, das Gemeinwesen und damit die öffentlichen Haushalte vor falschen Risikobewertungen zu schützen. Wenn die Finanzmarktakteure die Kosten ihrer falschen Risikobewertungen gar nicht selbst tragen können und daher der Staat am Ende für die falschen Risikobewertungen der Banken und Versicherungen geradestehen muss, dann haben wir als Gesetzgeber die Pflicht, sie daran zu hindern, mit Risikobewertungen zu arbeiten, die Selbstbetrug sind. Genau das tut der Gesetzentwurf aber nicht. Sie alle kennen unseren Vorschlag, diesem Problem beizukommen. Er lautet Finanz-TÜV. In Zukunft sollen die Herausgeber von Finanzinstrumenten erst einmal nachweisen, dass die Risiken ihrer Produkte seriös -bewertet werden können und dass dabei nicht einfach Risiken auf die Öffentlichkeit abgeschoben werden. Nur wer das nachweisen kann, hat den Finanz-TÜV bestanden und darf sein Finanzprodukt auf den Markt bringen. Wenn die unkalkulierbaren Finanzinstrumente endlich vom Markt sind, dann macht es erst richtig Sinn, sich bei den verbleibenden Instrumenten nicht blind auf Ratingagenturen zu verlassen und die Käufer und Händler auf den Finanzmärkten zu nötigen, sich -eigene Gedanken über die Bonität der Papiere zu -machen, die sie kaufen. Es gibt noch eine Vielzahl von Details, die wir uns sicher in den Ausschussberatungen noch genau ansehen müssen, und es finden sich durchaus positive -Ansätze in einzelnen Teilen des Gesetzes. Jenseits dieser Details kann ich aber schon jetzt sicher sagen: -Unter den Bedingungen des Hier und Heute greift Ihr Gesetzentwurf grundsätzlich zu kurz. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eigentlich sollen nach der Theorie Finanzmärkte durch eine angemessene Preisbildung dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Situation sich stabilisiert. Wo hohe Risiken drohen, sollte eigentlich ein hoher Risikoaufschlag genau das signalisieren und dadurch Investoren warnen. Ratingagenturen kommt hier eine zentrale Rolle zu, indem sie diese Risiken erkennen und publizieren sollen. Theoretisch. Doch das Gegenteil war in der Jahrhundertkrise der Fall. Die Risikoaufschläge an den Finanzmärkten waren zu keinem Zeitpunkt so gering wie im Moment des höchsten Risikos, nämlich kurz vor Ausbruch der Finanzkrise. Die toxischen Papiere des US-amerikanischen Immobilienmarktes bekamen jahrelang Bestnoten, obwohl derlei strukturierte Produkte ganz andere Ausfallwahrscheinlichkeiten hatten als Unternehmens- oder Staatsanleihen. Kein Wunder, wenn die Bewerteten die Ratingagenturen für ihre Urteile bezahlen – ein Geschäftsmodell mit eklatanten Fehlanreizen. Doch solange alle vom Dreifach-A hypnotisiert waren, funktionierte das System. Gute Renditen mit geringem Risiko – es war zu schön, um wahr zu sein. Und tatsächlich entstanden irgendwann Zweifel an der Zahlungsfähigkeit der Gläubiger. Die Risikoaufschläge schnellten in kürzester Zeit auf Rekordhöhe, die Werte der Papiere stürzten ab. Die eilig nach unten korrigierten Bewertungen der Ratingagenturen heizten diesen Prozess noch an, da viele Finanzmarktteilnehmer auf die Noten der Agenturen schielten. Es kam zu synchronen Panikverkäufen, die die Preise weiter nach unten trieben. So haben die Ratingagenturen gerade nicht zur Stabilität, sondern zur Instabilität beigetragen. Geschichte wiederholt sich nicht. Diesen Satz müssen wir auch an den Finanzmärkten berücksichtigen. Der Glaube, Ausfallrisiken aufgrund von Daten aus der Vergangenheit berechnen zu können, hat viel zu lange die Regulierungsagenda geprägt. Es gibt aber auch Phänomene, die nicht riskant, sondern fundamental unsicher sind, und dazu gehört das menschliche Handeln. Dieses Restrisiko wurde von den Ratingagenturen verdrängt und damit stets und lange unbemerkt von der Gesellschaft getragen. Trotz ihrer zweifelhaften Rolle konnten Ratingagenturen ihr Geschäftsmodell über die Krise retten. Sie mussten für ihre Fehler nicht haften. Deswegen begrüßen wir prinzipiell die Regulierungsbemühungen, die Bedeutung externer Ratingurteile deutlich zu mindern und die Haftung der Agenturen zu erhöhen. Mit der EU-Verordnung CRA III und der begleitenden Richtlinie, die mit dem vorliegenden Gesetz umgesetzt wird, werden Finanzmarktteilnehmer angehalten, sich nicht alleine auf die Einstufungen der Ratingagenturen zu verlassen, sondern verstärkt auf interne Ratings zu setzen. Dabei schätzen Banken oder Investmentfonds selbst die Risiken aus ihren Investitionen ein. Das führt aber aus zwei Gründen nicht zur Lösung des dargelegten Problems grundsätzlicher Unsicherheit. Zum einen werden die Parameter, die zur internen Berechnung von Risiken herangezogen werden, sich nicht fundamental von Institut zu Institut unterscheiden. In einer Krisensituation werden wir also auch hier Panikverkäufe und Herdenverhalten beobachten können. Zum anderen besteht ein eklatanter Zielkonflikt zwischen den Renditeinteressen der Investoren und dem Stabilitätsinteresse des Steuerzahlers. Für weniger riskante Investitionen muss weniger haftendes Eigenkapital vorgehalten werden. Damit gibt es seitens der Finanzmarktakteure immer einen Anreiz, die Investitionen schönzurechnen. Die Unabhängigkeit von externen Ratings befördert so die Aufweichung von Stabilitätsstandards. Das Risiko aber verschwindet nicht. Die Kriterien, nach denen mit dem Gesetz Unabhängigkeit von externen Ratings gewährleistet werden soll, bleiben vage. Die BaFin soll dem automatischen Rückgriff auf Ratings „entgegenwirken“ – allein, konkret wird der Gesetzestext an keiner Stelle. Wir Grünen haben im Europaparlament dafür gestritten, die pro-zyklische Wirkung automatischer Verkäufe bei Rating-abstufungen zu verhindern. Dafür müsste man etwa Fonds daran hindern, damit zu werben, dass ein Mindestprozentsatz der von ihnen erworbenen Werte ein bestimmtes Rating hat. Denn dies hatte in der Vergangenheit zu Marktturbulenzen geführt, wenn viele Investoren nach einer Abstufung durch die Ratingagenturen gleichzeitig verkaufen müssen. Geblieben ist aber nur eine Erwägung in der Verordnung. Die Begrenzung eklatanter Interessenkonflikte wie die Beschränkung gegenseitiger Beteiligungen zwischen Ratingagenturen und bewerteten Institutionen, wie auch Höchstlaufzeiten vertraglicher Beziehungen zu einer Ratingagentur und die zivilrechtliche Haftung sind Schritte in die richtige Richtung. Doch solange die Ratingagenturen von denjenigen bezahlt werden, die sie bewerten, kann von Objektivität keine Rede sein. Bis 2020 sollen externe Ratings aus allen europäischen Rechtsvorschriften verschwinden. Wir Grünen halten allerdings eine Maßnahme noch für viel wichtiger: mehr Eigenkapital im Finanzsystem. Nur durch eine risikounabhängige Verschuldungsquote kann man realistisch damit umgehen, dass sich Risiken nicht wegrechnen lassen und die Haftung dort hingehört, wo auch die Gewinne auflaufen: bei den Investoren – nicht bei den Steuerzahlern. Anstatt eines paternalistischen Aufsichtsregimes, das weit in die Geschäftspolitik der Institute eingreift und jedes interne Modell der Risikobewertung einer Prüfung unterzieht, sollten wir uns mit klaren Haftungsregeln wieder auf marktwirtschaftliche Grundprinzipien besinnen. Eine angemessene Eigenkapitalausstattung erreicht das, indem sie dazu führt, dass die Risiken wieder von den Eigentümern getragen werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/1774 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD 20 Jahre nach Kairo – Bevölkerungspolitik im Kontext internationaler Entwicklungszusammenarbeit und der Post-2015-Agenda Drucksache 18/1958 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind damit einverstanden. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Ein Bevölkerungswissenschaftler antwortete vor einigen Jahren auf die Frage: „Ist es eine gute oder eine schlechte Nachricht, dass wir 7 Milliarden Menschen auf der Welt sind?“, dass dies keine schlechte Nachricht sein könne, da mit jedem Menschenleben mehr Werte verbunden seien als Gefahren, Risiken und Schäden. Diese Einstellung finde ich bemerkenswert, und sie entspricht nach meiner Wahrnehmung genau der Stimmung und dieser Art „Aufbruchgefühl“ bei der Weltbevölkerungskonferenz, International Conference on Population and Development, ICPD, der Vereinten Nationen, VN, in Kairo 1994. Aus bevölkerungspolitischer Sicht weltweit war die Konferenz ein Meilenstein. 179 Staaten bekannten sich mit der Verabschiedung des Kairoer Aktionsprogramms zur Stärkung der Menschenrechte und der Menschenwürde. Im Gegensatz zum bisherigen Ansatz, der vor allem das rasante Bevölkerungswachstum in den Blick nahm, rückte nun das Individuum in den Fokus bevölkerungspolitischer Debatten und Lösungsvorschläge. Dahinter steht die Überzeugung, dass Mädchen, Jungen, Frauen und Männer, die sich ihrer gesundheitlichen, reproduktiven und sexuellen Rechte bewusst sind und diese uneingeschränkt wahrnehmen können, das Bevölkerungswachstum nachhaltig beeinflussen. Seither ist viel passiert, 20 Jahre sind vergangen. International wird um die vollständige Umsetzung des Kairoer Aktionsprogramms gerungen. Nach der Konferenz in Kairo hat es keine weitere Weltbevölkerungskonferenz der VN gegeben, dafür einen umfassenden Review-Prozess, um die bisherigen Fortschritte bei der Umsetzung des Aktionsprogramms zu evaluieren und Schwerpunkte für die nächsten Jahre zu identifizieren. Hier hat sich eine Vielzahl von Staaten eingebracht, nicht zuletzt mittels regionaler Konferenzen. Unser Antrag beschreibt die Bedeutung dieser weltumspannenden bevölkerungspolitischen Debatte sehr schön: „Das Ziel des so genannten ICPD-Prozesses ist es, sich auf gemeinsame bevölkerungspolitische und menschenrechtliche Maßstäbe zu verständigen, die das jeweilige nationale Entwicklungsniveau heben und jeder Frau, jedem Mann und jedem Kind ein besseres Leben ermöglichen.“ Am 22. September 2014 nun wird sich die Generalversammlung der VN in einer Sondersitzung mit der Umsetzung des Kairoer Aktionsprogramms befassen. Vor diesem Hintergrund ist das Ziel des Antrags, die vollständige Umsetzung des Aktionsprogramms weiterhin zu unterstützen sowie einige Schwerpunkte hervorzuheben, die uns in der Koalition besonders am Herzen liegen: Erstens: strukturelle Ungleichstellung. Hier erkennen wir an, dass Gleichberechtigung zwischen den -Geschlechtern eine schnellere Entwicklung bedeutet. Mädchen und Jungen müssen in die Lage versetzt werden, gleichberechtigt aufzuwachsen und den gleichen Zugang zu Bildung zu haben. Frauen und Mädchen benötigen nach wie vor Unterstützung, damit sich ihre rechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung verbessert. Chancengleichheit beschäftigt allerdings nicht nur Entwicklungsländer. Es freut mich, dass der Antrag auch besagt: „… in Industrieländern gibt es noch keine durchgängig gleichwertige Bezahlung von Frauen und Männern und keinen angemessenen Anteil von Frauen in Führungspositionen.“ Zweitens: Jugend im Fokus. Auch hier möchte ich aus unserem Antrag zitieren, um die Bedeutung dieses Schwerpunktes darzustellen: „Die Überprüfung der Umsetzung des Kairoer Aktionsprogramms hat gezeigt, dass nur wenige Staaten messbare Fortschritte vorzuweisen haben bei der Bereitstellung von menschenrechtsbasierten und integrierten Dienstleistungen zugunsten sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte für alle Jugendlichen.“ Das ist alarmierend, und deshalb treten wir dafür ein, dass Jugendliche ganz spezifisch unterstützt und aufgeklärt werden, wenn es um den Zugang zu Informationen, Bildung, umfassender Sexualerziehung und jugendfreundlichen Gesundheitsdienstleistungen geht sowie um sexuelle Selbstbestimmung. Drittens: sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte. Um erst gar keine Diskussion aufkommen zu lassen: Der Antrag unterstreicht unmissverständlich die Vereinbarung von Kairo, dass Schwangerschaftsabbrüche als Instrument der Familienplanung ausgeschlossen sind. Das ist uns als Fraktion sehr wichtig. Mein Traum ist es, dass Abtreibungen eines Tages ausgestorben sind, weil unsere Welt so entwickelt und so gebildet ist, dass es keine sexuelle Gewalt und keine ungewollten Schwangerschaften mehr gibt. Dies ist der eine Aspekt, der mir im Zusammenhang mit diesem dritten Schwerpunkt wichtig ist. Der andere Aspekt -betrifft den Bereich „sexuelle Rechte“. Gerade als Entwicklungspolitiker beobachten wir mit großer Sorge, wie in einigen Ländern mit sexueller Selbst-bestimmung, einvernehmlicher Partnerschaft, gegebenenfalls Heirat, oder einvernehmlichen sexuellen Beziehungen umgegangen wird. Dabei geht es nicht nur um die Rechte Homosexueller, sondern um die sexuelle Selbstbestimmung aller. Einige afrikanische Länder positionieren sich hier in extremer Weise, sie missachten individuelle Menschenrechte sogar per Gesetz. Aber auch viele andere Länder stehen hier vor großen Herausforderungen. Die Liste der Länder und der Probleme ist lang. Nicht zuletzt möchte ich auch hier die Forderung des Antrags unterstreichen, „die politischen Aktivitäten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte nicht auf Entwicklungs- und Schwellenländer zu beschränken.“ Ein trauriges Beispiel: Selbst in Deutschland stehen wir Ehrenmorden ohnmächtig gegenüber. Das Ziel des Antrages ist es also auch, ein internationales Signal zu senden, dass wir die Einhaltung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte fordern und die Entwicklungen aufmerksam beobachten. Es freut mich, dass es uns gelungen ist, mittels dieses Antrags die Fortführung erfolgreicher Initiativen der G8/G7 und des BMZ zu Kinder- und Müttersterblichkeit bzw. zu selbstbestimmter Familienplanung zu fordern. Zudem war es mir persönlich wichtig, an -unser selbstgestecktes Ziel, 0,7 Prozent des Bruttona-tionaleinkommens für Mittel der Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen, zu erinnern. Abschließend möchte ich die Relevanz des Antrages im Kontext der Post-2015-Agenda herausstellen, die gerade erarbeitet wird. Uns als Koalition ist es wichtig, dass das Kairoer Aktionsprogramm umfassend Eingang findet in diese neue Agenda. Des Weiteren sind wir dafür, dass „eigenständige Ziele für Gesundheit und für Geschlechtergerechtigkeit mit Unterzielen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte … als Vorschlag seitens Deutschlands weiterhin in die Verhandlungen zur Post-2015-Agenda eingebracht werden.“ Dafür wird es nötig sein, sich international auf eine Definition der Begrifflichkeit „sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ zu einigen. Hier möchte ich zu einer offenen und ehrlichen Debatte ermutigen und bringe mich selbst gerne ein. Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Vor 40 Jahren startete in Bukarest ein weltweites Umdenken. Menschenrechte, Menschenwürde und die Stärkung des Individuums wurden zum Kern der internationalen Bevölkerungspolitik. Menschenrechte dürfen nicht nur Männerrechte sein. In Konsequenz daraus rückte der Stand von Frauen in der Gesellschaft in den Fokus. Heute herrscht genauso Konsens darüber, dass Frauen das Fundament einer demokratischen Gesellschaft sind, wie Konsens darüber herrscht, dass eine wachsende Weltbevölkerung nur durch die weltweite Gleichberechtigung von Frauen in den Griff zu bekommen ist. Simone de Beauvoir schrieb 1949 und damit 25 Jahre vor der ersten Weltbevölkerungskonferenz in „Das andere Geschlecht“: „Am Rande der Welt situiert zu sein, ist keine günstige Ausgangslage für einen, der vor hat, die Welt neu zu erschaffen.“ Da Gewalt, Rechtlosigkeit und Unterdrückung heute aber immer noch die Lebenssituation von zig Millionen Frauen vor allem, aber nicht nur in Entwicklungs- und Schwellenländern kennzeichnen, ist unsere aktive Unterstützung der Gleichstellung der Frauen oberstes Gebot. Dies stellen wir klar mit unserem Antrag dar. Indien hat in der letzten Zeit immer wieder international Schlagzeilen gemacht durch brutalste Vergewaltigungen, bei denen fast immer der Tod des Opfers in Kauf genommen wurde oder das Opfer im Anschluss an die Tat ermordet wurde. In den Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt wird Vergewaltigung zunehmend als Waffe gebraucht. Dies ist keine neue Problematik, und ich würde mir wünschen, dass es diesbezüglich international ähnliche Aufschreie geben würde wie bei -einem Schiedsrichterfehler in der laufenden Fußballweltmeisterschaft. Jedoch ist die steigende Entwicklung in Zahl und Brutalität ein wachsendes Unrecht, dem entschieden begegnet werden muss. Systematische Vergewaltigungen wie in Ruanda, in Bosnien oder im Kongo müssen international geächtet werden. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist mit der Konferenz zu sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten in London diesen Monat vollzogen worden, an der Vertreter von 117 Nationen sowie von Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen teilgenommen haben. Dort wurde ein Protokoll verabschiedet, das Richtlinien festlegt, wie sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten als solche erkannt und verfolgt werden kann. Darüber hinaus müssen wir jedoch auch den Opfern jegliche Unterstützung gewähren, um mit den Folgen der Vergewaltigungen umzugehen. Neben den Aspekten der Rechte von Frauen und der Gewalt gegen Frauen ist der Aspekt der Bildung von zentraler Bedeutung. Auch dies betont unser Antrag. Nur wenn es gelingt, Mädchen und Frauen denselben Zugang zu Bildung zu ermöglichen wie Jungen und Männern, können sie Rechte erlangen und auch wahrnehmen. Nur durch Bildung werden Frauen befähigt, qualifizierter Arbeit nachzugehen. Nur mit qualifizierter Arbeit können Frauen ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten und Unabhängigkeit erlangen. Mit unserem Antrag „20 Jahre nach Kairo – Bevölkerungspolitik im Kontext internationaler Entwicklungszusammenarbeit und der Post-2015-Agenda“ unterstützen wir die weltweite Ermächtigung von Frauen und fordern wir auch die Bundesregierung auf, dem nachzukommen. Michaela Engelmeier-Heite (SPD): Kairo stellt für mich einen Meilenstein dar. Dem trägt unser Antrag Rechnung. Neben anderen wichtigen bevölkerungspolitischen Themen hoben bereits vor 20 Jahren die teilnehmenden 179 Staaten die Rolle von Frauen und Mädchen hervor. Mit der nächsten Konferenz im September in New York werden wir weiter daran arbeiten, die Herausforderungen zur Stärkung von Frauen und Mädchen und des Wohlergehens von Individuen, Familien, Staaten und unserer Welt zu erreichen. Innerhalb von fünf Minuten werden mindestens zwei Frauen an Komplika-tionen während der Schwangerschaft oder bei der -Geburt sterben. Pro Tag sind das rund 800 Frauen. Ihr Tod wäre vermeidbar, weil es sich um vermeidbare Komplikationen handelt, vermeidbar, wenn sie auf eine ausreichende medizinische Versorgung zurückgreifen könnten, vermeidbar, wenn das Stadt-Land-Gefälle den Zugang zu Diensten für reproduktive Gesundheit nicht zusätzlich erschweren würde. Denn während in Deutschland und Europa Frauen jederzeit und überall auf die medizinische Betreuung während der Schwangerschaft und bei der Geburt zurückgreifen können, liegt die Quote in Städten in unseren Partnerländern bei circa 84 Prozent, im ländlichen Raum sogar nur bei circa 53 Prozent. Das sind gerade mal halb so viele wie bei uns – halb so viele Frauen, die darauf hoffen können, dass sie selbst und ihre Kinder die Schwangerschaft und die Geburt überleben. Seit der Konferenz zu Bevölkerung und Entwicklung im Jahr 1994 in Kairo hat Deutschland insgesamt mehr als 1 Milliarde Euro für die Verbesserung der reproduktiven Gesundheit in Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt und auf dem G-8-Gipfel in Muskoka im Jahr 2010 weitere Mittel für die Gesundheit von Müttern und Kindern zugesagt. Bei weiteren Konferenzen wird ausdrücklich darum geworben, sich auf gemeinsame bevölkerungspolitische und bevölkerungsrechtliche Maßstäbe zu verständigen, die das jeweilige nationale Entwicklungsniveau heben und jeder Frau, jedem Mann und jedem Kind ein besseres Leben ermöglichen. Im April war ich als Parlamentsvertreterin bei der 6. Internationalen Parlamentarierkonferenz in Stockholm. Dort versammelten sich Parlamentarier aus allen Ländern, um sich in Stockholm der Umsetzung der Ziele zu widmen, die wir hier im vorliegenden Antrag unserer Regierungskoalition formuliert haben. Die ICPD-Konferenzen finden in geregelten Abständen statt, um sich mit dem Thema Bevölkerungsentwicklung zu befassen, zu lernen und zu netzwerken und konkrete Maßnahmen zu planen. Mir hat es einen wichtigen Anstoß gegeben, hier im Parlament für politische und finanzielle Unterstützung für die Themenbereiche der Entwicklungszusammenarbeit zu werben. In den Entwicklungsländern selbst geht es noch mehr darum, auch die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die IPCI widmet sich genau diesen Fragestellungen. Aus der Konferenz heraus haben wir eine Erklärung verfasst, welche die Fragen der Bevölkerungsentwicklung umfassend darstellt. Sicherlich bemerken wir Fortschritte bei der Erreichung der Ziele, die auf der Konferenz des ICPD gesetzt wurden, uns bleiben aber auch viele Herausforderungen für die vollständige Umsetzung. Zwei Dinge, die mich besonders berührt haben, möchte ich hier thematisieren: die Zwangsverheiratung und die Geburtenregistrierung von Kindern. Erschüttert hat mich das Bild eines 11-jährigen Mädchens, das an einen alten 68-jährigen Mann verkauft und verheiratet wurde. In ihren Augen war nichts anderes als Angst und Schrecken, tiefste Furcht vor diesem Mann zu sehen, eine Furcht, die allzu oft begründet ist. Viele Mädchen überleben diese Zwangsehe nicht, weil sie so schwer misshandelt und sexuell missbraucht werden, dass sie sterben. Wir müssen dafür eintreten, Gesetzgebungen zu beseitigen, die eine frühe und Zwangsheirat zulassen. Wir brauchen Erlasse zur Durchsetzung von Rechtsvorschriften über das gesetzliche Mindestheiratsalter von 18 Jahren; wir müssen uns dafür einsetzen, dass schädliche Praktiken wie weibliche Genitalverstümmelung verhindert werden. Wir benötigen Rechtsvorschriften zum Umgang mit jugendlichen Schwangerschaften, die unsichere Abtreibungen verhindern. Wir brauchen die Aufwertung des Status von Frauen und Mädchen und die Bewältigung der negativen sozialen Folgen von Geschlechterstereotypen. Wir brauchen eine umfassende Sexualerziehung für Jungen und Mädchen. Diese Ausbildung muss genaue Angaben enthalten über die menschliche Sexualität Schwangerschaft und Geburt, HIV und sexuell übertragbare Krankheiten, Familienleben und die zwischenmenschlichen Beziehungen, Kultur und Sexualität, und Menschenrechtsschutz. Mit unserer Politik, mit Programmen und Gesetzen verpflichten wir uns, die Rechte aller zu schützen und zu fördern. In dem Zusammenhang möchte ich mich meinem zweiten schon erwähnten Thema zuwenden – der Geburtenregistrierung. In der Kinderrechtskonvention ist in den Artikeln 7 und 8 das Recht verbrieft, dass jedes Kind ein Recht auf seine Identität hat, das Recht zu wissen, wer es ist, zu welchem Staat es gehört und wer seine Eltern sind. Das Kind hat ein Recht darauf, dass es unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register eingetragen wird. Es hat das Recht auf einen Namen und von Geburt an das Recht, eine Staatangehörigkeit zu erwerben. Warum ist das so wichtig? Nein, es handelt sich hier nicht um einen bürokratischen Akt, den man vernachlässigen kann. Weltweit sind rund 230 Millionen Kinder unter fünf Jahren in keinem Geburtenregister eingetragen. Mit weitreichenden Folgen: Weder können sie ihre Nationalität nachweisen, noch nachweisen, wann sie geboren wurden oder wie sie heißen. In Afrika südlich der Sahara sind es 56 Prozent, und in Somalia und Liberia werden nur 3 respektive 4 Prozent der Kinder registriert. Kinder ohne Geburtsschein sind juristisch inexistent und deshalb stärker dem -Risiko für Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt aus-gesetzt. Nichtregistrierte Kinder sind im erhöhten Maße gefährdet für Kinderhandel, Kinderarbeit oder den verfrühten Einzug in den bewaffneten Dienst. Für nichtregistrierte Kinder ist zudem der Zugang zu staatlicher Bildung und medizinischer Versorgung schwierig bis unmöglich, und das Gesetz legt ihnen auch später weitere Barrieren in den Weg: Erwachsene ohne Geburtsschein können keinen Pass bekommen, haben keine Bürger- und Wahlrechte, können kein Konto eröffnen, keinen Besitz erwerben oder erben und nicht offiziell reisen. Wie kommt es bei diesen weitreichenden Problemen dazu, dass Menschen nicht registriert sind? Weil sie keine Kenntnis über ihre Rechte haben, es beschwerliche Verfahren sind, sich benachteiligte Familien die Gebühren beim Ausstellen der Geburtsurkunde nicht leisten können, die Meldestellen für viele Familien, die in ländlichen Gebieten leben, nur schwer erreichbar sind. Es fehlt aber auch an moderner mobiler Technik der Datenerfassung, das Behördenpersonal ist schlecht ausgebildet. Ein weiterer schwerer Hinderungsgrund ist, dass ethnische Volksgruppen befürchten, durch die Registrierung noch stärker benachteiligt zu werden. In Afrika verfügen inzwischen viele Menschen über ein Handy. Wäre es möglich, an eine offizielle Stelle eine SMS zur Geburtenregistrierung zu schicken, wäre ein niedrigschwelliges Angebot geschaffen, das sich schnell und kostengünstig realisieren ließe. Sie sehen: Hier können wir helfen. Mit wirksamen Programmen werden wir uns aktiv an Problemlösungen beteiligen und Hilfe leisten. Und das werden wir auch tun! Gabriela Heinrich (SPD): Wenn ein Mann seine Ehefrau straflos vergewaltigen darf, wenn er mit der Eheschließung ihr Vermögen und ihren Besitz erhält und ihr Arbeitsverhältnis kündigen darf, dann ist das eine Missachtung von Frauen. Diese Rechtlosigkeit von Frauen hat es auch in Deutschland gegeben, teilweise vor gar nicht so langer Zeit. Vergewaltigung in der Ehe ist zum Beispiel in Deutschland erst seit 1997 strafbar. Wenn Frauen in einer Partnerschaft keine Rechte haben, ist eine selbstbestimmte Familienplanung unmöglich. Gleichberechtigung ist daher die Voraussetzung, wenn wir die sexuelle und reproduktive Gesundheit und entsprechende Rechte weltweit gewährleisten wollen. Die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo vor 20 Jahren war ein Meilenstein. 179 Staaten erkannten damals sexuelle und reproduktive Gesundheit als Teil des fundamentalen Menschenrechts auf Gesundheit an. Die Konferenz stellte klar, dass reproduktive Rechte individuelle Menschenrechte sind, die ein Staat gewährleisten muss. Mit unserem Antrag knüpfen wir daran an und wollen dieser Bewegung neuen Schwung geben. Im Kern gehen wir damit noch weiter: Wir fordern Gleichberechtigung für Frauen, und zwar weltweit. Was bedeuten sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte im Einzelnen? Das bedeutet zum einen, dass die Familienplanung eine selbstbestimmte Entscheidung ist, die frei von Zwängen und Vorgaben sein muss. