Plenarprotokoll 18/76 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 76. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Roland Claus und Maria Michalk 7193 A Wahl der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich und Johann Saathoff als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates 7193 B Wahl der Abgeordneten Gülistan Yüksel als Schriftführerin 7193 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 7193 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 4 und 25 7194 B Nachruf auf den Abgeordneten Dr. Andreas Schockenhoff 7194 C Nachruf auf den Ministerpräsidenten a. D. Ernst Albrecht 7195 A Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat am 18./19. Dezember 2014 in Brüssel 7195 B Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin 7195 B Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) 7199 C Thomas Oppermann (SPD) 7202 D Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7205 C Volker Kauder (CDU/CSU) 7207 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7210 C Axel Schäfer (Bochum) (SPD) 7211 A Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) 7211 D Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7213 D Bernd Westphal (SPD) 7214 D Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) 7215 C Christian Petry (SPD) 7217 A Gunther Krichbaum (CDU/CSU) 7217 D Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) 7218 C Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7219 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Finanzhilfen zugunsten Griechenlands; technische Verlängerung und Fortführung der Stabilitätshilfe: Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes auf Verlängerung der bestehenden Finanzhilfefazilität sowie nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes, der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich vorsorgliche Finanzhilfe zu gewähren Drucksache 18/3532 7219 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF 7220 A Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7221 D Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) 7222 D Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) 7224 B Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) 7225 D Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7227 A Norbert Barthle (CDU/CSU) 7228 A Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) 7229 D Christian Petry (SPD) 7230 B Ewald Schurer (SPD) 7230 D Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7232 B Alois Karl (CDU/CSU) 7233 A Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Katja Dörner, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Gleichstellung verheirateter, verpartnerter und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft lebender Paare bei der Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung Drucksache 18/3279 7234 C Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7234 D Hubert Hüppe (CDU/CSU) 7235 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7236 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) 7238 A Mechthild Rawert (SPD) 7239 B Dr. Katja Leikert (CDU/CSU) 7241 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 7243 A Dirk Heidenblut (SPD) 7243 D Kathrin Vogler (DIE LINKE) 7244 C Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7245 C René Röspel (SPD) 7246 A Rudolf Henke (CDU/CSU) 7246 D Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 7247 D Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7249 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Tierzucht- und Abstammungsbestimmungen für den Handel mit Zuchttieren und deren Zuchtmaterial in der Union sowie für die Einfuhr derselben in die Union – KOM(2014) 5 endg. – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kennzeichnung von Zuchttieren und -materialien mit Klonabstammung im EU-Tierzuchtrecht verankern Drucksache 18/3557 7250 A Tagesordnungspunkt 27: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entscheidung der Konferenz von Doha vom 8. Dezember 2012 zur Änderung des Protokolls von Kyoto vom 11. Dezember 1997 zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Doha-Änderung des Protokolls von Kyoto) Drucksachen 18/3123, 18/3582 7250 C b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. März 2009 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die zentrale Zollabwicklung hinsichtlich der Aufteilung der nationalen Erhebungskosten, die bei der Bereitstellung der traditionellen Eigenmittel für den Haushalt der Europäischen Union einbehalten werden Drucksachen 18/3125, 18/3594 7250 C c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsabkommen vom 10. Juni 2013 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Regierung des Staates Israel andererseits (Vertragsgesetz Europa-Mittelmeer-Israel-Luftverkehrsabkommen – Euromed-ISR-LuftverkAbkG) Drucksachen 18/3255, 18/3534 7250 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Lena Strothmann, Artur Auernhammer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Wolfgang Tiefensee, Sabine Poschmann, Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Der deutsche Meisterbrief – Erfolgreiche Unternehmerqualifizierung, Basis für handwerkliche Qualität und besondere Bedeutung für die duale Ausbildung Drucksachen 18/3317, 18/3587 7251 B e)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 128, 129, 130, 131, 132 und 133 zu Petitionen Drucksachen 18/3428, 18/3429, 18/3430, 18/3431, 18/3432, 18/3433 7251 C Zusatztagesordnungspunkt 4: a)–e) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 134, 135, 136, 137 und 138 zu Petitionen Drucksachen 18/3568, 18/3569, 18/3570, 18/3571, 18/3572 7252 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur breiten Kritik unter anderem der EU-Kommission an der Einführung einer Infrastrukturabgabe in Deutschland 7252 C Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7252 C Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI 7253 D Herbert Behrens (DIE LINKE) 7256 B Sebastian Hartmann (SPD) 7257 C Steffen Bilger (CDU/CSU) 7259 A Sabine Leidig (DIE LINKE) 7260 C Christian Petry (SPD) 7261 B Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7262 B Ulrich Lange (CDU/CSU) 7263 D Andreas Schwarz (SPD) 7264 D Karl Holmeier (CDU/CSU) 7266 A Daniela Ludwig (CDU/CSU) 7267 A Michael Donth (CDU/CSU) 7268 A Tagesordnungspunkt 6: Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Drucksache 18/3547 7268 D Wahl 7269 B Ergebnis 7269 C Tagesordnungspunkt 7: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan Drucksachen 18/3246, 18/3583 7269 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3592 7269 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan 2014 – einschließlich einer Zwischenbilanz des Afghanistan-Engagements Drucksache 18/3270 7270 A Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg 7270 B Jan van Aken (DIE LINKE) 7271 B Rainer Arnold (SPD) 7272 A Henning Otte (CDU/CSU) 7274 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7274 D Jan van Aken (DIE LINKE) 7275 A Niels Annen (SPD) 7275 C Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7277 C Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) 7278 C Florian Hahn (CDU/CSU) 7279 C Namentliche Abstimmung 7280 D Ergebnis 7282 C Tagesordnungspunkt 8: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation -ACTIVE ENDEAVOUR im Mittelmeer Drucksachen 18/3247, 18/3584 7281 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3593 7281 B Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 7281 C Stefan Liebich (DIE LINKE) 7285 A Philipp Mißfelder (CDU/CSU) 7285 D Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7286 C Dirk Vöpel (SPD) 7287 C Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) 7288 B Julia Bartz (CDU/CSU) 7289 A Namentliche Abstimmung 7290 A Ergebnis 7291 D Tagesordnungspunkt 9: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: 20-Jahres-Bilanz der Bahnreform von 1994 bis 2014 Drucksachen 18/1500, 18/3266 7290 B Sabine Leidig (DIE LINKE) 7290 C Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI 7294 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7295 A Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7296 B Martin Burkert (SPD) 7297 B Sabine Leidig (DIE LINKE) 7298 A Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) 7299 A Sabine Leidig (DIE LINKE) 7299 D Martin Burkert (SPD) 7300 B Kirsten Lühmann (SPD) 7301 C Ulrich Lange (CDU/CSU) 7302 C Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu der Unterrichtung durch die Deutsche Welle: Aufgabenplanung der Deutschen Welle 2014 bis 2017 Drucksachen 18/2536, 18/3056, 18/3216 Nr. 3, 18/3595 7303 B Monika Grütters, Staatsministerin BK 7303 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 7304 D Martin Dörmann (SPD) 7306 A Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7307 A Martin Dörmann (SPD) 7307 C Thomas Silberhorn, Parl. Staatssekretär BMZ 7309 A Dagmar Freitag (SPD) 7309 D Marco Wanderwitz (CDU/CSU) 7310 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7311 A Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versorgungsausgleichsgesetzes Drucksache 18/3210 7312 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7312 D Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) 7313 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 7315 D Dennis Rohde (SPD) 7316 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 7317 D Sonja Steffen (SPD) 7319 A Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Stärkung der Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht im Bund durch Errichtung einer obersten Bundesbehörde Drucksachen 18/2848, 18/3598 7320 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 7320 D Jan Korte (DIE LINKE) 7321 D Gerold Reichenbach (SPD) 7323 A Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7324 C Marian Wendt (CDU/CSU) 7325 C Namentliche Abstimmungen 7327 A, 7329 D Ergebnisse 7327 C, 7334 A Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schutz von Kindern vor Schadstoffen in Spielzeugen wirksam durchsetzen Drucksachen 18/1367, 18/2717 7330 A Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung der Verwendung elek-trisch betriebener Fahrzeuge (Elektromobilitätsgesetz – EmoG) Drucksache 18/3418 7330 A Tagesordnungspunkt 15: a) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Iguala ist kein Einzelfall – Zur Menschenrechtslage in Mexiko Drucksache 18/3552 7330 B b) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Michael Leutert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Menschenrechte in Mexiko schützen, Verhandlungen zum Sicherheitsabkommen aussetzen Drucksache 18/3548 7330 C c) Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Irene Mihalic, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherheitsabkommen brauchen Standards Drucksache 18/3553 7330 C Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Teilumsetzung der Energieeffizienzrichtlinie und zur Verschiebung des Außerkrafttretens des § 47 g Absatz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Drucksache 18/3373 7330 D Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wiedereingliederung fördern – Gefangene in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbeziehen Drucksachen 18/2606, 18/2784 7331 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 7331 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 7332 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 7336 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7336 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) 7337 D Tagesordnungspunkt 18: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In-frastruktur – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Werner Kammer, Arnold Vaatz, Ulrich Lange, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gustav Herzog, Sören Bartol, Kirsten Lühmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung zukunftsfest gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn (Dresden), Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung konsequent fortsetzen Drucksachen 18/3041, 18/1341, 18/3536 7339 A b) Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sozialverträgliche Arbeitsverhältnisse und fristgerechte Nachbesetzung in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sichern Drucksache 18/3414 7339 A Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) 7339 B Herbert Behrens (DIE LINKE) 7340 B Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD) 7341 B Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7342 B Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) 7343 C Johann Saathoff (SPD) 7344 A Tagesordnungspunkt 19: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für mehr Kontinuität der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) Drucksachen 18/3042, 18/3462 7345 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3463 7345 A Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes Drucksachen 18/3254, 18/3586 7345 B Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundespost Drucksache 18/3512 7345 C Nächste Sitzung 7345 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 7347 A Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages teilgenommen haben 7347 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Finanzhilfen zugunsten Griechenlands; technische Verlängerung und Fortführung der Stabilitätshilfe: Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes auf Verlängerung der bestehenden Finanzhilfefazilität sowie nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes, der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich vorsorgliche Finanzhilfe zu gewähren (Zusatztagesordnungspunkt 2) 7350 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Markus Paschke (SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan (Tagesordnungspunkt 7) 7351 A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Omid Nouripour und Manuel Sarrazin (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan (Tagesordnungspunkt 7) 7351 C Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan (Tagesordnungspunkt 7) 7352 C Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation ACTIVE ENDEAVOUR im Mittelmeer (Tagesordnungspunkt 8) 7353 A Anlage 8 Erklärung nach § 31 Absatz 2 GO des Abgeordneten Jörn Wunderlich (DIE LINKE) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wiedereingliederung fördern – Gefangene in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbeziehen (Tagesordnungspunkt 17) 7353 B Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Schutz von Kindern vor Schadstoffen in Spielzeugen wirksam durchsetzen (Tagesordnungspunkt 13) 7353 B Mechthild Heil (CDU/CSU) 7353 B Marcus Held (SPD) 7354 D Karin Binder (DIE LINKE) 7356 A Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7356 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung der Verwendung elektrisch betriebener Fahrzeuge (Elektromobilitätsgesetz – EmoG) (Tagesordnungspunkt 14) 7357 B Steffen Bilger (CDU/CSU) 7357 B Andreas Rimkus (SPD) 7358 B Thomas Lutze (DIE LINKE) 7359 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7360 A Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMVI 7360 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Iguala ist kein Einzelfall – Zur Menschenrechtslage in Mexiko – Menschenrechte in Mexiko schützen, Verhandlungen zum Sicherheitsabkommen aussetzen – Sicherheitsabkommen brauchen Standards (Tagesordnungspunkt 15) 7362 A Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) 7362 B Frank Schwabe (SPD) 7362 D Heike Hänsel (DIE LINKE) 7364 D Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7365 C Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin AA 7366 D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Teilumsetzung der Energieeffizienzrichtlinie und zur Verschiebung des Außerkrafttretens des § 47 g Absatz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Tagesordnungspunkt 16) 7367 D Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 7367 D Dr. Nina Scheer (SPD) 7369 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 7369 D Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7370 B Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für mehr Kontinuität der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) (Tagesordnungspunkt 19) 7371 A Jana Schimke (CDU/CSU) 7371 A Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 7371 D Dr. Martin Rosemann (SPD) 7372 C Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 7373 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7374 B Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes (Tagesordnungspunkt 20) 7374 D Oliver Wittke (CDU/CSU) 7374 D Florian Oßner (CDU/CSU) 7375 C Udo Schiefner (SPD) 7376 C Thomas Lutze (DIE LINKE) 7377 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7377 D Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundespost (Tagesordnungspunkt 21) 7378 C Norbert Brackmann (CDU/CSU) 7378 C Michael Frieser (CDU/CSU) 7379 B Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) 7379 D Frank Tempel (DIE LINKE) 7381 A Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7381 C Inhaltsverzeichnis 76. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte ich zunächst dem Kollegen Roland Claus zu seinem heutigen 60. Geburtstag gratulieren und ebenso der Kollegin Maria Michalk, die am 6. Dezember ihren 65. Geburtstag gefeiert hat. Alle guten Wünsche im Namen des ganzen Hauses! (Beifall) Wir müssen noch eine Wahl von Vertretern der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates durchführen. Die SPD-Fraktion schlägt vor, für den Kollegen Dr. Karamba Diaby den Kollegen Dr. Rolf Mützenich als persönliches stellvertretendes Mitglied der Kollegin Doris Barnett sowie den Kollegen Johann Saathoff als persönliches stellvertretendes Mitglied der Kollegin Dr. Ute Finckh-Krämer zu berufen. Darf ich hierzu Ihr Einverständnis voraussetzen? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind der Kollege Dr. Mützenich und der Kollege Saathoff als persönliche stellvertretende Mitglieder in diese Parlamentarische Versammlung gewählt. Wir müssen auch noch eine Schriftführerwahl durchführen. Die SPD-Fraktion schlägt vor, für den Kollegen Burkhard Blienert die Kollegin Gülistan Yüksel als Schriftführerin zu wählen. Sind Sie auch damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Schließlich ist interfraktionell vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Folter durch die USA und ihre Folgen für den weltweiten Kampf um Menschenrechte (siehe 75. Sitzung) ZP 2 Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Finanzhilfen zugunsten Griechenlands; technische Verlängerung und Fortführung der Stabilitätshilfe Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes auf Verlängerung der bestehenden Finanzhilfefazilität sowie nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes, der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich vorsorgliche Finanzhilfe zu gewähren Drucksache 18/3532 ZP 3 Überweisung im vereinfachten Verfahren Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Tierzucht- und Abstammungsbestimmungen für den Handel mit Zuchttieren und deren Zuchtmaterial in der Union sowie für die Einfuhr derselben in die Union KOM(2014) 5 endg. hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Kennzeichnung von Zuchttieren und -mate-rialien mit Klonabstammung im EU-Tierzuchtrecht verankern Drucksache 18/3557 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 27) a) Beratung der Beschlussempfehlung des Pe-titionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 134 zu Petitionen Drucksache 18/3568 b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 135 zu Petitionen Drucksache 18/3569 c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 136 zu Petitionen Drucksache 18/3570 d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 137 zu Petitionen Drucksache 18/3571 e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 138 zu Petitionen Drucksache 18/3572 ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur breiten Kritik unter anderem der EU-Kommission an der Einführung einer Infrastrukturabgabe in Deutschland ZP 6 Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierung Fortschrittsbericht zur Lage in -Afghanistan 2014 einschließlich einer Zwischenbilanz des Afghanistan-Engagements Drucksache 18/3270 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 4 – hier geht es um den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ – und 25 – Baukulturbericht 2014/15 – werden abgesetzt. Anstelle des Tagesordnungspunktes 4 soll der Antrag des Bundesministeriums der Finanzen mit dem Titel „Finanzhilfen zugunsten Griechenlands; technische Verlängerung und Fortführung der Stabilitätshilfe“ auf der Drucksache 18/3532 mit einer Debattenzeit von 60 Minuten aufgerufen und über ihn abgestimmt werden. Die Debattendauer der Tagesordnungspunkte 22 und 23 – das betrifft dann die morgige Tagesordnung – soll jeweils 60 Minuten und die Beratungszeit der Tagesordnungspunkte 24 und 26 jeweils 25 Minuten betragen. Sind Sie auch mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Regierungserklärung aufrufe, möchte ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben. (Die Anwesenden erheben sich) Wir trauern um unseren Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff, der am vergangenen Wochenende mitten aus dem Leben gerissen worden ist. Sein plötzlicher Tod hat uns alle erschüttert. Andreas Schockenhoff war 24 Jahre lang Mitglied des Deutschen Bundestages, ein politischer Weggefährte und vielen ein persönlicher Freund, auch über die eigene Fraktion hinaus. Über sich selbst hat er einmal gesagt: „Politik klärt nicht die letzten Fragen des Lebens. Sie darf Fehler machen, wenn sie zu Einsicht und Umkehr bereit ist. Mein Glaube gibt mir Kraft und Orientierung.“ Vielleicht erklärt sich aus dieser Einstellung seine innere Kraft auch in persönlichen Krisensituationen und der starke Rückhalt, den ihm die Menschen aus seinem Wahlkreis Ravensburg gaben, die ihn seit 1990 stets mit einem Direktmandat in den Deutschen Bundestag gewählt haben. Seit 2005 war Andreas Schockenhoff stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion in diesem Hause. Andreas Schockenhoff war ein leidenschaftlicher Außenpolitiker, dessen Interessen sowohl den westlichen wie den östlichen Partnern Deutschlands galten und der nicht auf einem Auge blind war, wenn die Wirklichkeit den eigenen Wunschvorstellungen nicht entsprach. Das fand seinen Niederschlag insbesondere in seinem herausragenden Engagement als Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentariergruppe, die er 20 Jahre lang geführt und geprägt hat. Ich habe in den letzten Tagen sehr persönliche Briefe und Anrufe vom amtierenden wie vom früheren Präsidenten der Assemblée nationale erhalten, vom französischen Botschafter hier in Berlin, von Weggefährten und Mitgliedern des französischen Parlaments, die die große Wertschätzung zum Ausdruck bringen, die er bei unseren französischen Freunden genossen hat, und die Betroffenheit deutlich machen, die unsere französischen Kolleginnen und Kollegen mit uns teilen. Ich möchte mich dafür herzlich bedanken. Sein nüchterner Blick für Wünsche und Wirklichkeiten prägte auch die Art und Weise, wie er das Amt des Beauftragten für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit ausübte. Seine frühen Hinweise auf demokratische und rechtsstaatliche Defizite in Russland wurden weder hier noch dort überall gerne gehört. Die Entwicklung Russlands zeigt leider, wie zutreffend seine Beobachtungen und wie berechtigt seine Warnungen gewesen sind. „Andreas Schockenhoff war ein Unbeugsamer und dabei vielleicht verletzlicher, als ein Mensch des öffentlichen Lebens zugeben darf“, hat eine Kollegin, die ihn gut kannte, in diesen Tagen in einem Nachruf geschrieben. Ihm gebühren unser Respekt und unsere Dank-barkeit für alles, was er in diesem Haus, für dieses -Parlament, für die Demokratie und für die Völkerverständigung über viele Jahre hinweg geleistet hat. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Seinen Kindern und allen Angehörigen spreche ich im Namen des ganzen Hauses unsere Anteilnahme aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, am vergangenen Wochenende ist auch Ernst Albrecht gestorben. Er gehörte über Jahrzehnte hinweg zu den herausragenden Persönlichkeiten der bundesdeutschen Politik und war ein leidenschaftlicher Demokrat. Als Ministerpräsident, der länger als alle seine Vorgänger und Nachfolger Niedersachsen regierte, hat er dieses Bundesland geprägt. Dies fand Anerkennung weit über die Parteigrenzen hinweg. Ernst Albrecht war ein Landesvater im besten Wortsinn. Er war grundsatzfest, zukunftsoffen, heimatverbunden und weltläufig zugleich. Seine Entscheidung, vietnamesischen Bootsflüchtlingen in Niedersachsen eine neue Zukunftsperspektive zu bieten, wird in besonderer Erinnerung bleiben. Sie war mehr als ein rhetorisches Signal der Humanität. Mit seinen Impulsen und Entscheidungen hat er die Landes- wie die Bundespolitik mitgestaltet. Wir haben Ernst Albrecht viel zu verdanken. Er wird unvergessen bleiben. Seinen Kindern und allen Angehörigen sprechen wir unsere Anteilnahme aus. Stellvertretend will ich das Ihnen gegenüber, liebe Frau von der Leyen, tun. Ich danke Ihnen. (Die Anwesenden nehmen wieder Platz) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 18./19. Dezember 2014 in Brüssel Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 96 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Jahr 2014 war ein Jahr des Gedenkens an schreckliche und glückliche Momente in der deutschen und europäischen Geschichte. Wir haben uns an den Ausbruch der beiden Weltkriege und ihre furchtbaren Folgen erinnert, aber eben auch an den Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren als Symbol für die friedliche Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas. Jeder, der gesehen hat, wie am Abend die Ballons entlang der früheren Berliner Grenze aufgestiegen sind, wird diesen Moment so schnell nicht vergessen. Welch großes Glück die europäische Einigung ist, das dürfen wir vor dem Hintergrund der Geschichte Europas wie auch vor dem Hintergrund aktueller Krisen und Kriege niemals vergessen. Mir ist das gestern noch einmal bewusst geworden, als ich in einer Videoschaltung mit sechs Standorten verbunden war, an denen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sowie Polizistinnen und Polizisten Dienst tun, überall auf der Welt. Dabei war ganz offensichtlich, dass wir in Europa großes Glück haben. Frieden, Freiheit und Wohlstand sind alles andere als selbstverständlich. Stets aufs Neue müssen wir für sie eintreten. Wir müssen unsere Werte schützen und verteidigen. Deshalb werden wir auch beim letzten Europäischen Rat in diesem Jahr wieder über die Lage in der Ukraine sprechen. Das Ende des Kalten Krieges hat es ja vor 25 Jahren den Staaten Mittel- und Osteuropas ermöglicht, selbstbestimmt ihren eigenen Weg zu gehen. Wenn wir heute zuließen, dass diese Selbstbestimmung wieder aufgegeben werden könnte, dann würde das nichts anderes bedeuten als eine erneute Einteilung Europas in Einflusssphären, ja, eine Spaltung Europas. Das wäre ein erheblicher Rückschritt für die Ukraine, aber es wäre eben auch ein erheblicher Rückschritt für die europäische Sicherheit und für Europa insgesamt. Deshalb können wir das nicht zulassen, und deshalb werden wir das auch nicht zulassen. Das Miteinander in Europa ist auf Partnerschaft, auf Recht und auf Respekt gegründet, eben nicht auf Einflusssphären. Die Prinzipien Partnerschaft, Recht und Respekt wollen wir auch im Verhältnis zu Russland wahren, und wir werden alles daransetzen, dass sie auch im Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine zum Tragen kommen; denn das Ziel unseres Handelns ist und bleibt eine souveräne und territorial unversehrte Ukraine, die über ihre eigene Zukunft selbst entscheiden kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben in diesem Jahr erfahren, dass dies Geduld und einen langen Atem braucht. Militärisch ist dieser Konflikt nicht zu lösen. Unser Handeln setzt deshalb erstens darauf, die Ukraine weiter zu unterstützen, politisch wie wirtschaftlich. Dabei erwarten wir nach den Wahlen nun auch von der Ukraine entschiedene Schritte zur Modernisierung der Wirtschaft, zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und zur Bekämpfung der Korruption. Gerade jetzt im Winter geht es aber nicht zuletzt auch darum, die humanitäre Hilfe zu verstärken. Der Ukraine muss es ermöglicht werden, eigene Hilfslieferungen ohne Gefahr auch in die von den Separatisten kontrollierten Gebiete im Osten des Landes zu bringen. Zweitens suchen wir unverändert und unvermindert den Dialog mit Russland. So haben der französische Präsident François Hollande, der ukrainische Präsident -Petro Poroschenko, der russische Präsident Wladimir Putin und ich vorgestern in einem gemeinsamen Telefonat die Bedeutung eines umfassenden Waffenstillstands noch einmal betont, eines Waffenstillstands, wie er ja bereits im Minsker Abkommen vom September vorgesehen ist. Um hierbei endlich Fortschritte zu erzielen, setzen wir jetzt auf ein rasches Treffen der Kontaktgruppe aus Russland, der Ukraine sowie der OSZE. Das Ziel unseres Handelns ist und bleibt die Durchsetzung der Stärke des Rechts gegen das vermeintliche Recht eines Stärkeren. Das Ziel ist und bleibt: europäische Sicherheit gemeinsam mit Russland, nicht gegen Russland. Wir wollen die Kontakte zwischen unseren Gesellschaften weiter vertiefen. Gerade Andreas Schockenhoff, um den wir heute trauern, hat dies immer wieder getan und versucht. Wir wollen uns gemeinsam den Herausforderungen für die internationale Sicherheit stellen, von denen es wahrlich genug gibt. Doch allein können wir diesen Weg nicht beschreiten. Es kommt auf Russland an, darauf, ob es unser Angebot des Dialogs auf der Grundlage der Werte der europäischen Friedensordnung aufgreift. Solange wir dieses Ziel noch nicht erreicht haben, bleibt drittens, dass auch Sanktionen weiterhin unvermeidlich sind. Ich will jedoch noch einmal betonen: Selbstzweck waren sie nicht und sind sie nicht. Meine Damen und Herren, das Jahr 2014 war auch das Jahr der Europawahlen, die im Mai stattfanden. Sie haben eins gezeigt, nämlich dass die Menschen von der Europäischen Union nicht erwarten, dass sich die Europäische Union für alles zuständig fühlt. Vielmehr haben sie ein klares Signal gegeben, dass sich die Europäische Union auf das Wesentliche, auf die großen Zukunftsfragen konzentrieren möge, die ein Land allein in dieser globalen Vernetzung nicht mehr bewältigen kann. Deshalb ist es von so großer Bedeutung, dass der Europäische Rat im Juni erstmals eine strategische Agenda für die nächsten fünf Jahre beschlossen hat – gemeinsam mit der Kommission, in großer Übereinstimmung mit dem Europäischen Parlament. Diese strategische Agenda setzt genau dieses Signal. Die große Herausforderung der kommenden Monate und Jahre bleibt, Europa zu neuer und vor allem auch wirtschaftlicher Stärke zu führen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die europäischen Institutionen werden dies nur gemeinsam, also mit vereinter Kraft, erreichen. Vor sechs Jahren nahm die weltweite Finanzkrise in den USA ihren Anfang. Ihr folgte kurz darauf mit der europäischen Staatsschuldenkrise die schwerste Krise Europas in unserer Generation. Wir haben diese Krise im Griff, aber wir haben sie eben nicht endgültig überwunden. Es ist so, wie ich es wieder und wieder gesagt habe: Es gibt keine schnellen und es gibt keine einfachen Lösungen. Es gibt auch nicht den einen Paukenschlag, der all diese Probleme über Nacht und auf Dauer aus der Welt schaffen würde. Die Überwindung dieser Krise geht nur Schritt für Schritt. Vor allem gelingt dies nur dadurch, dass wir die Ursachen bekämpfen. Man kann sagen, dass wir auf diesem Weg schon viel geschafft haben. Wir haben einen dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus eingerichtet, mit dem wir Gefahren für die ganze Euro-Zone künftig viel besser abwenden können. Es gilt dabei die Regel, die ich für absolut richtig halte: keine Leistung ohne Gegenleistung. Anders gesagt: Wer die gemeinsam verabredeten Reformschritte umsetzt, kann in Europa, jedenfalls im Euro-Raum, auf die Solidarität aller bauen. Damit helfen wir den von der Krise betroffenen Mitgliedstaaten, und wir helfen uns selber, nämlich der Euro-Zone als Ganzes. Wir haben die wirtschafts- und haushaltspolitische Überwachung einschließlich des Stabilitäts- und Wachstumspakts gestärkt – im Übrigen in langen und vielen Diskussion. Wir haben den Fiskalvertrag beschlossen, um die Grundlage für dauerhaftes Vertrauen in die Euro-Zone wiederherzustellen. Wir haben seit November in Europa eine gemeinsame Bankenaufsicht. Wir haben die Situation, dass zum Jahresanfang 2015 die gemeinsame Bankenabwicklungsbehörde ihre Arbeit aufnimmt. Der gemeinsame Abwicklungsfonds wird ab nächstem Jahr schrittweise errichtet. Wir können Bankenkrisen besser vorbeugen, und wir können den Menschen vor allen Dingen sagen: Nicht der Steuerzahler wird zuerst zur Kasse gebeten. Darauf mussten wir hinarbeiten. Das waren wir den Menschen nach der Finanzkrise schuldig, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir können außerdem feststellen, dass in den von der Krise besonders betroffenen Ländern die Wettbewerbsfähigkeit steigt, die Leistungsbilanzdefizite sinken, Haushaltsdefizite abgebaut werden. Mit Irland, Portugal und Spanien haben drei von fünf Ländern ihre Hilfsprogramme erfolgreich abgeschlossen. Auch wenn noch viel zu tun bleibt, sind auch in Griechenland die Aussichten wesentlich besser als vor zwei Jahren. Dies alles wäre nicht möglich gewesen ohne entschlossenes Handeln der einzelnen Länder und ohne entschlossenes und solidarisches gemeinsames Handeln auf europäischer Ebene. Aber wir sind noch nicht am Ziel; denn die wirtschaftliche Erholung bleibt fragil. Vor allem die Arbeitslosigkeit, allen voran die der jungen Menschen, ist in Teilen Europas immer noch viel zu hoch, und die Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion hat nach wie vor Schwachstellen. Aber ich bin mir sicher: Wenn wir weiter entschlossen handeln, dann werden wir am Ende feststellen können, dass Europa aus dieser Krise stärker hervorgegangen sein wird, als es in sie hineingegangen ist. Dies ist und bleibt auch der Anspruch der Bundesregierung. Dazu genügt es nicht, die immer noch in vielen Ländern spürbaren Folgen der Krise zu bekämpfen. Vielmehr müssen wir, um zukünftige Krisen zu verhindern, vor allem auch die Krisenursachen beseitigen. Deshalb braucht es einen umfassenden Ansatz für diese Krisenbewältigung und eine Krisenvorsorge. Diesen Ansatz haben wir von Anfang an konsequent verfolgt, aber er muss jetzt fortgesetzt werden. Dabei bleiben drei Bausteine gleichermaßen wichtig. Erstens. Die wachstumsfreundliche Konsolidierung muss fortgesetzt werden. Dass 2013 das durchschnittliche Haushaltsdefizit im Euro-Raum mit 2,9 Prozent erstmals seit 2008 wieder unter der Maastricht-Grenze gelegen hat, zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Meine Damen und Herren, ich will in diesen Tagen, wo die Zinsen besonders niedrig sind, noch einmal daran erinnern, welche Sorgen wir hatten, als in vielen Ländern der Euro-Zone die Zinsen mehr als doppelt und dreifach so hoch waren, wie sie heute sind. Es ist deshalb entscheidend, dass wir auch die Regeln des gestärkten Stabilitäts- und Wachstumspaktes glaubwürdig anwenden; denn nur so kann der Pakt seine Funktion erfüllen. Seine Funktion war ja nicht nur, die Regelungen umzusetzen, die damit getroffen wurden, sondern vor allem auch Vertrauen aufzubauen, um zu zeigen, dass wir verantwortlich handeln. Wir werden die Kommission auch in Zukunft in der Wahrnehmung dieser Verantwortung für die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes unterstützen. Zweitens. Wir brauchen Strukturreformen für Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung. Gut funktionierende Arbeitsmärkte, wettbewerbsfähige Produktmärkte und eine effiziente öffentliche Verwaltung sind für uns alle eine Daueraufgabe. Nur so können wir im globalen Wettbewerb mithalten; denn – das spürt man immer wieder – die Welt wartet nicht auf Europa. Wenn wir unser europäisches Modell, ein Modell, das wirtschaftlichen Erfolg und soziale Verantwortung in besonderer Weise verbindet, auch im 21. Jahrhundert zu dauerhaftem Erfolg führen wollen, dann müssen wir uns weiter und zum Teil auch mehr anstrengen, jeden Tag aufs Neue. Wir sehen Dynamik in vielen Wirtschaftsräumen der Welt. Deshalb sind wir gefordert. Dass die Wirtschaft eines Landes, wie zum Beispiel in Irland, das diesen Weg der Reformen in den letzten Jahren sehr konsequent gegangen ist, heute kräftig wächst, dass die Investitionen anziehen und die Arbeitslosigkeit Schritt für Schritt zurückgeht, zeigt, was entschlossenes Handeln bewirken kann. Drittens: die Förderung von Wachstum, Beschäftigung und Investitionen. Wir tun dies auf nationaler Ebene, und wir investieren damit nicht nur in eine gute Zukunft Deutschlands, sondern wir leisten damit natürlich auch einen Beitrag zu einer guten Zukunft Europas. Denn jeder Mitgliedstaat der Wirtschafts- und Währungsunion – das ist ja die Lehre aus der Krise – trägt Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern gleichzeitig auch immer für die gesamte Euro-Zone und für die Europäische Union als Ganze. Deshalb müssen wir unserer Gesamtverantwortung gemeinsam gerecht werden, indem wir die nationalen Anstrengungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung von europäischer Seite so gut wie möglich unterstützen. Dafür müssen wir zum einen die bestehenden Instrumente nutzen, die wir auf europäischer Ebene bereits beschlossen haben: Wir haben seit 2012, ausgehend vom Pakt für Wachstum und Beschäftigung, eine Vielzahl von Maßnahmen und Elementen auf den Weg gebracht; das zeigt sich auch in der neuen mittelfristigen Finanziellen Vorausschau. Aber wir prüfen eben auch, was darüber hinaus jetzt noch getan werden muss. Genau das wird im Mittelpunkt des heute und morgen stattfindenden Europäischen Rates stehen. Dafür brauchen wir, zusammen mit den anderen Bausteinen, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja, was jetzt?) eben auch Maßnahmen für Investitionen; wir brauchen Maßnahmen zum Abbau von Bürokratie. Beides wird auf der Tagesordnung stehen. Aus all diesen drei Bausteinen entsteht dann unsere Gesamtstrategie. Der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat Ende November seinen Investitionsplan für Europa vorgestellt, mit dem in den nächsten Jahren erhebliche zusätzliche Investitionen mobilisiert werden sollen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das wird richtig rumsen!) Es gibt eine gemeinsame Taskforce von Kommission, Europäischer Investitionsbank und Experten der Mitgliedstaaten. Sie hat sich die Investitionsentwicklung in Europa sehr genau angeschaut. Sie hat Investitionshemmnisse und mögliche Lösungsansätze aufgezeigt und hat begonnen, sich auch mit einzelnen Projekten der Mitgliedstaaten zu befassen. Wirtschaftsminister Gabriel und Finanzminister Schäuble haben vor zwei Wochen zusammen mit ihren französischen Kollegen eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Auch ich werde noch einmal mit dem französischen Präsidenten darüber sprechen, was wir – gerade Deutschland und Frankreich gemeinsam – zu diesen Investitionsprojekten beitragen können. Denn wir wissen: Wenn Deutschland und Frankreich gemeinsam klare Vorstellungen haben, (Zuruf des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dann ist das gut für Europa. Wir haben jetzt eine gute Grundlage für die heute beginnenden Beratungen. Aber für mich sind folgende Punkte entscheidend: Es sind und bleiben die Unternehmen, die Arbeitsplätze und Innovationen schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es muss also vor allem um die Mobilisierung privater Investitionen gehen. Ich begrüße deshalb ausdrücklich, dass dies auch die zentrale Stoßrichtung der Vorschläge von Jean-Claude Juncker ist. Es muss darüber hinaus sichergestellt werden, dass zusätzlich mobilisierte Mittel sinnvoll und effektiv eingesetzt werden. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt! Aber nicht mit den 90 Milliarden, die Sie aufgeschrieben haben!) Wir müssen in Zukunftsbereiche investieren. Es müssen Zukunftsbereiche sein, die der strategischen Agenda, die wir im Juni beschlossen haben, entsprechen. Dazu gehören zum Beispiel die digitale Wirtschaft, kleine und mittlere Unternehmen, der Energiebereich, gegebenenfalls die Elektromobilität, (Zurufe der Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) also Dinge, mit denen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern, meine Damen und Herren. Wir müssen in Zukunftsprojekte investieren, also in Projekte, die wirtschaftlich sinnvoll sind und die nachhaltiges Wachstum fördern. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit haben die Maßnahmen Ihrer Bundesregierung aber nichts zu tun! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Worte und Taten nicht zusammenpassen! Deshalb! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Weil wir die Liste gesehen haben!) Ich unterstütze die Idee, die Europäische Investitionsbank zu nutzen, um Projekte auszuwählen, die genau diese Kriterien erfüllen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das tut sie gerade nicht! – Weitere Zurufe des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist nämlich wichtig, den Weg über die Europäische Investitionsbank zu gehen, weil nur so sichtbar wird, wo es rentable Projekte gibt, bei denen auch privates Kapital mit einsteigt. Die Politik kann diese Auswahl nicht treffen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) obwohl Sie ja offensichtlich Interesse daran haben. Wir in der Bundesregierung stellen uns vor, dass die ausgewählten Projekte so rasch wie möglich in einem Projektbuch sichtbar werden, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sehr gut! – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja absurd!) damit nachverfolgt werden kann: Was wird jetzt wirklich umgesetzt? Was ist der Mehrwert eines solchen Investi-tionsprogramms? – Ich erinnere uns einmal an die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“, bei denen sehr schön sichtbar gemacht wurde: Wie kommen wir voran? – Da konnte man das jederzeit nachvollziehen. Nicht zuletzt bleibt die Stärkung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Wachstum, national wie europäisch, ein entscheidender Faktor. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch grotesk!) Das bedeutet Strukturreformen in den Mitgliedstaaten. Aber es bedeutet eben auch, dass wir uns auf europäischer Ebene überlegen: Was sind die wichtigen Rechtssetzungsvorhaben? Ich bin sehr froh, dass sich die Kommission in einem ersten Anlauf an die 70 Projekte vorgenommen hat und gefragt hat: Brauchen wir sie noch – wir verhandeln darüber seit Jahren, und es gibt immer noch Widerstände –, oder können wir sie nicht von der Tagesordnung nehmen und durch andere Projekte ersetzen? Ich begrüße das außerordentlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein wichtiger Rahmen, um immer wieder zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten die notwendigen Strukturreformen durchführen, ist das sogenannte Europäische Semester. Auch Deutschland bekommt hier länderspezifische Vorgaben. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, es geht jetzt vor allem um die Streichung von Sozial- und Umweltstandards!) Wir werden uns weiter damit befassen, wie wir diese bestmöglich umsetzen können. Es geht natürlich auch um wichtige europäische Rechtssetzungsakte. Ich will es wiederholen: Gerade bei der Digitalen Agenda werden die notwendigen Investitionen in die Breitbandstruktur allein nicht reichen, wenn nicht der richtige rechtliche Rahmen gesetzt ist. Dazu gehören das Telekommunikationspaket und die Datenschutz-Grundverordnung, über die intensiv verhandelt werden muss. Wir werden darum ringen müssen, den persönlichen Datenschutz in eine vernünftige Balance mit der Investi-tionsmöglichkeit in der digitalen Wirtschaft zu bringen. Das wird uns noch viel Kraft kosten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu gehört genauso die Energieunion, die eine der strategischen Prioritäten der neuen Kommission ist. Wir brauchen mehr Verbindungen zwischen den europäischen Mitgliedstaaten, insbesondere einen Anschluss der iberischen Halbinsel an das kontinentaleuropäische Stromnetz. Aber auch für Deutschland können die Interkonnektoren noch besser ausgebaut werden. Dazu gehört natürlich auch eine Entlastung kleiner und mittlerer Unternehmen von unnötiger europäischer Bürokratie. Dies sollte auch Maßstab bei neuen EU-Regelungen sein. Wir hier in Deutschland, wie einige andere Mitgliedstaaten auch, sind mit dem Normenkontrollrat sehr gut aufgestellt, weil wir eine Vorstellung davon bekommen, was Bürokratie verursacht. Aber in Europa insgesamt sind wir noch nicht ganz so weit. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zur Pkw-Maut!) Dazu gehören übrigens auch – der nächste Punkt wird Sie noch mehr erfreuen – die laufenden Verhandlungen über die Freihandelsabkommen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Gerade Deutschland als Exportnation muss für den Welthandel offen bleiben. Ich bin überzeugt, dass die Chancen für Wachstum und Beschäftigung die Risiken der Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und mit Kanada bei weitem übersteigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Koalitionspartner ist auch total glücklich!) Ich habe neulich schon darüber berichtet, dass in anderen Teilen der Welt sehr viele Freihandelsabkommen abgeschlossen werden. Wir sollten die Chance nutzen – ich wiederhole es –, sie in unserem Sinne mitzugestalten und dafür zu sorgen, dass hohe Standards, wie wir sie in Europa etwa beim Verbraucherschutz und beim Umweltschutz haben, auch international festgeschrieben werden. Das ist im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es aber nicht im Freihandelsabkommen!) Der Investitionsplan der neuen Kommission benennt wichtige Handlungsfelder für die Schaffung eines investitionsfreundlichen Umfelds. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir einen vernünftigen zeitlichen Fahrplan haben und die Investitionen überprüfbar jetzt auf den Weg bringen. Meine Damen und Herren, wir müssen weiterhin daran arbeiten, die Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion dauerhaft krisenfest zu machen. Ich bin unverändert der Überzeugung, dass wir eine engere und verbindlichere wirtschaftspolitische Koordinierung brauchen. Sie muss enger und verbindlicher sein, als sie es heute ist; zumindest im Euro-Raum. Aufgabe der nächsten Wochen und Monate wird es sein, dafür eine gemeinsame Grundlage zu schaffen. Der letzte Europäische Rat im Gedenkjahr 2014 ist der erste, der von dem neuen Präsidenten Donald Tusk geleitet wird. Wir haben die Personalien nach der Europawahl neu geordnet. Dass 25 Jahre nach der friedlichen Revolution in Mittel- und Osteuropa ein ehemaliger polnischer Ministerpräsident an der Spitze des Europäischen Rates steht, hat eine hohe Symbolkraft, nicht nur für unsere polnischen Nachbarn; denn das Freiheitsstreben, gerade der Polen, hat die Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands erst möglich gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe mit Donald Tusk als polnischem Ministerpräsidenten intensiv, vertrauensvoll und freundschaftlich zusammengearbeitet. Ich habe ihn als leidenschaftlichen, überzeugten und überzeugenden Europäer kennengelernt. Ich freue mich darauf, heute Nachmittag gemeinsam mit ihm und meinen Kolleginnen und Kollegen an die Arbeit zu gehen. Es geht jetzt darum, entschlossen das umzusetzen, was wir uns in unserer strategischen Agenda vorgenommen haben – für ein Europa, das auch in Zukunft sein Versprechen des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands für seine Bürgerinnen und Bürger einlösen kann. Dabei zähle ich auf Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin! Die Ängste in unserer Bevölkerung nehmen dramatisch zu. Sie artikulieren sich immer stärker rechts. Ich erinnere an Dresden und PEGIDA, an Köln und HoGeSa. Ich weiß sehr wohl, dass Rechtsextremisten und Rechtspopulisten diese Ängste ausnutzen. Ich meine allerdings, dass diejenigen, die dort mitlaufen, durchaus wissen, wem sie hinterherlaufen. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb müssen wir uns ernsthaft mit ihnen auseinandersetzen. Das heißt aber nicht, dass wir diese Bürgerinnen und Bürger aufgeben dürfen. Ich meine allerdings nicht die Funktionäre der rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Parteien; die sind für mich erledigt. Ich meine die anderen Bürger, die dort mitlaufen. Aber wie können wir sie erreichen? Wie können wir die Leute aus der Mitte der Gesellschaft wieder in die demokratischen Strukturen zurückholen? Ich sage es hier ganz offen, Herr Kauder, Herr Hofreiter, Frau Göring-Eckardt und Herr Oppermann: Wir alle haben versagt. Alle Abgeordneten, mich eingeschlossen, haben versagt. Wir haben nicht genügend für die Aufklärung getan. Wir denken immer, dass unsere Überlegungen auch die Überlegungen der Bevölkerung sind. Wir haben nicht genügend dafür getan, dass die Menschen wirklich wissen und fühlen, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen islamischen Glaubens völlig friedlich und gewaltfrei ist. Es gibt nur einen furchtbaren, schrecklichen Teil, der die Ausnahme darstellt. Diese Unterscheidung müssen wir in den Medien, in der Kultur und in der Politik endlich deutlich machen, um die Leute aufzuklären. (Beifall bei der LINKEN) Natürlich ist der „Islamische Staat“ furchtbar. Die Taliban sind furchtbar. Der Tod von über 130 Kindern hat mich extrem schockiert. Das ist durch nichts, aber auch wirklich gar nichts zu rechtfertigen. Die Verurteilung dieser Tat ist einhellig. Aber was tun wir nun dagegen? Ich schlage Folgendes vor: Wir Fraktionsvorsitzenden, die Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten des Bundestages und der Bundestagspräsident müssen uns zusammensetzen und überlegen, wie wir eine Aufklärungs- und Verhinderungsstrategie entwickeln können, und zwar unter Einschluss des Bundesrates, der Bundesregierung, der Länderparlamente, der Landesregierungen, der Kommunalparlamente, der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, aller demokratischen Parteien im Bundestag, aber auch der Gewerkschaften, der Kirchen, der Religionsgemeinschaften, der Wissenschaft, der Kunst, der Kultur und des Sports. Wenn wir nicht gemeinsam ein Zeichen setzen – wir müssen erstens sagen, wie wir die Aufklärung leisten und finanzieren wollen, und zweitens deutlich machen, dass wir eine Tabugrenze ziehen –, dann versagen wir in dieser Gesellschaft, und dazu haben wir nicht das Recht. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sollten keine Tabugrenzen formulieren, die Sie selber nicht einhalten!) Aber wodurch entstehen diese Ängste? Wir müssen das analysieren. Es gibt eine Weltfinanzwirtschaft, die sehr viel Macht ausübt, die viel mächtiger ist als die Weltpolitik, die auch überhaupt nicht strukturiert ist. Überall nehmen die Kriege zu. Staaten wurden zerstört oder haben sich zerstört. Mit wachsenden Ängsten sehen die Menschen in beide sudanesische Staaten, nach Somalia, nach Libyen, nach Syrien, in den Irak und auch in die Ukraine. Sie sehen keine Struktur der Verantwortlichen, kein Bemühen, diese Fragen wirklich zu lösen. Ich habe es schon einmal gesagt: Im Kalten Krieg hatten wir eine Struktur. Wir können froh sein, sie losgeworden zu sein. Aber es ist keine neue geschaffen worden. Das ist das Problem. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Mit Sorge sehen die Menschen auch das völlig gestörte Verhältnis der USA, der NATO und der EU zu Russland. Wohin soll das Ganze führen? Viele Autoren, darunter ein früherer Bundespräsident und ein früherer Bundeskanzler, warnen uns vor einem neuen Krieg in Europa. Ich muss immer daran denken, dass wir fünf ständige Mitglieder des Sicherheitsrates haben. Diese Staaten, USA, China, Russland, Großbritannien und Frankreich, sind einzigartig privilegiert. Im höchsten Organ, das sich die Menschheit geschaffen hat, im Sicherheitsrat der Organisation der Vereinten Nationen, hat jede einzelne dieser Regierungen das Recht, jeden Beschluss zu verhindern. Ich finde, wir erinnern diese fünf Regierungen viel zu wenig daran, dass damit auch eine besondere Verantwortung verbunden ist, der sie bisher nicht gerecht werden. (Beifall bei der LINKEN) Nicht Deutschland ist für all das verantwortlich, sondern diese fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates. Ich finde, das müssen wir täglich erklären und daran erinnern. Nun hören die Menschen vom „Islamischen Staat“ und von den Taliban und können sich die Nachrichten darüber gar nicht erklären. Wie ist es so gekommen? Darf ich versuchen, es Ihnen anhand des „Islamischen Staats“ kurz zu erklären? Der „Islamische Staat“ ist aus al-Qaida entstanden. Wer hat al-Qaida gegründet? Die USA damals in Afghanistan im Kampf gegen die So-wjetunion. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie war das jetzt mit dem Kalten Krieg?) – Damals! Dass es jetzt nichts mehr damit zu tun hat, weiß ich doch selbst. Frau Göring-Eckardt, Sie sind nicht so viel schlauer. Hören Sie mir einmal zu! Ich werde Ihnen sagen, was das Problem ist. Diese Geheimdienste und diese Regierungen halten sich immer für oberschlau, gründen etwas und wissen nicht, was letztlich dabei herauskommt. Es war übrigens der israelische Geheimdienst, der als Konkurrenz zur PLO die Hamas gegründet hat. Das war sehr klug, da haben sie voll in den Glückstopf gegriffen, kann ich nur sagen. Dasselbe gilt für al-Qaida. Wir müssen mit diesen Spielereien in der Welt aufhören. Es wird höchste Zeit. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt komme ich auf etwas anderes zu sprechen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben sich zu den Berichten über die Folter der CIA in Gefängnissen überhaupt nicht geäußert. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dazu hatten wir gestern eine Aktuelle Stunde!) Warum nicht? Es ist ein schrecklicher Bericht, es ist ein furchtbarer Bericht. Es ist entsetzlich, was Menschen Menschen antun können, und Sie äußern sich nicht dazu. Geht dieses Duckmäusertum schon wieder los? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie bitte?) Was hätten Sie denn gesagt, wenn es einen solchen Bericht über Russland gegeben hätte? Was hätten Sie gesagt, wenn es einen solchen Bericht über einen afrikanischen Staat gegeben hätte? Sie hätten nach Sanktionen, nach allem Möglichen gerufen. Aber bei den USA schweigen Sie nur. Geben Sie Ihr Duckmäusertum auf. Wir müssen uns immer gegen Folter stellen, auch in den USA. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen: Der Höhepunkt ist, dass die USA sogar die Anti-Folter-Konvention unterschrieben haben und glauben, sich danach nicht richten zu müssen. Ich sage auch ganz klar: Die USA haben deutlich gemacht, dass es keine justizielle Verantwortung geben wird. Ich hoffe, dass unser Generalbundesanwalt die notwendigen Ermittlungen durchführt. Das kann dann auch Ergebnisse zeigen. Wissen Sie, das ist dasselbe wie bei der NSA. Die NSA spioniert uns vollständig aus und betreibt auch Wirtschaftsspionage. Was machen Sie dagegen? Nichts. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was machen Sie gegen die russische Spionage, gegen die chinesische Spionage? Sie sind einäugig!) Ich sage Ihnen: Dieses Duckmäusertum gegenüber den USA ist nicht länger erträglich und stört immer mehr Menschen in Deutschland. Nun zu CETA und TTIP. Sie sind ja so dafür, Frau Bundeskanzlerin. Erklären Sie doch einmal den Leuten, was es bedeutet, wenn wir ein Verbot von Investitionshemmnissen haben. Es bedeutet, dass man für einen amerikanischen Konzern keine Steuern erhöhen darf und dass man nicht mehr Mitbestimmung einführen darf. Sie machen Politik unmöglich. Erklären Sie doch einmal auch der mittelständischen Wirtschaft folgenden Unterschied: Wir haben eine vorsorgende Prüfung, wenn neue Lebensmittel oder anderes auf den Markt kommen. Man muss erst beweisen, dass das neue Produkt nicht schädlich ist. Das kennen die USA gar nicht. Sie kennen es nur so, dass es Schadenersatz gibt, wenn sich später he-rausstellt, dass etwas nicht gesund war. Das Ergebnis ist, dass sie acht Jahre früher auf den Markt gehen können als unsere Unternehmen. Wollen sie unsere Unternehmen derart benachteiligen? Der absolute Höhepunkt sind für mich die Schiedsgerichte. Sie schließen die Rechtsordnung und die ordentlichen Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir haben doch schon über 130 solcher Regelungen! Sollen wir die alle abschaffen?) – auch in Frankreich und in anderen Ländern – aus. Das ist ein völlig falscher Weg. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wieso?) Wenn Sie meinen, dass es das schon einmal gab, dann sollten Sie diesen Schritt nicht wiederholen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union. Wirklich nicht! (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Über 130 Mal! Zum Wohle deutscher Unternehmen!) Ich sage: Das geht überhaupt nicht. Nun komme ich zum nächsten Punkt. Die Menschen, über die ich gesprochen habe – ich meine die, die auf die Straße gehen –, sind tief verunsichert. Es kommen noch weitere Unsicherheiten hinzu. Sie wissen nicht: Sind ihre Jobs noch sicher? Sie wissen nicht: Kommen sie aus der prekären Beschäftigung heraus? Sie wissen nicht: Können sie ihre Stromrechnung noch lange begleichen? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gibt es auch im nächsten Jahr wieder Rekordbeschäftigung?) Diese Unsicherheiten, diese abstrakten Ängste führen zu dem, was wir jetzt erleben. Ich sage es noch einmal: Wir müssen jetzt alle aktiv werden. Frau Bundeskanzlerin, was ich nicht verstehe: Sie wirkten am Beginn der Auseinandersetzung mit Russland in Bezug auf die Ukraine ja eher besonnen, eher als eine, die mäßigend wirkt. Jetzt sind Sie zur Scharfmacherin geworden. Warum eigentlich? (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein solcher Schmarrn!) Glauben Sie denn ernsthaft – auch Sie von der SPD –, dass es Frieden und Sicherheit in Europa ohne und gegen Russland gibt? Das ist eine naive Vorstellung. Da war die SPD unter Brandt schon mal sehr viel weiter. Sehr viel weiter! (Beifall bei der LINKEN) Was wollen Sie erreichen? Ich sage Ihnen, was der große Vorteil der Europäischen Union ist. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach wirr, was Sie da sagen!) Der große Vorteil der Europäischen Union ist, dass die Staaten politisch, ökonomisch und zivilgesellschaftlich so sehr miteinander verflochten sind, dass ein Krieg zwischen ihnen, zumindest rational, gar nicht mehr vorstellbar ist. Wir brauchen auch deshalb gute Beziehungen zu Russland, um jede kriegerische Variante im Verhältnis zwischen Europa und Russland für immer auszuschließen und auf die Entwicklung Russlands Einfluss zu haben. Ich finde den Weg, den Sie mit den Sanktionen gehen, völlig falsch. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Amerika böse, Russland gut – so einfach ist die Rede!) Das Nächste ist, dass nicht nur ich, sondern auch andere der Meinung sind, dass die EU noch nie so gefährdet war wie heute. Sehen Sie mal: Kern der EU sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Ich war gerade in Frankreich. Ich habe eine solche Ablehnung der Bundesregierung wie gegenwärtig in Frankreich früher niemals gespürt. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Oje, Sie Armer! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo waren Sie denn? – Gegenruf des Abg. Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Bestimmt bei den Sozialisten! Wo sonst? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jedenfalls wollen die die deutsche Kanzlerin – wenn sie wählen könnten!) Die dortige Sozialistische Partei ist in den Umfragen sowieso schon so gut wie am Ende. Die sagen mir: Sozial haben wir Frankreich schon geschliffen. Die deutsche Kanzlerin und die Bundesregierung wollen aber, dass wir den Sozialstaat abschaffen. – Das aber geht nicht. Schon bei Gründung der Fünften Republik Frankreichs gehörte der Sozialstaat dazu. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Franzosen zu drängeln, diesen kaputtzumachen – ganz im Gegenteil. (Beifall bei der LINKEN) Nehmen Sie Südeuropa. Die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen liegt dort zwischen 50 und 60 Prozent. Was soll eigentlich aus diesen Jugendlichen werden? Was glauben Sie, was die mir erzählen, wenn ich sie nach Europa befrage? Ich kann mir schon vorstellen, in welche Richtung das geht. Merken Sie denn nicht, dass wir das ganz anders gestalten müssen? Aus friedenspolitischen und historischen Gründen können wir uns überhaupt nicht erlauben, die EU kaputtzumachen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das tun wir ja auch nicht!) Das sind wir unserer Bevölkerung schuldig. Ich sage Ihnen aber auch – auch wenn es Ihnen nicht passt –: Das sind wir auch den diesbezüglichen – ich betone: den diesbezüglichen – Leistungen von Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder schuldig. Wir dürfen die EU nicht kaputtmachen – ganz im Gegenteil. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wovon reden Sie eigentlich?) Nun hat Herr Juncker – an der Spitze der EU – entschieden, dass man private Investitionen fördern soll. Jetzt muss ich der Bevölkerung einmal erklären, wie das aussieht. (Thomas Oppermann [SPD]: Sie Volksredner, Sie!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie müssen sich dabei ein bisschen beeilen, Herr Gysi. Eigentlich besteht dafür nämlich gar keine Zeit mehr. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Schön, dann komme ich zum Schluss, Herr Bundestagspräsident. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Immer wenn hier Interessantes angesprochen wird, brechen Sie ab. Das tut mir wirklich leid. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Gysi, Sie könnten ja mit dem Interessanten anfangen. Dann hätten Sie die nötige Zeit. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Tja, das hat nicht geklappt! Das hat eindeutig nicht geklappt!) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ich weiß gar nicht, Herr Bundestagspräsident, ob Ihnen eine solche Bewertung zusteht; aber ich nehme sie einfach mal hin. Ich fand es übrigens auch bis dahin schon ziemlich interessant. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Meinung haben Sie aber relativ exklusiv!) Eines sage ich Ihnen – hören Sie zu –: Sie wirken in der gesamten Situation überfordert. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!) – Ja. – Was nicht geht, ist, dass ein Konzern nur eine kleine Gebühr bzw. einen geringen Betrag bezahlt, sich die Europäische Investitionsbank dann Riesensummen von den Privatbanken holt – dies natürlich garantiert –, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, ja! Ist schon klar!) und wenn der Konzern das Geld zurückzahlt, ist es gut, und wenn nicht, bezahlen wieder einmal alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Damit muss endlich Schluss sein, in Europa und in Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sagen Sie mal, wo Sie Ihr Geld versteckt haben von der SED!) Wir brauchen Frieden, wir brauchen die EU, und wir brauchen endlich den sozialen Ausgleich, und zwar sowohl in Europa als auch in Deutschland. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sagen Sie mir mal, wo Sie als Parteivorsitzender Ihr Geld versteckt haben!) Sorgen Sie dafür, Herr Kauder, und quatschen Sie nicht einfach dummes Zeug, um auch das einmal klar zu sagen. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, ja! Sagen Sie mir mal, wo Sie Ihr Geld versteckt haben von der SED! Sie waren der letzte Parteivorsitzende!