Plenarprotokoll 18/47 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 47. Sitzung Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 I n h a l t : Begrüßung des neuen Abgeordneten -Waldemar Westermayer 4337 A Tagesordnungspunkt 26: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Leistungsausweitung für Pflegebedürftige, Pflegevorsorgefonds (Fünftes SGB XI-Änderungsgesetz – 5. SGB XI-ÄndG) Drucksache 18/1798 4337 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über das Ergebnis der Prüfung der Notwendigkeit und Höhe einer Anpassung der Leistungen der Pflegeversicherung nach § 30 des Elften Buches Sozialgesetzbuch Drucksache 18/1600 4337 B c) Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann (Zwickau), Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Menschenrecht auf gute Pflege verwirklichen – Soziale Pflegeversicherung solidarisch weiterentwickeln Drucksache 18/1953 4337 C Hermann Gröhe, Bundesminister BMG 4337 D Pia Zimmermann (DIE LINKE) 4339 C Hilde Mattheis (SPD) 4341 A Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4342 C Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) 4344 C Pia Zimmermann (DIE LINKE) 4345 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) 4347 B Dr. Karl Lauterbach (SPD) 4348 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4350 C Jens Spahn (CDU/CSU) 4351 C Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4353 A Mechthild Rawert (SPD) 4353 D Pia Zimmermann (DIE LINKE) 4354 D Erwin Rüddel (CDU/CSU) 4355 C Erich Irlstorfer (CDU/CSU) 4356 C Tagesordnungspunkt 27: a) Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kohleausstieg einleiten – Überfälligen Strukturwandel im Kraftwerkspark gestalten Drucksache 18/1962 4358 B b) Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Energiewende durch Kohleausstiegsgesetz absichern Drucksache 18/1673 4358 B Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4358 C Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) 4360 C Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4361 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 4364 A Dirk Becker (SPD) 4365 B Andreas Jung (CDU/CSU) 4367 C Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 4369 B Dr. Matthias Miersch (SPD) 4370 C Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4372 D Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 4374 A Thomas Jurk (SPD) 4376 A Jens Koeppen (CDU/CSU) 4378 C Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr Drucksachen 18/1309, 18/1576, 18/2037 4380 A Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 4380 B Richard Pitterle (DIE LINKE) 4381 B Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) 4382 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4383 B Dirk Wiese (SPD) 4384 B Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 4385 A Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 4385 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 4386 B Marcus Held (SPD) 4387 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4388 A Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) 4389 C Tagesordnungspunkt 29: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte (Lebensversicherungsreformgesetz – LVRG) Drucksachen 18/1772, 18/2016 4391 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Matthias W. Birkwald, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lebensversicherungen auf den Prüfstand stellen – Kein Schnellverfahren zu Lasten der Versicherten Drucksachen 18/1815, 18/2016 4391 B Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) 4391 C Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 4392 C Manfred Zöllmer (SPD) 4394 A Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4395 C Anja Karliczek (CDU/CSU) 4396 D Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 4398 D Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4399 C Namentliche Abstimmung 4400 C Ergebnis 4407 C Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung einer „Expertenkommission zur Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)“ Drucksache 18/1957 4400 C Marco Wanderwitz (CDU/CSU) 4400 C Stefan Liebich (DIE LINKE) 4402 A Siegmund Ehrmann (SPD) 4403 A Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4404 B Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) 4405 A Jörg Hellmuth (CDU/CSU) 4406 A Nächste Sitzung 4409 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 4411 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (46. Sitzung, Tagesordnungspunkt 6 b) 4411 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Peer Steinbrück (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (46. Sitzung, Tagesordnungspunkt 6 b) 4412 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Hartmut Koschyk (CDU/CSU) zur Beratung des Antrags: Einsetzung einer „Expertenkommission zur Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)“ (Tagesordnungspunkt 28) 4412 B Anlage 5 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) zur Beratung des Antrags: 20 Jahre nach Kairo – Bevölkerungspolitik im Kontext internationaler Entwicklungszusammenarbeit und der Post-2015-Agenda (46. Sitzung, Tagesordnungspunkt 31) 4413 D Anlage 6 Amtliche Mitteilungen 4414 B Inhaltsverzeichnis 47. Sitzung Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 Beginn: 9.00 Uhr Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Nehmen Sie bitte Platz. Ich wünsche Ihnen allen einen wunderschönen guten Morgen. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kollegin Annette Schavan hat mit Ablauf des 30. Juni 2014 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Für sie ist der Kollege Waldemar Westermayer nachgerückt. Im Namen des gesamten Hauses begrüße ich den neuen Kollegen sehr herzlich und wünsche eine gute Zusammenarbeit. (Beifall) Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt, während der Haushaltsberatungen ab dem 9. September 2014 keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden durchzuführen. Als Präsenztage sind die Tage von Montag, dem 8. September, bis Freitag, dem 12. September 2014, festgelegt worden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Leistungsausweitung für Pflegebedürftige, Pflegevorsorgefonds (Fünftes SGB XI-Änderungsgesetz – 5. SGB XI-ÄndG) Drucksache 18/1798 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über das Ergebnis der Prüfung der Notwendigkeit und Höhe einer Anpassung der Leistungen der Pflegeversicherung nach § 30 des Elften Buches -Sozialgesetzbuch Drucksache 18/1600 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann (Zwickau), Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Menschenrecht auf gute Pflege verwirklichen – Soziale Pflegeversicherung solidarisch weiterentwickeln Drucksache 18/1953 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister Hermann Gröhe. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, heute mit Ihnen den Entwurf des ersten Pflegestärkungsgesetzes der Bundesregierung diskutieren zu können. Formal, dem Titel nach, handelt es sich um den Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch. Was aber dahintersteckt, ist alles andere als formal. Es geht um ein Thema, das nahezu jede und jeden in diesem Land betrifft, wenn nicht am eigenen Leib, dann doch in der Familie, in der Verwandtschaft, im Freundeskreis, bei der Arbeit. Es geht um Pflege; es geht um gute Pflege. Darauf kommt es an. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Und es kommt darauf an, dass wir 20 Jahre nach Einführung dieser wichtigen Sozialversicherung einen entscheidenden, einen notwendigen Schritt nach vorne gehen. Ich bin davon überzeugt, dass der vorliegende Gesetzentwurf der richtige Schritt ist, die Pflege in unserem Land nachhaltig zu stärken. Knapp 2,5 Millionen Menschen sind bei uns jeden Tag auf Pflegeleistungen angewiesen. Das entspricht der Einwohnerzahl von Köln und München zusammen. Rund 950 000 Frauen und Männer sind bei uns in gut 12 000 Pflegediensten und genauso vielen Pflegeheimen beschäftigt. Sie und die unzähligen pflegenden Angehörigen engagieren sich tagtäglich in beeindruckender Weise für ihre Mitmenschen. Herzlichen Dank für diesen Dienst! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Zahlen zeigen die gesellschaftliche Dimension, die das Thema Pflege besitzt. Aber es geht nicht um Zahlen. Es geht um Menschen. Es geht genau genommen um die Generation unserer Mütter und Väter, Menschen, denen wir alle unendlich viel verdanken. Eine gute und den Menschen in seinen individuellen Bedürfnissen respektierende Pflege ist Ausdruck der Humanität unserer Gesellschaft. Es geht darum, dass diese Menschen die pflegerische Begleitung erfahren, die ihren persönlichen Bedürfnissen entspricht. Mit unserem Gesetzentwurf stellen wir genau sie in den Mittelpunkt unserer Anstrengungen. Dieser Bundesregierung liegen die Verbesserungen in der Pflege am Herzen. Das gilt auch für mich ganz persönlich. Das zeigt sich darin, dass wir bereits ein gutes halbes Jahr nach dem Regierungsstart heute dieses Gesetz vorlegen. Das zeigt sich darin, dass seit April dieses Jahres die Erprobung des neuen Begutachtungsverfahrens für den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff läuft. Und das macht sich auch an Personen fest. Ich freue mich, dass heute Staatssekretär Karl-Josef Laumann auf der Regierungsbank Platz genommen hat. Als Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung wird er nicht nur dieses, sondern auch weitere Gesetzeswerke intensiv begleiten. Er ist gleichsam Ohr und Sprachrohr für die Belange der Pflege innerhalb der Bundesregierung. Ich freue mich, ihn bei dieser Aufgabe an meiner Seite zu wissen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen eine Pflege, die die Besonderheit eines jeden einzelnen Pflegebedürftigen wahrnimmt und berücksichtigt. Herzenswärme, Fachkompetenz und auch die Zeit für die kleinen Wünsche, das erhoffen wir uns von einer guten Pflege. Pflege und Pflegebedürftigkeit sind Themen, die uns alle bewegen und in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen werden. Am Montag hat die OECD die aktuellen Gesundheitsdaten für Deutschland veröffentlicht. Demnach ist die Lebenserwartung in Deutschland bei Geburt auf nunmehr 81 Jahre gestiegen, und sie steigt weiter an. Ein heute 65-jähriger Mann darf erwarten, weitere gute 18 Jahre zu leben, eine gleichaltrige Frau rund 21 Jahre. Wir werden also in den nächsten Jahren mehr ältere und alte Menschen unter uns haben. Dies bedeutet, vielen Menschen werden viele gute Jahre geschenkt – wahrlich ein Grund zur Freude! Damit steigt zugleich die Zahl derjenigen an, die -voraussichtlich der Pflege bedürfen. Bis zum Jahr 2030 – so schätzen wir – werden aus den heute 2,5 Millionen Pflegebedürftigen dann 3,5 Millionen pflegebedürftige Menschen, also rund 1 Million mehr, geworden sein. Dabei weise ich ausdrücklich darauf hin: Pflege ist nicht allein eine Sache des Alters. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Auch ein Unfall, eine tückische Krankheit können für jeden von uns bedeuten, von einem Tag auf den anderen auf Pflege angewiesen zu sein. Meine Damen, meine Herren, in mehreren Gesetzen stellen wir deshalb in dieser Wahlperiode die Weichen für eine Stärkung unseres qualitativ hochwertigen Pflegesystems. Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist dazu ein wichtiger erster Schritt. Wir stärken die Pflegebedürftigen. Wir stärken die Angehörigen. Wir stärken die Pflegekräfte. Was heißt das konkret? Das bedeutet jährlich ein Plus von 2,4 Milliarden Euro an Leistungen für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen. Davon fließen rund 1,4 Milliarden Euro in die Stärkung der ambulanten Pflege. Dies entspricht dem Wunsch der ganz überwiegenden Zahl der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen, Pflege in den eigenen vier Wänden erleben zu können. Alle Leistungsbeträge der Pflegeversicherung werden um 4 Prozent angehoben, um der Preisentwicklung der letzten drei Jahre Rechnung zu tragen. Wichtig für die Pflege in den eigenen vier Wänden ist der Umstand, dass wir die Unterstützung für den Umbau der eigenen Wohnung deutlich erhöhen. Da geht es mitunter um kleine Maßnahmen, die das Leben wieder -vereinfachen oder sicherer machen, wie Haltestangen oder -griffe oder der Umbau der Toiletten, der Badezimmer. All dies wollen wir verstärkt fördern. Pflege daheim. Der größte Pflegedienst in Deutschland ist nach wie vor die Familie. Hier geht mein besonderer Dank an die vielen Kinder und Enkel, Brüder und Schwestern und alle Verwandten, die ihren Angehörigen oftmals im wahrsten Sinne des Wortes unter die Arme greifen. Herzlichen Dank! Dies trägt zur Menschlichkeit unserer Gesellschaft unendlich viel bei. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, jede Pflegesituation ist anders. Deswegen bedürfen die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen passgenauer Hilfe für ihre jeweilige Lebenssituation. Unterstützungsleistungen wie die Kurzzeit-, Verhinderungs-, die Tages- und Nachtpflege sollen deshalb weiter ausgebaut und besser miteinander kombiniert werden können. Bisher wurden diese Leistungen zum Teil gegeneinander aufgerechnet. Das ändert sich nun. Wer beispielsweise bereits ambulante Pflegeleistungen und/oder Pflegegeld bekommt, kann künftig daneben die Tages- und Nachtpflege ohne Anrechnung voll in Anspruch nehmen. Erstmalig – dies ist mir auch ganz wichtig – werden Demenzkranke in der sogenannten Pflegestufe 0 Sachleistungen der teilstationären Tages- und Nachtpflege in Anspruch nehmen können. Gerade für Familien mit demenziell erkrankten Pflegebedürftigen ist dies eine wichtige Verbesserung. Es ist übrigens ein Vorgriff auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff mit seinen künftig fünf Pflegegraden. Neben der ambulanten Pflege nehmen wir auch eine Stärkung der stationären Pflege vor. Lassen Sie mich zunächst aber einige Anmerkungen zu denen machen, die Tag und Nacht professionell in unseren Pflegediensten und Pflegeheimen ihren Dienst tun. Ich habe bereits die Gelegenheit genutzt, ihnen für ihre wichtige Arbeit zu danken. Sie leisten einen Dienst am Menschen und an der Gesellschaft, dessen Anerkennung sich auch in einer angemessenen Vergütung widerspiegeln muss. (Beifall im ganzen Hause – Volker Kauder [CDU/CSU]: Mindestlohn!) Wenn ich mir die Vergütungen der ausgebildeten Pflegekräfte in einzelnen Bundesländern ansehe, stelle ich fest: Diese fallen immer noch sehr unterschiedlich aus. Bei gleicher Arbeit und gleicher Qualifikation gibt es Unterschiede von bis zu 800 Euro im Monat. Ich bin sicher, dass die Vertragspartner angesichts des ansteigenden Fachkräftemangels in diesem Bereich hier zu weiteren Angleichungen nach oben kommen werden und kommen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen, meine Herren, gute Pflege braucht Zeit. Deswegen treiben wir den Abbau überflüssiger Bürokratie voran und erhalten dabei die notwendige Qualitätssicherung. Wir setzen auf Betreuung als Ergänzung zur Pflege; denn Lebensqualität für den Pflegebedürftigen hängt nicht nur an der fachlichen Pflege, sondern auch an anderen Dingen wie Zuhören, Geselligkeit und Vorlesen; jeder von uns kennt solche Lebenssituationen. Deswegen ist es wichtig, dass wir im Rahmen dieses Gesetzes eine halbe Milliarde Euro pro Jahr in die Hand nehmen, um die Zahl der Betreuungskräfte in unseren Pflegeeinrichtungen von 25 000 auf bis zu 45 000 zu erhöhen. Das bringt eine spürbare Verbesserung des Alltags und der Lebenssituation in unseren Pflegeeinrichtungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wie Sie wissen, werden wir neben diesen Leistungsverbesserungen zum 1. Januar 2015 jährlich rund 1 Milliarde Euro in einen Pflegevorsorgefonds einzahlen mit dem Ziel, dann, wenn die sogenannte Babyboomer-Generation ins Pflegealter kommt, zu erreichen, dass die Pflegebeiträge nicht ins Uferlose steigen. Dies ist ein konkreter Beitrag zur Generationengerechtigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir werden zu Anfang des nächsten Jahres mit der Arbeit am zweiten Pflegestärkungsgesetz beginnen. Wenn wir die Erprobungsergebnisse aus der laufenden Parallelbegutachtung haben, beginnt sofort der nächste Schritt: die Realisierung des in dieser Legislaturperiode insgesamt umzusetzenden neuen Begutachtungsverfahrens. Heute aber bringen wir den ersten kraftvollen Schritt zur Verbesserung der Lage der Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen und der Pflegekräfte auf den Weg. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt das Wort Pia Zimmermann. (Beifall bei der LINKEN) Pia Zimmermann (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Herbst letzten Jahres legen sich in Deutschland in vielen Städten immer mehr Menschen samstags fünf vor zwölf auf die Straße und auf Plätze. Damit wollen sie zum Ausdruck bringen, dass in der Pflege hierzulande etwas nicht in Ordnung ist, dass die Pflege hierzulande am Boden liegt. Ich selber habe 15 Jahre im Pflegebereich gearbeitet und weiß genau: Sie legen sich auf die Straße für mehr Wertschätzung und Anerkennung ihrer Arbeit, für ein grundsätzlich anderes Verständnis von Pflege und für eine menschenwürdige Pflege. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Linke unterstützt dieses Anliegen; denn gute und umfassende Pflege ist ein Menschenrecht. Und was machen Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition? Sie täuschen Handlungsbereitschaft vor, anstatt die Probleme in der Pflege ernsthaft anzugehen. (Beifall bei der LINKEN – Rudolf Henke [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr!) Die Pflegeversicherung ist ungerecht. Als Teilleistungsversicherung macht sie gute Pflege vom Geldbeutel der Betroffenen abhängig, und das ist mit uns nicht zu machen. (Beifall bei der LINKEN) Gute Pflege darf kein Privileg sein, sondern muss für alle umfänglich zugänglich sein entsprechend den individuellen Bedürfnissen jedes einzelnen. Schauen wir uns einmal an, was Sie vorhaben. Sie wollen die Leistungen der Pflegeversicherung um 4 Prozent anheben, das heißt eine Erhöhung um 4 Prozent in jeder Pflegestufe. Das verkaufen Sie als Verbesserung. Aber – das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden – hierbei handelt es sich um eine längst überfällige Anpassung der Leistungen der immer teurer werdenden Pflege, Herr Minister Gröhe, und zudem ist es eine unzureichende Anpassung. Sie selber schreiben in dem heute vorliegenden „Bericht der Bundesregierung über das Ergebnis der Prüfung der Notwendigkeit und Höhe einer Anpassung der Leistungen der Pflegeversicherung“, dass Sie noch nicht einmal die vollständige Angleichung an die Preisentwicklung vornehmen, weil diese in den Jahren 2011 und 2012 vom hohen Anstieg der Energiepreise bestimmt war. Dies, meine Damen und Herren, lasse ich ganz unkommentiert. Nur so viel: Hier zeigt sich deutlich, dass die immer wieder von den Verbänden formulierte Kritik an den fehlenden Regeln für diese Leistungsdynamisierung durch die Pläne der Bundesregierung einmal mehr bestätigt wird. Damit Anpassungen der Leistungen der Pflegeversicherung nicht weiterhin von politischer Willkür und von politischem Gutdünken abhängig sind, fordern wir eine gesetzliche, verbindliche jährliche Leistungsdynamisierung. (Beifall bei der LINKEN) Darüber hinaus muss die Pflege vollumfänglich ausfinanziert werden. Wir haben hier eine gesellschaftliche Verantwortung. Menschen mit Pflegebedarf, mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen haben einen Anspruch auf eine gute umfassende Pflegeversorgung, die sich nicht an Profiten orientiert, sondern an ihrem individuellen Bedarf. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Herr Minister Gröhe, diese Verantwortung darf nicht ins Private abgeschoben werden. (Beifall bei der LINKEN) Heute ist es so: Wer sich professionelle Pflege nicht leisten kann, ist auf die Unterstützung und auf ehrenamtliche Pflege aus der Familie und dem sozialen Umfeld angewiesen. Wer wo wann von wem gepflegt wird, muss aber eine selbstbestimmte Entscheidung der Betroffenen sein. Diese Entscheidung darf natürlich nicht durch finanzielle Nöte beschränkt werden. (Beifall bei der LINKEN) Und da ist noch etwas: Sie haben die Personalsituation in der Pflege überhaupt nicht im Fokus Ihres politischen Handelns. Sie behaupten zwar, mit der ersten Stufe der Pflegereform die Personalsituation verbessern zu wollen, tatsächlich tun Sie das aber nicht. Herr Minister Gröhe, es kommt nicht nur darauf an, die Anzahl der Köpfe zu erhöhen, sondern es kommt auch darauf an, die Ganzheitlichkeit in der Pflege wiederherzustellen und das, was wir haben, zu behalten. Wenn Sie auf der Seite der Betreuungskräfte den Personalschlüssel erhöhen, aber auf der Seite der Pflegefachkräfte alles beim Alten lassen, senken Sie insgesamt das Pflegeniveau. (Beifall bei der LINKEN) Weder für die Pflegefachkräfte noch für die Betreuungskräfte wird es weniger Belastung geben. Die einen tragen Verantwortung und müssen zusehen, wie sie im Schweinsgalopp ihre Arbeit erledigt bekommen; die anderen tragen Verantwortung, erledigen die Betreuungsarbeit im Dauerlauf, und alle haben keine Chance, sich fort- und weiterzubilden. Die meisten Menschen, die in der Pflege arbeiten, haben diesen Beruf ergriffen, weil sie gerne mit Menschen zusammenarbeiten wollen. Für sie sind Gespräche, -Unterstützung bei der Grundpflege sowie soziale Interaktion elementarer Bestandteil ihres beruflichen Selbstverständnisses. Die Unterteilung von Pflege- und Sorgearbeit in verschiedene Arbeitsprozesse, nämlich Pflege auf der einen Seite und Betreuung und Unterstützung auf der anderen Seite, zerstört das Verständnis von umfassender Pflege. Herr Minister, so wird umfassende Pflege weiter abgewertet, und eine Attraktivitätssteigerung der Pflegeberufe findet nicht statt. Meine Damen und Herren, kommen wir zur Bezahlung. Damit Lohndumping in der Pflege endlich ein Riegel vorgeschoben wird, muss der Pflegemindestlohn für Helferinnen und Helfer auf 12,50 Euro, wie es auch Verdi fordert, erhöht werden. (Beifall bei der LINKEN) Für Fachkräfte darf ein Bruttogehalt von 3 000 Euro nicht unterschritten werden. Auch die Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten in der Pflege müssen spürbar verbessert werden. Aber statt einer solchen Anerkennung der professionellen Pflegearbeit schaffen Sie mit dieser Reform ein neues Einfallstor für prekäre Beschäftigung in der Pflege. Sie wollen Pflegesachleistungen in niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote umwidmen. Die Pflegesachleistungen waren bisher für die Finanzierung von ambulanten Pflegedienstleistungen vorgesehen. Nun sollen aus diesen Mitteln Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer bezahlt werden. Meine Damen und Herren, so geht das nicht. Das dahinterstehende Verständnis ist doch Folgendes: Pflege kann jeder. – Das ist eine Missachtung der hochanspruchsvollen Arbeit der Pflegekräfte. (Beifall bei der LINKEN) Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass mit diesem Schritt ein eigenständiger Sektor an niedrigschwelligen Entlastungsangeboten geschaffen und der private Pflegemarkt weiter ausgebaut werden soll. Meine Damen und Herren, die Linke fordert Sie auf: Lassen Sie die Pflege nicht länger am Boden liegen! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir wollen das Recht auf selbstbestimmte Pflege in den Mittelpunkt stellen, sowohl für die Pflegebedürftigen als auch für die Pflegenden. Pflege und Betreuung müssen sich an den individuellen Bedürfnissen der Pflegebedürftigen ausrichten. Angehörige und nahestehende Personen müssen entlastet werden. Die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen unbedingt grundlegend verbessert werden. Das Pflegepersonal muss gerecht entlohnt werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Um all das verwirklichen zu können, braucht es eine entsprechende Finanzierung; das ist klar. Wir als Partei der Pflegegerechtigkeit (Lachen bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist ja ganz neu!) schlagen Ihnen dafür die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung vor. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Hilde Mattheis, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hilde Mattheis (SPD): Guten Morgen, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ungefähr einem Jahr attestierte eine Allensbach-Studie der Politik: Nur 64 Prozent der Bevölkerung glauben, dass sich bei der Pflege in der nächsten Zeit etwas ändern werde. 56 Prozent glauben sogar, dass die Politik überhaupt nicht in der Lage sei, für gute Pflege zu sorgen. Diese Ergebnisse haben uns damals sehr beunruhigt. Ich glaube, wir haben uns in dieser Koalition auf einen guten Weg gemacht, genau das zu widerlegen und zu sagen: Wir sind bereit, und wir können in diesem Land für gute Pflege viel bewegen. – Ich fordere die Opposition auf, uns auf diesem Weg positiv und kritisch-konstruktiv zu begleiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Fundamentalkritik ist an der Stelle, an der es um Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige geht, nicht immer unbedingt dienlich. Wir wollen, dass in diesem Land bessere Leistungen bei den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen ankommen. Das tun wir mit diesem ersten Umsetzungsschritt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber klein!) Wir wollen uns in dieser Legislaturperiode nicht nur mit diesem einen Baustein zufriedengeben. Unser Grundkonzept für bessere Pflege, für die Unterstützung von pflegenden Angehörigen und für mehr Anerkennung und Wertschätzung – da finden Sie uns ganz massiv an Ihrer Seite –, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) unser Konzept sieht mehrere notwendige Bausteine vor. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir nicht! – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Dann müssen Sie auch etwas tun!) Diese Bausteine – schauen Sie in unseren Koalitionsvertrag – haben wir miteinander verabredet. Wir wollen nicht nur diesen ersten Umsetzungsschritt, sondern wir wollen die Ausbildungsreform und natürlich auch eine bessere Verankerung sowie eine Verständigung mit Ländern und Kommunen darüber, was deren Aufgabe ist. Frau Zimmermann, ich glaube, da sind wir einer Meinung: Wir hier in Berlin, in diesem Saal, können nicht sagen, welche Infrastruktur in einer Stadt notwendig ist. Da müssen wir uns schon auf einen gemeinsamen Weg begeben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Neben all diesen Punkten ist uns ein wichtiges Anliegen, dass – das steht auch so im Koalitionsvertrag – in dieser Legislatur so schnell wie möglich die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs kommt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir jetzt diese Schritte miteinander vereinbaren, ist uns sehr wohl bewusst: Wir gehen damit einen Weg und nehmen einige Leistungen vorweg, aber – auch das ist eine Vereinbarung, die wir getroffen haben – die Reform dieses Begriffes wird kommen. Wenn nicht jetzt, wann dann in einer Großen Koalition? Wir wollen mit der Vorwegnahme von Pflegeleistungen sehr schnell die Situation von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen verbessern. Wir haben lange darauf gewartet. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das stimmt!) In der letzten Legislaturperiode war der Erfolg in diesem Bereich nur sehr eingeschränkt. In dieser Legislaturperiode – das zu sagen, gestatten mir die Fachpolitiker aller anderen Fachrichtungen; man ist, wenn man mit Herzblut für eine Sache streitet, immer ein Stück weit mit Scheuklappen versehen – ist das, was Pflege anbelangt, eines der zentralen Anliegen dieser Regierung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Dafür machen Sie aber ganz schön wenig!) Jetzt stellen Sie sich vor, wir hätten hier sehr schnell für alle Bereiche, die ich aufgezählt habe, etwas vorgelegt! Sorgfalt geht hier vor Schnelligkeit. Lassen Sie uns in dieser Legislatur lieber „step by step“ die Punkte umsetzen, die wir miteinander vereinbart haben. Die Verbesserungen, zu denen es in der ersten Stufe kommen wird, sind nicht banal. Da geht es um bessere und flexiblere Leistungen für Angehörige. Da geht es darum, einen Mix hinzubekommen: Wenn man die Leistungen in der Kurzzeitpflege oder der Verhinderungspflege nicht voll ausschöpft, dann kann man im Rahmen der Leistungshinterlegung die Mittel, die für den einen Bereich vorgesehen waren, für den anderen Bereich nutzen. Das ist doch gut. Wir wollen, dass die Tages- und Nachtpflege stärker unterstützt wird. Denn die Lebenssituation in den Familien ist einfach so, dass zum Beispiel Menschen mit Demenz eine Tagesstrukturierung nicht mehr hinbekommen, dass Angehörige wenigstens in der Nacht oder zeitweise am Tag entlastet werden wollen. Das ist doch die Lebensrealität. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es wurde hier eine Individualisierung gefordert; auf diese Weise kann man sie ein Stück weit erreichen. Ein Punkt, der schon angeführt wurde, ist für uns von Bedeutung: Wir wollen die Leistungen nach § 45 b SGB XI verbessern und flexibilisieren. Das heißt auch, sich damit auseinanderzusetzen – das ist von Wichtigkeit –: Wie kriegen wir es hin, zwischen einer Entlastungsleistung, einer Betreuungsleistung und einer Fachpflegeleistung zu differenzieren und das Zusammenspiel so individuell zu gestalten, dass es wirklich dem Bedarf der Menschen gerecht wird, (Beifall der Abg. Sabine Dittmar [SPD]) anstatt einfach einen kategorischen Schnitt zu machen und für alle etwas zu hinterlegen? Wir selber können dabei nicht den Bedarf im Einzelfall ermessen; aber wir können den Rahmen dafür angeben, dass sich Bedarfe an individuellen Bedürfnissen ausrichten. Da machen wir jetzt mit diesem Gesetz einen ersten wichtigen Schritt und machen einen Knopf dran, so wie wir es jahrelang gefordert haben. Der zweite Punkt. Ja, wir brauchen mehr Pflegefachkräfte. Sie haben es ausgeführt; wir alle sind uns da im Grunde einig. Wie kriegen wir das hin? Da gibt es keinen Königsweg; da gibt es viele Wege. Ein Weg ist eine Ausbildungsreform. Ein weiterer ist, den Beruf so attraktiv zu machen, dass die Verweildauer erhöht wird, dass Menschen diesen Beruf so lange ausüben können, bis sie in die Lebensphase der Rente eintreten, und ihn nicht vorher verlassen müssen, weil die psychische und körperliche Belastung so groß ist. Dazu brauchen wir ein Ausbildungsgesetz. Aber wir brauchen eben auch eine gute Bezahlung und einen guten Fachkräfteschlüssel. All diese Punkte betreffen die Rahmenbedingungen; wir werden sie angehen. Wir haben den Bereich der Vorsorge in der Tat stark im Blick. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, Vorsorge zu organisieren. Eine Möglichkeit ist, Geld anzusparen, womöglich aber mit dem Risiko eines hohen Realwertverlustes. Eine andere Möglichkeit ist, Gelder einzusetzen, um Vorsorge dafür zu treffen, dass es im Jahr 2030 bzw. 2033 genug Arbeitskräfte gibt, die Menschen professionell pflegen können und in diesem Beruf ihre Erfüllung finden. – Dass dieser Beruf erfüllt, dass ihn sehr viele Menschen gerne ausüben möchten, zeigen unter anderem die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit: Auf eine Ausbildungsstelle kommen drei Bewerber. An diesem Punkt müssen wir ansetzen. Wir wollen durch eine Erhöhung der Vorsorgemittel im Bereich Pflege dafür sorgen, dass im Jahr 2030 genügend gut ausgebildete Fachkräfte vorhanden sind, um die Menschen zu pflegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Beim Thema Pflege braucht es nicht nur eine breite gesellschaftliche Akzeptanz, sondern auch eine breite gesellschaftliche Unterstützung. Pflege kommt nicht immer laut daher. Sie betrifft einen Bereich des Lebens, in dem es darum geht, dass Menschen ihre Würde behalten können und zu garantieren, dass Solidarität in der Gesellschaft greift – eine Solidarität, die darauf beruht, dass diejenigen geben, die geben können, und diejenigen nehmen können, die den Bedarf haben; das betrifft den Anfang und das Ende des Lebens. So definieren wir Generationengerechtigkeit. Lassen Sie uns das in die Tat umsetzen, damit die Menschen davon überzeugt werden: Politik ist imstande, etwas für die Pflege zu tun. Das wollen wir gemeinsam tun. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Elisabeth Scharfenberg, Bündnis 90/Die Grünen. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Weiterentwicklung in der Pflege, Neuorientierung in der Pflege, heute nun die Stärkung der Pflege – egal welchen Namen Ihre Reform trägt, sie bleibt weit hinter den berechtigten Erwartungen der betroffenen Menschen und auch der Expertinnen und Experten sowie der Verbände zurück. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch innerhalb der Koalition scheint keine uneingeschränkte Harmonie zu herrschen. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Doch, doch!) Frau Kollegin Mattheis, Sie haben dieser Tage nochmals – übrigens vollkommen zu Recht – den unsinnigen Pflegevorsorgefonds infrage gestellt, und die Reihen werden immer dichter; die taz berichtet heute davon. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja, wenn die taz berichtet, dann ist das gefährlich!) Auf den unsinnigen Pflegevorsorgefonds komme ich später noch einmal zurück. Zunächst stelle ich fest: Ja, wir brauchen eine bessere Pflege, und dafür brauchen wir wesentlich mehr Geld. Deswegen ist es im Grundsatz richtig, dass diese Koalition den Beitragssatz zur Pflegeversicherung deutlich anheben will; das ist unbestritten. (Beifall des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) Ich will auch nicht abstreiten, dass das eine gewisse politische Kraft erfordert. Aber ich frage mich: Ist das schon Leistung genug? Nein, es ist nicht genug; denn mehr Geld allein ist kein Wert an sich, mehr Geld allein ist auch keine Reform. Geld ersetzt keine Ideen, und diese Koalition hat keine Ideen. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Sie haben keine Vision, wohin sich der Bereich Pflege in unserer Gesellschaft entwickeln könnte. Sie haben kein mutiges, kein fortschrittliches Konzept, in welche Richtung Sie die pflegerische Versorgung in unserem Land weiterentwickeln wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Völlig klar ist: Wir können nicht weitermachen wie bisher. Die Menschen in unserem Land wollen das auch nicht, und doch machen Sie einfach so weiter. (Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt nicht!) Sie setzen den Pflegezug auf die Schiene und lassen ihn in die falsche Richtung fahren. Aber bei einem Zug, der in die falsche Richtung fährt, ist eben auch jeder Haltebahnhof falsch. Auch wenn Sie uns hier erzählen, dass dieser Zug durch blühende Landschaften in Form Ihrer wirr zusammengewürfelten Leistungsverbesserungen fährt, können Sie es nicht schönreden. Am Ende des Tages liefern Sie Stückwerk ab. Sie nehmen die wirklich brennenden Probleme nicht in Angriff. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Machen wir es konkret! (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt wollen wir es wissen!) Sie haben wieder einmal die überfällige Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs vertagt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht das Thema! Weiter! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Qualität geht vor Schnelligkeit, Frau Kollegin!) Ob er dann, wenn er überhaupt jemals kommt, die hohen Erwartungen erfüllt, die über Jahre geweckt wurden, bleibt abzuwarten. Sie tun nichts für die Pflegekräfte. Sie tun nichts gegen den Fachkräftemangel. Über die angekündigte Reform der Pflegeausbildung sind Sie sich auch noch nicht einig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Sie haben auch noch nichts zur besseren Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf unternommen. Ebenso wenig schaffen Sie es, die Pflegeversicherung endlich nachhaltig und sozial gerecht zu finanzieren. Stattdessen bleibt es dabei, dass sich die Privatversicherten konsequent aus der Solidarität mit den Schwächsten entziehen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dafür parken Sie 1 Milliarde Euro pro Jahr in einem Pflegevorsorgefonds, der nicht funktionieren kann. Auch hier wird nur der Anschein von Nachhaltigkeit erweckt. Wir haben dazu vor einigen Wochen eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Das Ergebnis war: Sie konnten oder wollten keine halbwegs konkrete Zahl nennen oder sagen, was genau dieser Fonds eigentlich bringt. Mit anderen Worten: Sie können Ihre eigene Politik gar nicht erklären, weil Sie selbst nicht genau wissen, was der Fonds bringen soll, oder weil Sie genau wissen, dass der Fonds nichts taugt. (Zuruf von der SPD: Alternativen bitte!) Bis auf Herrn Spahn glaubt in dieser Koalition ja nicht wirklich jemand an diesen Unsinn. (Zuruf von der CDU/CSU: Woher wissen Sie denn das? – Thomas Oppermann [SPD]: Was haben Sie denn vor?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Minister Gröhe, wie erklären Sie denn eigentlich den Pflegebedürftigen und den Angehörigen, den Pflegekräften und den gesetzlich Versicherten, dass Sie zwar viel Geld ausgeben werden – es ist das Geld der Versicherten, das Sie ausgeben –, aber die Probleme nicht wirklich angehen? Was sagen Sie den ausgepowerten Pflegekräften? Was sagen Sie den überforderten pflegenden Angehörigen, die mit ihren realen Problemen, mit denen sie sich tagtäglich auseinandersetzen müssen, weiterhin alleingelassen werden? Diese Menschen werden dieser Debatte heute kopfschüttelnd und enttäuscht folgen. Herr Gröhe, Sie bleiben hier nicht nur Antworten schuldig – das muss ich Ihnen ganz offen sagen –, (Mechthild Rawert [SPD]: Sie sollten schon mal besser zuhören! Das wäre hilfreich gewesen!) sondern ignorieren auch die Lebenswelt und die Lebenswirklichkeit genau derer, die eine echte Pflegereform dringend gebraucht hätten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Dieses Gesetz ist keine Pflegereform. Es ist allenfalls eine Pflegeversicherungsreform, eine sehr teure, aber bestimmt keine fortschrittliche Reform. Pflege ist mehr, viel mehr als nur die Pflegeversicherung. Das müssen wir endlich alle begreifen. Sie müssen sich viel deutlicher darauf besinnen, worum es bei den Betroffenen eigentlich geht. Deswegen sollten Sie sich, deswegen sollten wir uns alle fragen, welche Versorgung wir uns denn für uns selbst wünschen. Sagen Sie einmal ganz ehrlich: Wollen Sie für sich wirklich nur etwas mehr von dem, was wir schon haben? Das ist nämlich genau der Kurs, den Sie hier fahren. Ist es wirklich damit getan, die Leistungen der Pflegeversicherung um 4 Prozent anzuheben? Ich will das nicht kleinreden, wirklich nicht. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das tun Sie die ganze Zeit! Seit fünf Minuten!) Aber ist das die Antwort auf die Probleme, die wir in der Pflege haben, die dieses Land braucht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Welche Antwort braucht denn dieses Land?) Wird diese Antwort den Menschen die Angst vor einem unwürdigen Leben im Alter nehmen? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Solange wir das machen, haben wir keine Angst!) Geht es nicht vielmehr darum, den Menschen eine Perspektive zu eröffnen, damit sie selbstverständlich auch bei Pflegebedürftigkeit an dieser Gesellschaft teilhaben können, (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Was sind denn Ihre Vorschläge? Noch kein einziger Vorschlag!) die Perspektive, dass ein Leben im Alter und bei Pflegebedürftigkeit keine Last, sondern ganz normaler Bestandteil unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens ist? (Thomas Oppermann [SPD]: Was schlagen Sie vor?) Teilhabe ist ein elementares Grundbedürfnis, ein elementares Recht. Das spielt in Ihrem Reformwerk aber überhaupt keine Rolle. Dabei ist es das, worum es uns allen im Kern geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu braucht es ein grundlegendes Umdenken. Wir müssen Pflege wieder stärker als Aufgabe und Verantwortung von uns allen und für uns alle begreifen. Ein bisschen Rumwerkelei an der Pflegeversicherung ist einfach zu wenig. Es braucht ein deutliches Signal zur Stärkung ambulanter Versorgungsstrukturen. Wir brauchen einen neuen Pflegebegriff, mit dem nicht nur bestehende Leistungen der Pflegeversicherung erweitert werden, sondern mit dem flexible Formen von Leistungen bereitgestellt werden, Leistungen, die die Betroffenen bei der Führung eines selbstbestimmten Lebens wirklich unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hilde Mattheis [SPD]: Das machen wir jetzt!) Das Allerwichtigste ist: Die Pflege muss wieder dort gestaltet und gesteuert werden, wo sie stattfindet, das heißt vor Ort, in den Gemeinden, in den Vierteln, in den Quartieren, dort, wo die Menschen leben. Das kann eine Pflegeversicherung alleine aber nicht stemmen. Wir müssen vor allem die Kommunen in die Lage versetzen und dabei unterstützen, diese Gestaltungsaufgabe wieder wahrnehmen zu können. Das ist die eigentliche Zukunftsaufgabe, um die es geht. In Ihrem Koalitionsvertrag steht einiges dazu drin. Dort steht auch, dass Sie sich mit der Situation der Kommunen beschäftigen wollen und klären wollen, wie die Rolle der Kommunen bei der Pflege gestärkt werden kann. Nur, es passiert einfach nichts. Man hört rein gar nichts von Ihnen dazu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Machen Sie doch einmal die Augen und die Ohren auf! – Mechthild Rawert [SPD]: Sie müssen auf den Herbst warten!) So mutig es erscheinen mag, der Pflegeversicherung mehr Geld zur Verfügung zu stellen, so kraftlos, beinahe feige, ist das, was Sie diesbezüglich am Ende des Tages anstellen. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Die Rede ist kraftlos! – Thomas Oppermann [SPD]: Das ist eine enttäuschende Rede!) Meine Fraktion, ich und auch die betroffenen Menschen im Land haben wirklich mehr von Ihnen erwartet. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Wir haben heute auch mehr von Ihnen erwartet!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der nächste Redner ist Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Frau Scharfenberg und Frau Zimmermann, Ihre Kritik war mir zu pauschal. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit müssen Sie leben! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird uns auch zu wenig sein, was jetzt kommt!) Wenn man diesem Thema gerecht werden will, dann muss man schon beim Thema bleiben (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe das Thema auf den Punkt gebracht!) und die Substanz zumindest ein bisschen würdigen, dann muss man sich mit dem beschäftigen, was wir tatsächlich verbessern. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann legen Sie einmal los, Herr Nüßlein! Aber inhaltlich!) Wenn Sie im Detail Kritik üben wollen, können Sie das gerne tun. Wenn Sie hier aber in Minioppositionsmanier in Bausch und Bogen alles pauschal verdammen, was wir hier machen, dann werden Sie nicht einmal Ihrer Rolle als Opposition ordentlich gerecht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Deutsche Bundestag hat vor 20 Jahren die Pflegeversicherung beschlossen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal zur Sache!) Sie war damals gar nicht unumstritten, was man heute gar nicht mehr glauben mag; denn wir alle wissen, dass diese Pflegeversicherung ein Erfolgsmodell ist, um das uns Europa mittlerweile beneidet. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bloß nie bei den Menschen ankam!) Wir haben in den letzten beiden Legislaturperioden bereits deutliche Verbesserungen vorgenommen: Wir haben Leistungen dynamisiert, Maßnahmen zur Entlastung pflegender Angehöriger und Zusatzleistungen für an Demenz erkrankte Pflegebedürftige beschlossen; das ist nichts Neues. Zusammengenommen gab es dadurch Leistungsverbesserungen mit einem Volumen von über 3 Milliarden Euro. Von einem Stillstand in der Pflegepolitik zu sprechen, war also schon vor der Reform, über die wir heute in erster Lesung debattieren, falsch. (Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das stimmt! Sie war rückwärtsgewandt!) Es geht weiter voran. Mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz bringen wir in einer ersten Stufe – ich sage das ganz bewusst; hier hat die Nummerierung tatsächlich einmal einen Sinn, weil es in dieser Legislaturperiode zwei Reformstufen geben wird – die im Koalitionsvertrag vereinbarten Verbesserungen im Bereich Pflege auf den Weg. Dabei geht es um eine Vielzahl von Verbesserungen und um ein Volumen von 2,4 Milliarden Euro. Wir haben vor, die Leistungsbeträge um 4 Prozent anzuheben. Dabei geht es um den Inflationsausgleich. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wohl auch eine Selbstverständlichkeit!) – Da können Sie ruhig schreien. – Aber allein das ist ganz wichtig für die Betroffenen, für die Pflegebedürftigen. Mit dem von Ihnen viel gescholtenen Vorsorgefonds setzen wir ein Zeichen, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber ein teures Zeichen, und nutzlos!) dass wir das System zukunftsfähig machen wollen. Auch das sollten Sie aus meiner Sicht würdigen. Die Leistungen im Bereich der häuslichen Pflege werden deutlich verbessert und flexibilisiert; denn wir wollen jedem älteren Menschen ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung ermöglichen, solange das irgendwie geht. Das ist ein gerechtfertigter und der wichtigste Anspruch älter werdender pflegebedürftiger Menschen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Aber was tun Sie dafür?) Dafür wollen wir das Zusammenwirken von Fachkräften, Angehörigen und Ehrenamtlichen intensivieren. Die Bereiche ambulante Pflege, innovative Wohn- und Pflegeformen sowie stationäre Einrichtungen sollen Hand in Hand arbeiten. Den pflegenden Angehörigen helfen wir insbesondere durch die vorgesehenen Verbesserungen im Bereich der Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie der Tages- und Nachtpflege. Damit greifen wir die Wünsche der vielen pflegenden Angehörigen auf, entlastende und unterstützende Pflegeleistungen flexibler in Anspruch nehmen zu können. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich für eine weitere Flexibilisierung werben, insbesondere im Hinblick auf die sechsmonatige Wartezeit im Bereich der Verhinderungspflege. Hier geht es darum, mehr Menschen zu motivieren bzw. ihnen die Möglichkeit zu geben, in einem plötzlich und überraschend auftretenden Fall der Pflegebedürftigkeit häusliche Pflege zu praktizieren. Über diesen Punkt sollten wir im Laufe des Verfahrens noch einmal diskutieren. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zimmermann? Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Ja, gern. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Zimmermann. Pia Zimmermann (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Nüßlein, dass Sie meine Frage zulassen. Sie haben gerade gesagt, dass Sie gerne möchten, dass Menschen möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden gepflegt werden können. Sie haben die Verhinderungspflege und weitere Möglichkeiten angesprochen. Das alles ist ja nur für einen bestimmten Zeitraum gedacht. Eine Person, die pflegebedürftig ist, muss aber meistens mehrere Jahre gepflegt werden. Dieser Zustand setzt ein, ändert sich meistens aber nicht mehr. Das sind die Fälle, von denen ich ausgehe. Wie können wir mit Blick auf die zu pflegenden Personen, aber auch mit Blick auf die Pflegenden eine Regelung treffen, die verhindert, was meistens der Fall ist: dass die Frauen ihren Beruf aufgeben oder in Teilzeit gehen müssen und dann, wenn sie nach der Arbeit, meinetwegen nach einem vierstündigen Arbeitstag, nach Hause kommen, bei besonders schweren Pflegefällen noch 20 Stunden am Tag im Stand-by-Modus sind, weil sie bestimmte Pflegeleistungen erbringen müssen? Wie wollen Sie es regeln, dass die Pflege nicht auf den sogenannten größten Pflegedienst, den wir haben, nämlich auf die Familie und das soziale Umfeld, zurückfällt? Wie können wir das so regeln, dass die Pflege professionell durchgeführt wird und es auch zu einer Entlastung der Angehörigen und der pflegenden Personen kommt? (Beifall bei der LINKEN) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Zunächst einmal will ich in meiner Antwort auf Ihre Frage ganz ausdrücklich betonen, dass man die Pflege in der Familie nicht durch professionelle Pflege ersetzen sollte. Die Pflege in der Familie müssen wir wertschätzen; wir können sie gar nicht hoch genug bewerten. In der Tat müssen wir auch mit Blick auf das Arbeitsrecht die notwendigen Voraussetzungen schaffen, damit hier Spielräume entstehen. Aber man kann natürlich nicht sagen: Auf der einen Seite wollen wir, dass in der Familie gepflegt wird. Auf der anderen Seite stehen wir dem aber kritisch gegenüber, weil die Pflege in der Familie nicht so professionell, wie wir es uns wünschen, durchgeführt werden kann; das kam ja in Ihrer Frage zum Ausdruck. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nein! Das hat sie ja gar nicht gesagt!) Im Gegenteil, das, was die ambulanten Dienste an dieser Stelle leisten, und das, was in der Familie leistbar ist, sollte miteinander verknüpft werden. Ich sehe eine Chance darin, dies fortzuführen. Ich will das überhaupt nicht, wie Sie es gerade zwischen den Zeilen angedeutet haben, infrage stellen. Ganz im Gegenteil, ich glaube, dass es uns durch das, was wir vorhaben, gelingen wird, den ambulanten Bereich zu stärken und dafür Sorge zu tragen, dass Pflege möglichst lange im familiären Umfeld praktiziert werden kann. Aber das geht eben nur unter bestimmten Bedingungen. Für Personen, die so pflegebedürftig sind, dass die Pflege nicht mehr zu Hause zu leisten ist, gibt es stationäre Einrichtungen, die wir an dieser Stelle ebenfalls stärken, und zwar dadurch, dass wir mehr Personal zur Verfügung stellen; der Personalschlüssel ändert sich ja. Deshalb kann ich nicht erkennen, warum man das infrage stellen sollte. Ganz im Gegenteil, wir tun das Richtige, meine Damen und Herren. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Ich habe das nicht infrage gestellt!) – Sie haben das infrage gestellt, (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Nein! – Mechthild Rawert [SPD]: Das hat sie gar nicht gemacht!) jedenfalls zwischen den Zeilen; (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie sollen nicht zwischen den Zeilen lesen, sondern die Frage beantworten!) so habe jedenfalls ich Sie verstanden. Sonst müssen Sie sich klarer ausdrücken. Ich hatte den Eindruck, dass Sie das infrage gestellt haben. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Ich habe eine andere Frage gestellt!) Ich werbe ernsthaft dafür, dass wir an dieser Stelle weiterarbeiten und uns Gedanken darüber machen, was wir noch tun können. Diejenigen, die ihre Wohnung altersgerecht umbauen, werden wir mit Zuschüssen von bis zu 4 000 Euro unterstützen; das ist fast eine Verdopplung der bisherigen Obergrenze. Auch das ist ein Ansatz, um häusliche Pflege zu erleichtern. Außerdem sorgen wir für eine weitere Angleichung der Leistungen bei körperlich und bei demenziell bedingter Pflegebedürftigkeit. Pflegebedürftige, die körperlich in stärkerem Maße eingeschränkt sind, zum Beispiel nach einem Schlaganfall – Sie haben zu Recht gesagt, das sei nicht immer eine Frage des Alters –, können jetzt zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen. Damit räumen wir den Pflegebedürftigen mehr Wahlmöglichkeiten ein. Das ist ja etwas, was Sie einfordern. Insofern sind wir da auf dem richtigen Weg. Ich hätte gewünscht, dass Sie das mehr würdigen. Wer seinen Anspruch auf ambulante Pflegesachleistungen nicht voll ausschöpft, der kann den nicht genutzten Betrag künftig für niedrigschwellige Angebote, etwa in der Betreuung, verwenden. Auch das ist ein Beispiel für mehr Wahlmöglichkeiten. Ich will noch einmal deutlich machen – ich habe das schon in meiner Antwort auf Ihre Frage gesagt –, dass die Kritik mancher Pflegeverbände an dieser Neuregelung nicht gerechtfertigt ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir bei der Betreuung und Entlastung von Pflegebedürftigen mehr ehrenamtlich tätige Menschen brauchen und zum bürgerschaftlichen Engagement bereite Personen fördern müssen. Wenn wir den Anspruch haben: „ambulant vor stationär“, dann können wir dies nur mit Ehrenamtlern umsetzen. Wir wollen die Anforderungen an die Qualität nicht reduzieren oder infrage stellen. Ganz im Gegenteil: Wir werden die Anforderungen an die Qualität aufrechterhalten, aber zusätzlich die Bedeutung des Ehrenamts in diesem Zusammenhang ganz deutlich herausstellen. Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz in der sogenannten Pflegestufe 0 erhalten künftig Zugang zu Leistungen der Tages- und Nachtpflege sowie der Kurzzeitpflege. Dies ist bereits ein wichtiger Schritt zur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und betrifft auch die Frage, wie man die häusliche Pflege befördert. In der stationären Pflege – auch das habe ich angedeutet – wird das Betreuungs- und Aktivierungsangebot schon vor Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs erweitert und auf alle Pflegebedürftigen ausgedehnt. Das Betreuungsverhältnis wird auf eine Betreuungskraft zusätzlich für 20 Pflegebedürftige verbessert, was den Einsatz von weiteren 20 000 Betreuungskräften möglich macht. Allerdings muss der Arbeitsmarkt diese Kräfte auch hergeben. Wir werden uns also auch Gedanken darüber machen müssen, wie man im Rahmen von Arbeitsmarktmaßnahmen und durch Ausbildung die Voraussetzungen dafür schafft, dass das gelingt. Wer die von uns vorgesehenen Maßnahmen schlecht- oder kleinredet, Frau Scharfenberg, verunsichert die Menschen und schadet der Akzeptanz der Pflegeversicherung. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe die Punkte genannt!) Insofern tut mir persönlich die Pauschalkritik weh. Wenn Sie ein Detail kritisieren, dann ist das kein Thema; aber eine solche Pauschalität tut mir weh, weil Sie die Menschen hinsichtlich dessen verunsichern, was wir im Rahmen der Pflegeversicherung tatsächlich für die Pflegebedürftigen leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Aber es bleibt eine Teilkaskoversicherung!) – Sie haben recht: Es bleibt eine Teilkaskoversicherung. Das ist eine Frage, die man unter der Überschrift der Finanzierbarkeit, der Machbarkeit diskutieren muss. Es muss eine Teilkaskoversicherung bleiben, weil es nämlich darum geht, das Pflegerisiko abzusichern. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Aber damit machen Sie die Pflege vom Geldbeutel abhängig!) Wir dürfen die Versicherung doch nicht so gestalten – das müsste Ihnen als Argument gefallen –, dass wir die Erbschaft für die nächste Generation absichern. Darum kann es doch nicht gehen. Wenn man eine Vollkaskoversicherung einführt, also eine Versicherung, ohne dass Eigenanteile zu leisten sind, dann sichert man im Grunde bei weiten Teilen der Bevölkerung die Erbschaft der nächsten Generation, sonst nichts. Ich will deutlich unterstreichen: Wir machen jetzt einen ersten wichtigen Schritt und werden einen weiteren Schritt folgen lassen, der wohlüberlegt ist und mit dem wir den Pflegebegriff anpassen. Wir werden dafür Sorge tragen, dass aus beiden Schritten eine runde Sache wird. Ich bin gespannt, aber nicht gerade erwartungsvoll, ob Sie das am Schluss entsprechend würdigen und uns dafür loben werden. Ich glaube es nicht wirklich; aber wünschen und hoffen darf man ja kurz vor Beginn der Sommerpause. In diesem Sinne: Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Kathrin Vogler das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Nüßlein, wenn man Sie hat sagen hören, welcher Reformbedarf hier auf einmal besteht, dann fragt man sich, wer eigentlich in den letzten Jahren in Deutschland regiert hat. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Sie Gott sei Dank nicht!) Das kann ja nicht die Union gewesen sein. (Beifall bei der LINKEN) Wir wissen doch alle, und nicht erst seit gestern, dass grundlegende Verbesserungen in der Pflege dringend notwendig sind. Wenn ich mit Pflegenden spreche – ganz egal, ob es sich um Angehörige oder Beschäftigte in der ambulanten oder stationären Pflege handelt –, dann höre ich immer nur: Stress, Zeitdruck, übermäßige Arbeitsbelastung. Wenn man mit Menschen mit Pflegebedarf spricht und sie fragt, was sie sich wünschen, dann hört man nur eines, nämlich mehr Zeit. (Beifall bei der LINKEN) Herr Kollege Nüßlein hat gerade sehr eindrucksvoll dokumentiert, dass auch diese Bundesregierung leider keine Antwort auf diese große Herausforderung hat. Wir alle haben eine Vorstellung davon, wie wir im Alter leben wollen. Dazu gehören größtmögliche Selbstständigkeit und Teilhabe. Die Realität sieht für viele aber leider ganz anders aus. Auch die Berichte über Zwangsmaßnahmen in der Pflege müssen uns, glaube ich, Sorgen machen. Aus Personalmangel, aus Zeitmangel und aus Unwissenheit werden Menschen gegen ihren Willen angebunden oder hinter Bettgitter gesteckt. Diese Menschenrechtsverletzungen – das will ich noch einmal ganz klar sagen – geschehen nicht aus Bosheit, sondern sind Ausdruck einer strukturellen Unterversorgung. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Trotzdem nicht zulässig!) Diese Unterversorgung müssen wir beenden; denn gute Pflege ist ein Menschenrecht. (Beifall bei der LINKEN) Ich höre mit Freude, dass Sie zumindest zaghafte Schritte der Verbesserung ankündigen. Ich sage aber ganz klar: Mit Ankündigungen alleine wird sich die Linke nicht abfinden. Wir werden weiter darauf achten, dass für die Menschen tatsächlich etwas passiert. (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das passiert auch!) Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff, über den wir in Expertenkommissionen und hier im Hause über drei Wahlperioden diskutiert haben, bringt nur dann etwas für die Menschen mit Pflegebedarf, wenn Teilhabe und Selbstbestimmung im Mittelpunkt stehen. Hier sehe ich mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf leider noch keinen echten Fortschritt. Das ist eine vertane Chance. (Beifall bei der LINKEN) Uns allen ist doch klar, dass wir für die Umsetzung einer solchen grundlegenden Pflegereform viel Geld benötigen. Die jetzige Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge hat aber rein gar nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Nach unserem Zeitplan werden wir heute Nachmittag um 13.20 Uhr das Lebensversicherungsreformgesetz beraten. Die Menschen werden die Erfahrung machen, dass das, was sie im Rahmen ihrer Lebensversicherungen fürs Alter angespart haben, vor dem Hintergrund der Niedrigzinssituation und der Finanzkrise eben nicht mehr sicher ist. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja Quatsch! Das ist absoluter Quatsch, was Sie hier erzählen! – Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist doch auch wieder Quatsch! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie sollten so etwas nicht sagen, wenn Sie davon nichts verstehen!) Sie wollen dieses Modell der Lebensversicherung, bei dem eine Rücklage für spätere Zeiten gebildet wird, mit dem Vorsorgefonds auch auf den Bereich der sozialen Pflegeversicherung übertragen. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das ist doch Unsinn!) Da die SPD jetzt offensichtlich erkannt hat, dass das hoch problematisch ist, und das strittig stellt, kann ich Ihnen nur sagen: Bitte bleiben Sie hier hart! Sorgen Sie dafür, dass das Struck‘sche Gesetz, dass eben nichts so aus diesem Parlament herausgeht, wie es hineingekommen ist, gerade bei diesem Vorsorgefonds eingehalten wird (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie gehen so heraus, wie Sie hi-neingegangen sind!) und dass die 1,2 Milliarden Euro jährlich, die die Union für spätere Zeiten bei Banken und in Aktienfonds parken möchte, jetzt unmittelbar für Verbesserungen für die Pflegebedürftigen und deren Angehörigen verwendet werden! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen unbedingt einen konkreten Zeitplan für die Umsetzung des neuen Pflegebegriffs haben. Es muss auch sichergestellt werden, dass kein pflegebedürftiger Mensch später schlechter gestellt ist als heute. (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Bestandsschutz!) In der Perspektive brauchen wir aber Leistungen, die sich wirklich am individuellen Bedarf orientieren. Dafür werden wir uns als Linke weiter einsetzen. Wir werden Sie auch unterstützen, wenn wir Schritte in diese Richtung erkennen können. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Karl Lauterbach, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss meine Rede umstellen. Als so später Redner in dieser Debatte dachte ich, dass über die Reform schon alles gesagt worden wäre. Bisher hat man aber nicht viel dazu gehört. Das alles war sehr unspezifisch, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Minister hat doch geredet, oder?) und nicht alles, was man gehört hat, war richtig. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da wollen wir einmal wissen, was Sie zu bieten haben!) Worum geht es bei dieser Reform eigentlich? Die Grünen haben vorgetragen, die Reform sei teuer. Es ist richtig: Die Reform ist teuer. Darauf sind wir stolz. Wir sind stolz darauf, dass die Reform teuer ist, denn sie muss teuer sein. 6 Milliarden Euro, paritätisch finanziert. Die Leistungen der Pflegeversicherung werden in zwei Schritten um 20 Prozent erhöht. Das ist die größte Steigerung im Rahmen einer Sozialreform in den letzten Jahrzehnten. Wir sind stolz darauf, die größte Reform der Pflegeversicherung seit ihrem Bestehen vorlegen zu können. Wir stehen dazu: Die Reform ist teuer. Aber genau das brauchen wir auch. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat keiner infrage gestellt!) Ich will auch ehrlich sagen: Diese Reform ist nicht perfekt; das ist gar keine Frage. Ich möchte aber trotzdem sagen: Das, was wir als Reform zum jetzigen Zeitpunkt vorlegen, ist das Ergebnis dessen, was wir im Koalitionsvertrag über viele Wochen verhandelt haben. Ich möchte Minister Gröhe ausdrücklich dafür danken, dass er sich aus meiner Sicht sehr eng an den Vertrag gehalten hat, der in dieser Sache zielführend ist und den wir mit gutem Willen und im Konsens vereinbart haben. Daher gilt: Wir werden diese Reform verbessern können; das ist gar keine Frage. Jeder Parlamentarier weiß: Wir wollen nicht verändern, sondern wir werden verbessern. Aber der Raum für Verbesserungen ist hier nicht groß; denn der eingebrachte Gesetzentwurf ist sehr gut. Dafür sind wir dankbar. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ehrlich gesagt habe ich nicht viel an Gegenvorschlägen gehört. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) Was haben wir an Vorschlägen – ich vermeide es, polemisch zu sein – von den Grünen gehört? Die Pflege muss für alle begreifbar sein. Die Pflege muss menschenwürdig sein. Wir müssen so gepflegt werden, wie wir gepflegt werden wollen. – Das wollen wir alle. Aber was haben wir heute an konkreten Gegenvorschlägen gehört? Wer erinnert sich an konkrete Gegenvorschläge? (Sabine Dittmar [SPD]: Keine!) Keine konkreten Gegenvorschläge! (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wahl-programm!) Wir sind bereit, jederzeit mit Ihnen konkrete Gegenvorschläge zu diskutieren. Sie müssen aber auch vorgetragen werden. Wir wollen die Reform im Geist einer gemeinsamen Arbeit umsetzen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zuhören nützt manchmal!) Ich will auf die Reform selbst zu sprechen kommen. Ich komme zunächst einmal zur Dynamisierung der Leistungen. Hier wurde gesagt, die Dynamisierung der Leistungen müsse ein Automatismus sein und müsse nicht jedes Mal verhandelt werden; das hat Frau Zimmermann vorgetragen. – Die Pflegeversicherung ist keine Vollkaskoversicherung. Die von Ihnen vorgeschlagene Dynamisierung würde nur Sinn machen, wenn es eine Vollkaskoversicherung wäre. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Da ist doch Quatsch!) Bei einer Teilkaskoversicherung muss jedes Mal neu verhandelt werden. Dann muss es einen Kompromiss zwischen der Dynamisierung der Leistungen auf der einen Seite und der Einführung neuer Leistungen auf der anderen Seite geben. Wir dynamisieren zwar nur um 4 Prozent, aber das macht fast 1 Milliarde Euro aus. Zusätzlich führen wir zahlreiche neue Leistungen ein. Somit verbessern wir die Pflege durch die Dynamisierung und durch die Einführung neuer Leistungen. (Beifall der Abg. Sabine Dittmar [SPD]) Diese Freiheit muss das Parlament haben. Das ist bei einer Teilkaskoversicherung der einzige Weg, auf sich verändernde Verhältnisse rasch zu reagieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Hier wurde auch von den Betreuungskräften gesprochen. Frau Zimmermann, Sie haben gesagt – dafür gab es aus Ihren eigenen Reihen wenig Beifall –, die Linkspartei sei die Partei der Pflegegerechtigkeit. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Ja!) Ist Ihnen aufgefallen, dass in Ihrer ganzen Rede die Angehörigen, die den größten Teil der Pflegeleistungen erbringen, nicht ein einziges Mal erwähnt worden sind? (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist -überhaupt nicht wahr!) Sie haben sich ausschließlich auf die Pflegekräfte in den Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten konzentriert. Die Betreuer wurden dadurch von Ihnen abqualifiziert. Sie haben doch versucht, die Betreuer gegen die ausgebildeten Pflegekräfte auszuspielen. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Herr Lauterbach, wo sind Sie denn gewesen?) Das ist unfair. Auch die Betreuer, egal ob Ehrenamtliche oder Familienangehörige, leisten eine wichtige Arbeit. Wir dürfen in der Pflege die einzelnen Gruppen nicht gegeneinander ausspielen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich sage Ihnen ganz offen: Ein gutes Wort und die Zeit, den zu pflegenden Menschen einmal zuzuhören, ohne dass dabei gepflegt wird, (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Genau, -zuhören! Das ist das Stichwort!) hilft diesen Menschen oft mehr als das Waschen, Rasieren und Saubermachen. Die menschliche Komponente wird vom Betreuer genauso geleistet wie von der ausgebildeten Pflegekraft. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie können überhaupt nicht zuhören!) – Wenn Sie eine Zwischenfrage haben, können Sie diese jederzeit stellen. Aber das Zwischenrufen nervt. – Es kam überhaupt nicht zur Sprache, dass wir zahlreiche Maßnahmen unternommen haben, die Pflege unbürokratischer zu machen. Wir haben dafür gesorgt, dass jemand, der zu Hause einen anderen Menschen pflegt, aber kurzfristig verhindert ist, im Rahmen der Verhinderungspflege und der Kurzzeitpflege eine professionelle Pflegekraft organisieren oder den zu pflegenden Menschen in eine Pflegeeinrichtung bringen kann. Die Tatsache, dass man ständig im Druck ist, wenn man für die Eltern die Pflege übernimmt oder organisiert hat, dass man dann, wenn etwas dazwischenkommt, gar nicht weiß, wie es weitergeht, das ist einer der Hauptstressfaktoren in der Pflege überhaupt. Viele Menschen sind in Pflegeeinrichtungen, weil die Leute den Stress nicht bewältigt bekommen, die Pflege auch dann ständig vorhalten zu müssen, wenn es gerade nicht geht. Dem begegnen wir mit der deutlichen Flexibilisierung und Stärkung der Verhinderungs- und der Kurzzeitpflege. Das ist eine wesentliche Entbürokratisierung. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Das ist das, was die Menschen, die Angehörigen und die zu Pflegenden, wünschen. Darauf sind wir eingegangen. Das wurde hier mit keinem Wort gewürdigt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das gilt genauso für die sogenannten Entlastungsleistungen. Wir machen es jetzt zum Beispiel möglich, dass man die Betreuungsleistung umwidmen kann, indem man einfach für jemanden einkaufen geht. Wenn Sie sich die Reform konkret vorstellen – es sind hier ja oft nur Schlagworte, die vorgetragen werden –, dann betrifft das jemanden, der einkaufen geht und für jemanden sorgt. Hier kann die Leistung abgerechnet werden, auch wenn es keine Betreuung ist. Wenn jemand Papierkram erledigt, zu einem Amt geht und so, dann kann das demnächst abgerechnet werden. Das ist von uns auch ein Vertrauensbeweis gegenüber den Angehörigen. Denn wir gehen nicht davon aus, dass das ausgenutzt wird. Wir vertrauen den Angehörigen und den Pflegenden, dass sie in dieser Zeit tatsächlich auch etwas für den zu Pflegenden machen. Da sagen wir, ihr müsst nicht nachweisen, dass das immer nur Betreuungsleistungen sind, sondern diese sogenannten Ergänzungsleistungen, Entlastungsleistungen sind alles Maßnahmen, die im Konkreten den Stress in der Familie und bei den zu Pflegenden wegnehmen. Das halte ich für richtig. Das sind unbürokratische und gute Wege. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der Begriff der Pflegebedürftigkeit wurde schon erwähnt. Da wird immer kritisiert, er kommt nicht schnell genug usw., usf. Machen wir uns doch nichts vor: Es sind 2,5 Millionen Menschen, auf die der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff langfristig angewendet wird. Wir wollen sicherstellen, dass niemand weniger bekommt, als ihm zusteht. Niemand soll schlechtergestellt werden. Das muss in der Praxis funktionieren. Dieses Projekt hau ruck einzuführen, wäre doch völlig unverantwortlich gewesen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Machen wir uns doch nichts vor: Das ist die größte Veränderung in der Art und Weise, wie wir eine Sozialleistung bezahlen. Wir wollen ja, dass die Dinge unbürokratischer und besser werden. Es wäre rücksichtsloser, unverantwortlicher Populismus gewesen, wenn wir, ohne das in den Regionen auszutesten, dem „Druck der Straße“ nachgegeben und im Hauruckverfahren einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt hätten. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die Straße ist der Druck?) – Obwohl Sie hierzu nicht einen einzigen konkreten Vorschlag zur Pflegereform vortragen können, erwarten Sie von uns, für die gesamte Bevölkerung ein kompliziertes System einzuführen, ohne dass wir es ausgetestet haben. Diese Verantwortungslosigkeit haben wir nicht. Wir stehen dazu. Wir führen das zu dem Zeitpunkt ein, an dem es angemessen ist, und zwar so schnell wie möglich. Dieses Vertrauen haben wir verdient. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Machen Sie einmal ein paar Schritte, statt stehen zu bleiben!) Ich komme auch noch zu dem Pflegevorsorgefonds. Ich sage dazu schlicht und ergreifend meine persönliche Meinung. Wir werden das diskutieren. Das ist ganz klar. Das geht in diese Runden hinein, in denen wir alles verbessern wollen. Aber ich sage einmal das, was ich persönlich denke. Ich persönlich finde den Vorschlag nicht falsch. Denn wir müssen Folgendes bedenken: Wir werden in 30 Jahren folgende Situation haben: Die Menschen werden durch sinkende Renten von Altersarmut bedrängt werden, die Familien werden zum Teil zerbröckelt sein, höhere Scheidungsquoten, weniger Kinder. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wer ist denn an den sinkenden Renten schuld?) – Hören Sie doch einfach zu! – Die Differenz zwischen dem, was eine Familie dann finanziell und menschlich einbringen kann, und dem, was dann gefordert wird, wird für die Babyboomer-Generation größer sein als für jede andere Generation davor. Daher halte ich es persönlich nicht für falsch, dass wir einen Teil dieses Geldes – es sind ja nur 20 Prozent der Ausgaben, die wir jetzt beschließen – zurücklegen und dann verbrauchen, wenn es die Leute benötigen. Das gibt auch eine gewisse Sicherheit. Insoweit bin ich für jeden zusätzlichen Vorschlag dankbar. Aber wir stehen auch in diesem Punkt zum Koalitionsvertrag. Wir werden das diskutieren, aber wir stehen zum gesamten Paket. Ich glaube, dass wir insgesamt ein Paket vortragen werden, das die Pflege entbürokratisiert, das die Pflege ein Stück weit nachhaltiger macht und das die Pflege menschlicher macht. Davon bin ich überzeugt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Präsidentin! Liebe Kollegen! Ich glaube, hier im Haus fehlt es nie an wertschätzenden Worten für die Pflege. (Beifall bei der LINKEN) Aber an entscheidenden wertschätzenden Taten herrscht seit Jahrzehnten in diesem Haus ein großer Mangel; das müssen wir feststellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) In der heutigen Diskussion geht es zum größten Teil um die massiven Versäumnisse in den letzten acht Jahren. Deshalb müssen wir davon sprechen, dass die Pflege am Boden liegt und dass die Pflegekräfte und die Familienangehörigen nicht mehr können. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Wo denn?) Das ist eigentlich die Grundsituation, über die wir nun reden und die Sie überall vor Ort erleben. Dann haben Sie sich als Union in der letzten Legislaturperiode in einem lang andauernden Streit mit der FDP erlaubt, die Probleme im Pflegebereich auszusitzen. Sie haben nichts Materielles auf den Weg gebracht. Sie haben nur kleinste Korrekturen vorgenommen und beispielsweise Stellen für Entlastungskräfte geschaffen. Das ist tatsächlich nicht die Lösung des Problems. Deshalb reden wir hier so kontrovers über den Pflegebereich. Karl Lauterbach, es ist sicherlich schön, staatstragend zu reden. Wenn man in einer Großen Koalition ist, ist das vielleicht auch notwendig. Aber ich muss wirklich sagen: Die gleiche Rede, die Frau Scharfenberg eben gehalten hat, hätten Sie vor einem Jahr genauso gehalten. Das halten wir fest. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Niemals! – Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das war noch vor der Reform!) Kommen wir zum nächsten Punkt. Nachdem Sie sich endlich durchgerungen haben, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, eine Erhöhung des Beitragssatzes in der Pflegeversicherung um insgesamt 0,5 Prozentpunkte und eine Ausweitung des Leistungskatalogs zu beschließen, erlauben Sie sich, davon etwas für ein teures Symbolprojekt abzuzwacken – es ist ein Drittel der Mehreinnahmen aus der Erhöhung um 0,3 Beitragssatzpunkte ab 1. Januar 2015 –, das kein einziges Problem lösen wird, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weder bei den Angehörigen noch bei den Pflegekräften und auch nicht bei uns, den Finanziers und Beitragszahlern. Was nutzt es mir, wenn ich 2035 einen um 0,14 Prozent geringeren Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung zahle? Das ist Irrsinn, was Sie hier machen. Sie parken das Geld quasi weg, das wir dringend für Entlastungen im Pflegebereich brauchen. Das ist der entscheidende Punkt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Nun kommen wir zum nächsten Punkt. Sie heben sehr stark auf die Entlastung der Angehörigen ab. Es ist sicherlich richtig, die verschiedenen Instrumente, die wir heute haben, für die Entlastung zu flexibilisieren. Es wäre überhaupt nicht nachvollziehbar, das nicht zu tun. (Beifall des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) Darauf kann man sich aber nicht ausruhen. Wer sind denn diese zusätzlichen Betreuungs- und Assistenzkräfte? Ich kenne – wahrscheinlich genauso wie Jens Spahn – sehr viele solcher Kräfte bei uns im westlichen Münsterland. Es handelt sich in der Regel um erfahrene Hausfrauen, die nach der Familienphase und mit einer Bezahlung in Höhe von 400 Euro in den entsprechenden Einrichtungen arbeiten. Das ist aber kein Zukunftskonzept. Wir brauchen auf Dauer andere Wege, wenn wir diesen wichtigen Teil abdecken wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Denn bei diesem Konzept wird darauf gesetzt, dass diese Frauen beispielsweise nicht in die Rentenversicherung einzahlen und nicht in einem regulären Vollzeitarbeitsverhältnis stehen. Es handelt sich also um prekäre Bedingungen, auf die wir nicht grundsätzlich setzen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Frau Mattheis pocht nicht umsonst darauf, das Geld, das Sie nun im Vorsorgefonds parken wollen, beispielsweise für die Verbesserung der Ausbildung der Pflegekräfte auszugeben. Wenn ich heutzutage ein Pflegeseminar besuche, dann sagen mir die Teilnehmer: Ich lerne hier etwas, was ich eigentlich gerne tun würde. Aber ich weiß schon heute, dass ich unter den hier herrschenden Arbeitsbedingungen niemals länger als zehn Jahre arbeiten werde. – Das ist unwürdig für unsere Gesellschaft. Das dürfen wir nicht erst am Ende der Legislaturperiode ändern, sondern das müssen wir schnell angehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber wahrscheinlich werden wir erleben, dass die Erweiterung und die Neufassung des Pflegebegriffs, der endlich für mehr Zeit in der Pflege sorgen könnte, erst 2017, also am Ende der Legislaturperiode, kommen werden. So sieht die Situation aus. Dann müssen wir uns auch ehrlich damit befassen und dürfen nicht nur drum herumreden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Jens Spahn, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jens Spahn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der Pflege und die Frage, welche Herausforderungen Pflege für jeden Einzelnen bedeutet, sind mittlerweile in jeder Familie angekommen. Jeder hat als Partner, als Kind, als Enkelkind erlebt, was es physisch und psychisch für eine Familie bedeutet, wenn jemand pflegebedürftig wird. Was heißt es eigentlich, pflegebedürftig zu sein? Am Ende heißt es, die Dinge des Alltags – waschen, aufstehen, essen – nicht mehr alleine tun zu können. Das ist, glaube ich, eine Erkenntnis, die für jemanden, der dies nach 75, 80 oder 85 Jahren im Safte nicht mehr kann, ganz schwierig ist; sie ist nicht nur für den Betroffenen selbst schwierig, sondern auch für die Angehörigen. In dieser Situation Unterstützung zu leisten, ist das, was Pflegeversicherung am Ende tun soll. Wir können den Schicksalsschlag der Pflegebedürftigkeit nicht irgendwie ungeschehen machen, aber wir können so gut es geht Unterstützung für die Familien, für den Pflegedienst der Nation, leisten. Das Pflegestärkungsgesetz, das wir heute beraten, leistet einen ganz wichtigen Beitrag dazu, Familien und Pflegebedürftige in ihrer Situation zu unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Kollege Lauterbach hat recht: Da helfen nicht die grundsätzlichen wolkigen Worte, sondern es braucht ganz konkrete Verbesserungen für die Pflegebedürftigen, ihre Angehörigen und die Pflegekräfte. Wenn man einmal schaut, Frau Kollegin Scharfenberg, was wir denn konkret tun, dann wird man eine ganze Menge sehen. Das eine ist der ambulante Bereich. Ich habe gerade gesagt: Die Familien sind der Pflegedienst der Nation. Für die werden wir ganz konkrete Verbesserungen haben. Wir werden mehr Betreuungsleistung haben. Sie sagen, das sei nichts, aber ich glaube, dass es für viele wichtig ist, drei, vier oder fünf Stunden Entlastung zu haben, zu wissen, dass man von zu Hause weg kann und sich einmal mit Freundinnen treffen kann, dass man einkaufen gehen kann oder einfach den Kopf von der 24-Stunden-Pflege freibekommen kann, weil man weiß, dass jemand da ist und sich zu Hause um den Pflegebedürftigen kümmert. Das ist für die, die konkret betroffen sind, eine große Hilfe. Es ist kleinkariert, wie Sie, Frau Scharfenberg, das hier gerade kritisiert haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist auch eine konkrete Hilfe, dass zum 1. Januar 2015 mehr Geld für die Familien zur Verfügung steht, weil wir die Sätze um 4 Prozent erhöhen, und es zusätzliche Flexibilität gibt – Stichwort Verhinderungs-, Kurzzeitpflege –, also das, was man braucht, um einmal eine Auszeit für zwei oder drei Wochen nehmen zu können, was ganz wichtig ist. Wir erhöhen die Mittel – Geld, das direkt bei den Betroffenen ankommt –, wir erhöhen die Flexibilität. Das hilft den Menschen konkret. Ich finde, das kann man auch einmal in einer solchen Debatte anerkennen. Man muss nicht alles schlechtreden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Gleiche gilt für die stationären Einrichtungen. Die Betreuungskräfte leisten nicht die klassische Pflege, und das sollen sie auch nicht, sondern sie sind da zur zusätzlichen Unterstützung, um Gespräche zu führen oder um mit den Pflegebedürftigen spazieren zu gehen. Sie entlasten damit die Pflegekräfte und machen insgesamt möglich, dass mehr Zeit für den Einzelnen da ist. Das ist es, was übrigens aus allen Pflegeeinrichtungen berichtet wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie einmal vor Ort sind, dann werden Sie hören, dass alle sagen: Es war eine der besten Maßnahmen der letzten Jahre, dass es diese Betreuungskräfte gibt. – Wir wollen die Zahl der Betreuungskräfte mehr als verdoppeln. Das sind ganz konkrete Verbesserungen. Man könnte einmal anerkennen, Frau Kollegin Scharfenberg, wie wir den Menschen helfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Seit zehn Jahren und länger wird über Bürokratieabbau geredet. Wir haben jetzt endlich beschlossen, dass nicht mehr alles aufgeschrieben wird, was den ganzen Tag in der Pflege geleistet wird, sondern, um es einfach zu formulieren, es wird nur noch dokumentiert, was ungewöhnlich oder anders als sonst ist. Nach allem, was wir wissen, reduziert das die Bürokratie um mehr als ein Drittel. Selbst wenn es nur die Hälfte davon ist, wäre das eine deutliche Verbesserung. Zum ersten Mal gibt es einen konkreten Vorschlag, wie der Alltag der Pflegekräfte verbessert werden kann. Diesen Vorschlag müssen wir jeder einzelnen Pflegeeinrichtung unterbreiten, damit die Verbesserungen konkret spürbar werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist einfach kleinkariert, was Sie gerade abgeliefert haben. Sie haben nicht eine der konkreten Verbesserungen, die den Menschen und den Pflegebedürftigen helfen, gewürdigt, (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht meine Aufgabe!) sondern Sie haben pauschal alles vom Tisch gewischt. Wenn das das Niveau ist, auf dem Sie die Debatte in den nächsten Wochen führen wollen, dann bitte schön. Ich glaube, wir haben gute Argumente und konkrete Vorhaben, die zeigen, dass wir wollen, dass es den Menschen in der Pflege ab dem 1. Januar besser geht. Wenn Sie, Frau Scharfenberg, pauschal bei Ihrer Position bleiben, dann glaube ich nicht, dass das bei den Menschen ankommen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir werden jetzt in zwei Schritten – auch darauf ist hingewiesen worden – 6 Milliarden Euro mehr in der Pflegeversicherung ausgeben. Das ist bei einem System, das heute einen Umfang von 22 Milliarden Euro hat, enorm. Das ist eine Erhöhung um ein gutes Viertel. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war auch absolut defizitär!) Sie haben mit einem recht: Geld allein bringt nichts. Aber ohne zusätzliches Geld wird es auch nicht gehen. Deswegen ist das ein sehr wichtiger, großer Schritt, den wir auch immer angekündigt haben; denn in einer älter werdenden Gesellschaft werden für das gesellschafts-politische Megathema Pflege am Ende alle mehr Geld brauchen. Jetzt kommt es darauf an – ich glaube, die genannten Beispiele haben es deutlich gemacht –, dass dieses Geld am Bett ankommt, bei den Pflegebedürftigen, und nicht bei den Sozialhilfeträgern, dass es nicht irgendwo im System versickert, sondern ganz konkret am Bett in Leistungsverbesserungen, in zusätzliche Betreuungskräfte, in mehr Zeit investiert wird. Die Maßnahmen, die wir hier vorschlagen, stellen genau das sicher. Wir wollen das zusätzliche Geld ganz konkret bei den Menschen haben. Es soll mehr Zeit, mehr Pflege, mehr Betreuung bringen. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Genau!) Das stellen wir sicher, auch wenn viele gerne gesehen hätten, dass das Geld an anderer Stelle ausgegeben wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nun zum Pflegebedürftigkeitsbegriff. Sie wissen ganz genau, Frau Scharfenberg, dass man – auch wenn jetzt zwei Gutachten vorliegen; das sagen die Pflegewissenschaftler und die anderen Sachverständigen selber – nicht vom einen auf den anderen Tag hätte regeln können, dass Demenz und andere Einschränkungen im Alter besser berücksichtigt werden. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen wir Ihnen seit Jahren!) Eines machen wir nicht – das ist ganz wichtig –: Wir machen kein Experiment mit 1 Million Menschen. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch richtig so! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Sagen Sie das laut!) Jedes Jahr wird 1 Million Menschen in Deutschland in der Pflegeversicherung neu daraufhin angeschaut, welche Unterstützung sie brauchen. Da machen wir nicht mal eben, nur weil es ein theoretisches Gutachten gibt, ein Gesetz, in dem wir regeln, was wir mit diesen Menschen machen. Möglicherweise stellen sich dann einige schlechter; es gibt Unklarheiten und viel Durch-einander. Stattdessen untersuchen wir gerade in diesen Wochen parallel in der Praxis, in Studien, was sich konkret – nicht nur in der Theorie, sondern auch in der -Praxis – ändert, um vor einer gesetzlichen Regelung herauszufinden, welche Folgen das hat. Das ginge – das wissen Sie ganz genau – nicht von heute auf morgen. Wir machen das mit der nötigen Gründlichkeit. Ich glaube, damit ist den Menschen am Ende am besten geholfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Scharfenberg? – Bitte schön. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, dass ich die Zwischenfrage noch stellen darf. – Lieber Herr Kollege Spahn, Sie haben jetzt wunderbar ausgeführt, dass man das nicht von heute auf morgen regeln und den Menschen überstülpen kann, dass das ein sehr großer Umschwung und eine sehr große Aufgabe ist. Wann ist Ihnen denn diese Erkenntnis gekommen? Sie sind jetzt seit acht Jahren in der Regierung. Die Vorschläge liegen uns seit Jahren vor. Wenn man vor vier Jahren angefangen hätte, sich damit aus-einanderzusetzen, dann wären wir jetzt an dem Punkt, dass wir das umsetzen könnten. Ich kritisiere nicht, dass es Modellvorhaben gibt, sondern ich kritisiere den Zeitpunkt; ich kritisiere, dass es die erst jetzt gibt. Wann ist Ihnen die Erkenntnis gekommen, und hätte das nicht schon vor vier Jahren stattfinden können? Dann wären wir und die Menschen im Land schon ein ganzes Stück weiter. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Jens Spahn (CDU/CSU): Zunächst einmal sind wir und die Pflegebedürftigen schon ein ganzes Stück weiter, denn wir haben in den letzten Jahren, auch im Vorgriff auf diese Debatte, schon viele zusätzliche Leistungen ermöglicht. Ich habe gerade schon einige Leistungen für Menschen mit Demenz dargestellt; es ist ja nicht so, als ob es heute gar keine Leistungen gäbe. Weil wir wussten, dass diese Debatte noch Zeit braucht, haben wir in den letzten Jahren im Vorgriff bereits viele konkrete zusätzliche Verbesserungen auch für Menschen mit Demenz beschlossen. Zum Zweiten wissen auch Sie, dass das erste Gutachten aus der vorletzten Legislatur nicht gereicht hat. Frau Ministerin Schmidt, die seinerzeit im Amt war, hat damals gesagt, damit könne man noch nichts konkret umsetzen. Deswegen haben wir in der letzten Legislatur weiter daran gearbeitet. Dass im Beirat alle, bis auf einen, wieder mitgemacht haben, macht deutlich, dass alle erkannt haben, dass der Bedarf, weiter an diesem Thema zu arbeiten, vorhanden ist. Jetzt haben wir die Basis. Man kann immer sagen: zu spät; hätte schneller geschehen müssen. Aber jetzt haben wir die Basis, das gründlich und vernünftig zu machen. Wir tun das, und das ist das, was Sie eigentlich wurmt: dass wir es sind, die das jetzt vernünftig umsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Mindeste!) Das bringt mich abschließend zu dem Thema Vorsorgefonds, Vorsorgen für die Zukunft. Der Jahrgang 1964 ist der geburtenstärkste Jahrgang, den Deutschland jemals hatte. 1,4 Millionen Menschen wurden 1964 geboren; Sie werden nie wieder so häufig zu 50. Geburtstagen eingeladen wie dieses Jahr. Wir wissen schon jetzt, ab wann die alle etwa pflegebedürftig werden. Das Risiko, pflegebedürftig zu werden, besteht meistens ab 75, 80 Jahren. Wir wissen gleichzeitig, dass es zu diesem Zeitpunkt in Deutschland deutlich weniger Beitragszahler geben wird als heute. Da ist es doch vernünftig, Vorsorge zu betreiben! Wenn man weiß, dass in den nächsten Jahren die Situation eintreten wird, dass wir besonders hohen Unterstützungsbedarf haben, weil es in Deutschland besonders viele Pflegebedürftige und gleichzeitig viel weniger jüngere Menschen, die Beiträge zahlen können, geben wird, dann ist es doch kluge Politik, über vier Jahre hinauszudenken und zu sagen: Wir sorgen vor, wir sparen an, und zwar nicht nur zum Schutz der Beitragszahler, sondern vor allem zum Schutz der Pflegebedürftigen der Zukunft. Denn übermäßige Beiträge würden am Ende auch Debatten über Leistungskürzungen bedeuten. Es braucht diesen Fonds, um auch die in der Zukunft Pflegebedürftigen zu unterstützen. Deswegen wollen und werden wir ihn gemeinsam, wie dargestellt, schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist Ihr Prinzip: Sie wollen das Geld am liebsten heute ausgeben. Es gibt viele Vorschläge, wie man das Geld, das wir jetzt sparen, heute noch zusätzlich ausgeben kann. Sie leben eh im Vorgestern. Diese Koalition denkt an morgen. Wir denken an die Zukunft. Wir führen zum ersten Mal in einem sozialen Sicherungssystem in Deutschland eine Säule ein, durch die zum Ausdruck gebracht wird, dass wir nicht nur an heute denken, dass wir nicht nur – in der Vergangenheit zu Recht erworbene – Ansprüche bedienen; vielmehr sorgen wir auch dafür, dass dieses System fit für die Zukunft ist. Ich glaube, die Basis für die Beratungen der nächsten Wochen ist gut. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Mechthild Rawert, SPD-Fraktion. Mechthild Rawert (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gesagt, getan: Die SPD setzt sich schon seit langem mit dem Thema Pflege auseinander. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hat das Recht auf Beratung eingeführt, Pflegestützpunkte, den Beirat zur Pflegebedürftigkeit, die Einrichtungen zur Prüfung von Qualität und, und, und. Ohne das wäre es nicht möglich, dass wir heute dieses erste Pflegestärkungsgesetz überhaupt auf den Weg bringen könnten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die SPD hat in Regierungs- und auch in Oppositionszeiten gründlich gearbeitet. Wir sind konstant am Ball geblieben. Wir haben im Wahlkampf die 0,5-Prozent-Beitragssatzerhöhung gefordert. Ich bin dankbar, dass diese Koalition diese Forderung jetzt umsetzt; denn das ist die Grundlage dafür, dass wir mittlerweile über zusätzlich 6 Milliarden Euro für den Bereich Pflege verfügen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben schon vorhin über den Pflegebedürftigkeitsbegriff gesprochen. Ja, seit Einführung der Pflegeversicherung wird darüber gesprochen, dass wir eine Ausweitung von den somatischen über die kognitiven bis hin zu den psychischen Einschränkungen brauchen. Das ist richtig; denn wir wollen mehr Selbstständigkeit. Wir wollen soziale Teilhabe, und wir wollen eine stärkere Orientierung an Kommunikation. Gesagt, getan: Dieses Pflegestärkungsgesetz bringt mehr und bessere Leistungen für Pflegebedürftige, für an Demenz Erkrankte. Vor allen Dingen bringt es mehr und auch zusätzliche Leistungen für pflegende Angehörige. Vorhin ist gesagt worden, das wäre alles nichts, und auch wir würden es letztendlich als zu kleines Paket betrachten. Es ist richtig – ich habe schon mitbekommen, dass die Koalitionsvereinbarung intensiv gelesen worden ist –: Diese Debatte heute, die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs, ist ein Aufschlag: Erstens. Wir werden ein zweistufiges Verfahren zur Reform der sozialen Pflegeversicherung haben. Wir werden damit eine Dynamisierung des Leistungsrechts herbeiführen und somit mehr Geld – 4 Prozent zusätzlich sind nicht zu unterschätzen – zur Verfügung stellen und damit den Eigenfinanzierungsanteil tatsächlich senken. Zweitens. Wir werden – es steht in der Koalitionsvereinbarung; es ist also schon vereinbart – ein neues Pflegeberufegesetz auf den Weg bringen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann?) – Keine Panik, Maria. Wir werden es haben, und wir werden uns gegen Ende dieser Legislaturperiode die Hände schütteln. – Ein solches Gesetz sorgt für mehr Qualität durch mehr Fachkräfte. Alle wissen: In die Pflegeausbildung muss investiert werden. Wir wollen – auch das steht in der Koalitionsvereinbarung – kein Schulgeld mehr, und wir wollen mehr horizontale und auch vertikale Durchlässigkeit im Kontext der Pflegeausbildung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Drittens. Wir wollen eine qualifiziertere, wohnortnahe Pflegeberatung. Wir wollen einen Ausbau der Pflegestützpunkte. Ja, die Zukunft der Pflege liegt im Quartier. Aber auch das steht letztendlich in unseren Vereinbarungen. Viertens. Wir wollen eine Entlastung der Menschen in den Pflegeberufen erreichen, unter anderem durch Personalmindeststandards. Ich selber bin keine Anhängerin dieser Flashmobs, wo man sich freiwillig auf den Boden legt, um damit zu symbolisieren: Tritt doch auf mich drauf! Vielmehr bin ich eine Anhängerin davon, Pflege tatsächlich stark zu machen, etwas, was hier in der Charité geschieht, das übrigens bundesweit als gutes Beispiel dienen kann. Das halte ich für einen sehr viel sinnvolleren Weg. Ich finde es auch richtig – das ist eine der Forderungen, die wir haben –, dass in der Pflege Tariflöhne gezahlt werden müssen, einmal abgesehen vom Pflegemindestlohn. Das ist noch eine andere Baustelle, die aber schon bearbeitet worden ist. Wir sagen auch, Tariflöhne dürfen nicht so angesehen werden, dass hinterher jemand sagt: Das ist ein unwirtschaftliches Verhalten. – Das ist tatsächlich ein Punkt, über den wir noch reden müssen. Wir werden – fünftens – selbstverständlich auch etwas zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf tun. Die meisten Angehörigen sind erwerbstätig, und wir sagen natürlich nicht – das gilt nicht nur für die Männer, sondern insbesondere für die Frauen –: Geht alle wieder in den Haushalt zurück. Gebt eure Erwerbstätigkeit auf. – Nein, wir suchen nach Wegen der Vereinbarkeit. Deswegen gibt es ja den Rechtsanspruch auf Pflegezeit. Wir werden ihn ausbauen. Vor allen Dingen werden wir eine gesetzlich geregelte zehntägige bezahlte Auszeit für pflegende Angehörige einführen. Auch das ist Bestandteil der großen Baustelle Pflege. Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich sage das nicht nur, weil mittlerweile jede und jeder irgendwie Ahnung davon hat bzw. in der Familie davon betroffen ist, sondern ich sage das, weil derjenige, der von einer würdevollen Pflege spricht, auch Verantwortung dafür übernehmen muss, dass diese würdevolle Pflege ausfinanziert wird und geleistet wird durch qualifiziertes Personal, durch letztendlich liebevolle Angehörige, die das auch schaffen und für die es nicht nur eine zusätzliche Belastung ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Zimmermann? Mechthild Rawert (SPD): Ja. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ich mache darauf aufmerksam: Das ist die letzte Zwischenfrage, die ich in dieser Debatte zulassen werde. Pia Zimmermann (DIE LINKE): Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Rawert, diese Frage muss jetzt natürlich kommen. Wenn wir von Ausfinanzierung einer auskömmlichen Pflege reden, dann steht natürlich auch die Frage der solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung im Raum. Die SPD hat das ja im Wahlkampf auch proklamiert. Es war auch auf euren Fahnen zu lesen. Die Frage ist: Wann können wir denn damit rechnen? Wann bringt ihr das denn in die Koalition ein, damit wir tatsächlich zu einer auskömmlichen Pflege kommen, die wirklich rundum -finanziert ist? Mechthild Rawert (SPD): Die SPD hat das Konzept der Bürgerversicherung sowohl für den Bereich Gesundheit als auch für die soziale Pflegeversicherung nicht aufgegeben. Wir haben aber derzeit eine andere Koalitionsvereinbarung. Karl Lauterbach hat vorhin gesagt, er sagte es persönlich. Okay, dann sage ich es auch persönlich. Ich trete in keinen Urheberstreit ein, wenn es um die Rechte für die Pflegevorsorge geht. Das ist eindeutig „made by CDU/CSU“. Das ist so. Aber das Konzept wird von uns spätestens im nächsten Wahlkampf weiter betrieben; denn wir glauben an die Parität. Wir glauben an eine gerechte Finanzierung. Wir glauben aber auch daran, dass es notwendig ist, jetzt viel Geld – über 4 Milliarden Euro – für die Pflege bereitzustellen, und dass wir dieses auch umsetzen müssen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es wurde vorhin ein bestimmtes Bild von Familien beschrieben. Ich glaube nicht, dass – ich sage jetzt einmal – die Familien in 20, 30 Jahren alle viel desaströser sind oder Ähnliches mehr. Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass eines den Bereich Pflege noch mehr herausfordert, nämlich die Vielfalt der unterschiedlichsten Lebenssituationen. Da sind selbstverständlich die Singles zu nennen. Es gibt 15-jährige Enkeltöchter, die quasi als Einzige in der Familie wissen, wie der Medikamentenplan für die Oma aussieht. Es gibt mittlerweile Wohngemeinschaften, wo die 102-jährige Mutter sich um das Wohlergehen der 80-jährigen Tochter kümmert. Es geht aber auch darum, diskriminierungsfreie Räume zu schaffen: wie zum Beispiel den „Lebensort Vielfalt“ hier in Berlin, wie zum Beispiel das Wohn- und Lesbenprojekt „RuT – Rad und Tat“. Wir brauchen auch in dieser Richtung viel mehr Ideen und Kompetenzen. Wir brauchen eine kultursensible Pflege; denn eines ist klar: Die Senioren und Seniorinnen aus dem Kreis der Zugewanderten sind eine der größten Gruppen, die mittlerweile – so sage ich jetzt einmal – in die Pflegebedürftigkeit gehen. Aber unser Pflegesystem hat für deren spezielle Bedürfnisse noch viel zu wenig Kompetenzen. Ich sage auch – das war ein Punkt, der hier vorhin zur Debatte geführt hat –: Ja, es bedarf noch der genaueren Abgrenzung zwischen den Tätigkeiten der Betreuungskräfte, der Entlastungskräfte und auch der Pflegefachkräfte. Nichtsdestotrotz: Wir werden dieses Thema noch diskutieren. Wir werden auch noch andere Bereiche diskutieren. Was ist zum Beispiel mit der Behandlungspflege? Das können wir aber heute nicht mehr machen, zumal meine Redezeit schon zu Ende ist. Ich wünsche allen eine schöne Sommerpause. Ich lade Sie ein: Laden Sie uns ein! Erzählen Sie uns von Ihren Pflegeerfahrungen! Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, die Redezeit ist abgelaufen. Mechthild Rawert (SPD): Schaffen wir gemeinsam eine bessere Pflege! Einen schönen Sommer! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Nächster Redner ist Erwin Rüddel, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Erwin Rüddel (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! 20 Jahre Pflegeversicherung. Eben sind die folgenden Begriffe gefallen: Pflege-Weiterentwicklungsgesetz, Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz, Pflegestärkungsgesetz. Das sind alles Gesetze, die sehr eng mit der CDU/CSU verbunden sind. Liebe Frau Kollegin Scharfenberg, auch die Grünen haben in Deutschland eine Zeit lang Verantwortung getragen, und in diesen Jahren stand die Pflege nicht auf ihrer Agenda. Wir reden heute über die bedeutendste Reform der gesetzlichen Pflegeversicherung seit ihrer Einführung. Wir sprechen über die umfassendste Leistungsverbesserung für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen. Wir reden über verbesserte Arbeitsbedingungen für alle, die in der Pflege tätig sind. Wir sprechen über geeignete Maßnahmen, um rechtzeitig dem demografischen Wandel Rechnung zu tragen. Wir reden über mehr Qualität, mehr Geld, mehr Betreuung und mehr Hände für gute Pflege in Deutschland. Die Pflegereform zählt zu den zentralen innenpolitischen Vorhaben der Koalition in dieser Legislaturperiode. Deshalb wollen wir den großen Wurf, und den werden wir umsetzen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Diese Koalition hält ihr Wort, das sie den Pflegebedürftigen, den Angehörigen und den Pflegekräften gegeben hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir mal hoffen!) Auf die Details der Leistungsverbesserungen sind meine Vorredner bereits ausführlich eingegangen. Dass wir bei der Reform in zwei Stufen vorgehen, dafür gibt es gute Gründe. Die Abkehr von der Minutenpflege und die regelhafte Einbeziehung von an Demenz erkrankten Menschen kann sinnvoll erst nach wissenschaftlicher Vorbereitung umgesetzt werden. Hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Die neue Systematik muss in sich schlüssig sein und einheitlich angewendet werden. Das sind wir den Pflegebedürftigen schuldig; denn vom künftigen Pflegebedürftigkeitsbegriff sind Hunderttausende von Menschen betroffen. Deshalb ist es richtig, das neue Begutachtungsverfahren in Modellversuchen auf seine Praxistauglichkeit zu prüfen. Im Ergebnis werden alle, die ab einem bestimmten Stichtag pflegebedürftig werden, nach den neuen Bedingungen begutachtet werden. Alle diejenigen, die bereits eine Pflegestufe haben, erhalten Bestandsschutz. Bereits mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz haben wir Grundlagen für Verbesserungen zugunsten an Demenz erkrankten Menschen gelegt. Diesen Weg gehen wir mit dem Pflegestärkungsgesetz konsequent weiter. Ich sage es noch einmal: Die Koalition hält ihr Wort und wird noch vor Ende der Legislaturperiode die zweite Stufe der Reform verabschieden, durch die Menschen mit demenziellen Erkrankungen in der Pflegeversicherung entscheidend besser gestellt sein werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zum Thema Bürokratieabbau und Dokumentation. Die Ombudsfrau für Entbürokratisierung in der Pflege, Frau Beikirch, hat hervorragende Arbeit geleistet. Jetzt kommt es darauf an, die Ergebnisse möglichst rasch mit allen Beteiligten umzusetzen. Weniger Bürokratie bedeutet mehr Zeit für Zuwendung. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Dokumentation muss auf das Maß reduziert werden, das zur Qualitätssicherung wirklich notwendig ist. Es muss uns um die Qualität der Ergebnisse gehen, um das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Selbstständigkeit von Pflegebedürftigen und weniger um die Strukturqualität. Die Dokumentation sollte deutlich reduziert werden, indem nur bei Abweichungen vom Regelfall Dokumentation notwendig ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich denke in diesem Zusammenhang auch an das sogenannte Wingenfeld-Modell. Hier liegt der Fokus darauf, wie sich der Pflegezustand eines Bewohners im Laufe der Zeit verändert und wie sich die Pflege im Einzelfall konkret auswirkt, soweit das von den Mitarbeitern beeinflusst werden kann. Wichtig ist mir vor allem, dass wir Qualität, Bürokratieabbau und Transparenz in der Pflege nicht gesondert betrachten, sondern als Dreiklang. Dazu gehört auch die Harmonisierung der Prüfkriterien der Medizinischen Dienste der Krankenkassen und der Heimaufsicht. (Beifall der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]) Meine Damen und Herren, auch die Pflege kann nicht isoliert betrachtet werden. Wir müssen deshalb die Zukunft der Pflege innerhalb von Strukturen planen, in denen ambulante und stationäre Versorgung in der Pflege zusammenwirken. Ein Beispiel ist die zugehende ärztliche Versorgung von Pflegebedürftigen oder Vorkehrungen für Notfallsituationen an den Wochenenden. Sie -helfen dabei, den Bewohnern belastende Klinikeinweisungen zu ersparen. Wir werden zudem unsere große Pflegereform mit einer ganzen Reihe weiterer Maßnahmen flankieren, wie dem Ausbau der Vorsorge in einem neuen Präventionsgesetz oder der Förderung von innovativen Versorgungsformen von niedergelassenen Ärzten oder Kliniken. Mit der Reform der Pflege und ihren Vorhaben im Gesundheitswesen verfolgt diese Koalition eine weitsichtige Politik, die sich konsequent an mehr Qualität und am Nutzen für die Betroffenen orientieren wird. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Erich Irlstorfer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir besprechen heute die erste Stufe der Pflegereform; so möchte ich es nennen. Sowohl in der häuslichen als auch in der stationären Pflege gibt es immer mehr Menschen mit Demenzerkrankungen, was sich in einer stärkeren Berücksichtigung im vorliegenden Gesetzentwurf widerspiegelt. Über zwei Drittel aller Pflegebedürftigen in Deutschland werden nach wie vor zu Hause gepflegt. So viel dazu, dass Familie im Jahr 2014 angeblich nicht mehr funktioniert. Ich kann nur sagen: Das ist das Leben des Generationenvertrages. Ich sage allen Angehörigen: Respekt und herzlichen Dank, dass Sie sich tagtäglich dieser Aufgabe stellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gesellschaftliche Veränderungen, neue Familienstrukturen sowie die berufliche Situation vieler pflegender Angehöriger erfordern Maßnahmen zur Stabilisierung und flexibleren Gestaltung der häuslichen Pflege, die wir heute auf den Weg bringen. Deshalb tun wir das auch. Auch hinsichtlich der stationären Pflege besteht Verbesserungsbedarf. Auch das gehen wir an. Hier erfolgen weitere Verbesserungen der ergänzenden Betreuung der Pflegebedürftigen. Mit dem Gesetz werden viele notwendige Schritte aufgegriffen, auf die meine Vorredner bereits eingegangen sind. Besonders wichtig ist, dass in einer späteren zweiten Stufe dieser Pflegereform bis 2017 ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt wird. Dies ist notwendig, da der bisherige Pflegebedürftigkeitsbegriff rein somatisch ausgerichtet war, nun aber auch andere wesentliche Aspekte wie Kommunikation und soziale Teilhabe berücksichtigt werden können. Damit werden insbesondere für Menschen mit Demenzerkrankungen oder psychischen Problemlagen Verbesserungen einhergehen. Aber ich sage nochmals – das möchte ich unterstreichen –: „Satt und sauber“ ist nicht unsere Vorstellung von stationärer Pflege. In unserer Vorstellung ist die hygienische Versorgung und eine alters- und patientengerechte Ernährung eine Selbstverständlichkeit. Unser Anspruch ist eine individuelle und vor allem auch personifizierte Pflege, bei der das persönliche Gespräch, das kurze Innehalten am Pflegebett und somit auch Nächstenliebe und Menschlichkeit von Pflegerinnen und Pflegern regelmäßig gelebt werden können und nicht die Ausnahme sind. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da werden wir aber bis 2017 warten müssen!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Diese Bundesregierung setzt sich für eine massive Verbesserung im Bereich der Pflege ein. Das ist ein Hauptthema dieser Legislaturperiode und vor allem ein Zukunftsthema für ganz Deutschland. Das dürfen wir nicht verschweigen, und wir lassen uns das auch nicht kleinreden. Aber ich sage auch: Die Pflegeversicherung hat einen Teilkaskocharakter. Staatliche Maßnahmen können hier nur eine Säule der Unterstützung bilden. Gerade daher ist es notwendig, ein gewisses Erwartungshaltungsmanagement zu betreiben und zu betonen, dass das alles nur ein erster Schritt in die richtige Richtung ist. Es ist nicht möglich, alles auf einmal zu erreichen. Doch unser tägliches Bestreben ist es, für Pflegebedürftige, für Angehörige und für Beschäftigte im gesamten Pflegebereich deutliche Verbesserungen herbeizuführen, die auch wirklich ankommen. Es gibt im Bereich der Pflege auch weitere wichtige Felder, auf denen Handlungsbedarf besteht. Dazu gehört vor allem die haus- und fachärztliche Versorgung. Hier stehen wir vor der Aufgabe, dass pflegebedürftige Menschen immer noch zu oft für Routineuntersuchungen und -behandlungen in Krankenhäuser transportiert werden müssen. Dies führt zu einer erheblichen Belastung der Pflegebedürftigen sowie zu enormen Kosten für das Gesundheitssystem. Weitere Schritte zur Verbesserung der Situation sind aber notwendig. Wir dürfen uns hier auch neuen Versorgungs- und Behandlungsformen nicht verschließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur in diesem Punkt besteht Verbesserungsbedarf. Deshalb bauen wir zum einen auf eine konservative Strategie, die ich vorhin mit den Worten Nächstenliebe und Menschlichkeit beschrieben habe. Zum anderen bauen wir auf eine innovative Strategie, die zum Beispiel auch auf digitale Lösungen bei der Pflege, vor allem bei der Dokumentation, setzt. Hier erkenne ich enorme Potenziale für telemedizinische Lösungen, die zu deutlichen Verbesserungen in der Betreuung und Behandlung führen können. Wir brauchen ein Dokumentationssystem, das sich mehr an den wirklich wichtigen pflegerelevanten Bereichen ausrichtet und die Ergebnisqualität aufzeigt. Statt der reinen Dokumentation müssen künftig der Zustand und der Bedarf des Menschen sowie die Frage, wie es ihm geht, stärker im Mittelpunkt stehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vor diesem Hintergrund bin ich froh, dass wir in -Bayern Initiativen ergriffen haben, um den Bürokratieaufwand im Pflegebereich zu verringern. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege begleitet das Projekt Redudok von Einrichtungsträgern, der Heimaufsicht München und des MDK. Die Dokumentations- und Kommunikationsstrukturen in Pflegeeinrichtungen werden in diesem Projekt kritisch analysiert und Anregungen zum Bürokratieabbau erarbeitet. Aber auch auf Bundesebene wird das Thema engagiert angegangen. Ich bin dem Patienten- und Pflege-beauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, dankbar, dass er sich gerade auch bei diesem Thema engagiert. Eine neue Pflegedokumentation, die den inhaltlichen und rechtlichen Anforderungen entspricht, ist entscheidend, gerade auch für die Beschäftigten in der Pflege. Denn diese Dokumentation stellt klar, dass nicht jede einzelne Tätigkeit beschrieben werden muss und es trotzdem zu keinen negativen Haftungskonsequenzen für den einzelnen Beschäftigten kommt. Auch das ist eine Verbesserung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Diese Bundesregierung investiert nicht nur in Straßen, Schienen und Gebäude – nein, diese Bundesregierung investiert in Menschen, in Bildung und Ausbildung, weil wir alle wissen, dass die demografische Entwicklung einen Fachkräftemangel erstens schon bewirkt hat und sich dieser zweitens noch verschärfen wird. Gleichzeitig wissen wir, dass Pflegeberufe schwere Berufe sind, die leider oft finanziell und gesellschaftlich unzureichend anerkannt werden. Mit anderen Worten: Wenn wir wollen, dass eine angemessene Versorgung in der Pflege gewährleistet wird, müssen wir sicherstellen, dass wir genügend Pflegerinnen und Pfleger ausbilden und der Beruf so attraktiv ist, dass die ausgebildeten Kräfte ihn gerne und lange ausüben. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt! – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wo investiert ihr da?) Das heißt, dass sie Aufstiegsmöglichkeiten haben müssen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährleistet sein muss, und vor allem, dass sie anständig bezahlt werden und davon auch leben können müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit. Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Deshalb müssen wir nach der Sommerpause die Weichen stellen, wie wir die Pflegeausbildung neu definieren. Dazu brauchen wir aber auch die Bundesländer. Ich sage ganz deutlich: Monatliches Schulgeld für Auszubildende in der Pflege kann nicht die Antwort auf Pflegekräftemangel sein. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Karl Lauterbach [SPD]: So ist es!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss der heutigen Debatte – – Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber jetzt bitte zum Schluss. Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Jawohl. – Ein herzliches „Vergelts Gott“ an alle Beteiligten! Ich hoffe, Sie stimmen diesem Gesetzentwurf zu. – Frau Präsidentin, herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Es ist immer so, dass wir alle gemeinsam die Redezeiten vereinbaren und deshalb auch alle gehalten sind, sie einzuhalten. Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/1798, 18/1600 und 18/1953 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kohleausstieg einleiten – Überfälligen Strukturwandel im Kraftwerkspark gestalten Drucksache 18/1962 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Energiewende durch Kohleausstiegsgesetz absichern Drucksache 18/1673 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte jetzt die Kollegen, die den Saal verlassen wollen, dies zu tun. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Annalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schönen guten Morgen, sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen einen … Entwicklungspfad des konventionellen Kraftwerksparks, der mit den klimapolitischen Zielen der Bundesregierung im Einklang steht. Insbesondere muss vermieden werden, dass das nationale Klimaschutzziel verfehlt wird, wenn erneuerbare Energien ausgebaut und die Energieeffizienz verbessert wird, aber nicht im Gegenzug fossile Stromerzeugung um- und abgebaut wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt müssten Sie von den Regierungsfraktionen eigentlich klatschen, weil das die Ansage aus dem Bundesumweltministerium vom Frühjahr dieses Jahres ist, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Umweltministerium ist gar nicht da!) geschrieben im Lichte des Weltklimaberichtes, der hier in Berlin vorgestellt wurde und sehr deutlich gemacht hat: Einen unkontrollierbaren Klimawandel können wir nur verhindern, wenn der größte Teil der weltweiten Kohlevorräte dort bleibt, wo er ist, nämlich unter der Erde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es wundert nicht nur uns Grüne, dass ein paar Wochen nach der Veröffentlichung eines solchen Berichts, den die Bundesregierung offiziell entgegengenommen hat, in Brandenburg beschlossen wird, genau das Gegenteil zu tun, nämlich bis 2040 weiter Kohle auszubuddeln, die man eigentlich unter der Erde lassen wollte. Das wundert, wie gesagt, nicht nur uns Grüne, sondern mittlerweile selbst die Amis. In der New York Times hieß es, dass es schon etwas „strange“ sei, also sehr merkwürdig und komisch, dass die Kanzlerin auf der einen Seite beschließt, Klimapolitik wieder zur Vorreiterpolitik zu machen, und auf der anderen Seite in Ostdeutschland ganze Dörfer ausradiert werden. Auch uns als Klimapolitikern – da schließe ich die CDU/CSU und die SPD ein – ist es immer wieder peinlich; denn wir haben, wenn wir auf internationalen Konferenzen angesprochen werden, wie es denn sein könne, dass wir die erneuerbaren Energien ausbauen und unsere CO2-Emissionen trotzdem steigen, leider gar keine Antwort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Nachdem es die Amerikaner begriffen haben, müssen auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, begreifen: Deutschland kann nicht Energiewendeland werden wollen und gleichzeitig Kohleland bleiben; das geht nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie hätten gleich noch eine zweite Chance, das zu revidieren. Aber leider setzt sich Ihre energiepolitische -Schizophrenie im EEG weiter fort. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz wird zu einem „Erneuerbaren-Beschneidungs-Gesetz“ zum Schutz der Kohle. Das ist wirklich absurd. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Da hilft es auch nichts, dass das Bundesumweltministerium jetzt ein Aktionsprogramm – mittlerweile heißt es „mittelfristiges Sofortprogramm“; auch sehr schizophren – auf den Weg bringen will – ich habe eingangs daraus zitiert –; denn es ist zu befürchten, dass das Wirtschaftsministerium – der Minister selbst ist jetzt leider nicht da – auch diesmal wieder getreu nach dem Motto verfahren wird: Was schert mich das Geschwätz aus dem Bundesumweltministerium? Anders kann man nicht erklären, dass die Bundesumweltministerin sehr richtig ankündigt, dass 2 Milliarden Zertifikate aus dem ETS genommen werden müssen, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Umweltministerium ist abwesend!) aber die Bundesregierung in Brüssel die Position vertritt: Herausnahme von 900 Millionen Zertifikaten. Das reicht definitiv nicht aus. Das ist ein Affront gegen die Umweltministerin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ähnlich ist es beim Entwicklungspfad für fossile Kraftwerke. Das Umweltministerium kündigt das groß an – sogar im Spiegel steht, man wolle jetzt aus der Kohlekraft aussteigen –, aber wenn man dann die Bundesregierung konkret fragt, antwortet wieder das Bundeswirtschaftsministerium. Dort heißt es: Nein, keineswegs, die Bundesregierung beabsichtige nicht, Kohlekraftwerke vom Markt zu nehmen. – Das passt doch vorne und hinten nicht zusammen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe SPD, Sie müssen sich jetzt wirklich einmal entscheiden, ob Ihre Umweltministerin in der Regierung noch eine Rolle spielen soll oder ob Herr Gabriel das jetzt alles einfach übernimmt. Sie müssen sich entscheiden, ob Umwelt- und Klimapolitik für Sie noch eine Rolle spielen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei der LINKEN) Denn ein bisschen Energiewende – das geht genauso wenig wie: ein bisschen schwanger; man muss sich entscheiden, was man will. Sie sollten sich schnell entscheiden; denn die CDU/CSU hat sich leider – das müssen wir zu unserem großen Bedauern feststellen – von diesem Thema verabschiedet. Merkel hat beschlossen: (Wolfgang Tiefensee [SPD]: Frau Merkel ist das immer noch!) Während andere Staats- und Regierungschefs in New York über das Weltklima diskutieren, möchte sie, Frau Merkel, lieber etwas anderes tun. Es heißt, sie habe Wichtigeres zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Da klatschen Sie auch noch? Das ist ja unglaublich. (Dagmar Ziegler [SPD]: Weil Sie „Frau Merkel“ gesagt haben! – Thomas Jurk [SPD]: Dafür, dass Sie höflich waren! – Wolfgang Tiefensee [SPD]: Das war nur der Beifall für „Frau“ Merkel!) – Das ist ja nett, dass sie wenigstens bei dem Begriff „Frau“ klatschen. Schön, dass Sie so an einzelnen Wörtern hängen. (Thomas Jurk [SPD]: So viel Zeit muss sein!) Sie müssen sich also entscheiden, mit welcher Position Sie nach New York reisen. Bisher ist unklar, welcher der SPD-Minister – Frau Hendricks, Herr Gabriel oder vielleicht Herr Steinmeier – nach New York fahren wird. Aber wer auch immer fährt: Einer von denen muss eine Antwort darauf geben, was Deutschland zu der Forderung sagt – mit der Annahme des IPCC-Teilberichts hat man das zugesagt –, dass man die Kohle in Zukunft unter der Erde lassen soll. Damit Sie nicht ganz nackig dastehen, wenn Großbritannien sagt: „Also wir haben jetzt CO2-Grenzwerte eingeführt, damit das Betreiben von Kohlekraftwerken ausläuft“, damit Sie nicht ganz nackig dastehen, wenn Obama sagt (Ulrich Freese [SPD]: Dafür bauen sie Atomkraftwerke!) – Herr Freese, jetzt regen Sie sich einmal ab. –: „Wir reduzieren unseren CO2-Austoß aus Kohlekraftwerken um 30 Prozent“, haben wir als Opposition etliche Vorschläge auf den Tisch gelegt, von denen Sie sich gerne welche aussuchen können. Wir regen an, dass Sie sich in der Sommerpause einmal das Bergrecht vornehmen, und zwar nicht nur zum Thema Fracking, sondern auch zum Thema Kohle, um dann vorzuschlagen, dass in Zukunft neue Tagebaue nicht mehr genehmigt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Damit Sie in New York nicht im Schatten von Obama stehen müssen, regen wir an: Denken Sie darüber nach, wie Sie das Bundes-Immissionsschutzgesetz so ändern können, dass die Menschen in Deutschland vor Quecksilber genauso geschützt sind wie in den USA. Wir regen insbesondere an – ich bitte darum, hier etwas genauer zuzuhören –, dass Sie einen Plan vorlegen, wie Sie aus der Kohle aussteigen können. Unser Vorschlag ist, CO2-Grenzwerte einzuführen. Das würde endlich Planungssicherheit in den fossilen Kraftwerkspark bringen. Es kann doch nicht sein, dass die Gaskraftwerke mittlerweile vollkommen aus dem Markt gedrängt werden. Es kann auch nicht in Ihrem Sinne sein, Herr Pfeiffer, dass eine Branche komplett plattgemacht wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Schauen Sie sich diesen Vorschlag einmal genauer an. Denn die anderen Länder könnten Sie in Lima oder in Paris fragen (Thomas Jurk [SPD]: Wir brauchen nicht ständig zu reisen!) – es ist interessant, dass Sie mich dauernd belehren müssen. –: Wie kann es denn sein, dass fünf Kohlekraftwerke in Deutschland genauso viel CO2 ausstoßen wie die 90 emissionsärmsten Länder der Welt? – Das ist doch unglaublich. Lassen Sie sich das einmal auf der Zunge zergehen. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Was ist das für ein Vergleich?) Ihre Antwort, liebe CDU, dass es doch völlig egal sei, ob Deutschland international etwas tue, ist nicht zielführend. Wenn Sie nicht an die Kohle herangehen, werden wir keinen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie rufen immer herein, wie absurd das Ganze sei und dass wir Grüne – das wird jetzt sicherlich auch von Herrn Pfeiffer kommen – (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das hätten Sie gern!) den Industriestandort Deutschland ganz bewusst kaputtmachen wollten. Deshalb zitiere ich zum Abschluss nicht uns Grüne, sondern den Präsidenten der Weltbank – das ist sicherlich keine ökofundamentale Organisation –, Dr. Jim Yong Kim: Es gibt keine Ausreden mehr, 2014 muss das Jahr des Klimaschutzes sein. Und nicht nur, um unseren Planeten zu schützen, sondern auch, um der Weltwirtschaft einen neuen Schub zu verleihen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In diesem Sinne hoffen wir auf Ihre zweite Halbzeit 2014. Nutzen Sie die Sommerpause erkenntnisreich. Schauen Sie sich unsere Vorschläge an. Ich kann verstehen, wenn Sie nicht mit einem grünen Antrag am Strand liegen wollen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Baerbock, ich erinnere Sie an die vereinbarte Redezeit. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. – Nehmen Sie statt unseres Antrags dann halt den DIW-Bericht, den Bericht des größten Wirtschaftsforschungsinstituts Deutschlands. Auch die haben einen Plan vorgeschlagen, der beinhaltet, über die Festlegung von CO2-Grenzwerten aus der Kohle auszusteigen. Nehmen Sie sich das zu Herzen. Lesen Sie das und machen Sie Ihre Vorschläge im zweiten Halbjahr. Denn eines geht nicht: nichts zu tun und den Kopf weiter in den Kohlesand zu stecken. Herzlichen Dank und einen schönen Sommer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wenn Sie weniger reden würden, würden Sie weniger CO2 ausstoßen!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Baerbock, wir debattieren heute über einen Antrag, den die Fraktion der Grünen eingebracht hat. Ich finde das, was Sie hier fordern, ziemlich unseriös. Es ist so, als ob man Äpfel mit Birnen vergleichen würde. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Wie ist denn der Status quo der Stromerzeugung? Wir reden zunächst einmal über die Stromerzeugung in Deutschland. Wir haben den Anteil der erneuerbaren Energien von 7 Prozent in 2000 auf heute 25 Prozent ausgebaut. Wir wollen und werden sie weiter ausbauen. Tatsache ist, dass die Kohle heute 45 Prozent der Stromversorgung in Deutschland erbringt. Die Kohle wird noch auf absehbare Zeit einen Großteil der Stromerzeugung erbringen müssen. Denn wir sind – dazu haben Sie kein Wort gesagt – gerade dabei, aus der Kernenergie auszusteigen. Die Kernenergie hatte einen Anteil von 30 Prozent an der Stromerzeugung in Deutschland und war und ist CO2-frei. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir hatten 2010 knapp 30 Prozent Kernenergie und 10, 15 Prozent erneuerbare Energien. Das heißt, 45 Prozent der Stromerzeugung waren CO2-frei. Im Zuge des Ausstiegs aus der Kernenergie ersetzen wir nur die Kernenergie durch die erneuerbaren Energien. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist Ihre Politik, die Sie favorisiert haben und die auch die Mehrheit des Hauses hier so beschlossen hat. Ich war anderer Meinung, aber die Mehrheit hat es so beschlossen. Zur Wahrheit gehört das dazu. Heute stellen Sie sich hierhin und beklagen, dass die Kohle unter CO2-Gesichtspunkten noch diese Rolle spielt, die sie – nach Ihrer Meinung – gar nicht mehr spielen müsste. Auch das gehört zur Wahrheit. Die Entscheidung, die getroffen wurde, wurde so begründet: Die Nutzung der Kernkraft ist unverantwortlicher, und die Problematik bei der Kernkraft ist noch größer. – Eines geht aber mit Sicherheit nicht: aus beidem gleichzeitig auszusteigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD]) Der Industrie- und Wirtschaftsstandort Deutschland wird es sich nicht leisten können, gleichzeitig aus der Kernenergie und der Kohle auszusteigen. Um die Ziele zu erreichen, werden wir zwar im Lauf der Zeit aus beiden Energien aussteigen, aber sicher nicht so, wie Sie es vorschlagen. Ich finde es schon ein bisschen scheinheilig – das muss ich sagen –, wenn Sie Fortschritte in den USA bei der Emissionsreduzierung als Beispiel heranziehen, gleichzeitig aber kein Wort zur Schiefergasförderung sagen, obwohl dies der alleinige Grund dafür ist, dass die CO2-Emissionen in den USA zurückgehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) In den USA hat ein Fuel Switch von der Kohle zum Gas stattgefunden. Allein deshalb sind die Emissionen in den USA um 20 bis 25 Prozent zurückgegangen. So ist die Kohle ersetzt worden. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind zukünftige Pläne!) Das ist die andere Seite der Wahrheit. Aus diesem Bereich wollen Sie aber auch aussteigen bzw. erst gar nicht in diesen Bereich einsteigen. Sie verteufeln diese Technologie ja von vornherein. (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Insofern ist das, was Sie uns hier heute erzählen, wirklich unredlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie denn Fracking?) Kommen wir zur Nutzung der erneuerbaren Energien. Wir haben zurzeit zwei Stromerzeugungssysteme. Aber nur die Energieerzeugung im Bereich der konventionellen Systeme kann eine gesicherte Leistung erbringen. Was nützt uns eine hohe installierte Leistung im Bereich der Photovoltaik, wenn wir heute noch zu 100 Prozent Kapazitäten fossiler Energieträger, also konventioneller Kraftwerke, vorhalten müssen, um die Leistung zu gewährleisten, wenn die Sonne nicht scheint? Beim Wind sind es 90 Prozent. Insofern ist es auch unredlich, wenn Sie hier behaupten, durch einen mengenmäßigen Ausbau des Bereichs der erneuerbaren Energien wäre die benötigte Energie in Deutschland zu erzeugen. Ich nenne ein weiteres Stichwort: Versorgungssicherheit. Die Braunkohle ist – das ist nun wirklich unstrittig – ein heimischer Rohstoff. Er ist in ausreichender Menge vorhanden, und er ist subventionsfrei, anders als andere Energieträger wie die erneuerbaren Energien, die wir gerade ausbauen. Die Braunkohle ist subventionsfrei und absolut wettbewerbsfähig. Die erschlossenen Tagebaue reichen noch für weitere 30 Jahre. Das ist übrigens auch der zeitliche Horizont unserer energiepolitischen Einsparziele, unserer CO2-Reduktionsziele (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schaffen Sie eben nicht!) und des Ausbaus des Bereichs der erneuerbaren Energien. In diesem Zusammenhang sprechen wir über 2050. Zu dem, was ich jetzt anspreche, haben Sie bisher nichts gesagt. Ich bin gespannt, was Sie im weiteren Verlauf dieser Debatte noch dazu sagen werden. Sie blenden die Realitäten aus, greifen in eine Schublade und arbeiten sich daran ab, ohne darauf zu achten, dass die Dinge zusammenpassen. – Braunkohle wird in Deutschland verstromt. Der Strom aus Braunkohle ist zu 90 Prozent KWK-Strom (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) und fließt in die Fernwärme. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Schwachsinn!) Das heißt, ohne Braunkohle werden wir auch unsere KWK-Ziele nicht erreichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo soll denn die Wärme hin?) – Zu 90 Prozent in Strom- und Fernwärmeerzeugung. Das ist doch unstrittig. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo in der Lausitz soll denn die ganze Wärme hin?) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Pfeiffer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer? Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Selbstverständlich, gerne. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank, Herr Kollege Pfeiffer, für die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. Sie haben gerade eine ganz abenteuerliche These aufgestellt. Sie haben behauptet, der in Deutschland erzeugte Strom aus Braunkohle sei KWK-Strom und damit klimafreundlich. Ich komme aus einem rheinischen Braunkohlerevier. Die in den dortigen Kraftwerken stattfindende Braunkohleverstromung führt zu einer Leistung von ungefähr 10 000 Megawatt. Etwa 100 bis 200 Megawatt davon fließen in die Wärmenutzung. Am Ende fließen also nur ein paar Prozent in die Wärmenutzung. Könnten Sie mir vor diesem Hintergrund erläutern, wie Sie auf die abenteuerliche These kommen, dass 90 Prozent des in Deutschland erzeugten Braunkohlestroms KWK-Strom ist? Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): In Strom und KWK. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stelle hier die umgekehrte Behauptung auf, dass 95 Prozent des in Braunkohlekraftwerken erzeugten Stroms reiner Kondensationsstrom mit Wirkungsgraden von teilweise unter 30 Prozent und entsprechenden Klimaemissionen ist. Können Sie mir erklären, wie Sie zu Ihrer Behauptung kommen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Philipp Graf Lerchenfeld [CDU/CSU]: Dann sagen Sie, wie Sie zu Ihrer kommen!) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Das kann ich gerne tun und es wiederholen – ich habe das vorhin schon gesagt –: 90 Prozent der Braunkohleenergie wird zur Erzeugung von Strom und Fernwärme eingesetzt. Wir werden die KWK-Ziele ohne Braunkohle nicht erreichen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wo gehen die restlichen 10 Prozent hin, wenn sie nicht in Strom gehen? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Herr Pfeiffer, was rechnen Sie uns denn da schon wieder vor?) – Noch einmal: Wir werden die KWK-Ziele ohne Braunkohle nicht erreichen. Wie die Situation in Ihrem Wahlkreis ist, weiß ich nicht im Detail. Aber schauen Sie sich einmal an, wie KWK in den neuen Bundesländern eingesetzt wird. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Menschen leben denn da? Wen wollen Sie denn da mit Wärme versorgen?) Deshalb haben auch Sie die KWK-Ziele mitbeschlossen. Bis zum Jahr 2020 wollen wir das KWK-Ziel von 25 Prozent erreichen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch nichts mit der Braunkohle zu tun!) Dieses Ziel werden wir ohne die Braunkohle nicht erreichen. Das ist in der Sache ja wohl unstrittig; (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist absurd!) das können Sie auch nachrechnen. Sie haben die Technologie angesprochen; dieses Thema können wir in der Tat gerne vertiefen. (Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz) – Die Frage ist noch nicht beantwortet, Herr Krischer. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mir reicht es! Danke!) – Nein, die Frage ist noch nicht beantwortet; (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie keine Ahnung haben, hören Sie lieber auf!) ich sage Ihnen noch, wie wir unsere Ziele erreichen. Sie haben, wie gesagt, die Technologie angesprochen, und zwar zu Recht. Die CO2-Emissionen durch Kohleverstromung betragen in Deutschland im Moment ungefähr 380 Kilogramm je Megawattstunde. Weltweit sind es etwa 1 100 Kilogramm; das ist fast das Dreifache. Das heißt, die weltweiten Klimaziele – ich komme nachher noch auf die weltweite Situation zu sprechen – werden wir ohne die entsprechenden Wirkungsgrade in Deutschland nicht erreichen. Sind Sie etwa gegen die weltweiten Klimaziele? Ich hoffe nicht, dass dem so ist. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir verstehen nicht mehr, was Sie sagen! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben richtig falsche Argumente gebracht, Herr Pfeiffer! Das ist doch unglaublich! Was Sie da machen, ist doch unseriös!) – Ja, die Argumente sind falsch; das ist klar, dass Sie das sagen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der hat doch überhaupt keine Ahnung! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist echt peinlich, Herr Pfeiffer! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie hier sagen, ist ja so ein Unsinn!) – Werden wir die KWK-Ziele ohne Braunkohle bis 2020 erreichen können, Herr Krischer? Nein. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Der Strom geht doch zurück! Das haben Sie selber gesagt!) Wie sieht die technologische Situation aus? Steinkohlekraftwerke haben in Deutschland einen Wirkungsgrad von 46 Prozent, Braunkohlekraftwerke von ungefähr 43 Prozent. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Genau! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Was bedeutet das? Da Sie ja CO2-Emissionen einsparen wollen, sage ich Ihnen: Der Wirkungsgrad beträgt im weltweiten Durchschnitt 30 Prozent. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufhören, bitte!) – Sie wollen die Zahlen, die Fakten und die Realitäten nicht wahrhaben. – Die CO2-Emissionen betragen ungefähr 1 200 Gramm je Kilowattstunde. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! Die neuen haben 47 Prozent!) – Der weltweite Durchschnitt liegt bei 30 Prozent. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja, der Durchschnitt!) – Auch Sie haben gerade davon gesprochen, wie die Situation weltweit ist. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie Durchschnittszahlen, oder wollen Sie es genau wissen?) Jetzt zu unseren Kraftwerkskapazitäten. Sie wollen den Export unserer Technologie ins Ausland unterbinden. Sie haben im Ausschuss kürzlich beantragt, dass unsere hocheffiziente Kohletechnologie nicht ins Ausland exportiert werden soll. Sie stellen sich also hierhin und beklagen die weltweit ansteigenden Emissionen. Aber ich frage Sie: Wie wollen Sie eine Reduzierung erreichen? (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit erneuerbaren Energien!) Tatsache ist – ob es Ihnen gefällt oder nicht und unabhängig davon, was wir in Deutschland machen oder nicht machen –: 40 bis 50 Prozent der Kraftwerkskapazitäten, die weltweit neu gebaut werden, sind Kohlekraftwerke. Da das so ist und auf absehbare Zeit so bleiben wird, sage ich Ihnen: Dafür sollten wir am besten unsere eigene Technologie zur Verfügung stellen. Aber Sie wollen, dass diese Technologie weder in Deutschland noch anderswo auf der Welt zum Einsatz kommt. Insofern ist das, was Sie tun, unredlich. Das passt vorne und hinten nicht zusammen. (Beifall bei der CDU/CSU) Noch einmal zu den CO2-Emissionen. Sie fordern einen planwirtschaftlichen Eingriff in das System des Emissionshandels, einen Mindestpreis hier und Veränderungen dort. Sie wissen ganz genau, dass weder ein Kohleausstieg noch das EEG dazu führen, dass auch nur 1 Kilogramm oder 1 Gramm mehr CO2 eingespart wird. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja?) Entscheidend für die CO2-Einsparung in Europa ist der Emissionshandel. In diesem Rahmen wird festgelegt, wie hoch die Emissionen im Industriebereich und im Stromerzeugungsbereich maximal sein dürfen. Das ist vereinbart, und das ist geltende Gesetzeslage. Sie wollen in dieses System planwirtschaftlich eingreifen, statt zu sagen: Wir brauchen eine Gesamtrevision und ein neues Marktdesign, bei dem alle Aspekte – die Förderung der Erneuerbaren, der Emissionshandel, die konventionellen Kraftwerke und KWK – aufeinander abgestimmt sind. Dazu sagen Sie kein Wort. Das ist nicht nur unredlich, sondern völlig daneben, auch in der Sache. Da wird überhaupt nichts funktionieren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wovon reden Sie?) Ihr Problem ist: Sie haben eine Pippi-Langstrumpf-Mentalität; Sie verstehen nichts von der Sache und sind nicht bereit, die Zusammenhänge zu akzeptieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Antrag offensichtlich nicht gelesen!) Dann fordern Sie auch noch Änderungen beim Bergrecht, da das Bergrecht angeblich zu alt sei. Wenn Sie so denken, dann können Sie auch gleich die Abschaffung des BGB fordern, schließlich ist das BGB aus dem Jahr 1900. Es ist aber ständig modernisiert worden. Gleiches gilt für das Bergrecht. Deutschland hat eines der modernsten Bergrechte der Welt. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Unser Bergrecht hat sich bewährt und ist aufgrund der Anforderungen der EU ständig weiterentwickelt worden. Sie wollen aber gar kein modernes Bergrecht. Sagen Sie doch einmal, was Sie wollen. Wir wissen nur, was Sie nicht wollen: Sie wollen kein Gas und keine Kohle importieren; Sie wollen die heimischen Rohstoffe nicht abbauen; Sie wollen keinen Bergbau mehr in Deutschland. – Genau da liegt das Problem. Das ist ein schwerer Fall von Aussteigeritis. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ein schwerer Fall!) Alle Technologien passen Ihnen nicht. Sie zeigen den Menschen Luftschlösser, indem Sie einzelne Themen herausgreifen, die aber nicht zusammenpassen. Sie wollen aus der Kohle- und aus der Gasförderung aussteigen, Sie wollen kein Freihandelsabkommen, und auch Fracking wollen Sie nicht zulassen. Mit Ihrer Aussteigeritis gefährden Sie den Industrie- und Investitionsstandort Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch alles Quatsch!) Wir brauchen die Kohle in Deutschland so lange, bis sichergestellt ist, dass die Energieversorgung auch hinsichtlich der zugesicherten Leistung und der Bezahlbarkeit durch andere Technologien erfolgen kann. Sie dagegen wollen am liebsten aus der Realität aussteigen. Wir werden einen solchen Weg nicht zusammen mit Ihnen gehen, (Beifall bei der CDU/CSU) sondern werden den Industrie- und Wirtschaftsstandort Deutschland so weiterentwickeln, dass wir eine sichere, saubere und bezahlbare Energieversorgung bekommen, ohne unseren Standort, wie es ihre Vorschläge bewirken würden, kaputtzumachen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenig Beifall in den eigenen Reihen!