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, vorzuschreiben, wer wann wie viele Kinder bekommt. Zum anderen ist der Staat aber in der Pflicht. Er muss eine selbstbestimmte Familienplanung ermöglichen, indem er Aufklärung, Beratung und Verhütungsmittel zur Verfügung stellt. Der Mangel an Information ist in vielen Ländern weiterhin ein großes Problem. Wie schütze ich mich vor Geschlechtskrankheiten? Wie kann ich eine Schwangerschaft, die ich nicht will, vermeiden? Nur wenn eine Frau und ein Mann überhaupt wissen, wie sie verhüten können und Zugang zu Verhütungsmitteln haben, können sie selbstbestimmt über ihre Familienplanung entscheiden. Weltweit wollen laut der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung 220 Millionen Frauen verhüten, haben aber keine Möglichkeit dazu. Bei dem Zugang zu Information und Verhütungsmitteln müssen wir Männer naturgemäß einbeziehen. Mangelndes Wissen über Verhütungsmöglichkeiten und der fehlende Zugang dazu betreffen beide Partner. Eine weitere Grundlage für selbstbestimmte Fami-lienplanung sind Schutzvorschriften sowie die rechtliche wie gesellschaftliche Stärkung von Frauen – letztlich also die Gleichberechtigung der Geschlechter. In Ländern, in denen Männer rechtlich und faktisch die Verfügungsgewalt über Frauen haben, können die sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte nicht erfüllt werden. Deswegen brauchen wir weltweit den gleichen Zugang zu Bildung, Arbeit und Eigentum sowie Schutzvorschriften, um Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsverheiratung, „Kinderbräute“ und Genitalverstümmelung zu stoppen. Es ist auch die -Aufgabe Deutschlands, sich international für diese Themen einzusetzen. Insbesondere junge Mädchen brauchen in vielen Ländern Schutzvorschriften und gesellschaftlichen Wandel. Das zeigt das Beispiel Genitalverstümmelung. In Ländern wie Somalia sind fast alle Frauen von -Genitalverstümmelung betroffen. Ihnen werden Teile oder die gesamten äußeren Genitalien entfernt – ohne Betäubung und mit verunreinigten Werkzeugen wie Rasierklingen und Glasscherben. Diese Prozedur kostet viele Menschenleben und betrifft auch Deutschland und Europa. Terre des Femmes schätzt, dass allein in Deutschland 25 000 Frauen genitalverstümmelt sind und weitere 2 500 Frauen und Mädchen gefährdet sind. Es gibt mittlerweile Fortschritte. So sieht zum Beispiel die neue Verfassung in Somalia ein Verbot der Genitalverstümmelung vor. Die besten Gesetze nützen jedoch nichts, wenn sie nicht eingehalten werden und niemand ihre Einhaltung sicherstellt. Gesellschaft-licher Wandel kann viel für die Frauen weltweit er-reichen, und die Basis dafür sind Information und -Aufklärung. Gerade beim Thema Genitalverstümmelung zeigt sich in der Praxis, dass die meisten Fortschritte mit Einbeziehung von Geistlichen und Stammesführern erreicht werden. Denn viele Tradi-tionsverfechter sind sich gar nicht im Klaren darüber, welche gesundheitlichen Probleme die Genitalverstümmelung verursacht, und hinterfragen diese Praxis nicht. Deswegen fordern wir in unserem Antrag auch, Jungen und Männer sowie örtliche religiöse und gesellschaftliche Entscheidungsträger in Aufklärungsmaßnahmen einzubeziehen. Die Gleichberechtigung von Frauen in einer Gesellschaft ist die Basis für eine freie Entscheidung über die Familienplanung. Generell gilt, dass sich Länder schneller und besser entwickeln, in denen Frauen weitgehend gleichberechtigt sind. Wenn sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte gewährleistet werden, ist das eine gewichtige Entwicklungschance und der Schlüssel dafür, die Mütter- und Kindersterblichkeit zu senken. Weil sexuelle und reproduktive -Gesundheit und Rechte weltweit nicht ausreichend gewährt werden, gibt es 80 Millionen ungewollte Schwangerschaften und 20 Millionen unsichere Abtreibungen im Jahr. Jeden Tag sterben junge Frauen bei unsicheren Abtreibungen. Jeden Tag werden -Kinder geboren, die nicht gewollt sind und nicht ausreichend versorgt werden können. Zu den Millenniumsentwicklungszielen gehören sowohl die Gleichstellung der Geschlechter als auch die bessere Gesundheitsversorgung für Mütter mit dem Zugang zu reproduktiver Gesundheit und mit der Senkung der Müttersterblichkeit. Ebenso ist die Bekämpfung von HIV/Aids immer noch ein wichtiger Punkt auf der Agenda. Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte sind der Motor, um diese Millenniumsziele zu erreichen. Und deswegen fordern wir mit unserem -Antrag, dass sich die Bundesregierung im Rahmen der Post-2015-Agenda weiterhin für Geschlechtergerechtigkeit und Gesundheit als eigenständige Ziele mit den jeweiligen Unterzielen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und der Wahrung reproduktiver Rechte einsetzt. Ich halte das für ganz entscheidende Punkte, denn Frauenrechte sind ein Entwicklungsmotor. Dabei ist für uns klar, dass sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte eng mit den Menschenrechten verknüpft sind. Wir fordern daher einen diskriminierungsfreien Zugang für die gesamte Bevölkerung, also unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit, Behinderung, -Geschlechteridentität oder sexueller Orientierung. Konkret heißt das auch, dass ein Staat zum Beispiel Schwulen und Lesben nicht den Zugang zu Gesundheit, zu Verhütungsmitteln zur Prävention von Geschlechtskrankheiten und zu Information versperren darf und dass wir mit unserer Entwicklungspolitik dafür sorgen müssen, solche Sperren aufzubrechen, dass wir uns international noch stärker dafür einsetzen müssen, die menschenrechtswidrige Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung zum Beispiel in Uganda aber auch in etlichen weiteren Ländern wie zum Beispiel Zentralafrika, Sudan, Südsudan, Kamerun und Tansania zu stoppen. Um 20 Jahre nach Kairo neue Impulse für die sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte zu schaffen, müssen wir unser nationales und internationales Engagement fortsetzen. Deswegen fordern wir ein Nachfolgeprogramm für die im Jahr 2015 auslaufende Muskoka-Initiative zur Senkung der Kinder- und Müttersterblichkeit und eine Fortsetzung der Initiative „Selbstbestimmte Familienplanung und Mütter-gesundheit“. Ich sage das aber ganz klar: Für Fortschritte werden wir in Zukunft mehr Geld in die Hand nehmen müssen. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, unser internationales Versprechen zu erfüllen, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Mittel der Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Davon sind wir noch weit entfernt. Umso wichtiger ist es, dass künftige Spielräume im Haushalt vorrangig dafür genutzt werden, dass wir international wieder ein Vorbild werden und gegenüber unseren Partnern Verlässlichkeit beweisen. Ich möchte mich noch ausdrücklich bei meinem Kollegen Frank Heinrich und der Union für die gute Zusammenarbeit bei diesem Antrag bedanken. Mit -unserem Antrag stellen wir die Weichen, um insbesondere Frauen und Frauenrechte weltweit zu stärken. Wir hoffen daher auf Zustimmung des ganzen Hauses zu unserem Antrag. Das wäre ein gutes und wichtiges Signal. Niema Movassat (DIE LINKE): In Diskussionen über das Thema Weltbevölkerung werden fast immer drastische Szenarien ausgepackt. Von der Gefahr einer Überbevölkerung ist dann die Rede und davon, dass uns das begrenzte Ökosystem Erde um die Ohren fliegen würde. Dahinter steckt oft Panikmache. Schaut man sich die Fakten an, ergibt sich ein anderes Bild. Die Vereinten Nationen rechnen heute mit drei verschiedenen Szenarien für die demografische Entwicklung der Weltbevölkerung. Im hohen Szenario steigt die Weltbevölkerung von heute 7 Milliarden bis ins Jahr 2300 auf 36 Milliarden Menschen an. Das wäre eine Katastrophe. Auf dem Weg dahin würde es tatsächlich zum ökologischen Kollaps kommen. Dieses Szenario ist aber extrem unwahrscheinlich. Im mittleren Szenario wächst die Weltbevölkerung auf 9 Milliarden. Das klingt auch nach viel. Aber schon heute produzieren wir genügend Lebensmittel für 12 Milliarden Menschen. 9 Milliarden sind also relativ unproblematisch, wenn die Ressourcen global gerechter verteilt würden und man davon ausgeht, dass wir uns in puncto Nachhaltigkeit noch wesentlich verbessern können. Im unteren Szenario schrumpft die Weltbevölkerung sogar auf 2,3 Milliarden Menschen. Die Geburtenrate, um eine gleichbleibende Bevölkerungszahl zu gewährleisten, liegt statistisch bei 2,1 Kindern pro Frau. Schon heute lebt aber die Hälfte der Weltbevölkerung in Ländern, die eine niedrigere Geburtenrate haben. Das gilt heute für alle europäischen Staaten ebenso wie für die bevölkerungsreichen Schwellenländer China und Brasilien. Die Geburtenrate aller sogenannten entwickelten Staaten liegt sogar im Schnitt bei nur 1,6 Kindern pro Frau und wäre somit auf Dauer sogar existenzbedrohend. Wenn also heute schon in dem einen Teil der Welt zu wenige Menschen auf die Welt kommen, in anderen Teilen aber zu viele – was ist logischer, als die Unterschiede durch gezielte und wohlgesteuerte Migrationsbewegungen auszugleichen? Auch Deutschland wird ohne Einwanderung definitiv drastisch schrumpfen. Doch statt aus dieser Tat-sache eine Win-win-Situation zu machen, die demografischen Defizite auszugleichen und gleichzeitig Menschen aus dem globalen Süden eine Chance auf ein menschenwürdiges Leben zu eröffnen, machen Bundesregierung und EU die Grenzen dicht. Die -europäische Flüchtlingspolitik verweigert sich jeder Realität. Sie ist dumm, kurzsichtig und menschenverachtend. Sie alle, liebe Mitglieder der Regierungs-koalition, sind dafür zu einem erheblichen Maß mitverantwortlich. Jetzt wollen Sie sogar noch das restriktive deutsche Asylrecht weiter verschärfen. Hören Sie endlich auf, die Festung Europa weiter auszubauen. Hören Sie endlich damit auf, die Menschen im Mittelmeer ersaufen zu lassen, hören Sie endlich damit auf, Menschen, sogar Minderjährige, in Lagern einzusperren, nur weil sie sich auf die Suche nach einem besseren Leben gemacht haben. Machen Sie endlich die Grenzen auf für eine humane Bevölkerungsbewegung, die zu unser aller Vorteil ist. Der grundlegenden Stoßrichtung des Koalitionsantrags, 20 Jahre nach der Kairoer Weltbevölkerungskonferenz deren Grundlagen zu bekräftigen, stimmen wir zu. Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte sind zentrale Menschenrechte. Alle Menschen müssen ihre Sexualität risikofrei leben können. Die Linke begrüßt, dass sich die Koalitionsfraktionen so einmütig und deutlich dazu bekennen. Doch schreit die Diskrepanz zwischen den schönen Worten und der realen Politik von CDU/CSU und SPD geradezu zum Himmel. Wie kann man die Diskriminierung von Frauen und Mädchen so plakativ als quasi absolutes Grundübel „nachdrücklich verurteilen“, aber gleichzeitig die absolutistische saudische Herrscherfamilie zu seinen engen Verbündeten zählen und ihre Herrschaft gar mit Waffenlieferungen stützen? In diesem Land und ebenso bei anderen guten Partnern der deutschen Außenpolitik ist die absolute Rechtlosigkeit der Frau Staatsreligion. Deshalb war es auch schon pure Augenwischerei, als die Bundesregierung erklärte, sie führe am Hindukusch einen Krieg zur Verteidigung der Frauen- und Mädchenrechte. Früher wie heute gilt: Solange die Bundesregierung nicht ihre verlogene Doppelmoral endlich beendet, bleiben ihre Proklamationen der Frauenrechte nur hohle Floskeln. Der vorliegende Antrag thematisiert leider auch mit keiner Silbe die für mich entscheidende Rolle der Armut für die Bevölkerungsentwicklung. Wer Armut nicht zulässt, braucht sich auch um eine angebliche Bevölkerungsexplosion keine Gedanken zu machen. Sobald das Einkommensniveau ein bestimmtes Maß erreicht hat, sinkt die Geburtenrate automatisch. In Brasilien ist die Zahl der Kinder je Frau in den vergangenen 30 Jahren von 4,3 auf 1,9 gesunken, in der Türkei von 4,2 auf 2,0, in Extremfällen wie dem Iran sogar von 7 auf 1,8. Armutsbekämpfung ist deshalb das sicherste Verhütungsmittel. Wenn wir endlich aufhören, Ländern des globalen Südens Freihandelsabkommen und Rohstoffpartnerschaften nur zu unserem eigenen Nutzen aufzudrücken, wenn wir endlich die Politik beenden, die das Wohl der deutschen Privatwirtschaft an erste Stelle stellt, können sich die Länder des globalen -Südens endlich wirtschaftlich entwickeln. Regional zu hohes Bevölkerungswachstum würde sich automatisch regulieren. Gänzlich absurd wird es, wenn die CDU/CSU- und SPD-Fraktion die Bundesregierung auffordern, darauf hinzuwirken, dass die EU-Staaten ihren finanziellen Beitrag im Sinne des Kairoer Aktionsprogramms -aufrechterhalten sowie weiter an der Umsetzung des 0,7-Prozent-Ziels zu arbeiten. Die Bilanz der Bundes-regierung aus CDU/CSU/SPD fällt in allen genannten Bereichen vernichtend aus. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Entwicklungsbudget insgesamt liegt etwa die Hälfte unter dem, was als internationaler Standard gilt. Auch die Ausgaben für Grundbildung sind trotz großer Ankündigungen viel zu gering. Mit 0,38 Prozent ODA-Quote liegt Deutschland als stärkste Wirtschaftsnation Europas sogar insgesamt unter dem Durchschnitt der EU. Die Bundesrepublik ist international ein denkbar schlechtes Beispiel, wenn es um das tatsächliche internationale Engagement für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte jenseits von wohlklingenden Anträgen geht. Weil der Antrag alle diese Probleme nicht anspricht und auch nicht darauf gerichtet ist, die Widersprüchlichkeit von Wort und Tat zu beenden, können wir als Linke dem Antrag nicht zustimmen und werden uns enthalten. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zwei minderjährige Mädchen werden in Indien brutal vergewaltigt und am Baum erhängt. Ein Mädchen wird in Pakistan auf dem Weg zur Schule niedergeschossen. Gewalt gegen Frauen ist keine traurige Ausnahme, sondern weltweiter Alltag. Auch Armut trägt ein weibliches Gesicht. 70 Prozent der Allerärmsten sind Frauen. Mädchen erfahren Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund ihres Geschlechtes – und dies sogar schon häufig vor der Geburt. 100 Millionen weibliche Föten wurden laut den Vereinten Nationen abgetrieben. Die strukturelle Benachteiligung von Mädchen und Frauen ist gleichzeitig Ausdruck verwehrter Rechte. Gerade deshalb war auch die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 ein Meilenstein für die Rechte von Frauen und gleichzeitig auch ein entwicklungspolitischer Durchbruch. Das Aktionsprogramm von Kairo machte den entscheidenden Unterschied, dass es nicht nur um die sogenannte sexuelle und reproduktive Gesundheit an sich geht, sondern in diesem Zusammenhang vor allem auch um das Recht auf Selbstbestimmung. Denn Frauen müssen selbst bestimmen können, wann für sie und ihre Familien der richtige Zeitpunkt ist, ein Kind zu bekommen. Nur so haben junge Frauen eine Chance, Schule und Ausbildung abzuschließen, und die Möglichkeit, einen Beruf auszuüben. Frauen sind die zentralen Trägerinnen für Entwicklung. Auch deshalb gehört Geschlechtergerechtigkeit in den Fokus der Entwicklungspolitik. Wenn wir von der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo sprechen, dann sprechen wir auch von sieben Milliarden Menschen auf dieser Welt. Dabei geht es nicht um die Zahl, sondern vor allem darum, wie wir mit den Ressourcen der Welt umgehen und wie diese verteilt sind. Fast eine Milliarde Menschen hungern weltweit. Das ist ein Skandal. Auch bleibt fast einer Milliarde Menschen der Zugang zu sauberem Wasser verwehrt. Jährlich sterben 1,5 Millionen Menschen an den Folgen von verunreinigtem Wasser. Gerade Wasser ist beispielhaft für die Verschwendung und Übernutzung knapper Ressourcen. Wir brauchen endlich ein Umdenken, wir brauchen eine sozial-ökologische Transformation. Nur so können wir alle gemeinsam in der „Einen Welt“ leben und eine gerechte und friedliche Zukunft formulieren. Die weltweit alarmierenden Armuts- und Hungerzahlen zeigen aber auch eins: Das Credo der letzten Jahre, Armut allein mit Wirtschaftswachstum bekämpfen zu wollen, hat sich selbst ad absurdum geführt. Trotz enormer Wachstumszahlen wie etwa in Afrika hat sich die Armut erhöht. Ohne Umverteilung und sozialen Ausgleich ist kein menschwürdiges Leben für sieben Milliarden Menschen möglich. Liebe Kollegen und Kolleginnen von CDU/CSU und SPD, ich begrüße es außerordentlich, dass Sie das Thema hier und heute haben aufsetzen lassen; mehr als eine Protokollrede hätte ich mir allerdings schon gewünscht. Die Verwirklichung der Rechte von Mädchen und Frauen darf 20 Jahre nach Kairo nicht aus dem Fokus geraten. Gerade in Bezug auf die kommende Agenda von Nachhaltigkeitszielen, der SDGs, dürfen wir die Erfolge der letzten Jahre nicht vergessen. Genau deshalb hätte ich mich gefreut, wenn Sie Ihr Dogma der Farbenlehre über Bord geworfen hätten und uns alle an einen Tisch geholt hätten, nicht nur die Grünen, sondern auch die Fraktion Die Linke. Lassen Sie uns endlich über Inhalte sprechen statt ideologische Grabenkämpfe bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu führen. Ihr Antrag enthält viele gute und wichtige Forderungen, die wir natürlich auch unterstützen. Bauchschmerzen habe ich trotzdem mit Ihrem Antrag: Er ist nicht ganz glaubwürdig. Aufklärungsprogramme zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte, Mütter- und Kindergesundheit, Bildung und all die anderen Forderungen gibt es nicht umsonst. Glaubwürdigkeit fängt aber auch bei der Finanzierung an. Ohne zusätzliche Mittel bleiben Ihre Forderungen und insbesondere das 0,7-Prozent-Ziel ein reines Lippenbekenntnis. Bauchschmerzen habe ich auch noch mit einem anderen Punkt: Sie definieren den Begriff der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte als reproduktive Rechte einerseits und sexuelle und reproduktive Gesundheit andererseits. Es geht hier aber auch um die sexuellen Rechte. Die sexuelle Selbstbestimmung ist ein zentrales Recht, welches weltweit immer wieder missachtet wird. Wir müssen hier und weltweit dafür kämpfen, dass alle Menschen frei von Zwang und Diskriminierung ihre Sexualität leben dürfen. Ihre Definition der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte greift leider viel zu kurz, auch im Zusammenhang mit der sensiblen Frage zum Thema Schwangerschaftsabbruch. Wir werden uns auch deshalb bei dem Antrag enthalten. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/1958. Mir liegt eine Erklärung gemäß § 31 der -Geschäftsordnung vor. Diese nehmen wir entsprechend unseren Regeln zu Protokoll.16 Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit bei den letzten zehn Tagesordnungspunkten. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 4. Juli 2014, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles Gute für den Rest des Tages. (Gustav Herzog [SPD]: Vielen Dank, Frau Präsidentin! Er ist ja auch noch so lang, der Tag!) (Schluss: 23.31 Uhr) Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Dr. André Berghegger Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 04.07.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 04.07.2014 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 04.07.2014 Dörner, Katja BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 04.07.2014 Flisek, Christian SPD 04.07.2014 Flosbach, Klaus-Peter CDU/CSU 04.07.2014 Freitag, Dagmar SPD 04.07.2014 Gabriel, Sigmar SPD 04.07.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 04.07.2014 Hartmann, Michael SPD 04.07.2014 Dr. Hirte, Heribert CDU/CSU 04.07.2014 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 04.07.2014 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 04.07.2014 Maag, Karin CDU/CSU 04.07.2014 Mortler, Marlene CDU/CSU 04.07.2014 Reiche (Potsdam), Katherina CDU/CSU 04.07.2014 Rief, Josef CDU/CSU 04.07.2014 Dr. Schröder, Ole CDU/CSU 04.07.2014 Werner, Katrin DIE LINKE 04.07.2014 Wicklein, Andrea SPD 04.07.2014 Winkelmeier-Becker, Elisabeth CDU/CSU 04.07.2014 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 04.07.2014 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ute Finckh-Krämer und Daniela Kolbe (Leipzig) (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Azize Tank, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Drucksache 18/2019) (Tagesordnungspunkt 4 a) Die Einführung des einheitlichen gesetzlichen Mindestlohnes ist ein wichtiger und historischer Schritt, um Niedriglöhne zu bekämpfen und die Ordnung am Arbeitsmarkt wiederherzustellen. Wir begrüßen es, dass während der Gesetzesberatungen vereinbart werden konnte, eine erste Anpassung des Mindestlohns bereits zum Januar 2017 durch die Mindestlohnkommission durchzuführen. Das ist ein Jahr früher als ursprünglich vorgesehen. Die Mindestlohnkommission hat über die Anpassung bis zum 30. Juni 2016 zu entscheiden. Wir haben in den Beratungen zudem die Aufgaben der Mindestlohnkommission dahin gehend erweitert, dass es eine laufende Evaluation der Auswirkungen des Mindestlohns auf den Arbeitsmarkt gibt und eine erste Evaluation bereits zum 1. Juni 2016 erfolgen wird. Mit der Übernahme der Regelung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes zur Haftung des Auftraggebers in § 13 Mindestlohngesetz, MiLoG, haben wir zudem eine klare und verbindliche Haftungsregelung durchgesetzt. Dies wird die Arbeit des Zolls erleichtern und gewährleistet die konsequente Durchsetzung des Mindestlohnes in allen Branchen. Mit der frühen Evaluation schaffen wir die Voraussetzung, dass regelmäßig auch die in § 22 MiLoG vorgesehenen Ausnahmen für einzelne Personengruppen überprüft und geändert werden können. Mit den während der Beratungen ausgehandelten neuen Regelungen im Bereich der Praktikantinnen und Praktikanten beenden wir den Missbrauch von Praktika. Für freiwillige Praktika im Rahmen von Ausbildung und Studium mit einer maximalen Dauer von drei Monaten muss der Mindestlohn nicht gezahlt werden. Aber der Mindestlohn gilt für alle Praktika, die darüber hinausgehen oder nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung bzw. einem abgeschlossenen Hochschulstudium geleistet werden. Dank der SPD ist die Zeit, in der Praktikantinnen und Praktikanten trotz abgeschlossener Berufsausbildung ausgebeutet und ohne Vergütung beschäftigt wurden, vorbei. Wir freuen uns, dass es der SPD-Fraktion und Bundesministerin Andrea Nahles gemeinsam mit den Gewerkschaften gelungen ist, Branchenausnahmen zu verhindern. Mit den Übergangsregelungen für einzelne Branchen geben wir diesen die Möglichkeit, schrittweise Anpassungen vorzunehmen, um spätestens zum 1. Januar 2017 einen Mindestlohn von 8,50 Euro zu erreichen. Es ist uns zudem gelungen, die Ausnahmen im Bereich der Langzeitarbeitslosen zugunsten dieser Personengruppe leicht zu entschärfen. Gerade diese Gruppe ist am Arbeitsmarkt in einer schwachen Position, sodass sie eines besonderen Schutzes vor Ausbeutung bedarf. Sie können für sechs Monate nur dann vom Mindestlohn ausgenommen werden, wenn sie in einem nicht tarifgebundenen Betrieb arbeiten. In den letzten Verhandlungen konnte zudem erreicht werden, dass Langzeitarbeitslose nicht von Betrieb zu Betrieb weitergereicht werden können, indem wir § 18 SGB III dahin gehend geändert haben, dass Eingliederungsmaßnahmen im Sinne von § 45 SGB III, die länger als sechs Wochen gehen, und entsprechend lange Erwerbstätigkeit die Arbeitslosigkeit unterbrechen. Eine Langzeitarbeitslose oder ein Langzeitarbeitsloser gilt dann nicht mehr als solcher und muss bei einer neuen Beschäftigung nach Mindestlohn vergütet werden. Die Bundesregierung wurde des Weiteren verpflichtet, bereits zum 1. Juni 2016 einen Bericht abzugeben, inwiefern die Ausnahmeregelung der Integration in den Arbeitsmarkt diente. Gleichwohl bleibt die Ausnahme für Langzeitarbeitslose für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schmerzhaft. Bedauerlicherweise gab es im Gesetzgebungsverfahren keine Änderung bei den vorgesehenen Ausnahmen in Bezug auf unter 18-Jährige, die keinen Anspruch auf diesen Mindestlohn haben werden. Wir teilen nicht die Einschätzung, dass jugendliche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen durch den Mindestlohn auf eine Ausbildung verzichten würden. Die Schulabgängerinnen und Schulabgänger in Deutschland sind sich der Stärken des dualen Ausbildungssystems sehr wohl bewusst. Sie werden auch nach der Einführung eines Mindestlohns zum übergroßen Teil eine Ausbildung oder ein Studium aufnehmen. Eine abgeschlossene Berufsausbildung schafft Sicherheit, Anerkennung und Einkommensmöglichkeiten weit jenseits der Niedrigeinkommen von 8,50 Euro Stundenlohn. Die Verabschiedung des gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro ist eine Entscheidung von historischem Ausmaß. 3,7 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland werden davon profitieren. Mit Inkrafttreten zum 1. Januar 2015 wird es in unserem Land wieder gerechter zugehen. Im Rahmen der bis 2017 anstehenden Überprüfungen des Gesetzes werden wir uns weiterhin für die Korrektur der vorgesehenen Ausnahmen einsetzen. Infolgedessen lehnen wir den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke ab. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Cansel Kiziltepe (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Azize Tank, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Drucksache 18/2019) (Tagesordnungspunkt 4 a) Die Einführung des einheitlichen gesetzlichen Mindestlohnes ist ein wichtiger und historischer Schritt, um Niedriglöhne zu bekämpfen und die Ordnung am Arbeitsmarkt wiederherzustellen. Für mich von großer Bedeutung ist die gleichzeitige Stärkung der Tarifautonomie. Mit der Streichung des 50-Prozent-Quorums für die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen wird es angesichts niedriger Tarifbindung möglich, die tarifliche Ordnung zu stützen und zu stärken. Durch die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, AEntG, auf alle Branchen – bisher gibt es nur in 14 Branchen Mindestlöhne nach dem AEntG – wird es möglich sein, Tarifverträge durch Rechtsverordnung zugunsten inländischer und ausländischer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf alle Branchen zu erstrecken. Ich begrüße es, dass während der Gesetzesberatungen vereinbart werden konnte, eine erste Anpassung des Mindestlohns bereits zum Januar 2017 durch die Mindestlohnkommission durchzuführen. Das ist ein Jahr früher als ursprünglich vorgesehen. Die Mindestlohnkommission hat über die Anpassung bis zum 30. Juni 2016 zu entscheiden. Wir haben in den Beratungen zudem die Aufgaben der Mindestlohnkommission dahin gehend erweitert, dass es eine laufende Evaluation der Auswirkungen des Mindestlohnes auf den Arbeitsmarkt gibt und eine erste Evaluation bereits zum 1. Juni 2016 erfolgen wird. Mit der Übernahme der Regelung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes zur Haftung des Auftraggebers in § 13 Mindestlohngesetz, MiLoG, haben wir zudem eine klare und verbindliche Haftungsregelung durchgesetzt. Dies wird die Arbeit des Zolls erleichtern und gewährleistet die konsequente Durchsetzung des Mindestlohnes in allen Branchen. Mit der frühen Evaluation schaffen wir die Voraussetzung, dass regelmäßig auch die in § 22 MiLoG vorgesehenen Ausnahmen für einzelne Personengruppen überprüft und geändert werden können. Mit den während der Beratungen ausgehandelten neuen Regelungen im Bereich der Praktikantinnen und Praktikanten beenden wir den Missbrauch von Praktika. Für freiwillige Praktika im Rahmen von Ausbildung und Studium mit einer maximalen Dauer von drei Monaten muss der Mindestlohn nicht gezahlt werden. Aber der Mindestlohn gilt für alle Praktika, die darüber hinausgehen oder nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung beziehungsweise einem abgeschlossenen Hochschulstudium geleistet werden. Dank der SPD ist die Zeit, in der Praktikantinnen und Praktikanten trotz abgeschlossener Berufsausbildung ausgebeutet und ohne Vergütung beschäftigt wurden, vorbei. Ich freue mich, dass es der SPD-Fraktion und Bundesministerin Andrea Nahles gemeinsam mit den Gewerkschaften gelungen ist, Branchenausnahmen zu verhindern. Mit den Übergangsregelungen für einzelne Branchen geben wir diesen die Möglichkeit, schrittweise Anpassungen vorzunehmen, um spätestens zum 1. Januar 2017 einen Mindestlohn von 8,50 Euro zu erreichen. Es ist uns zudem gelungen, die Ausnahmen im Bereich der Langzeitarbeitslosen zugunsten dieser Personengruppe leicht zu entschärfen. Gerade diese Gruppe ist am Arbeitsmarkt in einer schwachen Position, sodass sie eines besonderen Schutzes vor Ausbeutung bedarf. Sie können für sechs Monate nur dann vom Mindestlohn ausgenommen werden, wenn sie in einem nicht tarifgebundenen Betrieb arbeiten. In den letzten Verhandlungen konnte zudem erreicht werden, dass Langzeitarbeitslose nicht von Betrieb zu Betrieb weitergereicht werden können, indem wir § 18 SGB III dahin gehend geändert haben, dass Eingliederungsmaßnahmen im Sinne von § 45 SGB III, die länger als sechs Wochen gehen, und entsprechend lange Erwerbstätigkeit die Arbeitslosigkeit unterbrechen. Eine Langzeitarbeitslose oder ein Langzeitarbeitsloser gilt dann nicht mehr als solcher und muss bei einer neuen Beschäftigung nach Mindestlohn vergütet werden. Die Bundesregierung wurde des Weiteren verpflichtet, bereits zum 1. Juni 2016 einen Bericht abzugeben, inwiefern die Ausnahmeregelung der Integration in den Arbeitsmarkt diente. Gleichwohl bleibt die Ausnahme für Langzeitarbeitslose für uns Sozialdemokraten schmerzhaft. Bedauerlicherweise gab es im Gesetzgebungsverfahren keine Änderung bei den vorgesehenen Ausnahmen in Bezug auf unter 18-Jährige, die keinen Anspruch auf diesen Mindestlohn haben werden. Ich teile nicht die Einschätzung, dass jugendliche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen durch den Mindestlohn auf eine Ausbildung verzichten würden. Die Schulabgängerinnen und Schulabgänger in Deutschland sind sich der Stärken des dualen Ausbildungssystems sehr wohl bewusst. Sie werden auch nach der Einführung eines Mindestlohns zum übergroßen Teil eine Ausbildung oder ein Studium aufnehmen. Eine abgeschlossene Berufsausbildung schafft Sicherheit, Anerkennung und Einkommensmöglichkeiten weit jenseits der Niedrigeinkommen von 8,50 Euro Stundenlohn. Die Verabschiedung des gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro ist eine Entscheidung von historischem Ausmaß. 