Plenarprotokoll 18/67 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 67. Sitzung Berlin, Freitag, den 14. November 2014 I n h a l t : Begrüßung der Abgeordneten Angelika Glöckner 6337 A Tagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht Drucksachen 18/2601, 18/3202 (neu) 6337 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht Drucksachen 18/2954, 18/3202 (neu) 6337 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kinder schützen – Prävention stärken Drucksachen 18/2619, 18/3201 6337 C Dr. Johannes Fechner (SPD) 6337 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 6338 D Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) 6340 C Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 6341 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6343 B Susanne Mittag (SPD) 6345 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 6346 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6347 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6348 A Dirk Wiese (SPD) 6348 C Christina Schwarzer (CDU/CSU) 6349 C Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf Drucksachen 18/3124, 18/3157 6351 D Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 6352 A Pia Zimmermann (DIE LINKE) 6354 B Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 6355 D Pia Zimmermann (DIE LINKE) 6356 B Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6358 C Dr. Carola Reimann (SPD) 6359 C Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 6361 A Astrid Timmermann-Fechter (CDU/CSU) 6362 A Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6363 C Paul Lehrieder (CDU/CSU) 6364 D Pia Zimmermann (DIE LINKE) 6365 C Petra Crone (SPD) 6367 C Antje Lezius (CDU/CSU) 6368 D Erwin Rüddel (CDU/CSU) 6370 B Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Herbert Behrens, Dr. Petra Sitte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes – Störerhaftung Drucksache 18/3047 6371 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6371 D Hansjörg Durz (CDU/CSU) 6373 B Thomas Jarzombek (CDU/CSU) 6374 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 6375 B Marcus Held (SPD) 6376 C Axel Knoerig (CDU/CSU) 6377 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6379 B Christian Flisek (SPD) 6379 D Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages Drucksache 18/3007 6380 D b) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hasskriminalität wirkungsvoll statt symbolisch verfolgen Drucksache 18/3150 6381 A Heiko Maas, Bundesminister BMJV 6381 A Martina Renner (DIE LINKE) 6382 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 6383 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6384 B Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6385 A Dr. Eva Högl (SPD) 6386 B Tankred Schipanski (CDU/CSU) 6387 C Martina Renner (DIE LINKE) 6388 D Tankred Schipanski (CDU/CSU) 6389 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6389 C Tankred Schipanski (CDU/CSU) 6389 D Tagesordnungspunkt 25: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR Drucksache 18/3120 6390 B b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Dr. Dietmar Bartsch, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR Drucksache 18/3145 6390 C Heiko Maas, Bundesminister BMJV 6390 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 6391 B Arnold Vaatz (CDU/CSU) 6392 B Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) 6393 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6394 D Dr. Matthias Bartke (SPD) 6395 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 6396 D Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom Drucksache 18/3050 6397 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 6397 C Thomas Bareiß (CDU/CSU) 6398 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) 6400 C Thomas Bareiß (CDU/CSU) 6401 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6401 B Dirk Becker (SPD) 6402 B Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 6403 B Johann Saathoff (SPD) 6404 D Nächste Sitzung 6405 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 6407 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Sönke Rix (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (25. BAföGÄndG) Drucksache 18/3182 (66. Sitzung, Tagesordnungspunkt 13a) 6407 D Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 6407 D Inhaltsverzeichnis 67. Sitzung Berlin, Freitag, den 14. November 2014 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und darf vor Eintritt in unsere Tagesordnung einige Mitteilungen machen: Die Kollegin Sabine Bätzing-Lichtenthäler hat ihr Bundestagsmandat bedauerlicherweise niedergelegt. Für sie ist am 12. November 2014 die Kollegin Angelika Glöckner nachgerückt, die ich im Namen des Hauses herzlich begrüße und mit der wir uns eine gute Zusammenarbeit wünschen. Herzlich willkommen! (Beifall) Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt, dass während der Haushaltsberatungen in unserer nächsten Sitzungswoche, also ab dem 25. November, wie in Haushaltswochen üblich keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden durchgeführt werden. Als Präsenztage sind die Tage von Montag, dem 24. November, bis Freitag, dem 28. November, festgelegt worden. Ich vermute, dass Sie damit einverstanden sind. – Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Ich rufe unsere Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht Drucksache 18/2601 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht Drucksache 18/2954 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/3202 (neu) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kinder schützen – Prävention stärken Drucksachen 18/2619, 18/3201 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch dazu kann ich Einvernehmen feststellen. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich bin sehr froh, dass wir heute diesen Gesetzentwurf verabschieden können, weil wir damit eine EU-Richtlinie umsetzen – das ist der Anlass für dieses Gesetz –, was bei der Vorgängerregierung liegen geblieben war. Sie sehen also: Wir reden nicht nur vom Schutz von Kindern, sondern wir handeln auch, und wir schließen mit diesem Gesetz zum Schutz der Kinder wichtige Strafbarkeitslücken in Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei sind wir uns bewusst, dass wir mit dem Strafrecht allein den Missbrauch von Kindern sicherlich nicht verhindern können. Dazu brauchen wir Präventionsprojekte wie das Projekt „Kein Täter werden“ in Berlin oder ein ähnliches Projekt in Baden-Württemberg. Wir unterstützen das Projekt „Kein Täter werden“ in diesem Haushaltsjahr mit zusätzlichen 150 000 Euro. Natürlich, die besten und strengsten Gesetze helfen nichts, wenn wir bei den Ermittlungsbehörden, etwa bei der Polizeidienststelle vor Ort, nicht die technische und auch nicht die personelle Ausstattung haben, die für die Verbrechensbekämpfung benötigt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Ich bin gespannt, was zu diesem für mich wesentlichen Aspekt im Untersuchungsausschuss zum BKA herauskommt; denn die entscheidende Frage ist: Was können wir hier verbessern? Es gibt in Deutschland Strafbarkeitslücken im Strafgesetzbuch, die wir mit diesem Gesetz schließen wollen. Wichtig ist mir, dass wir das Strafmaß für den Besitz von Kinderpornografie von zwei auf drei Jahre erhöhen; das halte ich für eine wichtige Maßnahme. Das Erstellen, das Verbreiten und der Besitz sogenannter Posingbilder werden zukünftig nach dem StGB explizit als Kinderpornografie strafbar sein. Ich halte es für ganz wichtig, dass wir hier ein klares Kriterium gefunden haben und im Gesetz definiert haben, wann etwas als Kinderpornografie strafbar sein soll. Wir haben klar definiert, wann ein Bild eines nackten Kindes oder eines Jugendlichen als pornografisch und damit strafbar einzuschätzen ist, nämlich dann, wenn das Bild oder das Video die unbekleideten Genitalien oder das unbekleidete Gesäß eines Kindes zeigt oder wenn ein Kind bzw. ein Jugendlicher in unnatürlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung abgebildet ist. Zudem macht sich nach unserer Neuregelung strafbar, wer mit kommerziellen Absichten Nacktbilder von Jugendlichen, die die Schwelle zur Pornografie, die ich gerade beschrieben habe, nicht erreichen, herstellt oder anbietet. Wir beschließen noch viele weitere wichtige Maßnahmen. Da möchte ich dem Kollegen Wiese allerdings nicht vorgreifen. Ich will nur benennen, dass wir das -Cybergrooming zukünftig explizit unter Strafe stellen. Ich finde, eine wichtige Maßnahme ist auch, dass wir die Verjährungsfrist deutlich verlängern. Sie sehen also: Wir nehmen den Schutz der Kinder sehr ernst. Wir schließen Strafbarkeitslücken im Gesetz zum Wohle der Kinder in Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber auch den höchstpersönlichen Lebensbereich von Erwachsenen schützen wir zukünftig besser, etwa indem wir die Personen, die in einer hilflosen Situation fotografiert und dadurch zur Schau gestellt werden, strafrechtlich schützen. Strafbar macht sich zukünftig auch, wer unbefugt ein Bild – das Wort „unbefugt“ ist ein ganz wichtiges Korrektiv im Gesetzestext – herstellt und dabei dem Ansehen der fotografierten Person erheblich schadet. Wir haben ja heute die Situation, dass Smartphones und damit Kameras und Videokameras allgegenwärtig sind. Sofort ist jemand da, der auf den Auslöser drücken und knipsen kann. Ich finde, angesichts dieser technischen Entwicklung müssen wir den höchstpersönlichen Lebensbereich, nicht nur der Kinder, sondern auch der Erwachsenen besser schützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie sehen also: Wir haben in Umsetzung der EU-Richtlinie präzise Regelungen für das Strafgesetzbuch zum Schutz der Kinder in Deutschland getroffen. Da in manchen Medien anscheinend noch Unklarheiten bestanden, möchte ich ausdrücklich auf Folgendes hinweisen: Die Sorge, dass die journalistische Bildberichterstattung durch dieses Gesetz in irgendeiner Form eingeschränkt werden könnte, ist unbegründet. Wir haben in einer Vorschrift explizit geregelt, dass die journalistische Bildberichterstattung und wissenschaftliche Tätigkeiten von der Strafbarkeit ausgeschlossen sind. Da auch viele Eltern nach Medienberichten Sorge hatten, ist es mir ebenso wichtig, zu sagen: Wenn Eltern ihre kleinen Kinder im Familienurlaub nackt am Strand spielend fotografieren, dann ist das nicht strafbar, auch dann nicht, wenn solche Fotos verbreitet werden. Es war uns ganz wichtig, dass solche privaten Fotos nicht kriminalisiert werden. Zusammengefasst: Wann sind Nacktfotos von Kindern strafrechtlich problematisch? Das ist bei der Herstellung, beim Besitz oder beim Erwerb von Nacktbildern von Kindern und Jugendlichen der Fall, wenn das Bild vom Täter mit der Absicht, es zu verkaufen, also einem Dritten gegen Entgelt zugänglich zu machen, hergestellt wurde oder wenn es sich um pornografische Bilder handelt, wobei wir im Gesetz ganz klar definiert haben, wann diese Schwelle erreicht ist. Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz verbessern wir den Schutz der Kinder vor Missbrauch, und wir schützen den höchstpersönlichen Lebensbereich von Bürgerinnen und Bürgern, ganz unabhängig vom Alter. Es ist deshalb ein wichtiges und sinnvolles Gesetz, dem wir alle einvernehmlich zustimmen sollten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuschauer! Zunächst möchte ich mich bei allen Kollegen für die sachliche Beratung in den Ausschüssen bedanken. Es ist ein heikles Thema. Es ist ein schwieriges Thema. Ich denke, da sollte man Emotionen oder irgendwelche wie auch immer geartete Parteivorbehalte und Ähnliches beiseitelassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es geht hier um Kinderschutz. Ich denke, ich spreche für alle Mitglieder des Hauses, wenn ich sage, dass es für jeden von uns ein Herzensanliegen ist, unsere Kinder zu schützen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Gesetzentwurf, so wie er vorliegt, hat ein hehres Ziel, wie der Kollege Fechner eben ausgeführt hat, schießt aber nach Überzeugung der Linken weit über dieses Ziel hinaus. Er wurde von den Koalitionsfraktionen anlässlich der sogenannten Edathy-Affäre erarbeitet. In der sich aus dieser Affäre ergebenden emotional hoch aufgeladenen Debatte kamen die verstärkten Rufe nach Strafverschärfung. Bundesminister Maas kündigte daraufhin einen Gesetzentwurf zur Schließung der Lücken und zur Umsetzung der Richtlinie an. Dieser liegt uns nun vor. In der Form, wie er uns vorliegt, kann ihm aber nicht zugestimmt werden; denn es ist unsere Überzeugung: Er missachtet die Maßgabe des Strafrechts als Ultima Ratio, indem er Verhaltensweisen unter Strafe stellt, die moralisch verwerflich sein mögen, aber keine Kriminalstrafe rechtfertigen. Nicht jedes moralisch verwerfliche Verhalten muss unter Strafe gestellt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Gesetzentwurf trägt darüber hinaus den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots nicht ausreichend Rechnung, und er sieht Strafrahmenerhöhungen vor, obwohl durch verschiedene kriminologische Studien immer wieder belegt worden ist, dass das Strafmaß als -solches keine abschreckende Wirkung hat. Das Ent-deckungsrisiko schreckt potenzielle Täter ab, aber kein wie auch immer gearteter Strafrahmen. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte im Rahmen der mir gegebenen Zeit auf einige Punkte eingehen. Zunächst das Positive: § 174 StGB – Missbrauch von Schutzbefohlenen – wird angemessen dahin gehend ergänzt und erweitert, dass nun neben die leiblichen oder angenommenen Kinder auch die leiblichen oder angenommenen Kinder von Ehepartnern oder Lebensgefährten treten, um etwaige diesbezügliche Abhängigkeitsverhältnisse zu erfassen. Des Weiteren wurde in Absatz 2 der sogenannte Vertretungslehrerfall ergänzt. Wir hätten uns zwar noch eine sachgerechtere Differenzierung gewünscht, aber es ist eine sinnvolle Ergänzung. Beim sexuellen Missbrauch von Kindern, § 176 StGB, wird das sogenannte Cybergrooming – das ist auch schon angesprochen worden – einbezogen, also das gezielte Ansprechen von Kindern und Jugendlichen im Internet mit dem Ziel, sexuelle Kontakte anzubahnen. Die Regelung ist problematisch, da sie bereits die erste Kontaktaufnahme mit „bösen Hintergedanken“ erfasst, ohne dass es zu weiteren Handlungen oder Kontaktaufnahmen kommt. Die EU-Richtlinie sieht allerdings eine Strafbarkeit nur vor, wenn auf einen per Telekommunikation erfolgten Vorschlag eines Treffens weitere, auf ein solches Treffen hinführende konkrete Handlungen erfolgt sind. Hier stellt sich die Frage, wie bei dieser Vorverlagerung der Strafbarkeit der Nachweis der Tätermotivation geführt werden soll. Im Zweifel wird das nicht gelingen, da die „bösen Hintergedanken“ nachzuweisen sind. Hinsichtlich der Änderungen zur Kinderpornografie, § 184 b, soll nun die „unnatürlich geschlechtsbetonte Körperhaltung“ strafbar sein. Dies wurde bereits durch die BGH-Rechtsprechung zum Posing erfasst. Danach waren Handlungen erfasst, bei denen das Kind vor dem Fotografieren aufgefordert wurde, sich zu entblößen und Stellungen einzunehmen, die seine Genitalien zeigen. Nun sollen auch Handlungsweisen erfasst werden, bei denen das Kind keine aktive Rolle spielt, wenn zum Beispiel ein schlafendes, teilweise entblößtes Kind fotografiert wird. Allerdings ist die Ergänzung um „unnatürlich geschlechtsbetonte Haltung“ zu unbestimmt, was im Übrigen auch von den Sachverständigen in der Anhörung bemängelt wurde. Daran ändert auch nichts die Ergänzung um das unbekleidete Gesäß oder die Geschlechtsteile eines Kindes. Außerdem bleibt fraglich, was die Versuchsstrafbarkeit an Zugewinn bringt, da die Vorschrift als Unternehmensdelikt ausgelegt ist. Bereits jetzt ist die erfolglose Suche nach kinderpornografischem Bildmaterial als Unternehmensdelikt strafbar. In § 184 d Strafgesetzbuch soll nun der wissentliche Abruf von kinder- und jugendpornografischem Inhalt explizit unter Strafe gestellt werden. Hier entsteht eine Rechtsunsicherheit; denn: Wie soll ohne Zwischenspeicherung ein Abruf nachgewiesen werden? Hier scheint die Überprüfung und Verfolgung jedenfalls äußerst problematisch und öffnet der Vorratsspeicherung oder gar der Onlineüberwachung Tür und Tor. (Beifall bei der LINKEN) Wie soll sichergestellt werden, dass es sich nicht um einen versehentlichen Abruf handelt? Zuletzt möchte ich einen Punkt dieses Gesetzes besonders erwähnen: den von Anfang an heftig kritisierten Entwurf für einen ausgeweiteten § 201 a Strafgesetzbuch. Schon die Änderungen in Absatz 2 stoßen auf erhebliche Bedenken. Er soll nun heißen: Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden … einer dritten Person … zugänglich macht. Es reicht also aus, das einer dritten Person zugänglich zu machen, von „verbreiten“ ist keine Rede. Daraus ergeben sich nun alle möglichen Fallkonstellationen: ein Foto am FKK-Strand oder eines angetrunkenen Partygastes, das Foto eines CSU-Politikers gemeinsam mit einem Politiker der Linken bei einem Bier an der Spree. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zwar während der Plenarsitzung!) All das kann zur Strafbarkeit führen, sobald dieses Bild einer dritten Person, auch im Familienkreis, zugänglich gemacht wird. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird primär auf Bildaufnahmen von unbekleideten Kindern abgestellt. Das war letztlich ja auch Grundlage für diese Gesetzesänderung. Tatsächlich werden aber auch Erwachsene von dieser Regelung erfasst, und um die wird es in der Praxis dann wohl auch vorrangig gehen. (Dirk Wiese [SPD]: Aber nur bei erheblichem Schaden!) Das Ganze ist geändert worden von einem Antragsdelikt in ein relatives Antragsdelikt, und zwar auch bei den Bildern, die ich gerade erwähnt habe. So weit, so gut. Aber jetzt kann, wie gesagt, jeder Strafanzeige erstatten. Das heißt jeder, der ein Bild sieht und sagt: „Die abgebildete Person könnte in ihrem Ansehen erheblich geschädigt sein“, kann einen Strafantrag stellen. (Dirk Wiese [SPD]: „Erheblich“! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da freut sich die Strafverteidigerin!) Damit kann, wie gesagt, jeder Anzeige erstatten. Das kann für den betroffenen Fotografen eine mindestens unangenehme, wenn nicht sogar eine existenzvernichtende Strafverfolgung auslösen, obwohl zivilrechtlich alles rechtmäßig ist und bleibt. Wie gesagt, es gibt alle möglichen Fallkonstellationen. Und es gibt gute Gründe, warum alle Sachverständigen in der Anhörung des Ausschusses diesen Entwurf zur Änderung von § 201 a StGB abgelehnt haben. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es bedarf an dieser Stelle keines entsprechenden neuen Straftatbestandes. Das ist alles bereits durch die Strafvorschriften und das Urhebergesetz unter Strafe gestellt. Zuletzt noch zwei Sätze zur Verlängerung der Verjährungsfrist. Jeder Praktiker kann bestätigen, dass nach Bekanntwerden einer möglicherweise Jahrzehnte zurückliegenden Tat, zu welcher es zudem keine objektiven Beweismittel gibt, eine Verurteilung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten wegen mangelnder Beweismittel und Erinnerungsverlusten der Zeugen sehr, sehr unwahrscheinlich ist. Hier wird den Opfern wider besseres Wissen suggeriert, eine Bestrafung der Täter sei möglich. Das Strafrecht ist aber nicht das primäre Instrument, um den Opfern Genugtuung oder Wiedergutmachung zu gewähren. Wiedergutmachung kann man in diesen Fällen eh nicht leisten. Es geht um den Strafanspruch des Staates. Bei allem Verständnis für die Opfer solcher Taten – da spreche ich als ehemaliger Staatsanwalt und Richter, der auch mit solchen Fällen befasst war – dürfen nicht Hoffnungen geweckt werden, die im Ergebnis nicht zu erfüllen sind. (Beifall bei der LINKEN) Alles in allem kann dieser Gesetzentwurf in der Gesamtschau daher nur abgelehnt werden. Mit dem Antrag der Grünen, über den wir heute auch debattieren, liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, wie unabhängig von Strafrechtsverschärfungen der Kinderschutz durch Prävention auf verschiedenen Ebenen verbessert werden kann. Der Antrag ist zumindest ein großer Schritt in die richtige Richtung. Diesem ist daher zuzustimmen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Winkelmeier-Becker. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein GO-Antrag!) – Entschuldigung, das ist hier nicht klar angekommen. Ich habe mich extra noch einmal erkundigt. Wir bekommen das aber geregelt auf die Reihe. Wenn Sie einen Geschäftsordnungsantrag stellen möchten, können Sie das gerne tun. Das können Sie auch vom Platz tun. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich kann den Antrag vom Platz aus stellen. So habe ich das verstanden. – Es tut mir leid, dass es zu einem Missverständnis gekommen ist, Herr Präsident. Ich möchte gerne für meine Fraktion und für das Haus den Antrag stellen, dass wir ein Mitglied der Bundesregierung, und zwar den Justizminister Heiko Maas, herbeirufen. Es ist für mich völlig unverständlich, dass diese Debatte ohne ihn stattfindet. Diese Debatte führen wir schon lange miteinander, und es soll jetzt sehr kurzfristig auf Wunsch der Regierungsfraktionen zum Abschluss dieser Beratungen kommen. Es gab viele -Diskussionen über das Verfahren. Jenseits von Verfahrensfragen ist zu sagen: Die Diskussionen über das -Sexualstrafrecht, insbesondere in diesem Fall, in dem es um Nacktbilder von Kindern und deren Veröffentlichung geht, bewegen uns alle sehr. Das ist von hoher Relevanz. Ich habe mich erkundigt. Der Minister ist nicht entschuldigt, weder vorher bei den Fraktionen noch hier vorne. Es gibt für mich keinerlei Begründung, dass er nicht hier ist. Ich finde, wir dürfen erwarten – das betrifft nicht nur die Oppositionsfraktionen, sondern das ganze Haus –, dass er an unseren Beratungen hier, an dieser Debatte teilnimmt. Deswegen bitte ich sehr um Unterstützung der Großen Koalition, die diesen Debattenplatz haben wollte. Er wurde wegen der Fraktionsberatungen kurzfristig verlegt. Ich bitte Sie, uns und unser Interesse an der Beratung dieses Punktes ernst zu nehmen und unserem Antrag zuzustimmen. Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Hajduk, ich mache einen Verfahrensvorschlag. Den Antrag, den Sie gestellt haben, halte ich nicht nur für zulässig, sondern auch für begründet. Ich höre, dass der Minister auf dem Weg ist. Mein Vorschlag lautet: Wenn er bis zum Ende des Beitrags, der jetzt gerade aufgerufen wurde, nicht im Plenum erschienen sein sollte, stimmen wir über Ihren Antrag ab. Vielleicht hat sich das aber bis dahin im Sinne Ihrer Antragstellung erledigt. – Okay, ich stelle dazu Einvernehmen fest. – Frau Winkelmeier-Becker, bitte. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eigentlich schade: Auch ich hätte den Minister gerne als Zuhörer gehabt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja auch warten mit dem Redebeitrag!) Es wäre aber, glaube ich, nicht kollegial, wenn wir jetzt alle warten lassen würden. Deshalb werde ich jetzt gerne die Gelegenheit nutzen, Ihnen unsere Gedanken zu diesem Gesetzentwurf darzulegen. Rechtspolitik in dieser Woche ist nun wirklich nicht langweilig. Wir haben sehr viele verschiedene Themen zu behandeln. Gestern waren es die Mietpreisbremse und die Sterbehilfe. Die Diskussion darüber betrifft letztendlich eine Kernfrage der Rechtspolitik. Es kommen noch die Hasskriminalität – NSU-Ausschuss – dazu. Trotzdem ist es mir wichtig, zu zeigen: Das alles sind nicht Themen, die unverbunden nebeneinander stehen, sondern da gibt es rote Linien. Ich habe von diesem Platz aus schon einmal unsere rote Linie der mittelstandsunterstützenden Rechtspolitik dargelegt. Heute geht es hier um einen anderen, ganz wichtigen roten Faden, nämlich um den Opferschutz, den wir verbessern wollen. Dazu haben wir mehrere Projekte – auch im Koalitionsvertrag – vereinbart. Ich denke dabei an unsere wichtige Diskussion über Menschenhandel und Zwangsprostitution, aber auch an solche Dinge wie zivilrechtliche Schäden, die demnächst in Annexverfahren einfacher geltend gemacht werden sollen. Dabei geht es darum, dass nahe Angehörige beim Tod eines Opfers Schmerzensgeld erhalten sollen. All das sind wichtige Punkte. Das aber, was heute hier diskutiert wird, nämlich der Schutz von Kindern vor Übergriffen bzw. Verletzung ihrer Intimsphäre oder sexuellen Selbstbestimmung, steht ganz stark im Mittelpunkt unserer Rechtspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bereits im Koalitionsvertrag haben wir, wie gesagt, angesprochen, dass die Verjährung von Taten in der Kindheit bis zum 30. Lebensjahr ruhen soll. Aus meiner Sicht ist das eine wichtige Erweiterung des Rechtsschutzes, weil es eben oft lange dauert, bis man sprechfähig ist, das verarbeitet hat und sich dem noch einmal stellen kann. Natürlich kann es auch zu Enttäuschungen führen. Deshalb ist es, glaube ich, wichtig und unsere Aufgabe, hier noch einmal darauf hinzuweisen, dass es trotzdem möglichst früh gemacht werden sollte, um hinterher auch zum Erfolg zu kommen. Trotzdem denke ich aber, dass diese Möglichkeit, nach längerer Zeit im weiteren Leben darauf zurückzukommen, doch ein Gewinn für die Opfer ist. Ich möchte nun vor allem auf die Regelungen im Bereich der Kinderpornografie eingehen, welche die Öffentlichkeit am meisten interessieren. Im Frühjahr dieses Jahres gab es einen prominenten Fall, der uns aufgezeigt hat, dass wir da Schutzlücken haben. Wenn gegen Entgelt schwunghafter Handel mit Bildern von unschuldigen nackten bzw. entblößten Kindern, die davon nichts mitbekommen, getätigt wird, die ins Internet gesetzt werden, nicht mehr einholbar und überall auf der Welt abrufbar sind, dann ist das unerträglich. Das geht nicht. Wir müssen das absolut unter Strafe stellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ein Zitat des römischen Kaisers Mark Aurel lautet wie folgt: Oft tut auch der Unrecht, der nichts tut. Wer das Unrecht nicht verbietet …, der befiehlt es. Das ist ein Aspekt, der dazu führt, dass wir schnell arbeiten müssen. Wir dürfen hier nicht mehr lange warten, sondern müssen handeln, damit diese Schutzlücke im Gesetz geschlossen wird. Die Richtlinie, die wir gleichzeitig umsetzen, sollte außerdem bereits zum Ende des vergangenen Jahres umgesetzt werden. Sie ist liegen geblieben. Auch das ist ein Grund, jetzt schnell voranzugehen. Wir wollen diese Frist nicht um mehr als ein Jahr reißen und dazu kommen, das Gesetz an dieser Stelle nachzubessern. Der Minister hatte zu all dem einen Entwurf vorgelegt, der in einigen Punkten noch nicht optimal war, nicht so richtig treffsicher bei dem, was wir als strafwürdiges Unrecht erkennen. Auf der anderen Seite ging er in einigen Punkten zu weit. Auch der Bundesrat hat das geltend gemacht, einerseits unter dem Begriff „Bestimmtheitsgebot“ – dem genügt es nicht – und andererseits unter dem Begriff „Angemessenheit“; der Entwurf ging an einigen Stellen weit über das Ziel hinaus. Deshalb bin ich froh, dass wir eine kritische Diskussion geführt haben. Sie hat dem Verfahren gutgetan. Wir haben jetzt ein Ergebnis, das deutlich besser ist. Daher danke ich an dieser Stelle allen, mit denen wir gut zusammengearbeitet haben, allen, die gute Ideen eingebracht haben. Ich denke, wir dürfen unsere Teams und auch die Mitarbeiter im Ministerium in diesen Dank einschließen. Wir haben in den letzten Tagen auf der Strecke noch einiges Gutes bewirkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt absurd! Wo Sie uns nicht einmal Zeit für Beratungen gelassen haben!) – Ich finde, auch Sie können sich im Gesetz wiederfinden. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch lieber wäre mir eine ordentliche Beratung! – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Auf der einen Seite haben wir jetzt das, was strafwürdiges Unrecht sein soll, viel besser gefasst. Auf der anderen Seite haben wir klargestellt, dass niemand in Bezug auf sein privates Fotoalbum Sorge haben muss, wenn sich darin normale Urlaubsfotos von den Kindern am Strand befinden, auch wenn einmal Nachbarskinder dabei sind. Es zieht nicht die Anstandsdame ein. Es gibt keine verordnete Prüderie im privaten Bereich, aber eben Schutz, wo er nötig ist. Zunächst zu den Bildern, auf denen Kinder nackt posieren. Mit der Formulierung „unnatürlich geschlechtsbetonte Körperhaltung“ schließen wir die Schutzlücke in Bezug auf das Posing. Das wird jetzt klargestellt. Aber wir haben in der Diskussion auch gemerkt, dass das nicht alle strafwürdigen Fälle erfasst. Das Kind, das im Schlaf entblößt ist und fotografiert wird, befindet sich eben gerade nicht in einer unnatürlichen Haltung, auch nicht, wenn es sich spielerisch bewegt. Wenn dann Nahaufnahmen der Genitalien in sexuell aufreizender Weise gemacht werden, wäre das bisher nicht unter die Posing- und Pornografievorschriften gefallen. Das haben wir jetzt klargestellt. Auch da ist jetzt die Strafbarkeit nach § 184 b StGB gesichert. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben den Strafrahmen von zwei auf drei Jahre erhöht. An diesem Punkt sind wir im Dissens auseinandergegangen. Wir hätten den Strafrahmen gern auf fünf Jahre erhöht, zum Beispiel in Anlehnung an die Strafbarkeit von Diebstahl. Wir hören aus der Praxis, dass die Darstellung des echten Missbrauchs – also nicht die -Posingfälle, sondern anderes – sehr brutal geworden ist. Der Gedanke, dass das nur deshalb passiert, weil am anderen Ende ein Käufer dafür zahlt, war für uns Grund genug, auf fünf Jahre gehen zu wollen. Heute bleibt es allerdings bei drei Jahren. Vielleicht setzen wir das bei anderer Gelegenheit noch einmal auf die Tagesordnung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei den jugendpornografischen Schriften haben wir davon abgesehen, die Regelungen komplett parallel zur Kinderpornografie zu gestalten. Denn wir sehen natürlich, dass die sexuelle Selbstbestimmung und auch das, was die Jugendlichen selber tun und entscheiden können, ein ganz anderes Maß hat als das, was bei Kindern möglich ist. Hier haben wir ganz klare Ausnahmen für das private Fotoalbum gemacht. Wer Aufnahmen von sich und seinem Partner mit allseitiger Einwilligung macht, der bleibt straflos, wenn er diese nur für den eigenen Gebrauch macht und in diesem Kreis behält. Das haben wir, solange es den privaten Gebrauch nicht übersteigt, nicht unter das Verdikt der Strafe gestellt. Bei den Kindernacktbildern der sogenannten Kategorie 2 haben wir aber die klare Auffassung, dass es gegen die Würde der Kinder verstößt, wenn mit solchen Bildern ihr Recht auf Intimsphäre und Persönlichkeitsentwicklung verletzt wird, wenn sie zu Zwecken und als Objekt der Wünsche von Erwachsenen dargestellt werden und diese Bilder ins weltweite Netz gestellt werden. Das wollten wir ganz klar unter Strafe stellen. Der Befürchtung, dass das vielfach auch im privaten Bereich zu strafwürdigem Verhalten führt, sind wir mit einer ganz einfachen Grenzziehung entgegengetreten. Die Nacktheit von Kindern und Jugendlichen auf Bildern ist nur dann strafwürdig, wenn dies im Rahmen eines entgeltlichen Austauschs geschieht – Entgelt mit t, also nicht nur für Geld, sondern auch im Rahmen eines Tauschs –; denn das geht nicht, das ist nicht tolerabel. Davon abzugrenzen sind allerdings all die Fälle im privaten Bereich. Natürlich denkt niemand daran, mit Bildern der eigenen Kinder gegen Entgelt einen Tauschhandel zu betreiben; diese sind natürlich nur für das private Album gedacht. Aber der unsägliche massenhafte Handel mit solchen Bildern wird von der geplanten Regelung erfasst. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nun haben Sie gefragt, wie das mit den Bildern in der Bravo ist. (Zuruf von der LINKEN: Ja! Wichtige Frage!) Hier gelten die ganz normalen Einwilligungs- und Einverständnisvorschriften des Allgemeinen Teils des BGB. Es ist ganz einfach: Wenn die Eltern eines Jugendlichen im Rahmen ihres Sorgerechts ihre Einwilligung dazu erteilen, dort entsprechende Bilder zu veröffentlichen, ist eine Strafbarkeit natürlich auszuschließen. Das ist der ganz normale Fall der Formulierung eines Tatbestandes im Besonderen Teil des StGB. Die Tatsache, dass wir an dieser Stelle nicht das Wörtchen „unbefugt“ finden, hat also nicht die Auswirkung, die Sie hier hineininterpretieren wollen. Vielmehr ist ganz klar: Hier gelten, wie auch sonst überall, die allgemeinen Rechtfertigungs- und Einwilligungsgrundsätze. Strafwürdiges Verhalten haben wir unter Strafe gestellt. Aber wir haben viele Korrektive installiert, die dafür sorgen, dass die vorgesehenen Regelungen an dieser Stelle nicht zu weit gehen. Die Aufnahme von Bildern, die die Hilflosigkeit einer dritten Person zur Schau stellen, und von Bildern, die das Ansehen einer anderen Person erheblich schädigen, ist strafbar. Es gibt allerdings weitreichende Gründe, die eine Strafbarkeit entfallen lassen können. So können überwiegende Interessen von Presse, Wissenschaft und Kunst und auch private Interessen hier eine Rolle spielen. Es ist also sichergestellt, dass sich die geplante Regelung nur auf das Verhalten bezieht, das wir für strafwürdig halten, und nicht darüber hinausgeht. Wer sich sozial adäquat verhält, ist absolut im grünen Bereich. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Models, die in der Bravo abgebildet werden oder bei Germany’s next Topmodel auftreten, brauchen also keine Angst zu haben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Oh ja! Das ist wichtig!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Hajduk, der Parlamentarische Staatssekretär hat mir zugesichert, dass der Minister jeden Augenblick eintreffen müsse. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann warten wir! – Petra Ernstberger [SPD]: In zwei Minuten ist er hier! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Dann unterbrechen wir die Sitzung doch für fünf Minuten!) – Das halte ich für gar keinen schlechten Einfall. Jedenfalls erscheint mir das klüger als eine Abstimmung mit unvernünftigem Ergebnis. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Dann unterbreche ich die Sitzung bis zum Eintreffen des Bundesministers der Justiz. (Unterbrechung von 9.32 bis 9.34 Uhr) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir setzen die Debatte über diesen Tagesordnungspunkt nun in Anwesenheit des federführend zuständigen Ministers fort. Ich erteile das Wort der Kollegin Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Guten Morgen, Herr Maas! (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Obwohl Sie es bis zur letzten Minute spannend gemacht haben, hat die Zeit offensichtlich nicht gereicht, die Sache zu Ende zu denken. Am Dienstagnachmittag umfangreiche Änderungen vorzulegen, die Mittwochmorgen im Ausschuss beschlossen werden, ist nicht nur kein guter parlamentarischer Umgang mit der Opposition, sondern führt auch zu miserablen Gesetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das Ganze konnte schon deswegen nicht gelingen, weil Sie zwei völlig verschiedene Strafrechtsbereiche miteinander vermengt haben und den Persönlichkeitsschutz so zu einer Art Auffangtatbestand für all das machen wollen, was nicht unter den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung fällt. Ich will im Gegensatz zu Ihnen die Dinge klar ausei-nanderhalten. Die gute Nachricht zuerst: das Sexualstrafrecht. Hier kann ich Sie ausnahmsweise einmal loben. Sie sind unserem Hinweis gefolgt und haben den Fehler im Tatbestand der Jugendpornografie korrigiert, der dazu geführt hätte, dass sich ein Volljähriger, der seine 17-jährige Freundin beim Posieren am Pool fotografiert, strafbar gemacht hätte. Auf unsere Anregung hin haben Sie die Einwilligung der Jugendlichen in den Ausschlusstatbestand des Absatzes 4 aufgenommen. Damit ist jetzt klar, dass sich Jugendliche von ihren volljährigen Freunden fotografieren lassen dürfen, sodass wir dem sexualstrafrechtlichen Teil Ihres Gesetzes gerade so zustimmen können. Bei der Definition der Kinderpornografie in § 184 b StGB konnten Sie sich leider nicht entscheiden und haben jetzt die SPD-Version und den bayerischen Vorschlag als Alternative ins Gesetz geschrieben. So kann man die Große Koalition künftig direkt im Gesetzeswortlaut ablesen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht, welcher Teil von wem ist!) Da aber die Konkretisierung hinsichtlich der Darstellung der Genitalien sinnvoll ist, tragen wir das mit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Klarstellungen beim Grooming und bei den sogenannten Livedarbietungen – dabei geht es um die Umsetzung der EU-Richtlinie – hatten wir bereits in der ersten Lesung begrüßt. Die Verlängerung der Verjährungshemmung bis zum 30. Lebensjahr ist unter rechtspolitischen Gesichtspunkten durchaus umstritten. Da es aber tatsächlich vor allem den Opfern zugutekommt, den Entscheidungsdruck von ihnen zu nehmen, stimmen wir auch dieser nicht unproblematischen Regelung zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber jetzt zur schlechten Nachricht. Der neue § 201 a StGB ist und bleibt irreparabel misslungen und unverhältnismäßig. Für die Strafbarkeit von Fotos, die geeignet sind, dem Ansehen einer Person zu schaden, haben Sie bereits herbe Kritik nicht nur von uns als Opposition einstecken müssen, sondern auch aus der versammelten Fachwelt und von Ihren eigenen Experten in der Anhörung. Was geeignet ist, dem Ansehen zu schaden, bleibt ein subjektiver und damit unbestimmter Rechtsbegriff. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es ist also vorprogrammiert, dass die Frage, ob ein Foto geeignet ist, dem Ansehen zu schaden, von dem Fotografen und der abgebildeten Person regelmäßig unterschiedlich beantwortet wird. Immerhin haben Sie erkannt, dass die Strafbarkeit der reinen Herstellung dieser Bilder zu weit geht. Strafbar macht sich künftig dann, wer solch ein peinliches Foto einem Dritten zugänglich macht. Das ist aber immer noch viel weniger als etwa die Verbreitung oder Veröffentlichung eines Fotos, was bereits nach bisheriger Rechtslage strafbar ist. Zur Verdeutlichung möchte ich auf meinen Beispielfall aus der ersten Lesung zurückkommen. Sie machen einen Ausflug auf der Reeperbahn in Hamburg und machen dabei touristische Fotos von interessanten Fassaden, als just in dem Moment ein bundesweit bekannter Bundestagsabgeordneter aus einem einschlägigen Eta-blissement kommt und Ihnen direkt ins Bild läuft. Sie machen sich jetzt zwar nicht mehr in dem Moment strafbar, in dem Sie auf den Auslöser drücken – so war das noch im Kabinettsentwurf vorgesehen –, aber spätestens dann, wenn Sie zu Hause am Küchentisch Ihren Freunden die Hamburg-Fotos zeigen und einer erfreut ausruft: „Mensch, das ist doch der Abgeordnete XY! Was macht der denn da?“. Ob dem Ansehen tatsächlich geschadet wird, spielt dabei gar keine Rolle. Es reicht, dass das Foto dazu geeignet ist, was bei einem Bordellbesuch im Regelfall zu bejahen wäre. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Dabei fehlt doch der Vorsatz!) Nach wie vor greift das Strafrecht hier ohne jede Not in den rein privaten Bereich ein. Die unbefugte Veröffentlichung und Verbreitung ist hingegen jetzt schon vom Straftatbestand im Kunsturhebergesetz ausreichend erfasst. Hier gibt es weder eine Lücke noch sonst einen Bedarf, die Strafbarkeit auszuweiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Nachdem Sie jetzt die reine Herstellung von peinlichen Bildern als Straftat herausgenommen haben, verfassen Sie kurzfristig einen neuen Absatz, in dem Sie den alten Fehler wieder einbauen. Danach soll künftig strafbar sein, ein Foto, welches die Hilflosigkeit einer Person zur Schau stellt, zu machen. Vielleicht war das ja der Versuch, sich ausnahmsweise an dem Kunsturhebergesetz zu orientieren, wonach Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen. Sie haben aber das Wort „öffentlich“ vergessen und stellen damit wieder die reine Herstellung unter Strafe. Was heißt das? Wenn ein Jugendlicher seinen betrunkenen Kumpel fotografiert, ist er bereits straffällig, ohne dass er dieses Foto überhaupt weitergibt oder ins Netz stellt. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Nein!) Es reicht, wenn das Bild die Hilflosigkeit des Betrunkenen zur Schau stellt. Das geht zu weit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn überhaupt, dann ist doch ausschließlich die Verbreitung und Veröffentlichung eines solchen Bildes strafwürdig. Das aber ist bereits heute strafbar, sodass Ihre ganze Ausweitung des § 201 a StGB schlicht überflüssig ist. (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Wer nämlich unfreiwillig in hilfloser Lage Hauptdarsteller eines YouTube-Videos werden sollte, kann bereits heute nach dem Kunsturhebergesetz einen Strafantrag stellen. Das halte ich auch für sinnvoll und ausreichend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Beim Strafrahmen passt jetzt auch nichts mehr zusammen. Das öffentliche Zurschaustellen soll nach dem Kunsturhebergesetz mit bis zu einem Jahr geahndet werden, die bloße Herstellung des Fotos aber nach dem neu gefassten § 201 a StGB mit bis zu zwei Jahren. Das kommt davon, wenn man einen Straftatbestand doppelt regelt und das dann nicht einmal aufeinander abstimmt. Im neuen Absatz 3 haben Sie auf die Kritik bei der Strafbarkeit von Nacktbildern reagiert und diese auf Bilder von Minderjährigen beschränkt. Strafbar soll jetzt die Herstellung sein, wenn sie erfolgt, um dieses Bild einer dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen. Strafbar ist auch der Bezug eines solchen Bildes. Jeder hat hier den Fall vor Augen, an den Sie dabei gedacht haben. Das Problem ist aber, dass Sie nur noch an diesen Fall gedacht haben, und das ist beim Verfassen von Gesetzestexten verheerend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zunächst einmal versuchen Sie hier beim Persönlichkeitsschutz eine Lücke im Sexualstrafrecht zu schließen, die es gar nicht gibt. Jemand, der im Internet Aufnahmen nackter Minderjähriger erwirbt, verfügt – das belegt die Erfahrung der Ermittler – in 90 Prozent der Fälle auch über strafbares Material. In der Regel reicht es für einen Anfangsverdacht und eine Durchsuchung, bei der sich der Rest dann findet. Das haben die Staatsanwälte in der Anhörung und die Gerichte im Fall Edathy bestätigt. Wer darüber hinaus die Begründung des Bundesverfassungsgerichts zu der Beschwerde des ehemaligen Kollegen liest, wird feststellen, dass der Fall Edathy schon deswegen keine Strafbarkeitslücke offenbart hat, weil bereits das Ausgangsmaterial nicht legal war. Letzte Zweifel an der Strafbarkeit wären spätestens mit der ergänzten Definition der Kinderpornografie ausgeräumt, die wir heute verabschieden. Wenn es also aus diesem Zusammenhang heraus keine Notwendigkeit für eine weitere Strafvorschrift gibt, sollten wir die Finger davon lassen, um zu vermeiden, dass wir im Zweifelsfall auch Jugendliche erfassen, die es aus unerfindlichen Gründen cool finden, sich gegenseitig Nacktfotos zu schicken. Denn immerhin ist der Begründung zu entnehmen, dass mit Entgelt auch der Tausch von Bildern gemeint sein soll. Ein klassischer Flüchtigkeitsfehler dürfte Ihnen unterlaufen sein, als Sie in der Eile am Wochenende das Wörtchen „unbefugt“ aus Absatz 3 herausgestrichen haben. Sie haben dabei wieder nur an den Fall Edathy gedacht und wollten verhindern, dass die Einwilligung der Eltern der rumänischen Jungs eine Rolle spielt. Das ist Ihnen auch gelungen. Jetzt kann niemand mehr einwilligen: weder die Minderjährigen noch deren Eltern. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ein einziger Quatsch!) Man kann zwar, wie die Union im Ausschuss, der Meinung sein, dass 17-jährige Models auch mit Einverständnis ihrer Eltern in Dessous-Katalogen oder in der Bravo nichts zu suchen haben. Künftig machen sich aber nicht nur die Fotografen dabei strafbar, sondern auch jeder, der ein solches Heft erwirbt. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Nein! Das stimmt nicht!) Hier hätte eine ordentliche Beratung sicherlich gutgetan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir werden sämtliche Änderungen des § 201 a StGB heute in getrennter Abstimmung ablehnen. Gleiches gilt für die Ausweitung der Volksverhetzung nach § 130 StGB, mit der Sie eine neue Versuchsstrafbarkeit einführen, für die es keine hinreichend plausible Notwendigkeit gibt. Den Änderungen im Sexualstrafrecht hingegen stimmen wir zu. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Susanne Mittag das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Susanne Mittag (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der laufenden Debatte über die Reform des Sexualstrafrechts viele rechtliche Einschätzungen gehört. Ob ein bestimmter Aspekt des Gesetzentwurfs gerechtfertigt ist, ob der Entwurf über das Ziel hinausschießt oder ob er verhältnismäßig ist, wurde dargelegt. Das ist eine wichtige und richtige Diskussion, die wir zurzeit noch führen und die die Redner, die nach mir sprechen, fortsetzen werden. Als gelernte Polizistin möchte ich mich aber nicht an der juristischen Debatte beteiligen. Ich möchte lieber darüber sprechen, was es in der Ermittlungspraxis bedeutet, das Sexualstrafrecht zu reformieren. In der Arbeit der Polizei gab es in der Vergangenheit immer wieder Probleme, zum Beispiel Bilder von Kindern klar in „erlaubt“ und „verboten“ zu unterscheiden. Da unterscheiden die Polizei und die Ermittlungsbehörden zwischen Kategorie-1-Bildern, klar kinderpornografisch, und Kategorie-2-Bildern, den sogenannten Posingbildern. Je nach Rechtsauffassung des bearbeitenden Staatsanwalts konnte der Besitz von Kategorie-2-Bildern dazu führen, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, oder nicht. Diese Ermessenslücke schließen wir nun endlich und stellen klar, dass die Herstellung, die Verbreitung und der Besitz von Posingbildern verboten sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Über den derzeitigen 2. Untersuchungsausschuss und ein laufendes Ermittlungsverfahren ist in den Medien viel berichtet worden. Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, möchte ich mich nicht näher dazu äußern, auch wenn es hier schon erwähnt wurde. Nur so viel: Die Reform des Sexualstrafrechts führt nicht zu einem Amnestiegesetz, wie es eine etwas größere, polemisierende Zeitung öffentlich dargelegt hat. Das trifft nicht zu. Wir verschärfen das Sexualstrafrecht. Wir haben das Strafmaß heraufgesetzt. Wir haben Verjährungsfristen verlängert. Wir haben bestehende Straftatbestände erweitert und neue Straftatbestände aufgenommen, um Schutzlücken zu schließen, zum Beispiel beim sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen – da fehlte einiges –, beim Cybergrooming und auch beim Thema Genitalverstümmelung, das bislang hier noch gar nicht erwähnt wurde, obwohl es recht wichtig ist. All diese Punkte haben wir, SPD und CDU/CSU, schon im letzten Jahr im Koalitionsvertrag verankert und setzen das nun um. Das ist gut so; denn das erleichtert die Arbeit von Polizei und Ermittlungsbehörden. Hier kommen wir allerdings zu einem kritischen Punkt. Sicherheit können wir hier im Deutschen Bundestag nicht beschließen. Kein Paragraf im Strafgesetzbuch klärt eine Straftat auf. Wir dürfen uns heute nicht zufrieden auf die Schulter klopfen, weil wir das Sexualstrafrecht reformiert haben, und das war es dann. Nein, danach geht die Arbeit erst richtig los, nämlich die Arbeit für Polizei und Justiz. Aber diese kommen leider ihren Aufgaben teilweise schon jetzt nicht mehr in adäquater Weise nach. Wenn wir die Verjährungsfristen anheben, dann bedeutet das auch, dass mehr Straftaten bei den Behörden angezeigt werden. Dabei handelt es sich nicht um einfache Ermittlungen. Tatortspuren gibt es in der Regel kaum noch. Erinnerungen von Zeugen verblassen oder verändern sich. Ermittlungen, die auch den Opfern gerecht werden sollen, sind schwierig und nicht schnell abzuschließen. Das ist sicherlich kein Grund, auf derartige Ermittlungen zu verzichten. Aber das heißt, wir brauchen in diesem Bereich erheblich mehr Ermittler. Wenn wir die Herstellung, die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornografie bekämpfen wollen, dann brauchen wir auch dort mehr Ermittler. Die Beamten des BKA haben uns im Innenausschuss berichtet, dass sie über zwei Jahre gebraucht haben, um die Daten der Operation „Spade“ auszuwerten. Zwei Jahre! Das ist zu lange und darf eigentlich gar nicht sein. Das hat so lange gedauert, nicht weil die Beamten des BKA langsam gearbeitet hätten, sondern weil es zu wenige Beamte waren. Es sind zu wenige Ermittlungsbeamte für die rasant ansteigenden Fallzahlen gerade im Internet. Oft müssen sich die Beamten durch ein Terabyte von Daten arbeiten. Das sind 1 000 Gigabyte voll mit schrecklichen Bildern, Videos und Texten. Das alles muss gesichtet, bewertet und in Akten angelegt werden. Wenn wir als Parlamentarier den Polizistinnen und Polizisten beim BKA, bei der Bundespolizei, aber auch bei den Landespolizeien mehr Aufgaben übertragen, dann müssen wir sie auch personell und materiell gut ausstatten, damit sie ihre Arbeit machen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CDU/CSU und der LINKEN) Das ist unsere Arbeit in den Haushaltsberatungen. Es gibt leicht positive Signale aus dem Haushaltsausschuss. Das ist sehr schön. Aber ich sage ganz deutlich: Das reicht noch nicht, nicht für diesen hier beschriebenen Bereich. Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam als Parlament einen Weg finden können, um den Sicherheitsbehörden die notwendige Ausstattung für ihre Arbeit zu geben, damit wir nicht nur Gesetze beschließen, sondern damit diese dann auch umgesetzt werden können. Es wird sich zeigen, wie ernst wir es damit meinen. Das sind wir den vielen Opfern dieser Straftaten schuldig; denn diese tragen ein ganzes Leben an der Tat. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Alexander Hoffmann ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Adrian P. war ein fröhliches Kind. Er ist groß geworden in der Region um Satu Mare in Rumänien. Eines Tages kommt in sein Dorf ein Deutscher, der sich das Vertrauen der Eltern und der Kinder erschleicht. Das tut er über Wochen hinweg, indem er Süßigkeiten verteilt, Ausflüge organisiert und durch andere Großzügigkeiten. Ohne das Wissen der Eltern bewegt er dann die Knaben dazu, bei ihm nackt zu baden, sich gegenseitig mit Öl einzureiben oder nackt miteinander zu raufen, und er filmt das Ganze. Diese Filme vertreibt er dann und findet als Abnehmer zum Beispiel ein Unternehmen wie Azov Films, eine Firma, die in drei Jahren mit Material dieser Art über 4 Millionen Euro umsetzt. Da möchte ich schon einhaken, weil es immer heißt, wir hätten nur einen bestimmten Fall im Auge. Meine Damen und meine Herren, wir haben diesen Markt im Auge. Wir alle waren erschrocken, als im Zusammenhang mit der Edathy-Affäre zutage gefördert worden ist, dass eine ganze Branche entstanden ist, die mit gerade noch legalem Material Millionenumsätze macht. Darauf haben wir uns bei diesem Gesetzentwurf konzentriert, nicht auf diesen einzelnen Fall. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir waren uns damals in einer gemeinsamen Kampfansage alle einig, dass es uns darum gehen muss, diesen Markt trockenzulegen. Ich sage Ihnen heute: Das wird uns mit diesem Gesetzentwurf gelingen. Ganz kurz – es ist schon viel dargestellt worden – zwei, drei wichtige Argumente und Elemente aus meiner Sicht. So wurde der Begriff der Kinderpornografie erweitert. Dazu zählen nicht mehr nur Bilder mit sexuellen Handlungen an und von Kindern oder auch Bilder von unbekleideten Kindern in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung – das ist das, was die ganze Zeit schon im Bereich des Posings Rechtsprechung war –, sondern jetzt auch die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien und des Gesäßes eines Kindes. Das ist eine ganz wichtige Ergänzung, die zum einen damit einen Gleichlauf zur Lanzarote-Konvention herstellt, zum anderen einem Vorstoß der Bundesländer Bayern und Hessen im Bundesrat gerecht wird, für den wir im Laufe der Beratungen sehr dankbar waren. Dennoch ist es uns gelungen – auch das ist vorhin angeklungen –, den Begriff der Jugendpornografie davon trennscharf abzugrenzen, weil Jugendliche einfach eine andere Sexualität haben. Da passiert es schon einmal, dass sich ein jugendliches Pärchen Posingbilder per MMS hin- und herschickt. Durch die Möglichkeit der Einwilligungsfähigkeit für den höchstpersönlichen Gebrauch haben wir hier eine trennscharfe Formulierung gefunden. Im Hinblick auf den Fall, den ich vorhin geschildert habe, ist es uns eben auch gelungen, Schlupflöcher zu schließen. Oft kam die platte Behauptung, man habe nur legales Material bezogen, und das waren dann 5 000 oder 10 000 einzelne Bilder. Oder es kam das Argument, man sei Liebhaber der Landschaft und der Kunst. Strafbar ist nunmehr die Herstellung von Nacktbildern von Personen unter 18 Jahren in der Absicht – das ist wichtig –, diese einem Dritten entgeltlich zu verschaffen; strafbar macht sich auch derjenige, der sich solche Bilder entgeltlich verschafft. Jetzt haben wir im Rahmen der Kritik in dieser Woche Beispiele gehört: das Nacktbild der 17-Jährigen in der Bravo. Aber vergessen wir eines nicht: Die Institution der rechtfertigenden Einwilligung gibt es nach wie vor. Bei einem solchen Bild können die Eltern selbstverständlich im Rahmen ihres Sorgerechts einwilligen. Bitte denken Sie daran – der Kollege Dr. Fechner hat es vorhin dargestellt –: Es gibt Ausnahmen in § 201 a Absatz 4 StGB. Auch hier können wir die Strafbarkeit sehr trennscharf regulieren. Jetzt ein zweites Beispiel, das ich persönlich als eher skurril empfinde: die 17-Jährige im Dessouskatalog. Es müsste also die Nacktheit der 17-Jährigen Gegenstand des Dessouskatalogs sein. Da muss ich ganz ehrlich sagen – das ist meine persönliche Auffassung –, dass ich mich dann schon wundere. Eine nackte 17-Jährige hat für mich in einem Dessouskatalog nichts zu suchen. Aber wenn man nicht prüde sein will, so ist es auch hier möglich, dass die Eltern einwilligen, solange das unter das Sorgerecht der Eltern fällt. Wir haben die ganze Woche die Kritik vernommen, das Gesetz sei zu unbestimmt, man müsse vorsichtig sein, und man verstehe nicht, was gemeint sei. Auch darüber wundere ich mich. Überlegen wir einmal, welche Anträge und Gesetzentwürfe uns teilweise hier vorgelegt werden. Oft strotzen Gesetzentwürfe nur so vor unbestimmten Rechtsbegriffen, und es wird ganz schnell einmal mit einem Federstrich ein Ordnungswidrigkeitentatbestand formuliert, zum Beispiel für den Fall, dass ein Unternehmer nicht rechtzeitig ein Gleichstellungskonzept erstellt. In diesem wichtigen Fall hören wir die ganze Zeit: Das ist nicht bestimmt genug. Da müssen wir vorsichtig sein. Das ist unverständlich. – Ich will das gar nicht weiter werten. Aber man merkt – auch in der Diskussion –, wie die Gewichtigkeit dieses Themas in den unterschiedlichen Gruppierungen ausfällt. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Frechheit!) Es ist, meine Damen, meine Herren, ein guter Gesetzentwurf. Ich möchte an dieser Stelle dem Ministerium, dem Minister und auch den Kolleginnen und Kollegen danken, weil es uns gerade in den letzten Wochen gelungen ist, viele neue Regelungen zu erarbeiten, die letztendlich eine trennscharfe Abgrenzung ermöglichen. Aber es gibt für mich persönlich – das sage ich ganz offen – auch einen Wermutstropfen: Wir von der Union hätten sehr gerne die Strafbarkeit des Cybergrooming sichergestellt. Worum es dabei geht, ist ganz einfach erzählt: Erwachsene gehen ins Internet – das geschieht tausendfach; das muss man so sagen –, um in Chatrooms mit Mädchen, mit Kindern sexuellen Kontakt anzubahnen. Das große Problem in der Praxis ist – das wurde auch in den Anhörungen ganz deutlich zutage gefördert –, dass die einzige Möglichkeit der Polizei, solcher Täter habhaft zu werden, ist, dass sich Ermittlungsbeamte in solchen Chatrooms als Kinder ausgeben, um so an -potenzielle Täter heranzukommen. Auch an dieser Stelle ein Dankeschön; denn das Ministerium hat angeboten, dass wir in einem weiteren Fachgespräch etwas über die Praxis erfahren. So hoffen wir, dass wir hier die Impulse aus der Praxis aufnehmen können. Ich kann hier für meine Fraktion sprechen: Wir sind bei der Beurteilung der Notwendigkeit noch lange nicht am Ende der Beratungen angelangt. (Beifall der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]) Am Ende, meine Damen, meine Herren, noch ein Punkt, der mich bewegt – auch das wurde als Kritik geäußert –: Es hieß, dieser Gesetzentwurf komme zu schnell, er sei mit heißer Nadel gestrickt, man habe keinerlei Beteiligungsmöglichkeit gehabt. – Das ist nicht richtig. Kollegin Keul, Sie haben vorhin gesagt, am Dienstagnachmittag seien noch umfassende Änderungen vorgelegt worden. Das stimmt einfach nicht. Das waren redaktionelle Änderungen, die wirklich in einem überschaubaren Rahmen stattgefunden haben. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Wir hatten insgesamt ein sehr fruchtbares Beteiligungsverfahren. Wir hatten eine gute Anhörung. Kollegin Keul, auch wir beide hatten ein sehr gutes Gespräch – das können Sie nicht bestreiten –, und Anregungen von Ihnen aus diesem Gespräch habe ich in die weitere Beratung einfließen lassen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Darf die Kollegin Keul eine Zwischenbemerkung machen oder eine Zwischenfrage stellen? Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Aber sehr gerne. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie zwingen mich jetzt geradezu, mich noch einmal zu melden und eine Zwischenbemerkung zu machen. Es ist völlig unstreitig, dass wir über den Kabinettsentwurf, wie er vorlag, Gespräche geführt haben, dass wir ihn beraten haben – auch wir beide –, was zu dem Ergebnis geführt hat, dass tatsächlich Fehler beseitigt wurden. Meines Erachtens zeigt das, dass ein parlamentarisches ordnungsgemäßes Verfahren seinen Sinn hat und dass wir uns daran auch halten sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Freitagmittag um 12 Uhr war die Frist abgelaufen, bis zu der dem Rechtsausschuss die Änderungen am Kabinettsentwurf hätten vorliegen müssen; wir haben sie am Dienstagnachmittag bekommen. Diese Änderungen sind umfangreich und komplex. Ich habe zu § 201 a StGB viel gesagt. Sämtliche Änderungen sind über das Wochenende, also in letzter Minute, gestrickt worden, und wir mussten am Mittwoch beschließen. Das ist kein ordnungsgemäßes parlamentarisches Verfahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich gehe davon aus, dass der eine oder andere Fehler möglicherweise hätte korrigiert werden können, wenn wir uns gründlich und vernünftig über diese Änderungsvorschläge unterhalten hätten. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Danke für dieses Statement. – Es war im Kern doch so – Sie haben es gerade angesprochen –, dass am Freitagnachmittag der Gesetzentwurf vorlag. Die umfassende Änderung, von der Sie vorhin gesprochen haben, war die Streichung des Wortes „unbefugt“. Ich denke, wir haben mit Hilfestellung des Kommentars dargelegt, was die Begrifflichkeit „unbefugt“ bedeutet. – Ich habe befürchtet, dass die Ausschussvorsitzende auch noch eine Frage hat, Herr Präsident. Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein. Sie wollte nur hilfreich sein, um darauf hinzuweisen, dass sich Frau Keul zur Entgegennahme der Beantwortung ihrer Zwischenfrage vielleicht freundlicherweise von ihrem Platz erhebt. (Heiterkeit – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ich wollte schon eine Zwischenfrage stellen!) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Ende. (Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage) – Herr Präsident, Frau Künast möchte doch eine Zwischenfrage stellen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Und Sie machen den Eindruck, als wollten Sie die auch zulassen. (Heiterkeit) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr gerne. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also, da Sie jetzt gesagt haben, am Freitag seien den Mitgliedern Unterlagen zugegangen, frage ich jetzt: Trifft es zu, dass die Ausschussvorsitzende am Freitag kein Papier bekommen hat, keinen Änderungsantrag, den sie verschicken konnte? Zumindest ich als Ausschussvorsitzende habe davon keine Kenntnis. Ich habe nichts bekommen. Das Ausschusssekretariat hat erst am Dienstag um 15 Uhr und ein paar Minuten eine Vorlage bekommen, die verschickbar ist. Das Ausschusssekretariat hat am Freitagnachmittag Kenntnis davon bekommen, dass es angeblich ein Papier gibt. Das sei aber vertraulich, und es gebe nichts zu verschicken und, und, und. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und da war nicht nur eine Änderung drin!) Das ist, glaube ich, an dieser Stelle ein Unterschied, weil ja zu einer guten Beratung auch gehört, dass das Ausschusssekretariat rechtzeitig Änderungsvorlagen verschickt, damit diese dann auch noch zum Beispiel mit Oberstaatsanwälten oder Wissenschaftlern aus der Anhörung besprochen werden können. Diese Möglichkeit gab es von Dienstag, 15 Uhr und ein paar Minuten, bis Mittwoch, 9 Uhr, nicht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das kann der Kollege doch nicht erklären!) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Vielen Dank für die Frage. – Dazu muss man zum einen sagen: Ich bezweifle, dass die Möglichkeit bestanden hätte, es so weit auszuweiten, wenn das Ausschusssekretariat am Freitag entsprechende Unterlagen vorgelegt bekommen hätte. Zum anderen: Entscheidend ist doch, dass die beteiligten Fraktionen im Ausschuss über die entsprechende Information verfügen. Und das war am Freitag schon der Fall. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das war nicht der Fall! Das war vertraulich, und das war nicht abschließend! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Woher soll denn der Kollege das wissen? Er hat doch nichts verschickt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es erwähnt: Es ist tatsächlich so, wir haben es eilig. Das will ich gar nicht wegdiskutieren. Denn wir wollen in diesem Gesetzgebungsverfahren – das ist ein ganz wichtiger Punkt – noch in diesem Jahr zum Abschluss kommen. Warum? Die Antwort ist im Grunde ganz einfach: weil jeden Tag, und zwar wirklich jeden Tag, in irgendeinem rumänischen, in irgendeinem bulgarischen Dorf oder woanders auf der Welt wieder jemand aufschlagen kann, der sich das Vertrauen der Kinder und der Eltern erschleicht und dann mit Nacktbildern der Kinder Handel treibt. Solche Menschen werden in Zukunft in Deutschland keine Geschäfte machen. Das sind Geschäftsmodelle, die für uns absolut inakzeptabel sind. Wir werden diesen Markt trockenlegen. Das wird uns gelingen. Deswegen werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Dirk Wiese für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der nun vorliegende Gesetzentwurf in der durch den Änderungsantrag geänderten Form ist aus meiner Sicht und aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion ein wirkungsvolles Mittel, um bestehende Lücken im Sexualstrafrecht zu schließen, ohne dabei gleichzeitig Gefahr zu laufen, sozialadäquates Verhalten unter Strafe zu stellen. Mein Kollege Johannes Fechner hat bereits die zentralen Punkte des Entwurfs, was Kinder- und Jugendpornografie angeht, dargestellt. Ich möchte im Folgenden auf vier weitere Themengebiete eingehen, die wir durch das Gesetz neu regeln bzw. wo wir Lücken in der Strafbarkeit schließen. Erstens. Wir schließen Strafbarkeitslücken beim sexuel-len Missbrauch von Schutzbefohlenen. Bundesminister Heiko Maas hat das folgende Beispiel bereits in seiner Rede zur ersten Lesung verwendet: Das Oberlandesgericht Koblenz musste im Dezember 2012 einen Lehrer, der sich gezielt an eine 14-jährige Schülerin herangemacht hatte und das Mädchen über fünf Monate letztendlich zum Sex gedrängt hatte, vom Vorwurf des Missbrauchs von Schutzbefohlenen freisprechen. Grund für den Freispruch war einzig und allein, dass der Lehrer das Mädchen nicht regelmäßig unterrichtete und er damit als Vertretungslehrer in keinem sogenannten Obhutsverhältnis zu der Neuntklässlerin stand. Mit der Neufassung bzw. Ergänzung des § 174 Absatz 2 Strafgesetzbuch schließen wir diese Regelungslücke nun. Niemand soll seine Vertrauensstellung ungestraft missbrauchen dürfen; und es ist selbstverständlich, dass es dabei völlig egal sein muss, ob der Täter nun Klassenlehrer ist oder nur vertretungsweise unterrichtet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens. Wir konkretisieren den Straftatbestand des Cybergroomings. Kurz zur Begriffserklärung: Unter Cybergrooming versteht man die Kontaktaufnahme erwachsener Täter mit Kindern im Internet zur Anbahnung sexueller Handlungen. Die Zahl dieser Fälle nimmt leider immer mehr zu. Laut polizeilicher Kriminalstatistik meines Heimatlandes Nordrhein-Westfalen hatten wir allein im Jahr 2013 eine Steigerung von über 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Bisher konnten Fälle, in denen diese Informationsübertragung ausschließlich über Datenleitungen erfolgte und es zu keiner Zwischenspeicherung kam, nicht sicher erfasst werden. Der Handlungsbedarf ist gerade wegen der steigenden Zahl dieser Fälle besonders hoch. Durch die Neufassung von § 174 Absatz 4 Nummer 3 Strafgesetzbuch haben wir nun den Tatbestand dahin gehend konkretisiert, dass es in solchen Fällen keine Auslegungsprobleme des Tatbestandes mehr gibt. Ich glaube auch, dass die gesetzliche Regelung heute schon Möglichkeiten eröffnet, bei einem Anfangsverdacht weitere Ermittlungsmethoden zu nutzen. Drittens. Wir nehmen den Straftatbestand der Genitalverstümmelung in den Katalog der Auslandsstraftaten auf. Eines der abscheulichsten Verbrechen an Mädchen und Frauen ist die in verschiedenen afrikanischen und einigen asiatischen Ländern praktizierte Beschneidung aus traditionellen oder rituellen Gründen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Auch an in Deutschland lebenden Migrantinnen aus diesen Ländern wird das Beschneidungsritual teilweise in ihren Herkunftsländern als sogenannte Ferienbeschneidung praktiziert. Eltern fahren dafür extra mit ihren Kindern in die entsprechenden Heimatregionen. Problem bei der Strafverfolgung dieser im Ausland begangenen Genitalverstümmelungen war bisher, dass eine Strafbarkeit wegen Beihilfe nach deutschem Recht bislang ausschied, sofern keine Vorbereitungshandlung in Deutschland nachweisbar war. Durch Aufnahme des Straftatbestandes der Genitalverstümmelung in den Katalog der Auslandsstraftaten schließen wir diese Strafbarkeitslücke nun – ein wichtiger und entscheidender Schritt bei der Verfolgung dieses abscheulichen Verbrechens. Viertens. Wir verlängern die Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch an Kindern oder Jugendlichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erfahrungen aus den letzten Jahren haben gezeigt, dass Menschen, die als Jugendliche oder Kinder Opfer sexuellen Missbrauchs wurden, häufig erst nach Jahren in der Lage sind, über das Geschehene zu sprechen. Oftmals sind dann die Taten bereits verjährt. Das konnte man zum Beispiel bei den Missbrauchsfällen sehen, die im Zusammenhang mit der Odenwaldschule stehen. Deshalb ändern wir bei derartigen Straftaten die Verjährungsfrist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, obgleich wir uns der Probleme im Beweisverfahren bewusst sind, die die Fristverlängerung mit sich bringen kann, haben wir uns ganz klar für diese Fristverlängerung entschieden; denn mit ihr senden wir auch ein starkes Signal an die Betroffenen und lassen sie mit ihrem Leid nicht alleine. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mit unserem Gesetz bekämpfen wir nicht nur die Kinderpornografie, sondern erweitern auch umfangreich den strafrechtlichen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und sexuellen Übergriffen. Flankiert wird der vorliegende Gesetzentwurf zum Sexualstrafrecht durch das Präventionskonzept „Gemeinsam gegen sexuelle Gewalt“ von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, sodass wir am heutigen Tage insgesamt ein gutes Maßnahmenbündel zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vorlegen können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Christina Schwarzer ist die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Christina Schwarzer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit etwas mehr als einem Jahr bin ich Bundestagsabgeordnete, und ohne die Bedeutung aller anderen Initiativen und Gesetzentwürfe auch nur im Geringsten schmälern zu wollen, kann ich Ihnen sagen: Meiner Ansicht nach sprechen wir hier heute über den wichtigsten Gesetzentwurf zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in meiner Zeit als Bundestagsabgeordnete. Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, das empfinden viele Kollegen heute auch so. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Warum ist das so? Weil der Gesetzentwurf viele Verbesserungen für diejenigen beinhaltet, die sich nicht selbst wehren können und unsere Unterstützung benötigen. Es geht unter anderem darum, die Schwächsten unter uns zu schützen. Darum ist es auch so wichtig, dass wir schnell handeln. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang, kurz den Weg zu diesem Gesetz nachzuzeichnen. Manchmal überholen Geschehnisse politische Debatten, so auch hier. Ganz abgesehen davon enthält der Koalitionsvertrag auf Initiative der Union hin bereits mehrere konkrete Vorhaben zu entsprechenden Reformen des Sexualstrafrechts. Auf der Basis eines Fachgesprächs haben wir bereits im März dieses Jahres unter anderem auf Initiative der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Thomas Strobl und Nadine Schön, der ich an dieser Stelle noch einmal recht herzlich zur Geburt ihres Sohnes gratuliere (Beifall) – vielleicht sieht sie ja schon die Debatte; ich glaube, ihr Herz geht auf, wenn sie sie heute sieht –, ein Eckpunktepapier mit einem Herzensanliegen vorgestellt: „Wir wollen ein Opferschutzpaket jetzt!“ Es beinhaltete Punkte wie die Anpassung des Sexualstrafrechts an das digitale Zeitalter, einen besseren Schutz vor Übergriffen in Abhängigkeitsverhältnissen, die Verlängerung der Verjährungsfrist sowie Vorschläge zu Opferschutz und Prävention. Der hier vorliegende Gesetzentwurf greift viele dieser Punkte auf. Ich finde, es ist wirklich ein starkes Zeichen, dass das Ministerium und der Bundestag dieses wichtige Thema binnen Jahresfrist zu einem Ergebnis geführt haben – zu einem sehr guten Ergebnis, wie ich finde. Das Ziel der Änderung des Strafgesetzbuches ist eine deutliche Verbesserung des Schutzes gerade von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen und sexuellem Missbrauch. Nun müssen wir uns fragen: Ist dieses Ziel mit dem hier vorliegenden Entwurf zu erreichen? Ich meine, ja, obwohl es einen Punkt gibt, den ich etwas kritisch sehe; aber dazu später. Wie erreicht dieser Gesetzentwurf das von uns allen formulierte Ziel? Zum einen ist für mich die Verlängerung der Verjährungsfristen ein extrem wichtiger Punkt. Sexueller Missbrauch von Kindern ist für mich eines der schlimmsten und schwersten Verbrechen überhaupt. Die Opfer tragen die Folgen das ganze Leben lang mit sich. Hier gibt es kein Vergessen. Gerade weil die Opfer dieser Straftaten die Folgen so lange mit sich tragen, drängen die Verjährungsfristen sie häufig; denn sie brauchen manchmal Jahrzehnte, um überhaupt über die Tat sprechen zu können, diese vielleicht sogar erst einmal zu verstehen. Wie wir bereits gehört haben, ist die Verlängerung der Verjährungsfristen unter Juristen nicht unumstritten; das hat auch die öffentliche Anhörung im letzten Monat ergeben. Das Argument lautet: Je später die Ermittlungen aufgenommen werden, Herr Wunderlich, desto schwerer ist es, dem Täter etwas nachzuweisen. Ich sage dennoch: Die Opfer brauchen Zeit, Kraft und vor allen Dingen Mut, um das Geschehene ohne den Druck der drohenden Verjährung zu verarbeiten. Die Frage der Verjährung muss daher von der Perspektive der Opfer her gedacht werden und nicht von der der Rechtspraxis. Da ein erschwertes Verfahren die Situation für die Opfer sicher auch schwerer macht, ist hier eine umfangreiche und vor allem realistische rechtliche Beratung der Opfer vorab notwendig. Die Verlängerung der Verjährungsfrist ist aber richtig und wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]) Ein weiterer zentraler Punkt ist der § 174 StGB, Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen. Ich möchte es nicht ungesagt lassen, weil ich es für besonders wichtig halte: In der jetzt noch aktuellen Fassung geht dieser Paragraf an der Lebensrealität vieler Opfer vorbei. Den Opfern ist es nämlich völlig egal, ob es ein Fachlehrer, ein Klassenlehrer oder nur ein Vertretungslehrer ist, der sich an ihnen vergeht. An der Schwere der Tat und vor allem an den Folgen für die Opfer ändert sich dadurch nichts. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dass außerdem eine Erweiterung auf Großeltern und Stiefeltern in diesem Paragrafen vorgesehen ist, finde ich ebenfalls sehr positiv. Das gilt ebenso für die Änderung, die der Rechtsausschuss noch in dieser Woche beschlossen hat und die besagt, dass Personen eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaften genauso gemeint sind. Es gibt so vielfältige Familienformen in unserem Land, dass dies nur folgerichtig ist. Das Strafrecht an diesem Punkt auf leibliche Eltern oder Adoptiveltern zu beschränken, würde dem nicht mehr gerecht. Es wäre ein schlechtes Zeichen für die Opfer, wenn das Gesetz sie nicht dabei unterstützt, sich auch gegen Stiefeltern, Großeltern oder Lebenspartner der Mutter oder des Vaters zur Wehr zu setzen. (Beifall im ganzen Hause) „Zeichen setzen“ ist übrigens auch ein gutes Stichwort, wenn es um das Thema des Strafmaßes beim Besitz kinderpornografischer Schriften geht. Der Kollege Wunderlich hat vorgestern in der Sitzung des Familienausschusses angemerkt, dass es vielleicht keinen einzigen Täter von einer Straftat abhält, wenn hier das Strafmaß von zwei auf drei Jahre erhöht wird. Da hat er vermutlich sogar recht. Ich bin keine Juristin; das wissen Sie. Aber ich sehe hier die Perspektive der Opfer. Viele Opfer haben im Hinterkopf, dass es zum Beispiel bei Eigentumsdelikten – das hat die Kollegin ja schon angedeutet – zu einer Strafe von bis zu fünf Jahren kommen kann. Angesichts dessen finden sie zu Recht, dass hier die Verhältnisse nicht stimmen. In der Expertenanhörung des Rechtsausschusses haben wir erfahren, dass es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Kinderpornografie und Kindesmissbrauch gibt, sprich: Statistisch ist nicht nachzuweisen, dass Menschen, die Nacktbilder von Kindern konsumieren, später in strafrechtlicher Hinsicht im Bereich des Kindesmissbrauchs auffallen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich – wir alle haben uns mit dieser Thematik viele Monate lang beschäftigt –: Mein Bauchgefühl sagt etwas anderes. Auch wenn es hier keine statistische Relevanz gibt, dies also einen relativ kleinen Prozentteil der Täter betrifft, so sage ich dennoch: Jeder Einzelne, der eine Straftat verübt, ist einer zu viel – einer zu viel für die Opfer. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich hatte ja zu Beginn etwas Kritik angekündigt; Herr Maas, das kann ich Ihnen an diesem Punkt nicht ersparen. Es geht um das sogenannte Cybergrooming – auch hierauf sind diverse Kollegen bereits eingegangen –, genauer gesagt um einen untauglichen Versuch: Wenn sich ein Beamter des BKA im Internet als zehnjähriges Mädchen ausgibt und von einem Erwachsenen zu sexuellen Handlungen aufgefordert wird, dann soll dies nicht strafbar sein, obwohl der Täter glaubte, mit einer Minderjährigen zu chatten? Entschuldigen Sie, aber das erscheint mir nicht richtig. Ich glaube, da müssen wir noch nachbessern. An dieser Stelle hätten wir für das Ziel, eine deutliche Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen zu erreichen, mehr tun können, gerade in unserer digitalen Welt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein Thema will ich in den letzten 40 Sekunden meiner Redezeit noch ansprechen, und das ist das Thema Medienkompetenz. Versetzen wir uns alle einmal in unsere Kindheit zurück; bei manchen ist das noch gar nicht so lange her. (Unruhe) – Jetzt überlegt jeder, wie alt er ist. – Was haben wir da von unseren Eltern gelernt? Meine Mutter hat mir immer gesagt: Steig nie in ein fremdes Auto! Nimm nie Schokolade von einem Fremden an! – In der analogen Welt geben wir unseren Kindern diese Regeln mit auf den Weg, um sie sicher durch den Alltag zu geleiten. Aber in der digitalen Welt ist das, glaube ich, noch keine Selbstverständlichkeit. Hier gibt es großen Nachholbedarf. Genauso selbstverständlich wie bei dem Beispiel mit der Schokolade müssen Eltern ihren Kindern erklären: Wenn jemand im Internet um ein Bild von dir bittet, beende das Gespräch und sende es ihm nicht! Antworte nicht, wenn dich jemand fragt, ob du schon mal jemanden geküsst hast! – Aber sehr viele Eltern tun das leider nicht, weil sie sich in der digitalen Welt einfach noch nicht gut auskennen. Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, in allen Fraktionen wird das Thema Medienkompetenz gerade behandelt. Wir sind da auf einem guten Weg. Lassen Sie mich als Letztes sagen: Das hier vorliegende Gesetz beschäftigt sich mit der strafrechtlichen Komponente. Es ist gut, dass wir so schnell gehandelt haben. Kleine Kritikpunkte habe ich angesprochen. Alles in allem haben wir einen sehr guten Gesetzentwurf, der sein Ziel erreichen wird: eine deutliche Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen und sexuellem Missbrauch. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Renate Künast [Bündnis 90/Die Grünen]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/3202 (neu), den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/2601 in der Ausschussfassung anzunehmen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, getrennt abzustimmen: zum einen über Artikel 1 Nummer 5 b und Artikel 1 Nummer 18, zum anderen über den Gesetzentwurf im Übrigen. – Das ist korrekt? (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!) Dann rufe ich zunächst Artikel 1 Nummer 5 b und Artikel 1 Nummer 18 in der Ausschussfassung auf und bitte diejenigen, die diesen in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit sind die gerade genannten Bestimmungen in der Ausschussfassung mit der Mehrheit der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfs, wiederum in der Ausschussfassung, auf und bitte diejenigen, die hier zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Dies ist jetzt mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Alle Teile des Gesetzentwurfs sind damit in zweiter Beratung angenommen, sodass wir nun zur dritten Beratung und Schlussabstimmung kommen können. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf im Ganzen mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches – immer noch der gleiche Zusammenhang – ab. Der federführende Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/3202 (neu), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/2954 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Alle sind dafür. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Unter dem Punkt 5 b unserer Tagesordnung geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Kinder schützen – Prävention stärken“. Dieser Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/3201, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition ist die Beschlussempfehlung angenommen. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunkts. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf Drucksachen 18/3124, 18/3157 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch dazu gibt es offensichtlich Einvernehmen, sodass wir in die Aussprache eintreten können. Erfreulicherweise ist die federführende Ministerin anwesend, und ich erteile ihr hiermit das Wort. Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Berufstätige Frauen und berufstätige Männer erleben, dass sich in ihrer Familienwelt nicht nur die Frage stellt: „Wie kann das gehen, auf der einen Seite die Anforderungen in meinem Job und auf der anderen Seite die Anforderungen, die meine Kinder und meine Familie an mich stellen, zeitlich zu erfüllen?“, sondern zunehmend auch eine andere. Zu den Anforderungen im Job, aber auch in der Familie kommt nämlich häufig das Problem pflegebedürftiger Angehöriger hinzu. So hat es mir zum Beispiel eine berufstätige Mutter erzählt, die ganz froh war, dass ihr Sohn nach den vielen Jahren des Großwerdens endlich in Ausbildung war. Ein guter Schulabschluss für die Kinder, dann eine Ausbildung oder ein Studium, das treibt die Eltern um. Sie dachte: Jetzt kann ich durchatmen. Jetzt kann ich mich wieder stärker auf meine berufliche Perspektive konzentrieren. Dann kam ein Anruf: Der Vater ist gestürzt. Die Knochen sind porös. Ob er jemals wieder laufen kann, ist ungewiss. Damit trat einerseits ihre Sorge um einen guten Ausbildungsplatz für den Sohn in den Hintergrund, aber andererseits kam sofort die akute Sorge um den Vater dazu. Das ist das, was eine zunehmende Zahl von Familien in unserem Land erlebt. Die steigende Zahl der Pflegebedürftigen fordert die Kapazitäten von Pflegeeinrichtungen heraus. Sie fordert die Pflegeversicherung heraus. Aber vor allem die Familien in unserem Land nehmen diese Herausforderung an. Die Familien in unserem Land leisten den größten Teil der Pflege und Sorge für pflegebedürftige Menschen. Sie sind der größte Pflegedienst der Nation. Deshalb haben sie unsere Unterstützung verdient. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Über 1,8 Millionen Menschen werden zu Hause gepflegt, zwei Drittel davon ausschließlich durch ihre Angehörigen. Deshalb wollen wir Familien entlasten. Wir wollen Familien unterstützen, wenn sie für ihre pflegebedürftigen Angehörigen da sind. Wir stärken den Familien den Rücken, in denen die Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, wenn jemand im familiären Umfeld pflegebedürftig wird. Mit dem Gesetz, das wir heute einbringen, werden wir Familien helfen, Pflege und Beruf besser zu vereinbaren: erstens durch eine zehntägige Lohnersatzleistung für den akuten Pflegefall, (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Für alle?) zweitens durch einen Rechtsanspruch auf die Familienpflegezeit und drittens mit einem zinslosen Darlehen für diese Zeit. Die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gehört dazu, wenn wir von Familien reden, so wie die älteren Menschen zur Familie gehören. Für mich ist das ein weiterer Schritt in Richtung Familienarbeitszeit. Wir machen es möglich, eine Zeit lang die Arbeitszeit zu reduzieren, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Klar ist, dass man für die Pflege und Sorge Auszeiten braucht. Aber man muss eben nicht mehrere Jahre voll aussteigen; denn das bedeutet: raus aus dem Job, weniger Einkommen, weniger Rente. So hat es meine Tante erlebt, die für die Pflege der Schwiegermutter jahrelang aus dem Beruf ausgestiegen war und dann keine Chance mehr hatte, reinzukommen. Es geht darum, überschaubare Auszeiten und Teilzeitmöglichkeiten zu unterstützen und diese mit professionellen Angeboten der ambulanten Pflege oder der Tagespflege zu kombinieren, die dank der Pflegereform jetzt ausgebaut werden. Zeit für Familie und Zeit für Beruf auch in Pflegesituationen, das ist der Anspruch an moderne Familienpolitik, eine moderne Familienpolitik, die auf partnerschaftliche Vereinbarkeit setzt. In der letzten Woche haben wir mit dem Elterngeld Plus den ersten Schritt in Richtung Familienarbeitszeit gemacht. Das -Elterngeld Plus erleichtert die Verbindung zwischen Elterngeld und Teilzeitarbeit. Jetzt gehen wir mit dem neuen Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf den zweiten Schritt in Richtung Familienarbeitszeit. Dieses Gesetz wird die Verbindung von Pflege und Teilzeitarbeit fördern. Eine Frau wie die, deren Situation ich eben geschildert habe, wird künftig die Möglichkeit haben, in einem akuten Fall eine zehntägige Auszeit zu nehmen. Sie kann ihren Vater natürlich nicht in zehn Tagen gesundpflegen, aber sie kann sich darüber informieren, welche Angebote es gibt. Sie kann sich beim Pflegestützpunkt beraten lassen. Ist es zum Beispiel gut, dass der Vater künftig in einer Tagespflege betreut wird, während sie ihre Arbeitszeit reduziert, um mehr Zeit für Sorge und Pflege zu haben? Nutzt sie den ambulanten Pflegedienst, damit der Vater in den eigenen vier Wänden bleiben kann? Oder soll es vielleicht doch eine stationäre Einrichtung sein? In einer Pflegesituation ergeben sich viele Fragen; aber es gibt auch viele Angebote. Man benötigt Zeit, um die vielen Angebote auszuloten. Für die zehntägige Auszeit gibt es künftig eine Lohnersatzleistung analog zum Kinderkrankengeld. Das ist wichtig, weil somit künftig alle Beschäftigten die Möglichkeit haben, diese zehn-tägige Auszeit ohne großen Einkommensverlust zu nehmen. Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es ist aber nicht nur eine Frage des einzelnen Euro. Es geht auch um die Frage: Wie ernst nehmen wir die Unterstützung für Familien mit Pflegebedarf? Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf heben wir Familien mit Pflegebedarf auf eine Stufe mit Familien mit Kindern, für die es undenkbar ist, dass es nicht die zehn Tage Auszeit mit Lohnfortzahlung gibt, wenn ein Kind krank wird. Das gibt es jetzt auch im Bereich Pflege. Damit signalisieren wir: Wir lassen die Familien mit dem Thema Pflege nicht alleine, wir lassen sie nicht im Stich, sondern wir unterstützen sie. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Frau aus dem Beispiel hat nun Zeit, darüber nachzudenken, ob sie bis zu sechs Monate ganz aus dem Beruf aussteigen oder ob sie ihre Arbeitszeit bis zu zwei Jahre lang reduzieren will. Sie hat künftig einen Rechtsanspruch darauf, der einen Kündigungsschutz einschließt. Sie kann Lohnausfälle durch einen Lohnvorschuss in Form eines zinslosen Darlehens vom Staat ausgleichen. Auch das ist eine erhebliche Verbesserung. In der Vergangenheit ging das nur über den Arbeitgeber. Die wenigsten haben das allerdings in Anspruch genommen. (Beifall bei der SPD) Die Frau müsste sich in dieser Zeit nicht alleine um ihren Vater kümmern. Das Pflegestärkungsgesetz macht es ihrem Vater leichter, Angebote der Tagespflege oder von ambulanten Diensten in Anspruch zu nehmen. Ich freue mich sehr, dass wir bei der Stärkung der Pflege gut mit dem Bundesgesundheitsministerium zusammenarbeiten. Es braucht ein Bündel von Maßnahmen, um beim Thema Pflege in der Gesellschaft etwas zu bewegen, nicht nur ein einzelnes Gesetz. Die Große Koalition bringt nun die entsprechenden Maßnahmen auf den Weg und unterstützt so die Familien in unserem Land. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Eine pflegende Tochter oder ein pflegender Sohn sind auch deshalb nicht alleine, weil sie die Auszeit zusammen mit anderen Angehörigen – gleichzeitig oder nacheinander – nehmen können. Damit können lange Pflegezeiten abgedeckt werden, ohne dass die Arbeit nur auf den Schultern einer Person, bisher oft auf den Schultern der Frau, lastet. Das ist eine Chance für mehr Partnerschaftlichkeit und für mehr Solidarität innerhalb der Familie. Damit bekommen Familien die Chance, auch längere Zeiten in der Pflege abzudecken; denn mit zwei Jahren ist es oft nicht getan. Mit dem Gesetz wird auch der Kreis der Angehörigen, die die Regelungen in Anspruch nehmen können, erweitert. Ab 2015 sollen auch Stiefeltern, Schwager oder Schwägerin und lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaften die Möglichkeiten des Pflegezeitgesetzes und Familienpflegezeitgesetzes in Anspruch nehmen können. Zu einer modernen Familienpolitik gehört, dass auch unverheiratete Partner genauso wie Ehepartner Anspruch auf Pflege- und Familienpflegezeit haben. Zu einer modernen Familienpolitik gehört auch, dass schwule oder lesbische Paare, die füreinander einstehen, Zeit für die Pflege ihres Partners bekommen, egal ob sie in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben oder nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Familienleben ist vielfältiger geworden. Wenn wir erwarten, dass die Menschen füreinander einstehen, dann müssen wir sie in ihrer jeweiligen Lebensform unterstützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das vorliegende Gesetz geht auf diese Vielfalt ein. Neu ist auch eine Familienpflegezeit für Eltern mit minderjährigen Kindern, die in einer Pflegeeinrichtung betreut werden, zum Beispiel, wenn ein Kind mit DownSyndrom in einer Einrichtung der Lebenshilfe lebt und nur am Wochenende nach Hause kommt. Hier geht es weniger um die Pflege, die professionell in der Einrichtung erfolgt, hier geht es mehr um Zeit für das pflegebedürftige Kind. Die Eltern hatten bisher keine Möglichkeit, Auszeiten zu nehmen. Sie erhalten jetzt die Möglichkeit, die Zeit für gemeinsame Stunden, für Zuwendung und Zuneigung zu nutzen. Schließlich haben wir auch die Möglichkeit geschaffen, Menschen in der letzten Lebensphase nahe sein zu können. Sie sind gestern in diesem Haus in eine wichtige Debatte über die sogenannte Sterbebegleitung eingestiegen. Ich finde, das war eine sehr bewegende Debatte. Sie hat gezeigt, wie sehr es uns alle beschäftigt, wenn Krankheit und Leid bei Freunden oder in der Familie nicht mehr zu heilen sind. Es gibt eben nicht die einfache Lösung, aber wir sind uns alle darüber einig, dass wir eines organisieren müssen: Wir müssen alles dafür tun, dass niemand im Sterben allein ist. So hat es Volker Kauder gestern gesagt: Wir werden alles dafür tun, dass im Sterben niemand allein ist, sondern dass er begleitet wird, dass er Beistand hat. Genau diesen Schritt gehen wir mit diesem Gesetzentwurf. Wir wollen es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf möglich machen, dass er oder sie in der letzten Lebensphase begleitet wird und Beistand hat. Das ist der Wunsch vieler Menschen, ein berechtigter und wichtiger Wunsch. Wir sollten ihnen diesen Wunsch erfüllen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Vereinbarkeit braucht die Mitwirkung der Arbeitgeber. Das machen wir damit deutlich, dass wir einen Rechtsanspruch festschreiben wollen. Ich bin überzeugt – das haben meine Gespräche und Unternehmensbesuche gezeigt –, dass die Arbeitgeber selbst ein Interesse daran haben, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Pflege gelingt; denn die Vereinbarkeit ist ein Gewinn für die Unternehmen. Nehmen wir den Facharbeiter für Automatisierungstechnik oder die Fachärztin für Innere Medizin. Das sind nur zwei von sehr vielen Berufen, in denen Fachkräfte gesucht werden. Für den Arbeitgeber ist es von großem Vorteil, wenn diese Fachkräfte nicht unter dem Druck einer großen Belastung aufgrund von Pflegeaufgaben in der Familie zusammenbrechen und aus dem Job aussteigen, sondern an Bord bleiben; sie können in dieser Zeit gerne ihre Arbeitszeit reduzieren, wenn sie nur an Bord bleiben. Deshalb ist es gut für die Wirtschaft, dass wir dieses Gesetz machen. Es ist wichtig, die Fachkräfte an Bord zu halten. Sie sind das Rückgrat der Wirtschaft. Dieser Gesetzentwurf zeigt, dass wir mit Gesetzen beides zusammenbringen können, die Interessen der Wirtschaft und die Interessen der Familien. Für mich ist das kein Widerspruch, sondern das gehört zusammen gedacht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, viele Menschen möchten für ihre Familie da sein, wenn jemand Hilfe braucht, ob ein kleines, schwerkrankes Kind, ein pflegebedürftiger Vater oder die Großmutter. Oft kommt alles gleichzeitig: der Pflegefall der Eltern, die Einschulung der Kinder und neue Anforderungen im Job. Manchmal hat man das eine gerade geschafft, und die nächste Herausforderung kündigt sich schon an. Das ist Stress. Das ist das Gefühl, zerrieben zu werden zwischen den verschiedenen Wünschen, zwischen dem Wunsch, da zu sein für die Kinder oder die eigenen Eltern, und dem Wunsch, den Job gut zu machen. Das trifft oft die sogenannte Sandwichgeneration, die in der Rushhour des Lebens lebt. Dies sind aber die Leistungsträger unserer Gesellschaft. Sie sorgen mit ihrer Arbeit dafür, dass das Sozialsystem sich trägt. Deshalb ist es wichtig, dass wir diese Leistungsträger unterstützen, dass wir alles dafür tun, dass sich diese Rushhour entzerrt. Wir werden sie nicht auflösen können, schon gar nicht mit einem einzelnen Gesetz, aber wir können die Botschaft aussenden, dass wir diese Frauen und Männer nicht alleine lassen, dass wir die Familien in unserem Land nicht alleine lassen, dass wir ihnen den Rücken stärken. Das leistet dieser Gesetzentwurf – nach einem anderen, der schon verabschiedet worden ist. Ich freue mich auf die Beratungen, um mit Ihnen gemeinsam auf dem Weg, Familien in unserem Land besser zu unterstützen, weiterzugehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Pia Zimmermann hat nun das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Pia Zimmermann (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin Schwesig, ich finde, es ist schon ziemlich sensationell, wie Sie nur minimale Verbesserungen, die auch noch mit Verschlechterungen einhergehen und nichts Grundsätzliches bewegen, den Menschen hier als gut verkaufen wollen. Das ist mittlerweile offensichtlich ein Markenzeichen der Bundesregierung. Meine Damen und Herren, Anfang Oktober hat die Linke im Bundestag ein Pflegehearing veranstaltet, damit sich die Betroffenen zum Pflegestärkungsgesetz zu Wort melden konnten. Bei der Eröffnung saß eine Vertreterin der „Initiative gegen Armut durch Pflege“ auf dem Podium, die seit 31 Jahren ihre Tochter pflegt. Sie hat eindrucksvoll geschildert, was diese Pflegesituation für sie heißt: Überlastung bis an den Rand des Burn-outs mit einer enorm prekären finanziellen Situation. Meine Damen und Herren, dieses Beispiel ist – das ist, glaube ich, uns allen bekannt – kein Einzelfall. Die überwiegende Mehrheit der pflegenden Frauen und Männer erlebt die Pflege von Angehörigen als körperlich und emotional belastend. Viele der Pflegenden, insbesondere Frauen, sind zum Zeitpunkt des Pflegebeginns nicht oder nur geringfügig erwerbstätig. Frauen geben auch häufiger als männliche Pflegende ihre Erwerbstätigkeit auf, wenn sie die Pflege übernehmen. Genau solche Unterbrechungen führen zu geringeren Rentenansprüchen im Alter. Die Probleme in der Pflege sind uns allen bekannt. Der Gesetzentwurf aber, welchen wir heute erstmals im Bundestag debattieren – bei ihm wird im Titel recht vollmundig von einer „besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf gesprochen“ –, geht an einer wirklichen Lösung völlig vorbei. (Beifall bei der LINKEN) Ja, es soll kleine Verbesserungen geben. Dass es für die bisher unbezahlte zehntägige Pflegezeit eine Lohnersatzleistung geben soll, ist zu begrüßen. Diese kleine Verbesserung darf aber nicht über die völlig unzureichenden Vorschläge der Bundesregierung hinwegtäuschen. Wer glaubt, in zehn Tagen die pflegerische Versorgung organisieren zu können, geht vollkommen an den Lebensrealitäten von Menschen vorbei, die zum ersten Mal mit Pflegebedürftigkeit konfrontiert sind. Es mag sein, dass ein Kind in zehn Tagen gesund wird, eine Pflegesituation lässt sich in zehn Tagen nicht regeln. Wir, die Linke, fordern eine sechswöchige bezahlte Pflegezeit für Erwerbstätige, die der Organisation und der ersten pflegerischen Versorgung von Angehörigen oder nahestehenden Personen dient. (Beifall bei der LINKEN) Ein anderes Beispiel für eine vollkommen unzureichende Verbesserung ist die Reform der Familienpflegezeit. Das Familienpflegezeitgesetz von Schwarz-Gelb war ein Vollflop. Gerade einmal 135 Personen – das steht auch in Ihrem Gesetzentwurf – haben die Familienpflegezeit in Anspruch genommen. Schon bei der Verabschiedung haben wir einen verbindlichen Rechtsanspruch gefordert. Gut, dass die Bundesregierung hier jetzt nachbessern will. Sie lässt aber – wer hätte das gedacht? – den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern trotzdem eine Hintertür offen. Bei wichtigen betrieblichen Gründen kann verweigert bzw. abgelehnt werden. Frau Schwesig, das sind immer die Sachen, die Sie verschweigen. Völlig unverständlich ist auch, warum die Bundesregierung darüber hinaus ein Fünftel der Beschäftigten von dem Rechtsanspruch völlig ausschließen will. Was ist das denn? Beschäftigte in Betrieben mit 15 oder weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sollen von dieser Regelung nämlich ausgenommen werden. Es sind doch aber gerade die kleinen Betriebe, wo es besonders schwer bis unmöglich ist, eine freiwillige Freistellung gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. Konkret heißt dies, dass weiterhin über 5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Gutdünken ihres Arbeitgebers abhängig sind. Meine Damen und Herren, das ist nicht hinnehmbar! (Beifall bei der LINKEN) Was das Familienministerium als bessere Verzahnung von Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz verkaufen will, bedeutet im Endeffekt eine Verschlechterung. Frau Schwesig, das möchte ich Ihnen auch gern erklären. Bisher war die durch das Pflegezeitgesetz mögliche sechsmonatige unbezahlte Freistellung eine die Fami-lienpflegezeit – die bis zu 24 Monate dauern konnte – ergänzende Möglichkeit. Der Gesetzentwurf regelt nun, dass die Pflegezeit der Freistellung nach dem Familienpflegezeitgesetz vorgeht und auf die maximale Freistellungszeit von 24 Monaten angerechnet wird. Das ist also faktisch eine Verkürzung. Auch das verschweigen Sie. Davon einmal abgesehen, ist Pflege schwer planbar. Zu Beginn der Familienpflegezeit wird festgelegt, wie lange sie dauern soll. Und danach? Frau Schwesig stellt sich, wie wir gerade gehört haben, einen fliegenden Wechsel der Familienmitglieder vor. Ob das aber realistisch ist, ob die Familiensituationen, wie wir sie heute haben, das überhaupt hergeben, wage ich zu bezweifeln. Insgesamt gehen die Regelungen des Gesetzentwurfs zulasten der Personen, die in prekären Arbeitsverhältnissen oder Teilzeit arbeiten. Für sie kommt nämlich eine Reduzierung der Arbeitszeit aus finanziellen Gründen oftmals überhaupt nicht infrage. Studien belegen, dass Geringverdienende öfter die Pflege von Angehörigen übernehmen als Gutverdienende, weil sie sich nämlich die professionelle Pflege nicht leisten können und weil die Pflegeversicherung nur einen Teil der anfallenden Kosten trägt. Das Gesetz löst also weder das Problem der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf noch das der sozialen Ungleichheit bei Versorgungschancen. Das geht nicht, meine Damen und Herren! (Beifall bei der LINKEN) Der Gesetzentwurf verstärkt die soziale Spaltung und geht vor allem zulasten von Frauen. Denn trotz steigender Beteiligung von Männern sind es immer noch überwiegend Frauen, die Angehörige und Bekannte pflegen. Es sind überwiegend Frauen, die in prekären Arbeitsverhältnissen oder in Teilzeit arbeiten. Über Ihren Gesetzentwurf freuen dürften sich die Arbeitgeber. Sie werden bei der Finanzierung nämlich völlig außen vor gelassen. Die Beschäftigten bauen Zeitschulden auf dem Arbeitszeitkonto auf, die sie später abarbeiten müssen, und sie verschulden sich finanziell, weil sie das Darlehen zur Aufstockung des Nettogehalts zurückzahlen müssen. Da nützen Ihre wohlfeilen Worte, Frau Schwesig, herzlich wenig. Die Kosten tragen diejenigen, die doch eigentlich entlastet werden sollen: Beschäftigte, die ihre Angehörigen pflegen. Ganz im Sinne der bisherigen Pflegepolitik von CDU/CSU und SPD sowie der vorherigen Bundesregierungen wird die Hauptverantwortung für die Pflege ins Private geschoben. Auch Sie sprechen wie Frau Merkel von dem größten Pflegedienst, den wir haben, nämlich die Familien und die Angehörigen. Die Sicherstellung pflegerischer Betreuung wird so als Vereinbarkeitsproblem individualisiert. Wir, die Linke, fordern, dass die Pflegeversicherung zukunftsfähig wird, um den pflegerischen Bedarf abdecken zu können. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Eine echte Entlastung von Angehörigen und Pflegebedürftigen und auch ihrer persönlichen Beziehungen wäre es, die professionelle Pflege zu stärken. Es geht mir und meiner Fraktion nicht darum, die professionelle Pflege und die Pflege durch Angehörige gegeneinander auszuspielen. Aber Sie dürfen die Unterschiede doch nicht einfach so vom Tisch wischen. (Beifall bei der LINKEN) Pflege ist eine hochkomplexe und anspruchsvolle Tätigkeit. Wir alle fordern doch eine Verbesserung der Ausbildung in den Pflegeberufen. Gleichzeitig leisten die Angehörigen natürlich einen enormen Beitrag für die umfassende Versorgung. Sie kennen die zu pflegenden Personen gut und können eine wichtige Ergänzung zur professionellen Pflege sein. Es darf hier nicht darum gehen, welche Form der Pflege besser oder schlechter ist, sondern wir müssen die Unterschiedlichkeit anerkennen und davon ausgehend fragen, welcher Mix oder welches Pflegesetting, wie wir es nennen, für alle Beteiligten richtig ist. Das gilt es he-rauszufinden und zu unterstützen. (Beifall bei der LINKEN) Aber eine solche Offenheit lässt die Pflegeversicherung für viele nicht zu. Solange die Pflegeversicherung nur einen Teil der anfallenden Kosten abdeckt, ist keine wirkliche Entscheidungsfreiheit gegeben, nicht für die Pflegebedürftigen und auch nicht für die Angehörigen. Deshalb fordern wir nicht nur eine sechswöchige bezahlte Pflegezeit für Erwerbstätige, sondern auch eine deutliche Anhebung der Leistungen der Pflegeversicherung, damit das gewünschte Pflegearrangement tatsächlich unabhängig vom Geldbeutel gestaltet werden kann. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn es denn so ist, dass die Menschlichkeit einer Gesellschaft daran zu messen ist, wie man mit den Kleinsten, den Schwachen, den Kranken und auch den Alten umgeht, dann kann man, glaube ich, mit Blick auf diese Debatte und dieses Gesetz, mit Blick auf die Debatte zuvor und auch mit Blick auf das Gesetz zur Elternzeit, zum Elterngeld sagen, dass wir es geschafft haben, den Mensch wieder in den Mittelpunkt unserer Politik zu stellen. Das ist gut so für dieses Land. Ich glaube, das zeigt auch eine neue Form des Umgangs und von Menschlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Frau Zimmermann, zwei Bemerkungen zu Ihrem Debattenbeitrag. Erstens. Dieses Gesetz ist tatsächlich etwas Konkretes. Es ist mehr als nur Symbolpolitik oder Rhetorik, dass wir es unterstützen, wenn Menschen sich einsetzen und ihre nahen Angehörigen pflegen. Es wird konkrete Veränderungen mit sich bringen. Wir stärken damit die Menschen, die sich gerade im Bereich der Pflege engagieren. Zweitens. Sie sagen, dass wir die Pflege ins Private verschieben wollen. Nein, die Menschen wollen zu Hause gepflegt werden. Es gibt viele Menschen, die zu Hause andere pflegen. Wir unterstützen sie stärker dabei. Das ist unser Ziel. Das ist mit dem Gesetzentwurf intendiert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Insoweit bin ich froh über diese Debatte. Dem Leitgedanken, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, kommen wir in dieser Frage etwas näher. Es ist so, dass der Wandlungsprozess bzw. der demografische Wandel, wie es heißt, einige Veränderungen mit sich bringen wird. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Weinberg, darf die Kollegin Zimmermann Ihnen eine Frage stellen? Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Sie darf mir immer Fragen stellen, gerne. Pia Zimmermann (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege Weinberg, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich habe eine Frage zum größten Pflegedienst der Nation: zur Familie. Natürlich ist es so, dass viele Menschen zu Hause gepflegt werden wollen. Natürlich ist es so, dass das auch viele Menschen machen. Es ist auch so, dass das viele Menschen machen können. Aber können Sie sich vorstellen, dass es auch viele machen müssen, weil sie sich etwas anderes nicht leisten können? Man muss ja immer die Frage stellen: Wie ist die Pflegeversicherung aufgebaut? In der Pflegeversicherung gibt es ja das Teilkaskoprinzip. Wenn jemand gepflegt werden muss, sind damit also immer zusätzliche Kosten verbunden. Wer nicht das eigene Häuschen oder andere Dinge verkaufen möchte, wird dem Druck ausgesetzt, zu Hause pflegen zu müssen. Der zweite Punkt, der mich interessieren würde: Können Sie sich vorstellen, dass Menschen in der Arbeitswelt in prekäre Situationen kommen, weil sie zu Hause pflegen, und dass als Folge prekärer Arbeitsverhältnisse Altersarmut entstehen kann? Ich finde, es ist nicht so einfach, wie Sie sagen – dass man in der Familie pflegen kann –, sondern das ist für die betroffenen Menschen, vor allen Dingen für Frauen, mit deutlichen Nachteilen verbunden. (Beifall bei der LINKEN) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Ich glaube, keiner von uns sagt, dass es einfach ist, Menschen zu Hause zu pflegen. Das ist, glaube ich, die größte Herausforderung für unsere Gesellschaft. Deswegen sollten wir dankbar sein, dass es viele Menschen gibt, die nahe Angehörige zu Hause pflegen wollen. Ich will dazu nur zwei Dinge sagen: Erstens. Für 87 Prozent der Menschen ist es wichtig oder sehr wichtig, dass ihre Erwerbstätigkeit im Sinne des Zeitmanagements erleichtert wird, weil sie sich entschieden haben, einen nahen Angehörigen zu Hause zu pflegen. Zweitens. Fast alle alten Menschen wünschen sich, in ihren letzten Lebensjahren in ihrer vertrauten Umgebung bleiben zu können; (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Carola Reimann [SPD]) das ist unter dem Gesichtspunkt von Selbstbestimmtheit und Selbstständigkeit wichtig. Das heißt, es gibt einen Antrieb, innerhalb der Familie zu pflegen. Unsere Aufgabe ist es – ich komme gleich auf die einzelnen Punkte, die Sie angesprochen haben, zu sprechen, auch im Hinblick auf die gesetzlichen Veränderungen, die es schon gab, nämlich Pflegezeit und Familienpflegezeit –, die Veränderungen so zu skizzieren und sie so zu gestalten, dass sie in sich schlüssig und klar sind und wir gewisse Defizite, auf die ich gleich ebenfalls zu sprechen komme, ausräumen können. – Ich glaube, damit habe ich Ihre Frage beantwortet. Die einzelnen Aspekte würde ich Ihnen gerne anhand der Struktur des Gesetzentwurfs verdeutlichen; ich werde mich dann immer auf Ihre Frage beziehen. Für uns als CDU/CSU-Fraktion und für die Große Koalition steht fest, dass es ein Leitgedanke sein muss, die Menschen zu stärken, die zu Hause nahe Angehörige pflegen. Dies ist ein Zeichen des familiären Zusammenhalts, der für unsere Gesellschaft wichtig ist. Das gilt überall dort, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, und betrifft den Umgang mit den Kleinsten und den Umgang mit den Älteren. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt komme ich auf den ersten Ansatzpunkt von Frau Zimmermann zu sprechen. Man muss sich fragen: Was gab es bisher? Wir haben bereits 2008 und 2012 Bausteine zur Unterstützung der familiären Pflege auf den Weg gebracht, nämlich mit dem Pflegezeitgesetz 2008 und mit dem Familienpflegezeitgesetz 2012. Dabei spielten drei Komponenten, die die Ministerin schon angesprochen hat, eine Rolle. Es gibt drei verschiedene Phasen, die für diejenigen, die andere Menschen zu Hause pflegen wollen, wichtig sind. Die erste Phase ist eine kurzzeitige: die zehntätige Pflegeauszeit. Sie ist beim unerwarteten Eintritt einer Pflegesituation von Bedeutung, da eine solche Situation die Menschen immer überfordert. Sie kommt nämlich immer zum ungünstigsten Zeitpunkt. Außerdem befinden sich die Menschen dann in der schwierigen Situation, viele Dinge für einen Angehörigen schnell regeln und organisieren zu müssen. Hier wurde der Rechtsanspruch geschaffen, zehn Tage von der Arbeit fernzubleiben. Was es aber nicht gab, war finanzielle Unterstützung; jetzt komme ich auf den nächsten Punkt, den Sie erwähnt haben, zu sprechen. Gerade für viele Menschen mit niedrigem Einkommen war das ein Problem, weil sie zehn Tage lang kein Geld verdient haben. In Zukunft wird es die Möglichkeit geben, diese Lücke durch eine Lohnersatzleistung zu schließen. Das ist eine Verbesserung. Insofern verbessert der Gesetzentwurf gerade die Situation derer, die in einer prekären Situation sind und kein hohes Einkommen haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der zweite Punkt. Mittelfristig konnten sich Menschen für bis zu sechs Monate von der Arbeit freistellen lassen. Auch hier gab es einen Rechtsanspruch; das ist gut so. Wenn man sich sechs Monate lang freistellen lassen will, was möglich ist, gibt es aber ein Problem. Jetzt komme ich wieder auf den von Ihnen genannten Punkt zu sprechen. Sie haben nämlich gesagt: Viele können sich das gar nicht leisten. – In Zukunft wird es die Möglichkeit geben, ein zinsfreies Darlehen über das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben aufzunehmen. Das heißt, auch die finanzielle Absicherung wird gestärkt, und zwar zusätzlich zu dem bereits bestehenden Rechtsanspruch. Auch das ist eine Verbesserung des geltenden Gesetzes. Der dritte Punkt betrifft die Familienpflegezeit. Hier gab es zwar keinen Rechtsanspruch, aber die Möglichkeit, über einen Kredit – allerdings verbunden mit sehr bürokratischen Hindernissen – zumindest die finanzielle Situation abzusichern. Mit der neuen Regelung wird es in Zukunft einen Rechtsanspruch geben. Das heißt, es werden hier zwei Dinge zusammengeführt: der Rechtsanspruch und der finanzielle Ausgleich. Dies geschieht unter dem Gesichtspunkt: Wie kann ich mehr Zeit und mehr Flexibilität in der Frage der Vereinbarkeit von Beruf, Pflege und Familie erreichen? Diese drei Komponenten werden nun zusammengebracht. Es war unser Ansatz in der Großen Koalition, zu sagen: Wir haben drei Bausteine, die für sich genommen gut sind. Aber wir müssen sie jetzt zusammenbringen. Pflege kann nicht alleine gesehen werden, sondern Pflege muss von einer kurzfristigen Wahrnehmung der Dinge bis hin zu einer langfristigen Aufgabe in der Familie organisiert werden. Deswegen haben wir gesagt: Wir müssen Rechtsansprüche definieren, finanzielle Sicherheiten schaffen und als dritte Komponente die gesellschaftliche Veränderung mit aufnehmen. Ein Beispiel hierfür ist die Pflege des Stiefvaters als nahem Angehörigen. Es ist etwas paradox, zu sagen: Der Vater kann gepflegt werden, aber der Stiefvater nicht. Es gibt leider Fälle, in denen der Vater, als die Kinder drei oder vier Jahre alt waren, die Familie verlassen und möglicherweise nie Unterhalt gezahlt hat. Trotzdem besteht für die Kinder die Möglichkeit, den Vater als nahen Angehörigen zu pflegen. Aber die Pflege des Stiefvaters, der sich um die neue Familie gekümmert hat, durch die Stiefkinder fiel bisher nicht unter die Pflege eines nahen Angehörigen. Deswegen ist es eine gute Erweiterung, dass auch Stiefeltern in die Regelung mit den nahen Angehörigen aufgenommen werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Pflegebedürftige Kinder brauchen oftmals eine besondere Pflege. Diese besondere Pflege wird in erster Linie in Einrichtungen angeboten. Da ist es richtig und konsequent, zu sagen: Auch bei pflegebedürftigen Kindern kann die Familienpflegezeit genommen werden, selbst wenn sie nicht zu Hause, sondern in einer Einrichtung betreut werden, weil da die Kombination aus professioneller Pflege und Unterstützung der Betreuung durch die Eltern wichtig ist. Auch diese Erweiterung war richtig und wichtig. Damit haben wir ein Problem behoben. (Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD]) Als Ergebnis der Verhandlungen zum Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, diese drei wesentlichen Bereiche zusammenzuführen. Ich möchte am Ende noch eine Sache ansprechen, nämlich die Auswirkungen der Familienpflegezeit auf die Arbeitgeberschaft. Man muss überlegen: Wie kann man es schaffen, dass auch die Wirtschaft, gerade der Mittelstand, diese Pflegezeit positiv begleitet? Dazu zwei Dinge: Erstens. Man hat erkannt, dass es wichtig ist, die Menschen mit ihren Kompetenzen – sie sind schließlich Fachkräfte – im Unternehmen zu halten. Dem wird mit den jetzigen Regelungen Rechnung getragen. Deswegen ist für uns der Ansatz der Teilzeit wichtig. Wenn man in der Familienpflegezeit 15 Stunden in der Woche arbeitet und die restliche Zeit freigestellt wird, ist das auch für das Unternehmen gut, weil es über die Teilzeit seine Fachkräfte im Unternehmen halten kann. Das heißt, den Unternehmen geht das Know-how der Mitarbeiter nicht verloren. (Beifall bei der CDU/CSU) Zweitens. In der realen Betrachtung haben wir gesehen, dass durch die Pflege eines Angehörigen nicht nur die Familie aus der Bahn geworfen wurde, sondern dass diese neue Situation auch Konsequenzen auf das Verhältnis zum Arbeitgeber hat. Wir wissen, dass sich viele Arbeitnehmer in den ersten Tagen haben krankschreiben lassen, weil sie mit der Situation nicht mehr zurechtkamen. Ihre Motivation am Arbeitsplatz ließ durch die neue Situation nach. Deswegen sind die Planungssicherheit und die Stabilisierung finanzieller und zeitlicher Art gut für die Unternehmen, weil die Motivation und die Zufriedenheit mit der Arbeit bei den Arbeitnehmern steigen; denn sie wissen, dass es verbindliche Regeln gibt, an die sich alle halten müssen. Dadurch bekommen sie es besser hin – das wird niemals perfekt werden –, ihren nahen Angehörigen zu pflegen. Auch für die Unternehmen bedeutet es eine Entlastung, dass wir so die Beiträge zur Pflegeversicherung stabil halten können. Man könnte ja sagen: Wenn wir die familiäre Pflege nicht stärken, müssen wir möglicherweise die professionelle Pflege stärken, was durch eine Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung geschehen könnte. Ich glaube, es ist nicht im Sinne des Mittelstandes und der deutschen Wirtschaft, die Beiträge zu erhöhen. Daher ist unser Gesetz ein gutes Zeichen. (Beifall bei der CDU/CSU) Zurzeit sind 2,6 Millionen Menschen pflegebedürftig, über 1 Million Menschen wird zu Hause betreut. Für das Jahr 2050 müssen wir mit der doppelten Anzahl an pflegebedürftigen Menschen rechnen. In wenigen Jahren wird die Wahrscheinlichkeit größer sein, auf der Straße einen 80-Jährigen zu treffen als eine junge Mutter oder einen jungen Vater mit einem Kinderwagen. Das heißt, auf diese Entwicklung müssen wir uns einstellen. Hier sind zwei Dinge zu nennen. Das eine ist der Wunsch der Menschen, zu Hause in ihrer Umgebung gepflegt zu werden. Es ist gut, dass Menschen das in unserer Gesellschaft machen und auch machen wollen. Das andere ist die Gewissheit, die sie brauchen – Stichwort Zeitmanagement –, dass sie sich in dieser schwierigen Situation die Zeit besser einteilen können und dass sie zumindest ein wenig finanziell entlastet werden. Kein Pflegefall und kein Mensch, der sich in der Pflege engagiert, sieht das als Geschäftsmodell oder will damit irgendwie Missbrauch treiben. Es hinzubekommen, die Familie zu versorgen, der Erwerbstätigkeit nachzugehen und sich um einen Pflegefall zu kümmern: Das ist der höchste Anspruch, den man haben kann. Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf jetzt auch den nächsten Schritt gehen. Ich komme noch einmal zum Anfang zurück. Die Menschlichkeit einer Gesellschaft spiegelt sich darin wider, wie wir mit den Schwachen, den Kleinen, den Kranken und auch den Alten umgehen. Deswegen ist es gut, dass wir uns dieses Themas angenommen haben. Denn ich glaube, die Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf wird eine große Herausforderung sein. Dabei sind wir auf einem guten Weg, der sicherlich noch einige weitere Schritte mit sich bringen muss. Aber der Gesetzentwurf ist gut, und ich bitte um Unterstützung dafür. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Elisabeth Scharfenberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben einen weiteren Gesetzentwurf vorgelegt. Das sieht zunächst einmal sehr fleißig aus, aber wenn man genauer hinschaut, wird deutlich: Diese schnelle Aktion ist eine ganz schöne Luftnummer. Damit wurde nur eine schlechte Vorlage ein wenig repariert. Mit der Vorlage meine ich das schlecht gemachte Familienpflegezeitgesetz von Kristina Schröder. Es wurde schon gesagt: Dieses Gesetz haben exakt 135 Menschen in Anspruch genommen, und zwar nicht etwa auf Berlin beschränkt, sondern deutschlandweit. Das war ein Flop, und ich befürchte, dass diese Nachbesserung genauso floppen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Was sind denn die Reparaturen, die Sie uns mit vielen Worten anbieten? Es gibt jetzt einen Rechtsanspruch auf die Familienpflegezeit. Das haben wir immer gefordert, und es ist gut, dass er jetzt eingeführt werden soll. Aber leider gilt dieser Rechtsanspruch nur in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten. Damit ist dieser Gesetzentwurf nicht geschlechtsneutral, wie es in der Begründung heißt, Frau Ministerin; denn weitaus mehr Frauen als Männer arbeiten in kleinen Betrieben. Es gibt nun einen Anspruch auf ein zinsloses Darlehen. Das bedeutet in der Tat etwas mehr Flexibilität für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; denn bisher gab es die Verpflichtung, vorab gezahltes Gehalt nachträglich wieder abzuarbeiten. Aber nach wie vor wird die Hauptlast auf den Schultern der berufstätigen Pflegenden abgeladen. Sie müssen zuerst auf Gehalt verzichten. Das Darlehen gleicht die Differenz zum vollen Gehalt nur zur Hälfte aus. Es fehlt also letzten Endes ein Viertel des monatlichen Lohns. Nach der Pflegezeit müssen die pflegenden Angehörigen das Darlehen zurückzahlen. Das heißt, auch dann geht wieder etwas vom monatlichen Einkommen ab, was sonst der Familie zur Verfügung steht. Im Klartext heißt das, weiter auf Gehalt zu verzichten. Geringverdiener ohne gut verdienenden Partner können sich das nicht leisten. Das sind in der Mehrheit wieder die Frauen. Wem also soll denn dieses Familienpflegezeitgesetz überhaupt nutzen? Frau Ministerin, ich schlage vor, Sie setzen Ihre rosarote Brille ab und wir schalten einmal kollektiv den Weichzeichner aus. Was ist denn die Realität in diesem Land? Stellen Sie sich vor, ein älterer Mann wird plötzlich pflegebedürftig, und seine Tochter nimmt die zehntägige Auszeit, um eine Pflege für ihren Vater zu organisieren. Dass es dafür jetzt eine Lohnersatzleistung gibt, ist schön. Zehn Tage sind aber in einer solchen Situation nicht viel. Wie geht es weiter in der realen Welt und im echten Leben? Die Tochter hatte nie zuvor mit Pflege zu tun. An wen wendet sie sich zuerst? Sie muss sich erst einmal kundig machen. Der Vater muss begutachtet werden. Ob er eine Pflegestufe bekommt oder nicht, ist entscheidend dafür, wie es weitergeht. Die Tochter muss gemeinsam mit dem Vater besprechen, wie er sich seine Zukunft weiter vorstellt, aber auch, wie sie in dieser Situation ihr weiteres Leben planen möchte oder überhaupt planen kann. Ob sich die beiden für eine stationäre Einrichtung oder für die Pflege zuhause mit ergänzender ambulanter Pflege entscheiden: In jedem Fall muss sehr viel erledigt werden. Die Versorgung des Vaters in dieser Zeit geht zusätzlich weiter. Viele Anbieter müssen kontaktiert werden. Es muss besichtigt werden. Es muss eingeschätzt werden, und das alles unter hohem Zeitdruck. Wie soll man das alles in zehn Tagen schaffen? Was ist aber, wenn der Vater dement ist und gar keine Pflegestufe erhält? Die Tochter hat dann keinen Anspruch auf das Pflegeunterstützungsgeld, also auf die zehntägige Lohnersatzleistung. Die Tochter hat dann auch keinen Anspruch auf die Familienpflegezeit. Heute leben etwa 1,1 Millionen Demenzkranke in Deutschland in privaten Haushalten. Alle möchten so lange wie möglich in der vertrauten Wohnung oder in der Nachbarschaft bleiben. Alle brauchen Unterstützung. Aber: Wenn keine Pflegestufe vorliegt, müssen die pflegenden Angehörigen alleine eine Lösung finden. Dann lassen Sie als Große Koalition genau diese Menschen weiterhin im Regen stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Warum, Frau Ministerin, denken Sie die Dinge nicht endlich zusammen? Der neue Pflegebegriff, der auch Demenzkranke berücksichtigen wird, kommt irgendwann. Vielleicht kommt er auch nie. Aber er ist eben das Herzstück einer Pflegereform. Ihre Familienpflegezeit soll zum 1. Januar 2015 in Kraft treten; das ist in sechs Wochen. Was können wir da noch groß beraten? Das ist ein Witz! Für Demenzkranke und ihre Angehörigen wird diese Familienpflegezeit nicht gelten. Das ist nicht der einzige Stolperstein. Was passiert, wenn sich jemand für die häusliche Pflege entschieden hat? Die Familienpflegezeit ist auf zwei Jahre begrenzt, und danach endet sie. Das Rückkehrrecht auf die volle Arbeitszeit endet ebenfalls nach zwei Jahren. Die Pflegerealität sieht aber ganz anders aus: Die Pflegezeit dauert oft viel länger als zwei Jahre. Ihre Regelungen passen einfach nicht in die Lebenswirklichkeit der Menschen. Ihre Regelungen gehen an den Bedürfnissen der pflegenden Angehörigen und der Pflegebedürftigen vorbei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jede Pflegesituation ist anders. Darum brauchen Pflegebedürftige und pflegende Angehörige als Allererstes eine gute und umfassende Beratung. Es gibt einige unterstützende Angebote für Pflegebedürftige und ihre Familien: Kurzzeitpflege, Tages- und Nachtpflege sowie zusätzliche Betreuungsleistungen. Aber viele dieser Angebote sind oft nicht bekannt. Eine gute Beratung kann hier Wunder wirken. Natürlich kann eine gute Beratung allein nicht alles richten. Zusätzlich brauchen wir mehr und bessere Unterstützungs- und Entlastungsangebote. Wir brauchen ein gutes Netzwerk, ein Netzwerk, das für alle zugänglich und überschaubar ist. Ich fordere Sie auf: Denken Sie ganzheitlich! Machen Sie hier nicht ein Low-Budget-Gesetz, das auf dem Rücken der pflegenden Angehörigen finanziert werden soll. Die Lohnersatzleistung – das sind 100 Millionen Euro – wird durch die Pflegeversicherung finanziert. Das Darlehen kostet Sie im nächsten Jahr 1,3 Millionen Euro. Ich wiederhole: 1,3 Millionen Euro kostet dieses Gesetz diese Regierung. Das finde ich unlauter. Denken Sie ganzheitlich! Arbeiten Sie nicht einfach ohne Sinn und Verstand Ihre Agenda ab, sondern tun Sie etwas im Sinne der Pflegebedürftigen und der Angehörigen! Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heike Baehrens [SPD]: Das ist jetzt völlig überzogen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Guten Morgen von meiner Seite aus, liebe Kolleginnen und Kollegen und liebe Gäste auf der Tribüne. Die nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Carola Reimann für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Carola Reimann (SPD): Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst in der letzten Woche haben wir das Elterngeld Plus als wichtigen Baustein für eine bessere Vereinbarkeit von Kindern und Beruf hier im Bundestag verabschiedet. Heute legen wir den nächsten Gesetzentwurf vor, diesmal zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Wir rücken damit das Thema Zeitpolitik erneut in das politische Rampenlicht und machen die Zeitkonflikte deutlich, die viele von uns Tag für Tag fast zerreißen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur eine Herausforderung für Eltern. Den täglichen Spagat zwischen Pflichten als Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer auf der einen Seite und der Verantwortung für die Angehörigen auf der anderen Seite müssen auch Beschäftigte bewältigen, die pflegen. Mehr als 2,5 Millionen Menschen sind pflegebedürftig. Sieben von zehn, also 70 Prozent, werden zu Hause gepflegt, auch oder ausschließlich von ihren Angehörigen. Deshalb sind Familien, wie gern gesagt wird, der größte Pflegedienst der Nation. Das sage ich ohne Wertung und ohne das gegen die professionelle Pflege ausspielen zu wollen. Für Pflegende stellt sich aber das Vereinbarkeitsproblem sogar verschärft; denn der Pflege des Partners oder der Eltern fehlt das Niedliche, das Hoffnungsfrohe, das Eltern, die ihre kleinen Kinder auf dem spannenden Weg ins Leben begleiten, täglich erleben. Es ist schwer, dem eigenen Ehemann nach einem Schlaganfall bei den kleinsten Verrichtungen helfen zu müssen. Es ist fast unerträglich, die demente Mutter in das Reich des Vergessens entgleiten zu sehen. Kollegin Scharfenberg, Demenz ist in der Tat nicht immer von Anfang an mit einer Pflegestufe versehen, aber in schweren Fällen sehr wohl. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen die schon ganz schön schwer sein!) Sechs von zehn Pflegenden geben an, dass sie die Pflege sehr viel von ihrer eigenen Kraft kostet. Drei von zehn fühlen sogar die eigene Gesundheit beeinträchtigt. Das ist der alarmierende Befund der aktuell vorgelegten Pflegestudie der Techniker Krankenkasse. Zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf – eine große Herausforderung – hat unsere Gesellschaft – da gebe ich Ihnen recht – bislang noch keine ausreichenden Antworten gegeben. Ja, Beschäftigte haben Anspruch auf eine zehntägige Auszeit für Pflege, aber dieser Auszeit fehlte bislang der Lohnersatz, weil wir das in der letzten Großen Koalition so nicht beraten konnten. Ich finde gut, dass jetzt beide Koalitionspartner dahinterstehen und das für richtig halten; denn viele konnten diese Pflegezeit in der Tat deshalb nicht nehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Familienpflegezeit von Kristina Schröder aus der letzten Legislaturperiode war sicher gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Angesichts der 135 Fälle pro Jahr ist klar, dass das bei 3,5 Millionen Leuten, die in unserem Land pflegen, kaum in Anspruch genommen wurde, weil den Beschäftigten der Rechtsanspruch fehlte. Ferner haben sie diese Hilfe nicht leisten können, weil es keine Lohnersatzleistung gab. Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf erleichtern wir diese Vereinbarkeit. Die zehnjährige Pflegezeit – Entschuldigung, natürlich die zehntägige Pflegezeit – statten wir mit einem Lohnersatz aus. Es wird hier der Eindruck erweckt, die zehn Tage reichen so gar nicht, es müssen eher zehn Jahre sein. So ist das ist bei mir angekommen. Deswegen der Versprecher. – Diese zehn Tage sind dafür da, um Krisen und Pflegesituationen, die sich nicht so entwickeln, wie man es erwartet hat, abzudecken. Sie sind für eine Unterstützung in einer Notfall-situation gedacht. Das Pflegeunterstützungsgeld erlaubt es jetzt den Pflegenden, sich einigermaßen frei von finanziellen Nöten auf das Organisatorische und die Unterstützung ihrer Angehörigen zu konzentrieren. Das ist eine echte Verbesserung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auf die Familienpflegezeit bekommen die Beschäftigten einen Rechtsanspruch, damit sie diese Familienpflegezeit auch tatsächlich in ihren Betrieben und Be-hörden durchsetzen können. Die Möglichkeit, ein Darlehen zu bekommen, verbessert die Inanspruchnahme. Das hilft den Beschäftigten. Weil wir die Gewährung des Darlehens zu einer öffentlichen Aufgabe machen, helfen wir auch den Arbeitgebern. Mit unseren beiden Gesetzesinitiativen, einmal zum Elterngeld Plus, zum anderen mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf, verabschieden wir uns natürlich auch noch ein Stück weit mehr vom Alleinverdienermodell und kommen in der Realität der Gegenwart unserer Familien an; denn die meisten Frauen wollen mehr als Kinder, Küche und Kanüle. Auch immer mehr Männer wollen mehr familiäre Verantwortung übernehmen und übernehmen sie auch – für ihre Kinder, für ihre Partnerin und auch für ihre Eltern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für sie, Frauen wie Männer, wollen wir Wege aufzeigen, wie sie Beruf und familiäre Aufgaben unter einen Hut bekommen können, ohne daran selbst zu zerbrechen. Auch die Wirtschaft wird von unseren neuen gesetzlichen Regelungen profitieren; denn es geht nicht darum, den Ausstieg aus Erwerbsarbeit zu organisieren, sondern ganz im Gegenteil: Es geht darum, dass Beschäftigte den Spagat zwischen Erwerbsarbeit und der Pflegeverantwortung besser bewältigen können und im Job bleiben. Das gelingt heute noch zu selten. Von den nicht erwerbstätigen Pflegenden hat jeder neunte seine Arbeit aufgegeben. Viele gehen wegen der Pflege von Angehörigen früher in Rente. Uns geht es deshalb auch darum, dass die Beschäftigten mithilfe der neuen Regelungen leichter im Job bleiben können und als Fachkräfte ihren Unternehmen erhalten bleiben. Mir persönlich sind zwei Aspekte noch besonders wichtig. Wir regeln erstmals eine Auszeit für Sterbebegleitungen. Wenn Eltern und Partner im Sterben liegen, bekommen die Angehörigen das Recht, bis zu drei Monate ganz oder teilweise aus dem Job auszusteigen. Das ist für viele eine wichtige Hilfe. Gestern haben wir hier intensiv über mögliche rechtliche Regelungen zur Sterbehilfe und Sterbebegleitung diskutiert. Dabei ist in ganz vielen Reden auf die Angst Sterbender vor Einsamkeit und die Bedeutung der menschlichen Begleitung hingewiesen worden. Deshalb ist es konsequent, dass wir die Begleitung von Angehörigen mindestens von der rechtlichen Seite her leichter machen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir modernisieren mit dem vorliegenden Gesetzentwurf den Angehörigenbegriff. Künftig können auch Stiefeltern, -Schwägerinnen, Schwäger und gleichgeschlechtliche Partnerinnen und Partner die Familienpflegezeit in Anspruch nehmen. Auch diese Lösung orientiert sich stärker an der Lebenswirklichkeit. Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir bei den Angehörigen noch einen weiteren Schritt machen, nämlich dass wir auch Freunde und Nachbarn unterstützen, wenn sie die Pflege anderer auf sich nehmen. Diese Bereitschaft ist vorhanden. Hilfenetzwerke im Freundeskreis oder in der Nachbarschaft nehmen an Bedeutung zu. Um das festzustellen, muss ich nur den Blick in mein eigenes Büro richten: Die Mütter meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohnen in Hamburg, im Ruhrgebiet, in Bayern; meine eigene Mutter wohnt in Nordrhein-Westfalen. Das tägliche Kümmern, das tägliche Nach-dem-Rechten-Sehen können wir gar nicht allein leisten. Das übernehmen in allen Fällen gute Nachbarn und Freundinnen. Dieses Engagement von Nachbarn und Freundinnen, insbesondere bei gesundheitlichen Krisensituationen – da ist das Pflegeunterstützungsgeld angesprochen worden – würde ich gern nicht nur im Rahmen von Reden zum bürgerschaftlichen Engagement loben, sondern auch wirklich unterstützen; (Beifall der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) denn für die Pflegeverantwortung ist nicht der Verwandtschaftsgrad entscheidend, sondern die Bereitschaft, ihr verlässlich nachzukommen. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der Debatte: Jörn Wunderlich für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Entwurf eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf“ – man liest den Titel des vorliegenden Gesetzentwurfs und denkt, ein Quantensprung vollzieht sich. In der letzten Legislaturperiode haben wir noch von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesprochen. Jetzt haben wir die Pflege in die Vereinbarkeit aufgenommen – denkt man im ersten Moment. Zu einigem hat meine Kollegin Zimmermann hier schon ausgeführt. Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, der aus Sicht der Linken ein ganz wesentlicher ist. Aus den Erfahrungen mit dem verfehlten Pflegezeitgesetz von Frau Schröder – wir haben es schon gehört; es ist nicht in Anspruch genommen worden; die Zahlen sind hier genannt worden – hat man nun den Rechtsanspruch auf Pflegezeit entwickelt. Dieser Rechtsanspruch, der die Möglichkeit, eine Pflegezeit zu nehmen, nicht mehr vom Willen des Arbeitgebers abhängig macht, ist zwar ein guter Schritt; andererseits werden dabei 5,6 Millionen Beschäftigte außen vor gelassen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes vom 31. Mai 2014 – diese Angaben sind also noch kein halbes Jahr alt – sind 5,6 Millionen Menschen in Betrieben mit 15 oder weniger als 15 Mitarbeitern beschäftigt. Sie alle haben durch die im Gesetzentwurf verankerte Kleinbetriebsklausel eben keinen Anspruch auf Pflegezeit. Als Alternative bleibt ihnen dann nur, das Beschäftigungsverhältnis aufzugeben, wenn die Pflege nicht anders sichergestellt werden kann. Von der ambulanten Pflege haben wir schon gehört. Viele wollen zu Hause gepflegt werden, möchten also in ihrem häuslichen Umfeld bleiben. Dieser Wunsch sollte auch respektiert werden. Dies kann natürlich auch mit professioneller Pflege sichergestellt werden. Nur, wer kann sie sich leisten? Das sind die wenigsten. Die Menschen, die ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen, um eine andere Person zu pflegen, kommen ebenfalls ihrer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe nach, müssen dafür aber weit stärkere Einschränkungen hinnehmen als diejenigen, die von dem Gesetz profitieren. Bei den 5,6 Millionen Betroffenen sind noch nicht die erfasst, die in Teilzeit arbeiten. Bei den geringfügig Beschäftigten handelt es sich um weitere 5 Millionen. Der überwiegende Teil davon arbeitet in kleinen Betrieben. Daher muss man noch draufsatteln. Da liegen mir noch keine genauen Zahlen vor. Die vorgeschlagene Kombination von Pflegezeit und Familienpflegezeit läuft darauf hinaus, dass nach Ablauf der Pflegezeit von höchstens sechs Monaten als Voraussetzung für eine Inanspruchnahme der Familienpflegezeit die Wochenarbeitszeit im Betrieb mindestens 15 Stunden betragen muss. Damit sind wir wieder bei der magischen Zahl 15: 15 Stunden, 15 Beschäftigte. Wenn aber die Pflegesituation dies nicht zulässt oder die Arbeitsbedingungen nicht entsprechend gegeben sind, sind möglicherweise die Voraussetzungen für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gar nicht da; dann entfällt der Anspruch. Andererseits können auch die Bedingungen für das Darlehen als vorrangige Leistung nicht erfüllt werden. Es bricht also im Grunde alles zusammen. Anders ausgedrückt, die Kopplung des Anspruchs auf Familienpflegezeit an die Voraussetzung der wöchentlichen Restarbeitszeit von 15 Stunden hat offensichtlich nur die berufstätigen, gutbezahlten Vollzeitbeschäftigten im Blick. Ziel ist, deren Ausstieg aus dem Berufsleben – es hieß ja auch: nicht auf die Fachkräfte verzichten – zu verhindern. Teilzeitbeschäftigte mit geringer Stundenzahl sind im Grunde von der Inanspruchnahme der Familienpflegezeit und damit auch des Darlehens ausgeschlossen, und das, obwohl das Darlehen, wie es so schön heißt, vorrangig vor Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen ist. Im Baugewerbe und Gaststättengewerbe ist nahezu jeder zweite Beschäftigte von den Segnungen der Familienpflegezeit ausgeschlossen, im Handel immerhin jeder vierte. Außerdem – das ist hier auch schon angeklungen – vermisse ich in dem Gesetzentwurf Anreize, die sich auf die Geschlechtergerechtigkeit beziehen. (Beifall bei der LINKEN) Nach Angaben des DGB sind 75 Prozent der Pflegenden weiblich. Ich glaube nicht, dass der Gesetzentwurf, jedenfalls in der Form, wie er momentan vorliegt, im Hinblick auf geschlechtergerechte Inanspruchnahme der Pflegezeiten irgendetwas bewirkt. Aber ich hoffe erneut auf die Ausschussberatungen und die Ausschusssitzungen. Irgendwann muss sich doch einmal etwas zum Positiven ändern. Und, wie wir alle wissen: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Jörn Wunderlich. – Nächste Rednerin in der Debatte: Astrid Timmermann-Fechter für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Astrid Timmermann-Fechter (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf steht für eine Vielzahl von Verbesserungen – Verbesserungen, mit denen wir die häusliche Pflege stärken, Pflegebedürftige unterstützen, die pflegenden Angehörigen entlasten. Das entspricht dem Wunsch vieler Menschen in unserem Land, vor allem vieler Pflegebedürftiger, die so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung bleiben möchten. Dafür führen wir die beiden schon bestehenden Gesetze, das für die Pflegezeit sowie das für die Familienpflegezeit, zusammen und machen sie mit zahlreichen Neuregelungen noch attraktiver. So haben Arbeitnehmer künftig einen Rechtsanspruch, für die Pflege ihrer Angehörigen die Arbeitszeit über einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten auf mindestens 15 Stunden in der Woche zu reduzieren. Das heißt, der bereits bestehende Rechtsanspruch gemäß Pflegezeitgesetz wird hier auch auf die Familienpflegezeit ausgeweitet. Dieser Rechtsanspruch soll zu Beginn des kommenden Jahres in Kraft treten – ein Rechtsanspruch, der vielen Menschen in unserem Land ein ganz kostbares Gut gibt, nämlich Zeit: Zeit für die Pflege, Zeit für Zuspruch und Trost, Zeit für die kranke Mutter, für den hilfsbedürftigen Vater, für die hochbetagte Großmutter oder den schwer erkrankten Partner, Zeit also für Menschen, die uns lieb und teuer sind, die uns wichtig in unserem Leben sind, denen wir selber vieles verdanken. Darum sind die pflegenden Angehörigen auch bereit, dieses Opfer, das die Pflege ja in der Tat darstellt, für ihre Verwandten zu erbringen. Dazu zählt neben Zeit und Kraft auch Geld. So müssen Arbeitnehmer bislang meist Gehaltseinbußen in Kauf nehmen, wenn sie im Rahmen des Pflegezeitgesetzes für die kurzfristige Organisation einer Pflegesituation in der Familie die bis zu zehntägige Auszeit nutzen. Die Neuregelung sieht hier nun ein Pflegeunterstützungsgeld vor, mit dem Arbeitnehmer ähnlich wie beim Kinderkrankengeld eine Lohnersatzleistung erhalten, welche zulasten der Pflegekasse des zu pflegenden Angehörigen abgerechnet wird. Finanzielle Einbußen entstehen aber erst recht, wenn man seine Wochenarbeitszeit langfristig reduzieren muss; denn mit einer 15-Stunden-Woche lässt sich in der Regel der Lebensunterhalt oft nicht bestreiten. Erst recht für eine Familie sind solche finanziellen Belastungen eine extrem hohe Herausforderung. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb sieht das Familienpflegezeitgesetz hier ein zinsloses Darlehen vor, um den Verdienstausfall wenigstens zu einem Teil zu kompensieren. Neu ist jedoch, dass dieses Darlehen nun auch für die bis zu sechsmonatige Pflegezeit in Anspruch genommen werden kann. Neu ist auch, dass für dieses Darlehen keine Ausfallversicherung mehr abgeschlossen werden muss. Das Ausfallrisiko trägt hier der Bund allein. Härtefallregelungen sorgen im Falle einer Langzeitarbeitslosigkeit oder im Todesfall für eine soziale Abfederung. Für die Darlehen sieht der Etat des Bundesfamilienministeriums für das kommende Jahr 1,3 Millionen Euro vor. Im Zuge der Neuregelung werden im Übrigen auch die Arbeitgeber entlastet. Die Beschäftigten beantragen jetzt nämlich die Darlehen direkt beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Der Arbeitgeber muss keine Wertguthaben mehr für seine Angestellten führen. Hier werden bürokratische Hürden abgebaut. (Beifall bei der CDU/CSU) Die teilweise Freistellung von Arbeitnehmern hat zudem den Effekt, dass langfristig den Unternehmen, den Betrieben ihre Fachkräfte mit all ihren wertvollen Kenntnissen erhalten bleiben. Niemand soll seine Arbeit aufgeben müssen, um einen Angehörigen zu versorgen. Das neue Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf sichert somit Fachkräfte – angesichts des demografischen Wandels mit den einhergehenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt ein ebenfalls kostbares Gut. Meine Damen und Herren, es kann für kein Unternehmen von Interesse sein, Mitarbeiter zu beschäftigen, die sich den ganzen Tag über Sorgen machen müssen, was mit ihren pflegebedürftigen Angehörigen passiert. Wer kann da noch gute Leistungen erbringen? Hier ist eine rechtlich klar geregelte Freistellung wesentlich ökonomischer – für alle Beteiligten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Denn einen Pflegebedürftigen zu Hause zu versorgen, ist harte, kräftezehrende Arbeit, die viele Angehörige nicht selten an die Grenzen der Belastbarkeit führt. Dies auch noch mit der eigenen Vollzeitberufstätigkeit zu vereinbaren, ist in aller Regel ein Ding der Unmöglichkeit. Wollen wir, dass sich diese Menschen in solchen Stresssituationen um ihre Angehörigen kümmern müssen? So etwas kann niemand wollen, und es kann auch nicht im Interesse der Gesellschaft sein. Denn wir wünschen uns alle eine menschliche, eine humane Pflege. Diesem Bedürfnis wollen wir auch mit einer weiteren Neuregelung Rechnung tragen. So sieht der Gesetzesentwurf nämlich auch eine Freistellung für die Begleitung von Angehörigen in ihrer letzten Lebensphase sowie für die Betreuung von pflegebedürftigen schwerkranken Kindern vor, die sich in stationären Einrichtungen befinden. Das ist eine wirkliche Hilfe für viele Menschen in besonders schwierigen Lebenssituationen sowie eine Entlastung, die auch unserem christlichen Menschenbild entspricht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, erfreulicherweise leben wir immer länger und werden immer älter. Umso mehr wird aber auch die Pflege langfristig eine immer größere Herausforderung für unsere Gesellschaft. Von den rund 2,6 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden derzeit etwa zwei Drittel zu Hause betreut, ein Großteil davon von Angehörigen. Für das Jahr 2050 erwartet das Statistische Bundesamt sogar 4,5 Millionen Pflegebedürftige. Auch in Zukunft werden also Pflegebedürftige von ihren Angehörigen gepflegt. Deshalb haben wir den Begriff der Angehörigen ausgeweitet. Dieser umfasst künftig auch Stiefeltern, Schwägerinnen und Schwäger oder lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaften. Damit tragen wir den vielfältigen Lebensmodellen in Deutschland Rechnung – Lebensmodelle, in denen sich Menschen in ihrem Leben gegenseitig begleiten, Lebensmodelle, in denen Partner füreinander einstehen und Pflichten übernehmen. Diese Bereitschaft und diesen Zusammenhalt wollen wir mit der Erweiterung des Angehörigenbegriffes unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Neuausrichtung der beiden Gesetze für die Pflegezeit wie auch für die Familienpflegezeit bietet somit nach dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ eine Vielzahl neuer Möglichkeiten für eine bessere häusliche Pflege – neue Möglichkeiten, die von einer nunmehr größeren Zahl von Angehörigen in Anspruch genommen werden können; auch das entlastet die Familien. Mit seinen Neuregelungen liefert das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf somit einen weiteren wichtigen Baustein für die Stärkung der Pflege insgesamt. Das ist in dieser Legislaturperiode nicht nur eines der Schwerpunktthemen dieser Koalition, sondern auch für die CDU/CSU ein ganz wesentliches Anliegen. Denn gute Pflege, meine Damen und Herren, ist eben nicht nur eine hervorragende und innovative medizinische Versorgung; das ist vor allem Liebe, Zuneigung und Aufmerksamkeit – eben all das, was Familie und Partnerschaft, was unser Leben überhaupt ausmacht: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Sönke Rix [SPD]) das verlässliche Füreinander-Einstehen auch in schweren Zeiten. Für dieses Familienbild steht auch die CDU/CSU. Denn Familie ist nicht allein nur dort, wo Kinder sind, sondern vor allem auch dort, wo die Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Ebendieses Familienbild wollen wir mit unserem neuen Gesetzentwurf stärken. Wir wollen die Familie als Verantwortungsgemeinschaft unterstützen, damit sich die Menschen noch besser und flexibler um ihre pflegebedürftigen Angehörigen kümmern können. Als Gesellschaft können wir gar nicht dankbar genug sein, dass so viele Menschen in unserem Land diesen anstrengenden, oft auch entbehrungsreichen Dienst für ihre Angehörigen erbringen. Familie ist das, was uns prägt und uns Geborgenheit gibt, was uns aufgehoben sein lässt. Wie sich aber die Familien organisieren, müssen wir ihnen selbst überlassen. Der Staat kann hier nur Rahmenbedingungen setzen. Dafür ist das geplante Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf ein sehr gutes, ein hervorragendes Beispiel; denn dieses Gesetz lässt mit seinen flexiblen Wahlmöglichkeiten die Familien mit ihren individuellen Lebensverhältnissen selbst entscheiden, wie sie die Pflege ihrer Angehörigen organisieren wollen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Timmermann-Fechter. – Nächste Rednerin in der Debatte: Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Berufstätigkeit und die Pflege von Angehörigen, von Menschen, die einem nahestehen, besser oder überhaupt vereinbaren zu können, ist tatsächlich eine drängende Herausforderung, der wir uns stellen müssen und auf die wir politische Antworten finden müssen. Insofern ist es wichtig, dass wir heute diese Debatte führen. Wir müssen aber endlich zu Lösungen kommen, die auch praxistauglich sind und die Familien im Alltag tatsächlich unterstützen. Da habe ich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf leider einige Fragezeichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich selbst komme aus einem kleinen Dorf im Westerwald. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Schöne Gegend!) Als ich ein Kind war, da war die Sache klar – ich beschreibe es jetzt etwas scherenschnittartig –: Die Frauen kümmerten sich um die Kinder, manche waren danach halbtags berufstätig, viele auch nicht, und wenn, dann haben sie ihren Job wieder aufgegeben, um sich um ihre Mütter und Schwiegermütter, um ihre Väter und Schwiegerväter und auch um die kinderlosen Tanten zu kümmern, wenn diese pflegebedürftig wurden. Ich will hier gar nicht die Frage stellen, ob das gut und gerecht war, ob die Frauen, aber auch die Pflegebedürftigen sich das so vorgestellt haben, obwohl man, glaube ich, diese Frage sehr wohl stellen sollte. Das war einfach so, aber so ist es eben nicht mehr bzw. wird immer weniger so sein. Wir leben im demografischen Wandel. Die Anzahl pflegebedürftiger Menschen steigt. Frauen sind berufstätig. Sie wollen berufstätig sein, aber sie müssen es auch, sonst ist Altersarmut vorprogrammiert. Viele Menschen haben keine Kinder. Die Kinder vieler Menschen leben ganz woanders. Trotzdem sagen viele – und das finde ich sehr gut –, dass sie ihren Eltern, dass sie Menschen, die ihnen nahestehen, etwas zurückgeben wollen, wenn diese pflegebedürftig sind. Ich finde es sehr wichtig, dass wir das unterstützen. Aber mit diesem Gesetz wird uns das nicht weitergehend gelingen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, in der vergangenen Legislaturperiode hat sich Kristina Schröder schon die Zähne an einer Familienpflegezeit ausgebissen. Die positiven Aspekte des damaligen Vorschlags sind zwischen Referentenentwurf und der Beschlussfassung des Gesetzes komplett ausradiert worden. Das Gesetz war ein Rohrkrepierer: Seit 2011 haben gerade einmal – wir haben es schon gehört – rund 300 Menschen die Fami-lienpflegezeit überhaupt in Anspruch genommen. Von den damals im Haushalt eingestellten 400 Millionen Euro flossen mickrige 17 000 Euro ab. Warum war das so? Die Antwort ist: Das Gesetz ging trotz massiven Bedarfs an der Lebensrealität der Familien vorbei. Meine Sorge ist, dass es dem Gesetz, das wir heute beraten, leider genauso ergehen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, richtig ist, dass die neue Familienpflegezeit einen zentralen Fehler des Schröderschen Konzepts beseitigt: Es soll zukünftig einen Rechtsanspruch auf die Familienpflegezeit geben. Das ist gut, aber es reicht eben nicht, um die Familienpflegezeit wirklich praxistauglich auszugestalten. Es reicht vor allem nicht, um eine praxistaugliche Regelung für alle Familien, also auch für Familien mit einem niedrigen Einkommen, zu gewährleisten, aber auch nicht, um Menschen, deren nahe Verwandte weiter entfernt wohnen, tatsächlich zu unterstützen. Ich möchte das an zwei Punkten erläutern. Die Familienpflegezeit in Anspruch zu nehmen, ist mit Gehaltseinbußen verbunden. Statt diese aber über eine Lohnersatzleistung abzufedern, setzt die Familienministerin auf ein zinsloses Darlehen. Familien mit einem ausreichenden Einkommen brauchen das nicht; sie werden das nicht in Anspruch nehmen müssen. Vor allem Familien mit einem niedrigen oder mit einem mittleren Einkommen werden dieses Darlehen in Anspruch nehmen. Es gibt also faktisch keine finanzielle Entlastung für die pflegenden Angehörigen; die Belastung wird einfach in die Zukunft verschoben. Die Problematik verschärft sich massiv. Das erkennt man, wenn man mit in den Blick nimmt, dass der Kredit nur über zwei Jahre hinweg gewährt wird. Dabei ist die Zeitspanne, in der Angehörige ihre Familienmitglieder pflegen, oft deutlich länger. Nach zwei Jahren stehen pflegende Angehörige da, haben kein Anrecht auf Familienpflegezeit mehr; stattdessen haben sie einen Kredit an der Backe, den sie abzahlen müssen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das ist aus meiner Sicht keine gute Perspektive. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auch Menschen mit einem geringen Einkommen müssen eine Familienpflegezeit in Anspruch nehmen können, ohne sich zu verschulden. Deshalb plädieren wir für eine Lohnersatzleistung während der Familienpflegezeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der zweite Punkt. In Anspruch nehmen können die Familienpflegezeit – wir haben es schon gehört – nahe Angehörige. Zu denen zählen jetzt auch Stiefeltern, Personen in lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaft, Schwägerinnen und Schwäger. Aber warum werden Nachbarn, Freunde, Wahlverwandtschaften vom Anspruch auf die Familienpflegezeit ausgeschlossen? Ich kann mich da Frau Reimann anschließen, die das auch problematisiert hat. Das macht in einer Zeit, in der Lebensformen vielfältiger werden und in der Wahlverwandtschaften eine immer größere Rolle spielen, überhaupt keinen Sinn. In meiner Heimat Bonn gibt es ganz großartige Mehrgenerationenwohnprojekte, wo gemeinsames Leben aller Generationen ohne biologisch-familiäre Bezüge stattfindet, wo es eine Verantwortungsübernahme in solchen Zusammenhängen gibt. Es macht aus meiner Sicht überhaupt keinen Sinn, dass die Verantwortungsübernahme, die Fürsorge für Menschen in solchen Konstellationen hier nicht gewürdigt wird, sondern von der Familienpflegezeit explizit ausgenommen wird. Ich hoffe, dass sich da im Gesetzgebungsverfahren noch etwas ändert. Aus der SPD-Fraktion höre ich, dass es Bereitschaft gibt, sich dahin zu bewegen. Dann kann es ja auch in der kurzen Beratungsphase noch die Möglichkeit geben, an solch wichtigen Stellen im Sinne der Familien, im Sinne von Wahlverwandtschaften, im Sinne der Verantwortungsübernahme und Fürsorge im Kontext von Pflege noch etwas zu verbessern. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Katja Dörner. – Nächster Redner in der Debatte ist Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Pflegebedürftigkeit ist ein Thema, das im Alltag gern verdrängt wird. Zwar ist sich jeder bewusst, dass die Eltern wohl irgendwann einmal auf Hilfe angewiesen sein werden; aber meist setzt man sich erst dann wirklich ernsthaft mit dem Thema Pflege auseinander, wenn der Ernstfall eintritt und ein Angehöriger plötzlich zum Pflegefall wird. Ein Unfall, ein Schlaganfall, eine schwere Krankheit oder eben das Alter können der Grund dafür sein, dass Menschen pflegebedürftig werden. In dieser Situation brauchen Angehörige kurzfristig Zeit für die Organisation der neuen Situation. Sie sehen sich vielen Herausforderungen und Fragen gegenüber und müssen sich durch den Dschungel der Pflegestufen und Richtlinien kämpfen: Wie beantragt man eine Pflegestufe? Was macht der Medizinische Dienst? Wann und wo bekommt man das Geld? Wie verbleibe ich mit meinem Arbeitgeber? Meist liegt der Wunsch nahe, die Pflege seines Angehörigen selbst leisten zu können, ohne finanzielle und berufliche Nachteile fürchten zu müssen. Zudem entspricht es auch fast immer dem dringenden Wunsch des Pflegebedürftigen, in der vertrauten Umgebung von einer nahestehenden Person gepflegt zu werden. Nach einer aktuellen Umfrage des Politbarometers erwarten 95 Prozent der Menschen von den Neuregelungen eine erhebliche Verbesserung in der Pflege. Da bin ich also etwas anderer Meinung als die Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die gesagt haben: Es reicht nicht aus. – Viele Menschen werden das als deutliche Verbesserung in der Pflege empfinden können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, mit dem heute in erster Lesung zu beratenden Entwurf eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf kommen wir dem im Koalitionsvertrag verankerten Ziel der Vereinbarkeit von Pflege und Berufsleben nach. Unser wichtigstes Ziel ist dabei, die Wertschätzung der familiären Pflege zu verbessern und die Pflege insgesamt besser abzusichern, darüber hinaus den Menschen die Gewissheit zu geben: Es ist eine Pflege auch in der häuslichen Umgebung möglich. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir den schon bestehenden Rechtsanspruch auf eine zehntägige Pflegeauszeit bei akut auftretender Pflegesituation eines nahen Angehörigen mit einer Lohnersatzleistung analog zum Kinderkrankengeld ausgestalten. Beschäftigte haben künftig einen Rechtsanspruch auf Pflegeunterstützungsgeld. Dabei handelt es sich um eine Lohnersatzleistung für eine bis zu zehntägige Auszeit, die Beschäftigte kurzfristig für die Organisation einer akut aufgetretenen Pflegesituation eines nahen Angehörigen in Anspruch nehmen können. Die hierfür erforderlichen Mittel im Umfang bis zu 100 Millionen Euro – es wurde bereits darauf hingewiesen – werden von der sozialen Pflegeversicherung getragen. Wir haben den Kreis der Berechtigten auf nahe Angehörige und Stiefeltern beschränkt. Wir sind anders als Sie, Frau Kollegin Dörner, der Auffassung, dass wir diesen Kreis nicht willkürlich auf Wahlverwandtschaften bzw. Wahlbeziehungen ausweiten sollten. Wir müssen erst einmal die nahen Angehörigen, die bereit sind, Verantwortung zu tragen, mit dieser Leistung ausstatten und dürfen den Kreis der Berechtigten auch im Interesse der Arbeitswelt nicht beliebig ausweiten. Ich bitte daher um Verständnis, dass es bei den nahen Angehörigen bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU) Wer einen nahestehenden Menschen pflegt, braucht dafür Zeit und muss die Pflegetätigkeit mit seinem Berufsleben vereinbaren können. Daher haben wir einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit eingeführt, der für Betriebe mit mehr als 15 Beschäftigten gilt. Die Kollegen Zimmermann und Wunderlich haben darauf hingewiesen, dass damit ein Fünftel der Unternehmen, also Kleinbetriebe mit unter 15 Beschäftigten, nicht erreicht wird. Das ist natürlich gewollt. Meine Damen und Herren, wir reden hier nicht von volkseigenen Betrieben mit mehreren Hundert Beschäftigten. Wir reden über den kleinen Handwerksmeister, der seine Mitarbeiter noch mit Vornamen kennt. In vielen solcher kleinen Handwerksbetriebe ist durch das Zusammenwirken, das Diskutieren der Probleme natürlich ein anderes Verhältnis vorhanden als in Großunternehmen und die Bereitschaft der Arbeitgeberseite, auf die Belange des Arbeitnehmers einzugehen, in vielen Fällen auch anders ausgeprägt. (Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Und was machen Sie da? Haben Sie eine Antwort darauf?) Ich darf Ihnen versichern: Ich habe viele Handwerksmeister aus meiner Region vor meinem geistigen Auge. – Frau Kollegin Zimmermann möchte eine Frage stellen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, dass Sie mich darauf hinweisen. Ich habe aber auch Augen. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Ich wollte nur signalisieren, dass ich bereit bin, die Frage anzunehmen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann muss ich Sie also gar nicht mehr fragen, ob Sie bereit sind. – Langer Rede kurzer Sinn: Was wollen Sie ihn denn gerne fragen? Pia Zimmermann (DIE LINKE): Vielen Dank. – Mich würde interessieren, wie Sie denn den Beschäftigten in den Betrieben mit weniger als 15 Mitarbeitern – es geht ja nicht um eine Handvoll, sondern um Millionen von Menschen – erklären wollen, wie sie die Pflege zu Hause gestalten sollen, weil es ja gerade diese Menschen sind, die bei den, wie man im Volksmund sagt, sogenannten Krauterfirmen arbeiten? Darunter sind ja auch Menschen, die möglicherweise wenig Geld haben, und viele, die im Handel – nicht in großen Kaufhäusern, sondern in kleinen Lebensmittelläden oder anderen Läden – unter prekären Beschäftigungsbedingungen arbeiten. Wie sollen die denn die Pflege zu Hause gestalten? Sie sagen doch selber, dass Sie es so wichtig finden, dass Menschen zu Hause gepflegt werden und dass der familiäre Zusammenhang vorhanden ist. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Frau Kollegin Zimmermann, herzlichen Dank für die Frage. – Zunächst einmal muss ich klarstellen: Ich kenne keine Krauterfirma. Ich kenne viele Unternehmen, in denen tüchtig gearbeitet wird. „Krauter“ ist ein abwertender Begriff, der in meinem Vokabular nicht vorkommt. (Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: So nennen die sich selber!) Es gibt auch viele kleine Unternehmen, die genauso auf die Belange der Arbeitnehmer eingehen wie große. Wissen Sie, wir haben ein anderes Verständnis vom Verhältnis zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Wir sind nicht so dogmatisch eingeengt wie Sie und Ihre Partei. Wir sagen: Jawohl, der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, zu sagen: Lieber Chef, ich brauche jetzt etwas Zeit, um in den nächsten sechs bis acht Monaten meine Angehörigen zu pflegen. Wie schaut es aus? Kann ich meine Zeit reduzieren? – Wenn der Arbeitgeber sagt: „Das geht aber absolut nicht“, dann hat der Arbeitnehmer doch aufgrund des Fachkräftemangels, der mittlerweile in vielen Branchen herrscht – auch in denen, die von Ihnen schmählich als Krauterfirmen bezeichnet wurden –, die Möglichkeit, zu sagen: Gut, lieber Chef, wenn du mir das nicht gewährst, dann muss ich leider in ein Unternehmen gehen, wo ich diesen Anspruch habe. – Das heißt also, es wird in vielen Bereichen funktionieren. Schauen Sie sich die Realität an. Wie gesagt, ich halte von dogmatischen, klassenkämpferischen Parolen in diesem Bereich sehr wenig. – Frau Zimmermann, bleiben Sie stehen. Ich bin noch nicht fertig. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Meine Frage war, wie Sie helfen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Moment. Noch bin ich die Chefin hier. Ich weiß, dass Ihnen das nicht leichtfällt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Zimmermanns Frage war noch nicht beantwortet. Deswegen kann Sie gerne stehen bleiben. – Herr Lehrieder, bitte. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Danke für das Entgegenkommen. Vizepräsidentin Claudia Roth: So bin ich. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Selbstverständlich wird das Gespräch in diesen Unternehmen zu sinnvollen Lösungen führen, die es in vielen Bereichen schon gibt. Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass ich in meiner letzten Rede vor einer Woche gesagt habe, dass in vielen Tarifverträgen durch die Gewerkschaften für die Arbeitnehmer auch in Bezug auf die Kinderbetreuung schon sinnvolle Regelungen vereinbart wurden. Viele arbeiten daran mit, und wir werden erleben, dass die Unternehmen, vor allem die kleinen Betriebe, in Zeiten des Fachkräftemangels darauf achten werden, mit ihren Arbeitnehmern einen Modus Vivendi hinzubekommen, sodass beide Seiten zufrieden sind. Was nützt es dem Unternehmen, dem kleinen Handwerksbetrieb, wenn der Arbeitnehmer durch Überlastung einen Burn-out bekommt, weil er versucht – vielleicht ein paar Tage, vielleicht ein paar Wochen – nebenher die Pflege eines Angehörigen zu managen. Damit ist dem Unternehmer auch nicht gedient. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das ist ja -interessant!) Der Mitarbeiter ist dann sechs Wochen krank. Und wer zahlt das? Das zahlt allein der Arbeitgeber. Ich glaube, dass die Handwerksbetriebe clever genug sind, das zu erkennen; zumindest sind das die, die ich kenne. Ich wünsche Ihnen, Frau Zimmermann, dass es auch in Ihrer Region solche Handwerksbetriebe gibt. Die sind bestimmt zu finden. – Jetzt bin ich mit der Beantwortung fertig. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Zimmermann. – So, jetzt geht es weiter in Ihrer Rede, Herr Lehrieder. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Der neue Anspruch auf Familienpflegezeit kann, wie bereits ausgeführt, mit dem bereits geltenden Anspruch auf Pflegezeit verbunden werden. Mit dieser Regelung leisten wir einen zentralen Beitrag zur Fachkräftesicherung. Das dient den Interessen der Arbeitgeber, weil das Erfahrungswissen der Fachkräfte im Unternehmen bleiben kann. Frau Kollegin Zimmermann, Sie haben die fehlende Beteiligung der Arbeitgeber an den Kosten angesprochen. Wir haben heute den 14. November. Heute in zehn Tagen, also am 24. November, werden wir zu dieser Thematik – Herr Kollege Wunderlich, das haben Sie sich gewünscht – eine sehr umfangreiche Anhörung im Ausschuss durchführen, zu der auch Arbeitgeberverbände eingeladen sind. Es wird um die Kostenbeteiligung, aber auch um die Probleme gehen, die die Arbeitgeber haben, wenn es darum geht, Ersatzpersonal für die Mitarbeiter einzustellen, die sich eine Auszeit für die Pflege nehmen wollen. Es ist nicht für jedes Unternehmen leicht, für eine begrenzte Zeit von einem halben Jahr bis zu 24 Monaten schnell mal eine Teilzeitstelle zu besetzen, weil sich ein Mitarbeiter der Pflege widmen will. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist richtig!) Aber das muss möglich sein. In einem Unternehmen mit über 15 Beschäftigen ist das nach unserer Auffassung organisatorisch leichter zu bewältigen als in kleinen Unternehmen. Darüber hinaus erhalten Beschäftigte, die Pflegezeit oder Familienpflegezeit in Anspruch nehmen, zur besseren Absicherung ihres Lebensunterhalts während der Freistellung einen Anspruch auf Förderung. Sie können beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, kurz BAFzA, ein zinsloses Darlehen beantragen. Die Frau Ministerin hat darauf hingewiesen, dass das Darlehen während einer Erkrankung selbstverständlich automatisch gestundet wird. Wenn aber wieder gearbeitet wird, dann muss dieses Darlehen, das aus Steuermitteln finanziert worden ist, um finanzielle Freiräume für die Zeit der Pflege zu ermöglichen, natürlich sukzessive zurückgezahlt werden. Die Rückzahlungsmodalitäten werden so gestaltet, dass kein Arbeitnehmer überlastet wird. Das Darlehen soll in moderaten, zumutbaren Raten zurückgezahlt werden können. Der Vorteil für die Arbeitnehmer, Frau Kollegin Zimmermann, besteht darin, dass durch das zinslose Darlehen für die Zeit der Pflege wirtschaftliche Freiräume gewährt werden. Das sollte man nicht zu gering schätzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Dass eine Weiterentwicklung und Verzahnung des Familienpflegezeitgesetzes und des Pflegezeitgesetzes nötig sind, verdeutlichen die zum Teil bereits vorgetragenen Zahlen: Rund 2,6 Millionen Menschen in Deutschland sind auf Pflege angewiesen. 1,8 Millionen Menschen werden zu Hause versorgt, zwei Drittel von ihnen durch Angehörige, der Rest durch ambulante Dienste. – In den nächsten Jahrzehnten wird die Zahl der Pflegebedürftigen merklich steigen. Die Notwendigkeit einer besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf ist gerade angesichts der demografischen Entwicklung in unserem Lande groß. Ich bin ziemlich sicher, dass uns die Themen „Pflege“ und „demografische Entwicklung“ auch in den nächsten Jahren periodisch immer wieder beschäftigen werden. Wir werden immer wieder nachjustieren müssen. Sie haben es angesprochen, Frau Scharfenberg: Das geltende Gesetz hat bisher leider nicht so gut gegriffen. Deshalb müssen wir es verbessern. Wir müssen prüfen: Wie wirkt das Gesetz? In welchen Bereichen besteht in zwei, drei, vier oder fünf Jahren weiterer Handlungsbedarf? Ich bin sicher: Auch da ist nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch lange nicht!) Wir müssen auf das Problem der demografischen Entwicklung in unserer Gesellschaft Antworten finden. Das ist natürlich primär Aufgabe der Politik. Deswegen werden wir das Thema hier immer wieder diskutieren. Die Bereitschaft und das Interesse in der Bevölkerung sind vorhanden. Die überwiegende Mehrheit der Berufstätigen möchte ihre Angehörigen, soweit möglich, selbst betreuen. Auch von den Pflegebedürftigen wird das so gewünscht. Frau Präsidentin, ich habe gerade einmal fünf Sekunden überzogen und das Licht leuchtet schon auf. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die Ausschussanhörung in zehn Tagen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. Ich habe gegoogelt – ich weiß, das darf ich eigentlich nicht –, was unter einer Krauterfirma zu verstehen ist. Ich weiß, dass dieser Begriff im Süddeutschen, auch bei uns im Schwäbischen, genau den Beiklang hat, den Herr Lehrieder angesprochen hat. Jetzt lese ich aber – das will ich zitieren –: Unter einem Krauter versteht man im Osten Deutschlands einen kleinen selbstständigen Handwerker, oft allein oder nur mit wenigen Angestellten arbeitend. Die Bezeichnung wird heute oft he-rabsetzend als Synonym für „unseriös arbeitend“ verwandt. Das kenne ich – sagt jemand aus dem Osten – von früher in dieser Form nicht unbedingt. Also, wir sind eine vielfältige, bunte Republik Deutschland. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die nächste Rednerin in der Debatte ist Petra Crone für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Petra Crone (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Jetzt haben wir festgestellt, dass nicht nur die Opposition, sondern auch die Koalitionsfraktionen recht haben. Wunderbar. Es ist alles geregelt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist das herrlich!) Ich habe mir Ihren Änderungswunschkatalog und Ihre Kritik zu dem heute eingebrachten Gesetzentwurf genau angehört, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Einiges davon ist bedenkenswert – ohne Frage –, aber einiges – das muss ich schon sagen – ist reichlich überzogen. Wenn Sie ganz genau hinschauen, dann müssen Sie zugeben: Dieser Entwurf eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf hat seinen Namen wirklich verdient. (Beifall bei der SPD) Das kann ich gleich auch noch belegen. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte!) Das ist keine Luftnummer. Wir haben vor drei Jahren das Gesetz über die Familienpflegezeit verabschiedet. Das allerdings war ein zahnloser Tiger: Es gab keinen Rechtsanspruch und stattdessen jede Menge Kleingedrucktes. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kriegt er ein Gebiss!) Wer die Not kennt, die Angehörige umtreibt, die dem Wunsch von pflegebedürftigen Angehörigen nachkommen und sie pflegen wollen, der muss zugeben, dass Ministerin Manuela Schwesig den vorliegenden Gesetzentwurf richtig angegangen ist, indem sie einen Rechtsanspruch und Lohnersatzleistungen während einer zehntägigen Auszeit verankert hat, zudem einen Kündigungsschutz und die Möglichkeit, die Arbeitszeit bis zu 24 Monate lang zu verringern. Das ist ein Riesenunterschied. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist kein Wunder, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieses Angebot vorher nicht angenommen haben. Jetzt geben wir ihnen ganz andere Möglichkeiten. Deswegen finde ich die Kritik überzogen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Endlich wird die wichtige Aufgabe, die Angehörige mit der Pflege übernehmen, erleichtert. Pflege ist eine Aufgabe, die unsere allergrößte Hochachtung verdient. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir endlich realistischere Bedingungen. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen müssen ihre finanziellen Einbußen nicht länger alleine tragen. Der aufgezwungene Abschluss einer privaten Versicherung wird zurückgenommen. Damit wird privates Engagement von Angehörigen nicht länger bestraft. Außerdem kommen wir dem Wunsch vieler Angehöriger entgegen, die gerne zu Hause pflegen möchten. Auch in meinem Wahlkreis ist es so – wir haben das Thema vorhin schon angesprochen –, dass viele Unternehmen schon einen Schritt weiter gegangen sind und betriebsinterne Vereinbarungen anbieten. Ich komme aus Südwestfalen, einer ganz starken Wirtschaftsregion. Für die mittelständischen Unternehmen dort ist das ein ganz wichtiges Thema, weil sie ihre Fachkräfte nicht verlieren wollen. (Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Deswegen unterstützen sie Vorhaben für eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Finden die denn auch Ersatzkräfte?) Solche Regelungen gibt es aber auch überregional. Rewe und Real zum Beispiel bieten auch betriebsinterne Vereinbarungen an. Lebensnah und realistisch ist es auch, entferntere Angehörige zum Empfang von Pflegegeld zu berechtigen. Immer öfter wohnen Kinder nicht mehr in der Nähe, sind Pflegebedürftige alleinstehend. Wir müssen verlässliche Strukturen fördern, damit Angehörige gepflegt werden können, auch unabhängig vom ehelichen Status. Ehrlich gesagt – da gebe ich meiner Kollegin Carola Reimann recht –: Vielleicht müssen wir den Personenkreis noch ausweiten. Ich freue mich aber auch besonders über die Möglichkeit für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, ihre Angehörigen in den letzten Wochen zu begleiten, auch wenn diese in Hospizen leben. Wir haben gestern eine Debatte darüber geführt und immer wieder betont, wie wichtig es ist, Angehörige auf dem letzten Weg zu begleiten und sie würdevoll sterben zu lassen. Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass die bisherigen Regelungen zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf nicht ausreichend waren. Mit Blick auf die Zukunft brauchen wir deutlich mehr Maßnahmen. Die Betroffenen brauchen flexible Lösungen für ihre individuellen pflegerischen und beruflichen Herausforderungen. Liebe Kollegen und Kolleginnen, das Thema Pflege ist durch die demografische Entwicklung in unserem Land eine riesengroße Herausforderung. Die Familienpflegezeit ist da ein Baustein eines ganzen Pakets. Wir brauchen und schaffen weitere Bausteine. Wir haben jetzt das Erste Pflegestärkungsgesetz vereinbart, mit dem die Pflegeversicherung und ihre Leistungen modernisiert werden. Wir werden die Pflegeausbildung reformieren und attraktiver machen. Durch die Zuschussva-riante bei der Förderung altersgerechten Umbaus werden die Menschen in ihrem Wunsch unterstützt, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben zu können. Letztendlich aber ist ein Familienpflegezeitgesetz nur so gut wie die Pflegestruktur in den Städten und Kommunen. Da brauchen wir eine gute, unabhängige Beratung, die betroffene Bürger aufsucht, haushaltsnahe Dienstleistungen sowie ambulante Betreuung und Pflege, auch Tagespflege. Wir benötigen weiter ein dichtes Netz von Ärzten, Anbietern der Wohlfahrtspflege, privaten und kommunalen Anbietern, Ehrenamt, Palliativmedizin und Hospizen. Eine gute Sozialplanung sollte unser Ziel sein. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Crone. – Die nächste Rednerin in der Debatte ist Antje Lezius für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU Antje Lezius (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf ist ein wichtiger Gesetzentwurf. Er spiegelt wider, was wir von der CDU/CSU gemeinsam mit der SPD im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Wir wollen gemeinsam dafür sorgen, dass Menschen, die Angehörige pflegen, sich weiterhin auch ihrem Beruf widmen können. Warum ist das notwendig? Der demografische Wandel sorgt für zahlreiche Veränderungen und Herausforderungen in unserer Gesellschaft. In Zukunft werden wir nicht nur aufgrund der guten gesundheitlichen Versorgung deutlich älter werden als Generationen vor uns. Gott sei Dank! Jüngere Menschen – gerade wenn sie gut ausgebildet sind – gehen dorthin, wo sie meinen, die besten Bedingungen für ihren Lebensentwurf vorzufinden. Häufig geschieht das zulasten gerade ländlicher Regionen. In meinem Wahlkreis, in Rheinland-Pfalz, sehen wir dies besonders deutlich. Der Bevölkerungsrückgang beispielsweise im Kreis Birkenfeld liegt deutlich über dem Landesdurchschnitt. Deswegen müssen wir dem demografischen Wandel so umfassend wie möglich und auch so schnell wie möglich begegnen. Das Bundesfamilienministerium erwartet deutliche Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung schon für 2020, wenn die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Wir werden älter, und wir werden weniger – und das regional verschieden. Die Bundesregierung hat sich deswegen diesem Thema schon 2012 mit einer umfassen Demografiestrategie gewidmet. In diese fügt sich der vorliegende Gesetzentwurf ein. Die Pflege hat aufgrund der zu erwartenden Altersstruktur einen besonderen Stellenwert in der aktuellen und der zukünftigen Gesetzgebung. Bundesgesundheitsminister Gröhe nennt Verbesserungen der Pflege ausdrücklich einen Schwerpunkt dieser Bundesregierung und stellt dies mit dem Pflegestärkungsgesetz unter Beweis. (Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Guter Mann!) Dieses enthält zahlreiche Verbesserungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Das zeigt, wie bedeutend rechtzeitige Weichenstellungen für die Zukunft sind. Eine zunehmende Anzahl an Pflegebedürftigen erfordert auch einen zunehmenden Bedarf an Pflegekräften. So rechnet das Gesundheitsministerium damit, dass ab 2015 pro Jahr durch die Pflegeversicherung bis zu 45 000 zusätzliche Betreuungskräfte für die stationäre Pflege finanziert werden können. Das ist richtig und wichtig, um die vorhandenen Pflegekräfte zu entlasten und zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Die häusliche Pflege ist aber deutlich wichtiger. So werden zwei Drittel aller Pflegebedürftigen von ihren Angehörigen liebevoll zu Hause gepflegt. In einer menschlichen Gesellschaft haben wir Verständnis dafür, dass viele ältere Menschen nicht aus ihrem gewohnten Wohnumfeld gerissen werden möchten. Viele Pflegebedürftige fühlen sich wohler, wenn sie von ihren Angehörigen betreut werden, anstatt Fremden anvertraut zu sein. Diese pflegenden Angehörigen sind aber heute häufig selbst berufstätig. Das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf kommt sozusagen ergänzend von der anderen Seite. Es schafft Erleichterung durch bessere Bedingungen für diejenigen, die pflegen. Der Kern des vorliegenden Gesetzentwurfs ist die Zusammenführung von Pflege- und Familienpflegezeit. Uns als Union geht es neben der Planungssicherheit für betroffene Arbeitnehmer und deren Familien aber auch um diejenigen, die Arbeitsplätze schaffen. Uns als CDU/CSU liegen die Familien am Herzen, und wir haben auch ein offenes Ohr für die Wirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte hier nicht unerwähnt lassen, dass es zu diesem Gesetz in der Wirtschaft reale Bedenken gibt. In meinem Wahlkreis, der ländlich geprägt ist, gibt es einige Unternehmen, die schon heute mit dem Fachkräftemangel erheblich zu kämpfen haben. Es ist dort bereits jetzt sehr schwer, gute Leute zu bekommen. Von einem mittelständischen kunststoffverarbeitenden Betrieb mit 160 Mitarbeitern werde ich zum Beispiel darauf hingewiesen, dass die Rekrutierung passender Ersatzkräfte im Rahmen der Familienpflegezeit schwerfällt. Vor allem ist das dann der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis bei vorzeitiger Beendigung der Familienpflegezeit ebenfalls beendet werden könnte. Zu den Konditionen einer befristeten Beschäftigung oder eines Zeitarbeitsverhältnisses sind beispielsweise ein Betriebstechniker oder eine Verfahrensspezialistin nicht zu bekommen. Durch Wirtschaftsverbände wird insbesondere der Rechtsanspruch auf die Familienpflegezeit kritisch gesehen. Dem werden die freiwilligen Vereinbarungen gegenübergestellt, die schon heute in vielen Betrieben üblich sind. Laut DIHK bieten bereits 75 Prozent aller Unternehmen ab 1 000 Mitarbeitern gezielt Arbeitszeitmodelle an, die die bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gewährleisten sollen. Seit der Einführung der Familienpflegezeit im Jahre 2012 ermöglichen über 25 Prozent der Unternehmen mit über 20 Mitarbeitern diese ihren Angestellten; 32 Prozent wollen in Zukunft nachziehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Weitere Beispiele für die unternehmerische Kreativität, dem demografischen Wandel zu begegnen, finden sich auch in regionalen Netzwerken, in Kooperationen mit anderen Unternehmen oder kommunalen und kirchlichen Trägern. Die Unternehmen leisten dies im ureigensten Interesse: zur Bindung vorhandener Mitarbeiter und erfolgreichen Gewinnung neuer Mitarbeiter. Das sind Sorgen der Arbeitgeber, die wir genauso ernst nehmen müssen, wenn wir verantwortungsvolle Politik für die Zukunft unseres Landes gestalten wollen. Positiv sind die zahlreichen Verbesserungen, die der Gesetzentwurf auch für die Unternehmen bringt. Die Ankündigungsfristen für die Pflegezeit im Anschluss an die Familienpflegezeit und umgekehrt von zwölf Wochen halte ich für richtig und zielführend. Wir geben Arbeitgebern damit die Möglichkeit, sich mit ihrer Personalplanung auf die veränderten Bedingungen einzustellen. Als ehemalige Unternehmerin habe ich auch hier für die Einwände der Unternehmer Verständnis, weil ich selbst erlebt habe, wie komplex Personalplanung, unter anderem auch im Schichtbetrieb, sein kann. Gerade kleinere Unternehmen, die mit einem übersichtlichen Personalstamm auskommen müssen, können oft niemanden entbehren. Wir begrüßen, dass es nun auch für kurzfristige Auszeiten zur Organisation von Pflege klare Regeln geben wird. Wer pflegt, braucht einen sicheren Lebensunterhalt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das bisherige Wertguthaben, das durch den Arbeitgeber verwaltet wurde, wird durch ein direktes zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ersetzt. Das ist uns wichtig; denn auch dies entlastet besonders kleine Unternehmen von unnötiger Bürokratie. Unternehmen wie Mitarbeiter wünschen sich für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf flexible Lösungen, die beiden Seiten gerecht werden. Zwei Drittel aller Betriebe hätten sich darüber hinaus über die bereits bestehende Familienpflegezeit bessere Informationen gewünscht. Deswegen wünsche ich mir, dass wir mit diesem Gesetz sorgsam umgehen und sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer besser und praxisnah darüber informieren. Um sicherzustellen, dass die getroffenen Regelungen zielgerichtet umgesetzt werden, setzen wir weiterhin einen unabhängigen Beirat für die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ein, was ich sehr begrüße. Durch die vorgenommene Evaluation können die Bedürfnisse angepasst werden. Auch können wir über diesen Weg erfahren, wie diese Instrumente angenommen und genutzt werden. Ein wesentlicher Aspekt des Themas „Pflege und familiäre Fürsorge“ ist die Konzentration auf die Frauen, die traditionell im Wesentlichen damit befasst sind. Uns als Union ist bewusst, dass Frauen ihre berufliche Tätigkeit und Weiterentwicklung aus familiären Gründen oft unfreiwillig hintanstellen. Hier wollen wir Hilfestellung leisten. Gemäß der Zahlen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft legen über 40 Prozent der Frauen zwischen 20 und 39 Jahren ihre Berufstätigkeit auf Eis, um Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen. Dabei liegt der Anteil der Frauen, die in Deutschland familienbedingt auf Teilzeit ausweichen, mit 55 Prozent deutlich über dem EU-Schnitt von 46 Prozent. Ich habe in zahlreichen Gesprächen, die ich zu diesem Thema geführt habe, die Sorge gehört, dass die Fami-lienpflegezeit schon aus diesem Grund für Frauen problematisch sein könnte. Ich wünsche mir auch hier Ausgewogenheit. Was wir neben gesetzlichen Regelungen aber genauso brauchen, ist ein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel. Neben generationengerechten Lösungen brauchen wir hier einen gesellschaftlichen Wertewandel hin zu mehr Miteinander statt Nebeneinander. Daher lautet mein Appell – das ist gleichzeitig meine große Hoffnung –, dass Männer und Frauen genauso wie Politik und Wirtschaft mit diesem Gesetzentwurf in gleichwertiger Verantwortung die richtigen Weichen für die Zukunft stellen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Letzter Redner in dieser Debatte: Erwin Rüddel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Erwin Rüddel (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Pflege ist in dieser Legislaturperiode ein zentrales Thema. Die Koalitionsfraktionen haben den Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und den Pflegekräften einen großen Wurf versprochen. Wir werden Wort halten. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Da sind wir ja mal gespannt!) Wir setzen diesen großen Wurf Schritt für Schritt um. Die Familienpflegezeit ist ein wichtiger Baustein eines großen Gesamtkonzeptes. Ich sage ganz bewusst auch in Richtung der Grünenfraktion: Pflege und die Hilfe, die gebraucht wird, sind nicht schwarz-weiß zu sehen. Was wir machen, ist Folgendes: Wir vergrößern einen Baukasten und gestalten ihn für all diejenigen, die in einem Pflegefall Hilfe brauchen, flexibler. (Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Wo ist denn das Gesamtkonzept?) Ich erwähne in diesem Zusammenhang, dass wir bereits das Pflegestärkungsgesetz 1 verabschiedet haben, das deutlich mehr und flexiblere Leistungen für Pflegebedürftige und deren Familien mit sich bringt. Ich nenne als Beispiel – das möchte ich ganz besonders betonen –, dass wir dafür gesorgt haben, dass Pflegesachleistungen in niederschwellige Leistungen umgewandelt werden können, damit die Familien flexibler handeln können. Ich nenne aber auch das Pflegestärkungsgesetz 2, das 2017 verabschiedet werden soll und mit dem wir deutliche Verbesserungen für Demenzkranke auf den Weg bringen werden. Da heute in der Debatte der Pflegebedürftigkeitsbegriff angesprochen worden ist: Wir erproben bereits die Umsetzung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes, und wir werden ihn spätestens 2017 im Gesetz festschreiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich erwähne auch das Versorgungsstärkungsgesetz, über das wir derzeit diskutieren, in dem es um konkrete Verbesserungen der medizinischen Versorgung von Pflegebedürftigen geht. Ich erwähne in diesem Zusammenhang das Pflegeberufegesetz, das in nächster Zeit diskutiert wird und in dem es um die Verbesserung der Pflegeausbildung und der Arbeitsbedingungen in der Pflege geht. Aber ich denke im Rahmen unserer Krankenhauspolitik auch an unsere Krankenhausgesetzgebung. Qualität im Krankenhaus wird in Zukunft daran gemessen werden müssen, ob die Strukturen stimmen, ob es ein gutes Entlassmanagement gibt, wie die Übergänge vom Krankenhaus in die Pflege sind, wie Palliativversorgung und Hospizarbeit ausgestaltet sind. Bei all dem, was wir in der Pflegepolitik machen, steht für uns im Mittelpunkt: mehr Qualität, mehr Betreuung und mehr Hände für gute Pflege in Deutschland. Ich habe es mehrfach gesagt: Es wird in dieser Legislaturperiode kein Gesundheitsgesetz geben, in dem der Aspekt der Pflege keine Rolle spielen wird. Ich kann in dieser Aufzählung auch das Präventionsgesetz erwähnen, in dem die Pflege wieder eine große Rolle spielen wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben den Pflegebedürftigen und ihren Familien sowie all denen, die in der Pflege arbeiten, in unserem -Koalitionsvertrag ein Versprechen gegeben. Dieses Versprechen werden wir stringent einlösen. In dieses Gesamtkonzept fügt sich der Entwurf eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf sehr gut ein. Für meine Fraktion ist die Unterstützung pflegender Angehöriger ein zentrales Anliegen. Ältere Menschen haben Anspruch auf ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass Alter auch Leid und Krankheit, Hilfe und Pflegebedürftigkeit bedeuten kann. Schicksalsschläge wie Demenz treffen nicht nur die Kranken, sondern ebenso auch die unmittelbaren Angehörigen, die sehr oft zugleich berufstätig sind. Beschäftigte haben künftig einen Rechtsanspruch auf Pflegeunterstützungsgeld aus der sozialen Pflegeversicherung. Wir haben bereits in der letzten Legislatur-periode die Familienpflegezeit eingeführt und sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf weiterentwickelt. Die meisten Menschen wollen die Pflege naher Angehöriger nicht delegieren. Sie möchten ihre Angehörigen nach Möglichkeit selbst betreuen und in ihrer gewohnten Umgebung belassen. Umgekehrt gilt dies auch für die meisten pflegebedürftigen Menschen: Sie bauen auf die Unterstützung ihrer Angehörigen in den vertrauten vier Wänden. Diesem Anliegen trägt der vorliegende Gesetzentwurf, auch in Verbindung mit all den Gesetzesinitia-tiven, die ich eben vorgetragen habe, mit einer Vielzahl von hilfreichen Angeboten Rechnung. Dabei gewinnen alle: die Pflegebedürftigen, die pflegenden Beschäftigten und die Unternehmer. Als Pflegepolitiker wünsche ich mir, dass wir diese Angebote künftig durch noch mehr niederschwellige und familiennahe Maßnahmen ergänzen und unterstützen. Dabei denke ich an aufsuchende Angebote für ältere Menschen, an Vernetzung und Kooperation in der Altenhilfe und Gesundheitsförderung sowie an die Stärkung professioneller und ehrenamtlicher Strukturen in den Kommunen. Ein letztes Wort zu den Unternehmen; denn ich weiß, dass es aus der Wirtschaft vereinzelt Kritik gibt. Kluge und weitblickende Unternehmer haben längst erkannt, dass ihnen die demografische Entwicklung, die langfristige Finanzierung unserer Sozialsysteme und der Bedarf an qualifizierten Erwerbstätigen künftig gar keine andere Wahl lässt, als die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu verbessern. Deshalb sage ich den Kritikern, dass wir durchaus im wohlverstandenen Interesse der Unternehmen handeln, und knüpfe daran die Hoffnung, dass unser Vorhaben weiterführende und innovative Lösungen in den Betrieben selbst befördert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksachen 18/3124 und 18/3157 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Diese gibt es nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt gibt es wahrscheinlich einen Platzwechsel. Ich bitte Sie, das zügig zu tun. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Herbert Behrens, Dr. Petra Sitte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes – Störerhaftung Drucksache 18/3047 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Federführung strittig In einer interfraktionellen Vereinbarung wurde festgehalten, dass dafür 38 Minuten vorgesehen sind. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [Die Linke] – Marcus Held [SPD]: Wenigstens jemand von links für die Grünen!) – Der Fanklub ist auch schon da. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Voraussetzung für die Teilhabe in und an der digitalen Gesellschaft ist ein möglichst barrierefreier Zugang zum Netz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dem steht aber eine 2010 durch ein BGH-Urteil entstandene Rechtsunsicherheit für die Betreiber von WLAN-Netzen entgegen. Für meine Fraktion sage ich ganz deutlich: Wir müssen die verloren gegangene Rechtssicherheit endlich wieder herstellen. Deswegen ist eine gesetzliche Regelung überfällig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vollmundig haben Sie in den letzten Wochen von Ihrer unterfinanzierten und ideenlosen Digitalen Agenda geredet, liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen -Koalition. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) – Ah, Sie leben noch, das ist gut. – Aber gute Politik entscheidet sich nicht an wohlfeilen Reden auf irgendwelchen IT-Gipfeln, sondern daran, was man konkret tut. Ihr Umgang mit dem Problem der Störerhaftung steht dabei sinnbildlich für Ihr anhaltendes Fremdeln mit dem Digitalen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Er steht für eine Verweigerungshaltung, den digitalen Wandel unserer Gesellschaft aktiv zu gestalten – im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Wirtschaft in unserem Land, für Start-ups, kleine und mittelständische Unternehmen und die Industrie. Hier könnte die Regierung Merkel/Gabriel fernab aller Hochglanzagenden und Sonntagsreden tatsächlich einmal etwas Richtiges tun und gesetzgeberisch gestalten. Aber sie tut es nicht, und wir müssen hier zum x-ten Mal über dieses Thema diskutieren. Unser Gesetzentwurf schafft eine Regelung sowohl im Sinne derjenigen, die ihre WLAN-Netze anderen Menschen gegenüber öffnen wollen – darunter Privatpersonen, Freifunkinitiativen, aber auch Betreiber von Hotels, Gaststätten, Bahnhöfen, Flughäfen usw. –, als auch im Sinne derjenigen, die diese Netze nutzen wollen, weil sie sich beispielsweise keinen eigenen Zugang leisten können oder – Achtung, ganz lebenspraktisch – wenn sie unterwegs arbeiten wollen. (Marcus Held [SPD]: Das muss man hier dazusagen!) Die Liste derjenigen, die sich für eine gesetzgeberische Reform einsetzen, ist lang. Klar ausgesprochen haben sich zahlreiche Landesparlamente, der Bundesrat, die Justizministerkonferenz, die Freifunkinitiativen und zahlreiche Wirtschaftsverbände. Und nicht zuletzt haben wir uns selbst erst in der Enquete-Kommission und dann im Deutschen Bundestag ganz klar dafür ausgesprochen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Alle fordern eine Reform. Niemand ist mit dem Status quo zufrieden. Sie versprechen sogar diese Reform. Seit Jahren aber geschieht nichts. Bis heute ist nichts passiert. Sie haben in den letzten Wochen großspurig erklärt, Sie wollen Deutschland zum „digitalen Wachstumsland Nummer 1“ machen, und schaffen es nicht einmal, die Störerhaftung zu beseitigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wer soll denn Ihre digitale Wirtschaftspolitik mit all den lustigen Schlagworten wie Industrie 4.0 ernst nehmen? Wer soll Ihnen abnehmen, dass Sie die seit Jahren unbearbeiteten netzpolitischen Großbaustellen im Breitbandausbau, Datenschutz, Urheberrecht und bei der Netzneutralität meistern werden, wenn Sie selbst beim kleinen Einmaleins scheitern, meine Damen und Herren? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ihr Unterlassen geschieht vorsätzlich. In Ihrem Koalitionsvertrag schreiben Sie selbst, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass Sie die Rechtssicherheit für Betreiber von WLAN-Netzen herstellen wollen. Das heißt, Sie attestieren dem Status quo Rechtsunsicherheit. Doch was machen Sie? Ihre drei federführenden Minister verheddern sich erneut in einem Kompetenzgerangel, das seinesgleichen sucht. Plötzlich wollen Sie Providerprivilegierung nur noch auf kommerzielle, nicht aber auf private Anbieter ausweiten. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr -richtig!) Sonst könnte möglicherweise jeder sein Netz öffnen. Aber genau darum geht es. Herzlichen Glückwunsch! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU]) – Herr Jarzombek, schön, dass Sie da sind. Warum halten Sie das Funknetz einer Privatperson eigentlich für eine solche Gefahr, Herr Jarzombek, (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das tun wir nicht!) das Netz bei McDonalds, in einem Hotel oder einem Café aber nicht? Das ist doch offensichtlich widersprüchlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Warum haben Sie Angst vor einer Regelung, die überall sonst auf der Welt zu keinerlei Problemen führt? Warum schwadronieren die zuständigen Minister in völliger Unkenntnis des § 13 des Telemediengesetzes in der Bundespressekonferenz erneut von Einfallstoren für anonyme Kriminelle, die man schaffe? Das erinnert mich sehr, Kollege Jarzombek, an das Vermummungsverbot im Internet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich sage Ihnen, warum das so ist. Hier kommen die alten Ressentiments durch, die wir lange überwunden geglaubt haben. Auf die netzpolitischen Podien werden gerne Sie geschickt, Herr Jarzombek. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: So viel Ehre gebührt mir auch nicht!) Die Netzpolitik aber macht Volker Kauder. Das ist netzpolitische Steinzeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die SPD freut sich jetzt. Aber auch Sie muss ich fragen: Wo stehen Sie eigentlich auf dem Feld? (Marcus Held [SPD]: Mittendrin!) Auf der letzten Bundespressekonferenz haben Sie noch einen schnieken Antrag vorgelegt. Heute hört man von Ihnen in der Debatte nichts mehr, außer subversiven Kram von Herrn Gabriel. Das reicht nicht. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der SPD) Wir fordern Sie gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Linken sowie einer höchst engagierten Szene rund um die digitale Gesellschaft, aus deren Mitte immer wieder Impulse für diese Debatte kamen und kommen, auf: Ermöglichen Sie bei uns endlich, was überall sonst auf der Welt bis auf China, Russland und Nordkorea eine Selbstverständlichkeit ist! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Lachen bei der SPD) Geben Sie sich einen Ruck, und beheben Sie mit uns gemeinsam diesen unerträglichen Zustand! Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das war Kabarett! Kommen wir jetzt zur Sache!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege von Notz. – Es ist schön, dass das eine so spannende und lebendige Debatte ist. Nächster Redner ist Hansjörg Durz, Augsburg-Land, für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich bin aus Augsburg-Stadt. Deswegen darf ich Augsburg-Land ganz herzlich begrüßen. Hansjörg Durz (CDU/CSU): Frau Präsidentin, Sie haben Augsburg perfekt ausgesprochen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute in einem Monat wird die Deutsche Bahn ihren Fahrgästen in allen 255 ICEs kostenlosen Internetzugang über WLAN anbieten. (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die Nummer!) Das ist zunächst zwar nur beschränkt auf die 1. Klasse. Aber geplant ist, das Angebot zu erweitern. Dahinter steht der Wunsch der Kunden, der in Fernbussen bereits erfüllt ist, auf ihren Reisen mobile Endgeräte kostenlos nutzen zu können. Die Menschen wollen nahezu immer und überall Zugang zum Netz haben. Die Verbreitung WLAN-fähiger Endgeräte entwickelt sich sowohl in Deutschland als auch global in einer atemberaubenden Rasanz. Ende 2013 übertraf mit rund 7,5 Milliarden die Zahl der Geräte erstmals die Zahl der auf der Erde lebenden Menschen. Experten gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt. Ende 2017 soll die Marke von 20 Milliarden Geräten weltweit überschritten sein. In Deutschland ist die Verbreitungsrate WLAN-fähiger Endgeräte bereits heute weit überdurchschnittlich. Gerade der Trend hin zu Smartphones, Tablets oder WLAN-fähigen Fernsehern hat dazu geführt, dass die Adaptionsrate mit rund drei Geräten pro Kopf deutlich über dem derzeitigen weltweiten Durchschnitt liegt. Auch in Deutschland wird sich der Trend weiter fortsetzen. 2018 rechnen Experten mit einer Gerätezahl in Deutschland von 400 Millionen. Es existieren neben den eingangs erwähnten Bahn- und Busreisen eine Vielzahl von Situationen, in denen sich Menschen Zugang zum Netz über öffentlich zugängliche Hotspots wünschen, zum Beispiel in Einkaufszentren, auf Messen, in Museen, Bibliotheken oder im -Bereich der Gastronomie. Die wirtschaftlichen Potenziale und Vorteile, die sich aus einer flächendeckenden -Versorgung mit WLAN-Zugängen ergeben, sind vielfältig. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los!) Der flächendeckende Einsatz von WLAN-Technologie wird ganz generell einen Beitrag zur digitalen Grundversorgung (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles richtig!) sowie zur Versorgung mit breitbandigen Internetzugängen insbesondere in ländlichen Räumen leisten. Darauf aufbauend können durch die bessere Verfügbarkeit von WLAN innovative Dienste und Services besser und intensiver genutzt werden und sich dadurch neue Produkte und Anwendungen schneller entwickeln und auf dem Markt etablieren. Auch der Einzelhandel kann durch die Bereitstellung von WLAN für seine Kunden profitieren. Indem der stationäre mit dem elektronischen Handel verknüpft wird, etwa durch die Nutzung mobiler Bezahlsysteme (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles wahre Worte!) oder die Bereitstellung zusätzlicher Produktinformationen durch QR-Reader, bieten sich hier neue Chancen. So betont auch der Handelsverband Deutschland die Bedeutung von öffentlich zugänglichem WLAN – ich zitiere –: „WLAN-Angebote könnten … dazu beitragen, dass Innenstädte wieder lebendiger und attraktiver werden.“ (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es endlich! – Gegenruf des Abg. Marcus Held [SPD]: Jetzt bleib doch mal cool, Mensch!) Im Tourismus ist die Bedeutung von WLAN riesig. Nach einer Umfrage unter Hotelgästen wird die Verfügbarkeit von Internet mit weitem Abstand als die wichtigste zusätzliche Annehmlichkeit während eines Aufenthalts benannt, noch vor Fernseher und Badewanne. Übrigens: Drei Sterne und mehr erhält nur das Hotel, das seinen Gästen einen Internetzugang im Hotel zur Verfügung stellt. Der praktische Nutzen sowie die wirtschaftlichen Vorteile sind unbestritten. Da sind wir uns einig. Dennoch: In Deutschland existieren vor allem im Vergleich zu vielen anderen führenden Industrienationen zwar sehr viele WLAN-Zugänge, aber deutlich zu wenige offene WLAN-Hotspots, auf die jeder kostenfrei zugreifen kann. Woran liegt das? Das wurde bereits ausgeführt. Fakt ist: Nach derzeitiger Rechtsprechung des BGH riskiert in Deutschland derjenige, der ein offenes WLAN betreibt, die Gefahr teurer Abmahnungen bei Rechtsverletzungen Dritter. Diese Rechtsunsicherheit für WLAN-Betreiber ist der wesentliche Hemmschuh für die Bereitstellung solcher Hotspots. Das Problem haben die Koalitionsfraktionen erkannt, und sie greifen es im Koalitionsvertrag auf. Es findet sich in der Digitalen Agenda wieder. Bundesminister Gabriel hat angekündigt, in Kürze einen Gesetzentwurf vorzulegen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kündigt er seit Monaten an! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wir haben ihm die Arbeit abgenommen!) Nun haben die Oppositionsfraktionen einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der das Problem lösen soll, indem das sogenannte Providerprivileg durch eine Ergänzung des Telemediengesetzes auf kommerzielle und private WLAN-Betreiber erweitert wird. Dadurch würden Betreiber öffentlicher WLANs haftungsrechtlich gewerblichen Internetanbietern, die bereits heute von der Haftung freigestellt sind, gleichgestellt. Um es vorwegzunehmen: Der vorgelegte Ansatz ist zu simpel; denn für Rechtsverletzungen Dritter werden keine Lösungen vorgeschlagen. Das Thema wird im Antrag nicht einmal erwähnt. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sind uns alle der Potenziale von WLAN bewusst, und es herrscht Einigkeit hier im Deutschen Bundestag über das Ziel, die Verbreitung von WLAN-Zugängen zu erhöhen. Die Bundesregierung hat im Rahmen der Digitalen Agenda angekündigt: Wir werden Rechtssicherheit für die Anbieter solcher WLANs im öffentlichen Bereich, beispielsweise Flughäfen, Hotels, Cafés, schaffen. Diese sollen grundsätzlich nicht für Rechtsverletzungen ihrer Kunden haften. – Sie hat aber auch erklärt: Wir werden die Verbreitung und Verfügbarkeit von mobilem Internet über WLAN verbessern. Dabei werden wir darauf achten, dass die IT-Sicherheit gewahrt bleibt und keine neuen Einfallstore für anonyme Kriminalität entstehen. – In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin sicher, dass die Bundesregierung mit Hochdruck an einer Regelung arbeitet, die es erlaubt, die Vorteile einer flächendeckenden Verfügbarkeit von WLAN im öffentlichen Raum zu nutzen, gleichzeitig aber einen praktikablen Weg findet, dass sich die Nutzung nicht komplett anonym abspielt. Für Flughäfen, Hotels, Cafés, Gewerbetreibende usw. wird es sicher Lösungen geben. Eine einfache Ausweitung der Providerprivilegierung auf jeden, auch privaten Inhaber eines WLAN-Zugangs ohne jegliche Form von Registrierung, wie auch immer die aussehen mag, kann aber nicht die Lösung sein. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege. Hansjörg Durz (CDU/CSU): Bei allen Vorteilen offener Internetzugänge: Wir müssen uns mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass ein höheres Maß an Anonymität beim Internetzugang auch negative Folgen entfalten kann. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege. Hansjörg Durz (CDU/CSU): Der Vorschlag der Opposition zu Ende gedacht – sofort –, bedeutet, – Vizepräsidentin Claudia Roth: Das will ich nicht unterbrechen. Bedeutet was? (Heiterkeit) Hansjörg Durz (CDU/CSU): – dass sich im Zweifel jeder WLAN-Besitzer, auch der kriminelle, auf das Providerprivileg zurückziehen und nicht mehr haftbar gemacht werden kann. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ungeheuerlich!) Vizepräsidentin Claudia Roth: So, jetzt fragt Ihr von allen Podien bekannter Kollege, ob er Ihnen eine Frage stellen oder eine Bemerkung machen darf. Hansjörg Durz (CDU/CSU): Bitte. (Marcus Held [SPD]: Das darf ja wohl nicht wahr sein! – Weiterer Zuruf von der SPD: Streber! – Gegenruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da mault der Koalitionspartner!) Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Ich habe einen großen Wissensbedarf, Herr Kollege Durz. Ihr Vorredner, der Kollege von Notz, hat umfangreiche konkrete Kritik an einem Gesetzentwurf geübt. Dabei ging es um die Unterteilung zwischen kommer-ziellen und nichtkommerziellen Anbietern. Jetzt möchte ich einmal fragen, Herr Kollege Durz, ob ein entsprechender Gesetzentwurf vorliegt, sich in der Abstimmung befindet oder Ihnen bekannt ist? Hansjörg Durz (CDU/CSU): Mir ist nicht bekannt, dass ein Gesetzentwurf wie der, der in der Rede erwähnt wurde, vorliegt. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Vielen Dank!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. – Jetzt geht es weiter in Ihrer Rede, Herr Durz. Hansjörg Durz (CDU/CSU): Meine sehr geehrten Damen und Herren, um einerseits die Potenziale zu heben (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verheben sich gerade!) und andererseits den beschriebenen Problemen zu begegnen, bedarf es einer intelligenten, aber auch pragmatischen Lösung. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wie sieht die aus?) Der entsprechende Gesetzentwurf der Bundesregierung soll in Kürze folgen. Diesen sollten wir abwarten. Dann haben wir wieder die Gelegenheit, uns über einen Vorschlag zu unterhalten, der dann aber alle Aspekte berücksichtigt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in der Debatte ist Halina Wawzyniak für die Linke. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Durz, ich habe bis zur Hälfte Ihrer Rede gedacht, dass Sie sich bei den Grünen und der Linken dafür bedanken, dass wir Ihre Arbeit gemacht und einen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Leider Gottes musste ich zum Ende Ihrer Rede feststellen, dass Sie an die Störerhaftung offensichtlich überhaupt nicht heranwollen. Stellen Sie sich einfach einmal vor, Sie fahren mit Ihrem Auto eine Straße entlang. Dann passiert es: Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, zu spät gebremst, und Sie fahren mit Ihrem Auto auf das Auto Ihres Vordermanns oder Ihrer Vorderfrau auf. Normalerweise ist das eine sehr teure Angelegenheit. Aber zum Glück brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen; denn Sie waren ja auf einer Straße unterwegs, und deswegen werden nicht Sie für den Unfall belangt, sondern ein Dritter. Schließlich hatte der Dritte Ihnen die Straße zur Verfügung gestellt, und hätte er dies nicht getan, hätten Sie darauf nicht fahren können und hätten auch keinen Unfall bauen können. Ergo muss der Dritte für den entstandenen Schaden geradestehen und nicht Sie. Jetzt sind Sie vielleicht verwirrt und sagen: Das ist Quatsch. – Zu Recht; es ist Quatsch. Aber das ist der jetzige Zustand bei der Störerhaftung, beim Zugänglichmachen von WLANs für Dritte. Dieser Zustand ist natürlich nicht zu akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Um es noch einmal jenseits des Autobeispiels deutlich zu machen: Wer heute für Dritte seinen WLAN-Anschluss öffnet und damit anderen den Zugang zum Internet ermöglicht, wird für Urheberrechtsverletzungen verantwortlich gemacht und muss gegebenenfalls den Schaden ersetzen. Dazu gibt es jede Menge Urteile des Bundesgerichtshofes, und der sagt: Das Haftungsprivileg gilt nicht. Dieser Zustand ist verheerend. Erst letzte Woche hat der Internetverband eco aufgeschlüsselt, wie die Situation in Deutschland aussieht: Nur 15 000 von 1 Million Hotspots sind frei zugänglich. In Deutschland kommen auf 10 000 Einwohner deutlich weniger Hotspots als in anderen Ländern. Als Konsequenz fordert eco – was wohl? – die Abschaffung der Störerhaftung, und zwar zu Recht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Vorteile offener WLANs liegen auf der Hand: Gewerbetreibende hätten die Möglichkeit, ihren Kunden einen weiteren Service anzubieten, Kommunen könnten offene WLANs aufbauen, und jeder könnte sein WLAN für seinen Nachbarn öffnen – ohne Angst. Vor allem aus sozialen Gesichtspunkten ist dies etwas, was ausge-sprochen sinnvoll ist; denn Menschen mit geringem Einkommen könnten so die Möglichkeiten des Internets kostenlos nutzen. Das wirkt sich insbesondere auf die Bildungschancen von Kindern aus; denn Kinder ohne Internetzugang sind von Onlineangeboten, die kostenfrei verfügbar sind, abgeschnitten. Offene WLANs könnten also einen Beitrag dazu leisten, die digitale Spaltung der Gesellschaft zu verringern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nachdem wir den Koalitionsvertrag gelesen hatten, dachten wir zunächst, auch die Koalition habe begriffen, dass die Abschaffung der Störerhaftung sinnvoll ist. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu früh gefreut!) – Ja, Konstantin von Notz sagt es: „Zu früh gefreut“; denn irgendwann kam die Digitale Agenda. Über die hat er im Übrigen gesprochen und nicht über den Gesetzentwurf. Mit der Digitalen Agenda geht es wieder einen Schritt zurück. Denn nach ihr soll die Störerhaftung nur abgeschafft werden für gewerbliche Betreiber und Geschäfte, nicht aber für Private. Das ist einfach unverständlich und nicht nachvollziehbar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben Ihre Arbeit gemacht. Wir und die Grünen haben gemeinsam einen Gesetzentwurf vorgelegt, dessen Verabschiedung das Problem beheben würde. Wir haben uns dabei auf Expertise der Digitalen Gesellschaft bezogen. Wir können es ganz einfach machen: Wir überweisen den Gesetzentwurf, beraten ihn in den Ausschüssen, und noch am Ende dieses Jahres wäre es möglich, die Störerhaftung abzuschaffen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz große Politik! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Schlimme Rechtsunsicherheit! Das wurde Ihnen eingehend erklärt! Es ist nicht besser geworden!) Der vorliegende Gesetzentwurf kommt Ihnen vielleicht bekannt vor: Er lag in der letzten Legislaturperiode schon einmal vor. Da hat er leider keine Mehrheit gefunden. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Er ist nicht besser geworden!) Aber wenn Sie Ihren Koalitionsvertrag ernst nehmen, dann könnte er diesmal eine Mehrheit finden. Wir können Sie einfach nur dazu auffordern, das gemeinsam mit den Grünen und uns hier mit großer Mehrheit zu beschließen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir schlagen als Lösung des Problems vor, die in § 8 des Telemediengesetzes geregelte Haftungsfreistellung auf gewerbliche und nichtgewerbliche Betreiber von WLANs auszuweiten. Zum einen wollen wir klarstellen, dass auch Betreiber von WLANs als Diensteanbieter im Sinne des § 8 Telemediengesetz gelten; damit würden die dort aufgeführten Regelungen ebenfalls für diese zutreffen. Dabei soll es egal sein, ob sie den Zugang absichtlich oder, aufgrund unzureichender Sicherungsmaßnahmen, fahrlässig anbieten. Es geht uns mit dem Gesetzentwurf darum, die Störerhaftung in diesem Bereich zu beseitigen und die Haftungsfreistellung auch auf Ansprüche auf Unterlassung auszuweiten. Noch einmal: Es ist sehr einfach, der Gesetzentwurf liegt auf dem Tisch. Lassen Sie uns ihn heute überweisen! Lassen Sie uns ihn Anfang Dezember in den Ausschüssen beraten, und dann lassen Sie uns an dieser Stelle den Koalitionsvertrag ernst nehmen und alle gemeinsam die Störerhaftung abschaffen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der Debatte: Marcus Held für die SPD. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Marcus Held (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die digitale Welt ist schon heute grenzenlos, sie macht nicht Halt an Schlagbäumen und unterscheidet keine Kontinente. Wir Bürgerinnen und Bürger sehen den Zugang zum Internet heute als Normalität an. Dennoch ist der Zugang vielen Menschen verwehrt, oder sie können nur sehr eingeschränkt auf das Internet zugreifen. Deshalb müssen wir dringend sicherstellen, dass auch in Deutschland ein flächendeckender Zugang zum Internet möglich ist, schrankenlos, räumlich wie auch zeitlich. Diese Aufgabe müssen wir sehr ernst nehmen; denn nur so garantieren wir gesellschaftliche Teilhabe an der Wissensvermehrung und somit auch an Bildung. Wir können es uns nicht leisten, dieses enorme Potenzial für unser Land nicht zu heben. Ich spreche ganz konkret die Versorgungsproblematik im ländlichen Raum an; denn das Internet kann in Deutschland leider noch immer nicht flächendeckend in einer angemessenen Geschwindigkeit genutzt werden. Um zügig Verbesserungen zu erreichen, brauchen wir einfache, niederschwellige Lösungen, die auch Kleinanbieter wie Cafés, Campingplätze, Schulen oder auch Museen erfüllen können. Wir dürfen keine zusätzlichen bürokratischen Schranken aufbauen. Dies gilt auch und gerade für den Mittelstand, für Angebote von Bildungseinrichtungen und Möglichkeiten in touristischen Zentren. Dass die Versorgung mit einem schnellen Internetzugang für die wirtschaftliche Stärke und für Chancengleichheit bei der gesellschaftlichen Entwicklung in Städten, aber auch ganz besonders im ländlichen Raum eine große Rolle spielt, zeigt uns der internationale Vergleich; denn andere Länder machen es uns heute schon vor: In Italien beispielsweise wird der öffentliche WLAN-Ausbau durch staatliche Zuschüsse gefördert. In Estland hat man schon 1997 begonnen, alle Schulen mit öffentlichem WLAN zu versorgen. Und in den USA hat Barack Obama jetzt angekündigt, 3,2 Milliarden Dollar investieren zu wollen, um alle Schulen in den Staaten bis 2018 zu versorgen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Muss man auswandern!) In Deutschland gibt es kommunale Leuchttürme wie zum Beispiel in Passau, wo nach der Jahrhundertflut 2013 kostenfreies ganzheitliches WLAN zur Verfügung gestellt wurde (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – da klatschen die Passauer, jawohl –, um die Wirtschaft und die Einwohnerschaft entsprechend mit Wissen versorgen zu können. Wenn wir Wettbewerbsfähigkeit ernst nehmen, dann brauchen wir, meine Damen und Herren, flächendeckendes WLAN, um in Bereichen wie dem Tourismus international ernst genommen zu werden und gewerbliche Ansiedlungen überall in Deutschland zu ermöglichen. Gerade im ländlichen Raum ist es für Neuansiedlungen elementar, arbeiten zu können, und das kann man heute eben nur mit entsprechend schnellem Internetzugang. Wie können wir dieses Ziel erreichen? (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wie?) Mit Investitionen im gewerblichen Bereich. Aber auch im privaten Sektor müssen Hürden genommen werden, die eben schon angesprochen worden sind. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In unserem Gesetzentwurf!) Hier spreche ich insbesondere das Thema der Störerhaftung an. Es wäre nicht nachzuvollziehen, wenn die Störerhaftung für Gewerbetreibende abgeschafft würde, sie aber für Private erhalten bliebe. Mit Privaten meine ich zum Beispiel auch engagierte WLAN-Vereine, die es in Städten und Gemeinden, gerade auf dem flachen Land, sehr häufig gibt. Ich denke, das Know-how dieser WLAN-Vereine sollten wir dringend nutzen; wir sollten die Vereine positiv mit in die Verantwortung nehmen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Die Störerhaftung muss für alle abgeschafft werden; denn Anbieter von WLAN dürfen nicht dafür verantwortlich gemacht werden, was die Nutzer tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Derzeit sorgt die Regelung zur Störerhaftung dafür, dass eben nicht beim Rechtsverletzer angesetzt wird, sondern der Anbieter als Dritter in die Pflicht genommen wird. Das muss sich ändern; ich glaube, da sind wir uns einig. Ich danke deshalb im Namen der SPD-Fraktion für die Vorlage des Gesetzentwurfs, der dem Ausbau der digitalen Infrastruktur einen Impuls gibt. Sie haben heute einen Musterentwurf vorgelegt, der der digitalen Gesellschaft entspringt und somit auch gute, wichtige Impulse der Zivilgesellschaft aufgreift. Selbstverständlich wird der von Ihnen eingebrachte Entwurf in die weiteren Überlegungen innerhalb der Koalition einbezogen. Denn auch für uns, die SPD, ist es wichtig, die Nutzung der Potenziale der digitalen Infrastruktur voranzubringen, die aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheiten leider noch brachliegen. Wir werden uns also um Rechtssicherheit kümmern, was dringend geboten ist. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Potenziale der lokalen Funknetze auszuschöpfen und mobiles Internet über WLAN für jeden verfügbar zu machen. Denn das Recht auf freie und unbeobachtete Kommunikation hat in Deutschland Verfassungsrang. Natürlich muss auch ermittelt werden, wenn es Anhaltspunkte für Rechtsverletzungen gibt – das ist völlig klar –; aber das kann nicht gleichzeitig bedeuten, dass alle Bürgerinnen und Bürger, die freies WLAN nutzen, unter einen Generalverdacht gestellt werden; das muss auch für die digitale Gesellschaft gelten. Die Digitale Agenda hat dieses wichtige Ziel des Koalitionsvertrags aufgegriffen. Im Moment finden zwischen den Ressorts die Abstimmungen zur Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs statt. Die Beratungen hierzu sind noch nicht ganz abgeschlossen, werden aber sicherlich in Kürze beendet sein, sodass hier ein entsprechender Vorschlag auf den Tisch kommt. Sie können sich also darauf verlassen, dass die Umsetzung dieses Punktes der Koalitionsvereinbarung für die SPD von großer Bedeutung ist, damit offene Funknetze in öffentlichen Räumen auch in Deutschland zur Normalität werden, so wie sie bereits heute in vielen anderen Ländern in Europa und der Welt Normalität sind. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Held. – Nächster Redner in der Debatte: Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Axel Knoerig (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute alltäglich, dass wir in allen Lebenslagen online sind: Wir nutzen den Laptop am Flughafen, das Smartphone beim Einkaufen oder das Tablet im Café, um drahtlos im Internet zu surfen. (Zuruf von der SPD: Vor allen Dingen im Bundestag!) Dafür werden an vielen Orten WLAN-Netze bereitgestellt. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein!) Die Oppositionsfraktionen haben nun einen Gesetzentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes vorgelegt. Es geht dabei um die sogenannte Störerhaftung. Diese bezieht sich auf die Inhaber von WLAN-Anschlüssen: Wer seinen Internetzugang anderen zur Verfügung stellt, muss für deren Rechtsverstöße haften. Das betrifft zum Beispiel Familienmitglieder, Mitbewohner, Gäste und Kunden. Allerdings hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass man nur haften muss, wenn man seine Prüfpflichten verletzt hat. Die Wahrung dieser Pflichten geschieht durch Verschlüsselung und individuelle WLAN-Passwörter sowie durch Einwilligung der Nutzer in eine Datenspeicherung. Die Opposition fordert nun, dass flächendeckend WLAN-Netze für jedermann frei zugänglich sein sollen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bundesrat auch!) Dazu will sie das Haftungsprivileg der Internetprovider auf alle ausweiten, die ihren WLAN-Zugang für weitere Nutzer öffnen. Ich möchte das derzeitige Haftungsproblem an einem Beispiel aus meinem Wahlkreis Diepholz – Nienburg I veranschaulichen. Dort hat nämlich der Betreiber des Hotels „Roshop“ in Barnstorf den Service der Nutzung des WLAN-Netzes angeboten. Da die Gäste immer wieder illegale Downloads vornehmen, hat er schon zahlreiche Abmahnungen von Rechteinhabern erhalten. Welche Möglichkeiten hat nun der Hotelier als Anschlussinhaber? Er bietet seinen Gästen den WLAN-Anschluss nicht weiter an und ist somit in der Hotelbranche nicht mehr wettbewerbsfähig. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist der Gesetzgeber gefragt!) Oder aber, er bietet weiter freien Zugang zum WLAN-Netz an und muss ständig steigende Abmahnkosten bezahlen. Oder drittens, er vergibt an jeden Gastnutzer ein individuelles Passwort und holt zugleich die Einwilligung zur Erfassung der Nutzerdaten ein. Im Falle eines Rechtsverstoßes kann er so nachweisen, wer diesen begangen hat. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder er wählt Grün und Links und kriegt ein gutes Gesetz!) Für diese Variante hat sich der Hotelier in meinem Wahlkreis entschieden. Doch selbst dieser bürokratische Aufwand entlässt ihn nicht aus der Haftung. Das ist entscheidend. Als Anschlussinhaber muss er beweisen, dass er jede einzelne betroffene Webseite nicht besucht hat. Das bedeutet ständige Anwaltskosten und zusätzliche Belastungen in einer weiterhin unsicheren Rechtslage. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und deswegen?) – Und deswegen müssen wir gewerbliche WLAN-Inhaber wie den Hotelier in Barnstorf schützen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) In dieser Sache geht es grundsätzlich nicht nur um Urheberrechtsverletzungen, sondern vielmehr um den Datenschutz im Internet insgesamt. Doch das, Herr von Notz, klammern Sie als Opposition in Ihrem Antrag völlig aus. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bundesrat auch!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Verdeutlichung möchte ich eine Zahl nennen, die uns aufschrecken lässt. Im vergangenen Jahr wurden rund 21 Millionen Menschen in Deutschland von Internetkriminellen geschädigt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hinterwäldlerisch ist das!) Wir von der Union fordern deshalb verschlüsselte Funknetze; denn im Gegensatz zu offenen Netzen schützen sie vor Hackerangriffen, Wirtschaftsspionage und Datenklau. Dieses Thema drängt. Die bestehende Rechtslage muss den Entwicklungen im Netz angepasst werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich ergänze: Internetkriminelle dürfen sich nicht länger hinter den Inhabern von WLAN-Anschlüssen vor Strafverfolgung verstecken können. Deswegen ist die Bundesregierung gefordert, zügig ihren Gesetzentwurf vorzulegen. Wir sagen: Unsere Netzpolitik ist vorausschauend und auch verantwortungsvoll. Wir müssen alle rechtlichen Seiten prüfen, und zwar zusammen mit allen betroffenen Ressorts. Das unterscheidet uns von Ihnen, Herr Notz, da Sie mit Ihrem Antrag im Grunde einen Schnellschuss vorlegen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und vom Bundesrat!) Wir setzen lieber darauf, zusammen mit allen beteiligten Akteuren einen ausgewogenen, umfassenden Gesetzentwurf zu erarbeiten. Ob Rechteinhaber, Internetprovider, Anschlussinhaber oder WLAN-Nutzer, sie alle müssen in einem Entwurf gleichermaßen berücksichtigt werden. Doch Ihr Entwurf von den Grünen und den Linken geht zulasten der Rechteinhaber und insgesamt zulasten der Datensicherheit. Wir von der Union halten fest: Das geistige Eigentum muss geschützt werden. Es darf keinen Freifahrtschein für Urheberrechtsverletzungen geben. Das ist gerade für den Forschungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland außerordentlich wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein wichtiger Aspekt beim Thema Störerhaftung ist außerdem die digitale Kompetenz der Nutzer. Jüngsten Studien zufolge ist der Digitalisierungsgrad in Deutschland nur auf mittlerem Niveau. Da müssen wir ansetzen. Wir stehen in der Verantwortung, Internetnutzer aufzuklären, damit sie ihren digitalen Umgang sicherer gestalten. Wir müssen die digitale Bildung und den verantwortungsbewussten Umgang mit IT-Systemen in allen Altersstufen fördern. Schließlich sind in unserer heutigen Welt unsere Daten unser höchstes Gut. Es wird schon seit Jahren gefordert, auch im Deutschen Bundestag den Internetzugang auf WLAN-Technik auszuweiten. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!) Wir wissen doch, dass hier im Regierungsviertel nicht nur Mobiltelefone, sondern auch WLAN-Netze extrem abhörgefährdet sind. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Status quo! Geht ohne WLAN!) Daher bedarf auch dieses Thema, Herr Notz, einer umsichtigen Debatte. Genauso muss uns bewusst sein, dass die sichere Vernetzung eine wesentliche Grundlage für unseren wirtschaftlichen Erfolg ist. Unser Ziel ist die bestmögliche IT-Sicherheit zum Schutz unserer Unternehmen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach abschalten! Gar kein Internet!) Dazu haben wir ein Projekt, das wir als Leuchtturmprojekt herausstellen, nämlich das Zukunftsprojekt Industrie 4.0, das aufzeigt, dass unsere Leitbranchen nur durch weltweite Vernetzung, Digitalisierung und Internet international wettbewerbsfähig bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU) Das alles darf aber nicht dazu führen, dass wir durch falsche oder übertriebene Sicherheitsbedenken Furcht vor Big Data und der Digitalisierung entwickeln; denn dann werden wir, wie unsere Bundeskanzlerin in diesem Jahr auf dem IT-Gipfel vortrefflich formulierte, nicht zu den Wertschöpfungsketten vorstoßen. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das unterscheidet uns von den Grünen!) Das geplante IT-Sicherheitsgesetz zielt daher auf die richtige Balance zwischen Schutz und Umsetzbarkeit von Sicherheitsstandards ab. Ich komme zu einem weiteren Aspekt, den der Gesetzentwurf der Opposition vernachlässigt, Herr Notz. Sie haben nämlich völlig vergessen, dass die Haftungsfrage im europäischen Kontext zu sehen ist. Ihr Entwurf verkennt die Tatsache, dass wir es beim Internet mit einem globalen Netz zu tun haben. Alle Äußerungen, die Sie hier gemacht haben, waren lediglich auf nationale Themen fokussiert. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Bemerkung oder Zwischenfrage von Konstantin von Notz? Axel Knoerig (CDU/CSU): Herzlich gern. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. Das ist nett. Ich mache es auch kurz, und ich habe mich nur gemeldet, weil Sie mich jetzt dreimal darauf angesprochen haben. Wissen Sie denn, was die E-Commerce-Richtlinie der Europäischen Union besagt? Ihre Unterscheidung zwischen öffentlichem Hotel-WLAN und privatem WLAN kommt darin überhaupt nicht vor. Gerade weil Sie europäisch denken müssen, müssen Sie freie WLAN-Netze gewährleisten. Das tun Sie aber nicht. Sie regieren jetzt schon so viele Jahre; das sage ich gerade in Richtung der Union. Es ist hinterwäldlerisch, dass in Deutschland diese Regelung noch existiert; vom Bundestag will ich gar nicht reden. In vielen anderen Ländern ist das nicht der Fall. So können Sie nicht argumentieren. Mit Europa brauchen Sie gar nicht zu kommen; das geht genau in die andere Richtung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Axel Knoerig (CDU/CSU): Herr von Notz, wir sind uns sicherlich einig, dass wir dann, wenn wir nationale Angelegenheiten durchdenken, als Erstes natürlich den europäischen Markt und dann auch den internationalen Markt in den Blick nehmen müssen. Das heißt im Klartext für unsere Software- und IT-Branche, dass nationale Vorgaben uns auf internationalen Märkten im Grunde genommen hemmen. Sie haben die europäische E-Commerce-Richtlinie angesprochen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Wo befindet die sich zurzeit? Wir erwarten jetzt – dabei ist mit „jetzt“ eher gemeint: in ein bis zwei Jahren –, dass der EuGH zu einer Rechtsprechung kommt und uns auf diese Weise hilfreiche Vorgaben gibt. Es bleibt dabei: Es ist nicht im Interesse deutscher Unternehmungen, wenn wir auf nationalem Feld voranmarschieren; wir müssen es europäisch und international anpacken. (Beifall bei der CDU/CSU) Haftungsfragen, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen in der digitalen Welt auf internationaler Ebene gelöst werden. Sie dürfen nicht bei kleinen nationalen Regelungen enden und einer Umsetzung des europäischen digitalen Binnenmarkts vorgreifen. Ich wiederhole es gern: Auch der Europäische Gerichtshof beschäftigt sich mit dieser Haftungsproblematik. Sein Urteil wird zur Klärung der Rechtslage beitragen. Darüber hinaus – das ist nicht im engeren Zusammenhang damit zu sehen, aber im weiteren Zusammenhang damit – muss die EU-Datenschutz-Grundverordnung zügig verabschiedet werden. Wenn man diese Themen aneinanderreiht, mit einer europäischen Komponente, dann kann auch die nationale Politik hier sinnhaft Vorgaben machen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Knoerig. – Letzter Redner in dieser Debatte: Christian Flisek für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Flisek (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als 1997 das Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz vom deutschen Gesetzgeber verabschiedet wurde, haben wir tatsächlich Neuland betreten. Dieses Gesetz war eine -Pioniertat. Es war das erste spezifische Internetgesetz. Man hat damals gleichsam Maßstäbe für ganz Europa gesetzt – und das, wohlgemerkt, in einer Zeit, als es Google noch nicht gab und jemand wie Mark Zuckerberg mit 13 Jahren vielleicht noch andere Dinge im Kopf hatte als die Gründung von Facebook; von Twitter, -Spotify und Skype ganz zu schweigen. Zehn Jahre lang spiegelte dieses Gesetz die föderale Ordnung unseres Landes wider mit dem Nebeneinander von Teledienstegesetz und Mediendienste-Staatsvertrag. Der Bund hat die Regelung der Individualkommunikation für sich reklamiert, die Länder haben die Zuständigkeit für die Massenkommunikation für sich beansprucht. Dieses Nebeneinander und die daraus resultierenden Abgrenzungsschwierigkeiten waren eher eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Rechtswissenschaftler; es war keine vernünftige Regelung. Seit 2007 werden die Regelungen zu diesem Bereich im Wesentlichen im Telemediengesetz zusammengefasst. Dieses Gesetz regelt die Anbieterkennzeichnung, die Informationspflichten, den bereichsspezifischen Datenschutz für das Internet und eben auch die Providerhaftung. Wesentliche Weichenstellungen bei der Providerhaftung haben sich somit seit 1997 eigentlich nicht verändert. Die Rechtsprechung hat darauf aufgebaut und die Grundsätze weiterentwickelt. Das wurde in der heutigen Debatte auch schon angesprochen. Was sich allerdings verändert hat, ist die technische Entwicklung. Durch leistungsfähige, vor allen Dingen mobile Endgeräte ist der Bedarf an WLANs, in die wir uns überall einschalten können, gestiegen. Auch das Nutzerverhalten hat sich weiterentwickelt. Streaming mag hier als ein Stichwort genügen. Auf diese Entwicklung hat sich die Koalition eingelassen. Sie hat sich vorgenommen, hierauf angemessen zu reagieren. Wir wollen ein mobiles Internet in ganz Deutschland für jedermann verfügbar machen. Wir wollen das Potenzial lokaler WLANs nutzen, vor allem deswegen, weil wir dies als einen ganz wesentlichen Beitrag zum digitalen Fortschritt in Deutschland sehen. Ich bin dem Kollegen Held dankbar, dass er Passau als Beispiel zitiert hat. Danke für diesen Werbeblock. Das ist natürlich ein schönes Beispiel für die funktionierende und historisch gewachsene pfälzisch-bayerische Freundschaft. Zu dem notwendigen Breitbandausbau gehört auch eine Novellierung des Telemediengesetzes. Das eine hat mit dem anderen viel zu tun. Wir werden die Haftungsregelungen so ausgestalten, dass der Betrieb eines WLANs nicht zu einem unkalkulierbaren Haftungsrisiko wird, aber auch nicht zu einer Einladung zu massenhaften Rechtsverletzungen. Berücksichtigt man dann noch, dass eine freie und unbeobachtete Kommunikation Verfassungsrang hat, dann genügen, glaube ich, diese wenigen Aussagen, um das sehr komplexe Problemfeld zu skizzieren und deutlich zu machen. Wir werden als Große Koalition auf einen angemessenen Ausgleich der Interessen aller Beteiligten hinarbeiten. Die Nutzer spielen hier eine wesentliche Rolle, die WLAN-Betreiber, aber eben auch die Rechteinhaber. Lieber Konstantin von Notz, bis zu Ihrer Rede hätte ich eigentlich vorgehabt, auch die Grünen für diesen konstruktiven Beitrag zur Debatte zu loben. Die einleitende Rede war dann weniger konstruktiv. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ehrt mich, Herr Flisek!) Ich betone aber ausdrücklich, dass ein solcher Beitrag von uns ernst genommen wird, weil er – darauf wurde ja bereits vom Kollegen Held hingewiesen – eben mitten aus der Zivilgesellschaft stammt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der war sehr viel konstruktiver als Sie jetzt!) Ich hoffe, dass ich mit diesem Lob durch die Blume deutlich gemacht habe, dass wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen werden, schlicht und ergreifend deshalb, weil wir in der Großen Koalition einen eigenen erarbeiten werden, der noch einige weitere Aspekte, die dringend notwendig sind, berücksichtigt und genau für diesen angemessenen Ausgleich der Interessen aller Beteiligten steht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich diese Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3047 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Es gibt aber einen Streit über die Federführung. Darüber müssen wir jetzt entscheiden. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie, die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke wünschen Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist trotz Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken mit der Mehrheit von CDU/CSU und SPD abgelehnt. Wir müssen jetzt aber trotzdem über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung -eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur -Umsetzung von Empfehlungen des NSU--Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages Drucksache 18/3007 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hasskriminalität wirkungsvoll statt symbolisch verfolgen Drucksache 18/3150 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Bundesminister Heiko Maas für die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einer Woche haben wir hier an die Aufdeckung der Verbrechen des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes erinnert. Wir waren uns dabei einig, dass wir aus der Mordserie und aus den Fehlern, die bei ihrer Aufklärung gemacht worden sind, die richtigen Konsequenzen ziehen müssen. Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses zur Zuständigkeit des Generalbundesanwalts um und ändern das Strafgesetzbuch. Der Gesetzentwurf enthält zwei Teile, mit denen wir die unterschiedlichen Lehren, die wir aus dem Geschehenen gezogen haben, abbilden wollen. Der erste Teil erweitert den Spielraum des Generalbundesanwaltes. Er soll die Ermittlungen in Zukunft schon dann an sich ziehen können, wenn eine Tat besondere Bedeutung und objektiv staatsschutzfeindlichen Charakter hat. Bislang ging das nur, wenn zusätzlich auch noch feststand, dass der Täter eine staatsschutzfeindliche Zielvorstellung hatte. Das ist zu Beginn der Ermittlungen aber oft noch gar nicht bekannt. Deshalb wollen wir das ändern. Wir wollen so sicherstellen, dass der Generalbundesanwalt frühzeitig eingeschaltet wird, wenn es um rassistische Taten geht, wie es bei denen des NSU der Fall gewesen ist. Der Gesetzentwurf stellt außerdem klar, dass gerade bei länderübergreifenden Fällen mit Staatsschutzbezug eine Zuständigkeit des Generalbundesanwalts gegeben sein kann. Aus den Versäumnissen bei den Ermittlungen zum NSU haben wir vor allen Dingen eines gelernt: Durch das Nebeneinander verschiedener Untersuchungen können wertvolle Informationen verloren gehen, weil der eine nicht weiß, was der andere bereits herausgefunden hat. Um genau das zu verhindern, wollen wir in diesen Fällen eine zentrale Ermittlungstätigkeit bei den Experten des Generalbundesanwalts möglich machen. Der Wechsel des Bundeslandes darf nicht mehr dazu führen, dass sich Täter der Strafverfolgung entziehen können. Auch das ist eine Lehre aus den Geschehnissen, und wir ziehen jetzt die Konsequenzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der zweite Teil des Gesetzentwurfs befasst sich mit der sogenannten Hasskriminalität. Wir stellen im Strafgesetzbuch nun ausdrücklich klar: Bei der Festsetzung der Strafe sind auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe des Täters zu berücksichtigen. Dadurch soll die Bedeutung dieser Motive für die Strafzumessung der Gerichte hervorgehoben werden. Damit bezwecken wir aber vor allen Dingen, dass Staatsanwaltschaft und Polizei ihre Ermittlungen von vornherein auch auf solche Motive erstrecken. Die Taten rechter Gewalttäter können so künftig nicht mehr als Kneipenschlägereien, Nachbarschaftskonflikte oder Jugendsünden abgetan werden. Wir erhoffen uns davon, dass bereits bei der Ermittlung der Fokus darauf gelegt wird, ob Taten vorliegen, die möglicherweise einen rassistischen Hintergrund haben. Der Untersuchungsausschuss hat festgestellt, dass das oft halbherzige Vorgehen der Ermittlungsbehörden im Fall des NSU, aber auch das Vorgehen der Justiz in den 90er-Jahren die rechte Szene in dieser Zeit sogar radikalisiert hat. Das galt ganz besonders für das NSU-Trio im Thüringer Heimatschutz. Solchen Entwicklungen wird der Staat in Zukunft entschiedener entgegentreten, entgegentreten müssen und mit den gesetzlichen Grundlagen, die wir schaffen, auch entgegentreten können. Rechte Gewalttaten sollen als das ermittelt und bestraft werden, was sie tatsächlich sind, nämlich besonders verwerfliche Angriffe auf schutzbedürftige Opfer und auf unsere offene Gesellschaft insgesamt gerichtete Gewalttaten. Deshalb ist diese Änderung bitter notwendig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das sind – daraus mache ich gar keinen Hehl – kleine Schritte auf dem Weg zu einer verbesserten Aufklärung solcher Taten, auch von Hassverbrechen und insbesondere solch abscheulicher Hassverbrechen wie die, die wir heute dem sogenannten NSU zuschreiben können. Ich glaube dennoch: Jeder einzelne Schritt, auch wenn es nur ein kleiner ist, ist wichtig, wenn wir unser Ziel, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht noch einmal vorkommen kann, erreichen wollen. Halit Yozgat ist am 6. April 2006 in Kassel erschossen worden. Als er erschossen wurde, war sein Vater -Ismail ganz in seiner Nähe. Er wollte ihn nachmittags hinter dem Tresen des Internetcafés ablösen, das die Familie betrieb. Als Ismail Yozgat ankam, lag sein Sohn bereits im Sterben. Bis die Hintergründe dieser Tat fünf Jahre später endlich geklärt waren, stand Ismail Yozgat, der Vater, auch selbst lange im Fokus der Ermittlungen. Er hatte seinen Sohn verloren und wurde nun auch noch zum Verdächtigen gestempelt. Trotzdem sagte und sagt Ismail Yozgat, sein Vertrauen in die deutsche Justiz sei immer groß gewesen und es bleibe groß. Meine Damen und Herren, ich finde, wir müssen nun alles tun, um dieses große Vertrauen in unsere Justiz zu rechtfertigen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dieser Gesetzentwurf ist ein Baustein dafür. Das ist ein Baustein, um aus einem nachlässigen wieder einen wehrhaften Staat zu machen. Das sind wir ihm, Ismail Yozgat, und allen Opfern der Verbrechen des NSU bitter schuldig. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Martina Renner spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Martina Renner (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegen und Kolleginnen! Noch immer ereignen sich täglich zwei bis drei politisch rechts motivierte oder rassistisch geprägte Gewalttaten in Deutschland. Daran hat sich nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds überhaupt nichts geändert. Im Gegenteil: Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage meinerseits hervorgeht, haben die Polizeien der Länder seit dem 4. November 2011 über 200 rechte Straf- und Gewalttaten registriert, mit denen die Täter sich explizit und für alle erkennbar offen und positiv auf den NSU beziehen und seine rassistischen Morde und Anschläge verherrlichen. Einige Beispiele für rassistische Gewalttaten aus den letzten Monaten: Ende September wird ein syrischer Arzt in Lößnig bei Leipzig von einem maskierten Mann mit einem Baseballschläger angegriffen und rassistisch beleidigt. Mitte Juli schlagen und bedrohen in Gardelegen ein Dutzend Neonazis, die T-Shirts mit der Aufschrift „Kameradschaft Kommando Werwolf“ trugen, eine Wirtin, die öffentlich Flüchtlinge unterstützt. Ob die Strafverfolgungsbehörden, die rassistische und politisch rechte Motivation dieser Taten erkennen und vor Gericht angemessen würdigen werden, ist leider vollständig offen. Daran wird auch der vorgelegte Gesetzentwurf überhaupt nichts ändern. Denn die vom Bundesjustizministerium vorgeschlagene Änderung des § 46 StGB ist inhaltlich beliebig und viel zu weit gefasst. Sie verfehlt das Ziel und beschränkt sich auf eine gefährliche Symbolpolitik. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schon nach der jetzigen Fassung von § 46 StGB sind Richter und Staatsanwälte gehalten, die Tatmotivation bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Sie machen dies aber vor allem bei rassistisch motivierten Gewalttaten in der Regel nicht, wie nicht zuletzt die skandalösen Urteile zu rassistischen Angriffen in Pirna und Bernburg eindrücklich gezeigt haben. Richter und Staatsanwälte, die in Fällen von rechter Gewalt keine rassistische Tatmotivation anerkennen, weil der Angriff, wie sie sagen, spontan und unter Alkoholeinfluss erfolgt sei, werden auch in Zukunft am Kern des Problems vorbeigehen: Rassismus ist eine Haltung, die sich in unterschiedlichster Form und bei unterschiedlichen Gelegenheiten gewaltförmig Bahn bricht. Deshalb sagen wir: Dieser Gesetzentwurf ist verfehlt. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch der erleichterten Übernahme von Verfahren durch die Generalbundesanwaltschaft stehen wir skeptisch gegenüber. Was nützt diese Maßnahme, wenn zum Beispiel in Fällen von 23 Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, die in den ersten drei Quartalen dieses Jahres gezählt wurden, die Generalbundesanwaltschaft in keinem einzigen Fall tätig geworden ist, obwohl sie die Übernahme der Ermittlungen geprüft hat? Ich sage dazu: Wir brauchen eine inhaltliche Neujustierung in Bezug darauf, wie Justiz mit rechtsextremer und rassistischer Gewalt umgeht, und keine symbolische Gesetzesänderung. (Beifall bei der LINKEN) An anderer Stelle hinkt die Bundesregierung weiter bei der Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses hinterher, nämlich bei der Forderung, dass zukünftig bei allen Gewalttaten gegen Migrantinnen und Migranten auch Rassismus als Tatmotiv mitermittelt werden muss. Dafür hat der Untersuchungsausschuss eine Änderung der sogenannten RiStBV vorgeschlagen. Im Sommer sollte hierzu eine Abstimmung in der Justizministerkonferenz stattfinden. Nun ist es Herbst, und diese wirklich dringende Vorgabe lässt immer noch auf sich warten. Wir unterstützen deshalb ausdrücklich den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der sich dieser Thematik annimmt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unsere Forderungen nach Umsetzung der gemeinsam beschlossenen Empfehlungen aus den NSU-Untersuchungsausschüssen gehen aber weiter. Die Untersuchungsausschüsse haben deutlich gemacht, dass institutioneller Rassismus die polizeilichen Ermittlungen zur Ceska-Mordserie sowohl im Umgang mit den Angehörigen geprägt als auch bei der Suche nach den Tätern massiv behindert hat. Wir fordern eine umfassende Studie, die nach Rassismus im Polizeiapparat fragt und uns endlich verlässliche Zahlen gibt, damit die Debatte insbesondere bei denen, die dieses Phänomen negieren, auf sachliche Grundlagen gestellt werden kann. Das Gleiche gilt übrigens für die längst überfällige Einrichtung von unabhängigen Polizeibeschwerdestellen. (Beifall bei der LINKEN) Noch ein paar Worte zum Bundesprogramm. Auch bei der Umsetzung der dringend empfohlenen Unterstützung der Projekte gegen Rechtsextremismus ist die Koalition, so sagen wir, auf halber Strecke stehen geblieben. Statt die Mittel auf 50 Millionen Euro zu erhöhen, fehlen jetzt immer noch 10 Millionen Euro. Das macht sich vor allem im Westen bemerkbar, wo beispielsweise in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hessen immer noch spezialisierte Opferberatungsstellen fehlen. Auch wenn der Haushaltsausschuss in letzter Minute das Förderprogramm auf 40 Millionen Euro aufgestockt hat, entspricht dies meiner Meinung nach keineswegs den Schlussfolgerungen, die wir aus dem NSU-Komplex ziehen: Mit den Erhöhungen sollen nämlich in Zukunft auch noch Salafismus und Islamismus als Schwerpunkte bearbeitet werden. Ich bin durchaus der Meinung, dass Salafismus und Islamismus ein drängendes Problem sind. Allerdings benötigt die Auseinandersetzung damit ein eigenes differenziertes Programm. (Beifall bei der LINKEN) Die Lehren aus dem NSU-Komplex zu ziehen, bedeutet eine verstärkte gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rassismus auf allen Ebenen, auch in den Institutionen. Ein antiextremistischer Gemischtwarenladen wird diesem Problem keineswegs gerecht werden. Wir hatten versucht, zwei Änderungsanträge in die heutige Debatte einzubringen. Mit dem einen wollten wir die Aufstockung der Mittel für das Bundesprogramm auf 50 Millionen Euro erreichen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Renner, Sie denken an die vereinbarte Redezeit! Martina Renner (DIE LINKE): Okay. – Mit dem anderen wollten wir uns für ein humanitäres Bleiberecht für die Opfer rassistischer Gewalt engagieren. Beides durfte der Beratung heute nicht beigefügt werden. Wir bedauern das sehr und glauben, dass diese Entscheidung der Sache schadet und allein parteipolitisch motiviert ist. Das tut der Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex nicht gut. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Volker Ullrich. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor zehn Tagen hat der Deutsche Bundestag in einer würdigen Debatte des dritten Jahrestages der Aufklärung der Terrorzelle des Nationalsozialistischen Untergrunds gedacht. Das Gebot der Stunde ist nicht nur die weitere Aufklärung der noch offenen Fragen, sondern auch ein entschiedenes und entschlossenes Handeln. Das bedeutet für uns die Abarbeitung der 47 Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses. Das sind wir uns, das sind wir den Opfern schuldig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung trägt dieser Verpflichtung Rechnung. Mit dem Gesetzentwurf werden im Bereich der Justiz und Strafverfolgung zwei -wesentliche Anker gesetzt, die vielleicht nicht die Welt verändern, die aber im Zusammenspiel der Strafverfolgungsbehörden und auch bei der Bemessung der Strafe die notwendigen Akzente setzen, um vergleichbare Sachverhalte zukünftig zu verhindern. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verbrechen!) Wir ändern die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts in Staatsschutzsachen. Das ist eine sensible Materie. Denn es geht hier nicht nur um die Frage, wofür der Generalbundesanwalt zuständig ist, sondern es handelt sich auch um eine Frage im Kernbereich des Verhältnisses zwischen dem Bund und den Ländern. Die Länder sind nach unserem Grundgesetz grundsätzlich auch zur Verfolgung und Aburteilung von Strafsachen zuständig. Der Bund hat nur eine sehr begrenzte Zuständigkeit, die er vor dem Hintergrund unseres Verfassungsgefüges sehr sensibel und zurückhaltend wahrzunehmen hat. Dennoch sind die hier vorgeschlagenen Maßnahmen vor dem Hintergrund unserer Verfassungsordnung notwendig. Ja, ich meine, sie sind auch geboten. Die Frage der Zuständigkeit des Generalbundesanwalts bei Staatsschutzsachen darf sich zukünftig nicht mehr stellen, wenn die Straftaten „bestimmt und geeignet sind“. Denn im Untersuchungsausschuss ist zu Recht festgestellt worden, dass die Frage der subjektiven Motivlage des Vorsatzes nur sehr schwer zu bemessen ist. Wenn dann der Generalbundesanwalt im Zweifel, weil diese subjektiven Umstände nicht vorhanden sind, auf seine Möglichkeiten verzichtet, dann ist der Staat vielleicht nicht so wehrhaft, wie er tatsächlich sein müsste. Deswegen ist es richtig, dass zukünftig die objektive Bestimmung einer Tat ausreicht, die Kompetenz des Generalbundesanwalts zu begründen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist auch richtig, dass die Staatsanwaltschaften der Länder zukünftig eine Vorlagepflicht gegenüber dem Generalbundesanwalt haben. Damit soll sichergestellt werden, dass der Generalbundesanwalt bei länderübergreifenden Sachverhalten – seien wir ehrlich, Verbrecher und Feinde unserer Freiheit halten sich nicht an Ländergrenzen – von sich aus prüft, ob seine Kompetenz begründet ist und er mit seinem Apparat und mit seinen Möglichkeiten die Strafverfolgung an sich zieht. Das setzt etwas voraus, worüber wir in den nächsten Jahren sprechen müssen, nämlich die tatsächliche Fähigkeit des Generalbundesanwalts als Behörde, diesem erhöhten Arbeitsaufwand Rechnung zu tragen. Es kann nicht sein, dass wir in einem Gesetzentwurf wohlfeile Worte und mehr Kompetenzen begründen, aber dem Generalbundesanwalt dann nicht die Möglichkeiten bieten, diese Kompetenzen auszufüllen. Deswegen bedeutet eine Stärkung des Generalbundesanwalts auch eine personelle und sachliche Aufstockung. Anders geht es nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch die zweite Stufe dieses Gesetzesvorhabens ist ein wichtiger Schritt im Bereich unserer Strafrechtspflege: die Verankerung von rassistischen, fremdenfeindlichen und menschenverachtenden Motiven bei der Strafzumessung. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es doch schon! Nichts Neues!) Bislang ist im § 46 des Strafgesetzbuches eine Aufzählung von Motiven spezieller Art nicht zu finden. Es ist ein Paradigmenwechsel in der Systematik des Strafrechts, dass wir von einer allgemeinen Grundlage der Strafzumessung hin zu speziellen Motiven kommen. Auch bislang finden besondere Motive, wenn es um die Schuld geht, schon Berücksichtigung. Wir haben im Grunde genommen also keine strafrechtliche, sondern eine rechtspolitische und moralische Regelungslücke. Diese schließen wir mit diesem Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Strafrecht!) Auch wenn hier „rassistisch“ und „fremdenfeindlich“ steht und es damit in erster Linie, wie Sie formuliert haben, um die Opfer rechtsextremer Gewalt geht, geht dieser Gesetzentwurf natürlich weiter. Er richtet sich gegen die Feinde unserer Freiheit insgesamt. Er richtet sich gegen Linksextreme. Er richtet sich gegen Dschihadisten, gegen Salafisten, gegen alle, die aus tiefster Überzeugung unsere Freiheit und andere Menschen angreifen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig! Nicht nur gegen die Rechtsextremisten!) Es wird abzuwarten sein, wie sich die besondere Strafzumessung in der Rechtspraxis bewähren wird. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung des Kollegen Ströbele? Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Ja. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, danke. – Wenn Sie sagen: „Da muss das Strafrecht verändert werden“, meinen Sie damit, dass in dem laufenden Prozess vor dem Oberlandesgericht München, wenn es zu einer Verurteilung kommen sollte – das wissen wir ja nicht; wir wollen dem auch nicht vorgreifen –, solche Überlegungen, die Ihrer Meinung nach derzeit im Gesetz noch nicht hinreichend Berücksichtigung finden, bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt würden? Das ist nur ein Beispiel; es gibt ja auch viele andere Verfahren, in denen es um ähnliche Themen und Verbrechen geht. Sind Sie also der Auffassung, dass Motive wie Hass und Ähnliches, die Sie jetzt ins Gesetz aufnehmen wollen, bei der Strafzumessung derzeit nicht berücksichtigt werden? Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Herr Kollege Ströbele, ich nehme den Verfassungsgrundsatz der Gewaltenteilung ernst. Deswegen werde ich mich als Mitglied des Deutschen Bundestages nicht zu einem laufenden Strafverfahren äußern. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat ja allgemein gefragt!) Wenn Sie aber allgemein fragen, ob diese Strafbemessungsvorschriften eine Relevanz haben oder nicht, so muss ich Ihnen erwidern, dass Sie nicht ordentlich zugehört haben. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er kann aber lesen!) Ich habe gerade gesagt, dass die Motivlage eines Täters schon nach dem jetzigen § 46 Strafgesetzbuch Berücksichtigung findet und finden muss, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber warum wird es nicht gemacht? Es wird ja nicht gemacht!) dass es hier aber um die rechtspolitische und moralische Grundsatz- und Wertentscheidung des Gesetzgebers geht, besondere Motive in Worte zu fassen, (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiße Salbe) um damit die Wertentscheidung, die der Gesetzgeber getroffen hat, deutlich zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich darf abschließend sagen: Wir müssen aufpassen, dass diese Änderung des § 46 Strafgesetzbuch so formuliert und von der Rechtspraxis so gelebt wird, dass die Vertreter unserer rechtsprechenden Gewalt revisionsfeste Urteile schreiben können. Es darf nicht so sein, dass wir Gutes gewollt, letzten Endes aber für eine schwierige Situation gesorgt haben. Aber abgesehen von der Frage einer rechtlichen Änderung ist es wichtig, dass wir insgesamt das Bewusstsein eines demokratischen und wehrhaften Rechtsstaates pflegen und dass wir alle aufgerufen sind, dafür einzutreten, dass Unrecht dem Recht weicht, dass die Menschenwürde und der demokratische Rechtsstaat in keiner Sekunde und bei keiner Gelegenheit zur Diskussion gestellt werden. Das ist die wichtigste Botschaft dieses Gesetzentwurfes. Deswegen lassen Sie uns mit diesen Grundlagen gemeinsam in die Beratung gehen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Danke schön. – Die Kollegin Monika Lazar spricht als Nächste für Bündnis 90/Die Grünen. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Auffliegen des NSU setzte viele Aktivitäten in Gang: Untersuchungsausschüsse tagten, Aktenberge wurden angehäuft, und parlamentarische Beschlüsse wurden gefasst. Die rechtsterroristischen Morde haben Staat und Gesellschaft aufgerüttelt – für die Opfer und ihre Angehörigen leider zu spät. Hat all die Geschäftigkeit dazu geführt, dass potenzielle Opfer in Zukunft wirksamer vor rassistischer Gewalt geschützt sind? Werden die Missstände in den staatlichen Strukturen, die das Fiasko ermöglichten, beseitigt? Nun, damit stehen wir erst ganz am Anfang. Gerade jährte sich die NSU-Selbstenttarnung zum dritten Mal. Wir gedachten vor wenigen Tagen der Opfer, während die Angehörigen bis heute vergebens auf die lückenlose Aufklärung warten, die ihnen einst auch Kanzlerin Merkel versprach. Weder wurde die Vernetzung des NSU umfassend offengelegt, noch das gravierende Versagen der Sicherheitsbehörden konsequent geahndet. Im Fokus steht das Fehlverhalten einzelner Bediensteter, aber nicht der strukturelle Rassismus, der das Klima für solche Ermittlungsfehler schafft und verstärkt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Rassismus zerstört unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir müssen ihn deshalb auf allen Ebenen bekämpfen. Nun legt die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf vor, in dem unter anderem auf ein härteres Durchgreifen gegenüber Tätern von Hasskriminalität gesetzt wird. In § 46 Absatz 2 des Strafgesetzbuches sollen die Tatmotive „rassistisch“, „fremdenfeindlich“ und „menschenverachtend“ künftig explizit benannt und bei der Strafzumessung stärker berücksichtigt werden. Längere Haftstrafen hätten dann eine abschreckende Wirkung und dies wiederum würde zu weniger Opfern führen, so in etwa hat sich das Justizminister Maas wohl gedacht. Außerdem sollen die Staatsanwaltschaften bestimmte Tatmotive mehr beachten. Die Vorschläge allerdings gehen am Kern des Problems vorbei; denn wenn bereits bei der polizeilichen Erfassung rassistische Tatmotive unerkannt bleiben, können diese später auch bei der Strafzumessung keine Berücksichtigung finden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zudem ist es so, dass viele Straftaten erst in den Statistiken der zivilgesellschaftlichen Opferberatungsstellen als Hasskriminalität sichtbar gemacht werden. Deren Zahlen liegen regelmäßig höher als die der offiziellen Polizeistatistik. Ein solches Erfassungsdefizit ist aber kein Problem der geltenden Rechtslage und lässt sich auch nicht mit der geplanten Paragrafenkosmetik ändern. Wer etwas anwenden soll, muss dafür sensibilisiert werden. Die verschiedenen Formen von Hassdelikten müssen in Aus- und Fortbildungen vermittelt werden, damit die staatlichen Behörden und diejenigen, die dort arbeiten, damit umgehen können. Menschenrechtsarbeit und interkulturelle Bildung sind wichtig, und der Nachholbedarf ist leider nach wie vor groß. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In unserem grünen Antrag zur Bekämpfung der Hasskriminalität betonen wir die Bedeutung einer konsequenten Ermittlung der Motive und der Verfolgung von Hasskriminalität. Sie richtet sich nicht nur gegen die einzelnen Menschen. Das Opfer wird aufgrund seiner tatsächlichen oder zugeschriebenen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe angegriffen. Besonders oft werden Menschen aufgrund der ethnischen Herkunft, sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, der Religion oder Weltanschauung oder einer Behinderung zum Ziel von Hassverbrechen. Auch diese Motive gehören unbedingt bei der rechtspolitischen Präzisierung in den Blick. In einer Pressemitteilung des Lesben- und Schwulenverbandes vom heutigen Tag wird darauf verwiesen, dass es hier eine Regelungslücke gibt. Zudem gibt es weitere Kriterien, die von einer Expertenkommission hinsichtlich ihrer Berücksichtigung geprüft werden müssen. Das gilt zum Beispiel für Geschlecht, Alter, politische Einstellung und den sozialen Status in Bezug auf Wohnungslose und andere offenkundig sozial Ausgegrenzte. Alle genannten Kriterien sind Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Ohne einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz kann eine Auseinandersetzung nicht gelingen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]) Ein Beitrag zur umfassenden Prävention ist auch die Stärkung des Bundesprogramms gegen Rechtsextremismus. Schon mehrfach jammerte Ministerin Schwesig öffentlich, dass sie mehr Geld für ihr neues Bundesprogramm „Demokratie leben!“ braucht. In der Regierung konnte sie sich allerdings nicht durchsetzen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir diskutieren hier über den Justizbereich, Frau Kollegin! Können Sie mal zur Sache sprechen? Es geht um das BMJ! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist keine Haushaltsberatung!) – Ich habe fünf Minuten zu Ihrem Gesetzentwurf gesprochen. Ich nehme an, dass Ihnen, jedenfalls den Kolleginnen und Kollegen der SPD, das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ am Herzen liegt. Deshalb wollte ich Sie zum Schluss noch loben. Aber Sie haben es wahrscheinlich nicht verdient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Eva Högl [SPD]: Wir nehmen das Lob sehr gern an, Frau Lazar! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Frau Schwesig ist doch gar nicht da!) – Frau Schwesig ist nicht da, aber die Mittel für ihr Bundesprogramm wurden gestern in der Bereinigungssitzung zum Haushalt um 10 Millionen Euro erhöht. -Zumindest die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion haben sich darüber gefreut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Die grüne Bundestagsfraktion fordert seit vielen Jahren eine Erhöhung der Bundesmittel für Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auf jährlich mindestens 50 Millionen Euro. Deshalb ist das, auch wenn es noch nicht weit genug geht, ein Schritt in die richtige Richtung. Ich will hier das Positive in den Vordergrund stellen und mich lobend äußern. Ich hoffe, dass die 10 Millionen Euro auch der Opferberatung und den mobilen Beratungsstellen zugutekommen. Denn auch diese tragen dazu bei, Hasskriminalität besser zu erkennen. Dazu gehört auch, sich weiterhin an entsprechenden Aus- und Fortbildungen zu beteiligen. Mir war es jedenfalls wichtig, dass auch dieser Aspekt in dieser Debatte eine Rolle spielt. Ich bedanke mich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Dr. Eva Högl spricht jetzt für die Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Lazar, ganz herzlichen Dank für das Lob, das wir sehr gerne entgegengenommen haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 10 Millionen Euro sind kein Pappenstiel. Dass das Programm jetzt auf mehr als 40 Millionen Euro aufgestockt wird, war gestern ein guter Beschluss. Darüber haben wir uns sehr gefreut. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit dem Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses im September 2013 50 Maßnahmen vorgeschlagen, die die Zustimmung aller Fraktionen im Deutschen Bundestag fanden. Deswegen sind diese Empfehlungen eine gemeinsame Verpflichtung für uns alle im Bundestag. Wir brauchen Reformen – das wurde bereits festgestellt – bei der Polizei, beim Verfassungsschutz und auch bei der Justiz. Heute geht es in unserer Debatte um die Justiz. Justizminister Heiko Maas hat dazu gute und wichtige Vorschläge vorgelegt. Zunächst geht es um die Stellung des Generalbundesanwalts. Bei der NSU-Mordserie wäre, so haben wir im Untersuchungsausschuss festgestellt, eine zentrale Übernahme durch den Generalbundesanwalt oder auch ein staatsanwaltschaftliches Sammelverfahren nicht nur denkbar, sondern auch erfolgversprechender gewesen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Und notwendig!) – Das wäre notwendig gewesen. – Die Forderung nach einem zentralen Ermittlungsverfahren wurde auch seitens der Staatsanwaltschaften Rostock und München erhoben. Deswegen haben wir uns entschlossen, genau an diesem Punkt anzusetzen und dem Generalbundesanwalt dies zu ermöglichen. Er hat auch selbst geprüft, ob eine Übernahme des Verfahrens in Betracht kommt. Aber weil dafür eine subjektiv staatsschutzfeindliche Zielvorstellung Voraussetzung ist, hat er das abgelehnt. Zu den Details, wie er das geprüft hat – nämlich leider nur auf Grundlage von Presseberichten –, könnte man durchaus noch etwas anmerken. Aber wir sind jedenfalls zu der Erkenntnis gekommen, dass für die Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt ein objektiv staatsschutzfeindlicher Charakter der Tat ausreicht und wir dies nicht zusätzlich mit der Voraussetzung einer subjektiv staatsschutzfeindlichen Motivation verbinden dürfen. Das regelt der Gesetzentwurf. Außerdem soll der Generalbundesanwalt bei länderübergreifenden Straftaten die Verfahren übernehmen können, sodass ein Kompetenzgerangel, wie wir es beim NSU erlebt haben, künftig vermieden werden kann. Wir erleichtern die Führung eines Sammelverfahrens. Ich finde einen Punkt sehr wichtig, den ich hervorheben möchte: Der Generalbundesanwalt wird mit dem Gesetz die Möglichkeit bekommen, frühzeitig in laufende Ermittlungen eingebunden zu werden, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass seine Zuständigkeit in Betracht kommt. Das ist eine sehr wichtige Änderung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich nehme gerne Stellung zu § 46 Absatz 2 StGB und auch zu dem Vorwurf, es handele sich hierbei um symbolische Gesetzgebung. § 46 Absatz 2 sieht selbstverständlich schon jetzt vor, lieber Kollege Ströbele, dass eine rassistische, rechtsextreme, fremdenfeindliche Motivation strafverschärfend beim Strafurteil berücksichtigt werden kann. Wir wissen aber, dass das in der Praxis – das wurde hier schon angesprochen – nur in Ausnahmefällen geschieht. Die Gerichte berücksichtigen diese Motivation häufig nicht. Ich möchte den Fall eines Paars aus Hoyerswerda schildern, den ich schon einmal angesprochen habe. Die Polizei in Hoyerswerda hat das Paar aufgefordert, umzuziehen, weil sie das Paar nicht mehr schützen konnte. Die Wohnung des Paars wurde stundenlang von rechtsextremen Tätern belagert. Das Paar erhielt Todes- und Vergewaltigungsdrohungen. Die Täter traten gegen die Wohnungstür und sangen Naziparolen. Der Spion wurde zugeklebt. Die Täter wurden im Januar 2014 verurteilt. Ihre rechtsextreme Tatmotivation und politische Einstellung wurden nur deshalb berücksichtigt, weil die Betroffenen als Nebenkläger im Prozess sehr engagiert auftraten und darauf gedrungen haben. Ich möchte Ihnen ein weiteres Beispiel nennen, das Sie sicherlich in den Medien verfolgt haben. Eine Familie aus Syrien wurde auf dem Volksfest „Eisleber Wiese“ brutal zusammengeschlagen. Wir alle haben diesen Fall zur Kenntnis nehmen müssen. Teilweise konnte das Leben der Betroffenen nur mit Mühe gerettet werden. Die Vorsitzende Richterin fand – das ist ein positives Bei-spiel – bei ihrem Urteil deutliche Worte, hob die fremdenfeindliche Gesinnung der Täter hervor und verurteilte sie scharf. Wie wir sehen, gibt es also Möglichkeiten. Aber wir wollen § 46 Absatz 2 ändern, damit es nicht bei der Möglichkeit bleibt und dies den Gerichten überlassen bleibt – in der Praxis wird eine solche Motivation, wie gesagt, selten strafverschärfend gewürdigt –, sondern damit es eine Verpflichtung dazu gibt, solche Motivationen strafverschärfend zu berücksichtigen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich halte Folgendes für sehr wichtig – deswegen ist es keine symbolische Gesetzgebung –: Eine solche Klarstellung und Verdeutlichung in § 46 Absatz 2 wird Auswirkungen auf die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, auf das Vorfeld vor einem strafrechtlichen Urteil, haben. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Hoffentlich!) Denn Polizei und Staatsanwaltschaft sind natürlich ganz anders gehalten, auch in diese Richtung zu ermitteln, wenn sie wissen, dass die Strafgerichte diese Motivation dann strafverschärfend berücksichtigen. Deshalb ist das eine gute und wichtige Änderung. Eine letzte Bemerkung zur RiStBV. Ich denke – ich hoffe, dass ich hier im Namen vieler Kolleginnen und Kollegen spreche –, dass die Dienstanweisungen und Ermittlungsrichtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren nun so geändert werden müssen, wie es der NSU-Untersuchungsausschuss vorgeschlagen hat. Es ist unsere Forderung Nummer eins, dass eine fremdenfeindliche Motivation zwingend geprüft werden muss. Wir erwarten mit Spannung, dass sich die Justizministerinnen und Justizminister entsprechend positionieren und einen Beschluss fassen. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Ich freue mich auf die weitere Umsetzung der Beschlüsse des NSU-Untersuchungsausschusses. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Tankred Schipanski von der CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Mitglied des NSU-Untersuchungsausschusses der 17. Legislaturperiode freue ich mich natürlich, dass nunmehr auch das BMJV die Umsetzung der Empfehlungen des Untersuchungsausschusses vorantreibt. Schnell wurde bei unserer Aufklärungsarbeit klar, dass es nicht nur Polizei und Verfassungsschutz sind, die einer kritischen Betrachtung bedürfen, sondern allen voran auch die Rolle der Staatsanwaltschaften und der Gerichte. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Die Staatsanwaltschaft als die Herrin des Verfahrens, der bis zur NSU-Aufklärung über Zweifel erhabene Generalbundesanwalt und einfachste Anordnungen durch das Gericht im Rahmen klassischer Ermittlungsarbeit, auf allen diesen Feldern mussten wir eklatante Mängel feststellen. Ich erinnere mich an den Zeugen Dr. Förster, bei dessen Aussage wir fast den Glauben an die Arbeitsweise des GBA verloren haben; Frau Högl hat das bereits angesprochen. Ich erinnere mich an die Aussage des Zeugen Staatsanwalt Schultz aus Gera, bei der wir feststellen mussten, dass die Justiz in Thüringen in den 90er-Jahren absolut überfordert war; der Minister hat das bereits angesprochen. Wir haben fraktionsübergreifend – darauf hat Frau Högl zu Recht hingewiesen – Handlungsempfehlungen beschlossen, die auch den Bereich der Justiz betreffen. Einen Baustein beraten wir heute hier in erster Lesung. Ich sage ganz bewusst: einen Baustein; denn wir wissen um die Maßnahmen, die bereits in der letzten Legislatur ergriffen wurden, gerade im Hinblick auf Nummer 15 und Nummer 202 in der RiStBV. Ich denke auch an die Standards, die sich der Generalbundesanwalt für seine Arbeit gegeben hat. Heute erfolgt nun ein nächster, aber nicht der letzte Schritt mit Blick auf die Anpassung des Gerichtsverfassungsgesetzes. Mit der vorliegenden Anpassung des GVG wollen wir die Begründung der Zuständigkeit des Generalbundes-anwaltes vereinfachen sowie sicherstellen, dass der GBA frühzeitig in laufende Ermittlungen einbezogen wird. Die Anpassung des GVG tut not, weil wir im Rahmen der NSU-Aufklärung praxisnah erlebt haben, dass die Zusammenarbeit zwischen dem GBA und den Staatsanwälten eben nicht richtig funktioniert. Einen eigenen Akzent setzen die Kollegen des Rechtsausschusses, wenn sie nunmehr im Bereich der Strafzumessung über die Empfehlung des Untersuchungsausschusses hinausgehen und eine ausdrückliche Regelung aufnehmen, um fremdenfeindliche Beweggründe bei einer Tat schärfer zu ahnden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das sind richtige Schritte, und ich erinnere zugleich daran, dass weitere im Bereich der Justiz umgesetzt werden. Es bedarf sicherlich mit Blick auf den Informationsaustausch zwischen Staatsanwaltschaften und Polizei oder auch im Hinblick auf den Opferschutz weiterer Maßnahmen; denn noch heute erleben wir in der Praxis Defizite beim Umgang mit Opfern extremistischer Gewalt. Die Opferberatungsstelle ezra der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland in Neudietendorf hat in diesem Jahr einen Bericht vorgelegt, der aufzeigt, wo noch Handlungsbedarf besteht. Der Name der Studie „Die haben uns nicht ernst genommen“ zeigt exemplarisch, wo in der Praxis noch Optimierungsbedarf bei der Arbeit mit Opfern extremistischer Gewalt vorhanden ist. Da geht es nicht immer um große Gesetzesänderungen, sondern es reicht oftmals schon die Anpassung von Verhaltensrichtlinien oder Belehrungsvorschriften. Dreh- und Angelpunkt ist oftmals diese RiStBV, bei deren Anpassung auch die Bundesländer gefordert sind. Ich gehe davon aus, dass Sie, Herr Minister, regelmäßig im Rechtsausschuss über die Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses und auch über die Zusammenarbeit mit den Landesjustizministern in diesem Zusammenhang berichten werden. Wir als Parlament bleiben dran, wir machen Druck. Der Bericht der Bundesregierung vom 18. Februar dieses Jahres zum Umsetzungsstand der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses zeigt einen klaren Fahrplan auf. Wir werden anhand dieses Berichtes sowie anhand der Empfehlungen kontrollieren, inwieweit diese Umsetzung erfolgt. Die Debatte zum dritten Jahrestag der NSU-Aufklärung hat dies, denke ich, hier im Bundestag sehr deutlich gemacht. Im Übrigen verbietet sich da jegliche Empörungsrhetorik. Noch nie haben eine Bundesregierung oder ein Parlament so planvoll und detailliert auf die Ergebnisse eines Untersuchungsausschusses reagiert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Neben den Maßnahmen im Bereich der Justiz sind es vor allem Maßnahmen im Bereich des Verfassungsschutzes und der Polizei, die wir als Konsequenz aus dem NSU-Komplex ergreifen. Ziel ist es dabei, dass wir -unseren Staat weiterhin aktiv vor Extremismus und Terrorismus schützen. Ich erinnere an die Worte unseres Bundesinnenministers Thomas de Maizière: keine Maßnahme ohne Kenntnis. Kenntnis erlange ich nur durch Vorfeldaufklärung. Im Freistaat Thüringen schickt sich die Linke an, gemeinsam mit einer unheiligen Allianz aus SPD und Grünen, (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das musste jetzt kommen!) diese Vorfeldaufklärung abzuschaffen. (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Mich schockiert es, heute in den Medien lesen zu müssen, dass Rot-Rot-Grün in Thüringen die V-Leute abschaffen will (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und somit eine effektive Extremismusbekämpfung verhindert. Mich schockiert, dass dieses Bündnis, statt Staatswohl zu fördern, nunmehr das Staatswohl gefährdet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD) In Thüringen wird das Gegenteil von dem gemacht, was der NSU-Untersuchungsausschuss hier im Bundestag empfohlen hat. Ich kann die Kollegen der SPD und der Grünen nur eindringlich vor einem solchen Bündnis warnen. Liebe Grüne, unter diesem Blickwinkel relativiert sich auch Ihr Antrag, den Sie heute vorlegen. (Abg. Martina Renner [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Ich freue mich auf eine Kurzintervention. Ich bin nämlich gleich fertig. Mit Bernhard Lichtenberg kann ich Ihnen nur sagen: Die Taten eines Menschen sind die Konsequenzen seiner Grundsätze, und sind die Grundsätze falsch, so werden auch diese Taten nicht richtig sein. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege. – Bevor wir zum Schluss der Debatte kommen, gibt es noch zwei Wünsche nach Kurzinterventionen von der Kollegin Renner und vom Kollegen Ströbele. Wir beginnen mit der Kollegin Renner. Martina Renner (DIE LINKE): Herr Kollege Schipanski, Ihre Ausführungen eben entbehrten jeden Stils. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Haben Sie nicht richtig zugehört?) Ein Ergebnis der Untersuchungsausschüsse, insbesondere des Untersuchungsausschusses in Thüringen, war, dass festgestellt wurde, in welcher Art und Weise Spitzel die Neonazi-Szene in den 1990er-Jahren großgemacht haben, abgeschirmt haben vor Strafverfolgung und ausgestattet haben mit Geld, Handys, Mobilität und einer ganzen Menge mehr, was dazu geführt hat, dass insbesondere die militanten Strukturen, denen der NSU entstammte – die Anti-Antifa und das Netzwerk Blood & Honour –, sich in einer Art und Weise bundesweit entwickeln konnten, wie es ohne den Einsatz der Spitzel – das kann man mittlerweile wirklich nachweisen – in dieser Form nie geschehen wäre. Wir sagen ganz klar – ich bin darüber sehr froh –, dass es auch in Zukunft unter Rot-Rot-Grün in Thüringen Kanon ist, dass eine Trennlinie zwischen denen, die das Lebensrecht von Menschen negieren, die die Demokratie gefährden, die sich in die Historie und die Vergangenheit des NS einreihen, und denen, die den Staat, die Demokratie und die Menschenwürde schützen sollen, gezogen werden soll. Es darf keine Vermischung zwischen Demokratie und Feinden der Demokratie geben, wie es durch die Führung von quasi hauptamtlichen Neonazis durch die Verfassungsschutzbehörden passiert ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, das ist eine zentrale Schlussfolgerung aus den Erkenntnissen der NSU-Untersuchungsausschüsse. Ich glaube, dass diese Maßnahme zu einer Stärkung von Demokratie und zu einem sensibleren Umgang mit den Bedrohungen durch militanten Neonazismus führen wird und auch ein höheres Maß an Schutz für diejenigen bedeuten wird, die potenziell Opfer rechtsextremer Gewalt sind, zum Beispiel in Thüringen. Ich hoffe, dieses Beispiel wird auch in anderen Ländern diskutiert. Sie sollten sich mit der Arbeit und den Ergebnissen der Untersuchungsausschüsse und insbesondere den Praktiken der Verfassungsschutzbehörden mit Blick auf die Neonazi-Szene wirklich etwas detaillierter auseinandersetzen. Das täte insbesondere Ihnen als Thüringer Abgeordneten sehr gut. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Schipanski. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Frau Kollegin Renner, ich habe ja gesagt, ich bin Mitglied des Untersuchungsausschusses gewesen. Wir haben fraktionsübergreifend 47 Handlungsempfehlungen beschlossen. Darin steht, dass wir die V-Leute nicht abschaffen wollen, sondern dass wir das V-Mann-Wesen reformieren wollen. Wir haben dazu ganz konkrete Vorschläge ausgearbeitet. Ich kann nur noch einmal sagen: Mich schockiert, dass Rot-Rot-Grün in Thüringen die V-Mann-Praxis abschaffen will, in diesem Rahmen keine Voraufklärung mehr leisten möchte. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das stimmt doch nicht!) Ich kann nur noch einmal wiederholen: ohne Kenntnis keine Maßnahme. Ich stehe zu dem, was wir hier fraktionsübergreifend beschlossen haben: V-Leute erhalten, klare Richtlinien festlegen. Ich bin davon überzeugt, dass die designierte thüringische Landesregierung mit der Maßnahme, die heute den Medien zu entnehmen ist, das Staatswohl gefährdet und nicht fördert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist heute nicht das Thema! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht es noch ein bisschen kleiner?) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Ströbele, Sie haben ebenfalls die Möglichkeit zu einer Kurzintervention. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Schipanski, ich bedauere es außerordentlich, dass Sie den Konsens der fünf Fraktionen der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages hiermit heute aufgekündigt haben, diese schreckliche Mordserie parteipolitisch nicht zu missbrauchen. Es war ein Konsens – er war für die Arbeit dieses Untersuchungsausschusses prägend –, dass es uns hier einheitlich darum geht – auch ich musste mich manchmal zurückhalten –, das Ganze aufzuklären und alles zu tun, dass so etwas nie wieder passiert. Zwei Jahre lang haben wir das durchgehalten – bis heute –, und Sie stellen sich nun hier in den Deutschen Bundestag hin und nutzen für einen ganz billigen Versuch der parteipolitischen Profilierung dieses Thema, weil Sie mit der möglichen Koalition in Thüringen Probleme haben. Sie nutzen diese Mordserie, um damit Wasser auf die Mühlen Ihrer Partei zu gießen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schäbig ist das!) Das ist überhaupt nicht in Ordnung. Ich meine, Sie sollten sich in Ihrer Erwiderung dafür entschuldigen, (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) das zurücknehmen und wenigstens versuchen, den Konsens bei der Aufarbeitung und Verhinderung solcher Verbrechen wiederherzustellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Schipanski, Sie haben das Wort. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Also, Kollege Ströbele, einen Konsens hat hier heute überhaupt niemand aufgekündigt. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Doch! – Doch, Sie!) Ich habe darauf verwiesen, dass wir einen Konsens haben; wir haben diese Handlungsempfehlungen ja einvernehmlich beschlossen. Wenn jetzt ein Bundesland aus diesem Konsens ausbricht (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Wie denn? Wodurch denn?) und etwas macht, was absolut nicht in diesen Handlungsempfehlungen steht, dann wird man darauf wohl hinweisen dürfen, ohne dass hier behauptet wird, es werde ein Konsens irgendwie aufgekündigt. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie sich doch nicht noch tiefer da rein!) – Nein, ich will Ihnen das so sagen, wie es ist. – Wenn SPD und Grüne in Thüringen es unterstützen, V-Leute abzuschaffen, dann ist das etwas völlig anderes als das, was wir hier beschlossen haben. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist hier nicht das Thema! – Weitere Zurufe von der SPD) Darauf habe ich zu Recht hingewiesen, und ich bin damit, dass ich mir Sorgen mache, nicht allein. Am 9. November waren in Erfurt 4 000 Leute mit Kerzen auf dem Domplatz und haben darauf hingewiesen, was da passiert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das darf doch nicht wahr sein! Schämen Sie sich! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schämen Sie sich! – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN) In diesem Sinne: Schauen Sie jetzt auf die nächste Debatte! Es geht um die Rehabilitierung in der DDR politisch Verfolgter; dazu können Sie sich gerne äußern. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unwürdig! – Gegenruf des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das geht Sie doch nichts an! – Weitere Zurufe der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Weiterer Gegenruf des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ihr habt nicht zu zensieren, warum Leute demonstrieren!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit sind wir am Schluss unserer Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt angekommen; deshalb schließe ich diese Aussprache. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gegenrufe von der CDU/CSU) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/3007 und 18/3150 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Weil ich keinen Widerspruch sehe, gehe ich davon aus, dass Sie damit einverstanden sind. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR Drucksache 18/3120 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Dr. Dietmar Bartsch, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR Drucksache 18/3145 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gegenrufe von der CDU/CSU) Ich eröffne die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt und bitte, sich darauf zu konzentrieren. Das Wort hat als erster Redner Bundesminister Heiko Maas. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht ist dieses Gesetz geeignet, etwas mehr Ruhe ins Hohe Haus zu bringen; denn es geht um ein Thema, das, wie ich glaube, uns allen wichtig ist. Ich freue mich, dass wir gerade in diesen Tagen den Regierungsentwurf für ein Fünftes Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR beraten können. Vor dem historischen Hintergrund des 25. Jahrestages des Falls der Berliner Mauer wollen wir ein Gesetz auf den Weg bringen, das die wirtschaftliche Situation der Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR verbessert. Es soll zugleich den Einsatz jener Menschen, die sich als Vorkämpfer für Freiheit, Demokratie und ein vereinigtes Deutschland gegen das SED-System aufgelehnt haben und deshalb Zwangsmaßnahmen erdulden mussten, stärker würdigen. Wie Sie wissen, hat sich der Deutsche Bundestag schon in der letzten Legislaturperiode mit breiter Mehrheit für eine Überprüfung der Höhe der sogenannten Opferrente starkgemacht. Sowohl von der damaligen Regierungs-koalition als auch von der Opposition hatte es hierzu Entschließungen gegeben. Auf dieser Linie haben CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode eine Erhöhung der Opferrente vereinbart. Nun setzen wir diese Vereinbarung mit dem heute in erster Lesung vorliegenden Gesetz um. Die Opferrente wird um 50 Euro angehoben und steigt damit von 250 auf 300 Euro monatlich. (Beifall im ganzen Hause) Ich will gar nicht erst den Versuch machen, den Eindruck zu erwecken, dass man mit Geld überhaupt das Unrecht wiedergutmachen könnte, das den Betroffenen widerfahren ist; aber ich glaube, nach so vielen Jahren ist man denjenigen, die unter dem Regime gelitten haben, eine Weiterentwicklung der Beträge schuldig. Meine Damen und Herren, die Opferrente wird politischen Häftlingen gewährt, die mindestens 180 Tage Freiheitsentzug erlitten haben. Zudem werden wir die Erhöhung auf eine Leistung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz übertragen: Die monatlichen Ausgleichsleistungen für beruflich durch die SED-Diktatur Geschädigte werden ebenfalls angehoben. Die Ausgleichsleistung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz wurde das letzte Mal vor gut zehn Jahren erhöht. Das zeigt, wie notwendig es jetzt ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei der Opferrente ist es die erste Anhebung seit Inkrafttreten der Regelung im Jahr 2007. Auch da kann man sagen: Es ist wirklich an der Zeit. Wir wollen, dass die Betroffenen schon sehr bald, nämlich ab dem 1. Januar 2015, in den Genuss der angehobenen Leistungen kommen. Die Erhöhung wird über 45 000 ehemaligen politischen Häftlingen zugutekommen, die bereits jetzt im laufenden Bezug sind. Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass auch diese Leistungserhöhungen, wie alle Leistungen nach dem Strafrechtlichen und dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz, von Bund und Ländern gemeinsam finanziert werden. Trotz angespannter Haushaltslagen in vielen Ländern zeigt sich in der weiterhin einvernehmlichen Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern die gelebte gemeinsame Verantwortung für die Unterstützung der Opfer politischer Willkür in der ehemaligen DDR. Insofern bitte ich Sie um Unterstützung für diesen Gesetzentwurf. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Minister. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung will den Betrag der SED-Opferrente erhöhen. Das ist richtig, das ist gut. Wir werden dem zustimmen. (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Aber wir wollen mehr. Deswegen haben wir einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist nicht neu: In der vergangenen Legislaturperiode haben wir einen Entschließungsantrag vorgelegt, und das, was in diesem Entschließungsantrag stand, setzen wir jetzt in Gesetzesform um. Was ist dieses Mehr? Wir wollen, dass diejenigen, die wegen asozialen Verhaltens im Zusammenhang mit den Weltfestspielen der Jugend und Studenten verurteilt wurden, ebenfalls anspruchsberechtigt sind. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen, dass diejenigen, die von Zersetzungsmaßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit betroffen waren und deren Lebensführung durch diese Maßnahmen erheblich beeinträchtigt wurde, mit denjenigen gleichgestellt werden, gegen die Urteile gesprochen wurden, die mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar sind; auch sie sollen anspruchsberechtigt sein. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen, dass der Anspruch ab dem ersten Tag der Haft gilt und nicht erst nach 180 Tagen. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen, dass die Leistungen unabhängig vom Einkommen gewährt werden, als Anerkennung und Würdigung des Einsatzes für Freiheit und Bürgerrechte in der SED-Diktatur. Wir finden es nicht akzeptabel, dass Menschen, die ein Einkommen haben, das mehr als 1 173 Euro beträgt, von diesen Leistungen ausgeschlossen sind. Die Leistungen müssen unabhängig vom Einkommen gewährt werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen, dass es keine Begrenzung der Frist zur Antragstellung gibt. Wir wollen, dass im Zweifelsfall eine Kausalität zwischen Haft und Gesundheitsschädigung als gegeben angesehen wird und es nicht den Betroffenen aufgebürdet wird, diese im Detail nachzuweisen. (Beifall bei der LINKEN) In einer Anhörung im Ausschuss für Kultur und Medien am 5. November – da war unser Gesetzentwurf schon im innerfraktionellen Verfahren – sind genau diese Forderungen von der Union der Opferverbände aufgestellt worden. Ich sage Ihnen: Es gibt keinen Grund, diese Erweiterung abzulehnen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben in den vergangenen Jahren unsere Gesetzentwürfe immer wieder mit dem Argument abgelehnt, dass wir, juristisch gesehen, die Nachfolgepartei der SED sind. (Beifall bei der CDU/CSU – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das ist auch so! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Es geht doch um die Betroffenen!) Deswegen mache ich einen ganz einfachen Vorschlag: Schreiben Sie auf unseren Gesetzentwurf „Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen“, und wir stimmen trotzdem zu. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie etwas tun wollen, dann ersetzen Sie einfach die einreichende Fraktion. Wir werden dem zustimmen. Ich sage Ihnen aber auch: Keine andere Partei in der Bundesrepublik hat sich so intensiv mit der eigenen Geschichte beschäftigt wie unsere Partei, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) angefangen mit dem Referat über den Bruch mit dem Stalinismus als System, mit der Entschuldigung bei den Bürgerinnen und Bürgern der DDR im Dezember 1989. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Wawzyniak, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Vaatz? Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Selbstverständlich. Ich wäre beleidigt, würde keine Zwischenfrage kommen. Arnold Vaatz (CDU/CSU): Frau Wawzyniak, ich kann Ihnen ein solches Beleidigungserlebnis ersparen. – Ich habe mehrere Fragen. Erstens. Sie sind doch sicher mit mir einer Meinung, dass es überhaupt keiner Opferpensionen bedürfte, wenn es nicht das Unterdrückungssystem der SED gegeben hätte. Wenn dem so ist, dass Sie damit übereinstimmen, dann frage ich Sie zweitens, ob Sie sich vorstellen können, dass die Erben der SED einen eingetragenen Verein gründen, in den sie jeden Monat 5 Prozent ihres Einkommens einzahlen, um all die noch vorhandenen Mängel, die Sie gerade anführen, zu begleichen. (Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Opferfonds!) Meine dritte Frage. Sie sagen, Sie hätten die intensivste Aufarbeitung von allen Parteien überhaupt betrieben. Wie stehen Sie dazu, dass Sie alles, was Sie hinterlassen haben, in die Haftung der Gemeinschaft schieben wollen, aber keinerlei Bereitschaft zeigen, auch nur einen Pfennig persönliche Haftung für das von Ihnen angerichtete Unglück zu übernehmen? Ganz im Gegenteil: Sie feilschen um jeden einzelnen Pfennig gegenüber der Gemeinschaft, wenn es beispielsweise um die Renten von ehemaligen Stasileuten geht. (Beifall bei der CDU/CSU) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frage eins. Sie haben recht, wir müssten darüber nicht reden, hätte es die SED-Diktatur nicht gegeben. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Frage zwei. Wir können gerne einen Verein gründen. Ich bin auch gerne dazu bereit, Gründungsmitglied zu werden und persönlich Geld zur Verfügung zu stellen. Frage drei. Was die Kosten angeht: Ihnen ist sicherlich bekannt, dass im Jahr 1990 circa 4 Milliarden DDR-Mark vom Vermögen der SED in den Staatshaushalt der DDR überführt worden sind. Ihnen ist sicherlich bekannt, dass im Jahr 1995 ein rechtsgültiger Vergleich geschlossen worden ist, in dem wir auf das Vermögen, das nicht rechtsstaatlich erworben wurde, verzichtet haben. (Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Den Rest haben Sie versteckt!) Ihnen ist sicherlich bekannt, dass es eine Blockpartei CDU gab, die auch rechtsstaatlich nicht gerechtfertigtes Vermögen besessen hat. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Und behalten hat!) Sie können sich wieder setzen; denn ich würde gerne in meiner Rede fortfahren, wenn das okay ist. – Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen aber auch: Wir haben Schlussfolgerungen aus unserer Geschichte gezogen. Soziale Gerechtigkeit und Freiheit sind zwei Seiten derselben Medaille. Keine von beiden hat, abstrakt gesehen, einen höheren Wert; das eine ist ohne das andere nichts, aber auch gar nichts wert. Wir haben Ihnen vor dem Hintergrund dieser Geschichte diesen Gesetzentwurf vorgelegt. Ich habe Ihnen jetzt zwei Wege aufgezeigt, wie Sie diesem Gesetzentwurf zustimmen können und wie statt Worten tatsächlich auch Taten folgen können. Variante 1: Sie stimmen unserem Gesetzentwurf zu. Variante 2: Sie schreiben einfach „CDU/CSU, SPD, Grüne, Linke“ obendrüber, wobei Sie „Linke“ auch weglassen können; wir stimmen trotzdem zu. Ich will Ihnen zum Schluss noch etwas sagen. Dinge, die geschehen sind, können wir nicht ungeschehen machen. Ich selbst war zur Wendezeit 16 Jahre alt. Ich habe 25 Jahre meines Lebens damit verbracht, mich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte hat dazu geführt, dass wir genau diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Wir können es nicht ungeschehen machen, aber wir können dafür sorgen, dass den Opfern der SED-Diktatur mehr Gerechtigkeit widerfährt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Dr. Stefan Heck spricht als Nächster für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Sonntag feierte ganz Deutschland den Mauerfall vom 9. November 1989 und damit den endgültigen Niedergang des SED-Unrechtsstaats. Heute, nur wenige Tage später, beraten wir hier über die Erhöhung der SED-Opferrente. Das ist nach so langer Zeit beileibe keine Selbstverständlichkeit. Deswegen möchte ich mit einer eigentlich ganz naheliegenden Frage beginnen: Ist es nach nunmehr über 25 Jahren tatsächlich noch notwendig, sich im Deutschen Bundestag weiterhin mit dem Unrechtsregime eines inzwischen untergegangenen Staates zu befassen? Ich bin der festen Überzeugung, dass es notwendig ist. Lassen Sie mich dafür drei Gründe nennen: Es ist erstens notwendig, weil wir im Aufarbeitungsprozess immer weiter fortschreiten und bestehende Regelungen schon deswegen immer wieder überprüfen müssen. Es ist zweitens notwendig, weil der Umgang mit geschehenem staatlichen Unrecht immer auch ein Gradmesser für die Selbstachtung eines Rechtsstaats ist. Es ist drittens notwendig, weil wir – das finde ich eigentlich am wichtigsten – diejenigen niemals vergessen dürfen, die der zweiten Diktatur auf deutschem Boden als Erste den Gehorsam verweigerten. Die Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR verdienen unsere Solidarität und unsere Anerkennung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Entschädigung der Opfer staatlichen Unrechts auf deutschem Boden hat in der Bundesrepublik gute Tradition. Während sich die DDR nach dem Zweiten Weltkrieg der Entschädigung der NS-Opfer mit dem zynischen Argument entzog, sie gehörten zu den antifaschistischen Siegern des Zweiten Weltkriegs – das gehört zur Geschichte dazu, Frau Wawzyniak –, war für die Bundes-republik von Anfang an das klar, was Konrad Adenauer im Deutschen Bundestag am 27. September 1951 gesagt hat – Zitat –: Im Namen des deutschen Volkes sind … unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten … Die Erklärung Adenauers wurde damals, wie das Protokoll vermerkt, im ganzen Hause mit lebhaftem Beifall bedacht, außer bei der KPD und auf der äußersten Rechten. Die junge Demokratie – sie war damals ja erst wenige Jahre alt – hatte erkannt: Es bedarf zur Selbstachtung ihrer eigenen Werte sichtbarer Zeichen der Wiedergutmachung zugunsten derjenigen, die in den Zeiten totalitärer Diktatur schwer gelitten hatten. (Zurufe der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Das haben wir auch in der Freude über die Wiedervereinigung nicht vergessen. Unsere Vorgänger im Deutschen Bundestag haben damals das nachgeholt, was die DDR versäumt hatte. Wir haben die Entschädigung für die NS-Opfer beschlossen, die in der Zeit bis 1945 auf dem Gebiet der späteren DDR Opfer von Verfolgungsmaßnahmen wurden. Hier hat sich die SED 40 Jahre lang ihrer gesamtdeutschen Verantwortung entzogen. Liebe Frau Wawzyniak, es ist eigentlich kein weiterer Beweis dafür mehr erforderlich, dass Sie in dieser Frage keine besonders glaubwürdigen Vertreter sind. (Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie können unserem Gesetzentwurf trotzdem zustimmen!) Herr Minister, Sie haben es gesagt: Eine finanzielle Entschädigung kann geschehenes Leid niemals rückgängig machen. – Aber sie ist das Mindeste, was wir für die Opfer tun können. Staatliches Unrecht auf deutschem Boden geht uns alle etwas an. Inzwischen konnten 47 000 Menschen von der sogenannten Opferrente profitieren. Allein diese Zahl sollte Anlass genug sein, dass wir uns heute wieder mit diesem Thema beschäftigen, zumal – auch das haben Sie gesagt – die Beträge der Opferrente seitdem nicht erhöht worden sind. Wir tragen damit den berechtigten Interessen der Opferverbände Rechnung. Was die Höhe der Entschädigung angeht – auch da gibt es ja ganz unterschiedliche Forderungen –, glaube ich, dass wir gut beraten sind, weiterhin an dem Grundsatz festzuhalten, dass die Höhe der Entschädigungsleistungen für die NS-Opfer die Obergrenze für die Entschädigungsleistungen für die Opfer des SED-Unrechts bildet. Die monatliche Beihilfe für NS-Opfer beträgt nach dem Abkommen gegenwärtig 310 Euro. Vor diesem Hintergrund erscheint es uns angemessen, dass die monatlichen Zuwendungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz um 50 Euro auf nunmehr 300 Euro angehoben werden. So bleibt auch die Verhältnismäßigkeit zwischen den Opfergruppen und den dahinterstehenden Schicksalen gewahrt. Ich möchte noch einmal sagen: Kein Geldbetrag kann das Leid rückgängig machen. Eine Opferrente wird immer einen symbolischen Charakter haben. Wir sollten heute, denke ich, auch anerkennen, dass die Opfer willkürlicher SED-Haft mit den genannten Beträgen bessergestellt werden als jemand, der nach erlittener Untersuchungs- oder gar Strafhaft als unschuldig entlassen und entschädigt wird. Die Situationen sind nur schwer vergleichbar, aber es gibt ja auch den Fall, dass jemand -sozusagen ganz rechtsstaatlich, aber am Ende doch unschuldig bestraft wurde und der Zahlung einer staat-lichen Entschädigungsleistung als Wiedergutmachung bedarf, die das Gesetz heute schon vorsieht. Die Gewährung einer Geldrente bleibt aber mit guten Gründen den Opfern totalitärer Diktatur vorbehalten. Damit erkennen wir das besondere Unrecht an, das diesen Opfern widerfahren ist. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und 177 Tage Knast reichen nicht, oder was?) Frau Wawzyniak, gerade weil die Opfer willkürlicher Haft in der DDR zu Recht in privilegierter Weise entschädigt wirken, müssen wir den Kreis der Anspruchsberechtigten auf die wirklichen Opfer eingrenzen und Missbrauch erschweren. Deswegen halte ich auch nichts von Ihren Vorschlägen, die Erhöhung jetzt an eine Art Beweislastumkehr zu knüpfen, bis hin zu einem Amts-ermittlungsgrundsatz, oder sie an eine Kausalitätsvermutung zu koppeln. Wir müssen doch dafür sorgen, dass vor allem diejenigen weiterhin von der Gewährung der SED-Opferrente ausgeschlossen bleiben, die wissentlich und willentlich mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Das wäre ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die hinreichend nachweisen können, dass sie Opfer dieses verbrecherischen Regimes waren. Uns ist es wichtig, dass wir auch weiterhin dafür sorgen, dass diejenigen, die eine Stasivergangenheit haben, die schwerste Verbrechen begangen haben, von der Gewährung der SED-Opferrente ausgeschlossen bleiben. Deshalb ist es wichtig, dass der Beweis über das Vorliegen der Rehabilitierungsvoraussetzungen, wie es das Gesetz vorsieht, weiterhin vom Antragsteller erbracht werden muss. Die privilegierte Entschädigung durch eine Opferrente wollen wir auch weiterhin auf die -wirklich bedürftigen Opfer beschränken. Das, Frau Wawzyniak, ist auch der Sinn der Mindesthaftdauer von 180 Tagen in diesem Gesetz. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: 175 waren nicht so schlimm, oder was?) – Selbstverständlich, Frau Wawzyniak, ist jeder Tag, den ein Unschuldiger in Haft verbringt, ein Tag zu viel. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja!) Deshalb bekommen auch Opfer der SED-Diktatur, die kürzer als diese Mindesthaftzeit eingesessen haben, eine Entschädigung, nämlich eine einmalige Entschädigung gemessen an der Haftzeit. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig!) Aber eine Haftzeit von wenigen Tagen oder Wochen kann eben nicht verglichen werden mit dem Leid, dem Unrecht und auch den psychischen Folgen, die Menschen erlebt haben, die über ein halbes Jahr im Gefängnis eingesessen haben. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist doch absurd!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, ich will zum Abschluss noch einmal in besonderer Weise auf Ihre Vorschläge eingehen. Sie haben ja hier in beeindruckender Offenheit gesagt, dass es Ihre Partei war, die bis 1989 das Unrecht in der DDR an allererster Stelle verantwortet hat. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja!) Damals war an Entschädigung derjenigen, die Unrecht erlebt haben, nicht zu denken. Ich habe von den NS-Opfern gesprochen, die in der DDR 40 Jahre auf ihre Entschädigung gewartet haben. Insofern ist es schon beachtlich, dass ausgerechnet Sie sich hier heute an die Spitze derjenigen stellen, die eine Entschädigung fordern. Frau Wawzyniak, bei all dem, was Sie hier gesagt haben, was Sie hier ja wortreich und konziliant vorgetragen haben, habe ich einen Satz vermisst. Wenn Sie wirklich etwas für die Wiedergutmachung des durch Ihre eigene Partei verursachten Unrechts tun wollen, dann schlage ich Ihnen vor: Stellen Sie sich hier vorne hin, und sagen Sie uns ohne Wenn und Aber, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Definieren Sie „Unrechtsstaat“!) Damit tun Sie mehr für die Opfer dieses Systems als mit Ihren Vorschlägen, die heute hier vorliegen. (Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie wollten doch etwas zu unseren Vorschlägen im Detail sagen! Kommt das noch?) In dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wird zum einen ein wichtiger Punkt des Koalitionsvertrags zwischen CDU/CSU und SPD umgesetzt. Zum anderen würdigen wir – und das ist noch viel wichtiger – durch die Erhöhung der SED-Opferrente den Einsatz all derjenigen Menschen, die in der DDR, ungeachtet persönlicher Nachteile, für Freiheit und Demokratie gekämpft haben und dafür verfolgt und eingesperrt wurden. Die Erhöhung der Opferrente ist ein wichtiger Ausdruck unserer Wertschätzung ihres Einsatzes. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Katja Keul. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer wie ich zur Zeit der Mauer im Westen groß geworden ist, hat in der Regel wenig Bezug zu Opfern von SED-Unrecht gehabt. Mir ist die Realität erstmals als Scheidungsanwältin begegnet, als eine Mandantin aus unerfindlichen Gründen trotz meiner unterstützenden Hinweise die Formulare zum Versorgungsausgleich partout nicht ausfüllen konnte oder wollte. Sie kam aus dem Osten, aber im Übrigen schien es ein Routinefall ohne besondere Umstände zu sein. Irgendwann brach es während einer Beratung aus ihr heraus, wobei sie am ganzen Körper zitterte: Sie war als Jugendliche als asozial eingestuft und bereits mit 16 inhaftiert worden. Was sie mir an diesem Tag schilderte, hat mir erstmals auch emotional nahegebracht, was SED-Unrecht bedeutet. Die Bundesregierung hat uns heute einen Gesetzentwurf zur Aufstockung der Opferrente für die von der politischen Verfolgung in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone und der Deutschen Demokratischen Republik Betroffenen vorgelegt. Zum 1. Januar 2015 soll die monatliche Zuwendung nach § 17 a des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes um 20 Prozent, die monatliche Ausgleichszahlung nach § 8 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes von 184 auf 214 Euro aufgestockt werden. Dies sind die ersten Erhöhungen seit der Einführung der Zuwendungen im Jahre 2007 bzw. 2003 und damit längst überfällig. Der eingeschlagene Weg ist zu begrüßen. Auch vor dem zeitlichen Hintergrund des 25. Jahrestages des Mauerfalls hat dies durchaus eine symbolische Wirkung. Doch ist dies auch ausreichend? In der Denkschrift der Bundesregierung zum Einigungsvertrag heißt es ausdrücklich, dass die Rehabilitierung aus rechtspolitischen, humanitären und sozialen Gründen geboten sei, um das Unrecht und seine Auswirkungen im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zu beseitigen. Eine Erhöhung um 50 Euro erscheint mir zur Umsetzung dieses Zieles zu wenig. Seit der Einführung der Opferrente werden die Außerachtlassung bestimmter Opfergruppen sowie das Kriterium der finanziellen Bedürftigkeit vonseiten des Dachverbandes der SED-Opfer zu Recht kritisiert. Die Rente dient als Ausgleich für das erlittene Unrecht und wird ohne hinreichenden Grund zu einer Sozialleistung gemacht. Herr Maas, Sie haben gesagt, man will die wirtschaftlichen Bedingungen für die Opfer verbessern. Aber wenn der höhere Betrag auf Sozialleistungen angerechnet wird, dann ändert sich für die Betroffenen nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Um dem eigentlichen Ziel gerecht zu werden, sollte sie also einkommensunabhängig ausbezahlt werden. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: So ist es!) Ebenso ist die Beschränkung des Kreises der Anspruchsberechtigten auf ehemalige Häftlinge, die mindestens 180 Tage im Gefängnis verbringen mussten, sehr problematisch. Was ist denn mit denen, die nur wenige Wochen im Stasigefängnis malträtiert wurden? Sind sie deshalb keine Opfer? Was ist mit den verfolgten Schülerinnen und Schülern, wie die eingangs erwähnte Mandantin? Was ist mit den aus dem Grenzgebiet Zwangsausgesiedelten? Diese Gruppen erhalten bislang keine Ausgleichsleistungen. Das ist ungerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Auch die Leistungssportler der DDR, denen die Einnahme von Dopingmitteln oft ohne deren Wissen bereits im Kindes- und Jugendalter staatlich verordnet wurde und die bis heute mit den schweren gesundheitlichen Langzeitfolgen dieser Vorgehensweise zu kämpfen haben, müssen in den Kreis der Anspruchsteller mit aufgenommen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die dadurch erlittenen Einbußen wie Schwerbehinderungen und Persönlichkeitsstörungen werden für diese Personen mit zunehmendem Alter gravierender, sodass es mit einer Einmalzahlung in diesem Bereich nicht getan ist. Meine Fraktion hat bereits im Februar 2013 einen Antrag zur Einführung einer Rente für Dopingopfer der DDR eingebracht. Getan hat sich bislang nichts. Herr Maas, Sie haben sich kürzlich zusammen mit Herrn de Maizière auf einen Entwurf für ein Anti-Doping-Gesetz verständigt. Die Dopingopfer wurden jedoch auch hier nicht berücksichtigt. Das ist bedauerlich. Mit der jetzigen Gesetzesänderung bewegt sich die Bundesregierung lediglich mit kleinen Schritten in die richtige Richtung. Die Opfer benötigen jedoch eine deutlichere und offensivere Gangart, um die angemessene Anerkennung – und darum geht es ja, jedenfalls mehr als um die Beträge – des erlittenen Unrechts zu erfahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aus diesem Grund fordern wir Grüne, dass alle Betroffenen der Zersetzungsmaßnahmen des Staatssicherheitsdienstes in die Gewährung der Opferpension einbezogen werden und vollständig auf die Bedürftigkeitsprüfung verzichtet wird. Zudem sollen Personen mit einer Haftzeit von weniger als 180 Tagen zumindest eine anteilige besondere Zuwendung erhalten. Der zu diesem Thema vorgelegte Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke greift einige der genannten Punkte auf, etwa die Unabhängigkeit vom Einkommen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode Ihrem Entschließungsantrag zugestimmt. Wir werden jetzt den vorliegenden Gesetzentwurf prüfen. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir zusammenkommen. Ich hoffe auch, dass die Anhörung in der nächsten Sitzungswoche weitere Wege aufzeigt, wie wir angemessen mit dem Thema umgehen können. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Matthias Bartke spricht jetzt für die Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Bartke (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, die Zuwendung für Opfer des SED-Unrechts zu erhöhen. Ich finde, es gibt keinen besseren Zeitpunkt hierfür als den Monat, in dem sich der Mauerfall zum 25. Mal jährt. Jeder Betroffene reagiert unterschiedlich auf Repressionen eines Unrechtssystems. Manche stecken dies weg und leben danach unbeschwert weiter und auch beruflich erfolgreich weiter. Andere allerdings erholen sich nie wieder wirklich von dieser Erfahrung und kommen nicht mehr auf die Beine. Die beiden Opferrenten, die wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf aufstocken werden, sind gerade für diese Opfer gedacht. Sie sind für diejenigen, die die traumatischen Erfahrungen der Haft und der Repression nicht verwunden haben und wirtschaftlich nicht mehr auf die Beine gekommen sind. Das klingt abstrakt. Ich habe vor einigen Wochen mit einer meiner Besuchergruppen das Stasigefängnis Hohenschönhausen besucht. Ich kann das nur jedem empfehlen. Ich war von diesem Besuch tief erschüttert. Das war nämlich überhaupt nicht mehr abstrakt, sondern beklemmend konkret. Das Stasiuntersuchungsgefängnis in Hohenschönhausen war nur eines von 17 Stasiuntersuchungsgefängnissen in der DDR. Das Prinzip dieser Gefängnisse bestand darin, die Häftlinge zu erniedrigen und zu brechen. Mit staatlichen Repressionen mussten nicht nur Republikflüchtlinge rechnen. Das galt beispielsweise auch für Teilnehmer des Aufstands vom 17. Juni 1953, für die Zeugen Jehovas und auch für in Ungnade gefallene Politiker wie etwa Walter Janka und Wolfgang Harich. Seit Gründung der DDR kamen aus politischen Gründen zwischen 200 000 und 250 000 Menschen ins Gefängnis. Aber natürlich waren die Gefängnisse nur die Spitze des Eisbergs, des Repressionssystems der DDR. Noch wichtiger als die Verhaftung und Verurteilung von Fluchtwilligen und Andersdenkenden war die abschreckende Wirkung, die davon ausging. Den meisten Menschen in der DDR war eben immer bewusst, dass man sie, wenn sie sich auflehnten, jederzeit verhaften konnte. Sie wussten, dass sie der Stasi dann schutzlos ausgeliefert waren, dass sie ihre Arbeitsstelle und jede berufliche Perspektive verlieren konnten. Der Kontroll- und Überwachungsapparat des MfS wurde im Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut. Am Ende verfügte die Stasi über 91 000 hauptamtliche und über 180 000 inoffizielle Mitarbeiter, die sogenannten IMs. Zum Vergleich: Das ist mehr als die Bundeswehr heute an Soldaten hat. Ganz besonders tragisch sind in meinen Augen die Fälle, bei denen die Stasi die psychische Bedrängnis der Opfer in ihren Gefängnissen ausgenutzt hat, um sie zu einer Zusammenarbeit zu drängen. Das lief dann häufig nach dem Motto „Wir könnten Ihre Haft natürlich verkürzen; Sie müssten sich nur etwas kooperationswilliger zeigen“. In solchen Situationen, Herr Heck, sind dann doch viele Menschen schwach geworden und haben die IM-Erklärung unterzeichnet. Ich finde, man sollte vorsichtig sein mit Vorwürfen und Verurteilungen denen gegenüber, die in einer solchen Situation schwach geworden sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erhöhen wir die Opferrenten nach dem Strafrechtlichen und dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz. Das ist nicht nur eine monetäre Maßnahme. Es ist vor allem auch von Staats wegen eine moralische Anerkennung des erlittenen Unrechts. Für viele ist das noch viel wichtiger als die Geldleistung: die Anerkennung, dass man selbst keine Schuld hatte und dass es der Staat DDR war, der verbrecherisch gehandelt hat. Gerade für die vielen Opfer des SED-Regimes war es daher wichtig, dass Rot-Rot-Grün in Thüringen klargestellt hat, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Ich finde, Frau Wawzyniak, dass Sie hier noch einmal sehr beeindruckend klargestellt haben, dass dies der Fall gewesen ist. (Dr. Stefan Heck [CDU/CSU]: Habe ich nicht gehört!) Für eine zukunftsorientierte Politik ist es von eminenter Bedeutung, dass das historische Fundament stimmt. Hierzu gehört in erster Linie eine gemeinsame Bewertung der jüngeren Vergangenheit unseres Landes. Zu einer zukunftsorientierten Politik gehört auch, dass man sich zu seiner Vergangenheit bekennt und daraus die Lehren zieht. Weiter gehört dazu, dass die Opfer des DDR-Unrechts für ihre erduldeten Leiden wertgeschätzt werden und eine Entschädigung erhalten. Die geplanten Opferrentenerhöhungen sind daher ein wichtiges und richtiges Signal zu einem symbolträchtigen Zeitpunkt. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Mauer ist vor 25 Jahren gefallen – und damit der SED-Unrechtsstaat. Die Opfer leiden noch heute. „Zu viele Verbote und zu wenig Rechte gab es in diesem Land“ – das schreibt der Autor Jürgen Brand in seinem Buch „Hafterlebnisse eines DDR-Bürgers“. Er wollte frei sein, seine Meinung äußern, und war dann Opfer von Stasibespitzelung und Bedrängung. Er musste 20 Monate inhaftiert in einer Stasihaftanstalt verbringen. Dort wurde er in Einzelhaft gehalten, durfte nicht schreiben und nicht lesen. Er befand sich in Isolation und ist durch Mitarbeiter der Staatssicherheit bedrängt worden. „Die Haft dauert an“, schreibt Angelika Cholewa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Auch sie wollte frei sein und in den Westen übersiedeln. Bei einem Fluchtversuch an der Grenze zur damaligen Tschechoslowakei wurde sie verhaftet und musste über drei Jahre in DDR-Haft verbringen. Sie wurde in der Haft schwer krank und bekam nicht die notwendige medizinische Versorgung. Ganz im Gegenteil: Man hat ihr sogar noch gedroht und vorgemacht, dass ihre Mutter im Sterben liege und sie diese nur sehen dürfe, wenn sie Mitglied der Stasi werde. Jürgen Brand und Angelika Cholewa sind nur zwei von vielen Hunderttausend Opfern dieser Diktatur. Wenn beinahe 40 000 Menschen zurzeit eine SED-Opferrente beziehen, dann geht es um 40 000 Schicksale. Es handelt sich um 40 000 Menschen, die allesamt länger als ein halbes Jahr in Stasihaft waren und über ein halbes Jahr Verzweiflung und schreckliche Erlebnisse durchmachen mussten. Wer vor dem Hintergrund dieser Schicksale immer noch nicht erkannt hat, welche Dimension der Unrechtsstaat der SED hatte, der verhöhnt die Opfer, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Wir müssen bei der Bemessung der SED-Opferrente eine kluge und rechtsstaatlich exakte Abwägung vornehmen. Natürlich kann gesagt werden, dass 350, 400 oder 450 Euro immer noch besser seien als das, was wir in diesem Gesetzentwurf vorschlagen. Der entscheidende Punkt aber ist, dass wir bei der Bewältigung der Leiden der Opfer zweier Diktaturen auf deutschem Boden die Frage der Gleichmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit zu beachten haben. Deswegen meine ich, sollten die Opfer der SED-Diktatur so behandelt werden wie die Opfer der NS-Diktatur, nicht schlechter, aber auch nicht besser. Dieser Staat behandelt diese Opfergruppen gleich, weil damit auch das Signal ausgeht: Wir wollen weder auf dem Boden dieses Landes noch in Europa jemals wieder Zustände wie in der SED-Diktatur oder während des NS-Regimes haben. Natürlich kann Geld eine verwundete Seele nicht heilen oder den Rechtsstaat wieder in die Balance bringen; aber wir sind vor dem Hintergrund unserer Geschichte und dem, was die Opfer durchgemacht haben, sowie vor dem Hintergrund ihrer eigenen Selbstachtung verpflichtet, sensibel mit diesem Thema umzugehen und die SED-Opferrente an dieses Niveau anzupassen. Die Tatsache, dass wir erst im Jahr 2007 – übrigens auch damals unter der Führung einer Großen Koalition – die SED-Opferrente eingeführt haben, zeigt, dass wir da vielleicht zu lange gezögert haben. An dieser Stelle sei auch den Opferverbänden gedacht und gedankt, die dieses Thema über viele Jahre hinweg im Bewusstsein der Öffentlichkeit halten und die Opfer vertreten, die angesichts des ihnen beigefügten Leides oftmals gar nicht in der Lage sind, ihre Erfahrungen in der Öffentlichkeit zu artikulieren. Ich habe mich lange genug geschämt, sagt ein Opfer der SED-Diktatur. Das Symbol und die Botschaft dieser heutigen Debatte müssen auch sein: Es darf und es muss sich kein Opfer mehr schämen. Die Symbolik muss auch sein: Die Opfer der SED-Diktatur sind nicht allein. Sie haben unsere Solidarität und unsere Unterstützung, weil es unser aller Anliegen ist, dass sie rehabilitiert werden und einen Ehrenplatz in der Mitte unserer Gesellschaft finden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege Ullrich. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/3120 und 18/3145 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall; denn ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom Drucksache 18/3050 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne zugleich die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Linke bringt ihren Antrag für bundeseinheitliche Netzentgelte von der Ostsee bis zu den Alpen ein. Der Forderungsteil ist kurz – ich zitiere –: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine bundeseinheitliche Wälzung der Stromnetzentgelte für Privat- und Gewerbekunden vorsieht. (Beifall bei der LINKEN) Wälzung ist die Umlage der Kosten des Netzes über den Strompreis. Warum fordern wir dies? Die Netze und ihre Betreibung sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aber gerade in strukturschwachen Regionen sind die Netzentgelte am höchsten. Nach einer Studie der TU Dresden, beauftragt durch die Sächsische Staatsregierung, betrugen im Jahr 2013 die Netzentgelte in Düsseldorf 4,03 Cent je Kilowattstunde, gleichzeitig 9,29 Cent je Kilowattstunde im Havelland. (Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!) Bis 2023 würden diese Unterschiede, würden wir so weitermachen wie bisher, von 4,77 Cent bis auf 14,3 Cent je Kilowattstunde ansteigen. Das wären inklusive Mehrwertsteuer Preisunterschiede beim Endkunden zwischen heute 6 Cent und über 11 Cent im Jahr 2023. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Schweinerei!) Welche sind die Ursachen dafür? Eine Ursache ist das Alter der Stromleitungen. Ältere Leitungen verursachen weniger Abschreibungskosten; sie sind damit tendenziell billiger. Auch die Bevölkerungsdichte ist entscheidend: Wenn in einer Region weniger Stromkundinnen und -kunden leben, ist natürlich auch die Anzahl derer, die die Netzentgelte tragen müssen, geringer. Und: Sondertatbestände werden unterschiedlich gewichtet. Die Kosten von KWK-Anlagen, also von Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen, werden bundeseinheitlich umgelegt. Die Kosten von Offshore-Anlagen werden bundeseinheitlich umgelegt. Industrierabatte werden bundeseinheitlich umgelegt. Die Aluminiumhütten in Hamburg beispielsweise, die für zusätzliche Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen in Hamburg sorgen, bekommen die Stromrabatte von allen Kundinnen und Kunden bundesweit finanziert. Hingegen: Die Kosten für Transportverluste beim Strom, die Redispatch-Kosten, das heißt die Kosten zur Sicherung der Netzstabilität, und die Regelenergiekosten werden nur regional umgelegt, und zwar dort, wo sie anfallen, und das, obwohl die damit bezahlten Leistungen für ein funktionierendes gesamtdeutsches Stromnetz zwingend erforderlich sind. Wir fordern ein Ende dieser Ungleichbehandlung. (Beifall bei der LINKEN) Ein weiterer Grund ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Gerade in den Regionen, in denen besonders die erneuerbaren Energien ausgebaut werden, fallen vor allem hohe Netzentgeltkosten an, zum Beispiel aufgrund von Netzverstärkung. Ich möchte Ihnen ein konkretes Beispiel nennen: Eon erzeugt im Windpark Schönwalde Südost im Landkreis Dahme-Spreewald Strom. Die dortigen Bewohnerinnen und Bewohner zahlen auf den Strompreis Netzentgelte in Höhe von 9,11 Cent je Kilowattstunde. Die Gewinne dieses Windparks fließen zur Eon-Zentrale nach Düsseldorf. Dort beträgt das Netzentgelt 4,03 Cent. Schön für die Düsseldorferinnen und Düsseldorfer! Der Landkreis Dahme-Spreewald hat einen Windpark mit unverstelltem Blick auf Windräder, es findet dort eine Zerschneidung der Landschaft durch die Stromtrassen statt, und wegen dieses Windparks sind die Stromkosten um 6 Cent höher. Das ist ungerecht. (Beifall bei der LINKEN – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Schweinerei! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das muss beendet werden!) Diese Ungerechtigkeit betrifft Regionen in Oberfranken, in Niedersachsen, in Vorpommern, in Brandenburg, in Thüringen. Diese Regionen haben eine Belastung durch die Erzeugung der erneuerbaren Energien und eine Belastung durch die Stromtrassen, ihre Natur wird zerschnitten, und dafür müssen sie auch noch zusätzliche Netzentgelte zahlen. So wird die Energiewende nicht funktionieren. (Beifall bei der LINKEN) Wir fordern natürlich nicht, dass Windräder auf der Düsseldorfer Kö installiert werden. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Na ja, eine Idee wäre es!) Aber wir fordern von den strukturstarken, dicht besiedelten Regionen Solidarität ein. Auch sie sollen ihren Beitrag zu den Netzentgelten leisten. Deswegen fordern wir einheitliche Netzentgelte. (Beifall bei der LINKEN) Dies würde im Übrigen auch dazu führen, dass Investoren keinen Bogen mehr um strukturschwache Regionen machen würden, weil der Strom dort einfach zu teuer ist. Gemeinsam können wir die Akzeptanz der Energiewende erhöhen, wenn es uns gelingt, die Netzentgelte zu vereinheitlichen. Wir haben unseren Antrag vorgelegt. Er ist ein Diskussionsbeitrag. Es gibt weitere Ungerechtigkeiten, die wir nicht erwähnt haben, zum Beispiel die Ungerechtigkeit der Netzentgeltbefreiung. Durch die Abschaffung der Netzentgeltbefreiung könnten im Übrigen auch die notwendigen Erhöhungen in einigen Gebieten kompensiert werden. Wir haben bewusst darauf verzichtet, dies anzusprechen, damit die bei einigen Fraktionen bekannten Reflexe, wenn man an Subventionen für die Industrie herangeht, nicht auftreten. Wir wollen offen diskutieren. Es gibt weitere Probleme. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, ob man die Netzentgelte zukünftig vielleicht nicht mehr nach dem Kilowattstundenverbrauch, sondern nach der Anschlussleistung berechnet. Wir können über alles reden; wir sind offen. Das Ziel muss aber sein, bei der Verteilung der Lasten für Gerechtigkeit zu sorgen, damit wir gemeinsam eine erfolgreiche Energiewende hinbekommen. Deswegen bitte ich Sie ausdrücklich: Sorgen wir gemeinsam dafür, dass die Netzentgelte in der Bundesrepublik einheitlich werden! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege Thomas Bareiß. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Lieber Herr Lenkert, die Forderung nach einer bundeseinheitlichen Wälzung der Stromnetzentgelte für Privat- und Gewerbekunden scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar zu sein. Ungleiche Preise sind immer für diejenigen ein Ärgernis, die davon negativ betroffen sind. Beispiele gibt es zur Genüge: Der Münchner Mieter wünscht sich die Mieten von Schwerin, der Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs in Stuttgart würde gerne Berliner Preise bezahlen, und das Kilo Äpfel kostet auf dem Land wahrscheinlich etwas weniger als in der Stadt. Auch bei den Netzentgelten gibt es Unterschiede. Hier trifft es viele Regionen in den neuen Ländern, wie gerade schon beschrieben, aber auch vermehrt den ländlichen Raum in ganz Deutschland. Die Verbraucher aus diesen Regionen zahlen höhere Netzentgelte und damit auch höhere Strompreise, da die Kosten im Verteilnetz auf die betroffenen Kunden nur regional umverteilt werden. Auch wenn ich den Unmut der Betroffenen nachvollziehen kann, so gilt grundsätzlich: Eine Marktwirtschaft braucht auch Preisunterschiede. Nur so können Angebot und Nachfrage effizient ausgeglichen werden. Gleichmacherei ist zwar die vermeintlich leichte Lösung, jedoch nicht nachhaltig und auch nicht immer gerecht. Bundeseinheitliche Netzentgelte sind weder gerecht, noch schaffen sie ausreichend Anreize, den Netzausbau stärker mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu synchronisieren. Im Gegenteil: Sie schaffen weitere Gerechtigkeitsdebatten und Ineffizienzen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Bareiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung des Kollegen Lenkert? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Nein. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Er muss noch zum Flieger!) Es gibt gute Gründe für regionale und differenzierte Netzentgelte. Erster Grund: In den neuen Bundesländern wurden die Netze nach der Wiedervereinigung umfangreich modernisiert; das wurde gerade beschrieben. Das war auch dringend notwendig. Die daraus resultierenden langfristigen Abschreibungskosten sind nun von den örtlichen Kunden zu tragen. Auch diese profitieren von den Investitionen. Das wird sich aber in den nächsten Jahren ändern; denn in den nächsten Jahren sind verstärkt Neuinvesti-tionen in die Netze in den alten Bundesländern erforderlich. Auch hier braucht es moderne Netze, die sich an die zukünftigen Herausforderungen anpassen. Deshalb wird es in den nächsten Jahren zwangsläufig auch hier zu Verschiebungen kommen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nein!) Zweiter Grund – auch dieser wurde schon genannt –: Der zukünftige enorme Ausbau der erneuerbaren Energien findet vor allem in den ländlichen Regionen und nicht in Ballungsräumen statt. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Eben drum!) Das gilt sowohl für den Westen als auch für den Osten unseres Landes. Deshalb kann man Düsseldorf auch nicht mit dem Havelland in Brandenburg vergleichen – das war das Beispiel, das Sie vorhin genannt haben –, so wie das auch in Ihrem Antrag zu finden ist. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Lesen Sie doch noch einmal nach! Die Argumentation war anders!) Auch in meiner Heimat, in Baden-Württemberg, gibt es ländliche Gebiete mit einem stärkeren Zubau der erneuerbaren Energien (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Deswegen wollen wir ja bundesweit!) und entsprechend höheren Netzentgelten. Das gilt natürlich auch für die dünn besiedelten Gebiete der neuen Bundesländer, in denen derzeit ein starker Ausbau von erneuerbaren Energien erfolgt. So ist die Ökostromproduktion in Ostdeutschland um 10 Prozent höher als im Westen. Eines kann man schon heute sagen: Der Schwerpunkt der hohen Netzentgelte wird sich in den kommenden Jahren noch stärker in den ländlichen Raum verlagern, auch in den alten Bundesländern. Dadurch ergibt sich aber nicht nur ein höheres Netzentgelt, sondern auch eine hohe regionale Wertschöpfung, (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Nein! Eben nicht!) die durch den Ausbau der erneuerbaren Energien gewollt ist und die von diesem Pult aus oftmals beschrieben und gelobt wurde. Der ländliche Raum hat mit der Energiewende ein neues Wachstumsfeld bekommen, (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Die Regionen haben nichts davon!) das im Übrigen von allen Stromverbrauchern mit über 20 Milliarden Euro jährlich subventioniert wird. Niemand profitiert von der Energiewende mehr als die ländlichen Räume. Landwirte, Kommunen, Häuslebauer und Handwerksbetriebe auf dem Land profitieren in besonderer Weise von der Energiewende; denn wo erneuerbare Energien ausgebaut werden, entsteht auch regionale Wertschöpfung. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Eben nicht!) Einheitliche Netzentgelte sind nicht gerechter, sondern sie hebeln die bestehende Anreizregulierung aus; denn das derzeitige Anreizregulierungssystem setzt Effizienzanreize für die verschiedenen kommunalen und regionalen Netzbetreiber. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: So ein Quatsch!) Solche regulatorischen Effizienzanreize sind erforderlich, um ineffiziente Investitionen zulasten der Stromverbraucher zu vermeiden. Ein einheitliches Netzentgelt würde den Effizienzwettbewerb zunichtemachen. Das wäre kontraproduktiv. Damit würde beispielsweise auch die Sinnhaftigkeit, dass wir 900 Verteilnetzbetreiber haben, infrage gestellt. Denn wenn wir ein einheitliches Netzentgelt einführen, dann würde auch ein großer Verteilnetzbetreiber völlig ausreichen. Die immer wieder von vielen propagierte Rekommunalisierung, die auch von Ihnen gewünscht wird, wäre damit endgültig überflüssig. Meine Damen und Herren, wer tatsächlich die Netzentgelte mindern will, muss das System der „vermiedenen Netzentgelte“ angehen und die erneuerbaren Energien netztechnisch besser steuern. Das System der vermiedenen Netzentgelte ist überholt; seine Abschaffung würde bei den Netzentgelten um 350 Millionen Euro entlasten. Das käme vor allem den Regionen mit höheren Netzentgelten, also auch den vorhin genannten Regionen, nachhaltig zugute. Vermiedene Netzentgelte basieren auf der Annahme, dass dezentrale Stromeinspeisungen den Netzausbaubedarf auf der vorgelagerten Netzebene reduzieren. Dadurch würden, so die Annahme, Infrastrukturkosten vermieden. Diese Grundannahme ist nachweislich falsch. (Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]) Denn gerade die Anlagen für fluktuierende erneuerbare Energien wie Wind- und Sonnenenergie sind die Ursachen für den erheblichen Netzausbau, der gerade auch die Verteilnetzumlagen ständig nach oben treibt. Bei den erneuerbaren Energien ist die Einspeisung nicht planbar, und die Anlagen sind nur schwer steuerbar, da eine Abnahmepflicht existiert. Es entstehen erhebliche Kosten für den Ausbau des bestehenden Netzes, da der Überschussstrom ins vorgelagerte Netz gedrückt wird. Darüber sollten wir reden, statt über die Art und Weise, wie wir die Netzentgelte zulasten der Verbraucher anders verteilen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, auch die erneuerbaren Energien müssen in Zukunft netzverträglicher ausgebaut werden. Wir sollten uns ernsthaft überlegen, ob die Netzanschlusspflicht und die Entschädigungsregelungen in der jetzigen Form noch sinnvoll sind. Denn der Ausbau von Windanlagen in netzschwachen Regionen geht lediglich zulasten der Verbraucher, die die stillstehenden Windräder über die EEG-Umlage entschädigen. Deshalb ist es gut, dass wir dieses Problem zeitnah angehen möchten. Wir sollten ernsthaft über eine deutliche Senkung der Entschädigung für stillstehende Anlagen nachdenken. (Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]) Heute erhält ein stillstehendes Windrad 95 Prozent der EEG-Vergütung. Wenn man diesen Wert absenken würde, gäbe es einen Anreiz für Anlagenbetreiber, in Regionen mit ausreichenden Netzen zu investieren. Das wäre volkswirtschaftlich sinnvoll; es wäre aber auch für die betroffenen Regionen eine spürbare Entlastung in der Zukunft. Meine Damen und Herren, wir müssen natürlich auch die Netze weiter ausbauen. Denn das zeigt auch diese Debatte: Der Ausbau der erneuerbaren Energien alleine reicht nicht aus. Neuer Strom muss auch abtransportiert werden: vom Land in die Stadt, vom Norden in den Süden. Das bedeutet, Netze müssen ausgebaut und ertüchtigt werden. Hierfür haben wir bisher die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen. Jetzt müssen wir auch den Ausbau vorantreiben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Lenkert hat jetzt die Möglichkeit zu einer Kurzintervention. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Bareiß, ich möchte Ihnen kurz ein paar Punkte erklären, die Sie unserem Antrag wahrscheinlich nicht komplett entnommen haben. Das bundeseinheitliche Netzentgelt führt nicht zu Effizienzverlusten bei den Netzbetreibern. Denn wir planen – wenn Sie den Antrag richtig gelesen hätten, dann wüssten Sie das –, dass die Netzbetreiber sich wie bisher von der Bundesnetzagentur ihre jeweiligen Netzentgelte genehmigen lassen. Dann wird das Netzentgelt wie bisher, aber eben bundesweit einheitlich, mit der Stromrechnung von allen Stromkunden eingezogen. Das Geld fließt in einen Fonds, aus dem dann die Netzbetreiber die ihnen jeweils zustehenden und genehmigten Netzentgelte zurückerhalten. Damit werden keine Effizienzverluste eintreten. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Sie sagten, das wäre ein Vorteil für die einheimische Wirtschaft. Wenn zwischen zwei Regionen im Industriebereich ein Strompreisunterschied von 100 Prozent besteht, dann liegt eine Wettbewerbsverzerrung vor und wird die strukturschwache Region noch strukturschwächer. Dann müssen die dortigen Handwerksbetriebe aus Kostengründen – wegen der höheren Energiekosten – in die ohnehin schon strukturstarken Regionen wegziehen. Das verstärkt das Ungleichgewicht weiter, und damit wird es noch schwieriger, die Energiewende zu meistern. Diesen Aspekt sollten Sie also auch nicht vergessen. Ein letzter Punkt: Die TU Dresden hat, beauftragt durch die sächsische Staatsregierung, ermittelt, dass inklusive der Modernisierung der Netze im Westen die Schere zwischen Regionen mit den niedrigsten Netzentgelten und denen mit den höchsten sich immer weiter öffnen wird. Im Übrigen kann ich Ihnen einen der Kreise nennen, die die höchsten Netzentgelte im Jahr 2023 haben werden. Das ist der Wahlkreis VorpommernRügen Ihrer Bundeskanzlerin. Dieser Kreis wird den dritthöchsten Netzentgeltpreis aus den eben genannten Gründen haben. Wir sind der Meinung, dass alle gleichmäßig an den Lasten der Energiewende beteiligt werden sollten. Unterschiede zwischen 4,7 Cent und 14 Cent Netzentgelt sind einfach nicht vermittelbar. Obendrauf kommt die Mehrwertsteuer. Dadurch wird man noch mehr geschröpft. Reden Sie also nicht von Maßnahmen, die Sie vielleicht ergreifen wollen! Ergreifen Sie endlich Maßnahmen! Wenn Sie mit anderen Maßnahmen die Netzentgelte senken, werden wir dem nicht entgegenstehen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Bareiß, Sie haben die Möglichkeit, darauf zu erwidern. Thomas Bareiß (CDU/CSU): Herzlichen Dank. – Herr Lenkert, der Unterschied zwischen uns beiden ist, dass Sie erhöhte Preise neu verteilen wollen. Ich möchte versuchen, erhöhte Preise zu reduzieren. Ich glaube nicht, dass es günstiger wird, indem wir alles sozialisieren. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Es geht um Gerechtigkeit, nicht um Sozialisieren!) Auch wenn ich Ihr Anliegen verstehen kann, müssen wir berücksichtigen, dass in den Regionen, die erhöhte Netzentgelte haben, eine regionale Wertschöpfung stattfindet; (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist aber nicht so!) darauf bezog sich ein großer Teil meiner Rede. Es gibt also sowohl Vorteile als auch Nachteile für die betreffenden Regionen. Wir werden darüber in den nächsten Monaten intensiv sprechen. Es handelt sich aber nicht um ein Ost-West-Problem, sondern um ein generelles Problem der Energiewende. Das muss fein austariert werden. Wir müssen unsere Anstrengungen darauf verwenden, die Kosten zu reduzieren. Für mich bietet eine Sozialisierung keine Grundlage. Sie wird nicht zu einer Lösung führen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das haben Sie einfach falsch verstanden!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Jetzt hat der Kollege Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat richtig: Die Netzentgelte in Deutschland sind reformbedürftig. Vor allen Dingen muss eine Leistungskomponente eingeführt werden, weg von der reinen Kilowattorientierung der Netzentgelte; denn es entstehen Kosten dadurch, dass das System vorgehalten werden muss, egal wie viele Kilowattstunden bezogen werden. Die Große Koalition hat das als wichtiges Thema erkannt; das steht auch im Koalitionsvertrag. Aber ich hätte mir gewünscht, Herr Bareiß, dass Sie sagen, wie der Stand ist und was Sie unternehmen. Dazu habe ich leider nichts gehört; ich habe nur von der Abregelung der Windkraftanlagen gehört. Das ist eigentlich nicht das Thema. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie eine Ansage zur Einführung einer Leistungskomponente bei den Netzentgelten machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Der zweite Punkt ist: Wir müssen die Anreizregulierungsverordnung novellieren; denn im Moment werden Verteilnetzbetreiber, die nicht in ihre Netze investieren, tendenziell eher belohnt werden als diejenigen, die vorangehen und moderne Netze, sogenannte Smart-Netze, bauen. Auch dieses Problem wird im Koalitionsvertrag benannt. Sogar die Bundesnetzagentur weist darauf hin, dass hier etwas getan werden muss. Aber, Herr Bareiß, auch dazu habe ich nichts gehört. Es wäre interessant, zu erfahren – vielleicht sagt der Kollege Becker gleich noch etwas dazu –, wie der Stand ist und wann wir mit etwas rechnen können. Last, but not least haben wir – auch das ist ein wesentlicher Punkt – ein absurdes Sammelsurium von Ausnahmetatbeständen. Ich will nicht wieder die Golfplätze erwähnen. Nur so viel: Mir kann keiner erklären, warum der Betreiber eines Golfplatzes verminderte Netznutzungsentgelte zahlt. Wir müssen § 19 Absatz 2 der Stromnetzentgeltverordnung reformieren, Stichwort: Mitternachtsparagrafen. Dazu höre ich von Ihnen gar nichts. Aber das würde die Verbraucher entlasten und tatsächlich etwas bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Nun haben die Kollegen von der Linken einen Antrag eingebracht, der ein Problem beschreibt, das real existiert. Ich finde es nur ein bisschen schade, Ralph Lenkert, dass das hier als Ost-West-Problem aufgezogen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn überhaupt, dann ist das ein Problem zwischen Ballungsgebieten und ländlichen Regionen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Habe ich doch gesagt!) Wenn man für die Energiewende ist, sollte man das differenziert darstellen und hinzufügen – hier bin ich Kollegen Bareiß ausnahmsweise dankbar –, dass ländliche Regionen von der Energiewende überwiegend profitieren. Damit wird Wertschöpfung in die ländlichen Regionen verlagert. Das heißt, das ist etwas Positives. Sie stellen das Problem so dar, als ob die hohen Netz-entgelte allein durch die Energiewende verursacht wären. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Gerade im Osten haben wir hohe Netzentgelte, weil in den vergangenen 25 Jahren nach der Wiedervereinigung stark in die Netze investiert worden ist und deshalb die Kosten dort gestiegen sind. Im Westen steht das in vielen Regionen noch bevor. Das hat gar nichts mit der Energiewende zu tun, das hat etwas mit dem Alter der Netze zu tun. Bei mir zu Hause steht ein Verteilerkasten aus den 50er-Jahren vor der Haustür. Der wird irgendwann ausgetauscht werden müssen, und dann stehen Investitionen an. Wenn es so läuft, wie Sie es machen wollen, dann führt das am Ende dazu, dass der Osten die Umlage des Westens bezahlt. Das kann nicht in Ihrem Sinne sein. Da schießen Sie an der Stelle ein Eigentor. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Lesen Sie die Studie von der TU Dresden!) Worüber wir wirklich reden müssen, ist die Frage, wie wir die Kosten für die Ausbaukomponenten, die durch die Energiewende verursacht werden, tatsächlich gerecht verteilen können. Da, finde ich, haben Sie mit Ihrem Antrag einen Punkt getroffen, über den man reden muss. Das ist aber Teil der Frage, wie wir modernisieren und wie wir den ganzen Komplex der Netzentgelte neu ordnen. Das steht auf der Tagesordnung. Wenn Ihr Antrag einen Anlass bietet, darüber zu reden und auch einmal zu hören, welche Vorstellungen die Große Koalition dazu hat, dann ist das insgesamt gut. Man muss aber auch ein bisschen aufpassen, was man mit so einer Debatte anfängt. Das haben wir gerade vom Kollegen Bareiß gehört. Ich würde sagen: Der Kollege ist nicht immer ganz so auf der Seite der erneuerbaren Energien; diesen Eindruck habe ich, wenn ich die Debatten so verfolge. Es wird die Frage gestellt: Brauchen wir überhaupt 900 Verteilnetzbetreiber? Wenn wir Netzentgelte komplett ausgleichen, dann muss man auch die Frage beantworten, wie wir dafür sorgen, dass weiter regional und dezentral effizient gewirtschaftet wird. Das haben Sie zwar angesprochen, man sucht aber in Ihrem Antrag vergeblich die Lösung. Die findet man nicht. Das geht an der Stelle nicht. Deshalb hoffe ich darauf, dass wir im Wirtschaftsausschuss eine vernünftige fachliche Debatte führen; denn das ist etwas für Feinschmecker der Energiewende. Ich hoffe, dass wir am Ende eine Lösung finden werden. Wenn der Antrag der Anlass dazu ist, dass wir insgesamt die vielen fachlichen Detailfragen, von der Leistungskomponente über die Anreizregulierungsverordnung und die Ausnahmetatbestände bis hin zur regionalen Verteilung und zu regionaler Gerechtigkeit, unter einen Hut bringen können, dann wäre das am Ende ein gutes Ergebnis. Darauf freue ich mich. Wenn das der Anlass ist, dann ist das okay. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Becker für die Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD) Dirk Becker (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gerade zu Oliver Krischer aus Spaß gesagt: Mensch, du kannst ja auch vernünftig sein. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin vernünftig! Ich bin die Vernünftigkeit in Person!) Was will ich damit sagen? Ich bin der Fraktion Die Linke durchaus dankbar, dass sie sich dem Energiethema widmet, mit dem man in der Tat vielleicht keine Wahlkämpfe gewinnt. Es sind etliche Themen in der Pipeline, die für die Energiewende unverzichtbar sind, und das Thema der Verteilnetze, der Übertragungsnetze gehört unstrittig dazu. Ich will zu Beginn auch mit Blick auf Thomas Bareiß kurz den Koalitionsvertrag zitieren, wenn ich darf, Herr Präsident. Dort ist nämlich das festgehalten, was Oliver Krischer eben gesagt hat. Die Koalition wird das System der Netzentgelte auf eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung der Netzinfrastruktur überprüfen. Es ist klar: Wir haben in den Koalitionsverhandlungen erkannt, dass es hier Handlungsbedarf gibt. Es gibt Unterschiede, die aus den eben dargestellten Gründen herrühren. Wir wollen uns das anschauen und dann für eine fairere Verteilung sorgen. Aber, lieber Ralph Lenkert, man darf das Thema nicht an diesem Punkt beenden. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nein!) Man darf nicht nur eine Gerechtigkeitsdebatte daraus machen, sondern es handelt sich auch um eine Frage der Technik, der neuen Herausforderungen, der Weiterentwicklung und ob wir Leistungskomponenten brauchen. Auch das ist im Koalitionsvertrag genauso adressiert. Das heißt, es geht nicht nur um die Frage, ob es gerecht oder fair ist, sondern auch darum, wie ich die künftigen Herausforderungen angehen kann. Man muss aufpassen – das hat Oliver Krischer gesagt –, dass man die Anreize für Effizienzmaßnahmen hochhält, dass man aber die ungerechten Differenzierungen, die gesamtsystematisch entstanden sind – denn die Energiewende ist eine gesamtdeutsche Herausforderung –, ausgleicht. Lieber Thomas Bareiß, gestatte mir einen Hinweis. Möglicherweise könnte hier und da der Eindruck entstehen, dass wir in dieser Debatte grundsätzlich noch einmal die Frage der Entschädigungsregelung diskutieren. Du kennst die offizielle Sprachregelung in der Koalition. Wir haben das im Rahmen der EEG-Novelle diskutiert. Wir sind zu einer anderen Überzeugung gekommen, und die gilt bis zum Ende dieser Legislaturperiode. Ich sage das nur, damit für Außenstehende an dieser Stelle keine Verunsicherung entsteht. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Danke für die Klarstellung!) Was mir relativ wichtig ist, ist, dass wir Folgendes noch einmal miteinander besprechen – das klang eben an –: Das ist die Frage, ob Annahmen der Energiewende heute noch so zutreffen wie beispielsweise zu dem Zeitpunkt, als wir über die vermiedenen Netznutzungsentgelte gesprochen haben. Wir haben vor einigen Jahren angenommen, dass wir mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien weniger Investitionen in die Netze zu tätigen haben. Der Gegenbeweis ist heute an vielen Stellen erbracht: Die Netze haben neue Funktionen erhalten; sie müssen anders aufgestellt werden; andere Investitionen sind erforderlich. Von daher müssen wir an dieser Stelle in Erwägung ziehen, dass die vermiedenen Netznutzungsentgelte heute eigentlich nicht mehr zeitgemäß sind, und müssen darüber hinaus – wir haben das beim Thema Eigenverbrauch und beim EEG diskutiert – schauen, wie wir alle stärker an den Kosten der Infrastruktur beteiligen, unabhängig davon, ob sie sie ständig nutzen oder nur als Rückfalloption betrachten. Diese Investitionen sind für das gesamte System erforderlich, und alle sind daran zu beteiligen. Von Oliver Krischer wurde eben die Frage gestellt: Wie seid ihr denn aufgestellt? Es ist so – ich glaube, das weißt du auch; der Zeitplan ist ja nicht geheim –, dass bis zur Sommerpause des nächsten Jahres die Regierung eine Reform der Anreizregulierungsverordnung plant und dass wir in dem Zusammenhang die vom Kollegen Lenkert aufgeworfenen Fragen prüfen. Ich will an dieser Stelle eines aber auch sagen – ich habe es Ihnen vorweg schon gesagt –: Wir haben natürlich schon Gespräche mit den Akteuren im Markt geführt; denn so etwas macht man nicht am Reißbrett und nicht, indem man das nur als Gerechtigkeitsfrage behandelt. Dabei hat man es mit etwas zu tun, was oft vorkommt: Jeder Übertragungsnetzbetreiber hat eine andere Position. Den Vorschlag, den Sie machen, sehe ich gegenwärtig – ich sage es einmal vorsichtig – noch am weitesten weg. Es gibt viele Vorschläge dazu, wie man so etwas in einem Übergang, vielleicht in verschiedenen Stufen, modellieren kann. All das werden wir besprechen, gern mit der Opposition, in jedem Fall aber mit den Akteuren am Markt. Das Problem ist angekommen, es steht auf der Agenda der Großen Koalition, und wir werden es entsprechend lösen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Sie hatten gefragt, ob das Zitieren des Koalitionsvertrags zulässig ist. Ich möchte Ihnen hier eindeutig erklären: Es ist zulässig; allerdings wird es auf die Redezeit angerechnet. (Heiterkeit) Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Herlind Gundelach für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD]) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Netze sind in allen drei Spannungsebenen ein unverzichtbarer Teil unseres Energiesystems – ich glaube, da sind wir uns einig –, und sie sind auch das Rückgrat unserer Energieversorgung. Daraus folgt: Ohne eine ausreichende Netzkapazität kann letztendlich auch die Energiewende nicht gelingen. Um dieses Rückgrat der Energiewende kontinuierlich stabil zu halten, arbeiten wir seit vielen Jahren daran, die Netzinfrastruktur mit der Energieerzeugung und dem Energieverbrauch in Einklang zu bringen; denn Netzausbau und Ausbau der erneuerbaren Energien bedingen einander und müssen deswegen eng verzahnt miteinander gestaltet werden. Dabei müssen wir aber auch berücksichtigen, dass der Aus- und Umbau unseres Stromnetzes je nach regionaler Beschaffenheit unterschiedliche Anforderungen aufweist und dadurch auch unterschiedlich intensiv ausgeprägt ist. Dies hat vor allem zwei Gründe – auf sie sind die Vorredner schon eingegangen; deswegen, denke ich, muss ich das nicht auch noch tun –: Diese betreffen zum einen die Entwicklung in den neuen Bundesländern und zum anderen all die Regionen, wo erneuerbare Energien in stärkerem Umfang installiert worden sind als anderswo. Ich möchte einmal ganz nüchtern auf die von der Linken präsentierten Zahlen eingehen. Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, dass es teilweise eine Kostendifferenz von 100 Prozent geben würde, bei einem Verbrauch von 3 500 Kilowattstunden eine Kostendifferenz von 192 Euro. Da habe ich selber angefangen, ein bisschen zu rechnen. Gehen wir davon aus, dass die Netznutzungsentgelte ungefähr 22 Prozent des Strompreises ausmachen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nein!) Ich habe die Netzentgelte in ungefähr gleich großen Städten im Westen und im Osten miteinander verglichen und erhielt ganz andere Zahlen. Sie haben in Ihrem Antrag – darauf ist schon hingewiesen worden – eine Großstadt, nämlich Düsseldorf, mit einer Region, dem Havelland, verglichen. Damit ändern Sie Vergleichsparameter. Jeder Statistiker wird Ihnen sagen, dass das nicht geht. Ich habe die Netzkosten der Kleinstädte Wittenberge in Brandenburg und Bad Saulgau in Baden-Württemberg miteinander verglichen. Beide Städte haben rund 17 000 Einwohner. Vergleicht man nun auf Grundlage des von Ihnen zitierten Vergleichsportals Verivox, müssen die Wittenberger bei einem Verbrauch von 3 500 Kilowattstunden rund 168 Euro an Netzkosten bezahlen, die Bad-Saulgauer rund 170 Euro. Ich glaube, das ist kein allzu großer Unterschied. (Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Dieser Vergleich belegt, dass Sie Ihre Argumente offensichtlich nur mit einer bestimmten Brille gewählt haben; denn höhere Netznutzungsentgelte – das ist heute schon deutlich geworden – sind nicht nur im Osten und in strukturschwachen Regionen zu finden. Vielmehr zeigt sich, dass diese Netznutzungsentgelte regional unterschiedlich hoch ausfallen, und zwar im Westen wie im Osten. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Habe ich doch gesagt! Sie können nachlesen, dass ich das gesagt habe!) Regionale Unterschiede müssen aus meiner Sicht aber auch regional gelöst werden. (Beifall des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]) Genau aus diesen Gründen werden die Netznutzungsentgelte gemäß dem Verursacherprinzip regional gewälzt und dort getragen, wo sie anfallen. Wir haben in Deutschland doch auch ganz bewusst keinen Einheitsmietpreis und keinen Einheitswasserpreis. So etwas wie ein Länderfinanzausgleich für Netze wäre nicht marktwirtschaftlich und aus unserer Sicht auch nicht umsetzbar. Davon abgesehen ignorieren Sie einen weiteren Punkt, auf den ich jetzt nur kurz eingehen möchte, nämlich dass mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien durchaus auch Wertschöpfung in diesen Regionen erfolgt, was zu erhöhten Steuereinnahmen und auch mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätzen führt. Durch eine bundesweite Vereinheitlichung der Netzentgelte würden wir den gewünschten Standortwettbewerb der Länder unterbinden. Die Höhe der Netzentgelte stellt gerade für -stromintensive Unternehmen einen bedeutsamen Standortfaktor dar, der durch die Schaffung bundeseinheitlicher Netzentgelte nicht nachteilig beeinflusst werden sollte. Für die industriell geprägten Bundesländer, die nicht von einer gestärkten Wertschöpfung durch die Energiewirtschaft profitieren, könnten einheitliche Netzentgelte zu einer Mehrbelastung von bis zu 40 Prozent führen. Die Energiewende führt, wie Sie in Ihrem Antrag richtig ausgeführt haben, zu einer Dezentralisierung unseres Energiesystems. Daher ist in der Vergangenheit auch immer wieder über die sachgerechte und angemessene Ausgestaltung der Netznutzungsentgelte diskutiert worden. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Netzentgelte dahin gehend zu überprüfen; das hat Herr Becker gerade gesagt. Das werden wir auch machen. Vor diesem Hintergrund haben wir bereits 2007 die Berechnung der Netznutzungsentgelte auf das Anreizregulierungssystem umgestellt. Ich kann mich erinnern, dass ich damals im Vermittlungsausschuss, als wir die ersten Überlegungen dazu anstellten, auf Länderseite dabei war. Das war ein schwieriger Komplex; aber ich glaube, der Ansatz, den wir damals gewählt haben, war richtig. Dieses System soll Netzbetreibern gerade Anreize zur Steigerung der Effizienz geben und damit zu Kostensenkungen für den Verbraucher führen. Die Genehmigung der Netzentgelte erfolgt durch die Bundesnetzagentur, die diese Prüfung sehr sorgfältig durchführt und dabei stets das Interesse der Verbraucher im Blick hat. Eine Vereinheitlichung der Netzentgelte würde hingegen nach unserer Auffassung zu einer Aushebelung des Wettbewerbs und damit zu einer Entkopplung der Anreizmechanismen führen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Zuhören!) Netzbetreiber hätten dann keine großen Anreize mehr für eine effiziente Bewirtschaftung ihrer Netze. Im Netz darf der Effizienzdruck nicht über Regulierung erfolgen, sondern muss weiterhin über den marktwirtschaftlichen Mechanismus des Preises funktionieren; alles andere geht aus meiner Sicht in Richtung Planwirtschaft. Sie fordern im Prinzip eine Situation ein, die einer Verstaatlichung der Netze gleichkommt. Planwirtschaft und Verstaatlichung durch die Hintertür, das wollen wir nicht unterstützen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nun auch Quatsch!) Um die Wirkungsweise des Anreizregulierungssystems beurteilen zu können, haben wir die regelmäßige Erstellung eines Evaluierungsberichts durch die Bundesnetzagentur eingeführt. Dieser Evaluierungsbericht ist bis zum 31. Dezember 2014 dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vorzulegen. Der Bericht wird unter anderem Angaben zum Investitionsverhalten der Netzbetreiber und zur Notwendigkeit von Maßnahmen zur Beseitigung von Investitionshemmnissen enthalten. Sollten wir bei Überprüfung der Anreizregulierung feststellen, dass die vorhandene Netzentgeltsystematik nicht ausreichend greift, müssen wir uns Gedanken machen, wie wir eine Novellierung systematisch angehen können, ohne dass bereits bestehende marktwirtschaftliche Instrumente ausgehebelt werden. Ich sehe beispielsweise in der steigenden Eigenstromversorgung durchaus eine Herausforderung, der wir uns auch im Bereich der Netze stellen müssen. Hier könnte man zum Beispiel über eine Änderung der Netzanschlusskosten oder anderes nachdenken. Nicht durchdachte Schnellschüsse, wie sie Ihrem Antrag zugrunde liegen, sollten wir aus meiner Sicht in jedem Fall vermeiden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Johann Saathoff, SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Antrag der Linken zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich, ich müsste in meiner Rede heute Details aus der Evaluierung der Anreizregulierungsverordnung vortragen, was ich gar nicht kann, weil der Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Ich diskutiere über dieses Thema oft genug mit meinem Sohn Christian, einem Auszubildenden im Bereich der erneuerbaren Energien. Diese Gespräche sind für den Rest unserer Familie, liebe Kolleginnen und Kollegen, keine große Freude. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn in der Familie Saathoff los?) Ich denke, Sie werden mir alle dankbar sein, wenn ich uns das so kurz vor dem Abschluss dieser Sitzungswoche erspare. Stattdessen möchte ich lieber den Gedanken Ihres Antrags aufgreifen. „Entsolidarisierung“ war der erste Begriff, der mir dabei einfiel. Es ist nicht richtig, dass die Lasten des regionalen Netzausbaus ungerecht verteilt werden. Wir alle wollen im Sinne der Gerechtigkeit und der gleichen Lebensverhältnisse insbesondere der Menschen in den ländlichen Räumen einheitliche finanzielle Rahmenbedingungen bei den Netznutzungsentgelten schaffen. Wenn Sie einen Blick in unseren Koalitionsvertrag geworfen haben – er ist schon zitiert worden –, haben Sie gesehen, dass wir das System der Netzentgelte überprüfen wollen – was wir ja bereits tun –, und dies vor allem mit Blick auf eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung der Netzinfrastruktur. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie es aussieht, besteht Konsens über das Ziel; nur über den Weg dahin sind wir uns uneins. Den fairen Lastenausgleich dürfen wir aber nicht nur auf die Netzentgelte beziehen. Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb muss sich auch die gesamte Gesellschaft an den Lasten beteiligen. Der Zustand, den Sie in Ihrem Antrag beschreiben, nämlich dass Stromkunden in ländlichen Räumen und Regionen mehr Netzentgelte zu zahlen haben als Stromkunden in Ballungsgebieten, ist ein gutes Beispiel für die wachsende Kluft zwischen den Ballungsgebieten und den ländlichen Regionen. Ich komme aus einer ländlichen Region. Mein Wahlkreis ist einer der wenigen Wahlkreise in Deutschland ohne einen einzigen Autobahnkilometer. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Meiner auch!) Schnelles Internet gibt es längst nicht überall, und wir führen immer wieder Diskussionen über den Erhalt von Institutionen der Daseinsvorsorge. Er ist ein Beispiel für viele ländliche Regionen in Deutschland, die in ihrer Entwicklung einfach mehr und mehr abgehängt werden. Für dort lebende Menschen macht das die Sache nicht einfacher. Deshalb freue ich mich darüber, dass wir in dieser Legislaturperiode zum Beispiel die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ weiterentwickeln wollen. Damit können wir künftig viel für die Menschen in den ländlichen Räumen tun. Dieses Projekt werden wir im Frühjahr 2015 starten. Auch beim Breitbandausbau wollen wir viel Geld in die Hand nehmen. Ziel ist es, bis 2018 alle Haushalte in Deutschland mit einer Übertragungsgeschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde zu versorgen. Um wieder zur Energie zurückzukehren, möchte ich den Bundeswirtschaftsminister zitieren, der dieses Jahr nicht müde wurde, zu betonen, dass wir die Lasten der Energiewende wieder auf mehr Schultern verteilen wollen, und das wollen wir auch nach der Novelle des EEG. Allerdings werden wir dabei nicht den von Ihnen vorgeschlagenen Weg eines Gesetzes beschreiten; denn die für die Netzentgelte maßgeblichen Bestimmungen sind Verordnungen. Die Netzentgelte sind für uns aber nur ein Teilaspekt zukünftiger Aufgaben, zu denen ich noch einige Sätze sagen möchte: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat kürzlich ein Grünbuch zum Strommarktdesign vorgelegt. Dieses Grünbuch ist ein Diskussionspapier, und wir in der SPD-Bundestagsfraktion beraten dieses Thema schon seit einiger Zeit sehr intensiv unter Federführung meines Kollegen Dirk Becker. Dabei ist eine ganz zentrale Frage, ob die notwendigen Reservekapazitäten allein in einem Strommarkt 2.0 wirtschaftlich vorgehalten und eingesetzt werden können oder ob wir dafür einen zweiten Markt oder Mechanismus, einen Kapazitätsmechanismus, brauchen. Eine weitere Aufgabe besteht darin, einen möglichst großen Teil des geplanten Netzausbaus zu vermeiden, indem wir den Bedarf mit intelligenten Netztechnologien oder smarter Steuerung kompensieren. Dadurch würden bestimmte Kosten erst gar nicht entstehen, und gerade die Kosten, die nicht entstehen, sind doch die besten. Ich denke, da sind wir uns einig. Nun, am Ende meiner Rede am Ende dieser Sitzungswoche, freue ich mich auf eine fünfstündige Zugfahrt in diese wunderbare Region ohne Autobahn und ohne schnelles Internet, die für mich trotzdem die schönste Region Deutschlands ist, dahin, wo Deiche hoch und Berge Fehlanzeige sind, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in das schöne Ostfriesland. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Komm’t gaud na Huus hen! (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Lieber Herr Kollege Saathoff, vielen Dank für die Schilderung der Heimatregion. – Damit sind wir am Ende unserer Aussprache angelangt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3050 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung und auch dieser Woche. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Dienstag, den 25. November 2014, 10 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen. Kommen Sie alle gut nach Hause. (Schluss: 15.10 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 14.11.2014 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14.11.2014 Behrens, Herbert DIE LINKE 14.11.2014 Bülow, Marco SPD 14.11.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 14.11.2014 Hänsel, Heike DIE LINKE 14.11.2014 Helfrich, Mark CDU/CSU 14.11.2014 Henn, Heidtrud SPD 14.11.2014 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14.11.2014 Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14.11.2014 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14.11.2014 Kömpel, Birgit SPD 14.11.2014 Dr. Launert, Silke CDU/CSU 14.11.2014 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 14.11.2014 Dr. Nick, Andreas CDU/CSU 14.11.2014 Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14.11.2014 Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14.11.2014 Pau, Petra DIE LINKE 14.11.2014 Pronold, Florian SPD 14.11.2014 Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 14.11.2014 Roth, Michael SPD 14.11.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 14.11.2014 Schön (St. Wendel), Nadine CDU/CSU 14.11.2014 Steinbach, Erika CDU/CSU 14.11.2014 Strässer, Christoph SPD 14.11.2014 Strobl (Heilbronn), Thomas CDU/CSU 14.11.2014 Tack, Kerstin SPD 14.11.2014 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14.11.2014 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14.11.2014 Werner, Katrin DIE LINKE 14.11.2014 Wöllert, Birgit DIE LINKE 14.11.2014 Zypries, Brigitte SPD 14.11.2014 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Sönke Rix (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (25. BAföGÄndG) Druck-sache 18/3182 (66. Sitzung, Tagesordnungspunkt 13a) Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht da-bei. Mein Votum zum Änderungsantrag der Drucksache 18/3182 ist „Nein“. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 927. Sitzung am 7. November 2014 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zum Erlass und zur Änderung von Vorschriften zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften über Agrarzahlungen und deren Kontrollen in der Gemeinsamen Agrarpolitik – Gesetz zur Teilauflösung des Sondervermögens „Aufbauhilfe“ und zur Änderung der Aufbauhilfeverordnung – Erstes Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Erstes Pflegestärkungsgesetz – PSG I) – Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 2014/2015 (BBVAnpG 2014/2015) – Sechstes Gesetz zur Änderung des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes – Gesetz zur Änderung des Antiterrordateigesetzes und anderer Gesetze – Gesetz zu dem Vertrag vom 14. April 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen – Körperschaft des öffentlichen Rechts – – Gesetz zur Erleichterung der Umsetzung der Grundbuchamtsreform in Baden-Württemberg sowie zur Änderung des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung und des Wohnungseigentumsgesetzes – Zwölftes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – Gesetz zur Änderung des Umweltstatistikgesetzes und des Wasserhaushaltsgesetzes – Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, der Gewerbeordnung und des Bundeszentralregistergesetzes – Zweites Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes – Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2015 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2015) – Gesetz zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG, -EURATOM) Nr. 354/83 im Hinblick auf die Hinterlegung der historischen Archive der Organe beim Europäischen Hochschulinstitut in Florenz – Gesetz zu dem Abkommen vom 13. Februar 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Costa Rica zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Protokoll vom 24. Juni 2013 zur Änderung des Abkommens vom 4. Oktober 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amtshilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie des dazugehörigen Protokolls – Gesetz zu dem Protokoll vom 11. März 2014 zur Änderung des Abkommens vom 1. Juni 2006 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Geor-gien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Zweiten Zusatzprotokoll vom 8. November 2001 zum Europäischen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen – Gesetz zu dem Abkommen vom 22. Juni 2010 zur zweiten Änderung des Partnerschaftsabkommens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Zweites Änderungsabkommen zum AKP-EG-Partnerschaftsabkommen) – Gesetz zu dem Internen Abkommen vom 24. Juni 2013 zwischen den im Rat vereinigten Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die Finanzierung der im mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2014 bis 2020 vorgesehenen Hilfe der Europäischen Union im Rahmen des AKP-EU-Partnerschaftsabkommens und über die Bereitstellung von finanzieller Hilfe für die überseeischen Länder und Gebiete, auf die der vierte Teil des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union Anwendung findet (Internes Abkommen) – Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Umsetzung von Resolution 1325 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu Frauen, Frieden und Sicherheit im Zeitraum August 2010 bis Dezember 2013 Drucksachen 18/1003, 18/1702 Nr. 1.1 Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses zu Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten Drucksache 18/960 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Abschlussbericht des Staatssekretärsausschusses zu „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ Drucksache 18/2470 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über Maßnahmen auf dem Gebiet der Unfallverhütung im Straßenverkehr 2012 und 2013 (Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 2012/2013) Drucksachen 18/2420, 18/2530 Nr. 11 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/2533 Nr. A.1 EuB-BReg 56/2014 Drucksache 18/2533 Nr. A.2 EuB-BReg 60/2014 Drucksache 18/2533 Nr. A.7 Ratsdokument 7224/14 Drucksache 18/2845 Nr. A.1 EuB-BReg 72/2014 Drucksache 18/2935 Nr. A.1 EuB-BReg 73/2014 Drucksache 18/2935 Nr. A.2 Ratsdokument 13519/14 Innenausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.30 Ratsdokument 15369/13 Drucksache 18/2533 Nr. A.15 Ratsdokument 11260/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.19 Ratsdokument 11970/14 Drucksache 18/3110 Nr. A.6 Ratsdokument 13680/14 Drucksache 18/3110 Nr. A.7 Ratsdokument 13683/14 Haushaltsausschuss Drucksache 18/2055 Nr. A.5 KOM(2014)300 endg. Drucksache 18/2055 Nr. A.6 Ratsdokument 10340/14 Drucksache 18/2055 Nr. A.7 Ratsdokument 10341/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.35 Ratsdokument 11775/14 Drucksache 18/2677 Nr. A.5 Ratsdokument 12621/14 Drucksache 18/2677 Nr. A.6 Ratsdokument 12659/14 Drucksache 18/2677 Nr. A.7 Ratsdokument 12698/14 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/2935 Nr. A.3 Ratsdokument 13426/14 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/1935 Nr. A.11 Ratsdokument 10070/14 Drucksache 18/1935 Nr. A.12 Ratsdokument 10201/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.53 Ratsdokument 12370/14 6356 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung, Berlin, Freitag, den 14. November 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung, Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6357 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 6342 6414 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung, Berlin, Freitag, den 14. November 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung, Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6413