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Für die Linke spricht jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Energiewende und Klimawandel haben einen mächtigen Gegner: die Braunkohleindustrie, die derzeit boomt wie nie. Braunkohlekraftwerke sind ein überkommenes Relikt aus dem fossilen Energiezeitalter. Wir müssen die Verstromung von Kohle so schnell wie möglich überwinden, wollen wir unseren Kindern nicht eine zerstörte Welt hinterlassen. Wenn ich sage „schnell“, dann heißt das für uns: 2040 ist Schluss. Dazu haben auch wir einen Antrag eingebracht. (Beifall bei der LINKEN) Im vergangenen Jahr sind in Deutschland so viele Kilowattstunden Strom aus Kohle erzeugt worden wie seit 20 Jahren nicht mehr. Kohlestrom stößt mehr CO2 aus als jeder andere Energieträger; das ist hier unbestritten. Es ist völlig falsch, dass ausgerechnet die Kohle, der schmutzigste Energieträger, solch einen großen Erfolg feiert, in einer Welt, in der wir uns abmühen, den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Daran ändern auch die neuesten Zahlen nichts, die besagen, dass der Anteil der Kohle im letzten Halbjahr etwas zurückgegangen ist. Kohlestrom ist billig, aber nur, weil seine immensen Folgekosten für Gesundheit und Natur nicht in den Preis mit einfließen; das sagt Herr Pfeiffer leider nicht. Billig ist er auch deshalb, weil alte Kohlekraftwerke, die die meisten Schadstoffe ausstoßen, jetzt viel profitabler sind als schadstoffarme Gaskraftwerke. Das beweist auch die Tatsache, dass es im ersten Halbjahr einen Produktionsrückgang bei Gaskraftwerken um 25 Prozent gegeben hat. Das ist wahnsinnig viel. Das müssen wir ändern. (Beifall bei der LINKEN) Der schmutzige deutsche Braunkohlestrom flutet auch das europäische Ausland. Auch dort beschwert man sich darüber. Die Kosten für den Kohlestrom tragen die Menschen. Die gesundheitlichen Folgen wegen Quecksilberbelastung, Atemwegs- und Kreislaufbeschwerden, verkürzte Lebenszeit, die Kosten für die Vertreibung aus der Heimat wegen Braunkohletagebauen, die Zerstörung riesiger Naturflächen – all diese Kosten tragen wir, die Bürgerinnen und Bürger. Ich habe das Gefühl, dem Kartell der Kohlelobby ist das egal. Das finde ich sehr schade. (Beifall bei der LINKEN) Die Vertreter der Kohleindustrie sitzen überall mit drin – auch hier im Deutschen Bundestag – und reden und entscheiden mit. Eigentlich sollte der Emissionshandel den CO2-Ausstoß über hohe Preise ja verringern. Dieser Plan ist leider völlig misslungen. Der Emissionshandel ist kläglich gescheitert. Als Folge von Fehlentscheidungen gibt es enorme Überschüsse an CO2-Zertifikaten, wodurch der Preis in den Keller gefallen ist. Eine Tonne CO2-Ausstoß kostet derzeit unter 5 Euro. Im Grunde genommen müsste die Tonne CO2-Ausstoß aber mindestens 60 bis 80 Euro kosten, wenn der Emissionshandel den Betrieb von Kohlekraftwerken ernsthaft infrage stellen soll. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt will man den Emissionshandel reparieren, indem man einen Teil dieser Überschüsse vom Markt nimmt. Aber selbst wenn die Reform gelingt, werden immer noch zu wenige Zertifikate herausgenommen. Die Versuche, den Emissionshandel wiederzubeleben, werden ihn leider nicht mehr retten. Der Patient Emissionshandel ist klinisch tot. Nehmen wir einmal an, es würde tatsächlich gelingen, den Preis für eine Tonne CO2 auf jene 60 bis 80 Euro zu treiben, damit die Braunkohle hierzulande irgendwann vom Markt gedrängt wird. Was wären die Folgen, wenn wir solche enorm hohen CO2-Kosten erzwingen würden? Das käme der Umwelt sehr zugute, aber die Verbraucherinnen und Verbraucher würde das über den Strompreis teuer zu stehen kommen, und das wollen wir ja alle miteinander nicht. Wie kommen wir aus dieser Zwickmühle heraus? Die Bundesregierung will den CO2-Ausstoß bis 2040 um 60 Prozent reduziert haben. Wir sagen: Bis zu diesem Datum muss es ein definitives Ende der Kohleverstromung geben. (Beifall bei der LINKEN) Es ist ein Gebot der Stunde, so schnell wie irgend möglich aus der Kohleverstromung auszusteigen. Das ist nicht sofort möglich; das ist klar. Wir brauchen aber jetzt ein Kohleausstiegsgesetz mit einem ambitionierten Ausstiegsfahrplan. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Was sagt denn der Wirtschaftsminister von Brandenburg dazu?) Anders bekommen wir diesen Rückwärtsgang nicht in den Griff. Wir wollen den Kohleausstieg vom Ende her denken und schlagen Folgendes vor – bitte hören Sie zu –: kein Neubau von Kohlekraftwerken, kein Neuaufschluss von Tagebauen, Stilllegung des letzten Kohlekraftwerks spätestens 2040, (Beifall bei der LINKEN) ab 2015 jährliche Begrenzung der Strommengen aus Kohlekraftwerken, ineffiziente Kraftwerke früher abschalten als effizientere, Übertragung von Reststrommengen auf jüngere, effizientere Anlagen zulassen. Auch das ist wichtig: Der Kohleausstieg muss arbeitsmarkt- und sozialpolitisch flankiert werden. Mit den Betriebsräten vor Ort muss eine Regelung getroffen werden, mit der alle Beschäftigten in diesem Bereich zukünftig leben können. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Was sagt denn der Wirtschaftsminister von Brandenburg dazu? Er sagt doch genau das Gegenteil!) Dafür sind Konversionsprogramme und eine soziale Absicherung notwendig. (Beifall bei der LINKEN) Ich verstehe die Angst der Kohlekumpel. Das ist mir als Betriebsrätin doch nicht fremd. Wichtig ist, dass sich alle darauf einstellen können. Ich meine, es wird langsam Zeit, diesen wichtigen Schritt in verantwortungsvoller Weise zu tun. Das ist im Sinne des Klimas wirklich notwendig. Beweisen Sie, dass Sie nicht am Tropf der Kohlelobby hängen und dass Ihnen die Gesundheit, die Umwelt und das Klima wichtiger sind als die Profite der Kohleindustrie. Ich denke, wir sollten uns von den Relikten des vergangenen Jahrhunderts trennen – für zukünftige Arbeitsplätze im Bereich der regenerativen Energien und in vielen anderen Bereichen mit Perspektive und mit guten Löhnen. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Leute, die vor Ort arbeiten, sind sehr qualifiziert. Hier können wir Qualifikationsprogramme und Strukturprogramme durchführen. Das ist dringend notwendig; denn sonst gibt es Probleme. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Toll!) Natürlich wird es immer Probleme geben. Aber Sie wollen nicht nach vorne schauen, sondern sagen hier einfach Nein. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dirk Becker für die Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dirk Becker (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Grünen! Ich meine es wirklich ernst: Ich habe mir sehr viel Mühe gemacht, Ihren Antrag und auch den Antrag der Linken zu lesen, weil ich weiß, dass das Thema Klimaschutz für Sie ausgesprochen wichtig ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Sie nicht?) – Für uns auch. Darum habe ich es ja gemacht. In dem Antrag habe ich ein paar Punkte entdeckt, bei denen ich gedacht habe: Das werden wir in den nächsten Jahren ernsthaft diskutieren müssen. Das wussten wir aber schon länger. Es tut mir leid, sagen zu müssen: Die Art und Weise, wie Sie dieses Thema versemmeln – Sie versuchen nur, der Regierung irgendetwas um die Ohren zu hauen –, finde ich schade und dem Thema nicht angemessen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich finde auch: Es ist ein bisschen grenzwertig, wenn Sie beispielsweise auf Großbritannien und dessen Rolle im Zusammenhang mit der Kohleverstromung verweisen und dabei verschweigen, dass in Großbritannien neue Atomkraftwerke gebaut werden. Ich finde, auch das ist nicht so ganz glaubwürdig. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich will nur für all die, die den Antrag nicht gelesen haben, die Frage stellen: Gibt es bei den Grünen das Ziel, die gemeinsam vereinbarten Treibhausgasminderungspotenziale im Hinblick auf 2050 vorzuziehen? Dieses Ziel gibt es nicht. In Ihrem Antrag steht: Es bleibt bei der Vereinbarung, bis 2050 eine Reduktion der Treibhausgase um 80 bis 95 Prozent zu erreichen. Wenn Sie hätten glaubwürdig bleiben wollen, hätten Sie sagen müssen: Wir wollen schneller aus der Kohleverstromung aussteigen, um das genannte Ziel nicht 2050, sondern schon 2045 oder 2040 zu erreichen. – Das machen Sie aber nicht. Das heißt, Sie bleiben bei genau diesen Vereinbarungen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt diese Vereinbarung gar nicht, Herr Becker!) Das ist nach meiner Einschätzung etwas problematisch. Das Gleiche gilt für die Linksfraktion. Die Linksfraktion hat immerhin gesagt: Wir haben das Ziel, bis 2040 aus der Kohleverstromung auszusteigen. – Das heißt also: Die Linke will zehn Jahre, bevor die genannten Treibhausreduktionen erreicht werden sollen, aus der Kohleverstromung aussteigen. Das Problem ist aber auch hier: Sie wollen zwar bis 2040 aus der Kohleverstromung aussteigen, bleiben aber bei der Gesamtstrategie, bis 2050 die Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Das heißt, Sie hätten zwar dann weniger CO2-Emissionen aus der Kohleverstromung, aber die Gesamtmenge wollen Sie nicht reduzieren. Da fehlt eine schlüssige Systematik. Das ist nicht glaubwürdig. – Frau Baerbock möchte eine Zwischenfrage stellen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich bitte darum, abzuwägen: Wenn wir Zwischenfragen zulassen, wird die Debatte auf der einen Seite natürlich sehr lebendig, auf der anderen Seite wird aber die Sitzungsdauer verlängert. Die Sitzungsleitung hat angesichts einer sehr ambitionierten Tagesordnung die Möglichkeit, Zwischenfragen nicht zuzulassen. Davon möchte ich jetzt Gebrauch machen, damit wir zügig weiterkommen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Moderation war länger als die Frage!) Dirk Becker (SPD): Mit Blick auf die Fraktion der Grünen habe ich die Bitte, dass wir uns mit dieser Thematik einmal ernsthaft auseinandersetzen. Ich habe nach der sehr emotionalen Debatte über die Reform des EEG, die ich nachvollziehen kann, die Hoffnung: Es ist jetzt wirklich an der Zeit, dass wir uns mit dem gesamten energiepolitischen Umbau, der jetzt mit der Energiewende zwingend kommen muss, intensiver und fundierter auseinandersetzen; denn auf viele Fragestellungen haben wir alle noch keine schlüssige Antwort. Nach der Sommerpause, Frau Baerbock, wird die prinzipielle energiepolitische Diskussion kommen: Wie sieht das Marktdesign aus? Was brauchen wir vor dem Hintergrund von Versorgungssicherheit und von Netzstabilität? (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kommt nichts!) Wie gehen wir mit der Struktur der deutschen Energieversorgung grundsätzlich um? Eines ist klar und unstrittig: Wir wollen und brauchen den Erfolg dieser Energiewende, weil wir unsere Kli-maschutzziele einhalten wollen, aber auch, weil die -Minimierung unserer Abhängigkeit, insbesondere von Energieimporten, ein Akt und ein Gebot der volkswirtschaftlichen, der ökonomischen Vernunft ist. Darum wollen wir den Erfolg dieser Energiewende bis 2050. (Beifall bei der SPD) Es gibt für diese Energiewende weltweit kein Vorbild. Das macht es sehr schwierig, herauszufinden, welcher Weg richtig ist. Was aber nicht geht, ist, dass wir weiterhin eine fragmentierte Energiepolitik machen: gestern die Reform des EEG, jetzt das Kohleausstiegsgesetz, morgen dies und übermorgen jenes. Ich bin dem Wirtschafts- und Energieminister ausgesprochen dankbar, dass er diese Woche einen Fahrplan, eine Zehn-Punkte-Agenda vorgelegt hat, mit der erstmals die Energiewende insgesamt strukturiert und systematisiert wird. Es wird so für alle nachvollziehbar, welche Probleme jetzt zu lösen sind und was bis zum Ende der Legislaturperiode vorliegen muss, damit die Energiewende Erfolg hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt aber auch Fehlentwicklungen – wir haben das gehört –: Die Strompreisentwicklung und die Entwicklung der CO2-Zertifikatspreise sind anders verlaufen, als es noch vor wenigen Jahren prognostiziert worden war. Sie haben Frau Hendricks angesprochen, die gefordert habe, 2 Milliarden Zertifikate aus dem Markt zu nehmen. Außerdem habe sie ein Vorziehen der Einführung der Marktstabilitätsreserve auf 2017 ins Spiel gebracht. Sie haben dabei den Eindruck erweckt, das sei gegen die Meinung des Wirtschaftsministeriums erfolgt. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rausgekommen sind nur 900 Millionen!) Ich würde Sie bitten, sich einmal die Pressemitteilung anzugucken, die von Sigmar Gabriel und von Frau Hendricks war. Ich sage das nur deshalb, damit kein falscher Eindruck hängenbleibt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie hat im Ausschuss etwas anderes gesagt!) Darüber hinaus haben sich auch die Börsenstrompreise in Deutschland teils drastisch reduziert. Sie alle kennen das. Im Prinzip ist man ja immer ein Freund fallender Preise, aber in diesem Fall führt das leider zu fatalen Fehlentwicklungen. Durch diese fallenden Preise steigen die Kosten für die hocheffizienten, modernen Kraftwerke, für die KWK-Anlagen, während neben den erneuerbaren Energien insbesondere sehr günstige, aber auch ineffiziente Anlagen mit einem hohen CO2-Ausstoß die Stromproduktion sicherstellen. Hier brauchen wir uns nichts vorzumachen: Auch der Minister hat mehrfach gesagt, wenn es bei dieser Entwicklung bleibt, kriegen wir insgesamt ein Akzeptanzproblem mit der Energiewende. Daher müssen wir Maßnahmen ergreifen, um hier gegenzusteuern. Ich sage noch einmal ausdrücklich mit Blick auf die Grünen und auch mit Blick auf die Linkspartei: Wir stehen zu dem gemeinsamen Ziel der Reduktion der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die steigen aber, statt zu sinken!) Und ich sage auch ausdrücklich: Wenn man eine Reduktion der CO2-Emissionen um 80 bis 95 Prozent bis 2050 will, erfordert das im Klartext die vollständige Dekarbonisierung der Stromversorgung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann darf kein Kohlekraftwerk mehr laufen! Genau darum geht es! – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unser Vorschlag!) Das ist völlig unstrittig. Ich möchte, wenn ich darf, Herr Präsident, einmal kurz aus einer Drucksache aus der letzten Legislaturperiode zitieren. Es heißt dort: Im Sinne einer effizienten Ausnutzung fossiler Brennstoffe muss bis zur Erreichung des Ziels der Vollversorgung aus Erneuerbaren Energien eine Modernisierung des konventionellen Kraftwerks-parks unter Erreichung höchstmöglicher Wirkungsgrade erfolgen. … Hierzu werden über Instrumente, wie des Immissionsschutzgesetzes, die gesetzlichen Anforderungen an die Wirkungsgrade so anzupassen sein, dass Kraftwerke, die nicht dem aktuellen Stand der Technik entsprechen – – (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unser Antrag!) – Was ist das? (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist entweder euer oder unser Vorschlag!) – Ja, Sie haben in der Tat recht. Das ist ein Zitat aus dem Energiekonzept der SPD-Bundestagsfraktion aus dem Jahr 2011. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ihr macht es nicht!) Da Sie sagen, Sie hätten hier das Rad neu erfunden, sage ich Ihnen: (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen wir doch gar nicht!) Bereits 2011 haben wir darüber gesprochen. Wenn Sie jetzt wieder mit dieser Märchenstunde kommen, wir würden nichts machen, dann muss ich Sie darauf hinweisen, dass ich gerade erwähnt habe, dass ab Herbst die Debatte über diese Punkte beginnen wird. Sie haben doch auch vom Bundeswirtschaftsminister die Agenda bekommen, dass ein Grünbuch erstellt werden wird, dass wir uns in einem sehr intensiven, ernsten Prozess mit all diesen Fragen, auf die wir die Antwort heute noch nicht abschließend kennen, auseinandersetzen wollen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Grünbuch! Weißbuch! Ihr müsst etwas machen!) Hören Sie jetzt bitte einmal auf, hier immer zu sagen, wir machten nichts. Nehmen Sie zur Kenntnis: Die Arbeitsagenda liegt vor, und bringen Sie sich bitte sachlich in die Diskussion ein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Uns liegt daran, Versorgungssicherheit, Netzstabilität, die klimapolitischen Ziele, (Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) aber auch das Thema Preisstabilität zusammenzubekommen. Ich lade Sie wirklich ein: Lassen Sie sich dann mit uns auf eine sachliche Debatte ein! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich weiß, die letzten Tage und Wochen waren auch aus anderen Gründen für manche emotional sehr schwierig. Das liegt auch an der EEG-Debatte. Ich wünsche uns allen ein bisschen Zeit für Ruhe, um dann vielleicht auch wieder Kraft für eine sachliche Debatte zu tanken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Ich darf insbesondere anmerken, dass Sie sehr vorbildlich mit der Redezeit umgegangen sind.?– Jetzt spricht der Kollege Andreas Jung von der CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Andreas Jung (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem in dieser Debatte schon die eine oder andere Zahl umstritten war, will ich eine Zahl vorwegstellen, die – wie ich hoffe – unumstritten sein wird, weil sie nämlich vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme kommt. Dieses Institut hat in diesen Tagen wieder einmal berechnet, welche Energiequelle am meisten zum deutschen Strommix beiträgt. Das war bis zum Jahr 2007 die Kernenergie. 2007 wurde die Kernenergie von der Braunkohle abgelöst. Bis zum gesamten letzten Jahr blieb es dabei, dass die Braunkohle am meisten zum Strommix beitrug. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres haben die erneuerbaren Energien zum ersten Mal die Braunkohle überholt. Sie trugen rund 81 Terawattstunden zum Energiemix bei, während die Braunkohle rund 69 Terawattstunden beitrug. Die erneuerbaren Energien sind nun Tabellenführer im deutschen Strommix. Darüber sollten wir uns erst einmal gemeinsam freuen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen kann die Kohle auch schrittweise rausgehen!) Das zeigt im Übrigen, dass wir bei allen berechtigten und notwendigen Debatten über den richtigen Weg bei der Förderung der erneuerbaren Energien vorankommen und dass die erneuerbaren Energien Schritt für Schritt die tragende Säule in unserem Energiesystem werden. Die heutige Debatte dient dazu, die Frage zu klären, wie wir auf diesem Weg vorankommen. Warum machen wir das eigentlich? Die Förderung der Erneuerbaren ist kein Selbstzweck, sondern hat letztlich eine dienende Funktion. Sie dient der Sicherstellung der Stromversorgung der Wirtschaft und der Privathaushalte. Dabei werden keine neuen Risiken eingegangen wie beispielsweise beim Fracking, das es erforderlich macht, Chemikalien in den Boden zu pumpen. Wir werden im Herbst diesbezüglich ein konsequentes Gesetz verabschieden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich mal gespannt! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir hoffen!) Die Förderung der Erneuerbaren führt dazu, dass wir Schritt für Schritt auf die Kernenergie verzichten und die Risiken des Umgangs mit radioaktivem Material ausschließen können und dass wir unseren CO2-Ausstoß, also den Ausstoß an Treibhausgasen, reduzieren können. Die Bestandsaufnahme zeigt, dass wir das erste Ziel erreichen, den zurückgehenden Anteil der Kernenergie in vollem Umfang durch den aufwachsenden Anteil der Erneuerbaren zu ersetzen, dass wir aber das zweite Ziel noch nicht erreichen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Dieser steigt im Moment. Warum ist das so? Das liegt daran, dass Gaskraftwerke durch Kohlekraftwerke vom Markt verdrängt werden. Das ist erst einmal die Analyse. Nun stellt sich die Frage, woran das liegt. Es liegt nicht an der deutschen Gesetzgebung – es ist mir wichtig, das zu sagen –, sondern maßgeblich am Emissionshandel der Europäischen Union, (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und da hat Deutschland nicht mitgewirkt?) der zurzeit schwächelt bzw. daniederliegt. Dabei kann es nicht bleiben. Hier muss repariert und verändert werden. Wir brauchen eine nachhaltige und zeitnahe Reform des europäischen Emissionshandels. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir das nicht schaffen, wird die Vorreiterrolle, die die EU und insbesondere Deutschland im Klimaprozess einnehmen, infrage gestellt. Auf den Klimakonferenzen schaut man bislang mit Respekt auf Deutschland und erkennt unsere Rolle an. Auf Dauer wird das aber gefährdet werden, wenn unser CO2-Ausstoß steigt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dirk Becker [SPD]) Um unsere Rolle beibehalten zu können, müssen wir in Europa dieses Problem lösen. Dabei ist der Emissionshandel das Herzstück. Ich bin froh – der Kollege Becker hat das bereits angesprochen –, dass es eine abgestimmte Position der Bundesregierung gibt, die auf die Entscheidungen, die wir schon getroffen haben, aufsetzt. Wir alle wissen, dass wir lange – ich sage: zu lange – um die Entscheidung zum Backloading gerungen haben. Es war aber diese Bundesregierung, die schon in den ersten Tagen die Entscheidung getroffen hat, eine erste Reparatur beim Emissionshandel vorzunehmen. Was ist das Problem? Im Rahmen des Emissionshandels gibt es so viele Zertifikate, dass die Preise in den Keller gefallen sind. (Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/CSU]) Zuerst ist man von 30 Euro und dann von 17 Euro ausgegangen. Nun liegt der Preis zwischen 4 und 6 Euro, also in Regionen, die dazu führen, dass Braunkohlekraftwerke rentabel und Gaskraftwerke unrentabel werden. Woran liegt das? Das liegt daran, dass von Anfang an viele Zertifikate auf dem Markt waren. In der Wirtschaftskrise ist dann die Produktion eingebrochen. Damit ging der CO2-Ausstoß automatisch zurück. Gleichzeitig ist aber die Anzahl der Zertifikate gleich geblieben. Seitdem gibt es eine Bugwelle, die wir vor uns herschieben. Deshalb kann ein Eingriff in den Emissionshandel nur die Ultima Ratio sein, das letzte Mittel; denn das ist ein marktwirtschaftliches System, das von Verlässlichkeit lebt. Aber wann, wenn nicht in dieser Situation und bei solchen CO2-Preisen, ist es Zeit und notwendig, von einer solchen Ultima Ratio zu sprechen? Deshalb bin ich der Meinung, dass die Entscheidung, mit dem Backloading zunächst einmal Zertifikate vom Markt zu nehmen, richtig war. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung sagt: Wir müssen jetzt einen Schritt weiter gehen. Wir begrüßen den Vorschlag, den die EU für die Marktstabilitätsreserve gemacht hat, nämlich die Anzahl der Zertifikate flexibel an die wirtschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung sagt, dass das früher als 2020 geschehen muss; es muss in den nächsten Jahren passieren, weil die Zeit drängt und das maßgeblich für den CO2-Ausstoß innerhalb der Europäischen Union ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich lade alle ein, dass wir gemeinsam darum ringen, weil in der Europäischen Union diese Diskussion noch nicht ausgetragen ist. Dort wird die Entscheidung getroffen, da werden die maßgeblichen Beschlüsse gefasst. Wir können natürlich darüber diskutieren, wie wir diese Maßnahme flankieren. Wir werden im Herbst über Kapazitätsmärkte sprechen. Ich will sehr dafür werben, dass wir dabei insbesondere die Versorgungszeit in den Blick nehmen, also fragen, welche Kraftwerkskapazitäten wir brauchen, um eine sichere Versorgung mit Energie sicherzustellen, dass wir aber gleichzeitig fragen, welchen Beitrag diese Kapazitäten zur Energiewende leisten und welche Rolle sie beim CO2-Ausstoß spielen. Das ist sicherlich eine der Debatten, die wir ergänzend, neben der Debatte über das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, hier auf nationaler Ebene führen können. Ich möchte noch hinzufügen, dass, wenn wir über den CO2-Ausstoß in Deutschland sprechen, der Energieerzeugung eine wichtige Bedeutung zukommt, aber eben nicht die alleinige Bedeutung. Deshalb halte ich es auch für richtig, dass die Bundesregierung in diesem Jahr ein Sofortprogramm Klimaschutz angekündigt hat, mit dem die Lücke, die auf dem Weg zur Erreichung unseres 2020-Ziels noch besteht, geschlossen werden kann, und dass dabei die ganze Breite der Sektoren in den Blick genommen werden soll. Ich will ausdrücklich dazusagen, dass die Haltung unserer Fraktion ist, dass ein besonderer Schwerpunkt auf Energieeffizienz gelegt werden soll. Am besten ist es, Energie erst gar nicht zu verbrauchen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es kann nicht darum gehen, dass man, wenn man in der Badewanne sitzt, noch weiter Wasser einlaufen lässt und dabei weniger umweltfreundliche Energie durch umweltfreundlichere Energie ersetzt, sondern am besten ist es, wenn überhaupt keine Energie verloren geht, und das bedeutet, den Stöpsel in die Badewanne zu stecken. Deshalb sind wir für Energieeffizienz. Wir glauben, dass ein besonderer Schwerpunkt der Gebäudebereich sein muss. Ich will ausdrücklich dafür werben, dass wir die öffentlichen Gebäude in den Blick nehmen, den Sanierungsfahrplan verbessern und den Prozess beschleunigen. Wir sollten aber auch darüber nachdenken, wie wir ohne Zwang im privaten Gebäudebereich mehr Anreize schaffen können, um in diesem Bereich, den wir alle im Übrigen schon seit vielen Jahren als schlafenden Riesen bezeichnen, schneller voranzukommen. Dazu muss der Nationale Energieeffizienz-Aktionsplan, den wir im Koalitionsvertrag verabredet haben, mit Leben gefüllt werden. Es wird die Frage sein, welchen Beitrag jeder dazu leisten kann. Da geht es auch um Unternehmen, die mit Energiemanagementplänen weitere Beiträge leisten können. Energieeffizienz ist ein besonders wichtiges Thema, und da wollen wir uns kraftvoll einbringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zuletzt will ich die Mobilität ansprechen. Wir müssen uns auf den Weg machen, um zu einer nachhaltigen Mobilität zu kommen. Ich halte das Ziel der Bundesregierung, die Elektromobilität voranzubringen, für richtig. Ich halte es für notwendig, dass wir entsprechende Maßnahmen auf den Weg bringen. Das soll ebenfalls in diesem Herbst mit dem Elektromobilitätsgesetz passieren. Wir sind auf dem richtigen Weg, weil für uns der Schwerpunkt Forschung und Entwicklung ist. Jetzt geht es aber auch darum, wie wir den einen oder anderen Anreiz setzen können, um die Hürde, die es noch gibt, um ein Elektroauto zu erwerben, überwinden zu können. Auch diese Diskussion steht jetzt an. Die werden wir führen. Für die Union gilt: Wir werden uns kraftvoll einbringen. Wir stehen hinter den Klimaschutzzielen, die wir, national wie europäisch, vereinbart haben und die wir auf der Klimakonferenz durchsetzen wollen. Wir werden durch die Weichenstellungen, die wir national vornehmen und auf europäischer Ebene beeinflussen können, alles dafür tun, dass die Klimakonferenz in diesem Jahr in Lima und vor allem im nächsten Jahr in Paris zu einem Erfolg wird. Der Klimawandel schreitet voran. Er hat schon jetzt dramatische Auswirkungen. Die Weltgemeinschaft muss jetzt handeln, um diesen Prozess zu stoppen. Dabei haben wir eine besondere Verantwortung, und der wollen wir gerecht werden. Deshalb machen wir uns auf diesen Weg. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Hubertus Zdebel spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke hat für die heutige Plenarsitzung einen Antrag auf ein Kohleausstiegsgesetz vorgelegt. Infolge eines solchen Gesetzes könnte – zumindest fordern wir das – spätestens 2040 das letzte deutsche Kohlekraftwerk vom Netz gehen. (Beifall bei der LINKEN) Warum legen wir zur heutigen Plenarsitzung einen solchen Antrag vor? Für einen erfolgreichen Klimaschutz ist ein Ausstieg aus der Kohleverstromung unserer Meinung nach unerlässlich. Diese Meinung teilt auch der Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen, Martin Faulstich. Gegenüber der Zeit sagte er am 4. Mai mit Blick auf die Bundesregierung – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: Wenn sie den Klimaschutz wirklich ernst nimmt, dann kommt sie aber am Kohleausstieg nicht vorbei. In Deutschland existiert schon seit längerem, gerade was die Frage der Treibhausgase angeht, eine Lücke bei der Erfüllung des Minderungsziels. Seit 2010 steigen die Treibhausgasemissionen in Deutschland sogar wieder. Sie alle wissen, dass den größten Anteil an diesem Anstieg die emissionsintensive, aber betriebswirtschaftlich preiswerte Braunkohleverstromung hat. Nach wie vor stammen 25 Prozent der in Deutschland erzeugten Elek-trizität aus der Braunkohle. Vor diesem Hintergrund sagen wir: Damit muss endlich Schluss sein. (Beifall bei der LINKEN) Wir sind bis zu einem bestimmten Grade aus der Atomkraft ausgestiegen – noch nicht ganz; es wird in Deutschland nach wie vor Atomstrom produziert. Als Nächstes müssen wir meines Erachtens vor allen Dingen aus der dreckigen Braunkohleverstromung aussteigen, um in Deutschland die Energiewende hinzubekommen. (Beifall bei der LINKEN) Ich weiß, wovon ich rede. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen, wo es Garzweiler II gibt. Vor diesem Hintergrund denke ich, dass es absolut an der Zeit ist – nicht nur aus Gründen des schmutzigen oder sauberen Stroms, sondern auch mit Blick auf die Landschaftsfragen –, aus dieser Form der Energiegewinnung endlich auszusteigen. Klimaforscher wie der ehemalige NASA-Direktor James Hansen gehen davon aus, dass schon die bislang ausgestoßenen Treibhausgase eine 2-Grad-Erwärmung auslösen könnten. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der Weltklimarat in seinen Studien. Mit Planeten lassen sich allerdings keine Kompromisse ausverhandeln. Deswegen sagen wir: Es muss Schluss damit sein, dass Klimaschutzziele im Interesse der Stromkonzerne und der energieintensiven Industrie mit Füßen getreten werden. (Beifall bei der LINKEN) Wer den Klimaschutz ernst nimmt, muss endlich auf die Klimaforschung hören. Die Wissenschaft spricht eine deutliche Sprache. Für halbherzige Klimaschutzmaßnahmen ist keine Zeit mehr. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vor diesem Hintergrund ist die völlig verfehlte Änderung des EEG – das wird heute noch Thema sein – eine Katastrophe. Die Koalition hat das in seiner ursprünglichen Form so erfolgreiche EEG zerstört. Über das Ergebnis kann sich die Kohlelobby nur freuen. Durch die Befreiung von der EEG-Umlage sparen die Tagebaue 250 Millionen Euro, die Braunkohlekraftwerke 630 Millionen Euro. Das besagt eine Studie des BUND, die vor einigen Wochen bei einer Anhörung des Umweltausschusses vorgestellt wurde. Damit gefährdet die Bundesregierung nicht nur die Energiewende in Deutschland, sondern auch die auf internationaler Ebene. Denn Deutschland hat – besser formuliert wäre vielleicht: hatte – in dieser Frage eine Vorreiterrolle. Dass die Bundesregierung die Energiewende hierzulande ausbremst, ist Wasser auf die Mühlen der Energiewendegegner anderswo in der Welt. Auch diese Zusammenhänge müssen klar werden. Sie haben gerade zu Anfang der Diskussion im europäischen Sektor auf einige Widersprüchlichkeiten, was die Energiepolitik angeht, aufmerksam gemacht. Ich bin ganz bei Ihnen, wenn Sie zum Beispiel erwähnen, dass andere europäische Länder jetzt wieder verstärkt auf Atomkraft setzen und dass man bestimmte Entwicklungen in Europa nicht ausblenden darf. (Beifall bei der LINKEN) Das muss man meines Erachtens deutlich formulieren. Ich bin sehr daran interessiert, mit Ihnen einen wirklich sachorientierten, konstruktiven Dialog darüber zu führen, wie eine Energiewendepolitik in Deutschland vor dem Hintergrund der allgemeinen weltwirtschaftlichen Entwicklung – Stichwort „Ressourcensicherheit“ – geführt werden kann. Damit habe ich gar keine Probleme. Allerdings müssen Sie auch tatsächlich dazu bereit sein, die Entwicklung hier in eine vernünftige Richtung zu lenken und Deutschland nicht die Vorreiterrolle zu nehmen, die es bisher hatte; denn dass es diese Rolle hat, ist sehr wichtig. (Beifall bei der LINKEN) Was wir im Moment erleben, ist eine Rolle rückwärts im Interesse der großen Konzerne, deren Börsenkurse in Gefahr waren. Dort liegt nach meiner Einschätzung der eigentliche Grund dafür, dass das EEG vor kurzem geändert worden ist. Eine Rolle rückwärts erleben wir in vielen Bereichen, gerade was die Braunkohleverstromung angeht. Einen Dialog über all das würde ich mit Ihnen ganz gerne einmal vertiefend führen wollen. Dazu ist heute leider keine Zeit; aber bei nächster Gelegenheit sollten wir das tun. (Beifall bei der LINKEN) Ich will noch kurz auf die Emissionspreise eingehen. Wie bereits etliche betont haben, ist es so, dass es da aufgrund der viel zu hohen Anzahl an Zertifikaten, die auf dem Markt sind, dringend Änderungen bedarf, was das ganze Handelssystem angeht. Ich will zum Schluss Frau Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zitieren. Sie hat vor kurzem gesagt: Um Braunkohlestrom zu vermindern wären aber CO2Preise von 40 bis 50 Euro pro Tonne CO2 notwendig. Da dies eher unwahrscheinlich ist, muss man über flankierende Maßnahmen diskutieren. Das kann ein Kohleausstiegsplan sein … Recht hat sie. (Beifall des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Für einen solchen Kohleausstiegsplan setzen wir Linken uns auf jeden Fall ein, sei es in Brandenburg, sei es in Nordrhein-Westfalen oder sei es anderswo. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brandenburg! Oh!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege Matthias Miersch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Miersch (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Debatte hat gezeigt, dass wir hier mit einem sehr kontrovers diskutierten Thema beschäftigt sind. Es handelt sich um ein Thema, das letztlich zentrale Menschheitsfragen berührt. Wir machen das hier alles nicht zum Selbstzweck. Ich glaube, wir erkennen alle an, dass das, was wir augenblicklich erleben – den konti-nuierlichen Anstieg der CO2-Emissionen und darüber hinaus viel gefährlicherer Gase –, dringend gestoppt werden muss. Ich glaube, da sind wir alle uns in diesem Haus einig, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, dann stellen wir fest, dass sowohl auf der internationalen Ebene wie auf der europäischen Ebene wie auf der nationalen Ebene – in diesem Parlament, aber auch, das sage ich ganz deutlich, innerhalb der einzelnen Fraktionen, innerhalb der einzelnen Parteien, in den Bundesländern, im Bundestag – unterschiedliche Konzepte existieren. Nach meiner Auffassung gibt es niemanden, der heute sagen kann: Wir haben ein Patentrezept, um diese große Menschheitsherausforderung tatsächlich in den Griff zu bekommen. Das festzustellen, gehört, finde ich, zur Ehrlichkeit einer solchen Debatte. (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bestreitet niemand!) Umso begrüßenswerter finde ich es, dass wir hier heute diese Debatte führen. Frau Baerbock, ich weiß nicht, ob ich die grünen Anträge in den Strandkorb – wenn ich im Urlaub einen in Anspruch nehme – mitnehme. Da die Bundesregierung diesbezüglich gerade Vorarbeiten leistet, bin ich mir sehr sicher, dass wir im Herbst darum ringen müssen, wie wir auf dieses Problem zumindest mit einer nationalen Antwort reagieren. Ich will mich über die Ziele nähern und fragen, ob wir dort miteinander gehen können. Ich glaube, niemand kann mit der heutigen Situation, wie wir sie vorfinden, zufrieden sein. Niemand darf damit zufrieden sein, dass hocheffiziente Gaskraftwerke augenblicklich durch Kohlekraftwerke verdrängt werden. Das darf nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde, es kann auch niemandem in diesem Hause recht sein, dass der europäische Emissionshandel und damit das, was wir durch ihn erreichen wollten, nämlich die Verteuerung von klimaschädlicher Energiegewinnung, am Boden liegt und der Energie- und Klimafonds praktisch leer ist. Auch das darf uns in diesem Haus nicht zufriedenstellen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir dürfen auch nicht damit zufrieden sein, dass die CO2-Emissionen in Deutschland im vergangen Jahr gestiegen und nicht gesunken sind. Damit darf keiner in diesem Haus zufrieden sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe Sie aufmerksam beobachtet und gesehen, es haben irgendwie alle geklatscht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Jetzt müssen wir gucken, Herr Krischer, wie wir es von der Metaebene auf die konkrete Ebene kriegen. Ich bin mir sicher, dass wir über die eine oder andere Frage diskutieren müssen. Aber – das will ich vorweg sagen – es muss klar sein, dass wir Ökologie, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit nicht gegeneinander ausspielen können und dürfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird immer unkonkreter! – Zuruf des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) – Jetzt hören Sie doch erst einmal zu, und dann regen Sie sich auf! Aber ich komme gleich noch dazu. Als Umweltpolitiker liegt mir daran, zu sagen: Der Gleichsatz dieser drei Werte geht nicht; (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es noch philosophisch!) denn die industrielle Überlebensfähigkeit in Deutschland und der soziale Ausgleich gehen nicht zusammen, wenn die Natur unwiderruflich zerstört wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Diese Sache müssen wir auch als Umweltpolitiker immer wieder berücksichtigen. (Beifall der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und jetzt konkret!) Jetzt, Herr Krischer, kommen wir zu der Frage, welche Antworten wir geben. Ich glaube, dass das Handeln der internationalen Staatengemeinschaft entscheidend ist. Das soll nicht heißen, dass wir auf nationaler Ebene nichts tun sollen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Müssen!) Aber wir brauchen auch die anderen. Mit dem Emissionshandel wurde ein System entwickelt, um mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zu versuchen, diese Herausforderung in den Griff zu bekommen. Nach meiner persönlichen Auffassung müssen wir im Herbst in diesem Haus als Erstes darüber diskutieren, ob dieser europäische Emissionshandel überhaupt reanimierbar ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Diese Grundsatzfrage, finde ich, müssen wir diskutieren. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir die Anträge von Linken und Grünen, die wir heute diskutieren, lesen, dann stellen wir fest, dass die Antworten von beiden Seiten unterschiedlich sind, (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!) also auch die Opposition unterschiedliche Wege vorschlägt, und darüber müssen wir diskutieren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen haben wir die Debatte hier!) Ich glaube aber, Frau Baerbock und Herr Krischer, eines hat sich im Vergleich zu den letzten vier Jahren massiv geändert: Wir haben eine Bundesregierung, die nach Brüssel fährt und erstmals dort sagt: Der Emissionshandel geht so, wie er augenblicklich aufgestellt ist, nicht. – Endlich gibt es eine deutsche Bundesregierung, die in Brüssel ambitioniert für die Reform wirbt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen wir aber nicht!) Andere Länder sind anders unterwegs. Dazu muss man sehen, dass die Briten das locker machen können. Der Kollege Becker hat zu Recht darauf hingewiesen. Nur, der britische Weg, in die Atomkraft wieder einzusteigen, ist nicht unser Weg und darf nicht unser Weg sein! (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat ja auch niemand gesagt!) Deswegen, finde ich – da, lieber Kollege Pfeiffer, müssen wir wahrscheinlich noch alle zusammen miteinander ringen –, ist das, was Professor Edenhofer und andere vorschlagen, nämlich über CO2-Mindestpreise zu reden, eine Möglichkeit. Dies greifen die Grünen in ihrem Antrag ja auch auf. Wir müssen überlegen, Marktwirtschaft und – Sie sagen jetzt: Planwirtschaft; ich sage: Ordnung – Mindestpreise in irgendeiner Form zusammenzubringen; denn nur Markt bringt nichts. Das ist jedenfalls meine Überzeugung, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber darüber hinaus werden wir uns die Frage stellen müssen, ob das ausreicht. Deswegen plädieren wir So-zialdemokratinnen und Sozialdemokraten in unseren Energiekonzepten auch für eine Mehrwegestrategie. Ja, wir brauchen ein internationales Abkommen, spätestens in Paris im nächsten Jahr. Ja, wir brauchen europäische Antworten. Aber wir brauchen auch nationale Wege. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schlagen wir vor!) Der Kollege Jung hat die Gebäudesanierung und die Mobilität angesprochen. Ich nenne noch die Landwirtschaft. Aber auch ordnungspolitische Maßnahmen sind zumindest zu diskutieren. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das schlagen wir vor!) Ich war bis vor kurzem ein Verfechter der CO2-Steuer. Nach der Rechtsprechung zur Brennelementesteuer muss ich allerdings sagen, dass das juristisch wohl nicht ganz einfach werden wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Deswegen werden wir uns nach meiner Auffassung auch über weitere ordnungsrechtliche Ansätze unterhalten müssen, wenn wir beispielsweise um Effizienzstandards von Kraftwerken ringen. (Beifall des Abg. Dirk Becker [SPD] – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Ich glaube, das wäre eine Maßnahme, die wir flankierend einsetzen könnten, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie unserem Antrag zustimmen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie doch zu!) Wir werden darüber hinaus noch über ganz andere Maßnahmen reden, an denen Barbara Hendricks gerade im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative arbeitet. Wir werden auch darüber im Herbst diskutieren können. Da wird es eine Fülle von kommunalen, nationalen und Ländermaßnahmen geben, und wir werden die Frage stellen müssen, ob unser Ziel „40 Prozent Reduktion bis 2020“ mit diesen Maßnahmen erreicht wird. Herr Krischer, dann werden wir um die einzelnen Maßnahmen miteinander ringen müssen. Sie haben einige genannt; Barbara Hendricks hat andere genannt. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, bei diesem großen Thema einen Konsens zu finden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie erst mal mit Pfeiffer reden!) Ähnlich wie bei der Atomkraft ist es hier sehr einfach, als Opposition etwas in die Debatte zu werfen. Damit kann man super bestehen. Das ist ja auch Ihre Aufgabe. Aber letztlich werden wir nur eine Lösung finden, wenn wir alle mitnehmen. Das haben wir beim Atomkonsens geschafft. Etwas Ähnliches ist dringend notwendig beim Thema Kohle. Lassen Sie uns das gemeinsam machen! Lassen Sie uns die Sommerpause meinetwegen als schöpferische Pause begreifen und dann im Herbst miteinander die Maßnahmen diskutieren! Ich glaube, hier haben wir einen langen Weg vor uns. Aber wir haben bei der Atomenergie gezeigt: Es geht gemeinsam. – Das würde ich mir auch hier wünschen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Jetzt hat das Wort der Kollege Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Miersch, das war jetzt einmal ein vernünftiger Beitrag, der die Sache auf den Punkt gebracht hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) – Ja, das war ein Kompliment. Das hat sich wohltuend unterschieden von dem und steht in diametralem Gegensatz zu dem, was Herr Pfeiffer und andere eben gesagt haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eines ist doch klar wie Kloßbrühe: Es geht nicht mehr um das Ob des Kohleausstiegs; es geht nur noch um das Wie, darum, wie wir das organisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Wenn wir unsere Klimaschutzziele ernst nehmen – minus 80 Prozent bis minus 95 Prozent bis Mitte des Jahrhunderts –, dann wird es kein Kohlekraftwerk mehr geben dürfen. Wir müssen uns die Frage stellen: Lassen wir das jetzt alles irgendwie geschehen, oder reden wir so wie Herr Pfeiffer? Wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Er tritt die Klimaschutzziele in die Tonne. – Die Frage, meine Damen und Herren, müssen Sie beantworten; die müssen Sie als Große Koalition beantworten. Da sind Sie ein bisschen im Nebulösen geblieben. Wir haben konkrete Vorschläge gemacht. Wir haben konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt. Man kann andere Vorschläge machen. Aber nichts zu tun, so wie es Herr Pfeiffer vorgeschlagen hat, das wird nicht gehen. Da werden wir Sie nicht rauslassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, es ist doch völlig irre: Im Energiewendeland Deutschland – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen; das wird weltweit sehr wohl registriert – steigen die CO2-Emissionen. Das ist das Energiewendeparadoxon, gegen das wir dringend etwas unternehmen müssen. Es kann doch nicht sein, dass in meiner Heimat, im Rheinischen Braunkohle-revier, Kraftwerke aus den 60er-Jahren 8 000 Stunden, 365 Tage im Jahr rund um die Uhr, laufen und brummen, während nebenan ein hochmodernes Gaskraftwerk steht, sein Geld nicht verdient, nicht laufen kann, stillsteht. Das, meine Damen und Herren, müssen wir ändern. Dazu haben wir konkrete Vorschläge gemacht, die Ihnen auf dem Tisch liegen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Union an der Stelle klar sagt, wie sie dazu steht, (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Wir auch!) anstatt dumpfbackige Parolen in die Welt zu setzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Unsere Antwort ist: Wir müssen über den Emissionshandel reden. Ich hoffe – bei der Union bin ich mir nicht ganz sicher –, dass es wenigstens hier einen Konsens gibt. Das allein wird das Problem aber nicht lösen. Wir sagen: Wir brauchen CO2-Grenzwerte für fossile Kraftwerke nach britischem Modell. Das hat nichts mit der Atomkraft in Großbritannien zu tun. Die Briten haben sie; daran können wir uns orientieren, damit es auch europäisch funktioniert. Dabei kann man in keinen Konflikt mit der Kommission geraten, weil es dort praktiziert wird. Das schlagen wir Ihnen kombiniert mit einem ökologischen Flexibilitätsmarkt vor. Das ist unser Angebot für die Debatte, die jetzt ansteht. Wenn das am Ende die Vorschläge der Großen Koalition sind, dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. Aber bisher habe ich dazu konkret nichts gehört. Ich habe von der Union gehört, dass sie darüber überhaupt nicht reden will. Offensichtlich hat sie die Vorstellung, dass es bis zum Jahr 2100 Kohlekraftwerke in Deutschland geben soll. So habe ich Herrn Pfeiffer verstanden, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grüne sagen klipp und klar – auch das gehört dazu –: Es muss in Deutschland endlich Schluss sein, dass ganze Landschaften abgebaggert werden, dass Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden, dass Naturressourcen zerstört werden, um dann zu 60 Prozent aus Wasser bestehende Braunkohle zu fördern und in Kraftwerken zu verfeuern. KWK findet dort nicht statt, Herr Pfeiffer, weil diese Kraftwerke Wirkungsgrade unter 30 Prozent haben. Das ist nicht einmal Technik des 20. Jahrhunderts, das ist Technik des 19. Jahrhunderts. Das ist nicht modern. Das ist nicht zukunftsweisend. Damit muss endlich Schluss sein, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deshalb brauchen wir auch endlich ein Ende des Tagebaus. Ich will noch einen anderen Aspekt anführen. Bei Kohle reden wir völlig zu Recht über Klimaschutz, CO2. Das ist ein ganz entscheidendes Thema. Wenn wir Klimaschutzziele erreichen wollen, dann müssen wir an die Kohlekraftwerke denken. Wer anderes erzählt, erzählt Unsinn. Aber es gibt noch andere Punkte. Kohlekraftwerke sind inzwischen bei manchen Schadstoffen die größten Schadstoffquellen in Deutschland. Ich will nur ein Beispiel herausgreifen. (Thomas Jurk [SPD]: Quecksilber!) – Quecksilber. Ja, Sie haben es begriffen. Die größte Emissionsquelle für Quecksilber, für einen hochgiftigen Stoff, sind Braunkohlekraftwerke. Es ist doch ein Irrwitz, dass in den USA, einem Land, das nun wirklich nicht für seine Umweltstandards bekannt ist, viel strengere Quecksilbergrenzwerte gelten als in Deutschland. Diese Werte werden mit einer Technologie eingehalten, die in Deutschland entwickelt worden ist. Wenn wir diese Grenzwerte in Deutschland einführten, müsste jedes alte Kohlekraftwerk stillgelegt werden. Deshalb sage ich: Lassen Sie uns deutsche Technologie und deutsches Know-how anwenden, damit endlich mit diesem Irrsinn von Quecksilberemissionen, die die Gesundheit und die Umwelt belasten, Schluss ist. Es müssen endlich Umweltstandards eingeführt werden, die dem Stand der Technik entsprechen. Da, meine Damen und Herren, hat die Große Koalition bisher versagt, genauso wie vorher Schwarz-Gelb. Es gab genug Gelegenheiten, das zu tun. Auch das müssen wir anpacken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zum Schluss, eines ist klar: Das Kohlezeitalter ist definitiv zu Ende. Die Träumereien, die es vor einigen Jahren einmal gab, von 30 neuen Kohlekraftwerken – auch Sigmar Gabriel und der eine Christ- oder Sozialdemokrat sprachen begeistert davon –, sind vorbei. Alle, die in Kohle investiert haben, schreiben heute tiefrote Zahlen. Es ist zum Albtraum geworden. Wir müssen uns jetzt um den Strukturwandel im fossilen Kraftwerkspark im Zusammenhang mit dem Ausbau der Erneuerbaren im Sinne des Klimaschutzes kümmern, aber auch, um Investitionssicherheit in der Energiewirtschaft zu schaffen. Deshalb, meine Damen und Herren, verstehen Sie unseren Antrag, den wir heute hier vorlegen, als Angebot, um einen Strukturwandel zu schaffen; denn die Zeit für einen organisierten Kohleausstieg ist überfällig. Das müssen wir gemeinsam anpacken. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Barbara Lanzinger für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Kohle ist auf Dauer auch für uns keine Lösung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Ich denke, daraus haben wir nie einen Hehl gemacht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außer Herr Pfeiffer! – Gegenruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Wir alle wollen langfristig aus der Kohle aussteigen. Wir sehen das ganz genauso. Alles andere wäre paradox in der Energiewende. Kaum jemand arrangiert sich mit einer neuen Stromtrasse vor der Haustür, wenn durch sie immer mehr statt immer weniger klimabelastender Strom transportiert wird. Aber ich sage jetzt einmal: Erst die Atomkraft, jetzt die Kohle, alles auf einmal geht nicht. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das sagt auch keiner!) Bei uns würde man dann auf gut Bayerisch sagen: Gemach, gemach, net oalles oaf oimoa, schee loangsoam. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie den Antrag gelesen? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie Herrn Miersch zugehört?) Eines ist klar: Wir wollen eine Versorgung mit einem intelligenten Energiesystem ohne Kohlestrom und mit mehr marktwirtschaftlicher Steuerung statt staatlicher Regulierung. Wir als CSU haben bereits im Januar 2014 in Wildbad Kreuth – darauf möchte ich ganz bewusst verweisen – eine konsequente und klimafreundliche Umsetzung der Energiewende beschlossen. Dazu gibt es einen Plan, den wir als Koalition gemeinsam formen – wir sind gerade dabei – und umsetzen werden. Die Energiewende ist weitaus mehr als nur das Drängen, aus der Kohlekraft auszusteigen. Wir müssen schon aufpassen, dass bei den derzeitigen Grundstrukturen unserer Energieversorgung keine Versorgungslücke entsteht. Deshalb ist alles gut durchdacht anzugehen. Wichtig ist, denke ich – ich glaube schon, dass wir uns da auch einig sind –, dass in Bezug auf die Versorgungssicherheit Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht. Nun habe ich mir allerdings schon die Frage gestellt, warum Sie diesen Antrag überhaupt noch stellen. Wir haben den Koalitionsvertrag, und wir haben einen Zeitplan des Wirtschaftsministeriums zur Umsetzung wichtiger Schritte im Rahmen der Energiewende – der Kollege Becker hat schon darauf hingewiesen –, übrigens auch zur Reform des Emissionshandels und der Einführung einer Marktstabilitätsreserve. An die Fraktion der Grünen gerichtet sage ich: In Ihrer Kleinen Anfrage, die Sie am 4. Juni 2014 an die Bundesregierung gerichtet haben und die am 26. Juni 2014 beantwortet wurde, haben Sie ja detaillierte Fragen zu den geplanten Vorhaben zur Erreichung der gesetzten Klimaschutzziele gestellt. Ich erläutere gerne jetzt noch einmal unsere Vorhaben in dieser Legislaturperiode: Wir brauchen und wollen zügig ein neues marktwirtschaft-liches Strommarktdesign. Deshalb wird nach der Sommerpause ein strukturierter und offener politischer -Dialog über das Strommarktdesign in Deutschland beginnen. Im Herbst 2014 wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie dann ein Grünbuch zum zukünftigen Strommarktdesign veröffentlichen, welches öffentlich konsultiert und im Jahr 2015 zu einem Weißbuch mit konkreten Lösungsvorschlägen weiterentwickelt werden soll. Im Rahmen dieses Dialogs über das neue Marktdesign geht es für uns ausdrücklich nicht um die Subventionierung alter Kohlekraftwerke, sondern um einen sehr viel breiteren Ansatz. (Beifall bei der SPD – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Da sind wir ja gespannt!) Bayern setzt sich dafür ein, Umweltbelange, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit in eine verträgliche Balance zu bringen. Viele Jahre lang stand der Aufbau von Kapazitäten aus erneuerbaren Energien sehr im Vordergrund. Ich denke, ich kann sagen: Wir in Bayern wissen, wovon wir reden. Wir sind an der Spitze bei der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien – im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen zum Beispiel. Wir decken bereits 36 Prozent unseres Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie mal etwas zur Windenergie in Bayern!) Wir alle wissen aber auch: Leistung durch erneuerbare Energien ist nicht durchgängig sicher und auch nicht grundlastfähig. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit der Windenergie in Bayern?) Die Energiewende bedeutet die Umstellung unseres gesamten Energiesystems. Dafür brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen – das möchte ich heute auch noch einmal erwähnen –, wie es zum Beispiel bei einem Kapazitätsmarkt der Fall sein kann. Für einen Kapazitätsmarkt brauchen wir eine technologieoffene, wettbewerbliche und europakompatible Lösung. Notwendig sind die Einbeziehung gesicherter Erzeugungskapazitäten, von Speichern – dahinter setze ich mehrere Ausrufezeichen; Fragezeichen könnte man -theoretisch auch setzen –, eines Lastmanagements sowie die Verstetigung von erneuerbaren Energien, die sehr verlässlich Strom liefern, wie zum Beispiel Wasserkraft und Biogas. Wir brauchen die richtige Mischung. Es ist gut, dass Sie ebenso wie wir die Speicher als wichtigen Bestandteil der Umstrukturierung unseres Energiesystems betrachten. Es wäre gut gewesen – das sage ich heute sehr deutlich –, wenn wir es geschafft hätten, das Thema Speicher in das EEG einzupflegen. Das ist leider nicht geschehen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso haben Sie es denn nicht gemacht? Sie haben doch die Mehrheit!) Im Kapazitätsmarkt werden konventionelle Kraftwerke weiter eine Rolle spielen. Sie sind auf absehbare Zeit zur Deckung der Residuallast und damit zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit unverzichtbar. Diese konventionellen Kraftwerke müssen jedoch dringend einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der CO2-Reduktionsziele leisten; es ist von mehreren Kollegen ausgeführt worden. Deshalb werden an einen zukünftigen Kraftwerkspark hohe Anforderungen hinsichtlich Effizienz, Emissionen, Flexibilität und Verfügbarkeit gestellt. Hier kommen – auch das wurde schon diskutiert – Gaskraftwerke oder Gasturbinen infrage, die teilweise mit Biogas sowie regenerativ erzeugtem Wasserstoff und Methan betrieben werden könnten. Neben dem Einsatz hocheffizienter und flexibler Gaskraftwerke ist jedoch der europäische Emissionshandel – auch darauf wurde schon eingegangen – das wichtigste regulatorische Instrument zur Reduktion der CO2-Emissionen. Ich denke schon, dass die zu günstigen Preise – auch das wurde gesagt – ein wesentlicher Grund für den Anstieg der Kohlestromproduktion sind; sie führen dazu, dass sich die klimaschonenden und effizienten Gaskraftwerke nicht rentieren. Auch deshalb müssen wir dringend gemeinsam mit der EU-Kommission an neuen marktwirtschaftlichen Modellen arbeiten und auf nationaler Ebene über unser System der Strombörse diskutieren. Neben der Umstrukturierung des bisherigen CO2-Emissionszertifikatehandels gilt es aber auch, an anderen Stellen weiterzuarbeiten. Die Sicherstellung der Zuverlässigkeit und der Bezahlbarkeit unserer Energieversorgung kann nicht allein dadurch erreicht werden, dass wir weitere Kapazitäten zubauen, ohne über einen Abbau von Kapazitäten im Kohlebereich zu diskutieren. -Erforderlich sind Maßnahmen zur Umsetzung verbind-licher Effizienzvorgaben. Wir haben ein riesiges Energieeffizienzpotenzial von mindestens 10 bis 15 Prozent, das wir nutzen können, um den Leistungsbedarf zu reduzieren und dadurch Lasten zu verschieben. Ich denke schon, es ist allerhöchste Zeit, insgesamt verantwortungsbewusster mit Energie umzugehen. Auch wenn wir alle aus der Kohle aussteigen wollen, müssen wir uns dessen bewusst sein, dass sich der Kohleausstieg über etliche Jahrzehnte hinziehen und auch nicht nach dem Muster des Atomausstiegs erfolgen kann und wird. Ich denke, den gewaltigen Unterschied kennen wir alle: Die Atomkraft birgt weitaus höhere Risiken als die Kohlekraft, was einen möglichst schnellen Ausstieg aus der kommerziellen Atomenergienutzung rechtfertigt. So sieht es im Übrigen auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Er bescheinigt, dass ein Kohleausstieg und eine vollständige Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Quellen technisch erst ab 2040 realisierbar sind, und ich denke, darauf gründet auch der Antrag der Linken. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja mal eine Ansage!) Klar ist auch: Die Bedeutung der Kohle muss in dem Maße schrumpfen, in dem die Bedeutung der erneuerbaren Energien wächst; darüber besteht auch in der Gesellschaft durchaus Konsens. Lassen Sie mich unsere bayerische Umweltministerin Ilse Aigner zitieren. Sie hat einen sehr treffenden Vergleich gezogen: Die Energiewende … ist kein Spaziergang, sondern eine anspruchsvolle Bergtour, bei der man Kondition braucht und die Fähigkeit, bei Unvorhergesehenem auch mal die Route anzupassen oder das Tempo zu ändern. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ist ja eine Philosophin! Das wusste ich noch gar nicht!) Man muss auch mal stehen bleiben, wenn es zum Beispiel Unwetter gibt; das weiß jeder, der schon mal im Gebirge war. Entscheidend ist jedoch, dass es aufwärts geht, dass man – ich bleibe bei diesem Vergleich – das Gipfelkreuz vor Augen hat, das die Richtung und das Ziel vorgibt. Dieses Ziel ist eine sichere, bezahlbare, umweltfreundliche Energieversorgung in einem gut durchdachten Energiesystem. Je schneller wir die Kohle nicht mehr brauchen, desto besser – das sage ich ganz deutlich. Wir können den Ausstieg aus der Kohle allerdings erst dann gezielt planen, wenn wir ein funktionierendes Marktdesign haben; erst dann können wir sicher sein, eine ausreichende Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Zum Schluss wünsche ich allen einen schönen Sommer, auch einen Arbeitssommer; ich gehe davon aus, dass wir nicht nur Ferien haben, sondern auch zu Hause arbeiten. Ich wünsche, dass alle Kraft tanken können, damit wir im Herbst in aller Sachlichkeit und Ruhe mit Verantwortungsbewusstsein und einem Stück Gelassenheit weiterdiskutieren können. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Danke auch, Frau Kollegin Lanzinger. – Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege Thomas Jurk. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Jurk (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Energiewende muss gelingen, und zwar unter ökonomischen, sozialen und ökologischen Aspekten. Das löst man nicht mit einem „den Schalter umlegen“. Die Energiewende ist für mich kein unendliches Experimentierfeld, sondern es gibt Rahmenbedingungen, die wir beachten müssen. Als ehemaliger Elektrotechniker sage ich dazu: Es gibt Gesetzmäßigkeiten, die auch wir als Politiker nicht außer Kraft setzen können. Sehr geehrter Herr Kollege Krischer, Sie haben als Beispiel die Energiepolitik in Großbritannien genannt. Also, ich möchte keine Verhältnisse wie in Großbritannien. (Dirk Becker [SPD]: So ist es!) Soweit ich weiß, plant man in Großbritannien, Kernkraftwerke unter Zuhilfenahme von Einspeisevergütungen zu errichten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe von CO2-Grenzwerten gesprochen und ausdrücklich nicht von Atomkraft!) Das gehört auch zur Wahrheit dazu. Wollen Sie das wirklich? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch albern!) Es ist völlig richtig, was einige Vorredner betont haben: Ein paralleler Ausstieg aus der Atomkraft und aus der Braunkohle wird nicht funktionieren können. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha, also doch nicht! Was hat denn Herr Miersch eben gesagt? Was ist denn da jetzt bei den Sozialdemokraten?) Es ist Ihnen schon einmal vorgetragen worden, aber damit Sie es sich vor Augen führen: (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja, die wollen es nicht kapieren!) Woraus erzeugen wir unseren Strom in Deutschland? 45 Prozent Kohle, 15 Prozent Kernkraft, 25 Prozent erneuerbare Energien. Ich möchte gerne, dass der letztgenannte Anteil weiter steigt. Aber wir alle wissen doch, dass erneuerbare Energien volatil sind. Deshalb müssen wir uns als Politiker darum kümmern, dass die Rahmenbedingungen, auch was die Speicherung anbetrifft, verbessert werden. Ich glaube, die Bundesregierung ist gerade dabei. Ein anderer wichtiger Punkt ist für mich für das Gelingen der Energiewende notwendig, und das ist die Regelbarkeit. In diesem Zusammenhang komme ich zu den von einigen so verhassten Braunkohlekraftwerken. Ich komme aus einer Region, in der vor kurzem ein neuer Block ans Netz gegangen ist, der Block R in Boxberg. Er hat übrigens einen Wirkungsgrad von 44 Prozent. Dieser Block lässt sich im Lastmanagement zu je 3 Prozent pro Minute hoch- und runterfahren. Das heißt konkret: Man kann bei einer Gesamtleistung von 675 Megawatt bis zu 250 Megawatt in einer Viertelstunde hoch- oder runterregeln. Das ist eine gewaltige Leistung. Das ist auch dringend notwendig, um passgenaue Lösungen dann zu finden, wenn es mal mehr, mal weniger Sonnen- und Windstrom gibt. Und deshalb sollte man zur Kenntnis nehmen: Das ist ein wichtiges Element für unsere Energiewende. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das jetzige Modell! Wollen Sie denn noch weitere Kohlekraftwerke? Sagen Sie doch einmal was dazu!) Bundesminister Gabriel hat am Montag seine 10-Punkte-Energie-Agenda zu zentralen Vorhaben der Energiewende für die 18. Legislaturperiode vorgestellt; einige Vorredner sind bereits darauf eingegangen. Ich finde, es ist ein sehr gutes Papier und es lohnt, gelesen zu werden, auch vor dem Hintergrund, dass es klare Aussagen zum Strommarktdesign enthält; ich erinnere an die Arbeitsweise: Grünbuch, Weißbuch und entsprechende Gesetzesvorhaben. Das macht deutlich, dass wir nicht nur mit unseren Nachbarländern grenzüberschreitende Lösungen brauchen, sondern in der Europäischen Union insgesamt. Neue Erzeugerstrukturen, wie sie in den letzten Jahren aufgewachsen sind, verlangen daran angepasste Netze. Sowohl bei Übertragungs- wie auch bei Verteilnetzen gibt es riesigen Investitionsbedarf. Das alles muss finanziert werden. An dieser Stelle möchte ich den Verteilnetzbetreibern durchaus meinen Dank und meine Anerkennung zollen. In den letzten Monaten und Jahren haben sie Hervorragendes geleistet, um die Versorgungssicherheit in unserem Land aufrechtzuerhalten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch hier macht die 10-Punkte-Energie-Agenda von Sigmar Gabriel klar: Wir brauchen Vorgaben und vor allen Dingen eine zeitliche Rahmensetzung, damit auch dieser riesige Kraftakt des Netzausbaus bewältigt werden kann. Ich komme zum Thema Bergrecht. Ich habe mir sagen lassen, dass das ein altes Thema ist, das auch Sie, Kollege Krischer, immer wieder vor sich hertragen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bundesrat!) Selbst wenn es in Deutschland keine Kohlekraftwerke gäbe, wäre die rohstoffliche Bedeutung für viele Branchen unserer Volkswirtschaft darin abgebildet. Es ist klar: Da braucht man eine Gesetzgebung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stellt niemand in Zweifel!) Seit 1982 haben wir mit dem einheitlichen Bergrecht, das damals in Deutschland geschaffen wurde, eine solide Grundlage geschaffen, die am 3. Oktober 1990 auf das Gebiet der ehemaligen DDR übertragen wurde. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, schlimm genug!) Natürlich gab es noch weitere Vorläufer von Vorschriften, aber ich bitte Sie von den Grünen: Tun Sie doch nicht so, als hätten Sie ein altes und völlig überholtes Gesetz vor sich. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon was vom Garzweiler-Urteil gehört?) – Das Garzweiler-Urteil legt jeder so aus, wie er es braucht; auch wir haben eine Meinung dazu. Wenn Sie ganz in Ruhe darüber nachdenken, stellen Sie fest: So weit ist man da manchen nicht entgegengekommen; das interpretieren Sie hinein. Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat in der jüngsten Zeit Bedarf nach Weiterentwicklung des Bergrechts gesehen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) ohne es abschaffen zu wollen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt denn, er wolle es abschaffen?) Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen – Sie haben es wahrscheinlich vergessen, deshalb sage ich es jetzt noch einmal –: Uns geht es um die Beteiligung der Öffentlichkeit, zum Beispiel von Gemeinden, von Umwelt- und Wasserbehörden. Besonders wichtig ist uns eine frühzeitige Bürgerbeteiligung auch, um die Akzeptanz für bergrechtliche Verfahren zu erhöhen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bergrecht muss an die Anforderungen einer modernen, aufgeklärten und an Teilhabe interessierten Gesellschaft angepasst werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann passen Sie es an!) Ich sage Ihnen aus meiner Erfahrung heraus: Es gibt keine undemokratischen Verfahren. Schaue ich mir die Erweiterung des Tagebaus in meiner Heimat an, so kann ich feststellen, dass die Mitglieder des Braunkohleausschusses oder der regionale Planungsverband in seiner Verbandsversammlung sehr verantwortungsbewusst das umgesetzt haben, was sie an Informationen bekommen haben. Sie haben übrigens nicht nur Vorlagen von bergbautreibenden Unternehmen, sondern auch Hinweise aus der Bevölkerung aufgegriffen. Nicht jeder war damit einverstanden. Am Ende gehört es zur Demokratie dazu, dass man abstimmt. Frau Baerbock, ich hatte im Gegensatz zu Ihnen nicht das Glück, vor 1990 einen solchen Rechtsstaat erleben zu können. Mein Heimatort wäre im Jahre 2010 abgebaggert worden, hätte es die DDR noch gegeben. Ich bin sehr froh, dass die Menschen 1989 dafür gesorgt haben, dass das zu Ende war. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Thema zu tun? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt baggern sie aber weiter!) – Ich bin jetzt bei der Region angekommen. Kohle ist ein regionaler Wirtschaftsfaktor – Herr Krischer, das werden Sie selbst für NRW nicht bestreiten können – für Brandenburg, für Sachsen und für Sachsen-Anhalt. Ganz nebenbei reden wir über einen einheimischen Energieträger, genau so, wie das auch auf die erneuerbaren Energien zutrifft. Im Koalitionsvertrag ist dazu völlig richtig ausgeführt: Die Energiewende ist für die neuen Länder sowohl als Produktionsstandort für Anlagen als auch für die Erzeugung erneuerbarer Energien eine große Chance. Auch die Braunkohle spielt nach wie vor eine bedeutende Rolle für die Wirtschaftsstruktur. Bei manchen Antragstellern hatte ich den Eindruck – spontan fällt mir das Bild vom Hebelumlegen ein –: Jetzt beschließen wir einmal den Strukturwandel. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in meiner Heimatregion, in ganz Ostdeutschland haben wir seit 24 Jahren einen ständigen Strukturwandel – mit unterschiedlichem Erfolg. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Das wissen wir schon! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir in NRW auch!) – Ich glaube, das kann man nicht vergleichen, Herr Krischer. (Wolfgang Tiefensee [SPD]: 50 Jahre!) Das hat noch eine andere Dimension. Viele Probleme, die wir im Osten haben, die wir jetzt gerade lösen, werden Sie auch in Westdeutschland einholen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wollen Sie gerade neuen Tagebau? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten doch nicht abgebaggert werden! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie baggern ab! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schamlos ist das!) Ich bin froh, dass diese Planung zu Ende ist und dass wir ganz genau wissen, was wir vor uns haben. Deshalb ist es notwendig, einen richtigen Planungsrahmen zu haben. Sie haben nicht vor 1990 in meiner Heimat gelebt und können sich kein Bild machen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, wo ich gelebt habe?) Was Sie jetzt machen, ist eine pauschale Verurteilung derjenigen, die dort leben. Das weise ich mit Entschiedenheit zurück. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo hat Frau Lemke gewohnt?) Da bin ich bei einem wichtigen Punkt. Auch in der Braunkohlewirtschaft hat es enorme Anpassungsprozesse gegeben. Wir hatten 1990 noch rund 140 000 Beschäftigte in diesem volkswirtschaftlichen Sektor – -sicherlich völlig aufgebläht. Momentan arbeiten in Ostdeutschland 11 000 Leute direkt im Tagebau, in Kraftwerken. Rechnet man mit einem Multiplikator von zwei, kommt man ungefähr auf die Effekte, die durch Dienstleister und Zulieferer entstehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Strukturwandel führt auch zu neuen Landschaftsstrukturen. Das sind einerseits Chancen für den Tourismus – wenn ich an die Seengebiete denke –, aber auch Chancen, der Natur Flächen wieder zurückzugeben. Stetiger Wandel braucht Zeit. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb baggern Sie ab! Geht’s noch? Was ist das denn?) – Das, was Sie sagen, ist alles zu vereinfacht, Frau Höhn. Das ist der Sache nicht angemessen. Sie setzen sich nicht mit Argumenten auseinander. (Beifall bei den Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt der Richtige!) Strukturwandel braucht seine Zeit. Sie können jetzt gern einmal aufstehen. Ich bin ja noch relativ neu in diesem Parlament. Ich kenne aus dem Sächsischen Landtag Mikrofone; von diesen aus kann man Zwischenfragen stellen. Ich bin bereit, sie zu beantworten. (Beifall bei der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wurden ja nicht zugelassen!) Stetiger Wandel braucht Zeit. Wir haben für die Region übrigens auch gute Konzepte. Da wird nicht alles gelöst werden können. Das ist doch gar keine Frage. Aber es gibt in diesem Zusammenhang nach wie vor eine sehr hohe Akzeptanz für die Braunkohle. Das sollte man auch einmal zur Kenntnis nehmen. Es gab im Jahr 2013 eine repräsentative Umfrage von Forsa in allen Landkreisen und Städten der Region. Zwei Drittel der Befragten haben auf die Frage – ich lese sie Ihnen vor, damit Sie wissen, was gefragt wurde –: „Ist zur Sicherung der langfristigen, zuverlässigen und kostengünstigen Versorgung mit Energie die Erweiterung des Braunkohletagebaus in der Lausitz notwendig?“, mit Ja geantwortet. Ich verstehe alle, die von Braunkohletagebauen betroffen sind und die ihre Heimat verlassen müssen. Das ist ein unglaublich schmerzhafter und harter Prozess, der begleitet werden muss. Ich sage aber auch sehr deutlich: Die Menschen in der Region wollen keine falschen Versprechungen, und sie wissen, was wichtig für sie ist. Lassen Sie mich die Debatte zusammenfassen. Eines ist klar geworden: In dem Maße, in dem der Ausbau und die Systemintegration der erneuerbaren Energien voranschreiten, wird der Einsatz der Braunkohle als Energieträger zur Stromerzeugung mehr und mehr reduziert werden können. Das ist ja auch das Ziel des Ausbaus der erneuerbaren Energien. In diesem Zusammenhang wird der Anteil der Braunkohle sinken. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Jurk, denken Sie an die vereinbarte Redezeit. Thomas Jurk (SPD): Ja, ich sehe gerade die Uhr, Herr Präsident. – Ich sage noch einen schönen Schlusssatz: Wir betrachten die Braunkohle als Brückentechnologie, die wir so lange benötigen, bis wir unser Ziel einer klimaneutralen Energieerzeugung erreicht haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Jens Koeppen, CDU/CSU. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jens Koeppen (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer wenn wir über den Kohleausstieg reden – alle Monate wieder –, dann geht es sehr emotional zu. Aus meiner Sicht ist das verständlich. Sie von den Grünen sind mit Ihren Anträgen immer sehr beharrlich und sehr konsequent. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Das nötigt mir natürlich Respekt ab. Allerdings sind Sie immer auch sehr dogmatisch. Deswegen müssen Sie damit rechnen, dass wir Ihre Anträge beharrlich und konsequent zurückweisen, weil Ihre Anträge keiner wirklich sachlichen Betrachtung standhalten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lehnen doch sowieso jeden Antrag von uns ab!) Wir wollen ruhig und sachlich, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind wir!) aber auch ein bisschen emotional antworten. Eigentlich ist es schade, dass wir jetzt, am letzten Sitzungstag vor der Sommerpause, noch einmal anderthalb Stunden lang darüber reden müssen. Wir haben in Plenarsitzungen, in Ausschusssitzungen und in AG-Sitzungen darüber gesprochen, und immer wieder wurde dasselbe thematisiert und wurden dieselben Anträge gestellt. Die Geschichte ist eigentlich sehr schnell erzählt: Der überstürzte Ausstieg aus der Kohleverstromung – das haben letztendlich alle Redner gesagt – ist derzeit nicht machbar, jedenfalls nicht ohne größere volkswirtschaftliche Risiken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Zur Historie gehört auch – auch das haben alle gesagt –, dass es einen politischen Beschluss gibt, aus der Kernenergieerzeugung auszusteigen. Wir haben noch nicht beschlossen, aus der Kernenergienutzung auszusteigen, aber wir haben beschlossen, aus der Kernenergieerzeugung auszusteigen. Im Jahr 2003 betrug der Anteil des Stroms aus Kernenergie noch 27 Prozent, im Jahr 2013 15 Prozent. Auch diese 15 Prozent weiter zurückzufahren und damit weiter auszusteigen, ist kein Thema. Gleichzeitig überstürzt aus der Kohleverstromung auszusteigen – das haben alle Redner gesagt –, wäre aber energiepolitischer und volkswirtschaftlicher Harakiri. Nahezu jede zweite Kilowattstunde, Frau Baerbock, wird durch Kohleverstromung erzeugt. 2003 waren es noch 50 Prozent, 2013 waren es 45 Prozent, und jetzt sind es noch etwas über 40 Prozent. Wir sollten uns eigentlich das Thema der erneuerbaren Energien vornehmen, anstatt an den anderen Themen herumzudaddeln; denn der Ausbau der erneuerbaren Energien ist eine Erfolgsgeschichte. 2003 betrug der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien 7,5 Prozent, und jetzt sind es 25 Prozent. Das ist ein Erfolg. Lassen Sie uns doch darüber reden. Lassen Sie uns darüber reden, wie wir auf diesem Gebiet weiterkommen können, um dann synchron aussteigen zu können. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bremsen Sie gerade ab! Also, Herr Koeppen!) Zu glauben, den 45-prozentigen Anteil der Kohle heutzutage durch Gas ersetzen zu können, und das schnell, ist aus meiner Sicht schlicht und ergreifend naiv. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen ein Fahrplan! Schrittweise!) Ich jedenfalls möchte nicht, dass wir in Abhängigkeit von unsicheren Gaslieferanten geraten, von Staaten wie – das kann man ruhig sagen – Russland. Ich möchte keine nationale Klima- und Umweltpolitik. Sie wollen keine Kohleverstromung in Deutschland. Sie wollen natürlich auch kein Fracking in Deutschland. Sie wollen keine CCS-Technologie in Deutschland. Aber ist es denn sinnvoll, fossile Energien im Ausland zu fördern und in Deutschland zu verbrennen? Das ist doch auch kein Weg. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie denn Fracking?) Eine rein nationale Orientierung – das ist klar – ist nicht sinnvoll. Das ist nicht mein Verständnis von einem sinnvollen Umgang mit fossilen Energieträgern. Der eilige und national einseitige Kernenergieausstieg führte bereits zu einigen Absurditäten; das kann uns natürlich auch bei der Kohle passieren. Bei den erneuerbaren Energien haben wir an Tagen mit geringer Abnahme natürlich einen negativen Strompreis; das kennen wir alle. An Tagen mit großem Bedarf hingegen kaufen wir Strom aus Kernenergie in Frankreich oder Temelin in Tschechien; auch das ist nicht der richtige Weg. Deswegen kommt es zur nächsten Absurdität – das stand neulich auch in der Zeitung –: dass Russland bzw. Putin uns Strom aus noch nicht einmal gebauten Kernkraftwerken in Kaliningrad anbietet. Das ist völlig absurd. Wollen Sie diesen Weg etwa gehen und sich in diese Abhängigkeit begeben? Ich denke, das ist nicht der Sinn der Energiewende. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur weil er es anbietet, müssen wir es doch nicht annehmen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Partei wollte mal die Stromleitung dafür bauen!) Die Kohle wird eine Brücke sein – da haben Sie alle recht; Barbara Lanzinger hat darauf hingewiesen, Herr Jurk auch –, logischerweise aber eine Brücke hin zu erneuerbaren Energien. Sie kann keine Brücke zu einem anderen fossilen Energieträger sein, aus meiner Sicht jedenfalls nicht. Anders als bei der Kernenergie müssen wir den Ausstieg synchron betreiben: (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das schlagen wir vor!) synchron mit den neuen Technologien, synchron mit den erneuerbaren Energien, synchron mit den Speichern, die wir teilweise noch nicht haben, synchron mit den Netzen, bestenfalls natürlich mit den vorhandenen Netzen, und synchron mit der Grundlast bzw. mit nutzbarer Energie. Es nützt uns nichts, wenn wir erneuerbare Energien nur installieren, sie aber dann, wenn sie gebraucht werden, nicht zur Verfügung stehen. Unser Ziel muss sein, wegzukommen von der Renditeversorgung und wieder hinzukommen zur Energieversorgung. Sie sprechen in Ihrem Antrag von steigenden Emissionen. Aber Sie haben dabei nicht bedacht, dass die Braunkohleverstromung sehr viel effizienter geworden ist. Das mag Sie nicht zufriedenstellen, aber es ist zumindest so. 2013 wurde mehr Strom aus Kohle produziert; das ist richtig. Dafür wurde aber weniger Kohle verbrannt. Das ist ein Szenario, das dargestellt wurde. Es geht um die NOx- und die SO2-Werte. Bei NOx sind wir so weit, dass wir den Wert von 1990 halbiert haben. Bei SO2 beträgt der Wert, von der Basis 1990 ausgehend, 7 Prozent. Lediglich 6 Prozent aller Feinstaubemissionen kommen von Kraftwerken; alles andere ist auf den Straßenverkehr und auf andere Bereiche zurückzuführen. Zum Quecksilber – Sie haben es angesprochen – kann man sagen: Beim Quecksilber ist die Situation kritisch; gar keine Frage. Aber europäische Kraftwerke machen weniger als 2 Prozent der weltweiten Quecksilberemis-sionen aus. Auch das kann uns nicht zufriedenstellen, aber das sind erst einmal die Fakten. Die Produktion einer Leuchtstofflampe oder einer Energiesparlampe irgendwo auf der Welt trägt jedoch mehr zum Quecksilber-ausstoß bei als die Kraftwerke. Zu Ihren Forderungen zum Emissionshandel sei gesagt: ETS ist ein marktwirtschaftliches Instrument. Es ist kein Instrument, um den Energiemix staatlich festzulegen. Es ist auch kein Instrument, um die Staatskasse zu füllen; das sage ich, weil Sie immer wieder den Klimafonds ansprechen. Ein Mindestpreis führt dazu, dass das ganze System ad absurdum geführt wird. Ein Eingriff der EU-Ebene wäre ein Eingriff in den Energiemix der Nationalstaaten. Meine Damen und Herren, die Energiewende ist auf einem guten Weg. Im ersten Halbjahr 2014 waren die erneuerbaren Energien die wichtigste Stromquelle in Deutschland. Sie haben die Braunkohle abgelöst; das wurde heute schon gesagt. Das ist der richtige Weg, und da müssen wir hin. Die Braunkohle durch eine andere fossile Energiequelle zu ersetzen, ist aus meiner Sicht energiepolitischer Unfug. Ich widme die letzten drei Minuten meiner Redezeit, die ich noch habe, dem heutigen Fußballspiel und höre ein bisschen früher auf. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ein nicht völlig unbedeutender Hinweis. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/1962 und 18/1673 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr Drucksachen 18/1309, 18/1576 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/2037 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Weil ich keinen Widerspruch sehe, gehe ich davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesregierung, Herrn Staatssekretär Christian Lange. Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr die im Jahr 2011 überarbeitete Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr umsetzen. Dabei bestand durchaus Zeitdruck; denn die Umsetzungsfrist ist, wie Sie wissen, seit über einem Jahr abgelaufen, und die EU-Kommission hat bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Der Entwurf hat das Ziel, eine bessere Zahlungsdisziplin im Geschäftsverkehr zu fördern. Wir wollen vor allen Dingen Handwerk und Mittelstand davor schützen, dass sie ihren verhandlungsstärkeren Auftraggebern zur Begleichung des Entgelts oder zur Überprüfung der Ware lange Fristen einräumen und damit praktisch kostenlosen Kredit gewähren müssen. Vor allem diese Unternehmen können sehr schnell in eine finanzielle Schief- oder gar Notlage geraten, wenn sie gegenüber ihrem Geschäftspartner in Vorleistung gehen und zu lange auf ihr Geld warten müssen, während sie ihre eigenen Zahlungsverpflichtungen sofort erfüllen müssen. Der Entwurf beschränkt deshalb das Recht, vertraglich Zahlungs-, Abnahme- und Überprüfungsfristen zu vereinbaren. Dies gilt vor allem für Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Nach den intensiven Diskussionen, die schon in der letzten Wahlperiode geführt worden sind, sind wir der Überzeugung, dass es sachgerecht ist, Klauseln im Zweifel als unwirksam anzusehen, in denen sich ein Schuldner vorbehält, erst nach mehr als 30 Tagen zu zahlen. Der Entwurf weicht damit geringfügig von den Vorgaben der Richtlinie ab, die eine solche 30-Tage-Frist nur für öffentliche Auftraggeber als Zahlungsschuldner vorsieht. Eine dramatische Verschärfung der geltenden Rechtslage ist dabei freilich nicht zu befürchten; denn schon heute orientiert sich die Rechtsprechung bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer solchen Klausel an besagter 30-Tage-Frist. Der Entwurf bleibt vielmehr dem schon geltenden hohen Schutzniveau des deutschen Rechts treu und vermeidet es, den geltenden Kontrollmaßstab aufzuweichen. Zugleich lässt er genügend Spielraum, um auch künftig die Besonderheiten einer Vertragsbeziehung zu berücksichtigen, die im Einzelfall die Vereinbarung längerer Fristen rechtfertigen. Dementsprechend wird auch das Recht, Klauseln mit Überprüfungs- und Abnahmefristen zu verwenden, stärker beschränkt. Hier sind Fristen im Zweifel unangemessen, wenn sie mehr als 15 Tage betragen. Vereinbaren die Vertragsparteien individualvertragliche Zahlungs-, Überprüfungs- oder Abnahmefristen, müssen dabei künftig in Übereinstimmung mit der Richtlinie folgende Maßstäbe eingehalten werden: Erstens. Lässt sich ein Unternehmer eine Zahlungsfrist von mehr als 60 Tagen einräumen, so ist diese Vereinbarung nur wirksam, wenn sie „ausdrücklich getroffen“ und „nicht grob unbillig“ ist. Zweitens. Dieselben Wirksamkeitsanforderungen gelten, wenn sich Unternehmer oder öffentliche Auftraggeber Überprüfungs- und Abnahmefristen von mehr als 30 Tagen einräumen lassen. Drittens. Im Hinblick auf vereinbarte Zahlungsfristen gelten, wenn der Zahlungsschuldner ein öffentlicher Auftraggeber ist, wie bereits erwähnt, strengere Anforderungen; Stichwort: Vorbildfunktion der öffentlichen Hand. Eine Frist von mehr als 30 Tagen ist nur dann wirksam, wenn sie „ausdrücklich getroffen“ und „sachlich gerechtfertigt“ ist. Eine Zahlungsfrist von mehr als 60 Tagen ist hingegen in jedem Fall unwirksam. Diese Regeln sollen nun also in der Praxis umgesetzt werden. Hierzu wird beitragen, dass Unternehmensverbände das Recht haben werden, Ansprüche auf Unterlassung von gesetzeswidrigen AGB oder entsprechende Geschäftspraktiken gerichtlich geltend zu machen. Kleine und mittlere Unternehmen erhalten damit Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche. Genau das wollen wir, meine Damen und Herren. Die neuen Regelungen sollen nun möglichst schnell in Kraft treten. Sie sollen auch für bereits bestehende Dauerschuldverhältnisse gelten. Es wäre nicht mit dem Ziel des Schutzes der Gläubiger vereinbar, weit in die Zukunft hinein an vereinbarten Zahlungs-, Überprüfungs- oder Abnahmefristen festzuhalten, die nach neuem Recht nicht mehr möglich wären. In diesen Fällen soll das neue Recht gelten, sofern die Leistung, für die ein Zahlungsziel vereinbart wurde, nach dem 30. Juni 2016 erbracht wurde. Diese lange Übergangsfrist lässt hinreichend Zeit, um bestehende Rahmenverträge anzupassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zahlungsmoral zu verbessern, ist das Ziel. Ich glaube, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung dafür sorgen wird, dass Deutschland auch zukünftig ein verlässlicher Rechtsstandort für Schuldner und Gläubiger sein wird, und bitte Sie um Ihre Unterstützung und Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Richard Pitterle. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll der Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr bekämpft werden. Im Klartext: Es soll dafür gesorgt werden, dass die Rechnungen bei Geschäften zwischen Unternehmen zügig beglichen werden. – So weit das erklärte Ziel. Ich kann Ihnen aber gleich vorwegsagen: Die Fraktion Die Linke wird sich bei der Abstimmung über Ihren Gesetzentwurf enthalten; denn es gibt zwar Positives an Ihrem Gesetzentwurf, aber auch Negatives bzw. Schwächen; dazu werde ich noch Stellung nehmen. (Beifall bei der LINKEN) Ich bin seit 1990 als Rechtsanwalt im Bereich des nationalen und internationalen Wirtschaftsverkehrs tätig. Glauben Sie mir: Ich weiß, dass an der zeitigen Zahlung von Rechnungen – gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen – allzu oft Existenzen hängen. Nehmen Sie als Beispiel die Handwerkerin oder den Handwerker von nebenan: Wenn einmal ein größerer Auftraggeber längere Zeit nicht zahlt, dann kann das für das kleine Unternehmen aufgrund mangelnder Möglichkeiten zur Zwischenfinanzierung existenzbedrohend sein. Zurück zu Ihrem Gesetzentwurf. Ich will mich dabei auf drei Punkte beschränken: Zum Ersten. Das hier verfolgte Ziel, durch gesetzliche Höchstfristen zeitige Rechnungszahlungen zu garantieren, begrüßen wir. Im Gesetzentwurf ist das für den Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch gut gelungen. Hier können sich Unternehmen nicht mehr von vornherein 90 Tage als Zahlungsfrist ausbedingen. Grundsätzlich dürfen es jetzt nur noch 30 Tage sein. (Beifall bei der LINKEN) Viele große Unternehmen verschafften sich bisher zulasten des Handwerks einen zinslosen Kredit. Das ist ein Skandal, der auch beendet gehört. (Beifall bei der LINKEN) So weit, so gut. Im Bereich der individuellen Verträge ohne Allgemeine Geschäftsbedingungen lassen Sie jedoch noch eine Frist von 60 Tagen zu – in Ausnahmefällen sogar von mehr als 60 Tagen. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Es gibt keine Begründung dafür!) In Teilen der mittelständischen Wirtschaft besteht hier die Befürchtung, wie wir aus der Anhörung wissen, dass dieses Schlupfloch künftig vermehrt ausgenutzt werden könnte. Hier müssen Sie nachbessern. (Beifall bei der LINKEN) Zweiter Punkt. Ihr Gesetzentwurf ist nach wie vor zu kompliziert gestaltet. Bereits in der öffentlichen Anhörung waren sich die geladenen Sachverständigen uneinig, wie einzelne Regelungen Ihres Gesetzentwurfs auszulegen sind. Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren der Regierungskoalition: Wie soll es für kleine und mittelständische Unternehmen möglich sein, dieses Gesetz richtig auszulegen, wenn sich bereits die Sachverständigen in der Anhörung, die ausgewiesenermaßen Experten auf diesem Gebiet sind, nicht auf eine Auslegung einigen konnten? Ihnen dürfte ja wohl bewusst sein, dass der Bäcker oder der Elektroinstallateur in der Regel keine tiefer gehenden Kenntnisse über die Niederungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat – geschweige denn eine eigene Rechtsabteilung, die hier weiterhelfen könnte. (Beifall bei der LINKEN) Dritter und letzter Punkt. Sie hätten die Arbeit im Ausschuss nutzen sollen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, um hier noch einmal nachzubessern und entsprechende Änderungen vorzunehmen. Doch was machen Sie stattdessen? Sie bringen zwar einen Änderungsantrag ein, doch der beinhaltet fast nur Änderungen zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, die mit der vorliegenden Materie null zu tun haben. Meine Damen und Herren, das muss ich Ihnen leider ganz grundsätzlich sagen: Zwar drängt die Zeit manchmal, aber der Mischmasch, den Sie hier zusammenrühren, hat mit seriöser parlamentarischer Arbeit kaum etwas zu tun. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Gegenteil: Mit den Änderungen zum EEG bringen Sie hier eine Materie ein, die überhaupt nicht im Sachzusammenhang zu diesem Gesetzentwurf steht. Vielleicht wissen Sie es nicht, was, nebenbei bemerkt, recht bedenklich wäre, aber ein solches Vorgehen entspricht weder der Geschäftsordnung dieses Hauses noch der Verfassung unseres Landes. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege Dr. Stephan Harbarth. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für den Mittelstand in Deutschland. Wir bringen ein wichtiges Projekt auf den Weg, das den Mittelstand in seiner tagtäglichen Arbeit unterstützt. Es ist unserer Fraktion seit jeher ein großes Anliegen gewesen, Mittelstandspolitik nicht in Sonntagsreden zu betreiben, sondern in praktische Politik umzusetzen. So handhaben wir das, seit wir ab dem Jahr 2005 wieder mitregieren dürfen. Deshalb freuen wir uns, dass wir mit dem heutigen Tag wichtige Akzente für den Mittelstand in Deutschland setzen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir erreichen heute gewissermaßen das Ende einer mehrjährigen Wanderung. Diese Wanderung begann zu Beginn der letzten Legislaturperiode, als der Entwurf einer Richtlinie der EU über die Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr auf dem Tisch lag. Wir als Deutscher Bundestag haben damals – ich empfand das als sehr starkes und sehr gutes Signal nach Brüssel – eine in diesem Hause einstimmig verabschiedete Stellungnahme nach Artikel 23 Grundgesetz abgegeben. Wir haben darin festgestellt, dass der Entwurf der Kommission an einer Vielzahl von Punkten aus Sicht der deutschen Rechtskultur unvertretbar und inakzeptabel war. Wir haben damals sehr klare Kritik formuliert. Das war ein deutliches Signal nach Brüssel, und wir haben uns sehr gefreut, dass dieses Signal in Brüssel gehört wurde. Der Deutsche Bundestag war mit seiner Stellungnahme erfolgreich: Die Richtlinie wurde an vielen Stellen positiv verändert. Wie ist die Ausgangslage? Die Ausgangslage ist so, dass in Europa in vielen Fällen Rechnungen nicht zeitnah beglichen werden. Wir in Deutschland sind in einer noch vergleichsweise guten Situation. Aber auch bei uns werden Rechnungen in manchen Fällen nicht so schnell beglichen, wie man sich das wünscht. Man sieht, dass in vielen anderen europäischen Ländern die Zahlungskultur geradezu dramatisch ist. Man sieht auch, dass in vielen Ländern innerhalb Europas gerade die Zahlungskultur der öffentlichen Hand schlecht ist, dass in manchen Ländern die öffentliche Hand Rechnungen viel schleppender bezahlt, als dies private Einheiten tun. Deshalb ist es richtig, dass die Kommission hier tätig geworden ist. Es reicht nicht aus, den Zahlungsverkehr in einem Binnenmarkt in einzelnen Ländern zu bekämpfen, sondern das muss grenzüberschreitend geschehen, weil auch der Geschäftsverkehr grenzüberschreitend ist. Wir halten auch den Ausgangspunkt der Kommission für richtig, an die öffentliche Hand, bei der die Missstände im Augenblick am größten sind, besonders strenge Maßstäbe anzulegen. Wir wollen heute den vorliegenden Gesetzentwurf verabschieden. In diesem Gesetzentwurf sind strikte Regeln für den Versuch vorgesehen, Zahlungsfristen in die Zukunft zu verlagern. Wir sind der Auffassung: Wer eine Leistung erbringt, hat das Recht, dass er dafür zeitnah Geld sieht. Deshalb gehen wir an vielen Stellen weit über die Richtlinie hinaus. Wir machen keine Eins-zu-eins-Umsetzung, sondern im Sinne der Interessen der Gläubiger, gerade auch im Sinne des Mittelstands, der auf Liquidität in besonderer Weise angewiesen ist, gehen wir über die Richtlinie hinaus. Das ist ein gutes Signal für den Mittelstand. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Strikte Regelungen gibt es insbesondere im Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wo eigentlich die Musik spielt. Es ist vorgesehen, dass alle Zahlungsfristen, die über 30 Tage hinausgehen, im Zweifel unwirksam sind. Damit soll erreicht werden, dass gerade Handwerksbetriebe, mittelständische Betriebe, Bauunternehmen und andere nicht mehr in gleicher Weise wie in der Vergangenheit Gefahr laufen, eine Zeitlang auf Fehlbeträgen sitzen zu bleiben; denn sie müssen mit diesem Geld arbeiten. Bei einem Handwerksbetrieb, der ein oder zwei große Rechnungen verschickt und dann monatelang auf das Geld wartet, kann man sich die Konsequenzen lebhaft vorstellen: Arbeitsplatzverlust oder sogar Insolvenz. Deshalb ist es sehr gut, dass wir hier tätig werden. Herr Kollege Pitterle, dass verschiedene Sachverständige zu Bestimmungen in Gesetzen immer wieder unterschiedlicher Meinung sind, ist ein relativ normaler Vorgang. Dazu fällt mir auch im Bürgerlichen Gesetzbuch eine Reihe von Bestimmungen ein. Ich erinnere zum Beispiel daran, dass dort auf die Begrifflichkeit „Treu und Glauben“ rekurriert wird. Da gilt der alte Grundsatz: drei Juristen, drei Meinungen. (Marcus Held [SPD]: Vier Meinungen!) Deshalb kann der Umstand, dass zu einzelnen Passagen verschiedene Rechtsauffassungen bestehen, nicht dazu führen, dass wir sagen: Das ist kein guter und zustimmungsfähiger Entwurf. Das gilt umso mehr, als gerade bei Fragen des Zahlungsverkehrs, die sich jeden Tag stellen, die Gerichte mit Sicherheit sehr schnell Rechtssicherheit schaffen werden. Das ist komplett anders als an vielen anderen eher entlegenen Stellen der Materie. Der Gesetzentwurf ist durch die Sachverständigenanhörung noch einmal bestätigt worden. Deshalb würde ich Sie auch bitten – Sie haben ja noch ein paar Minuten Zeit –, dass Sie sich vielleicht noch einmal in Ruhe überlegen, ob Sie einem derart guten Entwurf nicht doch zustimmen möchten. Sie haben das ja damals bei der Stellungnahme getan. Wir würden es begrüßen, wenn wir auch hier wieder ein einstimmiges Signal im Sinne des Mittelstandes hinbekämen. Lassen Sie mich noch eine Bemerkung als Parlamentarier machen. Ich glaube, dass es ein Zeichen des Mutes und ein Zeichen aufrechten Ganges ist, dass die handwerklichen Fehler, die in der vergangenen Woche offenkundig im Rahmen der EEG-Reform begangen wurden, nun rasch korrigiert werden. Das haben die Menschen so verdient. Ich sage als Parlamentarier aber auch, dass ich es mir sehr wünschen würde – so herausfordernd und so komplex die Materien für die Ministerien auch sein mögen –, dass derartige Dinge, dass man bereits wenige Tage nach Verabschiedung einer Reform eine Reparatur vornehmen muss, in Zukunft unterbleiben. Wir werden diesem Gesetz heute zustimmen, weil es, wie bereits gesagt, ein gutes Signal für den Mittelstand ist. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Katja Keul. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf zur Beschleunigung des Zahlungsverkehrs verdient es eigentlich, aufmerksam diskutiert zu werden. Es geht dabei um die Umsetzung einer EU-Richtlinie, nach der große und starke Auftraggeber gegenüber kleineren Auftragnehmern mit einer schwächeren Verhandlungsposition nicht unendlich lange Zahlungsfristen aushandeln können sollen. Leider wird dieses Gesetzvorhaben jetzt dazu missbraucht, hierin Reparaturen für das völlig chaotisch zustandegekommene EEG unterzubringen. Inhaltlich wird gleich mein Kollege dazu noch einiges sagen, von mir nur zum Verfahren noch eine rechtspolitische Anmerkung. Man kann daran sehen, dass es eben doch Sinn macht, dem Parlament die Gesetzgebung zu überlassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Überlassen wir dies der Exekutive, indem wir deren Vorlagen nicht einmal mehr lesen, bevor wir sie verabschieden, geht es eben schief. Gewaltenteilung hat ihren Sinn. An diese alte Weisheit sollte sich auch eine Große Koalition erinnern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf. Als Erstes stellen wir fest, dass auch ein geordnetes Verfahren inklusive Sachverständigenanhörung nicht immer eine Garantie für eine gelungene Gesetzgebung ist. Die europäische Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr zielt darauf ab, die Zahlungsdisziplin zu verbessern. – So weit, so gut. Es soll in Europa eine „Kultur der unverzüglichen Zahlung“ entstehen. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sollen von der Last des Gläubigerkredits befreit werden. Das Ziel ist gut, und in Deutschland war die Gesetzeslage auch bisher schon eindeutig. Der bisherige § 271 BGB schreibt sinngemäß vor, dass die Zahlung nach erfolgter Leistung vom Gläubiger sofort verlangt werden kann, wenn nichts anderes vereinbart worden ist. In der Praxis wurden 2012 in Deutschland Zahlungsziele von durchschnittlich 24 Tagen vereinbart. Weil das in anderen EU-Ländern teilweise schlechter läuft, schreibt die Richtlinie als Obergrenze für vereinbarte Zahlungsfristen bis zu 60 Tage vor. Man kann aber eine EU-Richtlinie auch umsetzen, indem man über sie hinausgeht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Wenn man sich die Werte aus Deutschland ansieht und das Ziel einer Beschleunigung ernst nimmt, sollte man daher für den neuen § 271 a BGB einen Wert von maximal 30 Tagen erwarten. Das würde der Richtlinie ebenfalls entsprechen und wäre der Praxis angemessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Anderenfalls ist zu befürchten, dass sich der neue § 271 a BGB mit seinen 60 Tagen künftig als gesetzliches Leitbild etabliert und sich die Praxis sogar noch verschlechtert. Alle Sachverständigen haben in der Anhörung betont, wie wichtig es ihnen sei, dass im Rahmen Allgemeiner Geschäftsbedingungen maximal 30 Tage vereinbart werden dürfen, und gaben sich damit zufrieden. Das ist auch nachvollziehbar, da diese Experten überwiegend Verbände vertraten, die ohnehin fast ausschließlich mit AGB, also mit vorformulierten Geschäftsbedingungen, arbeiten. Für die allgemeinere Vorschrift des § 271 a BGB interessieren die sich naturgemäß weniger. Danach dürfen es auch 60 Tage sein. Ich sehe jedoch nicht, warum nicht auch an dieser Stelle Rücksicht auf die Gepflogenheiten in Deutschland genommen wird. 30 Tage wären für alle angemessen und ausreichend – egal ob AGB oder individuelle Verträge. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Außerdem unterscheiden Sie dann noch zwischen privaten und öffentlichen Auftraggebern. Bei den Kommunen wollen Sie ebenfalls nur 30 Tage zulassen. Die Begründung dafür ist überhaupt nicht plausibel. Einmal heißt es, die Öffentlichen seien besonders langsam – das haben wir gerade gehört –, und dann wieder, die Öffentlichen sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Beides mag ja stimmen. Das begründet aber nicht, warum man den privaten Auftraggebern mehr Spielraum lassen will. Was für die einen recht ist, sollte für die anderen billig sein. Letztlich interessiert den Handwerker nicht, ob er wegen ausstehender Zahlungen von Kommunen oder von Privatunternehmen in Not kommt. Hauptsache, das Geld kommt. Meine Fraktion wird den Gesetzentwurf ablehnen, weil wir eine einheitliche Obergrenze von 30 Tagen für nötig halten, wenn man den Zahlungsverkehr in Deutschland tatsächlich beschleunigen will. Ein Beschleunigungsgesetz, das nichts beschleunigt, sollte man lieber ganz lassen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege Dirk Wiese. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs setzen wir einen wichtigen Punkt bei der Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr; denn bisher mussten gerade mittelständische Betriebe und das Handwerk viel zu oft finanziell in Vorleistung treten. Rechnungen durch die Auftraggeber wurden zumeist erst verspätet gezahlt. Lange Zahlungsfristen von teilweise über drei Monaten waren nicht selten an der Tagesordnung. Für die kleineren und mittleren Unternehmen barg dieser Zeitrahmen ein großes finanzielles Risiko; denn sie liefen in dieser Zeit Gefahr, eigene Rechnungen und Angestellte nicht mehr bezahlen zu können. Das war und ist eine soziale Ungerechtigkeit. Dem setzen wir mit dem heutigen Gesetzentwurf ein Ende. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Frau Winkelmeier-Becker, ich habe heute Morgen aufmerksam im Handelsblatt gelesen, dass Sie im Namen von Mittelstand und Handwerk diesen Gesetzentwurf sehr begrüßen. Ich erinnere mich noch an die Stellungnahmen aus der letzten Legislaturperiode, in der Sie einen anderen Koalitionspartner hatten und ein diametral entgegengesetztes Ziel verfolgten, nämlich mehr in Richtung Industrie. Deshalb freuen wir uns als Sozialdemokraten heute ganz besonders, dass wir Sie wieder auf den Pfad der Tugend bringen konnten und Sie wieder Politik für Mittelstand und Handwerk machen. Schön, dass Sie uns da gefolgt sind! (Beifall bei der SPD – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Wir brauchen in Sachen Mittelstand keine Belehrung! – Gegenruf des Abg. Marcus Held [SPD]: Jeder kann sich entwickeln!) – Ich sehe, dass Sie im Vergleich zur letzten Legislaturperiode dazugelernt haben. Fair Play unter Geschäftspartnern muss wieder unser Ziel sein. Dazu trägt auch der vorliegende Gesetzentwurf bei. Im Handel wird zeitweise erst 90 Tage nach Erhalt der Ware gezahlt. Das kann nicht sein. Ich habe schon in der ersten Lesung gesagt: Wir alle müssen an der Kasse im Supermarkt direkt bezahlen. Deshalb können nicht so lange Zahlungsfristen gelten. Es muss wieder eine Selbstverständlichkeit sein, dass schnell gezahlt wird und kleine Unternehmen ihr Geld bekommen. Staatssekretär Lange hat darauf verwiesen, dass gerade Großkonzerne, die mit enormen Summen operieren, durch die Streckung der Zahlungsfristen einen Zinsgewinn in ihren operativen Gewinn einplanen, und das auf dem Rücken von kleinen und mittleren Unternehmen, die dadurch um ihre Existenz bangen. Das geht nicht. Dem schieben wir mit diesem Gesetzentwurf einen Riegel vor, und das ist gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Besonders ist an dieser Stelle die Neuregelung des § 308 bei den Allgemeinen Geschäftsbedingungen – das ist der wichtigste Punkt im Gesetzentwurf – hervorzuheben. Ich glaube, hier haben wir eine sehr gute Regelung gefunden, insbesondere bei den Übergangsfristen. Ich danke dem Kollegen Dr. Harbarth, dass wir uns in den Verhandlungen verständigt haben. Das ist ein guter Weg, den wir hier gefunden haben. Ich kann nur sagen: Die rot-schwarze Bundesregierung legt mit dem Gesetzentwurf ein wirksames Instrument vor, um die Zahlungsmoral im Geschäftsverkehr zu verbessern. Wir sorgen mit diesem Gesetzentwurf dafür, dass ein Plus in den Geschäftsbüchern auch ein tatsächliches Plus auf dem Konto ist. Entsprechend positiv sind auch die Reaktionen, die uns in den vergangenen Tagen erreicht haben. Einige Verbände haben geschrieben: Die Bundesregierung setzt ein deutliches Zeichen zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Schlechter Zahlungsmoral und unverhältnismäßig langen Zahlungsfristen wird so künftig ein wirksamer Riegel vorgeschoben. – In einer anderen Stellungnahme heißt es: Die Bundesregierung hat die Lage der Branche verstanden, und der Gesetzentwurf gibt die richtige Antwort auf die Probleme. Kurzum: Sozialdemokraten und Wirtschaft, das passt. Davon verstehen wir etwas. Wir waren gerne behilflich, sozusagen die Fehler der letzten Legislaturperiode zu korrigieren. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das müsst ihr jetzt noch der Wirtschaft erklären! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist eine Zwischenfrage!) – Ja. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Da muss ich jetzt doch einmal nachhaken, lieber Herr Kollege. Sind Sie bereit, den Werdegang dieses Gesetzesvorhabens zur Kenntnis zu nehmen? Damals hatte unser Koalitionspartner, das FDP-Ministerium, einen anderen Entwurf – die Eins-zu-eins-Umsetzung – eingebracht. Es war die Union, die sich damit eben nicht abgefunden hat, sondern sich dafür starkgemacht hat, dass wir eine mittelstandsfreundliche Lösung bekommen. Der Entwurf ist dann der Diskontinuität anheimgefallen. Aber es war gerade unser Ansatz, diese Differenzierung hinzubekommen und dem Mittelstand den Weg zu ebnen. Genauso ist es jetzt umgesetzt worden. Das Ministerium hat einen Lernprozess durchgemacht und uns einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn Sie damals noch nicht Mitglied des Hohen Hauses waren? (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wie in einer Ehe!) Mich würde Ihre Stellungnahme dazu interessieren. Dirk Wiese (SPD): Geschätzte Frau Kollegin, ich stimme Ihnen an der Stelle vollkommen zu. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, wir haben hier gemeinsam einen guten Entwurf vorgelegt, und wir beide stimmen der Feststellung zu, dass es gut ist, dass der Entwurf, der in der letzten Legislaturperiode vorgelegt worden ist, genauso wenig die parlamentarischen Hürden überwunden hat wie die FDP die 5-Prozent-Hürde. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich zum Abschluss kommen. Ich glaube, wir stärken das Handwerk und den Mittelstand mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Das freut mich als Sauerländer – das muss ich an dieser Stelle sagen – ganz besonders; denn im Sauerland haben Handwerksberufe und mittelständische Familienunternehmen nicht nur eine lange Tradition, sondern sie sind eben auch eine kulturelle und gesellschaftliche Bereicherung für das Leben vor Ort. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Silke Launert das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen hört man in den Medien und in der politischen Diskussion oft, wie wichtig es ist, die deutsche Wirtschaft zu schützen, und dass wir sie doch nicht über die Maßen belasten dürfen. Was aber oft übersehen wird, ist: Was ist die deutsche Wirtschaft? Was macht das Gros der deutschen Wirtschaft aus? Genau das sind nämlich die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Zwei Drittel aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze werden von diesen gestellt. Sie sind oft noch familiengeführt, identifizieren sich oft in besonderer Weise mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und der Region, in der sie ansässig sind, und unterstützen vor Ort kulturelle Einrichtungen und Sportvereine. Deshalb ist es so wichtig, dass man diese kleinen und mittelständischen Unternehmen im Blick hat; denn, wie schon angesprochen, sie sind nicht nur das Fundament der Wirtschaft, sondern eine tragende Säule unserer Gesellschaft. Deshalb müssen wir bei allen Entscheidungen, die wir in diesem Parlament treffen, besonders auf die Interessen dieser kleinen und mittelständischen Unternehmen Rücksicht nehmen. Ich freue mich daher, dass das mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr gelungen ist, weil wir genau auf die Interessen dieser Gruppe achten. Wir setzen eine EU-Richtlinie um, die das Ziel hat, die Zahlungsmoral zu verbessern. Das ist gut, wir haben es schon mehrfach gehört. Wenn jemand ewig nicht zahlt, ist die Gefahr für den, der geliefert hat, groß, in Insolvenz zu kommen. Oft stehen kleine Unternehmen der Marktmacht des größeren Unternehmens gegenüber und lassen sich deshalb auf Zahlungsfristen ein, die sie eigentlich gar nicht tragen können. Aber man will halt den Auftrag nicht verlieren. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben. Wir wollen grundsätzlich die Zahlungsfristen begrenzen, bei Individualverträgen auf 60 Tage, bei den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf 30 Tage. Das heißt, bei diesen vorformulierten Bedingungen, bei denen das Risiko, dass man etwas unterschreibt, was man nicht so genau gelesen hat, größer ist, will man strengere Anforderungen stellen. Das finde ich auch gut so. Natürlich ist es trotzdem möglich, im Einzelfall Verträge über einen längeren Zeitraum individuell auszuhandeln. Aber – und genau da schafft der Entwurf Klarheit – das muss ausdrücklich geregelt sein, und es darf im Hinblick auf die Belange des Gläubigers nicht grob unbillig sein. Hier haben wir für Rechtssicherheit und Schutz gesorgt. Wir haben bewusst auf Branchenausnahmen verzichtet, was natürlich nicht heißt, dass es sich aus der Natur des Geschäfts nicht auch einmal ergeben kann, dass man längere Fristen hat; das kann ja auch im Interesse des Gläubigers sein. Aber wir setzen da ein Stoppschild, wo die Regelung zum Nachteil des Gläubigers ist und letztlich der Vertragspartner seine Marktmacht ausnutzt. Ein Stoppschild setzen wir auch bei den Abnahme- oder Überprüfungsfristen. Grundsätzlich wollen wir diese in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf maximal 15 Tage nach Leistungserhalt begrenzen. Gleichzeitig läuft ab Leistungserhalt auch die Zahlungsfrist. Wir wollen verhindern, dass man durch das Aneinanderreihen dieser Fristen die Zahlungsfrist insgesamt verlängert. Davon profitieren das Baugewerbe und das Handwerk, diejenigen, die in der Praxis in besonderer Weise von Insolvenzen betroffen sind, wenn nicht gezahlt wird. Das sind auch diejenigen, die sehr häufig wochen-, manchmal monatelang mit Materialien und Lohnkosten in Vorleistung gehen. Ein weiterer Aspekt ist die Entschädigung für die Beitreibungskosten. Immer wenn jemand nicht zahlt, muss der andere seinem Geld hinterherrennen. Das ist aufwendig und kostet Geld, nämlich Anwalts- und Inkassogebühren. Die in der Richtlinie angemahnten Maßnahmen haben wir in Deutschland zum Teil schon umgesetzt. Wenn jemand in Zahlungsverzug ist und einen Schaden verursacht, hat der andere einen Schadensersatzanspruch. Nur, wie sieht die Praxis aus? Ich muss den Schaden beweisen. Ich muss vor Gericht und ihn einklagen. Oft ist es in der Praxis aber so, dass der Schaden sich nur auf einen kleineren Betrag beläuft. Ein kleines oder mittelständisches Unternehmen, das keine Rechtsabteilung hat, scheut oft vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung; es scheut die Beweissituation. Oder es kommt zu Gerichtsverfahren mit kleinen Beträgen. Für diese Fälle haben wir jetzt eine Neuregelung: Wir sehen einen pauschalen Schadensersatzanspruch in Höhe von 40 Euro vor. Das ist praktikabel. Ich hoffe, dass dadurch einige Verfahren vermieden und die Gerichte entlastet werden. Ein weiterer Aspekt, der heute, glaube ich, noch nicht angesprochen wurde, ist die Anhebung des Verzugszinses auf 9 Prozent. Bei der derzeitigen Zinssituation ist jedem klar: Das könnte durchaus die Zahlungsmoral stärken. Ich gehe davon aus, dass dieses Gesetz insgesamt die Zahlungsmoral stärken wird. Deshalb bitte ich Sie alle, zuzustimmen. Alle reden vom Mittelstand. Ich bitte Sie: Lassen Sie uns hier und heute ganz konkret etwas für den Mittelstand tun. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke freut sich natürlich, noch einmal etwas zum großen EEG sagen zu dürfen, wenn auch im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr; das ist etwas verwirrend, wie ich finde. Um es gleich zu sagen: Wir enthalten uns. (Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Überlegen Sie sich das noch einmal gut!) Kollege Pitterle hat sich dazu schon geäußert. Ich möchte aber sagen, dass wir den Verbesserungen im EEG sehr wohlwollend gegenüberstehen. (Beifall des Abg. Marcus Held [SPD]) Denn die Linke ist eine Partei der Energiewende. Bestandsschutz und Fristverlängerungen für Biogasanlagen sind natürlich im Sinne der Energiewende. (Beifall bei der LINKEN) Wie Sie wissen, haben wir der Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes nicht zugestimmt, weil wir es dabei mit einem Ende der Ökostromförderung auf Raten zu tun haben. Der heutige Antrag mildert Einschnitte bei der Biomasseförderung immerhin etwas ab. Biogas ist ein wichtiger Bestandteil einer sauberen Energieversorgung und auch die einzige erneuerbare Regelenergie, wenn die Sonne einmal nicht scheint und der Wind einmal nicht weht. Diesem Umstand trägt allerdings das gesamte EEG, das wir letzte Woche beschlossen haben, nicht Rechnung. Der Ausbau von Biomasse wird abgewürgt, und Fachleute sagen uns immer wieder, dass nicht einmal der angestrebte Ausbau auf 100 Megawatt erreicht werden wird, weil die Vergütung drastisch abgesenkt wird. Warum beschäftigen wir uns heute eigentlich noch einmal mit Ihrem sogenannten Neustart der Energiewende, und das nach Wochen des Tauziehens zwischen Brüssel, Berlin und den Ländern? Weil Sie die Rechte des Parlaments mit Füßen treten, weil Ihr „großer Wurf“ ein mit heißer Nadel gestricktes Provisorium ist. Die Medien haben ja auch von einem „unsauberen Herumdoktern“ geschrieben. Das ist also der Grund, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte vor allem daran erinnern, wie unwürdig sich Regierung und Koalition gegenüber der Minderheit verhalten, wie schlampig die Koalition einfach arbeitet und wie sie Fehlerhaftes übernommen hat, was ihr die Regierung diktiert hat. Es heißt, wir hätten es hier mit einem Parlamentsgesetz zu tun. Es sind ja alle Gesetze Parlamentsgesetze. Die Koalition übernimmt die Formulierungshilfen aus dem Ministerium und winkt sie eins zu eins quasi im Guttenberg-Verfahren, nämlich per Copy-and-paste, durch das Parlament. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen verändert worden ist das Ganze ja!) Was das mit Parlamentsdemokratie zu tun hat, das müssen Sie uns hier noch einmal erklären. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen wir!) Gestern hat sich auf Nachfrage herausgestellt, dass vonseiten der Regierung noch weitere Dinge geändert wurden. Nicht einmal der Kollege Dr. Pfeiffer, der ja Mitglied des Wirtschaftsausschusses ist, wusste Bescheid, worüber da genau abgestimmt wurde. Das finde ich schon ein bisschen scharf, muss ich sagen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht scharf, das ist typisch!) Ich halte das auch für einen dicken Hund. Dann ist uns unterstellt worden: Sie sind ja nicht fähig, diese fünf Seiten zu lesen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) – Man sollte nicht immer von sich auf andere schließen, Kollege. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, Sie haben sich wirklich blamiert. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir können überhaupt nicht lesen! Deswegen sind wir für Hörbücher, weil wir nicht lesen können!) Wir haben in den Sommerferien hoffentlich die Zeit, das EEG wirklich durchzulesen. Ich bin gespannt, wie viele unbeabsichtigte Fehler sich durch dieses Eilverfahren noch eingeschlichen haben. Ich sage Ihnen: Machen Sie in Zukunft Ihre Hausaufgaben als Abgeordnete und Regierung wirklich besser. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Hausaufgaben sind was für die Schule! Gehen Sie mal dorthin!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Marcus Held das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marcus Held (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung setzt mit ihrem Gesetzentwurf ein deutliches Zeichen zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Schlechter Zahlungsmoral und unverhältnismäßig langen Zahlungsfristen wird so künftig ein wirksamer Riegel vorgeschoben. Dies ist nicht nur meine Meinung, dies ist nicht nur Meinung der SPD-Fraktion; dieses Zitat stammt von Holger Schwannecke, dem Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Aber nicht nur das Handwerk in Deutschland bewertet den heutigen Gesetzentwurf positiv. Die heutige Entscheidung ist ein wichtiges Signal für den Mittelstand, mit dem wir grundsätzlich vor unverhältnismäßig langen Zahlungsfristen schützen, dafür sorgen, dass mittelständische Betriebe nicht zu lange auf ihr Geld warten müssen – sowohl von öffentlichen wie auch von privaten Vertragspartnern –, und sicherstellen, dass allgemeine Geschäftsbedingungen nicht mehr einfach von einem großen Auftraggeber vorgegeben werden können. (Beifall bei der SPD) Warum ist es so wichtig, dass sich die Zahlungsdauer verkürzt? Weil Unternehmen des Handwerks und des Mittelstandes in aller Regel in Vorleistung treten, weil sie Material bestellen, weil sie die Aufträge vorbereiten und weil sie dann über einen längeren Zeitraum das Werk ausfertigen. Unternehmen des Handwerks und des Mittelstandes leiden aus diesem Grunde häufig unter den finanziellen Folgen ausbleibender Zahlungen. Wir sorgen mit dem heutigen Beschluss dafür, dass dem ein Ende gesetzt wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen anständige Löhne erhalten; das haben wir gestern mit dem Gesetz zum Mindestlohn beschlossen. Aber auch die Unternehmen sollen eine faire Chance haben, ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ordentlich und vor allem pünktlich zu bezahlen. Das unterstützen wir mit dem heutigen Gesetzentwurf. (Beifall bei der SPD) Wir unterstützen mit diesem Gesetz auch die positive Entwicklung in Deutschland, dass Unternehmensinsolvenzen weiter zurückgehen, und steigern die Liquidität in den Unternehmen. Und wir unterstützen den Mittelstand und das Handwerk, weil hier rund 15,7 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt sind. Das sind fast 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Für diese Menschen, meine Damen und Herren, schaffen wir mit dem heutigen Gesetz mehr Sicherheit. (Beifall bei der SPD) Wir als SPD machen damit deutlich: Wir stehen an der Seite des Mittelstands. Wir stehen an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Wir sind dafür, dass Innovation und soziale Gerechtigkeit auch in Zukunft in Deutschland im Mittelpunkt stehen. Das erreichen wir mit dem Gesetz zum gesetzlichen Mindestlohn, das wir in dieser Woche beschlossen haben, und jetzt mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Oliver Krischer das Wort. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Warum redet der so oft? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der Krischer hat schon viel geredet! – Marcus Held [SPD]: Wir müssen ihn mal verwarnen! Gelbe Karte!) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ehrlich gesagt, bin ich entsetzt darüber, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was? Sie sind immer entsetzt!) dass kein einziger der 500 Abgeordneten der Großen Koalition den Mut hat, hier nach vorne zu kommen und einmal etwas zu dem EEG-Desaster zu sagen, das Sie gerade dabei sind zu reparieren. Das ist unglaublich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vor einer Woche hat Sigmar Gabriel hier gestanden und hat jeden zum Querulanten erklärt, der den Anspruch hat, nicht nur fünf Seiten Vorblatt zu lesen, sondern ein 204-seitiges Gesetz komplett lesen zu wollen. Heute steht er vor den Trümmern dessen, was er hier erzählt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Da frage ich mich: Was ist das für ein Demokratieverständnis, wenn hier nicht einmal der Herr Großwesir Wirtschaftsminister sitzt, nicht einmal das Wirtschaftsministerium vertreten ist und Sie hier alleine gelassen werden, um die Trümmer dieser Politik zu beseitigen, meine Damen und Herren? Was ist das für ein Parlamentsverständnis? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich kann Ihnen sagen: Hätten Sie auf die Vorschläge der Opposition, hätten Sie auf meine Kollegin Britta Haßelmann gehört, die Ihnen gesagt hat: „Lassen Sie uns eine Anhörung machen, lassen Sie uns fünf Tage Zeit nehmen“, dann wäre dieses Desaster nicht passiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das haben Sie arrogant weggebügelt. Jetzt stehen Sie da und müssen hier eine peinliche Reparaturnummer machen und haben nicht einmal die Größe, sich bei den Kollegen dafür zu entschuldigen, deren Gesetz hier gekapert wird. Das ist ein absolutes Unding. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Piratensprache: „kapern“! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist Ihnen noch gar nie passiert in Ihrer Regierungszeit? – Marcus Held [SPD]: Seien Sie doch nicht so aufgeregt, Herr Krischer!) Das eine, was Sie gemacht haben, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Sie haben nonchalant einen Eingriff in den Bestand vorgenommen, der dazu geführt hätte, dass 1 000 Biogasanlagen in Deutschland in die Insolvenz getrieben worden wären. Das haben Sie mit Ihrem Verfahren in Kauf genommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie das jetzt notdürftig reparieren, zusammen mit angeblichen redaktionellen Fehlern, die keine redaktionellen Fehler sind, sondern auch substanzielle Fehler, dann ist das keine Glanzleistung, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt mal zur Sache! – Marcus Held [SPD]: Genau! Zur Sache!) sondern dann ist das schiere Notwendigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt mal zum Zahlungsverkehr!) Sie machen aber dann noch etwas: Sie ändern die Stichtagsregelung im EEG. Das hätten Sie auch vor einer Woche machen können. Vor einer Woche war der Sachverhalt genau der gleiche. Sie packen aber dieses Gesetz durch die Fehler, die Sie produziert haben, noch einmal an einer Stelle inhaltlich an. Da fragt man sich ja: Warum an dieser Stelle, bei den Biomethananlagen? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Damit Sie sich aufregen können!) Ich habe gar nichts dagegen. Aber warum packen Sie die Stichtagsregelung nicht insgesamt an, so wie es der Bundesrat mit großer Mehrheit gefordert hat? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Warum ändern Sie nicht all die anderen Dinge, die in diesem Gesetz falsch sind? Das frage ich Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition. Ich will Ihnen die Antwort liefern, warum das so ist: Die Union hat gemoppert. Sie hat intern gemoppert über dieses desaströse Verfahren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was heißt denn „gemoppert“? Können Sie das mal erklären?) Sie haben dann ein kleines Bonbon eingefordert. Das mussten der Herr Wirtschaftsminister und die Sozialdemokraten Ihnen liefern. Deshalb gab es für die CSU noch ein Geschenk bei den Biogasanlagen; denn die wollten das haben. Das ist Politik, wie sie die Große Koalition macht. Es geht nicht mehr um die Sache, sondern es geht einfach nur noch darum: Wie kommt man zum besten Deal, damit man das Gesicht wahrt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das, meine Damen und Herren, ist nicht in Ordnung. Das sage ich in aller Deutlichkeit. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie moppern hier zu viel! Hören Sie auf zu moppern!) Wenn man das EEG insgesamt sieht, dann merkt man: Sie stehen ja absolut vor dem Desaster. Wir haben gestern gehört: In Brüssel ist nichts geregelt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hören Sie jetzt mal auf zu moppern!) Herr Almunia ist nicht bereit, das an der Stelle zu akzeptieren. Es ist völlig offen, ob das Gesetz am 1. August in Kraft treten kann. Das heißt, Ihre ganze Brechstangenpolitik hat überhaupt nichts gebracht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann haben Sie noch Herrn Oettinger, der qua Amt das deutsche EEG eigentlich schützen sollte; (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Was hat denn das jetzt mit dem Zahlungsverzug zu tun?) nach dem Urteil des EuGH in der letzten Woche hätte er auch allen Grund, das zu tun. Was erzählt Herr Oettinger, dem Sozial- und Christdemokraten sowie Christsoziale eine Laufzeitverlängerung geben? Er erzählt, das EEG sei nicht mehr reformierbar und gehöre abgeschafft. Wer solche Freunde in der EU-Kommission hat, der braucht keine Feinde mehr, wenn es um die deutsche Energiewende geht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Deswegen brauchen wir Sie!) Das muss an der Stelle einmal klar gesagt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schluss mit dem Moppern jetzt!) Meine Damen und Herren, wir werden selbstverständlich der notwendigen und überfälligen Reparatur des EEG an der einen Stelle zustimmen. (Zurufe von der CDU/CSU: Ah! – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das ändert aber nichts daran, dass dieses Gesetz ein Desaster ist, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ein Desaster für die Energiewende, für die Investitionssicherheit, für die Branche der erneuerbaren Energien, für den Klimaschutz und für die Bürgerenergien. (Marcus Held [SPD]: Im Gegenteil!) Da kommen Sie nicht mehr raus, auch nicht mit Ihrem unwürdigen Verfahren in diesem Parlament. Ich hoffe nur, dass Leute zum Gericht gehen und das problematisieren werden, was Sie hier veranstalten. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marcus Held [SPD]: Ha! Gegen die deutsche Wirtschaft! Ja, das ist die klare Ansage! – Gegenruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, gegen euren Murks, nicht gegen die Wirtschaft!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Heider das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Krischer, wer hätte das gedacht, dass Sie einmal versuchen, zum Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug zu reden. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das doch aufgesetzt! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das EEG da drin oder nicht?) – Natürlich haben wir das aufgesetzt. Ich finde es völlig in Ordnung – bei allen Aufgeregtheiten heute –, dass wir dann, wenn vor der Sommerpause die Notwendigkeit besteht, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Notwendigkeit? Ihre Trümmer!) redaktionelle Fehler zu korrigieren, Gleichlauf mit Übergangsvorschriften herzustellen und Korrekturen im Sinne der Rechtssicherheit vorzunehmen, das an dieser Stelle machen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie haben uns doch gerade gesagt, dass Sie zustimmen wollen. Wo ist das Problem? Sie haben das einmal als Omnibusgesetz bezeichnet, ein Verfahren, das jetzt genutzt wird. Selbst die Oppo-sition fährt gern Omnibus. Ich kann mich noch gut er-innern, meine Damen und Herren, dass Sie uns hier im letzten Jahr, als es um ein Gesetz gegen den Missbrauch im Geschäftsverkehr ging, Änderungsanträge präsentiert haben, die Ihre Meinung zur Mietpreisbremse und zur Abgeordnetenbestechung enthielten. Da haben Sie auch ganz vorn im Omnibus gesessen. Das ist ein Verfahren, das zwar parlamentarisch nicht besonders schön ist, aber das man zur Not auch einmal wählen kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an die SPD gewandt: Da müsst ihr auch klatschen!) Meine Damen und Herren, damit kommen wir wieder zum eigentlichen Thema des Gesetzes zurück. Der Entwurf aus der letzten Legislaturperiode unterschied nicht zwischen Individualvereinbarungen und den für die Wirtschaft wichtigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Außerdem sah der Entwurf eine Zahlungsfrist von 60 Tagen für alle vor, für Verbraucher und Unternehmer. Jedenfalls im Handwerk und auch in der Bauwirtschaft wäre das keine Verbesserung gewesen, und das hätte eher zu einer Verschlechterung der Zahlungsmoral geführt. Jetzt kommen wir zu den 30 Tagen. Das Gesetz bringt natürlich auch für andere Branchen Veränderungen. Es muss sich noch zeigen, ob das für Automobilindustrie und Handel eine gute Regelung ist. Ausgesprochen positiv wird sie sich für Handwerk und Bauwirtschaft auswirken. Die anderen Branchen haben Strukturen, die wir in Zukunft genauer beobachten müssen. Im Handwerk und in der Bauwirtschaft werden überwiegend Werkverträge vereinbart. Bei solchen ist der Gläubiger der Entgeltforderung vorleistungspflichtig. Daher sind kurze Zahlungsfristen okay. In der Automobilwirtschaft dagegen werden zwischen Automobilhersteller und Zulieferer zumeist Verträge geschlossen, auf die das Kaufrecht, Herr Kollege Wiese, Anwendung findet. Auch bei Werklieferungsverträgen ist das so. Die Zahlungen, die dort in einem rollierenden Gutschriftensystem jeweils zum Ende des nächsten Monats ausgelöst werden, sehen im Detail etwas anders aus, sodass man das alles nicht über einen Leisten schlagen sollte. Wir müssen aufmerksam beobachten, wie das läuft. Auch im Einzelhandel haben wir meistenteils Kaufrecht. Hier liegt das Problem darin, dass Einzelhändler, die Ware von Einzelhändlern oder Lieferanten kaufen, nicht absehen können, in welchem Zeitraum sie die Ware absetzen. Daher muss die Ware zwischenfinanziert werden. Ich wage, heute zu prognostizieren, dass sich das über kurz oder lang auf die Verbraucherpreise auswirken wird. Trotzdem ist das Gesetz, so wie es jetzt ausgestaltet ist, ein gutes Gesetz. Es hilft dem Mittelstand. Ich hoffe, dass es bei den Branchen, die vom Volumen her größer sind und im internationalen Rechtsverkehr besondere Bedürfnisse haben, möglich sein wird, entsprechende Individualvereinbarungen zu treffen. Ob das möglich ist, ist die Frage. Wir haben natürlich das Problem, Herr Staatssekretär, dass wir uns mit dieser gesetzlichen Regelung von den anderen Mitgliedstaaten in Europa deutlich abheben. Auch da werden wir beobachten müssen, ob sich das Gesetz auf die Wahl deutschen Rechts für Lieferverträge und auf den Rechtsstandort Deutschland auswirken wird. Ich kann das, genau wie Sie, heute nicht absehen. Aber wir tun gut daran, uns die beiden Branchen anzusehen. Es ist gut, dass noch eine Änderung hinzugekommen ist, wonach alle Marktbeteiligten die Möglichkeit haben, ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen bis zum Jahr 2016 anzupassen. Im Juni 2016 müssen diese Anpassungen vollzogen sein. Ich glaube, dass diese Übergangsfrist ausreichend ist, um für die Branchen, die Unternehmen, aber auch die Verbraucher etwas im Sinne der Zahlungssicherheit und der Zahlungsschnelligkeit zu tun. Damit gehen wir in die Sommerpause. Nach der Sommerpause werden wir mit den Beobachtungen beginnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2037, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/1309 und 18/1576 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Das ist die Fraktion Die Linke. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die Linke. Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition angenommen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin, ich hatte Teilung der Abstimmung beantragt! Das ist ganz klar, weil wir beim EEG zustimmen werden! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist abgestimmt! Ende! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ich hatte das beantragt!) Es war Teilung der Abstimmung beantragt. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass wir die Abstimmung wiederholen. Wir stimmen zuerst über den Antrag der Teilung ab. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) – Wir wiederholen die Abstimmung, und zwar geteilt. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2037, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1309 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen müssen wir zuerst abstimmen! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Soll ich mal vorschlagen, wie es geht? – Heiterkeit bei der CDU/CSU) Ich gehe davon aus – so habe ich Frau Haßelmann verstanden –, dass Sie folgende Teilung wollen: auf der einen Seite eine Abstimmung über die Drucksache 18/1309 und auf der anderen Seite eine Abstimmung über die Drucksache 18/1576. Ist das zutreffend, oder ist das nicht zutreffend? Ansonsten müssen Sie mir jetzt bitte kurz erläutern, welche Teilung Sie wollen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt macht doch keinen Zirkus!) Nachdem nun geklärt ist, worüber eine getrennte Abstimmung erreicht werden soll, wiederholen wir die Abstimmung noch einmal. Aller guten Dinge sind drei. Es wird eine getrennte Abstimmung über Artikel 4 gewünscht. Deshalb ziehe ich das jetzt vor. Ich lasse zunächst abstimmen über Artikel 4 auf Drucksache 18/2037. Wer stimmt dafür? – Das sind alle. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Auch niemand. Damit ist Artikel 4 auf Drucksache 18/2037 einstimmig angenommen. Jetzt lasse ich über den Gesetzentwurf im Übrigen abstimmen, und zwar in der Ausschussfassung, wie es vorhin angekündigt worden ist. Wer stimmt dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die Linke. Damit ist der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen worden. Das war die zweite Beratung. Wir kommen nun zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf insgesamt, so wie wir ihn eben beschlossen haben, ab. Wer stimmt dem Gesetzentwurf, so wie wir ihn in der zweiten Lesung beschlossen haben, zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir jetzt zu den Tagesordnungspunkten 29 a und 29 b: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte (Lebensversicherungsreformgesetz – LVRG) Drucksache 18/1772 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/2016 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Matthias W. Birkwald, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Lebensversicherungen auf den Prüfstand stellen – Kein Schnellverfahren zu Lasten der Versicherten Drucksachen 18/1815, 18/2016 Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen zwei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Herr Dr. Michelbach das Wort. Wenn sich alle Kolleginnen und Kollegen gesetzt haben – ich bitte auch alle Kolleginnen und Kollegen in den ersten Reihen darum –, können wir mit der Aussprache beginnen. – Herr Michelbach, Sie haben das Wort. Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Seit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise im Jahr 2008 haben wir in Deutschland, in Europa und weltweit vieles unternommen, um einer Wiederholung dieser Ereignisse vorzubeugen. Mit Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble haben wir konsequent Regulierungs- und Stabilitätsgesetze auf den Weg gebracht. Allerdings kämpfen wir an manchen Fronten heute noch immer damit, die Folgen der Finanzmarktkrise zu bewältigen. Zu diesen Folgen gehört auch die anhaltende Niedrigzinspolitik der Notenbanken. Seit fünf Jahren sinken die Zinsen. Für eine Trendumkehr gibt es keine Hinweise. Vielmehr hat die EZB ihren Leitzins gerade erst wieder gesenkt und sogar Negativzinsen für Einlagen bei der Zentralbank eingeführt. Das bedeutet, Kredite werden billiger, was einerseits Verbraucher und Investoren freut. Das bedeutet aber auch, dass die Kapitalerträge zurückgehen, wodurch zum Beispiel private Vorsorge- und Spareinlagen entwertet werden. Ein erheblicher Teil der privaten Altersvorsorge in Deutschland steckt in Lebensversicherungen. Deshalb besteht die Notwendigkeit zu diesem Lebensversicherungsreformgesetz. Rund 88 Millionen derartige Versicherungsverträge gibt es in Deutschland aktuell. Damit ist die Lebensversicherung eine der wichtigsten Spar- und Altersvorsorgeformen in unserem Land. Gegenwärtig erleben wir die paradoxe Situation, dass Lebensversicherungen umso mehr Geld ausschütten müssen, je niedriger die Zinsen sind. Bewertungsreserven entstehen, weil der Marktwert von Kapitalanlagen bei sinkenden Zinsen über dem früheren Kaufpreis liegt. Dabei handelt es sich um Buchgewinne ohne realen Zuwachs von Finanzmitteln; es gibt also keinen echten Wertzuwachs. Das kann nach Adam Riese auf Dauer nicht gut gehen. Deshalb müssen wir die Vorschriften zur Beteiligung an den Bewertungs-reserven bei festverzinslichen Wertpapieren – nicht bei Aktien und Immobilien – anpassen. Die Deutsche Bundesbank warnt in einem langfristigen Stressszenario nicht umsonst davor, dass mehr als ein Drittel der deutschen Lebensversicherungen in einem Umfeld langanhaltender Niedrigzinsen bis 2023 die Eigenkapitalanforderungen nicht einhalten können. Das ist der langfristige Ausblick, den wir als Verantwortliche berücksichtigen müssen. Dieser Verantwortung kommen wir heute mit diesem Gesetz nach. Es wäre absolut fahrlässig, die Warnungen nicht ernst zu nehmen. Wenn wir nicht handeln, fahren wir zwangsläufig einen wesentlichen Teil der privaten Altersvorsorge vor die Wand. Das gebe ich all jenen zu bedenken, allen voran der Opposition in diesem Hause, die seit Wochen mit falschen Argumenten und ohne einen eigenen vernünftigen Lösungsansatz gegen die nun vorliegende Lösung polemisieren. Manchmal habe ich den Eindruck, Sie haben geradezu Freude daran, den Menschen Zukunftsängste zu bereiten. Ich kann Sie nur warnen: Hören Sie mit den Verunsicherungskampagnen auf! Letzten Endes gibt es bei den garantierten Leistungen keine Veränderungen. Sie müssen deutlich machen, dass es hier nur um die Bewertungsreserven geht. Das kann man doch nicht in einen Topf werfen. Sonst verursacht man Zukunftsängste und Verunsicherung. Das lehnen wir ab; wir müssen den Menschen für die Zukunft Sicherheit geben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es steht außer Frage, dass der Gesetzgeber auf die Entwicklung bei den Bewertungsreserven reagieren muss. Es kann nicht sein, dass das Auslaufen der Verträge von 7 Millionen Versicherten einen Nachteil für mehr als 80 Millionen verbleibende Versicherte bedeutet. Ansonsten wäre mittel- und langfristig die Fähigkeit der Versicherungsunternehmen in Gefahr, ihre zugesagten Zinsgarantien einzuhalten. Eine solche Situation darf nicht eintreten. Das ist im Interesse der Versicherungsunternehmen, aber insbesondere auch im Interesse der Versicherten. Wir bevorteilen niemanden, sondern wollen den Ausgleich. Wir wollen Verteilungsgerechtigkeit und eine Balance zwischen den bestehenden Interessen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, können wir nur durch einen gerechten Interessenausgleich bewältigen. Es ist meine feste Überzeugung, dass ein solcher Interessenausgleich mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erreicht wird. Der Leitgedanke der Solidargemeinschaft und der Verteilungsgerechtigkeit steht im Vordergrund. Deshalb wird von allen Beteiligten, also von den Versicherungsunternehmen, den Eigentümern – das ist ganz wichtig – und natürlich auch von den Versicherten, ein angemessener und ausgewogener Beitrag verlangt. Wir haben darauf geachtet, dass, sollten sich die Bewertungsreserven für die Versicherten ändern, auch die Eigentümer, die Aktionäre in Form von Ausschüttungen daran beteiligt werden. Damit stärken wir die Eigenkapitalausstattung, die die Versicherungen nach der Solvency-II-Vereinbarung in Zukunft verstärkt benötigen. So schafft das Reformgesetz eine gerechte Verteilung der Lasten zwischen Eigentümern und Versicherten. Darüber hinaus werden wir die Überschussbeteiligung der Versicherten an das Niedrigzinsumfeld anpassen. Die Versicherten werden in Zukunft mit mindestens 90 Prozent an den Risikoüberschüssen beteiligt statt wie bislang mit 75 Prozent. Überschüsse verbleiben im Sondervermögen. Zudem stärkt das Gesetz die Handlungsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden. Es ist ganz wichtig, dass wir den Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen das richtige Werkzeug an die Hand geben, damit gefährliche Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt und effektiv bekämpft werden können. Damit leistet das Gesetz einen wichtigen Beitrag zur Stabilität der Lebensversicherungen. Jedes andere Handeln wäre ein Verstoß gegen eine seriöse Finanzpolitik. Wir haben nach wie vor das Ziel, mit unserer Finanzpolitik zu einer Stabilisierung beizutragen. Wir haben die Krise in vielerlei Hinsicht erfolgreich bekämpft; (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) aber wir sind noch nicht über den Berg. Deswegen ist es notwendig, dass wir auch in Zukunft entsprechende Gesetzentwürfe einbringen. In diesem Sinne ist heute ein guter Tag für die Stabilität unseres Finanzmarktes, für die Versicherten, für die Anbieter und für die Produkte. Lassen Sie uns dieses Gesetz beschließen! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Susanna Karawanskij das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ausgewogen und gerecht haben Sie, Herr Finanzminister – wir haben es jetzt noch einmal vom Kollegen Michelbach gehört –, das Gesetz zur Reform der Lebensversicherungen genannt. (Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Aber holla! – Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist es ja auch!) Das ist, wenn man sich das Gesetz anschaut, aber nicht zu erkennen. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt keinen fairen Interessenausgleich zwischen den Versicherten und den Versicherungsunternehmen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch ein Popanz!) Sie sind vor der Versicherungslobby – man muss es einfach so sagen – eingeknickt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, hingefallen!) Sie haben Ihr Ziel verfehlt. (Beifall bei der LINKEN) Die Versicherungsbranche jammerte, es müsse schnell gehandelt werden, und ruck, zuck wird ein Gesetz auf den Weg gebracht, das für viele Versicherte – 62 Millionen können davon betroffen sein –, (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Positiv betroffen!) gravierende Auswirkungen hat, die noch gar nicht überblickt werden können, weil die entsprechenden Daten fehlen. Bislang sind sie nur bruchstückhaft vorhanden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Punkt!) Nun frage ich mich, wie schlimm es wirklich um die Lebensversicherer steht. Heute war im Handelsblatt zu lesen, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht einen Stresstest vorgenommen hat. Dort haben alle Lebensversicherer positiv abgeschnitten. „Die Risikotragfähigkeit der deutschen Versicherungswirtschaft ist weiterhin stabil“, heißt es dort. Ich frage Sie: Warum dann eine solche Hast? Warum wollen wir nicht ausgiebig und vor allen Dingen umfassend diskutieren und dann ein wirklich gutes Gesetz auf den Weg bringen? (Beifall bei der LINKEN) Konkret zum Gesetzentwurf. Es gibt durchaus Punkte, die wir unterstützen. Gut ist in unseren Augen, die Zuführung aus den Risikoüberschüssen – Sie haben es gerade gesagt – auf 90 Prozent anzuheben. Wir sind allerdings der Meinung, dass auch die Kostenüberschüsse auf 90 Prozent anzuheben sind. (Beifall bei der LINKEN) Eine Ausschüttungssperre an die Aktionäre und Eigentümer der Versicherung ist ebenfalls etwas, das wir grundsätzlich begrüßen. Wir sind aber der Meinung, dass wir hier nachbessern müssen, um dies umgehungssicher zu machen. (Beifall bei der LINKEN) Die am Ende der Gesetzesberatungen hinzugekommene Beschränkung variabler Vergütungen, also Boni, Gratifikationen, Zulagen bei den Vorständen, begrüßen wir ebenfalls. Wir hätten es auch begrüßt, wenn die Offenlegung der Provisionen, was lange im Gesetzentwurf enthalten war, dringeblieben wäre. Schon während der Expertenberatung im Finanzausschuss wurde im Ticker gemeldet, dass diese vom Tisch seien. Die Versicherungslobby hat schon gejubelt, während die Sachverständigen bei der Anhörung noch über einen veralteten Gesetzentwurf diskutiert haben. Das ist nicht nur ein Affront den Experten gegenüber. (Beifall bei der LINKEN) Vielmehr zeigt sich hier, dass die Bundesregierung im Zweifel wieder einmal dem Druck der Versicherungslobby nachgibt. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch Blödsinn! Vollkommener Unsinn!) Das ist nicht im Sinne der Versicherten. Hier wird der Weg für Falschberatung bereitet. Die Geheimniskrämerei bei den Provisionen bleibt bestehen. Nein, Sie sind nicht an der Seite der Versicherten. Sie betreiben Versicherungslobbyschutz statt Versichertenschutz. (Beifall bei der LINKEN) Sie behaupten, es gäbe die dringende Notwendigkeit, sofort zu handeln. Sie behaupten auch, dass Sie innerhalb der Versichertengemeinschaft solidarisch vorgingen. In Wahrheit spielen Sie die Versicherungsnehmer gegeneinander aus. Bis jetzt konnte mir auch noch niemand die Frage beantworten, wie viele der langlaufenden hochverzinsten Wertpapiere tatsächlich zur Bedienung ausscheidender Kunden verkauft werden mussten. Letzten Endes bedeutet nämlich die Reduzierung der Beteiligung an den Bewertungsreserven aus den festverzinslichen Wertpapieren für jeden Kunden eine Kürzung. Die jetzt ausscheidenden Kunden sehen es schwarz auf weiß; da ist es offensichtlich. Den Bestandskunden wird – vereinfacht gesagt – weniger gutgeschrieben. Wir sagen: Das ist eine Frechheit. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Das ist eine Frechheit! Das muss weg!) – Ja, das ist eine Frechheit. Meine Damen und Herren, bei Lichte betrachtet bringt dieses Gesetz den Versicherten wenig Gutes. Sie sanieren vielmehr die Versicherungskonzerne. Die tragen das dann auf dem Rücken der Versicherten aus. Wir sagen: Da muss umgesteuert werden: (Beifall bei der LINKEN) Erstens. Gewinne und Erträge, die mit Kundengeldern erwirtschaftet werden, (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Alles enteignen!) sollen bei den Kunden bleiben. Das bedeutet, die Mindestzuführungsquoten bei den Überschusstöpfen müssen auf einheitlich 90 Prozent angehoben werden, auch bei den Kostenüberschüssen; die sind nämlich noch nicht dabei. Zweitens. Die Bewertungsreserven können nicht mit Taschenspielertricks sozusagen von der Ausschüttung ausgenommen werden. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist ein gutes Stichwort für Ihre Rede!) Wir sagen: Ziehen Sie die Einschränkung der Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven zurück bzw. verzichten Sie darauf! (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Wir brauchen in den Unternehmen Transparenz, wie welche Überschüsse und stille Reserven in welcher Höhe ermittelt, verteilt und ausgekehrt werden. Das komplette Überschuss- und Reservesystem gehört auf den Prüfstand. Dieses Hickhack um die kapitalgebundenen Lebensversicherungen zeigt nur eines: Die private Altersversorgung erodiert. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die fünf Minuten sind aber um!) Nur mit geschickter Lobbyarbeit schaffen Sie es, diese am Leben zu erhalten. Mit diesem Gesetz missbrauchen Sie das Vertrauen der Versicherungsnehmer. Deswegen lehnen wir es ab. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wissen wir jetzt!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Manfred Zöllmer das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass dieser Gesetzentwurf kontrovers diskutiert wird, konnten wir eben erleben. Die erste Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Ist dieses Gesetzesvorhaben notwendig? Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es in Deutschland deutlich mehr Lebensversicherungsverträge gibt als Einwohner. Für sehr viele Menschen ist dies eine ganz wesentliche Säule ihrer Altersversorgung. Sie sind deshalb existenziell darauf angewiesen, auf Dauer stabile Lebensversicherungen zu haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie haben Garantieversprechen bekommen, auf die sie sich auch in Zukunft verlassen können müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was gefährdet nun die Stabilität? Das ist das aktuelle Niedrigzinsumfeld. Dieses Niedrigzinsumfeld war vor zehn Jahren überhaupt nicht in Sicht. Die durchschnittliche Rendite deutscher Anleihen beträgt 1,6 Prozent, und der durchschnittliche Garantiezins der Lebensversicherungen beträgt 3,2 Prozent. Nun muss man nicht unbedingt zwölf Semester Volkswirtschaft studiert haben, liebe Frau Karawanskij, um zu erkennen: Da gibt es ein Problem. Ergänzend hat die Deutsche Bundesbank einen Finanzstabilitätsbericht veröffentlicht und deutlich gemacht, dass langfristig – ich betone: langfristig – bei -einem anhaltenden Niedrigzinsumfeld über ein Drittel der deutschen Lebensversicherungsunternehmen die versprochenen Garantieleistungen nicht einhalten können. Die BaFin hat auf diese Probleme hingewiesen. Auch die Sachverständigen haben in unserer Anhörung auf diese Probleme hingewiesen, und zwar durchgängig alle. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Nicht alle!) Es besteht Handlungsbedarf. Oder gibt es hier irgendjemanden, der sagen kann, wie sich in Zukunft das Zinsumfeld entwickeln wird? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Diese Probleme sind nicht neu. Wir unternehmen den zweiten Anlauf zur Lösung. Der erste Anlauf ist gescheitert, da wir gemeinsam mit den Grünen gesagt haben: Wir wollen eine Beteiligung der Unternehmen bei der langfristigen Stabilisierung der Lebensversicherungen. – Das machen wir jetzt. Wir wollen ein Gesetz, das die Verbraucherinnen und Verbraucher stärkt, die Unternehmen an den Kosten beteiligt und eine faire Verteilung der Überschüsse für die gesamte Versichertengemeinschaft vorsieht. Ein Entwurf dieses Gesetzes liegt nun vor. Was sind die Kernpunkte? Erstens. Wir verbessern die Eingriffsbefugnisse der Versicherungsaufsicht BaFin. Mögliche Risiken müssen frühzeitig erkannt werden. Die Aufsicht muss in der Lage sein, auch uneinsichtige Unternehmen zu zwingen, entsprechend zu handeln. Ziel ist es, die Unternehmen anzuhalten, selbstständig rechtzeitig tätig zu werden. Zweitens. Wir wollen die Versicherungskunden zukünftig stärker an den Risikogewinnen der Unternehmen beteiligen, statt bisher zu 75 Prozent in Zukunft zu 90 Prozent. Das heißt, wir stellen die Versicherungsnehmer besser als bisher. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drittens. Wir wollen die Eigentümer beteiligen. Das machen wir, indem wir eine Ausschüttungssperre für Dividenden in das Gesetz schreiben. Diese Ausschüttungssperre greift, wenn ein sogenannter Sicherungsbedarf vorliegt. Die Aktionäre müssen sich also in Zukunft an den Krisenlasten der Unternehmen beteiligen. Die Aufsicht kann dies anordnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir wissen, dass das bei Unternehmen mit einem Gewinnabführungsvertrag nicht greift. Aber bei einem Gewinnabführungsvertrag muss dann das Mutterunternehmen haften und frisches Geld zur Verfügung stellen. Damit schaffen wir sogar noch mehr Sicherheit als nur mit einer Ausschüttungssperre. Wir können Aktionäre natürlich nicht zwingen, frisches Geld zur Verfügung zu stellen. Viertens. Wir wollen die Abschlusskosten senken. Die bilanzielle Anrechenbarkeit, die Zillmerung, soll auf 25 Promille verringert werden, damit diese Kosten in Zukunft geringer werden. Fünftens. Wir werden die Garantiezinsen für Renten- und Kapitallebensversicherungen für Neuverträge – ich betone: für Neuverträge – zukünftig auf 1,25 Prozent senken. Dies ist im aktuellen Niedrigzinsumfeld dringend erforderlich. Sechstens. Wir schaffen eine größere Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Unternehmen sollen den Kunden gegenüber detaillierter ausweisen, welche Gewinne erwirtschaftet werden und wie viel davon an die Kunden geht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sind nicht dem Vorschlag gefolgt, Abschlussprovisionen offenzulegen. Warum nicht? Weil das eine Fehlsteuerung der Konsumenten zur Folge hätte. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist das!) Warum? Es gibt ganz unterschiedliche Vertriebswege mit ganz unterschiedlich hohen Abschlussprovisionen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!) Ein Angestellter bei einer Sparkasse bekommt eine niedrige Abschlussprovision, ein selbstständiger Versicherungsmakler eine hohe, weil er viele Versicherungen hat, weil er ein eigenes Unternehmen hat. Aber die Gesamtkosten können sich unterscheiden, müssen sich aber nicht unterscheiden. Wenn man eine solche Summe ausweist, dann führt das dazu, dass sich die Versicherungsnehmer an der Größe in Euro und Cent orientieren und möglicherweise eine falsche Entscheidung treffen, weil diese Größe sie in die Irre führt. Deshalb werden wir in Zukunft, orientiert an den Riester-Verträgen, Angaben zum Preis-Leistungs-Verhältnis machen und eine Kennziffer für die Entwicklung und für die Minderung der Wertentwicklung insgesamt ausweisen. Dann können diese Anlageformen auch mit anderen Anlageformen verglichen werden, und wir haben eine Kenngröße, die sicherstellt, dass hier mehr Transparenz für die Kunden geschaffen wird. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir werden – siebtens – bei den Unternehmen, bei denen ein Sicherungsbedarf besteht, weil die Marktzinsen unterhalb der Garantiezinsen liegen, die Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven festverzinslicher Wertpapiere kürzen. Damit stellen wir die Genera-tionengerechtigkeit für das gesamte Versicherungskollektiv sicher. Liebe Frau Karawanski, das Geld bekommen nicht die Unternehmen – das sollten Sie inzwischen aber verstanden haben –, sondern es wird nur anders an die Versicherungsnehmer verteilt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir wollen nicht nur 5 Prozent begünstigen und die übrigen 95 Prozent im Regen stehen lassen, sondern wir wollen 100 Prozent begünstigen; das ist ein ganz wichtiger Punkt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Kern ein ausgewogenes Reformgesetz, das Unternehmen, Aufsicht, Versicherte und Vertrieb in die Pflicht nimmt und damit auch im Hinblick auf die Mammutreform Solvency II die notwendigen Anpassungen vornimmt. Es ist wirklich schade, dass sich die Grünen so verhalten, wie sie sich verhalten. Das ist wirklich ein Rückfall in den Fundamentalismus. Herr Schick, Sie haben sich hier hingestellt und gesagt: Ja, es besteht die Notwendigkeit, zu handeln. – Dann haben Sie gesagt, Sie hätten all das Gute erfunden. Aber dann lehnen Sie den Gesetzentwurf ab? Sie haben noch nicht einmal einen Änderungsantrag eingebracht. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch noch sachlich falsch, was Sie hier sagen! Haben Sie denn nicht im Ausschuss den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gelesen, den Sie mitgezeichnet haben, weil Sie ihn gut fanden? Haben Sie denn geschlafen?) – Ja, das war ein gemeinsamer Antrag. Aber warum haben Sie dem Gesetzentwurf dann nicht zugestimmt? Warum denn nicht? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu sage ich aber gleich etwas!) Konfuzius hat einmal gesagt: Wer etwas will, sucht Wege. Wer etwas nicht will, sucht Gründe. – In diesem Fall haben Sie nach Gründen gesucht, nicht zu wollen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Gerhard Schick das Wort. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist genau anders. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Es ist immer anders!) Es gibt viele Gründe, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Sie reden sich die Lage gerade schön, obwohl Sie vor einem Jahr, als Sie noch in der Opposition waren, über genau dieselben Themen ganz anders gesprochen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deswegen lohnt ein Blick zurück. Vor eineinhalb Jahren hat der Bundesfinanzminister einen Gesetzentwurf vorgelegt, bei dem es im Kern um das Gleiche ging, um das es auch heute geht. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Damals hätten Sie ruhig auch mal Verantwortung übernehmen können!) Es ging nämlich um die Begrenzung der Ausschüttung von Bewertungsreserven. Als die Öffentlichkeit, auch aufgrund der parlamentarischen Arbeit, erfuhr, um was es ging, gab es einen großen Protest. Ein CDU-Parteitag hat gesagt: Dieses Gesetz ist schlecht. – Ein CDU-Parteitag! Und er hatte recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein Bundesparteitag sogar!) – Ja, Herr Kauder, es war ein Bundesparteitag der CDU. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Ich erinnere Sie gerne daran; denn dieser Bundesparteitag der CDU hat unsere Kritik, dass dieser Gesetzentwurf nicht ausgewogen war, bestätigt. Seither haben Sie sich aber nicht darin geübt, eine klare Fundierung Ihres Gesetzentwurfs vorzunehmen, sondern haben in der Öffentlichkeit erst einmal eine Pause eingelegt. Auch jetzt haben Sie wieder versucht, zwischen Europawahl und Sommerpause das Verfahren so kurz wie möglich zu halten, damit möglichst wenig Diskussion um dieses Gesetz entstehen kann. (Zuruf von der SPD: Unfug!) Ich meine aber, dass man bei einem Gesetz, das das Licht der Öffentlichkeit scheut, schon einmal die Frage stellen muss, warum Sie Angst vor der öffentlichen Diskussion haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Ziemlicher Unfug!) Wir haben schon vor eineinhalb Jahren gesagt: Was es braucht, ist eine klare Analyse, wie es dem Sektor geht, was die Handlungsnotwendigkeiten sind. Wir haben damals gefordert, dass ein Szenario ausgearbeitet werden muss, dass einmal dargelegt wird, wie die Entwicklung im Bereich Versicherungen in den nächsten Jahren aussieht; denn das Versicherungsgeschäft ist ein langfristiges, da muss man einige Jahre in die Zukunft schauen. Es hieß immer, ein solches Szenario könne man nicht entwickeln. Nun hat uns die Bundesbank aber genau das vorgelegt, von dem Sie immer gesagt haben, das ginge nicht, weil Sie keine klare und transparente Diskussion wollten. Dies haben wir aber erst am Montag für die Anhörung bekommen, also vor vier Tagen. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch nicht wahr!) – Natürlich, erst dann lag das vor. Die Bundesbank bestätigt – das ist der entscheidende Punkt –, dass es Handlungsbedarf gibt; diesen habe ich auch nicht geleugnet. Aber die Bundesbank bestätigt auch, wie wichtig es ist, nicht nur auf Kundenseite etwas zu tun, sondern dass auch eine wirksame Ausschüttungssperre für die Eigentümer bestehen muss; denn sonst bliebe es bei einer zu großen Anzahl von Unternehmen, die bei einem Stressszenario in Schwierigkeiten kommen könnten. Jetzt haben wir einen Gesetzentwurf vorliegen, von dem wir wissen, dass die darin vorgesehene Ausschüttungssperre bei vielen Unternehmen überhaupt nicht greift. Das ist ein massives Problem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der Chef der Finanzaufsicht hat, als wir ihn danach gefragt haben, gesagt, das sei ein politisches Signal. Wir brauchen hier aber kein politisches Signal, sondern eine effektive Ausschüttungssperre, die dafür sorgt, dass nicht nur die Kunden, sondern auch die Eigentümer der Versicherungsunternehmen ihren fairen Beitrag zur Stabilisierung dieser Branche leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Dann zitieren Sie ihn richtig, was er dann noch gesagt hat!) Wie sieht die Gesamtbewertung dieses Gesetzes aus unserer Sicht aus? Inzwischen sind auch auf unsere Initiative ein paar Verbesserungen vorgenommen worden. Deswegen habe ich bei der ersten Lesung gesagt, der Gesetzentwurf heute sei besser als der, der vor eineinhalb Jahren eingebracht worden ist; dazu stehe ich auch. Aber der Maßstab kann doch nicht zwischen „sehr schlecht“ und „schlecht“ sein; der Maßstab muss doch sein, was die Anforderungen an die Reform der Lebensversicherungsbranche in Deutschland sind. Da stellen wir fest, dass Sie an entscheidenden Stellen nach wie vor einen blinden Fleck haben. Provisionsoffenlegung. Hierzu gab es im Gesetzentwurf schon einmal einen guten Ansatz. Anstatt diesen zu verbessern und mehr Transparenz zu schaffen, haben Sie das zur Seite gewischt und sehen jetzt eine Effektivkostenregelung vor. Aber was bleibt, ist die Situation, dass ein Kunde, wenn ihm ein Vermittler gegenübersitzt, nicht weiß, welches finanzielle Interesse dieser Berater hat, ihm möglicherweise einen Vertrag zu empfehlen, der dem Vermittler mehr Provision bringt statt eine bessere Leistung für den Kunden. Genau diese Transparenz braucht es, wenn wir provisionsorientierte Fehlberatung zurückdrängen wollen und dafür sorgen wollen, dass die Menschen die Produkte bekommen, die auch gut für sie sind. Das muss doch das Ziel sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie gehen an drei weitere Bereiche praktisch überhaupt nicht heran. Es ist im Vertrieb nach wie vor der Fall, dass Menschen ohne ausreichende Qualifikation Versicherungen, die komplizierte Produkte sind, verkaufen dürfen. Diese Lücke bei den gebundenen Vermittlern schließen Sie nicht. Wir haben nach wie vor das Problem, dass das Produkt Lebensversicherung intransparent ist und Menschen selbst mithilfe von Sachverständigen nicht sehen können, ob das, was sie ausgezahlt bekommen, auch das ist, was ihnen zusteht. An dieser Stelle machen Sie praktisch nichts. Auch die Eigenkapitalausstattung – das ist der dritte Punkt – bleibt ein Problem. Das werden wir in der nächsten Zeit angehen müssen. Die Eigenkapitalausstattung von Lebensversicherungsunternehmen in Deutschland ist unterirdisch gering; im Durchschnitt beträgt sie 1,4 Prozent. Auch an dieses Problem gehen Sie nicht richtig heran. Daher müssen wir sagen: Das Gesetz ist zwar besser als das letzte, aber weit weg von gut. Deswegen werden wir es ablehnen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das Gesetz ist gut!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Anja Karliczek das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Anja Karliczek (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Schick, als Erstes möchte ich Ihnen sagen: Wir haben keine Angst vor Diskussionen, aber die Stabilität der Lebensversicherer ist davon abhängig, dass keine übermäßige Liquidität mehr abfließt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Erlauben Sie mir vorweg eine Bemerkung zum Vorwurf der Medien – ich habe das beim letzten Mal in der Diskussion auch von Ihnen gehört, Frau Karawanskij –, wir würden unliebsame Gesetzentwürfe immer nur gegen Mitternacht oder bei einem Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft verabschieden. Jetzt ist es gerade 14 Uhr, und das Spiel ist erst heute Abend. Wir tun das hier also öffentlich und transparent. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Ich bin beeindruckt!) Wir verabschieden heute das Lebensversicherungsreformgesetz. Das parlamentarische Verfahren verlief sehr zügig und in einer sehr guten Zusammenarbeit. Sehr geehrter Herr Dr. Meister, an dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Finanzministerium dafür bedanken. Sie hatten immer ein offenes Ohr für unsere vielen Fragen, die sich aus diesem umfangreichen Gesetzentwurf ergeben haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Altersvorsorge und damit die Kapitallebensversicherung als ein wesentlicher Bestandteil ist ein zentrales Anliegen vieler Menschen. Es gibt fast 90 Millionen Verträge. Damit hat jeder durchschnittlich mehr als einen Vertrag. Deswegen geht dieses Thema fast jeden an. Frau Karawanskij, es waren nicht die Versicherer, sondern es war die Deutsche Bundesbank, die schon in ihrem Finanzstabilitätsbericht 2013 festgestellt hat: „Das Niedrigzinsumfeld birgt ein beachtliches Gefährdungspotenzial“ für circa ein Drittel unserer Lebensversicherer. Ein Drittel: Das sind 30 Versicherer, die sogar 43 Prozent der Beiträge erheben, 30-mal ein Kollektiv, dem die Menschen heute noch vertrauen, 30-mal ein Kollektiv, aus dem jeder im Alter garantierte Zahlungen erwartet, heute, aber eben auch morgen und übermorgen. Deswegen handeln wir, und zwar jetzt. Die Finanz- und Staatsschuldenkrise hat Europa vor große Herausforderungen gestellt. Wir haben schon viel getan, um Risiken künftig besser zu erkennen und zu mindern. Trotzdem ist Vertrauen verloren gegangen. Vertrauen ist aber eine ganz wichtige Säule für unsere Wirtschaft, insbesondere für unsere Finanzwirtschaft. Nach wie vor vertrauen die Menschen jedoch der Kapitallebensversicherung mit ihrem garantierten Zins. Damit dieses Vertrauen gerechtfertigt bleibt, müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass die garantierten Leistungen aus dieser Versicherung auch sicher und stabil bleiben. Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, und ich meine, wir tun das fair und ausgewogen; denn alle Beteiligten müssen einen Beitrag leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu ist eine Systematik entwickelt worden, die offenlegt, wie hoch die nicht ausfinanzierten Verpflichtungen der einzelnen Lebensversicherer sind. Daraus ergibt sich der sogenannte Sicherungsbedarf. Dieser Sicherungsbedarf wird den stillen Reserven aus festverzins-lichen Wertpapieren einerseits und dem Bilanzgewinn andererseits entgegengestellt. Erst wenn sich stille Lasten und stille Reserven wieder die Waage halten, haben die Menschen die Sicherheit, dass sie im Alter auch unter extremen Bedingungen eine Leistung bekommen. Sind die garantierten Leistungen nicht sicher, ist es den Versicherern verboten, die vielbeschworenen Bewertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapiere oder auch eine Dividende an die Aktionäre auszuzahlen. Herr Schick, ich kann nur sagen: An dieser Stelle machen wir genau den Unterschied. Wir geben das Signal, dass Haftung und Risiko zusammengehören. Deswegen macht es einen Unterschied, ob wir die Aktionäre beteiligen, indem sie eine Zeit lang keine Dividende bekommen, oder ob wir in Gewinnabführungsverträge eingreifen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Im Gegenzug werden wir den Höchstrechnungszins für neue Verträge von 1,75 Prozent auf 1,25 Prozent senken. Ich meine, auch dies ist fair; denn wenn wir den Menschen, die heute im Versicherungskollektiv sind, einen Beitrag zur Sicherung des Systems abverlangen, dann dürfen wir im Gegenzug zukünftigen Versicherten keine Versprechungen machen, die diesen Sicherungsbedarf weiter erhöhen. Wichtig ist – das ist festzuhalten –: Wir greifen nicht in die heutige Auszahlungssystematik ein, sondern bauen einen Sicherungsmechanismus ein. (Beifall bei der CDU/CSU) Dass wir damit richtig liegen, zeigt schon der Charakter der Kapitallebensversicherung. Sie ist einerseits eine Absicherung der Familie gegen einen frühen Tod – wer einmal ein Haus gebaut hat, der weiß, wie wichtig es ist, die Familie vor dem Ausfall eines Verdieners abzusichern –, andererseits ist sie auch ein Instrument des Risikoausgleichs in der Zeit. Gemeinschaftliches Sparen und Anlegen ermöglicht bessere Konditionen der Anlage und eröffnet die Möglichkeit, größere Renditeschwankungen über einen langen Zeitraum abzufedern. Wer das nicht zur Kenntnis nimmt, der handelt fahrlässig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) An dieser Stelle, Herr Schick, möchte ich die Eigenkapitalausstattung von Versicherungsunternehmen ansprechen. Die Finanzierung von Eigenkapital verursacht Kosten, die am Ende immer der Verbraucher zu zahlen hat. Die Einführung der Lebensversicherung vor knapp 200 Jahren war immer der gemeinschaftliche und damit kostengünstige Risikoausgleich, einer der großen Vorteile einer individuellen Absicherung im Kollektiv. Deshalb ist das Vermögen der Solidargemeinschaft eigenmittelfähig und auch bei einer Schieflage heranzuziehen. Deshalb wird es der Sache nicht gerecht, so zu tun, als wenn diese historische Tatsache aktiv herbeigeführt worden wäre. Die Finanzkrise und damit neue Rahmenbedingungen haben uns gelehrt, dass wir eine Eigenkapitalstärkung unserer finanzwirtschaftlichen Unternehmen brauchen. Mit Solvency II haben wir dafür aber bereits einen Katalog, der im kommenden Jahr in nationales Recht umgesetzt wird. Damit die Unternehmen diese Herausforderung überhaupt stemmen können, wird es einen Übergangszeitraum von 16 Jahren geben, innerhalb dessen alles umgesetzt ist. Genau deswegen ist es heute richtig und wichtig, die Finanzstabilität der Unternehmen und damit die Solidargemeinschaft der Versicherten zu stärken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir noch einen Schritt weiter. Seit langer Zeit wissen wir, dass es neben der gesetzlichen Rente weiterer Vorsorge für den Lebensabend bedarf. Dafür gibt es unterschiedliche -kapitalgedeckte Systeme. Unter ihnen kann jeder frei wählen. Diese Wahlfreiheit kann aber nur der effektiv nutzen, der vergleichen kann. Dazu brauchen wir Transparenz. Da die Lebensversicherung aber ein hoch reguliertes und sehr komplexes Produkt ist, müssen wir mit möglichst einfachen Mitteln Transparenz der Kosten herstellen. Deshalb haben wir uns entschieden, diese Transparenz der Kosten über eine sogenannte Gesamtkostenquote herzustellen. Das bedeutet: Die Versicherer werden künftig in ihren Produktinformationsblättern ausweisen: Wie viel Rendite kosten mich die Kosten der Lebensversicherung? Damit verfolgen wir ein analoges Verfahren zu Riester-Verträgen. Es ist ein wichtiger Schritt, um unterschiedliche Altersvorsorgeprodukte vergleichbar zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Doch nicht nur die Vergleichbarkeit ist ein wichtiges Kriterium. Altersvorsorge ist eine sehr langfristige Aufgabe. Kurzfristige Veränderungen verursachen meistens hohe Kosten und konterkarieren die Möglichkeit, den Zinseszinseffekt bei Kapitalanlagen zu nutzen. Wir wollen das Interesse an einer langfristigen Bindung zwischen Versicherern und Versicherten stärken. Deshalb begrenzen wir mit der Absenkung des Höchstzillmersatzes die Aktivierung der Abschlusskosten. Die weitergehende Forderung, die Abschlusskosten gesetzlich zu begrenzen, wie wir das schon gehört haben, lehnen wir ab. Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers, in die Preisfindung einzugreifen. Das ist in einer sozialen Marktwirtschaft Aufgabe des Wettbewerbs. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch die Forderung nach einer Änderung der Kostengewinnbeteiligung lehnen wir ab. Mit einer hälftigen Aufteilung der Kosten stellen wir nämlich sicher, dass das Interesse des Unternehmens, im Sinne der Kunden möglichst effizient zu arbeiten, überhaupt erhalten bleibt. Aus meiner Sicht ein letzter, sehr wichtiger Schritt, den wir mit diesem Gesetzentwurf gehen: Wir stärken die Aufsichtsmöglichkeiten der Bundesanstalt für -Finanzdienstleistungsaufsicht. Zukünftig kann sie von den Versicherern verlangen, dass diese sich langfristiger mit den erwarteten Geschäftsergebnissen, der Risikotragfähigkeit und auch der Solvabilität ihres Unternehmens auseinandersetzen. Dies ermöglicht beiden Seiten tiefere Einblicke in das Unternehmen, eine in volatilen und finanzpolitisch schwierigen Zeiten aus meiner Sicht sehr sinnvolle Maßnahme. Alles in allem bleibt festzuhalten: Die Ausgewogenheit des Gesetzentwurfes wurde in der öffentlichen Anhörung von fast allen Experten anerkannt. Mit dem Lebensversicherungsreformgesetz tragen wir der Sorge um eine stabile Alterssicherung Rechnung. Wer vorsorgt, soll sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass er die garantierten Versprechen seiner Altersvorsorge wirklich erhält. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird ein System etabliert, mit dem dieses Ziel erreicht wird. Deshalb bitte ich im Namen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Binding das Wort. – Ich habe an die Kolleginnen und Kollegen die Bitte, den Geräuschpegel etwas zu senken. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das macht der Lothar schon alleine!) Der Kollege Binding hat zwar eine laute Stimme, aber es wäre trotzdem für uns alle entspannter, wenn der Pegel etwas gesenkt wird. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Schlussredner zu diesem Tagesordnungspunkt möchte ich noch einmal etwas zur Dimension sagen. Wir haben 90 Millionen Lebensversicherungsverträge. Da ist ein Volumen von etwa 860 Milliarden Euro gebunden, also ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes, und da sind 80 Milliarden Euro stille Reserven. Um die geht es den ganzen Tag. Dazu ist schon viel gesagt worden. Gerhard Schick hat gesagt, wir hätten vor einem Jahr ganz anders gesprochen. Das stimmt, denn das heutige Gesetz ist Lichtjahre von dem Entwurf entfernt, den wir letztes Jahr vorgelegt bekamen. (Beifall bei der SPD) Insofern ist es richtig, anders zu formulieren. Es erschreckt mich ein wenig, dass du immer noch so formulierst wie im letzten Jahr. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Denn das zeigt ja, es ist eine gewisse Erkenntnisverweigerungshaltung. Das ist eine schwierige Angelegenheit, denn wir haben damals nicht von Ausschüttungssperre gesprochen, wir haben nicht von der höheren Beteiligung an den Risikogewinnen gesprochen, wir haben nicht von der erhöhten, wenn auch nicht vollständigen Transparenz der Provisionen und der Honorarberatung gesprochen, und insbesondere haben wir damals nicht darüber gesprochen, dass nicht nur die stillen Reserven zu verteilen wären, diese 80 Milliarden Euro. Es ist eine gute Idee, die nur für 5 Prozent der Versicherten bereitzustellen – ja, eine gute Idee für die 5 Prozent! Wir wollen die stillen Reserven für 100 Prozent der Versicherten verfügbar machen. Dann wird ein gerechter Gesetzentwurf daraus. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch haben wir früher die stillen Lasten nicht thematisiert. Auch die stillen Lasten sollen korrekt verteilt werden. Insofern ist das eine sehr kluge Gesetzgebung. Man muss schon sagen: Wenn man sich um alle kümmert, ist die Sache schwierig. Natürlich, die Versicherungskonzerne kümmern sich um sich. Die wollen Gewinne machen, wollen die bescheidenen Gehälter für ihre Manager auszahlen. Dafür haben wir Verständnis. Aber auch die Verbände kämpfen natürlich für sich, für ihre Reputation, für ihren Einfluss, ihre Einnahmen. Auch das ist verständlich. Auch die Makler kämpfen, häufig natürlich selbstlos. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Die kümmern sich aber auch um sich. Jetzt ist die Frage: Wer kümmert sich in all diesem Lobbyismus eigentlich um die Versicherten, (Beifall bei der SPD) und zwar nicht nur um die Neuversicherten, nicht nur um die Altversicherten, nicht nur um die Versicherten in spe, also um die zukünftig Versicherten? Denn wir haben eine Solidargemeinschaft, die in Deutschland eine ganz wichtige Funktion hat. Wer kümmert sich eigentlich um die Versicherten? Die Antwort ist: Wir alle. Denn die einzelnen Versicherten haben keine Lobby. Wir sind die Lobby der Versicherten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deshalb ist dieses Gesetz ein sehr gelungener Versuch, zwischen all diesen einen Ausgleich zu finden. Deshalb sind wir auch so davon überzeugt. Aber es gibt ja nichts, was nicht irgendwie noch den Restzweifel in sich trüge. Deshalb wollen wir eine Evaluierung machen, weil keiner weiß, wie sich in Zukunft Dinge am Markt entwickeln. Wenn wir dann die Eva-luierung haben, bekommen wir einen ganz stabilen Pfad, um Versicherte gerecht zu behandeln. Warum ereifere ich mich so? Der Grund ist einfach: Einmal angenommen, wir ruinierten die Versicherungen. Dann stelle sich hier jeder vor, wie unsere Gesellschaft aussähe, wenn wir keine Versicherungen mehr hätten. Deshalb wollen wir die Lebensversicherung stabilisieren. Ich glaube, dass die Versicherten mit diesem Gesetz eine gute Zukunft haben. Schönen Dank und alles Gute. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Der Kollege Schick erhält das Wort für eine Kurz-intervention. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh, oh!) – Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das gehört zu den parlamentarischen Gepflogenheiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weil die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion und von der SPD-Fraktion mich sehr persönlich angesprochen haben, möchte ich jetzt doch noch einmal kurz die Gelegenheit zur Reaktion haben. Der erste Punkt ist der zum Verfahren. Es ist ein Verfahren, das nur möglich geworden ist, weil wir ausnahmsweise im Finanzausschuss die Anhörung schon beschlossen hatten, bevor hier die erste Lesung erfolgte, und im Bundesrat ein Fristverzicht zugelassen worden ist. In der Folge war es so knapp, dass der Normenkontrollrat entgegen den Bestimmungen der Geschäftsordnung dieser Bundesregierung nicht die Zeit hatte, Stellung zu nehmen. Wenn das nicht ein extrem kurzes Verfahren für ein so wichtiges Gesetzgebungsverfahren ist, dann weiß ich nicht, was ein kurzes Verfahren ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Halten Sie sich wenigstens an die Geschäftsordnung Ihrer Bundesregierung! Wenn das kein Maßstab ist! Dann zu der Frage des Vergleichs und ob wir uns da jetzt irgendwie Argumente zusammensuchen. Wir haben immer gesagt: Wir verschließen uns einer fairen Regelung nicht. – Wir haben gemeinsam vor einem Jahr gesagt – das waren unsere Vorschläge im Vermittlungsverfahren –, dass wir im Vertrieb auch die Qualifikation der gebundenen Vermittler regeln wollen. Nichts davon steht nun im Gesetz. Es wäre ebenfalls notwendig gewesen, die Frage zu klären, ob die Ausschüttungssperre funktioniert. Das war einer der zentralen Punkte, die ich in der ersten Lesung noch gelobt habe. Aber die Anhörung hat klar gezeigt: Die Ausschüttungssperre funktioniert bei einigen Unternehmen nicht. Deswegen kann man nicht behaupten, wir suchten Gründe für eine Ablehnung. Vielmehr haben wir sehr gute Gründe, zu sagen: Dieses Gesetz leistet keinen fairen Ausgleich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Die Kollegen verzichten auf eine Erwiderung. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2016, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1772 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2025 ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Änderungsantrag auf Drucksache 18/2025 mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2026. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Die Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? – Damit ist auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/2027. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Dann ist auch dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2016 fort. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1815 mit dem -Titel „Lebensversicherungen auf den Prüfstand stellen – Kein Schnellverfahren zu Lasten der Versicherten“. Wir stimmen nun über den Buchstaben b der Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. Ist das überall der Fall? – Es ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über Buchstabe b der Beschlussempfehlung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung einer „Expertenkommission zur Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)“ Drucksache 18/1957 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Marco Wanderwitz erhält als erster Redner das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unmittelbar vor der parlamentarischen Sommerpause haben wir uns als letzte Debatte ein durchaus gewichtiges Thema vorgenommen, die Einsetzung einer Expertenkommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde. Die bewegenden Bilder von der Erstürmung der Stasizentrale in der Normannenstraße hier in Berlin am 15. Januar 1990 gingen um die Welt. Ich habe heute Vormittag die Gelegenheit genutzt, mir einige dieser Bilder anzuschauen. Für viele in Deutschland, aber auch darüber hinaus wurden sie zu einem der Symbole der Befreiung vom Willkür- und Unterdrückungsapparat der SED. Die Stasi, das Ministerium für Staatssicherheit, nach eigener Wahrnehmung „Schild und Schwert der SED“, war der Inbegriff der Diktatur der DDR. Es war die Oppositionsbewegung, die die geplante völlige Vernichtung der Stasiunterlagen verhinderte, indem sie fast alle Bezirks- und Kreisdienststellen der ehemaligen Staatssicherheit besetzte. Leider ist es in einigen Bezirken gleichwohl gelungen, sehr viel Aktenmaterial zu vernichten. Was übrig geblieben ist, sind 150 laufende Kilometer Akten, darunter rund 1,3 Millionen Fotos. Unmittelbar mit der Sicherstellung folgten die Offenlegung der Akten und damit die Weichenstellung für die tiefgreifende Aufarbeitung der SED-Diktatur. Mit der Stasi-Unterlagen-Behörde haben wir als Deutscher Bundestag – ich war damals noch nicht dabei; aber manche der heutigen Kolleginnen und Kollegen waren schon im Hohen Haus – die rechtliche Grundlage für die Aufarbeitung der Stasiunterlagen und die Zugänglichmachung für Opfer, Forschung und Bildungsarbeit geschaffen. Heute beschließen wir die Einsetzung einer Expertenkommission, die uns als Deutschem Bundestag Ratschläge geben soll, wie wir nach 2019 mit diesem Themenkomplex weiter verfahren sollen. Bis 2019 haben wir noch eine gesetzliche Grundlage, auf der die Stasi-Unterlagen-Behörde, die BStU, arbeitet. Wir als Union haben großen Wert darauf gelegt, dass der Kommissionsauftrag offen formuliert wird und dass wir, was die Strukturen betrifft, der Expertenkommission keine Vorgaben machen; denn sie soll ihre Vorschläge frei unterbreiten, allerdings auf der Grundlage der Aufgabenstellungen, die das Stasi-Unterlagen-Gesetz beinhaltet. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz hat sich bewährt. Wir haben es seit seinem Inkrafttreten 1991 insgesamt achtmal novelliert. Ich denke, es ist ein Beispiel für ein gutes Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Zugang zu den Stasiakten und ihre weitere Erschließung bleiben wichtige Voraussetzungen für die nötige weitere Aufarbeitung der SED-Diktatur. Das ist weitestgehend, über die Fraktionsgrenzen hinweg – bis auf die bekannte Ausnahme –, Konsens. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wie kommen Sie darauf?) Bereits 1994 forderte die PDS die Schließung der Behörde, weil sie die Menschen in den neuen Ländern angeblich diskriminiere und unter Generalverdacht stelle. Ich zitiere aus Bundestagsdrucksache 13/4359 aus der 13. Wahlperiode des Bundestages, einem Gesetzentwurf der PDS für ein viertes Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes von 1996: Die Persönlichkeitsrechte der als Täter charakterisierten offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit … der DDR sind weitgehend aufgehoben. Das ist völliger Unsinn, aber es ist eine klar erkennbare Geisteshaltung, die Sie bis heute einnehmen. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: So ein Quatsch!) Mit uns in der Regierungsverantwortung – ich glaube, das trifft auch auf die beiden anderen einbringenden Fraktionen zu – wird es keinen Schlussstrich unter die SED-Unrechtsaufarbeitung geben, heute nicht und auch in Zukunft nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte deshalb den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, speziell meinen beiden Berichterstatterkollegen Siegmund Ehrmann und Harald Terpe, für die gemeinsame Erarbeitung des Antrages in sehr kollegialer Atmosphäre herzlich danken. Ich glaube, das ist auch ein gutes Zeichen für die Zeit nach 2016, wenn uns die Kommission ihre Ergebnisse vorlegt. Ich hoffe und glaube, dass wir dann in ähnlicher Einhelligkeit und konstruktiver Atmosphäre gemeinsam miteinander die nötigen Novellen auf den Weg bringen können. Die wissenschaftliche Erforschung der SED-Diktatur darf sich aber nicht auf das Wirken der Staatssicherheit beschränken. Ich glaube, sie muss künftig noch stärker die Rolle der SED, der Spinne im Netz in der ehemaligen DDR, in den Fokus nehmen. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Und der Blockparteien, nicht zu vergessen!) In der ersten Debatte im Deutschen Bundestag zum Stasi-Unterlagen-Gesetz 1991 führte unser damaliger CDU/CSU-Fraktionskollege Johannes Gerster aus: Wir brauchen Regelungen, die den effektiven Schutz der Opfer und deren Persönlichkeitsrechte sichern. … Die Opfer des Stasi-Terrors müssen erfahren – soweit sie dies wollen –, was die Bespitzelungsorgane über sie zusammengetragen haben. Das ist auch heute eine gültige Forderung. Ich möchte ein paar Zahlen liefern, die unterlegen, dass das eine richtige Aussage war: Seit Bestehen der Stasi-Unterlagen-Behörde gab es rund 3 Millionen Anträge auf Akteneinsicht, rund 3,3 Millionen Ersuchen für eine Überprüfung auf eine Stasitätigkeit, fast 30 000 Forschungsaufträge und rund eine halbe Million Anträge auf Rehabilitierung oder Strafverfolgung. Schon das allein zeigt, dass diese Arbeit auch in Zukunft unverzichtbar ist. Lieber Roland Jahn – Sie sitzen oben auf der Besuchertribüne –, Ihre Behörde hat sowohl im Inland wie im Ausland hohes Ansehen und große Akzeptanz. Vielen Staaten, nicht nur in Osteuropa, dient Ihre Arbeit als Vorbild. Ihnen, Ihrer Amtsvorgängerin, Ihrem Amtsvorgänger und Ihren Mitarbeitern möchte ich heute im Namen des Hauses Dank für Ihre Arbeit sagen. Ihr Selbstverständnis als Opferbehörde ist auch das unsere. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die DDR war eine Diktatur, in der Menschenrechte massiv verletzt wurden, man der Willkür der Stasi ausgeliefert war, man Angst haben musste, seine Meinung zu sagen; Millionen Biografien wurden fremdbestimmt. Mehr als 250 000 Menschen wurden in der DDR aus politischen Gründen verhaftet. Über 1 000 Menschen verloren ihr Leben an der innerdeutschen Grenze. Ja, an der DDR klebt auch Blut. Deswegen schaue ich zum Abschluss meiner Rede nach links und stelle ganz einfach wieder einmal die Frage, ob Sie, die Linken, es heute über die Lippen bringen, diese Diktatur ohne Wenn und Aber als Unrechtsstaat zu bezeichnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner hat der Kollege Stefan Liebich das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Stefan Liebich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor wenigen Tagen starb in Leipzig der Pfarrer der Nikolaikirche Christian Führer. In einem Interview bezogen auf den Herbst 1989 hat er gerade mit Blick auf junge Menschen gesagt: Der Aufklärungsbedarf ist hoch, weil niemand unter den Zuhörern je zuvor in einer Weltanschauungsdiktatur gelebt hat. Und er ergänzte: Das einzige Mittel gegen die Staatssicherheit war die Offenheit. Ich finde es gut, dass wir heute endlich über die Zukunft dieser Behörde sprechen, die weit mehr ist als Nachlassverwalterin des Ministeriums für Staatssicherheit. (Beifall bei der LINKEN) Es kann eigentlich niemanden in diesem Hause, außer vielleicht Herrn Wanderwitz, überraschen, wenn ich jetzt sage, dass meine Fraktion die Einsetzung einer Expertenkommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde begrüßt. Wir fordern das schon sehr lange. Unsere Partei, Die Linke, hat als Rechtsnachfolgerin der PDS eine ganz besondere Verantwortung bei der Diskussion über die DDR-Geschichte – das stimmt –, die die Geschichte eines Teils unseres Landes ist. Wir haben aus unserer Geschichte gelernt: Ein Sozialismusversuch, der nicht von der großen Mehrheit des Volkes demokratisch gestaltet, sondern von einer Staats- und Parteiführung autoritär gesteuert wird, muss früher oder später scheitern. (Beifall bei der LINKEN) So steht es im Programm unserer Partei, und wir ducken uns auch nicht weg. Das ist in den Protokollen der Sitzungen dieses Hauses nachlesbar. Wir haben uns immer wieder für all diejenigen eingesetzt, die in der DDR Unrecht erlitten haben und Opfer von staatlicher Willkür geworden sind. Gerade deshalb, Herr Wanderwitz, ist es völlig inakzeptabel, dass wir als zugleich größte Oppositionsfraktion insbesondere auf Betreiben Ihrer Fraktion von der Erarbeitung und Einbringung dieses Antrages ausgeschlossen wurden. Dieses Spielchen können Sie nun wirklich langsam einmal beenden. (Beifall bei der LINKEN) Roland Jahn hat gesagt, er fände es gut, wenn die Debatte über die Kommission ausreichenden Abstand von parteipolitischen Auseinandersetzungen hätte. Es wäre schön, wenn Sie sich das zu Herzen genommen hätten. Noch ein Blick auf die CDU/CSU. Sie haben bereits im Jahr 2009 eine Expertenkommission in Aussicht gestellt. Dann ist vier Jahre lang nichts passiert. Ich glaube, die Arbeit des Beauftragten für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn – der übrigens auch von vielen Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion ins Amt gewählt wurde, wie übrigens schon der erste Stasi-Unterlagen-Beauftragte, Joachim Gauck, von vielen Abgeordneten der PDS-Fraktion in der Volkskammer gewählt wurde, machen sie nicht leichter, wenn Sie diese Debatte so lange vor sich herschieben. Wenn Sie nur halb so viel Ihrer Energie in Überlegungen zur Zukunft der Behörde gesteckt hätten wie in jene Überlegungen über die Ausgrenzung unserer Fraktion, dann hätten Sie unserem Land mehr geholfen. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben drei Prämissen für die Zukunft der Behörde. Erstens. Der Zugang der Betroffenen zu den Akten muss gesichert bleiben, unter welchem Türschild auch immer. Zweitens. Die Expertise der Behörde für die Forschungs- und Bildungsarbeit darf nicht verloren gehen. Drittens. Natürlich, Herr Wanderwitz, es darf keinen Schlussstrich unter die Debatte über die DDR geben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Darauf werden wir konsequent dringen, auch in der Arbeit der Kommission selbst; wobei das mit dem „wir“ wahrscheinlich etwas schwierig wird. Sie haben nun verabredet, dass von den 14 Mitgliedern 12 von der Koalition und 2 von der Opposition vorgeschlagen werden dürfen. Angesichts der verrückten Debatten, über die ich im Vorfeld gelesen habe, dass wir eventuell gar keinen Vorschlag machen dürften, sollten wir uns jetzt vielleicht freuen, dass wir wenigstens einen Platz vorschlagen dürfen. Ich will es aber einmal andersherum aufzäumen: 2 von 14, das ist nun wirklich kein Grund für unbändigen Jubel. Wir haben hier eine lange Debatte über Minderheitenrechte gehabt. Ich finde, das spiegelt diese Zusammensetzung hier nicht wider. Ich finde es, ehrlich gesagt, auch schade, dass die Grünen dabei mitgemacht haben. Schade ist auch, dass im Antragstext nichts über die Transparenz der Beratung der Kommission steht und schon gar nichts von begleitenden öffentlichen Debatten. Dabei wird das für die vielen Bürgerinnen und Bürger, die aus der DDR kommen, und ihre Nachkommen eine besonders wichtige Frage; denn die Menschen wollen natürlich daran teilhaben, wie die Forschungsarbeit fortgesetzt wird und wie und vor allen Dingen wo künftig die Akten eingesehen werden können. Sie haben das wahrscheinlich nicht mit böser Absicht getan, sondern es einfach so vergessen. Das wäre Ihnen nicht passiert, wenn Sie uns an der Mitarbeit beteiligt hätten. (Beifall bei der LINKEN) Es sind nicht nur Details. Deshalb werden wir uns der Stimme enthalten. Gleichwohl wünsche ich der Expertenkommission bei ihrer Arbeit namens meiner Fraktion viel Erfolg; denn diese Arbeit ist für uns alle wichtig. Ich möchte zum Abschluss unseren ehemaligen Alterspräsidenten Stefan Heym zitieren, der in seinem Buch 5 Tage im Juni völlig zu Recht formulierte, dass nur der sich der Zukunft zuwenden kann, der seine Vergangenheit bewältigt hat. Ich hoffe, dass die Kommission dazu einen wichtigen Beitrag leisten wird. Wir wünschen ihr für ihre Arbeit viel Erfolg. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Siegmund Ehrmann das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Siegmund Ehrmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute, unmittelbar vor der parlamentarischen Sommerpause, vor der sitzungsfreien Zeit, den Auftrag erteilen, eine Expertenkommission zu berufen, die sich mit der Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde beschäftigt. Dies tun wir im Jahre 2014, 25 Jahre nach der friedlichen Revolution. Herr Liebich hat an Christian Führer erinnert, den mutigen Pfarrer, Seelsorger, den Mutmacher der Leipziger Demonstrationen, ein wichtiger Mann der Freiheitsbewegung. Ich möchte aber auch an Reinhard Höppner erinnern, der vor wenigen Wochen verstorben ist. Bei beiden handelt es sich um große Persönlichkeiten, deren Andenken wir bewahren sollten. Das gilt insbesondere für Höppner, der in vielen schwierigen Debatten auch der Volkskammer seine Erfahrungen als ehemaliger Syno-daler einbringen konnte. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ruf nach Freiheit 1989 mündete sehr schnell und direkt in den unbedingten Willen nach Aufklärung, nach Aufklärung der Stasiverbrechen und des Stasiunrechts. Ich persönlich kann nur sagen: Ich bin tief im Westen geboren, habe aber eine leichte Ahnung davon bekommen, was das bedeutet, als wir uns in den 60er-, frühen 70er-Jahren mit Freunden aus der jungen Gemeinde des Kirchenkreises Selo in Ostberlin getroffen haben. Ich erinnere mich an einen Besuch von Verwandten in Erfurt in den 70er-Jahren. Das war schon wirklich bedrückend. Überträgt man das auf das, was die Repressionen letztendlich bedeuteten: Wir wissen heute sehr genau, wie Freiheit und Menschenwürde verletzt und eingeschränkt wurden. So macht das den zwingenden Wunsch verständlich, die Dokumente zu sichern, zu recherchieren, was los ist, und dies auch in einen rechtlichen Rahmen zu passen. Insofern ist das Gesetz, das die Arbeit der Stasi-Unterlagen-Behörde heute beschreibt, etwas, was eigentlich zentral dem einzigen und frei gewählten Parlament der ehemaligen DDR geschuldet ist, nämlich der Volkskammer. Dort ist der Ursprung verabschiedet worden. 1991 hat dann der Deutsche Bundestag dieses Gesetzeswerk, das immer aus der Mitte des Parlaments initiiert wurde, weiterentwickelt und als Auftrag in unsere Gesetzgebung übernommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, erinnern möchte ich auch daran: Es war nicht die Normannenstraße, die den Auftakt gemacht hat, sondern es waren die Stasizentralen in Leipzig und dann später in Rostock und in Erfurt. Dort in der Fläche – das zeigt, wie stark der Unmut war – hat es angefangen, am 4. Dezember 1989, und am 15. Januar 1990 folgten schließlich die Aktionen um die Normannenstraße. Alles das ist zu bedenken. Zentral und im Mittelpunkt stand, das Instrumentarium des Datenschutzes, der Aufklärung, der Forschung, aber auch der Rehabilitierung in das Gesetz zu schreiben. Aber unmittelbar nach der Wiedervereinigung 1990 hat die Enquete-Kommission, die sich mit dem Unrechtssystem der DDR auseinandergesetzt hat, die Quellen und Akzente der Geschichtspolitik weiterentwickelt. So erinnere ich an die Stiftung Aufarbeitung, die ein ganz wichtiger Partner ist und das Thema weit über die Aufgabenstellung der Stasi-Unterlagen-Behörde entwickelt hat. Wir haben uns im Gedenkstättenkonzept des Jahres 2008 den Auftrag gegeben, den wir heute erfüllen, nämlich eine Expertenkommission einzusetzen. Wir haben dort als Parlament ausdrücklich unterstrichen und bekundet, dass es nicht um eine Schlussstrichdebatte gehen kann; wir haben aber auch zum Ausdruck gebracht, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde keine Behörde auf Dauer, auf Ewigkeit ist, sondern dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt die Chance geben muss, darüber sorgfältig zu reflektieren. Das soll mithilfe dieser Expertenkommission geschehen. Es gibt verschiedene Prüffelder, die sorgfältig ins Auge zu fassen sind: Da geht es um das Verhältnis der Bundesstelle, der Zentrale, zu den Außenstellen. Das schließt die Frage ein: Wie ist künftig der Zugang zu den Akten? Wie ist dieser rechtlich zu organisieren? Es geht um das weite Feld der Forschung. Wie ist das eigentlich justiert, die behördeninterne Forschung im Verhältnis zur universitären Forschung? „Erinnern für die Zukunft“ ist das Thema der politischen Bildung. Da stellen sich Fragen der Zusammenarbeit und Kooperation im Verhältnis zur Stiftung Aufarbeitung, aber auch zur Bundeszentrale für politische Bildung oder/und zu den Landeszentralen für politische Bildung. Schließlich geht es um die Weiterentwicklung der authentischen Orte. Es reicht nicht aus, zu träumen, dass auf den Dächern der Normannenstraße möglicherweise irgendwann die Rolling Stones spielen, sondern es geht vor allen Dingen um die Frage: Welche pädagogischen Impulse gehen nicht nur an diesem Ort? Wie können weit über die Normannenstraße hinaus eventuell andere authentische Orte genutzt werden? (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Alles das sind Fragen, die wir zu klären haben. Dazu gehört auch die Frage des Umgangs mit den Bürgerarchiven. Da sind zu nennen das Robert-Havemann-Archiv, aber auch das Archiv der Bürgerbewegung Leipzig oder das Matthias-Domaschk-Archiv. Alle diese Fragen sind sorgfältig ins Auge zu fassen, um für die Zukunft wichtige Impulse zu setzen. Ich bedanke mich bei allen, die intensiv an dem Antrag mitgewirkt haben. Ich freue mich, dass wir uns jetzt gemeinsam auf den Weg machen. Herr Liebich, die Tatsache, dass die Experten nach einem bestimmten Vorschlagsrecht benannt werden, heißt nicht zwingend, dass diejenigen, die zum Beispiel meine Fraktion beruft, glühende sozialdemokratische Parteigänger sind. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass viele der Experten, aus welcher Ecke sie auch vorgeschlagen werden, uns fachlich sehr fundiert eine Orientierung geben werden. Es wird eine Kommission des Deutschen Bundestages sein. Wir werden sie begleiten. Es geht um wichtige Weichenstellungen. Ich wünschte mir, dass wir es tatsächlich schaffen, bis zum Frühjahr 2016 Orientierung zu bekommen, um ebendiese Weichen zu stellen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es danach eine weitergehende geschichtspolitische Debatte geben muss. Man muss das Rad nicht permanent neu erfinden. Es gibt viele öffentliche Einlassungen zu all den Themen, die ich gerade kurz touchiert habe. Ich glaube zum Beispiel, dass die Arbeit der Sabrow-Kommission, die seinerzeit durchaus zu Debatten geführt hat, Inhalte enthält, die uns weiterführen können. Insofern glaube ich, dass wir alle diese Anregungen in einem qualifizierten geschichts-politischen Dialog aufgreifen und so das Gedenkstättenkonzept fortschreiben sollten. Ich freue mich darüber, dass wir diese Arbeit gewissermaßen unmittelbar vor der Sommerpause hier gemeinsam in Gang setzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Harald Terpe das Wort. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich auch dem Gedenken an Herrn Führer und Herrn Höppner anschließen, gleichzeitig aber sagen, dass es auch vieler anderer zu gedenken gilt, die in der Zeit aktiv gewesen sind und die viel dazu beigetragen haben, dass wir heute über unsere Vergangenheit in dieser Weise diskutieren können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Gestaltung der Zukunft erfordert, sich den Anforderungen der Vergangenheit zu stellen und sich dieser zu vergewissern. Sie können mir glauben, dass ich bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema natürlich auch die eigene Vergangenheit reflektiere. Ich war am 4. Dezember 1989 in Rostock bei der Besetzung der Stasibehörde und gehörte zur Verhandlungskommission. Ich gebe etwas preis: Es ist ein Typikum in der deutschen Geschichte, dass man häufig feststellt: Als Familie hat man auf verschiedenen Seiten gestanden. An diesem Abend habe ich das in der eigenen Familie deutlich erkennen müssen. In der Wendezeit haben also viele Menschen, damals getragen von der Bürgerbewegung und denen, die für die neue demokratische Entwicklung eingetreten sind, die Stasizentralen besetzt. Es ist auch schon gesagt worden, dass es in Berlin nicht zuerst die Normannenstraße war. Sie ist als Letzte besetzt worden. Daraus ist quasi ein föderaler Aspekt der Vergangenheitsbewältigung geworden, der bis heute in der Existenz der Außenstellen auf Grundlage des Stasi-Unterlagen-Gesetzes fortgeschrieben wird. Das war, glaube ich, auch gut. Bei dieser Art der Aufarbeitung von Geschichte handelt es sich in Deutschland und international um einen beispiellosen Prozess, weil er das erste Mal ermöglicht hat, sich unmittelbar mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen und die Schmerzen, die damit verbunden sind, unmittelbar zu erleben. Das hat für die Zukunft eine viel heilendere Wirkung, als wenn man Jahrzehnte auf die Aufarbeitung der Geschichte warten muss und die Schmerzen dann beginnen. Insofern war diese Entscheidung der letzten demokratisch frei gewählten Volkskammer – mein Vater hat übrigens auch an dieser Entscheidung mitgewirkt – sehr richtig. Ich glaube, diesen Geist müssen wir weiter in die Zukunft tragen. Man muss ganz klar sagen, dass der Auftrag an die Expertenkommission, sich über die Zukunft der Behörde zu unterhalten, nicht als Signal der Abwicklung verstanden werden darf. Hier ist die Orientierung am bisherigen Gesetz ganz klar vorhanden. Es geht um eine Weiterentwicklung. Warum muss es um eine Weiterentwicklung gehen? Auch deshalb, weil wir bei der Zusammensetzung der Zuhörer – oben auf der Tribüne, aber auch hier im Saal – feststellen müssen, dass es Verantwortliche aus Ost und West und aus älteren und jüngeren Generationen sind. Wir hatten heute zwei Redner, die sagten, sie haben keine eigene Erfahrung aus diesen interessanten Tagen gemacht. Auch dieses Feld soll mit der Expertenkommission bearbeitet werden. Wie muss eine Behörde und das, was damit zusammenhängt, für die zukünftigen Generationen gestaltet werden? Die geschichtliche Dimension wird dort noch viel größer, weil es in die zukünftigen Generationen hi-neinwirkt. Ich sage aber auch, natürlich dürfen die Gefühle und Erfahrungen der Verfolgten und Bespitzelten, also der Opfer, bei der Diskussion nicht auf der Strecke bleiben. Deswegen ist es auch gut, dass wir bei der Beauftragung der Expertenkommission einen Schwerpunkt auf Rehabilitation und Opferhilfe gelegt haben. Es ist darüber hinaus wichtig – darauf verweise ich zum Abschluss meiner Rede –, zu sagen, es handelt sich unabhängig von der Aufarbeitung der eigenen Geschichte um einen Aktenbestand, der stellvertretend für viele vernichtete Aktenbestände der ehemaligen DDR steht. Wir wissen, dass bestimmte Parteiarchive nur noch teilweise erhalten sind. Deswegen ist es auch ganz wichtig, den Bestand in seiner Gesamtheit zu erhalten und nicht durch nachträgliche Bewertungen größere Bestände zu vernichten. Darauf lege ich einen Schwerpunkt. Zum Schluss lassen Sie mich sagen: Ich glaube, dass es richtig ist, zu sagen, dieser Prozess ist ergebnisoffen; natürlich nicht ganz ergebnisoffen, weil wir auch einen Auftrag erteilt haben. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse und denke, dass die Experten am Ende empfehlen werden, dass wir den Zugang zu den Akten wie -bisher sichern, dass wir auch eine regionale Erinnerungskultur erhalten und Forschung, Wissenschaft und geschichtliche Aufarbeitung kombinieren. In diesem Sinne wünsche ich der zukünftigen Expertenkommission, dass sie gute Vorschläge macht – wir werden darüber ja noch debattieren –, und Ihnen allen von meiner Seite einen schönen Sommer. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, der nächste Redner, Hartmut Koschyk, hat seine Rede zu Protokoll gegeben.2 (Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Deshalb erhält jetzt Matthias Schmidt das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Sehr geehrter Herr Jahn! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über die Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde. So steht es an der Tafel, auf der bei uns im Bundestag immer das Thema der Debatte angekündigt wird. Korrekt müsste es lauten: Wir reden über die Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, kurz BStU. Die Bevölkerung hat diese Bezeichnung nie verwandt, sondern sie hat die Behörde immer kurz nach dem jeweiligen Bundesbeauftragten bezeichnet. Zunächst war es die Gauck-Behörde, später die -Birthler-Behörde, und jetzt, Herr Jahn, ist es eben die Jahn-Behörde. Im ersten Jahrzehnt unter der Leitung des heutigen Bundespräsidenten Gauck etablierte sich in unserem gesamtdeutschen Sprachgebrauch sogar das Wort „gaucken“. Es bezog sich auf die Überprüfung, mit der im öffentlichen Dienst festgestellt werden sollte, ob jemand für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hat oder nicht. Die Bezeichnung „gaucken“ ist dann auf die beiden Nachfolger nicht mehr übertragen worden, was auch zeigt, dass die Behörde in einem Wandel steht. In jedem Fall aber verbinden sich mit dieser Einrichtung viele Tausend Schicksale von Menschen, Ehen, Familien, Arbeitskollegen und Freundschaften, überwiegend in der ehemaligen DDR. Wir sind uns hier einig, dass diese Behörde eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe erfüllt hat und immer noch erfüllt. Die Aktenführung des MfS war, wenn ich das so formulieren darf, typisch deutsch. Wer je eine Akte zu Gesicht bekommen hat, erkennt darin die erschreckende Gründlichkeit eines perfiden Systems. Sensible Akten über eine Vielzahl von Menschen galt es zu sichern, aufzubereiten, zu archivieren und den Menschen auf Antrag zu öffnen. Kollege Wanderwitz hat darauf hingewiesen: Rund 3 Millionen Bürgerinnen und Bürger haben bisher Akteneinsicht beantragt und sich damit auf einen oft schmerzhaften Weg in die eigene Vergangenheit begeben. 2009 erreichte die Zahl der Anträge mit über 100 000 in einem Jahr einen Höhepunkt. Die Zahl ist seitdem auf rund 64 000 Anträge im Jahr 2013 zurückgegangen. Gleichwohl beweist auch diese Zahl, dass die Aufgabe des Bundesbeauftragten noch längst nicht zu Ende ist. Hinter der Behörde stand von Anfang an ein Anspruch: Wir wollen begreifen. Wir wollen begreifen, wie das System der Staatssicherheit funktionierte. Wir wollen begreifen, welche Strukturen dahinterstanden. Wir wollen begreifen, wie das Leben der Menschen davon betroffen war. Der Gedanke der Aufklärung war ebenso prägend für zahlreiche Forschungsanfragen. Knapp 30 000 Anträge von Wissenschaftlern und Journalisten belegen dies. Auch das ist eine enorme Zahl. Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten ist auf der Basis der Akten entstanden. Sie haben uns dem Anspruch des Begreifenwollens nähergebracht, nicht selten mit Schmerzen, individuell und kollektiv. Heute verändern sich die Forschungsanfragen. Internationale Forschungskooperationen haben längst den Fokus erweitert. Viele dieser Erkenntnisse sind in die politische Bildungsarbeit eingeflossen. Das war und ist von hoher Bedeutung. Nicht nur die Bundeszentrale für politische Bildung und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur haben diese Erkenntnisse in ihren Bildungsprogrammen aufgegriffen, sondern auch viele kleinere Einrichtungen und Institute. Lernen aus der Geschichte: Dazu hat der BStU mit seiner Arbeit einen großen Beitrag geleistet. Das wollen wir fortführen. Gleichwohl ist die Arbeit dieser Behörde nicht als Daueraufgabe angelegt. Schon länger stellt sich die Frage, wie wir zukünftig mit der Behörde umgehen, was mit den Akten geschehen soll und wie wir den Zugang für Wissenschaft und Bürger sichern. Und noch immer sind nicht alle Akten erschlossen. Bereits Ende 2008 hat der Bundestag bei der Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts festgelegt, dass eine unabhängige Expertenkommission die Aufgaben des BStU analysieren und neu bestimmen soll. Seitdem sind mehr als fünf Jahre vergangen, und es wird Zeit, den Auftrag aus dem Gedenkstättenkonzept umzusetzen. Wir wollen mit dem Antrag eine Expertenkommission ins Leben rufen, die Bilanz zieht und Handlungsempfehlungen zur Zukunft des BStU erarbeitet. Dabei geht es keineswegs um einen Abschluss, sondern vielmehr um eine Neujustierung der Aufarbeitung. Der Aktenzugang soll ebenso gesichert bleiben wie der wichtige Auftrag der historischen und politischen Bildung. Viele Fragen sind zu klären, wie die nach der Zukunft der Außenstellen oder nach dem Ort der Archivierung der Akten. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur muss fortgeführt werden; da, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir uns sicherlich einig. Die Handlungsempfehlungen der Kommission sollen den Weg dafür weisen. Lassen Sie uns mit der Einberufung der Expertenkommission nun endlich diesen Weg beschreiten. Auch ich darf Ihnen von dieser Stelle eine angenehme Sommerpause und uns allen heute Abend ein erfolgreiches Fußballspiel wünschen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat Jörg -Hellmuth das Wort. Jörg Hellmuth (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, dass ich an dieser Stelle als gelernter DDR-Bürger von einigen ganz persönlichen Erfahrungen mit dem System der Staatssicherheit bzw. dem Umgang mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz erzähle. Es war im Sommer 1987, als ich von meinem Onkel aus Dortmund eine Einladung zum Besuch einer Tante bekam; es war, glaube ich, der 86. Geburtstag. Ich bin dann, wie es üblich war, zum Volkspolizei-Kreisamt gegangen und habe die Formalitäten erledigt. Ich hatte mit niemandem im Ort darüber gesprochen. Zwei Tage später sprach mich ein Arbeitskollege darauf an, dass ich zum 86. Geburtstag fahren wollte. – Das, meine Damen und Herren, war die erste Begegnung mit dem Staats-sicherheitssystem. Die Staatssicherheit war eben nicht nur in der Normannenstraße oder in Leipzig; sie war überall, fast in jedem Dorf. – Interessant an dieser Episode ist noch: Ich durfte fahren, aber meine Geschwister, die einige Landkreise weiter südlich wohnten, durften nicht fahren. Es war also Willkür. Einige Jahre später – es war nach der Wende; ich war mittlerweile in kommunalpolitischer Verantwortung – habe ich ein Paket mit Stasiunterlagen entgegennehmen müssen. Bei Auswertung dieser Unterlagen stellte sich heraus: Wir mussten über 20 Mitarbeiter entlassen. Meine Damen und Herren, zum damaligen Zeitpunkt habe ich noch etwas mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz gehadert. Natürlich sind wir damals angetreten, dieses Land aufzubauen; natürlich haben wir unseren Wählern auch versprochen, aufzuarbeiten. Aber wir hatten keinerlei Erfahrung: Wie sollte das denn geschehen? Wie sollte man die Zumutbarkeit feststellen? Auch unsere Berater aus den alten Bundesländern konnten uns da nicht allzu hilfreich zur Seite stehen. Unzählige Gespräche folgten, dramatische Szenen haben sich abgespielt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich kann Ihnen sagen: Der Aufbau insbesondere in den 90er-Jahren war schwierig; aber die Aufarbeitung dieses Teils der Geschichte war ungleich schwieriger. Wieder einige Jahre später – wir dachten, die Aufarbeitung wäre im Wesentlichen abgeschlossen – bekam ich noch einmal einen Bescheid zugesandt; es war ein Einzelbescheid. Der betreffende Mitarbeiter war als Hausmeister angestellt, wie schon vor der Wende. Wir dachten zuerst: Der Fall ist eindeutig. Es gab zahlreiche Berichte über kleinere Geldprämien. Aber dann wurde uns irgendwie klar: Irgendetwas stimmt hier nicht. Als wir den Mitarbeiter zum Gespräch geholt haben, hat er uns unter Tränen geschildert, was sich seinerzeit abgespielt hat. Er hatte – das nur am Rande – eine schwierige Kindheit und Jugend. Er war Hausmeister einer Kegelbahn, teilweise hat er dort übernachtet. Dort haben die hauptamtlichen Mitarbeiter der Dienststelle vor Ort regelmäßig ihre Kegelabende durchgeführt. Dieser Hausmeister bekam dann als Entschädigung ein paar Mark zugesteckt. Um das zu dokumentieren bzw. zu verrechnen, haben die hauptamtlichen Mitarbeiter die Berichte selbst geschrieben und ihn nur unterschreiben lassen. Meine Damen und Herren, so pervers war dieses System. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde mir vollends bewusst, wie wichtig das Instrument Stasi-Unterlagen-Gesetz für die tatsächliche Aufarbeitung in unserem demokratischen Rechtsstaat ist. Nach mehreren Gesprächen und nochmaliger Recherche in dem Fall des Hausmeisters haben wir dann eine Entscheidung getroffen. Ich kann Ihnen sagen: Er arbeitet heute noch als Hausmeister in dieser Behörde. Die Einsetzung einer Expertenkommission ist genau der richtige Weg. Wir können zum jetzigen Zeitpunkt noch keinen Schlussstrich ziehen. Möge die Expertenkommission uns entsprechende Hinweise geben, die uns hinterher in die Lage versetzen, die Weichen zu stellen für die hoffentlich letzte Etappe der Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels unserer Geschichte. Das sind wir den Opfern schuldig. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1957 mit dem Titel „Einsetzung einer Expertenkommission zur Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Sitzung schließe, muss ich Ihnen noch das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der -namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu den Drucksachen 18/1815 und 18/2016 mitteilen: Abgegeben wurden 538 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 437, mit Nein haben gestimmt 47, 54 haben sich enthalten. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 538; davon ja: 437 nein: 47 enthalten: 54 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Frank Heinrich (Chemnitz) Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Petra Ernstberger Saskia Esken Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Andrea Nahles Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) Enthalten CDU/CSU Uda Heller BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluss unserer heutigen Debatte. Ich wünsche Ihnen allen eine erholsame Sommerpause – ich glaube, wir können das alle gut gebrauchen –, und ich freue mich auf ein Wiedersehen im September. Heute Abend werden wir sicherlich viel Spaß haben und alle gemeinsam der deutschen Mannschaft ganz kräftig die Daumen drücken. (Beifall im ganzen Hause) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 9. September 2014, 10 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 15.14 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 04.07.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 04.07.2014 Beyer, Peter CDU/CSU 04.07.2014 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 04.07.2014 Brand, Michael CDU/CSU 04.07.2014 Dörner, Katja BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 04.07.2014 Flisek, Christian SPD 04.07.2014 Flosbach, Klaus-Peter CDU/CSU 04.07.2014 Freitag, Dagmar SPD 04.07.2014 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 04.07.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 04.07.2014 Dr. Hahn, André DIE LINKE 04.07.2014 Hartmann, Michael SPD 04.07.2014 Dr. Hirte, Heribert CDU/CSU 04.07.2014 Hochbaum, Robert CDU/CSU 04.07.2014 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 04.07.2014 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 04.07.2014 Leutert, Michael DIE LINKE 04.07.2014 Maag, Karin CDU/CSU 04.07.2014 Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 04.07.2014 Mortler, Marlene CDU/CSU 04.07.2014 Dr. Mützenich, Rolf SPD 04.07.2014 Nietan, Dietmar SPD 04.07.2014 Poschmann, Sabine SPD 04.07.2014 Poß, Joachim SPD 04.07.2014 Rief, Josef CDU/CSU 04.07.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 04.07.2014 Dr. Schröder, Ole CDU/CSU 04.07.2014 Dr. Schulze, Klaus-Peter CDU/CSU 04.07.2014 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 04.07.2014 Ulrich, Alexander DIE LINKE 04.07.2014 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 04.07.2014 Weinberg, Harald DIE LINKE 04.07.2014 Dr. Weisgerber, Anja CDU/CSU 04.07.2014 Werner, Katrin DIE LINKE 04.07.2014 Wicklein, Andrea SPD 04.07.2014 Wöhrl, Dagmar G. CDU/CSU 04.07.2014 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (46. Sitzung, Tagesordnungspunkt 6 b) In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD-Bundestagsfraktion unter anderem mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ (Drucksache 17/1769) klar für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. Auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 ist diese Position ebenso klar formuliert worden: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür tritt die SPD auch inhaltlich weiterhin ein. Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vereinbart werden konnte und in der aktuellen Regierungskoalition daher derzeit leider keine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden ist. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten jedoch viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung, wozu auch die sachgrundlose Befristung zählt, wirken werden. Beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die -erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert bzw. gegen deren Missbrauch vorgegangen. Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Daher werde ich dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wird aber auch weiterhin mein erklärtes politisches Ziel bleiben, wofür ich mich auch zukünftig einsetzen werde. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Peer Steinbrück (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (46. Sitzung, Tagesordnungspunkt 6 b) Ich habe nach der falschen Abstimmungskarte gegriffen. Mein Votum lautet Nein. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Hartmut Koschyk (CDU/CSU) zur Beratung des Antrags: Einsetzung -einer „Expertenkommission zur Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehe-maligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)“ (Tagesordnungspunkt 28) Wir alle können stolz sein: Denn Deutschland verdankt seine staatliche Einheit in Freiheit vor allem dem Mut der Bürgerinnen und Bürger. Die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit hatte die SED in ihrem Machtbereich zwar unterdrücken, aber nicht auslöschen können. Deutsche Einheit und Fall der Mauer stehen für die Kraft, die von den Werten Freiheit, Demokratie und Zivilcourage ausgeht, und die Kraft, die in einem Volk stecken kann, wenn es entschlossen ist, diesen Werten Geltung zu verschaffen. Erinnern wir uns: In einem weltweit einmaligen Vorgang wurden 1989/90 im Zuge der friedlichen Revolution in der DDR die Dienststellen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR von Demonstranten besetzt. Damit wurde die Auflösung dieser Geheimpolizei erzwungen. Zeitweise wurden Dienststellen der ehemaligen DDR-Geheimpolizei besetzt, um die Vernichtung von Akten zu stoppen. Ziel war es, dass jeder Betroffene das gesetzliche Recht auf Einsicht in seine Akten erhalten sollte. Am 3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung, an dem Millionen Ostdeutsche nach 56-jähriger Herrschaft von Diktatoren, die sie durch ihre friedliche Revolution abgeschüttelt hatten, endlich freie Bürger sein durften, wurde der heutige Bundespräsident Joachim Gauck zum Sonderbeauftragten der Bundes-regierung für die Stasi-Unterlagen ernannt. Ende Dezember 1991 trat schließlich das Stasi-Unterlagen-Gesetz in Kraft, und aus dem „Sonderbeauftragten“ wurde 1991 der erste „Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“. Die Behörde des Bundesbeauftragten, BStU, leistet seit 23 Jahren einen unschätzbaren Beitrag zur persönlichen und öffentlichen Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur, und das Interesse an der Akteneinsicht ist weiterhin groß. Insgesamt 6 876 003 Ersuchen und Anträge gingen von 1992 bis Ende 2013 bei der Behörde des Bundesbeauftragten ein, darunter über 2,98 Millionen Anträge von Bürgern auf Auskunft, Akteneinsicht und Herausgabe, davon 80 611 im Jahr 2011, 88 231 im Jahr 2012 und 67 743 in 2013. Mit dem zeitlichen Abstand zum Ende der DDR sinkt naturgemäß die Zahl derer, die noch nicht in ihre Unterlagen geschaut haben. Trotz rückläufiger Zahlen muss aber auch in Zukunft gewährleistet sein, dass es zu keiner Verschlechterung bei der Nutzung der Akten durch Bürgerinnen und Bürger, Forschung, Bildung, Medien und öffentlicher Stellen kommt. Die Behörde des Bundesbeauftragten bleibt auch in Zukunft für die demokratische und rechtsstaatliche Aufarbeitung der SED-Diktatur von hoher Bedeutung, und diese Rolle wird auch nicht angetastet werden. Die Taten des DDR-Unrechtsstaates dürfen nicht vergessen werden! Sie sind Mahnung an uns alle, uns tagtäglich die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vor Augen zu führen. Insbesondere im Hinblick auf die kommenden Generationen, die keine eigenen Erfahrungen mit der Zeit der deutschen Teilung besitzen, ist es wichtig, die Erinnerungskultur an das erlittene Unrecht lebendig zu halten. 25 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur hat sich inzwischen erfreulicherweise eine breite und vielfältige Institutionenlandschaft entwickelt, die die Auseinandersetzung mit der zweiten, der kommunistischen Diktatur in einem Teil unseres Landes auf allen Ebenen befördert. An dieser Stelle sei nur die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, deren Stiftungsrat ich angehöre, das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig sowie die Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung genannt, aber auch die vielen Vereine, Opferverbände und Gedenkstätten an historischen Orten der Repression. Heute nimmt die Bundesbehörde des Bundesbeauftragten somit nicht mehr allein gebündelt die wesentlichen Aufgaben der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staats-sicherheitsdienstes wahr. CDU, CSU und SPD haben daher in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, eine Expertenkommission einzusetzen, die bis zur Mitte der Legislaturperiode Vorschläge erarbeitet, wie und in welcher Form die aus dem Stasi-Unterlagen-Gesetz, StUG, resultierenden Aufgaben des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staats-sicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, BStU, fortgeführt werden und wann das geschieht. Insbesondere auch als stellvertretender Stiftungsratsvorsitzender der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ und langjähriges Mitglied des Beirates beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR danke ich allen Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dass sie gemeinsam mit den Fraktionen von CDU/CSU und SPD die Errichtung genannter Expertenkommission unterstützen und den Antrag zur Einsetzung einer „Expertenkommission zur Zukunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, BStU“ mitgezeichnet haben. Gemeinsam setzen wir damit fraktionsübergreifend ein Zeichen der Geschlossenheit und Entschlossenheit, die Erinnerung an das erlittene Leid unzähliger Bürgerinnen und Bürger in unserem Land lebendig zu halten und dass Willkürakte und Terror seitens der Staatsgewalt in unserem Land nie wieder sein werden! Wenn meine Fraktion gemeinsam mit den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag an das Haus stellt, eine Expertenkommission zu bestellen, die über die Zukunft des Büros des Bundesbeauftragten befinden soll, dann geschieht dies nicht mit der Absicht, einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Deutschland zu ziehen. Im Gegenteil, wir sind der Überzeugung, dass die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur eine dauerhafte, gesamtgesellschaftliche und im besten Sinne gesamtdeutsche Aufgabe bleibt. Die Expertenkommission soll ergebnisoffen, aber unter klaren Prämissen, eine Empfehlung abgeben, wie die Aufgaben der Bundesbehörde des Bundesbeauftragten langfristig weiter erfüllt werden können. Denn eines ist klar: Der Zugang zu den Stasiakten muss mindestens in der bisherigen Form gewährleistet bleiben, und auch die Auseinandersetzung mit der Stasi als dem wichtigsten Repressionsinstrument der SED bleibt eine dauerhafte Aufgabe der schulischen und vor allem auch außerschulischen historisch-politischen Bildung. Ob diese und andere Aufgaben in der bisherigen institutionellen Form weiterverfolgt oder anderen Institutionen übertragen werden sollen, wird Untersuchungsgegenstand der Expertenkommission sein. Die Einrichtung der Expertenkommission wird aber in keiner Weise die Möglichkeit der Bürgerinnen und Bürger, der Medien und der öffentlichen Stellen zur Akteneinsicht nachteilig beeinflussen. Selbstverständlich werden die Aufarbeitung des DDR-Unrechts und die Auswertung der Akten der Stasi weiter vorangehen – auch wenn parallel eine Expertenkommission über die Zukunft der Bundesbehörde des Bundesbeauftragten beraten wird. Es gilt zu klären, wie die Aufgaben der Behörde des Bundesbeauftragten langfristig und in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen effizient und sachgerecht fortgeführt werden. Hierzu wird die Expertenkommission Handlungsempfehlungen erarbeiten, die dem Deutschen Bundestag als Grundlage für weitere Entscheidungen über die Zukunft der Bundesbehörde des Bundesbeauftragten und zur Weiterentwicklung der Aufarbeitung der DDR-Diktatur dienen werden. Im Hinblick auf die Zusammensetzung der Expertenkommission haben wir uns darauf verständigt, dass dieser keine aktiven Mitglieder des Deutschen Bundestages angehören werden. Wir verdeutlichen damit den Menschen in unserem Land, von welch großer gesellschaftspolitischer Bedeutung über Parteigrenzen hinweg die Aufarbeitung des erlittenen DDR-Unrechts in unserem Land ist und bleibt. Wir wollen die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der ehemaligen DDR ein Vierteljahrhundert nach ihrer friedlichen Überwindung zukunftsfähig machen. Dazu gehört selbstverständlich auch die Evaluation einer Einrichtung, die 1990 zur Sicherung, Erschließung der Stasi-Unterlagen und der mit ihnen verbundenen Anfragen auf Akteneinsicht in den verschiedenen Zusammenhängen geschaffen worden war. Wir haben gelernt, dass die Aufarbeitung von Diktaturen ein langwieriger Prozess ist, in dessen Verlauf immer wieder neue Fragen gestellt oder alte Fragen neu gestellt werden. Die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur ist dabei kein Selbstzweck, sondern soll den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie, zwischen einfachen, aber in der Konsequenz immer totalitären Heilsversprechen und den Mühen der demokratischen Ebene deutlich machen. Und diese Aufgabe bleibt dauerhaft bestehen. Anlage 5 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) zur Beratung des Antrags: 20 Jahre nach Kairo – Bevölkerungspolitik im Kontext internationaler Entwicklungszusammenarbeit und der Post-2015-Agenda (46. Sitzung, Tagesordnungspunkt 31) Vor 40 Jahren startete in Bukarest ein weltweites Umdenken. Menschenrechte, Menschenwürde und die Stärkung des Individuums wurden zum Kern der internationalen Bevölkerungspolitik. Menschenrechte dürfen nicht nur Männerrechte sein. In Konsequenz daraus rückte der Stand von Frauen in der Gesellschaft in den Fokus. Heute herrscht genauso Konsens darüber, dass Frauen das Fundament einer demokratischen Gesellschaft sind, wie Konsens darüber herrscht, dass eine wachsende Weltbevölkerung nur durch die weltweite Gleichberechtigung von Frauen in den Griff zu bekommen ist. Simone de Beauvoir schrieb 1949 und damit 25 Jahre vor der ersten Weltbevölkerungskonferenz in Das andere Geschlecht: „Am Rande der Welt situiert zu sein, ist keine günstige Ausgangslage für einen, der vorhat, die Welt neu zu erschaffen.“ Da Gewalt, Rechtlosigkeit und Unterdrückung heute aber immer noch die Lebenssituation von zig Millionen Frauen vor allem, aber nicht nur in Entwicklungs- und Schwellenländern kennzeichnen, ist unsere aktive Unterstützung der Gleichstellung der Frauen oberstes Gebot. Dies stellen wir klar mit unserem Antrag dar. Indien hat in der letzten Zeit immer wieder international Schlagzeilen gemacht durch brutalste Vergewaltigungen bei denen fast immer der Tod des Opfers in Kauf genommen wurde oder das Opfer im Anschluss an die Tat ermordet wurde. In den Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt wird Vergewaltigung zunehmend als Waffe gebraucht. Dies ist keine neue Problematik, und ich würde mir wünschen, dass es diesbezüglich international ähnliche Aufschreie geben würde wie bei einem Schiedsrichterfehler in der laufenden Fußballweltmeisterschaft, jedoch ist die steigende Entwicklung in Zahl und Brutalität ein wachsendes Unrecht, dem entschieden begegnet werden muss. Systematische Vergewaltigungen wie in Ruanda, in Bosnien oder im Kongo müssen international geächtet werden. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist mit der Konferenz zu sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten in London diesen Monat vollzogen worden, an der Vertreter von 117 Nationen sowie von Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen teilgenommen haben. Dort wurde ein Protokoll verabschiedet, das Richtlinien festlegt, wie sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten als solche erkannt und verfolgt werden kann. Darüber hinaus müssen wir jedoch auch den Opfern jegliche Unterstützung gewähren, um mit den Folgen der Vergewaltigungen umzugehen. Neben den Aspekten der Rechte von Frauen und der Gewalt gegen Frauen ist der Aspekt der Bildung von zentraler Bedeutung. Auch dies betont unser Antrag. Nur wenn es gelingt, Mädchen und Frauen denselben Zugang zu Bildung zu ermöglichen wie Jungen und Männern, können sie Rechte erlangen und auch wahrnehmen. Nur durch Bildung werden Frauen befähigt, qualifizierter Arbeit nachzugehen. Nur mit qualifizierter Arbeit können Frauen ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten und Unabhängigkeit erlangen. Mit unserem Antrag „20 Jahre nach Kairo – Bevölkerungspolitik im Kontext internationaler Entwicklungszusammenarbeit und der Post-2015-Agenda“ unterstützen wir die weltweite Ermächtigung von Frauen und fordern wir auch die Bundesregierung auf, dem nachzukommen. Anlage 6 Amtliche Mitteilungen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Finanzausschuss – Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung über den Vollzug der Steuergesetze, insbesondere im Arbeitnehmerbereich Drucksachen 17/8429, 18/770 Nr. 7 Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über bislang geprüfte Optionen zur Steigerung von Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit sowie über Maßnahmen zur stärkeren Berücksichtigung von Öffentlich-Privaten Partnerschaften als Beschaffungsvariante der öffentlichen Hand Drucksache 17/13749 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2012 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen im ersten Vierteljahr des Haushaltsjahres 2012 Drucksachen 17/9863, 18/770 Nr. 8 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2012 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen im zweiten Vierteljahr des Haushaltsjahres 2012 Drucksachen 17/10556, 18/770 Nr. 9 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2012 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen im dritten Vierteljahr des Haushaltsjahres 2012 Drucksachen 17/11727, 18/770 Nr. 10 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2012 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen im vierten Vierteljahr des Haushaltsjahres 2012 Drucksachen 17/12605, 18/770 Nr. 11 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.9 EP P7_TA-PROV(2013)0418 Drucksache 18/419 Nr. A.10 EP P7_TA-PROV(2013)0446 Drucksache 18/1393 Nr. A.2 EuB-BReg 27/2014 Drucksache 18/1393 Nr. A.3 EuB-BReg 35/2014 Drucksache 18/1393 Nr. A.4 EuB-BReg 36/2014 Drucksache 18/1393 Nr. A.5 EuB-BReg 37/2014 Drucksache 18/1393 Nr. A.7 EuB-BReg 39/2014 Drucksache 18/1393 Nr. A.8 EuB-BReg 40/2014 Drucksache 18/1393 Nr. A.9 EuB-BReg 41/2014 Drucksache 18/1393 Nr. A.12 Ratsdokument 7941/14 Drucksache 18/1393 Nr. A.13 Ratsdokument 7942/14 Drucksache 18/1393 Nr. A.14 Ratsdokument 7943/14 Drucksache 18/1393 Nr. A.15 Ratsdokument 7944/14 Drucksache 18/1393 Nr. A.16 Ratsdokument 8595/14 Drucksache 18/1524 Nr. A.1 Ratsdokument 8547/14 Drucksache 18/1707 Nr. A.1 Ratsdokument 9467/14 Innenausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.21 EP P7_TA-PROV(2013)0384 Drucksache 18/419 Nr. A.23 EP P7_TA-PROV(2013)0419 Drucksache 18/419 Nr. A.24 EP P7_TA-PROV(2013)0444 Drucksache 18/419 Nr. A.29 Ratsdokument 14529/13 Drucksache 18/419 Nr. A.34 Ratsdokument 16596/13 Drucksache 18/419 Nr. A.35 Ratsdokument 16597/13 Drucksache 18/419 Nr. A.36 Ratsdokument 16603/13 Drucksache 18/544 Nr. A.16 Ratsdokument 17144/13 Drucksache 18/544 Nr. A.17 Ratsdokument 17268/13 Drucksache 18/1393 Nr. A.20 Ratsdokument 8415/14 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/1393 Nr. A.31 Ratsdokument 7956/14 Drucksache 18/1393 Nr. A.32 Ratsdokument 8194/14 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 18/419 Nr. A.104 Ratsdokument 16472/13 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 18/419 Nr. A.155 EP P7_TA-PROV(2013)0423 Drucksache 18/822 Nr. A.35 EP P7_TA-PROV(2014)0109 Drucksache 18/1048 Nr. A.17 EP P7_TA-PROV(2014)0173 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 18/642 Nr. A.12 Ratsdokument 5856/14 Drucksache 18/1707 Nr. A.7 Ratsdokument 9770/14 1Ergebnis Seite 4407 C 2Anlage 4 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 4392 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung, Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung, Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4393 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 4418 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung, Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung, Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4417