3,7 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland werden davon profitieren. Mit Inkrafttreten zum 1. Januar 2015 wird es in unserem Land wieder gerechter zugehen. Im Rahmen der bis 2017 anstehenden Überprüfungen des Gesetzes werde ich mich weiterhin für die Korrektur der vorgesehenen Ausnahmen einsetzen. Infolgedessen lehne ich den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke ab. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über: Änderungsantrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Azize Tank, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Drucksache 18/2019) (Tagesordnungspunkt 4 a) In dieser Woche wird in 2. und 3. Lesung die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns beschlossen. Ab dem 1. Januar 2015 gilt ein Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde. Abweichungen sind bis Ende 2016 grundsätzlich nur möglich, wenn ein entsprechender Tarifvertrag dies vorsieht und dieser nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz für allgemeinverbindlich erklärt wurde. Ab 1. Januar 2017 gilt der Mindestlohn dann flächendeckend in ganz Deutschland für alle volljährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – und zwar für alle Branchen. Es ist ein Erfolg, dass es nach jahrelangen Diskussionen endlich auch in Deutschland den überfälligen Einstieg in den Mindestlohn gibt. Ich werde dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen, weil die Einführung des Mindestlohns ein richtiger und überfälliger Schritt ist. Den Antrag der Linken halte ich zwar auch für richtig, werde ihn aber leider ablehnen müssen, um das eigentliche Gesetz nicht zu gefährden. Auch wenn ich die geplanten Ausnahmen für falsch halte, die Union würde ohne sie nicht für das Gesetz stimmen. Damit würde es den Mindestlohn nicht geben. Deshalb bin ich bereit, den Preis zu zahlen – wenngleich ich mich weiterhin dafür einsetzen werde, dass es erstens nicht bei 8,50 Euro bleibt und zweitens die Ausnahmen abgebaut werden. Gut finde ich, dass wir auch bei den Praktika weitergekommen sind und Praktikantinnen und Praktikanten zumindest teilweise den Mindestlohn bekommen. Grundsätzlich bin ich allerdings gegen Ausnahmen und Einschränkungen beim Mindestlohn. Vor allem, dass der Mindestlohn für Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten nach einer Neueinstellung nicht gilt, halte ich für problematisch. Wer solche Ausnahmen zulässt, riskiert Missbrauch. Der Mindestlohn soll vor Lohndumping schützen; das muss auch für Langzeitarbeitslose gelten. Menschen, die länger als ein Jahr ohne Job sind, müssen damit weiterhin befristet für weniger als 8,50 Euro pro Stunde arbeiten. Ich befürchte, dass Unternehmen Langzeitarbeitslose als „Niedriglöhner“ nutzen könnten und dann nach fünf Monaten wieder entlassen. Sicher gibt es für jede Ausnahme Argumente. Ich bin froh, dass die Ministerin und die SPD viele weitere einschränkende Vorschläge der Union abgewehrt haben und so kein Flickenteppich entsteht. Dennoch, immerhin gilt nun für etwa 2 Millionen Langzeitarbeitslose im Bund und etwa 31 300 Langzeitarbeitslose in Dortmund der Mindestlohn nicht, sollten sie einen Job finden. Auch die Ausnahmen bei den Zeitungszustellerinnen und -zustellern, bei den Saisonkräften in der Landwirtschaft, bei den Erntehelferinnen und -helfern sowie den Praktikantinnen und Praktikanten sind nicht notwendig und nur ein Zugeständnis an die CDU/CSU und unter anderem an die Zeitungsverlage. Dies trifft die Schwächsten. Hier müssen wir auf eine Überprüfung pochen und die Möglichkeit bekommen, diese Ausnahmen zurückzunehmen. Ich hoffe sehr, dass zum Mindestlohn im Bundestag noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Ich werde mich jedenfalls weiterhin für einen flächendeckenden Mindestlohn ohne Ausnahmen stark machen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heike Brehmer, Manfred Grund, Frank Heinrich (Chemnitz), Jörg -Hellmuth, Matthias Lietz, Eckhardt Rehberg, Dr. Klaus-Peter Schulze, Tino Sorge, Carola Stauche, Dieter Stier, Arnold Vaatz, Volkmar Vogel (Kleinsaara) und Kees de Vries (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 4 a) Wir stehen zum Koalitionsvertrag und stimmen dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Bedenken, zu. Wir gönnen den Beschäftigten, die von der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden, diesen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in vollem Maße. Wir sehen jedoch die Gefahr, dass die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland führen könnte. Nach Informationen, die uns von sehr vielen ostdeutschen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor bestehen erhebliche strukturelle ökonomische Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeutschen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Prozent. Es scheint uns nicht ausgeschlossen, dass sich infolge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steigerungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. Andererseits erkennen wir an, dass einigen unserer Forderungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Beispiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unverhältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauftragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunternehmer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und für Langzeitarbeitslose. Folgende unserer Forderungen konnten leider nicht umgesetzt werden: Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Sicherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes; wir erwarteten bei der Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche setzen; wir forderten, dass die Bereitschaft junger Menschen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbildung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, indem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingungen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie in anderen EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, muss sich in der Praxis noch zeigen. Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Moratorium, das eine Abweichung und Heranführung an den gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Tarifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die Produktivität der Arbeitnehmer überforderten. Trotz dieser offenen Fragen halten wir das Gesetz für vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Arbeitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber aufgrund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundes-regierung zeigen, erwarten wir sofortiges Handeln. Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 4 a) Günter Baumann (CDU/CSU): Ich stehe zum Koalitionsvertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Bedenken, zu. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden, diesen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in vollem Maße. Ich sehe jedoch die Gefahr, dass die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland führen könnte. Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeutschen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor bestehen erhebliche strukturelle ökonomische Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeutschen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Prozent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich infolge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steigerungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. Andererseits erkenne ich an, dass einigen meiner Forderungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Beispiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unverhältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauftragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunternehmer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und für Langzeitarbeitslose. Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht umgesetzt werden: – Ermöglichung von Stücklohnvereinbarungen in den Fällen, in denen der am Monatsende ausbezahlte Lohn bei „Normalleistung“ den gesetzlich vorgegebenen Mindestlohn erreicht – Einführung von Übergangsfristen bis zum 31. Dezember 2016 mit dem Ziel, eigene Tarifverträge zu vereinbaren, die eine stufenweise Heranführung an den gesetzlichen Mindestlohn beinhalten – ; – Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Sicherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes: Ich erwartete bei der Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben; – Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche setzen: Ich forderte, dass die Bereitschaft junger Menschen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbildung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, indem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingungen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie in anderen EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, muss sich in der Praxis noch zeigen. Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Moratorium, das eine Abweichung und Heranführung an den gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Tarifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die Produktivität der Arbeitnehmer überforderte. Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Arbeitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber aufgrund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundes-regierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. Veronika Bellmann (CDU/CSU): Neben der Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft und der Rente mit 63 sehe ich in der Einführung des einheitlichen gesetzlichen flächendeckenden – allgemeinen – Mindestlohns einen ordnungspolitischen Verstoß gegen die Regeln der sozialen Marktwirtschaft. Dieser liegt allerdings schon im Koalitionsvertrag begründet, der an diesen Stellen schlecht verhandelt wurde und ganz und gar nicht dem Wahlergebnis entspricht. Die Menschen haben die Union wegen ihres Wahlprogrammes, unter anderem auch ihrer Vorschläge für einen branchen- und regional differenzierten Mindestlohn gewählt. Meine seinerzeitige grundsätzliche Zustimmung zum Koalitionsvertrag hieß deshalb auch nicht, dass ich nicht Teilen daraus weiterhin kritisch gegenüberstehe und dies in meinem Abstimmungsverhalten zum Ausdruck bringe, falls nicht im konkreten Gesetzgebungsverfahren grundlegende Mängel behoben wurden. Dass das in diesem Gesetz an einigen Stellen, insbesondere durch die Fachpolitiker der Union, erfolgt ist, will ich gerne anerkennen. Auch deshalb werde ich nicht, wie ursprünglich angekündigt, mit Ablehnung, sondern mit Enthaltung votieren. Nur dieses differenzierte Abstimmungsverhalten kann ich als Vorstandsmitglied der Mittelstandsvereinigung Mittelsachsens verantworten. Ich bin ein Anhänger des Mindestlohnes, und ich weiß, dass die Menschen zu Recht eine gerechte Entlohnung erwarten. Ich gönne den Beschäftigten, die davon profitieren, ihre hart erarbeiteten Lohnzuwächse in vollem Maße. Meine Anhängerschaft gilt aber regional- und branchenbezogenen differenzierten Mindestlöhnen, durch die negative Beschäftigungseffekte von Mindestlohnvereinbarungen vermieden werden, die außerdem nicht weg von Produktivität, Wertschöpfung und der Positionierung auf den jeweiligen Dienstleistungs- und Produktmärkten staatlich pauschal verordnet werden. Meine Mindestlohnanhängerschaft gilt der Tarifautonomie und der Koalitionsfreiheit, Tarifgemeinschaften zu bilden und in ihnen Lohnuntergrenzen festzulegen. Das vorliegende „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie“ kann diesen Anspruch nur unzureichend erfüllen. Außerdem befürchte ich, dass durch einen allgemeinen Mindestlohn insbesondere im Osten Arbeitsplätze, vor allem die von Geringqualifizierten, vernichtet werden, weil Lohnkostensteigerungen zu 30 Prozent für so manchen Kleinunternehmer oder Handwerker, die bisher auch für einfache Tätigkeiten Menschen statt Maschinen beschäftigt haben, nicht verkraftbar sind. Es sind ja nicht nur die 8,50 Euro pro Stunde pro Arbeitnehmer, es ist ja auch die Verkürzung des Lohnabstandes zu den Fachkräften, die angepasst werden muss, um der höheren Qualifikation Rechnung zu tragen und den Abstand zu den unteren Lohngruppen wiederherzustellen. Der allgemeine Mindestlohn vermindert die Entgeltunterschiede im Betrieb, wenn etwa eine Spülerin in der Restaurantküche genauso viel bekommt, wie eine qualifizierte Servicekraft im Gastraum. Dieser so entstehende „Fahrstuhleffekt“ in den Personalkosten wird die kleinen und mittleren Unternehmen überfordern, was dort, wo es möglich ist, zu Betriebsverlagerung ins kostengünstigere Ausland, zum Wegfall von Arbeitsplätzen oder gar zu Betriebsaufgaben führen kann. Das bedeutet Abbau von Einkommen, Wachstum, Wohlstand und Vielfalt in der nach der Wiedervereinigung mühselig aufgebauten Wirtschaftsstruktur, und zwar zugunsten der großen und zulasten der kleinen Unternehmereinheiten. Da helfen auch kaum die Ausnahmen für Praktikanten, Langzeitarbeitslose, Saisonarbeiter oder die zweijährige Übergangszeit, falls bundesweite Tarifverträge vorliegen, die für allgemeingültig erklärt wurden. Dieses Gesetz beinhaltet das, was nicht sein sollte – einen politischen Mindestlohn. Das zeigt die Ausnahmeregelung für die Zeitungszusteller, die darüber hinaus noch prinzipienlos ist. Übergangszeiten bis 2017 sollte nur bekommen, wer einen oben genannten bundesweiten Tarifvertrag abgeschlossen hat. Die Zeitungsverlage, übrigens ganz überwiegend mit SPD-Beteiligung in Ihren Eigentümerstrukturen, sträuben sich aber gegen den Abschluss eines Tarifvertrages – welche Ironie. Zum „Dank“ bekommen sie eine außertarifliche stufenweise Übergangslösung geschenkt. Die Begründung, die grundgesetzlich verbürgte Pressefreiheit müsse durch Zustellung von Zeitungen, Zeitschriften am Erscheinungstag geschützt werden, ist meines Erachtens fragwürdig. Denn höherrangig ist das Grundgesetz hinsichtlich der Gleichbehandlung: Wenn Zeitungsvertriebe ihren Zustellern die 8,50 Euro erst mit zeitlicher Verzögerung zahlen müssen und dann auch noch ohne die Vorgabe eines Tarifvertrages, fragen sich Arbeitgeber im Gastgewerbe, im Handel oder anderen Gewerken, wie beim Floristen um die Ecke, zu Recht, warum sie das nicht dürfen. Zudem gab es einen Grundkonsens, Übergangsregeln nicht über das Jahr 2017 hinaus gelten zu lassen und dass eben nur mit einem Tarifvertrag vom Mindestlohn abgewichen werden kann. Es hätte mit Sicherheit nicht eines allgemeinen Mindestlohns bedurft, um im Hochlohnland Deutschland diejenigen Unternehmen, die auf Kosten ihrer Mitarbeiter ihre Profitgier ausleben, einzufangen. Auch die ostdeutsche Wirtschaft besteht nicht nur aus Schmutzkonkurrenz mit Hungerlöhnen. Die arbeitsmarktpolitischen Erfolge gingen nur zeitweise einher mit dem Anstieg des Niedriglohnsektors. Der Trend ist seit einigen Jahren gestoppt. Die Zahl der Beschäftigten, die 2011/2012 weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienen, ist um eine halbe Million zurückgegangen. Ursache ist die Tariflohndynamik, die seit 2008 an Fahrt aufgenommen hat und die sich bis dahin noch an der Produktivitätsentwicklung orientiert hat. Der Fachkräftemangel und die demografische Situation kurbeln die Lohnsteigerung zusätzlich an. Viele KMU im Osten leisten für ihre Mitarbeiter inzwischen auch Sonderzahlungen und versuchen, betriebliche Altersversorgungssysteme aufzubauen, um ihre Mitarbeiter zu halten bzw. Fachkräfte anzuwerben. Das alles passiert oftmals in kleinen Schritten entsprechend der wirtschaftlichen Leistungskraft. Diese Entwicklung wird durch das Aufdiktieren eines allgemeinen Mindestlohnes für viele ostdeutsche Unternehmen empfindlich gestört, vor allem in den Branchen, in denen die Lohnsteigerung nicht über höhere Preise auf Kunden abgewälzt werden kann. Im Übrigen dürfte das allgemeine Preisniveau ohnehin steigen, ebenso die Steuerpflicht, sodass der allgemeine Mindestlohn für viele der erwarteten vier Millionen Mindestlohnempfänger ein Nullsummenspiel werden dürfte. Grundsätzlich führt ein Mindestlohn – wie jeder Mindestpreis, der über dem Marktpreis liegt – zu einer geringeren Nachfrage, also weniger Arbeit. So trifft der Mindestlohn Arbeitsplätze, die bisher aus guten Gründen geringer entlohnt werden, entweder wegen fehlender Zahlungsbereitschaft der Kunden oder auch mangelnder Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer. Einige Beschäftigte werden künftig tatsächlich mehr Lohn erhalten, wenn Kunden mehr zahlen oder der Arbeitgeber auf Einkommen verzichtet. Dort, wo das nicht geht, wird der Arbeitsplatz verschwinden. Auch die Ausnahmen für Langzeitarbeitslose, Saisonkräfte, Erntehelfer, Praktikanten oder Zeitungszusteller oder die vorgesehene Mindestlohn-Kommission ändern nichts an der grundsätzlich falschen Richtung einer ausschließlich staatlichen Lohnfestsetzung. Wir haben unsere Wirtschaft und die unter Sozialpartnern autonom vereinbarten Mindestlöhne stabilisiert. Wo das nicht gelingt, greift das Arbeitslosengeld II als Grundsicherung – kein Mindestlohn, aber ein Mindesteinkommen. Viele mögen über die „Aufstocker“ klagen, die Lohn von Arbeitgeber und Jobcenter erhalten. Daran wird allerdings auch der Mindestlohn nicht viel ändern. Der Zuverdienst kann eine Brücke in die Beschäftigung bauen – ein allgemeiner Mindestlohn bricht Brücken ab und gefährdet Beschäftigung ausgerechnet für die schwächsten Glieder am Arbeitsmarkt. Nötig sind stattdessen staatsferne Lösungen, die sicherstellen, dass Tarifverträge nicht von Entscheidungen des Gesetzgebers oder einer Mindestlohn-Kommission verdrängt werden. Entscheidungen der Kommission dürfen keine Präjudizien für künftige Tarifverhandlungen setzen. Das vorliegende Gesetz schwächt und zerstört gewaltsam regionale Tarifstrukturen, weshalb es den Namen „Tarifautonomiestärkungsgesetz“ nicht verdient. Schwierig bleibt auch die Regelung für Jugendliche. Für sie sollte der Mindestlohn nicht schon ab dem 18. Lebensjahr gelten, sondern erst nach abgeschlossener Berufsausbildung oder einem akademischen Abschluss. Dies wäre notwendig gewesen, damit Jugendliche nicht Helferjobs für 8,50 Euro annehmen, statt eine Berufsausbildung zu absolvieren, und sich späterhin in den Reihen der Geringqualifizierten mit geringen Chancen am Arbeitsmarkt wiederzufinden. Mit der vorgesehenen Möglichkeit, Tarifverträge zukünftig einfacher für allgemeinverbindlich zu erklären, wird außerdem die Koalitionsfreiheit, sich zu Tarifgemeinschaften zusammenzuschließen – positive Koalitionsfreiheit – oder eigene Standards zu setzen – negative Koalitionsfreiheit –, eingeschränkt. Allerdings ist auch das eine der kritisch zu bewertenden Festlegungen des Koalitionsvertrages. Zukünftig kann die Bundesarbeitsministerin einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären, wenn ein sogenanntes „öffentliches Interesse“ besteht. Bisher ging das nur, wenn mindestens die Hälfte der Arbeitnehmer einer Branche in tarifgebundenen Betrieben arbeitete. Dadurch wurde verhindert, dass eine Minderheit einer Mehrheit ihren Tarifwillen aufzwingen konnte. Das entfällt zukünftig. Die gesetzliche Ausweitung von Tariflöhnen dürfte deshalb wiederum vor allem kleinere bisher nicht tarifgebundene Firmen Ostdeutschlands treffen, die sich zwar meist an einen Tarifvertrag „anlehnen“, aber beispielsweise bei den Arbeitszeiten eigene Wege gehen. Den kleinen Firmen wird es zukünftig schwerfallen, ihre Interessen ausreichend durchzusetzen. Nicht unerwähnt bleiben dürfen bei dem Mindestlohngesetz deshalb auch der Erfüllungsaufwand von 9,6 Milliarden Euro und die umfangreichen bürokratischen Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten, die der Wirtschaft auferlegt werden – selbst bei der derzeitigen guten Konjunkturlage muss diese Summe erst einmal erwirtschaftet werden –, ganz zu schweigen von den steuerlichen Belastungen, die durch den Bürokratie- und Kontrollaufwand beim Staat zu Buche schlagen. Laut dem Vorsitzenden der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft, Dieter Dewes, werden mindestens 2 100 Stellen erforderlich – 1 600 Stellen hat Bundesfinanzminister Schäuble bereits zugesagt. Bei Arbeitskosten von rund 75 000 Euro je Mitarbeiter wären das zusätzliche Personalkosten von circa 160 Millionen Euro im Jahr. Schätzungsweise steht die Hälfte der benötigten Zollbeamten noch gar nicht auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, weshalb auch noch Ausbildungskosten in Millionenhöhe dazu kommen dürften. Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Ich stehe zum Koalitionsvertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Bedenken, zu. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden, diesen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in vollem Maße. Ich sehe jedoch die Gefahr, dass die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland führen könnte, und ich fürchte, dass der Arbeitsplatzverlust sehr häufig ältere Arbeitnehmer aus dem unterem Lohnbereich mit geringen Lohnersatzleistungsansprüchen und schlechten Vermittlungschancen am Arbeitsmarkt betreffen wird. Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeutschen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor -bestehen erhebliche strukturelle ökonomische Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeutschen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Prozent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich infolge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steigerungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. Andererseits erkenne ich an, dass einigen Forderungen ostdeutscher CDU-Abgeordneter zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Beispiel: Eine rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unverhältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauftragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunternehmer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und für Langzeitarbeitslose. Andere unserer Forderungen konnten leider nicht umgesetzt werden, wie ich erhofft hatte: Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Sicherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des -Arbeitnehmer-Entsendegesetzes; ich erwartete bei der Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. Unsere Forderung nach Altersstaffelung; wir sollten keinen Fehlanreiz für Jugendliche setzen, denn die Bereitschaft junger Menschen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbildung aufzunehmen, darf nicht konterkariert werden, indem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingungen aufzunehmen, daher forderten wir, dass Arbeitsverhältnisse mit jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie in anderen EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich-erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, muss sich in der Praxis noch zeigen. Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Moratorium, das eine Abweichung und Heranführung an den gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der -Tarifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die Produktivität der Arbeitnehmer überforderte. Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Arbeitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber aufgrund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundes-regierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. Klaus Brähmig (CDU/CSU): Ich stehe zum Koalitionsvertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Bedenken, zu. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden, diesen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in vollem Maße. Ich sehe jedoch die Gefahr dass die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland führen könnte. Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeutschen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor bestehen erhebliche strukturelle ökonomische Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeutschen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Prozent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich infolge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steigerungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. Persönlich bedauere ich es sehr, dass die ostdeutschen Ministerpräsidenten es verpasst haben, bereits in den Koalitionsverhandlungen eine Sonderregelung für Ostdeutschland zu verhandeln. Andererseits erkenne ich an, dass einigen meiner Forderungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Beispiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unverhältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauftragten Dienstleistungsuntemehmen und Werkuntemehmer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und für Langzeitarbeitslose. Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht umgesetzt werden: Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Sicherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes; ich erwartete bei der Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche setzen; ich forderte, dass die Bereitschaft junger Menschen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbildung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, indem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingungen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie in anderen EU- Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich-erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, muss sich in der Praxis noch zeigen. Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Moratorium, das eine Abweichung und Heranführung an den gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Tarifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die Produktivität der Arbeitnehmer überforderten. Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Arbeitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber aufgrund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundes-regierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln, wie es in der Beratung des Gesetzes nachweisbar vereinbart wurde. Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Ich stehe zum Koalitionsvertrag und hätte daher dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie gern zugestimmt. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden, diesen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in vollem Maße. Ich sehe dabei jedoch auch die Gefahr, dass die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland führen könnte. Ich hätte das Gesetz für vertretbar gehalten, wenn durch seine Inkraftsetzung weder negative Effekte auf dem Arbeitsmarkt noch im Ausbildungssektor zu erwarten wären. Während eventuell negative Effekte auf den Arbeitsmarkt in der für 2017 vereinbarten Evaluation korrigiert und behoben werden können, gilt dies für den Fehlanreiz junger Menschen zur Aufnahme einer ungelernten Beschäftigung zulasten einer beruflichen Ausbildung nicht in gleicher Weise. Die Einführung des Mindestlohns ab 18 Jahren für Jugendliche ohne abgeschlossene Berufsausbildung ist ein solcher Fehlanreiz, der vor allem Jugendliche, die aus bildungsunerfahrenen Familien stammen, verleiten wird, einen Anlernjob anzunehmen, statt eine berufliche Ausbildung zu durchlaufen. Zwar verdienen sie zunächst etwa das Doppelte wie Auszubildende. Auf ein Erwerbsleben bezogen bekommen sie allerdings rund ein Drittel weniger, und ihr Arbeitslosigkeitsrisiko ist um das Vierfache erhöht. Der durchschnittliche Ausbildungsanfänger ist knapp 20 Jahre alt. Drei Viertel der Jugendlichen, die eine Ausbildung beginnen, sind 18 Jahre und älter. Insgesamt sind schon heute über 300 000 unter 25-Jährige sozialversicherungspflichtig beschäftigt, die sich weder in Ausbildung befinden noch über eine abgeschlossene Ausbildung verfügen. Es kann nicht in unserem Interesse liegen, dass sich diese Zahl erhöht. Das Gesetz wird durch diese Fehlsteuerung die starke duale Ausbildungslandschaft in Deutschland über ein erträgliches Maß hinaus schwächen, und zwar langfristig und voraussichtlich irreparabel. Dies ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondern wird ausdrücklich und einstimmig von den bildungspolitischen Sprechern der CDU/CSU-Landtagsfraktionen geteilt. Die von mir als zuständigem Berichterstatter der Fraktion formulierte Position der AG Bildung, die eine Anhebung der Altersgrenze für Jugendliche ohne Ausbildung im geplanten Mindestlohngesetz für unumgänglich hält bzw. fordert, dass Mindestlohn eine Mindestqualifikation im Sinne einer beruflichen oder akademischen Ausbildung vo-raussetzt, wurde am 4. April 2014 in einer gemeinsamen Sitzung der AG Bildung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit den bildungspolitischen Sprechern der CDU/CSU-Landtagsfraktionen in einer gemeinsamen Erklärung verabschiedet. Der Freistaat Sachsen forderte im Antrag 841. AS / TOP 5 / SN im Deutschen Bundesrat, die Altersgrenze für Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung zumindest auf 25 Jahre anzuheben. Mit dieser Regelung, die einen Kompromiss darstellt, wäre es mir eher möglich gewesen, dem Gesetz zuzustimmen. Leider wurde diesem Punkt nicht stattgegeben. Von vornherein wurde seitens der SPD signalisiert, dass bei der Verschiebung der Altersgrenze oder der von mir in die Diskussion eingebrachten Forderung „Mindestlohn braucht Mindestqualifikation“ keine Gesprächsbereitschaft besteht. Die Bezugnahme des Gesetzentwurfs hinsichtlich der Altersgrenze von 18 Jahren nimmt fälschlicherweise Bezug auf das Jugendarbeitsschutzgesetz. Diese Begründung ist irreführend, hat doch dieses Gesetz eine völlig andere Schutzrichtung. So sollen die dort verankerten Beschäftigungsverbote Gesundheit und Leben der Jugendlichen bei der Arbeit schützen. Damit ist aber nichts über das Alter ausgesagt, das als angemessener Anknüpfungspunkt für eine Lenkung hin zur Aufnahme einer Ausbildung dienen kann. Die Festsetzung der Altersgrenze auf 25 Jahre wäre ein angemessener Kompromiss gewesen, wenn ich auch weiterhin dazu stehe, dass ein mit dem Mindestlohn verbundenes Anreizsystem für das Erreichen einer abgeschlossenen Erstausbildung der bessere Weg ist. In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung wird zur Altersgrenze mit 18 ausgeführt, dass typischerweise von jungen Menschen nach Abschluss der Sekundarstufe I wichtige Weichen für ihren späteren beruflichen Werdegang gestellt werden. Allerdings entspricht es nicht der Lebenswirklichkeit, für die Typisierung auf eine Altersgrenze von 18 Jahren abzustellen. 2013 lag der durchschnittliche Ausbildungsbeginn bereits bei 20,1 Jahren – bei steigender Tendenz. Über die Hälfte der Auszubildenden war beim erfolgreichen Abschluss der Ausbildung älter als 22 Jahre. Typischerweise wird somit die Entscheidung über eine Berufsausbildung aktuell wesentlich später getroffen als mit 18 Jahren. Auch wenn hinsichtlich der Ausnahmetatbestände für Praktikanten und Studenten an den Berufsakademien im vorliegenden Gesetz wesentliche Verbesserungen erreicht wurden, die ich durchaus anerkenne, ist hinsichtlich der Aufhebung oder zumindest der Verschiebung der Altersgrenze von 18 Jahren und einer damit einhergehenden Vorbeugung gegenüber den genannten Fehl-anreizen ein für mich zentraler Punkt im Gesetz nicht geändert worden. Ich kann daher dem Gesetz nicht zustimmen. Mark Hauptmann (CDU/CSU): Heute fand im Deutschen Bundestag die Abstimmung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Tarifautonomie statt. Als Mitglied der Regierungsfraktion stehe ich zum Koalitionsvertrag, in dem der gesetzlich festgeschriebene Mindestlohn vereinbart ist, und stimme dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Bedenken, zu. Persönlich habe ich für das Modell der Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht geworben, mit dem Politiker bewusst auf eine gesetzliche Festschreibung des Mindestlohns verzichten sollten, um die Debatte über eine angemessene Höhe allein in die Hände der Tarifpartner legen zu können. Die Festlegung der Lohnhöhe durch die Tarifpartner hat sich in den vergangenen Jahren für Deutschland bewährt. Die Regelung zum Mindestlohn hingegen wird ihre Tragfähigkeit in den nächsten Jahren erst beweisen müssen. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden, diesen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in vollem Maße. Ich sehe jedoch die Gefahr, dass die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland führen könnte. Nach Informationen, die mir von sehr vielen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor bestehen erhebliche strukturelle ökonomische Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigten sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeutschen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Prozent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich infolge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steigerungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. Andererseits erkenne ich an, dass einigen meiner Forderungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Beispiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unverhältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauftragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunternehmer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und für Langzeitarbeitslose. Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht umgesetzt werden: Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Sicherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Arbeitnehmerentsendegesetzes; ich erwartete bei der Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche setzen; ich forderte, dass die Bereitschaft junger Menschen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbildung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, indem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingungen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie in anderen EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich-erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, muss sich in der Praxis noch zeigen. Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Moratorium, das eine Abweichung und Heranführung an den gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Tarifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie stärkt, wie das der Ge-setzes-titel verheißt. Die geringe Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die Produktivität der Arbeitnehmer überforderte. Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Arbeitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber aufgrund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundesregierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. Uda Heller (CDU/CSU): Ich stehe zum Koalitionsvertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Bedenken, zu. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden, diesen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in vollem Maße. Ich sehe jedoch die Gefahr dass die -Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland führen könnte. Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeutschen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor bestehen erhebliche strukturelle ökonomische Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die -Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeutschen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Prozent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich infolge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steigerungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. Andererseits erkenne ich an, dass einigen meiner -Forderungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Beispiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unverhältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauftragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunternehmer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und für Langzeitarbeitslose, Anrechnung von Kost und Logis bei der Mindestlohnvergütung von Saisonarbeitern in der Landwirtschaft. Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht umgesetzt werden: Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Sicherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes: Ich erwartete bei der Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche setzen: Ich forderte, dass die Bereitschaft junger -Menschen, eine Berufsausbildung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, indem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingungen aufzunehmen. Ich bin der Auffassung, dass jeder Jugendliche nach seinem Schulabschluss eine qualifizierte Berufsausbildung absolvieren sollte. Das Durchschnittsalter bei Ausbildungsbeginn liegt in Deutschland bei 20,1 Jahren. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie in -anderen EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. Darüber hinaus sollte der Mindestlohn auch an eine Mindestanforderung wie eine Berufsausbildung geknüpft werden, um sich von gering qualifizierter Arbeit zu unterscheiden und Anreize für eine abgeschlossene Berufsausbildung zu schaffen. Ob die Neuregelung für eine allgemeinverbindliche Erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, muss sich in der Praxis noch zeigen. Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Moratorium, das eine Abweichung und Heranführung an den gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der -Tarifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die Produktivität der Arbeitnehmer überforderten. Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem -Arbeitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber -aufgrund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundesregierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. Robert Hochbaum (CDU/CSU): Ich spreche mich für den Gesetzentwurf zum Mindestlohn aus. Mögliche Ausnahmen lehne ich jedoch ab, da ich der Überzeugung bin, dass eine Lohnuntergrenze allen Beschäftigten zugutekommen sollte. Ausnahmen zu bestimmten Personengruppen wie beispielsweise Praktikanten oder Zustellern führen lediglich dazu, dass Schlupflöcher – zumindest zeitweise – zur Umgehung der Regelungen genutzt werden. Dem Gesetzentwurf stimme ich zu, denn die Einführung eines Mindestlohnes war für mich schon immer ein wichtiges politisches Ziel. Carsten Körber (CDU/CSU): Ich stehe zum Koalitionsvertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Bedenken, zu. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden, diesen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in vollem Maße. Ich sehe jedoch die Gefahr, dass die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland führen wird. Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeutschen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor bestehen erheblich strukturelle ökonomische Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigten sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeutschen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Prozent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich infolge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steigerungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. Andererseits erkenne ich an, dass einigen meiner Forderungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Beispiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unverhältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauftragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunternehmer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und für Langzeitarbeitslose. Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht umgesetzt werden: Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Sicherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes; ich erwartete bei der Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche setzen; ich forderte, dass die Bereitschaft junger Menschen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbildung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, indem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingungen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie in anderen EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, muss sich in der Praxis noch zeigen. Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Moratorium, das eine Abweichung und Heranführung an den gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Tarifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die Produktivität der Arbeitnehmer überforderten. Sollten sich jedoch bei der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundesregierung negative Effekte auf den Arbeitsmarkt zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. Katharina Landgraf (CDU/CSU): Dem Tarifautonomiestärkungsgesetz mit dem Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns, MiLoG, gebe ich nicht meine Zustimmung. Vorbemerkung: Es ist aus meiner Sicht unbestritten, dass jeder Mensch im erwerbsfähigen Alter durch seine Arbeit in der Lage sein soll, seinen Lebensunterhalt durch einen auskömmlichen Lohn und durch ein entsprechendes Gehalt bei guter Haushaltsführung ohne weitere staatliche Unterstützung zu sichern. In aller Entschiedenheit lehne ich die Zahlung von sittenwidrigen Löhnen ab. Die Entlohnung muss dem Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft entsprechen, Wohlstand für alle anzustreben. Das ist eine im höchsten Maße moralische Frage für die Unternehmerschaft, die sich zu unserem Gesellschaftsbild bekennt und bekennen sollte. Das trifft ebenso auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu, die durch Arbeit ihren Beitrag zur Solidargemeinschaft leisten. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet im Artikel 9 Absatz 3 die Freiheit zum gedeihlichen Miteinander für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes und verbietet in letzter Konsequenz die Einflussnahme des Staates in diese Freiheit, mit der die Tarifautonomie begründet ist. Die Bedeutung dieses Grundpfeilers unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist in den zurückliegenden Jahren vor allem durch Arbeitgeber und durch ihre Organisationen leider stark gemindert worden. Eine falsche Interpretation der Freiwilligkeit zur Tarifpartnerschaft hat den Boden für die Zahlung von sittenwidrigen Löhnen wesentlich bereitet. Wir alle stehen vor der Herausforderung, die per Grundgesetz gesicherte Tarifautonomie in das Bewusstsein der Gesellschaft neu zu implementieren und zu festigen. Mit staatlichem Zwang dies zu erreichen, ist fragwürdig und entspricht schlussendlich nicht dem Geist der sozialen Marktwirtschaft. Ich vertrete jedoch auch die Auffassung, dass bei extremen und die Gesellschaft stark beeinträchtigenden Entwicklungen eine entsprechende Regelungsverantwortung seitens des Gesetzgebers wahrgenommen werden sollte. Entscheidend dabei ist für mich die Verhältnismäßigkeit des Eingriffes des Staates in die Freiheiten der Beteiligten und Betroffenen. Begründung zur Abstimmung: Das vorliegende „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie“ ist darauf gerichtet, allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ungeachtet ihrer Qualifikation und der zu erbringenden Leistung und ohne Berücksichtigung der Wertschöpfung einen Mindestlohn von 8,50 Euro zu sichern. Dieses grundsätzliche Anliegen, auf diese Weise die Zahlung von sittenwidrigen Löhnen ein für alle Mal zu verhindern, ist unbestritten. Der per Gesetz festgelegte Preis einer Arbeitsstunde verletzt allerdings grundlegende ökonomische Gesetze und erinnert an die Staatsplanwirtschaft der DDR und an die damaligen Versuche der absoluten Gleichmacherei. Nicht zustimmungsfähig sind für mich der festgelegte Verfahrensweg und die Tragweite des Gesetzes für die künftige Ausgestaltung der Tarifautonomie und des gesamten Arbeitsrechts und dessen Anwendung bezogen auf alle Arbeitsverhältnisse. Das Gesetz weitet die staatliche Einflussnahme auf das wirtschaftliche Leben in ungebührlicher Weise aus. Völlig unakzeptabel ist, dass in der Begründung im Abschnitt „Reform der Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach dem Tarifvertragsgesetz“ festgestellt wird, dass der Allgemeinverbindlichkeitserklärung gegenüber anderen Tarifverträgen eine „verdrängende Vorrangwirkung“ zukomme. Unklar ist das mehrfach in die gesetzlichen Regelungen eingebrachte Kriterium „wenn es im öffentlichen Interesse steht“. Wer diesen subjektiven Faktor jeweils definiert, wird nicht einmal in Ansätzen erwähnt. Ein solcher Begriff ist dehn- und interpretierbar und schützt nicht vor willkürlichem Gebrauch. Die getroffenen Ausnahmeregelungen tragen den tatsächlichen Verhältnissen vor allem in der Wirtschaft der neuen Bundesländer nicht annähernd Rechnung. Die festgelegten Ausnahmeregelungen beispielsweise für Erntehelfer sind unzureichend und tragen nicht dazu bei, dass die betroffenen Unternehmen ihre wirtschaftliche Existenz sichern können. Mangelhaft ist die lückenhafte Quantifizierung des gesamten Aufwandes in der staatlichen Verwaltung und in der betroffenen Wirtschaft. Das vorliegende Gesetzeswerk trägt insgesamt nicht zum nachhaltigen Bürokratieabbau bei. Der parlamentarische Beratungsprozess wurde nicht mit der erforderlichen Solidität bewältigt. Eine Bearbeitung des Gesetzentwurfes und der eingebrachten Änderungsanträge konnte meinerseits nicht im gebührenden Maße erledigt werden, vor allem auch deshalb, weil die letzten Änderungsanträge erst 24 Stunden vor der 2. und 3. Lesung und Abstimmung in meinem Büro vorlagen. Eine gründliche Befassung war so nicht möglich. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Die Arbeit aller Menschen gilt es wertzuschätzen. Dies soll sich auch in einer dementsprechenden finanziellen Vergütung des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses zeigen. Die Tarifvertragsparteien stehen hierzu in Deutschland in der Verantwortung. Dieses Prinzip hat sich in Deutschland bewährt, deshalb sollte prinzipiell auch daran festgehalten werden. Es gilt die Tarifautonomie dementsprechend zu stärken. Jeder Mensch in Vollzeitbeschäftigung soll auch von seiner Arbeit leben können. Besonders im Bereich der einfachen Tätigkeiten sind die Tarifvertragsparteien oftmals nicht in der Lage, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor unangemessen niedrigen Löhnen zu schützen. Es ist notwendig, von staatlicher Seite Sorge zu tragen, dass dieser Schutz vor unangemessen niedrigen Löhnen auch gewährleistet wird. Dieses Ziel, das durch das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie verfolgt wird, ist zu begrüßen. Allerdings ist es auch notwendig, dass die oft komplexen Lebensrealitäten in einem solchen Gesetz auch dementsprechend abgebildet werden. Es ist deshalb zu begrüßen, dass durch das Hinwirken der Unionsfraktion zahlreiche Ausnahmen in den Gesetzentwurf aufgenommen wurden. Diese spiegeln die Lebenswirklichkeiten im Bereich der Saisonarbeitskräfte und im Bereich der Praktikaregelungen zumindest teilweise wider. Die Regelungen hinsichtlich der Praktika für Studierende sind dahingehend bedenklich, dass ein Praktikum auch zum Erwerb von Erfahrungen, Einblicken und Kompetenzen dient. Die Erwerbstätigkeit steht hier nicht zwangsläufig im Vordergrund. Dies sollte dementsprechend in der gesetzlichen Regelung berücksichtigt werden. Die Ausnahmeregelungen für Pflichtpraktika mit einer Begrenzung auf drei Monate sind dementsprechend zu gering. Gerade im Bereich der geisteswissenschaftlichen Studiengänge wird dies dazu führen, dass Einblicke in die Praxis weniger häufig wahrgenommen werden können. Hinzu kommt, dass die Notwendigkeit, Pflichtpraktika in den Studienordnungen der Hochschulen zu verankern, zu weniger Flexibilität und tendenziell zu längeren Studienzeiten führen kann. Ebenso ist die Altersgrenze von 18 Jahren zu niedrig angesetzt, um gerade für junge Menschen einen Anreiz zu setzen, eine Ausbildung einer Hilfsarbeitertätigkeit vorzuziehen. Ich halte es für bedenklich, dass durch die Überprüfung der neuen Regelungen im Mindestlohnbereich zusätzlich 1 600 Mitarbeiter bei der Zollverwaltung eingestellt werden sollen. Das entspricht einer zusätzlichen Belastung von circa 80 Millionen Euro. Es muss bei der Umsetzung dieses Vorhabens darauf geachtet werden, dass Unternehmer nicht in General-verdacht gestellt werden und sich der Erfüllungsaufwand in Grenzen hält. Auch im Bereich der Saisonarbeitskräfte wurden durch die Haftungsneuregelung, durch die Höchstaufenthaltsdauer in Höhe von 70 Tagen und die Abzugsfähigkeit von Verpflegung und Unterbringung richtig Akzente gesetzt. Im Bereich der Saisonarbeitskräfte ist der Tat-bestand, Menschen vor unangemessen niedrigen Löhnen schützen zu müssen, jedoch nicht in der Art gegeben wie für Inländer. Die Löhne, die während der Zeit der -Saisonarbeit in Deutschland bezahlt werden, sind entsprechend im Herkunftsland auch wesentlich mehr wert, die Kaufkraft, die durch die Erwerbstätigkeit entsteht, im Herkunftsland entsprechend höher. Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Der flächendeckende Mindestlohn mit einer politisch gesetzten Einstiegshöhe stellt einen erheblichen staatlichen Eingriff in die Ökonomie des Arbeitsmarktes dar. Insbesondere die Tatsache, dass der erste Mindestlohn vom Parlament und nicht von den Tarifpartnern festgelegt wird, kommt -einem Systembruch gleich. Es ist offenkundig, dass eine Lohnuntergrenze, die von den Tarifpartnern ausgehandelt wird und regionale sowie branchenspezifische Unterschiede aufgreift, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands weniger stark herausgefordert hätte. Insofern begrüße ich ausdrücklich die im parlamentarischen Verfahren eingebrachten Veränderungen. Insbesondere die ausgehandelte Stärkung der Mindestlohnkommission durch eine laufende Evaluation der Beschäftigungswirkungen auf bestimmte Branchen und Regionen ist ein wichtiger Schritt, um dem Namen des Gesetzes – Tarifautonomiestärkungsgesetz – wenigstens ansatzweise gerecht zu werden. Neben den nachträglich erreichten Verbesserungen in den Bereichen Bürokratie- und Erfüllungsaufwand für den Mittelstand in Deutschland ist dies einer der wesentlichen Punkte, die mir heute eine Zustimmung trotz weiterer Bedenken zum Gesetz möglich machen. Yvonne Magwas (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie und damit dem Mindestlohn zu, denn für mich gilt der Grundsatz „Gutes Geld für gute Arbeit“. Ich sehe jedoch die Gefahr, dass einige wenige Branchen, wie zum Beispiel die Textil- und Bekleidungsindustrie sowie einige Bereiche des Handels, den Mindestlohn von 8,50 Euro aufgrund der Weltmarktsituation und der besonderen Situation vor Ort nicht zahlen können. Nach Informationen, die mir von sehr vielen Unternehmen aus meiner Heimat, dem Vogtland, zugegangen sind, stehen mit der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns Arbeitsplätze auf dem Spiel, da sich die betroffenen Unternehmen hauptsächlich in direkter Konkurrenz zu asiatischen Herstellern behaupten müssen. Die noch in Deutschland produzierenden Textil- und Bekleidungsunternehmen und bestimmte Bereiche des Handels geben oftmals gerade den Menschen Arbeit, die aufgrund ihres Alters oder ihres Wohnortes keine andere Beschäftigung finden. Dazu kommt, dass in einigen Fällen selbst die Inhaber ein Einkommen unterhalb der Mindestlohngrenze erzielen. Ich erwartete, dass für diese oft über Generationen hinweg familiengeführten Unternehmen in strukturschwachen Regionen der Übergang zum Mindestlohn im Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016 abgefedert wird. Dafür sollte die auf den genannten Zeitraum befristete Ausnahmeregelung der Beschäftigten, die unter das Arbeitnehmer-Entsendegesetz fallen, auch auf die Textil- und Bekleidungsindustrie und bestimmte Bereiche des Handels Anwendung finden. Dieses Vorgehen gäbe den Unternehmen die Chance, den Mindestlohn wenigstens schrittweise bis zum 1. Januar 2017 einzuführen und in der gewonnen Zeit die Unternehmen neu aufzustellen. Bei grundsätzlicher Zustimmung zum Mindestlohn scheint es mir nicht ausgeschlossen, dass das Gesetz in der vorliegenden Form zu Betriebsschließungen führt und weitere negativen Auswirkungen für die Menschen gerade in ländlichen Räumen wie meiner vogtländischen Heimat verursacht. Maria Michalk (CDU/CSU): Der Koalitionsvertrag als Handlungsgrundlage für die politische Arbeit in dieser Wahlperiode ist für mich bindend. Gleichwohl habe ich Sorge, dass der flächendeckende Mindestlohn vor allem in Ostdeutschland Arbeitsplätze gefährdet. Grundsätzlich will auch ich Rahmenbedingungen, die Beschäftigten auskömmliche Löhne für ihre Arbeit sichern. Die Praxis mancher Unternehmen, von vornhe-rein mit Lohnkostenzuschüssen und Aufstockerleistungen zu rechnen, ist gerade in Zeiten eines drohenden Fachkräftemangels nicht länger hinnehmbar. Ich werde dem Tarifautonomiestärkungsgesetz zustimmen. Meine Bedenken habe ich an vielen Stellen der parlamentarischen Arbeit angemerkt. So sind im Vergleich zum Gesetzentwurf jetzt erhebliche Klarstellungen erreicht worden. Mir ist wichtig, dass die staatliche Festlegung des Mindestlohns nur einmal am Anfang mit diesem Gesetz geschieht und dann die neu einzusetzende Kommission die Tarifautonomie der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretung entsprechend den wirtschaftlichen Erfordernissen in unserem Land vollzieht. Die geringe Tarifbindung in Ostdeutschland ist historisch keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus Sorge um den Erhalt der Arbeitsplätze. Das muss berücksichtigt werden. Deshalb ist die Evaluation von Anfang an wichtig, um im Gesetz mögliche Korrekturen einzuleiten. Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Bedenken, zu. Ich begrüße sehr, dass viele Beschäftigte von der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden. Sie haben diesen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in vollem Maße verdient. Ich sehe jedoch die Gefahr, dass die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland führen könnte. Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeutschen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor bestehen erhebliche strukturelle ökonomische Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeutschen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Prozent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich infolge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steigerungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. Andererseits erkenne ich an, dass einigen meiner Forderungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Beispiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unverhältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauftragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunternehmer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und für Langzeitarbeitslose, Erhalt der Möglichkeit zur Vereinbarung von Arbeitszeitkonten. Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht umgesetzt werden: Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Sicherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes; ich erwartete bei der Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche setzen; ich forderte, dass die Bereitschaft junger Menschen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbildung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, indem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingungen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie in anderen EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. Keine gesetzliche Klarstellung bei Stücklohnvereinbarungen; ich forderte eine gesetzliche Klarstellung, dass Stücklohnkostenvereinbarungen weiter in den Fällen möglich sind, in denen der am Monatsende ausgezahlte Lohn bei einer „Normalleistung“ des Arbeitnehmers den gesetzlich vorgegebenen Mindestlohn erreicht; die Nicht-Klarstellung dieses Sachverhaltes kann zu Fehlanreizen führen, die im Gegensatz zum Grundsatz einer leistungsorientierten Vergütung stehen. Keine Einschränkung der Dokumentationspflichten; ich forderte die Einschränkung der im Gesetzentwurf enthaltenen umfassenden Dokumentationspflichten, die unnötige Bürokratie verursachen würden. Darunter leiden kleine und mittelständische Unternehmen besonders, insbesondere, weil die Dokumentationspflichten nicht nur den Mindestlohn, sondern alle Lohngruppen umfassen. Gleiches gilt für die umfassenden Aufzeichnungspflichten für geringfügig Beschäftigte. Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, muss sich in der Praxis noch zeigen. Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Moratorium, das eine Abweichung und Heranführung an den gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Tarifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die Produktivität der Arbeitnehmer überforderten. Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Arbeitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber aufgrund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundes-regierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. Martin Patzelt (CDU/CSU): Ich stehe zum Koalitionsvertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Bedenken, zu. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden, diesen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in vollem Maße. Ich sehe jedoch die Gefahr, dass die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland führen könnte. Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeutschen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor bestehen erhebliche strukturelle ökonomische Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeutschen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Prozent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich infolge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steigerungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. Dennoch bin ich zufrieden, dass einigen unserer Forderungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Beispiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unverhältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauftragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunter-nehmer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und für Langzeitarbeitslose. Folgende unserer Forderungen konnten leider nicht umgesetzt werden: Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Sicherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes; wir erwarteten bei der Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche setzen; die Bereitschaft junger Menschen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbildung aufzunehmen, darf nicht konterkariert werden, indem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingungen aufzunehmen; daher sollten Arbeitsverhältnisse mit jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie in anderen EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich-erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, muss sich in der Praxis noch zeigen. Hinzu kommt, dass auch das von unserer Seite in den Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Moratorium, das eine Abweichung und Heranführung an den gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Tarifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die Produktivität der Arbeitnehmer überforderten. Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Arbeitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber aufgrund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundes-regierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. Jana Schimke (CDU/CSU): Als Abgeordnete aus den neuen Bundesländern stehen die Schaffung und -Sicherung von Arbeitsplätzen sowie gute Löhne und -Gehälter im Mittelpunkt meiner Arbeit. Doch was ausgegeben wird, muss auch erwirtschaftet werden. Wir wissen, dass der Osten über eine unterschiedliche Branchen- und Lohnstruktur verfügt, die das, was politisch wünschenswert ist, nicht immer leisten kann. So entspricht der Mindestlohn in den alten Ländern rund 54 Prozent des Medianlohns, was auch im internationalen Vergleich ein üblicher Wert ist. In den neuen Ländern hingegen beträgt er 71 Prozent des Medianlohns. Schon heute ist damit absehbar, dass ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde ab dem 1. Januar 2015 im Osten Arbeitsplätze kosten wird. Die britischen Erfahrungen bei der Einführung des Mindestlohns haben mich nochmals darin bestärkt, dass das deutsche Mindestlohngesetz über drei entscheidende Konstruktionsfehler verfügt: Zunächst galt bei der Einführung des Mindestlohns in England die Prämisse, dass keine Arbeitsplätze verloren gehen. Diese Bedingung zog sich durch alle Entscheidungen, die den Mindestlohn in England betrafen. In Deutschland hingegen wird der Verlust von Arbeitsplätzen jedoch in Kauf genommen, sollten Unternehmen die steigenden Kosten nicht schultern können. Das ist nicht mein Verständnis einer vernünftigen und weitsichtigen Politik. Weiterhin wurde bereits der erstmalige Mindestlohn in England durch die Low Pay Commission auf einem zunächst niedrigen -Niveau festgelegt und damit behutsam eingeführt. In Deutschland hingegen wurde der Mindestlohn politisch festgelegt und damit ohne Berücksichtigung regionaler und gesamtwirtschaftlicher Bedingungen. Schließlich verfügen in der Low Pay Commission Arbeitgeber, -Arbeitnehmer und die Wissenschaft über gleiches Stimmrecht. Beschlüsse werden einstimmig gefasst. Die Wissenschaft als objektive Kontrollinstanz fehlt leider in unserer Mindestlohnkommission. Mein Anspruch ist es, dass sich die Vielfalt unserer Wirtschaft zugunsten von Beschäftigung und zum Wohl der Menschen auch in Gesetzen abbildet. Dies kann ich beim vorliegenden Gesetzentwurf nicht erkennen. Nach gründlicher Abwägung bin ich deshalb zu dem Entschluss gekommen, dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zuzustimmen. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Ich stehe zum Koalitionsvertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur unter Bedenken, zu. Das grundsätzliche Ziel, dass jemand, der Vollzeit arbeitet, damit auch ein Einkommen erwirtschaften können sollte, das über dem Niveau der Grundsicherung liegt, ist richtig. Dies ist letztlich auch eine Frage der Leistungsgerechtigkeit. Der gefundene Kompromiss führt gleichwohl teilweise zu problematischen Effekten. Meine diesbezüglichen Bedenken möchte ich hiermit niederlegen. Insbesondere sehe ich die Gefahr, dass die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland führen könnte. Nach Informationen, die mir von vielen ostdeutschen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor bestehen strukturelle ökonomische Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigten sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger, und die Arbeitslosenquote ist höher als in den westdeutschen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Prozent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich infolge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steigerungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. Andererseits erkenne ich an, dass einigen meiner Forderungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Beispiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unverhältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauftragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunternehmer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und für Langzeitarbeitslose. Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht umgesetzt werden: Keine Verdrängung bestehender Tarifverträgesicherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes: Ich erwarte bei der Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Branchen-ebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. Altersstaffelung – keinen Fehlanreiz für Jugendliche setzen: Ich forderte, dass die Bereitschaft junger Menschen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbildung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, indem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingungen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres oder bis zum Abschluss einer Berufsqualifikation wie in anderen EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich-erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, muss sich in der Praxis noch zeigen. Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Moratorium, das eine Abweichung und Heranführung an den gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der -Tarifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die Produktivität der Arbeitnehmer überforderte. Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem -Arbeitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber aufgrund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundesregierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie“ auf Bundestagsdrucksache 18/1558, über den am Donnerstag, dem 3. Juli 2014 abgestimmt werden wird, stimme ich zu, möchte aber Folgendes dazu erklären: Ich bedaure, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein tiefer Eingriff in eine seit Jahrzehnten gut funktionierende Tarifpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften stattfindet. Meine Bedenken gelten den zu erwartenden Auswirkungen des Gesetzes und wurden in zahlreichen Gesprächen in meinem Wahlkreis von Unternehmern und Beschäftigten der unterschiedlichsten Branchen geteilt. Innerhalb der Koalition sind wir uns dessen bewusst, dass die Tarifautonomie ein sehr hohes Gut und eines der Kernelemente der sozialen Marktwirtschaft ist. Mit der Festsetzung des Mindestlohns durch eine Mindestlohnkommission werden die wichtigen Vereinbarungen zwischen den Tarifpartnern, die branchen- und regionalspezifische Löhne zum Ergebnis hatten, konterkariert und finden nicht mehr statt. Gerade diese Vereinbarungen hatten für uns aber erhebliche positive Auswirkungen in der Bewältigung der Wirtschaftskrise 2008/2009. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes findet eine „Operation am offenen Herzen“ der Sozialen Marktwirtschaft statt, die mich sehr nachdenklich stimmt. Ich hoffe, dass die Mindestlohnkommission negative Entwicklungen und Wettbewerbsverzerrungen erkennt und diesen mit energischen Nachbesserungen des Gesetzes entgegenwirkt. Auch die geringe Anzahl von Personen, die die Mindestlohnkommission bilden, beunruhigt mich. Denn die Befugnisse dieser Personen sind erheblich. Die Befürchtungen eines Teiles der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die vom Mindestlohn betroffenen Arbeitnehmer bleiben aus meiner Sicht weiterhin bestehen. Michael Groß (SPD): Die Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie ist ein großer Schritt für mehr Gerechtigkeit am Arbeitsmarkt. Nach einem langen Weg werden sozialdemokratische Grundsätze umgesetzt. Für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird mehr Einkommensgerechtigkeit hergestellt und der Wert der Arbeit besser vergütet. Auch eine Gerechtigkeitslücke zwischen Ost und West ist damit geschlossen. Ab dem 1. Januar wird mit der Umsetzung des vorliegenden Gesetzes und der Einführung des Mindestlohnes für etwa 3,7 Millionen Menschen das Niedriglohnzeitalter beendet. Ich halte einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn für den richtigen Weg. Dies trifft auch für unter 18-Jährige zu, genau wie für Langzeitarbeitslose. Bei der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro je Stunde müssen ausnahmslos alle profitieren. Ausnahmen wirken meiner Meinung nach diskriminierend und bergen die Gefahr neuer Geschäftsmodelle im Niedriglohnsektor. Ausnahmen vom Mindestlohn widersprechen der Intention und dem Ziel des Mindestlohns selbst. In der Abwägung der Argumente und politischen Durchsetzungsfähigkeit werde ich dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zustimmen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Inge Höger und Ulla Jelpke (beide DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 4 a) Echter Mindestlohn statt schwarz-rote Mogelpackung: Dem Mindestlohngesetz von Union und SPD können wir nicht zustimmen. Die Linke tritt seit ihrer Gründung für einen existenzsichernden und flächendeckenden Mindestlohn ein. Das, was die Bundesregierung hier vorlegt, ist weder existenzsichernd noch flächendeckend. Die Mindestlohnhöhe von 8,50 Euro unterschreitet die Armutsgrenze – Existenzsicherung sieht anders aus. Etwa jeder sechste Deutsche lebt heute am Rande der Armutsgrenze. Die 8,50 Euro der Koalition schaffen dagegen keine Abhilfe. Noch schlimmer ist, dass bestimmte Gruppen noch schlechtergestellt werden sollen: Die Ausnahmen für Tarifgebundene und die willkürlichen Sonderregelungen für Minderjährige, Langzeiterwerbslose, Praktikantinnen und Praktikanten, Zeitungszustellerinnen und -zusteller und Saisonarbeiterinnen und -arbeiter öffnen einer weiteren Unterbezahlung Tor und Tür. Wir stehen weiterhin zu den Forderungen des Linke-Bundestagswahlprogrammes: Wir brauchen sofort einen Mindestlohn für alle in Höhe von 10 Euro. Bis spätestens 2017 sollte er auf 12 Euro angehoben werden. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrike Bahr, Klaus Barthel, Dr. Matthias Bartke, Bärbel Bas, Dr. Karl-Heinz Brunner, Marco Bülow, Dr. Lars Castellucci, Petra Crone, Sabine Dittmar, Michael Gerdes, Martin Gerster, Michael Groß, Dr. Ute Finckh-Krämer, Bettina Hagedorn, Ulrich Hampel, Gabriela Heinrich, Gabriele Hiller-Ohm, Frank Junge, Josip Juratovic, Ralf Kapschack, Gabriele Katzmarek, Cansel Kiziltepe, Daniela Kolbe, Steffen-Claudio Lemme, Hiltrud Lotze, Kirsten Lühmann, Hilde Mattheis, Klaus Mindrup, Markus Paschke, Dr. Simone Raatz, Gerold Reichenbach, Andreas Rimkus, Annette Sawade, Dr. Dorothee Schlegel, Ewald Schurer, Stefan Schwartze, Ursula Schulte, Norbert Spinrath, Martina Stamm-Fibich, Kerstin Tack, Bernd Westphal, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und Gülistan Yüksel (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungspunkt 6 b) In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD-Bundestagsfraktion unter anderem mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ – Drucksache 17/1769 – klar für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. Und auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 ist diese Position ebenso klar formuliert worden: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür tritt die SPD auch inhaltlich weiterhin ein. Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vereinbart werden konnte und in der aktuellen Regierungskoalition daher derzeit leider keine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden ist. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten jedoch viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung, wozu auch die sachgrundlose Befristung zählt, wirken werden. Beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert bzw. wird gegen deren Missbrauch vorgegangen. Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Daher werden wir dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wird aber auch weiterhin unser erklärtes politisches Ziel bleiben, wofür wir uns auch zukünftig einsetzen werden. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kerstin Griese und Dr. Martin Rosemann (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion Die Linke eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungspunkt 6 b) In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD-Bundestagsfraktion unter anderem mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ – Drucksache 17/1769 – für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. Auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 ist diese Position formuliert worden: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür tritt die SPD auch inhaltlich weiterhin ein. Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vereinbart werden konnte und in der aktuellen Regierungskoalition daher derzeit leider keine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden ist. Dies ist umso bedauerlicher, als in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke deutlich wurde, dass die 14 möglichen Sachgründe alle von den Arbeitgebern vorgebrachten Gründe für Befristungen abdecken. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten jedoch viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung wirken werden: beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert bzw. wird gegen deren Missbrauch vorgegangen. Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Daher werden wir dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungspunkt 6 b) In der vergangenen Legislaturperiode hat sich die SPD-Bundestagsfraktion unter anderem mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ – Drucksache 17/1769 – für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. Und auch im SPD-Regierungsprogramm 2013 bis 2017 zur Bundestagswahl 2013 ist diese Position klar formuliert: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Würde die SPD Fraktion im Bundestag eine Mehrheit haben, wäre dies bereits gesetzlich geregelt. In den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU konnte die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung nicht vereinbart werden, sodass in der aktuellen Regierungskoalition derzeit keine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden ist. Das ist ärgerlich, aber dem Kompromiss in der Koalition geschuldet. Über andere Ziele wurde sehr erfolgreich verhandelt: Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung, wozu auch die sachgrundlose Befristung zählt, wirken werden: beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert bzw. gegen deren Missbrauch vorgegangen. Das sind große Erfolge – und so wie ich von der CDU/CSU-Fraktion erwarte, dass für sie schwierige Punkte aus dem Koalitionsvertrag mitgetragen werden, werde ich auch den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke „Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung“ ablehnen. Und die Linke verhält sich in Koalitionen ebenso – andernfalls würde die Linke einen Vertragsbruch an den anderen reihen. Und da die Fraktion Die Linke diesen Sachverhalt kennt, ist es ein durchschaubares Manöver, mich in die Position zu drängen, anders abstimmen zu müssen, als ich es bei entsprechenden Mehrheiten tun würde. Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD darauf verständigt, dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linken nicht zuzustimmen. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wird gleichwohl auch weiterhin eines meiner politischen Ziele bleiben. Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) zur Abstimmung über die dritte Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 (Tagesordnungspunkt 33 k) Ich stimme der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu, die aus den Anlagen ersichtlichen Beschlussempfehlungen zu den Wahleinsprüchen anzunehmen und damit alle betroffenen Wahleinsprüche zurückzuweisen. Ich stimme dem hier im Plenum zu, habe mich im Wahlprüfungsausschuss als Vertreterin der Fraktion Die Linke jedoch bei den Abstimmungen über die Zurückweisung derjenigen Wahleinsprüche, die sich allein gegen die 5-Prozent-Sperrklausel bei der Bundestagswahl richten, enthalten. Mein Abstimmungsverhalten begründe ich wie folgt: Die 5-Prozent-Sperrklausel bei der Bundestagswahl begegnet meines Erachtens nicht nur verfassungspolitischen, sondern auch verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen in der Bundesrepublik nicht haltbar. Wie das Bundesverfassungsgericht über die 5-Prozent-Sperrklausel zukünftig entscheidet, können wir nicht genau wissen. Es hat zwar zuletzt in der Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit der 3-Prozent-Hürde bei der Europawahl an seiner ständigen Rechtsprechung zu den Sperrklauseln festgehalten. Aber es hatte die Frage der Sperrklausel für die Bundestagswahl gar nicht zu entscheiden. Die Auffassung des Wahlprüfungsausschusses, dass die 5-Prozent-Sperrklausel bei der Bundestagswahl verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, teile ich nicht. Um dies zu verdeutlichen, habe ich mich dort enthalten. Aus meiner Sicht ist es ohnehin schon gar nicht erforderlich, Parteien von der Sitzverteilung im Bundestag auszuschließen, um dessen Aufgabenerfüllung, also die Fähigkeit zur Regierungsbildung und seine Funktionsfähigkeit als Gesetzgeber, zu sichern. Demokratie setzt doch das Aufeinandertreffen verschiedener Positionen und das Finden von Kompromissen gerade voraus. Warum dies allein deshalb nicht möglich sein soll, wenn sogenannte Splitterparteien einziehen, ist schon theoretisch für mich nicht nachvollziehbar. Aber auch rein tatsächlich sind von der Sperrklausel aufgrund deren Höhe ja auch Parteien mit beachtlicher Größe – 4,8 und 4,7 Prozent der Zweitstimmen bei der Bundestagswahl 2013 – betroffen. Würde der Einzug solcher Parteien eine Funktionsunfähigkeit des Parlaments bewirken? Der Akt der Wahl ist der wichtigste Integrationsvorgang in der Demokratie. Dies ist aus meiner Sicht gefährdet, wenn über 15 Prozent der Stimmen der Wahlbevölkerung sich nicht im Parlament wiederfinden. Das lässt an der Verhältnismäßigkeit der Sperrklausel zweifeln. Es sind mittlerweile Zweitstimmen in einer Größenordnung betroffen, die einen ganz erheblichen Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit und die Chancengleichheit der Parteien bedeuten. Und dass dies das Bundesverfassungsgericht nicht in die Abwägung einstellt, halte ich nicht für sehr wahrscheinlich. Damit abzuwägen ist die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments, die angeblich durch die Sperrklausel erfolgt. Die Sperrklausel führt dazu, dass gewichtige Anliegen der Bevölkerung von der Volksvertretung ausgeschlossen werden. Das schadet der Demokratie. Zu bedenken ist auch der – allerdings vom Gesetzgeber bisher erwünschte – Effekt, dass Wählerinnen und Wähler den kleinen und vor allem neuen Parteien ihre Stimme -deshalb nicht geben, weil sie um deren Überwindung der 5-Prozent-Klausel fürchten (müssen). Das erschwert insbesondere neuen Parteien den Einzug in den Bundestag. Eine gewisse Hürde, in den Bundestag zu kommen, liegt doch ohnehin schließlich in der „natürlichen“ Sperrklausel, die darin liegt, dass die jeweils notwendige Anzahl von Stimmen für einen Bundestagssitz zu erringen ist. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass es sich bei der Sperrklausel auch um eine Gesetzgebung in eigener Sache handelt; das Bundesverfassungsgericht berücksichtigt auch diesen Umstand. Die aufgezählten Gründe sprechen dagegen, dass die Sperrklausel verfassungsrechtlich wirklich unbedenklich ist, wie es vom Wahlprüfungsausschuss dargestellt wird. Im Ergebnis ist es aber dennoch vertretbar, wenn der Bundestag die Wahleinsprüche zurückweist, da die einfachgesetzlichen Wahlvorschriften ordnungsgemäß und nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch verfassungsgemäß angewendet worden sind. Damit wird im Ergebnis die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Sperrklausel im geltenden Wahlrecht – wie in ständiger Praxis im Rahmen der Wahlprüfung üblich – dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Für die Änderung der Rechtslage ist der Bundestag in seiner Eigenschaft als Gesetzgeber, nicht im Rahmen der Wahlprüfung gefragt. Festzuhalten ist: Jenseits der Wahlprüfung kann der Bundestag als Gesetzgeber seine Verantwortung für verfassungskonforme Gesetze nicht zurückweisen. Der Bundestag muss daher – wie es die Fraktion Die Linke zuletzt in der 17.Wahlperiode (Bundestagsdrucksache 17/5896) mit vielen überzeugenden historischen, systematischen und demokratietheoretischen Gründen gefordert hat – die Sperrklausel im Wahlrecht abschaffen. Das stärkt die Demokratie. Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrike Bahr, Marco Bülow, Petra Crone, Dr. Daniela De Ridder, Dr. Karamba Diaby, Petra Ernstberger, Saskia Esken, Elke Ferner, Christian Flisek, Kerstin Griese, Gabriele Groneberg, Josip Juratovic, Christina Kampmann, Steffen-Claudio Lemme, Caren Marks, Katja Mast, Klaus Mindrup, Ulli Nissen, Dr. Simone Raatz, Andreas Rimkus, Sönke Rix, Johann Saathoff, Dagmar Schmidt (Wetzlar), Ursula Schulte, Svenja Stadler, Sonja Steffen und Gülistan Yüksel (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines -Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer (Zusatztagesordnungspunkt 6 a) Mit diesem Gesetz sollen zwei verschiedene Punkte geregelt werden. Wir begrüßen ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und für geduldete Ausländerinnen und Ausländer nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird. Damit wird den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, ermöglicht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und durch Erwerbsarbeit ihre Integration zu erleichtern. Den zweiten in diesem Gesetz vorgeschlagenen Punkt, die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, sehen wir problematisch. Zum einen halten wir es angesichts der Erfahrungen besonders der Gruppe der Roma in diesen Ländern für nicht gesichert, dass sie dort nicht weiter Diskriminierung, sogar Verfolgung und Gewalt ausgesetzt sind. Für die Roma in diesen Ländern, aber auch in den südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, muss endlich eine nachhaltige und langfristig wirksame Möglichkeit gefunden werden, dass Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung überwunden werden, dass sie Zugang zu Bildung, Wohnen, Gesundheitsleistungen und Erwerbsarbeit erhalten und dass ihre Fluchtursachen in den Herkunftsländern wirksam bekämpft werden. Solange das nicht der Fall ist, bleibt der Wunsch von Familien bestehen, aus bitterer Armut und Not nach Deutschland zu fliehen. Wir haben außerdem aus grundsätzlichen Gründen Probleme mit der Ausweitung des Systems sicherer Herkunftsstaaten. Das Recht auf Asyl ist ein individuelles Recht, das eine Einzelfallprüfung zwingend verlangt. Dieses Recht sollte unseres Erachtens nicht eingeschränkt werden. Auch wenn die Anerkennungsquote von Flüchtlingen aus den im Gesetz genannten Ländern sehr gering ist, verdient jeder Einzelfall Beachtung. Wir sind besorgt, dass mit der Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten eine falsche Richtung eingeschlagen wird. Stattdessen brauchen wir eine europäische Flüchtlingspolitik, die legale Einwanderung ermöglicht und die die Flüchtlinge innerhalb Europas verteilt. Die Erfahrung zeigt, dass unser Land von Zuwanderung profitiert und dass die weitaus größte Zahl der Zuwandernden in Deutschland Arbeit findet. In dieser Diskussion muss darauf hingewiesen werden, dass Deutschland zwar in absoluten Zahlen die meisten Flüchtlinge in Europa aufnimmt, im Vergleich zur Bevölkerungszahl kommen aber mehr Flüchtlinge in die EU-Staaten Schweden, Malta, Österreich, Luxemburg, Ungarn, Belgien sowie in die europäischen Länder Norwegen und die Schweiz – Zahlen aus 2013. Deshalb geht es um eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa und nicht um Ängste vor zu hohen Flüchtlingszahlen. Den Großstädten in Deutschland, die besondere Probleme haben, müssen wir helfen, damit sie Möglichkeiten der Unterbringung und der medizinischen Versorgung zur Verfügung stellen können. Mit dieser persönlichen Erklärung bringen wir unsere Kritik an der Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten zum Ausdruck. Dem Gesetz werden wir aufgrund der Koalitionsvereinbarung und wegen seiner Regelungen zum Arbeitsmarktzugang zustimmen. Anlage 13 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf -eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer (Zusatztagesordnungspunkt 6 a) Heike Baehrens (SPD): Mit diesem Gesetz werden zwei verschiedene Punkte geregelt. Ich begrüße ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und für geduldete Ausländerinnen und Ausländer nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird. Damit wird den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, ermöglicht, ihren -Lebensunterhalt zu verdienen und durch Erwerbsarbeit ihre Integration zu erleichtern. Den zweiten in diesem Gesetz vorgeschlagenen Punkt, die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, sehe ich als problematisch an. Zum einen halte ich es angesichts der Erfahrungen besonders der Gruppe der Roma in diesen Ländern für nicht gesichert, dass sie dort nicht weiter Diskriminierung, sogar Verfolgung und Gewalt ausgesetzt sind. Für die Roma in diesen Ländern, aber auch in den südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, muss endlich eine nachhaltige und langfristig wirksame Möglichkeit gefunden werden, um Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung zu überwinden, ihnen Zugang zu Bildung, Wohnen, Gesundheitsleistungen und Erwerbs-arbeit zu ermöglichen und ihre Fluchtursachen in den Herkunftsländern wirksam zu bekämpfen. Solange das nicht der Fall ist, bleibt der Wunsch von Familien bestehen, aus bitterer Armut und Not nach Deutschland zu fliehen. Ich habe außerdem aus grundsätzlicher Überzeugung Probleme mit der Ausweitung des Systems sicherer Herkunftsstaaten. Das Recht auf Asyl ist ein individuelles Recht, das eine Einzelfallprüfung zwingend verlangt. Dieses Recht sollte meines Erachtens nicht eingeschränkt werden. Auch wenn die Anerkennungsquote von Flüchtlingen aus den im Gesetz genannten Ländern sehr gering ist, verdient jeder Einzelfall Beachtung. Ich bin besorgt, dass mit der Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten eine falsche Richtung eingeschlagen wird. Stattdessen brauchen wir eine europäische Flüchtlingspolitik, die legale Einwanderung ermöglicht und die die Flüchtlinge innerhalb Europas verteilt. Die Erfahrung zeigt, dass unser Land von Zuwanderung profitiert und dass die weitaus größte Zahl der Zuwandernden in Deutschland Arbeit findet. Mit dieser persönlichen Erklärung bringe ich meine Kritik an der Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten zum Ausdruck. Dem Gesetz werde ich aufgrund der Koalitionsvereinbarung und wegen seiner Regelungen zum Arbeitsmarktzugang zustimmen. Bärbel Bas (SPD): Mit diesem Gesetz sollen zwei verschiedene Punkte geregelt werden. Ich begrüße ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und für geduldete Ausländerinnen und Ausländer nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird. Damit wird den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, ermöglicht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und durch Erwerbsarbeit ihre Integration zu erleichtern. Den zweiten in diesem Gesetz vorgeschlagenen Punkt, die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, sehe ich problematisch. Zum einen halte ich es angesichts der Erfahrungen besonders der Gruppe der Roma in diesen Ländern für nicht gesichert, dass sie dort nicht weiter Diskriminierung, sogar Verfolgung und Gewalt ausgesetzt sind. Für die Roma in diesen Ländern, aber auch in den südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, muss endlich eine nachhaltige und langfristig wirksame Möglichkeit gefunden werden, dass Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung überwunden werden, dass sie Zugang zu Bildung, Wohnen, Gesundheitsleistungen und Erwerbsarbeit erhalten und dass ihre Fluchtursachen in den Herkunftsländern wirksam bekämpft werden. Solange das nicht der Fall ist, bleibt der Wunsch von Familien bestehen, aus bitterer Armut und Not nach Deutschland zu fliehen. Ich habe außerdem aus grundsätzlichen Gründen Probleme mit der Ausweitung des Systems sicherer Herkunftsstaaten. Das Recht auf Asyl ist ein individuelles Recht, das eine Einzelfallprüfung zwingend verlangt. Dieses Recht sollte meines Erachtens nicht eingeschränkt werden. Auch wenn die Anerkennungsquote von Flüchtlingen aus den im Gesetz genannten Ländern sehr gering ist, verdient jeder Einzelfall Beachtung. Ich bin besorgt, dass mit der Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten eine falsche Richtung eingeschlagen wird. Stattdessen brauchen wir eine europäische Flüchtlingspolitik, die legale Einwanderung ermöglicht und die die Flüchtlinge innerhalb Europas verteilt. Die Erfahrung zeigt, dass unser Land von Zuwanderung profitiert und dass die weitaus größte Zahl der Zuwandernden in Deutschland Arbeit findet. In dieser Diskussion muss darauf hingewiesen werden, dass Deutschland zwar in absoluten Zahlen die meisten Flüchtlinge in Europa aufnimmt, im Vergleich zur Bevölkerungszahl kommen aber mehr Flüchtlinge in die EU-Staaten Schweden, Malta, Österreich, Luxemburg, Ungarn, Belgien sowie in die europäischen Länder Norwegen und die Schweiz (Zahlen aus 2013). Deshalb geht es um eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa und nicht um Ängste vor zu hohen Flüchtlingszahlen. Den Großstädten in Deutschland, die besondere Probleme haben, müssen wir helfen, damit sie Möglichkeiten der Unterbringung und der medizinischen Versorgung zur Verfügung stellen können. Städte wie Duisburg, die bereits eine starke Zuwanderung aus Südosteuropa bewältigen, stoßen schon jetzt an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit. Mit dieser persönlichen Erklärung bringe ich meine Kritik an der Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten zum Ausdruck. Dem Gesetz werde ich aufgrund der Koalitionsvereinbarung und wegen seiner Regelungen zum Arbeitsmarktzugang zustimmen. Karl-Heinz Brunner (SPD): Mit diesem Gesetz sollen zwei verschiedene Punkte geregelt werden. Ich begrüße ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und für geduldete Ausländerinnen und Ausländer nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird. Damit wird den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, ermöglicht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und durch Erwerbsarbeit ihre Integration zu erleichtern. Den zweiten, in diesem Gesetz vorgeschlagenen Punkt, die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, sehe ich problematisch. So halte ich es für nicht gesichert, dass Roma dort nicht weiter Diskriminierung, Verfolgung und Gewalt ausgesetzt werden. Zum anderen besteht weiterhin ein hoher Grad an Diskriminierung und Gewaltbereitschaft gegenüber homo-, bi-, trans- oder intersexuellen Menschen auf dem Westbalkan. Paraden werden teilweise verboten, die Justiz unternimmt wenig, um vor gewaltsamen Übergriffen zu schützen, Menschenrechte werden allein durch die sexuelle Identität infrage gestellt. Solange dies der Fall ist, bleibt der Wunsch vieler Menschen, nach Deutschland zu fliehen, verständlich. Mit dieser persönlichen Erklärung bringe ich meine Sorge an der Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten zum Ausdruck. Dem Gesetz werde ich aufgrund der Koalitionsvereinbarung und wegen seiner Regelungen zum Arbeitsmarktzugang zustimmen. Dr. Lars Castellucci (SPD): Mit diesem Gesetz sollen zwei verschiedene Punkte geregelt werden. Ich begrüße ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und für geduldete Ausländerinnen und Ausländer der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird. Die Wartefrist beträgt künftig drei statt zwölf Monate Aufenthalt in Deutschland. Damit werden mehr Betroffene ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise selbst erwirtschaften können, sinnvoll beschäftigt und besser integriert sein; es wird den Fachkräftebedarf sichern helfen, und es wird die Abhängigkeit von Sozialleistungen mindern und damit Haushaltsmittel einsparen. Gleichzeitig bleibt die Vorrangprüfung zugunsten hier ansässiger Arbeitskräfte bestehen. Es wird folglich zu evaluieren sein, wie viel sich in der Realität tatsächlich ändert. Der wesentlichere Punkt in diesem Gesetz ist die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Serbien und EJR Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten. Dieses Vorhaben ist bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben worden. Ich halte es im Wortsinn für grundsätzlich problematisch. Man macht ein Grundrecht nicht besser, indem man es einschränkt. Das Recht auf Asyl ist ein individuelles Recht, das eine Einzelfallprüfung zwingend verlangt. Dies gilt auch, wenn die Anerkennungsquote von Flüchtlingen aus den im Gesetz genannten Ländern sehr gering ist. Die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten ist keine Antwort auf die drängenden Fragen von Migration und Flucht. Stattdessen brauchen wir eine europäische Flüchtlingspolitik, die unter anderem auch legale Einwanderung ermöglicht, die Flüchtlinge innerhalb Europas gerechter verteilt und Fluchtursachen bekämpft, nicht Flüchtlinge. In dieser Diskussion muss auch darauf hingewiesen werden, dass Deutschland zwar in absoluten Zahlen die meisten Flüchtlinge in Europa aufnimmt, im Vergleich zur Bevölkerungszahl aber hinter Schweden, Malta, Österreich, Luxemburg, Ungarn, Belgien, Norwegen und der Schweiz liegt – Zahlen aus 2013. Die Zahl der Asylanträge liegt meilenweit entfernt von den Zahlen zu Beginn der 1990er-Jahre. Gleichzeitig sehen wir weltweit Höchststände bei Flucht und Migration. Deutschland hat historisch begründet eine besondere Verantwortung zu helfen, und Deutschland kann als wirtschaftlich starkes Land auch helfen. Die Großstädte in Deutschland, die besondere Probleme haben, müssen wir unterstützen, damit sie Möglichkeiten der Unterbringung und der medizinischen Versorgung zur Verfügung stellen können. Gleichzeitig können die Probleme der Welt nicht in Deutschland und auch nicht in Europa alleine gelöst werden. Das Asylrecht ist nicht dazu geeignet oder bestimmt, Migration aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen zu steuern. Auch Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsländern werden einzelfallgeprüft, wenn auch in einem verkürzten Verfahren. Schon heute beträgt die Schutzquote für Antragstellende der drei genannten Staaten nicht mehr als 0,5 Prozent. Dabei vertraue ich der Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, deren Arbeit nicht auf Abwehr zielt, sondern darauf, die wirklich Schutzbedürftigen zu schützen. Vor diesem Hintergrund hoffe ich, dass die frei werdenden Ressourcen zu kürzeren Bearbeitungszeiten führen, die dann beispielsweise den Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien zugutekommen. Schließlich sollte die Bundesregierung gemeinsam mit der Europäischen Kommission in den laufenden Beitrittsverhandlungen mit EJR Mazedonien und Serbien sowie über den Kandidatenstatus Bosniens und Herzegowinas insbesondere mit Blick auf die zu verhandelnden Kapitel 23 – Judikative und Grundrechte – und 24 – Justiz, Freiheit und Sicherheit – der Verhandlungsagenda nachdrücklich vermitteln, dass die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten nicht bedeutet, dass diese Staaten den Besitzstand der Europäischen Union in diesen wichtigen Bereichen bereits erfüllen. Ein Koalitionsvertrag enthält meist auch Zumutungen für beide Seiten. Wir können als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch viel Gutes erreichen für ein vorurteilsfreieres Miteinander aller hier Lebenden und für mehr Humanität gegenüber denen, die zu uns kommen wollen. Dies kommt auch in dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Ausdruck, dem ich mit diesen Ausführungen heute zustimmen werde. Mechthild Rawert (SPD): Die Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und für geduldete Ausländerinnen und Ausländer wird in Zukunft bereits nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland gewährt. Diese neue Regelung im Gesetz begrüße ich nachdrücklich. Sie erleichtert den Zugang zum Arbeitsmarkt und ermöglicht nach Deutschland geflohenen Menschen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und durch Erwerbsarbeit ihre Integration zu beschleunigen. Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien sollen nun gemäß Unionswunsch asylrechtlich als sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Sichere Herkunftstaaten sind nach dem Asylverfahrensgesetz Staaten, bei denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse die gesetzliche Vermutung besteht, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet (§ 29 a AsylVfG). Mazedonien beispielsweise ist aber zerrissen von nationalen Konflikten, Gewerkschaften können nicht frei agieren, die Meinungs- und Pressefreiheit wird eingeschränkt. Diese Fluchtursachen in den Herkunftsländern von nach Deutschland kommenden Flüchtlingen, zum Beispiel Roma, sind wirksam zu bekämpfen. Es bestand der Eindruck, dass das Ziel der Ausweitung des Prinzips der „sicheren Herkunftsstaaten“ die Einschränkung des Asylrechts ist. Das Asylrecht fordert, den individuellen Asylgründen gerecht zu werden. Hierzu ist jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig. Dieses Recht darf nicht eingeschränkt werden. Dies gilt auch für die Gruppe der Roma. Mir ist bekannt, dass die Anerkennungsquote von Flüchtlingen aus den im Gesetz genannten Ländern sehr gering ist. Aber jeder Einzelfall verdient gebührende Beachtung. Ich kritisiere die Ausweitung der „sicheren Herkunftsstaaten“. Dem Gesetz stimme ich wegen der hohen Beteiligung der SPD-Mitglieder beim Mitgliedervotum (knapp 78 Prozent) und ihrer hohen Zustimmung (76 Prozent) zur Koalitionsvereinbarung und insbesondere wegen seiner Regelungen zum Arbeitsmarktzugang zu. Dr. Martin Rosemann (SPD): Mit diesem Gesetz sollen zwei verschiedene Punkte geregelt werden, die in keinem Sachzusammenhang stehen. Ich begrüße ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und für geduldete Ausländerinnen und Ausländer nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland der -Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird. Damit wird den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, ermöglicht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und durch Erwerbsarbeit ihre Integration zu erleichtern. Den zweiten in diesem Gesetz geregelten Punkt, die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Serbien und -Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, sehe ich problematisch. Zum einen halte ich es angesichts der Erfahrungen besonders der Gruppe der Roma in diesen Ländern für nicht gesichert, dass sie dort nicht weiter Diskriminierung, sogar Verfolgung und Gewalt ausgesetzt sind. Für die Roma in diesen Ländern, aber auch in den südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, muss endlich eine nachhaltige und langfristig wirksame Möglichkeit -gefunden werden, dass Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung überwunden werden, dass sie Zugang zu Bildung, Wohnen, Gesundheitsleistungen und Erwerbsarbeit erhalten und dass ihre Fluchtursachen in den Herkunftsländern wirksam bekämpft werden. Zum anderen bin ich besorgt, dass mit der Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten generell eine falsche Richtung eingeschlagen wird. Stattdessen brauchen wir eine europäische Flüchtlingspolitik, die legale Einwanderung ermöglicht und die die Flüchtlinge innerhalb Europas gerecht verteilt. Die Erfahrung zeigt, dass unser Land von Zuwanderung profitiert und dass die weitaus größte Zahl der Zuwandernden in Deutschland Arbeit findet. In dieser Diskussion muss darauf hingewiesen werden, dass Deutschland zwar in absoluten Zahlen die meisten Flüchtlinge in Europa aufnimmt, im Vergleich zur Bevölkerungszahl kommen aber mehr Flüchtlinge in die EU-Staaten Schweden, Malta, Österreich, Luxemburg, Ungarn, Belgien sowie in die europäischen Länder Norwegen und die Schweiz – Zahlen aus 2013. Deshalb geht es um eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa und nicht um Ängste vor zu hohen Flüchtlingszahlen. Den Großstädten in Deutschland, die besondere Probleme haben, müssen wir helfen, damit sie Möglichkeiten der Unterbringung und der medizinischen Versorgung zur Verfügung stellen können. Dem Gesetz werde ich aufgrund des aus meiner Sicht für die Integration von Flüchtlingen zentralen verbesserten Arbeitsmarktzugangs zustimmen. Susann Rüthrich (SPD): Mit diesem Gesetz sollen zwei verschiedene Punkte geregelt werden. Ich begrüße ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und für geduldete Ausländerinnen und Ausländer nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird. Damit wird den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, ermöglicht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und durch Erwerbsarbeit ihre Integration zu erleichtern. Den zweiten in diesem Gesetz vorgeschlagenen Punkt, die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, sehe ich problematisch. Zum einen halte ich es angesichts der Erfahrungen besonders der Gruppe der Roma in diesen Ländern für nicht gesichert, dass sie dort nicht weiter Diskriminierung, sogar Verfolgung und Gewalt ausgesetzt sind. Für die Roma in diesen Ländern, aber auch in den südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, muss endlich eine nachhaltige und langfristig wirksame Möglichkeit gefunden werden, dass Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung überwunden werden, dass sie Zugang zu Bildung, Wohnen, Gesundheitsleistungen und Erwerbsarbeit erhalten und dass ihre Fluchtursachen in den Herkunftsländern wirksam bekämpft werden. Solange das nicht der Fall ist, bleibt der Wunsch von Familien bestehen, aus bitterer Armut und Not nach Deutschland zu fliehen. Ich habe außerdem aus grundsätzlichen Gründen Probleme mit der Ausweitung des Systems sicherer Herkunftsstaaten. Das Recht auf Asyl ist ein individuelles Recht, das eine Einzelfallprüfung zwingend verlangt. Dieses Recht sollte meines Erachtens nicht eingeschränkt werden. Auch wenn die Anerkennungsquote von Flüchtlingen aus den im Gesetz genannten Ländern sehr gering ist, verdient jeder Einzelfall Beachtung. Ich bin besorgt, dass mit der Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten eine falsche Richtung eingeschlagen wird. Stattdessen brauchen wir eine europäische Flüchtlingspolitik, die legale Einwanderung ermöglicht und die die Flüchtlinge innerhalb Europas verteilt. Die Erfahrung zeigt, dass unser Land von Zuwanderung profitiert und dass die weitaus größte Zahl der Zuwandernden in Deutschland Arbeit findet. In dieser Diskussion muss darauf hingewiesen werden, dass Deutschland zwar in absoluten Zahlen die meisten Flüchtlinge in Europa aufnimmt, im Vergleich zur Bevölkerungszahl kommen aber mehr Flüchtlinge in die EU-Staaten Schweden, Malta, Österreich, Luxemburg, Ungarn, Belgien sowie in die europäischen Länder Norwegen und die Schweiz – Zahlen aus 2013. Deshalb geht es um eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa und nicht um Ängste vor zu hohen Flüchtlingszahlen. Den Großstädten in Deutschland, die besondere Probleme haben, müssen wir helfen, damit sie Möglichkeiten der Unterbringung und der medizinischen Versorgung zur Verfügung stellen können. Mit dieser persönlichen Erklärung möchte ich meine schweren Bedenken hinsichtlich der im Gesetz beabsichtigen Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten zum Ausdruck bringen. Dr. Carsten Sieling (SPD): Mit diesem Gesetz sollen zwei verschiedene Punkte geregelt werden. Ich begrüße ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und für geduldete Ausländerinnen und Ausländer nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird. Damit wird den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, ermöglicht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und durch Erwerbsarbeit ihre Integration zu erleichtern. Den zweiten in diesem Gesetz vorgeschlagenen Punkt, die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, sehe ich aus grundsätzlichen Erwägungen als problematisch an, da die Ausweitung des Systems sicherer Herkunftsstaaten das Recht auf Asyl schwächt. Das Recht auf Asyl ist ein individuelles Recht, das eine Einzelfallprüfung zwingend verlangt. Dieses Recht sollte meines Erachtens nicht eingeschränkt werden. Auch wenn die Anerkennungsquote von Flüchtlingen aus den im Gesetz genannten Ländern sehr gering ist, verdient jeder Einzelfall -Beachtung. Ich bin besorgt, dass mit der Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten eine falsche Richtung eingeschlagen wird. Stattdessen brauchen wir eine europäische Flüchtlingspolitik, die legale Einwanderung ermöglicht und die die Flüchtlinge innerhalb Europas verteilt. Die Erfahrung zeigt, dass unser Land von Zuwanderung profitiert und dass die weitaus größte Zahl der Zuwandernden in Deutschland Arbeit findet. Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 7 a) Ja, es stimmt, auch ich habe dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Dass ich das nicht mit großer Freude getan habe, ist allgemein bekannt. Sowohl im Koalitionsvertrag als auch im konkreten Gesetzgebungsverfahren steckt einiges, was ich mit meinem Verständnis von Unionspolitik nicht vereinbaren kann. Nun stellt sich in vielem heraus, dass die Zweifel durchaus angebracht waren bei der Rente mit 63, dem Mindestlohn und nun auch bei der doppelten Staats-bürgerschaft – so zum Beispiel in Bezug auf die -Abschaffung der Optionspflicht der Kinder aus Zuwanderfamilien, mit 23 Jahren zu entscheiden, welcher Staatsbürgerschaft sie angehören möchten. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass jeder, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, seinen deutschen Pass nicht verlieren und keiner Optionspflicht unterliegen soll. Schon damit haben wir uns weit von unserer bisherigen Position entfernt, da sich die Optionspflicht bewährt hat und wir daran aus gutem Grund festhalten sollten. Mehrstaatlichkeit, das wissen wir, erschwert die Integration und führt zu Rosinenpickerei, weil man auf die -jeweiligen Vorteile der verschiedenen Länder zurückgreifen kann. Bestes Beispiel ist die Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland und das Fortbestehen der Wehrpflicht in der Türkei. Es ist davon auszugehen, dass sich ein Großteil der Jugendlichen, die sich bisher ohne Probleme für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden haben, von dieser Form der Integration aus Gründen oberflächlicher Vorteilsnahme einfach verabschieden wird. Davon abgesehen hat überhaupt keine Not bestanden, die Optionspflicht abzuschaffen. Denn in der Vergangenheit haben sich ungefähr 98 Prozent der Betroffenen für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden. Wir lösen mit dem Koalitionsvertrag und dem dazugehörigen Gesetz sozusagen ein Problem, was überhaupt nicht bestanden hat. Aber wir schaffen eine Unmenge neuer Probleme, vom wiederholten Opfern unserer eigenen Prinzipien ganz abgesehen. Und wir tragen dazu bei, den bis dahin unauflösbaren Zusammenhang zwischen der Staatsangehörigkeit und den damit verbundenen Pflichten und Rechten aufzuweichen. Bisher mussten sich Jugendliche im Alter von 23 Jahren, wenn sie ihre volle sittliche und geistige Reife erreicht haben, entscheiden, welche Staatsbürgerschaft sie tragen wollen. Jetzt soll es reichen, gerade einmal sechs Jahre in Deutschland aufgewachsen zu sein, um die deutsche und weitere Staatsbürgerschaften zu behalten. Auch sollen Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, die im Ausland geboren sind und deren Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft nur aufgrund der Tatsache besitzen, dass sie acht Jahre in Deutschland gelebt haben. Daraus können unmöglich aufrichtige Bekenntnisse zum Grundgesetz, unseren Werten und Grundsätzen und ein ebenso aufrichtiger Wille, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren, erwachsen. Wir werden weder gesellschaftlich noch rechtlich Integrationsverweigerern wirksam entgegentreten können. Der Hilfeschrei der Polizistin Tania Kambouri aus Bochum, die gegenüber der Staatsgewalt über respektlose moslemische Jugendliche klagt, ist ein beredtes Zeugnis dafür. Stattdessen werden wir tatenlos zusehen müssen, wie sich Parallelgesellschaften unkontrolliert und unkorrigiert entwickeln und weiterverbreiten, deren Mitglieder zwar in unserem Land und von unserem Land, aber nie mit unserem Land leben (wollen). Anlage 15 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hubert Hüppe (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD : 20 Jahre nach Kairo – Bevölkerungspolitik im Kontext internationaler Entwicklungszusammenarbeit und der Post-2015-Agenda (Tagesordnungspunkt 31) Der Antrag verwendet den Begriff „sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“, der allerdings im Aktionsprogramm von Kairo nicht verwendet wird. Hingegen definiert das Aktionsprogramm die Begriffe „reproduktive Rechte“ und „sexuelle und reproduktive -Gesundheit“. Die Terminologie im Kairoer Schlussdokument ist – als Ergebnis der Verhandlungen zwischen mit offiziellem Mandat der VN-Mitgliedstaaten ausgestatteten Delegationen – bis heute die maßgebliche international legitimierte Grundlage. Radikale Gruppen propagieren unter dem Begriff -„sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“, SRHR, Vorstellungen, die sich nicht auf den im Aktionsprogramm von Kairo vereinbarten internationalen Konsens berufen können, und sind bemüht, mit der SRHR-Terminologie diese Vorstellungen in Beschlüsse und -Dokumente internationaler, regionaler und nationaler Gremien einfließen zu lassen. Zu diesen radikalen Vorstellungen zählt ein behauptetes Menschenrecht auf Abtreibung ohne jegliche gesetzliche Beschränkungen, wie es etwa in der aktuellen IPPF-Kampagne „I decide“ erklärt wird. Eine IPPF-Jugendbroschüre „Healthy, happy and hot. A young person’s guide to their rights, sexuality and living with HIV“ erklärt, dass zu den „sexuellen Rechten“ HIV-positiver Jugendlicher das Recht gehört, ihre Sexualpartner über ihre HIV-Infektion nicht zu informieren. In den Beratungen über den Antragsentwurf wurde verdeutlicht, dass der Bundestag keine vermeintliche Interpretationshoheit radikaler Gruppen wie IPPF über die Terminologie anerkennen will. Deshalb wird im Antrag klargestellt, dass der Begriff „sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ als identisch mit den im Aktionsprogramm von Kairo definierten Begriffen „reproduktive Rechte“ und „sexuelle und reproduktive Gesundheit“ zu verstehen ist und keine über diese Definitionen hinausgehende Bedeutung hat, insbesondere kein Recht auf Schwangerschaftsabbruch statuiert. Damit ist jeder Spekulation die Grundlage entzogen, der Bundestag bekenne sich zu einem beliebig interpretierbaren Begriff „sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ und böte so radikalen Interpretationen Carte blanche. Dieses Ergebnis begrüße ich. Ich hätte mir gewünscht, dass die Berücksichtigung von Gruppen mit Migrationshintergrund und deren besonderen Bedürfnissen, was den Kairoer Beschlüssen entspräche, erwähnt wird. Weiterhin hätte ich befürwortet, auch das weltweit zunehmende Problem des unerfüllten Kinderwunsches als Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der Wahrnehmung reproduktiver Rechte anzusprechen. Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen, über die bis in die letzte Zeit hinein von den Medien berichtet wurde, werden im Feststellungsteil als Menschenrechtsverletzungen angesprochen, was zu begrüßen ist. Ich hätte mir gewünscht, dass die naheliegenden Konsequenzen – eine unparteiische Aufklärung dieser Vorgänge und wirksame Abhilfe für die Zukunft – ebenfalls angesprochen werden. Insbesondere wäre zu fordern, dass sowohl im Handeln von UNFPA als auch in den von UNFPA geförderten nationalen und regionalen Programmen sowie von den von UNFPA geförderten Nichtregierungsorganisationen die im Kairoer Aktionsplan enthaltenen Prinzipien der Freiwilligkeit, der Freiheit von Zwang und der Nichtförderung von Abtreibung als Familienplanungsinstrument respektiert werden. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 2014/2015 (BBVAnpG 2014/2015) (Tagesordnungspunkt 9) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Ich hoffe auch in diesem Jahr, dass wir mit der Besoldungs- und Versorgungsanpassung im öffentlichen Dienst nicht zum Topthema an den Stammtischen landauf, landab werden. Ist zwar populär, wäre aber dennoch nicht gerechtfertigt. Tatsächlich geht es uns bei diesem Gesetz darum, eine starke Marke, nämlich unser „Made in Germany“ weiter zu fördern. Welcher ausländische Unternehmer schätzt zum Beispiel nicht die Verlässlichkeit der deutschen Verwaltung, wenn er sich hier niederlassen will? Aus Sicht von Industrie und Wirtschaft gehört der feste und stabile Ordnungsrahmen zu den Trümpfen Deutschlands. Der öffentliche Dienst ist ein hervorragender Standortfaktor. Und unsere Bürgerinnen und Bürger unterscheiden bei ihren Erwartungen doch längst nicht mehr zwischen einer hochleistungsfähigen Wirtschaft, wie wir sie haben, und einer ebenso leistungsfähigen Verwaltung. Wer aber in einem Hochleistungsland diesen Anforderungen standhalten will, braucht leistungsfähiges Personal. Die Frage ist also nicht: Bekommen die Beamten schon wieder mehr Geld? Die Frage ist: Haben die Personalchefs in unseren Behörden die Möglichkeiten und Mittel, die sie brauchen, um hochqualifizierte Fachkräfte zu gewinnen? Eine sehr gut funktionierende Verwaltung ist aktive Wirtschaftspolitik, und sie ist die Voraussetzung für Lebensqualität in unserem Land. Deshalb ist sich die Union sicher, dass wir mit diesem Gesetz heute genau am richtigen Punkt investieren. IT-Systeme auf dem Stand der Technik erwarte ich bei der Bundespolizei oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Für unsere Strategie Digitale Verwaltung 2020 brauchen wir Geschäftsmodelle mit dem Geist vom Silicon Valley. Wir müssen attraktiv sein für hochspezialisierte IT-Fachkräfte. Wenn wir im Bereich der organisierten Kriminalität bei der Vermögensabschöpfung aus Straftaten und von Straftätern weiterkommen wollen, geht das nicht ohne versierte Wirtschaftswissenschaftler, Juristen und Steuerexperten. Ich glaube nicht, dass der öffentliche Dienst allein im Bereich Vergütung mit der Wirtschaft konkurrieren kann oder je können wird. Wir merken das schmerzlich, wenn wir nur mühsam dringend benötigten Nachwuchs in naturwissenschaftlichen Bereichen finden. Die CDU/CSU verfolgt seit Jahren eine andere, erfolgversprechende Strategie: Wir wollen mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen für gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf, moderne, attraktive Arbeitsbedingungen und eine adäquate Vergütung den Bewerbern eine bestens ausbalancierte Attraktivität bieten. Und: Wir haben in den letzten Jahren in dieser Hinsicht schon viel erreicht. Mit dem Fachkräftegewinnungsgesetz haben wir Anreize bei der Besoldung gesetzt, mit dem Familienpflegezeitgesetz haben wir für bessere Vereinbarkeit von Dienst und Pflege von Angehörigen gesorgt, und wir haben den Eintritt in den Ruhestand flexibler gestaltet. Gestern hieß es in der FAZ: Eine führende Unternehmensberatung hat im Frühjahr dieses Jahres knapp viereinhalbtausend Studenten in ganz Deutschland befragt. Und wissen Sie, was dabei herausgekommen ist? Knapp ein Drittel der Studenten will später in den öffentlichen Dienst. Diese 32 Prozent wollen später nicht in die Privatwirtschaft. Hier darf die Union sagen: Wir sind mit unserer Beamtenpolitik mitten in einem Reformprozess, und der ist offensichtlich erfolgreich. Ansonsten hätte so eine Befragung anders ausgesehen. Die Steigerungsraten sind besorgniserregend: Allein im April 2014 gab es insgesamt 37 Gewalttaten gegen die Polizei in Deutschland. Wie viele Repräsentanten unseres Staates in Arbeitsagenturen oder bei den Rettungsdiensten und Feuerwehren in Ausübung ihres Amtes nicht mehr den Respekt erfahren, den die Menschen in unseren Verwaltungen zu Recht erwarten dürfen, wissen wir letztlich nicht. Aber dass eine rote Linie unterschritten ist, das wissen wir. „Mehr Achtung für Menschen, die unseren Staat repräsentieren“ ist deshalb ein innenpolitischer Schwerpunkt der Unionsfraktion in dieser Periode. Die Union schreibt die verantwortliche Politik der letzten fünf Jahre fort. Wir beraten heute den dritten Gesetzentwurf in Folge, mit dem wir das Tarifergebnis für den öffentlichen Dienst zeit- und inhaltsgleich auf die Beamtinnen und Beamten, Richterinnen und Richter, Soldatinnen und Soldaten und Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger des Bundes übertragen. Die Dienst- und Versorgungsbezüge werden in zwei Schritten steigen: im ersten Schritt rückwirkend ab 1. März 2014 um 2,8 Prozent und nicht weniger als 90 Euro-Sockelbetrag. Im zweiten Schritt ab 1. März 2015 sollen die Bezüge um weitere 2,2 Prozent steigen. Mit dem Abschlag von 0,2 Prozent pro Anpassungsschritt leisten die Beamten ihren Beitrag zur Versorgungsrücklage des Bundes, und sie helfen dabei, die Beamtenversorgung langfristig auf solide Füße zu stellen. Das ist gut und richtig; leider wird wenig darüber berichtet. Faire Besoldung sollte uns am Herzen liegen; sie macht uns am Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig, stärkt das Binnenklima unserer Behörden und ist gerecht. Ich bedanke mich deshalb bei unserem Koalitionspartner. Dass vorausschauende Beamtenpolitik nicht in allen Ländern so reibungslos funktioniert, liegt vielleicht auch an der Partnerwahl, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD. Drum prüfe, wer sich ewig bindet! Diese Koalition und die CDU/CSU-Fraktion im Besonderen tun dem öffentlichen Dienst jedenfalls gut. Und so soll es bleiben! Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Wir beraten heute in erster Lesung das Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz für die Jahre 2014/2015. Es ist uns ein zentrales Anliegen, dass wir dieses Gesetz hier und heute debattieren. Denn dieser gesetzgeberische Akt sollte nicht nur als Selbstverständlichkeit gelten, sondern auch und gerade als eine bewusste Entscheidung des Bundestages mit der Regelungskompetenz zum Bundesbeamtenrecht und als Haushaltsgesetzgeber, seine Staatsdiener und deren Arbeit zu würdigen. Zu Beginn betone ich, dass sich eine solche Würdigung der Arbeit für den Staat nicht ausschließlich in Geld ausdrücken lässt. Dennoch ist und war uns bereits im Rahmen der vorhergehenden Plenardebatte vom 20. März 2014 anlässlich der Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen im Deutschen Bundestag gewiss, dass es ein Mehr auch für die Beamtinnen und Beamten geben wird. Die Tarifautonomie in unserem Land funktioniert und wird zumindest von weit überwiegenden Teilen des Deutschen Bundestages auch entsprechend respektiert. Ebendieser Respekt gegenüber dem erfreulich erfolgten Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst vom 1. April 2014 gebietet es daher, alle – und ich betone: alle – diejenigen, die „öffentliche Aufgaben“ im Dienste des Staates verrichten, in jedem Falle und damit ungeachtet ihres offiziellen Dienststatus gleich zu behandeln. In dieser Tradition stehen die bisherigen und langjährig praktizierten Übertragungen der Tarifergebnisse im öffentlichen Dienst auf die Beamtinnen und Beamten, Richterinnen und Richter sowie Soldatinnen und Soldaten. Der öffentliche Dienst des Bundes bietet hervorragende Arbeitsbedingungen, seien es – um nur einige Punkte zu nennen – die Möglichkeit zur flexiblen -Arbeitszeitgestaltung oder aber auch die vorbildliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlohnung machen den öffentlichen Dienst attraktiv und auch zu einem unverzichtbaren Bestandteil und Garanten eines funktionierenden Staates. Über 1,9 Millionen Beamte in ganz Deutschland und davon alleine 250 000 in der unmittelbaren Bundesverwaltung sorgen tagtäglich dafür, dass diejenigen Gesetze, die wir Abgeordneten für die Menschen im Land beschließen, auch in die Tat umgesetzt werden, dass die Gesetze, die wir beschließen, im Einzelfall im Verhältnis unter Privaten oder aber auch im Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zum Staat von Richterinnen und Richtern unabhängig entschieden werden, dass transatlantische und europäische Bündnisse von Soldatinnen und Soldaten repräsentiert werden, die in letzter und wesentlicher Instanz dem Einsatzbefehl des Parlamentes unterstehen. Diese anspruchsvollen Aufgaben sind nur mit gut ausgebildetem Personal zu stemmen, und damit dieses Personal auch täglich zufrieden an den Dienst geht, gilt es für uns als Deutschen Bundestag, die Arbeitsbedingungen beginnend bei der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst und der Besoldung sowie darüber hinaus bei der Versorgung der Beamtinnen und Beamten sicherzustellen. Eine solche Sicherstellung der Qualität, Attraktivität und Stabilität der Verwaltung erzielen wir nicht zuletzt mit diesem Gesetzentwurf, wie er heute vorliegt. Dieses Vorgehen entspricht im Übrigen einer lange -gepflegten Praxis. Der Haushaltsvorbehalt ist kein Selbstzweck, und noch viel weniger darf er eine Rechtfertigung für ein zaghaftes Verhalten der Politik sein, Ansprüche per se anzunehmen oder abzulehnen. Die aktuelle Übertragung des Tarifabschlusses vom 1. April 2014 sieht vor, dass rückwirkend zum 1. März 2014 eine Erhöhung der Bezüge von 2,8 Prozent, mindestens jedoch um 90 Euro, und ab dem 1. März 2015 2,2 Prozent Erhöhung der Bezüge auf die Beamtenschaft übertragen werden. Die Bildung und Anpassung der -Versorgungsrücklage wiederum speist sich aus beiden Stufen der Übertragung mit jeweils 0,2 Prozent. Dies stellt eine systemimmanente inhalts- bzw. wirkungs-gleiche Übertragung dar, in Würdigung des geltenden Beamtenrechts. Seit Jahrzehnten wird die soeben vorgestellte Anpassung nach jeder Tarifrunde im öffentlichen Dienst auch zum Anfang des Monats auf dem Konto der Beamtinnen und Beamten, Richterinnen und Richter und Soldatinnen und Soldaten in Gänze spürbar. Dabei gibt es diese Übertragung natürlich nicht zum Nulltarif. Jedoch -können wir aus den vorgenannten Gründen, die die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes beschreiben, als zuständige Innenpolitiker selbstbewusst in jeder Haushaltsrunde etwaige Mehr-belastungen guten Gewissens vertreten. Die Mehrbelastungen für die Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge im Bundeshaushalt stellen sich wie folgt dar: Im Jahre 2014 wird die Anpassung mit 542 Millionen Euro etatisiert, im Jahre 2015 mit 1,05 Milliarden Euro und im Haushaltsjahr 2016 mit 1,13 Milliarden Euro. Die Versorgungsrücklage wird in den Haushaltsjahren 2014 und 2015 hierbei mit rund 105 Millionen Euro gespeist werden. Diese Zahlen machen deutlich, dass wir uns den öffentlichen Dienst sprichwörtlich „etwas kosten lassen“. Dies geschieht jedoch niemals, ohne zugleich die haushalterische Vernünftigkeit sowie die Leistungsmerkmale ins Verhältnis zu setzen. Stellen Sie sich vor, es gäbe keine hoheitliche Instanz, die die Steuergesetze, die wir beschließen, auch durch Staatsdiener vollstreckt. Stellen Sie sich vor, es gäbe keine Zollbeamten, die Schwarzarbeit verfolgen und zur Ahndung vorbereiten würden. „Stellen Sie sich vor“ – diese Liste wäre derart lang, dass die Redezeit aller Redner nicht ausreichen würde, das Aufgabenprofil des öffentlichen Dienstes angemessen zu umreißen. Mit diesem Gesetz und den künftigen Haushalten drücken wir neben den Tarifbeschäftigten, die im März 2014 aufrecht mit dem Bund verhandelt haben, auch den Staatsdienern im Beamtenstatus die ihnen gebührende Wertschätzung aus. Dies zeigt, dass die kompromissorientierte Kooperation zwischen dem Bundesministerium des Innern, dem Bundestag und den Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Bundes eine verlässliche Grundlage ist, auf der die deutsche Verwaltung und letztlich der Staat als solcher fußt. Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Als ich Mitte der 80er-Jahre in den öffentlichen Dienst kam, hatte dieser noch ein anderes Gesicht. Die Büros hießen Amtsstuben, anstelle eines PCs war an der Schreibtischkante ein Bleistiftspitzer angeschraubt. Obrigkeitshörigkeit, so schien es, war stets wichtiger als die Sache. Dieses Bild des öffentlichen Dienstes hält sich zwar hartnäckig in vielen Vorurteilen, es hat aber mit der heutigen Situation nichts mehr gemein. Wir alle haben zahlreiche Kontakte zu Verwaltungen in Bund, Ländern und Gemeinden. Ich hoffe, Sie teilen meine Einschätzung, dass wir uns – von wenigen Ausnahme abgesehen – auf allen Ebenen auf einen effizienten, beratenden und verwaltenden öffentlichen Dienst verlassen können. Oftmals sind es Beamtinnen und Beamte, die uns zuarbeiten und beraten. Es ist nur gerecht, dass dieses in angemessenem Rahmen durch Erhöhung der Besoldung entlohnt wird. Im vorgelegten Gesetzentwurf greift die Bundesregierung auf das Ergebnis des Tarifabschlusses für den öffentlichen Dienst des Bundes zurück, und das ist auch gut so! Wir haben mit der Tarifpartnerschaft ein starkes Prinzip in unserer Gesellschaft verankert. Die Übernahme der Ergebnisse der Tarifverhandlungen ist also erfreulich: 2,8 Prozent rückwirkend zum 1. März 2014 und 2,2 Prozent ab März 2015 bei einem Mindestbetrag von 90 Euro. Von Letzterem werden die unteren Besoldungsstufen profitieren, und das ist richtig. Es ist ein gutes Signal in Richtung Attraktivität der vielen Berufsbilder im Dienst der Bundesbehörden. Junge Menschen orientieren sich bei ihrer Berufswahl nicht nur an den beruflichen Inhalten, sondern auch an den finanziellen Perspektiven. Das ist doch vollkommen klar und verständlich. Und der Nimbus des Berufsbeamtentums hat durch vielerlei Einflüsse schon lange an Glanz verloren. Personalabbau, Leihbeamte, Ausstattungsmängel – das sind Schlagworte aus heutiger Zeit, die den Berufswunsch „Bundesbeamter“ schmälern. Natürlich stehen die Begriffe für eine sehr eingeschränkte Sicht auf die Dinge, in der öffentlichen Wahrnehmung des Berufsbildes spielen sie dennoch eine wichtige Rolle. Der öffentliche Dienst muss also wie die Privatwirtschaft um seine Attraktivität kämpfen, und das gilt besonders mit Blick auf die demografische Entwicklung. Der öffentliche Dienst steht vor einer dramatischen Pensionierungswelle und damit vor immensen Herausforderungen. Es ist vor diesem Hintergrund ein richtiger Schritt, dass auch die Anwärterbezüge steigen. Reichen wird das jedoch nicht. Lassen Sie mich an dieser Stelle insbesondere einen Punkt nennen, der den Beschäftigten im öffentlichen Dienst unter den Nägeln brennt. Der Anteil der befristet Beschäftigten hat deutlich zugenommen. Das bedeutet nicht nur eine Herausforderung für eine nachhaltige Personalpolitik, sondern stellt auch den Faktor immer mehr infrage, der lange Zeit als der Garant im öffentlichen Dienst galt: die Beschäftigungssicherheit. Dieser Faktor verliert durch die Befristungspraxis der letzten Jahre an Gewicht, und das ist keine gute Botschaft in Richtung Nachwuchssicherung. Lassen Sie uns darüber nachdenken, ob das der richtige Weg für eine gute Personalpolitik ist. Wir Sozialdemokraten haben da Zweifel. Ich möchte somit zum Schluss das klare Signal in Richtung unserer Beamtinnen und Beamten senden: Uns ist bewusst: Mit der Übertragung der Tarifergebnisse ist die Arbeit noch nicht gemacht. Wir bleiben dran. Frank Tempel (DIE LINKE): Es ist ausgesprochen begrüßenswert, dass die Bundesregierung auch in diesem Jahr die Tarifergebnisse zeitnah und inhaltsgleich für die Beamten übernimmt. Die Zugewinne für die niedrigen Besoldungsgruppen freut uns ebenso wie die angekündigte Vereinheitlichung der Urlaubstage auf 30 pro Jahr. Leider wird immer noch der Anteil für die Versorgungsrücklage von 0,2 Prozent bei jeder Stufe der Erhöhung abgezogen. Eine einmalige Berechnung pro Tarifrunde wäre deutlich gerechter. Mit dem Folgegesetz ab 2016 sollte dies geändert werden! Ich gehe nun aber fest davon aus, dass es den persönlichen Überzeugungen des Innenministers Dr. Thomas de Maizière entspricht, auch in kommenden Jahren die Übernahme der Tarifergebnisse genauso zu gestalten wie in diesem Jahr. Das ist aber kein Grund, sich jedes Mal als Fraktion so überschwänglich selbst zu feiern, wie es zum Beispiel der Kollege Schuster gern macht. Jede Menge Hausaufgaben sind noch offen: Die größte Unzufriedenheit bei den Bundesbeamten ist die Wochenarbeitszeit. Die 41 Wochenstunden der Beamten sollten auf das Maß der Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes (West) mit 38,5 Wochenstunden abgesenkt werden. Es gibt, wie es der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes, dbb, Klaus Dauderstädt, im Gespräch mit dem Innenausschuss des Bundestages vor wenigen Tagen formulierte, „keinen Grund für geldwerte Sonderopfer der Beamten“. Eine Absenkung der Arbeitszeiten würde die Attraktivität des öffentlichen Dienstes erheblich steigern. Sie wissen so gut wie ich, dass die öffentliche Hand im Wettbewerb um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weniger mit Gehaltssteigerungen als vielmehr mit familienfreundlichen Arbeitsbedingungen, flexiblen Lebensarbeitszeitregelungen und einer besonders ausgeprägten Kultur der Mitbestimmung gewinnen kann. Angesichts der demografischen Entwicklung steht das Problem immer schärfer auf der Tagesordnung. In den kommenden zehn Jahren fehlen rund 700 000 Beschäftigte. Die Arbeitszeitregelungen sind da ein zentrales Element der Attraktivitätssteigerung, aber auch Maßnahmen wie die Übernahme der Regelungen zur Mütterrente und der Rente mit 63 aus dem Bereich der Angestellten. In der Vergangenheit ist die Beamtenversorgung stets einbezogen worden, wenn es um Einschnitte in die Altersversorgung ging. Gerechterweise muss diese Übertragung vom Rentenbereich zur Beamtenversorgung auch gelten, wenn es zu Verbesserungen kommt. Die mangelnde Attraktivität des öffentlichen Dienstes korrespondiert mit dem Problem der viel zu schmalen Einstellungskorridore. Wenn nicht im gleichen Maße ausgebildet und eingestellt wird, wie Beamte in die Versorgung gehen, nimmt die Arbeitsverdichtung immer mehr zu. Weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für eine gleichbleibende oder gar ansteigende Menge von Aufgaben zuständig. Das hat auf die Dauer physische und psychische Überforderungen, eine Qualitätsabnahme der Dienstleistungen und mittelfristig eine Gefährdung der öffentlichen Vorsorge zur Folge. Leider habe ich in den letzten vier Jahren meiner Tätigkeit im Bundestag nicht den politischen Willen auf Regierungsseite gesehen, grundhaft umzusteuern. Der Koalitionsvertrag, aber auch das bisherige Handeln der Großen Koalition macht mir allerdings keinen Mut, dass sich dies ändern wird. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge ist zweifellos eine gute Sache. Es gibt für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, keinen Grund, sich hier besonders auf die Schulter zu klopfen. Denn es ist schlicht Ihr gesetzlicher Auftrag, die Besoldung und Versorgung regelmäßig an die allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse anzupassen. Das gilt im Wesentlichen auch für die Übertragung des Tarifabschlusses des öffentlichen Dienstes. Auch hier erfüllen Sie nur Ihre rechtliche Verpflichtung, die Beamtenbesoldung von der Einkommensentwicklung nicht abzukoppeln. Das ist eine Frage der Angemessenheit der Besoldung und damit der Wertschätzung unserer Beschäftigten. Zugleich machen Sie es sich hier aber auch reichlich einfach. Die Attraktivität des öffentlichen Dienstes allein mit dem Öffnen der Geldbörse zu erhöhen, funktioniert nur in den Zeiten, in denen die Staatskassen ausreichend gefüllt sind. Sowohl die demografische Entwicklung als auch der Wettbewerb mit der Wirtschaft um die besten Köpfe erfordern aber viel mehr. Das Durchschnittsalter im öffentlichen Dienst liegt inzwischen bei rund 45 Jahren – Tendenz steigend. Wir brauchen dringend ein Umsteuern bei der Gewinnung von Beschäftigten. Welche Ideen bringen Sie denn mit, um die Attraktivität im -öffentlichen Dienst zu erhöhen? Wie wollen Sie denn konkret für familienfreundliche und moderne Arbeitsbedingungen sorgen, wie Sie es im Koalitionsvertrag vereinbart haben? Lassen Sie mich dazu mal einen Blick auf das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei werfen. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Situation von Frauen in der Bundespolizei und dem BKA spricht hier Bände: Frauen sind eklatant unterrepräsentiert. Und sie werden auch noch schlechter beurteilt. Dabei ist die Beurteilung doch Grundlage jeder Beförderung. Vor allem in Führungspositionen findet Gleichberechtigung quasi nicht statt. Bei der Bundespolizei zum Beispiel waren im Jahr 2014 insgesamt weniger als 14 Prozent Frauen beschäftigt. Das muss man sich einmal vorstellen. Im höheren Dienst waren gerade mal 6 Prozent der Beschäftigten weiblich, im gehobenen Dienst noch gut 9 Prozent, und im mittleren Dienst waren es 17 Prozent. Also haben wir hier sowieso schon kaum Frauen, und je höher es geht, desto weniger. Außerdem wurden Spitzennoten bei dienstlichen Beurteilungen an Frauen viel seltener vergeben als an ihre männlichen Kollegen. Das ist eine strukturelle Ungerechtigkeit, und das darf nicht so bleiben! Die vom Bundesinnenministerium beanspruchte „Vorbildfunktion des öffentlichen Dienstes für familienfreundliche Arbeitszeiten“ widerlegt die Antwort auf unsere Kleine Anfrage übrigens gleich mit. Denn darin kann man sehen, dass Teilzeitarbeit fast ausschließlich von Frauen wahrgenommen wird und dass Teilzeitarbeit dienstlich schlechter beurteilt wird als Vollzeitarbeit. Deutlich wird die Problematik auch hier anhand schnöder Zahlen. Im BKA befinden sich nur 5 von 197 Beschäftigten in Leitungsfunktionen in Teilzeit. Polizistinnen und Verwaltungsbeamtinnen werden also in doppelter Weise schlechter behandelt als ihre männlichen Kollegen: Sie werden ohnehin – warum auch immer – schlechter beurteilt als Männer, und dann auch noch zusätzlich schlechter durch die häufigere Teilzeitarbeit. Doch wenn man die Bundesregierung danach fragt, welche Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen gezogen werden, dann steht sie einfach blank da. Es gibt von ihrer Seite keine konkreten Vorschläge, diese Missstände zu beseitigen. Können wir uns das leisten? Ich meine, nicht. Sie verschenken damit nicht nur das Potenzial der Hälfte der Bevölkerung, sondern sie kommen auch Ihrem verfassungsrechtlichen Auftrag zur Gleichberechtigung nicht nach. Lassen Sie mich zum Schluss noch darauf hinweisen, dass Sie sich auch den Ländern gegenüber aus der Verantwortung stehlen. Dem Bund, dem insgesamt nur 11 Prozent aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst zuzurechnen sind, fällt es leichter, Tarifabschlüsse auf seine Beamten zu übertragen. Schwieriger ist das für die Länder und Gemeinden, bei denen Personalkosten einen Großteil der Ausgaben ausmachen. Genau deren Haushaltslage ist aber häufig angespannt, und sie haben es besonders schwer, die Schuldenbremse einzuhalten. Anstelle den Flickenteppich an Vergütungsregelungen zu ignorieren, ist eine zukunfts- und generationengerechte Finanzierung des öffentlichen Dienstes eine gesamtstaatliche Aufgabe, für die ich von einer so großen Koalitionsmehrheit konstruktive Vorschläge erwarte. Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Bundesregierung hat rasch nach den Tarifverhandlungen den vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht. Wie Sie wissen, haben sich die -Tarifvertragsparteien nach schwierigen Verhandlungen am 1. April 2014 für die Tarifbeschäftigten von Bund und Kommunen auf einen Abschluss verständigt, der mit 5,4 Prozent Entgelterhöhung im Rahmen vergleichbarer Tarifabschlüsse anderer Branchen liegt. Dies war ein gutes, weil faires Ergebnis – fair gegenüber den Beschäftigten von Bund und Kommunen, die sich zu Recht mehr Lohn wünschen, fair aber auch gegenüber den Steuerzahlern, die hierfür aufkommen. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von zwei Jahren. Dementsprechend deckt auch die Anpassung für Besoldungs- und Versorgungsempfänger den Zeitraum bis 2015 ab. Das gibt Stabilität und Planungssicherheit. Gelungen ist das ohne Schlichtung und Erzwingungsstreiks. Die Sozialpartnerschaft hat funktioniert. Diese Erhöhung, die natürlich auch eine Anerkennung der Leistungen der Beschäftigten darstellt, soll nun auf die Besoldungs- und Versorgungsempfängerinnen und -empfänger des Bundes übertragen werden. Mit dem Gesetzentwurf werden die Dienst- und Versorgungsbezüge im Bund für die Jahre 2014 und 2015 in zwei Schritten um insgesamt 5 Prozent angehoben. Im ersten Schritt werden sie rückwirkend zum 1. März 2014 um 2,8 Prozent erhöht, jedoch mindestens um 90 Euro. Im zweiten Schritt steigen sie zum 1. März 2015 um 2,2 Prozent. Damit wird das Ergebnis der Tarifverhandlungen zeit- und inhaltsgleich übernommen. Die Bezüge werden so an die Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse für die nächsten zwei Jahre angepasst. Alle Statusgruppen – Tarifbeschäftigte, Beamte, Richter, Soldaten – nehmen gleichgerichtet an der Anpassung teil. Der öffentliche Dienst des Bundes bildet eine Einheit – daran halten wir fest. Mit dem vereinbarten Mindestbetrag in Höhe von 90 Euro enthält das Tarifergebnis eine soziale Komponente für die unteren Einkommensgruppen, die in den Tarifverhandlungen besonders umkämpft war. Diese Komponente enthält jetzt auch das vorliegende Anpassungsgesetz. Für die Zukunft müssen wir bei solchen Vereinbarungen zweierlei im Auge behalten: Erstens müssen wir prüfen, ob im Vergleich der Verdienststrukturen des öffentlichen Dienstes mit denen der gewerblichen Wirtschaft tatsächlich ein entsprechender Korrekturbedarf besteht. Zweitens müssen wir auch die innere Stimmigkeit des öffentlichen Gehaltssystems bewahren. Das Besoldungsrecht spricht hier von Ämtergefüge, was letztlich nichts anderes bedeutet als das Gebot, auch in der Vergütung nicht alle Unterschiede zwischen den Verantwortungsstufen einzuebnen. Denn eigentlich sind verbesserte -Bedingungen für Fachkräfte das Gebot der Stunde. Das räumen auch die Gewerkschaften ein, die aber dennoch die soziale Komponente forderten, selbst wenn davon Fachkräfte wenig profitieren. Die vorgesehenen Erhöhungen liegen jeweils 0,2 Prozentpunkte unter der Anpassung im Tarifbereich. Die Verminderung hat ihren Grund in gesetzlichen Vorgaben, wonach die Bezügeanpassung um 0,2 Prozentpunkte zugunsten der Versorgungsrücklage des Bundes zu vermindern ist. Die entsprechenden Beträge fließen in die seit 1999 bestehende Versorgungsrücklage des Bundes. Dies entspricht der Strategie der Bundesregierung zur nachhaltigen Sicherung der Finanzierungsgrundlagen der Beamtenversorgung und kommt letztlich allen Besoldungs- und Versorgungsempfängern zugute. Die Anwärterbezüge erhöhen sich entsprechend dem Ergebnis der Tarifverhandlungen zum 1. März 2014 um 40 Euro und zum 1. März 2015 um 20 Euro. Dies ist ein Signal für den Nachwuchs im öffentlichen Dienst des Bundes. Die Attraktivität des öffentlichen Dienstes folgt nicht allein aus der Bezahlung. Interessante und herausfordernde Aufgaben sowie angemessene, den Lebensentwürfen der Menschen gerecht werdende Arbeitsbedingungen stellen ebenso gewichtige Elemente für die Anziehungskraft eines Arbeitsplatzes dar. Gleichwohl können die Beschäftigten – dies gilt für Tarifbeschäftigte und Beamte gleichermaßen – eine Teilhabe an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung erwarten. Mit dem Tarifabschluss und diesem Gesetzentwurf stellt der Bund dies sicher. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung zu dem Gesetzentwurf. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes (Tagesordnungspunkt 15) Roland Claus (DIE LINKE): Es gibt nicht viele politische Sachverhalte hier im Hohen Hause, über die ein so großes Einvernehmen besteht wie beim Wein. Wir stehen derzeit vor der Aufgabe, EU-rechtliche Änderungen angemessen in nationales Recht zu übertragen. Und da sage ich: Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung trägt dieser Aufgabe Rechnung. Dies wird auch durch die Fachverbände im Bereich des Weinanbaus bestätigt: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird allgemein als Verbesserung der bislang geltenden gesetzlichen Regelungen bewertet. Meine Fraktion begrüßt dabei, dass im Zuge der Rechtsangleichung die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, BLE, in ihrer Funktion als Gesundheitsbehörde mithilfe eines Sachverständigenausschusses -zukünftig Aussagen zu den Auswirkungen des Weinkonsums auf die Gesundheit und das Verhalten der Konsumierenden bewerten wird. Die Linke hielte jedoch, ebenso wie der Deutsche Weinbauverband, die Teilnahme eines Sachverständigen der Weinwirtschaft am Sachverständigenausschuss für sinnvoll. Durch die Erweiterung des Sachverständigenausschusses um eine Fachkraft der Weinwirtschaft würden deren spezifische Kenntnisse Bestandteil der Gesamturteilsfindung des Gremiums. Die Gefahr einer überdimensionierten Einflussnahme der Weinwirtschaft auf die Tätigkeit des Sachverständigenausschusses sieht die Linke, ebenso wie der Deutsche Weinbauverband, nicht. Die Weiterentwicklung der Weinwirtschaft, der Schutz des Kulturgutes Wein und die gesundheitliche Aufklärung und Vorsorge im Umgang mit Alkohol gehören für uns zusammen. Deshalb wird die Linke dem Gesetzentwurf zustimmen. Lassen Sie mich noch auf zwei Dinge hinweisen: Erstens hat sich am Montag dieser Woche, am 30. Juni 2014, das Parlamentarische Weinforum der Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit einer ersten und, wie ich finde, sehr erfolgreichen Veranstaltung ganz im Zeichen des Weinanbaus an Saale und Unstrut konstituiert. Wie ich eingangs schon sagte: Beim Wein besteht über die Fraktionsgrenzen hinweg großes Einvernehmen. Jeweils ein Mitglied aller im Bundestag vertretenen Fraktionen ist zugleich Mitglied des Parlamentarischen -Weinforums. Bei den von uns gemeinsam veranstalteten Parlamentarischen Abenden sind Winzerinnen und Winzer, Vertreterinnen der Weinbauverbände, des Deutschen Weininstituts, Weinköniginnen und Weinprinzessinnen ebenso Gast wie Abgeordnete aller Fraktionen und interessierte Journalistinnen und Journalisten. Auf ein Neues und weiterhin so erfolgreich im Namen des deutschen Weines! Aber, nicht erst wir beschäftigen uns intensiv mit der Gesetzgebung zum Wein. Auch andere Politiker vor uns haben dies bereits getan. Friedrich Engels etwa suchte nach einer Gesetzmäßigkeit des Zusammenhangs von geistigen Getränken und politischer Tätigkeit. Ich zitiere: „Ernstliche und besonders erfolgreiche Aufstände kamen nur in Weinländern oder in solchen deutschen Staaten vor, die sich durch Zölle vor preußischem Schnaps mehr oder weniger geschützt hatten.“ (Marx-Engels-Werke; Band 19; Seite 41–42; Dietz 1982). Und ernstliche gesellschaftliche Veränderungen brauchen wir auch in Europa und in Deutschland. Wenn der Genuss guten Weins dazu führt, dass die zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft überwunden und die zunehmende Verwicklung Deutschlands in militärische Abenteuer verhindert wird, dann sollten wir hier im Bundestag noch viele dem Weine dienliche Gesetzesnovellen verabschieden. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: LKW-Maut nachhaltig und ökologisch ausrichten (Tagesordnungspunkt 22) Steffen Bilger (CDU/CSU): „Ohne mich wäre die Autobahn schön leer. Genau wie Ihr Kühlschrank.“ So steht es auf einigen Lastern, denen wir als Autofahrer gelegentlich auf der Autobahn hinterherfahren. Und der Spruch stimmt – es bringt überhaupt nichts, den Laster zu verteufeln. Natürlich wollen auch wir mehr Güter auf Bahn und Binnenschiff verlagern. Aber erstens muss uns allen klar sein, dass dies nicht von jetzt auf gleich geht, und zweitens sollen dabei weiterhin alle Gütertransporter ihre Stärken ausspielen dürfen. Wir brauchen beides, den Transport auf der Straße wie auch den auf Schiene und Wasserwegen. Dazu ist allen Beteiligten klar, dass der Lkw seinen Beitrag zur Straßennutzung leisten muss. Und das tut er ja bereits in sehr großem Umfang: Zur Straßenbenutzungsgebühr kommen auch noch die Mineralölsteuer und die Kraftfahrzeugsteuer. Dabei sind uns selbstverständlich alle Gutachten bekannt, die auf die immensen – errechneten – externen Kosten hinweisen. Das neue Wegekostengutachten 2013 enthält ja bereits Berechnungen zu den externen Kosten aus Luftverschmutzung und Lärmbelastung, die seit einer Änderung des EU-Rechts im Jahr 2011 zusätzlich angelastet werden können. Dass dabei erst einmal nur die Kosten der Luftverschmutzung angelastet werden sollen, beruht auf technischen Voraussetzungen für eine Anlastung der Lärmbelastungskosten. Eine schnelle Umsetzung der Einbeziehung der Lärmbelastung wäre nicht möglich gewesen. Außerdem ist einmal anzumerken, dass der Lkw nicht nur externe Kosten, sondern auch externe Nutzen hat. Um ein bekanntes Sprichwort abzuwandeln, könnte man auch sagen: Nicht nur die Stoßstange ist aller Laster Anfang – auch die von der Wirtschaft bezahlten Steuern beginnen oft mit Lastwagen. Eine Lieblingsforderung der Grünen ist und bleibt die sogenannte Internalisierung der externen Staukosten. Stau entsteht aber bekanntlich durch viele Fahrzeuge auf zu wenigen Fahrbahnen. Lkw würden also doppelt bestraft: einerseits durch staubedingten Zeit- und Geldverlust sowie andererseits dadurch, dass diese auch noch zusätzlich bezahlt werden müssten. Dabei sollte nicht vergessen werden: Auch diese Kosten würde am Ende der Verbraucher bezahlen. Zudem kann die Logistikbranche noch nicht einmal etwas für nicht vom Staat ausgebaute Strecken. In William Shakespeares Hamlet heißt es einmal: „Ist dies schon Irrsinn, so hat es doch Methode.“ Als Union sind wir weiterhin für den Ausbau der Schiene und eine Verlagerung auf diesen ökologischen Verkehrsträger. Aber: Die Schiene ist auch kein Allheilmittel! Zum einen ist die Bahn oftmals systembedingt einfach nicht mit dem Lkw konkurrenzfähig. Die Bahn ist vor allem auf längeren Strecken bei größeren Gütermengen gut bzw. wenn der Zeitverbrauch weniger eine Rolle spielt. Daneben wäre eine baldige Verlagerung von größeren Gütermengen von der Straße auf die Schiene – wie sie letztendlich der Antrag der Grünen fordert – gar nicht leistbar. Es geht nicht nur um Verlagerung, sondern um Bewältigung des auf uns zukommenden Verkehrswachstums. Schon heute gibt es auf vielen Strecken Stau auf der Schiene. Wir arbeiten dabei am Abbau von Engpässen und dem Ausbau wichtiger Abschnitte. Das alles kostet neben viel Geld vor allem auch viel Zeit. Es bringt deshalb nichts, jetzt umfassend die Lkw-Kosten in die Höhe zu treiben, wenn eine echte Alternative fehlt. Man muss sich schon manches Mal wundern, was so in Anträgen steht. Die Grünen beklagen, dass das Wegekostengutachten für niedrigere Lkw-Mautsätze verantwortlich sei – bei angeblich steigenden Kosten für den Erhalt der Straßen. Die steigenden Kosten wurden in erster Linie durch fehlende frühere Sanierungen verursacht und erst an zweiter Stelle durch mehr Lkw. Der Bundesverkehrsminister ist sicher nicht verantwortlich dafür, dass unabhängige Gutachter im Einklang mit EU-Recht niedrige Mautsätze festlegen. Und an den historisch niedrigen Zinsen – der Grund für die niedrigeren Mautsätze – ist der Minister genauso wenig schuld. Dazu verschweigt der Antrag ebenfalls, dass die ganze Lkw-Maut aus grün-roter Regierungszeit stammt. Viele Forderungen aus dem Antrag hätten also schon damals gleich erledigt werden können. Es ist aber nicht alles schlecht, was im Antrag steht. Einige Ideen sind so gut, dass wir sogar selbst schon vorher darauf gekommen sind. Bereits im April – und damit zwei Monate vor Einbringung des grünen Antrags – hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt angekündigt, dass er sich bei der EU-Kommission dafür starkmachen wird, dass wir das Wegekostengutachten auf neue Beine stellen dürfen. Dabei hat er unsere volle Unterstützung. Zu guter Letzt will ich natürlich noch einmal daran erinnern, dass wir als CDU/CSU-Verkehrspolitiker unsere Verantwortung der Verkehrsinfrastruktur gegenüber sehr ernst nehmen. Viele Forderungen des Antrags werden wir in dieser Wahlperiode sowieso angehen. Immerhin haben wir bisher schon mehr Mittel durchsetzen können als die Vorgängerregierungen. Auch bei der Zukunft von Toll Collect wird Bundesverkehrsminister Dobrindt in Abstimmung mit uns anderen Verkehrspolitikern der Koalition ein tragfähiges Konzept vorlegen. Aus den genannten Gründen lehnen wir den Antrag der Grünen deshalb ab. Karl Holmeier (CDU/CSU): Ich bin sehr verwundert, in welchem Maße die Grünen versuchen, Geschichte umzuschreiben, wohl um von eigenen Fehlern abzulenken. Die Lkw-Maut wurde von einer Bundesregierung eingeführt, in der die Grünen in der Verantwortung standen. Die Grünen haben es damals zum Beispiel zugelassen, dass die Details des Mautbetreibervertrages geheim waren, selbst für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Erst nach ausufernden Spekulationen in der Öffentlichkeit und dem Druck der Unionsfraktion wurde der Vertrag den Mitgliedern des Verkehrsausschusses zugänglich gemacht. Was hat uns Ihr geheimer Betreibervertrag gebracht, meine Damen und Herren von den Grünen? Ein Schiedsverfahren wegen der verspäteten Einführung der Maut, in dem der Bund eine Forderung gegen die Mautbetreiber in Höhe von 5 Milliarden Euro plus Zinsen geltend macht, eine Summe, die uns heute bei Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur fehlt. Das ist die Realität grüner Infrastrukturpolitik. Die deutsche Verkehrspolitik steht tatsächlich vor gewaltigen Herausforderungen, vor allem bei der Straßeninfrastruktur. Hier bedarf es enormer Anstrengungen. Dies hat die Union mit ihren CSU-Verkehrsministern Dr. Peter Raumsauer und Alexander Dobrindt erkannt. Wir haben es angepackt. Wir werden besondere Anstrengungen unternehmen, um zusätzliche Ausgaben für eine moderne, sichere und leistungsstarke Verkehrsinfrastruktur auf den Weg zu bringen. Damit werden wir Straßen, Schienen- und Wasserwege erhalten und ausbauen. Diesem Ziel dient auch die Ausweitung der Lkw-Maut. In der Tat stellt die neue Wegekostenstudie eine neue Herausforderung dar: Die Mautsätze müssen reduziert werden; bis 2017 werden 2 Milliarden Euro fest eingeplanter Einnahmen fehlen. Wir stehen aber zu den Ansprüchen, die wir selbst an unsere Verkehrspolitik gestellt haben: Unser Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat bereits zugesichert, diese Lücke aus dem allgemeinen Bundeshaushalt zu schließen. So sieht verantwortliche Infrastrukturpolitik der Union aus, ressortübergreifend. Wir werden die im Koalitionsvertrag zugesagten 5 Milliarden Euro für die dringend notwendigen Investitionen in die öffentliche Verkehrsinfrastruktur verwenden. Natürlich wäre ein höherer Betrag besser. Wir können und wollen aber nicht weiter Geld ausgeben, das wir nicht haben. Unser haushaltspolitisches Ziel steht: nettoschuldenfreier Haushalt für das Jahr 2015. Das sind wir den nachfolgenden Generationen schuldig. Bei den Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur werden wir weiter Wege gehen, die bislang noch sehr zurückhaltend beschritten werden: Mit der mittelstandsfreundlichen Fortentwicklung von öffentlich-privaten Partnerschaften können wir Synergieeffekte erzeugen, die der Verkehrsinfrastruktur zugute kommen. Auch dies ist ein Bestandteil verantwortungsvoller Infrastrukturpolitik der Union. Unter dem Strich kann ich zum Antrag der Grünen feststellen, dass er im Großen und Ganzen nur das wiederholt, was bereits realisiert wird oder kurz vor der -Umsetzung steht. Wir werden die Maut in Deutschland im Einklang mit dem europäischen Recht reformieren. Bei der Lkw-Maut werden wir die externen Kosten für Luftverschmutzung und Lärm anrechnen; wir gehen von zusätzlichen Einnahmen in Höhe von 400 Millionen Euro pro Jahr aus. Ab dem 1. Juli 2015 werden weitere 1 000 Kilometer autobahnähnliche Bundesstraßen mautpflichtig; die Einnahmen betragen rund 500 Millionen Euro bis 2017. Zum 1. Oktober 2015 wird die Grenze, ab der die Lkw-Maut zu zahlen ist, auf 7,5 Tonnen abgesenkt; das sind rund 200 Millionen Euro Mehreinnahmen bis 2017. Am 1. Juli 2018 kommt die Mautpflicht für Lkw auf allen Bundesstraßen, wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Zudem werden wir den Umweltfaktor beim Lkw-Verkehr stärken, indem wir besonders umweltfreundliche Fahrzeuge der Euro-VI-Klasse durch eine eigene günstige Mautklasse fördern. Bei der Reform des Mautwesens wird auch die Angleichung der Mautsätze auf Bundesautobahnen und Bundesstraßen Berücksichtigung finden. Ich stelle also fest: Unser Verkehrsminister und die Große Koalition haben die Situation fest im Griff. Vermeintlich guter Vorschläge der Grünen bedarf es nicht, und populistische Schuldzuweisungen sind vollkommen fehl am Platz. Wir werden die Maut in Deutschland zukunftssicher weiterentwickeln. Sebastian Hartmann (SPD): Jedem Ansinnen, die Lkw-Maut weiterzuentwickeln, gebührt Lob und Anerkennung. Eine solche Weiterentwicklung hat zwei entscheidende Dimensionen: Zum einen ist dies die Berechnung der Wegekosten und damit auch eine europäische Systematik. Die zweite Dimension ist die Effizienz der Mauterhebung und damit verbunden die Frage der Zukunft der TollCollect GmbH. Greifen wir einen der Gedanken im Antrag der Grünen auf: Auf einsamen ländlichen Bundesstraßen fährt eine Handvoll Lkw herum, deren Kostenanteil an den verursachten Schäden höher sein muss, weil sie sie nur unter sich aufteilen können. Aus horrenden Mautgebühren, die demnächst dabei entstehen, wird in durchaus bemerkenswerter Logik die theoretische Möglichkeit abgeleitet, dass entlegene Regionen nun – Zitat – „verstärkt fordern, an eine Autobahn angeschlossen zu werden“. Aus dem Wegekostengutachten sind tatsächlich eine Reihe von Schlussfolgerungen zu ziehen. Dass sich aber aus ihm ergibt, demnächst Autobahnen bauen zu müssen, um Mautgebühren zu sparen, halte ich für unzutreffend. Und da sind wir bei der Entscheidung. Entweder sind Ihnen die Berechnungsgrundlagen des Wegekostengutachtens zu niedrig oder die Auswirkungen zu hoch. 88,2 Milliarden Euro an externen Kosten hat die TU Dresden zusammengerechnet, indem sie jede einzelne Nebenwirkung von Verkehr betrachtet. Entlang einer Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung würde man dann allerdings erst recht dazu neigen, Ihre „Kostenwahrheit“ auch auf entlegene Regionen auszudehnen – dieselben Regionen, in denen auch die von Ihnen geforderte Absenkung der Gewichtsgrenze auf 3,5 Tonnen am stärksten durchschlagen würde. Das Ziel der Maut ist eine dauerhafte Finanzierung der tatsächlichen Kosten. Dazu zählen nicht nur die -Finanzierungskosten bei Wiederbeschaffung – das ist richtig –, sondern auch die externen Kosten wie Lärm- und Umweltschutz, die in die Berechnung hineingehören. Dies sieht die SPD-Bundestagsfraktion genauso. Die Zinsfixierung der Bau- und Beschaffungskosten ist ein systematisches Problem der Wegekostenberechnung, das wir durch Anrechnung der anderen Faktoren in angemessener Weise korrigieren müssen. Aber man darf nicht an der einen Stelle einer finanziellen Überlastung des Transportgewerbes das Wort reden, um es an anderer Stelle zu beklagen. In Wahrheit ist es doch so: Gerade in ländlichen Regionen ist der Ausbau von Bundesstraßen nötig. Dass man daran diejenigen beteiligt, die sie benutzen, erscheint mir logisch. Es ist daran zu erinnern, dass sich unter wohlfahrtsökonomischen Aspekten ein solcher Beitrag in vielfacher Hinsicht auszahlt: Eine gute Infrastruktur im ländlichen Raum schafft ja überhaupt erst die Voraussetzungen, Handel und Gewerbe vorwärtszubringen. Das gilt für Straßen und Schienen übrigens im selben Maße wie für die Breitbandversorgung. Die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ist eine Forderung, die die SPD schon vor Jahren aufgestellt hat und die uns in den Koalitionsverhandlungen besonders wichtig war. Wir freuen uns, dass der Minister diesen Auftrag ernst nimmt und die Umsetzung in der schnellsten ihm möglichen Weise angekündigt hat, nämlich zum Ende dieser Legislaturperiode. Ich finde, wir halten uns in der Debatte häufig mit Fragen auf, die mit dem Ziel wenig zu tun haben, sondern nur mit unterschiedlichen Auffassungen über den Weg dahin. Übrigens ist die Erweiterung um 30 000 Kilometer auch im Sinne nicht nur ökonomischer, sondern auch ökologischer Betrachtung vernünftig. Sie hat auch Nebeneffekte, die nicht außer Acht gelassen werden sollten, wie eine Vermeidung oder immerhin Reduzierung von Verkehrsverlagerung und Lärm. Ich habe es letzte Woche an dieser Stelle gesagt, und ich stehe dazu: Zur konzeptionellen Weiterentwicklung der Maut gehört auch die Ziehung der Call-Option zur zumindest zeitweiligen Übernahme der TollCollect GmbH in Bundeseigentum. Es würde uns in die Lage versetzen, dauerhaft die Mauteinnahmen zu sichern und die Ausweitung und Vertiefung der Maut zu ermöglichen. Allerdings glaube ich nicht, dass am Ende das gesamte System der Mauteinnahme zusammenbricht, wenn wir die Call-Option nicht noch in dieser Woche ziehen. Leitlinie des Vorgehens sind drei Dinge: Wir wollen die Mauteinnahmen über den vertraglich vereinbarten Betriebszeitraum hinaus sichern, wir wollen so bald wie möglich die zusätzlichen Einnahmen aus der Erweiterung auf das gesamte Verkehrsnetz der Bundesstraßen vornehmen, und wir wollen die Erhebung der Maut in möglichst effizienter Weise organisieren. Ich bin ein Anhänger der Idee, dass die TollCollect GmbH in Bundeseigentum übernommen werden muss, um diese drei Ziele zu erreichen; aber ich stelle nicht in Abrede, dass dieselben Ziele vielleicht auch anders zu erreichen sind. Selbstverständlich ist dies eine Übergangsphase. Der Mautbetrieb ist erneut auszuschreiben und ein, zwei starke Partner sind zu gewinnen. Die Weiterentwicklung der Maut muss auf europäischer Ebene stattfinden. Wir unterhalten uns dieser Tage über die Umsetzung der EU-Richtlinie für den europäischen elektronischen Mautdienst in Deutschland. Der Gesetzentwurf liegt dazu dankenswerterweise auf dem Tisch und befindet sich derzeit in der Verbändeanhörung. Was wir bei der Lkw-Maut wollen, ist völlig geklärt: Wir wollen das beste europäische System mit den geringsten möglichen Erhebungskosten. Die faire Abbildung der Kosten aller Verkehrsträger ist unsere Aufgabe. Der Hinweis auf die Transparenz anderer Kostenarten und ihrer Berechnung wie bei den Trassenpreisen im Schienenverkehr ist zulässig, aber an dieser Stelle nicht sinnvoll. Wir müssen hier die Kosten der Lkw realistisch darstellen, wenn wir über die Maut in Bezug auf den Verschleiß der Verkehrsinfrastruktur und die Folgen für die Umwelt reden; aber die Belastung der anderen Verkehrsträger sollte man lieber in einer anderen parlamentarischen Initiative thematisieren als in einem Antrag zur Lkw-Maut. Ich fasse zusammen: Die Ermittlung der tatsächlichen Wegekosten ist im Interesse des Systems der Nutzer-finanzierung. Es darf aber zu keiner Überbelastung der Spediteure kommen. Beim Beitrag zur Finanzierung der Infrastruktur muss aber auch berücksichtigt werden, dass die Leistungen und Angebote von Handel und Gewerbe von der Existenz einer hervorragenden verkehrlichen Anbindung abhängen – die im wirklich entlegenen Raum übrigens regelmäßig ohne Autobahnanschluss auskommen wird, Frau Wilms. Die Wertschöpfung, die auf der Basis dieser Anbindung erst ermöglicht wird, ist einer Gesamtbetrachtung im wohlfahrtsökonomischen Sinn zuzurechnen. Die Grünen werfen die Frage auf, in welcher Weise die Bundesregierung den Rückbau des Verkehrsnetzes zu treiben gedenkt, wenn die Finanzierung von Erhalt, Betrieb und Sanierung nicht gewährleistet werden kann. Bevor wir dieses Schreckgespenst an die Wand werfen, schlage ich einen anderen Weg vor: Sorgen wir für auskömmliche Einnahmen, indem wir die Maut und ihre Erhebung weiterentwickeln und verstärken! Mehr Mut! Wir schaffen das! Herbert Behrens (DIE LINKE): Es ist nicht das erste Mal am heutigen Tage, dass wir uns mit dem Thema der Nutzerfinanzierung im Bereich der Straßenverkehrsinfrastruktur befassen. Im Gegensatz zur Debatte am Nachmittag zu den Plänen der Koalition zur Einführung einer Pkw-Maut geht es jetzt jedoch um etwas Substanzielles. Wir alle wissen, dass die Zeit drängt. Zum einen verfällt die Verkehrsinfrastruktur zusehends, und der Nachholbedarf bei der Sanierung von Straßen, Schienen und Wasserstraßen ist enorm. Wenn der Sanierungsstau nicht unverzüglich aufgelöst wird, drohen gravierende Kapazitätsengpässe im deutschen Verkehrsnetz. Zweitens pressiert die Frage, wie es denn weitergehen soll mit der Lkw-Maut. Im Verkehrsministerium wird jedoch seit Jahren so getan, als ob man auf die jährlichen Nettoeinnahmen von mehr als drei Milliarden Euro verzichten könnte. Es wird der Eindruck aufrechterhalten, dass man sich noch entscheiden könnte, den Vertrag mit Toll -Collect zu verlängern, das System neu auszuschreiben oder die sogenannte Call-Option zu ziehen. Dies leugnet jedoch die Fakten. Wie im Antrag völlig richtig ausgeführt wird, muss Toll Collect spätestens bis zum 28. Februar nächsten Jahres vom Bund übernommen werden. Mit einer Vertragsverlängerung kann die Lkw-Maut nämlich nicht auf alle Bundesstraßen erweitert werden, wie es SPD und die Unionsfraktionen im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben. Für eine Neuausschreibung des Systems ist es inzwischen zu spät, das heißt, sie wäre gleichbedeutend mit einem kompletten Ausfall der Mauteinnahmen über mehrere Jahre. Davor sollte auch die Große Koalition nicht mehr die Augen verschließen. Wenn das immer noch nicht arbeitsfähige Verkehrsministerium hier nicht tätig wird, muss die Kanzlerin ein Machtwort sprechen und auf die Übernahme von Toll Collect drängen. Denn hier ist Angela Merkels Lieblingsvokabel, bei der sich mir die Nackenhaare sträuben, ausnahmsweise mal angebracht – nämlich die Alternativlosigkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Ihre Forderung, die Call-Option zu ziehen, trifft den Kern des Problems, und wir unterstützen selbige ohne Vorbehalte. Leider haben Sie eine entscheidende Frage nicht bedacht: Warum ist die Bundesregierung nicht gewillt, zu tun, worüber inhaltlich eigentlich Konsens herrscht? Mit anderen Worten, Sie haben es schlicht unterlassen, eine zentrale Forderung zu stellen, nämlich die nach der Beendigung der Schiedsverfahren zwischen dem Bund und dem Betreiber des Mautsystems. Es ist klar, dass, solange die Bundesregierung auf Zahlungen von Toll Collect in Milliardenhöhe hofft, sie keine Anstalten machen wird, den einzig logischen Schritt der vorübergehenden Verstaatlichung von Toll Collect zu machen. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Die Gesellschafter von Toll Collect haben freilich kein Interesse an einer Übernahme durch den Bund und spielen daher die Verzögerungskarte im Schiedsverfahren wirklich sehr geschickt. Die Telekom, Daimler und Vinci wissen genau, dass ein Schiedsspruch zulasten von Toll Collect nach einer Verstaatlichung den Bund vor ein Dilemma stellt. Zum einen würde er dann gegen sich selbst Ansprüche geltend machen, was an Ironie kaum zu überbieten wäre. Zum anderen macht dies eine anschließende Reprivatisierung unmöglich, denn niemand übernimmt ein Unternehmen mit einer Hypothek im zehnstelligen Bereich. Warum haben die Gesellschafter von Toll Collect wohl keine Rücklagen für Schadensersatzzahlungen gebildet? Weil sie am längeren Hebel sitzen und den Bund am Nasenring durch die Arena ziehen können. Die Beendigung des Schiedsverfahrens ist eine unerlässliche Bedingung für das Ziehen der Call-Option. Den Vertrag mit Toll Collect jetzt zu verlängern, verschiebt das Problem nur in die Zukunft, löst es aber nicht. Jetzt muss abgewogen werden, ob man, um die Zukunft des Mautsystems nicht zu verspielen, den Traum von den Milliarden aus dem Schiedsverfahren nicht begräbt und einen Vergleich schließt, der den wechselseitigen Verzicht auf Schadensersatz zum Inhalt hat. Dies ist zumindest der Extremfall, über den man angesichts des knappen Zeitrahmens sehr bald wird debattieren müssen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende! Anders könnte man den Zustand nämlich nicht beschreiben, ab 2018 ganz ohne Mautsystem dazustehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, wir unterstützen Ihren Antrag, der mit unseren Vorstellungen zur Zukunft des Mautsystems weitgehend übereinstimmt. Aber eine sichere Zukunft wird die Lkw-Maut nur haben, wenn die Schiedsverfahren mit Toll Collect noch vor März 2015 beendet werden und damit erst der Weg für eine vorübergehende Verstaatlichung frei gemacht wird. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jahrzehnte haben wir die Verkehrsinfrastruktur immer nur auf Verschleiß gefahren und das begrenzte Geld nur in schöne neue Leuchtturmprojekte in den Wahlkreisen gesteckt. Das rächt sich jetzt. Nur bei der Regierung scheint diese Erkenntnis noch nicht angekommen zu sein. Sie fahren munter den bisherigen Kurs weiter. Unser Problem ist: Trotz Maut fehlen uns Milliarden für die Straßeninfrastruktur, wie die Daehre- und die Bodewig-Kommissionen zweifelsfrei belegt haben. Einen Teil des Problems könnte man sicherlich schon lösen, wenn man mit den vorhandenen Mitteln besser umgehen würde. Wir werden aber nicht darum herumkommen, insgesamt mehr Gelder für die Verkehrsinfrastruktur bereitstellen zu müssen. Dafür können und müssen wir die Mitfinanzierung durch die Nutzer stärken, und zwar durch diejenigen Nutzer, die entscheidend zum Verschleiß der Straßen beitragen, also die Lkw. Die Lkw-Maut ist konsequent und richtig, weil sie den Ansatz der verursachergerechten Anlastung an den Unterhaltungskosten verfolgt. Mittlerweile werden die erzielten Einnahmen zweckgebunden verwendet. Die Idee, dass der Verursacher für die von ihm verursachten Kosten anteilig herangezogen wird, ist einleuchtend und steht für eine nachhaltige Politik. Wir meinen: Das Mautsystem ist noch ausbaufähig. Bisher werden die externe Kosten etwa für Gesundheitsschäden gar nicht ausreichend berücksichtigt. Diese Kosten trägt immer noch die Gesellschaft, also wir alle, und nicht der Lkw-Betreiber. Nur durch eine konsequente Internalisierung der externen Kosten, wie die Fachkreise dazu sagen, kann eine Wettbewerbsgleichheit zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern wie Straße, Schiene, Wasserstraße und Luftverkehr erreicht werden. Verkehrsträgern, die mehr Schäden verursachen, sollen auch die wahren höheren Kosten auferlegt werden. Verursachergerechtigkeit muss für alle Lkw gelten, auf allen Bundesfernstraßen. Weil es inzwischen immer mehr Schwertransporte gibt, müssen wir uns die Frage stellen: Was machen wir mit den richtig schweren Transporten mit über 100 Tonnen über unsere Straßen? Derzeit entrichten sie ihren Mautsatz wie ein normaler Sattelzug, obwohl die Schwertransporte unsere Brücken und Straßen deutlich stärker belasten. So sind schon Autobahnbrücken für Schwertransporte gesperrt worden, weil sie unter den hohen Lasten der Schwertransporte zusammenbrechen würden. Wo bleibt da endlich eine verursachergerechte Lösung? Zu guter Letzt: Es fehlt immer noch eine klare Aussage aus dem Verkehrsministerium, wie es mit dem Mauterfassungssystem Toll Collect weitergeht, wenn der Vertrag Ende August nächsten Jahres ausläuft. Wollen Sie sich dann etwa einen neuen Betreiber suchen? Oder wollen sie gar auf die Einnahmen aus der Lkw-Maut verzichten? Ich denke, nein. Denn zu groß ist das Risiko, dass wir am Ende ohne Mauteinnahmen dastehen. Dann fehlen 4,5 Milliarden in der Kasse. Woher wollen Sie die dann nehmen? Viel Zeit ist nicht mehr, und es bleibt auch nur noch eine realistische Lösung übrig. Daher brauchen wir im Herbst eine klare Entscheidung, auch im Interesse der Mitarbeiter von Toll Collect. Das geht nur noch über die Nutzung der vertraglich vereinbarten Call-Option. Nehmen wir Toll Collect in Bundeshand, so wie es der Vertrag mit dem Konsortium vorsieht. Nur so können wir das System Maut und Straßen aus einer Hand sinnvoll weiterentwickeln. Das erwarten die Menschen und die Wirtschaft im Land von der Politik. 1Anlagen 2 bis 4 2Ergebnis Seite 4115 C 3Ergebnis Seite 4119 D 4Anlagen 4 bis 7 5Anlagen 8 bis 10 6Ergebnis Seite 4155 D 7Anlage 11 8 Anlagen 12 und 13 9Ergebnis Seite 4197 D 10Anlage 14 11Ergebnis Seite 4200 A 12Ergebnis Seite 4221 C 13Anlage 16 14Anlage 17 15Anlage 18 16Anlage 15 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4121 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 4320 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4321