Plenarprotokoll 18/55 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 55. Sitzung Berlin, Freitag, den 26. September 2014 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Drucksachen 18/2583, 18/2625 5071 B Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 5071 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 5073 D Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) 5075 A Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5076 C Dr. Carola Reimann (SPD) 5077 D Diana Golze (DIE LINKE) 5079 A Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 5080 A Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5082 B Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 5083 C Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 5084 D Bettina Hornhues (CDU/CSU) 5086 B Eckhard Pols (CDU/CSU) 5087 C Tagesordnungspunkt 20: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung Drucksache 18/2586 5089 A b) Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbau und Qualität in der Kinderbetreuung vorantreiben Drucksache 18/2605 5089 B Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF 5089 B Diana Golze (DIE LINKE) 5091 C Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 5093 A Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5094 C Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) 5095 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 5098 A Bettina Hagedorn (SPD) 5099 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5101 A Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 5102 A Bernhard Daldrup (SPD) 5103 B Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 5105 A Ulrike Gottschalck (SPD) 5107 A Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von den Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Einführung von Gruppenverfahren Drucksache 18/1464 5107 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5108 A Sebastian Steineke (CDU/CSU) 5109 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5110 C Caren Lay (DIE LINKE) 5111 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 5112 C Dirk Wiese (SPD) 5113 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 5114 B Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 5115 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5116 B Tagesordnungspunkt 22: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zum Anerkennungsgesetz Drucksache 18/1000 5116 D Stefan Müller, Parl. Staatssekretär BMBF 5116 D Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 5118 B Dr. Karamba Diaby (SPD) 5119 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5120 C Cemile Giousouf (CDU/CSU) 5121 D Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 5123 A Katrin Albsteiger (CDU/CSU) 5124 A Tagesordnungspunkt 23: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung – 17. Legislaturperiode – Drucksache 17/14325 5125 B Stefan Müller, Parl. Staatssekretär BMBF 5125 C Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 5126 D Saskia Esken (SPD) 5127 D Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5128 D Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) 5130 A Oliver Kaczmarek (SPD) 5131 A Matern von Marschall (CDU/CSU) 5132 A Tagesordnungspunkt 24: a) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augsburg), Dr. Frithjof Schmidt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wirtschaftspartnerschaftsabkommen stoppen – Für neue Verhandlungen ohne Druck und Fristen Drucksache 18/2603 5133 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen – Soziale Ungleichheit weltweit überwinden Drucksachen 18/1328, 18/1916 5133 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen – Neustart ohne Drohungen und Fristen Drucksachen 18/1615, 18/2073 5133 B Heike Hänsel (DIE LINKE) 5133 C Tobias Zech (CDU/CSU) 5134 D Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5136 C Dr. Bärbel Kofler (SPD) 5137 D Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 5139 B Heike Hänsel (DIE LINKE) 5140 D Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 5141 A Dr. Sascha Raabe (SPD) 5141 B Nächste Sitzung 5142 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 5143 A Anlage 2 Amtliche Mitteilung (Nachtrag zur 51. Sitzung) 5144 A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 5144 C Inhaltsverzeichnis 55. Sitzung Berlin, Freitag, den 26. September 2014 Beginn: 9.00 Uhr Vizepräsidentin Petra Pau: Guten Morgen! Nehmen Sie bitte Platz. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Sitzung kann nicht beginnen, weil der Präsident nicht da ist!) – Kollege Kauder, ich würde gern die Sitzung eröffnen. Könnten Sie mir bitte Ihre Aufmerksamkeit schenken? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Sie über einige Sachverhalte unterrichten. Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt, wegen des gesetzlichen Feiertages am Freitag, dem 3. Oktober, die Frist für die Einreichung der Fragen zur mündlichen Beantwortung in der Sitzungswoche vom 6. Oktober auf Montag, den 6. Oktober 2014, 10 Uhr, zu verlegen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/2588, der sich mit einem Internen Abkommen zwischen den im Rat vereinigten Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die Finanzierung vorgesehener Hilfen im Rahmen des AKP-EU-Partnerschaftsabkommens beschäftigt, dem Haushaltsausschuss zur Mitberatung sowie zur Berichterstattung nach § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Sind Sie auch damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Drucksachen 18/2583, 18/2625 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Unruhe bei der CDU/CSU) – Ich nehme zurzeit Rücksicht auf die Kommunikationsbedürfnisse in der Unionsfraktion, würde aber gern die Aussprache eröffnen. (Eckhard Pols [CDU/CSU]: Bitte, Frau Präsidentin! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Legen Sie mal los, bitte! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aus unserer Sicht kann es losgehen!) – Das ist schön. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Manuela Schwesig. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir schlagen heute ein neues Kapitel in der Familienpolitik auf, einer modernen Familienpolitik, die darauf setzt, Beruf und Familie zu vereinbaren, Schluss damit zu machen, dass es ein gegenseitiges Aufrechnen zwischen Zeit für Familie und Zeit für den Job gibt, sondern beides zu ermöglichen. Das wünschen sich heute die jungen Paare in Deutschland. Das wünschen sich die Mütter: wieder in den Job einsteigen zu können, aber auch Zeit für Familie zu haben. Und das wünschen sich vor allem die Väter. Jeder zweite Vater sagt: Ich will neben meiner Berufstätigkeit natürlich auch Zeit für Familie haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Was ihr alles wisst!) Das Familienleben ist in den letzten Jahren bunter geworden. Es gibt die vielen Paare, ob mit Trauschein oder ohne, es gibt die vielen Alleinerziehenden, aber auch Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien. All diese Familienformen eint, dass dort Menschen leben, die partnerschaftlich Verantwortung übernehmen: füreinander, für Kinder, aber auch für pflegebedürftige Angehörige. Deshalb muss moderne Familienpolitik darauf setzen, diese Familienformen zu unterstützen. Sie darf den Familien nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben, sondern muss sagen: Wenn ihr für Kinder oder für pflegebedürftige Angehörige da seid, dann unterstützen wir euch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) In der Lebenswirklichkeit vieler Familien, gerade bei jungen Paaren, sieht es so aus, dass sie spüren, dass sie sich in einer Rushhour befinden. Die Rushhour des Lebens findet oft in der Zeit zwischen 25 und 45 Jahren statt; das kann variieren. Die jungen Leute müssen und wollen in dieser Zeit im Beruf durchstarten. Sie brauchen eine Existenzgrundlage für die Familie. Sie brauchen auch berufliche Perspektiven. In der gleichen Lebensphase wünscht man sich aber auch Kinder und fragt sich: Wie geht es weiter mit dem Vater, der pflegebedürftig wird? Zudem wollen wir, dass sich alle ehrenamtlich engagieren, zum Beispiel im Sportverein oder im Elternrat. All das kommt in dieser Lebensphase zusammen. Mein Wunsch und das Ziel der Koalition ist, diese Lebensphase zu entzerren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist keine Lüge, sondern ein Anspruch, den die Familien haben. Die Politik muss alles dafür tun, dass dieser Anspruch auch realisiert werden kann. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Es ist eine Frage, die Mütter und Väter betrifft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Um diese Vereinbarkeit zu schaffen und um die Rushhour des Lebens für junge Familien zu entzerren, brauchen wir eine Zeitpolitik für beide Geschlechter, so wie es der Deutsche Bundestag im März anlässlich des Internationalen Frauentags gefordert hat. Meine Idee einer Zeitpolitik für Familien ist, dass man sich die Zeit für Job und für Familie partnerschaftlich teilen kann. Wir wollen ein Arbeitszeitmodell für Familien gestalten, das beides ermöglicht: einen guten Job mit gutem Einkommen und guten Perspektiven zu machen, aber auch gleichzeitig Zeit für die Familie zu haben. Deshalb habe ich die Debatte über eine Familienarbeitszeit angestoßen. Neun von zehn Frauen und Männern zwischen 20 und 39 Jahren finden heute, dass Mütter und Väter sich gemeinsam um das Kind kümmern sollen. 81 Prozent sehen beide Partner für das Familieneinkommen in Verantwortung. Eine partnerschaftliche Aufteilung in der Familie ist das, was sich viele Paare wünschen. Die wenigsten realisieren diesen Wunsch aber, weil sie spüren, dass durch den Druck, unter dem sie in der Arbeitswelt und im Familienleben stehen, beides gleichzeitig nicht so gut gelingt. Die Männer arbeiten 40 Stunden und mehr und wünschen sich eine gewisse Arbeitszeitreduzierung, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Die Frauen hängen bei einer Arbeitszeit von durchschnittlich 19 Stunden und würden eigentlich gern mehr arbeiten, um ihre beruflichen Perspektiven zu verbessern. Das anzugleichen, ist die Idee einer Arbeitszeit für Familien. Mir begegnen immer zwei Vorurteile, die zeigen, dass sich einige mit diesem Thema noch nicht wirklich beschäftigt haben und vielleicht noch nicht in der Lebenswirklichkeit der Familien angekommen sind: Das erste Vorurteil ist: Wir können das den Familien doch nicht vorschreiben. – Natürlich nicht. Das will auch gar keiner. Die Familien wünschen sich aber eine partnerschaftliche Aufteilung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Wenn sie es sich wünschen, müssen wir es ermöglichen. Es geht um ein Angebot und nicht um eine Vorschrift für Familien. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Das zweite Vorurteil ist: Wir belasten die Wirtschaft. – Hallo? Das Gegenteil ist der Fall. Wenn mehr Frauen Zeit für den Job haben und leichter wieder in den Beruf einsteigen können, dann entspricht das doch dem, was sich die Wirtschaft wünscht: gutes Fachkräftepotenzial zu haben. Das Potenzial für unsere Wirtschaft liegt bei den Frauen, wie die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, zu Recht gesagt hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Modell hilft nicht nur den Familien, sondern ist auch gut für die Arbeitswelt und damit für die Wirtschaft. Denn hier kommen zwei Dinge zusammen, die gut passen. Wie viele Stunden im Rahmen der Familienarbeitszeit geleistet werden – 30, 32 oder 35 –, muss nicht vorgeschrieben werden. Wir müssen nur die Möglichkeit dazu schaffen. Mit dem neuen Elterngeld Plus machen wir heute den ersten wichtigen Schritt. Das Elterngeld Plus hebt das bisherige Elterngeld auf die Höhe der Zeit. Es hat drei Schwerpunkte: Erstens. Es erleichtert die Kombination von Elterngeld mit Teilzeitarbeit. Eltern, die in der Elternzeit Teilzeit arbeiten, bekommen länger Elterngeld Plus und haben damit über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit, Zeit für die Familie und Zeit für den Job zu haben. Zweitens. Wenn Mütter und Väter gemeinsam Teilzeit arbeiten, wenn sie es partnerschaftlich tun, dann bekommen sie einen zusätzlichen Bonus, mit dem die Idee der Partnerschaftlichkeit befördert wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit dem Elterngeld Plus und dem Partnerschaftsbonus setzen wir die Idee der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie um. Drittens. Wir wollen aber auch, dass Familien mehr Möglichkeiten haben, entsprechend ihrer Familiensituation Auszeiten zu nehmen. Es wird der Realität nicht gerecht, nur auf die ersten drei Jahre zu schauen. Für viele Eltern stellt sich vielmehr die Frage, ob sie beispielsweise dann mehr Zeit mit dem Kind verbringen können, wenn es in die Schule kommt. Das ist ein Einschnitt für die Familien, eine neue, schöne Herausforderung, eine Zeit, in der man vielleicht noch einmal mehr Zeit für das Kind braucht. Deshalb ist es gut, dass die Koalition gemeinsam beschlossen hat, zukünftig die Elternzeit flexibler zu gestalten: Eltern können zukünftig bis zu 24 Monate Elternzeit zwischen dem dritten und achten Geburtstag des Kindes nehmen. Damit berücksichtigen wir insbesondere die Schulzeit, und das ist wichtig für die Familien. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe es in dieser Woche wieder selbst erlebt: Am Dienstag habe ich den Sohn vom Sportverein abgeholt. Hinterher gab es einen Elternabend im Sportverein; da war mein Mann. Gleichzeitig mussten wir am Abend zum Elternabend in die Schule. Zum Glück war die Oma für den Sohn da. Zwischendurch mussten auch noch die Hausaufgaben gemacht werden. Ich habe Glück; denn ich habe einen Fraktionsvorsitzenden, der sagt: Klar, dass du da nicht bei der Fraktionssitzung dabei sein kannst und zu Hause sein musst. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank. Ich weiß aber, dass das für viele Eltern noch nicht Alltag ist, sondern es wenig Verständnis dafür gibt, wenn einem Zeiten mit der Familie manchmal wichtiger sind. Deswegen brauchen wir eine Arbeitswelt, die familienfreundlicher wird. Nicht die Familien müssen immer arbeitsfreundlicher werden, sondern die Arbeitswelt familienfreundlicher. Das ist dann eine Win-win-Situation für Arbeitswelt und Familie. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dazu gehört auch, dass wir die Infrastruktur ausbauen. Diesbezüglich werden wir gleich ein zweites Gesetz miteinander beraten. Wir brauchen mehr Kitaplätze, gute Ganztagsbetreuungsplätze und auch Ganztagsschulen in unserem Land. Damit aus der Kombination, aus dem Dreiklang aus Infrastruktur – also gute Kitas und Ganztagsschulen für Kinder und Familien –, finanzieller Unterstützung – wie das gute Kindergeld, das Armut bekämpft – und Zeit für Familie, moderne Familienpolitik wird, die nicht nur darauf setzt, dass die Mütter für die Kinder da sind, sondern auch darauf setzt, dass Kinder Mütter und Väter haben und beiden die Zeit für Familie gegeben wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Anhörung hat gezeigt, dass es große Zustimmung zu diesem Gesetz, zum neuen Elterngeld Plus gibt – von den Familienverbänden, von den Gewerkschaften, auch von der Wirtschaft. Auch die Länder haben das Elterngeld Plus im Bundesrat parteiübergreifend begrüßt. Mir ist wichtig, zu sagen, dass das neue Elterngeld Plus auch eine Unterstützung für Alleinerziehende ist. Auch die Alleinerziehenden können zum Beispiel den Partnerschaftsbonus in Anspruch nehmen. Aus den Ländern gibt es eine Anregung, wie wir die Alleinerziehenden beim Elterngeld Plus noch besser berücksichtigen können. Ich werbe dafür, diesen Ländervorschlag im weiteren parlamentarischen Verfahren zu prüfen. Ich halte ihn für gut. Insofern freue ich mich auf das parlamentarische Verfahren. Ich bedanke mich bei den Regierungsfraktionen für die Unterstützung bei der Einbringung des Gesetzentwurfes hier ins Parlament. Ich freue mich jetzt auf die Beratungen. Elterngeld Plus und – im Anschluss – das neue Kitagesetz sind wichtige Fortschritte für die Familien im Land, und die wollen wir schnell auf den Weg bringen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schwesig, Sie haben den Gesetzentwurf schön dargestellt, mit den Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern sollen – Maßnahmen, welche die Linke schon seit langem fordert, wie Flexibilisierung der Elternzeit, Abschaffung des doppelten Anspruchsverbrauchs bei Teilzeit während der Elternzeit. Somit steht meine Fraktion der geplanten Reform grundsätzlich positiv gegenüber. Im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung besteht aber erheblicher Nachbesserungsbedarf. Dem wird in den Beratungen, auf die auch Sie sich freuen, hoffentlich entsprechend positiv entsprochen. Ich will nur einige Punkte aufgreifen. Zum Thema Alleinerziehende. Frau Schwesig, Sie haben ausgeführt, dass auch diese in den Genuss der Partnermonate kämen. Sie haben aber wohlweislich die Voraussetzungen dafür unterschlagen; denn die sind äußerst kritisch zu bewerten. Hier wird an der alten Regelung festgehalten, die an das alleinige Sorgerecht bzw. das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht anknüpft. (Dr. Carola Reimann [SPD]: Da machen wir noch was!) Seit 2013 wurde durch die Sorgerechtsreform der Bundesregierung aber ein anderes Leitbild für das Sorgerecht verankert. Der Gedanke der gemeinsamen elter-lichen Sorge sollte wieder in den Vordergrund des Denkens der Menschen geraten. Einerseits will der Gesetzgeber die gemeinsame elterliche Sorge von nicht oder nicht mehr miteinander verheirateten Paaren etablieren, andererseits schließt er ebendiese beim Bezug der Partnermonate und des Partnerschaftsbonus aus. Hier werden Alleinerziehende, die ohnehin schon über Gebühr gefordert sind, entgegen dem neu verankerten Leitbild gezwungen, sich von ebendiesem zu verabschieden nach dem Motto „Willst du die gemeinsame Sorge für dein Kind teilen, musst du dich von den finanziellen Vorteilen in Form von Bonizahlungen oder Partnermonaten verabschieden“. Eine weitere Benachteiligung für Alleinerziehende stellt der angegebene Stundenumfang der Teilzeiterwerbstätigkeit dar. 25 bis 30 Wochenstunden Erwerbs-tätigkeit je Elternteil für ein Elternpaar sind nicht mit 25 bis 30 Wochenstunden Erwerbstätigkeit für einen alleinerziehenden Elternteil zu vergleichen. Das Familienministerium hat in seinem Dossier zur Müttererwerbstätigkeit selbst festgestellt, dass alleinerziehende Mütter mit Kleinkindern im Schnitt nur sieben Stunden pro Woche arbeiten. Nun wissen wir alle, was Durchschnitt heißt: Der See war im Durchschnitt 80 Zentimeter tief, trotzdem ist die Kuh ertrunken. Im Ergebnis bedeutet das, dass nur einem sehr geringen Teil von Alleinerziehenden – in der Regel sind das Mütter – der Vorteil von zusätzlichen Monaten Elterngeld zugutekommt. Die Intention, Frau Schwesig, die dahintersteckt – Sie haben in einer Fragestunde ausgeführt, dass Sie keine Minijobs, sondern existenzsichernde Arbeit fördern wollen –, kann ich verstehen. Aber es entspricht nicht den realen Gegebenheiten. Diese Regelung als Beitrag zu sehen, damit Frauen ihre Wochenarbeitsstunden erhöhen, kann ich nicht nachvollziehen. Mit dieser Regelung werden weder mehr Arbeitsplätze noch mehr Kitaplätze geschaffen. Ich hoffe, dass wir auch in diesem Zusammenhang in den Beratungen zu adäquaten Lösungen kommen, wozu natürlich auch flankierende Maßnahmen wie der Kitaausbau gehören. Zum Thema Mehrlingsgeburten. Im vorliegenden Gesetzentwurf steht: Mit der gesetzlichen Präzisierung soll einem Urteil des Bundessozialgerichtes von 2013 nachgekommen werden, indem festgelegt wird, dass bei Mehrlingsgeburten nur ein Elterngeldanspruch entsteht. Somit entsteht künftig ein Elterngeldanspruch pro Geburt und nicht pro Kind. Im Urteil des Bundessozialgerichts – man kann es in der Begründung nachlesen – steht jedoch, unter Berücksichtigung aller juristischer Auslegungsmethoden, klipp und klar, dass bei Mehrlingsgeburten ein Elterngeldanspruch pro Kind entsteht. Das Bundeselterngeldgesetz fußt auf dem Bundeserziehungsgeldgesetz, hat dieses quasi abgelöst. Im Gesetz wurde damals expressis verbis festgelegt, dass das Bundeserziehungsgeld für jedes Kind gezahlt wird, wenn mehrere Kinder in einem Haushalt großgezogen werden. Demnach ist diese „Geburtenzahlung“ – so will ich sie einmal nennen – nach Auffassung des Bundessozialgerichts eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung nach Artikel 3 Grundgesetz. Zur gesetzlichen Präzisierung. Warum wird dies so gemacht? Sagen Sie es doch einfach! Das ergibt sich nämlich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Frage meiner Fraktion zu den finanziellen Auswirkungen des Elterngeld Plus. In der Antwort hieß es, dass Mehrausgaben in Höhe von etwa 96 Millionen Euro zu erwartet seien, aber durch die neue Regelung in Bezug auf Mehrlingsgeburten mit Minderausgaben in Höhe von 100 Millionen Euro zu rechnen sei. Insgesamt werden die Einsparungen bis 2018 auf 170 Millionen Euro geschätzt. Hier wird wieder einmal den einen Familien etwas weggenommen, was den anderen zugutekommen soll. Ein Hoch auf die so hochgepriesene schwarze Null. Zur Flexibilisierung der Elternzeit. Die Flexibilisierung der Elternzeit mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme bis zum vollendeten achten Lebensjahr begrüßen wir ausdrücklich. Eine solche Flexibilisierung haben wir schon seit Jahren gefordert. Wir wollten sie eigentlich nur bis zur Einschulung – wir haben vorgeschlagen: bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres –, jetzt soll die Möglichkeit sogar bis zur Vollendung des achten Lebensjahres bestehen. Das freut uns, auch wenn wir damals mit unserem Antrag verlacht wurden. Aber die Linke wirkt eben, auch wenn es manchmal etwas länger dauert. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss muss ich noch einen Kritikpunkt aufgreifen, und zwar zum Thema ausländische Staatsangehörige mit humanitären Aufenthaltstiteln. Die Bundesregierung greift in dem Gesetzentwurf leider nicht die nötigen Änderungen auf, die der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 10. Juli 2012 angemahnt hat. Dieser hat festgestellt, dass eine Änderung des § 1 Absatz 7 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes vorzunehmen ist, weil der Ausschluss von ausländischen Staatsangehörigen mit humanitärem Aufenthaltstitel vom Elterngeld verfassungswidrig ist. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts haben alle Personen mit humanitärem Aufenthaltstitel, die bereits länger als drei Jahre in Deutschland leben, einen Anspruch auf Elterngeld, unabhängig von ihrer Integration in den Arbeitsmarkt. Auch hier besteht Änderungsbedarf, um den aktuell bestehenden verfassungswidrigen Ausschluss vom Bezug von Elterngeld zu beenden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unsere Kritikpunkte – das muss ich sagen – werden von etlichen Familienverbänden geteilt. Beispielhaft will ich anführen den Verband Alleinerziehender Mütter und Väter, die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie, den Familienbund der Katholiken, den Verband binationaler Familien und Partnerschaften – und, und, und. Na ja, sogar das Bundessozial- und das Bundesverfassungsgericht teilen unsere Kritikpunkte. Wir können doch nicht alle falschliegen. Liebe Kollegen, Sie sehen schon: Es gibt im Rahmen der Gesetzesberatungen noch einiges zu tun. Ich setze meine Hoffnung wieder einmal auf die Beratungen im Ausschuss und hoffe, dass es nicht wieder Jahre dauert, bis sich gute Regelungen durchsetzen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich mit jungen Familien unterhält, wird einem immer zurückgemeldet, dass die Einführung von Elternzeit und Elterngeld eine der wichtigsten politischen Maßnahmen war, die wir in den vergangenen Jahren durchgeführt haben. Wir haben 2007 unter Familienministerin Ursula von der Leyen das Elterngeld und die Elternzeit eingeführt. Wir haben das Elterngeld in der letzten Legislaturperiode unter Familienministerin Kristina Schröder entbürokratisiert, auch für Unternehmer. Wir haben die Einkommensberechnung einfacher gemacht. In dieser Koalition gehen wir den nächsten konsequenten Schritt und machen die Elternzeit und das Elterngeld noch einmal flexibler und individueller. Wir schneiden es besser auf die Bedürfnisse junger Familien zu. Insgesamt kann man also sagen: Das Elterngeld ist ein wirkliches Erfolgsmodell. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist ein Erfolgsmodell; denn es ermöglicht vor allem drei Dinge: Zum einen bietet es einen wirklichen Schonraum im ersten Lebensjahr eines Kindes, wenn sich die jungen Familien möglichst stark auf das Kind konzentrieren wollen. Im ersten Lebensjahr eines Kindes, wenn sich das Leben der Eltern stark ändert, was insbesondere beim ersten Kind der Fall ist, bieten Elterngeld und Elternzeit einen Schonraum. Ein solcher Schonraum – das muss man wirklich sagen – ist nicht selbstverständlich. Das wird deutlich, wenn wir uns mit Frankreich oder Israel vergleichen. Dort fangen die Eltern sehr viel früher wieder an zu arbeiten, schon nach wenigen Monaten. Ein ganzes Jahr einen Schonraum zu haben, auch mit finanziellen Vergünstigungen, ist wirklich ein Luxus, den junge Familien in Deutschland haben. Auf diesen Schonraum, der durch Elterngeld und Elternzeit geschaffen wurde, können wir stolz sein. Zweitens. Wir schaffen auch einen finanziellen Ausgleich, der nicht zu unterschätzen ist. Auch das ist etwas, was international wirklich außergewöhnlich ist. Wir ersetzen etwa zwei Drittel des letzten Nettoeinkommens. Das ist ein sehr großer Betrag, der es den jungen Familien ermöglicht, Beruf und Familie zu vereinbaren und sich wirklich Zeit für die Familie zu nehmen, ohne in finanzieller Hinsicht auf allzu viel verzichten zu müssen. Sie können ihren Lebensstandard halten, das Haus oder die Wohnung abbezahlen und ihren Lebensunterhalt bestreiten. Deshalb sagen die Familien zur Ausgestaltung des Elterngeldes – maximal 1 800 Euro bekommt ein Partner, wenn er aus dem Beruf aussteigt –: Das ist genau das, was wir brauchen; denn das ermöglicht uns die Vereinbarkeit überhaupt erst. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der dritte Punkt ist das Thema Partnerschaftlichkeit. Das Elterngeld ermöglicht es, Partnerschaftlichkeit zu leben und neue Modelle der Partnerschaftlichkeit auszuprobieren. Ganz sicher kennt jeder aus seinem Umfeld die Erzählungen, die Geschichten von jungen Familien, gerade von jungen Männern, die sagen: Ich hätte mir vorher nicht vorstellen können, für die Familie, für das Baby länger aus dem Job auszusteigen. Ich habe es gemacht, weil es die Elternzeit, weil es das Elterngeld gibt. Das war die wertvollste Erfahrung in meinem Leben. Es war eine ganz, ganz wichtige Erfahrung, und beim nächsten Mal bleibe ich länger zu Hause, weil ich sehe, dass diese Zeit mit dem Kind auch für mich eine ganz wertvolle Erfahrung ist. Ich sehe, dass es wichtig ist, auch als Vater Zeit mit dem Baby zu verbringen. – Diese Modelle der Partnerschaftlichkeit sind neben dem Geld und neben dem Schonraum der dritte Aspekt. Dies macht das Elterngeld zum Erfolgsmodell. Wir als Union sind stolz auf das Elterngeld, stolz auf die Elternzeit. Wir sind der Meinung, dass 5,4 Milliarden Euro zwar eine ganze Menge Geld für den Bundeshaushalt sind – wir wissen um die große Verantwortung, die alle Kollegen aus den anderen Ressorts mit für die Familien in unserem Land übernehmen –, aber wir wissen, dass es gut angelegtes Geld ist für die jungen Familien in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir werden auch durch Studien gestützt, die den Erfolg belegen, etwa die Evaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen und Leistungen. Hier wurde das Elterngeld ja nicht auf subjektive Gesichtspunkte hin untersucht, also nicht darauf, was die Familien davon halten, sondern Kriterien wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das Wohlergehen von Kindern, die wirtschaftliche Stabilität und die Erfüllung von Kinderwünschen wurden betrachtet. Hier schneidet das Elterngeld sehr, sehr gut ab. Auch die Konrad-Adenauer-Stiftung hat kürzlich eine Studie aufgelegt, die untersucht, wie das Elterngeld wirkt. Sie bescheinigt dem Elterngeld einen durchschlagenden Erfolg. Deshalb haben wir im Wahlkampf in unserem Regierungsprogramm versprochen, dass wir das Elterngeld weiterentwickeln, dass wir mehr Freiräume bei der Gestaltung ermöglichen und dass wir ein Teilelterngeld einführen, das bis zu 28 Monate bezogen werden kann. So steht es in unserem Regierungsprogramm. Das war unser Wahlversprechen. Heute, genau ein Jahr nach der Bundestagswahl, können wir sagen: Wir setzen dieses Wahlversprechen um. Unsere erste familienpolitische Maßnahme ist die Umsetzung dieses Wahlversprechens für mehr Flexibilität und mehr Partnerschaftlichkeit für junge Familien. Wir beraten heute einen Gesetzentwurf zur Einführung des Elterngeld Plus. Damit setzen wir eines der wichtigsten Wahlversprechen aus unserem Regierungsprogramm um. Daran sieht man: Die Familien in unserem Land können sich auf die Union verlassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Paare können selbst entscheiden, ob ein Partner das ganze Jahr zu Hause bleibt oder ob beide Partner sich diese Zeit im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Beruf teilen. Sie können sich entscheiden, ob sie gemeinsam wieder in den Beruf einsteigen oder nacheinander. Sie können entscheiden, ob sie die Partnermonate gemeinsam nehmen oder nacheinander. Wir schaffen eine maximale Flexibilität und maximale Möglichkeiten für junge Familien. Genau das ist der Grundsatz unserer Familienpolitik, der Familienpolitik der Unionsfraktionen. Wir sagen: Wir wollen den Familien nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben, wie sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gestalten haben. Das kann in unserem Land jede Familie für sich selbst entscheiden. Deshalb wollen wir hier eine größtmögliche Bandbreite, größtmögliche Partnerschaftlichkeit und größtmögliche Flexibilität. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich freue mich, dass wir nun in die Beratungen dieses wichtigen Gesetzentwurfs einsteigen. Das wird einige Wochen dauern. Ich selbst werde nicht bei allen Beratungen dabei sein; das ist unschwer zu erkennen. Auch wenn wir für die Familien in unserem Land vieles regeln, vor unserer eigenen Haustür – da muss ich der Ministerin recht geben – können wir immer noch nicht so wahnsinnig gut kehren. Unsere Arbeitsstrukturen sind nicht sehr familienfreundlich, und für Abgeordnete gibt es auch keine Elternzeit und kein Elterngeld. Die Baden-Württemberger gehen hier mit gutem Beispiel voran. Vielleicht ist das ein Appell an uns alle, einmal darüber nachzudenken, vor der eigenen Haustür zu kehren und zu überlegen, wie Politik familienfreundlicher sein kann. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dein Fraktionsvorsitzender unterstützt dich auch!) Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen bei den Beratungen mit den Verbänden viel Erfolg. Ich verabschiede mich jetzt in den Mutterschutz, leider ohne anschließend Elternzeit zu haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die besten Wünsche für Ihre Familie. – Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Natürlich auch von meiner Seite die besten Wünsche und alles Gute für die Kollegin Nadine Schön. Des einen Leid ist des anderen Freud: Wir haben es dann gut, wenn Sie schneller zu uns zurückkommen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD) Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Einigen ist vielleicht noch nicht aufgefallen, dass wir heute über einen alten Bekannten sprechen, nämlich über das Teilelterngeld. Das Teilelterngeld gerecht gestalten: Das war schon in der letzten Legislaturperiode eigentlich Konsens aller Fraktionen hier im Haus. Ich erinnere mich noch sehr gut, dass der entsprechende Gesetzentwurf, den es ja schon gab, wieder in der Schublade verschwunden ist – Stichwort Finanzierungsvorbehalt. Unsere damaligen Anträge, in denen wir forderten, die kleine Summe lockerzumachen, die dafür notwendig ist, die finanzielle Benachteiligung von Eltern, die während des Elterngeldbezugs Teilzeit arbeiten, auszugleichen, wurden abgelehnt. Man sieht: Manches braucht einfach ein bisschen länger. Das Teilelterngeld kommt jetzt mit einem smarteren Label. Es heißt jetzt Elterngeld Plus. Das klingt unbestreitbar etwas besser. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Es ist auch besser!) Selbstverständlich finden wir es gut, dass die beschriebene Benachteiligung jetzt zumindest zum Teil aufgehoben wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Kollegin Franziska Brantner wird gleich aber darstellen, dass es hier noch viel mehr und flexiblere Möglichkeiten gäbe. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, zeitgleich mit dem Gesetzentwurf zum Teilelterngeld, der in der letzten Legislaturperiode in der Schublade verschwunden ist, ist dort auch noch ein anderer gelandet, nämlich der zur Ausweitung des Unterhaltsvorschusses. Die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses wäre nun wirklich ein echter Beitrag zur Verbesserung der Situation von Alleinerziehenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Genau dieser Gesetzentwurf hat es aber bis dato nicht wieder aus dieser Schublade herausgeschafft. Ich finde, es ist eine Aufgabe für uns, dafür zu sorgen, zumal sich ja die Ministerin – wir haben es gehört – die Unterstützung von Alleinerziehenden auf ihre Fahnen geschrieben hat. Es ist auch schon erwähnt worden: Man kann nicht wirklich bemerken, dass diese Regierung Alleinerziehende unterstützt. Das muss ich auch am vorliegenden Gesetzentwurf kritisieren. Es ist geplant, Alleinerziehende, die ein gemeinsames Sorgerecht haben, vom Bezug der Partnermonate und vom Partnerschaftsbonus beim Elterngeld auszuschließen. Es kann ja nun wirklich nicht sein, dass bei der Ausgestaltung von Elterngeld und Elterngeld Plus Anreize dafür gesetzt werden, kein gemeinsames Sorgerecht in Anspruch zu nehmen. Das kann nicht im Sinne der Kinder sein. Hier besteht ganz dringender Handlungsbedarf im Gesetzgebungsverfahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Daneben wird das Elterngeld auf das Arbeitslosengeld II angerechnet. Das heißt, für Eltern im ALG-II-Bezug fällt es faktisch weg. Gerade armen Eltern, die auf die finanzielle Unterstützung besonders angewiesen sind, wird der vielbeschworene Schonraum nicht gewährt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das hat die Fraktion der Ministerin in der letzten Legislaturperiode übrigens ganz scharf kritisiert. Davon ist heute nichts mehr zu hören. Ich finde das nicht akzeptabel. Wir akzeptieren nicht, dass mit dem Gesetzentwurf, den wir heute beraten, zwar eine Ungerechtigkeit beseitigt, aber eine Riesenungerechtigkeit mit Blick auf die armen Familien in diesem Land nicht angegangen wird. Hier werden wir nicht mitmachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir haben heute einiges über Partnerschaftlichkeit gehört. Zwei Drittel der Eltern wünschen sich eine partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit. Nur 6 Prozent können das in ihrem Alltag umsetzen. Diese riesige Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit muss uns natürlich alarmieren, und sie ist auch ein Auftrag an uns Familienpolitiker. Elterngeld Plus und Partnerschaftsbonus sind kleine Schritte, aber wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir feststellen: Das ist nicht der große Wurf. Wir wissen doch, wo die großen Killer der Partnerschaftlichkeit stecken. Der unlängst vorgelegte Abschlussbericht zur Evaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen hat uns das ja schon wieder hinter die Ohren geschrieben: Es ist unter anderem das Ehegattensplitting, das Alleinverdienerehen privilegiert und damit gegen eine partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit wirkt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir tatsächlich wollen, dass Eltern so leben können, wie sie es sich selber wünschen, dann müssen wir weg vom Ehegattensplitting und alle Familien ganz direkt besser fördern und unabhängig vom Trauschein besser unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Sieht Frau Göring-Eckardt das auch so?) – Ja, das sieht sie so. Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich erinnere mich noch gut an ein Politikmagazin im Fernsehen kurz vor der Bundestagswahl. Da hat Manuela Schwesig die Nachteile des Ehegattensplittings ganz klar beschrieben, und ich habe gedacht: Hui! – Seit der Bundestagswahl hört man überhaupt nichts mehr. Ich erwarte, ehrlich gesagt, von der Ministerin, dass sie die Evaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen ernst nimmt und sich nicht den Rest der Legislaturperiode vor den wirklich harten Fragen, was die Partnerschaftlichkeit in den Familien angeht, wegduckt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Aus Hessen kommt die große Initiative gegen das Ehegattensplitting, oder?) Zu diesen harten Fragen gehört auch die Frage nach dem Recht auf Rückkehr in Vollzeit. Das ist so wichtig, um insbesondere die Frauen aus der Teilzeitfalle zu holen, aber eben auch, um die Männer zu ermutigen, überhaupt in Teilzeit zu gehen, weil sie wissen, dass sie da auch wieder herauskommen. Das Recht auf Rückkehr in Vollzeit ist eines der wichtigsten Instrumente für mehr Partnerschaftlichkeit. Es findet sich ja sogar im Koalitionsvertrag der Großen Koalition. Es ist aber eines der wenigen im Koalitionsvertrag beschriebenen Instrumente, die in der konkreten Arbeitsplanung nicht vorkommen. Das können wir nicht akzeptieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, zu den harten Fragen gehört übrigens auch die Frage nach der Entgeltgleichheit. Wenn Frauen fast ein Viertel weniger verdienen als Männer, dann ist doch klar, dann ist es doch individuell betrachtet rational absolut nachvollziehbar, warum sich junge Paare schwuppdiwupp in klassischen Rollenmustern wiederfinden, die sie selbst gar nicht mehr leben wollen. Es ist unsere Aufgabe, jungen Familien zu ermöglichen, so zu leben, wie sie selbst es sich vorstellen. Das ist für mich echte Wahlfreiheit. Viele Familien können das heute nicht. Hier besteht ganz dringender Handlungsbedarf. Wir können nicht bis nach der nächsten Wahl warten. Deshalb betrachten wir den heutigen Gesetzentwurf als einen guten Startschuss. Aber er darf keinesfalls schon als Zielgerade für diese Legislaturperiode angesehen werden. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Dr. Carola Reimann hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Carola Reimann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin im Oktober zu einer Tagung eingeladen. Der Titel dieser Tagung lautet: „Wer schneller lebt, ist früher fertig …“. Dieser Satz beschreibt die Lage von Familien und Eltern in unserem Land sehr gut. Eltern sind Meister im Optimieren. Sie wollen beides: Beruf und Familie. Sie geben dafür alles: Sie engagieren sich voll im Beruf, bringen immer volle Leistung, sind oft rund um die Uhr erreichbar und sind nebenbei aufmerksame, liebevolle und engagierte Eltern, die sich vom ersten Lebensmonat ihrer Kinder an um beste Förderung und Chancen bemühen. Und doch bleibt ein Unbehagen, dass Wichtiges zu kurz kommt: Kinder, denen manchmal doch die Eltern fehlen, der Partner, den man aus den Augen verliert, man selbst und die eigene Gesundheit. Vollzeiterwerbstätige Mütter sind oft früher fertig. Sie sind in einem erschreckenden Ausmaß von Burn-out betroffen. Das spricht Bände und deutet auf eine fortwährende Überforderung hin. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Mütter zurück an den Herd, Schwiegertöchter an die Schnabeltassen, das kann ja wohl nicht die Lösung dieses Dilemmas sein. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU] und Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Gleichstellung ist eine wichtige Errungenschaft. Sie macht unsere Gesellschaft bunter, gerechter und lebenswerter. In die Zeiten, in denen die Lebensverläufe durch das Geschlecht vorherbestimmt waren, will ja außer ein paar ganz Erzkonservativen niemand mehr zurück. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die richtige Antwort hat Ministerin Schwesig mit ihren Familienarbeitszeiten gefunden; denn sie löst damit die Zeitkonflikte aus dem ausschließlich Privaten heraus. Nicht allein jede und jeder Einzelne ist gefragt, immer besser, immer schneller, immer optimierter und organisierter zu werden. Nein, es ist auch Aufgabe von uns allen, von Politikerinnen und Politikern, gemeinsam mit den Tarifpartnern die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Im Klartext: auch für kürzere Arbeitszeiten zu sorgen. (Beifall bei der SPD) Heute machen wir mit dem Elterngeld Plus den ersten Schritt. Es räumt Eltern mehr Spielraum bei der Nutzung des Elterngeldes ein. Es belohnt eine partnerschaftliche Aufteilung mit zusätzlichen Elterngeldmonaten; das haben wir hier gehört. Es ermöglicht Eltern, die Elternzeit besser in ihrem eigenen Sinne und nach ihren eigenen Bedürfnissen zu nutzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Detailregelung werden wir im parlamentarischen Verfahren noch angehen, und zwar im Interesse derjenigen Gruppe, die wie keine zweite mit ihrer knappen Zeit jonglieren muss: die Alleinerziehenden. Das ist hier schon angeklungen. Arbeiten gehen, Haushalt schmeißen, Essen kochen, vorlesen, trösten – für Alleinerziehende sind all das Tätigkeiten, für die sie ganz allein zuständig sind, während all das in Paarfamilien von zweien geleistet werden kann. Wir haben deshalb schon bei der Einführung des Elterngeldes dafür gesorgt, dass Alleinerziehende genauso viele Elterngeldmonate bekommen wie Paare. Und jetzt? Was vor acht Jahren noch gut geklappt hat, wird heute durch eine an sich sehr positive Entwicklung, nämlich dass sich immer mehr alleinerziehende Eltern für das gemeinsame Sorgerecht entscheiden, immer schwieriger. Darauf haben uns fast alle Familienverbände hingewiesen. Auch der Bundesrat verlangt in seiner Stellungnahme vom letzten Freitag eine pragmatische Lösung im Sinne und im Interesse der Alleinerziehenden mit gemeinsamer Sorge. Diese Anregungen werden wir, Kollege Wunderlich und Kollegin Dörner, im parlamentarischen Verfahren sehr gerne aufgreifen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Elterngeld Plus ist nur die erste von drei zeitpolitischen Reformen, die sich die Große Koalition vorgenommen hat. Dazu zählt auch das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf, das Erleichterungen für Beschäftigte mit pflegebedürftigen Angehörigen bringt; Ministerin Schwesig wird es in Kürze vorlegen. Im nächsten Jahr folgt dann der Gesetzentwurf aus dem Ministerium für Arbeit und Soziales, mit dem wir Eltern nach einer Teilzeitphase garantieren, auf eine Vollzeitstelle zurückzukehren, Kollegin Dörner. Das gehört zur sehr konkreten Arbeitsplanung des Arbeitsministeriums. (Beifall bei der SPD) Mit diesen drei Reformvorhaben machen wir große und wichtige Schritte zur Vereinbarkeit. Aber wir Sozial-demokratinnen und Sozialdemokraten wollen eigentlich noch einen weiteren größeren Schritt gehen: Wir wollen, dass aus dem Elterngeld Plus bald die Familienarbeitszeiten werden. Wir wollen andere Arbeitszeitmuster, nicht nur für Eltern von Kleinkindern, sondern auch für die Eltern von älteren Kindern; (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn die Zeitkonflikte von Familien beschränken sich nicht auf die Zeit, wenn Kinder klein und niedlich sind. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eckhard Pols [CDU/CSU]: Große sind auch niedlich! – Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin: Das wächst sich aus!) Eltern erleben oft, dass mit dem Alter des Kindes die Probleme der größeren und auch niedlichen Kinder eher zunehmen. Familienarbeitszeiten sind der richtige Weg, damit beide Elternteile ihre beruflichen Wünsche verwirklichen können und eine eigene finanzielle Grundlage haben. Familienarbeitszeiten sind der richtige Weg für die Familien, damit sie gleichzeitig auch Familie sein können. Familienarbeitszeiten sind der richtige Weg – auch das ist hier schon gesagt worden – für die Wirtschaft, die für sie immer kostbarer werdenden Fachkräfte zu halten. Kluge Wirtschaftsführer wie Eric Schweitzer, Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, haben das bereits erkannt; denn wenn beide Elternteile im Erwerbsleben bleiben, bedeutet das für die Unternehmen eine höhere Zahl an Fachkräften, als wenn einer, meistens eine, die Brocken hinwirft. Ministerin Schwesig hat mit dem Thema Familienarbeitszeiten die zentrale Debatte angestoßen. Heute machen wir den ersten gesetzgeberischen Schritt. Am Ende muss eine Gesellschaft stehen, die Familien mehr Zeit lässt, und eine Gesellschaft, in der wir nicht früher fertig sind, sondern gemeinsam länger zufrieden. Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Diana Golze für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Diana Golze (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Lebensrealität der jungen Familien hat sich in den letzten Jahren verändert. Es ist gut, dass das Elternzeitgesetz nun der Realität angepasst wird. Ich sehe in der Tat positive Bewegungen. Es sind schon einige Punkte angesprochen worden: Bisher bekommen Eltern bis zu 14 Monaten Elterngeld, wenn beide Elternteile nach der Geburt des Kindes nacheinander eine berufliche Auszeit für die Betreuung des Kindes nehmen. Wenn aber ein Elternteil oder sogar beide weiter in Teilzeit arbeiten, hat sich der Elterngeldanspruch bisher nicht verlängert. Mit der Einführung von Elterngeld Plus wird diese Lücke geschlossen, und das ist auch gut so. Die Eltern haben bisher einen Teil ihres Elterngeldanspruches verloren. Das war eine absurde Situation; denn das Elterngeld sollte ja dazu dienen, einen früheren Wiedereinstieg in den Beruf sicherzustellen, gleichzeitig aber auch mehr Zeit für die Kindererziehung zu ermöglichen. Es ist richtig und wichtig, die bisherige Regelung zu korrigieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit der Flexibilisierung der Elternzeit bis zum vollendeten achten Lebensjahr macht das Familienministerium einen weiteren Schritt in die richtige Richtung. Was fehlt, ist aber eine passende Flexibilisierung des Elterngeldes. Denn es war bereits 2008 eine Forderung der Linken – das hat Kollege Wunderlich schon gesagt –, Elterngeld und Elternzeit flexibler miteinander zu kombinieren. Es ist richtig, nicht nur an die Zeit nach der Geburt zu denken, sondern auch an Übergänge, zum Beispiel die Schuleingangsphase. Diesen Übergang gemeinschaftlich und partnerschaftlich zu gestalten, können sich weiterhin nur Paare mit einem sehr guten Einkommen leisten. Denn das Elterngeld wurde nicht flexibilisiert. Wir hatten vorgeschlagen, dass das Elterngeld in Teilabschnitten von mindestens zwei Monaten bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres in Anspruch genommen werden kann. Wir wären auch mit dem achten Lebensjahr einverstanden, wenn man es miteinander kombiniert und für alle Eltern ermöglicht. (Beifall bei der LINKEN) Wir freuen uns, dass dieser Vorschlag zumindest zum Teil aufgenommen wurde. Das heißt, das Elterngeld Plus ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber solche für Eltern positiven Veränderungen gibt es nicht zum Nulltarif. Wenn man den Gesetzentwurf liest, reibt man sich aber verwundert die Augen. Denn kosten soll das Vorhaben nichts. Wie hat man das geschafft? Man geht nicht etwa davon aus, dass die neuen Regelungen nicht von den Eltern in Anspruch genommen werden – das wäre furchtbar –, sondern man hat woanders eine Einsparmöglichkeit gefunden. Das Bundessozialgericht hatte im Sommer 2013 geurteilt, dass der Elterngeldanspruch für jedes Kind besteht. Das hieß bis dato, dass zum Beispiel Eltern, die Zwillinge bekommen haben, Elterngeld für beide Kinder beantragen und sich gemeinsam um diese doppelte Herausforderung kümmern konnten. Das soll nun – in Anführungszeichen – klargestellt werden. Das soll zukünftig nicht mehr möglich sein. Der Elterngeldanspruch gilt künftig pro Geburt statt pro Kind. Man will damit 100 Millionen Euro sparen. Das heißt, man nimmt den einen Familien das Geld, um die Teilzeitbeschäftigung für andere Familien zu ermöglichen. Das halten wir für ungerecht. Wollen Sie das wirklich? Darüber sollten wir im Ausschuss noch einmal sprechen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eine weitere Ungerechtigkeit – darauf wurde ebenfalls schon hingewiesen – bleibt nach den Vorstellungen der Bundesregierung erhalten: die volle Anrechnung des Elterngeldes auf das Arbeitslosengeld II. Diese Familien waren von Anfang an benachteiligt. Erst hat man ihnen im Verhältnis zum Erziehungsgeld die Hälfte der Bezugsdauer gekürzt. Dann hat man ihnen die sogenannten Vätermonate verwehrt. In einer dritten Reform hat man es dann gänzlich auf das Einkommen angerechnet. Das ist im Zusammenhang mit dem Sparpaket im Sommer 2010 erfolgt. Eltern im Hartz-IV-Bezug waren von Anfang an benachteiligt. Die Benachteiligungen haben sich sogar noch verschärft, und auch mit dem Elterngeld Plus wird sich daran nichts ändern. Bei armen Eltern kommt das Elterngeld auch weiterhin nicht an. Das ist kein Konzept für die Bekämpfung von Familienarmut, Elternarmut und Kinderarmut. Die Gleichbehandlung der Eltern ist ebenfalls nicht gegeben. Diese Chance – das ist schon angesprochen worden – wurde vertan. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ja, dieses Elterngeld Plus war ein Wahlversprechen, das Sie gegeben haben. Ich finde es gut, dass Sie es umsetzen. Sie haben aber in Ihrem Regierungsprogramm auch gefordert: Wir wollen das Basiselterngeld für ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger wieder anrechnungsfrei stellen. – Diese Chance haben Sie mit diesem Gesetzentwurf vertan. Das ist keine Politik im Sinne von armen Familien. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Besonders diese beiden Ungerechtigkeiten geben mir zu denken. Ich bin deshalb auf die Diskussion im Ausschuss und auf die Stellungnahmen der Sozialverbände in der Anhörung gespannt und hoffe, dass wir noch zu Änderungen kommen werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Marcus Weinberg hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wunderlich hat vorhin nach der Intention des Gesetzentwurfs gesucht. Es ist relativ einfach: Endlich sind wir politisch so weit, dass wir nicht mehr fragen: Arbeitsmarkt oder Familie? Wir sind nämlich so weit, dass wir Erwerbstätigkeit und Familienzeit zusammenbringen wollen, weil das im Sinne der Familien und übrigens auch der Arbeitgeber ist. Denn ist der Arbeitnehmer zufrieden und hat er ein geregeltes Fami-lienleben, dann ist es auch gut für die Arbeitgeber und die Wirtschaft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das ist auch unser Leitgedanke bei den heutigen Fragestellungen. Wir haben heute sozusagen einen Happy Friday bzw. Family Friday: Wir werden zwei große Gesetzesvorhaben verabschieden. Zuerst geht es um das Thema Elternzeit und Partnerschaftlichkeit, und in der zweiten Halbzeit geht es um den weiteren Ausbau der Kitabetreuung. Das sind zwei zentrale Maßnahmen dieser Großen Koalition in den nächsten Jahren. Damit werden wir den Wünschen der Eltern gerecht. Unser Leitmotiv ist, Eltern zu unterstützen. Wir gehen nun nicht, wie Frau Reimann sagte, den ersten Schritt, sondern den zweiten bzw. sogar den dritten Schritt. Wir haben bereits in der ersten Großen Koalition vor vielen Jahren nicht nur den Krippenausbau, sondern auch die Einführung des Elterngeldes beschlossen. Die Weichen, die wir damals gelegt haben, werden wir jetzt stellen, und zwar unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Veränderungen. Ein Jahr nach der Bundestagswahl gehen wir nun den entscheidenden Schritt. Frau Dörner, Sie haben die Gelegenheit genutzt, um noch einmal für sich persönlich und vielleicht auch für Ihre Fraktion darzulegen, wie Sie gewisse Sachverhalte sehen. Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Sie weiterhin das Ehegattensplitting komplett abschaffen wollen. Das müssten Sie in Ihrer Fraktion einmal klären. – Frau Brantner, Sie nicken, aber Sie sind diejenige, die sich in den letzten Tagen ein bisschen geöffnet hat. In der Welt vom 19. September haben Sie die Frage gestellt: Warum versuchen wir ständig, die Familien durch neue Maßnahmen und mehr Geld arbeitsmarktfähig zu machen, statt endlich zu fragen: Wie wollen wir im 21. Jahrhundert arbeiten, um auf die Bedürfnisse der Familien im 21. Jahrhundert einzugehen? Ich wünsche mir, dass Sie diese Fragestellung zum Leitmotiv Ihrer grünen Politik machen und endlich auf die Agenda setzen, anstatt ideologisch bedingt darüber nachzudenken, wie sich das Ehegattensplitting und andere Maßnahmen, die durchaus eine hohe Akzeptanz haben, abschaffen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Familienleitbilder haben sich verändert. Das nehmen nicht nur andere, sondern auch wir wahr. Vor diesem Hintergrund stellt sich uns als Union die Frage, ob wir Familienleitbilder vorgeben sollen. Dazu sagen wir Nein. Für uns stehen drei Sachverhalte im Vordergrund. Erstens. Wir wollen die Eigenverantwortung und die Selbstbestimmtheit der Familien als Kernstücke unserer Familienpolitik stärken. Zweitens. Wir machen zwar Angebote, wollen aber keine rundum betreute Familie. Vielmehr wollen wir eigenverantwortliche Elternschaft und eigenständig handelnde Familien unterstützen. Drittens. Wir setzen als Leitmotiv Vertrauen in die Eltern und die Elternarbeit. Bei der Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Eltern werden wir die veränderten Lebenswirklichkeiten berücksichtigen. Über 80 Prozent einer befragten Gruppe von bis zu 39-Jährigen hat gesagt: Die Familienleitbilder haben sich verändert. Es gibt nicht nur die traditionelle Familie, sondern auch Alleinerziehende – auch diese müssen wir in den Fokus unserer Beratungen rücken – und andere Formen des Zusammenlebens. Vor diesem Hintergrund müssen staatliche Leistungsangebote darauf überprüft werden, ob sie sich mit Veränderungsprozessen noch in Übereinstimmung befinden; das werden wir tun. Die oft kritisch gesehenen familienpolitischen Leistungen wie der Kitaausbau sind zentral für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, genauso wie das nun vorgesehene Elterngeld Plus, das sicherlich genauso positive Auswirkungen haben wird wie das Elterngeld. Wir sind stolz darauf, dass wir das alles auf den Weg gebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Welche Wünsche haben Eltern? 91 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass sich beide Eltern um die Betreuung der Kinder kümmern sollten. Nadine Schön hat bereits unsere besondere Situation angesprochen. Ich gehöre zu den rund 60 Prozent der Väter, die mehr Zeit mit den Kindern verbringen wollen. Solche Wünsche müssen wir in der Politik berücksichtigen. Das Elterngeld Plus schafft die Möglichkeit, solche Wünsche zu erfüllen. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) 81 Prozent teilen die Ansicht, dass beide Eltern gleichermaßen für das Familieneinkommen verantwortlich sind. Das sind die Leitmotive für das Elterngeld Plus. Momentan sieht die Situation aber noch anders aus. Väter arbeiten durchschnittlich 42 Stunden, während Mütter 17 Stunden in der Woche arbeiten. 60 Prozent der Eltern mit Kindern unter drei Jahre wünschen sich ein Modell, das eine stärkere Partnerschaftlichkeit ermöglicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Aber nur 14 Prozent gelingt es, diese Partnerschaftlichkeit auch zu leben. Hier gibt es noch einiges zu tun. Die zentralen Punkte des Elterngeldes sind: Die Kombination aus Teilzeiterwerbstätigkeit und Elterngeldbezug muss attraktiver gemacht werden. Das ist auch im Sinne der Arbeitgeber. Wenn junge, gut ausgebildete Frauen vor 40 Jahren Mütter wurden, haben sie als Fachkräfte meistens den Arbeitsmarkt verlassen und sind erst nach sechs oder zehn Jahren zurückgekehrt. Mit dem Elterngeld Plus schaffen wir Angebote, die es Frauen ermöglichen, als Teilzeitkräfte früher in den Beruf zurückzukehren. Das führt dazu, dass die Arbeitgeber früher wieder auf diese Fachkräfte zurückgreifen können. Weiterhin honorieren wir die partnerschaftliche Aufteilung. Wenn Väter etwas mehr Zeit mit der Familie verbringen wollen – etwas mehr Zeit für die Kinder bedeutet etwas weniger arbeiten –, dann heißt das für Mütter, dass sie etwas mehr arbeiten. Wir wollen im Sinne einer Angleichung die partnerschaftliche Aufteilung von Betreuungs- und Erwerbsaufgaben stärken. Das ist mit dem Partnerschaftsbonus verbunden. Das sind dann – in Anführungszeichen – nur vier Monate, aber damit soll ein Signal gesetzt werden. Es ist den Eltern überlassen, die Aufteilung eigenverantwortlich zu organisieren. Insgesamt steht dahinter der Gedanke, dass wir den Eltern bzw. der Familie mehr Zeit geben. Das ist nicht nur für die Eltern gut, sondern das ist besonders für die Kinder gut. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dabei ist ein zentraler Punkt das Elterngeld. Wir sagen: Kombiniert doch – in Anführungszeichen – das alte Elterngeld, also das Basiselterngeld, mit dem Elterngeld Plus. – Die Familien sollen entscheiden, wie sie das machen. Dazu gehört auch die Absprache mit dem Arbeitgeber zum beiderseitigen Nutzen. Frau Brantner, ich habe schon wieder ein Zitat von Ihnen gefunden. Das passt gut, da Sie nach mir reden. Ich finde richtig, dass Sie seinerzeit in der Welt auch gesagt haben: Der Staat muss größere Zeitsouveränität und Freiräume vom ökonomischen Zeitdruck ermöglichen, er darf das aber nicht vorschreiben. Das ist genau richtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir schreiben nichts vor. Wir sagen: Entscheidet ihr! – Wir eröffnen die Angebote, aber die Familien müssen entscheiden, welche Möglichkeiten sie in Anspruch nehmen. Unsere Grundintention ist, Herr Wunderlich, Familienpolitik zu entideologisieren und zur Anerkennung der Handlungsfreiheit der Familie zu kommen. Wir wollen weg von Formulierungen wie „Rabenmutter“ oder „Herdprämie“. Das wollen die Familien nicht mehr hören. Das ist überholt. (Beifall bei der CDU/CSU) In dem Zusammenhang gibt es für uns einen wichtigen Punkt: die Belastung für die Wirtschaft. Er wird immer wieder angesprochen. Wir Familienpolitiker müssen immer schauen, dass unsere Maßnahmen den Erfordernissen der Wirtschaft nicht widersprechen. Unser Grundansatz ist: Wenn der Arbeitgeber Teilzeitarbeit ermöglicht, dann müssen wir anerkennen, dass das eine schwierige Situation für den Arbeitgeber ist. Deswegen ist die Absprache bzw. die Rückkopplung mit der Wirtschaft zentral; denn der Wohlstand, den wir haben, ist einer gut funktionierenden Wirtschaft zu verdanken. Ihn sollten wir nicht aufs Spiel setzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen sind die Regelungen zur Elternzeit richtig, nämlich dass 24 der insgesamt 36 Monate bis zum vollendeten achten Lebensjahr des Kindes übertragen werden können. Richtig ist aber auch, dass wir die Zustimmungsfrist des Arbeitgebers auf 13 Wochen verlängern. Wir müssen also immer überprüfen, ob die Wirtschaft, insbesondere der Mittelstand, die Regelungen mittragen kann; denn die Wirtschaft ist ein Fundament unseres Wohlstandes. (Beifall bei der CDU/CSU) Daraus leitet sich aber auch die Erkenntnis ab, dass Reden und Handeln zwei verschiedene Dinge sind. Es ist ja so: Wer schneller lebt, ist früher fertig, wer schneller redet, hat mehr zu sagen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sönke Rix [SPD]: Er hat mehr zu reden, aber nicht mehr zu sagen!) Gerade für die Arbeitgeber muss deutlich werden: Es reicht nicht, nur vom Erfolgsfaktor Familie zu reden und in Fensterreden zu beteuern, man wolle mehr für die Familie tun. Auch die Arbeitgeber und ihre Verbände sind bei der Veränderung der Familienpolitik mit im Boot. Man könnte sagen, das Elterngeld Plus ist eine weitere Belastung, aber letztendlich ist es im Sinne der Arbeitgeber. Wir werden diesen Diskurs auch mit den Arbeitgebern führen müssen. Nichts ist besser für einen Arbeitgeber als ein glücklicher Arbeitnehmer, der weiß, dass sein Familienleben gut organisiert ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Angesprochen haben wir schon die Nachbesserungen, die wir jetzt im parlamentarischen Verfahren anstreben. Die sind richtig, und die werden wir jetzt umsetzen. Ich nenne als Stichwort die Alleinerziehenden. Es gibt noch einen weiteren Punkt. Die Union befürwortet das Ehrenamt, insbesondere das kommunale Ehrenamt. Wir werden uns bemühen, eine Regelung zu schaffen, damit das Elterngeld gut mit dem Ehrenamt kombiniert werden kann. Näheres werden die parlamentarischen Beratungen ergeben. Insgesamt bleibt es heute beim Happy Friday. Es ist ein schöner Familienfreitag zu bester Stunde heute Morgen. Der erste Teil ging um das Elterngeld Plus, und gleich reden wir noch über den Kitaausbau. Familien in Deutschland können sich freuen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Dr. Franziska Brantner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Präsidentin! Liebe Frau Schwesig! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Weinberg, danke fürs Zitieren! Ich sage gleich noch etwas zur echten Wahlfreiheit beim Elterngeld. Zum Ehegattensplitting: Ich bin da sehr klar: Das muss weg. Über das Wie diskutieren wir. Dazu haben Sie auch schon einen Vorschlag gemacht. Von daher sind Sie in der Diskussion schon mit dabei. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das Elterngeld muss weg, oder was?) – Habe ich „Elterngeld“ gesagt? Ich meinte „Ehegattensplitting“; sorry. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du hast es richtig gesagt! – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Nicht weg! Verbreitern!) – Das ist die Debatte über das Wie: Wie ändern wir es? Wir sagen: Es muss weg und durch etwas anderes ersetzt werden. Sie sagen: Familiensplitting. – Die Debatte ist offen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie wollen ja immer die Familien benachteiligen!) – Genau, zu den Familien: Deutschlands Familien, das sind: Alleinverdienende, Doppelverdiener, Minijobarbeitende, Teilzeitarbeitende, Schichtarbeitende, Pendler, getrennt, verheiratet, verpartnert oder einfach nur zusammen, ein Kind, zwei Kinder, drei Kinder oder mehr – die Vielfalt ihrer Wünsche und Bedürfnisse ist unser Auftrag hier. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Frau Schwesig, Ihr Modell ist unfair, weil Alleinerziehende die 25 bis 30 Stunden kaum schaffen können. Auch für jene Mütter, die mit jemandem zusammenleben, aber die gar nicht auf 25 Stunden hochgehen können, weil sie sich schon mit zwei Minijobs herumschlagen und ein dritter gar nicht möglich ist, greift das Modell nicht. Das Modell ist auch unfair, weil es egal ist, ob eine Mutter oder ein Vater auf eine Halbtagstätigkeit reduziert oder nur eine Stunde pro Tag weniger arbeitet – die Dauer der Zahlung des Elterngeldes wird immer nur verdoppelt, maximal auf 28 Monate. Das ist für jene, die ihre Arbeitszeit zum Beispiel nur um ein Viertel reduzieren, nicht ganz fair. Das Modell ist auch unfair – das haben wir heute schon vielfach gehört – für all jene, die im ALG-II-Bezug sind. Wir als Grüne wollen deshalb von anderen europäischen Ländern lernen. Mittlerweile ist bekannt, dass Schweden die Vereinbarkeit besser hinbekommt als Deutschland und dass sich dort Väter auch mehr an der Familienarbeit beteiligen. Warum ist das so? Nehmen wir das schwedische Elterngeld: In Schweden können Eltern das Elterngeld anteilig und dafür für einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Ein Beispiel: Eine Mutter, die ihre Arbeitszeit zu einem Viertel reduziert, bekommt viermal so lange Elterngeld. Ihr Partner, der zu einem Achtel weniger arbeitet und sie unterstützt, kann achtmal so lange Elterngeld beziehen. Das macht es für beide Elternteile leichter, gleichzeitig auszusteigen und sich das Elterngeld länger zu teilen. Deswegen schlagen wir vor, dieses schwedische Modell des Elterngelds zu übernehmen und dafür, auch wie in Schweden, die Elternzeit bis zum 14. Lebensjahr des Kindes auszuweiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stellen Sie sich einmal vor, auch in Deutschland würde die Vielfalt der Familien und der Lebensphasen wirklich so anerkannt werden! Eine alleinerziehende Mutter könnte für die ersten acht Monate nach der Geburt des Kindes ganz aussteigen, dann für vier weitere Monate zu einem Viertel wieder einsteigen. Dann blieben ihr immer noch weitere sechs Monate für einen Halbtagsjob. Oder sie sparte sich die Zeit auf, für die Einschulung des Kindes zum Beispiel oder für noch später. So könnten Eltern den Bezug von Elterngeld, mit Partnermonaten inklusive, auf maximal 112 Monate strecken. Stellen Sie sich vor, dabei könnten sie das Elterngeld wirklich bis zum 14. Lebensjahr des Kindes nutzen – wie es eben der vielfältigen Realität entspricht! –, wenn das Kind in die Pubertät kommt, wenn es auf eine weiterführende Schule wechselt oder wenn es einfach einmal mehr Zuwendung braucht, wenn mehr Zeit für das Kind notwendig ist. Unser Modell macht drei Dinge: Erstens. Es macht einen schrittweisen Wiedereinstieg in den Beruf einfacher. Zweitens. Es erlaubt auch in späteren Phasen des Lebens eines Kindes, Arbeitszeit zu reduzieren und dafür noch ein Zeitguthaben zu haben. Drittens. Es macht es Vätern leichter, sich zu beteiligen. Eine halbe Stelle schreckt viele Väter ab. Mit einer geringeren Reduzierung, dafür aber für länger, werden mehr Väter erreicht, und die Beteiligung am Elterngeld balanciert sich zunehmend aus. Wenn man sich die Statistik in Schweden anschaut, sieht man – das ist ganz interessant –, dass Väter nach dem dritten Lebensjahr des Kindes – bei Frau Schwesig in Deutschland gibt es dann schon kein Elterngeld mehr – genauso viel Elterngeld in Anspruch nehmen wie Mütter. Über das schwedische Elterngeldmodell kommt es zu einer wirklich partnerschaftlichen Aufteilung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich brauchen wir dazu auch eine familienfreundlichere Arbeitswelt und -kultur. Es sind eben nicht die Familien, die sich dem Arbeitsmarkt anpassen müssen, sondern andersherum. In Deutschland haben wir einen wirklich schlechten Mix. Wir haben die Präsenzkultur, kombiniert mit der weitverbreiteten Dauererreichbarkeit. Präsenzkultur und Dauererreichbarkeit führen zum Burn-out, wie wir es vorhin schon gehört haben. Auch in diesem Fall sollten wir uns unsere europäischen Nachbarn anschauen. In Holland und in Frankreich beispielsweise werden Zeitchartas vorgegeben. Arbeitgeber verhandeln mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über das „Von wann“, „Bis wann“, „Wo“ und „Mit welcher Verfügbarkeit“, damit nicht alle um 9 Uhr anfangen müssen und zuvor eine Stunde lang gemeinsam im Stau stehen, sondern die Zeiten flexibler nutzen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darum geht es uns bei unserem Modell des flexiblen Elterngeldes: Wir wollen, dass sich Eltern frei aussuchen können, wie viel, wann und wie sie arbeiten. Dafür braucht es eine verlässliche Kindertagesbetreuung, insbesondere für Alleinerziehende, eine familienfreundliche Kultur in den Unternehmen und Instrumente, die Flexibilität und Vielfalt zulassen. Dafür steht unser Modell des flexiblen Elterngeldes. Liebe Große Koalition, schaffen Sie doch die echte Wahlfreiheit! Wir wären dafür. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Dr. Silke Launert, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine unserer größten Aufgaben in den nächsten zehn Jahren wird es sein, unser Hauptproblem zu lösen, nämlich das Problem des demografischen Wandels. Wieso ist es so, dass in Frankreich eine Mutter im Durchschnitt mehr als zwei Kinder bekommt, in Deutschland eine Mutter aber weniger als 1,4 Kinder? Ohne die Lösung dieses Problems werden wir nicht vorankommen. Ein Land, eine Gesellschaft braucht drei Dinge: inneren und äußeren Frieden – dafür kämpfen wir an vielen Fronten in Europa und in der ganzen Welt –, eine funktionierende Wirtschaft – sonst hat niemand Geld, und niemand kann in dem Wohlstand leben, den wir jetzt haben – und Menschen, Kinder. Inzwischen sind das aufgrund unserer globalisierten Welt gut ausgebildete Kinder. Also müssen wir an dieser Stelle ansetzen. Dabei müssen wir alle ins Boot holen – das wurde mehrfach angesprochen –, insbesondere auch die Wirtschaft. Es kann nicht sein, dass das dritte Ziel vernachlässigt wird, weil uns das zweite immer wichtiger ist. Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf – ich begrüße es sehr, dass er eingebracht wurde –, der zugegebenermaßen nur ein kleiner Schritt ist und der zugegebenermaßen mittelbar auch wieder Geld kostet, vor allem dann, wenn man ihn noch etwas besser machen würde. Das würde den Haushalt sprengen. Aber es ist ein Signal, und ein Signal kann Einfluss haben. Der Unterschied zu Frankreich ist nicht nur die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie sie faktisch gelebt wird, sondern der Unterschied besteht auch in der Werteeinstellung. Es ist nach wie vor in einigen Gebieten unseres Landes so, dass sich eine Frau rechtfertigen muss, wenn sie nach der Geburt des Kindes wieder anfängt, voll zu arbeiten. Meine Kinder waren drei und vier Jahre alt, als ich in den Bundestag gegangen bin. Ich musste bei jedem Interview erklären, wie ich das denn mit den Kindern mache. Das ist wirklich so gewesen. Ich glaube nicht, dass man diese Frage einem Mann stellen würde. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus) Deshalb kann man mit kleinen Gesetzen, auch wenn sie nur ein Signal sind, die Einstellung der Menschen im Land ändern, und deshalb sind sie wichtig. Wir haben drei Aspekte: die Einführung des Elterngeld Plus, die Einführung des Partnerschaftsbonus und die Flexibilisierung der Elternzeit. Zunächst zur Flexibilisierung der Elternzeit. Das wurde bereits gesagt. Die Möglichkeit, bis zu 24 Monate zu übertragen bis zum achten Geburtstag des Kindes, begrüße ich sehr, gerade weil es noch einfacher ist, wenn man auf eine Kita, einen Kindergarten zurückgreifen kann, zwei Drittel zu arbeiten. Die richtige Herausforderung stellt sich aber erst dann, wenn das Kind eingeschult wird, wenn das Kind um 11 Uhr oder halb zwölf nach Hause kommt. Da haben wir noch Baustellen, an denen wir arbeiten müssen. Ich sage Ihnen: Das sind die Probleme, die ich habe und die meine Freundinnen haben. Deshalb ist die Übertragung so wichtig. Leider, leider trennen sich immer mehr Eltern. Das geht an den Kindern nicht spurlos vorüber, sondern sie leiden. Genau in dieser Phase braucht das Kind Zeit und Aufmerksamkeit. Es muss das Gefühl haben, dass jemand da ist, und nicht das Gefühl, dass die Mama jetzt von halbtags auf ganztags aufstockt und keine Zeit mehr für ihr Kind hat. Umso wichtiger ist es, hier Flexibilität zu haben. Zu dem anderen Aspekt, dem Elterngeld Plus. Man muss sehen: Natürlich fördern wir ganz gezielt die Erwerbstätigkeit von Frauen in einem sehr frühen Stadium. Wir fördern, dass eine Frau früh wieder arbeiten geht, also nach der Geburt eines Kindes nicht ein Jahr zu Hause bleibt, sondern teilschichtig arbeitet, sodass sie die Anzahl ihrer Elternmonate verdoppeln kann. Natürlich stimmt der Vorwurf: Ist das nicht eine gewisse Vorgabe? Fördert man damit nicht ein bestimmtes Lebensmodell? Theoretisch, in den Köpfen, stimmt das, rechnerisch nicht: Vorher war es nämlich so, dass die Frauen, die frühzeitig wieder angefangen haben, zu arbeiten, weniger Geld bekommen haben. Insofern stellen wir finanziell eher eine Gleichberechtigung her. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) Die gezielte Förderung eines bestimmten Familienmodells betreiben wir zugegebenermaßen beim Partnerschaftsbonus. Dies ist ein Lockmittel, das bewirken soll, dass beide Eltern gemeinsam zurückstecken zugunsten der Kinder. Auch wenn die Dauer von vier Monaten, in denen beide Eltern Elternzeit nehmen und gleichzeitig Teilzeit arbeiten, vielleicht zu wenig ist, um unser Ziel wirklich dauerhaft zu erreichen, ist es ein entscheidendes Signal: zum einen für die Väter – es gibt ihnen sehr viel, wenn sie auch einmal mehr Zeit zu Hause verbringen –, aber auch für die Mütter, nämlich dass jeder seinen Beitrag leistet und dass niemand allein für alles verantwortlich ist. Sie haben mir, Frau Dr. Reimann, aus dem Herzen gesprochen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn 60 Prozent der Eltern wünschen, dass man das partnerschaftlich regelt, aber faktisch nur 14 Prozent das leben, dann muss man irgendwie Druck machen. Das, was wir vorhaben, ist zumindest ein Anfang, auch wenn es, wie ich zugebe, allein natürlich nicht ausreichend sein wird. Hier betreiben wir die gezielte Förderung eines Lebensmodells, nämlich dass beide Partner zurückstecken und beide Partner sich beteiligen. Man kann mich jetzt fragen: Wieso verachtest du unser konservatives Fami-lienmodell? Wieso wollt ihr das nicht haben? – Das stimmt doch nicht. Wir verachten es nicht. Es ist auch nicht so, dass wir es nicht haben wollen. Wir fördern es mit einem viel höheren Betrag: mit dem Ehegattensplitting. Wir tun das, weil wir beides haben wollen. Sosehr ich es unterstütze, wenn Frauen früh wieder arbeiten, sosehr muss ich es ablehnen, wenn man immer wieder darüber herzieht. Man muss auch sagen: Gerade in den Familien, wo einer beruflich mehr zurücksteckt als der andere und zu Hause bleibt, werden oft mehr Kinder geboren. Ganz ehrlich: Drei Kinder haben, Kar-riere machen und auch noch ehrenamtlich engagiert sein, das führt definitiv in den Burn-out. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Wesentlichen sind wir uns alle einig: Lassen Sie uns diesen kleinen ersten Schritt angehen. Wir sollten uns nicht zerstreiten. Nachdem hier von der Vielfalt geredet worden ist, sage ich auch: Akzeptieren Sie, die Opposition, bitte auch die Vielfalt der Lebensmodelle anderer Menschen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das machen wir doch auch! Wir wollen niemanden zur Arbeit zwingen! ) Es gibt wirklich Frauen, die gerne jahrelang zu Hause sind – ja, es gibt sie – und denen das wirklich wichtig ist. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Fritz Felgentreu, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Launert, vielen Dank für diese Rede, eine Rede, die ich gerade aus den Reihen der CSU nicht unbedingt erwartet habe. Ich habe Ihnen gerne zugehört. Zur Einführung des Elterngeldes, Frau Schön, vor mittlerweile fast acht Jahren habe ich persönlich ein etwas gespaltenes Verhältnis. Als es damals beschlossen wurde, war gerade meine jüngste Tochter unterwegs. Als diese Leistung zum ersten Mal ausgezahlt wurde, war sie drei Wochen alt. Da haben meine Frau und ich uns ein bisschen wie zwei Dackel vor der Fleischerei gefühlt: „Wir müssen leider draußen bleiben!“ Völlig unabhängig von solchen persönlichen Nickeligkeiten war mir schon damals klar, dass das Elterngeld ein Riesenfortschritt ist. Das Elterngeld hat schon damals deutlich gemacht: Diese Republik geht konsequent Schritte, um Familie und Beruf miteinander vereinbar zu machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Damals, vor acht Jahren, ging es noch ein bisschen mehr um das Thema Armutsrisiko. Man hat vorgerechnet, was Kinder kosten. Die Überlegung war damals natürlich auch, jungen Familien zu ermöglichen, dass sie ihren Lebensstandard halten und trotzdem Zeit haben, sich um ein kleines Kind zu kümmern. Es war auch gut und richtig so, diesen Ansatz zu wählen. Aber beim Elterngeld Plus geht es jetzt um etwas anderes. Es geht hier um die Möglichkeit, ein erfülltes Familienleben mit einem erfüllten Berufsleben in Einklang zu bringen, und zwar partnerschaftlich und gleichberechtigt für beide Elternteile. Denn wir wissen doch, dass viele junge Paare deswegen zögern, eine Familie zu gründen, weil beide Partner gerade dabei sind, sich beruflich eine Existenz und eine Karriere aufzubauen. Sie haben die Sorge, dass die Elternschaft sie auf diesem Wege aus der Bahn werfen könnte. Das ist ja auch leicht nachvollziehbar. Wer mit Erfolg eine anspruchsvolle Ausbildung absolviert hat, der will die erworbenen Fähigkeiten danach auch anwenden. Wir dürfen eine hohe Motivation und den Ehrgeiz, beruflich etwas aufzubauen, nicht mit Egoismus verwechseln. Das ist es nicht. (Beifall bei der SPD) Ich finde, es ist die Aufgabe von Politik, diese Motivation zu erhalten, sie zu fördern und den Weg freizumachen, damit Leistungsbereitschaft am Ende auch mit Erfolg belohnt wird. Wenn wir also feststellen, dass junge Leute das Gefühl haben, sich zwischen Familie und Beruf entscheiden zu müssen, dann ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass genau diese Entscheidungssituation sich in Luft auflöst. (Beifall bei der SPD) Es darf nicht sein, dass ein Ja zur Familie mit einem Nein zur Karriere erkauft werden muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Darum geht es. Ich bin sehr für eine Familienpolitik der drei großen Ks: Kinder, Kino und Karriere. Wenn wir das unter einen Hut kriegen, haben wir einen Riesenfortschritt gemacht. (Beifall bei der SPD) Natürlich ist das immer noch ein Frauenthema, auch wenn sich immer mehr Männer – darauf ist heute schon hingewiesen worden – die Zeit für die Familie wünschen. Aber wir müssen uns einfach einmal die Zahlen anschauen. Dazu gibt es eine schöne Auswertung: 2012 bezogen 30 Prozent der Väter Elterngeld, aber 96 Prozent der Mütter. 78 Prozent der Väter, die Elterngeld bezogen, bezogen es für zwei Monate, während 88 Prozent der Mütter es für zwölf Monate bezogen. Das bedeutet: In der Praxis entschieden sich die Männer mit großer Mehrheit für den Beruf und die Frauen mit großer Mehrheit für die Familienarbeit. Das kritisieren wir auch gar nicht. Aber wir leiten unser ergänzendes Modell zur Unterstützung von Familien daraus ab. Mit dem Elterngeld Plus tun wir jetzt etwas für die Paare, die sich beides, Beruf und Familienzeit, partnerschaftlich teilen wollen. Meine Damen und Herren, in der SPD-Fraktion sind wir überzeugt: Dieses Modell hat Zukunft. Es ist ein Schritt auf dem richtigen gesellschaftlichen Weg. Das Elterngeld Plus macht Frauen ökonomisch unabhängiger, weil es ihnen die Berufstätigkeit erleichtert. Es fördert die Gleichstellung von Mann und Frau, weil es für Frauen und Männer die gleichen Anreize enthält, in Teilzeit zu arbeiten. Frau Launert, Sie hatten eben von einem „Lockmittel“ gesprochen; Anreiz klingt ein bisschen zurückhaltender. Aber Sie haben natürlich recht. Auf diese Weise verbindet das Elterngeld Plus den Vorteil des herkömmlichen Elterngeldes mit einer Antwort auf den Fachkräftemangel in vielen Branchen. Eltern finden Zeit, sich um ihre kleinen Kinder zu kümmern. Das Einkommen der Familien bleibt dennoch einigermaßen stabil, und die Arbeitskraft der Eltern steht der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst trotzdem weiter zur Verfügung. Das Elterngeld Plus ist ein wichtiger Beitrag des Staates auf dem Weg zu einer Gesellschaft, in der Familie und Beruf besser miteinander vereinbart werden können. Wir wissen aber auch, dass es damit nicht getan ist. Deswegen ist heute oft vom ersten Schritt die Rede gewesen. Der eigentliche Durchbruch auf dem Weg zur Familienarbeitszeit kann erst gelingen, wenn auch die Arbeitswelt sich mit einer vollkommenen Selbstverständlichkeit darauf eingestellt hat. Bewähren kann sich das Elterngeld Plus ebenso wie der flexible Anspruch auf Elternzeit nur in der praktischen Umsetzung. Deshalb müssen wir seine Einführung auch damit verbinden – das war eine Forderung vom Kollegen Weinberg –, den Dialog mit der Wirtschaft zu führen. Wir brauchen Bündnisse für Arbeit und Familie, überall in Deutschland, gerade auch auf der Ebene der Länder und Kommunen. Dabei – das sage ich ausdrücklich als Sozialdemokrat – muss die Politik ein offenes Ohr für die Sorgen kleinerer und mittlerer Betriebe haben, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die noch nicht wissen, wie sie die Teilzeit von Beschäftigten sinnvoll und wirtschaftlich in ihre Arbeitsabläufe integrieren können. Da müssen Lösungen her. Das heißt, wir geben den Anspruch nicht auf, aber es müssen Lösungen her, um den Interessen der Betriebe gerecht zu werden. Wir müssen die Ergebnisse der Gesamtevaluation familienpolitischer Leistungen, die uns ja vorliegen, ernst nehmen und unsere familienpolitischen Zielvorstellungen daran messen. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Rosinenpickerei geht da nicht. Wir können uns nicht nur die Dinge heraussuchen, die wir gemacht haben und die gelobt werden; wir müssen uns eben auch die Dinge anschauen, die kritisiert werden, und Schlussfolgerungen aus der Kritik ziehen. Eine Schlussfolgerung ist: Kinder und Familie fördern wir am besten und am gerechtesten mit hervorragenden Kitas und Schulen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Diese Erkenntnis hat sich in der Wirtschaft schneller durchgesetzt als in der Politik, daher ja auch die berechtigte Kritik des Deutschen Industrie- und Handelskammertages am Betreuungsgeld. Aber die ganz dicken Bretter – damit meine ich die Fehlsteuerungen beim Ehegattensplitting, in der beitragsfreien Mitversicherung und in der Ausgestaltung bei Minijobs – werden wir nicht alle auf einmal aufbohren können. Wir müssen uns aber damit auseinandersetzen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Beim Elterngeld Plus können wir allerdings schon jetzt darüber reden, wie wir die finanzielle Unterstützung mit einem Betreuungsangebot verbinden. Was spricht zum Beispiel dagegen, einmal darüber nachzudenken, dass wir den Bezug von Elterngeld Plus mit einem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz kombinieren? Das wäre eine Maßnahme, die wir mit den Ergebnissen der Evaluation ganz hervorragend begründen könnten. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns also nicht auf der Stelle treten, sondern lassen Sie uns die Einführung des Elterngeldes Plus als Startsignal begreifen, das uns auf dem Weg zur Familienarbeitszeit in eine lebhafte Debatte und zu mutigen Entscheidung führt. Die Familien in Deutschland werden es uns danken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Bettina Hornhues, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Bettina Hornhues (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Unser Rollenbild der Familie befindet sich im Wandel. Diese Erkenntnis ist nicht neu, sollte uns aber bei der Gesetzesberatung immer begleiten. Familienpolitische Maßnahmen und Modelle, die uns noch vor fünf oder zehn Jahren als innovativ und fortschrittlich erschienen, entsprechen heute nicht zwangsläufig mehr den Wünschen und Lebensplanungen der jungen Eltern. Unsere Aufgabe ist es also, die notwendigen politischen Rahmenbedingungen zu schaffen, die nah an der Realität sind. Was ist unsere Ausgangslage? Die traditionelle Rollenverteilung innerhalb der Familie verliert immer mehr an Bedeutung. Junge Eltern streben heute nach einer partnerschaftlichen Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit. Auf der einen Seite haben wir die jungen Väter. Für sie ist es heute selbstverständlich, dass Frauen arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen, und zugleich möchten sie ihre Partnerin auf ihrem beruflichen Weg unterstützen. Tatsächlich möchten sich diese Väter heute auch stärker in die Familie einbringen und mehr Zeit mit ihren Kindern zusammen sein. Laut einer aktuellen Studie hat aber jeder zweite Vater das Gefühl, zu wenig Zeit für seine Kinder zu haben. Auf der anderen Seite haben wir die jungen Mütter. Treten wir hier in die Diskussion um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein, zeigt sich bei vielen jungen Müttern eine Unzufriedenheit mit den vorhandenen Familien- und Arbeitszeitmodellen, nämlich zwischen dem gewünschten Modell der Arbeitszeit von circa 30 Stunden pro Woche und dem flexiblen Aufteilen von Hausarbeit und Kinderbetreuung mit dem Partner und dem Familienmodell, das tatsächlich gelebt wird. Hier klafft eine große Lücke, und diese Lücke gilt es zu schließen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) Tatsächlich ist Familienarbeit in Deutschland zwischen den Eltern immer noch höchst ungleich verteilt. Weit verbreitet ist nach wie vor das Modell des Vollzeit erwerbstätigen Vaters und der hinzuverdienenden Mutter. Geht also der Vater Vollzeit arbeiten, bleibt für ihn wenig Zeit mit der Familie und für viele Aufgaben, die die Mutter ohne die Unterstützung des Partners zu stemmen hat. Dieses Bild aus der Praxis zeigt, wie sehr der Wunsch nach der partnerschaftlichen Aufteilung der Aufgaben in Familie und Beruf mit der Realität kollidiert. So wünschen sich 60 Prozent der Eltern eine partnerschaftliche Teilung der Aufgaben, aber nur in jeder siebten Familie gelingt dieses auch. Mit der Einführung des Elterngeldes Plus mit dem Partnerschaftsbonus wird dem Elternwunsch nach mehr Partnerschaftlichkeit auch durch das Setzen eines politischen Rahmens Rechnung getragen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Politische Rahmenbedingungen sind das eine, aber wir müssen auch die Arbeitgeber von den kleinen Betrieben bis hin zu den großen Unternehmen einschließlich des öffentlichen Dienstes mit ins Boot holen. Meiner persönlichen Überzeugung nach steht und fällt mit diesen Beteiligten das ganze Bemühen, den gesetzten Rahmen mit Inhalt und damit mit Leben zu füllen. Stichworte wie der demografische Wandel oder der drohende Fachkräftemangel sind für die Arbeitgeber nicht neu, aber starke Argumente für eine bessere Vereinbarkeit und ein Angebot an flexibleren Arbeitszeitmodellen, um auch das weibliche, immer besser werdende und hochqualifizierte Arbeitskräftepotenzial voll auszuschöpfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dies bringt nicht nur Vorteile für unsere Volkswirtschaft mit sich, sondern – noch wichtiger – stärkt das Selbstwertgefühl der Frauen. Mütter kehren nach der Geburt eines Kindes überwiegend nach 19 Monaten in das Arbeitsleben zurück, einige noch später. Aber über die Hälfte von ihnen würde gerne früher wieder arbeiten. Diesen Wunsch wollen wir politisch besser unterstützen. Das bietet nicht nur Entscheidungsfreiheit und volle Flexibilität für die Familie, sondern auch Gewinne für die Wirtschaft. Diese Vorteile für die Wirtschaft und Arbeitgeber müssen wir weiter herausstellen und für erfolgreiche Wiedereinstiegsstrategien werben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Arbeitgeber profitieren von motivierten Arbeitskräften, ihrem Wissen und geringeren Einarbeitungskosten. Die Beschäftigten wiederum profitieren davon, dass ihnen die Chance auf Karriere und Teilhabe an allgemeinen Einkommensentwicklungen nicht verwehrt bleibt. Betriebliche Unterstützungsmaßnahmen für den Wiedereinstieg sind daher ebenso wichtig wie die politischen Rahmenbedingungen. Viele Unternehmen zeigen bereits jetzt, dass dies funktionieren kann. Erst kürzlich habe ich in einem benachbarten Wahlkreis zusammen mit Kollegen ein Unternehmen besucht, welches in nur fünf Monaten einen Betriebskindergarten für die Mitarbeiter eingerichtet hat und somit flexible Arbeitszeitmodelle unterstützt. Nur fünf Monate von der Idee bis zur Inbetriebnahme! Ich war beeindruckt von diesem Engagement und dem Zusammenspiel von Wirtschaft und Kommune. Wenden wir uns nun wieder den Vätern zu. Durch das neue Elterngeld Plus soll den Vätern noch mehr Zeit mit ihren Kindern ermöglicht werden, wenn denn die Unternehmen mitspielen. Es gibt Unternehmen, die mit vorbildlichem Beispiel vorangehen und beispielsweise Familienzeiten als Karrierepunkt anrechnen oder mit Maßnahmen wie familienfreundlichen Zeiten für Besprechungen oder dem Arbeiten von zu Hause aus den Mitarbeitern entgegenkommen. Leider müssen in vielen Unternehmen die Männer noch regelrecht darum kämpfen, ihr Recht auf Elternzeit umsetzen zu können. Ich meine daher: Arbeitnehmer dürfen keine Bittsteller bei ihren Arbeitgebern sein, wenn sie ihre Elternzeit aktiv nutzen wollen. Ich sehe es demzufolge als unsere Aufgabe an, in den zahlreichen Gesprächen, die wir als Abgeordnete mit den Unternehmen im Wahlkreis führen, für mehr Verständnis zu werben, damit wir den jungen Vätern und Müttern mehr Zeit mit ihren Familien ermöglichen können, ohne dass sie Nachteile im Arbeitsleben in Kauf nehmen müssen. Das ist nicht nur eine politische oder wirtschaftliche, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wenn ich für eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf werbe, dann habe ich zudem einen ganz besonderen Arbeitgeber im Sinn: die Bundeswehr, von der wir als Parlament immer öfter immer neue und weitere Aufgaben abfordern. Mir ist natürlich bewusst, dass manche familienpolitischen Maßnahmen, eben auch das neue Elterngeld Plus, nicht alle Berufsgruppen in gleichem Umfang profitieren lassen. Nicht nur als Berichterstatterin der Vereinbarkeit von Familie und Dienst in der Bundeswehr, sondern auch aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf Soldatenfamilien vor besondere Herausforderungen stellt. Nehmen wir als Beispiel einmal die Eltern, die während des Elterngeldbezuges Teilzeit arbeiten wollen. Das neue Elterngeld Plus schafft hierfür Regelungen. Allerdings wird es für viele Soldatinnen und Soldaten nicht immer möglich sein, von diesen Neuerungen zu profitieren, da es in ihrer aktuellen Verwendung während einer Übung oder im Auslandseinsatz gar nicht möglich ist, Arbeitszeit zu reduzieren oder flexibel nach persönlichen Wünschen anzupassen. Nach wie vor gibt es bislang nur wenige Möglichkeiten, bei der Bundeswehr seinen Dienst in Teilzeit zu leisten. Hier brauchen wir nicht nur kreative Ideen, sondern – wie auch in den Unternehmen – ein stärkeres Umdenken bei den militärischen und zivilen Führungskräften der Bundeswehr, damit dies noch mehr Soldatinnen und Soldaten ermöglicht werden kann. Ich begrüße daher den Vorstoß von Frau von der Leyen, mehr Möglichkeiten für Teilzeitarbeit bei der Bundeswehr schaffen zu wollen, um auch Soldatinnen und Soldaten von familienpolitischen Maßnahmen voll profitieren zu lassen. Ich möchte festhalten: Das Elterngeld ist zu einem Erfolgsmodell geworden. Ich gehe davon aus und bin fest davon überzeugt, dass das Elterngeld Plus es auch wird. In einer Sache sind wir uns wohl parteiübergreifend alle einig: Zeit mit unseren Kindern ist wertvoll und kommt nicht zurück. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem Abgeordneten Eckhard Pols, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Guter Mann!) Eckhard Pols (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine lieben Damen und Herren! Auch ich, lieber Marcus, möchte mit einem Zitat aus der Presse beginnen. Anfang der Woche veröffentlichte unsere Lüneburger Landeszeitung einen Beitrag zum Elterngeld Plus mit dem Titel: „Wohnt der Papa im Büro?“ Dass die Kinder diese Frage stellen, fürchtet wohl jeder Familienvater. Es geht dabei um eine Fragestellung, die aktueller nicht sein könnte, um den Spagat von Vätern zwischen Beruf und Familie. Auch Väter – das haben wir heute schon gehört – möchten Zeit mit ihren Kindern verbringen und sich an der Erziehung ihrer Kinder beteiligen. Sie wollen eben nicht nur die Rolle des Familienernährers einnehmen. Unbestritten ist, dass die herkömmliche Rollenverteilung, bei der sich die Frau um das Kind kümmert und der Mann den Lebensunterhalt sichert, der Realität vieler Familien nicht mehr gerecht wird. Einerseits wollen viele Mütter nach der Geburt ihres Kindes zeitnah in den Job zurückkehren. Das liegt vor allem angesichts des spürbaren Fachkräftemangels auch im Interesse der Wirtschaft. Andererseits wollen die Väter mehr Zeit zu Hause verbringen. Die größte Befürchtung vieler Väter ist immer noch, dass es zu einem Karriereknick kommt, wenn sie länger als zwei Monate aus dem Beruf aussteigen. Das soll und wird sich mit dem neuen Elterngeld Plus ändern. Wir schaffen Anreize dafür, dass sich mehr Väter für eine Elternzeit entscheiden, und zwar, ohne dafür im Hinblick auf ein weiteres berufliches Vorankommen bestraft zu werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Unter dem Motto „Mehr Zeit für Familie, mehr Zeit für Kinder, mehr Flexibilität“ hat die Familienministerin das bisherige Elterngeld nun zu einem Elterngeld Plus weiterentwickelt. Nach der jetzigen Elterngeldregelung ist es unattraktiv, während der Elternzeit zu arbeiten, da das Teilzeiteinkommen vom Elterngeld abgezogen wird und jeder in Teilzeit gearbeitete Monat voll auf die Bezugsdauer des Elterngeldes angerechnet wird. Das neue Elterngeld Plus macht Teilzeitarbeit attraktiver. Dies eröffnet neue Spielräume für Eltern, die Aufgabenteilung in Familie und Beruf partnerschaftlich zu organisieren. Berufliche Auszeiten können begrenzt werden, Mütter schneller ins Berufsleben zurückkehren, und der Erwerbsanteil der Frauen wird weiter steigen. Zur genauen Ausgestaltung haben wir hier heute schon vieles gehört. Deswegen möchte ich nicht näher darauf eingehen. Nun hat eine Medaille bekanntlich zwei Seiten. Ich freue mich, dass die Kollegen Weinberg und Felgentreu hier wenigstens am Rande kurz die Aspekte der Wirtschaft erwähnt haben. Dass es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und ihren Familien, sprich: ihren Kindern, in unserem Land besser gehen soll, ist wichtig und richtig. Aber Familien gibt es auch auf der anderen Seite, auf der Unternehmerseite. Bitte wundern Sie sich jetzt nicht, wenn ich als Mittelständler einiges kritisch anmerke, und zwar aus der Sicht eines selbstständigen Handwerksmeisters, der selbst eine Familie mit fünf Kindern hat. Unsere Wirtschaft besteht nicht nur aus den Großbetrieben, die immer gerne zitiert und als Beispiele herangezogen werden, wie Bosch, Siemens oder VW. Der überwiegende Teil unserer Unternehmen in Deutschland, circa 90 Prozent, sind kleine und mittlere Unternehmen. Ich spreche hier also über viele Betriebe, insbesondere im Handwerk, über 580 000 Betriebe mit gut 5 Millionen Beschäftigten. In der Praxis dürfte es schwierig werden, für die Beschäftigten qualifiziertes Ersatzpersonal für kurze Zeiträume zu bekommen. Das sage ich Ihnen als Praktiker, der das jeden Tag erlebt. Eine Einarbeitung von Ersatzkräften ist oft nicht machbar, erstens aus fachlichen Gründen, zweitens, weil entsprechende Kräfte gar nicht auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind. Das kann bedeuten, dass in der Zeit die übrigen Arbeitnehmer des Betriebes und natürlich auch der Meister bzw. die Meisterin, gegebenenfalls sogar die Familienangehörigen die Zusatzarbeit mit erledigen müssen. Hier können Betriebe schnell an ihre Belastungsgrenze stoßen. Wichtig bleibt, dass der Rechtsanspruch auf Teilzeit, wie vorgesehen, erst ab einer Schwelle von 15 Arbeitnehmern gilt. Ich meine aber, die Schwelle sollte besser bei 20 Arbeitnehmern liegen und es sollten keine betrieblichen Gründe entgegenstehen dürfen. Auch sollten auf freiwilliger Basis mehr auf die individuelle Situation abgestimmte, passgenaue Teilzeitmodelle zwischen Eltern und Unternehmen vereinbart werden. Aus diesem Grunde ist die vorgesehene Aufteilung der Elternzeit – hoffentlich wird sich das noch ändern – auf drei Zeitabschnitte statt bisher auf zwei Zeitabschnitte, und das ohne Zustimmung des Arbeitgebers, noch einmal zu überdenken, auch wenn die Ankündigungsfrist von 7 auf 13 Wochen erhöht wird. Der vorgesehene Ausbau der Flexibilisierung, der den Wünschen junger Familien entspricht und positiv zu sehen ist, bedeutet gerade für die kleinen Betriebe im Handwerk einen tiefgreifenden Eingriff in die Personalplanungshoheit; denn gerade das Handwerk muss flexibel auf oft stark schwankende Auftragslagen reagieren. Im Handwerk ist familienfreundliche Personalpolitik schon heute selbstverständlich. Nicht umsonst hat der ZDH, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, im Februar 2011 gemeinsam mit anderen Wirtschaftsverbänden und der Bundesregierung die Charta für fami-lienbewusste Arbeitszeiten mitunterzeichnet. Fast alle Handwerksbetriebe, 86 Prozent, bieten ihren Mitarbeitern zumindest ein familienfreundliches Arbeitszeitmodell an. In unserem Betrieb ist das übrigens auch so. Untersuchungen belegen darüber hinaus, dass jüngere Betriebsinhaber den Eltern in ihrer Belegschaft signifikant häufiger Unterstützungsleistungen zukommen lassen. Bei den vielen Maßnahmen zur Realisierung des Ziels „Mehr Zeit für Familie, mehr Zeit für Kinder, größere Flexibilität“ sind insbesondere kleine und mittlere Betriebe – und das nicht nur im Handwerk; das kann auch in der Landwirtschaft sein, liebe Kollegin Pahlmann, aber auch im kaufmännischen Bereich – auf Unterstützung und Förderung angewiesen. (Beifall bei der CDU/CSU) Für das Handwerk kann ich sagen: Wir sind eigentlich viel weiter, als viele in der Politik denken. Wir müssen nicht alles gesetzlich regeln. Lassen wir den Mittelstand arbeiten! Wir wissen, was wir an unseren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben; denn sie sind unser größtes Kapital. Alles in allem haben wir als Koalition mit dem Elterngeld Plus einen guten und richtigen Weg eingeschlagen, der partnerschaftliche Betreuung des Kindes und gleichzeitige Erwerbstätigkeit miteinander verbindet. Unter moderner Familienpolitik verstehen wir, sich den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen. Wie wichtig uns dieses Anliegen ist, spiegelt sich auch im aktuellen Bundeshaushalt für 2015 wider. Der weitaus größte Anteil im Etat des Familienministeriums, nämlich 5,4 Milliarden Euro, entfällt allein auf das Elterngeld. Aber wir wissen schon heute, Frau Ministerin, dass das im Etat 2016 nicht ausreichen wird. Wir werden über diese 5,4 Milliarden Euro hinausgehen müssen. Herr Präsident, gestatten Sie mir zum Schluss noch ein persönliches Wort. Ich habe zu Beginn davon gesprochen, dass ich fünf Kinder habe. Ich muss mit meiner Frau besprechen, ob noch ein sechstes folgen soll. (Heiterkeit) Meine Frau hat die geschäftsführende Position in unserem Betrieb eingenommen. Wir könnten ausprobieren, wie sich das Elterngeld Plus auf die Selbstständigkeit auswirkt, wenn meine Frau in Elternzeit geht und ich die Partnermonate nehme. Ich bin gespannt, Herr Präsident, was die Bundestagsverwaltung dazu sagt. Vielen Dank. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Das war ein origineller Moment in der Parlamentsgeschichte. Noch nie hat ein Kollege seine Familienplanung vor dem Plenum erörtert. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Verwaltung wird die von Ihnen gestellte Frage prüfen. Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/2583 sowie die Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 18/2625 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Es gibt auch keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung Drucksache 18/2586 Überweisungsvorschlag: Haushaltsauschuss (f) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausbau und Qualität in der Kinderbetreuung vorantreiben Drucksache 18/2605 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsauschuss Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Bundesregierung das Wort dem Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass der Bund im Vorgriff auf künftige Maßnahmen in den Jahren 2015 bis 2017 die Kommunen jeweils um 1 Milliarde Euro entlastet. Diese Zusage lösen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein. Wir entlasten die Kommunen, indem wir den Anteil der Gemeinden an der Umsatzsteuer und die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft und Heizung in den Jahren 2015 bis 2017 um jeweils 500 Millionen Euro erhöhen. Wir haben damit einen ausgewogenen Verteilungsmechanismus gewählt, der dafür sorgt, dass die Entlastung auch tatsächlich bei den Kommunen ankommt. Von der Übernahme der Kosten der Unterkunft profitieren besonders die Kommunen, die hohe Sozialausgaben haben. Zusätzlich unterstützen wir in dieser Legislaturperiode Länder und Kommunen bei der Finanzierung von Kinderkrippen, Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen mit insgesamt 6 Milliarden Euro zusätzlich. Einen wichtigen Teil dieser Unterstützung haben wir mit der Novellierung des BAföG bereits beschlossen. Dabei geht es insbesondere um die vollständige Übernahme des Finanzierungsanteils der Länder durch den Bund. Allein das entlastet die Länder bis 2017 um 3,5 Milliarden Euro. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben uns im Mai mit den Ländern darauf verständigt, das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ in den Jahren 2016 bis 2018 um weitere 550 Millionen Euro aufzustocken. Damit wird die Unterstützung für Länder und Gemeinden beim Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige, die sich bis Ende 2014 auf 5,4 Milliarden Euro beläuft, weiter erhöht. Bis 2018 stellt der Bund für Investitionen in den Ausbau der Kinderbetreuung 3,28 Milliarden Euro zur Verfügung. Ich nenne die Zahlen im Detail, weil es ganz wichtig ist, dass man sie überall einmal zur Kenntnis nimmt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!) Darüber hinaus erhöht der Bund noch einmal seine Beteiligung an den Betriebskosten der Kinderbetreuung – neben den Investitionskosten. Der jährliche Betriebskostenzuschuss in Höhe von 845 Millionen Euro wird in den Jahren 2017 und 2018 noch einmal um jeweils 100 Millionen Euro gesteigert. Hierfür wird der Länderanteil an der Umsatzsteuer entsprechend angehoben. Damit unterstützt der Bund die Länder beim Ausbau der Kinderbetreuung nachhaltig. So können weitere 30 000 Kinderbetreuungsplätze geschaffen werden, die zu den bereits zugesagten 780 000 Kinderbetreuungsplätzen hinzukommen. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Lösung dieser für unser Land gesellschaftlich wie auch volkswirtschaftlich bedeutenden Aufgabe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Was zahlen die Kommunen?) Das trägt zu einer bedarfsgerechten und qualitativ guten Kinderbetreuung und -förderung bei. Länder und Kommunen sollten die bereitgestellten Mittel entsprechend einsetzen und damit ihren Beitrag leisten. Im Übrigen ist ausdrücklich zugesagt – daran will ich erinnern –, dass die Mittel, die durch die Übernahme des BAföG-Finanzierungsanteils der Länder durch den Bund auf Länderseite frei werden, von den Ländern vor allem für Hochschulen zur Verfügung gestellt werden. Das muss man immer wieder in Erinnerung rufen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Länder und Kommunen verfügen dank der Unterstützung durch den Bund über die Möglichkeit, neue Kinderbetreuungsplätze zu schaffen, hochwertige Ausstattungsinvestitionen vorzunehmen und für eine verbesserte Betreuung, etwa auch hinsichtlich der Sprachförderung, zu sorgen. Die Regeln zur Verwendung dieser Mittel für Investitionen – nicht nur in Bauten, sondern auch in Ausstattungen – haben sich bewährt. Deswegen werden sie auch in diesem Gesetzentwurf beibehalten. Das zeigt wieder: Die Bundesregierung ist für Länder und Kommunen ein verlässlicher Partner. Länder und Kommunen werden durch dieses Gesetz bis 2018 um 3,75 Milliarden Euro entlastet. Bereits in der letzten Legislaturperiode hat der Bund die Länder und Kommunen massiv unterstützt, vor allem durch die vollständige Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Allein durch diese Maßnahme werden die Länder und Kommunen im Zeitraum 2012 bis 2017 um rund 25 Milliarden Euro entlastet. All dies stärkt die Handlungsfähigkeit von Ländern und Kommunen. Wir erwarten, dass sie ihre gestärkte Investitionskraft nutzen. Im vergangenen Jahr hat das übrigens gewirkt: Die Kommunen haben ihre Investitionen um 8,4 Prozent erhöht. Wir gehen davon aus, dass die Kommunen aufgrund dieser Maßnahme ihre Investitionen weiter steigern. Es ist wichtig, dass alle staatlichen Ebenen, nicht nur der Bund, sondern auch Länder und Kommunen, sich in der Pflicht sehen, entsprechend ihrer jeweiligen Aufgaben verstärkt zukunftsorientierte öffentliche Investitionen in Deutschland zu tätigen. Wir werden auch in diesen Tagen, Wochen und Monaten in den laufenden komplizierten Gesprächen mit den Ländern über die Grundfragen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen für die Zeit nach dem Auslaufen des Solidarpakts II Ende 2019 immer wieder stark dafür eintreten; denn die eigentliche gesamtwirtschaftliche Herausforderung ist, dass wir mehr Investitionen erzielen. Darüber haben wir ausführlich gesprochen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will auch darauf aufmerksam machen, dass unsere Politik, Länder und Kommunen zu unterstützen, Früchte trägt. Die kommunale Ebene weist in den letzten zwei Jahren in ihrer Gesamtheit – natürlich sind Durchschnittszahlen im Einzelfall immer nur begrenzt hilfreich – Überschüsse auf. Die Länder verfügten im letzten Jahr über Einnahmen, die rund 20 Milliarden Euro höher waren als die des Bundes. Die Länder haben insgesamt fast ausgeglichene Haushalte erzielt. Im Vergleich zu den Finanzkennzahlen von Ländern und Kommunen zeigen die Finanzkennzahlen des Bundes eine starke Schieflage zu seinen Lasten. Der Bund wird erst im nächsten Jahr, wenn alles gut geht, einen ausgeglichenen Haushalt erreichen können. Ich kann – das möchte ich freundlich, aber klar sagen – übrigens nicht erkennen, dass das etwas mit Fetischismus zu tun hat. Die Verpflichtung dazu steht im Grundgesetz. Ich kann nicht erkennen, warum die grundgesetzlichen Regelungen als Fetischismus bezeichnet werden sollten. Unser Schuldenstand und unsere Zinslast sind im Verhältnis zum Haushaltsvolumen wie auch zu den Steuereinnahmen doppelt so hoch wie die der Länder. Auch das muss man in diesen Verhandlungen und bei den öffentlichen Erklärungen immer wieder sagen. Der Bund muss handlungsfähig bleiben. Auch er braucht eine angemessene Finanzausstattung. Ich finde auch, dass wir alle aufmerksam zur Kenntnis nehmen sollten, was die Bundesbank in ihrem aktuellen Monatsbericht vorgeschlagen hat. Sie hat dafür plädiert, den Ländern mehr Eigenverantwortung zu geben, indem die Länder durch Steuerzu- und -abschläge eine begrenzte Steuerautonomie, etwa bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, bekommen könnten. Ich weiß, dass es Argumente dafür und dagegen gibt; aber ich glaube, die Bundesbank hat zu Recht darauf hingewiesen, dass natürlich mehr Eigenverantwortung auch mehr Anreize für stärkere Wirtschaftlichkeit der Staatstätigkeit insgesamt liefert. Man sollte das nicht von vornherein aus der Diskussion und aus den Überlegungen ausschließen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich würde mit Blick auf die Rolle der Länder für die Kommunen gerne ergänzen, dass es natürlich nicht ausreicht, wenn sich nur der Bund gegenüber den Kommunen als verlässlicher Partner verhält. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn trotz der großen Unterstützung, die der Bund den Ländern und Kommunen gewährt und die ja von den kommunalen Spitzenverbänden durchaus anerkannt wird, und trotz der erfreulichen Gesamtsituation aller Kommunen insgesamt ist natürlich in vielen einzelnen Städten und Gemeinden die finanzielle Lage weiterhin schwierig. Aber nach dem Grundgesetz ist der Ausgleich zwischen den Gemeinden ausschließlich Aufgabe der Länder. Der Bund hat keine Möglichkeit, direkt auf die kommunale Ebene Einfluss zu nehmen. Wir können es nur über die Länder machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die starken Unterschiede in der finanziellen Lage der Kommunen zeigen sich vor allem in der Nutzung des Instruments der Kassenkredite. Wenn man da ein bisschen genauer hinschaut, kann man sehr präzise erkennen, dass es sich nicht um ein flächendeckendes Problem handelt, sondern um ein Problem, das nur in einzelnen Ländern besteht und regional konzentriert ist. Die betroffenen Länder haben das Problem erkannt. Die Mehrzahl hat inzwischen kommunale Entschuldungs- und Konsolidierungsprogramme begonnen. Die ersten Erfolge stellen sich ein. Damit kommen die Länder ihrer verfassungsmäßigen Verantwortung für eine angemessene Finanzausstattung aller Kommunen nach. Das ist wichtig; denn die Kommunen sind ja die Basis einer freiheitlichen, stabilen und lebendigen Demokratie. Nach unserer föderalen Ordnung ist und bleibt sinnvoll: Die kommunalen Angelegenheiten sollten in erster Linie vor Ort entschieden werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber dazu brauchen wir eine dauerhafte Lösung für einzelne hochverschuldete Kommunen. Die kommunalen Entschuldungs- und Konsolidierungsprogramme müssen Schuldenabbau und Haushaltsausgleich umfassen. Wir brauchen auch eine strengere Überwachung der mit den Programmen verbundenen Konsolidierungsauflagen. Da ist die Kommunalaufsicht gefordert. Sie sollte nicht erst dann eingreifen, wenn die finanzielle Schieflage der Kommune bereits eingetreten ist, sondern frühzeitig, wenn sie sich abzuzeichnen beginnt. Ein lebendiger Föderalismus lebt durch seine Kommunen. Wenn wir in Deutschland starke Kommunen haben wollen, brauchen sie eigene Gestaltungsmöglichkeiten bei ihren Einnahmen und Ausgaben. Sie sollten über die Wahrnehmung ihrer kommunalen Aufgaben möglichst weitgehend selbst entscheiden können, ohne dass von oben alles vorgegeben und geregelt wird. Für die -finanziellen Auswirkungen ihrer Entscheidungen müssen sie aber natürlich auch Verantwortung übernehmen; denn sonst gibt es Fehlanreize. Deswegen sollten Aufgaben, die regionale Bezüge haben, nach unserer Auffassung stärker vor Ort entschieden und finanziert werden. Umgekehrt soll auf Bundesebene in erster Linie das entschieden und finanziert werden, was man zentral regeln muss. Die geltende Ordnung unserer Bund-Länder-Finanzbeziehungen folgt diesem Prinzip leider nicht immer. Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung wurden und werden im föderalen Streit häufig vermischt und vermengt. Für den Bürger ist das kaum noch überschaubar, und für eine sparsame Mittelverwendung ist das eine nicht optimale Ordnung. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen wollen wir klarere Verantwortlichkeiten im Bundesstaat. Dass wir selber mit gutem Beispiel vorangehen wollen, haben wir mit dem Gesetzentwurf zur Übernahme des BAföG durch den Bund gezeigt. Das ist ein deutlicher Schritt auf die Länder zu. Ich erhoffe mir von den anstehenden Bund-Länder-Verhandlungen, dass sich die Länderseite nun auch im Sinne gesamtstaatlicher Verantwortung bewegt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wäre ein ganz neuer Zug!) Wir brauchen in Deutschland eine bessere, zweckmäßigere und effizientere Zuordnung von Aufgaben im föderalen Staatswesen, auch und gerade zur Stärkung der kommunalen Ebene. Nur wenn wir die kommunale Eigenverantwortung stärken, werden die Kommunen als bedeutende Ebene unseres Gemeinwesens für Bürgerinnen und Bürger wie für Unternehmen und Investoren auch in Zukunft attraktiv, lebendig und lebenswert bleiben. Die Verbindung solider Finanzen und kluger Investitionen ist Zukunftsvorsorge im besten Sinn. Die Kommunen leisten wichtige Beiträge zur dauerhaften Sicherung von Wachstum und Beschäftigung und damit Wohlstand in unserem Land. Der Bund ist und bleibt den Kommunen ein verlässlicher Partner. Wir haben das in den letzten Jahren bewiesen, und das soll auch in Zukunft so sein. Dieser Gesetzentwurf dient diesem Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Diana Golze, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Diana Golze (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Schäuble! Sehr geehrte Frau Ministerin Schwesig! Der Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, trägt den wunderbaren Titel „Gesetz zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung“. Ja, zum quantitativen Ausbau trägt Ihr Gesetzentwurf sicherlich bei; denn Sie regeln detailliert die Aufteilung der neuen 550 Millionen Euro für die Aufstockung des Sondervermögens. Das ist sicherlich notwendige Verwaltungstechnokratie. Steht in dem Gesetzentwurf aber auch etwas zur Qualität? Lassen Sie uns doch einmal gemeinsam überlegen, was wir unter Qualität in Kitas verstehen. Sie haben dafür doch bestimmt auch Vorschläge? – Wenn die Kollegen der Union nicht gerade miteinander reden würden, würde ihnen vielleicht etwas einfallen. – Mir fällt zu diesem Thema zum Beispiel der Betreuungsschlüssel ein. (Beifall bei der LINKEN) – Genau. – Die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher hat sicherlich auch etwas mit Qualität zu tun, und vielleicht sogar deren Entlohnung. (Beifall bei der LINKEN) Wie wäre es mit Freistellungszeiten für das Leitungspersonal, Zeit für Vor- und Nachbereitung und Qualifizierungsmaßnahmen? Das alles hat etwas mit Qualität zu tun, würde ich sagen. (Beifall bei der LINKEN) Schauen wir nun aber einmal gemeinsam in den Gesetzentwurf. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, bitte!) Wenn ich so viel Redezeit hätte wie die Rednerinnen und Redner der Koalition, könnten wir jetzt eine Lesepause einlegen; ich habe aber nur sechs Minuten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das reicht gut für Sie!) Deshalb nehme ich das an dieser Stelle einmal vorweg und zitiere aus Artikel 4 Kapitel 3 § 12, „Zweck der -Finanzhilfen“. Da steht: Förderfähig „sind Neubau-, Ausbau-, Umbau-, Sanierungs-, Renovierungs- und Ausstattungsinvestitionen“. Weiter steht dort: Gefördert werden Investitionen, die der Schaffung oder Ausstattung zusätzlicher Betreuungsplätze dienen … Von Qualität steht in diesem Gesetzentwurf nichts. Er wird seinem eigenen Anspruch nicht gerecht. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, viele Ihrer Vorbehalte gegenüber der frühkindlichen Betreuung bzw. Erziehung in Kitas, die Sie in den letzten Jahren hier vorgetragen haben, haben doch etwas mit der ganz konkreten Situation in Kitas zu tun, damit, wie Kita im Moment funktioniert. Vor diesem Hintergrund frage ich mich aber: Warum verweigern Sie sich dann der Diskussion über gute Kitas, über gute Qualität? Ich weiß, dass das in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle gespielt hat. Es war eine Forderung der SPD, ein Kitaqualitätsgesetz zu schaffen. Es kommt nicht, weil Sie Widerstand geleistet haben. Das, liebe Damen und Herren von der Union, kann ich nicht verstehen. Warum verweigern Sie sich einer Diskussion, die außerhalb dieser Mauern schon seit langem geführt wird? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viele Verbände sitzen seit über einem Jahr zusammen und machen sich konkret Gedanken, wie eine qualitativ bessere Ausgestaltung aussehen könnte. Dafür hat sich ein breites Bündnis gefunden. Die Arbeiterwohlfahrt ist dabei, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und auch der Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder; sie alle sind sich einig. Viele Expertinnen und Experten sind angehört worden. Sie versuchen gemeinsam, Handlungsempfehlungen zu geben, und ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse dieser Debatte. Ich kann Ihnen nur empfehlen, diese Ergebnisse dann auch aufzugreifen und ernst zu nehmen. (Beifall bei der LINKEN) Der Handlungsbedarf in Bezug auf ein Kitaqualitätsgesetz ist groß. Genau deshalb fordern wir in dem Antrag, den wir heute vorgelegt haben, eine Sachverständigenkommission. Die Erfahrungen aus der Praxis, das Know-how der Wissenschaft und die Expertise der Akteure vor Ort müssen zusammengeführt werden. Es muss ein gemeinsamer Handlungsvorschlag entwickelt werden. Wir sollten uns nicht mit Kleinigkeiten beschäftigen und am Ende vielleicht noch ein paar zusätzliche Kitaplätze schaffen. Das dürfen wir zwar nicht vergessen; aber wir brauchen den großen Wurf. Was meine ich damit? Gesetzlich verbriefte Mindeststandards. (Beifall bei der LINKEN) Diese liegen nach wie vor nicht vor. Wir brauchen aber grundlegende Kriterien für die Qualität in Kitas. Deren Formulierung steht natürlich zunächst einmal demjenigen an, der den Rechtsanspruch auf Kitabetreuung in das SGB VIII geschrieben hat, und das ist der Bund. Wir brauchen aber nicht nur einen Rechtsanspruch auf einen Platz, sondern auch einen Rechtsanspruch auf die Ausgestaltung dieses Platzes, auf die Qualität dessen, was wir da mit viel Geld ins Leben gerufen haben. (Beifall bei der LINKEN) Ich frage Sie: Wie soll in strukturschwachen Regionen ein erhöhter Anteil an den Umsatzsteuereinnahmen so viel Geld einbringen, dass es neben all den anderen Verpflichtungen für mehr Plätze und mehr Qualität reicht? Wie soll eine Kommune wie zum Beispiel die, aus der ich komme – ich weiß genau, wovon ich rede; ich bin auch Stadtverordnete –, die sich von einem Haushaltssicherungskonzept zum nächsten hangelt, zusätzliche Erzieherinnen einstellen, wenn sie gezwungen ist, jeden Cent, der übrig bleibt, in die Tilgung der Schulden zu stecken? Wir brauchen Pflichtaufgaben, auch bei der Qualität. Solange Investitionen in die Qualität der Kindertagesbetreuung keine Pflichtaufgabe sind, so lange wird sich im Leben von Eltern und Kindern leider nichts verbessern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Finanzbedarf, der dafür notwendig ist, wird unterschiedlich hoch beziffert. Professor Dr. Stefan Sell hat in einem Beitrag mit dem Titel „Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen“ von 9 Milliarden Euro gesprochen, wenn wir die Vorgaben der OECD erfüllen wollen. Ob das durch Umbuchungen und durch die Entlastung, von der der Bundesfinanzminister hier gesprochen hat, zu schaffen ist, weiß ich nicht. Ich fürchte, dass die Freiräume, die dadurch bei Ländern und Kommunen entstehen, am Ende nicht ausreichen. Ich sage deshalb: Auch wir als Bund haben hier zusätzliche Möglichkeiten. Lassen Sie uns doch zum Beispiel die 1 Milliarde Euro, die gerade der Union so locker in der Tasche sitzt, um den Eltern ein Taschengeld dafür zu zahlen, dass sie ihre Kinder nicht in die -Kitas bringen, für eine umfassende und durchdachte Qualitätsoffensive für Kitas einsetzen, statt sie beim Betreuungsgeld zu verschwenden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich für die Bundesregierung Bundesministerin Manuela Schwesig das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Es ist heute ein guter Tag für die Familien in Deutschland; denn die Große Koalition bringt zwei Gesetze auf den Weg, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erheblich verbessern werden. Wir haben in der ersten Halbzeit, Herr Weinberg, schon über das Elterngeld Plus gesprochen, eine finanziell starke Maßnahme, um Eltern Zeit für die Familie zu geben, aber auch Anreize, berufstätig zu sein. Mit dem neuen Kitagesetz arbeiten wir weiter an der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie; denn Eltern in Deutschland brauchen Ganztagskitas, um berufstätig zu sein. Aber wir machen auch mit den besseren Bildungschancen für Kinder weiter; denn gute Kitas in Deutschland sind nicht nur für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie der Eltern gut, sondern vor allem auch gut für Kinder und ihre Bildungschancen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist also ein doppelter Gewinn für Kinder und ihre Familien. Ich möchte noch einmal daran erinnern: Kommunen, Länder und Bund setzen seit den letzten Jahren erhebliche Mittel ein, um Kitaplätze zur Verfügung zu stellen. Der Bund stellt bis Ende 2014 insgesamt 5,4 Milliarden Euro für Investitionsvorhaben bereit. Ab 2015 beteiligt sich der Bund dauerhaft mit jährlich 845 Millionen Euro an den Betriebskosten; Herr Schäuble hat es angesprochen. Der Bund hat sich noch nie so stark an den laufenden Kosten der Kitas beteiligt und damit natürlich auch an den Personalkosten und an Qualität in Kitas. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben Erfolge: etwa 10 Prozent mehr Kinder unter drei Jahren in Kindertagesbetreuung als noch vor einem Jahr, mehr als doppelt so viele wie 2006. Aber die Bedarfe, vor allem nach Ganztagskitas, steigen; denn es ist weder der Mutter noch dem Vater geholfen, wenn die Kita nur von 8 bis 13 Uhr geöffnet ist. Wir brauchen Ganztagsbetreuung. Deshalb ist es gut, dass das neue Kitagesetz genau diese Qualitätsaspekte berücksichtigt. Liebe Frau Golze, Qualität ist nicht nur der Betreuungsschlüssel. Wir wurschteln hier auch nicht rum. Nein, wir klotzen. Wir schaffen neue Plätze. Das Wichtigste für Eltern ist es, erst einmal einen Platz zu haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin sehr für eine Qualitätsdebatte. Ich freue mich, dass Sie und auch die Grünen dieses Thema immer auf die Tagesordnung setzen. Deshalb verlasse ich mich auch darauf, dass die Länder, in denen Sie regieren, mich in dieser Debatte unterstützen. Wir werden es sehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Aber ich warne auch: Die Qualitätsdebatte darf nicht dazu führen, dass wir das Angebot an Kitas in unserem Land schlechtreden. Die Erzieherinnen und Erzieher leisten viel. Sie leisten sehr viel. Sie leisten mindestens genauso wertvolle Arbeit wie die Professoren an den Unis, aber sie sind weit von deren Bezahlung entfernt. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe noch keinen Elternbrief bekommen, in dem die schlechte Qualität einer Kita beklagt wurde. Ich bekomme aber viele Briefe wegen fehlender Plätze. Deshalb ist dieses neue Gesetz richtig: Wir brauchen für jedes Kind und jede Familie in Deutschland, die das möchte, einen guten Kitaplatz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir setzen auf Qualität. Wir legen erstmalig in einem Gesetz Anforderungen fest und fördern Ausstattungsinvestitionen, zum Beispiel für ein gesundes Mittagessen in der Kita. Was ist ein gesundes Essen in Kitas denn anderes als Qualität? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir setzen auch auf Sprachförderung. Wir stellen in dieser Legislatur etwa eine halbe Milliarde Euro für gezielte Sprachförderung zur Verfügung, insbesondere für Brennpunktkitas. Das ist ein konkretes Beispiel für die Bekämpfung von Kinderarmut; denn Kinder brauchen gute Bildungschancen, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir entlasten die Länder durch die Übernahme der BAföG-Mittel. Ich habe mich wirklich dafür starkgemacht, dass die eingesparten Mittel in den Bildungsbereich fließen können, und zwar in den Bereich der frühkindlichen Bildung, der Schule und der Hochschule. Bildung beginnt in der Kita. Ich freue mich sehr, dass es Länder wie Niedersachsen gibt, die mit gutem Beispiel vorangehen. Niedersachsen hat diese zusätzlichen Mittel in mehr Qualität in Form eines besseren Betreuungsschlüssels in Krippen investiert. Sie haben jetzt die Gelegenheit, in dem Bundesland, in dem Sie mitregieren – liebe Grünen, auch Sie werden gleich zu diesem Thema sprechen –, entsprechend zu handeln: Gehen Sie mit gutem Beispiel voran. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Niedersachsen regieren wir mit und haben das umgesetzt!) – In Niedersachsen funktioniert das. Aber Sie regieren ja zum Glück auch in vielen anderen Ländern mit. Ich bin sehr gespannt, ob Ihre Länder beim Qualitätsgesetz dabei sind. (Beifall bei der SPD) Mir geht es aber darum, dass Schluss damit sein muss, den Schwarzen Peter hin und her zu schieben. Das bringt die Eltern und ihre Kinder nicht weiter. Mir ist es wichtig, durch eine neue Kultur des Dialogs mit Kommunen und Ländern mehr Kitas und mehr Qualität in der Kitabetreuung zu bekommen. Deshalb gibt es im November eine Bund-Länder-Konferenz zum Thema Qualität früher Bildung, auf der wir uns zum ersten Mal in Gesprächen zwischen Bund und Ländern mit diesem Thema beschäftigen werden. Diese Konferenz ist der Auftakt. In weiteren Runden sollen dann die Verbände und Initiativen einbezogen werden, sodass es einer zusätzlichen Kommission nicht bedarf. Denn Länder und Bund haben sich längst auf den Weg gemacht. Wir haben diesen Weg längst beschlossen. Sehr geehrte Damen und Herren, insbesondere weil ich heute die Ehre habe, auch vor den Haushältern zu sprechen, möchte ich noch einmal dafür werben: Nicht erst in der Schule, sondern in der Kita werden die Weichen für den Bildungserfolg unserer Kinder gestellt. Nicht erst an der Uni, sondern schon in der Kita werden die Weichen für Chancengleichheit gestellt. Internationale Studien bescheinigen uns immer wieder, wie groß der Aufholbedarf in Deutschland ist. Deshalb ist es gut, dass wir so viel Geld in den Kitabereich investieren. Aber es ist noch nicht genug, und das wissen wir alle. Wir müssen jetzt das Geld sinnvoll einsetzen. Dabei sind auch alle Beteiligten vor Ort gefragt. Denn gute Kinderbetreuung ist auch Armutsbekämpfung. Herr Schäuble und ich haben die Gesamtevaluation vorgelegt, und wir lernen daraus. Wir sehen: Das Elterngeld ist wichtig. Wir sehen aber auch: Die Kitabetreuung ist wichtig. Öffentlich geförderte Kinderbetreuung führt dazu, dass wir das Armutsrisiko von Familien um 7 Prozentpunkte mindern können. Ganztagskitas und Ganztagsschulen führen dazu, dass mehr Frauen erwerbstätig sind, was dann wieder zu mehr Steuereinnahmen führt. Deswegen werbe ich für eine innovative und moderne Haushalts- und Finanzpolitik, die für mich heißt: Das ist nicht einfach eine Ausgabe – schon gar keine konsumtive –; es ist vielmehr eine Investition in die Zukunft, die zu Erträgen führt. Das müssen wir auch bei den Haushaltsberatungen berücksichtigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gute Kinderbetreuung ist wichtig für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber vor allem für die Bildung von Kindern. Alle Kinder haben ein Recht auf ein gutes Aufwachsen. Das schaffen wir nicht mit einer Maßnahme, aber mit einem Bündel von Maßnahmen. Wir haben heute zwei gute Vorhaben auf den Weg gebracht. Dafür möchte ich mich insbesondere bei den Regierungsfraktionen für die Unterstützung bedanken. Ich freue mich auf die Beratungen. Aber am Wichtigsten ist, dass jetzt die Euros schnell vor Ort ankommen, damit es mit dem guten Ausbau der Kitabetreuung weitergehen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Bündnis 90/Die Grünen. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schäuble, Sie haben sich hier wieder für den Haushalt 2015 gelobt, aber Sie wissen genau, dass Ihre Bilanz massiv geschönt ist. Sie nehmen zwar keine Schulden mehr bei der Bank auf, aber Sie wollen weiterhin Schulden aufnehmen: bei den Krankenkassen, bei der Rentenversicherung und bei der Infrastruktur. Wenn wir heute über die Kommunen und die Kitas reden, dann kann ich nur feststellen: Sie nehmen auch Schulden bei den Investitionen in unseren Kommunen auf. Sie nehmen auch Schulden bei Kindern und Jugendlichen auf. Dieser Haushalt enthält eine große versteckte Verschuldung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir heute über kommunale Finanzen und die Länderfinanzen reden, Herr Schäuble, dann dürfen wir auch nicht vergessen, dass die Kassen der Länder in den letzten Jahren durch Steuersenkungen massiv geschröpft wurden: erst durch die Große Koalition und dann durch Schwarz-Gelb. Auch damals waren Sie Finanzminister, Herr Schäuble. Ihr Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das eher ein Klientelbeschleunigungsgesetz ist, hat dazu geführt, dass nach wie vor die Länder jedes Jahr 2,3 Milliarden Euro Einnahmeverluste haben. Die Kommunen kostet es 1,5 Milliarden Euro. Das dauert leider bis heute an. Das heißt, Schwarz-Gelb wirkt leider weiter. Ihre Steuersenkungspolitik, Herr Schäuble, ist für Länder und Kommunen immer noch sehr teuer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will noch kurz auf die Bund-Länder-Finanzbeziehungen und den Vorschlag zu den regionalen Steuersätzen eingehen, der aus dem BMF an die Presse durchgestochen wurde. Wir haben in Europa einen aggressiven Steuerwettbewerb. Wir brauchen jetzt nicht noch zwischen den Bundesländern einen aggressiven Steuerwettbewerb. Wir brauchen einen guten Steuervollzug, eine gerechte Steuerpolitik und eine gute Ausstattung von Ländern und Kommunen. Das ist die richtige Antwort. Wir brauchen keine regionalen Steuersätze. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zu der Entlastung der Kommunen um 1 Milliarde Euro jährlich ab 2015 will ich drei Punkte ansprechen. Erstens. Das ist weniger als das, was die Steuersenkungen durch Schwarz-Gelb die Kommunen gekostet hat. Zweitens. Diese Entlastung kommt nicht wie im Koalitionsvertrag versprochen 2014, sondern erst 2015. Das ist der erste Bruch des Koalitionsvertrags. Drittens. Die Entlastung der Kommunen im Umfang von 5 Milliarden Euro jährlich bei der Eingliederungshilfe kommt nicht in dieser Legislaturperiode, sondern wird auf 2018 verschoben. Das ist der zweite Bruch des Koalitionsvertrags. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, Sie wissen selber, dass die Kommunen darüber sehr enttäuscht sind. Der Präsident des Deutschen Städtetags, Herr Maly von der SPD, hat das genauso kritisiert wie der Oberbürgermeister von Neuburg an der Donau, Herr Gmehling von der CSU. Der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, Frank Baranowski von der SPD, hat gesagt: Ich bin fassungslos. Gemessen am Koalitionsvertrag ist das Wortbruch. – Ich finde, er hat völlig recht. Das ist eine herbe Enttäuschung für die Kommunen. Das ist Wortbruch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Kommunen klagen nicht ohne Grund. Sie haben zum Teil hohe Sozialkosten. Diese Kosten werden in den nächsten Jahren weiter steigen, und zwar durchschnittlich um 2 Milliarden Euro, so der Städte- und Gemeindebund. Das ist deutlich mehr als die 1 Milliarde Euro, die in Ihrem Haushalt als Entlastung der Kommunen vorgesehen ist. Wir müssen aber jetzt den Kommunen, die hohe Sozialkosten haben, helfen. Dabei hilft es nichts, dass die Entlastung der Kommunen hälftig durch eine Erhöhung des Gemeindeanteils an den Einnahmen aus der Umsatzsteuer erfolgt. Das bringt den armen Kommunen gar nichts. Wir Grüne sagen klar: Wir wollen die Kommunen nicht nur um jährlich eine volle Milliarde Euro bei den Kosten der Unterkunft und Heizung entlasten – wir werden versuchen, das in den Haushaltsberatungen zu ändern –, sondern auch zusätzlich 1 Milliarde als Hilfe für strukturschwache Kommunen. Des Weiteren wollen wir die Kommunen bereits in dieser Legislaturperiode um jährlich 5 Milliarden Euro bei der Eingliederungshilfe entlasten und nicht erst ab 2018. Das benötigen unsere Kommunen dringend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Kommunen, die hohe Sozialkosten haben und strukturschwach sind, stecken in einem Teufelskreis; denn aufgrund der hohen Sozialkosten können sie nicht investieren und keine Schulden abbauen. Die KfW hat berechnet, dass sich der kommunale Investitionsstau in diesem Jahr auf satte 118 Milliarden Euro beläuft. Die Folgen sind kaputte Straßen, kaputte Brücken und kaputte Schienen. In den Schulen fällt der Putz von der Decke. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist aber Sache der Länder!) Es gibt viel zu wenige Kitaplätze, insbesondere gute Kitaplätze. Das sind Kosten und Schulden von morgen und übermorgen. Dagegen macht die Große Koalition leider fast nichts. Wir haben nicht nur im Bund, sondern auch in den Kommunen eine große versteckte Verschuldung zu beklagen. Das ist auch ein Problem dieses Haushalts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihr Haushalt und Ihre Politik sind nicht alternativlos. Man könnte wirklich etwas verändern und beispielsweise Investitionen und Hilfen für Kommunen solide gegenfinanzieren, indem man die umweltschädlichen Subventionen abbaut. Hier sind Milliarden zu holen. Man könnte auch eine gerechte Steuerpolitik betreiben. Als Beispiel nenne ich hier die Abgeltungsteuer. Wir wollen, dass Kapitaleinkommen endlich wieder progressiv besteuert werden wie Arbeitseinkommen. Das ist gerechte Steuerpolitik und hilft dem Haushalt und unseren Kommunen. Deswegen sagen wir ganz klar: Wir wollen höhere Steuereinnahmen aus Kapitaleinkommen erzielen. Die Abgeltungsteuer muss abgeschafft werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Eine weitere Möglichkeit stellen Ausgabenkürzungen im Haushalt dar. Frau Schwesig und Herr Schäuble, Sie könnten die Ausgaben für das Betreuungsgeld kürzen. Von 2015 bis 2017 wollen Sie 3 Milliarden Euro für das Betreuungsgeld ausgeben. Schauen wir uns einmal an, wie viel Sie für den Kitabereich eingestellt haben. Bisher gab es pro Jahr 1 Milliarde Euro für die Kommunen. Nun planen Sie, Frau Schwesig, 650 Millionen Euro in vier Jahren, also in einer Legislaturperiode. Das ist weniger als unter Schwarz-Gelb. Dabei wollten Sie 2 Milliarden Euro erzielen. Aber Sie konnten sich leider nicht gegen den Finanzminister durchsetzen. Für die kleinen Kinder haben Sie nichts in diesen Haushalt eingestellt. Das ist ein Armutszeugnis für die SPD und insbesondere für die Bundesfamilienministerin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Trauen Sie sich doch endlich, etwas in der Haushaltspolitik zu verändern, zum Beispiel bei den Subventionen, dem Betreuungsgeld oder der Abgeltungsteuer. Hier liegen Milliarden brach, die Sie holen können, um unseren Kommunen zu helfen sowie um in Bildung und den Kitaausbau zu investieren. Sie müssen aber mutig sein, wenn Sie wirklich etwas verändern wollen. Wir jedenfalls werden Ihnen konkrete Änderungsvorschläge in den Haushaltsberatungen vorlegen. Ich hoffe, Sie folgen uns dann auch. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Legen Sie die Vorschläge vor; wir schauen sie uns an!) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Abgeordneten Eckhardt Rehberg, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Kindler, nennen Sie mir eine Krankenkasse, die verschuldet ist. Ich kenne keine. Die Krankenkassen schwimmen im Geld. Sie haben Überschüsse ohne Ende. Das ist das Ergebnis grundsolider Politik der letzten Jahre und der positiven wirtschaftlichen Entwicklung. Schauen Sie sich die Rentenversicherung an. Wir debattieren nicht über die Erhöhung von Beitragssätzen, sondern wir debattieren darüber, ob wir sie senken müssen, weil wir eine Reserve von fast zwei Monaten haben. Ihre Beschreibung der Lage hat mit der Realität nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn man von innovativer und kompetenter Haushaltspolitik redet, dann sollte man sich anschauen, wie wir im nächsten Jahr zur schwarz-roten Null kommen werden. Wir haben im Jahr 2010 mit einer Sollverschuldung von 86 Milliarden Euro begonnen. In diesem Jahr ist die Istverschuldung auf 44 Milliarden Euro gesunken. Wir haben schon in der zurückliegenden Zeit die Kommunen massiv entlastet. Ich nenne als Beispiele die Kosten der Unterkunft und die Grundsicherung im Alter. Kollege Kindler, wir haben ganz nebenbei zum Beispiel das Kindergeld erhöht. Das waren Kosten in Höhe von 10 Milliarden Euro. Wenn Sie Steuermindereinnahmen beklagen, so sage ich: Das ist gut angelegtes Geld für unsere Familien und unsere Kinder. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine klare Gegenfinanzierung!) Wir werden im nächsten Jahr bei der schwarz-roten Null landen. Es werden oft Märchen erzählt, und es wird so getan, als ob nur der Bund Steuermehreinnahmen hätte. Ja, wir haben von 2005 bis 2014, in der Regierungszeit von Angela Merkel, 78 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen gehabt. Länder und Gemeinden haben aber in dieser Zeit Steuermehreinnahmen in Höhe von 100 Milliarden Euro gehabt. Tun wir doch nicht so, als ob die Steuern nur beim Bund landen würden. Der überwiegende Teil der Gemeinschaftssteuern landet bei Ländern und Gemeinden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn Sie in der 17. und 18. Wahlperiode eine kommunale Entlastung von insgesamt 90 Milliarden Euro stemmen und gleichzeitig die Null haben wollen, dann, liebe Frau Kollegin Schwesig, nenne ich das insgesamt innovative und kompetente Haushaltspolitik. Das Wichtigste für mich ist, dass wir in den nächsten Jahren die Null halten. Wir können viel über Hochschulen, Kitas und darüber, wie Geld verteilt wird, debattieren. Das Wichtigste ist, dass ich meinen Enkelkindern keine Neuverschuldung in Deutschland hinterlasse. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht ihr doch! Ihr macht doch neue Schulden bei der Infrastruktur!) Vielmehr soll jede Generation ihre Verantwortung tragen, auch für die Finanz- und Haushaltspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Bund hat sich Mehrausgaben in Höhe von 30 Milliarden Euro für die Jahre bis 2018 vorgenommen. Die Steigerung beträgt in den Jahren 2016, 2017 und 2018 jeweils 10 Milliarden Euro. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Hälfte dieses Aufwuchses an Länder und Kommunen geht. Wir wollen die Kommunen um 1 Milliarde Euro entlasten. Damit beginnen wir heute. Ich halte die Verteilung übrigens für gerecht. Die eine Hälfte kommt aus den Umsatzsteuerpunkten, die andere Hälfte aus den KdU. Das eine kommt bei den Stärkeren an, das andere bei den Schwächeren. Ich halte das für eine in die Zukunft gerichtete, gute Verteilung für die Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) 6 Milliarden Euro sollen an die Länder gehen. Da stellt sich für mich eine ganz spannende Frage. Kommt das Geld wirklich an? Das betrifft dieses Entlastungsgesetz. Nachdem in der ersten Formulierung von Trägern der Eingliederungshilfe gesprochen wurde, mussten dann ganz konkret die Kommunen genannt werden. Ich möchte mich ganz ausdrücklich bei unseren Kommunalpolitikern und an deren Spitze bei Ingbert Liebing bedanken, dass sie hier reingegrätscht sind. Die ersten Länder haben nämlich schon den Finger gehoben und auf das Geld Anspruch erhoben. Wir haben in dem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass die 1 Milliarde Euro und auch die zukünftigen 5 Milliarden Euro – das ist eine Vorfestlegung – für die Entlastung der Kommunen verwendet werden und für nichts anderes. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Eine Rednerin, die nach mir spricht und Mitglied des Haushaltsausschusses ist, eine Kollegin von der SPD, hat einmal von klebrigen Fingern der Länder gesprochen. Ich will das nicht tun. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das kann nur Frau Hagedorn gewesen sein! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine gute Kollegin ansonsten!) Aber gucken wir uns wirklich einmal die Realitäten an: Stichwort „Entflechtungsgesetz“. Mit den Mitteln konnten die Länder und Kommunen eigentlich nicht rechnen. Die Absprache war eine andere. Die Absprache war: degressiv bis 2019. Ergebnis: Zustimmung Fiskalvertrag; die 2,6 Milliarden Euro bleiben stehen. – Gucken Sie sich heute einmal an, wie viele Länder die Zweckbindung bei sich normiert haben! Ich fange jetzt nicht an, die Länder zu benennen, weil das an dieser Stelle vielleicht zu weit führt. Es gibt Länder, die überhaupt keine Zweckbindung festgeschrieben haben. Ich kenne Länder, wo beim ÖPNV und beim kommunalen Straßenbau gerade einmal die Hälfte der Mittel für diesen Zweck ankommt. Deswegen geht mein Appell an die Kolleginnen und Kollegen von allen Fraktionen, ob in der Regierung oder in der Opposition in diesem Land: Wir sollten alle gemeinsam als Bundestagsabgeordnete wirklich dafür sorgen, dass das Geld entsprechend der Zweckbindung und auch auf der Ebene ankommt, die wir politisch vorgesehen haben. Es kann nicht sein, dass Entflechtungsmittel zur Sanierung der Länderhaushalte verwendet werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Nehmen wir das Thema BaföG: BAföG wird an Studierende und Schüler ausgereicht, und deswegen gehören die Mittel nach meiner Auffassung auch an Schulen und Hochschulen. Jetzt kann man sich beim Thema „frühkindliche Bildung“ streiten; aber wenn man die Mittel nur nimmt, damit die Eltern keine Kitabeiträge zahlen müssen, dann sehe ich keine Qualitätsverbesserung in der frühkindlichen Bildung, sondern dann ist das aus meiner Sicht eine Zweckentfremdung. Wenn man die Mittel für Qualitätsverbesserung in der frühkindlichen Bildung verwenden würde, (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen die ja!) dann wäre ich noch damit einverstanden; aber wenn sie nur eingesetzt werden, damit Eltern keine Beiträge mehr zahlen müssen, sehe ich eine Zweckentfremdung. (Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Niedersachsen investiert in Qualität!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine der effizientesten Kommunalentlastungen war die bei der Grundsicherung im Alter. Es war eine gute Entscheidung, auch deswegen – ich kann das zumindest für die neuen Bundesländer sagen –, weil es keinen signifikanten Anstieg bei der Grundsicherung im Alter gegeben hat. Die neuen Bundesländer hatten vor acht Jahren eine Quote von 1,16 Prozent; die neuen Bundesländer, ohne Berlin, haben heute eine Quote von 1,28 Prozent – kein signifikanter Anstieg. Über die verschiedenen Stufen – 40 Prozent, 75 Prozent und heute 100 Prozent – ist eine echte Entlastung für die Kommunen erreicht worden. Die Uni Rostock sagt in einer Studie, in Auftrag gegeben vom Landtag Mecklenburg-Vorpommern, dass bis zum Jahr 2020 zumindest für dieses Bundesland nicht mit einem signifikanten Anstieg der Altersarmut, sprich: der Ausgaben für die Grundsicherung im Alter, zu rechnen ist. Wissenschaftler können irren; ich zitiere das hier nur. Wenn das so sein sollte, ist das bei den Kommunen gut angelegtes Geld, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wenn ich im Gesamtkontext betrachte, was wir getan haben und was wir tun wollen, dann möchte ich an einen Punkt anknüpfen, den Minister Schäuble schon genannt hat. Zur Ehrlichkeit gehört, dass es in der Gesamtheit den Kommunen und Ländern deutlich besser geht als dem Bund. Liebe Kolleginnen und Kollegen, manche debattieren hier nur die Einnahmeseite. Wenn Sie sich einmal angucken, welche Länder einen Ausgabenzuwachs haben, dann stellen Sie fest: Das sind die Länder, wo Haushalte für nicht verfassungsgemäß erklärt worden sind, und das sind die Länder, die am meisten herumtrompeten, dass man die Steuern erhöhen müsse, damit die Ausgaben auch geleistet werden können. Andere Länder, die sich anstrengen – ich lasse einmal beiseite, welche das sind –, fragen sich natürlich mittlerweile, auch mit Blick auf die Gespräche über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen: Haben sich unsere Anstrengungen gelohnt, oder machen wir bei dem ganzen Thema Miese? (Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]) Ich kann diesen Ländern nur eines sagen: Die Anstrengungen haben sich gelohnt, weil sie gegenüber denen, die ihre Ausgaben hochfahren und sich immer wieder verschulden, in einer besseren Position sind. Das Gebot der Stunde kann nicht sein, bei steigenden Steuereinnahmen solche Ausgabenzuwächse in den Länderhaushalten zu haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir insgesamt brauchen, das ist aus meiner Sicht eine Verantwortungsgemeinschaft, eine Verantwortungsgemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen. Das heißt für mich: Erstens. Das Geld muss an der Stelle ankommen, die politisch vereinbart worden ist. Das gilt sowohl für den Verwendungszweck als auch für die Ebene. Zweitens. Die Länder müssen ihre Zusagen einhalten. Denken wir einmal an das Thema des Krippenausbaus. Ja, wir haben seit 2008 viele Krippenplätze neu geschaffen und werden das auch weiter tun. Halten aber Länder und Kommunen wirklich die politische Zusage – ein Drittel der Bund, ein Drittel die Länder und ein Drittel die Kommen – ein? Wenn wir einmal ganz scharf in -jeden Landeshaushalt schauen, dann stellen wir fest, dass dem oftmals mitnichten so ist. Drittens. Aus meiner Sicht darf es zu keiner Sanierung der Länderhaushalte durch Zweckentfremdung kommen. Ich halte es für unverantwortlich, was einige Länder machen. Ich rufe dringend zur Revision einiger kommunaler Finanzausgleichsgesetze der Länder auf, in denen explizit steht: Wenn der Bund zusätzliche Zuweisungen an die Kommunen vornimmt, dann fließen die Mittel über den Vorwegabzug zurück in den Landeshaushalt. Ich halte das für politisch-moralisch nicht vertretbar. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt solche Länder. Bei einer Tasse Kaffee nenne ich Ihnen diese auch. – Die Mittel müssen also letztendlich im kommunalen Haushalt ankommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der vergangenen Legislaturperiode mit einem massiven Schuldenabbau begonnen. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz viele neue Schulden gemacht!) Nehmen wir einmal die 90 Milliarden Euro, die in der vergangenen Legislaturperiode den Kommunen zugewiesen worden sind. Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Anmerkung machen und darauf hinweisen, dass die Hälfte des Ausgabenzuwachses nicht als Durchlaufposten im Bundeshaushalt enthalten ist. Wir müssen eine Debatte darüber führen, ob der Bund Maßnahmen finanziert, für die er eigentlich nicht zuständig ist. Diese Debatte muss deswegen zwingend geführt werden, weil auch der Bund Aufgaben zu erfüllen hat. Ja, Kollege Kindler, mir persönlich wäre es lieber – das sage ich ganz offen –, das, was wir als Durchlaufposten an die Länder geben, in die Verkehrsinfrastruktur zu stecken. Das ist originäre Bundesaufgabe. Herr Minister Schäuble, deswegen haben Sie die Unionsfraktion an Ihrer Seite bei all den Themen, die in den nächsten Wochen und Monaten anstehen. Ich glaube, wir im Bund befinden uns in einer sehr guten Position auf dem Weg hin zu einer schwarz-roten Null. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! 550 Millionen Euro mehr stellt der Bund in den nächsten zwei Jahren über das Sondervermögen Kinderbetreuungsausbau zur Verfügung. Dass die Bereitstellung der Mittel für den Kinderbetreuungsausbau durch den Bund problematisch ist und dass wir vor allem auch über die Qualität reden müssen, darauf hat meine Kollegin Diana Golze bereits hingewiesen. Sie sind stolz darauf und klopfen sich nun auf die Schulter. Ich sage Ihnen: Für die klammen Kommunen ist das zu wenig. Das reicht hinten und vorne nicht. Die meisten ihrer Probleme werden damit nicht gelöst. Die grundsätzliche chronische Unterfinanzierung der kommunalen Familie lässt sich durch diese Placebogesetzgebung leider nicht beheben. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Daneben soll der Bund ab 2015 die Kommunen jährlich um 1 Milliarde Euro entlasten. Dafür erhalten sie jährlich 500 Millionen Euro mehr an Erstattungen bei den Kosten für Unterkunft und Heizung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Außerdem steigt der Anteil der Städte und Gemeinden am Umsatzsteueraufkommen. Dies macht ebenfalls 500 Millionen Euro jährlich aus. Ich sage Ihnen jetzt, worin meine Kritik besteht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Also los!) Im Koalitionsvertrag steht, Herr Kauder, dass die Kommunen ab 2014 um 1 Milliarde Euro jährlich entlastet werden sollen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Das ist falsch!) Nicht nur die Spitzenverbände haben diesen Wortlaut so verstanden, sondern auch Ihre Kollegen, wie es in der Sitzung des Unterausschusses Kommunales deutlich wurde. Wir stellen fest, dass „sofort“ bei Ihnen „ein Jahr später“ heißt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie irren auch an diesem Punkt!) Das heißt, weder fließt 1 Milliarde Euro sofort, noch ist das eine ausreichende Hilfe. Das ist so wie Hustensaft bei einer Lungenentzündung. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Entlastung der Kommunen ist Ihrerseits gar nicht garantiert. Es sind schließlich die Länder, die oftmals in der Pflicht stehen, den Kommunen Gelder für die Erledigung ihrer ureigenen Aufgaben zukommen zu lassen. Deshalb müssen Sie, meine Damen und Herren, sicherstellen, dass die Entlastung auch tatsächlich bei den Kommunen ankommt. Sie wollen einen Beitrag zur Reduzierung der Kosten für die Eingliederungshilfe leisten. Das kann an dieser Stelle aber auch kontraproduktiv bzw. mit Bezug auf die Träger der Eingliederungshilfe ja sogar gefährlich sein, wenn Länder die entsprechenden Gelder an die Kommunen nicht weiterleiten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist traurig!) Denn weil einige dafür nicht zuständig sind, gibt es da auch kein Geld. Ich sage Ihnen: Da muss nachgebessert werden. Im Gesetz muss die Zweckbindung dieser Gelder verankert werden, damit die Kommunen tatsächlich entlastet werden; sonst wird deren Handlungsfähigkeit gerade nicht verbessert, und wir hätten es wiederum nur mit einer Placebogesetzgebung zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Grundsätzlich begrüßen wir es selbstverständlich, wenn Kommunen tatsächlich um 1 Milliarde Euro pro Jahr entlastet werden. Die Erhöhung der Erstattung der Kosten für Unterkunft und Heizung um 500 Millionen Euro ist zwar nur eine kleine Entlastung, aber ein richtiges und wichtiges Schrittchen. Dennoch fordern wir als Linke die vollständige Entlastung der Kommunen von diesen Kosten. Außerdem wird – ich hatte es bereits erwähnt – der Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer um 500 Millionen Euro erhöht. Aber auch diese Mittel werden nicht helfen, die chronische Unterfinanzierung der Kommunen zu beseitigen. Diese Erhöhung ist lächerlich; sie ist kein Grund zum Jubeln. Wir brauchen da einen größeren Schritt. Diese Maßnahme ist meines Erachtens wiederum nur ein Placebo. Die jüngst veröffentlichte „Kommunenstudie 2014“ von Ernst & Young hat gezeigt, dass die Schere zwischen armen und reichen Kommunen immer weiter auseinandergeht. Die Kassenkredite explodieren, und der Investitionsstau ist enorm. Würde ich beschreiben wollen, welche Kommunen in Nordsachsen, woher ich komme, einen Investitionsstau haben, wüsste ich gar nicht, wo ich mit dem Aufzählen anfangen sollte: Das fängt beim Breitbandausbau an, geht über die Sanierung der Schulen, der Infrastruktur bis hin zur Sanierung von Krankenhäusern usw. usf. Den Menschen dort droht auch ein tiefer Griff in ihre Taschen, beispielsweise durch die Erhöhung von Gebühren oder auch durch die Schaffung von neuen Gebühren. Hier geht es nicht um das Sahnehäubchen und auch nicht um den Nachtisch; hier geht es tatsächlich um den Hauptgang: Es geht um die Daseinsvorsorge, die sichergestellt werden muss. Ich bleibe dabei: Die Kommunen, aber auch die Länder sind strukturell unterfinanziert. Daran werden leider auch die 500 Millionen Euro, die auf 11 000 Gemeinden, Gemeindeverbände und Kreise in Deutschland verteilt werden müssen, nichts ändern. Die Finanzausstattung von Kommunen und Ländern muss deutlich verbessert werden. Dafür brauchen wir zum einen eine grundlegende Gemeindefinanzreform, die unseren Kommunen tatsächlich stabilere Einnahmen verschafft. Wir haben dazu einen Antrag vorgelegt, in dem die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer gefordert wird. Weiterhin fordern wir für die kommunale Familie die Einführung einer kommunalen Investitionspauschale, und zwar als Sofortmaßnahme und nicht erst irgendwann einmal. Das hat meine Fraktion auch in die aktuellen Haushaltsverhandlungen eingebracht. Zum anderen brauchen wir einen neuen solidarischen und aufgabengerechten Länderfinanzausgleich, welcher vor allen Dingen die Länder, aber auch die Kommunen finanziell stärkt. Es muss für tatsächlich gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Ländern und Regionen gesorgt werden. Auch hier haben wir ein Konzept zur Diskussion vorgelegt. Meine Damen und Herren, hören Sie auf mit der -Placebogesetzgebung; sie hilft nicht weiter. Wenn Sie Steuererhöhungen ausschließen, das Scharfstellen der Schuldenbremse im Jahr 2020 durchsetzen wollen und immer nur auf die „schwarze Null“ schielen, dann bedeutet das klipp und klar, dass Sie den Ländern und Kommunen eine Rosskur aufbürden. Am Ende müssen das die Menschen in den Städten und Dörfern ausbaden. Dazu sage ich Ihnen ganz klar: Dem werden wir uns entgegenstellen. Das machen wir nicht mit. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Schade!) Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Bettina Hagedorn, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Bettina Hagedorn (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es war jetzt nicht wirklich eine Überraschung, dass Sie, die Linke, dabei nicht mitmachen. Es ist allerdings jetzt die Frage zu stellen: Was machen Sie eigentlich überhaupt mit? Ich denke, es ist wichtig, noch einmal zu sagen: Wir reden hier weder über Sahnehäubchen noch über Placebos; wir reden hier über richtig viel Geld. Dies ist ein guter Tag für die Kommunen. Es ist ein guter Tag für die Familien, für die Kinder und für die frühkindliche Bildung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir, die Große Koalition, brauchen von Ihnen keine Nachhilfe, wenn es darum geht, zu betonen, welch wichtige Rolle die Kommunen in unserem Land spielen. Wenn Sie sich vielleicht einmal mit etwas mehr als einem Halbsatz in unserem Koalitionsvertrag beschäftigen würden – ich empfehle Ihnen, Seite 97 zu lesen; ich will das nicht vortragen, um meine Redezeit zu schonen –, würden Sie wie jeder, der den Koalitionsvertrag gelesen hat, sehen, dass wir in der Tat gemeinsam die kommunale Entlastung in den Mittelpunkt stellen. Das ist kein Selbstzweck. Es geht jetzt auch nicht darum, eine neue Balance zwischen Bund, Ländern und Kommunen herzustellen. Mein Kollege Eckhardt Rehberg hat zu Recht darauf hingewiesen. Manchmal bildet ja auch Lesen. Und die Zahlen zu den Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen, die Herr Rehberg hier vorgetragen hat, sind natürlich richtig. Wir haben das nun in der Großen Koalition gemeinsam beschlossen, weil wir wissen, dass die wichtigste Ressource in unserem Land, in die wir investieren müssen, die Köpfe unserer Kinder, der jungen Menschen sind. Indem wir das ermöglichen, leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Bildung findet nämlich nach unserem Verständnis eben nicht nur an Universitäten und in Schulen statt, sondern Bildung fängt schon in der Krippe und der Kita an. (Beifall der Abg. Ingrid Arndt-Brauer [SPD]) – Ja, da können Sie alle gleich gerne klatschen. Darum, weil wir eben die Kommunen in die Lage versetzen wollen, deutlich mehr Geld in die Hand zu nehmen, setzen wir bei der kommunalen Entlastung ein solches Schwergewicht. Es geht nicht nur um zusätzliche Krippen- und Kitaplätze; diese sind natürlich auch wichtig; wir stimmen überein, dass das erst einmal der wichtigste Schritt ist, gerade auch aus der Sicht der Eltern. Aber selbstverständlich steht es den Ländern frei, mit der finanziellen Besserstellung, die wir nicht nur verabredet, sondern teilweise auch schon umgesetzt haben, auf ihrer Ebene an den Qualitätsstandards zu schrauben. Da haben sie meine volle Unterstützung; aber das fällt in die Verantwortung der Länder. Ich hoffe auch, dass sie da noch mehr tun. (Beifall bei der SPD) Wir können also die heutige Debatte unter die Überschrift stellen: Versprochen – Gehalten. Manuela Schwesig, unsere Familienministerin, hat hier schon zu Recht sehr umfangreich und richtig ausgeführt, warum zusätzliche Plätze im Bereich Krippe und Kita dringend nötig sind und wir diesem Bereich ein so großes Gewicht beimessen. Aber ich denke, es ist auch wichtig, einmal darauf zu verweisen, was dieses Parlament in den letzten zehn Jahren gemacht hat. Das Ganze begann 2004 unter der rot-grünen Regierung. Da haben wir mit einer Entlastung der Kommunen um 2,5 Milliarden Euro den ersten Schritt getan. Damals hatten wir in Deutschland übrigens noch einen Krippenbestand von 60 000 Plätzen. Die meisten davon waren übrigens in den ostdeutschen Ländern. Im Westen war die Quote so niedrig, dass man sie nicht einmal mit der Lupe finden konnte. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist zehn Jahre her. Inzwischen sind es knapp 800 000 Plätze. Jetzt werden 30 000 weitere hinzukommen. Ich muss einmal sagen: Das ist ein Kraftakt gewesen. Denn vergessen wir doch eines nicht: Wir haben in den letzten Jahrzehnten in Deutschland, verglichen mit dem europäischen Ausland – zum Beispiel mit den skandinavischen Ländern, aber auch mit Frankreich –, einfach eine völlig andere Weichenstellung gehabt – leider. Aber besser, man lernt spät als nie. Wir Abgeordnete, und zwar über Fraktionsgrenzen hinweg, haben nicht nur gelernt, sondern wir haben das Gelernte auch konsequent umgesetzt. Denn diesem ersten Gesetz von 2004 mit der ersten Aufstockung auf round about, wenn ich mich recht erinnere, 300 000 Plätze folgte in der letzten Großen Koalition das nächste Gesetz. Dazu haben wir 4 Milliarden Euro in die Hand genommen. 2,15 Milliarden Euro haben wir wiederum in Gebäude investiert, um mehr Plätze zur Verfügung stellen zu können. 1,85 Milliarden Euro haben wir schon damals verlässlich über Umsatzsteuerpunkte an die Länder umverteilt, damit diese es an die Kommunen weiterleiten können. Das war als wichtiger Beitrag zu den Betriebskosten geplant. Denn jeder von uns weiß, dass eine Krippe einen ambitionierteren Betreuungsschlüssel braucht als eine Kita; die Kleinsten brauchen einfach mehr Betreuung. Auf diese Weise haben wir als Bund sehr wohl unseren Beitrag geleistet. (Beifall bei der SPD) Dieser Weg ist auch in 2013 und 2014 kontinuierlich weiterverfolgt worden, in der letzten Legislaturperiode auch gemeinsam mit dem Bundesrat. Ich gebe zu: Wir Sozialdemokraten haben uns im Bundesrat diesbezüglich sehr engagiert und haben die Umsetzung auch erreicht. Damals wurden die nächsten 30 000 Plätze beschlossen, und zwar wieder mit einer umfangreichen Ausstattung des investiven Bereichs; 560 Millionen Euro waren es, glaube ich. Zusätzlich hat der Bund an die Länder aber immer auch einen verlässlichen Beitrag zu den Betriebskosten geleistet. Das heißt, Schritt für Schritt haben wir uns in zehn Jahren von 60 000 Krippenplätzen auf fast 800 000 hochgearbeitet. Jetzt machen wir den nächsten Schritt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Und egal was Sie sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken und den Grünen: Das ist ein Beitrag, auf den wir stolz sein können. Es geht hier vor allen Dingen um Kontinuität. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird doch jetzt abgewickelt!) Wir wollen heute sowohl den Kommunen als auch den Familien mit Kindern das Signal geben, dass sie sich auf diese Regierung verlassen können (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht!) und wir den Weg weiter so fortsetzen werden, wie wir ihn begonnen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn ich gleich, wie meine Kollegen Eckhardt Rehberg und Sven Kindler, der Debatte nicht weiter folgen kann, dann ist das kein Ausdruck von Unhöflichkeit, sondern wir drei sind bei Herrn Dobrindt zum Berichterstattergespräch Verkehr. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht unbedingt Spaß!) Insofern müssen Sie gleich auf uns verzichten. Am Ende der Debatte sei mir aber noch gestattet, an etwas zu erinnern. Es ist schon auf andere wichtige Beiträge hingewiesen worden, wie wir die Kommunen entlasten. Die Grundsicherung ist hier zu Recht genannt worden: 2014 gibt es gegenüber 2013 eine zusätzliche Entlastung von 1,6 Milliarden Euro. Der Bundesbeitrag zur Grundsicherung lag im letzten Jahr noch bei 75 Prozent und liegt jetzt bei 100 Prozent. Ich will also, weil das früher mein Haushalt war, daran erinnern, dass der Bund 2011 – das ist nicht wirklich lange her – noch 16 Prozent Anteil an der Grundsicherung getragen hat. Das waren damals übrigens round about 500 Millionen Euro. Wir sind jetzt bei ungefähr 5,5 Milliarden Euro. Das sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Die kommunale Entlastung beträgt pro Jahr durch die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung 5 Milliarden Euro, aufwachsend übrigens, weil die Kosten steigen. Das ist wirklich ein bemerkenswerter Beitrag. Der Wunsch dieses ganzen Hauses war natürlich immer, dass dieses Geld, das bei den Kommunen und den Ländern zusätzlich verbleibt, auch tatsächlich für mehr Bildung für die junge Generation in die Hand genommen wird. Wir werden auch mit Herrn Dobrindt unseren Beitrag dazu leisten, durch Investitionen in die soziale Stadt, in den Städtebau (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt zum Glück nicht mehr bei Herrn Dobrindt!) und in die Infrastruktur die Kommunen zu entlasten. Hier können Sie sich auf uns verlassen. In diesem Sinne noch weiterhin eine gute Debatte und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Gesetzentwurf, der vor uns liegt, erwähnt im Titel auch den qualitativen Ausbau. Was erwarten wir also von dem Gesetzentwurf, wenn wir von Qualität in der Kita sprechen? Und was erwarten vor allem die Eltern und die Kinder? Eine Mutter wird vielleicht zuerst erwarten, dass Erzieherinnen und Erzieher mehr Zeit für ihr Kind haben. Warum das wichtig ist, brauche ich hier wohl nicht zu erwähnen. Ein Qualitätsfaktor, auf den wir uns einigen können, ist die Zeit mit dem Kind. Herr Rehberg – ich glaube, er ist schon auf dem Weg zu Herrn Dobrindt – hat vorhin gesagt, wir sollten uns einmal die Realität anschauen. Gerne, schauen wir uns doch einmal den Alltag in einer Kita an. Da ist die Realität so, dass sich Erzieherinnen und Erzieher gleichzeitig um eine laufende Nase, um ein gestoßenes Knie kümmern, sich ein gemaltes Bild anschauen, Windeln wechseln. Daneben sitzt vielleicht noch ein stilles Kind, das aber auch Aufmerksamkeit braucht. Wie kann ein Erzieher oder eine Erzieherin, der bzw. die eine Gruppe von sechs oder sieben Kinder betreut, dann auf die Bedürfnisse aller eingehen? Es ist unsere Aufgabe, dass Kinder, egal wo sie leben, egal in welcher Kommune, egal ob die Kommune reich oder arm ist, eine gute Förderung und Betreuung erfahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen brauchen wir einen bundesweiten Qualitätsanspruch, der festlegt, wie viele Erzieherinnen und Erzieher eine Gruppe betreuen. Diesen Anspruch wollen wir im Kinder- und Jugendhilfegesetz verankern. Nur so kann das Geld auch wirklich in den Einrichtungen zur Verbesserung der Qualität ankommen. Frau Schwesig, Sie haben vorhin gesagt, wir würden mit unserer Forderung nach Qualität implizit sagen: Die Erzieherinnen und Erzieher leisten keine gute Arbeit. Das ist keine feine Art. Keiner von uns, weder Frau Golze noch ich noch irgendjemand, der hier sagt, wir brauchen Qualität in unseren Einrichtungen, leugnet, welch unglaublich tolle Arbeit die Erzieherinnen und Erzieher vor Ort leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist unglaublich, was sie vollbringen. Aber wir sagen eben auch, dass sie am Rande des Machbaren, des Möglichen sind. Sie brauchen Unterstützung. Hier müssten sie auf den Bund zählen können. Sie können es leider nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Davon ist im Gesetzentwurf leider nichts zu finden. Man könnte denken: Vielleicht wird ja die Kita bei mir um die Ecke umgerüstet. Endlich wird sie barrierefrei und ein Ganztagsbetrieb. – Das wäre durchaus ein Qualitätsmerkmal. Aber wieder Fehlanzeige! Barrierefreiheit und Ganztagsbetrieb gibt es bei Ihnen nur bei neuen Kitas und Kitaplätzen; dort wird das bereits standardmäßig gemacht. Es wird heute in Deutschland keine Kita mehr gebaut, für die kein Ganztagsbetrieb und keine Barrierefreiheit vorgesehen sind. Das ist Etikettenschwindel, was Sie uns da vorgelegt haben. Mit Qualität hat das nichts zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn es schon nicht mehr Erzieherinnen und Erzieher oder eine Umrüstung auf Ganztagsbetreuung und Barrierefreiheit gibt, dann könnte man denken, Sie verknüpften den Ausbau wenigstens mit einem Qualitätsmanagement. Das wäre schließlich das Minimum. Frau Schwesig, Sie haben uns neulich im Familienausschuss den Auftrag gegeben, unsere Ministerin Irene Alt einmal zu fragen, was sie für die Kitaqualität tut. Das habe ich natürlich gerne getan. Ich gebe Ihnen auch gerne das Konzept aus Rheinland-Pfalz mit auf den Weg. Es sieht ein sehr modernes Qualitätsmanagement vor. Es ist ein Konzept mit Leitlinien und definiert, was Bildung eigentlich bedeutet: zum Beispiel Partizipation von Kindern oder in die Kita integrierte Elternarbeit. Diese Leitlinien werden in die Schulungen aufgenommen, sind dann Schwerpunkte in den Kitas und werden gemeinsam evaluiert. Auch hier wieder das Gleiche: In Ihrem Gesetz sieht man keinen Zusammenhang zwischen Geld und Qualitätsmanagement. Das wäre eine Möglichkeit gewesen. Aber auch hier wieder Fehlanzeige! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Warum gibt es das alles nicht? Weil Qualität eben Geld kostet, Frau Ministerin. Es gab schon in der letzten Sitzungswoche eine Debatte dazu. Ich bin sehr froh, dass Sie nicht mehr von 1 Milliarde Euro gesprochen haben, sondern selber endlich einsehen, dass es eben 550 Millionen Euro im Sondervermögen und 100 Millionen Euro, die noch dazu kommen, sind. Das reicht aber nicht für vier Jahre. Frau Hagedorn, Sie haben eben gesagt, es gebe hier Kontinuität. Aber die gibt es nicht. Es gab in den letzten Jahren wesentlich mehr Geld für den Kitaausbau als jetzt. Sie würgen das ab. Es gab 1 Milliarde Euro pro Jahr. Jetzt sind es 650 Millionen Euro für vier Jahre. Wo ist denn da die Kontinuität? Wo gehen denn da der Ausbau weiter und die Qualität nach oben? Das ist ein Abwürgen und keine Kontinuität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist insbesondere bitter, dass mit der SPD dafür anscheinend weniger rausgeholt wurde als mit der FDP. Qualität darf keine Kür sein. Es ist Pflicht. Es ist eine Verpflichtung gegenüber unseren Kindern. Wir sind uns sicher: Deutschland kann mehr. Die Realität erfordert es. Legen Sie die Kontinuität an den Tag, die Sie sonst gern immer einfordern. Unsere Kinder verdienen es. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Philipp Graf von und zu Lerchenfeld, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Herr Präsident! Hohes Haus! Ich habe in der letzten halben Stunde irgendwie das Gefühl gehabt, ich bin im falschen Parlament. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist möglich! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo wären Sie denn gern?) Wenn ich mir Diskussionen über Qualitätssicherung anhöre, dann erinnere ich mich daran, dass das eigentlich Aufgabe der Landtage ist. Bei uns ist es Aufgabe des Bayerischen Landtags. Liebe Frau Golze, liebe Frau Brantner, Qualität in der Bildung ist Ländersache. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!) Da sollten wir uns im Bund möglichst zurückhalten und uns nicht irgendwelche Dinge anmaßen, die originäre Aufgabe der Länder sind. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst mal der Kommunen, oder? – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem Bundestag sind die Kinder egal! Sehr schön!) – Auch der Kommunen, selbstverständlich. – Wir sollten die Aufgaben nicht vermischen und uns da heraushalten. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also wollt ihr die Mittel jetzt auf Null setzen?) Uns gehen nur Dinge auf Bundesebene und nicht Länder- oder Kommunalangelegenheiten etwas an. Dass wir mit diesem Gesetz den Kommunen und den Ländern unter die Arme greifen, ist hervorragend. Ich finde es sehr gut, dass wir auch jetzt hier für eine Entlastung der Kommunen sorgen, wie das auch in der vergangenen Legislaturperiode schon intensiv gemacht wurde. Die Entlastung der Kommunen bei der Grundsicherung im Alter und bei der Erwerbsminderung beläuft sich auf 25 Milliarden Euro. Sie wird, dadurch dass sie auf 100 Prozent angehoben wird, zu einer zusätzlichen Entlastung von 1,6 Milliarden Euro führen. Die finanzielle Entlastung der Kommunen ist auch weiterhin eine wichtige Aufgabe des Bundes. Das sieht man an den Plänen, die wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben. Wir wollen die Kommunen dieses Mal um 1 Milliarde Euro und in Zukunft um 5 Milliarden Euro entlasten. Ich denke – das haben einige Redner vor mir auch schon gesagt –, es ist ganz besonders wichtig, dass wir auf eine hohe Trennschärfe achten, damit die Gelder wirklich dort ankommen, wo wir sie politisch haben wollen. Es kann nicht sein, dass die Finanzminister bei den Geldern, die wir letztendlich den Kommunen zukommen lassen wollen, „klebrige Finger“ haben; ich finde den Ausdruck von der Kollegin der SPD wunderbar. Es geht hier um die Entlastung der Kommunen, auch aus dem Grund, dass dort Investitionen stattfinden, die gerade diejenigen voranbringen – Mittelstand, Handwerker –, die es wirklich nötig haben und eine stabile Basis unserer Wirtschaft sind. Es geht darum, die Handlungsfähigkeit der Kommunen zu stärken und einen Beitrag zur Entlastung der Kommunen zu leisten. Es geht nicht darum, Länderhaushalte zu entlasten. Ich freue mich deshalb, dass der Verteilungsschlüssel dazu führt, dass sowohl die starken wie auch die schwachen Kommunen entsprechend Berücksichtigung finden. Ich glaube aber, wir müssen uns im Rahmen der gesamten Diskussion auch darüber Gedanken machen, wie unsere Aufgaben und unsere Verantwortlichkeiten wieder klarer zugeordnet werden können. Es ist wichtig, dass wir wissen, welche Ebene eigentlich für welche Dinge verantwortlich ist und welche Ebene wir politisch verantwortlich machen können. Die Finanzierung der Aufgaben, die die einzelnen Ebenen haben, muss dabei natürlich gesichert sein. Ich denke, dass es dementsprechend unsere Aufgabe ist, dies in den kommenden Monaten bei den Verhandlungen über die Bund-Länder--Finanzbeziehungen neu zu regeln. Wir unterstützen die Kommunen sehr; aber auf Dauer ist es wichtig, dass die Aufgaben und auch deren Finanzierung wieder den rechtlichen Gegebenheiten angepasst werden. Es darf, wie ich vorhin schon gesagt habe, nicht sein, dass der Bund dauernd originäre Aufgaben der Länder oder der Kommunen finanziert und damit eine weitere Vermischung von Finanzierung und Verantwortlichkeit geschaffen wird – insbesondere auch deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil dem Bund letztlich eine Kontrolle der Mittel verwehrt ist: Wir können nicht kontrollieren, ob die Mittel wirklich den Kommunen zugutekommen oder ob sie irgendwo zwischendrin hängenbleiben. Das ist uns leider durch Gerichtsurteile und durch unsere Verfassung untersagt. Es ist deshalb in meinen Augen von besonderer Bedeutung, dass bei der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen die im Grundgesetz verankerte Zuständigkeit der Länder für ihre Kommunen gewährleistet bleibt. Jede Ebene muss in eigener Verantwortung ihre Aufgaben umfassend und verlässlich erledigen können, und dafür braucht es eine sachgerechte Finanzierung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) Wie gesagt: Wir brauchen klare Verantwortlichkeiten. Die Vermischung von Aufgaben und Finanzierung führt ganz deutlich zu einer Unklarheit bei der Verantwortung. Wir brauchen eine klare Aufgabentrennung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Wie ich vorhin gesagt habe, braucht jede Ebene ausreichende Finanzmittel, um ihre originären Aufgaben zu verwirklichen. Wenn man das in der Konsequenz beherzigt, dann ist es sicherlich auch ein Gedanke, von den Ländern zu erhebende Zuschläge auf die Steuern einzuführen, damit diejenigen, die in der politischen Verantwortung stehen und ihre Haushalte nicht in Ordnung bringen, ihren Bürgern entsprechend deutlich machen müssen: „Wir brauchen mehr Geld von euch“, bzw.: „Andere Länder können sich das vielleicht erlauben“. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Aber ihr wollt doch keine Steuererhöhungen!) Gerade unter dem Gesichtspunkt der Begrenzung der Schulden durch die Schuldenbremse, die wir ab 2020 einführen, ist es ein Riesenproblem, dass die Länder keine eigenen Möglichkeiten haben, ihre Steuereinnahmen zu erhöhen. Deswegen ist dies durchaus ein Gedanke, mit dem wir uns anfreunden können, wenn wir darüber nachdenken, wie wir die Einnahmen der Länder steigern können, ohne dass wir den Bund damit weiter belasten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Bernhard Daldrup, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Bernhard Daldrup (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lerchenfeld, auch wenn Sie versuchen, sich an dieser Stelle sozusagen in besonderer Weise als Steuertreiber und Steuererhöher zu profilieren, muss ich Ihnen sagen: Das wird nicht funktionieren. Wir wollen diese Varianten mit regionalen Steuersätzen nicht, weil sie in Wirklichkeit zu Steuerdumping führen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Packen Sie den Vorschlag einfach wieder ein, und vergessen Sie ihn erst einmal. Wir können aber auch gerne später noch einmal darüber reden. Jetzt möchte ich ganz gerne zum vorliegenden Gesetzentwurf Stellung nehmen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, im Konzert von Haushaltssolidität, Entlastung der Kommunen und Stärkung ihrer Investitionskraft ist der vorliegende Gesetzentwurf ein wichtiger Baustein zur Umsetzung des Koalitionsvertrages. In Richtung der Kollegen von den Grünen und der Linken sage ich: Es ist nicht der erste, es ist nicht der einzige, und es wird auch nicht der letzte sein. (Beifall bei der SPD) Frau Karawanskij, Herr Kindler, natürlich gibt es gegen diesen Gesetzentwurf – wie das bei Gesetzentwürfen meistens der Fall ist – einen zentralen Einwand, der in einem Satz zusammengefasst lautet: Mehr Geld wäre besser. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Dann haben Sie nicht richtig zugehört, Herr Daldrup!) Naja, der Erkenntniswert dieses Satzes ist ebenso groß wie der der Feststellung, dass es morgens hell wird. Das stimmt irgendwie immer, hilft uns aber nicht weiter. Herr Minister Schäuble und Frau Ministerin Schwesig haben den Umfang der finanziellen Entlastungen in den vergangenen Jahren und den des jetzt vorgesehenen Gesamtpakets hinreichend dargestellt. Der Maßstab unseres politischen Handelns orientiert sich an dieser Stelle an Johannes Rau, der gesagt hat: „Sagen, was man tut, und tun, was man sagt“. Mit der Bereitstellung von 1 Milliarde Euro jährlich in den Jahren 2015 bis 2017 für die Kommunen bis zur späteren jährlichen Entlastung in Höhe von 5 Milliarden Euro im Kontext eines neuen Bundesteilhabegesetzes tut die Koalition das, was sie im Koalitionsvertrag vereinbart hat. Das ist, glaube ich, in Ordnung. Sie müssen sich noch ein bisschen gedulden, bis das alles umgesetzt wird, aber das ist unser Maßstab. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]) Glaubwürdigkeit ist in diesem Fall die Kategorie der politischen Kultur, die wir hiermit nachweisen und für uns in Anspruch nehmen. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass manche behaupten, wir würden den Koalitionsvertrag brechen oder wir würden – was haben Sie gesagt? – Placebos verteilen. Frau Karawanskij, lassen Sie mich es mit den Worten Herbert Wehners sagen: „Es gibt keine faktenersetzende Kraft der Phraseologie“. (Heiterkeit des Abg. Dr. Jens Zimmermann [SPD]) Das sind keine Placebos. 3 Milliarden Euro sind eine ganze Menge Geld. Selbstverständlich weiß ich, dass durch die zur Verfügung gestellten Mittel, weder die für die Kommunen vorgesehenen noch die für das Sondervermögen „Kinderbetreuungsaufbau“, allein nicht alle Probleme der Kommunen gelöst werden können. Aber die Mittel stellen einen weiteren konkreten Schritt dar hin zur Entlastung der Kommunen und zur Schaffung zusätzlicher Kitaplätze. Wir werden die Mittel zur Unterstützung der Kommunen bis zum Ende der Legislaturperiode weiter deutlich erhöhen. Aber wir brauchen Zeit, um das Bundesteilhabegesetz gesetzgeberisch entsprechend zu gestalten und um Klarheit über die künftige Gestaltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu bekommen. Die Entlastung der Kommunen bleibt aber eine prioritäre Aufgabe dieser Koalition. (Beifall bei der SPD) Zu den Bausteinen – das betrifft das Jahr 2014 – gehört übrigens auch die Übernahme der Grundsicherung im Alter. Mit der letzten Rate – das ist eben schon ein paar Mal erwähnt worden – in Höhe von etwa 1,6 Milliarden Euro in 2014 – das ist übrigens mehr, als Sie für das Jahr 2014 reklamierten – übernimmt der Bund allein eine Entlastung, die in diesem Bereich bis zum Ende der Legislaturperiode in der Summe rund 25 Milliarden Euro ausmacht. Das ist alles andere als eine Kleinigkeit. Ich will daran erinnern, dass das das Ergebnis des Vermittlungsausschusses im Zuge des Bildungs- und Teilhabepaketes war, für das sich die SPD im Bund und in den Ländern massiv eingesetzt hat. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, für wen ist die finanzielle Entlastung, die dieses Gesetz leisten soll, eigentlich gedacht? Herr Lerchenfeld, Sie haben darauf hingewiesen – ich bin völlig Ihrer Meinung –: Sie ist für die Städte und Gemeinden, nicht für Landesregierungen. Es ist keine Unterstützung, die Kürzungen an anderer Stelle erlauben soll, nicht im Saarland, nicht in Sachsen-Anhalt oder bei Umlageverbänden. Es kommt ja schon einmal vor – Herr Brinkhaus weiß das genauso gut wie ich; ich weise darauf hin, weil wir beide aus Nordrhein-Westfalen kommen –, dass Leistungen des Bundes für die Kommunen zum Anlass genommen werden, um am kommunalen Finanzausgleich zu drehen, etwa indem Landesregierungen den Kommunen die Beteiligung an der Grunderwerbsteuer komplett streichen, dass sie zur Konsolidierung des Landeshaushaltes zusätzlich herangezogen oder bei der Abrechnung der Einheitslasten übervorteilt werden. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ja, ja!) Wir kennen das aus Nordrhein-Westfalen, Herr Brinkhaus. Das haben wir alles gemeinsam erlebt zu der Zeit, als Jürgen Rüttgers Ministerpräsident war. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!) Aber mit dieser kommunalfeindlichen Politik in Nordrhein-Westfalen haben wir nach der Wahl von Hannelore Kraft Schluss gemacht. (Beifall bei der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Da warten die noch immer drauf!) Heute beklagen sich Spitzenverbände und verschiedene andere Organisationen eher darüber, dass die Sanierung der Landesfinanzen auf dem Rücken der Kommunen erfolgt, beispielsweise in Hessen. Dort gibt es einige, die da eine Aufgabe hätten. (Beifall bei der SPD) Wir erwarten von allen Ländern, dass die Mittel den Kommunen ungeschmälert zugutekommen, und zwar jeweils zur Hälfte durch eine Erhöhung der Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und zur anderen Hälfte durch eine verbesserte Umsatzsteuerbeteiligung. Dieser Maßstab sichert unseres Erachtens die gerechte Verteilung der jährlich zur Verfügung stehenden Milliarde. Das hilft den Kommunen mit einer höheren Arbeitslosenquote mehr als eine reine Erhöhung der Umsatzsteuerbeteiligung. Die meisten wissen, dass der bundesweite finanzielle Überschuss aller Kommunen trügerisch ist – dieser Aspekt wurde eben von den Grünen, aber auch vom Finanzminister angesprochen –, weil er der immer noch zu geringen Investitionstätigkeit der Kommunen geschuldet ist und weil er die sich öffnende Schere zwischen armen und reichen bzw. wohlhabenden Kommunen sowie steigende Kassenkredite und Sozialausgaben verschleiert. Ich erspare Ihnen an dieser Stelle die Auflistung der im negativen Sinn beeindruckenden Zahlen. Dieser Entwicklung wollen und werden wir auch mit diesem Gesetz entgegenwirken. Mit diesem Gesetz wird ein Teil der Entlastung der Länder und Kommunen durch das 6Milliarden-Euro-Paket realisiert, das die Länder vom Bund erhalten, um Kinderkrippen, Kitas, Schulen und Hochschulen zu finanzieren. Neben der Aufstockung des Sondervermögens ermöglichen es die in den Jahren 2017 und 2018 jährlich zusätzlich zur Verfügung stehenden 100 Millionen Euro – sie ergeben sich aus einer höheren Umsatzsteuerbeteiligung – den Ländern, ihre Kommunen von den Betriebskosten zu entlasten und damit bessere Bedingungen für mehr Erzieherinnen und Erzieher zu schaffen. Ich glaube, Herr Rehberg, es ist falsch, Qualitätsverbesserung und Beitragsfreiheit in diesem Kontext gegeneinander auszuspielen. Die Ministerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich um Zukunftsinvestitionen handelt. Das ist, wie ich glaube, gut und richtig. (Beifall bei der SPD) Mit dem Gesetzentwurf ist die Schaffung zusätzlicher Kitaplätze übrigens keineswegs abgeschlossen. Sollten die veranschlagten Mittel für die Kinderbetreuung für den Aufwuchs nicht ausreichen, werden sie entsprechend dem erkennbaren Bedarf aufgestockt. So heißt es auf Seite 63 des Koalitionsvertrages. Das ist für uns der Beurteilungsmaßstab. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Abgeordneter, denken Sie bitte an die Redezeit. Bernhard Daldrup (SPD): Ich komme zum Schluss. Ich glaube, dass dieses ganze Projekt, dass dieser Gesetzentwurf ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung kommunaler Demokratie ist. Das ist wichtig; denn wir müssen Wahlenthaltung und Wählerprotest gewissermaßen als Seismografen verstehen, die die Handlungsnotwendigkeit in einem Sektor wie diesem begründen. Ich hätte gerne noch ein bisschen mehr Redezeit, aber das geht nicht; das weiß ich wohl. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie haben schon eine Minute zusätzlich. Bernhard Daldrup (SPD): Ich muss deswegen an dieser Stelle schließen. Ich darf aber noch sagen, dass wir diesem Gesetzentwurf im weiteren Verfahren unsere Unterstützung geben werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Marcus Weinberg, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Hinsichtlich der richtigen und guten Politik für Familien beginnt nun die zweite Halbzeit. Herr Daldrup hat von der Erkenntnis gesprochen, dass es jeden Morgen hell wird. Ich glaube, man kann sagen: Für Familien wird es heute besonders hell, weil wir heute über zwei große Gesetzentwürfe beraten. Es geht um Partnerschaftlichkeit und mehr Zeit für Familien – Elterngeld –; aber auch die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist wichtig, wofür der Ausbau der Infrastruktur entscheidend ist. Heute Morgen wurden drei prägende Zahlen genannt: zweimal 5,4 und einmal die große Null. Für eine gute, langfristige und nachhaltige Familienpolitik ist zentral – das hat Eckardt Rehberg schon gesagt –, dass Schluss gemacht wird mit neuen Schulden. Bei den Dingen, die wir jetzt auf den Weg bringen, und bei den großen Summen, die wir ausgeben, ist dies der Überbau. Dieses Ziel leitet uns und trägt uns maßgeblich. Wir haben in der vorangegangenen Debatte über 5,4 Milliarden Euro für das Elterngeld gesprochen. Diese Summe steigt. Diese Ausgabe ist richtig, aber das ist auch sehr viel Geld. Wir diskutieren jetzt über den Krippenausbau. Hier geht es um Investitionen in Höhe von 5,4 Milliarden Euro in den letzten Jahren. In einer solchen Debatte muss man auch nach der Verantwortung in einem föderativen System fragen und überlegen, welche Teile dieses Systems für welche Bereiche Verantwortung haben. Richtig ist, dass der Bund den Ausbau der Kindertagesbetreuung als nationale Aufgabe angesehen hat und gesagt hat: Wir erachten den Ausbau der Kindertagesbetreuung nicht nur hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf als zentral, sondern auch im Zusammenhang mit Integration, also im Zusammenhang mit der Vermittlung von Sprachkenntnissen, Bildung und weiteren Dingen. Es war eine richtige Entscheidung, sich auf dem sogenannten Krippengipfel für den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab dem 1. August 2013 auszusprechen. Es war eine immens wichtige Botschaft, das fest zu verankern. Das war richtig und wichtig. Aber die Erwartungshaltung im föderativen System ist, dass diejenigen, die davon profitieren, auch die Frage zu beantworten haben, was sie leisten. Ich bin ein wenig irritiert, wenn ich manche Wahlkämpfe in bestimmten Bundesländern beobachte; die Landesvertreter sind heute Morgen nur in begrenzter Zahl anwesend. Wir tun aus purer Überzeugung viel für die Länder und Kommunen. Es ist ein Problem, wenn man dann sieht, dass in einigen Ländern bei Wahlkämpfen viele Dinge versprochen werden, die andere – in dem Fall der Bund – mit zu tragen haben, zum Beispiel die Abschaffung der Studiengebühren oder die Abschaffung der Elternbeiträge. In Niedersachsen wurde im Wahlkampf die dritte Betreuungskraft im Krippenbereich versprochen. Das kann man versprechen, wenn man es finanzieren kann. Aber bei der Frage nach dem Verwendungszweck der Bundesmittel kann es dann Probleme geben. Werden die Mittel, die wir zur Verfügung stellen, zum Beispiel für das BAföG oder die anteilige Übernahme der Betriebskosten, richtig bereitgestellt? Auch die Frage der Qualität spielt dann eine Rolle, nicht nur in der Verantwortung der Länder, aber insbesondere in der Verantwortung der Länder. Wenn das Bundesland mit dem schlechtesten Betreuungsschlüssel – in diesem Fall darf ich den Namen nennen, es handelt sich um Hamburg; dort gibt es einen Betreuungsschlüssel von 1 zu 4,7, wenn man es genau rechnet, sogar von 1 zu 7 – entscheidet, dass die Elterngebühren abgeschafft werden, ist das eine politische Entscheidung, die man tragen kann oder nicht. Wenn man aber gleichzeitig den schlechtesten Betreuungsschlüssel hat und nichts in die Qualität investiert, dann, glaube ich, ist das durchaus ein Problem, das angesprochen werden muss. (Beifall bei der CDU/CSU) Nicht nur in Bezug auf Hamburg, sondern auch in Bezug auf das südlich davon liegende Bundesland Niedersachen muss man fragen, ob die BAföG-Mittel tatsächlich bei den Studierenden ankommen. Als Verwendungszweck für diese Mittel wurde angegeben, dass sie der Entlastung im Bereich BAföG dienen. Doch weder in Hamburg noch in Niedersachen kommen die Mittel an. Wenn dann ein Wahlversprechen wie die dritte Betreuungskraft in Krippen – sie ist wichtig; das ist gut – über eine Entlastung in einem anderen Bereich finanziert werden soll, dann ist das mit dem Verwendungszweck nicht vereinbar und dann muss man ansprechen, dass das so nicht in Ordnung ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese kleine Bemerkung in Richtung der Länder sollten Sie mir gestatten, weil wir als Bund die Situation dort beobachten. Wir unterstützen die Länder aus Überzeugung. Zum Beispiel im Bildungsbereich geben wir jährlich über 2 Milliarden Euro für originäre Aufgaben der Länder aus. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist das!) Dies ist uns wichtig. Aber hier und da sollte man überlegen und schauen, was die Länder mit den zur Verfügung gestellten Mitteln machen. Das ist richtig und wichtig. Ich komme zur Frage der Qualität. Die Forderung nach mehr Qualität ist auch im vorliegenden Antrag formuliert worden. Ich glaube, dass wir uns alle einig sind, dass eine Qualitätssteigerung im Krippenbereich elementar ist, nicht nur – das hat auch die Ministerin gesagt – bei der Frage des Betreuungsschlüssels, sondern auch bei der Frage der Angebote: Was können wir noch leisten? Die Frage ist auch: Muss dies über ein Gesetz des Bundes geregelt werden? Wissen nicht die Verantwortlichen sowohl auf Bundesseite als auch auf Länderseite, dass es hier eine hohe Verantwortung gibt? Ich glaube, wir sollten den Weg gehen, der jetzt angestrebt wird, nämlich auf der Konferenz im November festzulegen, wo wir Standards setzen, wohin wir in diesem Bereich wollen und was wir bereit sind zu erfüllen. Ich weiß und wir wissen: Der Bund kann Gesetze verabschieden, aber er muss deren Umsetzung auch finanziell leisten. Da stellt sich die Frage, inwieweit wir das auch vor dem Hintergrund unserer originären Aufgaben weiter leisten können. Das föderative System lebt auch von der Akzeptanz, dass jeder seine Aufgaben erledigt. Deswegen war es uns wichtig, in diesem Bereich darauf zu achten, dass wir den veränderten Wünschen der Eltern gerecht werden wollen. Wir haben gerade bei der Debatte zum Elterngeld viele Zahlen gehört, durch die deutlich wurde, was Eltern von der Politik erwarten. Ich will nur drei Zahlen im Hinblick auf die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und den Krippenausbau nennen: Für 81 Prozent der Befragten ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiterhin die zentrale Frage, die immer mehr durch die Frage der Vereinbarkeit von Pflege und Familie ergänzt wird. 34 Prozent der Mütter würden tatsächlich gerne länger arbeiten, wenn sie eine entsprechende Betreuungsmöglichkeit hätten. Die Mütter kehren heute nach durchschnittlich 19 Monaten zu ihrem Arbeitgeber zurück. Aber viele Mütter würden gerne früher in Teilzeit zurückkehren. Ich glaube, vor dem Hintergrund dieser Zahlen ist der Ausbau der Kindertagesbetreuung eine zentrale Aufgabe. Wenn ich das so sagen darf: Herr Kindler – er beschäftigt sich jetzt zu Recht mit anderen Dingen –, wir reden ja nicht nur über die 5,4 Milliarden Euro für den Ausbau der Angebote im Krippenbereich. Wir stellen auch Mittel in Höhe von 400 Millionen Euro für das Programm „Frühe Chancen“ bereit. Das ist eine sehr wichtige und gute Maßnahme für Spracherwerb und Integration. Ich könnte aus dem Etat des BMBF die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ nennen. Dort geben wir viel Geld aus, um die Bildungsimplikationen zu steigern. Ich nenne das Aktionsprogramm Kindertagespflege, ich nenne das KfW-Förderprogramm für den Ausbau von Kitas und die Arbeitsgruppe zur Fachkräftegewinnung für die Kindertagesbetreuung, Weiterbildungsmaßnahmen für pädagogische Kräfte und, und, und. Der Bund tut also deutlich mehr, als Herr Kindler beschrieben hat. Ich glaube, darauf könnten wir häufiger hinweisen, weil das gute und wichtige Dinge sind. Wir stocken die Mittel für das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ jetzt um 550 Millionen Euro auf. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir die Mittel in drei Tranchen – 230 Millionen Euro, 220 Millionen Euro und 100 Millionen Euro – einsetzen, sodass auf jeden Fall gewährleistet ist, dass es dort, wo ausgebaut werden soll, keine Phase gibt, in der dieser Ausbau möglicherweise stottert. Es wurde bereits angesprochen, aber ich sage es noch einmal: Nachdem wir bei sehr wenigen Plätzen gestartet sind, kommen zu den bisher zugesagten 780 000 Plätzen jetzt noch einmal 30 000 Plätze hinzu. Zu den Betriebskosten. Ich glaube, das ist ein zentraler Punkt. Der Anteil des Bundes wird in wenigen Jahren bei 945 Millionen Euro liegen. Das sind also fast 1 Milliarde Euro für eine originäre Aufgabe der Länder. Wir sind uns, wie gesagt, darin einig, diese Ausgabe vorzunehmen. Allerdings erwarten wir hier natürlich auch, dass dies zu einer Steigerung der Qualität führen wird. Die Verstetigung der Mittel für den Bereich „Schwerpunkt-Kita Sprache & Integration“ in Höhe von 126 Millionen Euro ist auch richtig, weil dadurch deutlich wird, dass wir den Ausbau der Kindertagesbetreuung als eine Maßnahme zwischen Sozialpolitik, Integrationspolitik, Familienpolitik und Arbeitsmarktpolitik bewerten. Ich will in Bezug auf die Ergebnisse, die wir in den letzten Jahren erzielt haben, nur ein paar Zahlen nennen: Der Ausbau der Kinderbetreuung trägt zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei. Über 100 000 Mütter mit Kindern zwischen einem Jahr und drei Jahren wären ohne diese Betreuungsmöglichkeit nicht erwerbstätig. Der Ausbau der Kinderbetreuung verringert das Armutsrisiko aller Familien mit Kindern bis zu zwölf Jahren um rund 7 Prozentpunkte. Die Erwartungshaltung junger Mütter und junger Väter – auch das wissen wir aus den Umfragen – in Bezug auf die Zielsetzung und die Qualität lautet: Sozialisation, Integration in eine soziale Gruppe, Kreativität, Sprachentwicklung und Bildungsimplikationen. Deshalb werden wir uns auch über die Qualität unterhalten. Wir werden eine Qualitätssteigerung allerdings nicht wieder in einem Gesetz vorschreiben, sondern wir erwarten nach Diskussionen mit den Ländern, dass hier freiwillig neue Wege gegangen werden, um der kommunalen Verantwortung gerecht zu werden. Insgesamt kann man sagen, dass wir mit diesem Maßnahmenkatalog und diesem Ausbautempo im Ergebnis das erreichen, was seit mittlerweile acht Jahren, seit der ersten Großen Koalition, angestrebt wird: dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in die nächste Epoche geht. Ich denke, aufgrund der heute vorliegenden Gesetzentwürfe – dem Elterngeld Plus auf der einen Seite und dem Ausbau der Kindertagesbetreuung auf der anderen Seite – ist heute ein Happy Friday bzw. ein Family Friday. Das ist der richtige Weg. Deswegen glaube ich, dass das heute Morgen eine gute Debatte für alle Familienpolitiker war. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Uli Gottschalck, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]) Ulrike Gottschalck (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Städte und Gemeinden sind die Kraftwerke unseres sozialen Miteinanders. Kinderbetreuung, Nahversorgung, gute Mobilität, das soziale Netz: Alles muss vor Ort organisiert und auch finanziert werden. Deutschland braucht deshalb starke Kommunen, in denen die Menschen gerne leben und sich wohlfühlen. In den Städten und Gemeinden merken die Menschen am ehesten, ob die Daseinsvorsorge funktioniert oder eben nicht. In letzter Zeit stottern die Kraftwerke, die Städte und Gemeinden, leider öfters, weil sie erheblich unter den ständig steigenden Sozialkosten leiden. Sie kämpfen mit der demografischen Entwicklung, und sie kämpfen seit Jahren darum, wirklich handlungsfähig zu bleiben. Deshalb bin ich sehr froh und dankbar, dass sich die Fraktionen der Regierungskoalition im Koalitionsvertrag darauf verständigt haben, der Entlastung der Kommunen eine absolute Priorität einzuräumen. (Beifall bei der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste, man vergisst das schnell, aber wir setzen das sukzessive, scheibchenweise um. Ich nenne Ihnen hier einmal ein paar Beispiele: In diesem Jahr – das haben wir schon gehört – übernimmt der Bund 100 Prozent der Kosten für die Grundsicherung im Alter. Wir haben dafür gesorgt, dass die Gewerbesteuer weiterhin die Haupteinnahme der Kommunen ist. Wir haben die Mittel für die Städtebauförderung auf 700 Millionen Euro ordentlich erhöht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und hier insbesondere das Programm „Die soziale Stadt“ aufgepeppt. Es gibt wieder Bundesmittel für den altersgerechten Umbau von Wohnungen. Wir haben den Mindestlohn durchgesetzt, durch den viele Kommunen im Hinblick auf die Sozialausgaben entlastet werden. Wir werden die Kosten für das BAföG jetzt vollständig und dauerhaft übernehmen. Und der heutige Gesetzentwurf sieht vor, dass es noch mehr Geld für die Kinderbetreuung gibt. Ich denke, ich muss jetzt gar nicht weiter ausholen. Unsere Ministerin Manuela Schwesig hat ja wirklich toll dargestellt, wie wir uns das vorstellen, und vor allen Dingen, wie sie das als Familienministerin managt. Ich möchte sie an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich loben. Jeder, der unseren guten Finanzminister kennt, weiß, wie schwierig es ist, Herrn Schäuble auch nur eine müde Mark aus dem Kreuz zu leiern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb noch einmal: Glückwunsch zum Elterngeld Plus! Glückwunsch, dass wir das heute auf den Weg bringen können! Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Kommunen nochmals um 1 Milliarde Euro entlastet. Ich denke, das ist wirklich keine Kleinigkeit. Ich mache es Ihnen einmal am Beispiel meines Landkreises deutlich. Für meinen Landkreis bedeutet das für 2015 eine Entlastung um immerhin 800 000 Euro, und 2016 kommt ja zeitversetzt im Rahmen der Neuregelung bei der Umsatzsteuer auch noch etwas zurück, wenn die Länder – ich oute mich jetzt, was die Länderminister angeht, als die Haushälterin, die das mit den klebrigen Fingern gesagt hat – ordentlich mitmachen. Weil Herr Kindler und Frau Brantner wieder so getan haben, als würden wir überhaupt nichts für die Kommunen tun, darf ich an dieser Stelle einmal zwei Beispiele aus meinem Heimatland Hessen anführen. In Hessen regieren die Grünen seit geraumer Zeit mit. Jedes Jahr werden im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs 360 Millionen Euro entnommen. Es gibt keine auskömmliche Finanzierung für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern. (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) Das Land Hessen hat allein bei uns, dem Landkreis Kassel, Schulden in Höhe von 9 Millionen Euro angehäuft, weil es nicht für eine auskömmliche Finanzierung aufkommt. Insofern klaffen Theorie und Praxis auseinander. Es geht nicht, dass man hier auf Bundesebene laut Kritik äußert und sich auf Landesebene, wo man gestalten könnte, dezent zurückhält. Auf Ihre Kontinuität verzichten wir da lieber. (Beifall bei der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ich denke, heute liegt ein wirklich guter Gesetzentwurf vor, der die Kommunen erneut entlastet und der im Hinblick auf unsere Kinder erneut für mehr Chancengerechtigkeit sorgt. Deshalb ein herzliches Dankeschön an alle, die daran beteiligt waren! Wir werden weiter kontinuierlich für die genannten Ziele kämpfen. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/2586 und 18/2605 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Einführung von Gruppenverfahren Drucksache 18/1464 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sommerpause ist noch nicht allzu lange vorbei. Erinnern Sie sich doch zum Beispiel einmal daran, ob Sie eine Bahn- oder Flugreise unternommen und dabei enorme Verspätungen erlebt haben. Sie haben sich dann vielleicht gefragt: Wie ist das denn mit der Entschädigung? Äußere ich mich? Frage ich einmal nach? Oder soll ich vielleicht sogar klagen? Mag sein, dass die Deutsche Bahn diesbezüglich nicht so schlecht ist wie ihr Ruf, sondern schon selbstverständlicher und geduldig Vordrucke verteilt. Ich glaube, dass das bei manchen Fluggesellschaften viel schwieriger ist, weil diese sich zieren und versuchen, das Ganze erst einmal zeitlich zu strecken. Oder stellen Sie sich eine andere Situation vor: Sie haben den Stromanbieter gewechselt. Der neue Stromanbieter hat Ihnen angeboten, Ihnen nach zwölf Monaten einen Wechselbonus auszuzahlen. Nach exakt zwölf -Monaten wechseln Sie schon wieder, weil ein anderer Anbieter einen niedrigeren Tarif hat. Der bisherige -Stromanbieter zahlt daraufhin die Prämie nicht. Klagen Sie? Oder: Sie haben eine Lebensversicherung abgeschlossen und aus persönlichen Gründen vorzeitig gekündigt. Von Ihrem eingezahlten Geld bekommen Sie kaum etwas zurück, weil irgendwo im Vertrag in den Tiefen des Kleingedruckten versteckt ist, dass man erst Verwaltungs- und Bearbeitungsgebühren zahlen muss und diese von dem eingezahlten Geld abgezogen werden. Die Frage ist wieder: Klagen Sie? All diese Fälle – man könnte noch mehr nennen – haben eines gemeinsam, nämlich folgendes Ungleich-gewicht: Sie haben auf der einen Seite den einzelnen, wirtschaftlich schwächeren Verbraucher oder die Verbraucherin und auf der anderen Seite mächtige Firmen und Unternehmen mit ganzen Rechtsabteilungen und Horden von Anwälten. Der Verbraucher, die Verbraucherin steht allein mit dem Schaden da. Sie müssen sich jetzt entscheiden: Klage ich? Aus Verbrauchersicht ist es so: Je kleiner der Schaden, desto größer die Scheu. Wer möchte schon wegen 2,95 Euro klagen, viel Zeit verlieren und Ärger ris-kieren? Das gilt aber reziprok proportional für die Unternehmen. Während für den Verbraucher gilt: „Je kleiner der Schaden, desto größer die Scheu“, sagen die Unternehmen: Je kleiner der Schaden, desto besser die -Aussicht, dass 10 000 Betroffene eben nicht klagen. 10 000-mal 2,95 Euro ist ein schöner Gewinn. Kleinvieh macht auch Mist, wäre eine andere Variante, um diesen Zustand aus der Sicht der Unternehmen zu beschreiben. – Die Ansprüche werden nicht geltend gemacht; das ist das, was wir sehen. Deshalb haben wir uns die Mühe gemacht, für dieses Problem eine Lösung vorzulegen. Wir stellen fest, dass so etwas in den unterschiedlichsten Varianten immer wieder vorkommt: beispielsweise bei einer angemessenen Entschädigung für einen verspäteten Flug oder bei den schon genannten 2,95 Euro, zum Beispiel beim E-Commerce oder bei Apps und Ähnlichem. Wir meinen, dass wir an dieser Stelle – ich formuliere das einmal so unter uns Juristen – das Skalpell in die Hand nehmen und an das Herzstück des deutschen Zivilrechts herangehen müssen, an die Zivilprozessordnung. Das ist ja angeblich die Krone des Rechts. Wie man darauf kam, weiß ich auch nicht. Aber darin stehen die wichtigen Dinge. Wir müssen Waffengleichheit herstellen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass es hier keine Schieflage gibt, deshalb die OP an der Zivilprozessordnung. Was wir brauchen, sind Formen kollektiver Rechtsdurchsetzung, so nennt man das. Das deutsche Recht kennt das bisher schon. Beim Unterlassungsklagegesetz überlegt die Bundesregierung zum Beispiel gerade völlig zu Recht – das wird schon lange von einigen, auch von uns gefordert –, eine Verbandsklagemöglichkeit bei Datenschutzverletzungen zu ermöglichen. Wenn eine Information über Sie ohne Ihre Erlaubnis weitergegeben wird, dann überlegen Sie: Mache ich da etwas, oder lasse ich es, obwohl ich unzufrieden bin? – Es ist also richtig, dass es da Verbandsklagemöglichkeiten geben soll. Warum? Weil nur so Interessenvertretungen des Vertragsschwächeren gewährleistet werden. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ich dachte, es geht um die Rechte der Verbraucher!) Bei diesem Fall und den anderen, die ich gerade aufgezählt habe, ist es so – das will ich klar sagen –: Es betrifft eine Vielzahl von Personen. Das ist quasi ein Massenereignis. Es handelt sich um gleichgelagerte Verträge, gleiche Lebenssachverhalte. Alle Betroffenen erfahren eine mehr oder weniger geringe Schädigung. Da brauchen wir jetzt eine prozessuale Lösung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Wir haben einen Gesetzentwurf, der das Zivilrecht betrifft, vorgelegt. Ausnahmen stellen das Familienrecht und die freiwillige Gerichtsbarkeit dar; dort muss nach anderen Regeln vorgegangen werden. Wir sagen: Es muss eine Klagemöglichkeit geben, bei der dann allerdings Teilnehmer des Verfahrens nur wird, wer in diesen Gruppenverfahren gegenüber dem Gericht erklärt: Ich will an diesem Verfahren teilnehmen. – Wir sagen: Die Anwalts- und Gerichtsgebühren kann man dann auf vier Gebühren reduzieren, damit nicht 20- oder 30-mal die Gebühr erhoben wird, ohne dass dafür etwas getan wird. Für diejenigen, die klagen und an dem Gruppenverfahren teilnehmen, heißt das aber: Die Höhe des Prozessrisikos ist relativ begrenzt. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Für manche Kläger sind auch diese Gebühren noch zu viel!) Wir wollen an dieser Stelle aber auch ein praktikables Verfahren. Das heißt: Diejenigen, die am Gruppenverfahren teilnehmen – das können bis zu 20 Personen sein –, sind dann vor dem Zivilgericht nicht alle zu Prozesshandlungen ermächtigt, sondern der oder die Gruppenklägerin nimmt treuhänderisch die Rechte der anderen wahr, damit das Verfahren praktikabel ist. Wir sagen: Eine solche Gruppenklage kann auf Leistung, also Schadenersatz bzw. Entschädigung für Verspätung, abzielen; sie kann sich aber auch als Feststellungsklage gegen rechtswidrige AGB richten. Wir wollen aber kein Gruppenverfahren im Sinne einer Sammelklage nach US-amerikanischem Vorbild. Dort ist es so, dass ein Anwalt klagt, der zunächst alle angeblich Betroffenen sozusagen im Hinterkopf hat und dann später aus dem, was er erstritten hat, erst einmal 10 bis 20 Prozent als Anwaltsgebühr und Kostenerstattung für sich abzieht. Das wollen wir nicht. Wir wollen vielmehr ein Opt-in-Verfahren. Das heißt, das Verfahren gilt nur für Personen, die ausdrücklich gesagt haben: Ich will mit meinem Fall an diesem Verfahren teilnehmen. Ich glaube, dass wir damit eines schaffen, nämlich dass die kleinen Fälle, bei denen die Verbraucher kein Recht bekommen, endlich mit in die Steuerungsfunktion des Rechts aufgenommen werden. Denn das Recht hat auch eine Aufgabe: am Ende sozusagen subkutan faire Marktbedingungen zu ermöglichen und zu gewährleisten, dass man nicht über den Tisch gezogen wird. Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Die Europäische Kommission hat uns im Juni 2013 aufgefordert, kollektive Rechtsschutzverfahren einzuführen. Auf eine Kleine Anfrage hat die Bundesregierung neulich geantwortet: Sie prüft, ob zur Verbesserung des kollektiven Rechtsschutzes gesetzgeberische Schritte nötig sind. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber nicht mehr alles vorlesen, Frau Kollegin Künast. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Damen und Herren, ich erlaube mir an dieser Stelle einen kostenlosen Rechtsrat: Wenn Sie nichts tun, verstoßen wir gegen die Empfehlung der Kommission. Ich bitte Sie deshalb, unseren Vorschlag zur Einführung von Gruppenverfahren aufmerksam zu lesen und ihm dann auch zuzustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Sebastian Steineke, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sebastian Steineke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Gesetzentwurf, den Frau Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Einführung von Sammelklagen – man muss deutlich sagen: es sind Sammelklagen, um die es heute geht, keine Gruppenverfahren – eingebracht hat, haben Sie uns schon im letzten Jahr vorgestellt, und zwar kurz vor der Bundestagswahl. Kollege Luczak hat damals völlig zu Recht festgestellt: Das war reines Wahlkampfgeplänkel. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie uns jetzt nicht mehr vorwerfen!) – Reines Wahlkampfgeplänkel. So haben Sie es gemacht. – Sie konnten aber weder die Fachverbände noch die zuständigen Bundestagsgremien beteiligen. Auch die erneute Einbringung ändert aber nichts daran, dass der Gesetzentwurf in die völlig falsche Richtung geht, Frau Kollegin. Bemerkenswert ist übrigens auch, dass Ihre Fraktion – Sie haben eben darauf hingewiesen – am 19. Mai eine Kleine Anfrage zu diesem Thema an die Bundesregierung gerichtet hat, in der Sie sich nach dem Stand der Überlegungen und weiteren Arbeitsschritten der Bundesregierung erkundigt haben. Was aber machen Sie zwei Tage später? Ohne die Antwort abzuwarten, reichen Sie einen eigenen Gesetzentwurf mit 26 Paragrafen ein. Das ist reiner Aktionismus und macht keinen Sinn. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt drücken Sie sich nicht vor der materiellen Aussage, Herr Steineke! Das ist ja feige! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zur Sache!) – Genau so ist es, Frau Künast. Sie können ja nächstes Mal die Antwort abwarten. Sie haben davon gesprochen, dass die Zivilprozessordnung eher nicht die Krone Rechts sei, oder wie auch immer Sie es formuliert haben. In der Vorbemerkung zum Gesetzentwurf betonen Sie aber völlig zu Recht, dass wir eine wunderbare ZPO haben. Sie hat sich seit 130 Jahren als zuverlässige, sachgerechte Prozessordnung bewährt. Wir haben sie auch immer wieder den Notwendigkeiten angepasst. Sie wollen mit der Einführung der Sammelklage einen komplett neuen Abschnitt einfügen, der aus Ihrer Sicht notwendig ist. Aus unserer Sicht ist er das definitiv nicht. Auch der jüngste Gedanke über die Einführung eines kollektiven Rechtsschutzes – Sie haben darauf hingewiesen – geht einzig und allein auf eine Empfehlung der -Europäischen Kommission zurück. Wie schon bei der geplanten Änderung der Small-Claims-Verordnung konnten wir feststellen, dass nicht immer alles gut und richtig ist, was aus Brüssel kommt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das sieht Herr Oettinger anders!) In diesem Fall handelte es sich lediglich um einen Appell statt um eine gesetzlich umzusetzende Vorgabe. Wir haben in unserem Rechtssystem bereits jetzt ausreichend effiziente und kostengünstige Instrumente zur Durchsetzung von individuellen Rechten. Dazu gehören neben den gängigen Individualklagewegen, die jedem bekannt sein dürften, im Übrigen auch mehrere ähnlich gelagerte Möglichkeiten im kollektiven Rechtsschutz. Schon in jüngster Zeit sind Sammelklagen gegen Banken, Energieversorger oder Versicherungen erfolgreich und basierend auf den heute bestehenden kollektiven Rechtsschutzmöglichkeiten geführt worden. Wenn Sie die Antwort der Bundesregierung abgewartet hätten, wüssten Sie das. Verbände können schon jetzt nach dem Unterlassungsklagegesetz oder dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Sammelklagen erheben. Zudem sind bereits heute die Streitgenossenschaft in der ZPO, die Prozessverbindung, die Möglichkeit der Musterklage nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz im Rahmen eines effizienten und vereinfachten Gerichtsverfahrens möglich und auch vor dem Hintergrund eines kollektiven Rechtsschutzes absolut ausreichend. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehene fast umfassende Einführung von Sammelklagen stößt aber auch in vielerlei anderer Hinsicht auf Bedenken. Wir haben in unserer Verfassung das in Artikel 103 fest verankerte und uneingeschränkte Grundrecht auf rechtliches Gehör. Das betrifft jedes einzelne Individuum, das seine Rechte geltend machen will. Diesem Grundsatz wird die Sammelklage in keiner Weise gerecht. Der Teilnehmer schließt sich der Gruppe an, die durch einen Gruppenführer vor Gericht vertreten wird. Den Gruppenführer kann man nach Ihrem Gesetzentwurf höchstens ablösen bzw. auswechseln. Das verhindert jedoch nicht, dass der Einzelne vor Gericht nicht mehr angehört wird. Auch wenn es sich um eine Bündelung von gleichgelagerten Fällen handelt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Einzelne zu dem Sachverhalt etwas beizutragen hat. Je größer die Gruppe, desto geringer der Einfluss des Einzelnen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser als gar kein Einfluss!) Ein weiterer Punkt ist die hohe Missbrauchsanfälligkeit von Sammelklagen. Ich will durchaus einräumen, dass Sie versucht haben, die diesbezüglichen Gefahren einzudämmen. Gelungen ist es Ihnen in Ihrem Gesetzentwurf nicht. Ich bin der festen Überzeugung, dass dem Instrument der Sammelklage die Gefahr des Missbrauchs geradezu immanent ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Viele Rechtsanwälte verfolgen in ihrer Arbeit – das ist auch richtig so – ein eigenes wirtschaftliches Interesse. Mit jedem Rechtsstreit soll und muss Geld verdient werden. Ein redlich arbeitender Anwalt hat darüber hinaus die Verpflichtung, seinem Mandanten zu helfen und das Bestmögliche für ihn herauszuholen. Bei einer Sammelklage mit möglichst vielen Teilnehmern kann auch nach Ihrem Gesetzentwurf ein Anwalt deutlich mehr ver-dienen, als wenn er nur eine Einzelperson aus dieser Gruppe vertritt. In der Begründung zur Kostenfrage führen Sie explizit auf: Damit erweist sich das Gruppenverfahren aus Sicht der Klägeranwältin oder des Klägeranwalts vor allem für solche Fälle als attraktiv, in denen eine große Anzahl von Betroffenen als Mandanten entweder bereits vorhanden ist oder zumindest in Betracht kommt. Wenn Sie das so formulieren, dann ist das doch förmlich Anstiftung zum Rechtsstreit, nicht mehr und nicht weniger. Das kann nicht in unserem Interesse liegen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Künast? Sebastian Steineke (CDU/CSU): Gerne. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Könnten Sie mir mit Blick auf die anwaltliche Gebührenordnung erklären, was günstiger ist: 20 Mandanten mit einer kleinen Summe zu vertreten, bei denen die Anzahl der Anwaltsgebühren auf vier begrenzt ist, oder 20 Mandanten einzeln zu vertreten und jeweils ein, zwei Gebühren zu erheben? Sie machen gerade eine Milchmädchenrechnung auf, glaube ich. (Caren Lay [DIE LINKE]: Milchjungenrechnung!) – Richtig, Milchjungenrechnung. Danke, Caren Lay. Sie tun so, als würden wir mit unserer Formulierung zum Rechtsstreit animieren. Tatsächlich ist es doch viel schlimmer, wenn 20, 30 oder 100 Menschen einzeln vertreten werden müssen. Als Anwalt braucht man sich dann in die Sache nicht immer wieder materiell einzuarbeiten, kann aber jedes Mal eine Gebühr einschließlich Mehrwertsteuer, die man natürlich abführt, erheben. Sebastian Steineke (CDU/CSU): Frau Kollegin, es ist ganz einfach. Sie animieren, möglichst viele Menschen in Sammelklagen einzubeziehen; denn nur dann kann ein Anwalt mit einer Sammelklage Geld verdienen. Das ist aber falsch. Das ist ein Anreiz zum Rechtsstreit, nicht mehr und nicht weniger. Insgesamt sehen wir in diesem Punkt die große Gefahr, dass die Sammelklage rechtsmissbräuchlich beworben wird und dass sich ein Rechtsdienstleistungsmarkt entwickelt wie in den USA. Das ist kein Geheimnis: Wer sich in den USA auskennt, dem ist die große Anzahl an Sammelklagen sowie Anwälten und Großkanzleien, die sich eine goldene Nase verdienen, bekannt. Sie werden mit Ihrem Gesetz insbesondere den deutschen Großkanzleien einen großen Gefallen tun. Das ist aber nicht unser Ansatz. Wir wollen nicht – das habe ich eben ausgeführt –, dass die Betroffenen in einen Rechtsstreit -hineingeredet werden. Vielmehr wollen wir den möglichst besten Rechtsschutz für jedermann. Das sollte der Anspruch für alle hier im Saal sein. Ein weiterer Punkt ist evident wichtig. Nicht selten ist in der Geschäftsbeziehung zwischen Anwalt und Mandanten das persönliche Verhältnis prägend für die Zusammenarbeit. Ein Anwalt muss jeden Mandanten bestmöglich vertreten. Das verlangen bei uns bereits die Standesregeln. Bei großen Sammelklagen ist das nicht mehr möglich. Der einzelne Mandant ist bloß noch eine Nummer. Die Sammelklagepraxis in den USA hat uns allerdings noch mehr Schwachstellen aufgezeigt. Dort ist es üblich, dass neben dem Klageverfahren ein exorbitanter, zusätzlicher medialer Druck auf die Beklagten aufgebaut wird, der dazu führt, dass die Beklagten förmlich genötigt werden, sich noch vor einer Urteilsverkündung mit der Gruppe zu vergleichen. In den USA geht man davon aus, dass weit mehr als 90 Prozent der Sammelklagen in einem Vergleich enden, noch bevor ein Urteil durch das Gericht gefällt werden kann. Auch hier wäre das mehr als wahrscheinlich. (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Frau Künast, der öffentliche Druck ist das entscheidende Problem. Oftmals handelt es sich bei dem Streitgegenstand von Sammelklagen – da sind wir uns sicherlich einig – um für viele Betroffene essenzielle Rechtsfragen, die ein großes Medienecho nach sich ziehen. Wir brauchen die freie und kritische Berichterstattung; dennoch darf dieser öffentliche Druck nie dazu führen, Einfluss auf die freie Rechtsprechung in unserem Land zu nehmen. Gerade für unsere Unternehmen, die im Regelfall die Betroffenen von Sammelklagen sein werden, würde ein Auswuchs an solchen Sammelklagen eine erhebliche unangemessene Belastung darstellen. Für die Wahrung des öffentlichen Interesses im Einzelfall haben sowohl Aufsichtsbehörden als auch Verbraucherschutzverbände bereits jetzt die Möglichkeit, vorbeugenden Rechtsschutz für die Betroffenen in Anspruch zu nehmen. Amerikanische Verhältnisse wollen wir jedenfalls hier in Deutschland nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie die Verbraucherschutzverbände zitieren, dann möchte ich auf den Deutschen Richterbund hinweisen – die Richter hätten als Praktiker mit diesem Gesetz umzugehen –, der empfiehlt, von einer solchen Regelung Abstand zu nehmen. Es ist deswegen mehr als sinnvoll, dass wir alle gemeinsam das Ergebnis der angekündigten Prüfung der Bundesregierung abwarten – Sie konnten es nicht abwarten; wir können es –, ob über die bereits bestehenden Möglichkeiten für Muster- und Sammelklagen hinaus gesetzgeberische Schritte weiter notwendig sind, und dass wir keine Schnellschüsse verabschieden. Aus den vorgenannten Gründen können wir diesem Gesetzentwurf leider nicht zustimmen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Caren Lay, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Steineke, ich muss mich schon wundern. Sie kritisieren die Opposition dafür, dass sie Dinge, die im Wahlkampf eine Rolle gespielt haben, jetzt hier in einem seriösen Verfahren debattieren will. Genau so muss es doch sein, ich bitte Sie. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Er kritisiert die Qualität des Gesetzentwurfs!) Jedenfalls ist das allemal besser als das Modell der GroKo, wonach die Dinge, die im Wahlkampf versprochen wurden, hinterher einfach unter den Tisch fallen. Genauso sollte es nämlich nicht sein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kommen wir zum vorliegenden Gesetzentwurf. Sie haben es vielleicht vernommen: Im Mai dieses Jahres gab es ein erfreuliches Urteil. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Bearbeitungsgebühren der Banken für Kreditverträge unzulässig waren. Da haben sich sicherlich Tausende von Bankkundinnen und Bankkunden gefreut und wollten ihre Ansprüche bei der Bank geltend machen. Leider haben viele Banken abgewiegelt und versucht, die geprellten Kunden mit Scheinargumenten zu vertrösten und das unrechtmäßig eingezogene Geld selber zu behalten. Nach der gegenwärtigen Rechtslage kann es nur so sein, dass jeder einzelne betroffene Bankkunde die jeweilige Bank verklagt. Das ist eine hohe Hürde. Für den manchmal geringen Streitwert werden viele Bankkunden nicht einen Anwalt bestellen und ein Verfahren einleiten. Die Banken aber haben ein riesiges Geschäft damit gemacht. Schätzungsweise 13 Milliarden Euro haben sie daran verdient. Das Beispiel zeigt: Individuelle Klagemöglichkeiten alleine stoßen schnell an ihre Grenzen. Gelackmeiert sind am Ende die Verbraucher, Gewinner sind Banken, Unternehmen und Konzerne. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Wenn die Welt nur so einfach wäre!) Deswegen sagen wir als Linke auch ganz klar: Wir -brauchen endlich ein Verfahren, das dafür sorgt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher zu ihrem Recht kommen – und im Übrigen auch zu ihrem Geld. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Recht haben, ist das eine; Recht durchsetzen, ist das andere. Hier haben wir in Deutschland einen erheblichen Nachholbedarf. Die jetzigen individuellen Klagemöglichkeiten sind in Anbetracht von komplexen Märkten einfach nicht mehr zeitgemäß. Es wird auch die Tatsache außer Acht gelassen, dass die Unternehmen gut ausgestattete Rechtsabteilungen haben, die dem einzelnen Bürger, der vielleicht kein Jurastudium absolviert hat, natürlich haushoch überlegen sind. Deswegen unterstützen wir als Linke diesen Gesetzentwurf und die Idee einer Gruppenklage. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das hätte vor allen Dingen den Effekt, dass die Verbraucherrechte deutlich gestärkt würden. Noch besser wäre es, die Hemmschwelle der Unternehmen, auf Kosten ihrer Kundinnen und Kunden ein krummes Geschäft zu machen, deutlich hochzusetzen. Gruppenverfahren dienen also der Prävention. Jetzt werden einige sagen, es gebe schon Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung, es gebe schon eine Art von Gruppenverfahren, zum Beispiel die subjektive Klagehäufung. Nehmen wir zum Beispiel die Verbraucherzentrale Sachsen. Diese hat im Interesse von Gaskundinnen und Gaskunden geklagt. Es ging um überhöhte Preise und unfaire Vertragsklauseln. Nach sechs Jahren und einem langwierigen Prozess haben sie tatsächlich gewonnen; das stimmt. Aber es war kräftezehrend, es war ein wahnsinniger bürokratischer Aufwand, und von den vormals 400 klagenden Verbraucherinnen und Verbrauchern haben gerade einmal 22 durchgehalten; die anderen haben nach der ersten Instanz aufgegeben. Die Verbraucherzentralen – so gut sind sie finanziell und personell nicht ausgestattet – sagen selber: Bei der jetzigen Rechtslage können wir nicht mehr als 100 Verfahren bündeln und händeln. Deswegen, meine Damen und Herren, brauchen wir eine richtige Gruppenklage, sodass eine Person klagt oder wenige Personen bzw. die Verbraucherzentralen selbst klagen und alle anderen Betroffenen sich entscheiden können, mit einem kalkulierbaren Kostenrisiko und mit geringem Aufwand der Klage beizutreten. (Beifall bei der LINKEN) Das Beste ist: Anschließend würde das Urteil gegenüber jedem Betroffenen gleichermaßen gelten und nicht nur für diejenigen, die in dem Verfahren durchgehalten haben. (Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von der CDU? Caren Lay (DIE LINKE): Aber selbstverständlich. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin, ich bin der Kollege von der CDU/CSU. – Ich möchte Sie, Frau Kollegin Lay, etwas fragen. Sie sagen: Mit der Gruppenklage würde es für die Verbraucher wesentlich einfacher, zu klagen und am Rechtsstreit teilzunehmen. Caren Lay (DIE LINKE): Ja. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Bislang ist es so, dass bei Klagesummen von bis zu 5 000 Euro kein Anwaltszwang besteht und im Zweifelsfall jeder die Klage oder den Mahnbescheid selbst auf den Weg bringen kann. Nach dem Gesetzentwurf braucht man zwingend einen Rechtsanwalt. Wie erklären Sie sich den Anwaltszwang vor dem Hintergrund des Ziels der Erleichterung der Klagebefugnis? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie wollen, streiche ich den Satz, und Sie stimmen zu! Tun Sie doch nicht so!) Caren Lay (DIE LINKE): Da kann ich mich dem Zwischenruf der Kollegin Künast anschließen. Ich glaube nicht, dass das hier die entscheidende Frage ist. Wir müssen die Sachlage aus der Perspektive der betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher betrachten. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Genau!) In der jetzigen Situation – ich nehme einmal dieses Beispiel – müssen sich Tausende von Kundinnen und Kunden allein durchsetzen und gegen einen großen Konzern, gegen ein Unternehmen klagen. Nach dem, was vorgeschlagen ist – ich bin Ihrer Auffassung, dass wir da im Detail gern noch nachbessern können –, würde es den Verbraucherinnen und Verbrauchern, also denjenigen, die vielleicht nicht die ganze Zeit das BGB vor Augen haben und die kein Jurastudium haben, wesentlich erleichtert, ihre Ansprüche durchzusetzen. Deswegen, meine Damen und Herren, ist diese Initiative dringend notwendig. Wir als Linke unterstützen sie. (Beifall bei der LINKEN) Das ist natürlich nicht das Einzige, was wir brauchen. Wir brauchen Nachbesserungen in anderen Punkten. Ich nenne das Verbandsklagerecht für Verbraucherzentralen. Wir brauchen deutlich bessere Möglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher, unrechtmäßige Gewinne abzuschöpfen. In der jetzigen Form ist das ein Papiertiger. Es gibt noch einen Punkt, über den wir ebenfalls diskutieren müssen, und das ist die Frage: Was machen wir mit Bagatell- und Streuschäden? Nach meiner Einschätzung ist das in dem von den Grünen vorgeschlagenen Opt-in-Verfahren so nicht lösbar. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Zweiter Punkt!) Beim Kaffeekartell beispielsweise ist es so: Die Unternehmen machen mit Preisabsprachen letztendlich Gewinne in Höhe von 860 Millionen Euro. Der einzelne Verbraucher kann seine Ansprüche nicht durchsetzen. Hierfür brauchen wir eine Lösung. Eine verbesserte Gewinnabschöpfung oder eine Sonderregelung bei Bagatell- und Streuschäden wäre unser Vorschlag. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Im Kartellrecht gibt es doch schon eine Gewinnabschöpfung! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine verbesserte! Sie müssen auch zuhören!) In der jetzigen Form ist das ein Papiertiger; ich sagte es bereits. Es ist übrigens eine Studie des Ministeriums selber, die zu diesem Ergebnis gekommen ist. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wie sagt man so schön? „Allein machen sie dich ein“; gemeinsam können wir uns besser zur Wehr setzen! – Deswegen sagen wir als Linke: Zehn europäische Länder haben es vorgemacht. Es wird höchste Zeit, dass auch in Deutschland das Gruppenklagerecht eingeführt wird und die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern gestärkt werden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dirk Wiese, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion der Grünen ist insoweit zuzustimmen, als Verbraucher, die in großer Zahl zum Beispiel unlauteren Geschäftspraktiken, unzulässigen allgemeinen Geschäftsbedingungen oder kartellbedingt überhöhten Preisen zum Opfer gefallen sind, in der Lage sein müssen, ihre Rechte vor Gericht wirksam durchzusetzen. Das steht für uns Sozialdemokraten außer Frage. Klar ist dabei auch, dass die Möglichkeit, eine angemessene Kompensation für erlittene Schäden zu erstreiten, verfahrensmäßig so ausgestaltet sein muss, dass keine abschreckenden wirtschaftlichen oder bürokratischen Hürden bestehen. Ob wir hierzu den vorliegenden Gesetzentwurf der Grünen brauchen, wage ich momentan jedoch zu bezweifeln. Denn hier bleibt aus meiner Sicht zunächst einmal festzustellen, dass die ZPO bereits grundlegende Instrumente bietet, die eine gebündelte Behandlung gleichgelagerter – gegebenenfalls auch geringer – Ansprüche ermöglichen, nämlich die subjektive und objektive Klagehäufung. Auf dieser Grundlage wurden gerade in der jüngeren Vergangenheit erfolgreiche Sammelklagen unter anderem gegen Banken, Energieversorger und Versicherungsunternehmen – teilweise unter Einbeziehung von Prozessfinanzierern – geführt. So besteht insbesondere die Möglichkeit, Forderungen unbürokratisch an eine qualifizierte Einrichtung abzutreten, die diese sammelt und im Wege der objektiven Klagehäufung durch eine einzige Klage vor Gericht geltend macht. Bei der Einziehungsabtretung benötigt der Verbraucher im Übrigen keinen Rechtsanwalt. Das ist im Gegensatz zu dem von Ihnen vorgeschlagenen Gruppenverfahren ein entscheidender Vorteil. Für den Verbraucher besteht folglich ein erheblich geringeres Kostenrisiko, was die Einziehungsabtretung aus meiner Sicht wesentlich verbraucherfreundlicher macht. Darüber hinaus ist das hier vorliegende System des Gruppenverfahrens aus meiner Sicht erheblich komplizierter. Anmerken möchte ich außerdem, dass über die objektive und subjektive Klagehäufung hinaus bereits Kollektivklagemöglichkeiten für Verbände nach dem Unterlassungsklagengesetz und nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb bestehen, die in der Praxis ebenfalls – so ist mein Kenntnisstand – mit Erfolg genutzt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich zweifele auf den ersten Blick auch daran, dass der vorliegende Gesetzentwurf überhaupt sein Kernziel erreichen kann, nämlich eine große Bündelungswirkung zu erzielen. Durch die Freiwilligkeit der Teilnahme und des Verbleibs im von den Grünen vorgeschlagenen Gruppenverfahren sowie durch die Möglichkeit, andere Rechtsschutzmöglichkeiten zu nutzen, wird die beabsichtigte Bündelungswirkung in der Praxis aus meiner Sicht sogar sehr gering sein, zumal bei größeren anonymen Gruppen von Geschädigten die Betroffenen oft unterschiedlichste Wege gehen werden und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unterschiedlicher Gerichte trotz paralleler Lebenssachverhalte somit bestehen bleibt. Die Vorteile des heute schon bestehenden Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, das insbesondere eine wirksame Bündelung und Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen bei gleichgelagerten kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten gewährleistet, werden durch dessen Aufhebung aus meiner Sicht zunichtegemacht. Ferner möchte ich darauf hinweisen, dass aus meiner Sicht gerade solch komplexe Verfahrensstrukturen, wie sie im uns vorliegenden Gesetzentwurf zu finden sind, zusätzliches Streitpotenzial ermöglichen, das prozess-taktisch mit dem Ziel der Verzögerung bzw. der Zer-mürbung ausgeschöpft werden wird. Im vorliegenden Gesetzentwurf kann also von einer Vereinfachung gegenüber bestehenden und von mir aufgezeigten Instrumenten keine Rede sein. (Beifall bei der SPD) Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, bei den Zuhörern auf der Tribüne das Vorurteil zu widerlegen, dass Jura trocken ist. (Heiterkeit – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ein Schuss nach hinten!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie merken, ich stehe dem Gesetzentwurf der Grünen skeptisch gegenüber. Gleichwohl freue ich mich – Frau Künast, Sie können an dieser Stelle auch einmal zuhören –, dass uns die Ausschussberatung die Gelegenheit gibt, dass wir uns noch einmal mit der Materie der Klagehäufung bzw. bündelung befassen. Dort können wir gemeinsam diskutieren, ob bewährte Instrumente der ZPO alternativ punktuell so fortentwickelt werden können, dass sie dem Verbraucher nutzen und beispielsweise die individuelle Rechtsdurchsetzung auch bei Streuschäden erleichtern. Für denkbar halte ich beispielsweise die Schaffung eines wirksamen Gewinnabschöpfungsanspruchs im Bereich des Unterlassungsklagengesetzes, die Schaffung von strengeren Voraussetzungen für die Prozesstrennung oder die Einführung eines allgemeinen Klageregisters für den kollektiven Rechtsschutz in Verbindung mit einer Verjährungshemmung bei Anmeldung sowie die Regelung einer Musterfeststellungsklage. Ich freue mich jedenfalls auf die Ausschussberatung. Wie gesagt, ich stehe dem Gesetzentwurf jedoch skeptisch gegenüber. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ist zu sagen: Die Idee der Verbesserung von Verbraucherrechten ist an und für sich richtig. Der Gesetzentwurf macht sich eine Empfehlung der Europäischen Kommission zu eigen. Aber es gilt auch zu formulieren: Grundlegende Reformen der Zivilprozessordnung sind Operationen am offenen Herzen unserer Rechtsordnung mit Auswirkungen auf das Funktionieren unseres Rechtssystems. Sie sollten nur dann vorgenommen werden, wenn dadurch eine erhebliche Verbesserung eintreten kann. (Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit diesem Gesetzentwurf tritt sie nicht ein. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah, der Satz war falsch!) Dieser Gesetzentwurf wirft viele Fragen auf. Er beantwortet fast keine. Ja, ich will sagen: Er ist zwar gut gemeint, aber nicht konsequent in der Umsetzung; er ist handwerklich schlecht. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch besser!) Sie wollen dem Problem des mangelnden Zugangs zum Recht bei – auch kleineren – massenhaft auftretenden Individualschäden bei Verbrauchern und dem daraus folgenden Defizit bei der Durchsetzung des Rechts entgegentreten. Dazu wollen Sie einen Paradigmenwechsel im Bereich der Zivilprozessordnung vornehmen. Sie wollten weit springen und sind schon nach kurzer Strecke gelandet. Zum einen haben wir schon jetzt taugliche Instrumente kollektiver Rechtsdurchsetzung. Zum anderen gilt: Gerade bei kleineren Schäden im Bereich der Versorgung, der Telekommunikation, aber auch bei Reisen im Nahverkehr ist der beste Prozess der, den man nicht führt. Deswegen ist hier viel stärker die Frage einer verbraucherrechtlichen Prävention in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist besser, als über komplizierte Gruppenverfahren die Verbraucher auf den Rechtsweg zu verweisen, den sie nicht brauchten, wenn man das Recht, das wir schon jetzt haben, konsequent anwenden würde. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt darf ich Ihnen ehrlich sagen: Diesen Gesetzentwurf könnte man nicht guten Gewissens verabschieden, wenn man es mit dem Verbraucherschutz wirklich ernst meinte. Das Ganze beginnt mit der in Artikel 1 § 606 -Ihres Gesetzentwurfs verankerten Zulässigkeit, wo nicht geregelt ist, wie groß eine Gruppe zu sein hat, welche Verfahren infrage kommen und um welche tatsächlichen Ansprüche es sich handelt. Was dort steht, ist viel zu vage und unbestimmt, um auf die ZPO überhaupt Einfluss gewinnen zu können. Ein weiterer sehr verbraucherschädlicher Bereich ist die in Artikel 1 § 608 – Örtliche Zuständigkeit – Ihres Gesetzentwurfs geregelte Gerichtszuständigkeit. Sie schreiben, dass das Gruppenverfahren bei dem Gericht anhängig gemacht werden muss, bei dem der Beklagte seinen Gerichtsstand hat. Das heißt nichts anderes, als dass der Verbraucher aus Garmisch, aus Augsburg oder aus Stuttgart beispielsweise in Berlin, in Hamburg oder in Düsseldorf klagen muss. Diese Regelung ist völlig anders als die, die wir jetzt haben, wonach für den Verbraucher der Gerichtsstand seines Wohnsitzes gilt. Sie verschlechtern so die Rechte der Verbraucher. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Völlig absurd ist Artikel 1 § 614 – Bekanntmachung im Klageregister; Verordnungsermächtigung – Ihres Gesetzentwurfs. Wenn man auf Grundlage Ihres Gesetzentwurfs eine Gruppenklage führen würde, dann müsste diese Klage umständlich in ein Register eingetragen werden. Dieses Register müsste öffentlich gemacht werden. Ich frage mich, wo da der Datenschutz bliebe. Aber nicht nur die öffentliche Eintragung ist in Zweifel zu ziehen, sondern auch, dass das Verfahren nach der Eintragung erst einmal aussetzen würde; denn das Gericht müsste mindestens drei Monate abwarten, um festzustellen, ob sich andere Bürgerinnen und Bürger an dem Verfahren beteiligen wollten. Ich persönlich meine: Rechtsschutz muss schnell und effektiv sein. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen gibt es ja gar keinen Rechtsschutz, weil keiner klagt!) Durch monatelanges Wartenlassen schicken Sie den Verbraucher in die Warteschlange. Das ist doch nicht verbraucherfreundlich. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Verbraucher muss zur Not selbst die Möglichkeit haben, zu klagen, ohne die Hemmschwelle in Form einer Anwaltskanzlei vor sich zu haben. In Artikel 1 § 615 Ihres Gesetzentwurfs ist ein Anwaltszwang vorgesehen. Für den Verbraucher fällt somit die Erstberatungsgebühr an. Bei Klageerhebung kommt eine Verfahrensgebühr von 1,3 hinzu. Würde Ihr Gesetzentwurf verabschiedet, bedeutete dies für die Verbraucherinnen und Verbraucher, dass Klagen teurer und die Rechtsdurchsetzung wesentlich schwieriger würde. (Beifall bei der CDU/CSU) Wer jetzt glaubt, das sei schon alles an handwerklichen Mängeln, der muss sich einmal Artikel 1 § 619 Absatz 2 dieses Gesetzentwurfs ansehen. Dort schreiben Sie allen Ernstes – ich zitiere –: Die Stellung als Gruppenkläger begründet kein Schuldverhältnis gegenüber den Teilnehmern des Gruppenverfahrens. Wissen Sie, was das in der Konsequenz bedeutet? Es bedeutet, dass derjenige, der die Klage führt, machen kann, was er will, und wenn er schlecht verhandelt, ist man gebunden und man hat keine Chance, da herauszukommen. Wollen Sie das? Wollen Sie die persönliche Verantwortung des Anwalts aufheben? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sagen Sie doch mal, was Sie wollen! ) Ich meine, nein. Ich meine, es gibt durch das anwaltschaftliche Berufsrecht eine Verantwortung des Anwalts gegenüber dem Verbraucher. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie, wie es besser geht! Sie sind die Neinsagerpartei! Sagen Sie, wie es gehen soll!) – Liebe Frau Kollegin Künast, wir sind keine Neinsagerpartei, sondern wir wollen die Bürger dieses Landes vor schlechten Gesetzen bewahren. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie doch mal ein ordentliches Gesetz!) Wenn wir dieses Gesetz beschließen würden, würden wir die 130 Jahre alte und ehrwürdige ZPO beschädigen. Das wollen wir weder den Rechtsanwendern noch den Verbrauchern zumuten. Auch die Kostenfrage ist in Artikel 1 § 629 Ihres Gesetzentwurfs völlig unzureichend geklärt. Zur Frage einer ordentlichen Rechtsdurchsetzung gehört aus meiner Sicht auch der Rechtsweg. Sie verweisen diesbezüglich in Artikel 1 § 630 nur auf die allgemeinen Vorschriften. Das heißt letztendlich: erst Gruppenklage, und dann weiß niemand, wie es weitergeht. Es handelt sich also im Ergebnis um einen völlig unbrauchbaren Gesetzentwurf, der es eigentlich nicht würdig ist, diskutiert zu werden. Nichtsdestotrotz werden wir weiter daran arbeiten, die Rechte der Verbraucher zu stärken, (Caren Lay [DIE LINKE]: Da bin ich mal gespannt!) und auch darauf dringen, dass in den Ländern – da trägt Rot-Grün eine starke Verantwortung – durch die Besetzung von Richterstellen und die daraus resultierende Verkürzung der Verfahrensdauer die Rechtsdurchsetzung erleichtert wird. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es gar nicht! Bei Ihnen kommen die Leute gar nicht zum Gericht!) Das ist, meine ich, ein viel wesentlicherer Punkt, den man angehen sollte. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nachdem wir heute schon medizinisch in das Thema eingestiegen sind – Sie, lieber Kollege Ullrich, haben von der Operation am offenen Herzen gesprochen und Sie, Frau Künast, haben den Begriff „subkutan“ verwendet –, (Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Ein bisschen Hysterie war zwischendurch auch schon dabei!) will ich jetzt nicht intravenös an alle herantreten, sondern versuchen, mehr die Lebensrealität in den Mittelpunkt zu rücken. Ich sage vorweg: Der Ansatz des Gesetzentwurfs von Bündnis 90/Die Grünen ist ja recht gut. Auf die Umsetzung trifft allerdings der Satz zu: Gut gemeint, aber nicht gut gemacht. – Ich sage das deshalb, weil die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land sich in zwei Gemengelagen bewegen. Auf der einen Seite geht es um diejenigen, die wegen eines schlechten Produkts, wegen eines verpassten Flugs, der sie in ihr geliebtes Urlaubsland hätte bringen sollen, oder wegen vermeintlicher Kleinigkeiten ihr Recht suchen. Für diese Menschen ist es vielleicht das erste Mal in ihrem Leben, dass sie mit einem Gericht zu tun haben. Sie schämen sich möglicherweise, den Gerichtsweg zu beschreiten. Da müssen wir ansetzen und etwas unternehmen, um diese Hürde zu überwinden. Da wollen wir die Scheu abbauen. Auf der anderen Seite wollen wir etwas verhindern, was wir aus amerikanischen Fernsehserien zur Genüge kennen. Nehmen wir zum Beispiel einen Fall, den auch der eine oder andere von Ihnen möglicherweise schon erlebt hat: Man macht eine gute Flasche Rotwein, einen Bordeaux zum Beispiel, auf und hat durch das Berühren des Korkens zwei Tage einen roten Daumen. In diesem Fall soll ein Verbraucher, der feststellt, dass auf der Flasche der Hinweis fehlt, dass man durch das Berühren des Korkens kurzzeitig rote Finger bekommen kann, nicht, wie wir es aus amerikanischen Fernsehserien kennen, einen Schadenersatzprozess über mehrere Millionen Euro anzetteln können. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber das ist anderes Recht!) Dies wollen wir nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Einführung des Gruppenverfahrens in die ZPO ist nichts anderes als die Fortentwicklung von Sammelklagen. In Bezug auf Gruppenklagen haben wir im Verbandsklagerecht und im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz recht gute Regelungen, die weiterentwickelt und vor allen Dingen den Verbraucherinnen und Verbrauchern nähergebracht werden müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Brunner, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Katja Keul? Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Gerne. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Brunner, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gerade das Beispiel erwähnt, dass in Amerika wegen einer Lappalie Millionenbeträge geltend gemacht werden. Würden Sie mir nicht auch recht geben, dass das weniger mit den Verfahrensrechten der ZPO zu tun hat als mit dem Unterschied im materiellen Zivilrecht, weil es in den USA so etwas wie eine Strafschadensersatzklage gibt, die es in unserem Zivilrecht gar nicht gibt? Deswegen entstehen diese Summen, die bei uns undenkbar wären. Das hat mit dem Verfahren einer Gruppenklage eigentlich gar nichts zu tun. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kennt sich jemand aus!) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Selbstverständlich, liebe Kollegin Keul, hat das mit unserem Zivilrecht nichts zu tun. Aber das Gruppenklageverfahren ist im Wesentlichen aus dem angelsächsischen Recht entwickelt. Deshalb habe ich auch den Bezug hergestellt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eine haben Sie nicht verstanden und das andere falsch recherchiert!) Meine Kolleginnen und Kollegen, unsere Aufgabe ist, den Bürgerinnen und Bürgern, den Rechtsuchenden – da hat der Kollege Ullrich recht gehabt –, zum einen durch die Ausstattung der Gerichte und zum anderen durch die Ausgestaltung der Gesetze die Möglichkeit zu geben, ihre Rechtsansprüche in der bestehenden Rechtsordnung einzuklagen und die Scheu davor zu nehmen. Ich glaube auch, dass dies mit der derzeitigen Regelung über die Beratungshilfe, über die Prozesskostenhilfe, über das Verbandsklagerecht und über die gut organisierten Verbraucherverbände hinlänglich möglich ist. Ich mache keinen Hehl daraus, dass an verschiedenen Stellen sicherlich nachzujustieren ist und freue mich deshalb auf die Beratungen in den Ausschüssen, um den guten Ansatz zur Integration des Gruppenverfahrens in die ZPO zu einem guten Ergebnis zu führen. Ich denke, es ist für uns alle wichtig, dass wir jetzt zuerst einmal das Prüfverfahren der Bundesregierung und etwaige Lösungsvorschläge abwarten. Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen, soweit Sie noch hierbleiben, einen schönen Nachmittag und ansonsten ein schönes Wochenende. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/1464 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zum Anerkennungsgesetz Drucksache 18/1000 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Stefan Müller. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Stefan Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Jahren ist das Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen, also kurz Anerkennungsgesetz, in Kraft getreten. Wir haben mit diesem Gesetz erstmals eine gute rechtliche Grundlage geschaffen, um im Ausland erworbene Abschlüsse in Deutschland einfacher anzuerkennen und Menschen mit ausländischen Abschlüssen besser in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Eines kann man nach diesen zwei Jahren ohne Zweifel sagen: Es hat in Deutschland ein Umdenken gegeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem bei der CDU!) Wir erkennen schon, dass viele Menschen mit mehr Respekt und Wertschätzung auf die Qualifikationen und Lebensleistungen Zugewanderter sehen. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Ein weiterer Fortschritt ist, dass sich zahlreiche Akteure auch mit beteiligen. Sie unterstützen die Anerkennung ausländischer Abschlüsse und wirken daran aktiv mit, um neue Strukturen zu schaffen und Know-how aufzubauen. Insofern bedanke ich mich bei allen Organisationen und Institutionen, die in diesen zwei Jahren dazu beigetragen haben, dieses Know-how zu erwerben und neue Strukturen zu schaffen. Nur so war und ist eine erfolgreiche Umsetzung unseres Anerkennungsgesetzes möglich, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Bundesregierung hat seinerzeit im Gesetzgebungsverfahren ein kontinuierliches Monitoring bereits vor der gesetzlichen Evaluation zugesagt. Der im April dieses Jahres vorgelegte erste Bericht zum Anerkennungsgesetz enthält nunmehr die ersten Ergebnisse dieses Monitorings, das im Auftrag des BMBF vom Bundesinstitut für Berufsbildung durchgeführt wird. Der Bericht geht aber weiter. Er zeigt also nicht nur auf, was in diesen zwei Jahren geschehen ist, sondern zieht auch eine erste Bilanz. Vor allem aber blickt er nach vorne und benennt künftige Herausforderungen; ich komme später noch darauf zu sprechen. Die Zahlen belegen jedenfalls, dass sich das Anerkennungsgesetz von Anfang an als ein Instrument der Fachkräftesicherung etabliert hat. Das Statistische Bundesamt hat im Oktober 2013 erstmalig eine Statistik vorgelegt, wonach im Zeitraum von April bis Dezember 2012 bundesweit rund 11 000 Verfahren gemeldet wurden. Von diesen 11 000 Verfahren – das kann man in der Rückbetrachtung, glaube ich, als Erfolg bezeichnen – waren zum Jahresende 2012 bereits drei Viertel entschieden. Der überwiegende Teil davon – 82 Prozent – wurde mit einer vollen Anerkennung beendet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]) In den Länderstatistiken zeichnet sich bereits ab, dass sich diese positive Entwicklung in 2013 fortgesetzt hat. Leider liegen die amtlichen Zahlen für das Jahr 2013 erst im Oktober oder November dieses Jahres vor und werden erst dann veröffentlicht werden. Der nächste Monitoring-Bericht wird dann sicherlich eine entsprechende Aussage dazu treffen. Wir haben vor, Ihnen diesen im Mai oder Juni 2015 vorzulegen. Eines zeigt sich jedenfalls: Beratung und Information sind auch für ein erfolgreiches Anerkennungsverfahren der Schlüssel. Wir sind froh, dass es ein steigendes Interesse an den Angeboten, die der Bund etabliert hat, gegeben hat. Ich möchte drei Beispiele nennen: erstens das Internetportal „Anerkennung in Deutschland“, das bereits im August die Marke von 100 000 Besuchern monatlich überschritten hat und auf dem sich mittlerweile über 1,5 Millionen Menschen informiert haben, zweitens die Telefonhotline beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das individuelle Fragen zur beruflichen Anerkennung beantwortet, und drittens das Beratungsnetzwerk „IQ“ – Integration durch Qualifizierung –, das ebenfalls eine ganze Reihe von Informationen zu Verfahren der beruflichen Anerkennung geben kann. Eine wichtige Rolle für den Erfolg des Anerkennungsgesetzes spielt sicherlich ein effizienter und einheitlicher Verfahrensvollzug. Hier haben insbesondere die Kammern entsprechende Strukturen geschaffen. Ich möchte in diesem Zusammenhang die IHK FOSA, die zentrale Plattform der Industrie- und Handelskammer, und die Leitkammern im Handwerk, die sowohl beraten als auch selber Verfahren durchführen, nennen. Wir haben in den letzten zwei Jahren immer wieder – das nehme ich sehr ernst – den Hinweis bekommen, dass die Verfahren zu aufwendig, zu lang und zu bürokratisch sind und dass zu viele detaillierte Informationen zu ausländischen Bildungsgängen vorgelegt werden müssen. Ich sage es noch einmal: Wir nehmen das sehr ernst. Dort, wo es möglich ist, sollten wir das Anerkennungsverfahren unkomplizierter und unbürokratischer machen. Gleichwohl muss man sich natürlich schon vor Augen führen, was Ziel dieses Anerkennungsverfahrens ist. Ziel des Anerkennungsverfahrens ist, dass am Ende die Gleichwertigkeit mit einem deutschen Berufsabschluss attestiert werden kann. Wir haben in Deutschland – darauf sind wir zu Recht stolz – hohe Qualitätsstandards. Diese wollen wir beibehalten. Deswegen garantiert natürlich nur eine umfassende und sorgfältige Prüfung auf der Grundlage von verlässlichen Informationen eine entsprechende Gleichwertigkeit. Erst dann kann es zu einer erfolgreichen Anerkennung kommen. Würde man hier Abstriche machen, würde das dem Sinn und Zweck dieses Verfahrens zuwiderlaufen, was sicher nicht im Interesse der Antragsteller sein kann. Ich vermute, die Frau Präsidentin wird mir keine großzügige Redezeiterweiterung einräumen, weswegen ich mich beim Ausblick auf wenige Stichworte beschränken möchte. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben eh nicht viel zu sagen!) – Es sei denn, Sie würden eine Zwischenfrage zu den Ausblicken stellen, Herr Mutlu. Aber ich befürchte, den Gefallen werden Sie mir nicht tun. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ist gut! Da kommt auch nicht mehr bei rum, auch wenn ich eine Zwischenfrage stelle!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das geht nicht mehr, da Ihre offizielle Redezeit beendet ist. Stefan Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Gut. – Ich beschränke mich auf wenige Stichworte: Wir werden eine ganze Reihe von Maßnahmen und Handlungsschwerpunkten zum Beispiel zu Ausgleichsmaßnahmen auf den Weg bringen. Ich will hier die Information der Betriebe ansprechen. Der Bericht zeigt, dass es hier noch Handlungsbedarf gibt, dass wir auch die Personalabteilungen und die Personalentwickler in den Unternehmen für das Thema Anerkennung sensibilisieren müssen. Wir haben Handlungsbedarf im Bereich der Rechtsetzung, weil wir die novellierte EU-Berufsanerkennungsrichtlinie bis 2016 in nationales Recht umsetzen müssen. – Das waren nur zwei Beispiele, die zeigen, wo wir sicherlich noch weiterarbeiten können. Die OECD bescheinigt uns, dass Deutschland heute zu den Ländern mit den geringsten Hürden für die Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte und Arbeitskräfte gehört – eine Botschaft, die noch viel stärker gehört werden muss. Wir werden – da gehört eine schnelle und einfache Anerkennung sicherlich mit dazu – auch in Zukunft mit dem Anerkennungsgesetz und den entsprechenden Verfahren dafür sorgen können, dass unser Land für qualifizierte Zuwanderer noch attraktiver wird. Daran wollen wir gemeinsam arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Rosi Hein, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über den ersten Bericht der Bundesregierung zu dem im April 2012 beschlossenen Anerkennungsgesetz. Die umfassende Beschreibung kann ich mir sparen; das hat der Staatssekretär eben getan. Menschen mit im Ausland erworbenen Abschlüssen haben nach diesem Gesetz einen Rechtsanspruch auf ein Verfahren zur Überprüfung der Gleichwertigkeit ihrer Abschlüsse. Es wird auch ein Zeitrahmen festgeschrieben. Sie haben allerdings keinen Rechtsanspruch auf Anerkennung; ich bitte, diesen Unterschied mit zu bedenken. Wenn man denn die Anerkennung bekommt, könnte man damit in Deutschland auch eine der Qualifikation entsprechende Beschäftigung aufnehmen. Ich lasse einmal beiseite, dass das Anerkennungsgesetz schon in § 1 des Gesetzestextes mit dem Mangel am Arbeitsmarkt begründet wird und nicht mit dem Respekt vor den Fähigkeiten zugewanderter Menschen und ihren Lebensperspektiven hier in diesem Land. In der Regel nach drei Monaten, bei Ärzten nach vier Monaten, soll es eine Entscheidung geben; eine angemessene Verlängerung soll nur in komplizierten Fällen möglich sein. Was ist denn aber mit der ukrainischen Ärztin, die sich an uns gewandt hat und seit über einem Jahr auf eine Entscheidung wartet? Was ist am Medizinstudium in der Ukraine so schwer vergleichbar, dass neun Monate Verlängerung angemessen sind? (Beifall bei der LINKEN) Und warum kommt es nicht zur Anerkennung ihres Abschlusses, mit der sie endlich in Deutschland in ihrem Beruf arbeiten könnte? Neun Monate nach Antragstellung befand die zuständige Stelle, dass es Defizite gebe und Arbeitszeugnisse aus dem Heimatland nachgereicht werden müssen – nach neun Monaten! Sie lagen zu diesem Zeitpunkt aber schon einige Monate vor. Da muss man sich doch – Verzeihung! – veralbert vorkommen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bis zum Ende des Jahres 2012 wurden rund 11 000 Anträge – wir haben die Zahlen eben gehört – zur Prüfung der Anerkennung gestellt und rund 7 500 positiv beschieden, vor allem in Gesundheits- und Pflegeberufen. Das klingt sicherlich erst einmal nach einer sehr guten Statistik; aber die Bundesregierung rechnet selbst mit 300 000 möglichen Anträgen. Da wäre es schon sehr schön gewesen, diese Debatte vielleicht einen oder zwei Monate später zu führen, wenn wir die Zahlen, die im November veröffentlicht werden sollen, schon haben. (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Denn wenn wir erst nächstes Jahr im April wieder über diese Zahlen diskutieren, dann reden wir über alte Zahlen und können überhaupt nichts über die Fortschritte sagen. Wenn es sofort 300 000 Anträge gegeben hätte, dann hätte ich verstanden, wenn die Behörden ein wenig ins Schwimmen gekommen wären; aber so ist die Zahl von 7 500 beschiedenen Anträgen für mich doch ein bisschen ernüchternd. (Beifall bei der LINKEN) Seit Ende Juni dieses Jahres haben nun auch alle Bundesländer eigene Landesgesetze verabschiedet, um landesrechtlich geregelte Berufe anerkennen zu können, wie zum Beispiel die Berufe der Lehrerin oder des Lehrers bzw. der Erzieherin oder des Erziehers. Die Umsetzung in den jeweiligen Ländern läuft jedoch höchst unterschiedlich. Eine einheitliche Anerkennungspraxis in Deutschland ist kaum zu erkennen, möglicherweise auch gar nicht zu erwarten, wenn man die unterschiedlichen Qualifikationswege und Anforderungen in den einzelnen Bundesländern bedenkt. Der Bundesregierung ist das offensichtlich bekannt; denn der Staatssekretär hat sich eben recht kritisch geäußert. Auch im Bericht ist angemerkt, dass der Stand bei der Vereinheitlichung des Vollzugs unbefriedigend sei. (Beifall bei der LINKEN) Bis alle Menschen ihre im Ausland erworbenen Abschlüsse – wenn sie es wollen – hier in Deutschland anerkannt bekommen haben – wenn es denn möglich ist –, ist es noch ein weiter Weg. Es ist auch eine Frage der Kosten. Die Kosten für das Anerkennungsverfahren variieren zwischen den Bundesländern und den unterschiedlichen Berufsarten teilweise erheblich. Im Kammerbereich zum Beispiel bewegen sich die Gebühren für eine Anerkennung zwischen 100 und 600 Euro; das ist im vorliegenden Bericht auch aufgeführt. Dieser Unterschied ist aber doch nicht durch einen unterschiedlichen Aufwand zu erklären. Darüber hinaus steht zu -befürchten, dass die Kosten für eine individuelle Gleichwertigkeitsprüfung sowie für die Analyse von Qualifikationen noch weitaus höher liegen. Das ist kein Anreizsystem. Das schreckt vielmehr ab. Wenn, wie die frühere Bundesministerin, Frau Schavan, sagte, die Anerkennung der Abschlüsse „eine Frage der Gerechtigkeit und des Respekts vor der Qualifikation von Menschen“ sei, dann muss am Gesetz und an der Anerkennungspraxis noch heftig gearbeitet werden. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen nicht nur ein Recht auf ein Verfahren, sondern auch ein Recht auf Anerkennung. Wir brauchen bezahlbare und vergleichbare Gebühren für die Anerkennung ebenso wie für die notwendigen Nachqualifizierungen. Der DGB hat heute eine Pressemeldung herausgegeben, in der er eine gebührenfreie Anerkennung und Nachqualifizierung fordert. Mit Blick auf § 1 des Anerkennungsgesetzes stelle ich fest: Das ist angemessen; denn es geht um den deutschen Arbeitsmarkt und weniger um die Interessen der Betroffenen. Kosten- bzw. Gebührenfreiheit ist also angemessen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Karamba Diaby für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Karamba Diaby (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit zwei Jahren haben wir ein Anerkennungsgesetz auf Bundesebene, seit Sommer dieses Jahres nun endlich auch auf der Ebene der Bundesländer. Ich freue mich, dass wir heute eine erste Zwischenbilanz in Bezug auf das Anerkennungsgesetz ziehen. Vor gut zwei Jahren trat erstmals der allgemeine und umfassende Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren in Kraft. Der ausländische Berufsabschluss wird mit dem deutschen Referenzberuf verglichen und auf Gleichwertigkeit geprüft. Das Ergebnis kann die vollwertige, die teilweise oder gar keine Anerkennung des ausländischen Abschlusses sein. Vielfalt schafft Werte – das ist mein persönliches politisches Leitbild. In diesem Sinne ist das Anerkennungsgesetz ein wichtiges Signal an die Eingewanderten in Deutschland und an die deutsche Wirtschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Anerkennungsgesetz ist ein wichtiger Beitrag zur Fachkräftesicherung für unseren Wirtschaftsstandort; denn wir brauchen die Talente und beruflichen Kompetenzen der schätzungsweise mehr als 300 000 Personen mit ausländischen Abschlüssen, die es hierzulande gibt – die Zahl wurde mehrfach erwähnt –, ohne sie geht es nicht. Ohne die formale Anerkennung ihrer Abschlüsse werden Ärztinnen weiterhin als Putzfrauen und Ingenieure als Taxifahrer arbeiten. Sie arbeiten somit unter ihrer Qualifikation. Dieser Zustand ist weder für die Eingewanderten noch für unsere Gesellschaft und Wirtschaft hinnehmbar. Schon seit Jahren schlägt die deutsche Wirtschaft Alarm. „Fachkräfte verzweifelt gesucht“, „Deutschlands Mittelstand gehen die Fachkräfte aus“ – so lauteten die Schlagzeilen der letzten Jahre. Von einem flächendeckenden Fachkräftemangel kann zwar keine Rede sein, aber für einzelne Berufe trifft er zu. (René Röspel [SPD]: Richtig!) Das Gesetz entfaltet erste erfreuliche Wirkungen in den Gesundheitsberufen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ärztinnen und Ärzte, Gesundheits- und Krankenpfleger sowie Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten führen die Liste der Antragsteller bei den häufigsten Referenzberufen mit mehr als 70 Prozent an. Am häufigsten kommen die Antragstellerinnen und Antragsteller aus Rumänien, der Russischen Föderation und Polen. Mit dem Anerkennungsgesetz haben wir begonnen, brachliegende Potenziale zu aktivieren. Das ist gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gut ist auch die hohe Quote der vollen Anerkennungen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf geeinigt, nachzubessern, wo es notwendig ist. Ich sehe vor allem drei zentrale Herausforderungen: Erstens. Der Bericht deutet darauf hin, dass nur ein Bruchteil der geschätzt mehr als 300 000 Personen mit ausländischen Abschlüssen einen Antrag gestellt haben. Ich wünsche mir, dass noch mehr Menschen einen Anerkennungsantrag stellen, damit sie endlich ihrem erlernten Beruf nachgehen können. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie Hürden abbauen!) Wir brauchen Informationskampagnen, damit sich die Möglichkeit zur Anerkennung noch mehr herumspricht. Hier müssen wir die Wirtschaft stärker sensibilisieren und in die Pflicht nehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie sollen die Möglichkeit zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen noch stärker für ihre Personalentwicklung nutzen. Damit komme ich zum zweiten Punkt: Anpassungsqualifizierung. Das wurde von meinen Vorrednern schon angesprochen. Jeder zehnte Antragsteller in den reglementierten Berufen und jeder dritte in den nichtreglementierten Berufen braucht eine Anpassungsqualifizierung, um eine vollwertige Anerkennung zu erlangen. Ich freue mich sehr, dass die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles beabsichtigt, ein Qualifizierungsprogramm mit Mitteln aus der neuen ESF-Förderperiode zu bestreiten. Schließlich haben wir im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart, dass wir Eingewanderte, die Qualifizierungsmaßnahmen absolvieren müssen, finanziell unterstützen wollen. Drittens. Lassen Sie uns in den weiteren Beratungen genau hinschauen – ich hoffe, die Opposition macht mit –, um bestehende bürokratische Fallstricke zu beseitigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich denke am heutigen Tag des Flüchtlings beispielsweise an Geflüchtete, die keinerlei Nachweise erbringen können. Asylsuchende und Geduldete bringen – das wissen wir – Talente, Know-how und oftmals eine hervorragende Ausbildung mit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie uns also die Gerechtigkeitslücke schließen. Lassen Sie uns für diese Fälle praktikable Lösungen entwickeln und erproben. Ich komme zum Ende. Ich danke den vielen kompetenten und engagierten Beschäftigten des Netzwerks „Integration durch Qualifizierung“. Sie leisten hervorragende Beratungsarbeit, um die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Lassen Sie uns die Beratungsstrukturen stärken. Hier können auch Migrantenorganisationen eine sehr große Rolle spielen; das haben sie in der Vergangenheit gezeigt. Abschließend möchte ich bemerken: Wir sind auf einem guten Weg. Erst kürzlich haben wir die Abschaffung der Optionspflicht und Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation von Asylsuchenden und Geduldeten beschlossen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Cemile Giousouf [CDU/CSU]) Das Anerkennungsgesetz reiht sich hier ein: Es ist integrationspolitisch wichtig, es drückt Wertschätzung und Anerkennung der Lebensleistung von Eingewanderten aus. „Vielfalt schafft Werte“ bedeutet arbeitsmarktpolitisch: Die Tür steht dir offen, du bist willkommen, du wirst gebraucht, und du kannst dich mit all deinen Fähigkeiten hier entfalten. – Lassen Sie uns gemeinsam dieses Versprechen einlösen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Das war eine punktgenaue Landung. – Nächster Redner ist Özcan Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland braucht Fachkräfte! Viele Unternehmen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sind schon jetzt auf ausländische Fachkräfte angewiesen. Mit diesen Worten beginnt der Bericht der Bundesregierung zum Anerkennungsgesetz. So wahr dieser Satz auch ist, ist es doch nur eine Binsenwahrheit; denn das dürfte allen in diesem Hause bekannt sein, spätestens seit 2012. Ende 2008 hat sich der Bund mit den Ländern auf dem Bildungsgipfel auf eine Verbesserung der Rechtslage zur Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse und Berufsqualifikationen verständigt. 2012 ist dieses Gesetz dann endlich in Kraft getreten. Seither ist viel Wasser die Spree heruntergeflossen. Ich schaue mir den vorliegenden 169-seitigen Bericht an und frage: Was ist in der Sache überhaupt erfolgt? Wenn man sich diesen Bericht genau anschaut – an dieser Stelle schütte ich Ihnen eine gehörige Portion Spreewasser in Ihren Wein –, so sieht man lauter Allgemeinplätze, Zuständigkeitsgerangel und viele offene Fragen, meines Erachtens zu viele offene Fragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie schon gesagt worden ist: Wir sind eine Wirtschaftsnation und stehen für Innovation und wirtschaftliche Dynamik. Wir wissen seit Jahren, dass in unserem Land ein Fachkräftemangel herrscht, und das nicht nur in technischen Berufen oder im Pflegebereich, sondern inzwischen in vielen, vielen Branchen. Das Anerkennungsgesetz und die damit einhergehende Reform war daher nicht nur ein notwendiger, sondern auch ein absolut überfälliger Schritt. Die Regeln und die Verfahren zur Anerkennung von ausländischen Abschlüssen waren nämlich auch nach 60 Jahren Zuwanderung absolut unterentwickelt. Ich sage: Allein schon aus wirtschaftspolitischer Sicht können wir es uns nicht leisten, dass hochqualifizierte Zuwanderinnen und Zuwanderer nur als Hilfskräfte angestellt werden, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir können es uns auch nicht leisten, dass die Anerkennungsverfahren immer noch so ewig lange dauern. Man wird das Gefühl nicht los, Sie wollten hier ein Bürokratiemonster erschaffen. Ehrlich gesagt verstehe ich Sie auch gar nicht. Normalerweise sind Sie, wenn es um die Interessen der Wirtschaft geht, immer schnell bei der Sache, aber hier leider nicht. Ich sage: Die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen ist auch für die Teilhabemöglichkeiten von Zuwanderinnen und Zuwanderern in unserer Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Viele Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen in unser Land gekommen sind, hatten in ihrer ursprünglichen Heimat oft eine Ausbildung, einen Abschluss und sehr viel Berufserfahrung. Wir müssen diese Berufsausbildungen und Abschlüsse zum Wohl unserer Gesellschaft und auch zum Wohl unserer Wirtschaft schnell und zügig anerkennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist auch eine gewaltige Chance für die Integration. Leider muss ich sagen, dass die Anerkennung ausländischer Abschlüsse trotz anders lautender Lippenbekenntnisse, die wir auch heute wieder hören konnten, nur sehr schleppend vorankommt. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Ihr könnt mit-helfen!) In diesem Bericht werden zahlreiche Mängel aufgezählt, die dringend behoben werden müssen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja, ja, -immerhin!) Da ist die Rede – wir können gerne gemeinsam daran arbeiten – (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Eben!) von etlichen Regelungslücken, die zu Unsicherheiten bei den Antragsstellerinnen und Antragsstellern führen. Da ist die Rede von einem erheblichen Entwicklungsbedarf für einen möglichst bundeseinheitlichen Vollzug der Verfahren. Da geht es um die uneinheitliche Regelung der Kosten. Flüchtlinge tauchen in Ihrem Bericht nur flüchtig auf, um präzise zu sein: nur mit dem Hinweis, dass sie mit „erheblichen Hürden“ konfrontiert werden, und das nach zwei Jahren. Ich frage Sie: Warum arbeiten Sie denn nicht daran, diese Hürden abzubauen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Flüchtlinge sind oftmals hochqualifiziert und wären auch ein Gewinn für unsere Gesellschaft. Ein anderes wichtiges Thema ist die Nachqualifizierung. Hier haben Sie große Lücken hinterlassen, die die Länder nun selber schließen sollen. Da lassen Sie die Länder gerne allein. Am meisten ärgert mich an diesem Bericht die Tatsache, dass Sie einzig und allein Absichtserklärungen verkünden oder immer wieder andere zum Handeln auffordern. Es fehlt Regierungshandeln! Da verlangen wir mehr von Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie und wann Sie selber tätig werden wollen, wie Sie gemeinsam mit den Bundesländern bestehende und bekannte Probleme lösen wollen, erfahren wir auch nicht nach Lektüre der 169 Seiten. Die Verfahren zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse sind – ich zitiere jetzt wieder aus Ihrem Bericht – zu lang und zwischen den Bundesländern zu uneinheitlich. Ich sage: Nach zwei Jahren sollte so etwas nicht mehr in dem Bericht stehen. Setzen Sie sich mit den Bundesländern an einen Tisch und lösen Sie zügig die Probleme, statt nur darüber zu reden. Wir brauchen flächendeckende und funktionierende Strukturen statt eines unsäglichen Zuständigkeitsgerangels. Wir brauchen Vereinheitlichung, Vereinfachung und Beschleunigung. Machen Sie Tempo! Wir helfen Ihnen gerne dabei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Cemile Giousouf, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Cemile Giousouf (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den Zeiten des sogenannten Wirtschaftswunders vor über 50 Jahren wurden mit Ländern wie Italien, Griechenland und der Türkei Anwerbeabkommen abgeschlossen. Mehrere Millionen Menschen wurden für Industriearbeitsplätze benötigt. Sie kamen hierher und arbeiteten gemeinsam am Standort Deutschland auf Baustellen, in Fabriken oder im Bergbau. Heute stehen wir wieder vor der Herausforderung, dass wir Zuwanderung brauchen. Uns fehlen Ingenieure, Facharbeiter, aber auch Ärzte, Pflegekräfte und Lehrer. In meinem Wahlkreis Hagen und im südlichen Ennepe-Ruhr-Kreis fehlten den mittelständischen Unternehmen letztes Jahr 24 000 Fachkräfte. Ohne die Unterstützung aus dem Ausland können wir diese Herausforderung nicht stemmen. Deshalb ist es sehr gut, dass sich Deutschland in den letzten Jahren immer mehr zu einem modernen Einwanderungsland entwickelt hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Deutschland ist für immer mehr Menschen – darunter gut ausgebildete Fachkräfte – eine attraktive Wahlheimat. Unser Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat gestern im Rahmen der Diskussion über die Freizügigkeit in Europa nochmals deutlich gemacht, dass auch die Mehrheit der Menschen, die aus den osteuropäischen Ländern zu uns kommen, gut ausgebildet ist. Gleichzeitig fahren aber auch in Deutschland noch viele Ingenieure und Ärzte Taxi. Damit wir all diese Potenziale nutzen können, wurde das Anerkennungsgesetz auf den Weg gebracht. Es ist in Europa übrigens einzigartig. Mit diesem Gesetz hat jeder Antragsteller einen Anspruch auf Prüfung der im Ausland erworbenen Qualifikation. Dieser Anspruch gilt ebenso für Drittstaaten und für Drittstaatenabschlüsse. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass auch immer mehr Flüchtlinge zu uns kommen, ist das eine wichtige Weichenstellung. Deshalb freut es mich umso mehr, dass diese neue Kultur der Anerkennung auf eine erfolgreiche Regierungsinitiative der Union zurückgeht. Lieber Herr Kollege Mutlu, wenn das alles, was wir machen, so schlecht ist: Warum gab es dann kein Anerkennungsgesetz unter Rot-Grün? Damals gab es noch nicht einmal ein Gesetz, über das wir heute hätten streiten können. Nein, das ist eine Initiative einer CDU-Ministerin gewesen, und sie wird von einer CDU-Ministerin umgesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Und warum versucht die CSU, Erleichterungen zu verhindern?) Die Bilanz fällt überzeugend aus: Im April dieses Jahres wurde der Bericht zum Anerkennungsgesetz veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass über 82 Prozent der Berufsabschlüsse als gleichwertig anerkannt wurden, und von den IQ-Beratungsstellen wissen wir, dass das Interesse weiter zunimmt. Allein in diesem Jahr haben über 14 000 Personen ein Beratungsgespräch geführt. Die Strukturen und Angebote werden immer bekannter, und das ist ein Erfolg. Oftmals hören wir die Klage über die hohen bürokratischen Hürden. Dazu möchte ich auch klar sagen: Es geht um die Gleichwertigkeit mit deutschen Berufsabschlüssen. Die Qualität deutscher Berufsabschlüsse ist weltweit anerkannt, und der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands hängt in einem nicht geringen Maße davon ab. Mit anderen Worten: Diese Qualitätsstandards müssen beibehalten werden, auch dann, wenn wir die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie in nationales Recht umgesetzt haben werden, was bis 2016 geschehen muss. Wir müssen den Spagat schaffen, Menschen schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ohne die Qualität deutscher Berufsabschlüsse zu verwässern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es handelt sich um ein noch junges Gesetz, das trotz seines frühen Erfolgs fortentwickelt werden muss; hier gebe ich den Kollegen recht. Folgende Punkte möchte ich dabei hervorheben: Erstens. Wir müssen sicherstellen, dass wir entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen für alle Berufe anbieten können, um eine volle Anerkennung zu erreichen. Die größte Herausforderung ist hier natürlich die Finanzierung. Deshalb finde ich es gut, dass das BMAS – kofinanziert mit ESF-Mitteln – entsprechende Berufsqualifizierungen, für die der Bund zuständig ist, flächendeckend ermöglichen wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Zweitens. Ich halte es für unabdingbar, dass für die Gesundheitsberufe eine zentrale Anlaufstelle auf Bundesebene geschaffen wird – idealerweise angesiedelt bei der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen bei der KMK in Bonn. Drittens. Die Länder müssen einheitliche Verordnungen festlegen. Es kann nicht sein, dass für die Anerkennung unterschiedliche Standards und Hürden festgelegt werden. Einige Länder schließen Berufe sogar aus der Anerkennung aus, wie das NRW mit dem Lehrerberuf macht. Wir wollen keinen Anerkennungstourismus zwischen den verschiedenen Ländern. Das ist nicht im Sinne dieses Gesetzes. (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Der vierte Punkt betrifft den Beruf des Lehrers insgesamt. Jetzt müssen der Deutsche Philologenverband und die GEW etwas tapfer sein; denn ich will folgende Frage stellen: Müssen der Mathematiklehrer aus Warschau oder die Physiklehrerin aus Bratislava, die beide hervorragend Deutsch sprechen und ihr fachliches Handwerk aus dem Effeff beherrschen, wirklich noch ein zweites Fach studieren, um in einer staatlichen Schule in Deutschland unterrichten zu dürfen? (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da gebe ich Ihnen recht!) Wir sprechen hier immerhin von händeringend gesuchten Lehrkräften in Mangelfächern. Andere Länder kennen den Lehrer mit zwei Fächern nicht. Sollten wir für solche Fälle nicht eine Brücke bauen? Es wäre gut, wenn die Bundesländer sich hier trauen würden, auch einmal neue Wege zu gehen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Bislang ist dies nur in einem einzigen Bundesland, nämlich in Hamburg, möglich. Hamburg hat bereits im Oktober 2010 – noch unter Schwarz-Grün, lieber Herr Mutlu – eine Zentrale Anlaufstelle Anerkennung mit ESF-Mitteln eingerichtet. Qualifizierungsmaßnahmen werden durch Stipendien der Stadt Hamburg gefördert. Das könnte als Blaupause für andere Bundesländer dienen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Es ist ein Gesetz mit einem großartigen Leitgedanken. Wenn selbst die gegenüber dem deutschen Bildungssystem notorisch griesgrämigen Bildungsexperten der OECD zu dem Schluss kommen, dass Deutschland für Hochqualifizierte alle Türen offen hält, (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Schön formuliert! Treffsicher formuliert! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder eine Schuldzuweisung!) dann ist das für uns alle ebenso ein Grund zur Freude wie das europaweite Pauken von Deutschvokabeln. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Ernst Dieter Rossmann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ein bisschen Butter bei die Fische!) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich noch an Debatten hier im Bundestag, bei denen allein die Darstellung, dass es in Deutschland rund 400 000 bis 500 000 akademisch gebildete zugewanderte Menschen gibt, deren Abschluss nicht anerkannt wird, große Augen bei allen Kollegen hervorgerufen hat. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem dort auf der rechten Seite!) Dankenswerterweise war es die Universität Oldenburg, die solche Studien durchgeführt hat. Wir können jetzt natürlich daran erinnern, wie Olaf Scholz damals gegen den Widerstand des Kollegen Schäuble gekämpft hat und andere ihrerseits wieder gegen Widerstände anderer. Wichtig ist doch aber, dass es jetzt eine große Übereinstimmung gibt, auch hinsichtlich der operativen Teilbereiche, die angegangen werden müssen. Sie haben in einem sehr selbstkritischen Bericht vieles gelesen, was Staatssekretär Müller und andere auch schon angesprochen haben. Wir werden hoffentlich in zwei Jahren einen anderen, einen besseren Bericht erhalten, weil es bis dahin eine bessere Koordinierung zwischen den Ländern und zwischen den Beratungsstellen sowie vereinfachte Verfahren und hoffentlich auch ein – hier knüpfe ich an Olaf Scholz an – voll ausgebildetes Qualifizierungssystem geben wird. Es war ja immer unser Wunsch, der Wunsch der SPD, dass es nicht nur das Recht auf Beratung und das Recht auf Anerkennung gibt, sondern auch das Recht auf Nachqualifizierung. Auf dem Weg dorthin ist das, was Frau Nahles jetzt im Namen der Großen Koalition vorbereiten kann, ein guter und wichtiger Schritt. Wenn das Ganze dann nicht nur in ein freiwilliges Programm, sondern in eine Rechtsleistung münden würde, dann hätten wir tatsächlich ein sehr modernes Anerkennungsrecht. Dazu gehört auch – ich nehme das auf, was Frau Hein und Herr Mutlu gesagt haben –, dass uns die Spanne bei den Anerkennungsgebühren, die, wie es im Bericht steht, von 100 über 600 bis zu 1 500 Euro reicht, doch selber ins Grübeln bringen muss. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mich nicht!) Diese Menschen kommen hierher. Sie haben nicht viel Geld, aber Sie haben eine gute Qualifikation. Sie sind durchschnittlich zwischen 25 und 35 Jahre alt. Sie haben auch noch Familie. Sie wollen sich hier einbringen und sollen dafür am Ende in einem bürokratischen Verfahren viel Geld aufbringen. Wir müssen uns selber einmal in deren Situation hineindenken und fragen, ob diese Hürde eigentlich so bleiben muss oder ob man dort nicht etwas ändern kann. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es muss ja nicht unbedingt kostenlos sein, aber zwischen 600 und 200 Euro liegt ein Unterschied, auch bezogen darauf, ob man sich einbringt oder nicht. Ich will gerne einen weiteren Gedanken von Ihnen aufnehmen, Herr Mutlu. Ja, das Verfahren soll schnell sein, es soll zügig sein, es soll einfach sein. Es muss aber auch verlässlich und leistungsbezogen sauber sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absolut d’accord!) Gerade auf dem Arbeitsmarkt, bei den Handwerkern, den Mittelständlern und anderswo hat sich an der Tendenz, die aus dem Bericht herauszulesen ist, dass man eben doch – in Anführungsstrichen – der deutschen Qualifikation mehr traut als der nachgereichten eingedeutschten Qualifikation, nichts verändert. Wenn es dort Zweifel gibt, wenn sich festsetzen sollte: „Das ist ein bisschen geluscht“, dann nützt es diesen Menschen ja nichts. Es muss ja im Gegenteil gerade bei denen, die diese Kräfte aufnehmen sollen, auch eine Bereitschaft geben und ein hundertprozentiges Vertrauen auf Gleichwertigkeit bestehen. Dafür wollte ich noch einmal werben. Ich glaube, so haben Sie es auch verstanden. Ich wollte das unterstreichen und noch einmal ausdrücklich sagen: Das liegt jetzt bei uns als Parlamentariern. Wie halten Sie es? Gehen Sie in die mittelständischen Betriebe? Fragen Sie nach, ob die dort auch Hilfskräfte mit einer hohen Qualifikation haben, bei denen es an der Ermunterung durch den Chef gefehlt hat, der sagt: „Mach das doch, wir brauchen dich“? Fragen wir das so? Ich glaube, wir können als Abgeordnete in dieser Richtung viel mehr zur Bewusstseinsbildung beitragen, auch in Bezug auf die Chancen, die das Anerkennungsgesetz hat. Ich kann mir vorstellen, dass es auch Veranstaltungen zur Anerkennung der Qualifikation geben kann, bei der, ähnlich wie bei der Veranstaltung, in der neuen deutschen Staatsbürgern die deutschen Pässe verliehen werden, das Engagement von Menschen gewürdigt wird, die sich nachqualifiziert haben. Das ist Anerkennungskultur, das ist Willkommenskultur. Mir bleibt noch etwas Wichtiges zu sagen. Wir müssen darauf achten, dass keine soziale Spaltung, keine Qualifikationsspaltung entsteht. Der Bericht zeigt, dass denjenigen mit einem höheren Qualifikationsniveau das Anerkennungsverfahren leichter fällt und sie es meist auch erfolgreich abschließen. Aber bei denjenigen mit einem nicht so hohen Qualifikationsniveau besteht gegenüber dem Anerkennungsverfahren große Distanz. Gerade bei diesen Menschen müssen wir für das Verfahren werben. Das ist vielleicht ein besonderer Schwerpunkt, den man setzen kann. Die Differenz zwischen der akademischen und der beruflichen Bildung, obwohl wir beide als gleichwertig ansehen, bildet sich auch hier ab: Diejenigen, die mit einem akademischen Abschluss hierher kommen, haben es leichter als diejenigen, die mit einem Berufsabschluss zu uns kommen. Das kann es doch nicht sein. Wenn wir die Gleichwertigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung wollen, dann muss diese auch im Zugang zum Anerkennungsverfahren und den Chancen gelten, daraus etwas für sich zu machen. Danke schön. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Katrin Albsteiger für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Katrin Albsteiger (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass ich als letzte Rednerin in dieser Debatte meinen Redebeitrag leisten darf. Noch mehr freut es mich, dass ich zum Anerkennungsgesetz rede, das auf Initiative der CDU/CSU entwickelt, (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Die Grundidee war wohl von uns!) eingebracht, beschlossen und im Jahr 2012 in Kraft getreten ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb ist es so bürokratisch!) Es handelt sich dabei um ein völlig neues Instrument zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in Deutschland. Wenn wir das so sagen und wenn auch in dem Bericht diese Begriffe auftauchen, dann heißt das nicht, dass wir keinen Respekt vor der Qualifikation der Fachkräfte aus dem Ausland hätten, ganz im Gegenteil. (Zuruf der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Aber es darf doch hier durchaus einmal erwähnt werden, dass wir erkannt haben, dass da Handlungsbedarf besteht. Das Anerkennungsgesetz ist ein wesentlicher Baustein zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. (Willi Brase [SPD]: Aber lang dafür -gebraucht!) Das Anerkennungsgesetz ist ein sehr dynamisches Gesetz. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu viel Dynamik ist auch nicht gut! – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Wir werden es entwickeln! Ihr könnt mitmachen!) Genau deswegen sind wir schließlich hier: Wir diskutieren einen Bericht. Das ist der erste Bericht zu diesem jungen, neuen, frischen Gesetz. Es ist doch gerade das Schöne an diesem Gesetz, dass wir darin ein Monitoring festgelegt haben. 2011 ist bei den Verhandlungen mit dem Bundesrat die Idee eingebracht worden, die Auswirkungen dieses Gesetzes im Rahmen eines Monitorings zu untersuchen. Uns geht es nicht nur darum, Gesetze zu machen, sondern auch darum, sie auf ihrem Weg konstruktiv zu begleiten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und weiterzuentwickeln!) – Und weiterzuentwickeln, Herr Mutlu. Selbstverständlich auch das. – Dieses Monitoring bedeutet, einerseits die positiven Ergebnisse der Umsetzung zu benennen und andererseits die kritischen Punkte aufzugreifen und Verbesserungen aufzuzeigen. Genau das ist heute in der Debatte schon in ausreichender Art und Weise passiert. Danke, Herr Staatssekretär Müller, für Ihren Bericht. Die Bilanz ist: Die Ergebnisse dieses Gesetzes sind nach Meinung der Opposition hochdramatisch. Tatsächlich ist das nicht der Fall. Das Gesetz ist eine Erfolgsgeschichte. Zwischen April und Dezember 2012 lagen uns schon 11 000 Anträge vor. Das ist schon etwas, aber da ist auch noch Luft nach oben, keine Frage. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Ich bin sicher, dass dann, wenn wir den nächsten Bericht diskutieren werden, auch dokumentiert werden wird, dass sich die Zahl der Anträge erhöht haben wird. Das Schöne dabei ist, dass es nicht nur darum geht, die Zahl der Anträge zu erhöhen, sondern es geht auch darum, dass möglichst viele Anträge anerkannt werden. Mit einer Quote von über 80 Prozent sind wir da auf einem hervorragenden Weg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Während noch vor anderthalb Jahren erst fünf Bundesländer ein Anerkennungsgesetz hatten, verfügt heute fast jedes Bundesland über ein solches Gesetz. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Auch das ist eine gute Nachricht. Genau darum ging es uns schließlich in den vergangenen Monaten. Ich möchte einen besonderen Punkt herausgreifen, nämlich die Gesundheitsberufe. Ja, da gibt es Handlungsbedarf. Das ist auch ein extrem wichtiger Bereich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist richtig, dass die bereits beschlossene, länderübergreifende zentrale Gutachtenstelle aufgrund des besonders hohen Aufkommens in diesem Bereich ihre Arbeit aufnimmt. Zur Verbesserung der Situation wird diese Stelle zu einheitlichen Standards und einer besseren Koordinierung beitragen. Gerade uns als Union ist die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen zwischen Stadt und Land sehr wichtig. In Bayern beispielsweise haben wir das im letzten Jahr nach einem Volksentscheid sogar in unsere Verfassung hineingeschrieben. Das ist schon eine gute Sache. Aber es reicht sicherlich nicht aus, die Verfassung zu ändern, ohne dafür zu sorgen, dass die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen auch tatsächlich erreicht wird. In diesem Zusammenhang ist die medizinische Versorgung gerade im ländlichen Raum ein wesentlicher Punkt. Dazu tragen auch die ausländischen Fachkräfte bei. Insofern leisten wir mit dem Gesetzentwurf einen wichtigen Beitrag. So viel zum Thema aus deutscher Sicht, aber – das sei als letzter Punkt in dieser Debatte benannt – auch die europäische Sicht ist sehr wichtig. Das Anerkennungsgesetz leistet nämlich auch im europäischen Rahmen einen wichtigen Beitrag. Wir sind uns, glaube ich, darin einig, dass wir nicht nur für die Bekämpfung des Fachkräftemangels im eigenen Land zu sorgen haben, sondern auch – das ist unsere Pflicht, aber auch unsere Überzeugung – für die Verwirklichung eines gemeinsamen europäischen Arbeitsmarktes. Gerade die Zahlen zur Jugendarbeitslosigkeit machen deutlich, dass es in Europa eine Generation gibt, die wir in dieser Hinsicht möglicherweise verlieren. Auch an der Stelle ist es wichtig, nicht immer nur von einem möglichen Braindrain zu reden, sondern auch die Chance zu sehen, die damit verbunden ist. Wenn ausländische Arbeitskräfte aus Griechenland, Spanien oder Frankreich auch in Deutschland Arbeit finden, dann ist das ein guter Beitrag. Das Anerkennungsgesetz leistet ebenfalls seinen Teil. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen schönen Nachmittag. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1000 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung – 17. Legislaturperiode – Drucksache 17/14325 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Stefan Müller das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Stefan Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bildung für nachhaltige Entwicklung ist ohne Zweifel zu einer breiten Bewegung geworden, die alle Bildungsbereiche vom Kindergarten über die Schule bis zum Ausbildungsbetrieb oder zur Hochschule erfasst. Es ist eine Bewegung, die alle Akteure dieser Felder sowie die Nichtregierungsorganisationen und die Wissenschaft erreicht hat. Der nunmehr vorliegende vierte Bericht zeigt den breiten Ansatz des Bundes zur Förderung der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Es wird deutlich, dass die BNE ein eigenständiges Thema innerhalb der Bundesregierung ist, das aber auch gewissermaßen interdisziplinär von den Ressorts aufgegriffen wurde. Der Bericht macht klar, wie vielfältig die Aufgabenfelder in diesem Themenbereich sind und wie hoch die Verbreitung in den verschiedenen Gruppen der Gesellschaft mittlerweile ist. Die Dekade geht nunmehr zu Ende. Das heißt, wir blicken auf zehn Jahre BNE in Deutschland zurück. Im Dezember endet die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Man kann sicherlich mit Fug und Recht sagen, dass die BNE seit 2005 einen starken Entwicklungsschub erfahren hat. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat als federführendes Ressort innerhalb der Bundesregierung diese Entwicklung mit gut 9 Millionen Euro gefördert. Unser verlässlicher Partner in dieser Zeit war die Deutsche UNESCO-Kommission, die der Deutsche Bundestag mit der Umsetzung und Koordinierung der Dekadeaktivitäten beauftragt hat. Gewissermaßen von null auf hundert wurden Arbeits- und Steuerungsstrukturen geschaffen, thematische Schwerpunkte gesetzt und gezielt einzelne Bereiche und Themen in den Fokus genommen. Ich will deswegen die heutige Debatte zum Anlass nehmen, den Mitgliedern des eingerichteten Nationalkomitees und des einmal jährlich tagenden runden Tisches für ihr Engagement und ihre Arbeit in den vergangenen Jahren besonders zu danken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die UN-Dekade hat die BNE in Stadt und Land bekannt gemacht. Es gibt eine Reihe von im ganzen Land verbreiteten Initiativen, die als UN-Dekadeprojekt ausgezeichnet wurden, damit eine höhere Sichtbarkeit erreicht haben und eine verdiente Anerkennung für ihr -bemerkenswert hohes – in den allermeisten Fällen ehrenamtliches – Engagement erfahren haben. Es sind beeindruckende Zahlen, die wir zur Kenntnis nehmen dürfen. Über 1 900 Projekte können sich mit der UN-Dekadefahne schmücken, von dem kleinen Projekt „H2klar-O!“ der Jugendfarm Erlangen bis hin zu dem von der Universität Kiel organisierten Bundesumweltwettbewerb. Darüber hinaus wurden 49 offizielle Dekademaßnahmen ausgezeichnet, die als Leuchttürme wirken und zugleich BNE-Initiativen regional vernetzen. Dabei wurde deutlich, dass mittlerweile Nachhaltigkeit von vielen Unternehmen als Imagefaktor gesehen wird. Wir können sehr froh darüber sein, dass diese UN-Dekade dazu geführt hat, dass dieses Thema auch in der Wirtschaft weit oben auf der Agenda steht. Einen besonderen Erfolg stellen ohne Zweifel die 21 prämierten Dekadekommunen dar. Es haben sich kleine und große Kommunen beteiligt. Beispielgebend sind hier die 6 700-Einwohner-Gemeinde Markt Eggolsheim, aber auch die Metropole Hamburg, die den Nachhaltigkeitsgedanken als kommunales Leitthema aufgegriffen haben. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ich klatsche für beide!) – Bitte. Nach zehn Jahren sollten wir nicht nur Bilanz ziehen, sondern auch sagen, wie es weitergehen soll. In Zukunft wird die Nachhaltigkeit eine ähnlich große Rolle spielen wie in den letzten zehn Jahren. Natürlich spielt, Nachhaltigkeit hier auch eine große Rolle und hat auch in den letzten zehn Jahren eine große Rolle gespielt. Wir wollen Strukturen fördern, die nachhaltige Wirkung entfalten. Dazu hat das BMBF auf Begleitforschung und lokale Netzwerke gesetzt. Wir haben die Begleitforschung bei vier Verbundvorhaben an zehn Hochschulen gefördert, um den Prozess der Dekadeumsetzung wissenschaftlich begleiten zu lassen. Um vom Projekt zur Struktur zu kommen und die einzelnen Aktivitäten dauerhaft zu etablieren, gab es einen Wettbewerb zur Förderung von lokalen Bildungs- und Kompetenznetzwerken. Bemerkenswert ist, dass das Engagement und die Arbeit, die wir hier in Deutschland im Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung geleistet haben, international hohe Anerkennung erfährt. Das ist auch daran zu erkennen, dass Frau Bundesministerin Johanna Wanka von der UNESCO-Generaldirektorin eingeladen wurde, die deutschen Initiativen auf der Weltkonferenz zum internationalen Abschluss der UN-Dekade in Japan im November 2014 zu präsentieren. Wir haben uns im Koalitionsvertrag eindeutig zur Bildung für nachhaltige Entwicklung bekannt. Wir wollen uns den Herausforderungen bei der Erfüllung dieser Lebens- und Gemeinschaftsaufgabe weiterhin stellen. Aber mit dem Ende der UN-Dekade liegt nun eine Zäsur vor, die die Neuordnung der Förderung der Bildung für nachhaltige Entwicklung in Deutschland einläutet. Wir werden nunmehr im Rahmen des Weltaktionsprogramms weitere Aktivitäten vorbereiten. Um dieses Programm auf nationaler Ebene umsetzen zu können, ist das BMBF gerade dabei, im Rahmen eines Konsultationsverfahrens die wesentlichen Akteure einzubeziehen. Zwei Anhörungen mit Expertinnen und Experten haben bereits stattgefunden. Die Herausforderung besteht ohne Zweifel darin – das ist vielleicht auch eine Schwäche –, dass es einen großen Reichtum an Fragestellungen, Aufgabenfeldern, Themen und einzelnen Akteuren gibt. Das muss auch eine Rolle bei der Vorbereitung der Umsetzung des Weltaktionsprogramms spielen. Ähnliches gilt für den Bericht. Wir denken darüber nach, dem nächsten Bericht eine neue Struktur zu geben. Wir könnten uns vorstellen, dass wir im Rahmen des Weltaktionsprogramms die Aktivitäten der verschiedenen Ressorts noch enger – auch inhaltlich – zusammenführen und darstellen. Eine Überlegung ist – ohne dass ich heute mehr dazu sagen kann –, dass wir in Anlehnung an den Bundesbildungsbericht die BNE-Aktivitäten entlang der Bildungskette darstellen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Eine gute Idee!) Ohne Zweifel wird die Bundesregierung das Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung weiter vorantreiben. Das erkennen Sie schon im Koalitionsvertrag. Dort bekennen wir uns dazu, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung in allen Bildungsbereichen stärker verankert werden soll. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Rosemarie Hein, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende dieses Jahres geht sie also zu Ende, die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, und in jeder Legislatur legte die Bundesregierung einen Bericht vor, wie das Thema nachhaltige Entwicklung in den unterschiedlichen Bildungsbereichen untersetzt wird. Über fast 80 Seiten werden darin Projekte und Initiativen aller Bundesministerien und der Länder aufgezählt, und man könnte ob der Fülle schier beeindruckt sein. Die Bundesregierung scheint nach dem Motto zu arbeiten: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Ich wage aber zu behaupten, dass die Fülle allein noch kein Ausweis für Qualität und schon gar nicht für Nachhaltigkeit ist. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das Gegenteil auch nicht!) Darum verstehe ich die Grundkritik des Bündnisses für Zukunftsbildung. Das ist ein Zusammenschluss von Umweltakteuren, Gewerkschaften und international agierenden Verbänden. Sie alle haben sicherlich den Brief bekommen. Das Bündnis kritisiert die Begrenztheit der Projekte. Bildung für nachhaltige Entwicklung werde in Deutschland noch immer einzelnen Personen und Institutionen überlassen, schreibt es in seinem Brief. Es reicht eben nicht, alle Ministerien und Beauftragten der Bundesregierung über ihre Initiativen berichten zu lassen, wobei alles aufgezählt wird, was irgendwie unter der – ich zitiere den Staatssekretär – Fahne der UN-Dekade versammelt werden kann. Dazu gehören der Ausbau der frühkindlichen Bildung – das sicherlich – und die Häuser der kleinen Forscher ebenso wie das Bildungs- und Teilhabepaket – dies halte ich übrigens überhaupt nicht für nachhaltig –, aber es wird kein Wort über die Defizite und Problemsichten verloren. Das fehlt mir in diesem Bericht. Übrigens fehlt erstaunlicherweise auch das Programm „Kultur macht stark“. Da hat das Bildungsministerium den nachhaltigen Ansatz wohl gar nicht erkannt. Ich finde, das ist nachhaltig. Ich finde außerdem, dass sich einige Bereiche, auch in den Ländern, zu einseitig auf ökologische, umweltpolitische und globale Fragen konzentrieren; dabei geht es bei der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung auch um Gerechtigkeitsfragen, um soziale Gerechtigkeit und Generationengerechtigkeit. Nachhaltig sein heißt nämlich, dass etwas für lange Zeit hält oder bleibt. So beschreibt es Wikipedia. Nachhaltig ist im deutschen Bildungssystem aber vor allem die Ungerechtigkeit beim Zugang zu Bildung, und das hat nachhaltige Folgen für Berufsperspektiven und persönliches Wohlergehen. Das hat uns der jüngste OECD-Bericht zum wiederholten Male unter die Nase gerieben. Das ist nichts Neues. Darum sind Fragen des Bildungszugangs und des Bildungserfolgs Nachhaltigkeitsfragen. Ich verstehe nicht, warum immer noch über 100 000 Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss jedes Jahr im Übergangssystem geparkt werden, wenn wir landauf, landab über einen Fachkräftemangel klagen. Das Bundesministerium der Verteidigung hatte es im Übrigen wirklich schwer, etwas zum Bericht beizusteuern. In den 45 mageren Zeilen kommt das Wort „Umweltschutz“ genau achtmal vor. Das sollte man loben. Entschuldigung, aber ich kann an dieser Stelle nur sarkastisch sein. In meinem Bundesland baut die Bundeswehr gerade in der einzigartigen Colbitz-Letzlinger Heide eine Geisterstadt mit U-Bahn für die Ausbildung zu Kriegseinsätzen. Das hat doch nichts mit Umweltschutz zu tun. Wenn dann noch in den Schulen für den Dienst in der Bundeswehr geworben wird, ist das keine Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Diese Kritik muss an dieser Stelle sein. Doch es werden in dem Bericht auch sehr viele interessante Initiativen genannt, die verstetigt werden sollten. Aber wie das geschehen soll, darüber liest man nichts. Auch aus der Rede des Staatssekretärs haben wir nichts erfahren können. Vielleicht hofft die Bundesregierung auf Erleuchtung auf der Abschlusskonferenz in der kommenden Woche in Bonn, oder Frau Ministerin bringt Ideen aus Japan mit. Auch das könnte sein. Vielleicht nehmen Sie auch die nachdenklichen Töne aus einigen Ländern auf, wie die vom Kultusministerium aus Sachsen-Anhalt, das das „inflationäre Nebeneinander von Themen“ – das war ein Zitat – kritisierte. Vielleicht lesen Sie auch noch einmal nach, was der Beauftragte der Bundesregierung für Menschen mit Behinderungen geschrieben hat, nämlich dass der – Zitat – „Erwerb von eigenverantwortlichen und nachhaltigen Handlungsoptionen … nicht in einem separierenden und ausgrenzenden Bildungs-, Ausbildungs- und Arbeitssystem gelingen“ wird. Und vielleicht verbinden Sie das auch mit der im Bericht zu lesenden Einsicht, dass Nachhaltigkeit schon bei der Planung von Schulgebäuden, bei der Rhythmisierung des Schulalltags und bei der Bereitstellung eines gesunden Schulfrühstücks und Schulmittagessens beginnt und ebenso notwendig ist wie soziales Lernen, demokratische Beteiligung und Bildungsthemen wie Energiewende, nachhaltige Lebensweise, Mobilität und biologische Vielfalt. Da haben wir ein gewaltiges Arbeitspensum, und die Bundesregierung kann sich da nicht herausreden mit dem Verweis auf Länderzuständigkeiten und auch nicht mit dem Hinweis darauf, dass man die Finanzierung des BAföG jetzt komplett übernimmt. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Saskia Esken, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Saskia Esken (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Planst du für ein Jahr, so säe Korn, planst du für ein Jahrzehnt, so pflanze Bäume, planst du für ein Leben, so bilde Menschen. So machte schon im 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung der chinesische Philosoph Kuan Chung Tzu deutlich: Bildung und Nachhaltigkeit gehören untrennbar zusammen. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Müllvermeidung, Mülltrennung, Recycling von Wertstoffen – vor 20 Jahren waren diese Begriffe eng abgegrenzten, wohlinformierten Kreisen vorbehalten. Heute sind die Deutschen Weltmeister im Mülltrennen. Wir recyceln, was das Zeug hält, und die Wissenschaft beginnt, die Tage zu zählen, bis es lukrativ sein wird, alte Deponien auszuräumen und das Material dem Recycling zuzuführen. Wie ist dieses Kunststück gelungen, liebe Kolleginnen und Kollegen? Sicher gibt es hier den einen oder die andere, der oder die sich diese Entwicklung gerne als Erfolg der eigenen Gesetzgebung auf die Fahnen schreiben würde, und das ist ja auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Umweltgesetzgebung und ihre Regelungen zum Umgang mit Abfall, die uns heute selbstverständlich erscheinen, waren zur Zeit ihrer Entstehung und Durchsetzung nicht unumstritten. Es war eine rot-grüne Koalition, die diese Gesetzgebung vorangetrieben hat. Damit hat sie nicht nur zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, sondern am Ende auch zur wirtschaftlichen Stärke unseres Landes beigetragen. (Beifall bei der SPD) Zur Wahrheit gehört aber auch: Der Gesetzgebung gelingt es kaum, innerhalb von 20 Jahren, also in so kurzer Zeit, Gewohnheiten zu verändern und einen Wandel der Haltung in den Köpfen der Menschen zu verankern. Dieses Kunststück haben Bildungseinrichtungen vollbracht. Sie haben die Entstehung, Vermeidung und Trennung von Müll thematisiert. Die Kinder lernten verschiedene Müllsorten kennen und trennen und wurden sich so der Konsequenzen des eigenen Verhaltens bewusst. Also: Schulkinder haben im täglichen Handeln gelernt, was ökologische und gesellschaftliche Verantwortung bedeuten – und das mit viel Erfolg. Was haben die Kinder dann gemacht mit ihrem neuen Wissen? Sie haben es nach Hause getragen zu ihren Eltern, zu ihren Großeltern, und damit hat eine einzige Schülergeneration eine ganze Gesellschaft weitergebildet. (Beifall bei der SPD) Sehr geehrte Damen und Herren, diese kleine Anekdote zeigt: Bildung ist Nachhaltigkeit. Die Nachhaltigkeitsstrategie einer Regierung kann ökologische, ökonomische, soziale und kulturelle Nachhaltigkeit zur obersten Maxime des Regierungshandelns machen, Gesetze und Verordnungen hervorbringen und Beiräte einrichten; um diese Haltung auch in der Gesellschaft zu verankern, ist Bildung notwendig. Als Sozialdemokratin ist mir in diesem Vierklang die soziale Nachhaltigkeit ein besonderes Anliegen. Das Augenmerk wird hier auf die zukunftsfähige, zwischen Generationen, Kulturen und Geschlechtern ausgeglichene gerechte Entwicklung einer Gesellschaft gerichtet. Für eine nachhaltig sozial stabile Gesellschaft müssen wir Chancengleichheit für alle Menschen und insbesondere für Kinder und Jugendliche anstreben, die Integration von Menschen jedweder Herkunft und Kultur fördern, auch von all denen, die heute noch draußen stehen, und für gleiche Rechte für Frauen und Männer sorgen. (Beifall bei der SPD – Zustimmung der Abg. Katrin Albsteiger [CDU/CSU]) In Deutschland ist es deshalb an der Zeit, die sehr guten Ansätze, die heute schon in vielen Bildungseinrichtungen für die Verankerung der Nachhaltigkeit in der Gesellschaft sorgen, zu verstärken und zu verstetigen. Wie das aussehen könnte, zeigt sich derzeit in Baden-Württemberg bei der Entwicklung eines neuen Bildungsplans. „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ wird eines der fünf Leitprinzipien darstellen, also über alle Fächer hinweg Basis der Erziehung und Bildung sein. Vergleichbare Schritte wurden auch in anderen Bundesländern vollzogen, sodass wir sagen können: Ein Anfang ist gemacht. Sehr geehrte Damen und Herren, auch wenn die zu Ende gehende UN-Dekade eine globale Verantwortung für die Bildung für nachhaltige Entwicklung nahelegt, haben wir in den Industriestaaten doch eine ganz besondere Rolle zu spielen. Viele Jahrzehnte haben wir den Wohlstand unserer Hemisphäre aufgebaut, ohne Rücksicht auf den Ressourcenverbrauch, auf die Umwelt oder auf die sozialen und kulturellen Lebensbedingungen der Menschen in aller Welt. Auch heute noch verbraucht Deutschland ein Vielfaches der Ressourcen, die uns, global betrachtet, zustehen würden. Wir selbst spüren die Folgen dieses Raubbaus kaum, doch die Menschen in den Entwicklungsländern leiden darunter. Hier fehlt das saubere Trinkwasser. Hier fehlt das Getreide, das wir für die Fleischerzeugung verbrauchen. Und hier fehlt das Geld, um sich gegen die Veränderung des Klimas zu schützen. Seien wir ehrlich: Diese Welt würde nicht mehr lange existieren, wenn sich alle nach der Art der Industrieländer entwickeln würden. (Beifall bei der SPD) Als Bildungspolitikerin möchte ich es nicht versäumen, darauf zu verweisen, dass zu einer nachhaltigen Entwicklung auch eine nachhaltige Bildung selbst, also eine Nachhaltigkeit der Bildung, gehört. Dabei geht es immer weniger um die Vermittlung eines Wissens-kanons. Angesichts einer Wissensgesellschaft im Wandel ist es notwendig, dass junge Menschen zukunftsfähige Kompetenzen entwickeln können und dazu befähigt und motiviert werden, ein Leben lang weiter zu lernen. Das sogenannte Bulimie-Lernen, also die Aneignung von Stoff ausschließlich für eine Prüfung, muss endlich der Vergangenheit angehören; denn das ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der Bildung für nachhaltige Entwicklung nehmen wir uns vor – um das Zitat vom Anfang meiner Rede nochmals aufzugreifen –, für die Dauer eines ganzen Lebens zu planen und darüber hinaus. Wer Verantwortung für die Zukunft übernehmen will, muss Nachhaltigkeit zur obersten Maxime machen. Bildung für Nachhaltigkeit ist der Weg dorthin. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt. So alt dieses indianische Sprichwort auch sein mag und so häufig es schon zitiert worden ist, so ist es doch immer noch ein wahres Wort, das sehr knapp zusammenfasst, um was es bei Nachhaltigkeit und nachhaltiger Bildung geht: Wir alle haben die Verantwortung gegenüber unseren Kindern, diese Erde für sie lebenswert zu erhalten. Leider hat sich die Regierung reichlich Zeit gelassen, den Bericht zur Bildung für nachhaltige Entwicklung vorzulegen. Wenn wir die Haushaltswochen abziehen, dann sind schon zehn Sitzungswochen vergangen. Ich hoffe nicht, dass das etwas mit dem Stellenwert zu tun hat, den dieses Thema für Sie hat. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber ja!) Bildung für nachhaltige Entwicklung – kurz: BNE –, das heißt lernen, unsere Zukunft so zu gestalten, dass unsere Kinder und unsere Enkel auch nach uns noch gute Lebensbedingungen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bildung für nachhaltige Entwicklung, so die UNESCO, vermittelt Kindern, Jugendlichen, aber auch Erwachsenen nachhaltiges Denken und Handeln. Sie versetzt Menschen in die Lage, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und dabei abschätzen zu können, wie sich das eigene Handeln auf künftige Generationen oder das Leben in anderen Regionen dieser Erde auswirkt. Die UN-Dekade für BNE läuft in ein paar Wochen aus. Wir haben das schon gehört. Viele Lehrkräfte, -Ehrenamtliche, Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen und Stiftungen haben einen ganz entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass Nachhaltigkeit mehr und mehr in den Schulen, außerschulischen Lernorten und Kommunen thematisiert wird. Das verdient unseren -Respekt und unsere Anerkennung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist ein starkes Zeichen, dass BNE seit dem ersten Anstoß durch die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2004 ganz unabhängig von politischen Machtverhältnissen immer gemeinsames Ziel war. Das hat sicherlich Seltenheitswert und zeigt, dass BNE ein Kernziel für uns alle ist. Herr Müller, Sie sprachen vorhin davon, dass das Konzept sehr breit aufgestellt sei. Aber: Der Bericht sowie zahlreiche andere Analysen, Studien und Empfehlungen zeigen uns vor allem auch eines: Eine systematische Verankerung des Bildungskonzepts steht nach wie vor aus. Das wollen wir ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch die UNESCO-Zukunftsstrategie „BNE 2015+“ konstatiert – ich zitiere –: Das eigentliche Ziel der von den Vereinten Nationen ausgerufenen Dekade wurde oft nur punktuell und eher modellhaft erreicht. Der Begriff selbst ist nach wie vor – das wissen Sie auch – hauptsächlich der Fachöffentlichkeit bekannt. Dabei ist es doch ein Bildungskonzept, das für uns alle von entscheidender Tragweite ist. Eines sollte uns allen klar sein: Nachhaltigkeit ist nur mit Bildung zu haben. Das haben Sie schon gesagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gerade die, die BNE als Multiplikatoren vorantreiben könnten, also die Erzieherinnen, die Lehrerinnen – die Lehrer und Erzieher natürlich auch –, konnten in unseren Augen nicht genügend erreicht werden. Ja, auch davon haben Sie, Herr Müller, gesprochen: Es gab ein starkes, ein bewundernswertes zivilgesellschaftliches, ehrenamtliches Engagement, und davor ziehen wir den Hut. Aber dennoch, denke ich, können wir den Auftrag nicht allein den Ehrenamtlichen überlassen, dürfen wir uns nicht allein auf sie verlassen; hier ist auch die Politik stärker gefragt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit BNE wirklich gestärkt wird, braucht es verbindliche Strukturen für mehr Planungssicherheit und natürlich ausreichende Finanzmittel, um diese Strukturen zu schaffen. Für meine Fraktion ist klar: Das Kooperationsverbot stand der Bundesunterstützung für diese Strukturen, für die flächendeckende strukturelle Umsetzung im Weg. Von Bundesland zu Bundesland unterscheidet es sich sehr stark, wie sehr Bildungseinrichtungen den Fokus auf Nachhaltigkeit richten. Wir stehen also immer noch vor großen Herausforderungen. Im November 2014 – wir haben es schon gehört – soll mit dem Weltaktionsprogramm der UNESCO ein neuer Anstoß für Bildung für nachhaltige Entwicklung gegeben werden. Wir Grünen hoffen, dass die Bundesregierung aus den Problemen in der Umsetzung des Bildungskonzepts ihre Lehren zieht und das Weltaktionsprogramm in Deutschland besser unterstützt. An dieser Stelle will ich Sie an die Zusagen aus 2013 erinnern und hoffe umso mehr, dass sie auch für die aktuelle Bundesregierung gelten. 2013 versprach Bundesministerin Wanka, dass weiterhin Geld und Ideen in diesen Bereich fließen werden. Gerade jetzt, vor dem Hintergrund der Haushaltsberatungen, darf ich vielleicht daran erinnern, dass damals in einer Regierungsbefragung ein Aufwuchs an Mitteln für BNE in Aussicht gestellt wurde. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit Ihnen die Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in Deutschland weiter voranzutreiben. Denn, wie die Deutsche UNESCO-Kommission es beschreibt, BNE lehrt Menschen, vor allem Kinder und Jugendliche: Mein Handeln hat Konsequenzen – nicht nur für mich und mein Umfeld, sondern auch für andere. Ich kann etwas tun, um die Welt ein Stück zu verbessern. Gemäß dem aktuellen Jahresthema der UN-Dekade in Deutschland sage ich: Lassen Sie uns Brücken in die Zukunft bauen und uns weiter gemeinsam für einen lebenswerten Planeten für nachkommende Generationen einsetzen. Denn wir brauchen Kompetenzen in diesem Land. Dies sind vorausschauendes Denken, interdisziplinäres Wissen, autonomes Handeln und Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Claudia Lücking-Michel das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Freitagnachmittag, vorletzter Tagesordnungspunkt, und ein Blick auf die Uhr zeigt: Wir haben schon lange nicht mehr fünf vor, sondern weit nach zwölf. Jetzt reden wir über das Thema Nachhaltigkeit, und es ist wichtiger als je zuvor. Das galt schon 1992 bei der UNO-Konferenz. Zum Glück können wir sagen: Seitdem ist viel passiert; aber – darin sind wir uns heute Nachmittag offensichtlich einig – viel bleibt auch noch zu tun. Entscheidend auf dem langen Weg war die Erkenntnis, dass es um Bildung für nachhaltige Entwicklung gehen muss, dass man an dieser Stelle den Hebel ansetzen muss. Wenn die UN-Dekade für nachhaltige Bildung nächste Woche mit einer Konferenz in Bonn zu Ende geht oder wenn wir hier heute Nachmittag schon den vierten Bericht zur Bildung für nachhaltige Entwicklung diskutieren, dann zeigt sich, dass aus dem ursprünglichen Gedanken, dass umwelt- und entwicklungspolitische Bildung zusammengehören, mittlerweile ein umfassendes Konzept geworden ist, ein Konzept, das alle Ressorts, alle Fächer betrifft: Biologie, Chemie, Geografie, Politik. Es betrifft alle formalen und informellen Bildungsorte. Was eigentlich nicht? Von der Idee, ausgediente Telefonzellen als Bücherbox wiederzuverwerten, über Mitarbeiterfortbildung für die Stadtverwaltung einer „fairen Stadt“ bis hin zu den Hochschulen für nachhaltige Entwicklung: Alles ist Bildung für nachhaltige Entwicklung; alles findet sich in diesem Bericht und gehört zum Konzept. Eine Herausforderung will ich benennen. So typisch es für Querschnittsthemen ist, dass sie überall durchdekliniert werden müssen, so liegt auch im Erfolg die Gefahr. Denn wenn alles für BNE wichtig ist, dann müssen wir aufpassen, dass bald nicht alles auch irgendwie gleich unwichtig ist. Wenn wir sagen: „Bildung für nachhaltige Entwicklung wird jetzt zum Qualitätskriterium für gute Bildung überhaupt“, dann ist das richtig. Doch passen wir auf, dass sich das Thema nicht auflöst – und zwar nicht unbedingt in Wohlgefallen. Deswegen drei Anmerkungen zum Bericht an dieser Stelle von meiner Seite: Erstens. Wenn wir in Zukunft mehr erreichen wollen, dann dürfen wir uns nicht im Abstrakten der Konzepte verlieren, sondern müssen aufpassen, dass wir nah bei den Menschen bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU) Wesentlich ist doch die innere Grundhaltung, mit der jeweils geforscht wird, Inhalte entwickelt werden und unterrichtet wird. Ein „Nach mir die Sintflut“ darf es nicht geben. Vielmehr müssen wir die Botschaft durchbuchstabieren, dass jede und jeder Einzelne von uns Verantwortung hat für die Zukunft unserer Welt und die Menschen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es geht um Aufklärung, um Bewusstsein und vor allem um Haltung und Motivation zum Handeln. Zweitens. Um diese Grundhaltung wirklich bei den Menschen zu verankern, müssen wir voneinander wissen. Internet, Facebook und Wikipedia ersetzen doch nicht direkte Begegnungen, gemeinsame Erfahrungen und Reflexion. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Genau so ist es!) Programme wie ENSA für den Schüleraustausch, Service-Lernen mit „weltwärts“, Exposure- und Dialog-Programme oder der Senior Experten Service sind deshalb so wichtig und müssen unbedingt ausgebaut werden. Drittens. Ich appelliere dringend, die erfolgreichen internationalen Projekte, die im Bericht genannt werden, zum Beispiel bei der GIZ, weiterzuführen. Im neuen Weltaktionsprogramm zu Bildung für nachhaltige Entwicklung sollten wir gerade bei der internationalen Zusammenarbeit unseren Schwerpunkt setzen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Bildung für nachhaltige Entwicklung – das müssen wir noch viel stärker im Dialog mit unseren Partnern im Süden verankern. Unsere Partnerländer erwarten da auch einen konsequenten Beitrag Deutschlands. Dafür zum Schluss ein sehr konkretes und hoffentlich anschauliches Beispiel: Cita Mabalylan ist eine philippinische Bäuerin, die ich auf ihrer kleinen Farm auf Min-danao besuchen durfte. Auf dem Weg zu ihr waren wir kilometerlang durch riesige Ananasplantagen gefahren, die direkt bis an ihre Erdnussfelder reichten. Doch sie selbst wusste gar nicht, was sich da draußen abspielte: wie sich die Landschaft verändert hat, was Del Monte alles auf die Felder spritzt und welche Gefahren für ihre eigene Landwirtschaft da lauern. Die Autofahrt vom Flughafen, die für uns das letzte Stück einer Anreise um die halbe Welt gewesen war, war für unsere Gastgeberin länger als alles, was sie bisher in ihrem Leben zurückgelegt hatte. Kaanib, eine Partnerorganisation von Misereor, entwickelte daraufhin für die Bauern ein Konzept für nachhaltige Entwicklung. Der Unterricht begann mit einer Fahrt über Land. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Der Bericht der Bundesregierung zeigt viele überzeugende Erfolge. Aber das Ende der Dekade darf nicht das Ende unserer Anstrengungen sein. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist wichtiger als je zuvor. Dabei müssen wir in Zukunft verstärkt auf internationale Partnerschaften und Perspektiven setzen. Das ist wichtiger als je zuvor. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Oliver Kaczmarek. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Oliver Kaczmarek (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vier Anmerkungen zu Impulsen politischer, insbesondere bildungspolitischer Art machen, die ich der Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ entnehmen kann. Erste Anmerkung. Vorbildliche Bildungsinitiativen – Herr Staatssekretär Müller hat schon darauf hingewiesen – sind als Dekade-Projekte und Dekade-Maßnahmen ausgezeichnet worden, und es sind Dekade-Kommunen ausgezeichnet worden. Sie alle, im Übrigen auch die, die nicht ausgezeichnet wurden, spiegeln den Reichtum des bürgerschaftlichen Engagements in dem Themenfeld der Bildung für nachhaltige Entwicklung wider. Sie haben dazu beigetragen, dass das Anliegen der nachhaltigen Entwicklung nicht in der Theorie verbleibt – ich erinnere hier insbesondere an die Naturschutzverbände –, sondern konkret im Alltag erfahrbar wird. Deswegen stelle ich an den Anfang den Dank für das ehrenamtliche Engagement in diesem Bereich. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN) Zweite Anmerkung. Bildung für nachhaltige Entwicklung soll Orientierung in globalen Krisen geben. Globale Krisen, Klimawandel und andere Dinge, verunsichern die Menschen, weil deren Ursachen nicht in ihrem Alltagsraum zu finden sind. Im lokalen Maßstab und im lokalen Bezugsraum kann deshalb auch Handlungsspielraum aufgezeigt werden. Insofern soll Bildung für nachhaltige Entwicklung auch Orientierung liefern, soll Erklärungen liefern, soll zu Kritikfähigkeit anregen, soll zu konstruktivem Denken und zu Alternativen anregen. Deshalb: Bildung für nachhaltige Entwicklung trägt so zur allgemeinen Persönlichkeitsentwicklung und zur kritischen Urteilsfähigkeit bei. Ich bin froh, dass diese herausragenden Ziele unserer Bildungspolitik in diesem Fall konsequent erreicht werden. (Beifall bei der SPD) Dritte Anmerkung. Der Abschluss der Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ liefert Erkenntnisse und Herausforderungen, die wir bildungspolitisch nutzen können, und zwar im globalen wie auch im nationalen Maßstab. Was den globalen Maßstab angeht, möchte ich darauf hinweisen, dass die Zielsetzungen auf dem Agenda-21-Prozess beruhen. Dort ist im Kapitel 36 die Notwendigkeit einer Neuausrichtung der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung niedergelegt. Hier werden ganz konkrete Ziele aufgeführt, von denen ich zwei benennen will. Dort ist als Ziel beschrieben, dass wir sicherstellen wollen, dass weltweit mindestens 80 Prozent der Jungen und mindestens 80 Prozent der Mädchen im Primarschulalter an Grunderziehung teilhaben. Ebenfalls ist dort festgelegt, dass die Quote der Analphabeten weltweit um 50 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden muss. Das zeigt, dass es hier um ganz elementare Rechte geht. Nach unserem Bildungsverständnis ist das Recht auf Lesen und Schreiben, das Recht auf einen unge-hinderten Schulbesuch für Jungen und Mädchen für Deutschland und die deutsche Politik zentral und universal. Deshalb: Niemand darf vom Besuch der Schule ausgeschlossen werden. Auch das lehrt uns diese Dekade. Das bleibt eine herausragende Aufgabe für Deutschland im globalen Maßstab. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was den nationalen Maßstab angeht, so gibt es hier einige Dinge, die wir aus der Durchführung der Projekte ableiten können. Zwei möchte ich benennen. Die Herausforderung ist: Ja, der Analphabetismus, vor allem der funktionale Analphabetismus, ist auch ein deutsches Phänomen. Wir wissen: Es gibt 7,5 Millionen Betroffene im erwerbsfähigen Alter. Und deswegen ist das, was wir im Koalitionsvertrag niedergeschrieben haben, nämlich eine nationale Alphabetisierungsdekade zu beginnen, die richtige Antwort und ein gutes Zeichen. Wir sollten uns auch in den anstehenden Haushaltsberatungen bemühen, das auszugestalten und endlich damit anzufangen. (Beifall bei der SPD) Die zweite Herausforderung im nationalen Maßstab. Gerade die Umsetzung zeigt – im Bericht der Bundesregierung sind einige interessante Hinweise enthalten –, dass wir in den Bildungseinrichtungen Zeit brauchen, um Themen abseits des standardisierten Kanons, wie er sich in Curricula, Kernlernplänen usw. niederschlägt, einbeziehen zu können. Der Bericht der Bundesregierung hält das auch fest und sagt vollkommen richtig: Deshalb sind Ganztagsschulen ganz besonders wichtig und ganz besonders geeignet. – Ich freue mich, dass der Bericht der Bundesregierung zu Recht die Bedeutung des Investitionsprogramms „Zukunft, Bildung und Betreuung“ aus dem Jahr 2003 hervorhebt, mit dem über 8 000 Ganztagsschulen in Deutschland geschaffen wurden. (Beifall bei der SPD – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Kluge Bundesregierung!) – Ja. – Ganztagsschulen sind ein prägnantes Beispiel dafür, wie Schulen Raum für mehr Lernen und mehr Leben und damit auch für mehr Bildung schaffen. Deswegen müssen wir auf dem Weg weitermachen: quantitativer Ausbau, qualitativer Ausbau. Der Bund hat mit der Unterstützung der Begleitforschung die Möglichkeit, einen substanziellen Beitrag zu leisten, damit wir mehr über Ganztagsschulen wissen. Das sollten wir angehen. (Beifall bei der SPD) Letzte Anmerkung. Man kann viel lernen aus der Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ für die Gestaltung von Bildungsprozessen – das ist die Zielsetzung –, aber auch für Politikentwicklung. Beteiligungsorientierung – viele Akteure sind einbezogen worden, vor allem die ehrenamtlichen –, globale Probleme in Netzwerken lokaler Art aufgreifen, Umsetzung in langen Zeiträumen – nicht kurzatmig –, Dekadenorientierung, Interdisziplinarität: All das sind Dinge, die wir aus der Umsetzung dieser Dekade lernen können. Wenn wir das tatsächlich tun und es lernen, haben wir nicht nur etwas über nachhaltige Bildung, sondern auch etwas über nachhaltige Politik gelernt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Matern von Marschall das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Matern von Marschall (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich als Mitglied im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung diese Debatte heute abschließen darf. Ich möchte, vielleicht durchaus im Einklang mit den Kolleginnen und Kollegen anderer Fraktionen, sagen: Wir sind auf einem guten Weg. Es gibt eine Fülle von Einzelinitiativen. Aber wir sind tatsächlich noch weit davon entfernt, nachhaltige Bildung – bis hinunter in die Länder und Kommunen – systematisch zu etablieren. Das wird eine Aufgabe für die Zukunft sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darüber hinaus – das sage ich als Europapolitiker – brauchen wir nicht nur in Deutschland eine Nachhaltigkeitsstrategie, zu der auch Bildung zählt. Wir brauchen sie insbesondere auf europäischer Ebene. Wir müssen in Europa eine gemeinsame Strategie zur Nachhaltigkeit überhaupt erst einmal entwickeln. Daran werden wir im Parlamentarischen Beirat für Nachhaltigkeit arbeiten, und zwar schon in Kürze. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Einzelinitiativen vor Ort, die sehr viel mit unmittelbarer Erfahrung zu tun haben, ohne die so etwas gar nicht funktionieren kann, sind unglaublich wichtig. Wenn ich die jungen Menschen, wie wir sie hier heute als Zuhörer haben, sehe, dann stelle ich mir eine Schulklasse vor, die eine Streuobstwiese pflegt und später dort Äpfel ernten kann. Wenn man so etwas macht, weiß man, dass man Ressourcen schont, dass man Natur schont und dass man aber auch ein Wirtschaftsgut erzeugt hat. Das sind viele Einzelbeispiele für das, was Nachhaltigkeit ist. Auf der Tribüne sehe ich auch viele Leute, die schöne T-Shirts tragen. Viele Menschen müssen heute aber erst einmal lernen, zu verstehen: Wo kommt das T-Shirt überhaupt her? Unter welchen Bedingungen ist es produziert worden? Was hat die Näherin bekommen? Was hat der Handel bekommen? Was bekommt eigentlich der, der das Label draufdruckt? Das sind ganz wichtige Fragen. Diese Fragen müssen in der Bildung zur nachhaltigen Entwicklung gestellt und beantwortet werden. Denn nur dadurch lernt der Einzelne, persönlich Verantwortung zu übernehmen. Das ist von wesentlicher Bedeutung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte auch sagen, dass der Begriff der Nachhaltigkeit ein Konzept beschreibt, das vielleicht nicht überall das Gleiche ist. Darüber müssen wir sprechen, insbesondere auch mit Blick auf Europa. Ob „durabilité“ und „Nachhaltigkeit“ tatsächlich dasselbe Konzept beschreiben, wird erst herauszufinden sein. Ich könnte mir vorstellen und wünsche mir, dass „Nachhaltigkeit“, vielleicht ähnlich wie „Kindergarten“, ein Lehnwort in anderen europäischen Sprachen wird. Darüber würde ich mich sehr freuen. Ich komme aus Freiburg. Dort planen wir einen oberrheinischen Hochschulverbund mit dem Elsass in Frankreich und der Schweiz. Das ist ein europäisches Projekt. Herr Staatssekretär, ich meine, dass Forschung über das Thema Nachhaltigkeit von größter Bedeutung ist. Vielleicht könnte ein Leistungszentrum für die Forschung über Nachhaltigkeit bei uns in Freiburg aufgebaut werden. Ich komme auf die europäische Ebene zurück. Der Parlamentarische Beirat wird in Kürze nach Brüssel reisen. Wir werden den Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker daran erinnern, dass er im vergangenen Jahr, als Kofi Annan von Bertelsmann den Preis für Nachhaltigkeit erhielt, bei seiner Laudatio Folgendes gesagt hat – ich zitiere es jetzt –: Die schönste … Definition von Nachhaltigkeit … bringt uns nicht weiter, wenn wir Nachhaltigkeit nicht auch politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich und … persönlich umsetzen. … Europa muss bei diesem Prozess voranschreiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In dieser Aussage wollen wir Herrn Juncker bestätigen. Wir wollen ihn aber auch herausfordern. Das wird die Aufgabe sein, die sich der Parlamentarische Beirat für Nachhaltigkeit in diesem Bereich gestellt hat. Das ist ganz wichtig, weil wir in Europa, auch und gerade in Zeiten von Krieg und Terror, das Prinzip der Nachhaltigkeit, welches auch ein Prinzip von Kooperation und Friedlichkeit ist, besonders ernstnehmen müssen und es nicht hinter all die anderen aktuellen, wichtigen und dramatischen Aufgaben hintanstellen dürfen. Denn nur dann haben wir die Möglichkeit, unseren Kindern und Enkelkindern eine Welt zu hinterlassen, in der auch sie die Chance auf ein gelingendes Leben haben. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung auf Drucksache 17/14325 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augsburg), Dr. Frithjof Schmidt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wirtschaftspartnerschaftsabkommen stoppen – Für neue Verhandlungen ohne Druck und Fristen Drucksache 18/2603 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen – Soziale Ungleichheit weltweit überwinden Drucksachen 18/1328, 18/1916 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen – Neustart ohne Drohungen und Fristen Drucksachen 18/1615, 18/2073 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Das ist dann so beschlossen. Damit eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Rednerin Heike Hänsel das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir besprechen heute als letzten Tagesordnungspunkt dieser Woche die großen Zukunftsfragen der Welt und damit eigentlich die wichtigsten Fragen – leider ganz am Ende der Sitzungswoche. Es geht um globale Ziele, die sich die Weltgemeinschaft ab 2015 gemeinsam stecken will, die sogenannten nachhaltigen Entwicklungsziele, auf Englisch: Sustainable Development Goals, allgemein abgekürzt als SDGs. Das sage ich für die Gäste, weil ich mir sicher bin, dass viele noch nicht davon gehört haben. Ein erster Entwurf dieser Ziele wurde im Rahmen der UN-Generalversammlung vorgestellt, die zurzeit tagt. Es geht um 17 nachhaltige Entwicklungsziele. Ganz oben steht natürlich das Ziel, die Armut zu überwinden. Wir müssen die weltweiten Ressourcen schonen, den Klimaschutz vorantreiben und die weltweite Ungleichheit bekämpfen. Es geht um Zielvorgaben, die für die Länder des Südens, aber genauso für die Industrieländer gelten sollen. Wir haben dazu einen Antrag eingebracht, noch vor der Sommerpause, also schon vor einigen Monaten, weil wir über dieses Thema hier im Parlament diskutieren wollten. Die erste Frage, die wir uns stellen müssen, ist die Frage der Partizipation, der Beteiligung. Alle waren sich einig – es gab viele Verlautbarungen der Regierungen –: Ja, wir wollen eine ganz breite Beteiligung, weil es um die Entwicklung unserer Gesellschaften geht. – Ich muss sagen: Wir haben jetzt zwar Ziele vorgelegt bekommen, es kommt auch zu einer Beteiligung; aber wenn ich hier fragen würde, wer schon einmal von den Entwicklungszielen gehört hat, dann würde ich vermutlich erfahren, dass es die wenigsten sind. Das ist ein großer Kritikpunkt. Wenn wir über so wichtige Fragen diskutieren, braucht es viel breitere Diskussionsprozesse und eine ernsthafte Beteiligung der Zivilgesellschaft. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben vorgeschlagen, mit dem Thema in die Schulen, in die Universitäten und in die Kommunen zu gehen. All das wäre wichtig, um einen breiten Diskussionsprozess anzustoßen; denn alle Menschen sind davon betroffen. Es geht um ihren Lebensstil, darum, was sie konsumieren. All das sind wichtige Fragen; wir diskutieren sie mit Schulklassen. Aber es ist doch wichtig, die Beteiligung auch institutionell zu verankern. Ich hätte mir von der Bundesregierung gewünscht, dass sie einen viel breiteren Prozess anstößt, dass sie die Diskussion nicht auf der Ebene der NGOs, der Nichtregierungsorganisationen, belässt – NGOs sind wichtig, aber es sind spezielle Gruppen –, sondern das Thema mehr in die Öffentlichkeit trägt. Ich denke, da muss man mehr machen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gabriela Heinrich [SPD]) Uns geht es, wenn ich mir die Ziele anschaue, vor allem um die Frage der sozialen Ungleichheit; das ist die größte Herausforderung. Wir kennen zum Teil die Zahlen; ich will eine nennen: Die 85 reichsten Personen weltweit besitzen ungefähr so viel wie die Hälfte der Weltbevölkerung. Ich denke, diese Zahl spricht für sich. Deshalb ist unsere große Forderung: Wir müssen den Kampf gegen die soziale Ungleichheit weltweit und auch in unserer eigenen Gesellschaft an die erste Stelle setzen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt einen weiteren Punkt, der mich wundert. Die vorherigen Ziele, die 2015 auslaufenden Millenniumsentwicklungsziele, befassten sich auch mit dem Thema Frieden. Dies wird in den neuen Zielen kaum thematisiert. Wir sehen doch weltweit die Kriege und Krisen; wir wissen ja gar nicht mehr, auf welche Kriegsregion wir zuerst schauen sollen. Deshalb hatten wir von Anfang an gefordert: Die Friedenspolitik muss in die Entwicklungsziele aufgenommen werden. Frieden und Entwicklung sind zwei Seiten einer Medaille. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ganz konkret haben wir gesagt: Es muss um Rüstungsexport, aber auch um Abrüstung gehen. Weltweit werden 1,2 Billionen Euro für Rüstung ausgegeben. Diese können wir doch in Ausgaben für Entwicklung umwidmen. Das ist doch die zentrale Herausforderung. Wir brauchen das Geld für Entwicklung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben noch einen zweiten Antrag eingebracht, den wir gemeinsam mit den Grünen verfasst haben, was ich sehr begrüße. Wir haben ihn vorgelegt, weil nächste Woche, am 1. Oktober, eine Deadline der Europäischen Union endet. Es geht um Handelsfragen, die eine zentrale Rolle spielen, wenn es um die Bekämpfung sozialer Ungleichheiten geht. Viele Menschen engagieren sich momentan sehr dafür, dass das TTIP, das Freihandelsabkommen mit den USA, nicht zustande kommt. Es gibt aber auch andere Wirtschaftsabkommen mit den Ländern des Südens, vor allem mit den afrikanischen Ländern. Die afrikanischen Länder haben sich zwölf Jahre gegen das Ansinnen der Europäischen Union gewehrt, Wirtschaftspartnerschaftsabkommen abzuschließen, da dies für sie große Veränderungen zur Folge hätte: die Öffnung und Liberalisierung ihrer Märkte, gleicher Zugang von EU und afrikanischen Ländern. All das bedroht massiv die Existenz von Kleinbauern und viele Arbeitsplätze. Deswegen haben wir von Anfang an gesagt: Wir wollen diese Form der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen nicht. Wir wollen neue Mandate, durch die die selbstbestimmte Entwicklung in den Ländern gestärkt wird. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der nächsten Woche, am 1. Oktober, läuft die Deadline der EU ab. Die EU hat den verschiedenen afrikanischen Ländergruppen gesagt: Wer bis dahin nicht unterzeichnet hat, für den fällt der zollfreie Zugang zu den Märkten weg. Das betrifft einige Länder, die sich in den letzten Jahren viel aufgebaut haben; konkret ist Kenia zu nennen. Sie gelten in der EU als Mitteleinkommensländer. Falls sie die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen nicht unterschreiben, fällt ab dem 1. Oktober der zollfreie Zugang zu den Märkten weg. Das ist reine EU-Erpressungspolitik, und die lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir fordern, dass der freie Zugang zu den Märkten über den 1. Oktober hinaus aufrechterhalten wird. Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass es in Kenia um 500 000 Arbeitsplätze im Blumensektor geht, die konkret betroffen wären, wenn Zölle auf den Export von Blumen erhoben würden. In erster Linie würde das viele Fairtrade-Blumen betreffen. Diese Strukturen wurden unter anderem durch deutsche Entwicklungsgelder aufgebaut. Wir können als Entwicklungspolitiker doch nicht unterstützen, dass die EU diese Länder erpresst und dass Projekte, die mit deutschen bzw. EU-Entwicklungsgeldern aufgebaut wurden, in ihrer Existenz bedroht werden. Ich bitte die Bundesregierung: Setzen Sie sich dafür ein, dass der zollfreie Zugang für all diese Produkte aus Kenia über den 1. Oktober hinaus erhalten bleibt. Danke. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Tobias Zech. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Tobias Zech (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kon-struktive Kritik ist gut. Sie bewirkt nämlich, dass man sich mit einer Problemstellung intensiv befasst, Vor- und Nachteile untersucht und Lösungsansätze findet. Im Prozess, der sich mit den Millenniumentwicklungszielen befasst, wird genau das gemacht. Blicken wir zurück: Bei dem Treffen im Jahr 2000 konnten sich hochrangige Vertreter von 189 Ländern auf acht internationale Entwicklungsziele einigen. Das ist ein erster Erfolg, wenn man überlegt, wie divers die Staatenwelt ist. Die Einfachheit, die Praktikabilität und die Fokussierung des Katalogs machte es den Staats- und Regierungschefs möglich, sich mit den entsprechenden Themen auseinanderzusetzen. Heute, kurz vor Ablauf der Frist, können wir einige Erfolge verzeichnen: Der Anteil der in absoluter Armut lebenden Menschen an der Weltbevölkerung hat sich halbiert. Nur noch 14,9 Prozent statt 23,2 Prozent der Menschen sind unterernährt. Wir konnten den Anteil der Müttersterblichkeit radikal senken. Immer mehr Kinder haben die Möglichkeit, eine ordentliche Grundschulausbildung zu erhalten. – Trotz dieser beachtlichen Erfolge bestehen weiterhin zahlreiche Herausforderungen. Die MDGs werden bis 2015 nicht erfüllt sein. Wir bzw. die Staatengemeinschaft haben konstruktive Kritik geübt. Das neue internationale Rahmenwerk soll drei maßgebliche Neuausrichtungen beinhalten: Erstens. Es soll eine universelle Gültigkeit beinhalten, das heißt, dass sich nicht nur der Süden, sondern auch der Norden anpassen muss. Zweitens. Globale Partnerschaften bedeuten auch, als gleichberechtigte Partner aufzutreten; es ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Drittens. Da wir in einer Welt leben, ist die Entscheidung, die Beschlüsse des Rio+20-Gipfels in den Post-MDG-Prozess zu integrieren, wegweisend. Das ist notwendig, um sich den Herausforderungen stellen zu können. Ich begrüße, dass die Themen soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, ökonomische Entwicklung, gute Regierungsführung sowie Friedens- und Sicherheitsfragen aufgenommen wurden; denn das sind wichtige Rahmenbedingungen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit dem im Februar veröffentlichten Eckpunktepapier unterstreicht die Bundesregierung ihr Engagement und setzt vier Schwerpunkte. Auch der Mitte Juli veröffentlichte Entwurf der international besetzten offenen Arbeitsgruppe, in der Staatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer Deutschland vertritt, schließt sich dieser Richtung an. Noch einmal: Der Post-MDG-Prozess ist ein erfolgreicher Prozess. Er beleuchtet kritisch den bestehenden Zielkatalog und plädiert für einen Paradigmenwechsel. In der Verknüpfung der beiden Prozesse liegt eine große Chance: Nachhaltige Entwicklung kann wirksamer als bisher vorangetrieben und umgesetzt werden. Von konstruktiver Kritik kann man bei dem Antrag der Linken leider nicht komplett sprechen, Frau Hänsel. Ich sehe in manchen Punkten eher ein bloßes Querschießen. Man merkt die Zerrissenheit in Ihrer Fraktion beim Thema Entwicklungspolitik. Eine konkludente Linie kann ich nicht erkennen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das stimmt!) Ich will Ihnen das an ein paar Beispielen klarmachen: Sie fordern zum einen die Aufgabe des unilateralen Good-Governance-Konzeptes. An einem Punkt haben Sie ja recht: Das Ideal wäre die Rechtfertigung durch das eigene Volk. Wir erleben aber immer öfter Staaten – let’s face reality –, in denen Korruption eben nicht nur in Teilen der Regierung bzw. der Administration eine Rolle spielt, sondern in denen sich Regierung und Administration quasi nur durch Korruption am Leben halten. Schauen Sie einmal in die Ukraine. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Venezuela! Kuba! Bolivien! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Schauen Sie sich einmal Siemens in Griechenland an!) Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Ukraine hat sich in den letzten 15 Jahren entwickelt. Unser Ziel eines Good Governance ist für die Menschen vor Ort eine notwendige Voraussetzung, um Rechtsstaatlichkeit zu schaffen. Mit Rechtsstaatlichkeit wird Sicherheit geschaffen; diesbezüglich widersprechen Sie sich in Ihrem Antrag. Mit Rechtsstaatlichkeit wird für den Schutz von Minderheiten gesorgt, auch für den Schutz von Frauenrechten, den Sie fordern. Somit ist Good Governance für uns nicht nur etwas, was auf den Prüfstand zu stellen ist. Good Governance ist für uns viel mehr. Ich halte Good Governance für einen ganz wichtigen Punkt in unserer Entwicklungsarbeit. Es geht um Fördern und Fordern, wie in Afghanistan; das BMZ und Minister Müller machen es uns vor. Ich denke, diesbezüglich sind wir auf dem richtigen Weg. Das sollten wir auf jeden Fall nicht aufgeben. Sie fordern zum anderen die Entmilitarisierung der internationalen Politik und der Entwicklungspolitik. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Schauen wir uns die Weltlage an: Boko Haram in Afrika und ISIS. Angesichts dessen ist es schon sehr zynisch, hier an einem Freitagnachmittag zu sagen: Passt mal auf, wir liefern euch Hygieneartikel, Medikamente und etwas zu essen. Dann seid ihr, wenn die ISIS kommt, wenigstens satt und gesund, bevor sie euch erschießen. – Das ist zynisch. Das ist keine Entwicklungspolitik. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht denn das bitte? Nennen Sie doch mal die Quelle! Wo steht das? Wo haben Sie die Informationen her? Ein bisschen mehr Sachlichkeit!) – Herr Kekeritz, bitte? (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das? Wo haben Sie die Informationen her?) – Welche Informationen? (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Zitat, das Sie gerade bringen!) – Das ist von mir. Herr Kekeritz, das Zitat ist von mir. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also kritisieren Sie sich selber!) – Nein, ich kritisiere die Entmilitarisierung der Entwicklungspolitik. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist sehr abenteuerlich!) Das wird nicht funktionieren. Herr Kekeritz, Sie müssen erst Sicherheit haben. Ohne Sicherheit können Sie keine Entwicklungspolitik machen. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: So ist es!) Deswegen ist die Forderung nach einer kompletten Entmilitarisierung nicht realistisch. Das wird nicht funktionieren. Sie müssen natürlich auch militärisch Sicherheit herstellen können. Sie müssen die Menschen schützen können. Danach können Sie Entwicklungspolitik betreiben. Das wollte ich sagen. Ich denke, diesbezüglich sollten wir letztlich einer Meinung sein. Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, die Abschaffung von Warentermingeschäften. Auch hierzu gibt es unterschiedliche Meinungen. Ich denke, dass wir uns hinsichtlich der Warentermingeschäfte in einem Punkt einig sind: Wir müssen sie regulieren und überwachen. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Dann machen Sie es doch mal!) Wir haben aber auch festgestellt, dass Warentermingeschäfte eine Absicherung sind. Das wird deutlich, wenn Sie sich jetzt die Situation infolge der Ebolakatastrophe in Afrika anschauen. Das gilt aber auch für Naturkatastrophen und schlechte Ernten. Warentermingeschäfte sind eine Absicherung nicht nur für die Anbauer, sondern auch für die Weiterverarbeiter, für alle, die an der Wertschöpfung beteiligt sind, und für die Konsumenten. Zum letzten Punkt: Öffentlichkeit und die Kommunikation des Postagendaprozesses. Wir haben die von Minister Müller angestoßene „Zukunftscharta EINEWELT – Unsere Verantwortung“. Das ist, glaube ich, ein sehr gutes Kommunikationstool. Das Projekt verankert bei jedem Einzelnen das Bewusstsein, dass man für die Zukunft der Welt mitverantwortlich ist. Angefangen als Vision haben zahlreiche Menschen die Aufforderung angenommen, und wir haben auch schon mehrere Kommunikationsprozesse gestartet und Dialoge begonnen. Das BMZ spricht sich mit diesem Projekt für starke Multiakteurspartnerschaften zwischen Regierungen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Privatwirtschaft aus, oder wie auf einer der eingeschickten sogenannten Zukunftspostkarten steht: Jeder ist Entwicklungshelfer. Natürlich kann es immer mehr sein. Daher lautet meine Aufforderung an alle, jetzt die erste schriftliche Zusammenfassung des bisherigen Dialogs zur Zukunfts-charta zu kommentieren. Auf einer der sogenannten Zukunftspostkarten, die an das BMZ im Rahmen des Projekts Zukunftscharta gesendet wurden, zitiert der Absender den Autor Stefan Zweig: Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern. Das zeigt besonders schön: Die Debatte ist in der Öffentlichkeit angekommen, und – das ist noch wichtiger – das Bewusstsein, selbst etwas zu tun, selbst etwas zu den SDGs beizutragen, besteht bereits in zahlreichen Köpfen. Partnerschaften zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und das Engagement Einzelner können Veränderungen schaffen. Aber auch hier, im Post-2015-Prozess, gilt: In erster Linie ist es Aufgabe der Staaten bzw. der Staatengemeinschaft, menschenwürdige Lebensbedingungen zu schaffen und globale öffentliche Güter zu schützen. Mit dem nächsten Rahmenwerk muss die Staatengemeinschaft dazu verpflichtet werden, sich der drei großen Herausforderungen Klimaschutz, Welternährung und Frieden anzunehmen. Das ist eine Chance, eine Chance, die wir nicht verspielen sollten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Uwe Kekeritz. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Zech, Franz Josef Strauß konnte das definitiv besser. In der Rhetorik hat er ganz oft eines gemacht: Er hat sich selbst ganz dumme Argumente zusammengebastelt, dann hat er sie dem politischen Gegner zugeordnet, und dann war die Widerlegung dieses Arguments einfach souverän. (Tobias Zech [CDU/CSU]: Haben Sie denn den Antrag gelesen, Herr Kekeritz?) Wir erinnern uns an die Argumentation von 1980, Franz Josef Strauß gegen Helmut Schmidt: Wer glaubt, dass der Strom aus der Steckdose kommt, der soll SPD und FDP wählen. Wer glaubt, dass die Russen uns besser beschützen als die Amerikaner, der soll SPD und FDP wählen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Das war 1980. Über solch eine Rhetorik sollten wir in diesem Hause hinwegkommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Tobias Zech [CDU/CSU]: Dann sollten Sie auch den Antrag lesen, Herr Kekeritz!) Frau Hänsel hat schon sehr viel zum Thema SDG gesagt. Wir haben hier ein ganz gravierendes Problem. Die Industrienationen haben nicht kapiert, dass die SDGs selbstverständlich auch für sie selbst gelten, also auch für Deutschland. Wenn sich die ökonomisch starken -Nationen nicht endlich wesentlich engagierter für eine nachhaltige, sozial gerechte und friedenspolitisch ausgleichende Entwicklung einsetzen, werden wir weiter dazu beitragen, Armut in der Welt zu verbreiten, Länder zu destabilisieren, das Klima zu schädigen und Kriege zu fördern. Darum lautet meine Frage an die gesamte Regierung, aber insbesondere an das Entwicklungsministerium: Wann fängt das Entwicklungsministerium endlich an, die Öffentlichkeit über diesen Prozess zu informieren? Wir brauchen eine breite Beteiligung; sonst wird das nichts. Mein Eindruck ist, dass Sie das Thema am liebsten totschweigen würden. Irgendwann ist das Jahr 2015 vorbei, und dann schläft alles ein. Wir müssen hier in Europa, in Deutschland unsere Verhältnisse ändern, um die Lage der Menschen in den Entwicklungsländern zu verbessern. Wir leben hier nicht auf einer Insel. Es geht ums Ganze: Es geht um den Globus, und es geht darum, global zu denken. Sie glauben es nicht: Es geht auch darum, endlich konsequent national zu handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir brauchen eine andere Landwirtschafts- und Klimapolitik, eine ehrliche Menschenrechts- und Friedenspolitik sowie neue globale Finanzstrukturen. Wir brauchen natürlich auch eine bewusste und fortschrittliche Energiepolitik, deren Ziel nicht sein darf, die Entwicklung der erneuerbaren Energien zu bremsen. Darauf sind Sie spezialisiert. Wir brauchen aber auch eine ganz andere Handelspolitik; denn unsere Handelspolitik behindert schon seit vielen Jahren die Entwicklung von Entwicklungsländern. Das gilt in einem ganz besonderen Maße natürlich auch für die EPAs, die Abkommen zwischen Europa und den afrikanischen Ländern. Früher ist Europa noch davon ausgegangen, dass man den afrikanischen Ländern einen begünstigten Zugang zum europäischen Markt gewähren muss. Man sagte damals: Das hilft ihnen bei ihrer Entwicklung. Diese Überzeugung hat Europa verloren. Man sagt jetzt: Diese Privilegien sollen nur noch die allerärmsten Länder haben. Die bereits entwickelten Länder – auch die nur ein bisschen entwickelten Länder – sollen sie nicht mehr haben. Für die EU bleibt alles beim Alten; für die Entwicklungsländer in Afrika soll sich allerdings vieles ändern. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Wird ja auch Zeit!) Sie sollen vor allen Dingen auf Import- und Exportsteuern verzichten. Der Markt soll liberalisiert und weitgehend privatisiert werden, und er soll sich für unsere Industrieprodukte völlig öffnen. Die afrikanischen Länder haben sich zu Recht, wie Frau Hänsel ausgeführt hat, zwölf Jahre lang dagegen gewehrt. Stärke hat auch diesen Widerstand gebrochen. Die Position der EU war: Entweder ihr unterschreibt, oder ihr verliert eure Privilegien auf dem europäischen Markt. – Das ist nichts anderes als knallharte Erpressung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sauerei!) Die Länder sind nun einmal von den Exporten finanziell abhängig. Die Blumen in Kenia wurden genannt; es geht aber natürlich auch um Bananen und andere Sachen. Die Europäische Union hat mit ihrer Politik einen enormen politischen Druck aufgebaut, und schließlich haben die Länder kapituliert. Letztlich kommt der Vertrag auch einem Deindustrialisierungsprogramm gleich. In einigen afrikanischen Ländern gibt es so etwas wie eine positive kleine Industrialisierung. Ab jetzt müssen sich die Produkte, die in Afrika produziert werden, mit den europäischen Produkten messen. Sie stehen in Konkurrenz zueinander, und ich kann Ihnen sagen, wie das Spiel ausgehen wird: Die afrikanischen Produkte haben keine Chance gegen die europäischen. Es muss jedem von uns klar sein: Ein kleiner Betrieb, der sich dort entwickelt, enthält immer auch einen Keim für eine positive Entwicklung. Dieser Vertrag greift diesen Keim ganz enorm an. Unter diesem Aspekt wird natürlich deutlich, warum die Entwicklungspolitik in der Öffentlichkeit so negativ gesehen wird. Herr Silberhorn, vielleicht sagen Sie das auch Ihrem Minister: Die Öffentlichkeit ist immer mehr der Ansicht, dass die Entwicklungspolitik nur eine Alibifunktion übernimmt. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Was für ein Quatsch! Genau das Gegenteil ist der Fall, Herr Kollege!) – Das ist doch nicht wahr. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Daran haben wir doch gemeinsam gearbeitet!) Das weiß zum Beispiel auch die EU, die einen Ausgleich für den Verlust der Exportsteuer leistet: 5 Milliarden Euro sollen innerhalb von fünf Jahren gezahlt werden. Das ist nichts anderes als eine Subventionierung der Importindustrie hier in Europa. Der deutsche Steuerzahler – auch der europäische – wird quasi zum Subventionierer der Importeure von afrikanischen Rohstoffen. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Das ist nicht haltbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Lieber Herr Kollege, da Sie auf das Warnlicht nicht reagieren, muss ich Sie ermahnen, zum Schluss zu kommen. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das reicht auch!) Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin gleich am Schluss. – Wir stellen uns deswegen ganz konkret gegen die EPAs und fordern von der EU, dass diese Verhandlungen gestoppt werden. Das ist der Auftrag an die deutsche Regierung, sich dafür einzusetzen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Dr. Bärbel Kofler. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Bärbel Kofler (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute zwei Themen von großer Bedeutung; das ist schon angesprochen worden. Ich möchte mich den Worten der ersten Rednerin anschließen: Beide Themen wären es wert, ausführlicher debattiert zu werden und dafür mehr Raum in diesem Haus und vielleicht auch eine andere Zeit zu finden. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte mich vorrangig auf das Thema Sustainable Development Goals, auf die Nachhaltigkeitsziele, konzentrieren. Der Kollege Sascha Raabe wird später noch zu den EPAs, den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, Stellung nehmen. Es ist angesprochen worden – das finde ich an dieser Stelle besonders wichtig –, dass es bei den Nachhaltigkeitszielen um universelle Ziele geht. Ich glaube, das müssen wir alle uns klarmachen, in der Politik, aber auch in der Gesellschaft. Anders als bei den Entwicklungszielen geht es nicht darum, was sich alles in den Entwicklungsländern verändern muss, sondern darum, wie wir unser Verhalten ändern müssen, um weltweit armutsbekämpfend, armutsreduzierend und entwicklungsfördernd zu sein. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Darum, glaube ich, müssen wir ringen. Vorgestern wurde von der UN-Generalversammlung ein erster Entwurf vorgelegt, der 17 Hauptziele und 169 Unterziele enthält. Auf einige dieser, wie ich finde, sehr spannenden Ziele möchte ich noch eingehen. Ich glaube aber, dass es jetzt unsere politische Aufgabe ist, diese Ziele zu bewerten und herauszufinden, was wir als Deutscher Bundestag, als Parlamentarier voranbringen wollen. Welche Ziele wollen wir in dem politischen Prozess, der sich in einem Jahr anschließt, als unsere wichtigsten Ziele zur Veränderung der Weltgemeinschaft ansehen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dafür brauchen wir auch weltweit Verbündete. Darüber entscheidet ja nicht allein der Bundestag, darüber entscheiden nicht allein wir in Deutschland, sondern darüber entscheiden wir gemeinsam mit den anderen Europäern; denn Europa spricht auf Ebene der UN mit einer Stimme. Wir brauchen also die anderen europäischen Partner. Wir brauchen aber auch Verbündete aus den Ländern des Südens; denn die Ziele, die mir persönlich, meiner Fraktion oder uns gemeinsam wichtig sind, sind keineswegs auf der ganzen Welt als besonders wichtige Ziele anerkannt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dafür müssen wir kämpfen. Darum muss es gehen. Ich möchte ein Ziel aus dem Entwurf herausgreifen, das Ziel 8 „Nachhaltiges Wachstum, Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit“. Dabei geht es darum, was wir verändern, darum, dass wir überlegen, was wir dazu beitragen wollen. Das ist durchaus auch eine Frage, die den Handel betrifft. Dazu passt das Thema EPAs, das Sascha Raabe noch ansprechen wird. Es geht darum, wie wir Lieferketten gestalten, wie wir verbindliche Regeln aufstellen, wie Arbeitsbedingungen bei uns gestaltet sind. Aber es geht natürlich auch darum, dass andere Länder zu einem Arbeitsrecht kommen, das Menschenrechtsverletzungen gar nicht erst ermöglicht. Es sind weltweite Prozesse, mit denen wir zur Stärkung der Arbeitsrechte der Menschen beitragen müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Weil ich sehr wohl glaube, dass Entwicklungspolitik dazu einen Beitrag leisten kann und soll, werden wir als Koalitionsfraktionen in der nächsten Sitzungswoche einen Antrag zum Thema „Gute Arbeit weltweit“ vorlegen. Ich glaube, es ist ein guter Antrag, der einen ersten Aufschlag zu diesem wichtigen Thema darstellt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden uns im Rahmen der SDGs auch mit der Unterschiedlichkeit der Nationen beschäftigen müssen; das ist wichtig, um alle Länder ins Boot zu holen. Das Ziel 10 schlägt vor, sich mit dem Thema „Ungleichheit zwischen den Ländern“ auseinanderzusetzen. Das hat auch viel mit Fragen der Sicherheit und des Friedens zu tun. Auf der einen Seite geht es darum, wie man bei fragilen Staaten überhaupt Staatlichkeit aufbauen, zivile Prozesse fördern, Verwaltungen aufbauen und zu einem Mindestmaß an Sicherheit beitragen kann, zum Beispiel im Sinne von Polizeiaufbau, aber auch im Sinne von Korruptionsbekämpfung, wenn es um die Frage der Gehälter von Sicherheitskräften geht. Auf der anderen Seite müssen wir unser Verhalten anschauen und uns fragen: Wofür sind wir denn verantwortlich? Das Stichwort „Klima“ ist an der Stelle sicher ein ganz entscheidender Punkt. Welche gewachsene historische Verantwortung haben wir für die Länder des Südens? Diese können für viele Veränderungen schlicht nichts. Dafür sind wir verantwortlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Besonders wichtig bei diesem Ziel, die Ungleichheit zwischen den Ländern zu verringern, finde ich einen Unterpunkt, den wir uns einmal genau anschauen müssen. Da geht es um die Regulierung der Finanzmärkte, ein ganz spannendes Thema. Wie bekommt man Zugang zu vernünftigem Kapital, um Investitionen voranzubringen? Wie verhindert man das, was wir in den letzten Jahren mit einer Krise nach der anderen erlebt haben? Das hat sich ja besonders auf die Entwicklungsländer ausgewirkt. Machen wir uns nichts vor! Für diese Länder ist die Möglichkeit, sich zu refinanzieren, massiv zurückgegangen. Das sind doch ganz entscheidende Punkte, die hier zu diskutieren sind. Dafür müssen wir in der Weltgemeinschaft um Verbündete werben. Darum geht es, glaube ich, in dem Prozess im nächsten Jahr, in dem wir einiges voranbringen wollen. Im November wird der sogenannte Synthesebericht der UN erscheinen, in dem die Zielvorgaben, die ich gerade angesprochen habe, mit den Finanzfragen – dazu hat sich auch eine Expertengruppe gebildet – in einem Bericht zusammengeführt werden. Auf der Basis dieses Berichts werden wir gemeinsam einen Antrag formulieren, der einen Beitrag dazu leisten soll, klare politische Vorgaben zu machen, was die deutsche Regierung unserer Ansicht nach in diesem Prozess tun soll. Ich möchte noch etwas sagen. Ich erkenne in dem Antrag der Linken viele überlegenswerte und spannende Forderungen. Aber es geht um den SDG-Prozess und – mit Verlaub – nicht um ein Ich-wünsch-mir-was-Konzert. Auch ich kann mir viele Dinge vorstellen, die Sie angesprochen haben und die richtig und gut sind. Aber in diesen ohnehin schon schwierigen Prozess auch noch die Forderung nach einer Reform der UN und anderer Institutionen zu integrieren, überfrachtet diesen Prozess; es tut mir wirklich leid, das so zu sagen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich sehe, ich muss zum Ende meiner Rede kommen. – Es fehlt bei diesem Prozess einiges. Es geht um Umsetzungspläne. Es geht um Überprüfungsmechanismen. Es geht auch um die Finanzierungsfrage. Es geht um den Beitrag der Gebernationen, aber auch um die Fragen „Kapitalflucht verhindern“ und „Steueroasen austrocknen“, um die Frage „Aufbau eines funktionierenden Steuersystems“, damit die Länder des Südens eine Chance haben, sich nicht nur über Zölle zu finanzieren, sondern über reale Steuereinnahmen. Damit schließt sich der Kreis zum Thema EPAs, das ich durchaus kritisch sehe und bei dem ich viele kritische Punkte in dem vorgelegten Antrag nachvollziehen kann. Eine Bemerkung ganz zum Schluss. Ich wünsche mir wirklich, dass wir speziell im Fall Kenia – das ist das einzige Land, dessen Waren ab dem 1. Oktober 2014 von Zöllen betroffen sein werden – zu einer konstruktiven Lösung kommen würden. Dass wir den fairen Handel von Blumen mit Zöllen blockieren, ist einfach nicht hinnehmbar. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Frank Heinrich. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Anfang ein Dank an die Opposition für die Anträge, in diesem Fall für das zweite Thema, das wir hier diskutieren. Ein Dank für das erste Thema ist hier schon ausgesprochen worden. Es wird hier viel von Abkürzungen die Rede sein: von den SDGs und den MDGs. Sie, das Publikum, müssen sich wundern, was wir hier alles behandeln. Vorher ging es um die Millennium Development Goals, jetzt aber geht es um die EPAs und die WPAs, das eine ist der deutsche, das andere der englische Begriff für Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Die Vertreter der Opposition haben hier ihre Sorge zum Ausdruck gebracht. Diese Sorge teilen wir. Das haben wir auch in dem Antrag, der sich auf den Europa-Afrika-Gipfel bezog, sehr deutlich gemacht. Aber es geht, wie mein Kollege Zech vorhin gesagt hat, um eine konstruktive Auseinandersetzung. Hin und wieder ging Ihr Antrag – ich weiß nicht, wer ihn alles gelesen hat – über Konstruktives hinaus. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Nein! -Niemals!) Wenn in dem Antrag nicht nur in der Überschrift von Drohungen und Fristen die Rede ist – ich verstehe Ihr Anliegen –, sondern auch im Text selber laufend „es droht“, „es ist zu befürchten“ und „große Gefahr“ zu lesen ist, dann fällt es mir schwer, Ihnen zu glauben. Es geht uns genauso wie Ihnen – diese Zusammenarbeit soll schließlich eine Zukunft haben – darum, Inhalte zu teilen, zum Beispiel nachhaltige Entwicklung, die Beteiligung von Zivilgesellschaften, gerechte Handelsregeln, die Exportdumping verhindern und gleichzeitig Produkten aus Entwicklungsländern faire Absatzchancen gewähren, industrielle Wertschöpfung – man muss ehrlich sein: das muss am Schluss möglich sein, da wie hier –, regionale Integration – all das haben Sie in dem Antrag beziffert –, einen Überwachungsmechanismus zu den Auswirkungen dieser WPAs und – da bin ich Menschenrechtler, nicht nur in diesem Ausschuss – eine kontinuierliche Beobachtung der Einhaltung der Menschenrechte, die davon betroffen sind. Da haben wir garantiert noch eine Menge Arbeit vor uns. Ich denke, da sind wir uns einig. Das ist, wie gerade genannt, auch in anderen Anträgen in diesem Umfeld und in dem Antrag, den Frau Kofler angekündigt hat, zu lesen. Diese Punkte stehen als solches nicht zur Debatte, aber diese Werte sind uns genauso wichtig wie Ihnen. Sie befürchten aber, dass sie abhandenkommen könnten. Für diese Werte setzt sich zum Beispiel auch die Bundesregierung ein. Vorgestern war in einem Drahtbericht der AKP-Ratsarbeitsgruppe – das ist wieder eine Abkürzung; es geht dabei um Staaten in Afrika, der Karibik und dem Pazifik  – einmal mehr nachzulesen: Die Auseinandersetzung um diese Partnerschaftsabkommen ist eine Auseinandersetzung um die wirtschaftspolitische Ordnung weltweit. Was wollen wir denn? Möglicherweise stehen heute noch mehr Fragen als Antworten im Raum. Wollen wir partnerschaftliche Zusammenarbeit oder Bevormundung, die Sie immer relativ schnell dahinter vermuten? Wollen wir freien Handel in einem rechtssicheren Kontext oder Protektionismus, wie es ihn früher gab? Müssen wir die Kleinen, wie es oft heißt, vor den Großen schützen? Im Antrag von Linken und Grünen heißt es – ich zitiere –: Die EU war … zu einigen Zugeständnissen hinsichtlich der Importzölle und Exportsteuern bereit … Sehr gut. Gleichwohl steht zu befürchten, – da kommt wieder einmal dieses Wort im Antrag vor – dass die EPAs in vielen Bereichen zu massiven Verschlechterungen für Kleinproduzenten im Agrar- und Industriebereich führen, die nun nicht mehr durch Importbeschränkungen vor der übermächtigen Konkurrenz durch europäische Agrarunternehmen geschützt werden können. Die betroffenen Middle-Income Countries haben es in den letzten Jahren geschafft, dort hinzukommen, wo sie jetzt sind. Ihnen jetzt zu unterstellen, dass das alles verloren geht, und sie wieder ein Stück zu entmündigen, nur weil wir sie auf einmal ernster nehmen als vorher – denn darum geht es –, halte ich für falsch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Heinrich, lassen Sie eine Zwischenfrage von Frau Hänsel zu? Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Im Moment nicht, vielleicht später. Ich möchte noch diesen Gedanken zu Ende führen. – Das sind nämlich die gleichen Ängste, die Sie vorhin ganz moderat angekündigt haben, wie zum Beispiel TTIP gegenüber, häufig aus der Feder von Kritikern des sogenannten Neoliberalismus und der Globalisierung im Allgemeinen. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Die keine -Ahnung haben!) Ich glaube, dass Entwicklungszusammenarbeit im 21. Jahrhundert nicht mehr nur von Feindbildern bestimmt sein darf und dass es schon gar kein Gefälle bei den Partnern untereinander geben darf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Eine gleichberechtige Partnerschaft auf Augenhöhe ist nämlich das, was die Globalisierungskritiker im selben Atemzug fordern, und zwar, finde ich, zu Recht. Auch die meisten AKP-Staaten beanspruchen mehr und mehr Ownership für sich. Ich war gestern bei der Botschafterin eines dieser Middle-Income-Länder. Sie sagte mir sehr deutlich: Wir sind sehr stolz auf das, was wir jetzt sind und wo wir jetzt sind, auch wenn wir uns nun Sorgen machen. Damit meinte sie aber nicht den Vertrag, sondern sie fürchtet, dass das bisher Erreichte ohne Entwicklungszusammenarbeit nicht erhalten und fortgeführt werden kann. Es ging ihr aber nicht darum, etwas einzufordern. Die Leitfragen müssten sein: Wie wird Handel fair? Was nützt beiden Partnern? Wie können wir verbindlich international anerkannte Mindeststandards so durchsetzen, dass sie auch befolgt werden? Mein Kollege hat es angesprochen – da wurde die Debatte ein bisschen lebhafter –: Das gilt auch dort, wo Korruption mehr als nur ein bisschen im Raum steht. Wie kann die Rolle des Privatsektors zugunsten nachhaltiger Entwicklung stärker werden? Wie wird Rechtssicherheit für nichtstaatliche Akteure hergestellt? Entsprechende Mängel in einigen dieser Länder bemitleiden wir Menschenrechtler oft. Schließlich geht es aber auch um die Frage: Wie kommen Verhandlungen in absehbarer Zeit zu einem Ende, insbesondere wenn Player wie China schnell und zu für die Partner langfristig nicht gerade positiven Bedingungen Verträge aushandeln und diese Länder dann unter den negativen Bedingungen tatsächlich mehr leiden, als Sie es in Ihrem Antrag befürchten? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Entgegen der Darstellung in den Anträgen gibt es auch einige positive Entwicklungen im Zusammenhang mit solchen WPAs. Das wird in Ihren Anträgen nicht dargestellt; ich finde, auch das gehört zu einer objektiven Darstellung. Dazu gehört zum Beispiel das Abkommen mit der Karibik, das bereits im fünften Jahr Anwendung findet. Eine Studie zu den Auswirkungen ist für diese Tage angekündigt. Vielleicht gibt sie uns Antworten auf einige der Fragen, die ich gerade genannt habe und die darüber hinaus noch im Raum stehen. Es ist wichtig, die Implementierung dieser Abkommen eng zu begleiten – darin sind wir ganz nah bei Ihnen – und genau zu beobachten. Das will ich, und das wollen wir als Koalition. Gleichwohl bewerten wir die Chancen und Potenziale, die von den WPAs ausgehen, deutlich anders, als Sie es mit Ihren Drohungen hinsichtlich der Risiken tun. Daher liegt uns eine Ablehnung Ihres Antrags nahe. Darüber wundern Sie sich wahrscheinlich nicht, auch wenn wir sehr wohl – das möchte ich abschließend sagen – an vielen Stellen Verbesserungsbedarf sehen, gerne konstruktiv diskutieren und die konstruktive Auseinandersetzung auch brauchen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Bevor ich dem Kollegen Sascha Raabe das Wort gebe, erhält die Kollegin Hänsel die Gelegenheit zu einer Kurzintervention. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Bitte kurz, weil die Züge gehen, Frau Kollegin!) Heike Hänsel (DIE LINKE): Danke, Frau Präsidentin. – Ich weiß, dass wir alle schnell nach Hause wollen. Deshalb fasse ich mich ganz kurz. Aber eine Sache kann ich nicht auf sich beruhen lassen, lieber Kollege Heinrich. Sie haben gesagt, es sei unsere Befürchtung, dass die heimischen Produkte in vielen Ländern mit den Importen aus der Europäischen Union nicht konkurrieren könnten. Erstens gibt es schon zahlreiche Erfahrungen in vielen westafrikanischen Staaten, die mit Produkten aus der Europäischen Union wie Hähnchenfleisch und Tomaten überschwemmt werden und sich mit einem Kleinbauernproblem konfrontiert sehen. Zweitens gibt es viele Briefe und Appelle gerade aus den westafrikanischen Staaten. Die dortigen Wirtschaftsverbände, Kirchen und Gewerkschaften schreiben uns Abgeordneten und an die Europäische Union und bitten darum, nicht so eine breite Liberalisierung zuzulassen. Diese Staaten, die sich gerade aus der Armut herausgekämpft und eigene Strukturen aufgebaut haben – vor allem geprägt durch Kleinunternehmen –, sollen nun in Konkurrenz zur übermächtigen Europäischen Union treten. Damit verhält es sich so, als ob Sie einen Porsche und ein Fahrrad nebeneinander stellen und sagen: Nun machen wir ein 100-Meter-Wettrennen. – Das sind keine gerechten Bedingungen. Haben Sie denn gar keinen Brief aus diesen Ländern gelesen und die Appelle aus den dortigen Zivilgesellschaften, dass wir so keinen Wettbewerb organisieren können, nicht wahrgenommen? Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Heinrich. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Ich will die Antwort ganz kurz halten. Ich werde meine Rede nicht noch einmal halten, obwohl Sie, Frau Hänsel, zum großen Teil das wiederholt haben, was Sie vorhin in Ihrer Rede gesagt haben. Wir bewerten die Briefe, die wir bekommen, im Hinblick auf die Chancen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Chancen, die wir Europäer haben. Unsere Gewichtung liegt vielleicht bei etwa 60 zu 40. Ja, wir nehmen diese Briefe und Appelle wahr. Trotzdem kommen wir nach Abwägung von Risiken und Chancen zu einem anderen Ergebnis. Möglicherweise müssen wir je nach Land – ich nenne als Beispiel Kenia – unterschiedlich reagieren. Wir sehen jedenfalls in der Ablehnung Ihres Antrages eine ganz andere Bewertung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt hat der Kollege Sascha Raabe das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Sascha Raabe (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir in der heutigen Debatte über beide Aspekte diskutieren. Natürlich haben die SDGs sehr viel mit einem gerechten Handel zu tun. Es wird nur möglich sein, eines der übergeordneten Ziele der SDGs bis 2030 zu erreichen, nämlich Hunger und extreme Armut zu beseitigen, wenn die derzeit vorherrschenden Handelsbedingungen verändert werden, wenn die Industriestaaten nicht mehr mit Agrarexportdumping die Märkte in den Entwicklungsländern stören und – darauf hat Frau Kofler hingewiesen – wenn die Aktivitäten von mit Geldern der Entwicklungszusammenarbeit aufgebauten guten und fairen Handelsunternehmen beispielsweise im Blumenbereich nicht konterkariert werden. Wir müssen uns um eine gerechte Gestaltung der Globalisierung bemühen. Manche werden sich erinnern, dass die ersten EPAs vor über zehn Jahren diskutiert wurden. Sicherlich ist es diskussionswürdig, ob der Zeitplan – auch unter juristischen Aspekten – mit der WTO so aufgestellt werden musste. Auf jeden Fall war der erste Grundgedanke nicht so schlecht, mit den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen den Süd-Süd-Handel zu befördern. Ich glaube, dagegen hat niemand etwas. Die afrikanischen Staaten müssen untereinander Zölle und Handelsschranken abbauen, um eigene große Wirtschaftsmärkte zu schaffen, sich nachhaltig zu entwickeln und für Wertschöpfung vor Ort zu sorgen. Wahr ist aber auch: Leider wurden viele Verhandlungen der Europäischen Union über Handelsabkommen von oben herab und intransparent geführt. Gerade die Parlamentarier der Partnerländer hatten oft keine Informationen. Aus diesen Gründen wollten viele Länder diese Abkommen bisher nicht abschließen. An dieser Stelle teilen wir als SPD-Fraktion die Kritik, die in dem Antrag der Linken und Grünen enthalten ist. Wir wollen nicht mit Eile etwas übers Knie brechen, sondern lieber nachverhandeln. Wir können uns Zeit lassen und die Kritikpunkte ausräumen. Da sind wir ganz auf Ihrer Seite. Allerdings fehlt uns etwas in Ihrem Antrag. Sie richten den Blick bei diesen Handelsabkommen und auch bei den Auswirkungen auf die Menschenrechte, wie Sie in dem Antrag schreiben, nur darauf – es ist auch in Ordnung, diese eine Seite zu beleuchten –, welche negativen Auswirkungen es hat, wenn Güter aus der Europäischen Union auf diese Märkte kommen. Wir müssen in Handelsabkommen aber auch immer berücksichtigen, was in diesen Ländern selbst passiert. Da nenne ich zum Beispiel die Menschenrechte und die ILO-Kernarbeitsnormen, das Gleiche, was wir bei CETA und TTIP diskutieren und zu Recht einfordern. Es ist auch ein Teil der Wahrheit, dass ostafrikanische Staaten wie zum Beispiel Kenia sich weigern, eine Klausel zu Menschenrechten und Good Governance in diese Verträge aufzunehmen. Deswegen sage ich: Der eine Teil Ihres Antrags ist gut. Ich würde gerne zu einer gemeinsamen Position kommen und auch das andere hineinschreiben; denn die Frage der Kernarbeitsnormen ist eine, die in jedes dieser Abkommen gehört. (Beifall im ganzen Hause) Es freut mich, dass wir hier eine Übereinstimmung haben; denn die Europäische Union muss umdenken. Als diese Verhandlungen anfingen, waren die Lissaboner Verträge noch anders. Da hatten weder das EU-Parlament noch die Nationalstaaten ein echtes Mitspracherecht. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich bin froh, dass viele hier sind, die nicht dem Entwicklungshilfeausschuss angehören –: Diese Abkommen sind eigentlich meistens gemischte Abkommen. Das heißt, wir werden über eine Zustimmung zu den Abkommen, über die wir heute reden, am Ende im Deutschen Bundestag noch einmal reden müssen. Deswegen bin ich der Meinung, wir sollten bereits jetzt der EU sagen: Wir wollen bei den Nachverhandlungen zu diesen Abkommen mitreden. Wir können nicht sagen, dass wir uns in die Abkommen mit Kanada und den USA mit Macht einmischen, was ich richtig finde, aber, wenn es um die Abkommen mit Afrika geht, die EU es alleine machen lassen – und dann noch eher schlecht als recht. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam gerechte Abkommen mit Afrika schaffen. Danke schön. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Schluss der Debatte und kommen zu den Abstimmungen. Zunächst kommen wir zur Abstimmung über den -Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2603 mit dem Titel „Wirtschaftspartnerschaftsabkommen stoppen – Für neue Verhandlungen ohne Druck und Fristen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Enthaltungen sehe ich keine. Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen – Soziale Ungleichheit weltweit überwinden“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1916, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1328 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Verhandlungen über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen – Neustart ohne Drohungen und Fristen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2073, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1615 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, hoffentlich mit etwas Erholung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 8. Oktober 2014, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 15.19 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 26.09.2014 Alpers, Agnes DIE LINKE 26.09.2014 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.09.2014 Bär, Dorothee CDU/CSU 26.09.2014 Beckmeyer, Uwe SPD 26.09.2014 Dr. Braun, Helge CDU/CSU 26.09.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 26.09.2014 Dr. De Ridder, Daniela SPD 26.09.2014 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 26.09.2014 Dött, Marie-Luise CDU/CSU 26.09.2014 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.09.2014 Flosbach, Klaus-Peter CDU/CSU 26.09.2014 Dr. Freudenstein, Astrid CDU/CSU 26.09.2014 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 26.09.2014 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 26.09.2014 Gastel, Matthias BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.09.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 26.09.2014 Groth, Annette DIE LINKE 26.09.2014 Hardt, Jürgen CDU/CSU 26.09.2014 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 26.09.2014 Dr. Hendricks, Barbara SPD 26.09.2014 Horb, Margaret CDU/CSU 26.09.2014 Jung, Xaver CDU/CSU 26.09.2014 Dr. Jüttner, Egon CDU/CSU 26.09.2014 Korte, Jan DIE LINKE 26.09.2014 Krellmann, Jutta DIE LINKE 26.09.2014 Kühn (Dresden), Stephan BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.09.2014 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.09.2014 Liebich, Stefan DIE LINKE 26.09.2014 Liebing, Ingbert CDU/CSU 26.09.2014 Dr. Malecha-Nissen, Birgit SPD 26.09.2014 Dr. h. c. Michelbach, Hans CDU/CSU 26.09.2014 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 26.09.2014 Dr. Murmann, Philipp CDU/CSU 26.09.2014 Dr. Nick, Andreas CDU/CSU 26.09.2014 Nietan, Dietmar SPD 26.09.2014 Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.09.2014 Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.09.2014 Poß, Joachim SPD 26.09.2014 Dr. Raatz, Simone SPD 26.09.2014 Rachel, Thomas CDU/CSU 26.09.2014 Radomski, Kerstin CDU/CSU 26.09.2014 Scheuer, Andreas CDU/CSU 26.09.2014 Stauche, Carola CDU/CSU 26.09.2014 Steinbach, Erika CDU/CSU 26.09.2014 Dr. Steinmeier, Frank-Walter SPD 26.09.2014 Strässer, Christoph SPD 26.09.2014 Strobl (Heilbronn), Thomas CDU/CSU 26.09.2014 Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 26.09.2014 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.09.2014 Ulrich, Alexander DIE LINKE 26.09.2014 Veit, Rüdiger SPD 26.09.2014 Vogel (Kleinsaara), Volkmar CDU/CSU 26.09.2014 Weiss (Wesel I), Sabine CDU/CSU 26.09.2014 Wicklein, Andrea SPD 26.09.2014 Widmann-Mauz, Annette CDU/CSU 26.09.2014 Anlage 2 Amtliche Mitteilung (Nachtrag zur 51. Sitzung) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.3 EuB-BReg 53/2013 Drucksache 18/419 Nr. A.18 Ratsdokument 14716/13 Drucksache 18/544 Nr. A.1 EuB-BReg 10/2014 Drucksache 18/544 Nr. A.8 Ratsdokument 18099/13 Drucksache 18/822 Nr. A.3 EuB-BReg 16/2014 Drucksache 18/822 Nr. A.5 EP P7_TA-PROV(2014)0098 Drucksache 18/822 Nr. A.6 EP P7_TA-PROV(2014)0101 Drucksache 18/897 Nr. A.1 Ratsdokument 6902/14 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/419 Nr. A.38 Ratsdokument 8179/13 Drucksache 18/822 Nr. A.8 EP P7_TA-PROV(2014)0064 Drucksache 18/822 Nr. A.9 Ratsdokument 5445/14 Drucksache 18/1393 Nr. A.26 Ratsdokument 7910/14 Drucksache 18/1393 Nr. A.27 Ratsdokument 8151/14 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 18/1524 Nr. A.9 Ratsdokument 9008/14 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/1524 Nr. A.12 Ratsdokument 6587/14 Drucksache 18/1524 Nr. A.13 Ratsdokument 8290/14 Drucksache 18/1524 Nr. A.14 Ratsdokument 9143/14 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 18/544 Nr. A.49 EP P7_TA-PROV(2013)0546 Drucksache 18/1707 Nr. A.8 Ratsdokument 9802/14 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/1524 Nr. A.15 Ratsdokument 8814/14 Drucksache 18/1659 Nr. A.1 KOM(2014)324 endg. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 925. Sitzung am 19. September 2014 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Achtes Gesetz zur Änderung des Weingesetzes – Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens – Zweites Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Der Bundesrat hat hierzu ferner folgende Entschließung gefasst: 1. Der Bundesrat begrüßt, dass mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes ein weiterer, wichtiger Schritt zu einem modernen Staatsangehörigkeitsrecht in Deutschland gegangen wird. 2. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass der Koalitionsvertrag auf Bundesebene vorsieht, dass für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern in Zukunft der Optionszwang entfällt und die Mehrstaatigkeit akzeptiert wird. 3. Der Bundesrat begrüßt, dass diese Vereinbarung im Koalitionsvertrag durch das Gesetz der Bundesregierung nun zeitnah umgesetzt wurde. Er stellt fest, dass das vorgelegte Gesetz diese Umsetzung in deutlich besserer Form vornimmt als dies im ursprünglichen Gesetzentwurf des Bundesministeriums des Innern von Anfang Februar vorgesehen war. So wurde der Kreis der optionspflichtigen Kinder, für die künftig die Optionspflicht entfällt, erheblich erweitert. Dadurch wird nach ersten Schätzungen der Optionszwang für mehr als 90 Prozent der jetzt noch Optionspflichtigen entfallen. Für diese Personengruppe wird also eine deutliche Verbesserung erreicht werden. 4. Der Bundesrat stellt fest, dass sich mit dem vorliegenden Gesetz allerdings die Widersprüche innerhalb des Staatsangehörigkeitsrechts verstärken, weil die Öffnung beispielsweise nicht auch im Einbürgerungsrecht nachvoll-zogen wird. Weitere Modernisierungsschritte bleiben diesbezüglich notwendig. 5. Der Bundesrat bedauert, dass die Bundesregierung sich nicht auf eine umfassende gesetzliche Regelung verständigen konnte, die die vollständige und vorbehaltlose Abschaffung des Optionsverfahrens und die Aufgabe des Grundsatzes der Vermeidung von Mehrstaatigkeit vorsieht. 6. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang auf seinen Gesetzentwurf vom 5. Juli 2013 (vergleiche Bundesratsdrucksache 461/13 (Beschluss)). Der vom Bundesrat beschlossene Gesetzentwurf sah eine Streichung des Grundsatzes der Vermeidung von Mehrstaatigkeit insgesamt aus dem Staatsangehörigkeitsgesetz ebenso vor, wie die vollständige Aufhebung der Optionsregelung in § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (vergleiche Artikel 1 Nummer 7 der Bundesratsdrucksache 461/13 (Beschluss)). Der Bundesrat hält an den Zielen seines Beschlusses vom 5. Juli 2013 fest. Insbesondere sollte nach dem mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung gegangenen ersten Schritt sowohl im Interesse der Betroffenen als auch aus verwaltungsökonomischer Sicht in einem zweiten Schritt die Optionsregelung vollständig aufgehoben werden. – Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer – Gesetz zur Änderung des Umweltinformationsgesetzes – Gesetz zu dem Abkommen vom 9. September 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik der Philippinen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Luftverkehrsabkommen vom 25. und 30. April 2007 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten anderseits (Vertragsgesetz EU-USA-Luftverkehrsabkommen – EU-USA-LuftverkAbkG) – Gesetz zu dem Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsabkommen vom 15. Dezember 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Haschemitischen Königreich Jordanien anderseits (Vertragsgesetz Europa--Mittelmeer-Jordanien-Luftverkehrsabkommen – Euromed-JOR-LuftverkAbkG) – Gesetz zu dem Abkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und der Republik Moldau über den Gemeinsamen Luftverkehrsraum (Vertragsgesetz EU-Moldau-Luftverkehrsabkommen – EU-MDA-LuftverkAbkG) Darüber hinaus hat der Bundesrat in seiner 925. Sitzung am 19. September 2014 beschlossen, zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2015 gemäß Artikel 110 Absatz 3 des Grundgesetzes und zu dem -Finanzplan des Bundes 2014 bis 2018 gemäß § 9 Absatz 2 Satz 2 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft und gemäß § 50 Absatz 3 Satz 1 des Haushaltsgrundsätzegesetzes wie folgt Stellung zu nehmen: 1. Die positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen Jahren hat maßgeblich zur Konsolidierung des Bundeshaushalts beigetragen. Nicht zuletzt die Zunahme der Steuereinnahmen bewirkte eine stetige Verringerung des Finanzierungsdefizits des Bundes. Die gute Lage am Arbeitsmarkt führte darüber hinaus zu einer verhältnismäßig stabilen Entwicklung der Sozialausgaben. Der Bundeshaushalt profitiert zudem in besonderem Maße von dem anhaltend niedrigen Zinsniveau, das ebenfalls jährlich für erhebliche Entlastungen sorgt. Hinzu tritt eine -vorübergehende Kürzung der Zuschüsse an einzelne Sozialversicherungszweige (Gesundheitsfonds und Gesetzliche Rentenversicherung). 2. Der Bundesrat erkennt an, dass die Bundesregierung nach einem avisierten strukturellen Überschuss 2014 nun mit dem Entwurf 2015 erstmals seit dem Jahr 1969 einen Haushalt ohne Nettokreditaufnahme erreichen kann. Im Vergleich zu den bisherigen Prognosen mehren sich jedoch die Anzeichen für eine konjunkturelle Abkühlung. Die derzeitigen geopolitischen Unruhen zum Beispiel in der Ukraine und im Nahen -Osten wirken zunehmend dämpfend auf die deutsche Wirtschaft, wobei das vollständige Ausmaß der zukünftigen Risiken derzeit noch nicht absehbar ist. Die anhaltende Nachfrageschwäche aus dem Euroraum belastet zusätzlich die wirtschaftliche Entwicklung. Zudem würde eine Normalisierung des allgemeinen Zinsniveaus zu einer deutlichen Steigerung der Zinsausgaben führen. Um die Zielsetzung eines Haushalts ohne Neuverschuldung langfristig abzusichern, bedarf es daher weiterer Konsolidierungsanstrengungen. Dabei ist auch die Sicherung der gesamtstaatlichen Einnahmenbasis unerlässlich, um die Finanzierung notwendiger Investitionen sowie zukunftswirksamer und wachstumsstärkender Maßnahmen von Bund, Ländern und Kommunen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Verschuldungsgrenzen zu gewährleisten. 3. Der Bundesrat begrüßt die Bereitschaft der Bundesregierung, in dieser Legislaturperiode vermehrt in die Bereiche Bildung, Forschung, Verkehr und Infrastruktur zu investieren. Angesichts bedeutender Investitionsdefizite sieht er aber die Notwendigkeit, darüber hinausgehende zusätzliche Mittel in diese Zukunftsbereiche umzulenken. Dies würde weitere Wachstumsimpulse freisetzen und einer möglichen Erlahmung der Konjunktur entgegenwirken. 4. Der Bundesrat bittet in diesem Zusammenhang die Bundesregierung, im Bereich Verkehr und Infrastruktur alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um künftig mehr Planbarkeit, Verlässlichkeit und Flexibilität sicherzustellen. 5. Der Bundesrat erwartet, dass im Haushaltsentwurf 2015 des Bundes die für den Verkehrsbereich bereitgestellten Regionalisierungsmittel erhöht werden. Der derzeitige Ansatz sollte zumindest um die zur Deckung von Kostensteigerungen dringend erforderliche und bisher erfolgte Dynamisierung von jährlich 1,5 Prozent aufgestockt werden. Tatsächlich benötigt wird ein Betrag von 8,5 Milliarden Euro, wie das Gutachten „Revision der Regionalisierungsmittel“ festgestellt hat. Bei einem Einfrieren des Betrags bis zur Revision der Regionalisierungsmittel würde die Finanzierungslücke zu den tatsächlichen ÖPNV-Kosten eine Größenordnung erreichen, die aus den Länderhaushalten nicht geschlossen werden kann. 6. Der Bundesrat stellt fest, dass eine Reihe an Faktoren einer verlässlichen und bedarfsgerechten Finanzierung von Bundesfernstraßen in den Ländern derzeit entgegensteht. Für eine nachhaltige und bedarfsgerechte Finanzierung muss die Planung, Verfügbarkeit und Steuerung der Finanzmittel im Bundesfernstraßenbau deutlich verbessert werden. Darüber hinaus bittet der Bundesrat die Bundesregierung, die Zweckausgabenpauschale für Planung und Baubegleitung in angemessener Weise zu erhöhen. 7. Der Bundesrat weist erneut auf die Festlegung im Zuge der Einigung zur nationalen Umsetzung des Fiskalpakts und des Stabilitäts- und Wachstumspakts hin, in dieser Legislaturperiode ein neues Bundesteilhabegesetz zu erarbeiten und in Kraft zu setzen, das die rechtlichen Vorschriften zur Eingliederungshilfe ablöst. Er bekräftigt seine Erwartung an eine Regelung, die mit Wirkung zum 1. Januar 2017 eine jährliche Entlastung von 5 Milliarden Euro sicherstellt. 8. Die Bundesregierung hat angekündigt, im Herbst 2014 einen Gesetzentwurf mit Korrekturen und Nachjustierungen am Steuerrecht vorzulegen. Auch der Bundesrat sieht steuerpolitischen Handlungsbedarf. Er fordert die Bundesregierung erneut dazu auf, die von den Ländern für erforderlich gehaltenen weiteren steuerrechtlichen Änderungsbedarfe zeitnah zusammenzutragen und deren Umsetzung zügig und in enger Abstimmung mit den Ländern vorzubereiten. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang auch an die weiteren steuerpolitischen Vorhaben der Bundesregierung etwa im Kampf gegen missbräuchliche Steuergestaltungen und grenzüberschreitende Gewinnverlagerungen international operierender Unternehmen. Der Bundesrat geht davon aus, dass die Bundesregierung auf der Basis der mit den Ländern im Frühjahr vereinbarten Eckpunkte noch im Jahr 2014 einen Gesetzentwurf zur Verschärfung der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung und zum Absehen von Verfolgung in besonderen Fällen (§§ 371, 398a Abgabenordnung) beschließen wird. 9. Der Bundesrat unterstützt die Zielvorgabe der Bundesregierung im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode, bis zum Jahr 2018 in Deutschland eine flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet mit Bandbreiten von mindestens 50 Mbit/s bereitzustellen. 10. Der Bundesrat erkennt an, dass die Bundesregierung Maßnahmen zur Abmilderung der mit der Bundeswehrreform und dem Abzug der Gaststreitkräfte verbundenen Schließung von Standorten vorgenommen hat. So können in den Haushaltsjahren 2015 bis 2018 Konver-sionsgrundstücke an Kommunen vergünstigt abgegeben werden. Die nähere Konkretisierung des entsprechenden Haushaltsvermerks im Haushalt 2015 sollte in Abstimmung mit den Ländern erfolgen. Aufgrund der erheblichen Tragweite der Bundeswehrreform und des Abzugs der Gaststreitkräfte bittet der Bundesrat darum, die Kommunen bei Bedarf durch ergänzende Hilfen des Bundes zu unterstützen. 11. Der vorsorgende Hochwasserschutz stellt besonders vor dem Hintergrund des Hochwassers im Juni 2013 einen bedeutenden und gemeinsam von Bund und Ländern stärker wahrzunehmenden Aufgabenschwerpunkt dar. Der Bundesrat erinnert an die von den -Agrarministerinnen und -ministern sowie den Umweltministerinnen und -ministern geforderte Aufstellung eines Nationalen Hochwasserschutzprogramms. Er erwartet damit einhergehend eine aufgabengerechte Finanzausstattung, die sowohl eine Aufstockung des Plafonds in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutz“ (GAK) als auch zusätzliche Mittel für einen Sonderrahmenplan Hochwasserschutz innerhalb der GAK beinhaltet, um die in einem Nationalen Hochwasserschutzprogramm vorgesehenen Maßnahmen zeitgerecht in Angriff nehmen zu können. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat mitgeteilt, dass er gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Unterrichtung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und die in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages 2010 Drucksache 17/4325 Unterrichtung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Zweiter Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages Diskriminierung im Bildungsbereich und Arbeitsleben Drucksachen 17/14400, 18/641 Nr. 21 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/1935 Nr. A.10 Ratsdokument 9934/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.43 ERH 8/2014 Drucksache 18/2533 Nr. A.44 Ratsdokument 10911/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.45 Ratsdokument 11283/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.46 Ratsdokument 11288/14 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 18/419 Nr. A.157 Ratsdokument 11738/13 Drucksache 18/419 Nr. A.158 Ratsdokument 11857/13 Drucksache 18/544 Nr. A.46 EP P7_TA-PROV(2013)0545 Drucksache 18/544 Nr. A.48 EP P7_TA-PROV(2013)0594 Drucksache 18/1393 Nr. A.39 Ratsdokument 8806/14 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 18/419 Nr. A.173 Ratsdokument 14116/13 Drucksache 18/1707 Nr. A.6 EP P7_TA-PROV(2014)0395 Anlagen II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 55. Sitzung, Berlin, Freitag, den 26. September 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 55. Sitzung, Berlin, Freitag, den 26. September 2014 5081 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 5146 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 55. Sitzung, Berlin, Freitag, den 26. September 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 55. Sitzung, Berlin, Freitag, den 26. September 2014 5147