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute beginnt die letzte Tagung des Europäischen Rats im Jahr 2014. Ich finde, am Ende eines so krisengeschüttelten Jahres ist es richtig, einmal an den Anfang der Europäischen Union zu erinnern. Die Europäische Union ist die Antwort auf ein Jahrhundert der Kriege zwischen den Nationen in Europa. Seit Jahrzehnten ist die Europäische Union die Friedensmacht Europas. Viele hatten das schon vergessen. Mit dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine kehrt diese Bedeutung jetzt in unser Bewusstsein zurück. Vor allem junge Menschen merken zum ersten Mal, dass Frieden in Europa nicht von selbst kommt und dass die europäische Friedensordnung zerbrechen kann. Deshalb war es so wichtig, dass die Bundesregierung und die Europäische Union in diesem Jahr gemeinsam gehandelt haben, dass wir zusammengeblieben sind und dass wir alle Chancen für die Deeskalation der Konflikte genutzt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei all dem Leid und den Sorgen, die der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine mit sich gebracht hat, ist das aber auch eine Chance für die Europäische Union. Es ist die Chance, die Einigung Europas weiterzuentwickeln, es ist die Chance, die tiefe Kluft, die die Finanz- und Euro-Krise in Europa gerissen hat, wieder zu schließen, und es ist vor allem die Chance, den Europafeinden in der AfD, der UKIP und des Front National etwas entgegenzusetzen, indem wir durch sichtbare Taten einen gemeinsamen Aufbruch in Europa wagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Einen Aufbruch brauchen wir vor allem im Kampf um Wohlstand und Wachstum. Solide Finanzen sind die Voraussetzung für nachhaltige Politik. Durch Sparen allein gelingt aber noch keine Wende hin zu mehr Wachstum, und auch die Entscheidungen der EZB erzeugen noch kein Wachstum. Die EZB hat in den letzten drei Jahren durch ihre Maßnahmen dafür gesorgt, dass die Anleihemärkte stabil geblieben sind und das Zinsniveau niedrig gehalten wurde. Die Bundeskanzlerin hat zu Recht auf die Vorteile niedriger Zinsen hingewiesen. Diese Strategie hat aber auch Risiken und Nebenwirkungen, und diese Nebenwirkungen belasten vor allem die kleinen Sparer und Anleger. Sie müssen am Ende des Jahres feststellen, dass ihre kleinen Sparvermögen weniger wert sind als am Anfang des Jahres. Ich finde, in dieser Situation dürfen wir die EZB nicht alleinlassen. Wir brauchen jetzt klare Impulse dafür, dass neben den Strukturreformen auch das Wachstum in Europa in Angriff genommen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eines ist klar: Es ist auf die Dauer schwer für die Demokratie in Europa, wenn 25 Millionen Menschen auf unserem Kontinent keine Arbeit und kein Einkommen haben. Europa hat nur dann eine Perspektive, wenn es gelingt, diese Menschen wieder in Arbeit und Brot zu bringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Neue Arbeitsplätze entstehen durch Innovationen und Investitionen. Deshalb ist das von der EU-Kommission jetzt vorgeschlagene Investitionspaket auch ein ganz wichtiger Beitrag dafür, die Reformen in einigen Ländern zu unterstützen. Insbesondere die Regierungen in Italien und Frankreich zeigen derzeit, dass sie genau diesen Reformwillen haben. Matteo Renzi hat seine Arbeitsmarktreform gerade gegen heftige Widerstände durch das italienische Parlament gebracht. Frankreich hat einen großen Schritt auf dem Weg hin zu einer schlankeren Verwaltung geschafft. Es nutzt aber nichts, wenn diese Reformen am Ende durch Proteste auf der Straße untergehen, nur weil wir nicht in der Lage sind, durch massive Investitionen diesen Prozess zu unterstützen. (Beifall bei der SPD) Wir sollten in Deutschland wieder mehr investieren, um unseren Beitrag zur Gesundung Europas zu leisten. Investitionen sind nicht nur eine Bedingung für das Wachstum in der Zukunft, sondern sie haben auch einen symbolischen Wert. Ich bin deshalb froh, dass die Wirtschafts- und Finanzminister von Deutschland und Frankreich in der vergangenen Woche gemeinsame Pläne beschlossen haben, wie Europa wieder neue Arbeitsplätze schaffen kann. Es wird immer auch Meinungsverschiedenheiten mit unserem Nachbarn geben. Wir dürfen es aber nicht zulassen, dass Europa gespalten wird und dass die deutsch-französische Achse zerbricht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn wir von Strukturreformen reden, dann verstehen manche darunter immer nur Belastungen für die kleinen Leute. Das kann aber nicht das Ziel sein, meine Damen und Herren. Bei Strukturreformen geht es um die Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit. Dazu gehört vor allem die Bekämpfung von Korruption, die Schaffung von Rechtssicherheit für Investitionen und die Reduzierung überflüssiger Bürokratie. Letztlich gehört dazu auch eine gerechte Besteuerung. Was mich ärgert, ist, dass offenbar immer noch viele Millionäre in Griechenland nicht besteuert werden, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was mich ärgert, ist, dass offenbar einzelne Länder in Europa ein florierendes Geschäftsmodell mit Steuererleichterungen für internationale Konzerne betreiben. (Beifall bei der SPD) Es kann nicht sein, dass die einfachen Leute extreme Einbußen erleiden, während die Reichen geschont werden. Es kann auch nicht sein, dass die ehrlichen Mittelständler brav ihre Steuern zahlen, während die großen Konzerne ihre Gewinne exklusiv dort versteuern, wo sie vorher Sonderkonditionen ausgehandelt haben. Das muss die Kommission jetzt angehen. (Beifall bei der SPD) Auch bei der europäischen Transaktionsteuer müssen wir endlich vorankommen, damit die Verursacher der Finanzkrise angemessen an den Kosten beteiligt werden. Die Finanztransaktionsteuer darf nicht auf eine reine Steuer auf Aktien reduziert werden, die dann die normalen kleinen Anleger zahlen. Wir wollen, dass auch Derivate besteuert werden; denn mit einer Schmalspurlösung ist niemandem gedient. Herr Schäuble, deshalb kann ich Sie nur bitten, in Europa weiterhin für eine Steuer mit einer breiten Bemessungsgrundlage einzutreten. (Beifall bei der SPD) Ich bin absolut sicher, dass die einschneidenden Reformen, die wir in Europa brauchen, nur dann in den einzelnen Ländern akzeptiert werden, wenn die Menschen ganz klar sehen, dass die Lasten, die sich aus diesen Veränderungen ergeben, fair auf alle Teile der Gesellschaft umgelegt werden. Solidarität brauchen wir auch im Umgang mit Flüchtlingen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was wir da zurzeit erleben, das ist kein Ruhmesblatt für Europa. 50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, so viele wie nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Nur ganz wenige von ihnen schaffen es nach Europa. Diese Menschen müssen dann auch noch feststellen, dass nur einige Länder überhaupt bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. So darf das nicht weitergehen. Europa darf nicht wegschauen, wenn Menschen vor Krieg und Terror flüchten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir treten dafür ein, dass sich alle EU-Länder nach einem fairen Schlüssel an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen. Den Menschen, die in Dresden und anderswo demonstrieren, müssen wir erklären, dass wir Deutschen eine humanitäre Verpflichtung gegenüber Menschen haben, die mit knapper Not ihr Leben und das Leben ihrer Kinder gerettet haben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Und wir müssen klarmachen, dass wir Deutschen wie kaum ein anderes Land auf dieser Welt ein ganz handfestes ökonomisches Interesse an der Einwanderung haben. Ohne die Arbeitnehmer, die in den letzten drei Jahren aus EU-Ländern zu uns gekommen sind, hätten wir keine Überschüsse in den Sozialkassen. Ohne qualifizierte Arbeitnehmer laufen wir in ein wirtschaftliches Desaster. Manche von denen, die in Dresden und anderswo demonstrieren, sind möglicherweise die Ersten, die ihren Arbeitsplatz verlieren würden, wenn wir die Einwanderung von heute auf morgen stoppen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber ich kann auch nachvollziehen, dass viele Menschen frustriert sind, sich abwenden und nicht verstehen, was die Politik von ihnen will. Zu lange wurde ihnen gesagt, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Ich finde, die Menschen haben ein Recht darauf, dass wir ihnen das erklären. Wir brauchen gut ausgebildete Einwanderer. Wir brauchen klare Regeln für Einwanderung, und wir brauchen eine Willkommenskultur in Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das zu erklären – in diesem Punkt möchte ich Ihnen ausdrücklich recht geben, Gregor Gysi; das war der nachdenkliche Teil Ihrer Rede –, ist nicht die Aufgabe einzelner Minister oder einzelner Fraktionen; das ist die Aufgabe der gesamten Bundesregierung und des gesamten Bundestages. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen argumentieren, differenzieren, informieren und aufklären. So können wir den Menschen die Ängste nehmen und den Organisatoren von PEGIDA das Wasser abgraben. Wir dürfen nicht zulassen, dass -PEGIDA das Feindbild des „Islamischen Staates“ auf die Flüchtlinge überträgt, die als Opfer dieser Terroristen bei uns Schutz suchen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn es darum geht, Leben zu retten, dann darf die Religion keine Rolle spielen. Dann darf es keinen Unterschied machen, ob jemand Christ, Muslim, Schiit, Sunnit oder Jeside ist. Dann sind alle bei uns willkommen, die Schutz suchen und Schutz brauchen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei PEGIDA würde ich dafür plädieren, dass wir zwischen den Drahtziehern und den Mitläufern unterscheiden. Die Drahtzieher von PEGIDA sind keine Patrioten. Das sind Nationalisten und Rassisten, die Ängste der Menschen schüren und die Gesellschaft spalten wollen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Drahtzieher müssen wir bekämpfen. Mit den Mitläufern müssen wir reden. Aber die, die mitlaufen, müssen auch wissen, wem sie hinterherlaufen und von wem sie instrumentalisiert werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn es heute für manche kein Problem mehr ist, gemeinsam mit Rechtsextremen und Neonazis zu demonstrieren, dann müssen wir klarmachen: Das ist ein Problem. (Beifall im ganzen Hause) PEGIDA genießt in diesen Tagen viel Aufmerksamkeit in den Medien. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Viel zu viel! Auch hier jetzt!) – Deshalb ist es umso wichtiger, lieber Volker, dass wir dafür sorgen, dass auch die anderen sichtbar sind, nämlich diejenigen, die sich für die Flüchtlinge engagieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin der Integrationsbeauftragten Aydan Özoğuz dankbar, dass sie heute, am Internationalen Tag der Migranten, Menschen aus dem ganzen Land ins Auswärtige Amt eingeladen hat, um diejenigen zu würdigen, die sich aus christlichen, humanitären oder aus politischen Motiven heraus engagieren, sich um Flüchtlinge kümmern und ihnen dabei helfen, in Deutschland zurechtzukommen. Das sind übrigens nicht selten Menschen, die sich daran erinnern, dass nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen Flüchtlinge aus dem Osten in Deutschland eine -Zukunft gefunden haben und dass nach der Wende Millionen Aussiedler aus Osteuropa nach Deutschland gekommen sind und hier freundlich aufgenommen worden sind. Nicht wer am lautesten schreit, ist im Recht, (Beifall bei der SPD) sondern diejenigen, die helfen, mit anpacken und solidarisch sind. Das ist die demokratische Mitte der Gesellschaft, und die müssen wir stützen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Weil das die letzte Sitzung in diesem Jahr ist, möchte ich daran erinnern: Heute vor einem Jahr haben wir den Koalitionsvertrag unterzeichnet. Das war keine Liebesheirat und auch keine Wunschkoalition, sondern ein nüchternes Zweckbündnis auf Zeit. Aber ich finde, dass sich die Bilanz nach einem Jahr harter Arbeit sehen lassen kann. Wir haben einen gesetzlichen Mindestlohn. Wir haben eine Rentenreform, eine Pflegereform, eine BAföG-Reform und eine EEG-Reform durchgesetzt. Wir haben einen ausgeglichenen Haushalt im Jahr 2015. Wir haben das Elterngeld Plus beschlossen. Wir haben uns auf den Doppelpass verständigt. Wir beginnen im nächsten Jahr mit der weiteren Entlastung der Kommunen. Am Ende haben wir uns bei allen Schwierigkeiten, die damit verbunden waren, auf die Frauenquote verständigt. Ich finde, wir haben in kurzer Zeit viel bewegt. Deutschland ist wirtschaftlich stark geblieben und sozial gerechter geworden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte mich bei allen bedanken, bei der Bundeskanzlerin und beim Vizekanzler, bei allen Ministerinnen und Ministern sowie bei allen Kollegen in diesem Hause, die daran mitgewirkt haben. Ich glaube, 2016 wird ein Jahr großer politischer Herausforderungen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2015 wird schon gestrichen!) Wir werden unsere ganze Kraft brauchen, um diese -Herausforderungen zu meistern. Darauf sollten wir uns konzentrieren. Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachtsferien. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich mache vorsichtshalber darauf aufmerksam, dass wir auch morgen noch eine Plenarsitzung des Deutschen Bundestages haben; (Heiterkeit) nicht dass sich jemand unverzüglich zum Aufbruch in die Weihnachtsferien aufgefordert fühlt. Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Thomas Oppermann, ich weiß nicht, was Sie nächstes Jahr vorhaben, wir jedenfalls denken, dass wir auch das Jahr 2015 im Parlament gemeinsam verbringen werden. Was mich, ehrlich gesagt, am meisten erschüttert, ist das, was ich sehe, wenn ich mir Ihre Koalition am heutigen Tag anschaue. 80 Prozent haben Sie angeblich geschafft. Ich kann nur sagen: Was wir heute gesehen haben, bedeutet, dass Sie zu 100 Prozent fertig sind. Sie sind fertig miteinander. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was?) – Sorry, aber wenn man sich anschaut, wer für wen klatscht, dann kann man nur feststellen: Noch nicht einmal die erste Reihe in der SPD-Fraktion klatscht, wenn die Bundeskanzlerin etwas sagt. Noch nicht einmal die erste Reihe in der Unionsfraktion klatscht, wenn Herr Oppermann etwas sagt, außer wenn er etwas sagt, bei dem fast alle klatschen können. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie müssen einen Schatten auf der Pupille haben! – Christian Petry [SPD]: Falsche Wahrnehmung!) Diese Koalition hat offensichtlich nichts mehr vor. Was Sie abgearbeitet haben, ist auf Ihrem Konto. Aber was Sie nicht gemacht haben, ist, sich auf irgendeine Weise mit der Zukunft zu beschäftigen; das haben Sie heute Morgen erneut gezeigt. Draußen regt sich eine außerparlamentarische Opposition aus Rechtspopulisten, verunsicherten Modernisierungsverlierern und denen, die sich eingerichtet haben und keine Veränderung wollen; diesen reden Sie nach dem Mund. Ihre Politik der asymmetrischen Demobilisierung hat ihr erstes Opfer gefunden, nämlich die Demokratie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Eine Demokratie, in der nicht mehr um politische Alternativen gestritten wird, verliert an Sauerstoff. Sie verschweigen PEGIDA seit Monaten. Sie versuchen, die AfD zu verschweigen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Sie verschweigen Thilo Sarrazin. Sie verschweigen Pro NRW. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Hier geht es aber nicht um Verschweigen, Frau Merkel, hier geht es um Haltung, und hier geht es um Klarheit. Ich sage Ihnen, Herr Oppermann, eines klar: Ich habe kein Verständnis für Mitläufer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Wer sich hinter solche Plakate stellt, der weiß ganz genau, was er tut. Dem sagen wir eindeutig: Nein, das ist nicht unsere Vorstellung von demokratischer Kultur, das ist nicht unsere Vorstellung vom Umgang in diesem Land. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ich sage nur: Thüringen!) Ja, ich nehme die Sorgen der Menschen ernst. Aber ehrlich gesagt: So viele Sorgen der Menschen, die hier in dieser Woche ernst genommen worden sind! Ich sage Ihnen mal, an wen ich denke, wenn ich Sorgen ernst nehme. Dann denke ich nicht an die Leute, die in Dresden im Pelzmantel auf die Straße gegangen sind. Ich denke an diejenigen, die in Syrien mit ein paar letzten Kleidern versucht haben, ihr Leben zu retten und sich und ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) An einer Stelle will ich Herrn Oppermann recht geben: Ja, die Union hat sich jahrelang der Erkenntnis verweigert, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Dann hat sie angefangen, sich widerstrebend dieser Tatsache zu stellen. Aber was wir nicht tun, ist, dass wir tatsächlich über Zuwanderung reden, dass wir über diese Gesellschaft als ein gemeinsames Land reden, dessen Zuwanderungskonzept auf dem Tisch liegt. Sie wissen doch ganz genau, wie die Situation in Syrien, im Irak und in dem gesamten Krisengebiet ist. Natürlich werden diese Menschen hierbleiben. Womöglich wird der eine Friedensnobelpreisträger oder Literaturnobelpreisträger, und vielleicht wird der andere irgendwann einmal als Ingenieur unsere Flughäfen bauen. Das kann alles sein. Diese Menschen gehören hierher. Sie werden hierbleiben, und deswegen müssen wir jetzt darüber reden, wie wir in diesem Land zusammenleben wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Gysi, das Weltbild, das Sie heute hier an diesem Pult zutage gefördert haben, ist wirklich nichts anderes mehr als eine ganz große Weltverschwörung. Glauben Sie eigentlich, dass Sie damit irgendeinen der Verunsicherten, von denen Sie geredet haben, hinter dem Ofen hervorlocken? Glauben Sie, dass Sie damit irgendjemanden beruhigen? Sie blinken auf der einen Seite nach ganz links, Sie blinken auf der anderen Seite nach ganz rechts. Die Leute, die Mitläufer sind, geben ganz locker Russia Today ein Interview. Nein, der Demokratie nutzt man auch mit der großen Weltverschwörung nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die EU-Kommission ist gerade erst gestartet. Als Grüne sage ich: Sie hat in der Umweltpolitik ein veritables Rollback hingelegt. Frau Merkel, Sie loben sie noch dafür, dass die Kreislaufwirtschaftspakete gestoppt werden, dass das Programm „Saubere Luft für Europa“ gestoppt wird. Das ist eine Bankrotterklärung für die Umweltpolitik in Europa. Ich finde, wir hätten in Deutschland eine andere Aufgabe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber einmal unabhängig davon: Gleichzeitig setzt der Kommissionspräsident mit dem Investitionspaket ein wichtiges Zeichen für die Länder Europas. Er sagt: Wir wollen es gemeinsam tun. – Auch unabhängig davon, wie man das Investitionspaket im Detail findet: Jean-Claude Juncker ist damit ein neues und gar nicht so unwichtiges Signal gelungen. Er zeigt nämlich: Es soll eine Vision für ein gemeinsames Europa geben. Davon war heute Morgen in Ihrer Rede, Frau Merkel, nichts zu spüren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen sage ich Ihnen: Sie haben sich jahrelang dagegen gewehrt, dass es Zinsgarantien für unsere europäischen Nachbarn gibt, nach dem Motto: Selber schuld, wer nicht auf die Füße kommt. – De facto sind wir in Deutschland auch deswegen Exportweltmeister, weil der Süden Europas keine Kredite mehr erhält. Sie können auf dem europäischen Gipfel mit einem Schlag dafür sorgen, dass die griechischen Windkraftbetreiber endlich investieren können, und zwar ohne dass es uns wirklich etwas kostet. Nach welchem Prinzip sollte es denn logisch sein, dass die Griechen zu hohen Preisen dreckige Kohle importieren müssen, während es Sonne und Wind umsonst gibt? (Max Straubinger [CDU/CSU]: Märchen!) Europa hat sich im Lissabon-Vertrag das Versprechen gegeben, zur dynamischsten Region zu werden. Im Moment sind wir die ängstlichste Region der Welt. Frau Merkel, Sie bewundern doch Länder wie Neuseeland und Kanada, in denen Zukunftsoptimismus und Einwanderung zur wirtschaftlichen und kulturellen Dynamik im Rahmen der Wertegemeinschaft führen. Wieso werben Sie dann nicht hierzulande für eine solche Gesellschaft? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Investitionspaket ist ein zaghafter Schritt heraus aus der Agonie. Ich habe Herrn Oppermann zugehört, der die Investitionen hier wie verrückt gelobt hat. Was ich von der Bundesregierung, insbesondere von Herrn Gabriel, sehe, ist das Gegenteil: Erst hat Herr Gabriel breitbeinig erklärt, das sei quasi sein Investitionsprogramm, und dann duckte man sich weg, weil man irgendwie in Kauf nimmt, dass die spanischen und die griechischen Mittelständler für die Konsolidierung des Haushalts in Deutschland verantwortlich sein müssen. Nein, das ist kein Kollateralschaden; das ist falsche Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das habe ich jetzt gar nicht verstanden! Sagen Sie es noch einmal! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das kapiert niemand! – Zuruf von der SPD: Was ist das für ein Quatsch!) Was ich nicht verstehe: Sie feiern sich hier monatelang für eine Haushaltspolitik, und gleichzeitig stellen Sie alle Investitionen in diesem Land auf Sparflamme. Bröckelnde Brücken und schleichende Züge, das ist das Bild von Deutschland im Jahr 2014. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Gucken Sie doch mal in unseren Haushalt rein! Dann werden Sie schlauer!) Das ist doch verrückt. Was machen Sie dann? Sie schicken eine Wunschliste nach Brüssel, eine Wunschliste, die 90 Milliarden Euro schwer ist, nach dem Motto: Wir geben zwar nichts, aber was man hat, das hat man. Ihre Wunschliste ist in diesem Haus niemals diskutiert worden. Ja, wo sind wir denn eigentlich? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie schicken Wünsche nach Brüssel, und das Parlament wird nicht beteiligt, so nach dem Motto: 80 Prozent der Wählerstimmen – Arroganz der Macht –, wir brauchen das ja nicht mehr. Sie haben die Wirtschaftslobbyisten einbezogen, aber nicht das Parlament. Auf der Liste, die Sie nach Brüssel geschickt haben, stehen keine Zukunftsinvestitionen. Da stehen die alten deutschen Darlings der falschen Investitionen. Darauf stehen Mittel zur Erneuerung alter Autobahnen. Da steht nichts von Klimaschutz, da steht nichts von Energiewende; da kann Frau Hendricks in Lima so viel Ringelpiez mit Anfassen machen, wie sie will. Ich sage Ihnen: Wenn man tatsächlich investieren will, dann nimmt man hier 12 Milliarden Euro in die Hand und investiert in die richtigen Projekte, und zwar in die gemeinsamen europäischen; um die geht es nämlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Merkel, liebe Große Koalition, sagen Sie endlich, worum es in den nächsten Jahren gehen soll. Dass Herr Oppermann das nächste Jahr schon verschluckt, das spricht ja Bände. Werben Sie für ein Europa, das ein Zuhause ist, in dem man gern lebt, egal wo man geboren ist, egal ob man arm ist oder reich, egal woher man kommt und woher man geflohen ist. Nein, PEGIDA ist nicht Deutschland. Ich jedenfalls will nicht in einem Land leben ohne Ekin Deligöz, ohne Navid Kermani und auch nicht ohne Jérôme Boateng, obwohl er für mich als Schalke-Fan wirklich im falschen Klub spielt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Bundeskanzlerin hat hier einen Bericht über die Schwerpunkte des bevorstehenden Europäischen Rates abgegeben. Sie hat mit Recht über das gesprochen, was die größte Herausforderung und die größte Sorge ist: die Friedensordnung in diesem Europa und mit den angrenzenden Nachbarn zu erhalten. Das ist der entscheidende Punkt. Wie kann dies erreicht werden? Was wir in Europa erreicht haben, das darf jetzt nicht gefährdet werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Europa ist bisher keinen einfachen Weg gegangen. Gerade am heutigen Tag ist es völlig richtig und lohnenswert, noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Friedensprozess in Europa über die deutsch-französische Freundschaft in Gang gekommen ist. Deswegen habe ich Andreas Schockenhoff immer bewundert und unterstützt, der die deutsch-französische Freundschaft als einen entscheidenden Motor gesehen hat und der bei mancher Schwierigkeit immer dafür geworben hat, dass wir das Feuer der Freundschaft zwischen den Deutschen und den Franzosen aufrechterhalten. Ich möchte Andreas Schockenhoff auch an dieser Stelle einen herzlichen Dank dafür sagen. (Beifall im ganzen Hause) Natürlich kann man in einer Demokratie über die Wege, wie man diesen Frieden sichern will und soll, reden. Aber ich bin dankbar dafür, dass wir in Europa zu einer gemeinsamen und übereinstimmenden Haltung gekommen sind, wie wir weiter vorgehen wollen. Das umfasst zwei Elemente. Das eine Element heißt Dialog: miteinander reden, auch wenn es nicht einfach ist. Wenn man Berichte hört, wie Gespräche mit Präsident Putin aussehen, muss man sagen: Man muss sich wirklich zusammennehmen, um immer wieder einen neuen Anfang bei solchen Gesprächen zu machen. Ich bin allen Mitgliedern der Bundesregierung dankbar, die das immer wieder versuchen – wissend, wie schwer es ist, zu Ergebnissen zu kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Natürlich gehört zu diesem Dialog auch, zu zeigen, dass man bereit ist, für seine Werte und Positionen einzustehen. Wir haben in der Geschichte oft genug erlebt, was daraus wird, wenn man nicht für seine Positionen einsteht, wenn man nicht deutlich macht, dass man sich nicht einfach alles gefallen lässt; denn es gibt immer wieder einige, die meinen, sie könnten ihre Kraft und Macht ausnutzen, ohne auf andere Rücksicht zu nehmen. Das dürfen wir nicht einfach hinnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb waren die Sanktionen notwendig und richtig. Wir dürfen gerade in diesem Jahr 2014 die Erkenntnisse, die wir aus unserer eigenen Geschichte gewonnen haben, nicht einfach aus unserem Handlungskatalog streichen. Die zentrale Antwort auf die Frage „Wie sind der Erste und der Zweite Weltkrieg entstanden?