Plenarprotokoll 18/74 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 74. Sitzung Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Lena Strothmann, Artur Auernhammer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Wolfgang Tiefensee, Sabine Poschmann, Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Der deutsche Meisterbrief – Erfolgreiche Unternehmerqualifizierung, Basis für handwerkliche Qualität und besondere Bedeutung für die duale Ausbildung Drucksache 18/3317 7057 A Sabine Poschmann (SPD) 7057 B Klaus Ernst (DIE LINKE) 7059 A Lena Strothmann (CDU/CSU) 7060 B Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7062 C Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin BMWi 7064 A Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7064 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 7065 D Axel Knoerig (CDU/CSU) 7066 D Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7068 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 7070 B Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7070 D Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD) 7071 A Gunther Krichbaum (CDU/CSU) 7072 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 7072 D Martin Rabanus (SPD) 7074 D Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) 7076 A Tagesordnungspunkt 27: a) Antrag der Bundesregierung: Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan Drucksache 18/3246 7078 A b) Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Sabine Weiss (Wesel I), Frank Heinrich (Chemnitz), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabi Weber, Dr. Bärbel Kofler, Axel Schäfer (Bochum), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Transformationsdekade mit zivilen Mitteln erfolgreich gestalten Drucksache 18/3405 7078 A Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA 7078 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 7080 C Thomas Silberhorn, Parl. Staatssekretär BMZ 7081 D Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7083 C Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) 7084 D Christine Buchholz (DIE LINKE) 7085 D Philipp Mißfelder (CDU/CSU) 7087 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7088 C Henning Otte (CDU/CSU) 7089 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7091 B Henning Otte (CDU/CSU) 7091 D Stefan Rebmann (SPD) 7092 A Thorsten Frei (CDU/CSU) 7093 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7094 B Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 7095 B Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Stromsperren gesetzlich verbieten Drucksache 18/3408 7096 D Caren Lay (DIE LINKE) 7097 A Jens Koeppen (CDU/CSU) 7098 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 7100 C Jens Koeppen (CDU/CSU) 7100 D Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7101 B Marcus Held (SPD) 7102 D Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 7103 C Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 7104 B Bernd Westphal (SPD) 7105 C Tagesordnungspunkt 29: Vereinbarte Debatte: 25 Jahre VN-Kinderrechtskonvention 7106 D Susann Rüthrich (SPD) 7106 D Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 7107 C Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 7108 D Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7110 A Ulrike Bahr (SPD) 7111 B Eckhard Pols (CDU/CSU) 7112 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) 7113 C Tagesordnungspunkt 30: Vereinbarte Debatte: Menschenrechte global durchsetzen 7115 A Gabriela Heinrich (SPD) 7115 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 7116 A Michael Brand (CDU/CSU) 7117 A Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7119 A Dr. Karamba Diaby (SPD) 7119 D Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 7121 A Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kordula Schulz-Asche, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation von Opfern von Menschenhandel in Deutschland Drucksache 18/3256 7122 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7123 A Nina Warken (CDU/CSU) 7124 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) 7125 C Dr. Eva Högl (SPD) 7126 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 7127 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7128 B Susanne Mittag (SPD) 7129 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) 7130 D Nächste Sitzung 7131 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 7133 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 7133 D 74. Sitzung Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle zu unserer Plenarsitzung. Unser erster Tagesordnungspunkt ist der TOP 26: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Lena Strothmann, Artur Auernhammer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Wolfgang Tiefensee, Sabine Poschmann, Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Der deutsche Meisterbrief – Erfolgreiche Unternehmerqualifizierung, Basis für handwerkliche Qualität und besondere Bedeutung für die duale Ausbildung Drucksache 18/3317 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ganz offenkundig gibt es dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Sabine Poschmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sabine Poschmann (SPD): Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gütesiegel „Made in Germany“ ist ein Exportschlager der deutschen Wirtschaft. Es steht für hohe Qualität deutscher Produkte und Dienstleistungen, die weltweit Anerkennung finden. Aber nicht nur das „Made in Germany“ ist zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor geworden. Auch unser Meisterbrief ist ein Wettbewerbsfaktor und gleichzeitig das Fundament des Erfolges. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Er bietet jungen Menschen eine Perspektive und vermittelt hohe Qualifikation. Er trägt zur Fachkräftesicherung bei und macht das Handwerk zum Innovationsmotor der deutschen Wirtschaft. Für viele unserer europäischen Nachbarn gilt deshalb unser duales Ausbildungssystem als Vorzeigemodell. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die EU fordert Deutschland nun auf, die Bedingungen für den Zugang zu bestimmten Berufen zu prüfen, um Beschränkungen auf dem europäischen Binnenmarkt abzubauen. Das heißt, dass auch der Meisterbrief zur Disposition steht. (Zurufe von der SPD: Pfui!) Schauen wir uns vor diesem Hintergrund die Effekte der Handwerksnovelle von 2004 an, bei der ein Teil der Gewerke von der Zulassungspflicht befreit wurde. Die Novelle hat zwar zu einem Gründerboom im Handwerk geführt; dies waren aber meist Kleinstbetriebe – oft Soloselbstständige – mit geringer Wettbewerbsfähigkeit und wenig Personal. Mehr als die Hälfte dieser Betriebe war innerhalb von fünf Jahren wieder vom Markt verschwunden. Die Ausbildung im Handwerk findet heute zu 95 Prozent in den Gewerken statt, die meisterpflichtig sind, und nur zu 5 Prozent in den zulassungsfreien Gewerken. Bevor diese Gewerke von der Meisterpflicht befreit wurden, wurden in ihnen erheblich mehr junge Menschen ausgebildet. Das ist die Gefahr: Ohne Meister, ohne fachliche Eignung sind viele Betriebe gar nicht ausbildungsfähig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das stellt letztlich einen großen Teil unseres Ausbildungssystems infrage. Wir fordern deshalb in unserem Antrag, an unseren Standards festzuhalten. Wir wollen dafür sorgen, dass notwendige Harmonisierungen in einem Europa ohne Grenzen keine Abwärtsspirale bei der beruflichen Qualifizierung in Gang setzen. Wenn es um den Abbau von Zutrittsbarrieren auf dem europäischen Binnenmarkt geht, ist der Meisterbrief für uns kein Verhandlungsgegenstand. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es geht nicht darum, andere Modelle totzureden oder per se zu verwerfen. Doch auch die EU muss anerkennen, dass Deutschland neben der Novelle von 2004 bereits einiges getan hat, um Wettbewerbshindernisse abzubauen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun muss es uns gemeinsam darum gehen, diejenigen zu stärken, die sich hohen Standards im Sinne des Verbrauchers verpflichtet fühlen, die Ausbildungsplätze schaffen, ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl nachkommen und dazu beitragen, unseren Wohlstand zu erwirtschaften und zu sichern. Dazu gehört weit mehr als der Erhalt des Meisterbriefes als Zulassungsvoraussetzung. Aus diesem Grund haben wir weitere 15 Ziele definiert, die das Handwerk und die duale Ausbildung stärken sollen. Ein Punkt ist der Technologietransfer. Wir müssen die Nutzbarkeit von Produkt- und Prozessinnovationen aus Forschung und Industrie für das Handwerk stärker unterstützen; denn gerade für das Handwerk sind neue Werkstoffe, neue Medien, neue Dienstleistungen und ein neues Design harte Wettbewerbsfaktoren. In die Kooperation und den Austausch, den wir bisher zwischen Hochschulen und Industrie gestärkt haben, muss das Handwerk mehr einbezogen werden. Dadurch können Kundenerfahrungen und praktische Kenntnisse in Innovationen einfließen und kann das hohe Qualifikationsniveau im Handwerk erhalten werden. Eine wichtige Rolle kommt hierbei den überbetrieblichen Lehrlingsunterweisungen zu. Sie sind ein wichtiges Instrument im Handwerk, damit Technologietransfer funktioniert. Deshalb setzen wir uns für eine dauerhafte hohe Bundesförderung ein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum heutigen Tag des Ehrenamtes möchte ich auf eine weitere Forderung in unserem Antrag aufmerksam machen, nämlich das Ehrenamt im Interesse der beruflichen Bildung noch stärker zu unterstützen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die vielen ehrenamtlichen Prüfer gemäß Berufsbildungsgesetz und Handwerksordnung sichern die Qualität der Ausbildung und gewährleisten so einen stetigen Nachschub an Fachkräften. Der DGB geht von 15 Millionen Euro aus, die Arbeitnehmervertreter im Handwerk durch ihre Tätigkeit an Nettonutzen für Kammern und Innungen erarbeiten. Bei diesem Nutzen sollten wir auch an die Qualifizierung der Ehrenamtlichen denken und ein entsprechendes Förderangebot bereitstellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Allein im Handwerk wurden im letzten Jahr über 100 000 Gesellen- und Abschlussprüfungen abgenommen. Es ist meist nicht die geringe Aufwandsentschädigung oder die Freistellung, die ihr Engagement bestimmen, sondern es ist die Anerkennung – unsere Anerkennung – und der eigene Qualifikationserhalt, der sie antreibt, sich ehrenamtlich auf diesem Gebiet zu betätigen. Den ehrenamtlichen Prüfern, aber auch den vielen Ehrenamtlichen in den Vollversammlungen und Ausschüssen der Kammern sage ich am heutigen Tag des Ehrenamtes von dieser Stelle ein herzliches Dankeschön. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Stärkung der Sozialpartnerschaft und der Tarifbindung ist eine weitere wichtige Forderung in unserem Antrag. Sie sind in Deutschland von großer Bedeutung, haben sie doch in der Vergangenheit für Konsens gesorgt und sind wesentliche Faktoren für den Erfolg der deutschen Wirtschaft. Angesichts des drohenden Fachkräftemangels ist es besonders wichtig, gemeinsame Anreize für potenzielle Auszubildende und Fachkräfte zu schaffen. Gute Arbeitsbedingungen, gerechte Bezahlung sowie gute Übernahme- und Aufstiegschancen sind notwendig, um im Wettbewerb mit anderen Branchen Fachkräfte langfristig an sich zu binden. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie haben wir einen großen Schritt in diese Richtung geschafft. (Beifall bei der SPD) Doch wir sehen weiteren Handlungsbedarf für Innungen und Verbände, um Instrumenten der Tarifflucht zu begegnen. Zum Beispiel sollten Mitgliedschaften ohne Tarifbindung grundsätzlich ausgeschlossen sein. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Koalitionsantrag ist Teil einer mittelstandsfreundlichen Politik, die wir in dieser Legislaturperiode ganz oben auf die Agenda setzen. Er ist ein weiterer Eckpfeiler auf unserem Weg, Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft und Beschäftigung in der mittelständischen Wirtschaft auf Dauer zu sichern und zu stärken. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass Handwerksbetriebe auch in Zukunft anspruchsvollen Qualitätsstandards gerecht werden und dass das bestehende duale Ausbildungssystem auf hohem Niveau fortgeführt wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der „Meister“, meine Damen und Herren, muss eines der Qualitätsmerkmale Deutschlands bleiben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Klaus Ernst ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir diesen Antrag hier behandeln. Es ist auch gut, dass wir das Handwerk würdigen. Vieles in Ihrem Antrag können wir mittragen, insbesondere die Kritik an der Handwerksnovelle 2004, die eben auch zum Ausdruck kam. Es freut mich sehr, dass es da wohl einen Meinungsumschwung bei den Sozialdemokraten gab. Daher ein kurzer Rückblick. Worum ging es damals? Ich habe es in den alten Protokollen mit Freude nachgelesen und festgestellt: Das war ja die Zeit, in der Rot-Grün alles deregulieren wollte und auch vieles davon umgesetzt hat – von der Arbeit bis zu den Finanzmärkten. Auch die Handwerksordnung blieb damals nicht ausgenommen. Es war der heute von Ihnen nicht mehr so geliebte Herr Clement, der ja aus der Partei ausgeschieden ist – nach mehreren Ausschluss-anträgen ist er ausgetreten –, der 2004 diese Novelle begründet hat. Wie war der Zustand bis 2004? Bis 2004 war es üblich, dass man für das Betreiben eines Handwerksbetriebs einen Meisterbrief brauchte. Übrigens war die CDU/CSU damals mit der Reform nicht einverstanden; sie hatte eine andere Haltung. Ich fand das gut, als ich das in den Protokollen gelesen habe. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir waren überhaupt gut!) Mit der gesetzlichen Änderung wurde für mehr als die Hälfte der Gewerke die Meisterpflicht als Voraussetzung für das Betreiben eines Handwerksbetriebs abgeschafft. Heute ist für viele Bereiche nicht einmal mehr ein Gesellenbrief notwendig. Einige Beispiele und Blüten: Ein Maler und Lackierer braucht bis heute einen Meisterbrief, ein Fliesenleger nicht. Ebenfalls muss ein Feinwerkmechaniker Meister sein, ein Uhrmacher nicht. Ein Schuhmacher muss kein Meister sein, ein Orthopädieschuhmacher schon. Ein Friseur muss Meister sein – das gilt natürlich auch für Friseurinnen –, ein Feinoptiker nicht. – Welchen Unfug haben Sie damals eigentlich beschlossen? (Beifall bei der LINKEN) Bis heute sind die betroffenen Menschen, die Handwerker, über diese Entwicklung stinksauer, und zwar zu Recht, weil es absolut unlogisch ist. Meine Damen und Herren, es war nicht alles schlecht: Langjährige Berufserfahrung wurde aufgewertet, und das Inhaberprinzip, nach dem der Inhaber des Betriebes unbedingt auch Meister sein musste, wurde mit der Novelle abgeschafft. Aber im Kern haben Sie – das betrifft die SPD, aber auch die Grünen, die damals mit im Boot waren – mit diesem Gesetz das Handwerk und damit auch die qualifizierte Ausbildung massiv geschwächt. Diesen Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen. (Beifall bei der LINKEN) Heute haben die Kunden, die einen Handwerker beauftragen, nicht mehr die Gewähr, dass sie einen ausgebildeten Fachmann bekommen. Wir stimmen ausdrücklich mit Ihrem Antrag überein: Der Erfolg der dualen Ausbildung im Handwerk hängt mit der Meisterqualifikation zusammen. In Ihrem Antrag schreiben Sie – lassen Sie mich daraus zitieren –: … die Zahl der Gesellenprüfungen im nicht mehr meisterpflichtigen Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerhandwerk ging von 1.665 im Jahr 2003 auf 658 im Jahr 2010 zurück. … die Zahl der Meisterprüfungen von 557 auf 84. Selbstverständlich hat das Auswirkungen auf die erbrachte Arbeit. Sie halten in Bezug auf die Handwerksnovelle auch fest – ich zitiere –, „dass Deregulierung nicht zwangsläufig zu einem Wachstumsschub und … mehr Beschäftigung führt“. Ich wiederhole es, weil es so schön ist: Deregulierung führt nicht zwangsläufig zu einem Wachstumsschub und mehr Beschäftigung. – Das gilt allerdings nicht nur für das Handwerk; das gilt auch für andere Bereiche. (Beifall bei der LINKEN) Sie sollten sich den Satz aus Ihrem Antrag wirklich zu Gemüte führen. 2003 forderten Sie noch für die meisterfreigestellten Gewerke – ich zitiere –: Zumindest … müssen die Gesellenprüfung und die Ausbildereignungsqualifikation nachgewiesen werden. Sie forderten eine Revisionsklausel. Alle sieben Jahre sollte die geltende Liste der Meisterberufe überprüft werden. Seit 2005 ist die CDU/CSU mit an der Macht. Was ist mit Ihren Forderungen von damals? Ich hätte mich gefreut, wenn Sie in Ihren Antrag die Forderung aufgenommen hätten, die Liste zu überprüfen oder das zu revidieren. Aber nein, das bleiben Sie in Ihrem Antrag schuldig. Einen entsprechenden Antrag von uns haben Sie abgelehnt. Dabei gibt es seit 2004 viele offene Fragen, die damals auch hier im Bundestag diskutiert worden sind. Einige davon möchte ich Ihnen noch einmal stellen: Wie viele der nicht mehr meisterpflichtigen Gewerke werden noch von einem Meister geführt? Hat die Freiwilligkeit, einen Meister zu machen, irgendeine Auswirkung gehabt? Wie wirkt sich die Novelle auf die Ausbildungsleistung aus? Wie wirkt sich die Novelle auf die Qualität der Arbeit aus? Wie wirkt sich die Novelle auf die Beschäftigung und insbesondere auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus? – Alle diese Fragen stehen im Raum. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie in Ihrem Antrag ein Stück weit in diese Richtung diskutiert hätten. Ich sage Ihnen auch, meine Damen und Herren: Wer den Meisterbrief verteidigen will, tut das am besten, indem er innerhalb der Organisation des Handwerks, den Handwerkskammern, für demokratische Zustände sorgt. Auch das erhöht die Glaubwürdigkeit gegenüber der Europäischen Union. Da haben wir einen Nachholbedarf; das wissen Sie. Man braucht nur die Presse zu lesen, um zu wissen, was da zum Teil intern los ist. In Ihrem Antrag fordern Sie von der Bundesregierung, also eigentlich von sich selber, das Handwerk vor dem Zugriff der Europäischen Union zu schützen. Richtig; das teilen wir völlig. Aber was ist denn, wenn die -internationalen Handelsabkommen CETA und TTIP tatsächlich kommen? Können Sie ausschließen, dass die Handwerksordnung im Rahmen dieser Handelsabkommen nicht als klassische Marktzugangsschranke für Amerikaner und Kanadier gewertet wird? Können Sie ausschließen, dass die verbleibenden 41 Gewerke, für die ein Meisterbrief und damit eine vernünftige Qualifikation im Interesse der Kunden erforderlich ist, nicht auch als Handelsschranke angesehen werden? – Meine Damen und Herren, das können Sie nicht. Trotzdem befürworten Sie diese Handelsabkommen. Das ist ein Problem. Darüber müssen Sie einmal nachdenken. Meine Damen und Herren, Sie promoten eine möglichst weitgehende Liberalisierung und Deregulierung und wundern sich am Ende, dass genau diese Liberalisierung und Deregulierung den Meisterbrief und andere Standards gefährden. So gut Ihr Antrag auch gemeint sein mag: Ihre Politik geht nach dem Motto „Mitmachen, um Schlimmeres zu verhindern“, „Das haben wir nicht gewollt“ und zum Schluss „Wie konnte es dazu kommen?“. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) Ich hoffe, dass Sie bezüglich der Handelsabkommen noch einmal darüber nachdenken. Meine Damen und Herren, Ihr Antrag geht in die richtige Richtung. Er wäre glaubwürdiger und meines Erachtens für das Handwerk erfolgreicher, wenn Sie versuchen würden, den Unsinn von 2004 zu korrigieren. Sie von der CDU/CSU wollten das damals. Inzwischen sind Sie mit der SPD in einer Koalition. Die machen sicher mit. Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt die Kollegin Lena Strothmann das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Lena Strothmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Verachtet mir die Meister nicht, und ehrt mir ihre Kunst!“, so heißt es in den Meistersingern von Nürnberg. Dieser Aufruf begleitet das Handwerk nun schon fast 150 Jahre, und er hat an Bedeutung nicht verloren. Im Gegenteil: Er ist aktueller denn je, würde ich sagen; denn gerade jetzt fährt die EU-Kommission in Brüssel einen Frontalangriff auf das deutsche Meisterhandwerk. Meine Damen und Herren, der Meisterbrief ist die Erfolgsgeschichte des Handwerks. Trotzdem, muss ich sagen, fehlt mir manchmal seine gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der Meisterbrief ist wesentlich mehr als nur ein Zertifikat. Er ist das Markenzeichen des deutschen Handwerks. Er steht für hochwertige Qualifizierung, für fachliches Können, für ausgezeichnete Produkte und Dienstleistungen und vor allen Dingen für Ausbildung und hochqualifizierten Nachwuchs. Was macht den Meisterbrief eigentlich so erfolgreich? Es ist die Qualifizierung an unseren Meisterschulen. Hier erhält der Handwerker das erforderliche Rüstzeug zum erfolgreichen Unternehmertum: betriebswirtschaftliche, kaufmännische und rechtliche Kenntnisse. Eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung hat ergeben: 40 Prozent der Betriebe ohne Meister sind nach fünf Jahren insolvent, weil die Inhaber in dem jeweiligen Bereich nicht die nötigen Kenntnisse haben. Die Meisterbetriebe dagegen sind insolvenzfest. Zum Erfolg gehört natürlich auch die fachliche Kompetenz, das Können und Wissen des Meisters. Das ist die Basis für hohe Qualität der Dienstleistungen und Produkte. Das garantiert vor allen Dingen hohen Verbraucherschutz, und zwar mit großem Erfolg; denn das weltweit anerkannte „Made in Germany“ wird entscheidend auch vom deutschen Handwerk geprägt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Hierzulande vertrauen die Verbraucher auf das Können der Meister. Die Meisterschule sorgt aber nicht nur für die Kompetenz des Meisters. Sie macht ihn vor allen Dingen zum Ausbilder und zur Führungsperson. Ohne Ausbilder gibt es keinen Nachwuchs, und ohne Nachwuchs gibt es keine Fachkräfte. Nur gut ausgebildete Leute können ihr Wissen weitergeben. Deshalb sind es mit 95 Prozent vor allen Dingen die Meisterbetriebe, die ausbilden. In über 130 Gewerken bilden Handwerksbetriebe in Deutschland rund 400 000 junge Menschen aus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Ausbildungsquote liegt bei 8 Prozent. Das ist ein Spitzenwert. Damit ist sie im Vergleich zu Handel und Industrie immerhin doppelt so hoch. Darauf kann das deutsche Handwerk stolz sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sabine Poschmann [SPD]) Auch andere profitieren von unseren gut ausgebildeten Fachkräften. Viele Auszubildende arbeiten nach der Lehre in anderen Wirtschaftsbereichen. Damit leistet das Handwerk einen großen Beitrag zur Fachkräftesicherung der gesamten deutschen Wirtschaft und zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit. Diese Quote bei uns liegt bei 7,8 Prozent. Sie ist immer noch zu hoch; aber es ist die niedrigste in ganz Europa. Viele andere Mitgliedstaaten beneiden uns um unser Ausbildungssystem. Die EU-Kommission empfiehlt die duale Ausbildung den Ländern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit sogar als „best practice“. Auf der anderen Seite will sie den Meisterbrief als Voraussetzung für Selbstständigkeit abschaffen. Im Rahmen der Transparenzini-tiative werden im Augenblick alle reglementierten Berufszugänge in den Mitgliedstaaten überprüft; im Übrigen hat Deutschland nicht die meisten reglementierten Berufszugänge. Ziel der Kommission ist der vollendete Binnenmarkt. Durch den Abbau der Reglementierung sollen in Europa mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze entstehen. Das ist ein gutes Ziel, aber zu kurz gedacht, eine falsche Harmonisierung um jeden Preis. Ich sage: keine Meister, kein Nachwuchs. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben in Deutschland nach der Handwerksnovelle 2004 schmerzhafte Erfahrungen gemacht. Auch damals ging es um mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze. Und was ist passiert? Eine fatale Abwärtsspirale wurde in Gang gesetzt. Nachdem 53 Handwerksberufe zulassungsfrei wurden, gab es zwar viele Existenzgründer – leider zum großen Teil nur Einmannbetriebe –, aber die konnten sich, jedenfalls die meisten, nicht lange am Markt halten. Eine Studie des Volkswirtschaftlichen Instituts für Handwerk und Mittelstand belegt: Fünf Jahre nach Gründung waren 60 Prozent dieser Betriebe vom Markt verschwunden. Aber das Schlimmste ist: In diesen Gewerken wird nicht ausgebildet. Im Zeitraum von 2003 bis 2010 ging die Zahl der Gesellenprüfungen im Fliesenlegerhandwerk von 1 665 auf 658 zurück. Die Zahl der Meisterprüfungen sank im gleichen Zeitraum von 557 auf 84. – Nun fehlt uns der Nachwuchs an allen Ecken und Enden. Das darf sich in Deutschland nicht wiederholen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb gilt nach wie vor: Wer den Meisterbrief angreift, legt gleichzeitig die Axt an unser erfolgreiches Ausbildungssystem an. Das muss auch Brüssel begreifen. Der Meisterbrief und die duale Ausbildung gehören zusammen. Es ist ein harter Kampf mit der Kommission. Die Kommission sagt zwar, die Überprüfung sei ergebnis-offen; aber bei einem Prozess, der über zwei Jahre angelegt ist, kann ich das, ehrlich gesagt, nicht ganz glauben. Ich bin trotzdem optimistisch; denn wir haben gute Argumente und vor allen Dingen gute Leute in den Cluster-Gesprächen vor Ort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vor allen Dingen bin ich dankbar, dass wir hier, in diesem Hohen Hause, bei diesem Thema eine Allianz haben. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In der Koalition!) Wir haben im Koalitionsvertrag klare Aussagen getroffen. Auch der Bundesrat hat sich entsprechend positioniert. Das sind starke Signale an Brüssel. Für mich ist im Übrigen noch die Frage der Subsidiarität zu klären. Hierzu sage ich ganz deutlich: Der Meisterbrief und die berufliche Bildung sind nationale Angelegenheiten. Ich bin überzeugte Europäerin, sage aber: Europa wird nicht wettbewerbsfähiger, wenn wir in Deutschland unsere erfolgreichen Standards aufgeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zur Wahrheit gehört auch: Nicht die Kommission allein macht der dualen Ausbildung zu schaffen; wir sägen selber an unseren Grundpfeilern. Aus demografischen Gründen sinken die Schülerzahlen ständig, und darum sinken automatisch auch die Auszubildendenzahlen. Aber nicht nur die Demografie ist schuld daran, dass uns immer mehr Auszubildende fehlen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Abiturienten und Studierenden rasant an. Im Jahr 2000 sind noch ein Drittel der Schulabgänger an die Unis gegangen und zwei Drittel in die berufliche Bildung. 2020 wird es genau umgekehrt sein. So sagen es jedenfalls Prognosen. Wenn wir einmal genau überlegen, stellen wir fest: Bis 2020 ist es nicht mehr lange hin. Ich frage mich: Wo sollen eigentlich unsere Fachkräfte herkommen? Natürlich muss sich die Wirtschaft intensiver um ihren Nachwuchs kümmern; das ist keine Frage, schließlich steht die Existenz unserer Betriebe auf dem Spiel. Aber nicht nur die Wirtschaft ist gefordert, sondern wir alle. Wir brauchen ein neues Bildungsverständnis. Auf dem Papier sind Meister und Bachelor gleich. Aber die Wirklichkeit sieht, wenn wir ehrlich sind, anders aus. Für viele Schulabgänger, Eltern und Lehrer ist die duale Ausbildung nur zweite Wahl. Diesen Trend hat Professor Nida-Rümelin treffend als Akademisierungswahn bezeichnet. Ich sehe das auch so. Dieser Trend ist gefährlich für unser Land. Die duale Ausbildung ist der Lebensnerv und der Erfolgsgarant für die gesamte mittelständische Wirtschaft. Wenn uns heute die Auszubildenden fehlen, dann fehlen uns morgen die Fachkräfte. Hier steht also nicht nur die Zukunft des Handwerks auf dem Spiel. Es geht um die Zukunft unseres Landes, um Wachstum und Wohlstand. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Situation muss sich ändern – ich glaube, es ist schon fünf nach zwölf –, sonst werden wir die großen Zukunftsaufgaben wie die Energiewende oder die Digitalisierung nicht meistern können. NAPE können wir dann auch gleich einstampfen; denn die Gebäudesanierung ist ohne das Handwerk nicht zu machen. Deshalb fordere ich ganz klar: Wir brauchen mehr Meister statt Master. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die berufliche Bildung muss stärker gefördert werden. Wir haben viel Geld in den Hochschulpakt und die Exzellenzinitiative gesteckt. Ich sage: Wir brauchen Exzellenz in der beruflichen Bildung. Es muss in die Köpfe der Lehrer, Eltern und Schüler: Ein Studium ist nicht immer der Königsweg. 30 Prozent brechen ihr Studium an einer Universität ab, Tendenz steigend. Da läuft doch etwas schief. Vor allen Dingen schützt ein Universitätsabschluss nicht unbedingt vor schlechter Bezahlung; auch das muss einmal gesagt werden. Wir haben viele junge Akademiker, die die Hälfte von dem verdienen, was heute ein Elektromeister oder ein Installateurmeister verdient. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das stimmt! Das ist richtig!) Leider setzen sich noch zu wenige Menschen mit den einzelnen Berufsbildern im Handwerk auseinander, gerade am Gymnasium. Da muss in Sachen Berufsorientierung mehr getan werden. Hier sind die Länder gefragt. Laut einer Studie der Vodafone-Stiftung fühlt sich nur gut die Hälfte der Schüler über ihre Möglichkeiten ausreichend informiert. Das ist deutlich zu wenig. Viele wissen gar nicht, was das Handwerk bietet: mehr als 130 Ausbildungsberufe. Das Handwerk ist innovativ, das Handwerk ist kreativ, und das Handwerk ist vor allen Dingen Hightech. Vergessen Sie einfach einmal die Bilder von schmutzigen Kfz-Werkstätten und verschmierten Schraubern in Blaumännern. Vergessen Sie die Elektriker, die die Kabel im Haus verlegen. Heute müssen Installateure und Elektriker auf Knopfdruck Gebäude automatisieren. Das nennt man Smart Home. Zu unseren Hochqualifizierten – davon bin ich fest überzeugt – gehören nicht nur unsere Akademiker, sondern auch die Techniker und Meister. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das müssen auch Eltern, Lehrer und Schüler begreifen. Das Handwerk bietet viele individuelle Karrieremöglichkeiten, von der Ausbildung über das Studium bis hin zur Chance, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Wir haben die Durchlässigkeit im Handwerk. Nur, viele wissen das noch nicht. Auch wir hier im Hohen Hause müssen umdenken. Ich bin fest davon überzeugt: Bildungspolitik ist knallharte Wirtschaftspolitik. Ohne Fachkräfte läuft in Deutschland bald nichts mehr. Deshalb müssen wir alle Potenziale für die berufliche Bildung nutzen: Wir müssen die Studienabbrecher gewinnen. Ich finde, das ist eine gute Initiative von Ministerin Wanka. Außerdem haben wir jedes Jahr 50 000 Jugendliche, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Auch die müssen wir auffangen. Hier schlummern unentdeckte Talente. Wir sind sicherlich mit der assistierten Ausbildung auf dem richtigen Weg. Lassen Sie mich zum Schluss aber noch sagen: Die Wirtschaft ist kein Reparaturbetrieb für schulische Defizite. In den Schulen muss mehr getan werden. Rechnen, Schreiben und Lesen kann man wohl von den Schülern verlangen, wenn sie einen Abschluss haben. Meine Damen und Herren, Sie sehen: Der Fachkräftemangel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Aber es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Deswegen heißt es jetzt gemeinsam anpacken. Gott schütze das ehrbare Handwerk. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Thomas Gambke ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Feststellung muss ich am Anfang treffen, nachdem wir Ihren Antrag gelesen haben. (Der Redner hält ein Schriftstück hoch) Die gelb markierten Stellen stammen original vom Zen-tralverband des Deutschen Handwerks. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie haben Ihren gelben Stift wiedergefunden!) Dieses Papier ist auf den Februar dieses Jahres datiert. Ich habe diese Stellen markiert. Sie haben wörtlich an 15 Stellen Textpassagen übernommen. (Thomas Oppermann [SPD]: Ist das denn falsch oder richtig? – Dr. Hans-Joachim Schabedoth [SPD]: Wo ist das Problem?) Wie das bei Plagiaten so ist, Herr Oppermann: Das Abschreiben ehrt den Autor, aber nicht den Plagiator. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 180 Abgeordnete von Ihnen haben unterschrieben; ich halte es für ein Trauerspiel, (Lena Strothmann [CDU/CSU]: Irgendein Haar in der Suppe müssen Sie ja finden!) dass Ihnen wirtschaftspolitisch nichts anderes einfällt, als Verbandspositionen eins zu eins in einen Antrag des Deutschen Bundestages zu übernehmen. (Christine Lambrecht [SPD]: Wenn sie doch gut sind, kann man es doch machen!) Ich finde: Das ist unserem Parlament unwürdig, und ich hoffe, dass dieser Antrag in dieser Art und Weise keine weitere Lesung erfährt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich denke, wir alle hier im Haus unterstützen das Handwerk. Aber wenn wir das Handwerk, den Meisterbrief und die duale Ausbildung stärken wollen, dann müssen wir uns doch kritisch mit dem Thema auseinandersetzen. Klar, es heißt: Stärken stärken, aber wir müssen gleichermaßen die Schwächen identifizieren und nach Möglichkeit ausbügeln. Stillstand ist Rückschritt, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsbank, und genau dieser Rückschritt wird durch dieses Plagiat dokumentiert. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gerade im Forderungskatalog, in dem die Themen angesprochen werden, in einem Bereich, in dem wir Weiterentwicklung brauchen, bleiben Sie vollkommen nebulös und machen keinerlei konkrete Vorschläge. Erstes Beispiel. Sie fordern unter Punkt 4 – ich zitiere –, „den Technologietransfer … aus Forschung … ins Handwerk … zu unterstützen …“ Ja, wie denn? Wollen Sie die steuerliche Forschungsförderung für das Handwerk einführen? Wollen Sie am Gewährleistungsrecht – da sollte man einmal hinschauen – etwas verändern? Wollen Sie sich endlich einmal dem wirklich drängenden Problem der steigenden Komplexität der Technologien und Materialien im Handwerk zuwenden? Gehen Sie einmal vor Ort, und sprechen Sie mit den Handwerkern, gerade mit denen, die in dem wichtigen Bereich der energetischen Sanierung arbeiten! Von denen hören Sie durchaus Kritik an der geringen Reak-tionsgeschwindigkeit der Kammern, nämlich wenn es darum geht, was der Schreiner machen darf, was der Trockenbauer machen darf und was der Installateur machen darf. Ich kann nur sagen: Wer sich so ignorant gegenüber dem, was sich draußen abspielt, verhält, wie Sie es mit diesem Antrag tun, der verdient nicht nur wegen Abschreibens eine Sechs, sondern auch wegen Arbeitsverweigerung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweites Beispiel. Sie wollen das Streben nach Selbstständigkeit unterstützen. Wie denn? Einen konkreten Vorschlag sucht man vergebens. Es ist schon unglaublich, was Sie hier vorlegen, und ich glaube nicht, dass die Handwerker mit diesem – gestatten Sie mir diesen Ausdruck – Politikergeschwätz etwas anfangen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sabine Poschmann [SPD]: Doch, das haben sie schon gesagt! Positiv!) Sie stellen sich auch nicht den im europäischen Kontext durchaus gegebenen kritischen Punkten. Frau Strothmann, Sie nehmen mehrfach kritisch Bezug auf die Initiative der Kommission, aber eigentlich schüren Sie damit indirekt Unsicherheit und Vorurteile im Handwerk gegenüber der Europäischen Union. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Dummes Zeug!) Nach Ludwig Erhard ist Wirtschaft zu 50 Prozent Psychologie, und genau hier gehen Sie in die falsche Richtung. Ich will das einmal klar sagen: Ich begrüße es, dass die Kommission über Berufszugangsvoraussetzungen an dieser Stelle Transparenz schafft (Lena Strothmann [CDU/CSU]: Aha, jetzt haben wir es verstanden! – Sabine Poschmann [SPD]: Aha!) und uns vor Augen führt, dass unsere Regulierung mitunter ein Problem sein kann – auch für Handwerkerinnen und Handwerker. Ich will Ihnen ein aktuelles Beispiel nennen: Ein Metallbauer mit zehn Jahren Berufserfahrung will Surfbretter bauen. Er geht zur Handwerkskammer und bekommt dort zu hören, ohne eine Meisterausbildung im Bootsbau könne er keine Surfbretter entwickeln und bauen. Insbesondere die Gefahr für Dritte sei zu hoch. Zehn Jahre Berufserfahrung reichten nicht aus. Er müsse 25 Jahre Berufserfahrung nachweisen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist ja ein richtiges Praxisbeispiel!) Diese Geschichte klingt amüsant, sie ist aber leider wahr, und deshalb in hohem Maße gefährlich und traurig. Jungen Menschen wird der Weg in die Selbstständigkeit verwehrt, (Dr. Hans-Joachim Schabedoth [SPD]: Soll er doch den Meisterbrief machen!) obwohl objektiv keinerlei Gründe vorliegen, dies zu rechtfertigen. Hier bleibt die Innovation auf der Strecke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Gabriel ist mit 120 Personen und großem Getöse nach Kalifornien gereist, um Innovationen auf die Spur zu kommen, und nicht, um Surfbretter einzukaufen. Ich befürchte auch, er würde untergehen, auch wenn sie von einem Handwerksmeister mit 25 Jahren Berufserfahrung hergestellt worden wären. Der Hinweis der Handwerkskammer ist hier aber schon interessant: Der Mann könne ja Surfbretter verkaufen, die er aus dem Ausland – vielleicht aus Kalifornien – importiert. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Machen Sie doch einmal etwas mit Schneidebrettern und Pyramiden!) Die Lösung soll also sein: Er soll ins Ausland gehen und dort etwas kaufen, anstatt hier in Deutschland zu produzieren. Das kann und darf nicht die Folge unserer Meisterpflicht sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bekenne mich klar zur Meisterpflicht, und ich teile auch die Kritik an einigen – nicht an allen – Deregulierungen des Jahres 2003. (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auf der anderen Seite darf es aber keine dogmatischen Regeln geben, die Innovationen verhindern. Das ist durchaus ein Spannungsfeld – gar keine Frage –, aber ich hätte hier erwartet, dass Sie liefern und nicht abschreiben, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt weitere Entwicklungen im Handwerk, auf die wir dringend Antworten brauchen. Ich habe es schon genannt: Immer wieder kommt es bei der Anwendung komplexer Technologien zu Abgrenzungsproblemen bei den Gewerken und zu jahrelangen Blockaden, wenn die Arbeitsumfänge nicht geklärt werden, und wir haben das Problem der Gewährleistung bei Materialien, die eingesetzt werden. Zu diesen Punkten finde ich nichts in Ihrem Antrag. Auch hier wäre es dringend an der Zeit, bestehende Strukturen zu überdenken und weiterzuentwickeln. Letztlich schreiben Sie in Ihrem Antrag nichts anderes, als dass Sie bestehende Strukturen schützen wollen. Das ist einfach zu wenig. Es wäre Ihr Job gewesen, hier konkrete Vorschläge vorzulegen. Ich hoffe, dass das im Gespräch mit dem Handwerk gelingt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Bundesregierung erhält nun die Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Meisterbrief, bei der dualen Ausbildung und bei der Selbstverwaltung der Wirtschaft handelt es sich um gewachsene Strukturen, die ihre Tragfähigkeit unter Beweis gestellt haben. Sie machen den Mittelstand in Deutschland so stark, wie er ist. Wenn wir sagen, dass der Meisterbrief ein Eckpfeiler unserer Wirtschaft ist und dass wir an der Meisterpflicht festhalten, dann ist das alles andere als ein Lippenbekenntnis. Wir sagen das aus der inneren Überzeugung heraus, dass die Meisterpflicht nicht nur für das Handwerk, sondern auch für unsere Wirtschaft und für unsere Zukunft unverzichtbar ist. Auch in Zukunft werden die Meister nicht vom Himmel fallen. Unser duales System, unsere berufliche Aus- und Weiterbildung sind die Basis für unsere Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit. Das gilt, Kollege Gambke, eben auch für die Kammern und die Zwangsmitgliedschaft. Es ist nämlich so, dass die Grünen bei weitem nicht der Meinung sind, dass das das richtige System ist. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP auch nicht! – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch! Wir haben einen ganz anderen Beschluss!) Es gibt einen inneren Zusammenhang, die Kammern einzubeziehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben europaweit die geringste Jugendarbeitslosigkeit. Es ist auch kein Zufall, dass man in vielen Ländern durchaus mit einem gewissen Neid auf unsere duale Ausbildung blickt. (Zuruf von der CDU: So ist es!) Das Handwerk bietet jungen Menschen Chancen und berufliche Perspektiven. Der Grund ist einfach: In der beruflichen Bildung sind Theorie und Praxis optimal miteinander verzahnt. So können die Jugendlichen frühzeitig in die Arbeitswelt integriert werden. Herzstück der dualen Ausbildung sind die kleinen und mittleren Unternehmen. Sie stellen nicht nur zwei von drei Arbeitsplätzen in der deutschen Wirtschaft, sondern auch vier von fünf Ausbildungsplätzen. In über 130 Gewerken bilden Handwerksbetriebe rund 400 000 junge Menschen aus. Jährlich werden rund 120 000 neue Ausbildungsverträge geschlossen. Im Jahr 2012 waren 11 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im meisterpflichtigen Handwerk Auszubildende. Die Ausbildungsquote war damit mehr als doppelt so groß wie in der übrigen Wirtschaft. Diejenigen, die das immer noch nicht davon überzeugt, dass es uns hier nicht um bloße Besitzstandswahrung für das Handwerk geht, sollten sich einmal genauer ansehen, welchen Beitrag das Handwerk zur Fachkräftesicherung leistet. Über 60 Prozent, also mehr als die Hälfte der Ausgebildeten, wandern später als qualifizierte Fachkräfte in andere Wirtschaftsbereiche ab. Frau Strothmann hat schon darauf hingewiesen. Das lässt doch wohl nur einen Schluss zu: Die duale berufliche Bildung im Handwerk ist für unsere gesamte Wirtschaft von existenzieller Bedeutung. Meine Damen und Herren, aber es geht hier nun wirklich nicht nur um wirtschaftliche Interessen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Gleicke, darf die Kollegin Andreae eine Zwischenfrage stellen oder eine Bemerkung machen? Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Aber gerne. (Zuruf von der CDU/CSU: Die ist nachher noch dran!) Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich bin tatsächlich nachher noch einmal dran. Das wird mir dann nachher nicht von der Redezeit abgezogen. Ich wollte Sie nur bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass die grüne Partei und die grüne Fraktion sich sehr eindeutig zum Kammerwesen bekennen und auch gesagt haben, dass das ein notwendiges Instrument in unserer wirtschaftspolitischen Gesamtheit ist. Es gibt von uns ein klares Bekenntnis zur Kammermitgliedschaft. Ich möchte Sie bitten, dies zur Kenntnis zu nehmen und zukünftig auch so zu referieren. Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Ich nehme das gerne zur Kenntnis, auch als Bekenntnis. Sie haben dieses Thema in dieser Woche durchaus mit einer eigenen Veranstaltung auf die Tagesordnung gesetzt. Insofern wollen wir einmal schauen, was mit dieser Veranstaltung dann wird und ob es bei diesem Bekenntnis bleibt. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kritische Auseinandersetzung!) Ich nehme das aber gerne für heute zur Kenntnis. Danke. Meine Damen und Herren, ich will das noch einmal sagen: Es geht nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern es geht um die Zukunft der jungen Leute. Eine gute Ausbildung bietet nach wie vor den besten Schutz vor Arbeitslosigkeit. Eine gute Ausbildung schafft gute Perspektiven für diejenigen, die nicht mit einem silbernen Löffel im Mund auf die Welt gekommen sind. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass wir in letzter Zeit immer wieder über Integration gesprochen haben, nicht zuletzt mit Blick auf die Menschen mit Migrationshintergrund. Da kann man ruhig einmal darauf hinweisen, dass die Ausbildung im Handwerk ein wichtiger Beitrag zu dieser Integration ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man muss auch darauf hinweisen, dass das Handwerk in strukturschwächeren Regionen häufig der größte und wichtigste Arbeitgeber ist. Unsere Aus- und Weiterbildung ist zudem ein Motor der Innovation; Frau Poschmann hat darauf hingewiesen. Sie ist die Basis für unsere Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit. Meine Damen und Herren, für die duale Ausbildung im Handwerk ist die Meisterpflicht von herausragender Bedeutung. 95 Prozent der ausbildenden Betriebe zählen zum meisterpflichtigen Handwerk. Nur 5 Prozent gehören zum zulassungsfreien Handwerk. Besonders die meistergeführten Betriebe tragen damit maßgeblich zu einer hochwertigen Berufsausbildung bei. Ein „Meister made in Germany“ ist Garant für eine hohe Ausbildungsqualität. In der Meisterschule werden neben fachlichen auch betriebswirtschaftliche, kaufmännische und rechtliche Kenntnisse vermittelt. Der Meisterbrief, der „große Befähigungsnachweis“, vermittelt Fachkompetenz für erfolgreiche Unternehmer, Ausbilder und Führungskräfte. Das schafft eine solide Basis für eine erfolgreiche Unternehmensführung, und das senkt nachweislich das Insolvenzrisiko von neugegründeten Betrieben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, der Meisterbrief steht auch für eine hohe Dienstleistungs- und Servicequalität und einen effektiven Verbraucherschutz. Auch das müssen wir in den Debatten immer wieder klarmachen. Das müssen wir auch unseren Freunden und Partnern in -Europa klarmachen. Wir sollten die Diskussion mit der Kommission und den Mitgliedstaaten als Chance begreifen, unseren Partnern die deutschen Strukturen zu erklären. Wir sollten und wir werden die sogenannte Transparenzinitiative der Europäischen Kommission nutzen, um für unser System zu werben. Mit der Transparenzinitiative hat die Kommission eine Überprüfung der mitgliedstaatlichen Regulierung des Berufszugangs eingeleitet. Sie zielt damit auf eine stärkere Öffnung des EU-Binnenmarkts. Bis zum nächsten Jahr stehen damit alle 41 meisterpflichtigen Handwerke auf einer Agenda der Rechtfertigung. Wir stehen da sehr wohl auf dem Prüfstand, aber wir müssen uns nicht verstecken; ganz im Gegenteil. Es macht aus meiner Sicht schlicht und ergreifend keinen Sinn, bewährte und ökonomisch sinnvolle Strukturen infrage zu stellen. Deshalb werden wir gegenüber der Kommission und den Mitgliedstaaten unser System mit all seinen Vorteilen darstellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Sie wissen, ich habe schon häufiger mit den zuständigen Menschen in der Kommission geredet; Herr Calleja war ein paar Mal hier in Deutschland. Wir haben die Lage immer wieder deutlich gemacht. Ein bisschen scheint der stete Tropfen den Stein zu höhlen. Die Meisterpflicht steht für die Bundesregierung nicht zur Disposition. Das haben Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister und auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel klipp und klar gesagt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er eigentlich?) Meine Damen und Herren, wir setzen heute ein starkes und ein unmissverständliches Signal für das Handwerk. Ich bin den Koalitionsfraktionen für diesen Antrag sehr dankbar, der auch einen Schulterschluss mit dem Handwerk darstellt. Dabei geht es eben nicht um Besitzstandswahrung oder dergleichen. Es geht nicht darum, angeblich überkommene Traditionen um jeden Preis und mit aller Gewalt bewahren zu wollen. Nein, es geht um ein Erfolgsmodell. Es geht um Strukturen, die sich bewährt haben und die es zu bewahren gilt. In diesem Sinne herzlichen Dank für die Debatte am heutigen Morgen und dafür, dass Sie mir zugehört haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, Sie haben noch nie die Erfahrung machen müssen, die ein Bekannter von mir machen musste. Er hatte mit der Renovierung seines Badezimmers einen Fliesenleger beauftragt und dabei wahrscheinlich zu sehr auf den Preis als auf die Qualität und Ausbildung geschaut. Jedenfalls hatte er keinen Meisterbetrieb beauftragt. Das Ergebnis dieser Renovierung war deprimierend: Die Zuschnitte waren miserabel, die Fliesen nicht im Winkel, und die Fläche war uneben. Zu allem Überfluss war nachher auch noch der Kostenvoranschlag null und nichtig. Das Ganze kostete mehr, als im Voraus vereinbart worden war. Sie meinen vielleicht: ein bedauerlicher Einzelfall. Wohl eher nicht. Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes hat 2011 in einer Expertenumfrage unter Sachverständigen des Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerhandwerks sowie des Estrichhandwerks erschreckende Zahlen ermittelt: Den betroffenen Bauherren und Endkunden entstand nach Angaben der Sachverständigen ein durchschnittlicher Schaden von 9 000 Euro. Die Mehrheit der Sachverständigen kommt zu dem Ergebnis, dass bei Meistern und Gesellen die Qualität in der Ausführung unverändert hoch, manchmal sogar noch gestiegen ist. Dagegen ist aber in der Gruppe der Verleger ohne ausgewiesene Qualifikation die Zahl der Mängel stark gestiegen. Wem haben die Bauherren das zu verdanken? Es war eine SPD-geführte Regierung, die vor zehn Jahren die größte Deregulierung im Handwerk vorgenommen hat, und heute stellen Sie sich hier als die Retter des Handwerks hin. 2004 haben Sie die Axt angelegt und das Handwerk drastisch verstümmelt. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott!) Das ist scheinheilig. (Beifall bei der LINKEN) Heute kann jeder ohne irgendeine Qualifikation zum Beispiel Fliesen legen. Er muss nur eine Gewerbeanmeldung mitbringen. Die SPD wollte damals unbedingt ihre unsäglichen Ich-AGs, über die heute kaum noch jemand redet, an den Start bringen. Das war ein Angriff auf die gute Qualifikation im Handwerk. Haben Sie jemals daran gedacht, dass Sie damit vielen Handwerkern gesagt haben: „Was du machst, kann eigentlich jeder machen“? Haben Sie damals daran gedacht, dass Sie einem Meister, der sein Leben lang stolz auf seinen Meisterbrief war, erklärt haben, dieser sei nichts mehr wert? Die Abschaffung der Meisterpflicht in vielen Handwerkszweigen im Jahr 2004 unter Rot-Grün hat zu mehr Scheinselbstständigkeit geführt. Die Zahl der Ausbildungsplätze wurde drastisch gesenkt. Für weniger Ausbildungsqualität wurde gesorgt. Der Druck auf Löhne und Arbeitsbedingung ist erhöht worden. Im Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2014 haben wir 24 Prozent weniger Lehrlinge im Handwerk als vor zehn Jahren. Genau das sind die Folgen Ihrer Handwerksreform aus dem Jahr 2004. Jetzt sollten Sie sich nicht hier hinstellen und ein Loblied auf den Meisterbrief singen. Das nimmt Ihnen, meine Damen und Herren gerade von der SPD, leider niemand ab. (Beifall bei der LINKEN) Bevor Sie behaupten, das sei wieder einmal die überzogene Kritik der Linken, hören Sie vielleicht auf den Präsidenten der Handwerkskammer Erfurt: Die Vielzahl der Ein-Mann-Betriebe bildet das Einfallstor für Illegalität und Schwarzarbeit am Bau und führt somit zu Schäden weit über das Fliesenlegerhandwerk hinaus. Zudem leidet das Image dieses Berufes seit der Novellierung. Dumpingpreise und geringe Löhne … sind verheerend … Die Linke hat schon in der vergangenen Wahlperiode in ihrem Antrag gefordert, das Gefälle zwischen den meisterpflichtigen und nichtmeisterpflichtigen Gewerken abzubauen. Auf jeden Fall muss es einen Gesellenbrief als Grundlage und als Mindestqualifizierung geben. (Beifall bei der LINKEN) Damals wollten Sie davon nichts wissen. Stattdessen legen Sie heute einen Schönwetterantrag für das Handwerk vor. Außen vor bleibt allerdings, dass das Handwerk völlig zu Recht zum Schutz der Verbraucher wieder mehr nachweisbare Qualifikation fordert, und das unterstützen wir. (Beifall bei der LINKEN) Aber auch das Handwerk selbst steht in der Pflicht. Das betrifft vor allem die Tarifbindung, aber auch die Mitbestimmung der Beschäftigten. Betriebsräte und gute Tarifverträge sind im Handwerk leider nicht selbstverständlich. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt. Die Linke unterstützt diese. (Beifall bei der LINKEN) Ich bin seit 22 Jahren ehrenamtlich in einer großen Kammer tätig. In den letzten Jahren haben wir immer wieder festgestellt, dass die Industrie bessere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen bietet und die gut ausgebildeten Fachkräfte aus dem Handwerk abzieht. Ich sage Ihnen: Wir brauchen in Deutschland ein Handwerk, das gut qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat, wo gute Löhne gezahlt werden und gute Arbeitsbedingungen herrschen. Dafür sollten Sie konkrete Vorschläge machen. Diese habe ich in Ihrem Antrag leider nicht gefunden. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Axel Knoerig (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der deutsche Meisterbrief ist das Gütesiegel unseres Handwerks. Er steht für erfolgreiche Tradition und höchste fachliche Qualität. Diese besondere berufliche Qualifikation ist einzigartig in der Welt. Auf dem Meistertitel beruht der wirtschaftliche Erfolg vieler mittelständischer Betriebe, die ja bekanntlich das Rückgrat unserer Wirtschaft bildet. Insgesamt gibt es in Deutschland rund 1 Million Handwerksfirmen. Die meisten von ihnen sind kleine Unternehmen und haben maximal vier bis acht Mitarbeiter. Als Beispiel nenne ich meinen Wahlkreis Diepholz/Nienburg. Dort gibt es etwa 2 000 Handwerksbetriebe, die rund 10 000 Menschen beschäftigen. Gerade in unserer ländlichen Region kommt dem Handwerk damit eine erhebliche Bedeutung zu, zum einen in der Sicherung von Arbeitsplätzen, zum anderen in der beruflichen Bildung; denn ein Drittel unserer heimischen Auszubildenden erlernen ihren Beruf in Handwerksbetrieben. (Beifall bei der CDU/CSU) Insgesamt hat das deutsche Handwerk im vergangenen Jahr über 500 Milliarden Euro erwirtschaftet. Die Betriebe haben rund 5 Millionen Menschen einen Arbeitsplatz gegeben. Dazu gehören 380 000 Lehrstellen. Die Ausbildungsquote ist mit 8 Prozent doppelt so hoch wie in der gesamten Wirtschaft. Damit trägt das Handwerk maßgeblich dazu bei, dass wir die geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa verzeichnen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ist es!) Die niedrige Quote von 7,5 Prozent kommt auch dadurch zustande, dass die duale Ausbildung häufig eine anschließende Übernahme in den Betrieb ermöglicht. Auf diese Weise leistet unser Handwerk einen ganz wesentlichen Beitrag zur Fachkräftesicherung in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dafür, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, liefert der Meisterbrief die Grundlage. Wir müssen uns fragen: Warum ist der Meisterbrief so erfolgreich? Lassen Sie uns bitte einen kurzen Rückblick in die Geschichte werfen: Im 19. Jahrhundert wurde die Gewerbefreiheit eingeführt und damit auch eine staatliche Regelung der Handwerkerausbildung. Gleichzeitig gründeten sich die Innungen als Interessenvertretungen der verschiedenen Handwerksberufe. Mit dieser frühen Organisation wurde ein einmaliges Aus- und Weiterbildungsmodell geschaffen, das noch heute als zukunfts- und krisensicher gilt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch hier muss die Frage gestellt werden: Warum ist das so? Weil sich dieses Modell ständig den aktuellen Entwicklungen des Arbeitsmarktes anpasst und weil es in der Abstimmung von Berufskammern, Tarifpartnern und Politik laufend modernisiert wird. Dabei gilt es, das richtige Verhältnis zwischen Tradition und Moderne, aber auch zwischen Theorie und Praxis zu erwähnen. Heute wie damals basiert die Meisterqualifikation auf zwei Pfeilern: Erstens. Grundvoraussetzung ist eine duale Berufsausbildung mit abschließender Gesellenprüfung. Inzwischen wird auch eine erfolgreiche Abschlussprüfung in einem ähnlichen Ausbildungsberuf anerkannt. Zweitens. Wer die Meisterprüfung bestanden hat, wird in die Handwerksrolle eingetragen. Nur dann ist man berechtigt, als selbstständiger Unternehmer einen Handwerksbetrieb zu führen. Einzig die Meister dürfen in ihrem Beruf den Nachwuchs ausbilden. Ganz wichtig dabei ist auch, dass die Meister aufgrund dieser pädagogischen Erfahrungen und der gesammelten Kenntnisse auch als Berufsschullehrer bestens geeignet sind. Diese strenge Reglementierung beim Berufszugang dient von jeher einem Ziel, und zwar der Sicherung der Qualität und damit der Wettbewerbsfähigkeit. Mit der Handwerksnovelle von 2003 wurde der Berufszugang jedoch gelockert. Die rot-grüne Bundesregierung erhoffte sich davon mehr Unternehmensgründungen. Über die Hälfte der zulassungspflichtigen Gewerke wurde daher als zulassungsfrei eingestuft. Seither kann man diese Handwerksbetriebe auch ohne Meisterbrief führen. Meine Damen und Herren, wir müssen heute leider festhalten, dass diese Liberalisierung unserem Handwerk eher geschadet hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Denn Fakt ist: In den vergangenen elf Jahren wurden Handwerksberufe erster und zweiter Klasse geschaffen. Wie die Zahlen belegen, sind Neugründungen ohne Meisterbrief relativ schnell insolvent: Schon zwei Jahre nach dem Start in die Selbstständigkeit gibt es deutlich mehr Registerlöschungen als bei den Meisterbetrieben. Insofern hat Rot-Grün genau das Gegenteil vom damaligen Ziel erreicht: Gefördert wurden Einmannbetriebe, die als Unternehmen nicht ausreichend qualifiziert sind. Genauso wenig tragen diese zur Nachwuchssicherung im Handwerk bei; denn 95 Prozent der Lehrlinge werden in den zulassungspflichtigen Berufen ausgebildet. Die Union hat dagegen in ihrer Bildungspolitik Schwerpunkte gesetzt, die gerade unserem Handwerk zugutekommen: So haben wir uns bereits in der letzten Wahlperiode dafür eingesetzt, die berufliche und akademische Bildung besser vergleichbar zu machen. Dazu wurde der Deutsche Qualifikationsrahmen eingeführt. Dieses Einstufungssystem ermöglicht einen objektiven Vergleich der verschiedenen Berufs- und Studienabschlüsse. Der Meisterbrief ist hier auf Niveau 6 eingestuft, genau wie der akademische Grad des Bachelors. Damit wurde die Meisterprüfung als Berufsqualifikation sichtbar aufgewertet. (Beifall bei der CDU/CSU) Seit Anfang dieses Jahres ist die Meisterqualifikation auch im europäischen Qualifikationsrahmen der Stufe 6 zugeordnet. Hiermit haben wir ebenfalls eine erhebliche Aufwertung des deutschen Meisterbriefes in Europa erzielt. Immer wieder gibt es Bestrebungen, die duale Ausbildung zu reformieren und damit die solide Basis für die Meisterqualifikation infrage zu stellen, und dem ist entgegenzuwirken. Von meiner Kollegin Lena Strothmann ist heute schon einmal der Münchener Philosoph und ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin zitiert worden. Er hat ein Buch veröffentlicht mit dem -Titel Der Akademisierungswahn – Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung. Darin warnt er davor, die berufliche Bildung allzu wissenschaftlich zu gestalten. Die duale Ausbildung sollte praxisorientiert zwischen Betrieb und Berufsschule eingebunden bleiben. (Lena Strothmann [CDU/CSU]: Recht hat er!) Schließlich beruht der Schwerpunkt auf dem Berufsalltag – und nur so kann die Qualität dieses erfolgreichen Bildungsmodells langfristig gehalten werden. Die Grünen haben in der letzten Wahlperiode gefordert, das duale Ausbildungssystem um eine weitere Komponente zu ergänzen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) DualPlus – so haben Sie das genannt; ich will das gar nicht als Konzept bezeichnen – bedeutete eigentlich nur mehr bürokratischen Aufwand. Die Grünen wollten neben Betrieb und Berufsschule noch eine weitere überbetriebliche Einrichtung an der Ausbildung beteiligen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Unglaublich!) Die Betriebe sollten sogar Träger dieser Einrichtung werden. Da, meine Damen und Herren von den Grünen, ist, denke ich, auch die Sicht von Verbänden wie IHK und ZDH maßgeblich; denn die haben damals überhaupt keinen Reformbedarf gesehen. Wieso auch? Warum sollte man dieses gut funktionierende Modell aus betrieblicher Praxis und begleitender Theorie aus dem Gleichgewicht bringen? (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es aber schon noch ein paar Lücken!) Es ist doch so: Wenn man die Zuständigkeit, zum Beispiel für Praktika, an überbetriebliche Ausbildungsstätten überträgt, dann werden doch die Betriebe aus der Verantwortung gedrängt. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau so ist es!) Doch gerade ihre intensive Beteiligung sichert die praxisnahe und am Arbeitsmarkt orientierte Ausbildung. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, wir müssen nicht an etwas herumdoktern, was bereits bestens funktioniert. Genau deshalb ist unser Bildungssystem ja in aller Welt hochangesehen. Insbesondere seit der Wirtschafts- und -Finanzkrise dient es in Europa sogar als Vorbild: Zahlreiche Länder der Europäischen Union sind bemüht, die besonderen Vorzüge der dualen Ausbildung in Deutschland nachzuahmen. So soll die hohe Jugendarbeits-losigkeit, zum Beispiel in Spanien, bekämpft werden. 38 000 junge Spanier und Griechen haben über die Bildungskooperation in Deutschland schon einen Ausbildungsplatz bekommen. Auch mit Italien wurde solch eine Vereinbarung getroffen. Seit 2012 unterstützt Deutschland bereits mehrere Länder mit Kooperationen zur Berufsbildung. Ich denke, das ist eine gute Grundlage, um die Zukunftschancen junger Menschen in ganz Europa zu verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Aufstiegsmöglichkeit zum Meister wird seit Jahren konstant genutzt: 2013 wurden über 23 000 Meisterprüfungen erfolgreich abgelegt. Es ist erfreulich, dass der Frauenanteil mittlerweile auf 20 Prozent gestiegen ist. Der Bund unterstützt diese Fortbildung mit dem sogenannten Meister-BAföG. Seit dem Start im Jahr 2008 ist die Zahl der Antragsteller kontinuierlich gestiegen – auf nunmehr rund 170 000. Die Förderzusagen beliefen sich im vergangenen Jahr auf 576 Millionen Euro. Genauso wie in der akademischen Bildung wollen wir auch in der beruflichen Bildung Karrieren fördern. Daher werden wir die Leistungen beim Meister-BAföG, wie wir das im Koalitionsvertrag vereinbart haben, weiter verbessern. Ähnlich wie beim BAföG für Studierende sollen auch Meister mit guten Noten bei den Rückzahlungen entlastet werden. In vielerlei Hinsicht haben wir berufliche und akademische Bildung damit schon gleichgestellt. Doch, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wäre es nicht eine logische Konsequenz, die Meisterqualifikation genau wie das Studium nun kostenfrei anzubieten? Das wäre, denke ich, ein weiterer bedeutender Beitrag zur Qualitätssicherung im Handwerk und in der dualen Ausbildung. Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält die Kollegin Kerstin Andreae das Wort. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja richtig, was Sie da schreiben: Dass wir den Meisterbrief als Gütesiegel wertschätzen sollten. Aber was ich so verblüffend finde und was mich auch ein bisschen irritiert, ist, dass wir in dieser wertvollen Kernzeit einen Antrag diskutieren, der wirklich dünn ist, weil er die entscheidenden Fragen offenlässt, weil er Lücken lässt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]) Es ist per Copy-and-paste erstellt worden. Es handelt sich um die ZDH-Position. Wenn Sie schon beantragen, dass hier zur Kernzeit so eine wichtige Debatte geführt wird, dann hätte ich mir echt gewünscht, dass Sie uns einen Antrag mit ein bisschen mehr Substanz vorgelegt hätten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ja, es ist richtig: 2004 haben wir die Handwerksordnung novelliert. Liebe SPD, macht euch mal nicht so arg vom Acker! 2004 gab es hochverkrustete Strukturen, hohe Arbeitslosigkeit; an vielen Stellen ist überlegt worden: Wie können wir dazu beitragen, dass wieder mehr Leute einen Job haben? Wie Marktzugangsbeschränkungen beseitigen, wie den Wettbewerb beleben? Dann hat es die Novelle gegeben, und man hat sich dafür entschieden, dass Berufe, die dem Gefahrenrisiko nicht unterliegen – wie der Uhrmacher, der Goldschmied, der Schuhmacher, der Buchbinder oder auch der Fliesenleger –, herausgenommen werden. Es kann ja sein, dass an der einen oder anderen Stelle tatsächlich über das Ziel hi-nausgeschossen wurde. Was haben wir deswegen gesagt, und was fordern wir hier Jahr für Jahr? Evaluiert mal, damit wir wissen, wie die Novelle gewirkt hat und worüber wir eigentlich reden müssen! Das ist doch das, was hier zunächst einmal kommen müsste. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lena Strothmann [CDU/CSU]: Das wissen wir doch! Haben wir alles festgestellt!) Man muss doch schauen: Was ist aus den Betrieben geworden? Ja, es gibt die Zahl von 60 Prozent Insolvenzen bei Existenzgründern. Vergleichbare Zahlen bekommen Sie aber überall; denn der Gang in die Selbstständigkeit ist tatsächlich ein risikobehafteter. Wie ist die Situation am Ausbildungsmarkt? Ja, die Zahl der ausbildenden Betriebe sinkt. 2012 bildeten nur noch 21,3 Prozent der Betriebe überhaupt aus. Aber den direkten Zusammenhang zu der Novelle ziehen Sie mir hier ein bisschen zu en passant. Da müssen Sie doch einmal genau hinschauen: Was ist passiert? Und auf der anderen Seite müssen Sie sich auch anschauen: Welche Herausforderungen sind 2014 zu bewältigen, damit mehr ausgebildet wird? Denn dass wir mehr ausbilden müssen, ist doch gar keine Frage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Über 250 000 Jugendliche sind heute in der Warteschleife, weil sie keinen Ausbildungsplatz gefunden haben – (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Da sind doch nicht die Meister dran schuld!) es kostet uns übrigens jedes Jahr 4 Milliarden Euro, dass wir keine Lösung für diese Jugendlichen finden –, und 1,5 Millionen unter 35-Jährige sind ohne Ausbildung. Deswegen müssen wir einen Paradigmenwechsel hinbekommen.. Wir müssen eine Ausbildungsoffensive starten – diese haben Sie im Koalitionsvertrag groß angekündigt –, für gute Ausbildung sorgen und letztlich eine Ausbildungsplatzgarantie auf den Weg bringen, so wie es Österreich macht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das betrifft vor allem Jugendliche mit Einwanderungshintergrund. Der Name ist eine Hürde. Das ist zwar dramatisch und beklagenswert; da kann man nur an die Unternehmen appellieren, dies nicht zuzulassen. Aber: Wir wissen es. Als die Kanzlerin letzte Woche sehr medienwirksam Betriebe besucht hat, wurde auch ihr sehr deutlich gesagt: Der Name ist eine Hürde. – Bildungschancen in Deutschland sind ungerecht verteilt. Bildungsgerechtigkeit und Inklusion sind für viele Kinder und Jugendliche nicht gegeben. Es gibt also ganz viele Baustellen, und wir müssen viele Antworten geben. Eine davon ist DualPlus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das hat mit dem Antrag nichts zu tun, was Sie da erzählen!) – Doch, das hat etwas mit dem Antrag zu tun. Denn es geht darum, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen einer geringeren Zahl von Ausbildungsplätzen, dem Meisterbrief und der Frage: Welche Lösungen gibt es, um mehr Ausbildungsplätze zu schaffen? Wir müssen uns fragen: Wie können wir kleinen Handwerksbetrieben helfen, damit sie sagen: „Ja, wir bilden wieder aus“? Wenn man überbetriebliche Ausbildungsstätten schafft und einzelne Module herausnimmt, dann sagt vielleicht der eine oder andere Handwerksbetrieb: Okay, unter diesen Voraussetzungen bilde ich wieder aus. – Deswegen hat das definitiv etwas mit dem Antrag zu tun. Das steht sogar in seiner Überschrift. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Oh nein! So steht das da bestimmt nicht drin!) – Das ist ja ganz besonders niedlich. Also ehrlich, Leute! Unter II.5 wird gefordert, die Attraktivität der beruflichen Aus- und Weiterbildung zur Sicherung des Fachkräfte- und Unternehmernachwuchses weiter zu steigern – – so weit, so gut, dass Sie dies wollen; aber dann geht es nach dem Bindestrich so weiter – dies insbesondere auch im Hinblick auf Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinderung und Frauen … Das treibt einem doch Tränen in die Augen! (Sabine Poschmann [SPD]: Nein, nein! Das ist schon richtig so! Lesen Sie erst mal weiter!) Ihr braucht doch einen Paradigmenwechsel! Frauen sind nicht behindert, sie werden behindert! (Christine Lambrecht [SPD]: Also wirklich! Wer behauptet denn das? Das ist ja unter-irdisch, was Sie da sagen!) Meine Güte, geht das endlich mal in eure Köpfe? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Frauen sind keine Belastung, sondern eine Bereicherung. Es ist etwas völlig anderes, ob man Inklusion betreibt und sich darum kümmert, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund einen Ausbildungsplatz bekommen, oder ob man sich darum kümmert, dass Frauen echte Chancen am Arbeitsmarkt haben, Führungskräfte werden können. Wenn Sie schon beim ZDH abschreiben, dann hätten Sie auch diese Zahlen übernehmen können: Fast ein Drittel aller neuen Auszubildenden im Handwerk sind weiblich. Mehr als 20 Prozent aller Meisterprüfungen werden von Frauen abgelegt. Der Anteil von Frauen mit Meistertitel hat sich in den vergangenen Jahren fast verdoppelt. – Trotzdem haben es Frauen unheimlich schwer: Das Kapital fehlt, die Unterstützung fehlt, und sie müssen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Griff bekommen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das müssen Männer auch!) Im Ergebnis sind die Frauen am Ende nicht diejenigen, die ein Unternehmen bzw. einen Handwerksbetrieb führen. Das ist ein Problem, dem Sie sich endlich einmal stellen müssen, auch vom Kopf und von der Haltung her. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sabine Poschmann [SPD]: Aber das steht doch im Antrag! Lesen!) Der ZDH hat die richtigen Analysen betrieben. Auch wir bekennen uns zum Meisterbrief als Garant für gute und sichere Arbeit. Dazu bekennen wir uns. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Na bitte, geht doch!) Von den Regierungsfraktionen hätte ich aber wirklich mehr als Copy-and-paste erwartet. Wo sind die Konzepte für stabiles Handwerk, für die Integration von ausländischen Auszubildenden, für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, gegen den Fachkräftemangel? Über die Rente mit 63 kann ich jetzt leider nicht mehr sprechen. Wie wollen Sie die jungen Frauen ermutigen, in die handwerklichen Berufe einzusteigen und Führungsverantwortung zu übernehmen? Da sind Sie blank. Dazu sagen Sie in diesem Antrag überhaupt nichts. Das ist ein Wohlfühlantrag mit ganz vielen Unterschriften, und Sie werden jetzt alle durch Ihre Wahlkreise gehen und sagen: Wunderbar! Schaut mal, was wir gemacht haben! – Aber ein bisschen mehr im Bereich der Handwerkspolitik können wir von Ihnen schon erwarten. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Ja, machen Sie mal!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Ernst das Wort. Klaus Ernst (DIE LINKE): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Frau Andreae, ich habe Ihnen genau zugehört: Verkrustete Strukturen und Ähnliches habe es vor 2004 gegeben. Ich hätte mir eigentlich gewünscht – auch wenn wir jetzt gerade zusammen in der Opposition sind, komme ich nicht darüber weg und muss das sagen –, dass Sie ein wenig selbstkritischer mit dem umgegangen wären, was Sie in der Zeit der Koalition mit der SPD gemacht haben; (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) denn Sie sind mitverantwortlich. Ich habe mir gerade die Liste noch einmal angeschaut: Sie waren doch dabei, als zum Beispiel Maßschneider – die Frau Strothmann hat gesprochen; sie ist, wenn ich es richtig gelesen habe, Maßschneidermeisterin – in die Liste B aufgenommen wurden, sodass also eine Meisterprüfung nicht mehr Voraussetzung für diesen Beruf ist. Finden Sie das eigentlich richtig? Sind Sie tatsächlich der Auffassung, dass das, was Sie damals mit der SPD zusammengeschustert haben, tatsächlich dem dient? (Zurufe von der SPD: Zusammen-geschneidert!) – „Zusammengeschneidert“, genau, nicht „zusammengeschustert“. – Finden Sie das wirklich gut? Ich teile ja teilweise die Kritik an diesem Antrag; auch wir finden, dass darin etwas zu den Handwerkskammern fehlt, dass wir dort genauer sein müssen – alles d’accord, einverstanden. Aber ein klein wenig Selbstkritik zu dem Unfug, den Sie damals gemacht haben, wäre angebracht gewesen, wenn Sie sich hier in dieser Weise verhalten. Ich muss Ihnen sagen: Das hat mir überhaupt nicht gefallen. Denn ein wenig Selbstkritik für das, was man selbst anstellt, ist wichtig, damit man hinterher glaubwürdiger wird bei dem, was man selbst will. (Lena Strothmann [CDU/CSU]: Ich stimme Herrn Ernst ungern zu! Aber da hat er recht!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zur Erwiderung Frau Andreae. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank. – Ich glaube, ich habe sehr deutlich gemacht, dass damals verkrustete Strukturen und eine hohe Arbeitslosigkeit dazu geführt haben, dass man sich verschiedenste Dinge überlegt hat, dass Reformen auch immer lernende Reformen sind und dass Korrekturen dort vorgenommen werden müssen, wo sie notwendig sind. Damals wurde eine Novelle gemacht, bei der nicht gefahrengeneigte Berufe aus der Handwerksrolle herausgenommen wurden; und bei aller Wertschätzung der Schneidermeisterei – auch wenn ich bei dem einen oder anderen manchmal das Gefühl habe, dass dort tatsächlich Gefahrenpotenzial vorhanden ist – sind Schneidermeister, Uhrmacher, Buchbinder eben keine Berufe, bei denen diese Gefahrgeneigtheit bestanden hat. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber Friseur! Können Sie das erklären? Friseur!) – Ja, der Friseur hat auch manchmal etwas mit Gefahren zu tun, aber davon sprechen wir jetzt nicht. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das stimmt! Je nachdem, wie man hinterher aussieht! – Gegenruf von der SPD: Wächst alles wieder nach!) Aber tatsächlich ist richtig: Man muss überprüfen. Und dort kommen wir doch zusammen. Die Evaluierung ist notwendig, denn sie bringt uns die Daten und die Sicherheit, um festzustellen: Gibt es einen Korrekturbedarf, oder nicht? Richtig ist aber auch, dass wir nicht -unterstützen, weitere Berufe, die jetzt noch in der Handwerksrolle sind, herauszunehmen. (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Aber Sie waren verantwortlich für den Kahlschlag!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat der Kollege Schabedoth für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist, wenn die Praxis nicht zur Theorie passt? Glaubensstarke Theoretiker und bornierte Ideologen antworten: Das ist aber sehr schlimm für die Praxis. Den Praktikern bleibt dann oft nur noch die Überzeugung, trotzdem recht zu haben, oder, zu resignieren. So ähnlich war die Situation, als es vor zehn Jahren um die Handwerksnovelle ging. Die Deregulierungsideologen und ihre Weihrauchkesselschwenker, befeuert von einer EU-Vorgabe – vergessen Sie das bitte nicht –, (Beifall bei der SPD – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das ist eine Mär!) begeisterten sich für eine möglichst umfassende Entsorgung dessen, was sie als mittelalterliche Zunftordnung missverstanden. Es konnte gar nicht genug dereguliert werden, nicht nur auf diesem Feld; Sie erinnern sich. Die Praktiker des Handwerks können bis heute nicht nachvollziehen, wieso Handwerksgesellen, die zu bequem oder vielleicht auch ein bisschen damit überfordert sind, eine Meisterprüfung zu bestehen, ihren Meistern im Wettbewerb um Aufträge Konkurrenz machen dürfen. Keiner käme schließlich auf die Schnapsidee, zum Beispiel jedem Fußballverein, der sich in der 1. Bundesliga redlich müht, deshalb die Qualifikation für das Mitspielen in der Champions League zu erlassen. Ich finde, es ist auch eine gute gesellschaftliche Konvention, dass sich selbst eine lebenskluge und sehr erfahrene Sprechstundenhilfe besser nicht ohne erfolgreich absolviertes Medizinstudium als Ärztin niederlassen darf. Warum – das hat mich schon immer bewegt – sollte zum Beispiel den Fliesenlegern der Befähigungsnachweis für eine gute Unternehmensführung erspart bleiben? Zu Recht beharrt unsere Gesellschaft bei verantwortlichen Tätigkeiten auf einer besonderen Qualifikation. Im Handwerk ist das für eine Betriebsführung der Meisterbrief. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Machte es schon keinen Sinn, hier zwischen den einzelnen Gewerken zu differenzieren, wäre es wirklich noch törichter, sich infolge der gerade von der EU-Kommission gewollten Evaluierungsprozesse der nationalen Berufsreglementierungen vom deutschen Meisterbrief zu verabschieden. Wir können inzwischen auf zehn Jahre Praxis mit der Deregulierung der Handwerksordnung zurückblicken. Der verheißene Arbeitsplatzboom durch die neuen zulassungsfreien Gewerke fand nicht statt. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Und jetzt?) Da haben wir dazugelernt. Daraus muss man Konsequenzen ziehen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Bei aller Selbstgerechtigkeit: Im Himmel soll mehr Freude über diejenigen sein, die von einem falschen Weg abkehren, als über die, die schon immer wussten, was richtig oder falsch ist. (Beifall bei der SPD) Wir haben gehört, dass die zulassungsfreien Gewerke sich auf dem Arbeitsmarkt und auf den entsprechenden Geschäftsfeldern nicht sehr gut positionieren konnten. Fünf Jahre nach der Neugründung meisterfreier Betriebe waren 60 Prozent dieser Betriebe schon wieder insolvent. Bei den meisterpflichtigen Betrieben sah das ganz anders aus – aus gutem Grund, wie wir wissen. Was besonders wichtig an Meisterbetrieben ist: Sie bilden überproportional häufig aus. Das meisterpflichtige Handwerkssystem ist das Rückgrat des international bewunderten deutschen Systems der dualen Berufsausbildung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will noch einmal besonders hervorheben, dass über die Ausbildung im Handwerk gerade auch solche Jugendliche einen Zugang in ein gelingendes Berufsleben finden, die in den akademischen Ausbildungsgängen vielleicht Mühe hätten. Nicht zuletzt ist das ein Vorteil gerade für Jugendliche mit dem sogenannten Migrationshintergrund. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen und einmal anregen, das Wort „Migrationshintergrund“, so oft es geht, zu vermeiden – auch in den politischen Debatten unseres Hauses – und stattdessen von „Kindern aus Einwande-rerfamilien“ zu sprechen. Wenn Fakten gelten, ist die Überlegenheit des deutschen Systems der meisterpflichtigen Handwerksberufe hinlänglich bewiesen. Es lohnt sich also, den noch verbliebenen Kernbestand zu verteidigen und vielleicht auch gemeinsam der Frage nachzugehen, wie weit bislang zulassungsfreie Gewerke nicht doch wieder in die Meisterpflicht zurückgeholt werden können. Es gibt ja schließlich die Volksweisheit, die uns ermutigt, aus Schaden klüger zu werden. Allerdings gibt es auch eine Volksskepsis, wonach eher ein Politiker durch ein Nadelöhr geht, als dass er Fehlentscheidungen korrigiert. – Auf der Tribüne habe ich jetzt einige nicken gesehen. Wir wollen das beim deutschen Meisterbrief anders machen. Es war eben ein Fehler, sich aufschwätzen zu lassen, dass von der Deregulierung der Handwerksordnung ein Segen für die deutsche Wirtschaft ausgehe. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN) Die vorliegende Entschließung zieht daraus die Konsequenz. In einer Eindringlichkeit, die viele Praktiker des Handwerks schon 2004 gewünscht hätten, wird festgehalten: Meisterbrief – das ist ein Gütesiegel für gute Arbeit. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Schabedoth, darf kurz vor Ende Ihrer Redezeit der Kollege Krichbaum Ihnen noch eine Zwischenfrage stellen? Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): Dafür bin ich sehr dankbar. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das habe ich fast befürchtet: Der Kollege Krichbaum darf also. (Heiterkeit) Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Herr Kollege Dr. Schabedoth, Sie haben wiederholt von der Vorgabe der Deregulierung seitens der EU gesprochen. Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es eine solche Vorgabe des Inhalts, den Sie hier in den Raum gestellt haben, nicht gegeben hat? Es war nämlich tatsächlich so, dass die Länder der Europäischen Union inklusive der Bundesrepublik Deutschland, wo es diese spezielle Thematik des Meisters gibt, aufgefordert wurden, andere aus der Europäischen Union kommende Handwerker zuzulassen. Wir hätten aber ohne diesen Kahlschlag in der Handwerksordnung durchaus weiterhin an der Meisterpflicht jener Berufe festhalten können, die auch bis dato in der Anlage A aufgeführt waren. Das hätte dann zum Tatbestand der sogenannten Inländerdiskriminierung geführt, was aber seitens der EU keinesfalls verboten ist und wogegen die EU auch nicht vorgegangen wäre. Wir hätten an den höheren Standards festhalten können. Es waren aber leider damals ideologisierende Debatten, gerade bei Rot-Grün, die dazu geführt haben, dass dann viele Gewerke aus der Meisterpflicht herausgenommen wurden – was schade war. Wir konnten es damals nicht verhindern. Ich selbst war aber damals in diese Dinge involviert und konnte es auch nicht verhindern. Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): Vielen Dank, dass Sie Ihre Erinnerung in die Debatte mit einbringen. Ein berühmtes Mitglied meiner Fraktion hat mal gesagt: „Hätte, hätte, Fahrradkette“. (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Der dann nicht gewählt wurde!) Wir haben damals unter dem Druck einer anderen Debatte anders entschieden. Es gab durchaus den Hintergrund, den Sie nannten: dass auch von der EU der Impuls kam, den Meisterbrief nicht als letztgültige Zulassung zu verstehen. Wir haben ja daraus gelernt; darauf habe ich vorhin noch hingewiesen. Wenn Sie jetzt mit uns den Restbestand verteidigen und auch ein wenig mit darauf schauen: „Können wir vielleicht etwas zurückholen?“, können wir doch einen Fehler korrigieren. Ich habe jedenfalls meine Gesprächspartner vom Handwerk so verstanden, dass sie das alle von uns erwarten, übrigens nicht nur von den Regierungsparteien. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Meisterbrief ist ein Segen und kein Relikt; das wollten meine vielen Kollegen, die vor mir gesprochen haben, und ich zum Ausdruck bringen. Es ist ja verständlich, wenn die Opposition einer Regierungsvorlage mit Misstrauen begegnet. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, mit Erwartungen!) Doch seien Sie versichert, meine Damen und Herren: Bei unserem Eintreten für den deutschen Meisterbrief würde oppositionelles Misstrauen am falschen Gegenstand geübt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich bitte deshalb auch besonders um die Unterstützung der Opposition. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Ansprüche an Sie!) Das wäre ein sehr gutes Signal für rund 1 Million Betriebe des deutschen Handwerks. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort der Kollegin Barbara Lanzinger für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt was Neues, was ganz Neues!) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Handwerk hat goldenen Boden“ ist auch ein Sprichwort. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Handwerk hat grünen Boden! – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Grünen Boden“ ist auch hübsch! – Gegenruf der Abg. Lena Strothmann [CDU/CSU]: Gott sei Dank nicht!) – Na ja, im Sprichwort heißt es halt „goldenen Boden“ und nicht „grünen Boden“; ich glaube, so weit sind wir uns schon einig, oder? (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) – Gut, in Ordnung. – Das Gold glänzt nicht mehr ganz so, wie es früher einmal geglänzt hat: Es gibt viele Auflagen und viele Anforderungen an unser Handwerk und gerade an unsere kleinen und mittleren mittelständischen Betriebe. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb, weil diese Kraft dahintersteckt, ist das Handwerk das Rückgrat unserer Wirtschaft. Ich glaube, gerade diese kleinen und mittleren mittelständischen Betriebe haben uns in Deutschland die letzten Jahre, wo es wirtschaftlich gesehen ja nicht so einfach war, sehr wohl geholfen; ich denke, das muss man festhalten. Wir müssen alles tun, um diese Kraft zu stärken, und dürfen sie nicht schwächen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Handwerksbetriebe mit ihren ausgezeichnet ausgebildeten Beschäftigten und vorneweg den Meisterinnen und Meistern sind – das wurde heute schon ein paarmal erwähnt – das Herzstück und – auch das sage ich ganz bewusst – der Puls unseres Mittelstandes. Meine Vorredner haben vieles erwähnt; man könnte auch sagen, ich hätte von denjenigen, die schon gesprochen haben, abgeschrieben, oder ich wiederholte, was schon gesprochen wurde. Ich sage aber: Es gibt auch ein altes Sprichwort in der Werbeindustrie. Demnach muss man vieles mehrfach sagen und hören, damit es tatsächlich ankommt und angenommen wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb sage ich noch einmal ganz deutlich in meiner Rede: Unsere hohe Qualität – made in Germany – ist Präzisionsarbeit, und unsere Leistungsfähigkeit kommt nicht irgendwoher oder von ungefähr. Unsere Basis dafür ist eine gute, fundierte Ausbildung, ist das Können, sind bewährte Strukturen, auf die wir zurückgreifen können, mündend auch im Meisterbrief, und zwar – auch das sage ich ganz deutlich – nicht nur im Meisterbrief, sondern vor allem auch im Meistervorbehalt. Ich denke, es ist wichtig, dies deutlich zu machen; denn es geht auf europäischer Ebene nicht darum, den Meisterbrief zu untersuchen, sondern vor allem den Meistervorbehalt, sprich: Wie kann ich mich selbstständig machen, nur mit einem Meister? – Der Meisterbrief steht nicht zur Dis-position. Es ist auch richtig – ich wiederhole es ganz bewusst –: Bereits Ludwig Erhard hat ganz deutlich gesagt, dass es sich bei dem Meisterbrief nicht um eine Einschränkung, sondern um einen Nachweis zur Befähigung handelt. Der Meisterbrief – ich glaube, wir sind uns hier alle einig – ist beileibe kein Hemmnis und schon gar keine Marktzugangsbeschränkung, sondern ist vielmehr ein wirksames Instrument zur Leistungssteigerung insgesamt, durch das im Handwerk erst die Voraussetzungen für Wettbewerb geschaffen werden, den wir in unserer Wirtschaft dringend brauchen. Es ist falsch, von einer Reglementierung zu sprechen und damit negative Verbindungen herzustellen. Immer wenn das Wort „Reglementierung“ fällt, denkt man an Bürokratie und Bürokratieabbau. Das ist in diesem Fall falsch. Man muss hier sehr wohl differenzieren. Hier ist die Reglementierung positiv, absolut positiv für mehr Qualität. Wir müssen uns gemeinsam bei der Umsetzung der EU-Richtlinien zur Reglementierung der Berufe für den Erhalt des Instruments Meisterbrief und damit des Meistervorbehalts starkmachen und dafür kämpfen, dass dieses bewährte Instrument der Leistungssteigerung erhalten bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die EU-Kommission verfolgt mit ihrem Aufruf zur Überprüfung das Ziel – ich wiederhole das noch einmal –, durch den Abbau von Regulierung mehr Beschäftigung und Wachstum zu schaffen. Daher sollen wir im Zuge eines gegenseitigen Evaluierungsprozesses die Zugangsschranken für regulierte Berufe genau überprüfen und begründen. Aus meiner Sicht – ich denke, wir sind uns hier einig – muss die Überprüfung und Begründung heißen, den Meisterbrief nicht nur zu erhalten, sondern zu stärken. Warum? Weil die Ausbildung vom Gesellen über die Berufserfahrung hin zum Meister die Basis für einen qualifizierten und leistungsstarken Wirtschaftsbereich und auch – das sage ich ganz deutlich – für eine solide und wirtschaftliche Unternehmenspolitik ist. Das ist ein Qualitätssiegel und ein Gütesiegel erster Klasse. Die Idee von mehr Wachstum und mehr Beschäftigung im Zuge von Dienstleistungsfreiheit auf dem europäischen Binnenmarkt ist wirtschaftlich interessant. Es ist jedoch sehr wohl fraglich, ob dies durch die Abschaffung des wertvollen Instruments der Meisterprüfung und damit unserer dualen Ausbildung erreicht werden kann und erreicht werden sollte. Ich wiederhole auch – das wurde schon einige Male erwähnt –: Wir dürfen nicht – ich nenne es ganz bewusst so – über Qualitätsleichen gehen, um eine europäische Liberalisierung zu erreichen. Die Erfahrungen der Handwerksnovelle 2004 zeigen uns schon deutlich, dass sie nicht geholfen hat, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln oder gar den grenzüberschreitenden Austausch von Handel und Dienstleistungen zu beflügeln. Ganz im Gegenteil: Die Abschaffung der 53 zulassungspflichtigen Gewerke hat bei uns zu einem Qualitätsverlust – ich sage es ganz deutlich: zu einem enormen Qualitätsverlust – geführt. (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Und Ausbildungsverlust!) Das darf nicht noch einmal passieren. Weil man auch in der Politik schlauer werden kann, haben wir heute diesen Antrag gestellt. Denn wir wollen im Zusammenhang mit der neuen Evaluierung nicht wieder den gleichen Fehler machen. Wir sagen ganz klar: Wir müssen den Meister und den Meistervorbehalt erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es stimmt – ich erwähne das ganz bewusst –, dass sich wegen der damaligen Novellierung heute jeder als Fliesenleger, als Trockenbauer selbstständig machen kann. Wenn man heute auf dem Bau arbeitet – da weiß ich, wovon ich spreche –, dann erlebt man schon, dass Meisterbetriebe, deren Mitarbeiter eine gute Ausbildung haben, tatsächlich das ausbaden müssen, was vorher kaputtgemacht worden ist. Deren Auftragsbücher sind aber übervoll; ich bekomme sie gar nicht auf den Bau, wenn es tatsächlich zu Pfusch am Bau gekommen ist. Das ist so, und insofern müssen wir dafür sorgen, dass solche Dinge nicht mehr passieren. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wie? Sie müssen mal was vorlegen!) Einer meiner Handwerksmeister erzählt mir immer: Ein gut ausgebildeter Koch, der keine Arbeit kriegt, kann sich als Estrichleger selbstständig machen. Er weiß aber nicht, welche Dämmung darunter ist. Der Metzger, der in seinem Gewerk eigentlich auch sehr gut ist, legt dann die Fliesen drauf. Dabei kommt nichts Gutes heraus; eine solche „Wurst“ kann man nicht essen. Es ist auch so, dass sich viele Dienstleister, zum Beispiel Hausmeister, als Handwerker niederlassen. Da müssen wir schon vorsichtig sein und ganz genau aufpassen, dass die Reglementierung im positiven Sinn in diesem Fall erhalten bleibt. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir ja gar nichts dagegen!) Ich möchte einen Punkt erwähnen, der heute noch nicht erwähnt worden ist: die Altgesellenregelung, die es nach wie vor gibt. Gesellen, die über Jahre hinweg in ihrem Betrieb gearbeitet haben, können sich demnach auch ohne Meisterbrief selbstständig machen und sehr wohl einen Betrieb eröffnen. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach 25 Jahren! Ist das nicht ein bisschen lang?) Ich denke, es ist sehr wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen. Ein weiterer wichtiger Punkt: die Meisterfrauen im Handwerk. Ich erwähne sie ganz bewusst. (Beifall der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Danke schön. – Wir haben über viele Jahre hinweg darum gerungen, dass die Meisterfrauen im Handwerk sozialversicherungspflichtig angemeldet sind, was früher nicht so selbstverständlich war; da wurde halt einfach mitgearbeitet. Wir haben heute eine hohe Qualifikation der – ich sage es jetzt mal so – angeheirateten Meisterfrauen; ich bin auch so eine angeheiratete Mittelständlerin. Man muss hier schon etwas leisten, man muss sich fortbilden, weil man oftmals aus branchenfremden Berufen kommt. Die Meisterfrauen im Handwerk – sie nennen sich so – sind ganz wichtig, weil sie unendlich vieles leisten, wie soziales, gesellschaftliches Engagement etwa im Hinblick auf die Auszubildenden in den Betrieben, die sie oftmals begleiten. Gerade die Ausbildung im Handwerk ist sehr nah an den Hauptschulen dran, die uns sehr wichtig sind. Es ist manchmal nicht ganz einfach, diese jungen Leute wirklich zu fördern und nach vorne zu bringen. Ich fasse zusammen. Dies alles zeigt: Das Handwerk ist für die regionale Wertschöpfung, für unsere gesellschaftspolitische Entwicklung enorm wichtig. Es sichert in der Region die Bevölkerungsstruktur, die wir brauchen; es hält Jugendliche in den Heimatregionen und verhindert die Abwanderung in die Städte. Ich möchte ganz kurz Folgendes erwähnen. Sie alle wissen, ich komme aus Bayern. Ich denke schon, dass man sagen sollte, dass mit der Abschaffung der Studiengebühren in Bayern – es ist unerheblich, ob ich damals damit einverstanden war – die Schaffung des sogenannten Meisterbonus in Höhe von 1 000 Euro einherging, den wir denjenigen, die die Meisterprüfung machen, zusätzlich bezahlen, um sie zu unterstützen. Das ist sicherlich nicht genug, aber es ist ein deutlicher Anreiz. An den Fachhochschulen haben wir Studiengänge, in denen Meister studieren können und dort einen Abschluss, den Bachelor, machen können. Ich denke, das ist richtig, um den jungen Menschen, den Gesellen, den Gesellinnen und den Meistern, einen Weg zu ebnen und sie ein Stück weit mit Studenten gleichzustellen. Es gibt die immer fortwährende Diskussion, ob nur ein Studium richtig ist. Ich halte das für falsch. Ich denke, es ist ganz wichtig, hier deutliche Zeichen zu setzen. Ich möchte schließen. Wir müssen aufpassen, dass wir unsere wertvollen nationalen Regeln zum Berufszugang insgesamt nicht zunehmend verwässern. Uns erwartet da im Rahmen der Transparenzrichtlinie noch einiges, gerade was die freien Berufe betrifft. Da bitte ich einfach alle, auch mitzuhelfen. Schließen möchte ich mit dem wunderschönen Satz, der mich eigentlich mein ganzes Leben lang begleitet hat: Gott schütze das ehrbare Handwerk! Herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Martin Rabanus ist der nächste Redner für die SPD. (Beifall bei der SPD) Martin Rabanus (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich freue mich, als Bildungspolitiker auch einen Beitrag in dieser Debatte leisten zu können. Ich will mich in dieser Rolle auch nicht über Handwerksordnungsänderungen aus dem Jahr 2004 auslassen; ich will mich auch nicht darüber auslassen, ob es sinnvoll oder legitim ist, sich Forderungen vom Handwerk oder von Gewerkschaften anzueignen, sondern ich möchte mir diesen Bereich aus bildungspolitischer Sicht anschauen, und das fast am Ende des parlamentarischen Jahres. Eine Sitzungswoche haben wir noch, und dann neigt sich das Jahr 2014 dem Ende entgegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus bildungspolitischer Sicht war das Jahr 2014 ein gutes Jahr für Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir haben in der letzten Woche einen Rekordhaushalt für den Bildungsbereich beschlossen, wir haben die Fortsetzung des Hochschulpakts und des Pakts für Forschung und Innovation beschlossen, wir haben die Abschaffung des Kooperationsverbots im Hochschulbereich beschlossen, wir haben eine BAföG-Novelle beschlossen, und wir haben erst gestern die Hightech-Strategie diskutiert. Weiterhin haben wir in diesem Jahr 2014 der beruflichen Bildung in der parlamentarischen Arbeit und in den parlamentarischen Debatten einen Raum eingeräumt wie seit Jahren, vielleicht seit Jahrzehnten nicht mehr. Deswegen sage ich auch: Es war ein gutes Jahr für die berufliche Bildung in Deutschland. Denn, Frau Strothmann, wir haben in diesen Debatten ja auch den Stellenwert der beruflichen Bildung als der zentralen Säule in der beruflichen Erstausbildung in Deutschland verdeutlichen können und, wie ich schon glaube, auch den jungen Menschen verdeutlichen können, welche Perspektiven, welche Chancen darin liegen. Diese Chancen ergeben sich nicht nur für die jungen Menschen, sondern auch für die Wirtschaft, die die Fachkräfte braucht. Das ist schon erwähnt worden. Für die Gesellschaft insgesamt ist es wichtig, dass diese Chancen ergriffen werden. Deswegen, glaube ich, war es auch richtig, genau diesen Schwerpunkt in den parlamentarischen Debatten zu setzen, und zwar ohne einen Konflikt mit der allgemeinen oder akademischen Bildung zu produzieren. Das festzustellen, ist mir an der Stelle noch einmal ganz wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir brauchen beide Säulen der Qualifikation in unserem Land, weil sie sich ergänzen. Wir müssen immer wieder betonen – davon bin ich in der Tat felsenfest überzeugt –, dass diese Säulen der Bildung und der Ausbildung gleichwertig sind. Ich will noch hinzufügen: Gerade das berufliche Bildungssystem halte ich in besonderer Weise für anschlussfähig, in besonderer Weise für durchlässig und in besonderer Weise für geeignet, einmal einen Umweg zu ermöglichen. Denn in der Kombination von theoretischem und beruflichem Wissen, die wir in der beruflichen Bildung ja haben, leiten sich ganz andere Berufsperspektiven ab, leiten sich quasi auch andere Einkommensmöglichkeiten ab, die sich so manch ein Politikstudent durchaus wünschen würde. Ich darf das sagen, weil ich selber solch ein Politikstudent gewesen bin. (Zuruf von der CDU/CSU: Das hört auch nie auf!) Ich habe mich nicht nur einmal mit der Frage eines Taxischeins auseinandergesetzt. Aber Spaß beiseite! Das ist etwas, was, glaube ich, in den Debatten der letzten Monate deutlich geworden ist. Heute ist der Meisterbrief, der große Befähigungsnachweis, die Krone der beruflichen Ausbildung in Deutschland, im Fokus. Er ist – das ist gesagt worden – Garant für hohe praktische, theoretische und auch soziale Kompetenzen. Er befähigt zum Führen eines Unternehmens, er befähigt dazu, das eigene Wissen auch an die nächste Generation weiterzugeben. Das Stichwort „Ausbildung“ ist dazu genannt worden. Er befähigt dazu, in dem jeweiligen Fach Standards zu setzen und zu sichern. Dieser Meisterbrief, meine sehr verehrten Damen und Herren, steht in der Tat in der Wertigkeit einem Abschluss an einer Hochschule in nichts nach; (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) erst recht nicht – das habe ich eben schon gesagt – bei der Eröffnung von Lebensperspektiven. Deswegen ist es aller Ehren wert, dass wir gemeinsam in diesem Hohen Haus dafür sorgen, dass der Meisterbrief erhalten bleibt, gerade weil unser duales Berufsausbildungssystem ein Exportschlager ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen jetzt – das ist ein kleiner Ausblick ins nächste Jahr – auch dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen die Chance erhalten, die Meisterschule zu besuchen; ich spreche da natürlich vom Meister-BAföG. Wir werden das Aufstiegsausbildungsförderungsgesetz – das haben wir uns in der Koalition vorgenommen – im nächsten Jahr reformieren und novellieren. Wir wollen die Förderbedingungen verbessern. Wir wollen den Kreis der geförderten Personen ausweiten. Wir wollen die Förderung selbst erhöhen. (Beifall bei der SPD) Wir wollen dabei die Möglichkeit von Frauen ebenso – ich sage das, mit Verlaub, in dieser Reihenfolge – wie die Möglichkeit von Menschen mit Behinderungen – wir haben erst am Mittwoch über die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen diskutiert –, Meisterschulen zu besuchen, verbessern. Wir wollen jungen Menschen, die einen akademischen Bildungsweg eingeschlagen haben, die aber erkennen, dass das nicht wirklich der richtige Weg für sie ist, die Möglichkeit eröffnen, die Meisterschule zu besuchen. Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Das Jahr 2014 war ein gutes Jahr für die Bildung, weitere werden folgen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Martin Feist für die CDU/CSU-Fraktion. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Thomas!) – Ach so, was habe ich gesagt? (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Martin! – Zuruf von der SPD: Das ist auch ein schöner Name!) – Na ja, gut. Wir haben das jetzt einvernehmlich im Protokoll klargestellt. Damit steht einem fulminanten Auftritt überhaupt nichts mehr im Wege. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. Ich war nur ganz kurz etwas unsicher; denn Ihr Wort ist mir natürlich Befehl. Aufgrund der Qualität der heutigen Schriftführerliste kann das schon einmal passieren, dass man „Martin“ statt „Thomas“ liest. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über einen Antrag zum Meisterbrief. Man muss sich den Hintergrund dieses Antrags vor Augen führen. Die Europäische Kommission hatte festgestellt: In vielen Handwerksbranchen, einschließlich des Baugewerbes, ist nach wie vor ein Meisterbrief oder eine gleichwertige Qualifikation erforderlich, um einen Betrieb zu führen. – Liebe EU-Kommission, das ist richtig, und daran werden wir festhalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Warum macht die Europäische Kommission Vorgaben? Ich glaube nicht, dass sie dies tut, um uns zu ärgern. Was steckt dann also dahinter? Es ist die Frage: Wie mobil können Menschen in Europa sein? Wie einfach ist die Freizügigkeit in Europa gerade auch im beruflichen Sektor? Ja, es ist richtig, Mobilität zu fördern. Aber genauso wichtig ist es, zu erkennen, dass Mobilität Qualität vo-raussetzt, und Qualität im Bereich der Berufe und auch im Bereich der beruflichen Bildung erreichen wir nur durch eine starke Verzahnung von einem theoretischen Teil und einem praktischen Teil, die dadurch sichergestellt wird, dass Berufsschullehrer und Meister in hervorragender Art und Weise zusammenarbeiten. Liebe Europäische Kommission, dies könnte doch ein Beispiel für ganz Europa sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Über den Stellenwert von beruflicher Bildung und akademischer Bildung ist bereits gesprochen worden. Da schlagen – wie einige Kollegen wissen – zwei Herzen in meiner Brust. Ich habe einen Gesellenbrief als Heizungsmonteur und einen Doktortitel in Musikwissenschaft; eine typische ostdeutsche Bildungsbiografie, die aber überall möglich ist. (Lachen des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) – Es muss nicht jeder Musikwissenschaftler werden; das ist in Ordnung. Aber dann wird man auch nicht gewählt; das ist die Gefahr gerade in Thüringen. – (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja hochkomplex!) Diese beiden Herzen schlagen also in meiner Brust. Deswegen ist es mir wichtig, dass wir in dieser Debatte die akademische nicht gegen die berufliche Bildung ausspielen, sondern die Gleichwertigkeit von beiden betonen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir für den Verlauf der weiteren Beratung, dass wir die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung anerkennen. Im Deutschen Qualifikationsrahmen haben wir dazu einiges gesagt. Auch im Europäischen Qualifikationsrahmen ist uns diesbezüglich Entscheidendes gelungen. Lassen Sie uns daran festhalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vor dem Hintergrund der Bildungsbiografien kann man natürlich darüber diskutieren, ob es nicht besser wäre, wenn eine berufliche Ausbildung der Regelfall wäre und wenn der gesellschaftliche Druck, ein Studium aufzunehmen, nicht noch mehr zunähme. Man kann diese Frage stellen. Vor dem Hintergrund, dass ungefähr 30 Prozent der Studienanfänger ihr Studium vorzeitig abbrechen, sollte man diese Frage sogar stellen. Dann zu sagen – dieses Argument ist in dieser Debatte vorgetragen worden –, dass bei einem Studienabbruch die berufliche Bildung immer noch gut genug ist, halte ich für den genau falschen Hinweis. (Beifall des Abg. Willi Brase [SPD]) Wir müssen vielmehr sagen: Berufliche Bildung hat ihren Wert, und aufgrund der Durchlässigkeit unseres Bildungssystems kann jeder mit jeder Qualifikation alles erreichen. Das müssen wir den jungen Leuten noch deutlicher sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Was tun wir als Bund und wir Bildungspolitiker für die berufliche Bildung? Wir setzen – Kollege Rabanus hat es angesprochen – Geld ein. Das ist gut und richtig. Das ist prima investiertes Geld. Aber auch in Sachen Meisterbrief sind wir nicht untätig. Wir geben beispielsweise 24 Millionen Euro im Jahr für die Begabtenstiftung aus. Dadurch haben die Leute, die sich auf eine Meisterprüfung vorbereiten, die Möglichkeit, bis zu zwei Jahre lang einen bestimmten Betrag als Stipendium zu erhalten. (Axel Knoerig [CDU/CSU]: Gute Sache!) Ich sage Ihnen: Drei Viertel der jungen Menschen, die diese Förderung bekommen, nutzen sie, um eine Meisterprüfung abzulegen. Lassen Sie uns schauen, wie wir sie noch weiter ausbauen können. Führen wir uns noch einmal die duale Ausbildung vor Augen. Als Bildungspolitiker ist mir dieses Thema ein wichtiges Anliegen. Es geht nicht nur um die Frage, wie erfolgreich das Handwerk ist, sondern es geht auch um das Image des Handwerks. Für junge Leute, die noch nicht wissen, welchen Lebensweg sie einschlagen wollen – Berufsausbildung oder Studium –, spielt das Image eine wichtige Rolle. Das Handwerk hat mit seiner Imagekampagne viel dazu beigetragen, dass die Attraktivität einer Ausbildung in einem Handwerksberuf gestiegen ist. Das spiegelt sich noch nicht überall in den Zahlen wider; aber beispielsweise in Sachsen haben wir bei den Ausbildungsverhältnissen im Handwerk im letzten Jahr einen Zuwachs von 4 Prozent verzeichnen können. Wir sollten den jungen Leuten sagen: Fangt eine Ausbildung im Handwerk an, bringt euch ein, und später könnt ihr euch vielleicht weiterqualifizieren. Das ist der richtige Ansatz. Dazu sollten wir die jungen Leute ermutigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Für die Ausbildung im Handwerk ist eine Person von zentraler Bedeutung: der Meister. Der Meister steht wie kein anderer für das Handwerk. Das sind Menschen, die mitten im Leben stehen. Das sind Menschen, die Berufs- und Bildungserfahrung haben. Das sind Menschen, die sich für andere einsetzen. Da wir heute den Tag des Ehrenamtes haben, kann man schon einmal sagen, dass nicht nur das ehrenamtliche Engagement der Meister in den Handwerkskammern ein hohes Gut ist, sondern auch das darüber hinausgehende Engagement vieler Handwerksmeister. Beispielsweise engagieren sich viele für die Weiterbildung derjenigen, die in ihrem ersten Bildungsweg nicht so erfolgreich waren. Wir sollten die Meister auch deswegen stärken, weil wir dem Handwerk ein Gesicht geben müssen. Deswegen ist dieser Antrag trotz aller Kritik am Antragstext, die verschiedentlich geäußert worden ist, wichtig. Es ist doch richtig, dass sich das deutsche Parlament in diese Debatte einbringt und sagt: Wir entscheiden uns für eine Unterstützung des Handwerks; wir entscheiden uns für eine Unterstützung des Meisterbriefs. – Das ist doch ein wichtiges Signal nach draußen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Den Elan habe ich mir von Ihnen, Frau Andreae, abgeschaut. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön! Da freue ich mich!) Allerdings: Ich fokussiere mich auf die Inhalte. Das ist der Unterschied. Wenn wir nach Europa und darüber hinaus schauen, dann stellen wir fest, dass oft gefragt wird: Wie können wir etwas für unsere jungen Menschen im Bereich der dualen beruflichen Bildung tun? – Oftmals wird vergessen, welchen Anteil die Unternehmen mit ihren Meistern an der Ausbildung haben und welche finanziellen Mittel eingesetzt werden. 24 Milliarden Euro im Jahr, die die Unternehmen einsetzen, sind doch kein Pappenstiel. Übrigens sind viele davon kleine und mittlere Unternehmen, die einen Meister oder eine Meisterin an der Spitze haben. Schauen wir einmal über Europa hinaus. Wo sind denn die Länder, in denen Hochtechnologie und Produktion, also Wertschöpfung im eigenen Land, am besten miteinander verbunden werden? Da fällt mir ein schönes Beispiel aus Israel ein. Dort gibt es einen Kibbuz, der Beth El heißt. Der stellt unter anderem Hochtechnologiegüter her. Der Kibbuz hat eine eigene Berufsschule mit Meistern. Dort werden nicht nur die eigenen Leute ausgebildet, sondern auch viele Zuwanderer, für die diese Ausbildungsstätte der erste Anlaufpunkt und eine Chance für eine gelungene Integration in die Gesellschaft ist. Dieses Modell sollte uns doch Mut machen. Wenn wir außerhalb unseres Landes unser System entdecken, sollten wir stolz darauf sein und dazu stehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dass der Meisterbrief in Deutschland auch in letzter Zeit eine stärkere Aufmerksamkeit erfahren hat, sieht man nicht zuletzt daran, dass sich auch unser Bundespräsident zu diesem Thema mehrfach geäußert hat. Ende November war Bundespräsident Gauck in Dresden und hat dort an einer Meisterfeier teilgenommen. Er hat davon gesprochen, wie wichtig diese Säule in Deutschland ist. Dazu muss ich sagen: Ich verstehe oftmals Vorbehalte unserer europäischen Partner, die sagen: Jetzt kommen die Deutschen und wissen schon wieder irgendetwas besser. – In diesem Punkt kann ich sie beruhigen. Wir wissen nicht nur etwas besser, sondern wir machen das auch besser. Deswegen sollte dieses Modell des Meisterbriefs auch in Europa das Modell sein, an dem wir uns orientieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Da es manchmal schwierig ist, von Brüssel nach Berlin zu schauen und zu wissen, was die Abgeordneten hier machen, würde ich der Kommission empfehlen, in den Dokumenten nachzuschauen, die von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg veröffentlicht worden sind. Dort habe ich in diesem Jahr eine Rede zu diesem Thema gehalten, das nach Europa gehört. Mit einem kurzen Zitat möchte ich schließen: Exzellenz in der beruflichen Bildung heißt für mich und meine Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, dass wir uns über gemeinsame Ausbildungsstandards an dem orientieren, was in Deutschland und anderen Ländern der Gesellenbrief und der Meisterbrief ist. Auf diese Weise schaffen wir Mobilität im beruflichen Sektor auf hohem und höchstem Niveau. Mobilität der exzellent Qualifizierten statt Mobilität der Unterbezahlten. Mobilität mit Mehrwert für alle. Und ein Stück mehr Gerechtigkeit für junge Menschen in Europa. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 18/3317 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf: a) Beratung des Antrags der Bundesregierung Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan Drucksache 18/3246 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Sabine Weiss (Wesel I), Frank Heinrich (Chemnitz), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabi Weber, Dr. Bärbel Kofler, Axel Schäfer (Bochum), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Transformationsdekade mit zivilen Mitteln erfolgreich gestalten Drucksache 18/3405 Auch hier soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Aussprache 96 Minuten dauern. – Das ist offensichtlich unstreitig. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesaußenminister das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anfang 2002 besuchten zwei deutsche Reporter Afghanistan, um den Zustand des Landes nach der Befreiung von den Taliban zu erkunden. Sie sind eingereist über den Norden, über die Grenze zu Tadschikistan, und an der Grenze verabschiedete der Zöllner die beiden Journalisten damals mit den Worten: „Viel Spaß im Mittelalter“. Das, was die Journalisten damals, im Jahre 2002, gesehen haben, entsprach dem in der Tat. Sie waren geschockt von dem, was sie sahen: Menschen, die in Lehmhütten ohne Türen hausten, Menschen in Lumpen rund ums Feuer versammelt, wo das kärgliche Mahl angerichtet wurde. Sie sahen grausame Dinge, wie den Jungen mit dem verstümmelten Kniegelenk in einem Dorf in der Provinz Takhar, dessen offene Wunde wohl mit heißem Teer desinfiziert worden war. „Stunde null im Mittelalter“, hieß die Überschrift dieser Reportage aus dem Jahre 2002, und das Fazit der Reportage lautete damals: „Es ist schwer, ein Land wie Afghanistan in die Neuzeit zu holen.“ Meine Damen und Herren, kein Thema hat die außenpolitische Debatte in Deutschland in den vergangenen Jahren wahrscheinlich so intensiv geprägt wie unser Engagement dort am Hindukusch. Es begann mit den Anschlägen vom 11. September, dem ISAF-Einsatz und der Konferenz auf dem Bonner Petersberg. Deutschland hat damals mit Verbündeten Verantwortung für Afghanistan übernommen und tut das in großem Umfang auch bis heute. In weniger als einem Monat ist der NATO-Einsatz ISAF, der damals begonnen hat, Geschichte. Das muss für uns natürlich Anlass sein, eine Bilanz zu ziehen, die auch selbstkritisch sein darf und sein muss. Es geht nicht darum, ob wir, wie es in diesem Artikel heißt, „Afghanistan in die Neuzeit“ holen oder geholt haben, sondern es geht vielmehr um die politische Frage, inwieweit sich unser risikoreicher Einsatz gelohnt hat. Es geht auch darum, was wir richtig gemacht haben und wo Fehler unterlaufen sind, und darum, mit welchem Aufwand und welchen Zielen wir diesen Einsatz für die Zukunft weiter betreiben sollen. Die, die immer dagegen waren, diejenigen, die an der Oberfläche bleiben wollen, sind natürlich immer schnell dabei, diesen Einsatz als gescheitert anzusehen. Viele haben dies gesagt oder geschrieben. In der Tat: In Teilen des Landes floriert immer noch die Drogenökonomie. Korruption behindert oftmals die Modernisierung von Staat und Gesellschaft. In vielen Provinzen herrschen mächtige Warlords. In Teilen des Landes regiert auch noch Gewalt. Wer sich eine Gleichberechtigung der Frauen erhofft hat, kann trotz mancher Fortschritte natürlich nicht zufrieden sein. Und, ja, es gibt auch immer noch die radikal-islamischen Taliban. Alles das ist richtig. Die Frage, die wir uns aber auch zu stellen haben, lautet: Ist das die ganze Wahrheit? Denn auf der anderen Seite haben wir vieles für die Entwicklung dieses Landes erreicht. Natürlich leben immer noch viele Menschen in Armut, aber die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen ist eben – und das ist ein Fortschritt – von 45 auf 60 Jahre gestiegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Sterblichkeitsrate von Müttern und Kindern ist ex-trem gesunken. Erfreulich viele Mädchen gehen zur Schule. Über 200 000 Studenten sind an den Hochschulen eingeschrieben. Es gibt auch asphaltierte Straßen, Strom, Handys und Autos. Es gibt eine Zivilgesellschaft, und es gibt eine beachtliche Zahl relativ unabhängiger Medien. Auf dem Pressefreiheitsindex der Organisation Reporter ohne Grenzen – das weiß man auch nicht unbedingt – liegt Afghanistan mittlerweile vor seinen Nachbarstaaten Indien, Pakistan und Usbekistan. Deshalb sage ich: Alles das ist zwar wahrlich kein Anlass zur Selbstzufriedenheit, und wir müssen uns für diesen Einsatz auch nicht gegenseitig auf die Schultern klopfen, aber es gibt eben ganz konkrete Erfolge, die wir auch nicht geringschätzen sollten und die ohne den Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft nicht erreicht worden wären. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vielleicht noch wichtiger als die Details, über die viel gesagt und geschrieben worden ist: Wir haben dieses Land nicht im Chaos versinken lassen. Wir haben es von einer terroristischen Herrschaft befreit, und heute geht keine terroristische Gefahr mehr von Afghanistan aus. Das ist wichtig für uns, aber das ist genauso wichtig für Afghanistan selbst. Ja, Sicherheit und Entwicklung sind immer noch fragil in Afghanistan. Ja, vielleicht haben wir selbst zu große Erwartungen gehabt und zu große Erwartungen geweckt mit dem, was wir erreichen wollten. Trotzdem ist das Land ein anderes geworden. Jüngster Beleg dafür ist aus meiner Sicht der Wechsel im Präsidentenamt im Sommer von Hamid Karzai zu Ashraf Ghani, der in dieser Woche hier ist. Das war keine leichte Übung, weder für Afghanistan noch für die internationale Staatengemeinschaft. Aber er ist am Ende gelungen, und ich bin sicher, das wird sich auszahlen. Die Wahlen im vergangenen Sommer sind schon damals weitgehend abgesichert worden durch afghanische Sicherheitskräfte. Auch darin zeigt sich, dass sich viele unserer Bemühungen gelohnt haben. Die neue Regierung der Nationalen Einheit unter Staatspräsident Ghani und dem Regierungsvorsitzenden Abdullah Abdullah hat unsere Unterstützung, damit es in Afghanistan weiter vorangeht. Diese Unterstützung – hoffentlich auch in Ihrem Namen – werden wir den beiden bei ihrem heutigen Besuch in Berlin erneut zusichern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn wir heute auf 13 Jahre Engagement in Afghanistan zurückblicken, dann blicken wir auch auf Opfer zurück, die wir, die internationale Staatengemeinschaft, und die wir, auch Deutschland, in den vergangenen Jahren gebracht und noch mehr zu beklagen haben. Über die Jahre haben Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr über 130 000 Einsätze in Afghanistan geleistet. Bis zu 5 500 waren teilweise gleichzeitig dort im Einsatz. Seit Beginn dieses Einsatzes haben 55 von ihnen in Afghanistan ihr Leben gelassen. Hinzu kommen zahlreiche körperliche und seelische Verletzungen. Wir gedenken der Opfer, und unser aufrichtiges Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen und Angehörigen. Unser Mitgefühl ist mit all denjenigen, die weiter an ihren Verletzungen zu tragen haben. Ich möchte an dieser Stelle unseren Soldatinnen und Soldaten danken und sagen: Unter oft schwersten Bedingungen haben Sie über die Zeit des gesamten Einsatzes dazu beigetragen, dass jenes Maß an Sicherheit geschaffen werden konnte, ohne das Wiederaufbau und Entwicklung nicht möglich gewesen wären. Sie haben Ihren Dienst mit wirklich bemerkenswerter Professionalität versehen, vom Beginn des Einsatzes bis zum nun erfolgten Abzug aus dem Lager Kunduz und zur Reduzierung unserer Präsenz in Masar-i-Scharif. Für all das gebühren Ihnen Dank und größter Respekt unseres Landes. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber unser Engagement war nicht nur auf das Militärische beschränkt und ist es niemals gewesen. Deshalb gilt derselbe Dank auch den Polizistinnen und Polizisten, die ihren Beitrag zum Aufbau eigener afghanischer Sicherheitskräfte, einer eigenen afghanischen Polizei geleistet haben. Danken möchte ich den vielen deutschen Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfern und auch den Diplomatinnen und Diplomaten, die – das dürfen wir nicht vergessen – unter Eingehung persönlicher Risiken und mit unglaublich großem Engagement unseren afghanischen Freunden Hoffnung gegeben haben, dass es eine Alternative zu Krieg und Bürgerkrieg gibt, dass es eine Zukunft für Afghanistan gibt. Ihnen allen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan van Aken [DIE LINKE]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 1. Januar 2015 schlagen wir ein neues Kapitel in der jüngeren afghanischen Geschichte auf. Die Regierung in Kabul wird die volle Verantwortung übernehmen für die innere und äußere Sicherheit des Landes. Die internationale Unterstützung endet nicht abrupt, aber sie bekommt ein neues Gesicht. An die Stelle von ISAF tritt der Einsatz von Resolute Support, und über den militärischen Beitrag stimmen wir heute ab. Aber unser Engagement wird auch weiterhin nicht nur militärisch sein. Wir werden bis 2016 jedes Jahr 430 Millionen Euro in zivile Aufbauhilfe investieren, sei es für den Aufbau von Schulen, für den weiteren Ausbau von Infrastruktur, für die Elektrifizierung des Landes oder für die Stärkung einer Basisgesundheitsversorgung. Sicherheit ist die Voraussetzung für vieles, auch für zivile Unterstützung. Aber wenn Afghanistan jemals vollständig auf eigenen Füßen stehen will, dann braucht es gerade jetzt nachhaltige Entwicklung. Wir alle haben lernen müssen, dass wir dafür einen verdammt langen Atem brauchen. Das gilt auch weiterhin. Der Ihnen vorliegende Mandatsantrag regelt die Beteiligung deutscher bewaffneter Streitkräfte an Resolute Support. Anders als ISAF ist Resolute Support kein Kampfeinsatz; denn die beteiligten Streitkräfte haben nicht die Aufgabe, sich an der Terror- und Drogenbekämpfung zu beteiligen, sondern dieser Einsatz folgt einer anderen Philosophie, der Philosophie, dass afghanische Sicherheitskräfte zukünftig auf eigenen Füßen stehen müssen. Sie tragen die volle Verantwortung für die Sicherheit im Land. Nur in zentralen Bereichen, bei denen wir heute davon ausgehen müssen, dass da noch Defizite bestehen, werden Ausbilder und Berater von der internationalen Staatengemeinschaft zur Verfügung gestellt werden. Daneben wird der Auftrag auch die Notfallhilfe für zivile Helfer der internationalen Staatengemeinschaft beinhalten. Der Einsatz beruht auf der ausdrücklichen Zustimmung der afghanischen Regierung und dem vom Parlament mit eindrucksvoller Mehrheit ratifizierten NATO-Afghanistan-Truppenstatut. Wir hoffen zudem, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen noch im Dezember eine Resolution verabschieden wird, die Resolute Support politisch flankiert. Die Verhandlungen über diese Resolution laufen derzeit in New York. Wir tun alles, was wir können, um hier zu einem positiven Ergebnis zu kommen. Deutschland wird auch über das Jahr 2015 hinaus in Afghanistan engagiert bleiben. Das gilt für viele Bereiche. Was das für den Bereich der Sicherheit und für den Bereich Ausbildung und Beratung heißt, das werden die NATO-Verbündeten im Verlaufe des kommenden Jahres untereinander diskutieren und analysieren, wie Resolute Support in 2015 verläuft. Was man aber jetzt schon sagen kann: Die Frage der Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte wird auch langfristig von strategischer Bedeutung bleiben. Deshalb beabsichtigen wir als Bundesregierung, ab 2015 etwa 150 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung zu stellen: 80 Millionen Euro für die Finanzierung der afghanischen Armee, 70 Millionen Euro für die Polizei. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Entwicklung muss weitergehen. Wir stehen zur Unterstützung bereit. Aber uns muss bewusst sein: Die Einflussmöglichkeiten von außen haben ihre natürlichen Grenzen, und sie sollen sie auch haben. Deshalb: Alle unsere Bemühungen werden nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn die Afghanen selbst einen erfolgreichen politischen Prozess gestalten. Ich habe gesagt: Der erste friedliche und demokratische Präsidentenwechsel ist ermutigend; das ist ein Fortschritt. Aber ich bin auch weiter der Überzeugung, dass nur ein innerafghanischer Versöhnungsprozess, nur eine politische Lösung am Ende wirklich dauerhaften Frieden für Afghanistan bringen kann. Wir stehen bereit, Afghanistan weiter zu unterstützen. Die Mission Resolute Support ist ein Teil dieser Unterstützung. Wir erinnern uns: Die ISAF-Mandate haben hier im Hohen Hause stets eine breite Unterstützung gefunden. Ich hoffe, dass das für Resolute Support in ähnlicher Weise gilt. Ich jedenfalls glaube, es entspräche der gemeinsamen Verantwortung, die wir hier für ein schwieriges und lang andauerndes Engagement tragen. Deshalb darf ich Sie, auch im Namen von Frau von der Leyen – sie kann heute wegen eines Trauerfalls nicht hier sein – und im Namen der ganzen Bundesregierung, um Zustimmung für dieses Mandat bitten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. – Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Guten Morgen, liebe Gäste auf den Tribünen! Nächster Redner in der Debatte ist Wolfgang Gehrcke für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie werden mir nachsehen, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein!) dass ich als Erstes meinem Kollegen Bodo Ramelow zu seiner Wahl zum Ministerpräsidenten in Thüringen gratulieren möchte. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gratulation auch an SPD und Grüne! Für mich ist es ein sehr hoffnungsvolles Zeichen, dass man mit einer klaren Antikriegsposition – ich habe zusammen mit Bodo Ramelow an unendlich vielen Demonstrationen gegen den Krieg in Afghanistan teilgenommen – Wahlen gewinnen kann. Das ist ein Signal in eine andere Richtung; so nehme ich es auf. Deswegen freue ich mich darüber. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Mann! – Charles M. Huber [CDU/CSU]: Falsche Richtung!) Ich habe viel darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir uns als Abgeordnete des Bundestags in der heutigen Parlamentssitzung aus Trauer um die Opfer des Krieges in Afghanistan – ich sage ausdrücklich dazu, Herr Außenminister, dass ich die Opfer sowohl aus Afghanistan als auch aus anderen Ländern meine – hätten erheben und Abbitte für unseren Anteil an diesem Krieg mit zahlreichen Opfern leisten müssen. Eine solche Geste des Parlaments wäre angebracht gewesen. (Beifall bei der LINKEN) Ich verstehe nicht, warum man die afghanischen Opfer aus der Trauer immer herausnimmt. Ich weiß, dass es eine solche Geste nicht geben wird, auch deshalb nicht, weil es bei den anderen Fraktionen keine Bereitschaft gibt, sich schonungslos Rechenschaft darüber abzulegen, was passiert ist. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Anmaßend ist das von Ihnen!) Der Antrag der Bundesregierung lautet im Klartext: 850 Bundeswehrsoldaten werden im Rahmen eines 12 000 Personen umfassenden Kontingents der NATO und anderer Staaten in Afghanistan stationiert. Es gibt bis zum heutigen Tag kein UNO-Mandat dafür. Sie sagen, dass Sie sich darum bemühen werden. Es gibt aber kein Mandat. Sie entscheiden, obwohl die UNO ihre Position bisher nicht dargelegt hat. Das bricht mit allem, was Sie versprochen haben. Das ist kein Abzugsmandat, sondern ein Mandat, das möglicherweise dafür sorgt, dass der Krieg weitergeht. Ich erinnere daran, dass wir die Namen der Opfer von Kunduz, zu deren Tötung ein deutscher Offizier den Befehl gegeben hatte, hier im Parlament hochgehalten haben. Wir sind damals herausgeflogen. Aber es blieben die Fragen: Warum ist das Ganze eigentlich passiert? Hat es keine anderen Wege gegeben? Wurden andere Wege nicht eingeschlagen, und warum nicht? Wann begreift der Bundestag endlich die Schwere der Fehleinschätzung, sich am Afghanistan-Krieg beteiligt zu haben? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Deutschlands Sicherheit ist nicht am Hindukusch verteidigt worden. Deutschland hat Krieg am Hindukusch geführt. Das hätte angesichts der deutschen Geschichte und unserer Verantwortung eigentlich unmöglich sein müssen. Das Parlament hätte eine entsprechende Entscheidung treffen müssen. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Die Rede ist noch schlimmer als erwartet!) Seit 13 Jahren dauert nun der Krieg in Afghanistan. Ich frage mich, wann die Bundeswehr endlich vollständig abgezogen wird. Für einen vollständigen Abzug sorgen Sie nicht. Ich frage Sie, ob Sie nicht endlich begreifen wollen, dass dieser Krieg verloren ist, militärisch, moralisch, sozial und politisch. Meine Fraktion hat als Einzige von Anfang an kategorisch gesagt: Man kann den Kampf gegen den Terror gewinnen, wenn man seine Ursachen austrocknet. Aber ein Krieg gegen den Terror ist nicht zu gewinnen. – Das ist das Ergebnis und die Botschaft von Afghanistan. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben im Wesentlichen immer vier Argumente für den Einsatz in Afghanistan angeführt. Ich habe sie nie geglaubt. Ich glaube, dass es andere Gründe für diese Auseinandersetzung gegeben hat. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!) Aber ich will mich noch einmal ein Stück weit mit Ihren Argumenten auseinandersetzen. Sie haben gesagt, der Krieg in Afghanistan sei ein Krieg gegen den Terror. Ich frage Sie sehr ernsthaft: Ist die Terrorgefahr heute kleiner oder größer geworden? Jeder, der halbwegs hinschaut, wird zugeben: Die Terrorgefahr ist heute größer geworden. Durch die Kriegsbeteiligung der NATO, Deutschlands und der USA sind Tausende Leute in die Hände der Terroristen getrieben worden. Das halte ich für das größte Versagen in diesem Krieg. Was wir nun im Nahen Osten erleben – ich nenne als Beispiel IS –, hat seine Wurzeln auch im Afghanistan-Krieg. Sehen Sie endlich ein, dass dieser Weg falsch ist, dass man einen anderen Weg einschlagen muss. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben uns erzählt, dieser Krieg müsse geführt werden, um die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zu stoppen. Wie ist es nun? Ist die Gefahr kleiner oder größer geworden? Ein Blick darauf zeigt doch, dass die Gefahr der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen größer und nicht kleiner geworden ist. Auch hier war Krieg nicht die richtige Antwort. Ich frage Sie, ob Sie noch heute Ihr Versprechen einlösen wollen, dass es ein Krieg für Demokratie gewesen ist. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Schwachsinn!) Sowohl das, was in Afghanistan herrscht, als auch das, was wir weltweit erleben – die Entstaatlichung und den Niedergang von Staaten –, sind ein Schlag gegen die Demokratie. Dieser Krieg hat die Demokratie nicht befördert, sondern ein Stück weit vernichtet. Ihr Argument war: Das ist ein Krieg um Menschenrechte. Glauben Sie heute noch ernsthaft, man könne Menschenrechte mit Krieg verteidigen? Krieg und Tötung, Blut, Dreck und Vernichtung sind immer das Gegenteil von Menschenrechten. Dieser Krieg hat Menschenrechte nicht verteidigt, sondern infrage gestellt und vernichtet. (Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: Die der Taliban, oder?) Das wollen wir hier im Parlament aussprechen; denn ohne eine Auseinandersetzung damit werden wir kein Stück vorankommen. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Kein Wort zu den Taliban!) Es werden ja Kollegen der SPD und der CDU/CSU sprechen: Erklären Sie dem Parlament doch einmal, warum Sie ohne Beschluss der Vereinten Nationen diesen Einsatz jetzt vom Zaune brechen. Das werden Sie nicht erklären können. Das widerspricht Ihren eigenen Positionen. Deswegen wäre die einzig richtige Botschaft: Schluss mit der deutschen Beteiligung am Afghanistan-Krieg – vollständig und sofort! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Wolfgang Gehrcke. – Nächster Redner in der Debatte ist der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Silberhorn. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Silberhorn, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2014 ist eine entscheidende Wegmarke in der Entwicklung Afghanistans. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes hat eine demokratisch gewählte Regierung die Verantwortung an eine andere demokratisch gewählte Regierung übergeben. Auch wenn im Umfeld der Wahlen und bei der Regierungsbildung danach nicht alles reibungslos verlaufen ist: Der friedliche Übergang der Regierungsverantwortung in Afghanistan ist ein großer Erfolg. Es ist vor allem für die afghanische Bevölkerung ein Erfolg. Die Afghanen haben sich nicht einschüchtern lassen von Drohungen der Taliban. Sie haben ihr Wahlrecht wahrgenommen. Diese Selbstsicherheit und dieses Selbstbewusstsein sind eine wichtige Botschaft für Afghanistan und für die internationale Gemeinschaft. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dass nun eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden konnte, ist ein Ausdruck der Bereitschaft zur Versöhnung zwischen den verschiedenen Interessengruppen des Landes. Das ist eine wichtige Botschaft; denn Demokratie ist nicht nur Entscheidung der Mehrheit, sondern auch Schutz der Minderheit und Beteiligung der Minderheit. Deswegen kommt es darauf an, dass man einen Interessenausgleich organisiert, dass man eine Balance zwischen den Kräfteverhältnissen schafft. Das erst ermöglicht eine stabile Entwicklung. Afghanistan bleibt auch in den nächsten Jahren auf zivile internationale Unterstützung angewiesen. Wir haben für militärische Mittel immer nur ein mehr oder weniger großes Zeitfenster, um Recht und Ordnung in einem Land wiederherzustellen. Aber danach müssen eben zivile Instrumente greifen, damit eine nachhaltige Entwicklung stattfinden kann. In Afghanistan darf sich nicht wiederholen, was wir derzeit im Nordirak erleben müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deshalb müssen wir die Entwicklungserfolge, die in den letzten Jahren erreicht worden sind, fortsetzen und weiter ausbauen. Das Bruttonationaleinkommen in Afghanistan hat sich seit 2001 verdoppelt. In 2001 haben nur 8 Prozent der Menschen medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen können; heute sind es 85 Prozent. Immer mehr Menschen in Afghanistan haben nicht nur zu medizinischer Versorgung, sondern auch zu Wasser, Strom und Bildung Zugang. Im Jahr 2001 sind in Afghanistan etwa 1 Million Buben zur Schule gegangen. Heute gibt es dort 9 Millionen Schüler; 40 Prozent davon sind Mädchen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, es ist so, wie es Friedensnobelpreisträgerin Malala in bewegenden Worten ausgedrückt hat: Nichts ist für Terroristen, für Extremisten schlimmer als ein Mädchen mit einem Buch. – Deshalb bleibt Bildung der Schlüssel für nachhaltige Entwicklung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es geht den meisten Afghaninnen und Afghanen heute deutlich besser als vor 13 Jahren, und unsere Entwicklungszusammenarbeit hat daran einen erheblichen Anteil. Unsere Experten genießen einen hervorragenden Ruf in Afghanistan. Deshalb bleibt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit auch in Zukunft an der Seite der afghanischen Bevölkerung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben in unserer Länderstrategie für Afghanistan fünf Schwerpunkte gesetzt, die wir bis 2017 verwirklichen wollen: Erstens. Wir brauchen Arbeitsplätze. Wir brauchen Beschäftigungsperspektiven. Das ist das beste Mittel gegen Extremismus. Jedes Jahr drängen in Afghanistan 400 000 junge Leute auf den Arbeitsmarkt. Sie brauchen die Chance auf eine eigene Zukunft in wirtschaftlicher Sicherheit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens. Wir brauchen gute Regierungsführung. Das ist eine konkrete Erwartung an den Präsidenten und an die Regierung. Wir wollen signifikante Verbesserungen beim Kampf gegen Korruption und Willkür. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Drittens. Wir wollen Frauen und Mädchen unterstützen. Meine Damen und Herren, die Rolle der Frauen in einer Gesellschaft ist ein Gradmesser für den Entwicklungsstand eines Landes. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es kommt auf Frauen und Mädchen an. Wir können darauf nirgendwo verzichten, auch nicht in Afghanistan. Viertens. Wir wollen afghanischen Flüchtlingen eine Perspektive geben. Deswegen werden wir in Afghanistan, im Übrigen auch im Nachbarland Pakistan, Fluchtursachen bekämpfen und die Reintegration von Rückkehrern fördern. Fünftens. Wir wollen in Nordafghanistan tätig bleiben, solange ein Mindestmaß an Sicherheit gewährleistet ist, auch ohne internationale Soldaten. Besonders im ländlichen Raum bleibt viel zu tun. Im Gegenzug für unsere Unterstützung erwarten wir von der afghanischen Regierung Zug um Zug konkrete Reformen. Deswegen war Bundesminister Dr. Gerd Müller im November in Kabul und hat dort den Staatspräsidenten Ghani und den Regierungsvorsitzenden -Abdullah getroffen. Beide haben einen konkreten Willen zu umfassenden Reformen gezeigt. Deswegen wollen wir sie daran messen, dass sie ihre Reformversprechen auch einlösen. Wir fordern konkrete Fortschritte in folgenden Bereichen: Zum Ersten fordern wir ein klares Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten. Der Schutz von Frauen und Mädchen muss insbesondere hier verbessert werden. Zum Zweiten fordern wir umfassende Wirtschafts-reformen. Das Land hat erhebliche Rohstoffressourcen, die aber so genutzt werden müssen, dass sie der breiten Bevölkerung zugutekommen. Die Rahmenbedingungen für Investitionen aus dem In- und Ausland müssen besser werden. Damit wird auch die Voraussetzung dafür geschaffen, dass eigene staatliche Einnahmen generiert werden. Zum Dritten fordern wir von der afghanischen Regierung, dass sie konsequent wirksame Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung umsetzt. Dort, wo Korruption herrscht, ist die Allgemeinheit das erste Opfer, meine Damen und Herren. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie in Bayern!) Wir fordern weiter konkrete und überprüfbare Schritte zur Bekämpfung des Drogenanbaus. Die Drogenökonomie finanziert den Terrorismus und fördert organisierte Kriminalität. Deswegen sind Opiumanbau und Drogenhandel eine große Gefahr für die Sicherheit, für die Regierbarkeit und für die Entwicklung des Landes. Es liegt ganz entscheidend an diesem Land selbst, an seinen Eliten, an den Führungskräften in der Politik und der Wirtschaft, aber natürlich auch an einer starken Zivilgesellschaft, ob politische Institutionen geschaffen werden, die stabil und leistungsfähig sind, sodass Afghanistan einen erfolgreichen Weg beschreiten kann, der am Gemeinwohl, am Wohl der Bevölkerung orientiert ist. Wir wollen, meine Damen und Herren, Afghanistan auf diesem Weg begleiten. Deutschland ist immer ein verlässlicher Partner Afghanistans gewesen. Deswegen werden wir die Menschen in Afghanistan auch zukünftig unterstützen, und zwar resolut, wie die neue Mission – Resolute Support Mission – heißt. Gerade jetzt, wo das Land nach dem ISAF-Einsatz vor einem weiteren Umbruch steht, gilt es, sicherzustellen, dass die Entwicklungserfolge erhalten bleiben und weiter ausgebaut werden können. Das Ziel muss sein, dass Afghanistan immer stärker auf eigenen Füßen steht, nicht nur bei Militär und Polizei, sondern auch wirtschaftlich. Ohne Entwicklung, meine Damen und Herren, gibt es dauerhaft keine Sicherheit und keinen Frieden. Und umgekehrt: Ohne ein Mindestmaß an Sicherheit kann Entwicklung nicht stattfinden. Die NATO-Folgemission Resolute Support Mission muss deshalb die afghanischen Sicherheitskräfte so lange unterstützen, bis sie dauerhaft eigenständig in der Lage sind, Sicherheit zu gewährleisten. Das heißt, wir müssen die Sicherheit durch fremde Kräfte überführen in eine Sicherheit aus eigener Kraft, nämlich durch -Afghanen. Bis dahin bleibt auch für die Entwicklungs-zusammenarbeit von großer Bedeutung, dass wir uns in Extremsituationen auf die Unterstützung durch internationale Kräfte verlassen können. Wir brauchen in Afghanistan sicherlich einen langen Atem, nicht nur im Sicherheitsbereich, sondern auch und gerade beim zivilen Wiederaufbau. Ich will daran erinnern, dass die Entwicklungsexperten schon in Afghanistan vor Ort waren, bevor die ersten deutschen Soldaten 2002 nach Kabul kamen. Die Schwerpunkte unserer Entwicklungszusammenarbeit waren damals Berufsbildung, Energie und ländliche Entwicklung. Wenn wir uns nun daranmachen, nach dem Einsatz mit militärischen Mitteln Konfliktnachsorge zu betreiben, dann ist das zugleich Vorsorge, um zukünftige Konflikte zu vermeiden. Ich bin froh darüber, dass es hier im Hause einen fraktionsübergreifenden Konsens gibt, unsere Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan fortzusetzen. Ich danke für die Unterstützung des Parlaments und darf Sie bitten, unsere Entwicklungsbemühungen in Afghanistan auch weiterhin tatkräftig mit zu begleiten und zu unterstützen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Thomas Silberhorn. – Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen: Dr. Frithjof Schmidt. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit fast 13 Jahren ist die Bundeswehr in Afghanistan. Vieles hat sich dort in dieser Zeit verändert – das ist angesprochen worden –, auch sehr vieles zum Guten. Damit möchte ich beginnen. In dieser Hinsicht kann ich an Ihre Ausführungen anknüpfen, Herr Außenminister. Junge Menschen, darunter viele Frauen und Mädchen, haben Zugang zu Bildung erhalten. Die medizinische Versorgung im Land hat sich wesentlich verbessert. Es ist eine plurale Medienlandschaft entstanden. Das alles ist wichtig. Denn es ist ein Beitrag zur Stabilisierung des Grundgerüsts, der weiteren Demokratisierung des Landes. Dieser zivile Aufbau muss weitergehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Deutschland muss seine Hilfszusagen aus Tokio uneingeschränkt einhalten. Wir begrüßen sehr, dass sich der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen zur Transformationsdekade zur Einhaltung der entwicklungspolitischen Ziele bekennt. Das ist gut. Hier ziehen wir an einem Strang, auch wenn Sie sich leider nicht zu konkreten Zahlen bekennen; wir reden ja über das bestehende Volumen von 430 Millionen Euro jährlich. Wir werden Sie hier beim Wort nehmen. Besonders in den nächsten Haushaltsberatungen werden wir Sie auch an dieser Zahl messen. Trotz verschiedener Kritikpunkte an Ihrem Text wird meine Fraktion diesem Antrag heute zustimmen. Denn es soll auch zum Ausdruck kommen, dass wir hier politisch an einem Strang ziehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Afghanistan-Einsatz ist auch eine Geschichte westlicher Fehleinschätzungen und gescheiterter Hoffnungen. Am Anfang stand die Erwartung, dass al-Qaida und die Taliban in einem, maximal in zwei Jahren besiegt werden könnten; manche dachten, es geht noch schneller. Das war ein Irrtum. Jahrelang wurde vor allem versucht, die Taliban militärisch zu besiegen. Eine Folge war eine erhebliche Zahl von Opfern, auch zivilen Opfern, durch nächtliche Kommandoaktionen, Luftschläge und Drohnenangriffe. Diese militärische Strategie – das kann man nach fast 13 Jahren Afghanistan-Einsatz wohl kaum mehr bestreiten – ist gescheitert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie hat dem Vertrauen in die internationalen Truppen erheblich geschadet, und sie hat eine politische Lösung des Konfliktes jahrelang mehr blockiert als gefördert. Deshalb war es richtig, 2010 die strategische Wende der internationalen Gemeinschaft in London zu beschließen, ein Abzugsdatum für die ISAF-Truppen festzulegen und sich für eine politische Lösung zu engagieren. Darum hat meine Fraktion hier vor einem Jahr dem Abzugsmandat zur Beendigung von ISAF mit großer Mehrheit zugestimmt. Jetzt geht es um eine Nachfolgemission. In der Öffentlichkeit ist dazu folgende Botschaft angekommen: Nach dem Abzug der Kampftruppen gibt es noch für zwei Jahre Ausbildung und Training, aber ohne Beteiligung an der Aufstandsbekämpfung, und 2017 ist dann auch damit Schluss. – Das müsste im Mandat und im Operationsplan eindeutig festgelegt werden – wird es aber nicht. Das leistet das Mandat, das Sie uns hier vorlegen, nicht. Wann Resolute Support endet, wird nicht festgelegt. Das politische Versprechen, dass 2017 Schluss ist, wird im Mandatstext nicht eingelöst. Stattdessen gab es verschiedene öffentliche Äußerungen, in denen es hieß, dass es auch zwei, drei oder mehr Jahre länger dauern kann. Hier droht das Abrutschen auf einer schiefen Ebene in einen erneuten längerfristigen Einsatz in Afghanistan ohne Exitstrategie. Das ist nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die USA stellen über 9 000 der 12 000 Soldaten, die an Resolute Support beteiligt sind. Wenn sie ihr militärisches Konzept ändern, verändert das diese Mission entscheidend, auch wenn die Bundeswehr bestimmte Dinge dann nicht mitmacht. Vor wenigen Wochen hat Präsident Obama entschieden, dass sich die US-Truppen nun doch direkt an der Aufstandsbekämpfung beteiligen können und sollen. Jetzt droht Resolute Support eine Fortsetzung von ISAF zu werden, nur mit stärkerem Schwerpunkt auf der Aufstandsbekämpfung durch Spezialkräfte. Zu den Aufgaben der Bundeswehr gehört ausdrücklich – das ist in dieser Form neu – die Ausbildung und Beratung der niederen Ebenen der afghanischen Spezialkräfte. Nun haben wir hier schon andere Ausbildungsmandate für die Bundeswehr verabschiedet, zum Beispiel zu Mali. Dem hat meine Fraktion zugestimmt. Aber da steht ausdrücklich drin, dass eine Unterstützung von militärischen Operationen der malischen Streitkräfte nicht stattfindet. Dieser Passus – schauen Sie es sich an –, diese eindeutige Festlegung im Mandatstext fehlt hier für -Afghanistan. Warum? Stattdessen gibt es in der Begründung eine vage Formulierung, dass man sich nicht direkt an der Terrorbekämpfung beteiligt. Nicht direkt – was kann das alles bedeuten, meine Damen und Herren? Dieses Mandat ist an entscheidenden Punkten gefährlich unklar. Vor dem Hintergrund, dass sich unser größter Partner offensichtlich auf eine mittelfristige Strategie der Aufstandsbekämpfung einstellt, sehe ich die große Gefahr, dass RSM erneut in komplizierte Kampfeinsätze verwickelt wird, und dann wird es sehr schwer, 2017 dort herauszukommen. In diesem Zusammenhang hat es auch große politische Bedeutung, dass es, anders als für ISAF, bisher kein UN-Mandat gibt. Das schwächt nicht nur die völkerrechtliche Legitimation dieses Mandates, sondern es heißt auch, dass es keine übergeordnete Rahmensetzung für Entscheidungen der NATO und der USA gibt, was Art und Dauer des Einsatzes betrifft. Auch das verstärkt die Gefahr, auf die schiefe Ebene eines langfristigen Militäreinsatzes zu kommen, den so eigentlich niemand in diesem Haus gewollt hat. Deshalb kann ich meiner Fraktion nicht empfehlen, diesem Mandat zuzustimmen. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frithjof Schmidt. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Hans-Peter Bartels für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Mandatsdebatte markiert eine Zäsur. Der lange ISAF-Einsatz geht jetzt wirklich zu Ende. Für -Afghanistan bedeutet das Jahr 2014 den Beginn einer neuen Ära. Es gab Wahlen und erstmals einen friedlichen Regierungswechsel – keinen einfachen Wechsel, aber einen Wechsel, der die alte Regierung nicht liquidiert oder ins Exil treibt. Der alte Präsident bleibt im Land. Aus Anlass der heutigen Debatte habe ich mich an einen Artikel erinnert, den Hamid Karzai vor einigen Jahren in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit unter der Überschrift „Ich habe einen Traum“ veröffentlicht hatte. Karzai sagt darin: Mein Traum ist das Afghanistan meiner Kindheit. Als ich ein Junge war, gab es dieses friedliche Afghanistan. Wir Kinder konnten ohne Gefahr allein zur Schule gehen … Ich habe diese besseren Tage gesehen, und ich will sie wieder sehen. So weit Karzai 2007. Ich zitiere das, weil mir wichtig ist, dass wir ein wenig vorsichtig sind mit den beliebten Pauschalurteilen, so mit der falschen Behauptung, Afghanistan sei immer ein schreckliches Land gewesen, mit dem hochmütigen Glauben, unsere Mitmenschen seien, wenn sie denn -Afghanen sind und in Afghanistan leben, gar nicht zur Demokratie fähig, oder mit dem entmutigenden Verdikt, es sei nichts gut in Afghanistan. 30 Millionen Menschen leben dort jeden Tag ihren Alltag. Dieser Alltag mag leichter geworden sein durch die Hilfe der internationalen Gemeinschaft. Vieles ist besser als zur Zeit der Herrschaft der Taliban. Aber die Sicherheitslage ist längst nicht gut. Es gibt immer noch viel zu viel Gewalt in Afghanistan. Natürlich müssen wir Bilanz ziehen, müssen wir uns heute, am Ende des alten Mandats und vor dem Beginn des neuen, kritisch fragen: Ist die Afghanistan-Mission eine gescheiterte Mission des Westens? Ich glaube, wir dürfen nicht sagen, dass die Mission gescheitert ist. Wir alle kennen die vielen unbezweifelbaren Erfolge, und die Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr haben einen wesentlichen Anteil daran, wenn auch unter Opfern. Das verdient den Dank des gesamten Hauses, gerade heute, wenn wir Bilanz über fast 13 Jahre ISAF ziehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber wir sollten uns klar darüber sein, dass unsere Afghanistan-Mission kein Modell für irgendeine andere Konfliktregion auf der Welt sein kann. Der Einsatz war sehr, sehr lang. Seit über zwölf Jahren haben wir Militär am Hindukusch stationiert; und bis heute wird geschossen, gebombt und gekämpft. Der Einsatz war sehr, sehr international: 48 Nationen haben Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan geschickt, über 80 Nationen helfen mit zivilen Mitteln. Es ist gut, dass es viele sind; aber manchmal macht es das noch ein bisschen schwerer. Unser Einsatz hat unvorstellbar viel Geld gekostet. Die USA haben auf dem Höhepunkt ihres Engagements mehr als 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr allein für ihren militärischen Einsatz ausgegeben. Das war ein Vielfaches der zivilen Hilfe. Ich weiß, dass man so nicht rechnen kann, aber wir müssen uns heute wenigstens fragen, ob die Proportionen immer gestimmt haben. Ich selbst habe keine fertige Antwort auf diese Frage. Afghanistan war in den 80er-Jahren eine Art Symbol im Kampf gegen die Ausbreitung des sowjetischen Imperialismus. Afghanistan ist heute ein Symbol im Kampf gegen eine ganz andere totalitäre Ideologie: den mörderischen Dschihadismus. Dieser Dschihadismus bedroht nicht nur Afghanistan oder Irak. Er bedroht Nigeria, Libyen, Somalia, Jemen, Syrien und Pakistan. Wir haben gelesen, dass pakistanische Talibanführer ausdrücklich zur Unterstützung der Kämpfer des „Islamischen Staates“, des IS, aufgerufen haben. Deshalb gibt es auch für Afghanistan eine reale Besorgnis: Gehen die Taliban heute neue Bündnisse mit dem IS ein wie vor 15 Jahren mit al-Qaida? Entsteht hier eine weltweit immer einheitlichere totalitäre Bewegung? Oder werden sich die dschihadistischen Gruppen untereinander bekämpfen wie in Syrien? Ich glaube, für die Zukunft Afghanistans sind viele innere Faktoren wichtig, aber auch drei äußere: Erstens. Der totalitäre Dschihadismus in Syrien und im Irak muss sichtbar eingedämmt und zerschlagen werden. Zweitens. Pakistan muss eindeutig die Taliban und den Dschihadismus in Pakistan und in Afghanistan bekämpfen. Die Bedrohung durch den Dschihadismus ist tödlich. Auch Ambivalenz gegenüber dieser Bedrohung könnte tödlich sein. Drittens. Der Westen darf sich nicht von Afghanistan abwenden. Die Fortsetzung der Entwicklungszusammenarbeit ist wichtig. Ebenso wichtig ist die Fortsetzung einer begrenzten militärischen Präsenz für Beratung und Unterstützung, und zwar so lange dies nötig ist. Der Missionsabbruch des Westens im Irak darf kein Modell für Afghanistan sein. Das darf in Afghanistan nicht passieren. Zum Schluss ein Wort zu Deutschland. Ich zitiere noch einmal aus dem Artikel „Ich habe einen Traum“ von Hamid Karzai. Er schreibt: Um ehrlich zu sein, mir gefällt das Leben in Deutschland sehr gut. Es ist ein vorhersagbares Leben, und das mag ich. Wenn man an einem Flughafen ankommt und ein Taxi braucht, bekommt man definitiv ein Taxi. Wenn Sie einen Bus brauchen, bekommen Sie einen Bus. Es ist ein Land mit einer strengen Arbeitsethik, das ist extrem wichtig. … Wenn ich etwa 50 Jahre in die Zukunft sehe, dann wäre ich froh, wenn wir nur die Hälfte von dem hätten, was Deutschland hat. Ich wäre sogar schon froh über 30 Prozent. So weit Karzai. Ich möchte abschließend sagen: Ich bin froh, dass wir Deutsche nicht auf der Seite stehen, die dringend Hilfe braucht – das gab es auch schon mal –, sondern dass wir diejenigen sind, die Hilfe zur Selbsthilfe geben können. Dieses Parlament ist bereit, das zu tun. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das war eine wirklich gute Rede von Kollege Bartels! Was droht uns jetzt?) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Hans-Peter Bartels. – Nächste Rednerin in der Debatte: Christine Buchholz für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung bemüht sich, den Eindruck zu erwecken, der Kampfeinsatz in Afghanistan sei nun abgeschlossen, nun gehe es nur noch um die Ausbildung der afghanischen Streitkräfte. Aber das ist nicht wahr: In Afghanistan herrscht weiter Krieg. Allein in Kabul gab es in den vergangenen zwei Wochen ein Dutzend Anschläge, und laut UN ist die Zahl der zivilen Opfer in der ersten Jahreshälfte 2014 um 17 Prozent gestiegen. Die Bundeswehr wird im Bündnis mit den US-amerikanischen Truppen und der NATO weiter Teil dieses Krieges sein. Wie wird der Afghanistan-Einsatz ab 2015 aussehen? Von den 12 000 Soldaten, die die NATO in Afghanistan ab 2015 stationiert, werden nur etwa ein Zehntel Ausbilder sein – neun Zehntel des Kontingents werden von militärischer Logistik, Schutz- und Kampftruppen gestellt. Wenn neun Zehntel der stationierten Soldaten keine Ausbilder sind, dann ist es irreführend, von einer Ausbildungsmission zu sprechen. (Beifall bei der LINKEN) Ja, der Einsatz wird sich verändern. Dass die neue Mission mit einer deutlich reduzierten Truppenstärke auskommt, zeigt vor allem eines: Kämpfen sollen in Zukunft vor allem die afghanischen Streitkräfte; die NATO-Staaten unterstützen sie dabei. Der vorliegende Antrag der Bundesregierung lässt die Möglichkeit offen, dass Bundeswehrsoldaten den afghanischen Streitkräften auch im Gefecht zur Hilfe kommen. Angesichts der weiterhin extrem schlechten Sicherheitslage ist es nicht unwahrscheinlich, dass dieser Fall eintritt. Erinnern wir uns: 2014 wurden rund 3 500 afghanische Sicherheitskräfte getötet. Wenn im neuen Mandat nun davon die Rede ist, dass diese Kräfte im Gefechtsfall zu sichern, zu schützen und zu bergen sind, dann droht die Bundeswehr Teil ihres Krieges zu werden. Das, meine Damen und Herren, sollten Sie sowohl der Bevölkerung als auch den Soldatinnen und Soldaten nicht verschweigen! 2015 wird es weiterhin offensive Aufstandsbekämpfung geben; das hat Barack Obama kürzlich noch einmal klargestellt. Dazu gehört auch ein Schattenkrieg der -Spezialkräfte. Der neue afghanische Präsident, Ashraf Ghani, hat gerade erst das Verbot der Durchführung von Nachtrazzien aufgehoben. In diesen Nachtrazzien haben in der Vergangenheit insbesondere amerikanische Einheiten nachts Dörfer überfallen, Türen eingetreten, Bewohner aus dem Schlaf gerissen und Verdächtige verschleppt. Der vorherige Präsident, Hamid Karzai, hatte dieses Vorgehen 2013 verboten. Ab nächstem Jahr sollen afghanische Sondereinheiten diese Arbeit wiederaufnehmen; amerikanische Spezialkräfte werden sie dabei unterstützen. Unterstützung gibt es auch durch die Ausbildung. Bereits jetzt werden 200 afghanische Spezialkräfte durch die US-Armee in Kandahar trainiert, solche Nachtrazzien durchzuführen, und auch in dem deutschen Mandat ist diese Möglichkeit enthalten. In der Vergangenheit gab es auch Spezialoperationen, an denen deutsche Soldaten beteiligt waren. Das vorliegende Mandat lässt noch offen, ob Einheiten wie das Kommando Spezialkräfte weiter den Krieg im Geheimen fortführen werden. Wir lehnen diese Kriegsführung ab und fordern Klarheit von der Regierung, (Beifall bei der LINKEN) ob das auch in Zukunft der Fall sein wird. Für eine Ausbildungsmission braucht man keine Drohnen; aber die Bundeswehr wird sich mit der Drohne Heron weiter an der Lagebilderstellung in Afghanistan beteiligen. Diese Lagebilderstellung ist eine Voraussetzung, um Aufstandsbekämpfung und andere kriegerische Handlungen weiterhin durchzuführen. Darüber hinaus wird die US-Armee mit Kampfdrohnen in Afghanistan bleiben und ihren verbrecherischen Drohnenkrieg weiterführen. Die Linke lehnt den Einsatz von Spionage- und Kampfdrohnen auch in Afghanistan ab. Die Drohne Heron muss unverzüglich aus Afghanistan abgezogen werden. (Beifall bei der LINKEN) Nach über zwölf Jahren NATO-Einsatz ist Afghanistan durch und durch militarisiert. Es gibt 350 000 afghanische Soldaten und Sicherheitskräfte. Es ist bezeichnend, dass die Ausgaben für Sicherheitskräfte deutlich höher als der Staatshaushalt sind. Daneben können wir ein grassierendes Milizenwesen und Privatarmeen beobachten. Herr Steinmeier ist leider nicht mehr anwesend. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Doch!) – Er hat sich in die letzte Reihe verdrückt. Herr Steinmeier, schön, dass Sie noch da sind. Sie haben neulich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gesagt, dass das nicht die Schuld der intervenierenden NATO-Staaten sei. Die afghanische Frauenrechtlerin Wazhma Frogh ist deutlich anderer Meinung. Sie sagte gestern im Deutschlandfunk – ich zitiere –: Der Westen hat sehr bewusst mit Kriegsfürsten zusammengearbeitet. Mit korrupten Männern, die für einen grausamen Bürgerkrieg verantwortlich sind … Diese alten, konservativen Eliten sind heute Millionäre, Minister und Vizepräsidenten. Der Westen hat den Kriegsfürsten zu neuer Stärke verholfen. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde, dass wir mit diesen Verbrechern keine gemeinsame Sache machen sollten. (Beifall bei der LINKEN) 13 Jahre Krieg gegen den Terror offenbaren das Scheitern dieses Ansatzes. Gerade die Ausbreitung des IS ist ein weiteres Argument dafür. Weltweit und in Afghanistan wurde der Terror nicht gestoppt, sondern angefacht. Bitte nehmen Sie diese Realität endlich zur Kenntnis. Das neue Mandat macht eine weitere Beteiligung am Krieg in Afghanistan zum Normalzustand. Das Ende ist nicht absehbar. Die Linke wird einem solchen Mandat niemals zustimmen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Christine Buchholz. – Nächster Redner in der Debatte ist Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, Herr Generalinspekteur, möchte ich an dieser Stelle noch einmal derjenigen gedenken, die in diesem Einsatz ums Leben gekommen sind. 55 deutsche Soldaten sind gestorben. Ich finde, dass man in einer solchen Debatte – zum Ende des ISAF-Mandats – als Parlament sagen muss, dass diese Soldaten erstens nicht umsonst gestorben sind und dass sie zweitens den Respekt von uns allen bekommen und ihre Angehörigen immer in unseren Herzen sind, wenn wir auch zukünftig über Afghanistan reden werden. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bitte Sie, Herr Generalinspekteur, das würdevolle Andenken, das die Bundeswehr praktiziert, an die Soldatinnen und Soldaten weiterzutragen. Ich glaube schon, dass mit dem Afghanistan-Einsatz unser Land gewachsen ist und es ein Stück weit erwachsener geworden ist. In dem Sinne haben wir – das haben wir auf der Münchener Sicherheitskonferenz zum Stichwort „mehr Verantwortung und neue Verantwortung“ gehört – eigentlich schon in den vergangenen zehn Jahren ein Kapitel vorgestellt, aus dem wir Lehren gezogen haben. Wir haben aus dem Vergleich des Afghanistan-Einsatzes mit dem Irak-Einsatz der Amerikaner gelernt: Es macht Sinn, das Anschlussmandat Resolute Support zu beraten und zu beschließen. Wir wissen heute, dass es ein Fehler der westlichen Gemeinschaft war, die im Irak eingegriffen hat – Deutschland war nicht direkt beteiligt –, Hals über Kopf aus dem Land abzuziehen. Die Ergebnisse im Hinblick auf IS sehen wir heute. Man kann heute über die Entstehungsgeschichte des Irakkrieges sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Das ist gar keine Frage. Aber der kopflose Abzug war ein Fehler. Diesen Fehler dürfen wir in Afghanistan nicht begehen. (Beifall des Abg. Charles M. Huber [CDU/CSU]) Natürlich muss man auch kritisch darüber diskutieren – das haben wir auch getan; unsere Fraktion hat gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD den Fortschrittsbericht auf den Weg gebracht –, was die Lehren aus Afghanistan sind, was wir in Zukunft besser machen müssen und was wir gänzlich falsch gemacht haben. Wenn man sich anschaut, wie dieses Mandat entstanden ist, dann stellt man fest, dass es verschiedene Gründe gab, weshalb man nach Afghanistan gegangen ist. Der erste Grund war – der Minister hat es schon angesprochen –, die Fähigkeiten von Terroristen, aus dem Land als Operationsbasis zu arbeiten, einzudämmen und Afghanistan aus unserem ureigenen Sicherheitsinteresse sicherer zu machen. Das ist gelungen. Dieses Ziel haben wir erreicht. Das war aber auch der kleinste Anspruch an das Thema Afghanistan. Der zweite Grund war sicherlich die Festnahme oder Beseitigung – wie man es auch immer definieren will – von Osama Bin Laden. An dieser Stelle kann man natürlich schon kritisch fragen: Wo ist man Osama Bin Laden letztendlich begegnet? – Nicht in Afghanistan, sondern in Pakistan. Dieses Land wird uns in der Zukunft sicherlich mehr Probleme bringen, als wir hier am heutigen Tag diskutieren können. Der eigentliche Schlüssel zur regionalen Sicherheit liegt in Pakistan. Exemplarisch kann man es damit belegen, dass sich Osama Bin Laden dort vor seiner Tötung jahrelang an einem Ort versteckt halten konnte. Eine Sache, die ich ansprechen muss – da will ich hier wirklich niemanden kritisieren, auch keinen, der damals Verantwortung getragen hatte, insbesondere nicht die damals die Regierung tragenden Fraktionen der Grünen und der SPD –: Bei der Petersberger Konferenz in Bonn hat man sich sehr hohe Ziele gesteckt. Ich sage nicht, dass die Ziele falsch waren; denn es waren gute Ziele. Aber ich glaube, die Ziele waren – auch das gehört zu den Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz – an der einen oder anderen Stelle zu hoch gesteckt; wir haben sie an vielen Stellen verfehlt. Das, was Frau Buchholz hier gerade sehr plakativ und propagandistisch vorgetragen hat, ist an manchen Stellen nicht falsch. Natürlich arbeitet man dort mit Leuten zusammen, die zwar ganz anders legitimiert sind als früher die Taliban und die Warlords, deren Herkunft aber dennoch oft problematisch ist. Man kann aber nur mit denjenigen kooperieren, die es dort gibt. Damit rede ich das nicht schön. Vielmehr sage ich ganz kritisch: Natürlich wissen wir, dass sowohl die Verwandtschaft des früheren Präsidenten Karzai als auch ganz viele Minister und hohe Würdenträger dort extrem problematisch sind. Nur fehlte mir, ehrlich gesagt, bei Ihrer Präsentation, Frau Buchholz, schon die Alternative zu dem, was wir machen. Man kann natürlich hier sagen: Wir verschließen die Augen und machen in Afghanistan gar nichts mehr. – Ich glaube aber, dass die Erfolge des Einsatzes es rechtfertigen, dass wir so gehandelt haben, wie wir gehandelt haben. Ich habe gerade zu Ihnen gesagt: 55 deutsche Soldaten sind im Einsatz gefallen. Hätte man sich zum Ziel gesetzt, die Beschlüsse von Petersberg wirklich bis zur letzten Konsequenz mit militärischer Gewalt durchzusetzen, dann wäre es nicht bei diesen 55 Toten geblieben; es wäre eine weitaus höhere Zahl. Ich glaube nicht, dass dieses Parlament dazu bereit gewesen wäre, das zu akzeptieren. Ich glaube auch nicht, dass die deutsche Gesellschaft dazu bereit gewesen wäre. Ein weiterer Grund ist die Bekämpfung des Drogenschmuggels und des Drogenanbaus. Man hätte das zum Kern des Mandats machen können und sagen können: Wir wollen die Aufgabe in den Mittelpunkt rücken, dieses militärisch zu unterbinden. – Auch da haben wir eine Konzession gemacht; wir haben diese Aufgabe nicht in den Fokus gerückt, sondern uns auf andere Schwerpunkte konzentriert. Die Alternative wären viel mehr Tote gewesen. Auch da wären uns das Parlament und die Bevölkerung, wie ich glaube, nicht mehr gefolgt. In der schwierigen Situation, in der man abwägen muss, mit wem man zusammenarbeiten soll, welche Ziele realistisch sind und welche man anpassen muss, haben wir den richtigen Weg gefunden. Wir haben uns mit dem Fortlauf des Mandats von der Konzeption verabschiedet, die auf dem Petersberg gefunden worden ist, und haben unter Franz Josef Jung massiv darauf hingewirkt, den Comprehensive Approach im Bündnis voranzubringen. Nächste Woche diskutieren wir, Kollege Frei, Kollege Schockenhoff, Frau Bulmahn, über das Thema zivile Krisenprävention. Ich würde sogar sagen, wir müssen die Debatte über den Comprehensive Approach und über mehr Verantwortung um das Thema „zivile Krisenprävention“ erweitern, gerade jetzt an dieser Stelle ansetzen und fragen: Was ist jetzt bei Resolute Support für uns wichtig? Was können wir im Bereich der zivilen Krisenprävention tun? Es ist hier keine philosophische Debatte, bei der es um die Frage geht: Wie lange soll so ein Einsatz dauern? Meine Antwort darauf ist ganz klar: so kurz wie möglich. Dabei muss man so verantwortungsbewusst wie möglich handeln. Der Einsatz wird natürlich nicht ewig dauern. Deshalb ist es aller Mühen wert, unsere entwicklungspolitischen Maßnahmen so auf den Weg zu bringen und zu verstärken, dass sie nachhaltig überprüfbar und gut sind. Wir haben in dieser Woche eine sehr kritische Diskussion mit unserem Minister Gerd Müller geführt, der die Defizite ganz offen anspricht. Es gibt hier keine Schönfärberei: Wenn man im Ministerium Gespräche führt, bekommt man an allen Ecken zu hören, was in Afghanistan gut läuft, was schlecht läuft und wo wir besser werden müssen. Darüber zu diskutieren, gehört zur Entscheidung über die Fortsetzung dieser Mission dazu. Ich sage aber auch ganz deutlich: Es geht an dieser Stelle leider nicht ohne militärische Maßnahmen. Ich würde mir wünschen, dass wir diesen Militäreinsatz hier heute beenden könnten, aber es geht leider nicht. Ich sage Ihnen gleichzeitig, dass dies eine der wichtigsten Lehren aus dem Irakkrieg ist – damit hatte ich angefangen –: Jedes kopflose Abziehen aus Militärmissionen oder jede Fehlplanung, wie in Libyen, führt dazu, dass die Situation chaotischer wird und nicht übersichtlicher. In Afghanistan haben wir es bislang geschafft, geordnetere Verhältnisse zu schaffen. Wir haben bei weitem nicht die Ziele erreicht, die wir uns gesetzt haben; aber jetzt ist die Situation – für die Frauen, für die jungen Menschen in dem Land, beim Zugang zu medizinischer Versorgung, bei der Infrastruktur – viel besser, als sie 2001 war. Damit das so bleibt, sind diese militärischen Absicherungsmaßnahmen notwendig. Wir wollen unsere Freunde in Afghanistan unterstützen, damit sie ihre Sicherheit selber gewährleisten können. Deshalb werbe ich für diesen Einsatz. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Philipp Mißfelder. – Nächster Redner in der Debatte: Omid Nouripour vom Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mardom mohtaram Afghanestan, payane ISAF payane hambastegiye ma nist. Ma shoma ra faromoush nakhahim kard. – Ich übersetze: Verehrtes Volk von Afghanistan, das Ende von ISAF bedeutet nicht das Ende unserer Solidarität. Wir werden Sie nicht vergessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit diesen Worten durfte ich meine letzte Rede zur Verlängerung des ISAF-Mandats beenden. Ich finde, diese Worte sollten weiterhin gelten, genauso wie sie im Februar gegolten haben. Es ist kein Geheimnis: Wenn ein Großteil der Truppen abzieht, sinkt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit relativ schnell. Es ist kein Geheimnis, dass mit dem Fehlen der Aufmerksamkeit auch der Wille immer kleiner wird, genau hinzuschauen, wie die Entwicklungen laufen und welche Mittel man dafür braucht. Jetzt sehen wir ja bereits, dass sich NGOs beklagen, dass ihre Mittel für die Afghanistan-Arbeit kleiner werden. Aber gerade bei Afghanistan dürfen wir nicht nachlassen und nicht in die Aufmerksamkeitsfalle tappen, unabhängig davon, was in anderen Teilen der Welt passiert. Der Afghanistan-Einsatz ist der teuerste, aufwendigste und opferreichste Einsatz – nicht nur bei der Bundeswehr, sondern auch, wie wir wissen, bei den Afghaninnen und Afghanen – in der bundesrepublikanischen Geschichte. Abertausende Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer, Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und Polizisten, Diplomatinnen und Diplomaten haben in Afghanistan am Wiederaufbau mitgearbeitet. Ihnen gilt nicht nur unser Dank, sondern auch unsere Verpflichtung, dass wir alles, was wir können, beitragen mögen, dass die vielen Errungenschaften, die weit mehr hätten sein können und müssen – das lag nicht an den Menschen, die vor Ort gearbeitet haben –, nicht rückgängig gemacht werden können. Diese Verpflichtung gilt erst recht für die Menschen in Afghanistan. Wir reden über Menschen, die sehr viel Hoffnung haben, wir reden über ein sehr junges Volk. 70 Prozent der Bevölkerung sind zwischen 17 und 29 Jahre alt. Das ist eine Generation, die erstmals seit Dekaden – der Krieg hat nicht mit ISAF angefangen; der Krieg hat in den 70er-Jahren angefangen – erlebt, wie es sein kann, wenn das Land ein Stückchen freier ist, wenn man sich ein wenig mehr entfalten kann. Und es ist vor allem eine Generation, die sich auch von Gewalt und Drohungen nicht entmutigen lässt. Wenn man sich anschaut, dass 7 Millionen Menschen dieses Jahr zu den Wahlen gegangen sind, dann sieht man, dass die Hoffnung dieser Menschen alles andere als verloren ist. Aber diese Menschen haben nicht nur Hoffnung, sondern sie haben auch eine sehr große Unsicherheit. Die Frage ist, welche Signale wir setzen und senden können, damit diese Unsicherheit nicht Oberhand gewinnt und damit die Hoffnung nicht verloren geht. Wie geht es weiter mit der Regierung – es ist eine fragile Situation –, wie geht es weiter mit der Unterstützung? Ich finde, wir sollten ein klares Signal setzen, dass wir uns weiterhin langfristig und engagiert um Afghanistan mit kümmern werden und dass wir helfen können und helfen wollen, wo es geht, allen voran im zivilen Bereich und in der Entwicklungspolitik. Ein gutes Beispiel dafür ist die Polizeiarbeit, die zunächst sehr holprig begonnen hat. Die deutsche Polizeiausbildung hat sehr viel Gutes geleistet. Es gab sehr viele engagierte Polizistinnen und Polizisten, die eine tolle Arbeit gemacht haben. Heute wissen wir, dass nicht nur die Alphabetisierung in der afghanischen Polizei ein großer Erfolg war. Deutsche Polizistinnen und Polizisten haben im Sinne von „train the trainer“ 2 000 afghanische Polizistinnen und Polizisten ausgebildet, die wiederum weitere Afghanen ausbilden, damit sie dort arbeiten können. Wir müssen einen klaren Schwerpunkt setzen auf Bildung, auf berufliche Chancen und auf Arbeitsplätze in Afghanistan. Wenn Sie mit jungen Menschen in Afghanistan reden und sie fragen, welche Wünsche und Hoffnungen sie haben, dann hören Sie, dass sie die gleichen haben wie alle anderen jungen Menschen auf der ganzen Welt. Deshalb ist es umso wichtiger, dass klar ist, dass wir den Schwerpunkt dort setzen, wo es notwendig ist, nämlich im Bereich Bildung und Arbeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Da müssen wir weiterhin dranbleiben und dürfen nicht nachlassen beim Aufbau von Institutionen. Ich sage ganz bewusst „Institutionen“ und nicht „Personen“. Gerade in solch einem Land ist es umso wichtiger, dass Institutionen funktionieren. Wenn ich jetzt sehe, dass die afghanische Menschenrechtskommission, mit der wir seit Jahren hervorragend zusammenarbeiten, die eine grandiose Arbeit leistet, davon bedroht ist, dass die Ernennung der Mitglieder nun politisch motiviert ist, dann kann ich nur sagen, dass die internationale Gemeinschaft das keineswegs tolerieren darf. Wir müssen hier deutlich machen, dass die Menschenrechte – in einem Land wie Afghanistan in erster Linie die Rechte von Mädchen und Frauen – für uns nicht verhandelbar sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Mein Kollege Schmidt hat bereits darauf hingewiesen, dass wir mit einigen Punkten des heute vorliegenden Antrags der Bundesregierung nicht einverstanden sind. Ich finde, dass zur Ehrlichkeit gehört, Herr Außenminister, dass man einen solchen Einsatz endlich einmal evaluiert. Sie haben gesagt, man müsse da kritisch draufschauen. Wir wünschen uns immer noch eine unabhängige und wissenschaftliche Evaluation. Es ist natürlich mehr als ein Skandal, dass die Bundesregierung nicht bereit ist, ihre Verantwortung – und zwar ohne bürokratische Hemmnisse – für die vielen lokalen Kräfte, die ihre Sicherheit für die Deutschen in Afghanistan geopfert haben, voll zu übernehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir müssen und werden dranbleiben, damit diesen Menschen geholfen werden kann. Wir werden nichtsdestotrotz dem vorliegenden Antrag zustimmen, weil wir durch eine möglichst geschlossene Haltung dieses Hohen Hauses das Signal senden wollen, dass wir die Afghanen nicht vergessen. Ich kann Ihnen versprechen: Wir werden weiterhin mit kritischem Blick sehr genau darauf achten, dass die gemachten Versprechen auch gehalten werden. Unabhängig davon, wie die Grünen sich in Bezug auf Resolute Support verhalten werden, gilt für meine Fraktion – und ich glaube, wir sind nicht die Einzigen – absolut und ohne jegliche Vorbedingung: Wir werden die Afghaninnen und Afghanen nicht vergessen. Wir stehen zur Verfügung, zu helfen, wo es geht. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Omid Nouripour. – Nächster Redner: Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Henning Otte (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Ende des Jahres 2014 endet nach 13 Jahren der Kampfauftrag im Rahmen der ISAF-Mission. Damit geht für die Bundeswehr eine erfolgreiche Arbeit zu Ende, und für Afghanistan beginnt ein weiterer Abschnitt eines langen Weges hin zu einem Land mit einer guten Perspektive. Auf diesem Weg werden wir Afghanistan auch in Zukunft begleiten. Deutschland übernimmt weiter Verantwortung und stärkt die afghanische Regierung wie auch die afghanischen Sicherheitskräfte durch Ausbildung sowie militärische und strategische Beratung. Mit der Nachfolgemission Resolute Support bringen wir heute einen weiteren Baustein dafür auf den Weg. Die Bundeswehr hat einen maßgeblichen Beitrag dazu geleistet, dass wir den Übergang von der ISAF-Mission, von einer robusten Mission, zu einer eher im Hintergrund sich abspielenden Mission, nämlich Resolute Support, erfolgreich gestalten. Lassen Sie mich zunächst eine Rückschau halten, bevor ich dann den Blick in die Zukunft richte. Zuallererst möchte ich mit großem Respekt und aus tiefstem Herzen Danke sagen: allen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, den Mitgliedern der Bundespolizei, den zivilen Mitarbeitern und allen Angehörigen, die in den vergangenen 13 Jahren dazu beigetragen haben, diesen bisher schwersten Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr so erfolgreich zu gestalten. Sie haben der Verantwortung, die Deutschland mit seinem Engagement übernommen hat, ein Gesicht gegeben. Im Dienst für uns alle, für die Sicherheit hier in Deutschland und für die Sicherheit in Afghanistan haben unsere Männer und Frauen in Uniform schwere Entbehrungen auf sich genommen. Es gibt wohl keinen unter ihnen, der in dieser Zeit nicht die Geburt oder die Einschulung eines Kindes oder die Hochzeit des besten Freundes verpasst hat; Augenblicke, die sich nicht nachholen lassen. Stattdessen hat man Dienst getan als Spähtruppführer in einem Fennek, als Mechanikerin an einem Hubschrauber oder als Sanitäter in einem Lazarett. Für die meisten von ihnen ist diese Arbeit mehr als ein Beruf: Es ist ein Dienst für unser Land, ein Dienst an unserer Gesellschaft. Dafür gebührt ihnen unser Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 55 dieser Soldaten haben diesen Dienst für uns mit dem Leben bezahlt. Viele weitere sind an Körper und Seele verwundet worden. Den Hinterbliebenen spreche ich mein tiefempfundenes Mitgefühl aus. Der Toten der Bundeswehr gedenken wir am Ehrenmal der Bundeswehr im Verteidigungsministerium und im „Wald der Erinnerung“ am Standort des Einsatzführungskommandos in Potsdam. Es ist gut, dass wir ebenfalls darüber diskutieren, wo wir eine Würdigung im parlamentarischen Raum ermöglichen können, um der Tatsache Ausdruck zu verleihen, dass es sich um eine Parlamentsarmee handelt. Diese Gedenkstätten ergänzen sich gegenseitig und dokumentieren die gemeinsame Verantwortung von Legislative und Exekutive. Erinnern wir uns: Afghanistan war als Staat zerfallen – Außenminister Steinmeier hat das dargestellt –; die Taliban herrschten mit einem Schreckensregime, unter dessen Mantel die Terroristen der al-Qaida eine Heimat gefunden hatten; von hier aus wurden die Anschläge des 11. September 2001 geplant; das Wertesystem der westlichen Welt wurde von afghanischem Boden aus angegriffen. Dagegen mussten wir uns gemeinsam wehren. Damit sich solche Angriffe nicht wiederholen, mussten wir den Terroristen deren Unterschlupf und Nährboden nehmen und gleichzeitig das afghanische Volk wieder in die Lage versetzen, ein staatliches Gewaltmonopol aufzubauen und eine friedliche, zivile Perspektive zu entwickeln. Vieles davon ist in den letzten Jahren gelungen. Es ist gelungen, die Terroristen der al-Qaida zurückzudrängen. Das militärische Eingreifen der Staatengemeinschaft war die Voraussetzung dafür. Es ist aber auch eine notwendige Voraussetzung für Bildung, für Staatlichkeit, für zivile Strukturen; Staatssekretär Silberhorn hat das noch einmal verdeutlicht. Dies hat der damalige Verteidigungsminister, Dr. Jung, frühzeitig erkannt und mit dem Begriff der vernetzten Sicherheit im letzten Weißbuch der Bundeswehr festgeschrieben. Das Militär bildet eben oftmals die Voraussetzung und den notwendigen Sicherheitsschirm, unter dem sich diese Maßnahmen dann entwickeln können. Das Gesamtergebnis kann sich sehen lassen. Natürlich gibt es in Afghanistan noch viel zu tun. Natürlich ist Afghanistan noch nicht am Ziel. Aber vieles ist jetzt gut, und vieles ist besser geworden in Afghanistan. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD]) Wir sehen eine neue Generation von jungen Afghanen heranwachsen, die erstmals eine Perspektive für ein gutes Leben haben und mehr aus sich und dem eigenen Land machen können. Der Torhüter des Fußballvereins VfB Oldenburg heißt Mansur Faqiryar. Er ist in seiner Heimat ein Held. Er ist Torhüter der afghanischen Fußballnationalmannschaft, und die Afghanen sind ein fußballbegeistertes Volk. Mansur erzählte mir hier in Berlin, dass es noch nicht lange her sei, dass im Stadion von Kabul junge Frauen gesteinigt worden seien. Heute wird dort wieder Fußball gespielt. Erstmals seit Jahrzehnten können Mädchen und Frauen zur Schule oder zur Universität gehen. Insbesondere sie waren vollkommen entrechtet und abgeschnitten von jeglicher Hoffnung und Würde. Dazu, dass das besser geworden ist, hat auch der Einsatz der Bundeswehr einen wesentlichen Beitrag geleistet. – Das sollten auch Sie als Linke zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Weg zu einer freien Gesellschaft ist lang; aber jeder Schritt lohnt sich, denn es ist ein Schritt hin zu einer besseren Welt. Deutschland hat bewiesen, dass Verantwortung nicht nur ein Wort ist. Deutschland hat sich dazu bekannt, Verantwortung in diesem Sinne in der Welt zu übernehmen. RSM ist ein Beleg dafür, dass diese Verantwortung nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern Ausdruck eines Weges hin zu einem stabilen Afghanistan. Das machen wir nicht allein, sondern immer in Zusammenarbeit mit Freunden und Partnern. Das Mandat umfasst 850 Soldaten. Damit folgen wir der militärischen Empfehlung und schaffen einen angemessenen Personalrahmen für unsere Aufgaben in Afghanistan. Eingesetzt sind die deutschen Soldaten im Norden von Afghanistan und in der Hauptstadt. Der Schwerpunkt des Auftrags liegt in der Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte sowie der Regierung. Außerdem haben wir die Fähigkeit, uns anvertraute Menschen vor Bedrohung zu schützen und zu befreien. – Herr Dr. Schmidt, da das in dem Mandat sehr konkret abgebildet ist, habe ich Ihre Eingabe nicht verstanden. – Wir unterhalten einen militärischen Flugbetrieb, auch zur Rettung Verwundeter, mit den CH-53-Hubschraubern. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Otte, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Christian Ströbele? Henning Otte (CDU/CSU): Ich würde gerne diesen Ansatz weiter ausführen, auch angesichts der Redezeit, die mir noch zur Verfügung steht. Zusammengefasst kann man sagen: Wir unterstützen einen dreigliedrigen Ansatz, den wir in der NATO für Afghanistan entwickelt haben: Erstens. Kurzfristig tragen wir dazu bei, dass die Fähigkeiten der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte durch Ausbildung und durch Beratung ausgebaut werden. Zweitens. Mittelfristig leisten wir einen Beitrag mit der NATO zum Erhalt der afghanischen Sicherheitskräfte. Drittens will die NATO langfristig mit Afghanistan ein dauerhaftes Partnerschaftsabkommen eingehen. Fazit: In den vergangenen 13 Jahren konnten in Afghanistan viele Verbesserungen erreicht werden. Afghanistan ist noch lange nicht am Ziel. Insbesondere die Regierung um Präsident Ghani ist aufgefordert, einen Weg der Stabilität und Sicherheit und auch der Versöhnung konsequent zu gehen. Mit RSM gehen wir als Teil der Staatengemeinschaft diesen Weg konsequent mit. Das ist Teil unserer Verantwortung, die die deutsche Außenpolitik in der Welt wahrnimmt. Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr tragen eine Hauptlast dieses Auftrags mit dem neuen Mandat. Deswegen werbe ich dafür, dass wir eine breite Unterstützung im Deutschen Bundestag für dieses Mandat erteilen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Henning Otte. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Christian Ströbele. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Hat er wieder keine Redezeit bekommen?) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Otte, ich bedauere, dass Sie die Frage nicht zugelassen haben. Ich höre die ganze Zeit dieser Diskussion mit Interesse zu, stelle aber fest, dass es eigentlich gar keine Diskussion ist, weil auf die gegenseitigen Argumente, vor allen Dingen die Argumente der Opposition, gar nicht eingegangen wird. Es wird im Wesentlichen das vorgetragen, was man sich vorher vorgenommen hat, ohne dass der eine auf den anderen eingeht. Deshalb stelle ich nun ganz konkret hier in den Raum – vielleicht kann auch der Bundesaußenminister dazu noch etwas sagen –: Wir kritisieren, dass – das ist ganz augenscheinlich – die deutsche Bundeswehr im Rahmen einer großen NATO-Aktion mit 12 000 Soldaten tätig werden soll. Es wird immer wieder betont, dass es sich nicht um ein Kampfmandat handelt und dass die Bundeswehrsoldaten nicht eingreifen sollen. Gleichzeitig hören wir aber – der Kollege Schmidt hat darauf hingewiesen –, dass der größte Truppensteller, nämlich die USA, eine klare Fortsetzung der Kampfeinsätze plant. Die USA planen, die Kommandounternehmen, die illegalen gezielten Hinrichtungen durch Drohnen und die bisherigen Einsätze fortzusetzen. An der Politik ändert sich nur insofern etwas, als nicht mehr so viele Soldaten da sind und diese sich auf – ich sage mal – diese Terroraktionen konzentrieren. Das ist unsere Besorgnis. Ich frage jetzt die Bundesregierung, und ich hätte Sie gerne gefragt: Was sagen Sie eigentlich dazu? Sehen Sie nicht diese Gefahr? War die Bundesregierung in die Überlegungen der US-Amerikaner, mit denen zusammen wir jetzt in Afghanistan tätig werden sollen, eingebunden? Haben Sie zugestimmt? Haben Sie Bedenken dagegen geäußert? Fürchten Sie nicht auch, dass die Bundeswehr wie schon einmal vor Jahren wieder in einen veritablen zusätzlichen Krieg hineingezogen wird? Denn wir dürfen ja nicht vergessen: Auch ISAF war ursprünglich ausdrücklich kein Kampfmandat, sondern lediglich ein Schutzmandat für die Verwaltung in Kabul. Daraus ist ein Kampf- und Kriegsmandat geworden. Viele, auch ich, fürchten zu Recht, dass das wieder so kommt. Es braucht nur irgendein Vorfall zu passieren, und dann sind wir wieder mittendrin. Dann wollen Sie wieder die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu einem ergänzenden Mandat einholen, damit sich die Bundeswehr wieder an solchen Kampf- und Kriegsaktionen beteiligen kann. Darauf hätte ich gerne eine Antwort. Diese Frage stellt sich auch die Bevölkerung. Die Bevölkerung erwartet, dass der eine auf die Argumente des anderen eingeht und dass die Koalition, die diesen Antrag befürwortet, auf diese Frage eine Antwort gibt. Wie wollen Sie verhindern, dass eine Entwicklung eintritt, wie sie nach 2001 schon einmal eingetreten ist? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Christian Ströbele. – Herr Otte, Sie haben jetzt die Möglichkeit zu einer Antwort. Henning Otte (CDU/CSU): Herr Ströbele, zuerst einmal müssen Sie diese Diskussion in Ihrer Fraktion führen. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Noch sind Sie an der Regierung!) Ich bin Herrn Nouripour sehr dankbar dafür, dass er gesagt hat, dass wir das afghanische Volk nicht im Stich lassen. Ich glaube, das war eine gute Aussage. Zweitens muss ich mit Bedauern feststellen, dass Sie in Ihrer Intervention gar nicht auf meine Rede eingegangen sind, sondern nur, wie jedes Mal in diesen Debatten, Ihre vorgefertigten Behauptungen noch einmal wiederholt haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Drittens möchte ich Ihnen sagen, dass oftmals erst mit militärischen Mitteln die Voraussetzungen dafür geschaffen werden können, dass zivile Maßnahmen möglich werden, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist die Schallplatte!) dass Bildung und Infrastruktur erreicht werden können, (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ach, mit gezielten Tötungen wird die Infrastruktur gestärkt?) und auch das sollten Sie bitte einmal zur Kenntnis nehmen, auch wenn Ihnen das offensichtlich schwerfällt. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Otte. – Wir fahren nun in der Debatte mit dem nächsten Redner fort: Stefan Rebmann für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stefan Rebmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum ersten Mal seit 13 Jahren, Herr Ströbele, debattieren wir heute hier kurz vor Jahresende nicht mehr über die Verlängerung eines ISAF-Mandats, (Lachen des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) sondern heute stehen die entwicklungspolitische Komponente und das zivile Engagement in Afghanistan viel stärker als bisher im Vordergrund. Das ist, wie ich meine, eine positive Nachricht. Es geht in dieser Debatte zwar um einen Bundeswehreinsatz in Afghanistan, aber wir debattieren heute auch über einen entwicklungspolitischen Antrag. Ich bitte doch, das in der ganzen Diskussion nicht zu vergessen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Charles M. Huber [CDU/CSU]) Im Zentrum unseres entwicklungspolitischen Antrags hierzu stehen die Unterstützung und Förderung demokratischer Prozesse, die Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung, die Schul- und Berufsbildung, der Aufbau von leistungsfähigen staatlichen Institutionen und gute Regierungsführung. Ich finde, das ist auch gut so; denn ohne weitere entwicklungspolitische Fortschritte wird es keine dauerhafte selbsttragende Sicherheit in Afghanistan geben. Entwicklungspolitik und vor allem die Entwicklungsarbeit vor Ort finden in der Regel abseits von Kameras statt. Die Entwicklungsfachkräfte – die Kolleginnen und Kollegen der GIZ, der KfW und der zahlreichen NGOs – sind auch dann noch vor Ort, wenn der Medientross schon längst weitergezogen ist. Wir hier im Parlament setzen den Rahmen, stellen die finanziellen Mittel zur Verfügung und geben die Richtung vor. Erfolgreich umsetzen müssen das dann aber die engagierten Entwicklungsfachkräfte, die vor Ort sind. Ich finde, dafür gebührt ihnen unser aller Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will hier nur auf einige wenige Erfolge hinweisen – das ist auch schon angesprochen worden –: Vor 13 Jahren ging etwa 1 Million Kinder zur Schule, heute sind es über 9 Millionen – darunter über 40 Prozent Mädchen. 2001 gab es 8 000 Studenten, heute sind es über 200 000 – darunter viele Frauen. Heute verfügt Afghanistan über 2 500 Kilometer asphaltierte und befestigte Straßen, 2002 waren es 50 Kilometer. Als ich im letzten Jahr mit einer AwZ-Delegation in Afghanistan war, haben wir eine 30 Kilometer lange Straße gesehen, die gebaut worden ist und die von -Masar-i-Scharif zum Ali-Baba-Gate führt. Auf dieser Straße kam uns ein älterer Mann mit einem Esel entgegen. Wir haben mit ihm sprechen können, und er hat uns gesagt: Diese Straße rettet Leben. Diese Straße rettet Leben, weil die Menschen dort jetzt nicht mehr fünf Stunden von ihrem Dorf nach -Masar-i-Scharif brauchen – am Fluss entlang, wo vorher die Straße verlaufen ist –, sondern weniger als eine Stunde. Er hat gesagt, sie haben dadurch Zugang zur Gesundheitsversorgung und zu Medizin, ihre Kinder können zur Schule gehen, und sie können Handel treiben. Wir haben gesehen, dass rechts und links an dieser einfachen Straße Gebäude und Kleingewerbe entstanden sind und Handel betrieben wurde. Durch eine einfache Straße entsteht Entwicklung, und die Menschen lernen sich kennen. Ich finde, in diese Richtung sollten wir weiterarbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt in Afghanistan ein Berufsbildungssystem, das mit deutscher Unterstützung aufgebaut worden ist. -Afghanistan ist ein junges Land. Wir haben es schon gehört: 70 Prozent der Afghanen sind unter 25 Jahre alt. Diese jungen Menschen brauchen eine Zukunftsperspektive in ihrem Land. Sie brauchen Arbeit. Sie brauchen Sicherheit. Sie brauchen Einkommen. Sie brauchen Perspektiven. Wenn wir diese Grundbedürfnisse nicht erfüllen können, dann drohen Frust, Abwanderungsbewegungen und politische Radikalisierung. Wir sollten die Erfolge und die positiven Entwicklungen – die Liste könnte ich noch fortsetzen – nicht kleinreden. Diese Erfolge müssen aber abgesichert werden; denn – auch das gehört zur Wahrheit – es ist längst noch nicht alles auf einem guten Weg in Afghanistan und hat in vielen Bereichen noch einen sehr langen Weg vor sich. Eine große Herausforderung zum Beispiel besteht nach wie vor bei den Frauen- und Mädchenrechten, bei der allgegenwärtigen Korruption bis hin zum Opium-anbau. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir für eine gute Regierungsführung sorgen und diese fördern, dass wir Frauenrechte stärken und dass wir zum Beispiel kleinbäuerliche Strukturen, Genossenschaften und die Landwirtschaft fördern. Denn ein Bauer, der sein Gemüse, seinen Weizen und seine Früchte ernten und vermarkten kann, der hat es nicht nötig, in den Opiumanbau zu investieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir brauchen in Afghanistan tragfähige Impulse für eine nachhaltige Beschäftigung und Wirtschaftspolitik. Davon sind wir aber nach wie vor noch weit entfernt, wie im Fortschrittsbericht zu lesen ist. Frau Präsidentin, ich komme dann demnächst zum Ende, – Vizepräsidentin Claudia Roth: „Demnächst“ ist ziemlich schnell, bitte. Stefan Rebmann (SPD): – denn hier blinkt es ganz aufgeregt; damit das entsprechend repariert werden kann. Meine Damen und Herren, wir brauchen mehr Rechtssicherheit. Die leisen Hoffnungen, die die aktuellen Vorhaben der Regierung der Nationalen Einheit wecken, sollten wir meines Erachtens unterstützen. Wir Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker sehen in Afghanistan eine ganze Reihe von positiven Entwicklungen. Wir müssen aber auch sehen, wie mühsam, schmerzhaft und oft auch traurig der Weg in den vergangenen 13 Jahren war, und wir müssen sehen, wie fragil diese Erfolge sind. Wir brauchen Beharrlichkeit und strategische Geduld. Mögen auch die Scheinwerfer nach und nach ausgegangen sein und die Kameras sich woandershin wenden: Wir müssen in Afghanistan bleiben. Wir müssen den Menschen eine Zukunft geben, und wir müssen zu unseren Zusagen stehen. Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, lieber Kollege Rebmann. Es ist repariert. – Dann hat jetzt der Kollege Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund der Regierungsbildung, vor dem Hintergrund des Endes von ISAF und des Starts von Resolute Support sowie im Rahmen der Transformationsdekade hatte ich in diesem Herbst zweimal die Gelegenheit, Afghanistan zu besuchen. Dabei habe ich unter anderem die Gelegenheit gehabt, ein Gespräch mit einer afghanischen Abgeordneten, Frau Barakzai, zu führen, die eine mutige Frau ist; sie hat zur Zeit der Taliban-Herrschaft heimlich eine Mädchenschule geführt und kämpft als Abgeordnete und Frauenrechtlerin in Afghanistan für die Rechte der Frauen und den Aufbau einer Zivilgesellschaft. Wir haben unter anderem darüber gesprochen, wie man in der afghanischen Verfassung, in dieser sehr stark auf den Präsidenten zugeschnittenen Verfassung, mehr parlamentarische Elemente implementieren kann. Wir haben darüber gesprochen, wie sehr insbesondere die junge afghanische Bevölkerung das Wort „Demokratie“ nicht als eine hohle Phrase empfindet, sondern ganz im Gegenteil als eine Riesenchance für ihr Leben. Das hat man nicht zuletzt daran gesehen, dass über 7 Millionen Afghaninnen und Afghanen an der Präsidentschaftswahl teilgenommen haben, obwohl dies mit unmittelbaren Gefahren für Leib und Leben für sie verbunden war. Dieses Gespräch mit Frau Barakzai – die mir auch gesagt hat, dass sie selbst dann ihre Stimme abgegeben hätte, wenn die Taliban ihr den Kopf abgeschnitten hätten – ist mir vor allen Dingen auch deshalb so in Erinnerung geblieben, weil wenig später, am 16. November, ein Anschlag auf sie verübt wurde, dem sie zwar verletzt entkommen ist, aber drei Begleiter kamen ums Leben, und 20 Passanten wurden schwer verletzt. Diese Geschichte zeigt aus meiner Sicht exemplarisch zwei Grundwahrheiten in Afghanistan: Zum einen – darauf sind die Vorredner umfassend eingegangen – ist in den 13 Jahren des ISAF-Einsatzes unheimlich viel erreicht worden. An vielen Beispielen kann man sehen, dass die Verbesserung der Gesundheitsversorgung und das, was im Bereich der Infrastrukturentwicklung und in anderen Bereichen passiert ist, letztlich die Grundlage für eine weitere gute Entwicklung des Landes für die Zukunft bedeuten. Zum anderen aber ist neben den nackten Zahlen, die auch eine Vervielfachung des Bruttoinlandsprodukts zeigen, deren Auswirkungen bei den Menschen unmittelbar ankommen, eine Änderung im Denken und im Bewusstsein der Menschen zu erkennen; die Tatsache, dass man förmlich spürt, dass die Menschen sich nicht einschüchtern lassen wollen, dass sie die Taliban nicht mehr -wollen, dass sie die Errungenschaften der Vergangenheit nicht aufgeben wollen, sondern im Gegenteil dieses Land tatkräftig mitgestalten und mitentwickeln möchten. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Afghanistan tragfähige staatliche Strukturen brauchen, um die Korruption einzudämmen, damit letztlich der Staat sein Gewaltmonopol durchsetzen kann, und zwar nicht nur in Kabul, nicht nur in den Provinzhauptstädten, sondern eben auch in der Peripherie des Landes, um die Grundbedürfnisse der Menschen erfüllen zu können. Damit kommen wir zu dem größten Defizit, das derzeit besteht, nämlich die mangelnde Sicherheit. Dieser Anschlag auf Frau Barakzai, von dem ich gesprochen habe, ist mitten in Kabul passiert, also der Hauptstadt, die wir eigentlich für sicher gehalten haben. Deshalb ist in diesem Bereich noch vieles zu tun. Wir schaffen es nur mit stärkeren staatlichen Strukturen in Afghanistan. Dazu müssen wir unseren Beitrag leisten. Wenn man das zugrunde legt, wenn man auf stärkere staatliche Strukturen setzt, mit denen dafür gesorgt wird, die Grundbedürfnisse der Menschen zu erfüllen, dann wird das dabei helfen, dass sich die Taliban in der Bevölkerung nicht erneut verwurzeln und konsolidieren können. Das wird auch dazu führen, dass die Zivilgesellschaft gestärkt und eine wirtschaftliche Entwicklung im Land entfesselt werden kann. Vor diesem Hintergrund und angesichts dieser Zielsetzung ist das, was jetzt mit Resolute Support erreicht werden soll, folgerichtig. Lieber Herr Ströbele, ich möchte an dieser Stelle sagen: Ich hatte nicht den Eindruck, dass dies ein Schlagabtausch mit vorgefertigten Argumenten ist. Ganz im Gegenteil: Von Ihnen habe ich kein vernünftiges Argument gehört. Ich will es anders formulieren: Sie haben zwar berechtigte Bedenken angeführt; das ist richtig. Manchem Argument, das Sie genannt haben, kann man sogar folgen und sagen: Ja, das stimmt. Damit sind Gefahren verbunden. – Aber worauf Sie mit keiner Silbe eingegangen sind, ist die Frage der Alternativen. Was haben Sie denn für Alternativen, um zu einer positiven Entwicklung dieses Landes beizutragen? Das können Sie mir gerne im Anschluss an diese Rede sagen. Ich werde Ihnen gespannt zuhören. Es geht letztlich darum, dass wir den Übergang schaffen, und nicht darum – das hat das Beispiel Irak gezeigt –, kopflos das Land zu verlassen, es im Stich zu lassen, wie Ihr Fraktionskollege Nouripour gesagt hat, sondern zu helfen. Wir müssen das, wofür wir 2001 im Land Verantwortung übernommen haben, weiterführen und zu einem guten und verantwortungsvollen Ende bringen. Dafür übernehmen wir in der Speiche Nord -Masar-i-Scharif unmittelbare Führungsverantwortung – auch das ist eine Antwort auf Ihre Frage – und statten dieses Mandat mit 850 Mann Personalobergrenze aus. Ich hoffe wirklich, dass das reicht. Ich persönlich hätte mir durchaus vorstellen können, dass wir etwas mehr Spielräume für die militärische Führung vor Ort schaffen, weil es natürlich auch darum geht, Sicherheit für unsere Soldatinnen und Soldaten zu erreichen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass dieser Einsatz noch länger dauern wird. Der zivile Einsatz wird in jedem Fall noch sehr lange dauern. Aber ich glaube, dass es völlig falsch und blauäugig wäre, heute hinsichtlich der militärischen Unterstützung von festen Abzugsterminen zu sprechen, sondern dass es letztlich so sein muss, wie es der Kollege Mißfelder gesagt hat: Wir brauchen die Präsenz so kurz wie möglich, aber eben auch so lange wie notwendig, damit wir die Erfolge der Vergangenheit tatsächlich für die Zukunft sichern können. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung von Christian Ströbele? Thorsten Frei (CDU/CSU): Ja, bitte. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Kollege Frei. – Ich hätte das auch am Ende Ihrer Rede sagen können. Aber jetzt passt es besser. Dann können Sie noch etwas dazu sagen. Natürlich suche auch ich einen Ausweg. Aber dieser Ausweg kann nach 13 Jahren Krieg nicht mehr Krieg sein (Beifall bei der LINKEN) und den Krieg genauso fortzusetzen, nur mit weniger Truppen. Das muss man doch irgendwann lernen. Einen Siegfrieden gibt es dort nicht, (Beifall bei der LINKEN) selbst wenn Sie noch 20 Jahre Militär dorthin schicken. Es gibt eine einzige Lösung, für die ich mich seit Jahren einsetze – sie wäre real und auch chancenreich –: Man muss mit den gezielten Hinrichtungen und den Kommandounternehmen aufhören. Man muss mit denjenigen, die man bislang tötet, verhandeln. Es gibt einen Frieden nur durch Verhandlungen. Das sagen Ihnen alle Experten vor Ort. Auch mit den Taliban muss gesprochen werden. Als ich vor zwei, drei Jahren in Afghanistan war, haben mir Leute aus dem Parlament, die von den Taliban verfolgt wurden, oder Angehörige von Gruppen, die mit den Taliban überhaupt nichts zu tun hatten, gesagt: Wir müssen gemäßigte Taliban in die Regierung aufnehmen. – Aber darüber hat man nicht verhandelt. Die Bundesregierung hat im Norden Afghanistans nach anfänglichen Verhandlungsmöglichkeiten und Verhandlungsansätzen das völlig den Amerikanern überlassen. Die wollten das nicht, und auch die Regierung Karzai hat das dann hintertrieben. Aber die einzige Chance, jemals zu einer vernünftigen, friedvollen Lösung zu kommen, sind Verhandlungen. Deshalb sollte die gesamte Politik darauf ausgerichtet sein. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege Frei. – Und wir bleiben wieder stehen, Christian Ströbele. Thorsten Frei (CDU/CSU): Herr Kollege Ströbele, ich gebe Ihnen gerne recht. Natürlich brauchen wir erstens Verhandlungen und Gespräche. Zweitens muss eine Friedensentwicklung aus dem Land heraus erfolgen. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass angesichts der unter dem Strich gelungen verlaufenen Wahlen, der Regierung der Nationalen Einheit sowie der Zusammenarbeit von Ghani und Abdullah letztlich die Chance besteht, verfeindete Stämme und Gruppierungen zusammenzubringen und damit die Grundlage für eine wirtschaftliche, rechtsstaatliche und gesellschaftliche Reformagenda zu schaffen. Lassen Sie mich als weiteren Aspekt darauf eingehen: Sie müssen genauso zuhören wie wir Ihnen. Wir haben ab dem 1. Januar 2015 kein robustes Einsatzmandat mehr. Die Resolute Support Mission zielt vielmehr auf Unterstützung und Training ab und ist darauf ausgerichtet, die afghanischen Sicherheitskräfte zu befähigen, selbst die komplette Sicherheitsverantwortung in ihrem Land zu übernehmen. Mit der Absicherung der Wahlen haben sie bereits bewiesen, dass sie dazu in der Lage sind. In diesem Sinne handeln wir. Damit geben wir, glaube ich, eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen im Land. Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke. Thorsten Frei (CDU/CSU): Lassen Sie mich zu einem letzten Aspekt kommen, der mir ebenfalls wichtig erscheint. Wir haben es in der Nachfolge der Konferenz von Tokio mit einem auf Gegenseitigkeit angelegten Prozess zu tun. Das heißt, es muss klare Erwartungen an die afghanische Regierung geben, klare Erwartungen im Hinblick auf bessere Regierungsführung, transparentere Kontrollmechanismen, mehr Sicherheit für Investoren und Rechtssicherheit; denn es ist nicht akzeptabel, dass 80 Prozent des afghanischen Haushalts letztlich von der internationalen Staatengemeinschaft finanziert werden. Da muss es klare Abmachungen und einen Pfad hin zu mehr afghanischer Verantwortung geben. Daran müssen wir die Regierung des Landes auch messen; denn es ist nicht akzeptabel, dass ein Land, das rohstoffreich ist und gute Voraussetzungen hat, in derartiger Abhängigkeit von der internationalen Staatengemeinschaft ist. Ich bin zuversichtlich, dass wir es dort schaffen. Zum Schluss möchte ich gerne die Worte meiner Vorredner wiederholen und denjenigen herzlich danken, die in den vergangenen 13 Jahren in unterschiedlichen Kontingenten als Soldaten, als zivile Aufbauhelfer oder als Polizeibeamte Verantwortung vor Ort getragen haben. Wir denken im Besonderen an die 55 Gefallenen und deren Familien sowie an diejenigen, die schwer und dauerhaft gesundheitlich verletzt wurden im Dienst für ihr Land, für unser Land und für uns. Dafür sagen wir herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Frei. – Letzter Redner in dieser Debatte: Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser sehr ausgiebigen Debatte könnte man denken: Es bleibt nicht mehr viel zu sagen. Ich möchte an einige Punkte erinnern, die den Einsatz in Afghanistan in den letzten 13 Jahren begleitet haben. Heute haben wir die afghanische Staatsführung zu Gast in Berlin. Genau auf den Tag vor drei Jahren, am 5. Dezember 2011, fand die letzte Petersberg-Konferenz in Deutschland statt. Sie wurde damals stark parlamentarisch begleitet; viele, die in diesem Saal sind, waren seinerzeit in Bonn auf dem Petersberg. Damals ist eigentlich das entschieden worden, was heute hoffentlich den Geist der Resolute Support Mission ausmacht, der nämlich darin besteht, dass wir uns verpflichten, bis zum Jahr 2024 Afghanistan zu einem normalen Entwicklungsland zu machen. Das wird ein schwerer Weg sein. Dafür ist viel zu schultern. Aber gerade das, was eben in die Diskussion vom Kollegen Ströbele eingebracht wurde, zeigt doch deutlich, dass unser Weg, der Weg weg von einer Kampfmission, hin zu einer Beratungs- und Unterstützungsmission, richtig ist. Im Übrigen haben wir das schon einmal in einem anderen Umfeld unter Beweis gestellt, auf dem Balkan: Zunächst gab es eine UN-Mission, dann eine Mission der NATO, und heute gibt es noch eine EU-Mission. Bosnien ist zwar kein sonderlich prosperierendes Land; aber die Unruhen dort haben aufgehört, und die internationale Gemeinschaft steht an seiner Seite. Genauso muss auch der Weg Afghanistans begleitet werden: Hilfe zur Selbsthilfe einerseits und auf der anderen Seite Entschlossenheit in der Unterstützung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte ein paar Punkte ansprechen, die wir vielleicht als Lehren betrachten können. Wir als Parlament haben bereits im Jahr 2010 Fortschrittsberichte gefordert. Seit Dezember 2010 hat unser Parlament vom Auswärtigen Amt neun Fortschrittsberichte, die viel konstruktive Kritik, viele Evaluierungsvorschläge enthalten haben, erhalten. Ich möchte an dieser Stelle nicht nur im Namen unserer Fraktion dem Auswärtigen Amt, Ihnen, Herr Außenminister, aber auch Herrn Botschafter Koch und seinem Vorgänger, Herrn Botschafter Steiner, und deren Afghanistan-Team für diese solide Arbeit Dank aussprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese solide Arbeit hat auch dazu geführt, dass wir uns in manchen Punkten ehrlich machen mussten. Ich spreche hier ganz gezielt die psychologische Nachsorge für unsere Soldatinnen und Soldaten an. Als im Jahr 2001/2002 die ISAF-Mission begann, wurde nicht nur im Bundestag, sondern auch unserer Bevölkerung erklärt, dass man sich in einem friedlichen Wiederaufbau befindet. Das hat sich als Trugschluss erwiesen. Im Rahmen dieses „friedlichen Wiederaufbaus“ sind unsere Soldaten in einen Einsatz geschickt worden, der sie in erheblichem Maße gefordert hat. Wir haben eine hohe Zahl traumatisierter Soldatinnen und Soldaten, die die Gefechtserlebnisse und andere Eindrücke überwinden müssen. Da die Gesellschaft aber geglaubt hat, dass unsere Streitkräfte im friedlichen Wiederaufbau sind, haben wir die traumatischen Erfahrungen nicht ernst genommen. Was die menschliche Komponente und diejenigen, die den Einsatz geleistet haben, angeht, ist das die schwerwiegendste Folge und die gravierendste Lehre, die wir für unser eigenes Land gezogen haben. Ich war unlängst bei der Einweihung des Denkmals in Potsdam, wo 104 im Kampf gefallener Menschen gedacht wird. Es ist jetzt an der Zeit, darüber nachzudenken, dass sich in den letzten Jahren in unserem Land eine Erinnerungskultur entwickelt hat, eine Erinnerungskultur, die wir vermisst und versäumt haben und die unsere Soldaten lange erwartet haben – nicht nur die Soldaten, sondern auch die Entwicklungshelfer und die Polizisten, die dort unterstützen. Ich denke, da haben wir etwas geleistet, womit wir denjenigen Ehre erweisen, die im Auftrag dieses Parlaments ihr Leben gelassen haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) – Ich glaube, als Abgeordnete sollten Sie hinter denjenigen stehen – egal ob Sie deren Einsatz politisch mittragen oder nicht –, die ihr Leben für unser Land einsetzen, weil sie nicht ausweichen können. Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine weitere Lehre, die wir daraus ziehen sollten, ist, dass wir die Frage „Was sagen wir unserer Bevölkerung?“ beantworten müssen. Wir haben mit dem Weißbuch-Prozess 2006 einige Fortschritte erzielt. Es gibt einen weiteren Weißbuch-Prozess, der hoffentlich viele Ministerien umfassen wird und der sicherlich federführend vom Verteidigungsministerium begleitet werden wird. Wir brauchen dort einen inklusiven Ansatz. Wir müssen unserer Bevölkerung künftig von vornherein erklären, um was es in den Einsätzen geht – „erklären“ heißt nicht „schönreden“ –, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dann fangen Sie bei diesem Einsatz an!) und dürfen nicht von vornherein hoffen, dass alles gut geht. Wir müssen der Bevölkerung klar sagen, dass es möglicherweise eskalieren kann. Das ist eine weitere Lehre, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir haben immer gesagt: Der Einsatz des Militärs ist die Ultima Ratio. – Das ist richtig; das ist die letzte Eskalation. Aber wir machen damit, glaube ich, einen strategischen Fehler in der Art und Weise, wie wir mit Militär in unserer Außenpolitik umgehen; denn wenn wir Militär in der frühen Begleitung ausschließen und sagen: „Der militärische Einsatz ist die Ultima Ratio und kommt erst dann, wenn alles andere versagt hat“, vergessen wir die Möglichkeiten, die ein militärischer Einsatz bietet. Ich denke hier an Sicherheitssektorreform, an Militärdiplomatie, an Entwaffnung, an Überwachungsmissionen, auch an unbewaffnete Missionen. Wir müssen bedenken, was wir damit leisten können, meine sehr geehrten Damen und Herren. Deshalb rate ich dazu, dass wir aus Afghanistan die Lehre ziehen, uns der Frage zuzuwenden: Wie kann man Militär so in ein Gesamtkonzept eingliedern, dass wir die Eskalation bis zur Ultima Ratio von vornherein verhindern oder vermeiden? Wenn das Weißbuch darauf eingeht, unter Einbindung der Expertise des Auswärtigen Amtes, des Ministeriums für Entwicklungszusammenarbeit, des Innenministeriums und anderer, die sich hier berufen fühlen, bekommen wir, glaube ich, einen echten Fortschritt, was unsere außen- und sicherheitspolitische Strategie angeht. Ein anderer Aspekt, der mir sehr am Herzen liegt, ist die Frage des regionalen Einbindens und des regionalen Zusammenhangs. Wir haben deutscherseits guten Grund, unsere Interessen zu formulieren, die Aufgaben, die wir erfüllen wollen, und auch die Instrumente, die wir gemeinsam mit Partnern und möglichst unter einem UN-Mandat einsetzen wollen, zu definieren und die Region zu diskutieren, wo wir aktiv sein wollen. Wir müssen das erklären. Wir müssen es unserer Bevölkerung nahebringen. Wir müssen es aber auch unseren Partnern erklären. Das führt dazu, dass wir, wo immer wir uns engagieren, den regionalen Kontext betrachten müssen. Es ist schon auch Verdienst der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Diplomatinnen und Diplomaten, dass in der Afghanistan-Kontaktgruppe fast 50 Staaten sind, dass durch die regionale Zusammenarbeit nicht nur Geldgeber gefunden wurden; die Resolute Support Mission wurde überhaupt erst möglich, weil Südostasien hinter diesem Einsatz steht und weil es uns gelungen ist, bisher 5,7 Millionen Flüchtlinge aus den Nachbarländern in ihre Heimat zurückkehren zu lassen. In diesem Sinne, meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns auch mit Blick auf künftige Einsätze an ein vernetztes Vorgehen und einen inklusiven Ansatz denken! Lassen Sie uns als Parlament weiterhin die Stimme erheben! Die Fortschrittsberichte hätte es nicht gegeben, hätten wir sie nicht verlangt. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Kiesewetter. Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3246 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? (Unruhe) – Weil hier so eine Absetzbewegung stattfindet, weise ich darauf hin: Wir stimmen gleich noch über etwas anderes ab. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/3405 mit dem Titel „Transformationsdekade mit zivilen Mitteln erfolgreich gestalten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Linken angenommen. (Unruhe) – Jetzt gibt es in der Tat einen Wechsel. Wenn die Kolleginnen und Kollegen, die an der nächsten Debatte teilnehmen, ihre Plätze eingenommen haben, rufe ich den Punkt auf. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Stromsperren gesetzlich verbieten Drucksache 18/3408 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Caren Lay für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich kann meine heutige Rede natürlich nicht beginnen, ohne eingangs meine Freude über Thüringen zum Ausdruck zu bringen: (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Marcus Held [SPD]) meine Freude über den ersten linken Ministerpräsidenten und vor allen Dingen über das erste rot-rot-grüne Bündnis in Deutschland. Herzlichen Glückwunsch auch von meiner Seite! (Beifall bei der LINKEN – Lena Strothmann [CDU/CSU]: Das ist der Niedergang Deutschlands!) – Da ich gerade aus der CDU/CSU-Fraktion den Zwischenruf, das sei der Niedergang Deutschlands, höre, will ich Ihnen sagen: Opposition ist eine wichtige Aufgabe in unserem Land. Opposition kann auch Spaß machen. Ich gönne Ihnen sehr, dass Sie diese wertvolle Erfahrung bald auch auf Bundesebene machen werden. (Beifall bei der LINKEN – Lena Strothmann [CDU/CSU]: Gott bewahre!) Meine Damen und Herren, kommen wir jetzt zum Thema. Julia S. aus München führte noch vor ein paar Monaten ein ganz normales Leben. Dann kam ein Unfall, dann kam Arbeitslosigkeit, eines kam zum anderen. Wenige Wochen später konnte sie ihrer kleinen Tochter keinen Kakao und auch kein warmes Essen mehr machen; denn ihr wurde der Strom gesperrt. Das ist leider kein Einzelfall. So wie Frau S. geht es 345 000 Haushalten in Deutschland, denen im letzten Jahr der Strom abgedreht wurde; die Tendenz ist deutlich steigend. Das sind 24 000 Haushalte mehr als noch im Jahr zuvor. Man kann sich vorstellen: In jedem Haushalt leben im Schnitt zwei, drei, vier Personen. Während andere europäische Länder gehandelt haben, ist in Deutschland nichts passiert, um Energiearmut zu bekämpfen. Deutschland ist Europameister im Stromsperren. Ich finde, das ist einfach schändlich. (Beifall bei der LINKEN) Auch die Verbraucherzentralen schlagen Alarm. Bei der Berliner Verbraucherzentrale beispielsweise ist inzwischen jeder vierte Kunde, der zur Beratung kommt, von einer Stromsperre bedroht, oder er kommt wegen Schulden beim Energieversorger. Auch hier ist die Tendenz deutlich steigend. Diese Zahlen, meine Damen und Herren, sind alarmierend. Energiearmut ist ein Problem in Deutschland. Wir müssen hier endlich etwas tun. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber was tut diese Bundesregierung? Im Koalitionsvertrag spricht sie die Empfehlung aus, man möge sich einen Prepaid-Zähler anschaffen. Na, schönen Dank auch! Konkrete Maßnahmen: Fehlanzeige. Noch nicht einmal die EU-Richtlinie ist aus unserer Sicht richtig umgesetzt. Sie legt nämlich fest, dass „schutzbedürftige Kunden“, denen der Strom nicht abgestellt werden darf, klar zu definieren sind. Wer sind diese schutzbedürftigen Kunden? Dieser Begriff ist in Deutschland, wie gesagt, nicht definiert. Aber nach meinem Verständnis wären das Familien mit kleinen Kindern, alte Menschen und pflegebedürftige Menschen. Diese Menschen können wir doch nicht allen Ernstes im Dunkeln sitzen lassen! (Beifall bei der LINKEN) Aber diese europäische Vorgabe ist in Deutschland bis heute nicht umgesetzt. Es wird höchste Zeit. Unsere Nachbarländer machen uns vor, dass es auch anders geht. In vielen Ländern ist „Energiearmut und Stromsperren“ seit Jahren ein wichtiges politisches Thema. Es gibt Maßnahmen, die dazu geführt haben, die Anzahl der Fälle deutlich zu senken. Direkt nebenan, in Belgien und Frankreich, sind Stromsperren zumindest im Winter komplett verboten. Meine Kollegin Bulling-Schröter erzählte mir vorhin, dass sie vorgestern mit einer Delegation aus Frankreich, mit französischen Parlamentariern, darüber gesprochen hat. Die Mitnahme-effekte, die Sie hier immer vermuten, sind dort nicht eingetreten. Ich finde, daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Energieversorgung ist ein Grundrecht, und Stromsperren müssen verboten werden, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Die Einwände sind mir natürlich bekannt: Es kostet Geld. Ja, aber an anderer Stelle zeigen Sie deutlich mehr Verständnis, beispielsweise bei den Industrierabatten, wenn die energieintensiven Unternehmen schreien: Unsere Stromrechnung ist zu hoch! – Aber ich sage: Statt Menschen, die ihre Stromrechnung nicht bezahlen können, subventioniert diese Regierung lieber Industriebetriebe, die ihre Stromrechnung nicht bezahlen wollen. Das sind Milliardengeschenke. (Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär: Quatsch!) 5 Milliarden Euro lässt sich die Regierung diese Indus-trierabatte kosten, bzw. sie lässt uns die Stromrechnung der Industriebetriebe bezahlen. Ich finde, das ist eine völlig falsche Prioritätensetzung. (Beifall bei der LINKEN – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Von Wirtschaft keine Ahnung!) Und hier läuft auch insgesamt etwas falsch. Der Preis für den Haushaltsstrom ist seit dem Jahr 2008 um 38 Prozent gestiegen. Für die energieintensive Industrie ist er im gleichen Zeitraum sogar um 1 Prozent gesunken. Das ist nun wirklich die falsche Prioritätensetzung. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe mich gefreut, dass Frau Ministerin Hendricks zu Beginn der Legislaturperiode unsere linke Idee von einer Abwrackprämie für Stromfresser übernommen hat. Einkommensschwache Haushalte sollen einen Zuschuss bekommen, wenn sie sich zum Beispiel einen energiesparenden Kühlschrank anschaffen. Dann haben wir lange nichts davon gehört. Vorgestern hieß es dann im Aktionsplan Klimaschutz: Wir machen einen Prüfauftrag und gucken, ob wir das nicht auf Hartz IV anrechnen. – Das ist doch wirklich absurd. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, viele Menschen, auch viele in diesem Saal, können sich vielleicht ein Leben ohne Strom überhaupt nicht vorstellen. Aber dahinter stecken ganz konkrete Schicksale. Mich schrieb zum Beispiel Dagmar Meis aus Wuppertal an, eine Frau mit einer kleinen Rente, die von einem Großteil ihrer Lebenshaltungskosten aufgefressen wird. Sie ist schwer krank und müsste beispielsweise regelmäßig ein heißes Bad nehmen. Sie schrieb mir, das kann sie sich nicht leisten. – In einem reichen Land finde ich das wirklich unwürdig. Zu guter Letzt möchte ich sagen: Es geht nicht nur um das Problem der Stromsperren. Auch andere lebensnotwendige Dinge werden den Menschen vorenthalten. Beispielsweise gab es im letzten Jahr 46 000 Gassperren, und auch hier ist die Tendenz deutlich steigend. Beispielsweise erreichte mich eine Mail aus Colditz in Sachsen. Die Mieterinnen und Mieter haben immer ganz brav ihre Gasrechnung bezahlt, aber der Vermieter hat das Geld nicht an den Versorger weitergegeben. Nun wurden die Mieterinnen und Mieter mit einer Gassperre bedroht. Das darf doch wirklich nicht wahr sein. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir als Linke bringen das Thema Stromsperren heute erneut in den Bundestag ein, da bisher nichts passiert ist. Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt, und wir sagen: Strom, Gas und Wasser – das sind soziale Grundrechte. Darauf hat jeder Mensch ein Recht, und hier darf nicht gespart werden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Caren Lay. – Nächster Redner in der Debatte: Jens Koeppen für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jens Koeppen (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Lay, es fällt mir schon schwer, bei diesem Antrag kollegial und einigermaßen diplomatisch zu bleiben. (Caren Lay [DIE LINKE]: Wir sind gespannt!) Das ist ein tiefer Griff in die Mottenkiste des Klassenkampfes. Sie haben eine schier unerschöpfliche Quelle von Schauanträgen, die Sie immer wieder hervorziehen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen mehr Empathie für die betroffenen Menschen!) Damit helfen Sie den Menschen aber nicht. (Caren Lay [DIE LINKE]: Sagen Sie uns doch mal, wie Sie den Menschen helfen wollen!) Sie blenden die Menschen, und Sie werden damit auch zum politischen Gaukler. Das sollten Sie sich nicht antun. Worum geht es? Sie haben den gleichen Antrag – wortgleich – vor zwei Jahren schon einmal gestellt. (Caren Lay [DIE LINKE]: Ja, natürlich, es ist ja auch nichts passiert!) Er musste mit den gleichen Fakten abgelehnt werden, die ich Ihnen jetzt auch wieder nennen werde und nennen muss; denn es hat sich ja nichts geändert. (Caren Lay [DIE LINKE]: Ja, Sie haben nichts getan!) Sie wollen mit diesem Antrag Stromsperren gesetzlich verbieten, wenn ein Abnehmer seine Rechnung nicht bezahlt. Der Bundestag soll also ein Gesetz machen, mit dem in das Eigentumsrecht eingegriffen wird. Das ist völlig absurd; denn jeder Leistungserbringer – ob es der Handwerksmeister, der Einzelhändler, der Onlinehändler, der Tante-Emma-Laden oder der Supermarkt ist – hat ein Recht darauf, dass seine Leistungen bezahlt werden, und er hat auch ein Recht darauf, dass der Rechtsstaat ihm hilft und ihn schützt. Das, was Sie wollen, trifft ja nicht nur die aus Ihrer Sicht bösen großen Energieversorger, sondern – dazu wird es nicht kommen – es würde auch die Stadtwerke treffen, den Windmüller, alle Energieversorger, also auch die Kommunen, die Landkreise, die Städte und Gemeinden, und das, meine Damen und Herren, ist völlig absurd. (Zuruf von der LINKEN: Sollen die Leute im Dunkeln sitzen, oder was? – Sabine Leidig [DIE LINKE]: In Frankreich brechen die doch auch nicht zusammen!) Nun kommen wir zu den Fakten. Sie schreiben in Ihrem Antrag: Es ist eine soziale Katastrophe in Deutschland. (Caren Lay [DIE LINKE]: Ja, stimmt!) Jetzt nenne ich Ihnen einmal die Fakten, was die Unterstützung des Sozialstaates angeht. Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können, haben ein Recht darauf – Sie sprechen ja insbesondere die Hartz-IV-Empfänger an –, im Rahmen der Grundsicherung über das SGB II folgende Leistungen zu erhalten: einen Regelsatz von circa 400 Euro; darin sind übrigens die 30 Euro Stromkosten eingerechnet und eingepreist. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wenn die Stromkosten höher sind?) Diese Menschen bekommen die Kosten der Unterkunft sowie die Heizungskosten komplett bezahlt. Diese Menschen bekommen die Kosten für Warmwasser komplett bezahlt. All das erfolgt im Rahmen der Angemessenheit, wenn ihnen kein unwirtschaftliches Verhalten nachgewiesen wird. Und das kann ihnen auch nicht nachgewiesen werden. Demzufolge bekommen sie das bezahlt. Darüber hinaus werden Mehrbedarfe und Zuschläge bezahlt, zum Beispiel für Schwangere, Alleinerziehende oder Behinderte. Sie bekommen beim Erstbezug einer Wohnung Hausgeräte bezahlt. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das jetzt mit der Stromsperre zu tun?) Sie bekommen die Krankenversicherung bezahlt. Es gibt ein Milliardenpaket des Bundes für Bildung und Teilhabe. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das jetzt mit dem Thema zu tun? Das ist eine totale Sozialneiddebatte, die Sie anfangen!) Die Kinder und Jugendlichen, die davon profitieren, dürfen in den Sportverein gehen, dürfen die Musikschule besuchen. Sie dürfen an Klassenfahrten teilnehmen. Sie bekommen eine Förderung für die Schule. Sie bekommen eine Lernförderung. Sie bekommen Mittagessen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja eine peinliche Rede!) Sie bekommen die Schülerbeförderung bezahlt. Und dann gibt es auch noch Eingliederungshilfe, wenn die Menschen in Arbeit kommen; das heißt, sie bekommen ein Einstiegsgeld. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverschämtheit! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal bitte zum Thema!) Sie bekommen Bewerbungskosten bezahlt. Sie bekommen die Berufsausbildung bezahlt. Sie bekommen Mobilitätskosten bezahlt, wenn sie eine Arbeit gefunden haben. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie mal zum Thema reden, statt über den Sozialstaat zu schimpfen?) Die Menschen können alle diese Möglichkeiten nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Und dann reden Sie, meine Damen und Herren von der Linken, in Ihrem Antrag von „Armut per Gesetz“. Wovon reden Sie eigentlich? Vor allen Dingen reden Sie von einer „sozialen Katastrophe“. Ich will Ihnen sagen, was eine Katastrophe ist: (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Kritik hat das überhaupt nichts zu tun!) Dieser Antrag ist eine Katastrophe. (Beifall bei der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Mein Gott! Das ist ja eine arrogante Haltung gegenüber den Betroffenen!) Kommen wir jetzt zum Bundeshaushalt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege Koeppen, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Frau Bulling-Schröter? Jens Koeppen (CDU/CSU): Nein. Ich würde ganz gerne fortfahren – vor zwei Jahren wurde der Antrag ja schon einmal eingebracht –, damit Sie es endlich einmal verstehen. Wenn Sie es danach immer noch nicht verstanden haben, dann können Sie nachfragen. (Caren Lay [DIE LINKE]: Wir stellen diesen Antrag, weil Sie nicht handeln! Feigling!) Fast 42 Prozent der Ausgaben im Bundeshaushalt 2014 entfallen auf Arbeit und Soziales. Das entspricht 122 Milliarden Euro. Im Bundeshaushalt 2015 sind die Ausgaben sogar noch höher. Da reden Sie von „unsozial“. Ich will Ihnen sagen, was das ist: Das ist unredlich, das ist ignorant, und das ist vor allen Dingen dreist. Das sind haarsträubende Schauergeschichten, die Sie hier erzählen. (Caren Lay [DIE LINKE]: Reden Sie doch mal mit den Betroffenen!) Kommen wir zur Wahrheit: Bund, Länder und Kommunen lassen die Bedürftigen natürlich nicht, wie Sie behaupten, im Dunkeln sitzen. Diese Menschen werden auch nicht erfrieren; denn jeder hat ein Recht auf Sozialhilfe, jeder hat ein Recht auf Transferleistungen der Gesellschaft. Das ist Solidarität mit den Menschen, die das brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das werden wir natürlich auch so fortsetzen. Kommen wir zu einem anderen Punkt in Ihrem Antrag. Sie schreiben in Ihrem letzten Absatz, dass in Deutschland „Stromsperren rechtlich völlig unterreguliert“ sind. – Frau Präsidentin, darf ich „unwahr“ sagen? Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie dürfen „unwahr“ sagen. Jens Koeppen (CDU/CSU): Das ist unwahr, und das ist vor allen Dingen auch -völlig absurd. Ich will Ihnen sagen, dass die Rechtsgrundlage für Stromsperren in § 19 der Stromgrundversorgungsverordnung geregelt ist. Dort sind vier Voraussetzungen glasklar definiert: Erstens. Man muss mit mindestens 100 Euro in Zahlungsverzug sein. Wenn die Summe darunter liegt, wird nicht reagiert. Wenn sie darüber liegt, ist das auch nicht so gut, weil man, wenn jemand schon verschuldet ist, nicht möchte, dass die Schulden weiter anwachsen. Also sind 100 Euro die Grenze. Zweitens. Die Verhältnismäßigkeit muss gegeben sein. Das, was Sie vorgebracht haben, würde nach § 19 überhaupt nicht gestattet werden. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf der Strom, wenn die Gesundheit von Bedürftigen – von Kindern, von alten Menschen oder von Menschen, die krank sind – gefährdet ist, laut dieser Verordnung nicht abgeschaltet werden. Darüber hinaus bedeutet Verhältnismäßigkeit: Wenn abzusehen ist, dass der Kunde anfängt, seine Schulden in Raten abzuzahlen, auch wenn es kleine Raten sind, wird der Strom nicht abgeschaltet. Drittens. Es muss eine Sperrandrohung geben. Diese muss mindestens vier Wochen vorher, klar und deutlich definiert, schriftlich beim Kunden eingehen. Viertens. Es muss eine weitere Sperrankündigung mit ganz konkretem Datum geben. Diese muss drei Tage vorher schriftlich beim Kunden eingehen. Erst dann kann man überhaupt reagieren. Zudem gibt es ein Darlehen vom Jobcenter, das man in Anspruch nehmen kann. Es gibt Beratungsangebote bei den Energieversorgern, wo der Kunde über Ratenzahlungen sprechen kann. Niemand, aber auch niemand, weder der Energieversorger, das Stadtwerk noch irgendjemand, der Energie liefert, hat ein Interesse daran, jemandem den Strom zu sperren. Niemand hat ein Interesse daran, auch nicht die Kommunen und die Städte. Jetzt kommen wir zu dem Prepaid-Zähler. Natürlich ist der Prepaid-Zähler eine Variante – warum auch nicht? –, eine Möglichkeit, dass Kunden, die nicht haushalten können oder nicht haushalten wollen, lernen, mit dem Budget umzugehen, dass sie eine Kontrolle haben, Planbarkeit haben. Der Prepaid-Zähler ist ein zusätzliches Mittel, das wir evaluieren wollen. Vielleicht kommt es so letztendlich zu weniger Sperren. Es gibt Pilotprojekte, wo die Energieversorger bzw. die Stadtwerke mit den Jobcentern in Verhandlungen treten und ein Frühwarnsystem entwickeln, indem, wenn einem Kunden eine Sperre angedroht wird, das Jobcenter sofort alles Weitere übernimmt, angefangen mit der Ratenzahlung, damit es eben nicht zur Sperre kommt. Diese Maßnahmen, die es bereits gibt, wollen wir weiter ausbauen. Der Antrag der Linken ist purer Populismus, ist Effekthascherei. Solche Schauanträge helfen wirklich niemandem. Hören Sie auf mit diesen Dingen; denn das ist reine Energieverschwendung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt die Kollegin Bulling-Schröter. (Lena Strothmann [CDU/CSU]: Immer noch nicht überzeugt? – Gegenruf der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]: Bei den Argumenten wohl kaum!) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Danke schön, Frau Vorsitzende. Herr Koeppen hat ja gesagt, wenn wir es nicht verstehen, dürfen wir fragen. Er hat die Frage trotzdem nicht zugelassen. Herr Koeppen, Sie haben uns Populismus vorgeworfen. Ich muss der Bundesregierung auch Populismus vorwerfen; denn auf eine Anfrage der Linken hat die Bundesregierung selbst zugegeben, dass es 345 000 Stromsperren im Jahr gibt. Sie werfen uns Populismus vor. Ich frage Sie: Wer ist da populistisch? Es gibt genügend Beispiele dafür. Natürlich versuchen die Kommunen und die Bundesagentur, zu helfen; das ist aber sehr unterschiedlich. Ich kenne selbst Fälle, wo Unterlagen nicht vorhanden waren, wo es kurz vor Weihnachten war und es dann hieß, man habe keine Zeit mehr usw., wo dann der Strom gesperrt wurde und wir richtig massiv werden mussten. Jetzt noch einmal zu dem, was Frau Lay gesagt hat. Im Wirtschaftsausschuss war eine französische Regierungsdelegation zu Gast – es ging um den Energiemix –, die uns gesagt hat: In Frankreich gelten für 8 Millionen Menschen Sozialtarife. So etwas gibt es in Deutschland nicht. Wir leben in einem Europa. Ich frage mich daher: Warum gibt es so etwas bei uns nicht? Es wurde explizit ausgeführt, dass dort im Winter keine Strom- und Heizungssperren vorgenommen werden, dass das ausgeschlossen ist. Dann gab es noch den Zusatz: Es gibt keine Mitnahmeeffekte. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das können Sie ja alles in Thüringen beschließen! Alles Gute können Sie jetzt in Thüringen beschließen!) Davor haben Sie ja Angst. Sie glauben, dass irgendjemand 2 Cent zu viel bekommen könnte. Bei denen, die arm sind, macht Ihnen das offensichtlich sehr viel aus; bei anderen, die dick absahnen, ist Ihnen das ziemlich egal. Es gibt immer noch Menschen, die frieren müssen. Diese Menschen schreiben uns – Ihnen wahrscheinlich nicht; warum, sei dahingestellt. Warum nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass es in anderen europäischen Ländern Sozialtarife und ein Verbot von Stromsperren gibt? (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Herr Kollege Koeppen. Jens Koeppen (CDU/CSU): Wahrscheinlich haben Sie es wirklich noch nicht verstanden. Wenn Sie die europäische Richtlinie ansprechen, die in nationales Recht umgesetzt wird, dann muss man doch sehen, dass andere Staaten – Sie haben Frankreich erwähnt – eben nicht das soziale System haben, das wir haben. Ich kann Ihnen gerne noch einmal vorbeten, was Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht erwirtschaften können, in Deutschland alles vom Staat, von der Gesellschaft, vom Steuerzahler an Transfers bekommen. Wenn Sie davon reden, die Bundesrepublik Deutschland sei ein unsozialer Staat, dann weiß ich nicht, wo Sie leben, (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: In Bayern!) in welcher Wirklichkeit Sie leben. Noch einmal: Es gibt unterschiedliche Systeme, und unser System ist so aufgebaut, dass niemand im Dunkeln sitzen muss. (Caren Lay [DIE LINKE]: Stimmt doch gar nicht! – Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Was ist denn mit der Antwort der Bundesregierung? Lügt die, oder was?) Wenn jemand auf die Androhung, dass in einigen Wochen der Strom gesperrt wird, reagiert, zu seinem Jobcenter geht und nur einen einzigen Euro abzuzahlen beginnt, dann wird ihm definitiv nicht der Strom gesperrt. So ist die Realität. Man muss auch einmal an die Vernunft der Menschen appellieren und an die Jobcenter, dass sie mit den Menschen zusammenarbeiten. Wenn das Frühwarnsystem zwischen Energieversorgern bzw. Stadtwerken und den Menschen besser funktioniert, dann kommt es nicht zu Stromsperren. Wenn aber keiner reagiert, dann wird der Zähler gesperrt. Das kann man gesetzlich nicht anders lösen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist Dr. Julia Verlinden, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Niemand sollte im Dunkeln sitzen, und es soll auch niemand frieren. Das gilt nicht nur in der Weihnachtszeit. Es ist aber Fakt, Herr Koeppen, dass immer mehr Menschen in Deutschland der Strom abgedreht wird. Für ein so reiches Land wie Deutschland ist das ein echtes Armutszeugnis. Sie, liebe Bundesregierung, haben in den letzten Jahren nichts dagegen getan; denn die Zahlen steigen weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es geht hier nicht nur darum, Herr Koppen, dass Sie die EU-Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt nicht richtig umsetzen. Es geht hier um ein handfestes soziales Problem, was Sie versucht haben wegzudiskutieren. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Das sind alles soziale Fakten!) Menschen ohne Strom haben kein Licht. Sie können nicht mehr kochen, weil der Elektroherd kalt bleibt. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Sie können -kochen, wenn sie sich melden!) Die Kommunikation funktioniert nicht, wenn der Handy-akku leer ist. Das schränkt die soziale Teilhabe in einem unzumutbaren Maße ein, und – mehr noch – das ist entwürdigend und riskant. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Denn die Brandgefahr steigt, wenn in der Not auf Kerzen oder Campingkocher ausgewichen wird. Viele Heizungen laufen auch nicht ohne Strom. Also wird es kalt. Und das ist nicht nur unangenehm, es macht die Menschen auch krank. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Bürgerinnen und Bürger ausreichend versorgt sind, und zwar mit Strom und Wärme, gerade jetzt im Winter. Wir sagen daher: Stromsperren für Privathaushalte müssen gesetzlich eingeschränkt werden. Die Versorger müssen verpflichtet werden, eine Ratenzahlungsvereinbarung anzubieten, statt Strom oder Gas einfach zu sperren. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Gibt es doch jetzt schon! Gibt es alles!) – Wenn Sie glauben, dass die Rahmenbedingungen schon existieren, können Sie die Sperren auch einschränken. Dann gibt es ja erst recht keinen Grund, Stromsperren zuzulassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dass Sie von der Großen Koalition die EU-Richtlinie nicht umsetzen, die verlangt, eine Grundversorgung mit Strom für schutzbedürftige Kundinnen und Kunden zu gewährleisten, ist das eine Problem. Das andere Problem – das wurde noch gar nicht ausreichend thematisiert – ist, dass Sie die Ursachen nicht anpacken. Faire Strompreise kann es nur geben, wenn die Energiewende gerecht finanziert wird. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Wenn Sie die Kohle abschaffen, wird es noch teurer!) An dem Erfolg der Energiewende sollen alle teilhaben. Das heißt, dass die großen Versorger die Preissenkungen, die ihnen die erneuerbaren Energien heute schon bescheren, an die Kundinnen und Kunden weitergeben müssen. Das tun sie aber oft nicht. Dazu haben wir Zahlen vorliegen. Gerade in den sogenannten Grundversorgungstarifen, also den Versorgungstarifen, in die man automatisch rutscht, wenn man vor Ort mit Strom versorgt wird, werden die Kundinnen und Kunden zu oft abgezockt, weil die Preise viel zu hoch sind. Es gibt für viele Menschen keine Möglichkeit, einen Tarif- oder Anbieterwechsel vorzunehmen, weil derjenige, der keine gute Kreditwürdigkeit hat, nicht so schnell an einen günstigeren Vertrag kommt. Also kommen wieder hohe Rechnungen, Mahnungen und dann die Stromsperre. Das ist ein Teufelskreis. Diesem Teufelskreis müssen wir etwas entgegensetzen. (Zuruf des Abg. Jens Koeppen [CDU/CSU]) – Herr Koeppen, wenn Sie eine Frage haben, dann können Sie sie mir gerne stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Das war eine Anmerkung!) Sie, liebe Bundesregierung, haben uns Grünen auf eine Kleine Anfrage zu dem Thema geantwortet, dass Sie die Entwicklung zu den Grundversorgungstarifen erst einmal beobachten und – ich zitiere – „zu gegebener Zeit ihre Schlussfolgerungen ziehen“ wollen. So viel soziale Kälte hätte ich gerade von einer Bundesregierung mit SPD-Beteiligung nicht erwartet, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Faire Preise heißt auch, dass Bürgerinnen und Bürger nicht für die Altlasten der Energiekonzerne verantwortlich sein dürfen, die jahrelang Gewinne aus klimaschädlichen Kohle- und Atommeilern eingestrichen haben, ohne sich um die Zukunft zu kümmern. Wir dürfen also nicht zulassen, dass die Folgekosten dieser fossil-atomaren Geschäftsmodelle am Ende den Bürgerinnen und Bürgern aufgebürdet werden. Was wir für die Menschen brauchen, sind ernsthafte Vorschläge und Unterstützungsangebote, damit Wärme und Strom auch für ärmere Menschen erschwinglich bleiben. Dabei geht es nicht darum, Strom und Wärme möglichst billig zu machen. Für uns Grüne ist klar: Jede eingesparte Kilowattstunde ist billiger und besser als eine verbrauchte Kilowattstunde. Gerade Menschen mit geringem Einkommen sind oft schon längst die Sparweltmeister unserer Nation, weil ihnen gar nichts anderes übrig bleibt. Trotzdem reicht es oft nicht für die Stromrechnung oder die Heizkostennachzahlung. Deswegen müssen wir die Einnahmeseite dieser Menschen verbessern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sorgen Sie dafür, dass steigende Energiepreise im Existenzminimum berücksichtigt werden! Sorgen Sie dafür, dass endlich die Regelsätze beim ALG II, beim BAföG und beim Wohngeld erhöht werden! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Heizkosten sind für Privathaushalte ein wesentlich größerer Kostenpunkt als der Strom; das sollten wir nicht vergessen. Menschen mit geringen Einkommen können als Mieterinnen und Mieter wenig daran ändern, wenn ihr Haus schlecht gedämmt ist oder die Heizungsanlage vollkommen veraltet ist. Auch hier erleben wir kaum Engagement von Ihrer Seite, liebe Bundesregierung. Die Sanierung einkommensschwacher Stadtquartiere geht viel zu langsam voran, weil Sie einfach nicht bereit sind, dafür genügend Geld in die Hand zu nehmen. (Marcus Held [SPD]: Dann wird es ja noch viel teurer für die Leute!) – Ich verstehe Sie nicht. Sie müssen sich schon melden und ans Mikro treten. (Lena Strothmann [CDU/CSU]: Sie schreien doch auch immer dazwischen! Gerade Sie!) – Möchten Sie eine Frage stellen? (Lena Strothmann [CDU/CSU]: Nein!) – Okay. Dann lassen Sie mich doch einfach weiterreden. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ihre Redezeit ist eh schon zu Ende. Deshalb wäre eine Frage gar nicht mehr möglich gewesen. Ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das werde ich gerne tun. – Geben Sie sich doch jetzt, in der Adventszeit, endlich einen Ruck! Strom und Wärme gehören in unserer Gesellschaft untrennbar zu einem menschenwürdigen Leben. Wenn Sie schon nicht in der Lage sind, die Ursachen zu bekämpfen, also die Einkommenssituation dieser Menschen zu verbessern, dann sorgen Sie doch wenigstens dafür, dass niemandem mehr einfach so Strom und Gas abgeklemmt werden. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Marcus Held. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Marcus Held (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute fordern Sie von der Linken in Ihrem Antrag, Stromsperren gesetzlich zu verbieten. Im ersten Moment hört sich der Antrag ja ganz sinnvoll an; denn wir würden so sicherstellen, dass alle Menschen in Deutschland immer Zugang zur Teilhabe in allen Lebensbereichen hätten. Gleichzeitig würde das Verbot aber auch bedeuten, dass es ohne Sanktion bleibt, wenn man seinen Strom nicht bezahlt. Alle Menschen, die der Forderung ihres Energieversorgers nachkommen und ihre Rechnungen brav bezahlen, obwohl auch sie ihr Geld Monat für Monat zusammenhalten müssen, würden bestraft und würden sich fragen, warum sie eigentlich noch ordentlich ihren Pflichten nachkommen. So zu argumentieren, wie Sie es tun, nämlich dass die Außenstände der Stromversorger bei den Kunden, bei denen eine Stromsperre verhängt wurde, in Höhe von 36 Millionen Euro in einem krassen Missverhältnis zu den Gewinnen der Stromversorger stehe, ist – das muss ich sagen – blanker Populismus. Dies ist deutlich zurückzuweisen, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich gehe davon aus, dass Sie das Argument selbst nicht wirklich ernst nehmen, sondern eher versuchen, damit heute Abend in die heute-show zu kommen; denn nachvollziehbar ist es nicht wirklich. Bei Folgendem sind wir beieinander: Wir brauchen Verbesserungen für sozial Schwache. Ich erlebe regelmäßig in meinen Sprechstunden als Abgeordneter, aber auch als ehrenamtlicher Bürgermeister – und das schon seit vielen Jahren –, dass Menschen zu mir kommen, vor mir einen Berg von Briefen auftürmen und sagen: Seit heute Morgen ist der Strom abgeschaltet. – Wenn wir dann gemeinsam die Briefe durchgehen, stellen wir fest, wie viele Mahnungen und Aufforderungen geschrieben wurden. Dann aber ist das Kind leider schon in den Brunnen gefallen. (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Das ist -genau der Punkt!) Dann steht die Abschaltung entweder unmittelbar bevor, oder sie ist schon realisiert worden. Hier müssen wir ansetzen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen nicht allein bleiben, (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sorgen Sie denn dafür?) dass sie im Kontakt mit den Behörden nicht überfordert sind und dass sie mit dem Energiedienstleister und den Sozialbehörden direkt in Kontakt treten können. Es sind mehr Menschen von Stromsperren betroffen; das ist richtig. Das hat aber auch damit zu tun – Frau Verlinden, Sie haben das angesprochen, aber nicht richtig zu Ende geführt –, dass wir in Deutschland viele Millionen Wohnungen haben, in denen Elektroheizungen betrieben werden. Durch entsprechende Preissteigerungen in den zurückliegenden Jahren haben sich die Kosten erhöht. Ich erinnere daran, warum diese Teuerungen eingetreten sind: insbesondere durch die EEG-Umlage, durch die erneuerbaren Energien und durch die Tatsache, dass wir nicht in Quartieren sanieren können, in denen die Leute heute schon kaum ihre Miete zahlen können. Sie fordern in Ihren Anträgen immer wieder eine Sanierung auch in diesen Quartieren; aber das müssen wir aus sozialen Gründen zurückweisen. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sabine Poschmann [SPD]) Bürgerinnen und Bürger mit geringen Einkommen – mein Vorredner hat das schon ausgeführt – sind in Deutschland schon heute abgesichert. Ihre Wärme- und Stromkosten werden im Bedarfsfall im Rahmen öffentlicher Leistungszuweisung übernommen. Wir brauchen aber eine gesetzliche Mitteilungspflicht für Energiedienstleister gegenüber den Sozialbehörden bei drohenden Zahlungsunfähigkeiten. Wenn man sich früh genug einschalten kann, kann man das Schlimmste verhindern. Das ist meine Erfahrung aus den Sprechstunden. Wenn ich den Kontakt hergestellt und die Menschen zum So-zialamt geschickt habe – ich spreche von meiner Praxis als Bürgermeister und Abgeordneter –, dann ist mir noch nie passiert, dass am Ende tatsächlich der Strom abgeschaltet wurde. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Held, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von den Grünen? Marcus Held (SPD): Sehr gerne. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage ermöglichen. – Sie haben gerade gesagt, dass die Kosten durch die Hartz-IV-Leistungen abgedeckt wären. Heizkosten werden tatsächlich, solange es angemessen ist, komplett übernommen. Bei den Stromkosten ist das anders; der Regelbedarf ist pauschaliert. Es gab am 9. September dieses Jahres ein Bundesverfassungsgerichtsurteil, in dem explizit gesagt wird, dass, wenn die Strompreise steigen, die Bundesregierung nachweisen muss, dass die vorgesehenen Kosten im Regelbedarf ausreichen, um die Strompreise zu decken. Gegebenenfalls muss der Regelbedarf entsprechend erhöht werden. Da Sie nicken, kennen Sie das Urteil wahrscheinlich. Deshalb frage ich Sie erstens, wie die Bundesregierung bzw. die Große Koalition darauf reagiert, und zweitens, wann Sie den Regelbedarf entsprechend erhöhen werden, da der Teil, der im Regelbedarf dafür vorgesehen ist, häufig nicht ausreicht. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Kollege Strengmann-Kuhn. – Bitte schön, Herr Held. Marcus Held (SPD): In dieser Debatte geht es um die Frage, ob man Stromsperren vornehmen darf oder nicht. Dazu sage ich Ihnen: Wenn ein Bedürftiger den Strom nicht bezahlen konnte, aber zum Beispiel eine Ratenzahlung mit dem Energieversorger – im Zweifel auch über das Sozialamt – vereinbart hat, kam es noch nie zu einer Abschaltung. Natürlich müssen wir die Regelsätze entsprechend anpassen. Da bin ich völlig bei Ihnen; das werden wir als SPD auch fordern. Aber wir können nicht so tun, als wären die Regelsätze nicht hoch genug und aus dem Grund würde den Leuten in Masse der Strom abgestellt. Das ist falsch. Das ist auch deshalb falsch, weil diese mehreren Hunderttausend Abschaltungen, von denen der Antragsteller, die Fraktion Die Linke, spricht, keine Abschaltungen über Wochen oder Monate sind. Das sind im Zweifel Abschaltungen über ein paar Stunden, manchmal über wenige Tage hinweg, weil der Betroffene dann in der Regel (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Erst -reagiert!) immer zu einer Regelung mit dem Sozialamt und dem Energieversorger kommt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Damit hätte ich auch schon eine Lanze für die Energieversorger gebrochen, was ich an dieser Stelle tun wollte, weil sie in der Regel eng im Verbund mit den Städten, den Gemeinden und den öffentlichen Trägern stehen mit entsprechend eingebauten Mechanismen. Mechanismen sind im Übrigen auch gesetzlich eingebaut. Es muss zunächst eine Erinnerung erfolgen, dann eine Abmahnung des Zahlungsrückstandes und schließlich eine Sperrandrohung, nach dem Gesetz vier Wochen vor der tatsächlichen Sperrung. Drei Tage vor dieser möglichen Sperrung muss noch einmal entsprechend erinnert werden, und dann kommt noch die Verhältnismäßigkeit ins Spiel. Deshalb kann ich das Beispiel meiner Vorrednerin nicht ganz nachvollziehen. Natürlich sind soziale Härten zu berücksichtigen. Wenn ein Stromanbieter das nicht tut – da bin ich bei Ihnen –, dann ist der Sache nachzugehen. Aber vom Gesetz her ist vorgesehen, dass hier die Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen ist. Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten stehen dafür, dass Regelungen eingeführt werden, die einen noch besseren Schutz vor Strom- und Gassperren bieten, zum Beispiel durch den Einsatz intelligenter Stromzähler mit Prepaid-Funktion. Wir wollen aber auch, dass bei den Tarifgenehmigungen künftig beachtet wird, dass Grundversorgungstarife angemessen gestaltet sind und für alle Menschen, auch für sozial schwächere, erschwinglich sind. Wir wollen nicht, dass niemand mehr Konsequenzen erfährt, wenn er seinen Strom nicht bezahlt. Das wäre ein Freifahrt- bzw. Freistromschein für alle Kunden und damit der Niedergang der sozialen Marktwirtschaft. Kein Kunde müsste mehr fürchten, bei Nichtbezahlung seinen Strom abgeschaltet zu bekommen, würden wir dem Antrag heute folgen. Sie haben das Beispiel Frankreich angesprochen. Dort ist der Strommarkt ganz anders organisiert. Dort gibt es von vornherein staatliche Zuschüsse und staatliche Betreiber, sodass das überhaupt nicht mit dem deutschen System vergleichbar ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir werden gemeinsam in der Koalition dafür sorgen, dass die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie der EU eingehalten wird und in Deutschland geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um den schutzbedürftigen Kunden einen noch angemesseneren Schutz zu geben. Wir wollen, dass sich Ehrlichkeit und eine gute Zahlungsmoral auch in Zukunft auszahlen und dass von staatlicher Seite geholfen wird, wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Barbara Lanzinger. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen! Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die in Ihrem Antrag „Stromsperren gesetzlich verbieten“ genannte Zahl der Haushalte, denen der Strom gesperrt wurde – rund 345 000 –, stammt aus dem Monitoringbericht der Bundesnetzagentur. Das ist ein leichter Anstieg von etwas mehr als 23 000 Unterbrechungen; auch das steht drin. Das klingt zunächst einmal viel. Aber wir müssen die Zahl ins richtige Verhältnis setzen. Wenn wir berücksichtigen, dass wir in Deutschland 40 Millionen Haushalte haben und 345 000 davon der Strom gesperrt wurde, betrifft das gerade einmal 0,8 Prozent der Haushalte. In Ihrem Antrag sprechen Sie von einer „stillen sozialen Katastrophe stromloser Haushalte“. Das hört sich fürchterlich an, so als ob mehr als der Hälfte der Haushalte in Deutschland ständig der Strom abgestellt wird. Es sollte immer um das richtige Maß gehen, auch bei der Wortwahl. Fakt ist: Wir wissen alle nicht, warum in 345 000 Haushalten der Strom gesperrt wird. Welche Menschen sind betroffen? Betrifft das tatsächlich nur Hartz-IV-Empfänger? Das wissen wir nicht, das wissen Sie nicht. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Genau so ist es!) Bei rund 4 Millionen Leistungsempfängern machen die Stromsperren lediglich 9 Prozent aus. Ich gebe Ihnen recht: Jeder ist einer zu viel. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Aber daraus zu schließen, dass wir in Deutschland eine Energiearmut haben, halte ich doch für sehr überzogen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Marcus Held [SPD]) Die Stromlieferverträge sind ganz normale schuldrechtliche Vertragsverhältnisse. Daher muss es dem Stromlieferanten im Falle einer Nichtzahlung durch den Kunden grundsätzlich möglich sein, die Lieferung einzustellen. Ich möchte noch einmal klarstellen – meine Vorredner haben es erwähnt –: Ab einem Rückstand von circa 100 Euro wird überlegt, zu sperren. Eine Sperrung kostet zwischen 100 und 168 Euro; die Höhe ist prozentual vom Rückstand abhängig. Jeder Stromlieferant, jedes Stadtwerk überlegt sich, ob es dieses Risiko eingeht und eventuell auf seinen Forderungen sitzen bleibt. Sie sind daher bemüht, mit den Betroffenen zu reden. Im BGB ist ganz klar geregelt, dass die zustehenden Leistungsverweigerungsrechte eingeschränkt und zugunsten des Kunden an weitere Voraussetzungen geknüpft sind. Hierzu zählen: mehrere Mahnungen und eine Androhungsfrist von mindestens vier Wochen. Die beabsichtigte Unterbrechung muss mindestens drei Werktage im Voraus angekündigt werden. In der Praxis wird diese Frist seitens der Unternehmen oftmals kulanterweise verlängert. So ist wirklich sichergestellt, dass jedem Bürger ausreichend Zeit bleibt, um die Sozialhilfeträger um eine Kostenübernahme zu bitten und damit eine Liefersperre abzuwenden. Um soziale Härten zu vermeiden – ich wiederhole, was schon gesagt wurde –, besteht für sozial schwache Kunden die Möglichkeit, die Kosten der Stromlieferung im Rahmen der Grundsicherung abzudecken. Stromsperren sind die Ultima Ratio der möglichen Maßnahmen bei zahlungsunwilligen Kunden oder bei Kunden, die nicht zahlen können. Aber jeder Bürger, der sich in einer sozialen Notlage befindet, hat die Möglichkeit, eine Liefersperre zu verhindern. Ich sage ganz bewusst: Wir können doch nicht unsere Rechtsstaatlichkeit außer Kraft setzen, weil 0,8 Prozent der Haushalte ihre Stromrechnung nicht zahlen können. Es ist jedenfalls nicht gemeinwirtschaftlich, wie Sie schreiben, die Kosten einer Minderheit auf die Mehrheit der Bevölkerung abzuwälzen. Zahlende Bürger können nicht die nichtzahlenden Bürger mitfinanzieren. Das geht nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Marcus Held [SPD]) Ein völliges Verbot der Stromsperre würde einseitig zulasten der meist kommunalen Energieversorger sowie der anderen Kunden gehen. Alle Ihre diesbezüglichen Forderungen – das muss ich jetzt schon einmal festhalten, weil das auch für Ihren Antrag zu bundeseinheitlichen Netzentgelten gilt, den Sie letzte Sitzungswoche eingebracht haben – kommen einer Verstaatlichung der Energieversorgung durch die Hintertür gleich. Wir sind gegen eine Verstaatlichung. Staatliche Verpflichtungen widersprechen den europäischen Bemühungen um eine Liberalisierung der Energieendkundenmärkte und um die weitere Stärkung des Wettbewerbs. Ich nenne das Planwirtschaft. Das wollen wir nicht unterstützen, und das können wir nicht unterstützen. Es wird immer Menschen bzw. Haushalte geben, die sich Strom nicht leisten können. Für diese Menschen brauchen wir – ich glaube, darüber sind wir uns einig – soziale Unterstützung und nicht eine allgemeine, kostenlose Grundversorgung mit Strom, wie Sie es fordern. Wir alle befürworten die Unterstützung sozial schwacher Haushalte, um eine Grundversorgung mit Energie sicherzustellen. Eine separate Betrachtung jedoch und die Definition einzelner Armutsfelder – mit „Energiearmut“ definieren Sie ein solches Feld – ist nicht zielführend. Wir unterstützen das dritte Energiepaket der EU aus dem Jahr 2009 ganz klar, bei dem es darum geht, die Strom- und Gasmärkte in der EU weiter zu liberalisieren und die Verbraucherrechte zu stärken. Dazu gehört unter anderem – ich nenne jetzt nur ein Beispiel – der Schutz von schutzbedürftigen Kunden. Ich halte das, was wir im Koalitionsvertrag verankert haben, für wichtig: Wir sollten die Smart Grids und die Smart Meter zum Einsatz bringen und durch sogenannte Prepaid-Tarife die Menschen dazu bringen, zu überlegen, wie sie sich beim Stromverbrauch verhalten. Das ist im Übrigen nicht nur für sozial schwache Familien wichtig; das ist für uns alle wichtig. Wir alle müssen ein bisschen mehr darüber nachdenken, wie wir mit dem Strom umgehen. (Beifall des Abg. Jens Koeppen [CDU/CSU]) Mit der Novelle zum EEG haben wir erreicht, dass die Strompreise konstant bleiben, zumindest nicht weiter ansteigen, und im nächsten Jahr zum ersten Mal wieder sinken – ich füge hinzu: sinken sollen. Es ist unser langfristiges Ziel, die Strompreise zu senken. Damit bin ich am Ende meiner Rede. Ihrem Antrag können wir in keiner Weise zustimmen. Vielen herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Bernd Westphal, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linken ist sicherlich berechtigt. Das wird deutlich, wenn man sich die Zahlen anschaut, auf die meine Vorredner schon eingegangen sind: 345 000 Stromabstellungen dürfen die Politik nicht kaltlassen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb ist es gut, dass wir Gelegenheit haben, über dieses Thema zu reden. Wir reden darüber übrigens nicht zum ersten Mal. Der Antrag wurde, wie meine Vorredner bereits gesagt haben, schon in der letzten Legislatur-periode vorgelegt. Wir sollten nach den Ursachen für diese Situation fragen und überlegen, welche Lösungswege wir den Menschen aufzeigen können. Wenn es um die Frage nach den Ursachen geht, muss man auch berücksichtigen, wie wir das wichtige Thema Energiewende gestalten. Wir haben drei energiepolitische Ziele. Dabei geht es um die Umwelt, um Versorgungssicherheit und vor allen Dingen um die Bezahlbarkeit. Doch an dieser Stelle fehlt die soziale Balance; das machen die Zahlen deutlich. Wir müssen darauf achten, dass wir Energie und Strom für private Haushalte bezahlbar halten. Wenn es um die Energiewende geht, müssen wir die soziale Balance im Auge behalten. Wie können Lösungen aussehen? In Deutschland ist es nicht so, dass wir Menschen mit diesem Problem alleinlassen. So unsozial sind wir nicht. Hier ist ja schon gesagt worden, dass wir eine ganze Reihe von sozialen Sicherungssystemen haben, die greifen, wenn Menschen in Not geraten. Ich glaube, wir sollten nicht nur, wie im Antrag gefordert, den Strom einfach weiter liefern, wenn eine Zahlungsunfähigkeit festgestellt wird, sondern schauen, wie wir dieses Problem in Gänze bearbeiten können. Es gibt viele Kommunen, die dieses Thema vorbildlich angehen. In Lübeck zum Beispiel setzen sich soziale Einrichtungen gemeinsam mit dem Energieversorger mit den Betroffenen auseinander, sobald eine Rechnung nicht bezahlt werden kann, und suchen nach Lösungsmöglichkeiten. Ich glaube, dass die Probleme, warum die Rechnung nicht bezahlt wird, vielschichtig sind, dass man aber, wenn man den Kontext berücksichtigt und den Menschen hilft, dieses eine Problem anzupacken, eine Lösung finden kann. Denn was würde passieren, wenn Strom weiter geliefert würde, obwohl die Rechnung nicht bezahlt wird? Die Ursachen würden damit nicht behoben. Deshalb, glaube ich, brauchen wir ein Frühwarnsystem und vor Ort Strukturen, bestehend aus dem Energieversorger, den Sozialbehörden und sozialen Einrichtungen, die es erlauben, herauszufinden, woher die Bedürftigkeit kommt und welche Ursachen dazu führen, dass die Stromrechnung nicht bezahlt werden kann. Wie könnte ein solches Frühwarnsystem aussehen? Es gibt im Grunde genommen schon heute ein mehrstufiges Verfahren. Zunächst werden Mahnungen verschickt. Vier Tage bevor es zu einer Stromabschaltung kommt, wird das den Betroffenen angezeigt. Das sollte man aufgreifen. Bevor es zu einer Stromabschaltung kommt, sollten Berater die betroffenen Haushalte aufsuchen und eine Beratung durchführen. Dazu zählen auch Dinge wie Energieberatung, Anregungen, wie man Strom sparen kann und wie es zukünftig gelingen kann, regelmäßig seine Stromrechnung zu bezahlen. Ich denke, wir haben eine ganz gute gesetzliche Regelung, die einem solchen Verfahren entgegenkommt. Vielleicht bietet der Antrag die Möglichkeit, dass wir konstruktiv an dieses Thema herangehen und es im Ausschuss beraten. Dann sollten wir prüfen, ob die Instrumente ausreichen oder nicht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3408 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Vereinbarte Debatte 25 Jahre VN-Kinderrechtskonvention Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Susann -Rüthrich, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Susann Rüthrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geburtstage, zumal runde, sind immer ein schöner Anlass, zurückzuschauen. Wie sah denn die Welt von Kindern vor 25 Jahren aus, bevor die Kinderrechtskonvention in Kraft getreten ist? Doppelt so viele Kinder wie jetzt auf der Welt haben damals ihren fünften Geburtstag nicht erlebt. Es gab bei uns noch kein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Kinderschutz hatte sich der Bund noch nicht zur gesetzlichen Aufgabe gemacht. Umgangsrechte mit beiden Eltern waren nicht geklärt. Weitere Beispiele ließen sich aufzählen. Doch fast noch spannender, als zurückzuschauen, finde ich es, an Geburtstagen vorauszuschauen. Wo werden wir denn wohl in 25 Jahren stehen, vielleicht auch schon in 20 oder 10? Einmal abgesehen davon, dass ich den Kinderrechten wünsche, dass sie sich dann selbst weiterentwickelt haben werden, etwa um ökologische oder digitale Rechte, wünsche ich den Kinderrechten vier Dinge zum Geburtstag. Zum einen: Die Kinderrechte werden dann längst im Grundgesetz stehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Kein Mensch kann dann mehr so recht nachvollziehen, warum es eigentlich so lange gedauert hat, sie in das Grundgesetz hineinzuschreiben. Es war dann wohl einfach endlich an der Zeit, das Grundgesetz moderner zu machen und an die gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland und der Welt anzugleichen. Die dann lebenden Kinder kennen es gar nicht mehr anders, als dass sie gleichwertige Rechte wie Erwachsene haben, nur dass sie diese eben etwas anders ausleben, ihrem Alter gemäß. Das werden die späteren Erwachsenen als Bereicherung sehen, weil die jungen Leute immer neuen Schwung in Debatten bringen, sei es über ihr Wahlrecht, sei es über verbindliche Befragungen oder durch Beschwerden beim Bundeskinderbeauftragten. Unsere Politik und das, was daraus folgt, erleben unsere Kinder doch am längsten. Wer von einer Entscheidung betroffen ist, der wirkt auch an der Entscheidung mit. Das ist demokratisch. Also, hören wir Kinder an und beachten wir das, was sie sagen. Mein zweiter Geburtstagswunsch ist: Wir haben dann eine Kindergrundsicherung oder etwas Vergleichbares. Jedenfalls ererbt kein Kind mehr die Armut seiner Eltern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Jedem Kind steht kostenfrei das Lern- und Lebensumfeld zur Verfügung, das es tatsächlich braucht. So wird es dann der Vergangenheit angehören, dass es Kinder gibt, die weniger gute Chancen im Leben haben, nur weil ihre Eltern nicht wohlhabend sind; denn Bildung ist dann für alle kostenfrei, und zwar von der Kita an. Kitas und Schulen sind dann offen. Vereine und Verbände laden jedes Kind ein, dort seine Talente zu entdecken. Die Kinder toben, spielen und lernen. Kein Kind braucht mehr Geld, um ein Instrument zu lernen, um Fußball zu spielen, um Nachhilfeunterricht zu bekommen oder um Sprachförderung zu erhalten. Zur kostenfreien Bildung gehört dann auch, dass kein Kind hungrig lernt und spielt. Gesunde Mahlzeiten gehören einfach zum Kita- und Schulalltag. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zu meinem dritten Wunsch. Leider wird es wahrscheinlich auch in 25 Jahren noch Flüchtlingskinder bei uns geben. „Leider“ deswegen, weil ich fürchte, dass es auch dann noch schreckliche Gründe geben wird, weswegen Menschen unseren Schutz suchen. Es wird dann aber anders sein als jetzt: Da die Kinderrechte im Grundgesetz stehen, werden diese Kinder nicht mehr anders behandelt. Sie sind bis zum 18. Geburtstag vor dem Gesetz Kinder; logisch eigentlich. Sie erhalten die medizinische Versorgung, die jedes andere Kind auch bekommt, und zwar dann, wenn es nötig ist, und nicht mehr dann, wenn das Kind Schmerzen hat; denn es ist doch einfach unmenschlich, erst zu warten, bis die Zahnschmerzen akut sind, anstatt vorzusorgen. Flüchtlingskinder gehen dann ganz normal in die Schule und in die Kita nebenan. Vor allem aber werden ihre Fluchtgründe im Asylverfahren erfragt und beachtet; denn nur sie können etwa jung zwangsverheiratet oder als Kindersoldaten ausgebeutet werden. Im Asylverfahren werden sie angehört, und selbstverständlich gilt auch hier: Das Kindeswohl hat Vorrang. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was viertens spätestens in 25 Jahren anders sein wird: Die erschütternden Zahlen von misshandelten Kindern müssen gesunken sind. Allein die bekannten Zahlen – ohne das Dunkelfeld – machen mich fassungslos. Tausende Kinder jedes Jahr werden geschlagen und misshandelt, und jährlich überleben 150 Kinder ihr Elternhaus nicht. Wenn wir heute also von einem Fall in der Zeitung lesen, dann müssen wir davon ausgehen, dass in derselben Woche wahrscheinlich zwei weitere Kinder gestorben sind – nicht infolge eines Unfalls, sondern durch die Hand Erwachsener. Die Zahl der tödlichen Unfälle von Kindern im Straßenverkehr hat sich seit 1990 halbiert, und immer weniger Kinder sterben an schweren Krankheiten. Nur die Zahl der getöteten Kinder bleibt stabil. Das muss sich in den kommenden Jahren unbedingt ändern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die ganz traurigen Ausnahmefälle wird es wohl immer geben. Das müssen aber tatsächliche Einzelfälle sein, bei denen sich zuvor keine Auffälligkeiten gezeigt haben. Es sind ja nicht zu wenige Institutionen, die sich mit Risikofamilien beschäftigen, aber diejenigen, die helfen, sind zu schlecht ausgestattet und haben zu wenige bis keine Ressourcen, um etwa die Fallberatung zu koordinieren. Das erzählen uns zumindest Kinderärzte. Dass dann im Grundgesetz festgeschriebene Recht auf Unversehrtheit wird dazu führen, dass Kindern schneller und besser geholfen werden muss. In 25 Jahren werden wir hoffentlich sagen: Weil wir Kinderleben gerettet haben, hat sich die Grundgesetzänderung gelohnt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist Norbert Müller, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Liebe Susann Rüthrich, ich könnte mich Ihnen in vielen Punkten anschließen. Vor wenigen Wochen hatten wir aus Anlass eines Antrags der Grünen schon eine Debatte zur UN-Kinderrechtskommission, und es wäre nun sehr langweilig, wenn ich all das, was Sie gesagt haben, wiederholen und mit unserer eigenen Position anreichern würde oder wenn ich das wiederholen würde, was ich hier vor drei Wochen schon gesagt habe. Deshalb möchte ich gerne einen anderen Aspekt in die Debatte einbringen und damit vielleicht ein bisschen Wasser in den Wein gießen. Die UN-Kinderrechtskommission regelt, dass Kind ist, wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. UNICEF leitet aus der UN-Kinderrechtskonvention – das ist spannend für die Bewertung dieser Konvention – zehn Grundrechte ab. Das siebte Grundrecht ist – ich zitiere – das Recht auf eine Privatsphäre und eine gewaltfreie Erziehung im Sinne der Gleichberechtigung und des Friedens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Linke teilt dies uneingeschränkt; (Beifall bei der LINKEN) denn Kinder sind trotz ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit oft die ersten Opfer eines Krieges. Gerade in Bürgerkriegen, wie in Syrien oder – viel näher – in der Ukraine, die wir gerade erleben müssen, beobachten wir immer wieder, wie Kinder unter militärischen Konflikten leiden, und wir beobachten auch immer wieder den Einsatz von Kindern und Jugendlichen als Kombattanten in militärischen Konflikten. Oftmals enden Kindheit oder Jugend mit Traumatisierungen, mit Verletzungen und auch durch einen gewaltsamen Tod. Bei der Umsetzung und Wahrung dieses Grundrechts brauchen wir in Deutschland aber gar nicht auf andere Staaten zu verweisen. Denn auch die Enttabuisierung des Militärischen – mancher hier im Haus ist darauf auch noch stolz – ist eben nicht zu bagatellisieren. (Beifall bei der LINKEN) Kaum eine Ausbildungsmesse ohne Bundeswehrstand. Jugendoffiziere werben in Schulen offensiv für den Soldatenberuf, der eben kein gewöhnlicher Beruf ist. Dabei ist es nun gerade nicht so, dass man es nicht insbesondere auf Kinder im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention abgesehen hat, sondern gerade die unter 18-Jährigen sind im Blick der Werber. Insofern ist es ein Stück weit verrückt, dass wir im Zusammenhang mit der UN-Kinderrechtskonvention vor drei Wochen darüber diskutiert haben. Für die Redner der Union war ganz klar, dass ein Wahlrecht für 16- und 17-Jährige abzulehnen ist. Es gibt aber eine Mehrheit im Hause dafür, 17-Jährige zu rekrutieren und in eine Uniform zu stecken. Das ist politisch offenbar gewollt. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Was?) 2013 wurden 1 032 17-Jährige bei der Bundeswehr eingestellt. Dies erfolgte natürlich freiwillig. Gott sei Dank wird niemand mit 17 Jahren zum Militär gezwungen. Warum aber kann die Bundeswehr eigentlich nicht darauf verzichten, die Volljährigkeit abzuwarten, und damit in diesem Sinne die UN-Kinderrechtskonvention zu beachten? Was zwingt sie eigentlich, das Rekrutierungsalter immer weiter vorzuverlegen? Warum wirbt denn die Bundeswehr gezielt an Schulen und auf Ausbildungsmessen, gezielt bei Jugendlichen? Offenbar scheint sich die Bundeswehr davon zu versprechen, dass Kinder und Jugendliche offener für den Kriegsdienst sind als Menschen in einem höheren Alter, in dem sie die Folgen ihres Tuns besser abschätzen können. Aber Sie treiben es noch toller. Ich will hier gar keine weiteren Worte zur Bundeswehr an Schulen verlieren. Die Positionen hierzu sind ausgetauscht und bekannt. Dass Sie aber inzwischen die Bundeswehr bei Kitakindern auf Werbetour schicken, ist meines Erachtens schon eine neue Qualität, und das ist auch verurteilenswert. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung hat erst vor wenigen Wochen auf mehrere Kleine Anfragen der Linksfraktion zum Thema „Bundeswehr in der Kita“ geantwortet. Sie haben unter anderem geantwortet – ich zitiere –: Das Kennenlernen des gesellschaftlichen Umfelds einschließlich der Arbeitswelt der Eltern gehört grundsätzlich zum pädagogischen Angebot von Kindertagesstätten. Ursache war, dass Fotos im Internet aufgetaucht sind, auf denen zu sehen war, dass unter Sechsjährige auf Panzern herumgeklettert sind, dass offenbar Truppenbesuche vorgenommen worden sind, dass die Bundeswehr für Kitaeinrichtungen gespendet hat usw. Das ist schon einigermaßen frech. Aus dem Recht der UN-Kinderrechtskonvention auf eine gewaltfreie Erziehung im Sinne des Friedens machen Sie offenbar ein Recht, dass auch unter Sechsjährige auf Panzern herumzuklettern haben, weil das in irgendeiner Form zum gesellschaftlichen Umfeld von Kindern und Jugendlichen gehört. Ich finde, im 25. Jahr der UN-Kinderrechtskonvention müsste man deutlich machen, dass das Militärische nicht zum gesellschaftlichen Umfeld von Kindern und Jugendlichen gehört. (Beifall bei der LINKEN) Nein. Das ist unwürdig. Die Bundesregierung hat die Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention erst vor wenigen Jahren – im Jahr 2010, aber immerhin – zurückgenommen. Nutzen Sie jetzt die Gelegenheit des 25. Jahrestages der Konvention, um selbst beispielgebend voranzugehen! Unterlassen Sie die Werbung an Schulen! Stellen Sie diese schrägen Kasernenexkursionen von Kitas ein! Rekrutieren Sie keine Minderjährigen mehr! (Beifall bei der LINKEN) Krieg ist das größte Leid, das man Kindern und Jugendlichen zufügen kann. Lassen Sie uns daraus Konsequenzen ziehen für die Bundesrepublik Deutschland, für unser Land. Seien Sie so konsequent, und nehmen Sie endlich die Kinderrechte in unsere Verfassung auf. Ich weiß, dass es bei Grünen und der SPD hierzu große Übereinstimmung gibt. Das geht insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen der SPD: Seien Sie so mutig, und gehen Sie auch in dieser Legislaturperiode Schritte! Drücken Sie Ihren Koalitionspartner, damit wir bei der Frage der Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz vorankommen. Das wäre ein besseres Zeichen anlässlich der Feier des 25. Geburtstags der Kinderrechtskonvention als nur wohlfeile Reden im Parlament. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Marcus Weinberg, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren, man muss schon einmal zurückschauen auf die vergangenen 25 Jahre und darüber hinaus, um die Bedeutung der UN-Kinderrechtskonvention zu erkennen. Wenn man sich ein wenig umschaut, dann landet man schnell bei der Frau, die viel für Kinder geschrieben hat und auch vieles ausdrücken konnte, nämlich bei Astrid Lindgren. Sie hat schon 1978 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels eine ihrer so besonderen Geschichten erzählt: Eines Tages hatte ein kleiner Junge etwas getan, wofür er nach Ansicht seiner Mutter eine Tracht Prügel verdiente, die erste in seinem Leben. Er sollte nun selbst im Garten nach einem Stock suchen und ihn der Mutter bringen. Ihr Sohn kam nach einiger Zeit weinend zurück und sagte: „Ich habe keinen Stock finden können, aber hier hast du einen Stein, den kannst du ja nach mir werfen.“ Da fing auch die Mutter an, zu weinen; denn plötzlich sah sie alles mit den Augen des Kindes. Sie nahm ihren Sohn in die Arme. Dann legte sie den Stein auf ein Bord in der Küche. Dort blieb er liegen, als ständige Mahnung an das Versprechen, das sie sich in dieser Stunde selber gegeben hatte: „NIEMALS GEWALT!“ So weit Astrid Lindgren. – Möge in jedem Haus in diesem Land ein kleiner Stein liegen und diese Mahnung dann auch in jedem Haus umgesetzt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Geschichte bringt einen wichtigen Gedanken zum Ausdruck, der mit der UN-Kinderrechtskonvention verbunden war, nämlich die Welt aus Sicht der Kinder zu sehen. Kinder sehen, fühlen und erkennen die Welt anders. Diese Verabschiedung der Konvention am 20. November 1989 ist schon ein Meilenstein in der Geschichte der Kinderrechte gewesen. Unser Bewusstsein für die Rechte der Kinder ist seit damals stark angewachsen, sowohl in Deutschland wie auch weltweit. Diese Rechte sind jetzt in einem internationalen Vertragswerk verankert. Es geht darum, wie wir den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Wasser, wie wir das Recht auf Leben, den Schutz vor Gewalt, Misshandlung und Verwahrlosung national und – mehr noch – international umsetzen können. Ich will in diesem Zusammenhang daran erinnern: In diesem Jahr wurde das dritte Zusatzprotokoll verabschiedet. Danach können sich jetzt Kinder gegen die Verletzung ihrer Rechte dadurch wehren, dass sie sich an den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes wenden. Es war eine richtige Entscheidung, die Rechte der Kinder dadurch zu stärken. Nun müssen wir auch auf die internationale Ebene schauen. Da kann man sicherlich Erfolge verbuchen, die uns als globaler Teil derjenigen stolz machen können, die hierfür Verantwortung übernommen haben. Immerhin: Die Kindersterblichkeit ist gesunken, und die Zahl der arbeitenden Kinder ging um fast ein Drittel zurück. Aber noch heute erleben 6,3 Millionen Kinder nicht einmal ihren fünften Geburtstag. 168 Millionen Kinder müssen arbeiten, und nur 5 Prozent aller Kinder leben in Ländern, in denen jede Gewalt gegen Kinder verboten ist. Es bleibt also auf internationaler Ebene noch viel zu tun, um das zu ändern. Deutschland hingegen hat in der Familienpolitik viel getan. Nun kann man die familienpolitischen Leistungen nicht nur am Geld festmachen. Aber es ist schon so, dass wir in den letzten Jahren den Familien und den Kindern deutlich mehr Geld haben zukommen lassen. Ganz zentral – das ist auch für uns in der Großen Koalition ein wichtiger Punkt – ist: Das staatliche Handeln ist auf das Wohl des Kindes ausgerichtet. Aber wir sagen auch: Wir wollen nicht nur das Wohl des Kindes in den Fokus nehmen, sondern immer auch die Frage stellen: Wie können wir Eltern stärken, und wie können wir Familien insgesamt stärken? Unsere Aufgabe in der Familienpolitik ist es, die Familie als Keimzelle der Gesellschaft zu stärken; (Beifall bei der CDU/CSU) denn dann, wenn das Verhältnis zu den Kindern in der Familie gut ist, sind die Kinder besser geschützt und haben stärkere Unterstützung. Viele Maßnahmen dienen diesem Ziel: Die Alleinerziehenden werden bessergestellt, das Kindergeld wurde erhöht, der Kitaausbau wurde vorangetrieben, das Elterngeld wurde nicht nur eingeführt, sondern auch modifiziert und verändert – immer im Sinne der Familien und ihrer Wünsche. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass es auch für Kinder gut ist, wenn die Eltern mehr Zeit für sie haben. Zum besseren Schutz haben wir 2012 ein Bundeskinderschutzgesetz eingeführt. Als weiteres Beispiel sei hier der Ausbau des Netzwerkes „Frühe Hilfen“ genannt. Wir werden das Bundeskinderschutzgesetz aber auch evaluieren. Die Frage – das ist für uns die Herausforderung – ist: Was bringen unsere Maßnahmen? Wir geben über 8 Milliarden Euro für Hilfen zur Erziehung aus. Trotz dieser Hilfen und trotz des Bundeskinderschutzgesetzes gibt es dramatische Fälle von Misshandlung und in Teilen eine Zunahme von Fällen von Verwahrlosung und Inobhutnahmen. Wenn 40 000 Kinder im Jahr in Deutschland in Obhut genommen werden müssen, dann stimmt etwas in dieser Gesellschaft nicht. Daran müssen wir arbeiten, und daran werden wir auch arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Voraussetzung wird aber auch sein, dass wir uns in den nächsten Jahren mit folgenden Fragen beschäftigen: Was eigentlich heißt „Kindeswohl“? Was ist für Kinder wichtig? Wo gibt es Strukturdefizite? Wo gibt es möglicherweise Finanzierungsdefizite? Wo können wir als Bundesgesetzgeber die Kommunen entlasten und die Länder unterstützen? Schließlich sind Länder und Kommunen für das Thema Kinder- und Jugendhilfe verantwortlich. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Dann gibt es die interessante Diskussion: Reichen Änderungen im Grundgesetz aus? Dazu nur zwei Bemerkungen. In 10 von 16 Länderverfassungen sind die Kinderrechte bereits verankert. Ich glaube, wir sollten uns darum kümmern, was real wirkt, und keine Symbolpolitik betreiben. Wir sagen klar: Wir müssen die Strukturen überprüfen. Wir müssen die Hilfsmaßnahmen verstärken. Wir dürfen aber durch eine eventuelle Grundgesetzänderung nicht dahin kommen, dass wir Kinder sozusagen weiter von ihren Eltern trennen. Werter Kollege Lehrieder, Sie werden sicherlich noch das eine oder andere zu der Frage sagen, ob Kinderrechte in das Grundgesetz aufgenommen werden sollen. Ich bin weiterhin zurückhaltend, weil ich glaube, dass wir schauen müssen, was wir real für Kinder tun können. In den letzten Jahren hat sich viel getan. Unser aller Auftrag ist im Sinne von Astrid Lindgren, einen kleinen Stein im Herzen zu tragen, der uns gemahnt: „NIEMALS GEWALT!“ und „Hilfe für Kinder“. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher! Leider sind nicht so viele Kinder anwesend. Es wäre anlässlich unserer heutigen Debatte über die Kinderrechtskonvention schön, wenn die Ränge auf der Zuschauertribüne voll mit Kindern wären. Heute ist ein besonderer Tag, da wir über die Kinderrechtskonvention sowie die Rechte der Kinder in unserem Land und weltweit reden. Anlässlich des Jahrestags der Verabschiedung der Kinderrechtskonvention habe ich am 20. November in meinem Wahlkreis die 3. und 4. Klassen einer Grundschule in Heidelberg besucht, um über die Kinderrechtskonvention zu sprechen. Nachdem ich mit den Kindern ein bisschen geredet hatte, meldete sich ein Mädchen zu Wort und fragte: Was bedeutet „ein Recht“? Ich fand es ziemlich schwierig, diese Frage zu beantworten. Was bedeutet „ein Recht“? Was ist dein Recht? Ich habe versucht, die Frage anhand von Beispielen zu beantworten. Ich habe gesagt: Dein Recht ist beispielsweise, nicht geschlagen zu werden. Daraufhin meldete sich ein Junge und sagte: Aber mein Papa haut mich. Dann dachte ich: Das war wohl das falsche Beispiel. Was habe ich damit nur provoziert? Dann sagte ich: Dein Recht ist, genau gleich behandelt zu werden wie alle anderen. Daraufhin meldete sich ein Mädchen und fragte: Darf ich trotzdem über jemand anderen lachen? Das war auch keine einfach zu beantwortende Frage. Ich habe gesagt: Nicht weil sie aus einem anderen Land kommt oder anders ausschaut. Daraufhin meinte das Mädchen: Wenn sie aber die Sprache nicht kann und deswegen lauter Blödsinn sagt? Ich habe gesagt: Nein, auch deswegen nicht. Dann sah ich, dass ein Mädchen in der hinteren Ecke offensichtlich nicht so gut deutsch sprach und etwas zusammenzuckte. Dann habe ich die Kinder etwas gefragt: Wisst ihr denn, wo ihr euch beschweren könnt, wenn ihr euch ungerecht behandelt fühlt? Dann war es relativ ruhig in der Klasse. Nach einer Weile meldete sich ein Mädchen und sagte: Bei der Lehrerin. Ich fand es beruhigend, dass die Kinder in dieser Schule offensichtlich so viel Vertrauen in die Lehrerin haben, um sich bei ihr zu beschweren. Ich sagte dann: Bei uns gibt es eine Kinderschutzbeauftragte in jedem Viertel. – Den Namen dieser Person hatte keines der Kinder jemals gehört. Dann dachte ich: Eigentlich ist es die Aufgabe dieser Person, Kinder wissen zu lassen, wo sie sich beschweren können, wenn ihre Rechte nicht eingehalten werden. Frau Rüthrich, Sie haben zu Recht die Missstände in Deutschland beschrieben und darauf hingewiesen, dass diese in Zukunft beseitigt werden müssen, wie Kinder-armut, keine gleichen Chancen für alle Kinder, Schutz vor Gewalt und sexuellem Missbrauch sowie Ausgrenzung, nicht die gleichen Rechte für Flüchtlinge. Erlauben Sie mir, darauf hinzuweisen, dass Sie, wenn wir dorthin wollen, wo Sie in 25 Jahren sein wollen, nun entsprechende Schritte machen müssen. Sonst sind wir in 25 Jahren nicht dort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Artikel 2 der Kinderrechtskonvention ist sehr deutlich: Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormundes. Das ist doch enorm breit. Da steht nicht „jedem deutschen Kind“, sondern „jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind“. Wenn wir diesem Anspruch in Artikel 2 gerecht werden wollen, dann müssen wir dringend etwas mit Blick auf die Kinderarmut in unserem Land tun; denn nach Artikel 2 sind die Rechte jedem Kind zu gewährleisten, unabhängig vom Vermögen. Das ist in Deutschland keine Realität. Genauso wenig ist es Realität, dass ein Flüchtlingskind die gleichen Chancen hat. Daher lautet mein Appell: Sorgen Sie für Änderungen! Wir ändern gerade ständig Asylgesetze. Vielleicht können wir sie in diesem Sinne positiv ändern. Das würde mich und sicherlich auch viele Kinder in diesem Land sehr erfreuen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte Ihnen noch Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention vorlesen, über den wir mit Blick auf das Grundgesetz gerade noch einmal diskutiert haben: Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Das passiert aber schon!) Herr Weinberg, Sie haben gerade gesagt: Kinder oder Familie. – Natürlich ist Familie immer ein Gesichtspunkt. Im zitierten Artikel steht, dass das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt ist – dort steht überhaupt nicht, dass es andere Gesichtspunkte gibt –, der, das ist -wichtig, „vorrangig zu berücksichtigen ist“. Das ist in Deutschland nicht überall der Fall: dass das Kindeswohl vorrangig berücksichtigt wird. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Muss aber sein!) Das gilt für Verkehrsplanungen; das gilt für unser Baurecht. Auch im Asylrecht ist das nicht der Fall. Bei Fragen von Inobhutnahmen ist es am Ende ebenfalls nicht immer das Kindeswohl, das entscheidet. Herr Weinberg, Sie haben gerade gesagt: Die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz ist nur eine Symbolik. – Ich würde da widersprechen und sagen: Es geht um mehr als nur um eine Symbolik. Aber selbst wenn es nur ein Symbol wäre: Warum sind Sie gegen dieses Symbol? Warum wollen Sie als CDU-Bundestagsabgeordneter das Symbol, dass die Kinder gleiche Rechte haben und dass ihre Rechte im Grundgesetz verankert sind, nicht haben? Wenn es nur ein Symbol ist, warum wollen Sie es dann nicht? Ich bin davon überzeugt, dass die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz mehr als ein Symbol ist, dass sie bei der Auslegung und Fortentwicklung von Gesetzen etwas verändern würde. Von daher halte ich Ihren Hinweis auf die Symbolik für kein akzeptables Argument. Sie müssen schon inhaltlich begründen, warum Sie das nicht wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Kommen Sie bitte zum Schluss. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich wollte am Ende nur sagen: Erlauben Sie, dass wir in 25 Jahren dieses Ziel erreicht haben! Lassen Sie uns, Deutschland, Vorreiter sein bei der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Ulrike Bahr, SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ulrike Bahr (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schutz, Förderung und Beteiligung, in diesem Dreiklang will die UN-Kinderrechtskonvention seit 25 Jahren die Rechte der Kinder sichern. Zweifellos hat sie damit viel bewegt im weltweiten Kampf gegen Kinderarbeit und sexuelle Ausbeutung von Kindern, für ein Recht auf Bildung für Mädchen und Jungen, ein Recht auf Gesundheitsversorgung und Schutz vor Kriegen und auch für einen neuen Blick auf Kinder und Jugendliche. Noch viel mehr bleibt aber zu tun, weltweit und bei uns in Deutschland. Kinder sind nach wie vor die Hauptleidtragenden der zahlreichen bewaffneten Konflikte auf dieser Welt. Allein 1,6 Millionen syrische Kinder sind auf der Flucht. Weitere 5,6 Millionen sind innerhalb Syriens von Krieg und Gewalt betroffen. Nicht so stark im Fokus steht die kaum weniger schädliche Lage von Millionen Kindern nach Bürgerkriegen, zum Beispiel im Kongo, in der Zentralafrikanischen Republik oder in Somalia. Einige dieser Kinder und Jugendlichen schaffen es allein oder mit ihren Angehörigen als Flüchtlinge bis nach Deutschland. Als Unterzeichner der UN-Kinderrechtskonvention, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es unsere Verpflichtung, bei allen Entscheidungen, die Kinder betreffen, das Kindeswohl als oberste Richtschnur zu nehmen. Kinder im Sinne der UN-Konvention sind alle Menschen unter 18 Jahren ohne jede Diskriminierung nach nationaler, ethnischer oder sozialer Herkunft. Asyl- und ausländerrechtliche Regelungen müssen darum die besondere Schutzbedürftigkeit und das Wohl minderjähriger Flüchtlinge berücksichtigen: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) für alle Kinder bei der medizinischen Versorgung und beim Zugang zu Spracherwerb und Bildung, für die unbegleiteten Minderjährigen auch bei der unverzüglichen Inobhutnahme durch das Jugendamt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Flughafenverfahren und Abschiebehaft für Minderjährige und eine generelle Verfahrensfähigkeit ab 16 Jahren halte ich für nicht vereinbar mit der UN-Kinderrechtskonvention. Kinder müssen immer zuerst als Kinder wahrgenommen werden mit den ihnen zustehenden Rechten. Auch in anderen Bereichen unseres Sozialrechts geschieht dies nicht immer. Vielmehr sind und werden Trennlinien gezogen. Dies trifft besonders Kinder mit Behinderungen. Kinder und Jugendliche mit körperlicher oder geistiger Behinderung erhalten Eingliederungshilfe nicht von der Kinder- und Jugendhilfe, sondern aus der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch. Haben Kinder dagegen eine seelische Behinderung, ist die Kinder- und Jugendhilfe zuständig. Diese künstliche Trennung führt zu großen Abgrenzungsschwierigkeiten. Sie kann die Jugend- und Sozialämter dazu verleiten, mehr über die eigene Zuständigkeit nachzudenken, als die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien in den Mittelpunkt zu stellen. (Beifall der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Bürokratische Hindernisse führen oft zu ungewollten Verschiebebahnhöfen, unter denen die Kinder mit Behinderung und ihre Familien leiden. Das widerspricht dem Geist der Kinderrechtskonvention und der sie ergänzenden Behindertenrechtskonvention, in jedem Kind und in jedem jungen Menschen die Potenziale zu sehen, unterstützend zu fördern und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, anstatt zu trennen und auszuschließen. Wenn wir in einer großen Lösung Hilfen für alle Kinder und Jugendlichen unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe vereinen, können wir daran etwas ändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Noch ein letzter Punkt ist mir sehr wichtig: In den letzten 25 Jahren haben sich in den Kommunen, an Gerichten und bei öffentlichen Institutionen vielfältige Strukturen entwickelt, Kinder zu beteiligen, sie zu hören und ihre Meinungen einzubeziehen, wie es der Artikel 12 der Kinderrechtskonvention vorgibt. Vielerorts werden Kinder schon als eigenständige Träger von Rechten wahrgenommen, nicht nur als Schutzbefohlene und zu Erziehende. Erst neulich haben mir bei einem Besuch in einer Grundschule Kinder vorgeführt, wie kompetent und engagiert sie bei Themen in ihrem Nahbereich mitwirken und mitentscheiden können. Es ging um ein Schülerbegehren zur Sanierung der Schultoiletten, und das Beste daran: Die Toiletten wurden saniert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Darum ist es jetzt auch an der Zeit, meine Damen und Herren, dass wir Kinder nicht nur punktuell und in Modellprojekten ernst nehmen und einbeziehen. Diese gewandelte Haltung gegenüber Kindern sollte sichtbar werden. Mir fallen gleich mehrere Beispiele ein, wie das geschehen kann: an erster Stelle durch Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz – das würde sie bekannter und akzeptierter machen und das Recht auf Beteiligung festschreiben –, mit einer Kampagne, die Kinder über ihre Rechte aufklärt – die breite Medienberichterstattung zum 25. Jahrestag der UN-Kinderrechtskonvention war in dieser Beziehung sehr ermutigend; solche Aktionen brauchen wir aber nicht nur zu Jahrestagen –, (Beifall bei der SPD) außerdem mit einem eigenen Anrecht des Kindes auf Hilfen zur gleichberechtigten Entwicklung und Teilhabe sowie mit einem Anspruch auf eigenständige, kindgerechte und niederschwellige Beratungsangebote. Schutz, Förderung und Beteiligung, das dürfen Kinder von unserer Gesellschaft erwarten. Darauf haben sie ein Recht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Eckhard Pols, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Susann Rüthrich [SPD]) Eckhard Pols (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich sehe, dass viele Jugendliche auf der Tribüne sind. Das freut mich bei diesem Debattenpunkt natürlich besonders. Die UN-Kinderrechtskonvention hat vor 25 Jahren erstmals die Rechte von Kindern international verbrieft. Ihre Umsetzung ist Auftrag und natürlich Maßstab zugleich. Bevor ich jedoch in die Debatte zur Umsetzung in Deutschland einsteige, einiges vorweg: Kindern in Deutschland geht es gut. Einigen geht es sogar sehr gut, anderen leider weniger. Um diese müssen wir uns natürlich weiter kümmern. Für Kinder zu sorgen und sie zu schützen, ist unser aller Auftrag: als Gesetzgeber, als Eltern und als Mitglieder dieser Gesellschaft. Grundsätzlich aber gilt: Den allermeisten Kindern geht es gut; sie fühlen sich wohl und sie sind gesund. Das hat nicht zuletzt die KiGGS-Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland bestätigt. Ich finde diesen Punkt wichtig – auch das unterstreicht den Stellenwert der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland –: Schutz, Wohlbefinden, Förderung, Wahrung der Rechte von Kindern, all dies ist bereits gelebte Praxis in Deutschland. Das heißt allerdings nicht, dass wir uns zum Jubiläum zurücklehnen. Wir müssen Kinderrechte jeden Tag aufs Neue verwirklichen und achten. Vielfach wird aus der Kinderrechtskonvention abgeleitet, dass Kinderrechte nur durchsetzbar wären, wenn sie auch im Grundgesetz stehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinderrechte in Deutschland werden geachtet, auch wenn sie nicht explizit im Grundgesetz genannt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Durch das Ratifizierungsgesetz hat Deutschland 1992 seine Zustimmung zur Konvention zum Ausdruck gebracht. Damit ist klar, dass die Konvention geltendes Recht in Deutschland ist. Bei einem Treffen mit dem Aktionsbündnis Kinderrechte in der letzten Woche habe ich erneut klar zum Ausdruck gebracht, dass die UN-Kinderrechtskonvention Deutschland nicht automatisch verpflichtet, die darin normierten Kinderrechte auch in der Verfassung festzuschreiben. Vielmehr verlangt sie eine Umsetzung in die gesetzliche Praxis aller Rechtsbereiche. Ich möchte hier nur exemplarisch auf das Kinder- und Jugendhilferecht verweisen; denn SGB VIII sagt in § 8: Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen. Ein richtiger und wichtiger Schritt. Ergänzt wird er dadurch, dass Kinder auch allein das Jugendamt um Hilfe bitten können, wenn sie sich in ihrer Entwicklung oder ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt fühlen. Nun ist es, meine Damen und Herren, ein offenes Geheimnis, dass ich den Einbezug der Kinderrechte ins Grundgesetz für einen Ansatz halte, über den man diskutieren und den man bedenken kann. Die Vorschläge, beispielsweise vom Kinderhilfswerk oder vom Deutschen Anwaltverein, liegen auf dem Tisch. Das Kinderhilfswerk spricht sich für einen Zusatz zu Artikel 2 a des Grundgesetzes aus, der Deutsche Anwaltverein ist für eine Ergänzung von Artikel 6 des Grundgesetzes um die Worte „die Kinder“. Inhaltlich halte ich daher die Debatte um Kinderrechte für wichtig. Ich denke, dass wir sie weiterhin aktiv führen sollten. So hat sich die Kinderkommission des Deutschen Bundestages noch einmal vertieft mit der Umsetzung des Übereinkommens befasst. Dabei haben wir auch über die Einrichtung einer Beschwerdestelle diskutiert, wie die Konvention sie fordert. Norwegen zum Beispiel hat diesen Weg gewählt und eine Kinder-ombudsperson eingesetzt. Frau Rüthrich, wir beide hätten das vielleicht in den Koalitionsvertrag geschrieben; denn wir, die Mitglieder der Kinderkommission, haben uns bereits 2011 vor Ort in Oslo über die Arbeit des Kinderombudsmanns informiert und einige interessante -Aspekte mitnehmen dürfen. Ob also am Ende dieser Diskussion Kinderrechte tatsächlich im Grundgesetz stehen oder ob wir uns für eine andere Lösung entscheiden, ist für mich offen. Entscheidend ist für mich, dass wir Kindern in Deutschland substanziell zu ihrem Recht verhelfen. Das fängt überall dort an, wo die Lebenswelten von Kindern berührt werden: in der Familie, in Kitas, in Schulen, in Sportvereinen und im kommunalen Umfeld. Die 3. World Vision Kinderstudie hat gezeigt, dass insbesondere Elternhäuser einen ganz wesentlichen Beitrag zum Gelingen von Beteiligung leisten. Kinder machen in ihren Familien die Erfahrung der Wertschätzung, dass sie angehört und in die gemeinsame Beratung alltäglicher Fragen eingebunden werden. Eltern leisten damit einen konkreten und enorm wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Kinderrechte. Sie machen die Familie zu einem lebendigen Ort der Verhandlung. Nun wissen wir alle, dass es leider Familien gibt, die nicht immer ein Hort des liebevollen und respektvollen Umgangs sind. Es gibt in allen Schichten der Bevölkerung Familien, in denen die Rechte des Kindes auf körperliche und seelische Unversehrtheit, sein Recht auf Respekt und freie Entwicklung nicht realisiert werden. Doch machen wir uns nichts vor, meine Damen und Herren: Diese Familien erreichen wir auch nicht mit einer Änderung des Grundgesetzes. Ich möchte noch einmal deutlich machen: Entscheidend ist, dass wir Kindern in Deutschland substanziell zu ihrem Recht verhelfen. Frau Dr. Brantner, auch ich habe anlässlich des 25. Geburtstags der Kinderrechtskonvention mit Schülern aus meinem Wahlkreis über die Rechte, die sie haben, diskutiert. Bei dieser Diskussion drehten sich die Fragen der Kinder nicht darum: „In welchem Artikel finden wir diese Rechte im Grundgesetz wieder?“, sondern die Kinder haben gefragt, wie sie selbst ihre Rechte im Alltag wahrnehmen können und an wen sie sich wenden könnten, wenn sie nicht entsprechend gehört werden. Das war den Kindern wichtig. Ich meine, über diese Fragen einmal vertieft nachzudenken, lohnt sich. In den nächsten Jahren, aber nicht erst in 25 Jahren – aber natürlich können wir den 50. Jahrestag der Kinderrechtskonvention zum Anlass nehmen, uns wieder einmal zu fragen, wie weit wir gekommen sind – sollten wir uns daran messen lassen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Paul Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich darf, bevor ich mit meiner Rede beginne, zunächst dem Kollegen Markus Koob aus dem Familienausschuss im Namen unserer Fraktion alles Gute zu seinem heutigen Geburtstag wünschen. (Beifall) Meine Damen und Herren, von den Vorrednern wurde bereits darauf hingewiesen: Im Jahr 1989 ereignete sich nicht nur der Fall der Mauer. Im selben Jahr wurde am 20. November, just an meinem Geburtstag, auch eines der wegweisendsten Dokumente der internationalen Staatengemeinschaft verabschiedet. Von der Generalversammlung der Vereinten Nationen wurde die UN-Kinderrechtskonvention angenommen. Am 2. September 1990 traten die insgesamt 54 Artikel, die gemeinsame Standards zum Schutz der Kinder auf der ganzen Welt festlegten, schließlich in Kraft. Ich will, bevor ich auf die Artikel im Einzelnen eingehe, noch zwei Sätze zu der mehrfach angesprochenen Thematik „Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung“ verlieren. Es wurde von mehreren Kolleginnen und Kollegen – so von Kollegin Rüthrich und Kollegin Brantner – moniert, dass die Aufnahme der Kinderrechte in unser Grundgesetz eine weitaus höhere Gewichtung der Kinderrechte ergeben würde. Ich bitte Sie: Schlagen Sie mit mir gemeinsam das silberne Buch, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das im Schubfach Ihres Tisches liegt, Seite 15 unten rechts auf; ich gehe somit nicht zu Artikel 6, sondern zu Artikel 3. In Arti-kel 3 Absatz 2 ist normiert – es ist der Gleichbehandlungsgrundsatz; das kennen Sie vielleicht –: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch ein wichtiger Satz!) Frau Kollegin Brantner, Ihre Auffassung als zutreffend unterstellt, brauchten wir in den nächsten Monaten sicher nicht über eine Frauenquote zu diskutieren und hätten längst nicht mehr das Problem des Gender Pay Gap. Wir hätten viele Probleme nicht, wenn allein die Aufnahme in die Verfassung die Lösung des Problems wäre. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne den Artikel hätten wir die Quote nicht! Das ist der Unterschied! – Weitere Zurufe von der SPD) Meine Damen und Herren, am 27. November 2014, also vor wenigen Tagen – das wurde ebenfalls zitiert –, wurde anlässlich des 25. Jahrestages der Kinderrechtskonvention eine Entschließung der UN durch das Europäische Parlament zu den Kinderrechten gefasst. Darin fordert es alle Mitgliedstaaten dazu auf, den Kreislauf der Benachteiligung zu durchbrechen, die UN-Kinderrechtskonvention in nationales Recht zu gießen und sicherzustellen, dass der Vorrang des Kindeswohls tatsächlich umgesetzt ist. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Dann packen Sie es an!) Selbst das Europäische Parlament hat in dieser Resolution vom 27. November noch nicht einmal die Aufnahme in die Verfassung gefordert, sondern nur, dass -sichergestellt werden muss, dass die Kinderrechte umgesetzt werden. (Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Kollege Weinberg hat bereits darauf hingewiesen: Wir haben in Deutschland Kinderschutzrechte, die viele andere Länder in diesem Umfang überhaupt nicht haben: die materielle Absicherung, der Schutz von Kindern vor Gewalt, unser Kinderschutzgesetz, das wir im kommenden Jahr evaluieren werden. Wir diskutieren jetzt über Führungszeugnisse im Kinderschutz. Wir haben in den letzten Jahren sehr vieles zum Kinderschutz auf den Weg gebracht, und ich denke, das ist im europäischen Raum vorbildlich. In vielen anderen Ländern der Welt wären die Kinder heilfroh, wenn sie nur ansatzweise die Rechte hätten, die die Kinder in Deutschland bereits jetzt für sich in Anspruch nehmen können. (Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das Argument des kleineren Übels ist keines!) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, insbesondere zählen zu den Schutzrechten der Kinder das Recht, ohne Gewalt, Diskriminierung und in Sicherheit leben zu können, das Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung – das wird in Deutschland keinem Kind ernsthaft abgesprochen –, das Recht auf Bildung, das Recht auf Nahrung sowie ein Mitspracherecht bei kinderrelevanten Entscheidungen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, 25 Jahre nach Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen: Was haben wir in einem Vierteljahrhundert erreicht? Wo müssen wir noch weiterarbeiten, und wo müssen wir noch nachbessern? Deutschland hat sich mit der Unterzeichnung der Konvention ganz klar dazu bekannt, das Wohl unserer Kinder, unserer künftigen Generationen und somit der Hoffnungsträger unseres Landes als Leitlinie für sein politisches und gesellschaftliches Handeln zum Maßstab zu nehmen. Einige Forderungen der Konvention zur besseren Verwirklichung der Kinderrechte konnten wir bereits umsetzen, beispielsweise die gesetzliche Regelung zur gewaltfreien Erziehung in § 1631 Absatz 2 BGB seit dem Jahr 2000 oder die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern. Zudem belegen aktuelle Forschungsergebnisse, dass es unserer heutigen jungen Generation so gut geht wie keiner Generation zuvor. Das außenpolitische Engagement Deutschlands zur Förderung und zum Schutz der Kinderrechte wird weltweit ausdrücklich gelobt. Human Rights Watch und -andere Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass Deutschland weltweit zu den Vorreitern und größten Verfechtern des Schutzes der Kinderrechte zählt. Darüber hinaus wird den Kinderrechten in der Entwicklungshilfezusammenarbeit – auch durch unseren geschätzten Minister Dr. Gerd Müller – eine herausragende Stellung eingeräumt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kinder und Jugendliche brauchen den Schutz unserer Gesellschaft. Für sie ist es schwierig, sich zu organisieren und sich eigenständig für ihre Bedürfnisse einzusetzen. Sie sind auf die Unterstützung Erwachsener angewiesen, seien es die Familien, seien es politische oder gesellschaftliche Gremien wie wir. 1988 wurde daher vom Deutschen Bundestag die Kinderkommission eingesetzt, um die Belange der Kinder und Jugendlichen in einem besonderen Gremium wahrzunehmen. Ich darf den Leiter der Kinderkommission, Kollegen Eckhard Pols, der vor mir gesprochen hat, zitieren. Lieber Eckhard, du hast darauf hingewiesen: Wir sind berufen, uns Gedanken zu machen, wie wir Kindern Beschwerdemöglichkeiten einräumen können. Ich finde die Idee durchaus sympathisch, und es wäre erwägenswert, sie aufzugreifen: die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle für Kinder im Allgemeinen, angelehnt an die sogenannten Ombudsstellen. Man könnte es eventuell so verwirklichen, dass man eine Beschwerdemöglichkeit für Kinder als Unterabteilung im Petitionsausschuss einrichtet. Dann könnten Kinder sich bei empfundener Verletzung ihrer eigenen Rechte tatsächlich aktiv an ein Gremium, in diesem Fall im Bundestag, wenden. Das finde ich durchaus diskussionswürdig. Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, lassen Sie uns vernünftige Realpolitik für die Kinder machen. Das ist besser, als wenn wir eine Norm in die Verfassung schreiben, liebe Frau Kollegin Brantner. Trotz einer solchen Norm ist die Gleichstellung von Frauen bis heute ja immer noch nicht so toll umgesetzt worden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ohne die Verfassungsänderung hätten wir die Quote immer noch nicht!) – Sie haben auch ein Exemplar der Verfassung vor sich liegen. Dort können Sie einmal nachschauen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Der Kollege wollte nur darauf hinweisen, dass wir ohne die Verfassungsänderung die Quote heute vielleicht immer noch nicht hätten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE] – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist eine sehr mutige Interpretation, Frau Präsidentin!) Insofern ist eine Verfassungsänderung manchmal auch sehr bewusstseinsbildend und bewusstseinsfördernd. Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Vereinbarte Debatte Menschenrechte global durchsetzen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabriela Heinrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir reden momentan häufig von der gewachsenen Verantwortung Deutschlands in der Welt, von einem Mehr an Verantwortung. Dieses Mehr an Verantwortung wird jedoch höchst unterschiedlich interpretiert. Da geht es mal um militärische Einsätze, mal um mehr Verhandlungen, um Konflikte beizulegen. Der 10. Dezember ist der Internationale Tag der Menschenrechte. Ich nehme diesen 10. Dezember zum Anlass, zu fordern, dass Deutschland weltweit tatsächlich noch mehr Verantwortung übernimmt, mehr Verantwortung für die Menschenrechte. Was heißt „Menschenrechte global durchsetzen“? In meiner Heimatstadt Nürnberg gibt es die „Straße der Menschenrechte“. Der Künstler Dani Karavan hat die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in weiße Säulen eingemeißelt – 30 Artikel in 30 Sprachen. Ich bin vor kurzem mit Bürgerinnen und Bürgern durch die „Straße der Menschenrechte“ gegangen. Uns sind zu jeder Säule Menschenrechtsverletzungen eingefallen, manchmal auch in Deutschland, zum Beispiel wenn Menschen Opfer von Arbeitsausbeutung werden oder man sie auf Matratzen in Abrisshäusern zusammenpfercht. Moderne Sklaverei wird so etwas genannt. Auch wenn wir schon sehr viel erreicht haben: Es gibt in Deutschland durchaus noch einiges zu tun, um Menschen vor Verletzungen ihrer Menschenwürde und vor Diskriminierung zu schützen. Wir Parlamentarier haben ganz aktuell eine sehr konkrete Gelegenheit, Verantwortung im eigenen Land zu übernehmen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte droht seinen A-Status zu verlieren, wenn wir es jetzt nicht auf eine vernünftige gesetzliche Grundlage stellen. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum geht das denn immer noch nicht? Ist das Frau Steinbach? – Gegenruf des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]: Du kennst die Antwort, Tom!) – Ich bin ganz bei Ihnen, Herr Koenigs. – 1993 haben die Vereinten Nationen die sogenannten Pariser Prinzipien entwickelt. Darin wird festgelegt, welche Kriterien nationale Menschenrechtsinstitutionen erfüllen müssen, um bei Staatenkonferenzen oder beim Menschenrechtsrat voll handlungsberechtigt zu sein. Wie peinlich wäre es für die Bundesregierung, wenn der A-Status, also die Bestnote, ausgerechnet in dem Jahr entzogen wird, in dem Deutschland den Vorsitz im Menschenrechtsrat übernimmt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wie glaubwürdig ist das Mehr an Verantwortung, wenn wir uns hier nicht einigen können? (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bach ist steinig!) Meine Damen und Herren, wir werden im nächsten Jahr viele Gelegenheiten haben, uns für die Durchsetzung der Menschenrechte einzusetzen. Auch wenn es in der letzten Zeit einige positive Beispiele gegeben hat – in Tunesien, in Marokko und in einigen anderen afrikanischen Staaten –: Es gibt noch unendlich viele Länder, in denen Frauen völlig rechtlos sind. Sie sind permanent sexueller Gewalt ausgesetzt. Sie werden an den Genitalien verstümmelt, im Kindesalter verheiratet. Sie sterben im Kindbett und durch ungeheuerliche Verletzungen, die ihnen ihre pädophilen Ehemänner zufügen. Ich hatte die Gelegenheit, mit der diesjährigen Preisträgerin des Menschenrechtspreises der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Somalierin Fartuun Adan, zu sprechen. Sie setzt sich für vergewaltigte, rechtlose Frauen ein und kämpft mit ihren Mitstreiterinnen gegen Genitalverstümmelungen. Was uns Menschenrechtsverteidiger aus aller Welt erzählen – über Kindersoldaten, Folter, Verfolgung von Schwulen und Lesben –, ist erschütternd. Sie alle brauchen unsere Unterstützung und sie fordern sie auch ein. Alice Nkom, Schwulen- und Lesben-Rechtsanwältin aus Kamerun, hat uns ins Stammbuch geschrieben: Lassen Sie sich nie erzählen, dass die Menschenrechte von der Tradition eines Landes abhängen. Die Menschenrechte gelten für alle Menschen überall auf der Welt gleich. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben in diesem Jahr bereits einiges getan, zum Beispiel mit dem Antrag „Gute Arbeit weltweit“, der auf die Verantwortung deutscher Unternehmen hinweist. Auch Konfliktrohstoffe müssen weiter Thema für uns sein. Wir haben die Instrumente, Staaten beim Aufbau von mehr Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen. Wir haben die Erfahrung, beim Aufbau von Zivilgesellschaften in fragilen Staaten zu helfen. Und wir haben die Mittel, Versöhnungsprozesse zwischen Konfliktparteien zu begleiten. Wir müssen die finanziellen Mittel dafür bereitstellen, wenn wir Fluchtursachen bekämpfen wollen. Wenn wir humanitäre Hilfe für die Menschen in Syrien, im Irak und in vielen anderen Ländern bereitstellen, dann setzen wir uns unmittelbar für das Menschenrecht auf Leben ein. Wenn wir diese durch Bürgerkriege traumatisierten Menschen empfangen und Kommunen in die Lage versetzen, Flüchtlinge aufzunehmen, menschenwürdig unterzubringen und zu integrieren, dann setzen wir Menschenrechte durch. Das alles bedeutet: mehr Verantwortung in der Welt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich darüber nachdenke, wie eine künftige Gesellschaftsordnung aussehen könnte, welche Elemente sich in einer solchen Gesellschaft wiederfinden müssten, dann wäre ein Zusammenführen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit dem Grundgesetz unseres Landes für mich der Maßstab, was man verwirklichen müsste, wenn man über Sozialismus nachdenkt. Wenn man sich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte anschaut, erkennt man: Sie hat einen großartigen Zug, auch dadurch, dass sie soziale und Freiheitsrechte nicht gegeneinanderstellt, sondern völlig deutlich macht: Ohne soziale Rechte gibt es keine Freiheitsrechte, und ohne Freiheit kann man keine sozialen Rechte erkämpfen. (Beifall bei der LINKEN) Diesen Grundgedanken müssten wir viel stärker an uns heranlassen. Ich glaube, das Neue, was man der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hinzufügen müsste, wäre, dass auch die Wahrung der Natur eine elementare Bedeutung hat, ein Menschenrecht ist, und es müssten viel stärker, als das damals in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte möglich war, die Frauenrechte als Grundrechte betont werden. Ich finde, über eine solche Gesellschaft nachzudenken, lohnt sich. Um auf einen Kollegen zurückzukommen, der vor mir in dieser Debatte gesprochen hat: Wenn man die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte mit der Realität des Lebens auf diesem Planeten konfrontiert, dann wird man feststellen, dass die Realität des Lebens eine völlig andere ist. Da muss man sich doch die Frage stellen, was wir ändern wollen: Sollen wir die Texte an die Realität anpassen – auch in unserem Land – oder die Realität an die Texte, an die entsprechenden Vorgaben, an die großen gesellschaftlichen Vorstellungen? – Ich will Zweiteres, ich will diese Veränderungen. Wenn Sie über Veränderungen nachdenken, werden Sie jedoch nicht drum herumkommen, auch über die Veränderung von Eigentumsfragen, über Verteilungsfragen nachzudenken; sonst werden Sie das alles nicht erreichen können. (Beifall bei der LINKEN) In dieser Hinsicht gefällt mir die Debatte hier. Ich möchte diesen gesellschaftlichen Impuls. Vieles, was die Kollegin Heinrich vorgetragen hat, finde ich, auch unter diesem Gedanken, erschütternd. Ich möchte das mit nur drei Dingen noch weiter erhärten: Täglich sterben 57 000 Menschen in der Welt – täglich! – an Unterernährung. Das ist ein Krieg, der gegen die Menschheit geführt wird, ein Krieg mit ökonomischen Waffen, mit dem Terror der Ökonomie. Ein Mensch, der hungert oder gar am Verhungern ist, kann nicht frei sein. Wenn wir über Freiheit in der Welt reden wollen, dann müssen wir auch darüber reden, wie man den Kampf gegen Hunger durch eine neue Verteilung in der Welt gewinnen kann. (Beifall bei der LINKEN) Oder schauen Sie auf die Wasserversorgung. Nach Berichten der Vereinten Nationen sterben jährlich ungefähr 2,4 Millionen Menschen – darunter 4 000 Kinder am Tag! – daran, dass es kein sauberes Trinkwasser für sie gibt. Ist es vor diesem Hintergrund nicht ein Verbrechen, wenn Wasser privatisiert wird, wenn auf Wasser zugegriffen wird? Müssten wir nicht alle sagen, dass wir öffentliche Rechte, öffentliche Güter verteidigen müssen, gerade wenn man Menschenrechte einlösen will? Mein dritter Gedanke – ich frage mich selber, ich frage uns, was wir in der Realität tun können; wir können uns da schnell auf zwei Punkte einigen – gilt den Flüchtlingen. Wenn Europa und Deutschland nicht eine andere Flüchtlingspolitik machen, dann brauchen wir über Menschenrechte in unserem Land überhaupt nicht zu reden. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt kein Recht, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Wie finden wir es denn, dass im Dezember dieses Jahres das UNO-Welternährungsprogramm angekündigt hat, die Lebensmittelhilfe für 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge zu streichen? Begründung hierfür sind die nicht eingehaltenen Spendenzusagen. Wir haben hier einen Widerspruch zur reichen Erde und zur reichen Produktivität. Mit dem, was produziert wird und produziert werden könnte, könnten, wenn auf eine andere Art und Weise produziert würde, alle Menschen ernährt und die Probleme gelöst werden. Müssen wir, auch die christlich-konservativen Kollegen, nicht sagen, dass aus diesem Teil der Menschenrechte die Anforderung resultiert, dass wir anders produzieren, anders konsumieren und anders verteilen müssen? Dazu gehört auch, uns deutlich zu machen: Wenn wir Rüstungsexporte nicht überwinden, dann werden wir den Flüchtlingen nicht helfen können. Ich bitte Sie sehr, damit wir nicht folgenlos aus der Debatte gehen, lassen Sie Folgendes an sich heran: Wenn das Freihandelsabkommen, das jetzt zwischen der EU und den USA ausgehandelt werden soll, nicht verhindert wird – zumindest in der Form, wie es bisher präsentiert wird –, dann wird unser Kampf für Menschenrechte in Europa, in den USA und weltweit sehr viel schwieriger werden. Konkrete Schlussfolgerungen sind also: zumindest eine andere Flüchtlingspolitik und Ablehnung des Freihandelsabkommens. Das wären Initiativen an diesem bedeutsamen Tag. Ich lade Sie ganz herzlich ein: Lassen Sie uns das gemeinsam machen. Dann bekommen wir vielleicht auch eine andere Gesellschaftsordnung. Das ist dann mein Ding. Dann nehme ich gerne Ihre Unterstützung entgegen. Danke sehr. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Michael Brand, CDU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Michael Brand (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine gute Tradition, dass der Deutsche Bundestag am Tag der Menschenrechte eine Debatte zur Lage der Menschen auf unserem Planeten führt. Die heutige Debatte will ich dazu nutzen, als Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf konkrete Fälle im Bereich Menschenrechte und im Bereich humanitäre Hilfe hinzuweisen. Diese Beispiele werfen auch ein Licht auf die umfangreiche Arbeit in unserem Ausschuss, der von dem gemeinsamen Bemühen geprägt ist, den Krisen auf dieser Welt etwas entgegenzusetzen und die Menschenrechte zu stärken. Man kann diese Debatte heute nicht führen, ohne auf die großen humanitären Katastrophen im Irak, in Syrien und die Folgen für die Gesamtregion hinzuweisen. Aus Gesprächen mit Jesiden und auch mit Angehörigen der christlichen Minderheiten in den letzten Wochen möchte ich ausdrücklich auf die Situation in Syrien und im Irak hinweisen. Wir alle wissen, dass diese humanitären Katastrophen durch Krieg, Terror und Menschenrechtsverletzungen brutalster Art verursacht wurden. Wir alle spüren auch, dass wir mit den Mitteln Deutschlands und der EU sowie der internationalen Gemeinschaft an Grenzen stoßen, weil die Katastrophen erstens lange anhalten und zweitens dabei Millionen von Menschen betroffen sind. Zahlreiche Staaten in der Nachbarschaft sind in Mitleidenschaft gezogen, und eine rasche Lösung ist nicht in Sicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was folgt daraus für uns? Ich möchte zunächst die Frage damit beantworten, davor zu warnen, was es nicht geben kann: Es kann keinen kalten Zynismus geben, es darf keine Gewöhnung geben, und es darf auch keine Verzweiflung geben. – Die Antworten auf diese Krise bleiben schwer, und sie bleiben unvollständig. Dazu ist die Krise in ihrer Breite und ihrer Tiefe zu komplex und zu gefährlich, im Übrigen nicht nur für die Betroffenen, sondern mittelfristig und manchmal sogar kurzfristig auch für uns alle. Wir alle wissen, dass die Terrorgruppe IS nicht für den Islam steht, sondern dass sie die Welt ins dunkelste Mittelalter zurückbomben will, manche sagen sogar: in die Steinzeit. Wir alle wissen, dass der syrische Diktator Assad, der erheblich zum Erfolg der Terrorgruppe beigetragen hat, dieser in ihrer Brutalität kaum nachsteht. Damit stehen diejenigen, die den Opfern helfen wollen, nicht selten vor der Wahl zwischen Pest und Cholera. Das kann uns aber nicht davon abhalten, den Blick auf die Opfer zu richten. Der bevorstehende und zum Teil schon angebrochene Winter bringt für Millionen Flüchtlinge eine tödliche Gefahr. Die Kinder sind dabei neben den Kranken und den Alten am meisten gefährdet. Ich will Ihnen nicht vorenthalten, was mich weniger politisch als sehr persönlich mitgenommen hat. Eine Gruppe von Jesiden aus Köln, darunter übrigens langjährige deutsche Staatsbürger, hat mir vor wenigen Tagen von der Lage berichtet. Sie berichteten mir, dass der IS nach seinem brutalen Vorgehen die Jesiden im Sindschar-Gebirge nicht mehr aktiv bekämpft. Der IS hat sich stattdessen darauf verlegt, Tausende Flüchtlinge in das nackte Gebirge zu treiben und sie dort notfalls den Hungertod sterben zu lassen. Die Terrorgruppe hat ihren Terror rund um das für die Jesiden heilige Gebirge verbreitet und setzt darauf, dass Tausende unschuldiger Menschen dort oben – man muss es so drastisch sagen, wie es der IS auch meint – elendig verrecken. Als mir Jesiden vom Fall eines kleinen Kindes berichteten, das dort oben vor den Augen seiner Familie schmerzvoll und langsam an einem eigentlich behandelbaren Schlangenbiss sterben musste, weil inmitten des Terrors keine Hilfe möglich war, da war ich – das bekenne ich offen – auch persönlich betroffen. Wenn ein Vater sagt: „Ich hätte lieber meine Tochter angesteckt, als sie so elendig leiden und krepieren zu sehen“, dann ist das kaum zu ertragen. Ich sage es für mich und für die allermeisten hier im Haus ganz klar: Es ist nicht hinnehmbar, dass wir angesichts eines solchen mörderischen Treibens nur zuschauen. Es ist bei allen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Haushalt dringend geboten, dass wir noch vor der harten Winterzeit mehr als bisher mobilisieren, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) um nicht nach dem Winter viele Verstorbene beklagen zu müssen, deren Tod wir durchaus hätten verhindern können. Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe hat sich jüngst darauf verständigt, dass wir angesichts dieser besonderen Lage einen aktuellen Schwerpunkt auf die Debatte über die humanitäre Lage legen werden. Der jüngste Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland bietet einen sehr guten Anlass dazu, sich intensiver mit dieser in qualitativer und quantitativer Hinsicht neuen Herausforderung zu befassen. Die Antworten – das ist klar – werden sicher nicht einfach sein, und nicht jede Frage werden wir zufriedenstellend beantworten können. Aber es bleibt richtig, die Augen vor der Realität auch oder gerade dann nicht zu verschließen, wenn es besonders schwierig wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so ist es gut, dass Deutschland seinen humanitären Verpflichtungen in diesen Tagen vorbildlich nachkommt; auch das will ich in der Debatte unterstreichen. In einem einzigartigen Krisenjahr wie dem Jahr 2014 – man weiß ja gar nicht mehr, wo man hinschauen soll; es brennt an allen Ecken – belaufen sich allein die Mittel für humanitäre Hilfe in diesem Jahr auf weit über 400 Millionen Euro; das sind über 100 Millionen Euro mehr, als zu Beginn des Jahres im Haushalt standen. Es ist eine besondere Sache, wenn Bundesregierung und Bundestag in diesen Tagen noch mal eins draufpacken, um die Versorgung der Flüchtlinge in Syrien und den Nachbarländern vor dem Winter sicherzustellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein ärgerliches Thema will ich nicht aussparen. Besonders ärgerlich ist es nämlich – alle Fraktionen waren im Ausschuss in dieser Woche völlig zu Recht darüber empört –, dass das Ernährungsprogramm der Vereinten Nationen die Hilfe eingestellt hatte. Es muss auch von diesem Parlament ein Signal ausgehen: Wenn die UN trotz monatelanger Warnungen nicht rechtzeitig vor dem Winter die Versorgung der Opfer von Krieg und Massenmord sicherstellen können, dann ist das schlicht ein Armutszeugnis. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann nicht sein, dass auf Geberkonferenzen vollmundige Versprechungen im Sinne der Menschlichkeit abgegeben werden und dann einzelne Regierungen die Menschen in höchster Not im Stich lassen und ihre Zusagen nicht einhalten. Wir bitten die Bundesregierung ausdrücklich, den internationalen Partnern diese Haltung des Deutschen Bundestages zu vermitteln. Das geht so nicht, und das wollen wir im Sinne der Menschen nicht noch einmal erleben. Ich habe eben meine Anerkennung gegenüber der Bundesregierung ausgedrückt. Ich will ihr Respekt dafür zollen, dass sie auf nationaler Ebene, innerhalb der EU und im Rahmen der Vereinten Nationen bei denjenigen an vorderster Stelle steht, die versuchen, die Auswirkungen dieser gewaltigen Katastrophe auf die Menschen zu lindern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte bei dieser Gelegenheit einmal auf ein anderes Gebiet unserer Arbeit zu sprechen kommen, nämlich auf den konkreten Einsatz für Menschenrechte und politische Gefangene, den Abgeordnete des Deutschen Bundestages leisten. Viele von Ihnen kennen aus der eigenen Arbeit unser Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“. Dieses Programm haben wir aus guten Gründen auf Menschenrechtsaktivisten in aller Welt ausgeweitet. Der Einsatz von Abgeordneten für einzelne Verfolgte – das wissen wir – ändert nicht die gesamte Lage der Menschenrechte in einem Land. Aber es bleibt ein wichtiges Signal an Tausende und Abertausende unschuldig Inhaftierte, dass sich das Parlament eines der wichtigsten Länder in Europa und in der Welt mit darum kümmert, dass in den Kerkern von Diktaturen die Menschen nicht einfach vergessen werden. Denn es gilt immer noch der Satz: Wer dort vergessen ist, der ist auch verloren. – Ich bin deshalb sehr froh, dass es so viele Kolleginnen und Kollegen gibt, die mit dabei helfen, dass Menschenrechte und die Aktivistinnen und Aktivisten eben nicht vergessen werden. Dafür allen ein herzliches Dankeschön. Lassen Sie mich kurz ein aktuelles Beispiel konkret schildern. Vor wenigen Monaten hatte ich das Glück und die Ehre, die Mutter einer vietnamesischen Aktivistin hier in Berlin zu sprechen, deren Tochter im kommunistischen Vietnam ausgerechnet wegen ihres Einsatzes für die Rechte der Arbeiterschaft willkürlich inhaftiert worden war. Sie wurde im Gefängnis gefoltert und brutalen Behandlungen ausgesetzt. Es haben viele dazu beigetragen – die Bundesregierung, Abgeordnete des Deutschen Bundestags; ich nenne hier ausdrücklich unseren Kollegen Frank Heinrich, der vor Ort war und die Aktivistin im Gefängnis besucht hat –, diese tapfere Frau aus dem Gefängnis freizubekommen. Ich weiß, dass es viele Tausend Fälle gibt, die nicht so gut ausgegangen sind. Aber ich erwähne das Beispiel deswegen, weil es uns bei unserer Arbeit motiviert und zeigt, dass dieser Einsatz für einzelne Schicksale nicht sinnlos ist, sondern dass er notwendig ist. Inzwischen konnten wir hier in Berlin in der letzten Sitzungswoche die Tochter begrüßen. Sie hat mit Tränen in den Augen berichtet, dass sie nie geglaubt hätte, ihre Mutter wiederzusehen. Sie kämpft jetzt für ihre ehemaligen Mitinsassen. Auch dort sind wir weiter mit Unterstützung von Kollegen aus den Parlamenten und aus der Regierung dabei, diesen Frauen und Männern zu helfen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Damit konnten wir gemeinsame und lange Bemühungen zu einem glücklichen Ende führen. Wir müssen nicht stolz sein, dass dies gelungen ist. Aber wir dürfen uns freuen, dass unser Patenschaftsprogramm konkrete Erfolge für Menschenrechtler erreichen konnte. So nehme ich abschließend die Gelegenheit wahr, weitere Kolleginnen und Kollegen dazu einzuladen, sich an diesem wunderbaren Programm aktiv zu beteiligen. Melden Sie sich bei uns im Ausschuss für Menschenrechte! Wir helfen gern weiter, damit Sie anderen noch effektiver helfen können. Der Tag der Menschenrechte ist ein wichtiger Tag. Er ist nie nur ein Tag der Freude. Das liegt in der Natur der Sache. Dass wir im Deutschen Bundestag in jedem Jahr im Umfeld des Tages der Menschenrechte in würdiger Form eine Debatte um die Würde des Menschen führen, zeichnet das Thema und ein wenig auch dieses Parlament aus. Ich danke Ihnen ganz herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Es geht doch, Kollege Brand!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Tom Koenigs, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will nicht der Versuchung anheimfallen, jetzt urbi et orbi zu reden, obwohl der Tag dazu einlädt. Ich will ein ganz spezifisches Phänomen aufnehmen, das auf Englisch „shrinking space“, Verkleinerung des öffentlichen Raumes, heißt. Wir kennen alle das Agentengesetz aus Russland, das NGOs, die sich für Menschenrechte einsetzen und Geld aus dem Ausland kriegen, verpflichtet, sich als feindliche Agenten zu bezeichnen. Das empört uns. Sie müssen diese Bezeichnung auch an all ihre öffentlichen Äußerungen anfügen. Das diskreditiert Menschenrechtsverteidiger als Agenten. Leider ist dieses russische Gesetz nicht das einzige, das es gibt. Beispiel Äthiopien: Nichtregierungsorganisationen dürfen sich höchstens zu 10 Prozent aus dem Ausland finanzieren – das in einem Staat, der seinerseits zu 60 Prozent aus dem Ausland finanziert wird. Das Ergebnis eines solchen Gesetzes: Ein Jahr nach Inkrafttreten ist die Zahl der Nichtregierungsorganisationen um zwei Drittel geschrumpft. Oder ein Beispiel, das wir auch alle kennen: Ägypten. Die Arbeit der internationalen Stiftungen wird nicht nur beschränkt, sondern die Mitarbeiter werden wie im Fall der Konrad-Adenauer-Stiftung zu hohen Haftstrafen verurteilt. Glücklicherweise sind sie in diesem Fall inzwischen entlassen worden. Wir erinnern uns. Russland, Äthiopien, Ägypten. Das ist Ausdruck, weil es auch in vielen anderen Staaten so stattfindet, eines globalen Trends, nämlich dass der öffentliche Raum schrumpft oder geschrumpft wird. „Shrinking space“ nennt das der zuständige Rapporteur der Vereinten Nationen. Menschenrechtsverteidiger, Umweltaktivisten, soziale Akteure, Nichtregierungsorganisationen, Menschenrechtsinstitute – sie alle brauchen ihre Unabhängigkeit und die Öffentlichkeit. Das wird explizit oder implizit schleichend durch die Vorder- oder durch die Hintertür immer weiter verkleinert. Das Recht auf freie Meinungsäußerung – das steht in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – und das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden vielerorts durch staatliche Maßnahmen systematisch beschränkt. Der Sonderberichterstatter für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit der VN, Maina Kiai aus Kenia, schreibt, dass sich weltweit viele Staaten auf die Beschränkung und nicht auf die Garantie der Menschenrechte konzentrieren. Die Beschränkung kann durch Gesetze, durch finanzielle oder administrative Bestimmungen geschehen. In Ruanda kann sich ein Unternehmen in sechs Stunden registrieren lassen. Will man sich als NGO registrieren lassen, braucht man dafür mindestens sechs Monate. In Singapur, Malaysia und Myanmar darf man zwar in gewissen Grenzen friedlich demonstrieren; das gilt aber nur für die Einheimischen. Die Ausländer dürfen das nicht, obwohl die Menschenrechte doch für alle gelten. Ja, Bürgerbewegungen fordern den Staat heraus; das ist richtig. Ja, sie wollen ihm manchmal auch lästig fallen. Wer wüsste das besser als wir, Bündnis 90 und Grüne, die beide aus solchen Bürgerbewegungen hervorgegangen sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wohin seid ihr gegangen?) Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit dieser Gruppen immer weiter einzuschränken, beseitigt den Protest nicht, wie die Regierungen hoffen, sondern drängt ihn in den Untergrund, radikalisiert ihn und macht ihn dann manchmal zu einem Problem, das völlig ausufert. Ein typisches Beispiel ist Syrien. Dort hat es mit friedlichen Protesten im öffentlichen Raum angefangen. Dann ist, in dem Fall durch Scharfschützen, der öffentliche Raum beschränkt worden. Jetzt haben wir die Situation von Radikalisierungen auf allen Seiten, die völlig ausweglos ist. Wir wissen, dass das nicht einzelne – manchmal große, manchmal kleine – Fälle sind, sondern dass das ein weltweiter Trend ist. Menschenrechte zu verteidigen, heißt, Menschenrechtsverteidiger zu schützen vor willkürlicher Verhaftung, vor Verschwindenlassen, vor Folter und vor Mord. Es heißt aber auch, das System dahinter zu verstehen, die vielen kleinen Fußangeln, Steine und Steinchen zu erkennen, über die die Menschenrechtsverteidiger stolpern sollen. Dem Verkomplizieren, Diskreditieren, Enervieren, Aufreiben und schließlich Kriminalisieren zivilgesellschaftlichen Engagements und zivilgesellschaftlicher Institutionen im In- und Ausland entgegenzutreten, dem Trend zum Shrinking Space entgegenzutreten, ihn zu thematisieren, ihn zu erkennen und ihn zu kritisieren, das erfordert Durchblick und Mut. Die Menschenrechtsverteidiger auf der ganzen Welt haben das. Aber ich wünschte mir diesen Mut auch bei den Staatsbesuchen, bei den Regierungsverhandlungen, bei den Äußerungen auch von der Bundesregierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Karamba Diaby. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karamba Diaby (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Am 10. Dezember 1948 verkündete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Sie enthält in 30 Artikeln kulturelle, politische, aber auch wirtschaftliche Rechte. Hinzu kamen später der Zivilpakt und der Sozialpakt. Gemeinsam bilden sie die Bill of Rights. Ab 1979 kamen die Frauenrechts- und 1989 die Kinderrechtskonvention hinzu. Die heutige Debatte ist Gelegenheit, deutlich zu machen, wo der Schutz der Menschenrechte im Argen liegt und wie unsere eigene Rolle dabei aussieht. Als Bildungs- und Menschenrechtspolitiker richte ich heute den Fokus auf das eigenständige Menschenrecht auf Bildung. Als Berichterstatter für westafrikanische Staaten greife ich beispielhaft die Region Subsahara--afrika heraus, um die Frage zu beleuchten, wie wir dieses Recht auf Bildung tatsächlich verwirklichen können. Uns alle bewegt die Frage: Wie sieht es mit Deutschlands Rolle und Deutschlands Engagement in der Welt aus? Diese Diskussion wird vor allem vor dem Hintergrund militärischer Einsätze geführt; das haben auch meine Vorredner deutlich gemacht. Dabei dürfen wir den präventiven und vorsorgenden Charakter guter Entwicklungszusammenarbeit nicht aus den Augen verlieren. Mit den neuen Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung beschreitet Deutschland neue Pfade, und das ist gut so. Der Perspektivwechsel macht es möglich, unseren politischen Instrumentenkasten der Vielfältigkeit des afrikanischen Kontinents anzupassen. Damit erweitern wir unseren Blick auf Afrika und nehmen uns gezielt der Frage an, wie wir positive Entwicklungen unterstützen können. Die genannten Leitlinien der Bundesregierung sind ein klares Bekenntnis zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Bildung. „Bildung ist die mächtigste Waffe, die Welt zu verändern.“ (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieser Satz stammt von dem Friedensnobelpreisträger, dem ehemaligen Präsidenten Südafrikas, dem Menschenrechtler Nelson Mandela, der genau heute vor einem Jahr verstarb. Dieser Satz von Nelson Mandela hat nichts von seiner Aktualität verloren. Ich denke, es ist richtig, seiner an dieser Stelle zu gedenken. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Annette Groth [DIE LINKE]) Gute Bildung für alle ist der Schlüssel für eine bessere, selbstbestimmte Zukunft. Gute Bildung emanzipiert den Einzelnen und die Einzelne, sie fördert die Persönlichkeitsentfaltung und im besten Fall die Talente. Gute Bildung eröffnet Zukunftsperspektiven. In diesem Sinne hat gute Bildungspolitik einen demokratiestabilisierenden Effekt. Deshalb sollten wir gute Bildung weiterhin fördern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Was bedeutet also das Menschenrecht auf Bildung? Zunächst: Bildung soll jeden Menschen in die Lage versetzen, an der Gesellschaft teilzuhaben. Der Bildungs-begriff meint den allgemeinen Zugang zu Grundbildung. Das ist – ich betone das an dieser Stelle – nicht zu verwechseln mit Grundschulbildung. Dieses Recht auf Befriedigung der grundlegenden Bildungsbedürfnisse kennt keine alters- oder geschlechtsbezogenen Einschränkungen. Es umfasst lebenslanges Lernen und die Erwachsenenbildung ebenso wie den Zugang zu Sekundarschulen oder zu Hochschulen, je nach Fähigkeit. Meine Fraktion und ich unterstützen, dass Deutschland sich in den Afrikapolitischen Leitlinien deutlich zum universellen Zugang zu hochwertiger und relevanter Bildung bekennt und tatkräftig die bisherige Bildungszusammenarbeit intensivieren wird. Wir wollen den Schwerpunkt auf die Grundbildung legen. Ein deutsch-afrikanisches Jugendwerk nach französischem Vorbild ist ebenso Ziel wie die Einrichtung eines Fonds für Bildungsprogramme speziell für fragile Staaten. Auch im Bereich des Auf- und Ausbaus arbeitsmarktorientierter beruflicher Bildung wollen wir enger zu-sammenarbeiten und neue Ausbildungspartnerschaften einrichten. Denken Sie alleine an die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Äthiopien – das Land wurde in einem anderen Zusammenhang gerade schon genannt –: Hier beraten und unterstützen wir beschäftigungsfördernde Projekte. So waren allein im Jahr 2012 über 350 000 Schülerinnen und Schüler an mehr als 800 äthiopischen Berufsschulen eingeschrieben. Auch die Einzelförderungen über Stipendien wollen wir intensivieren. Ein Beispiel: Im Rahmen der deutsch-afrikanischen Zusammenarbeit steigt die Zahl der Stipendien kontinuierlich an. Alleine 2012 förderten wir über den DAAD mehr als 6 000 Stipendiatinnen und Stipendiaten. Hier wollen wir noch mehr Förderungen auf den Weg bringen. Daneben bestehen insgesamt nahezu 600 Hochschulkooperationen. Aktuell laufen 61 bi- und multilaterale Forschungspartnerschaften und Studienangebote. Das BMBF ist in allen afrikanischen Ländern bildungspolitisch engagiert. Mehr als zwei Drittel dieser Zusammenarbeiten entwickelten sich in den letzten Jahren. Alleine an diesem beispielhaften Ausschnitt zur Umsetzung des Menschenrechts auf Bildung auf dem afrikanischen Kontinent sehen wir: In vielen Ländern ist -Bildung ein Luxus und weit davon entfernt, als Menschenrecht realisiert zu werden. Deshalb meine ich: Der Mensch braucht nicht nur Nahrung für den Magen, sondern auch für den Kopf. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, Bildung zu exportieren. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Frank Heinrich, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Als Phirun am Strand erwacht, stehen Männer und Frauen um ihn herum und reden auf ihn ein. Er hustet, spuckt Wasser, fühlt den Sand im Gesicht. Er lebt. Phirun, 26, wohnte in einem Dorf nahe der Stadt Siem Reap, im Norden von Kambodscha, als ihn ein Mann aus dem benachbarten Thailand ansprach und ihm einen gut bezahlten Job in einer Konservenfabrik versprach. Bis zu 500 Baht könne er täglich verdienen, wenn er ein paar Überstunden mache, umgerechnet gut zwölf Euro. Für Phirun, der seit Jahren schlecht bezahlte Gelegenheitsjobs machte, war das ein verlockendes Angebot. Aber Phirun besaß keine Papiere und hatte kein Geld für die Reise nach Thailand. Der Mann erklärte, das sei kein Problem, er würde das alles schon organisieren. Anstatt misstrauisch zu werden, willigte Phirun ein. Immerhin musste er kein Geld an einen Schleuser zahlen. Anfang 2014 ließ er sich über die Grenze schmuggeln. Doch anstatt in einer Fabrik Ananas in Dosen zu füllen, fand er sich auf einem alten Fischkutter wieder, auf dem es an allen Ecken rostete. Menschenhändler hatten ihn an den Schiffsbesitzer und Kapitän verkauft, für umgerechnet 300 Euro. „Man sagte mir, dass ich dafür zwei Monate ohne Lohn arbeiten müsse“, erzählt Phirun. Doch auch danach sah er kein Geld. Stattdessen wurden er und andere junge Männer an Bord geschlagen und mussten täglich 15 Stunden und mehr arbeiten, sieben Tage die Woche, ohne Aussicht auf Urlaub. … Neun Monate lang war Phirun Sklave an Bord eines thailändischen Fischkutters. „Wir legten nie in einem Hafen an. Lebensmittel und sonstigen Nachschub brachte uns ein anderes Schiff, ebenso neues Personal.“ Phirun berichtet, dass ein Sklave, der sich einen Arm gebrochen hatte, über Bord geworfen wurde. „Der Kapitän sagte uns: ‚Wenn ihr euch weigert zu arbeiten, blüht euch auch dieses Schicksal.‘ Dabei hatte der sich gar nicht geweigert zu arbeiten, sondern war verletzt.“ Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Dieses Beispiel – aktualisiert im Spiegel vor zwei Tagen – zeigt: Es gibt eine Riesenspanne zwischen den Erklärungen und Vorsätzen und der Wirklichkeit in unserer Welt. Es gibt eine ganze Menge zu tun, um die Menschenrechte global durchzusetzen. Und doch hat die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte eine große richtungsweisende und rechtliche Bedeutung. Deshalb lohnt es sich, ganz kurz zurückzuschauen, wie sich die Menschenrechte entwickelt haben; denn wir reden über ein globales Phänomen. Der Weg, der zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geführt hat und der sehr lang war, der sich aber gelohnt hat, darf hier nicht zu Ende sein; denn es liegt noch eine Menge Arbeit vor uns. Gestatten Sie mir eine kurze Rückschau. Die Geschichte der Menschenrechte begann 2 000 vor Christus in der Antike, also vor 4 000 Jahren, mit dem Gesetz des Hammurabi in Babylonien. In der Bibel finden wir nicht nur die zehn Gebote, sondern auch den prägenden Begriff der Ebenbildlichkeit Gottes. Das war 600 vor Christus. In Athen, im vierten Jahrhundert vor Christus, gab es die Bürgerrechte, allerdings, wie wir alle wissen, nur für eine eingeschränkte Personengruppe. Meilensteine waren die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten 1776 und die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte im Jahr 1789. Danach gab es verschiedenste Abkommen, zum Beispiel die Genfer Konventionen. 1948 wurde dann die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Warum 1948? Das war eine Reaktion auf „die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte“, die „zu Akten der Barbarei geführt“ hatten. So steht es in der Präambel. Wir wissen, dass das sehr nahe bei uns geschah. Die Botschaft des Artikels 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte lautet: „Alle Menschen sind frei und an Würde und Rechten gleich geboren.“ Diese Erklärung wurde am 10. Dezember 1948 in Paris – anlässlich dessen führen wir diese Debatte – verabschiedet. Aus dieser Erklärung erwuchsen verschiedenste Instrumente und Konventionen. Zwei davon möchte ich nennen – jeder von uns hat seine Schwerpunkte, und es ist gut, wenn wir uns fokussieren –: Erstens: die 1969 – ein Jahr nach dem Tod von Martin Luther King – verabschiedete Anti-Rassismus-Konvention. Diese Errungenschaft führte unter anderem dazu, dass die USA inzwischen einen afroamerikanischen Präsidenten haben. Dort – in Klammern gesetzt – ist das Thema noch lange nicht erledigt, wie wir in den letzten Tagen und Wochen immer wieder gehört haben. Zweitens: die Frauenrechtskonvention von 1979. Gleichberechtigung wurde vorher schon in den Konventionen erwähnt, aber bis heute hat sie sich nicht wirklich bis zum Ende durchgesetzt. Denken wir hier nur noch einmal an den Sklavenhandel und an das Schicksal von Herrn Phirun. Eurostat sagt, dass in unseren 28 EU-Mitgliedsländern – also nicht irgendwo, sondern hier, unter und bei uns – in den Jahren 2010 bis 2012 über 30 000 Opfer von Menschenhandel registriert wurden – 80 Prozent davon weiblich. Ich komme nun zu Deutschland: Welche Instrumente zum Messen unserer Leistungen – auch der Deutsche Bundestag und wir als Politiker müssen Rechenschaft ablegen – gibt es? Sie kennen vielleicht den bekannten Spruch von McKinsey – er wurde auch von anderen zitiert –, der in der Wirtschaftswelt eine Selbstverständlichkeit ist: „What you can measure you can manage!“ Übersetzt heißt das: Mit dem, was man messen kann, kann man auch etwas bewegen. Wir haben Rechenschaft abzulegen gegenüber den Vereinten Nationen – dem Menschenrechtsrat, dem Hochkommissar –, dem Europarat und der Europäischen Union. Auch das von Ihnen angesprochene DIMR ist unter anderem eine kritische Instanz nach innen. Der vor zwei Tagen herausgegebene 11. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang ebenfalls zu erwähnen. Ich habe es eben schon gesagt: Wir alle haben Schwerpunkte, bei denen wir uns einbringen. Wenn wir in den Spiegel schauen, dann müssen wir uns fragen: Wo müssen wir noch besser werden? Ich zitiere von der Webseite des Auswärtigen Amtes: Die Bundesregierung betrachtet den Einsatz für Menschenrechte als eine Querschnittsaufgabe, die alle Politikfelder durchzieht. Erstes Beispiel: die Wirtschaftspolitik. Wir brauchen faire – möglicherweise fairere als bisher – Handelsabkommen. Wie weit das gehen muss, werden wir noch weiter diskutieren. Zweites Beispiel: die Außen- und Verteidigungspolitik. Wir brauchen Frühwarnsysteme – nicht nur im humanitären Bereich. Drittes Beispiel: die EU-Politik. Wir brauchen in kritischen Situationen ein Eintreten für eine – aktueller kann es nicht sein – gemeinsame Flüchtlingspolitik und für gemeinsame Standards. Hier tun wir viel; einer meiner Kollegen hat das vorhin gesagt. Aber wir tun das manchmal viel zu leise. Dies zeigt ja auch der Zeitpunkt der Debatte ein wenig. Wir können uns an Kampagnen beteiligen, wie Michael Brand vorhin gesagt hat, als er die Patenschaften erwähnte. Ein Beispiel ist die Kampagne „Human Rights Challenge“ anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte. In der nächsten Woche werden viele von Ihnen dazu etwas zugesandt bekommen, zum Beispiel auch ein entsprechendes Logo. Anstatt mit irgendwelcher Werbung herumzurennen, kann man ja auch dieses Logo zeigen. Beantworten Sie die Frage, warum Sie dafür sind! Wenn es im Netz ist, dann leiten Sie es weiter! Unterstützen Sie diese Kampagne! Was können wir tun? Wir können in unserer Medienlandschaft besser hinhören und vielleicht auch die Medien auffordern, die unangenehmen Nachrichten noch mehr in den Mittelpunkt zu stellen. Es gibt inzwischen vier Krisen der Stufe 3, und über maximal drei Krisen wissen die meisten Bürger Bescheid. Wir können zum Beispiel den Organisationen, die im humanitären Bereich aktiv sind, den NGOs und den vielen Ehrenamtlichen, die sich auch um die Flüchtlinge in unserem Land bemühen – die Bandbreite reicht also vom globalen bis hin zum persönlichen Bereich –, unsere Wertschätzung sehr deutlich ausdrücken; denn das Engagement muss am Schluss aus der Mitte unserer Gesellschaft kommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Schließlich – wir alle sind auch Konsumenten – ist hier auch an unser Kaufverhalten zu denken. Es geht um unsere Bemühungen – sowohl im politischen als auch im privaten Bereich – in Bezug auf die Billig- und Hungerlöhne in der Textilwirtschaft, aber auch in Bezug auf Fischereiprodukte; hier können wir etwas tun. In der letzten Woche waren Vertreter der Environmental Justice Foundation bei mir. Sie haben deutlich gemacht, dass das Schicksal von Herr Phirun kein Einzelfall ist, sondern dass Schiffe vor Thailand teilweise jahrelang solche Sklaven an Bord haben. Wenn unser Fisch möglichst exotisch und zugleich möglichst billig sein soll, werden Menschen wie Phirun weiterhin als Sklaven arbeiten müssen. (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Heinrich, achten Sie bitte auf die Zeit und setzen einen Punkt. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Ich komme zum Ende. Immer wieder höre ich den Satz, dem ich formell und deutlich widersprechen möchte: Was macht es denn für einen Unterschied, wenn ich etwas tue? (Beifall bei der CDU/CSU) Es macht einen Riesenunterschied. Die geplagten Menschen brauchen diese Botschaft. Das ist ein wichtiges Signal. Am schlimmsten finde ich es, wenn wir das am Schluss gar nicht wissen wollen und uns nicht die Zeit nehmen. Denn es ist unbequem, dies zu hören. Vielleicht schlafen wir das eine oder andere Mal schlechter, und wir müssten ja etwas tun. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 31 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kordula Schulz-Asche, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation von Opfern von Menschenhandel in Deutschland Drucksache 18/3256 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Menschenhandel ist eines der schlimmsten Menschenrechtsverbrechen, das in unserem Lande stattfindet. 500 bis 1 000 Verdachtsfälle zählt das Bundeskriminalamt jedes Jahr. Das betrifft den Handel mit Menschen, deren Arbeitskraft ausgebeutet wird oder die sexuell ausgebeutet werden. Wenn wir Menschenhandel bekämpfen wollen, dann müssen wir von den Opfern des Menschenhandels her denken, ihre Rechtsposition schützen und sie stärken. Dem dient der Gesetzentwurf, den wir heute vorgelegt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, wir fordern, dass Menschenhandelsopfern unabhängig von ihrer Aussagebereitschaft und unabhängig davon, ob sie eine Strafanzeige gestellt haben, ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland zugesprochen wird. Denn für viele Menschenhandelsopfer ist es aufgrund der Situation ihrer Familie, ihrer Kinder, ihrer Eltern oder ihrer Geschwister im Heimatland nicht möglich, einfach zur Polizei zu gehen und die Täter anzuzeigen. Wenn wir das nicht durchbrechen und nicht dem Opferschutz Vorrang vor dem Interesse an der Strafverfolgung der Täter einräumen, werden wir die überwiegende Anzahl der Täter auch nicht fassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das gegenwärtige Recht bindet den Aufenthaltstitel allein an die Aussage- und Zeugenbereitschaft der Menschenhandelsopfer. Wenn das Verfahren vorbei ist, dann ist der Aufenthaltstitel nicht mehr verlängerbar. Diesen Zustand müssen wir dringend ändern. Ich bin sehr enttäuscht, dass die Bundesregierung, Herr Schröder, in ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Aufenthaltsrechts, den sie in dieser Woche beschlossen hat, zwar vorsieht, dass nach einem Prozess unter Umständen aus humanitären Gründen oder aus Gründen des öffentlichen Interesses der Aufenthaltstitel verlängert werden kann. Menschenhandelsopfer, die nicht aussagen können, genießen danach aber überhaupt keinen Schutz. Damit werden viele Strafverfahren gegen die Täter vereitelt. Zudem schützen wir nicht wirksam und mit Rechtssicherheit die Rechtsposition der Opfer des Menschenhandels. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will Ihnen einmal zwei Lebensschicksale schildern, die zeigen, wie sich diese Rechtslage negativ auswirkt für die Opfer, aber auch für das Strafverfolgungsinteresse. Der Katholische Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit hat mir von einer jungen Frau erzählt, die mit 14 Jahren nach Deutschland gebracht und zur Prostitution gezwungen wurde. Als sie 17 Jahre alt war, wurde ein Ermittlungsverfahren gegen die Täter durchgeführt. Diese Frau bekam aber nur einen Aufenthaltstitel für sechs Monate. Zu der Angst um sich selbst, der Angst vor den Tätern, kam die Angst um ihren unsicheren Status. Das hat dieses Mädchen psychisch stark destabilisiert und hat dazu geführt, dass auch ihre Aussagen unzuverlässig waren, sodass die Staatsanwaltschaft gesagt hat: Diese Aussagen sind nicht verwertbar, wir müssen das strafrechtliche Ermittlungsverfahren einstellen. Ein zweiter Fall. Eine junge Frau namens Grace aus Nigeria, 19 Jahre alt, berichtete darüber, dass sie mit dem Versprechen, sie könne in Deutschland eine Ausbildung machen, etwas lernen und dann hier eine gute Arbeit finden, von einem Nigerianer nach Deutschland gelockt wurde. Als sie hier ankam, wurde ihr der Pass abgenommen und ihr eröffnet, sie schulde diesem Herrn nun 50 000 Euro. Sie wurde zur Prostitution gezwungen und arbeitete bei einer Bordellbetreiberin, über die sie selber sagte: Ich arbeitete für diese Madame bis zu meiner Festnahme. – Danach war sie in Abschiebehaft. Sie wurde 2009 nach Nigeria abgeschoben. Dort wurde sie von dem Umfeld des Täters bedroht und erneut bedrängt. Ihr wurde mitgeteilt, sie schulde ihm immer noch 20 000 Euro. Sie konnte nicht bezahlen. Daraufhin wurde ihre Familie unter Druck gesetzt, und sie wurde erneut nach Europa gebracht. Dort wurde sie wieder aufgegriffen und erneut abgeschoben. Vor der Abschiebung hatte sie fürchterliche Angst davor, was mit ihr passieren würde, wenn sie ohne die 20 000 Euro nach Nigeria zurückkommen würde. Solchen Menschen ist es nicht zuzumuten, bei uns auszusagen. Sie riskieren Leib, Leben und Freiheit, aber nicht nur von sich selbst, sondern auch von ihren Familienangehörigen. Wenn wir hier als Gesetzgeber nicht endlich ein Einsehen haben und diesen Menschen, weil sie Opfer eines Menschenrechtsverbrechens geworden sind, bedingungslos einen aufenthaltsrechtlichen Schutz geben, dann brauchen wir hier im Plenum auch nicht den Tag der Menschenrechte zu begehen. Vielmehr gehen wir dann in unserem Land sehenden Auges an den Opfern von Menschenrechtsverletzungen und ihren Nöten vorbei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Wir wollen, dass ein Aufenthaltsrecht gewährt wird. Wir wollen auch – das betrifft vor allen Dingen die Ausbeutung als Arbeitskraft –, dass es endlich einen Opferfonds gibt, aus dem die Menschen den ihnen vorenthaltenen Lohn bekommen können, unabhängig von der Frage, ob die Menschen oder die Unternehmen, die sie ausgebeutet haben, rechtlich belangbar sind. Dieser soll sich auch darum kümmern, dass dieses Geld eingetrieben wird. Wir wollen die Opfer besserstellen. Das verlangt von uns, die Menschenhandelsrichtlinie umzusetzen, was Deutschland skandalöserweise immer noch nicht getan hat. Wir müssen in diesem Zusammenhang schauen, wo es im Strafrecht Lücken gibt. Aber wir sollten nicht glauben, dass dieses Problem durch mehr Strafrecht zu lösen ist. Es ist nur zu lösen, wenn wir uns mit Empathie um die Opfer dieser Menschenrechtsverbrechen kümmern und ihren Status verbessern. Ich hoffe, dass wir anhand Ihres und unseres Gesetzentwurfes zu einer Lösung für die Opfer kommen. Wenn wir eine gute Lösung finden – das garantiere ich Ihnen –, werden wir das Dunkelfeld aufhellen und viele strafrechtliche Verfahren gegen die Täter mit Erfolg führen können. So werden wir in jeder Hinsicht eine Verbesserung der Menschenrechtslage für die vielen Frauen und auch Männer, die Opfer dieser Verbrechen werden, erreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Nina Warken für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nina Warken (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist eine traurige Realität: Menschenhandel und die systematische Ausbeutung der Opfer sind immer noch ein erhebliches Problem, auch bei uns in Deutschland. Skrupellose Täter, die in kriminellen Netzwerken weltweit agieren, machen sich die Not vieler Menschen aus ärmeren Ländern zunutze und locken sie mit falschen Versprechungen auf illegalen Wegen nach Europa. Was folgt, ist ein Leben voller Abhängigkeit, Erniedrigung und Armut. Damit ist Menschenhandel in der Tat ein komplexes Problem. In diesem Punkt gebe ich dem Gesetzentwurf der Grünen recht. Statt sich aber nur mit den Folgen zu beschäftigen, wollen wir als Union mit einem ganzheitlichen Ansatz die Ursachen des Menschenhandels bekämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Den Betroffenen hilft man doch damit am meisten, indem man dafür Sorge trägt, dass sie erst gar nicht Opfer werden. Als Union setzen wir uns deshalb für eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern ein, um dort die Lebensbedingungen zu verbessern. Dadurch verlieren die falschen Versprechungen der Menschenhändler bereits viel von ihrem Reiz. Gleichzeitig geht es in der Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern darum, dass kriminelle Schleuser und Menschenhändler schon dort strafrechtlich stärker verfolgt und bestraft werden. Auf diese Weise wollen wir dem Menschenhandel bereits in seinem Ursprung die Grundlage entziehen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dabei ignorieren Sie aber, dass bei der Polizei in diesen Ländern zum Teil Komplizen sind!) Ein nächster Schritt muss die konsequente Strafverfolgung in Deutschland sein. Nur wenn auch die Täter mit allen Mitteln des demokratischen Rechtsstaats hart bestraft werden, wird es am Ende weniger Kriminalität und weniger Opfer geben. Das Bundesinnenministerium und unsere Strafverfolgungsbehörden haben deshalb zahlreiche Initiativen wie gezielte Sonderermittlungen und grenzüberschreitende Kooperationen mit anderen EU-Ländern ins Leben gerufen. Trotzdem gab es 2013 im Bereich Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung rund 13 Prozent weniger Ermittlungsverfahren in Deutschland als im Vorjahr. Was im ersten Moment wie eine positive Entwicklung wirkt, geht leider nicht darauf zurück, dass etwa weniger Opfer oder Täter vorhanden wären. Nein, vielmehr fehlen viel zu oft ausreichende Anhaltspunkte, um ein Ermittlungsverfahren einleiten zu können. Häufig sind es die Opfer, die als einzige Zeugen sachdienliche Hinweise zu den Tätern liefern können. Ein effektives Strafverfahren durch unsere Gerichte ist mangels anderer Beweise oft gar nicht möglich. Deshalb ist die Mitwirkung der Opfer der Verbrechen, die zweifelsohne in vielen Fällen viel Leid und Gewalt erfahren haben, bei der Strafverfolgung von so entscheidender Bedeutung. Genau deshalb muss das weiterhin gesetzlich verankert bleiben. Wenn man wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf sagt, dass die Opfer von Menschenhandel aus Angst vor Repressalien besser nicht am Strafverfahren mitwirken sollen, hilft das nicht den Opfern, sondern nur den Tätern, die dann weiter ihre menschenverachtenden Geschäfte machen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Genau das gilt es doch mit allen Mitteln zu verhindern. Stattdessen müssen wir meiner festen Überzeugung nach mit allem, was wir hier beschließen, dazu beitragen, dass die Opfer ermutigt werden, gegen diejenigen auszusagen, die sie gequält und ausgebeutet haben, damit nicht andere dasselbe Schicksal erleiden müssen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie sie aber auch schützen!) In einem sind wir uns einig: Wir wollen und wir müssen mehr für die Opfer tun. In unserem Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung werden wir deshalb veranlassen, dass Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung nach der Mitwirkung im Strafverfahren ein Bleiberecht bekommen sollen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bekommen können! Das steht nicht im Gesetzentwurf!) Bisher hatten die Betroffenen nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht für den Zeitraum des Strafverfahrens. Mit der neuen Regelung soll die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis über die Beendigung des Strafverfahrens hinaus verlängert werden können. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können!) Eine Verlängerung kann es auch geben, wenn es zu keinem Strafverfahren kommt, weil etwa der Täter trotz der Mithilfe des Opfers nicht ermittelt werden kann. Ein weiterer Ansatz ist, dass im Rahmen eines Projekts des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zusammen mit verschiedenen Menschenrechtsorganisationen die zuständigen Mitarbeiter speziell geschult wurden, um Opfer von Menschenhandel früh zu erkennen. Damit soll erreicht werden, dass sie schnellstmöglich die notwendige Versorgung und einen besonderen Schutz erhalten. Für die Opfer bringen diese Neuregelungen und Maßnahmen erhebliche Verbesserungen. Mit ihnen bekommen sie eine Zukunftsperspektive in Deutschland aufgezeigt, frei von Zwang, Erniedrigung und Ausbeutung. Bei dieser Gelegenheit möchte ich aber auch klarstellen, dass Opfer von Menschenhandel schon heute ohne Mitwirkung am Strafverfahren ein Aufenthaltsrecht bekommen können, wenn dies aus persönlichen oder humanitären Gründen erforderlich ist. So und nicht anders fordert es übrigens auch die Europaratskonvention gegen Menschenhandel, die Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, in Ihrem Gesetzentwurf ansprechen. In der Konvention wird die Erteilung des Aufenthaltstitels ausdrücklich von der persönlichen Situation des Opfers abhängig gemacht. Ob diese einen Aufenthaltstitel erforderlich macht, muss die zuständige Behörde entscheiden. Das hat einen guten Grund; denn bei einem gesetzlichen Anspruch auf ein Aufenthaltsrecht, unabhängig von der Situation des Opfers, besteht die Gefahr, dass dies gezielt von Schleusern und Menschenhändlern ausgenutzt wird. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Scheinmenschenhandel, oder wie?) Ein solcher Anspruch könnte sie ermutigen, noch mehr Menschen mit der Aussicht auf ein Aufenthaltsrecht in Deutschland illegal ins Land zu bringen und auszubeuten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist perfide!) Das wäre nicht im Interesse der Opfer, und es kann damit auch nicht in unserem Interesse sein. Meine Damen und Herren, wir sind der Überzeugung, dass der vorliegende Gesetzentwurf der Grünen sich keineswegs dazu eignet, wirksam etwas gegen Menschenhandel zu tun. Wir als Koalition haben dagegen mit der Neuregelung des Bleiberechts, mit der verstärkten Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern und mit der frühzeitigen Erkennung der Opfer Gesetzesinitiativen und Maßnahmen auf den Weg gebracht, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, die den Opfern wirklich helfen und die gleichzeitig die Ursachen von Menschenhandel konsequent bekämpfen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass dieser Ansatz weiterverfolgt wird, indem wir nach dem Jahreswechsel den Gesetzentwurf zur Neuregelung der Aufenthaltsbeendigung und des Bleiberechts beschließen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN: Zu den Ursachen haben Sie nichts gesagt!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke begrüßt ausdrücklich die Initiative der Grünen, Opfer von Menschenhandel besser zu schützen. Sie sollen ohne weitere Bedingungen ein Bleiberecht erhalten. Bislang bekommen Menschenhandelsopfer nur dann eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis, wenn ihre Aussage im strafrechtlichen Verfahren benötigt wird. Dabei sieht eine Konvention des Europarates von 2008 ausdrücklich vor, ein Aufenthaltsrecht auch unabhängig von der Aussagebereitschaft der Opfer zu gewähren. Die Linke fordert hier, diese Konvention endlich vollständig umzusetzen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, auch die Grünen haben in der vergangenen Wahlperiode noch gefordert, das Aufenthaltsrecht von der Aussagebereitschaft abhängig zu machen. Das ändert aber nichts daran, dass wir uns ganz besonders freuen, dass sie jetzt eine ganz andere Position vertreten und dass im vorliegenden Gesetzentwurf weitere Verbesserungen enthalten sind, etwa bei der Opferentschädigung oder die Möglichkeiten, vorenthaltenen Lohn einzuklagen. Man muss hier ganz deutlich sagen: Die betroffenen Menschen sind in der Bundesrepublik Deutschland Opfer von schwersten Menschenrechtsverletzungen geworden. Viele wurden sexuell ausgebeutet oder regelrecht als Sklaven in der Gastronomie oder zum Teil auch auf Baustellen gehalten. Insofern haben wir hier eine besondere Verantwortung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im vergangenen Jahr hat die Polizei in Deutschland 542 Opfer von Menschenhandel ermittelt, davon 70 Kinder. Uns allen ist klar, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegt. Aber nur 87 Menschen hatten Ende 2013 eine Aufenthaltserlaubnis, weil sie als Opfer von Menschenhandel vor Gericht ausgesagt haben. Es gibt viele Gründe, warum diese Zahl so niedrig ist: Erstens endet die Aufenthaltserlaubnis, wenn das Strafverfahren beendet ist. Wenn dann die Abschiebung droht, besteht kein Anreiz, in einem Prozess auszusagen. Zweitens müssen die Opfer mit Racheakten gegen ihre Verwandten im Herkunftsland rechnen, wenn sie gegen die Täter aussagen. Drittens sind vor allem die Opfer von Zwangsprostitution häufig zutiefst traumatisiert. Sie sind nicht in der Lage, in einem Strafprozess ihren Peinigern gegenüberzutreten. All das spricht aus unserer Sicht für ein bedingungsloses Bleiberecht aus humanitären Gründen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Doch davon, meine Damen und Herren, liebe Kollegin Warken, ist die Regierungskoalition allerdings weit entfernt. Sie haben zwar, wie eben berichtet, am Mittwoch im Kabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, der in der Tat kleinere Verbesserungen vorsieht. Nach diesem Entwurf sollen die Ausländerbehörden stärker in die Pflicht genommen werden, solche Aufenthaltstitel zu erteilen. Außerdem wird die Möglichkeit geschaffen, auch nach einem Prozess ein Bleiberecht zu erhalten. Doch daran, die Aussagebereitschaft zur Bedingung für ein Aufenthaltsrecht zu machen, hält die Regierung leider fest. Der besondere Schutzbedarf von Kindern ist in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht berücksichtigt. Dabei sind Kinder die Opfergruppe – wir haben es vorhin in der Debatte gehört –, die am stärksten traumatisiert ist. Das Aufenthaltsrecht muss endlich der besonderen Verantwortung diesen Kindern gegenüber gerecht werden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ein Ausblick. Ich finde es schon interessant, dass in sechs EU-Staaten die EU-Richtlinie, in der die Erteilung eines Aufenthaltstitels vorgesehen ist, bereits umgesetzt wurde. In sieben weiteren EU-Staaten können die Behörden von der Anforderung, dass eine Aussage gemacht wird, absehen, wenn es die persönliche Situation der Betroffenen erfordert, beispielsweise infolge einer Traumatisierung. Ich meine, auch in Deutschland darf man die Opfer von Menschenhandel nicht länger im Regen stehen lassen. Es ist nicht nur ein politisches, sondern auch ein humanitäres Gebot, diesen Menschen, denen hier größtes Unrecht geschehen ist, tatkräftig unter die Arme zu greifen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Dr. Eva Högl das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Menschenhandel ist ein abscheuliches Verbrechen und ein klarer Verstoß gegen Menschenrechte. Menschenhandel, das ist sexuelle Ausbeutung. Menschenhandel, das ist auch Ausbeutung der Arbeitskraft. Im Bereich Menschenhandel, mit und durch Menschenhandel, wird viel Geld verdient – das wissen wir –, und Menschenhandel hat ein jahrelanges Leid der Opfer zur Folge. Deswegen sind wir uns hier im Hause, denke ich, einig, dass wir für die Opfer von Menschenhandel etwas tun müssen, und das nehmen wir uns hier gemeinsam auch fest vor. Wir müssen Menschenhandel, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur national, sondern auch international wirksam und engagiert bekämpfen. Deswegen ist es gut, dass wir internationale Verpflichtungen haben: das UN-Zusatzprotokoll, die Europaratskonvention und seit 2011 auch die EU-Richtlinie. Ich will das auch hier ganz deutlich sagen: Natürlich ist es peinlich – wir, die wir hier heute Nachmittag zusammensitzen, wissen das auch –, dass Deutschland die Europaratskonvention bisher noch nicht ordentlich umgesetzt hat und auch die Richtlinie noch nicht umgesetzt hat. Genau daran arbeitet diese Regierungskoalition. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben in Deutschland schlimme Fälle von Menschenhandel; wir wissen das. Wir wissen auch, dass wir die Opfer bisher nicht ausreichend schützen und dass wir die Täter in viel zu geringem Maß und nicht wirksam verurteilen. Deswegen haben wir uns im Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode vier Punkte vorgenommen: Wir wollen die Opfer besser schützen, und das werden wir auch tun. Wir wollen das Strafrecht überarbeiten, um Täter wirksam bestrafen zu können. Wir wollen vor allen Dingen die Arbeitsausbeutung stärker in den Fokus nehmen; denn die ist viel zu wenig in der Diskussion. Wir wollen, damit wir legale Prostitution von Zwangsprostitution besser unterscheiden und Zwangsprostitution besser bekämpfen können, eine strikte Trennung vornehmen und auch dort Verbesserungen erreichen. Ausgangspunkt – das haben Sie gesagt, Herr Beck – ist der Schutz der Opfer von Menschenhandel. Das ist der Ausgangspunkt all unserer Bemühungen. Deshalb ist es natürlich richtig und wichtig, das Aufenthaltsrecht zu verbessern. Wir waren zu Anfang der 17. Legislaturperiode mit dem Rechtsausschuss in den USA – Sie waren dabei, Frau Jelpke; Jerzy Montag, unser früherer Kollege, war dabei – und haben uns gemeinsam vorgenommen, wie die USA – das ist nämlich ein gutes Beispiel – ein umfassendes Aufenthaltsrecht für Opfer von Menschenhandel zu schaffen. Wir haben in den USA ganz kritisch nachgefragt: Kommen mehr Menschen dadurch in die USA, dass sie vorgeben, Opfer von Menschenhandel zu sein? Die Antwort war ganz klar und deutlich: Nein, das schafft keine Sogwirkung. Niemand erklärt sich zum Opfer von Menschenhandel und nutzt ein Aufenthaltsrecht dadurch aus. Das war für uns ein gutes Beispiel. Deswegen haben wir gemeinsam vereinbart, dass wir das Aufenthaltsrecht überarbeiten und dass wir für Opfer von Menschenhandel ein besseres, ein wirksames Bleiberecht in Deutschland schaffen. Genau das steht in dem Gesetzentwurf aus dem Bundesministerium des Innern, der am Mittwoch im Kabinett verabschiedet wurde. Dieser Entwurf enthält keine kleinen Verbesserungen, sondern ganz viele wichtige und ganz erhebliche Verbesserungen für die Opfer von Menschenhandel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das sind genau die Verbesserungen, die auch in dem Gesetzentwurf der Grünen und in dem Europaratsübereinkommen angesprochen werden. Ich will die fünf Punkte noch einmal hervorheben – sie sind alles andere als unwesentlich –: Wir gestalten das Bleiberecht in eine Sollvorschrift um. Außerdem gestalten wir das Bleiberecht so um, dass den Opfern von Menschenhandel der Aufenthalt nicht mehr nur für sechs Monate, sondern für ein Jahr gewährt werden soll. Es gibt außerdem eine Sollverlängerung des Bleiberechts nach dem Strafverfahren. Auch das ist eine deutliche Verbesserung. Wir haben zudem die Möglichkeit eines Familiennachzugs geschaffen. Ihn gab es bisher überhaupt nicht. Er war für Opfer von Menschenhandel ausgeschlossen. Der Familiennachzug ist für die Opfer jedoch sehr wichtig. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Nina Warken [CDU/CSU]) Und: Wir schaffen einen Zugang zu Integrationskursen. Auch das ist wichtig, weil wir die Opfer nicht nur wirksam schützen, sondern ihnen auch die Möglichkeit geben wollen, sich hier zu integrieren und länger hier zu bleiben. Ich freue mich auf die Beratungen dieses Gesetzentwurfes hier im Deutschen Bundestag, weil darin die wichtige Vereinbarung enthalten ist, die Opfer von Menschenhandel wirksam zu schützen. Am 28. November dieses Jahres haben wir im Bundesrat und vorher auch in diesem Hause eine weitere Verbesserung für Opfer von Menschenhandel erreicht. Wir haben sie nämlich komplett aus dem Geltungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes herausgenommen. Dafür hat sich die SPD-Fraktion sehr engagiert, und wir haben das gemeinsam vereinbart; auch der Bundesrat fand das richtig. Denn Opfer von Menschenhandel gehören nicht in den Geltungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes. Vielmehr sollen sie dann, wenn sie Sozialleistungen beziehen, diese auf Grundlage der normalen Sozialregelungen beziehen. (Beifall bei der SPD) Wir haben uns außerdem etwas vorgenommen, was ich schon angesprochen habe – Stichwort: wirksame Bestrafung der Täter –: Wir wollen die entsprechenden Regelungen im Strafrecht, insbesondere die §§ 232 und 233 Strafgesetzbuch, so überarbeiten, dass nicht mehr allein die Aussage der Opfer entscheidend ist für die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens, eines Strafverfahrens und für eine mögliche Verurteilung der Täter, -sondern die Gesamtumstände der Ausbeutung berücksichtigt werden. Damit werden die objektiven Tatumstände stärker herangezogen. Dadurch machen wir die Bestrafung der Täter etwas unabhängiger von der Aussage der Opfer, als es gegenwärtig der Fall ist. (Beifall bei der SPD) Eine letzte Bemerkung. Wenn wir Opfer besser schützen und Täter wirksamer bestrafen wollen, dann muss man sich hier im Haus, also im Bund, aber auch in den Ländern darüber im Klaren sein, dass wir dafür Geld in die Hand nehmen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir brauchen bessere Schulungen, beispielsweise der Grenzbeamten und der Behördenmitarbeiter. Wir brauchen Beratungsstellen. Wir brauchen Sensibilisierungskampagnen. Wir brauchen einen Zugang zu Bildung. Über die rechtlichen Regelungen hinaus, über die wir hier miteinander diskutieren, wird es erforderlich sein, die geplanten Schritte durch solche Maßnahmen zu ergänzen. Ich denke, das ist ein gutes Maßnahmenpaket für die Opfer von Menschenhandel bzw. zur Bekämpfung von Menschenhandel insgesamt. Wir schützen damit die Opfer besser, und wir bestrafen die Täter wirksamer. Ich würde mich freuen, wenn wir darüber diskutieren und es gemeinsam auf den Weg bringen würden. Denn in dem Paket der Koalition sind viele Punkte, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf aufführen, bereits enthalten oder sogar schon erledigt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die erledigten Punkte müssen Sie mir noch einmal erklären!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Volker Ullrich das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist im Grunde schon eine beschämende Situation: In den Minuten, in denen wir hier über Opfer von Menschenhandel diskutieren, werden in diesem Land Tausende von Menschen ausgebeutet. Sie müssen zum Zwecke eines unnatürlichen Gewinnstrebens dienen, und sie werden an Körper und Seele ausgebeutet. Wir in Deutschland sind stolz auf unseren Rechtsstaat, auf unsere Werte und Traditionen. Aber wir müssen selbstkritisch sagen: Wir haben es nicht geschafft – bislang nicht geschafft –, die Strukturen und Umstände von Menschenhandel in Deutschland wirksam zu bekämpfen. Das bleibt unsere Pflicht. Das Wort einer jungen Frau, die selbst Opfer von Menschenhandel war und ein Buch darüber geschrieben hat, soll uns zur Mahnung gereichen. Sie schreibt: Kein junger Mensch … verkauft gern seinen Körper. Doch wenn man diesen Weg erst einmal beschritten hat, führt er unaufhaltsam nach unten. Es wird dunkler, … und man sieht nirgendwo einen Ausweg. Es ist unsere Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Menschen, die Opfer von Menschenhandel sind, einen Ausweg sehen. Durch gesetzgeberische Maßnahmen müssen wir diesem Leid ein Ende bereiten und sicherstellen, dass der wehrhafte Rechtsstaat diesen Menschen zur Seite steht. Dafür stehen wir. Es ist richtig, dass der Gesetzentwurf der Grünen in vielen Punkten wahre Dinge anspricht, (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Dinge, die der Gesetzentwurf der Regierung in den nächsten Monaten anpacken und umsetzen wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht!) Interessant ist aber auch, das anzusprechen, was die Grünen nicht in ihren Gesetzentwurf geschrieben haben. Es gibt nämlich gerade auch im Bereich der sexuellen Ausbeutung Umstände, die ein Handeln von uns allen erfordern, und dieses Handeln fordern die Grünen gerade nicht ein. Es geht um das Handeln im Bereich der Prostitution, um eine Reform des Prostitutionsgesetzes aus dem Jahr 2002. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist denn das in Ihrem Gesetzentwurf zum Bleiberecht geregelt? Dazu haben wir doch andere Gesetze!) Ich mache Ihnen überhaupt keinen Vorwurf, dass im Jahr 2002 dieses Gesetzgebungsverfahren so über die Bühne ging. Es war sicherlich aus manchen Gründen gut gemeint. Aber es hat sich in der Realität als nicht gut erwiesen, deshalb muss der Gesetzgeber den Mut haben, dies anzusprechen und zu ändern. Wir wollen es ändern. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Genau! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach neun Jahren!) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Bemerkung oder Frage? – Bitte, Herr Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur damit das Hohe Haus bei der Chronologie durch Ihren Sachvortrag nicht durcheinanderkommt: Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir als Grüne schon 2002 eine Ausgestaltung des Berufs- und Gewerberechts der Prostitution für erforderlich gehalten haben und im Jahr 2013, als die schwarz-gelbe Koalition einen später im Bundesrat gescheiterten Versuch unternommen hat, die Menschenhandelsopferfrage zu regeln – wobei übrigens auf das Aufenthaltsrecht gar nicht eingegangen wurde, sondern nur auf das Strafrecht –, Änderungsanträge gestellt haben, um die gewerberechtliche Reglung der Prostitution vorzunehmen, die die Koalition jetzt auch im Grundsatz aufgegriffen hat? In vielen Details werden wir uns wahrscheinlich noch auseinandersetzen müssen, aber wir sind uns einig, dass wir Prostitutionsstätten gewerberechtlich durchregeln müssen. Der Kollege Uhl war damals bass erstaunt, dass von uns Anträge kamen, die offensichtlich in der damaligen Koalition nicht mehrheitsfähig gewesen sind. Wir sind sogar so weit gegangen – was in Ihren Reihen, glaube ich, jetzt auch diskutiert wird –, zu sagen: Wer als Freier vorsätzlich die Dienstleistung eines Menschenhandelsopfers ausnutzt, der muss dafür natürlich bestraft werden, weil er sich zum Täter macht und sich nicht darauf berufen kann, dass ihm jemand anderes das Menschenhandelsopfer zugeführt hat. Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir vielleicht schon etwas weiter waren als Sie, gezwungen durch Ihren Koalitionspartner in der letzten Legislaturperiode? – Sie müssen nur Ja sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Herr Kollege Beck, Ihre Rhetorik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie von völlig falschen Voraussetzungen ausgehen. Wenn Sie sich mit Opferverbänden, mit Personen unterhalten, die sich beruflich mit den Folgen des Menschenhandels beschäftigen, dann wird Ihnen unisono gesagt: Das rot-grüne Prostitutionsgesetz aus dem Jahr 2002 hat es erst ermöglicht, dass in Deutschland (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe mit sehr vielen gesprochen! Ich habe das nicht unisono gehört!) – Kollege Beck, Zuhören erleichtert manchmal die Findung der Realität – (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht, wenn Sie Falsches erzählen!) Hunderttausende von jungen Frauen in Bordellen ausgebeutet werden konnten, (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Vermischen Sie nicht alles!) weil man es aufgrund der laxen Rechtslage den Bordellbesitzern einfach gemacht hat, diese Menschen auszubeuten. Legale Prostitution lässt sich oftmals in einem Graubereich nicht von Zwangsprostitution trennen, deswegen tragen Sie Mitverantwortung für dieses Gesetz. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fakten- und sachwidrig ist Ihr Vortrag!) Daher wäre ich an Ihrer Stelle eher ruhig geblieben. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn in den letzten zehn Jahren gemacht? Die Verantwortung liegt doch bei Ihnen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit 2005 regieren Sie!) Wir wollen in diesem Hohen Hause die gesetzlichen Maßnahmen umsetzen, um zukünftig junge Frauen stärker vor sexueller Ausbeutung zu schützen. Dazu braucht es nicht allein eine Reform der Erlaubnispflicht von Bordellen. Es braucht auch eine Anhebung des Mindestalters auf 21 Jahre. Wir brauchen eine verpflichtende Beratung und verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen. Wir brauchen eine Abschaffung des eingeschränkten Weisungsrechts, und wir brauchen am Ende auch eine Änderung der Kultur in diesem Land. Körper sind keine Ware. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sexuelle Dienstleistungen!) Man kauft Menschen nicht. Der Respekt vor Menschen verbietet es, dass wir sexuelle Dienstleistungen als Ware ansehen. Es geht um Menschen, die oftmals vor dem Hintergrund einer legalen Fassade ausgebeutet wurden. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen die Prostitution verbieten! Dann sagen Sie es doch! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen also die Prostitution verbieten!) Das ist etwas, was wir nicht akzeptieren und tolerieren wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die Frage der Bekämpfung von Menschenhandel ist geprägt durch ein Mosaik von vielen Maßnahmen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man bei der Moral zu sehr aufdreht, landet man manchmal in der falschen Ecke!) Wir müssen stärker überwachen, dass Unternehmer Menschen nicht ausbeuten. Wir müssen zukünftig die Bordellszene in Deutschland stärker reglementieren, um damit die Opfer zu schützen. Wir müssen dieses Thema aber immer auch vor dem Hintergrund der Würde des Menschen betrachten. Dort, wo die Würde des Menschen verletzt ist, haben wir die Pflicht, zu handeln. Die Würde des Menschen ist die beste Idee, die wir haben. Deswegen ist das Handeln unsere allererste Pflicht. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie die Würde von Prostituierten schützen! Das ist auch Menschenwürde!) Dafür wollen wir kämpfen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Susanne Mittag hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Susanne Mittag (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskriminalamt vermeldete in seinem Bundeslagebild Menschenhandel 2013 – damit wollen wir wieder zu den Fakten kommen – 603 Opfer des Menschenhandels in Deutschland. 542 davon sind Opfer des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung geworden. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Frauen. Ihr Anteil beträgt 96 Prozent. Weiter registrierte das BKA 61 Opfer des Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft. Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann sieht man, dass es sich also in erster Linie um sexuelle Ausbeutung handelt. Insgesamt sind es 603 Menschen, die wie ein Handelsgut von Kriminellen über Staatsgrenzen hinweg verkauft und ausgenutzt werden. Diese Straftaten gehen oftmals mit Gewalttaten, Freiheitsberaubung, Schleusungs- und Fälschungsdelikten sowie anderen Delikten einher, also der gesamten Bandbreite organisierter Kriminalität. Das findet nicht in der Dritten Welt oder sonst wo statt, sondern hier in Deutschland. Das sind erschreckende Zahlen, aber sie zeigen leider nur die ermittelte Spitze des Eisbergs; denn das BKA listet nur die abgeschlossenen polizeilichen Ermittlungsvorgänge auf. Es gibt also noch jede Menge mehr. Es gibt ein riesiges Dunkelfeld. Vor diesem Hintergrund finde ich es gut, dass wir jetzt diese Diskussion führen. Ich finde es auch gut, dass Sie – damit meine ich die Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen – hier einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Situation von Opfern des Menschenhandels in Deutschland eingebracht haben. Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Diskussion darüber, wie es sein kann, dass Hunderte Menschen wie Sklaven verkauft und ausgebeutet werden – genau das findet nämlich dabei statt –, Hunderte oftmals unerkannt, Hunderte, vor denen wir als Gesellschaft die Augen verschließen. Sie leben mitten unter uns, mit falschen Versprechungen angelockt, in teils unwürdigen Unterkünften, müssen sich prostituieren oder werden als billige Arbeitssklaven ausgebeutet, werden um ihr Einkommen betrogen. Sie fühlen sich nicht nur alleine, sie sind es auch. Sie wissen oftmals nicht einmal, in welchem Land sie leben, da sie so häufig über Landesgrenzen hinweg verkauft werden. Sie trauen sich kaum, Hilfe bei staatlichen Stellen oder sonstigen Organisationen zu suchen; denn die staatlichen Behörden in ihren Herkunftsländern sind weiß Gott oftmals keine Hilfe. Das ist, denke ich, erschreckend und nicht länger hinnehmbar. Deswegen sind die Diskussionen, die heute und im Anschluss stattfinden, sehr gut und sehr wichtig. Wir als Große Koalition haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, den Opfern des Menschenhandels in Deutschland zu helfen. Das wollen wir jetzt tun. Die Bundesregierung hat am Mittwoch im Kabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. Dieser Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung wird uns bald hier im Bundestag beschäftigen, nicht nur heute, sondern auch im Rahmen einer größeren Diskussion. Ich gebe zu, dass wir als SPD uns für alle Opfer einen eigenständigen Aufenthaltstitel unabhängig von einer Aussage in einem Strafverfahren gewünscht hätten. (Beifall der Abg. Dr. Lars Castellucci [SPD] und Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Darüber müssen wir vielleicht noch ein bisschen verhandeln. Das haben wir nicht für alle, aber zumindest für minderjährige Menschenhandelsopfer erreicht; das ist doch schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Gleichwohl sind in diesem Gesetzentwurf jede Menge Verbesserungen enthalten: Eine Aufenthaltserlaubnis soll nun für ein Jahr erteilt werden bzw. verlängert werden bei Strafverfahren und soll nach Abschluss des Verfahrens aus humanitären oder persönlichen Gründen für zwei Jahre erteilt werden. Das waren vorher nur sechs Monate; das ist schon mal ein Riesenunterschied. Damit geben wir den Menschen hier eine aufenthaltsrechtliche Perspektive. Nur so können wir erreichen, dass die Opfer vielleicht doch bereit sind, in einem Prozess auszusagen; das ist nicht unbedingt zwingend. Verbessert wurde auch, dass die oben beschriebene Vorschrift zur Aufenthaltserlaubnis eine Soll- und nicht mehr eine Kannbestimmung ist; das ist ebenfalls ein riesiger Unterschied. (Beifall bei der SPD) Das schafft sehr wohl Klarheit und verbessert die Sicherheit der Betroffenen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber warum „soll“ und nicht „ist zu“? Das müssen Sie mir erklären!) – Da arbeiten wir noch dran. (Heiterkeit) Wir haben ja noch Zeit zum Diskutieren, da steigen wir noch ein. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bedeutet weiter Rechtsunsicherheit für die Betroffenen! – Gegenruf der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]: Ermessen!) Jetzt kommt der Punkt für Sie: Verbessert wurde auch der Familiennachzug der Opfer, schon während des Verfahrens. Herr Beck, das ist ganz wichtig für die Diskussion mit Ihnen; das fehlt nämlich gänzlich in dem Gesetzentwurf der Grünen. Der Familiennachzug ist aber entscheidend für die Opfer von Menschenhandel. 30 Prozent der Opfer geben laut Lagebericht des BKA an, dass auf ihre Aussagebereitschaft bei Polizei oder Gericht durch die Täter oder deren Umfeld eingewirkt wurde. Das ist nicht zu unterschätzen; denn „eingewirkt“ ist ein sehr milder Ausdruck für das, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich vorhin in meiner Rede angesprochen!) was da abgeht: dass entweder direkt, auf die Opfer selbst, oder indirekt, auf ihre Familien, eingewirkt wurde. Ich denke, jeder kann sich gut vorstellen, dass Frauen – ich erinnere an die Zahl, die ich zu Anfang genannt habe: 96 Prozent der Opfer von Menschenhandel sind Frauen – um die Sicherheit ihres Kindes besorgt sind, wenn sie wissen, dass ihr Kind in der Reichweite der Täter ist und bleibt, und das machen die Täter den Opfern auch sehr deutlich klar. Es ist also existenziell für die Opfer von Menschenhandel, mit ihren Familien in einem sicheren Umfeld – das heißt: nicht wieder in dem Dorf oder in der Gegend, aus der sie kamen – zusammen leben zu können. Es ist auch ein Gebot der Menschlichkeit, dass wir uns hier auch darum kümmern. (Beifall bei der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das haben wir in unserem Gesetz zur Verwirklichung des Schutzes von Ehe und Familie im Aufenthaltsrecht gefordert! Bundestagsdrucksache!) – Schön. – Und es hilft den Ermittlungsbehörden, weil dadurch die Bereitschaft der Opfer zur Aussage gegen die Täter wahrscheinlicher wird. Mit dem Familiennachzug nimmt man den Tätern ein erhebliches Druckpotenzial, endlich. Ich freue mich auf die anstehenden parlamentarischen Beratungen zu diesem Thema; sie sind ja heute schon ordentlich losgegangen. Ich denke, im Ziel – der Verbesserung der Situation der Opfer – sind wir uns parteiübergreifend einig. Ich bin mir sicher, dass wir hier im Parlament eine konstruktive Diskussion darüber führen werden, wie wir den Opfern von Menschenhandel insgesamt am besten helfen können. Vielen Dank für Ihre Mitarbeit schon mal im Voraus. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Christel Voßbeck-Kayser für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns eint in diesem Haus, dass wir die Notwendigkeit einer gesetzlichen Neuregelung zur Bekämpfung von Prostitution und Menschenhandel in Deutschland sehen. So sollte das Ergebnis auch konkrete Verbesserungsmaßnahmen für die Opfer von Menschenhandel zur Folge haben. Das von der rot-grünen Regierung 2002 eingeführte Prostitutionsgesetz – Ziel war die Einführung der Sozialversicherungspflicht – war sicherlich gut gemeint, hat aber vielen betroffenen Frauen nicht geholfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn der Anteil der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Prostituierten blieb minimal. Daher brauchen wir wirksame Entscheidungen für die Betroffenen. Liebe Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Sie beziehen sich in Ihrem Gesetzentwurf auf die Opfer von sexueller Ausbeutung und die Opfer von Ausbeutung der Arbeitskraft. Natürlich müssen die Opfer immer im Mittelpunkt stehen! Ohne die Opferhilfe, den Opferschutz geht es nicht. Aber der Staat kann nicht alles leisten. Deshalb möchte ich an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank den zahlreichen Organisationen, Vereinigungen und Initiativen in unserem Land aussprechen, die, getragen von hohem ehrenamtlichem Engagement, den Opfern direkte Begleitung, Hilfe und Unterstützung im Alltag zukommen lassen, die einfach zur Stelle sind, wenn sie gebraucht werden. Vielen Dank für diese Ihre Arbeit! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, aus unserer Sicht geht Ihr Entwurf jedoch nicht weit genug; denn er befasst sich nur mit einem Teilaspekt: Sie kümmern sich nur um die Nachsorge. Es geht aber auch um Prävention, also um Maßnahmen zur Verhinderung der Entstehung von Menschenhandel. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was ist in Ihrem Aufenthaltsgesetz dazu geregelt? Jetzt verlangen Sie doch nicht, dass alles in einem Gesetz geregelt wird! Machen Sie selber eins! – Gegenruf des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Lassen Sie einmal die Kollegin sprechen!) Sie wollen am Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Berichterstatterstelle für Menschenhandel schaffen. Das ist sicherlich eine Überlegung wert. Aber schaut man sich einmal in Ihrem Gesetzentwurf die Aufgabenbeschreibung für diese Stelle an, stellt man fest, es soll beobachtet werden, es sollen Daten erfasst und es soll über Geschehenes berichtet werden. Was hilft das bitte den Opfern? Aufgaben im Bereich der Präventionsarbeit sucht man in Ihrer Stellenbeschreibung vergebens. Warum soll diese Stelle im Bundesministerium für Arbeit und Soziales angesiedelt sein? Menschenhandel ist ein vielschichtiges und ein ressortübergreifendes Problem. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es Arbeitsausbeutung ist!) Wir haben es mit Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft zu tun. Hier ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefragt. Aber – das wurde heute festgestellt – ein großer Teil des existierenden Menschenhandels ist im Bereich der sexuellen Ausbeutung. Hier ist das Bundesfamilienministerium in der Pflicht. Auch dort wird an einem neuen Gesetz gearbeitet. Denken wir auch an den Menschenhandel zum Zweck des Organhandels. Dies fällt in das Ressort des Bundesgesundheitsministeriums. Menschenhandel ist ein grenzüberschreitendes Problem. Daher kann eine Bekämpfung nur gelingen, wenn im internationalen Bereich eng zusammengearbeitet wird. Somit sind auch das Auswärtige Amt und das Bundesentwicklungsministerium unbedingt mit einzubeziehen. Dies macht doch deutlich: Eine ressortübergreifende ganzheitliche Abstimmung ist unabdingbar. Und: Wir dürfen in den verschiedenen Ressorts keine Parallelstrukturen aufbauen, sonst entstehen nur Reibungsverluste. Deshalb mein Fazit: Wir brauchen im Sinne der Opfer und der Vielschichtigkeit von Menschenhandel ressortübergreifende Lösungen. Die Ursachen von Menschenhandel bekämpfen wir nur mit direkten Maßnahmen, so wie sie im Gesetzentwurf von Schwarz-Gelb noch im Jahr 2013 vorgelegt wurden. Dort ging es um die Änderung des Gewerberechts und des Strafrechts. Dies wurde aber im rot-grün dominierten Bundesrat verhindert. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Dies hilft den Opfern so nicht. Stützen und stärken wir doch besser alle gemeinsam die bestehenden Strukturen mit entsprechenden Gesetzen, statt einseitige und damit wenig wirksame neue Strukturen zu schaffen! (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich glaube, wir alle haben einen Ausblick auf die spannenden Aussprachen und Verhandlungen zu diesem Thema bekommen. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3256 an die an der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 17. Dezember 2014, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles Gute und, soweit es geht, einen schönen zweiten Advent. (Schluss: 15.49 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 5.12.2014 Bleser, Peter CDU/CSU 5.12.2014 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 5.12.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 5.12.2014 Daldrup, Bernhard SPD 5.12.2014 Freitag, Dagmar SPD 5.12.2014 Gabriel, Sigmar SPD 5.12.2014 Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 5.12.2014 Jung, Xaver CDU/CSU 5.12.2014 Kekeritz, Uwe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5.12.2014 Kermer, Marina SPD 5.12.2014 Dr. Launert, Silke CDU/CSU 5.12.2014 Lenkert, Ralph DIE LINKE 5.12.2014 Dr. von der Leyen, Ursula CDU/CSU 5.12.2014 Liebich, Stefan DIE LINKE 5.12.2014 Lösekrug-Möller, Gabriele SPD 5.12.2014 Lutze, Thomas DIE LINKE 5.12.2014 Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 5.12.2014 Meiwald, Peter BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5.12.2014 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5.12.2014 Mortler, Marlene CDU/CSU 5.12.2014 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 5.12.2014 Müntefering, Michelle SPD 5.12.2014 Dr. Nick, Andreas CDU/CSU 5.12.2014 Post (Minden), Achim SPD 5.12.2014 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 5.12.2014 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5.12.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 5.12.2014 Schön (St. Wendel), Nadine CDU/CSU 5.12.2014 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 5.12.2014 Strobl (Heilbronn), Thomas CDU/CSU 5.12.2014 Dr. Sütterlin-Waack, Sabine CDU/CSU 5.12.2014 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5.12.2014 Tillmann, Antje CDU/CSU 5.12.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5.12.2014 Wanderwitz, Marco CDU/CSU 5.12.2014 Weber, Gabi SPD 5.12.2014 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 5.12.2014 Zollner, Gudrun CDU/CSU 5.12.2014 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 928. Sitzung am 28. November 2014 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes – Drittes Gesetz zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes – Gesetz zur Einführung des Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (BRRD-Umsetzungsgesetz) Der Bundesrat hat hierzu ferner die folgende Entschließung gefasst: 1. a) Der Bundesrat begrüßt, dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene darum bemüht hat, die Belastungen von Landesförderbanken und Förderkrediten durch Beiträge zum Europäischen Abwicklungsfonds zu vermeiden oder zumindest gering zu halten. b) Der Bundesrat stellt jedoch fest, dass die Heranziehung der Landesförderbanken zu Beiträgen zum Europäischen Bankenabwicklungsfonds auf der Grundlage der im delegierten Rechtsakt der Europäischen Kommission vom 21. Oktober 2014 veröffentlichten Berechnungssystematik zu einer systemisch nicht -gerechtfertigten und dem Gesichtspunkt der Risikoproportionalität grob widersprechenden Belastung der Landesförderbanken führt. c) Der Bundesrat stellt weiterhin fest, dass durch eine Heranziehung von Landesförderbanken zum einheitlichen Bankenabwicklungsfonds öffentliche Mittel der Länder im erheblichen Umfang für die Abfederung von Risiken privater Geschäftsbanken verwendet werden. Der Bundesrat erkennt hierin einen Widerspruch zu der Zielsetzung der durch das vorliegende Gesetz umzusetzenden Richtlinie, zukünftig eine Belastung der öffentlichen Hand durch die Rettung von Banken zu vermeiden. d) Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich im EU-Ministerrat und im Europäischen Rat dafür einzusetzen, dass die Landesförderbanken durch Beiträge zum Europäischen Bankenabwicklungsfonds nicht oder wesentlich geringer belastet werden als durch den delegierten Rechtsakt der EU-Kommission vom 21. Oktober 2014 vorgesehen. 2. Der Bundesrat hält es für in hohem Maße problematisch, dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau von der Beitragspflicht zur Europäischen Bankenabgabe befreit ist, die Förderbanken der Länder hingegen einer Beitragspflicht unterliegen. Der Bundesrat weist darauf hin, dass auf Grund des risikoarmen Geschäfts und der spezifischen Eigentümerstruktur eine Beitragspflicht der Länderförderinstitute unter sachlichen Gesichtspunkten in keiner Weise gerechtfertigt ist. Der Bundesrat sieht die dringende Notwendigkeit einer grundlegenden Überarbeitung der Regelungen zur Beitragspflicht von kleinen und mittleren Kreditinstituten. Die vorgesehenen Erleichterungen für kleinste Institute werden für die Mehrzahl der regional tätigen Banken in Deutschland aller Voraussicht nach keine signifikanten Entlastungen zur Folge haben und daher ins Leere gehen. Der Bundesrat weist kritisch darauf hin, dass die von der Kommission vorgesehenen Regelungen die mangelnde Systemrelevanz der kleinen und mittleren Institute und die sich daraus ergebende Folge, dass diese Institute niemals Leistungen aus dem Abwicklungsfonds erhalten werden und damit lediglich zur Befüllung des Abwicklungsfonds beitragen, nicht ausreichend berücksichtigen und daher unverhältnismäßig sind. Der Bundesrat lehnt Doppelbelastungen ab, die sich für die durch ihre Institutssicherungssysteme im Bestand geschützten Sparkassen und Kreditgenossenschaften ergeben. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich auf europäischer Ebene für die Festlegung differenzierterer Regelungen einzusetzen, die dem Proportionalitätsprinzip entsprechen. 3. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, darauf zu achten, dass die Beitragserhebung zum europäischen Abwicklungsfonds zu keinen Wettbewerbsverzerrungen führt. Er befürwortet daher eine EU-weit steuerliche Gleichbehandlung. – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Beiträge – Gesetz zur Änderung des ESM-Finanzierungsgesetzes – Gesetz zur Änderung der Finanzhilfeinstrumente nach Artikel 19 des Vertrags vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus – Gesetz zur Verringerung der Abhängigkeit von Ratings – Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften – Zweites Gesetz zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes – … Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes – Gesetz zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen sowie zur Änderung des Rechtspflegergesetzes, des Gerichts- und Notarkosten-gesetzes, des Altersteilzeitgesetzes und des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung und zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 606/2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen – Gesetz zur Änderung mautrechtlicher Vorschriften hinsichtlich der Einführung des europäischen elektronischen Mautdienstes – Gesetz zu dem Dritten Zusatzprotokoll vom 10. November 2010 zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 – Gesetz zu dem Protokoll Nr. 15 vom 24. Juni 2013 zur Änderung der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Zudem hat der Bundesrat in seiner 928. Sitzung am 28. November 2014 gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3, Satz 4 bis 6 des Standortauswahlgesetzes Staatsminister Thomas Schmidt (Sachsen) als Nachfolger des ausscheidenden Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (Sachsen) zum Mitglied der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ und Minister Dr. Helmuth Markov (Brandenburg) als Nachfolger der ausscheidenden Ministerin a. D. Anita Tack (Brandenburg) zum stellvertretenden Mitglied der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gewählt. Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 25. bis 29. Juni 2012 in Straßburg Drucksachen 18/2945, 18/3108 Nr. 5 Ausschuss für Gesundheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten 2014 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche Drucksachen 18/1940, 18/2530 Nr. 3 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon Drucksachen 17/14601, 18/641 Nr. 25 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Umsetzung des Europäischen Semesters 2013 und der Europa 2020-Strategie unter besonderer Berücksichtigung der länderspezifischen Empfehlungen Drucksache 17/14622 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von -einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/822 Nr. A.7 Ratsdokument 5812/14 Drucksache 18/3110 Nr. A.1 EuB-BReg 74/2014 Drucksache 18/3110 Nr. A.3 EuB-BReg 80/2014 Drucksache 18/3110 Nr. A.5 EuB-BReg 86/2014 Innenausschuss Drucksache 18/1935 Nr. A.6 Ratsdokument 10208/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.14 Ratsdokument 10307/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.21 Ratsdokument 12315/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.22 Ratsdokument 12331/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.23 Ratsdokument 12332/14 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/3110 Nr. A.12 Ratsdokument 14028/14 Verteidigungsausschuss Drucksache 18/3110 Nr. A.13 EuB-BReg 76/2014 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 18/1935 Nr. A.15 Ratsdokument 10024/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.72 Ratsdokument 12150/14 Drucksache 18/2677 Nr. A.12 Ratsdokument 12646/14 Drucksache 18/2935 Nr. A.8 Ratsdokument 13442/14