“ war doch: Weil irgendeiner – wir Deutsche waren immer dabei – die Integrität anderer Länder nicht akzeptiert hat. – Es darf nicht zugelassen werden, dass Grenzen in Europa und darüber hinaus mit Gewalt, mit Macht und mit Militär verändert werden sollen. Das dürfen wir nicht zulassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Und das ist auch die Botschaft an Präsident Putin. In diesem Zusammenhang muss ich schon einmal ausdrücklich sagen: Ich habe für die allermeisten außenpolitischen Positionen der Linken ohnehin wenig Verständnis, aber so zu tun, als ob Putin der Friedensengel und die anderen die Aggressoren seien, ist schon eine Verdrehung der Geschichte, Herr Gysi. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist absurd! Das hat hier keiner gesagt! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich wird auf diesem Gipfel in Europa auch darüber gesprochen, wie wir weiterkommen bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors, der jetzt von al-Qaida in Pakistan schrecklich und brutal, gemein und hinterhältig an Kindern ausgeübt worden ist. Wir müssen darüber nachdenken, was wir tun können, um den Terror, der vom IS, von Boko Haram und anderen Gruppierungen ausgeht, einzudämmen; das ist das eine. Das andere ist, dass wir in Europa sicher auch darüber reden müssen, wie wir die Menschen, die zu uns kommen, die ihre nackte Existenz und die ihrer Kinder und Angehörigen retten und verteidigen wollen, in diesem Europa unterbringen. Ich will zunächst einmal einen Hinweis für das gesamte Europa geben: Ich schaue regelmäßig auf die Situation in Kurdistan; Kolleginnen und Kollegen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dort gewesen. Ich kann nur sagen: 5 Millionen Kurden sind in der Lage, 1,4 Millionen Flüchtlinge in ihrem kleinen Land aufzunehmen. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Irre!) Angesichts dieser Zahlen werden wir in Deutschland es ja wohl schaffen, 200 000 Flüchtlinge und ein paar mehr in unserem Land aufzunehmen. (Beifall im ganzen Hause) Jetzt, finde ich, müssen wir auch darüber reden, wie die Menschen in unserem Land das sehen. Ich teile die Auffassung, dass diejenigen, die jeden Montag demonstrieren – die dazu übrigens ein Recht haben in unserem Lande –, sich ganz genau überlegen müssen, hinter welchen Parolen und welchen Plakaten sie diese Demonstrationen mitmachen. Aber bevor wir über die Tausende, über Zehntausend reden, sollten wir einmal über die Millionen in unserem Land reden, die bereit sind, sich mit ganzer Kraft ehrenamtlich für Flüchtlinge einzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist ein Punkt, den ich am heutigen Tag etwas vermisse. Es muss von diesem Parlament aus auch immer wieder eine Bestärkung der Gutwilligen in diesem Land ausgehen, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) statt dass immer nur über die geredet wird, hinter denen wir nicht stehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dazu will ich einmal eine ermutigende Zahl nennen. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat in diesen Tagen eine Umfrage zur Einstellung der Menschen zu Flüchtlingen veröffentlicht. Frau Köcher macht dies schon seit vielen Jahren; meistens wird es gar nicht richtig beachtet. Diese Umfrage zeigt, dass die überwiegende Zahl der Menschen in unserem Land sagt: Wir wollen, dass für diese Flüchtlinge in unserem Land eine gute Unterbringung und gute Lebensbedingungen geschaffen werden. Da hat sich einiges verändert. Es gibt eine breite Mehrheit, weit über 80 Prozent, die sagt: Ja, die Menschen, die aus dem Irak und aus Syrien kommen, die so brutal bedrängt sind, sind bei uns willkommen. Und es gibt eine breite Mehrheit, die sagt: Ja, diejenigen, die aus Afrika kommen, deren Leben und Existenz bedroht sind, sind willkommen. Dann gibt es natürlich auch den Hinweis, dass man es nicht akzeptieren will und nicht verstehen kann, dass Menschen hierherkommen, obwohl ihr Leben nicht bedroht ist, um Sozialhilfe zu bekommen. Sie sagen: Dass Menschen lediglich aus diesem Grund kommen, das lehnen wir ab. Ich finde, man sollte klar sagen: Wer zu uns kommen will und seine Chance nutzen will, ist herzlich willkommen. Aber wer zu uns kommen will, um nicht zu arbeiten und nur Sozialleistungen zu beziehen, der ist in diesem Land nicht so richtig willkommen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hat so gut angefangen!) – Ich höre jetzt das Gemurre, aber ich sage Ihnen: Das gehört alles zusammen. Es muss differenziert gesehen werden. Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land – dafür sage ich ihnen einen herzlichen Dank; das hören sie viel zu selten – ist bereit, für Flüchtlinge sehr viel zu tun und sie aufzunehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Natürlich müssen wir auch darüber reden, wie wir die Flüchtlinge in ganz Europa aufnehmen. Aber da werden wir nicht zu schnellen Lösungen kommen. Solange wir in der Flüchtlingspolitik und in der Sozialpolitik unterschiedliche Positionen haben, wird es gar nicht so einfach sein, darüber zu entscheiden, wie wir die Flüchtlinge verteilen sollen. Wer nach Deutschland kommt, muss in Deutschland Aufnahme finden und entsprechend untergebracht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir darüber reden, was in Europa wichtig ist, dann wird zu Recht darauf hingewiesen, dass wir natürlich in Europa Lebenschancen schaffen müssen, und das gelingt nur durch Wachstum. Das ist völlig richtig. Aber ich bin doch immer wieder einigermaßen überrascht, wie wir über Wachstum reden: als wenn das eine schnell wachsende Pflanze wäre, der man am Morgen richtig viel Wasser gibt und aus der am Abend ein großer Baum geworden ist. Das sollten wir den Menschen nicht weismachen wollen. Wachstum ist eine Aufgabe, die längerfristig angelegt sein muss. Wir alle wissen, dass durch Hineinschütten von Milliarden Euro an Steuergeldern, womöglich noch auf Pump finanziert, wirklich nachhaltiges Wachstum nicht entsteht, nicht in unserem Land und nicht in Europa. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Was bringt Wachstum? Der größte Wachstumstreiber – das hat Thomas Oppermann angesprochen – ist Bildung. Was man mit Investitionen anschiebt, um Bildung, Innovation und Forschung voranzubringen, das schafft Wachstum. Jetzt muss ich einmal sagen, wo wir angefangen haben. Wir haben angefangen 2005 mit jährlich 7 Milliarden Euro für Forschung, Innovation und Bildung. Jetzt sind wir bei 14 Milliarden Euro jährlich in diesem Bereich. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: 14,6 Milliarden sogar, fast 15 Milliarden!) Wer meint, Frau Göring-Eckardt, Investitionen seien nur solche in Straßen und ähnliche Dinge, der hat die Bedeutung von Wissenschaft, Forschung und Innovation als Investitionstreiber nicht richtig verstanden, um das einmal klar zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was war das jetzt für eine Logik? – -Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Ein Jahr nach Bildung der Großen Koalition können wir klar und deutlich sagen: Wir haben in dem wichtigen Bereich von Investitionen in Wachstum einiges getan. Ja, wir wissen, dass wir im Straßenbau, beim schnellen Internet und in manch anderem Bereich noch etwas tun müssen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, gegen Straßenbau! Das haben Sie doch gerade gesagt!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Kauder – – Volker Kauder (CDU/CSU): Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Och!) Sie als Grüne haben überhaupt keinen Grund, so zu tun, als ob Sie schon immer die größten Investoren in Straßenbau gewesen wären. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das muss ich mir von Ihnen wahrhaftig nicht vorwerfen lassen. Also, so was! Ich habe erlebt, wie grüne Umweltminister Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur überall verhindert, und nicht, dass sie sie unterstützt haben. Deswegen brauchen wir von dieser Seite keine Belehrungen. (Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat es nicht verstanden!) Wir wollen da einiges voranbringen. Wenn wir ein großes Programm für Investitionen bringen, bin ich einmal gespannt, auf welcher Seite der Bürgerinitiative die Kolleginnen und Kollegen der Grünen dann stehen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist völlig klar! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist völlig klar, wo wir stehen: aufseiten der Vernunft, nicht aufseiten von sinnlosem Beton!) Da haben wir miteinander noch einiges vor uns. Wir werden auch ins schnelle Internet investieren. Wir haben vorgesehen, mit Investitionsmitteln in diesem Bereich etwas zu tun. Der entscheidende Treiber für Wachstum ist, wie gesagt, Bildung und Forschung. Die Bundeskanzlerin hat es angesprochen: Vor allem findet Wachstum – damit gibt es Chancen für Arbeitsplätze auch für die junge Generation – in unserer Wirtschaft statt, in Deutschland vor allem in einer durch den Mittelstand geprägten Wirtschaft. Deswegen ist es notwendig und richtig, dass wir alles tun, um den mittelständischen Betrieben unserer Wirtschaft die Luft zum Atmen und zum Investieren zu lassen. Herr Wirtschaftsminister Gabriel, ich bin dankbar, dass man jetzt ein Programm zur Entlastung von Bürokratie auf den Weg gebracht hat – zunächst einmal ein Programm. Dann haben wir gemeinsam noch die schöne Aufgabe vor uns – ich bin überzeugt, dass wir die stemmen werden –, die sehr guten einzelnen Punkte auch in Gesetze zu bringen, Herr Minister. Da wird es in beiden Fraktionen sicher noch die eine oder andere Diskussion geben. Aber Sie sind ja führungsstark genug, um mitzuhelfen, dass wir das durchbringen. Ich werde meinen Beitrag dazu leisten, dass wir für die deutsche Wirtschaft zu einer Entlastung von Bürokratie kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD]) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu gehört auch, dass es dabei bleibt – die Zusage habe ich an diesem Platz schon mehrfach gemacht –: keine Steuererhöhungen. Die deutsche Wirtschaft hat einen enormen -Investitionsaufwand, gerade wegen Industrie 4.0. Ich glaube, dass ich auch im Namen der SPD-Fraktion, im Namen unseres Koalitionspartners sagen kann: Wir werden die Möglichkeiten und die Spielräume, die das Bundesverfassungsgericht jetzt dargestellt hat, nutzen, um unserer mittelständischen Wirtschaft bei der Erbschaftsteuer auch in Zukunft keine Steine in den Weg zu legen, sondern ihr Investitionsmöglichkeiten zu erhalten. (Beifall der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]) Ich bin Wolfgang Schäuble dankbar dafür, dass er gesagt hat: Das werden wir gleich zu Beginn des nächsten Jahres anpacken. – Somit gibt es erst gar keine Verunsicherung. Die Wirtschaft kann sich darauf verlassen: Was wir tun können, um ihr zu helfen, werden wir tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb bin ich insgesamt der Überzeugung, dass wir in diesem ersten Jahr in dieser Koalition eine gute Arbeit geleistet haben. Frau Göring-Eckardt, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen: Wir kommen ganz gut mit-einander aus. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja süß! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie aber heimlich!) Natürlich gibt es mal die eine oder andere Diskussion. Die gibt es überall. Ich muss Ihnen aber sagen: Ich habe von vielen Grünen gehört, wie das während Ihrer Regierungszeit mit der SPD war und wie es gekracht und geknallt hat. (Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Viele von Ihnen haben darunter gelitten. Wir leiden in der Große Koalition nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das spürt man!) Wir machen unsere Arbeit, und wir werden den Menschen in diesem Land auch im nächsten Jahr eine gute Regierung stellen. Sie sagen, bei uns knirscht es manchmal. Ich lese nur die Zeitungen, aber ich kriege auch so vieles darüber mit, wie es bei Ihnen knirscht. Dazu kann ich nur sagen: Ich wünsche Ihnen mehr Frieden. Uns allen wünsche ich für das kommende Jahr alles Gute. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Frohe Weihnachten!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Sarrazin das Wort. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Kauder, Sie haben den Grünen vorgehalten, sie seien die einzige Partei, die es schafft, Autobahnen zu bauen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Es nicht schaffen! – Christine Lambrecht [SPD]: Sie haben nicht zugehört! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Herr Kauder, wir sind sehr gut darin, Autobahnen zu verhindern. Das dürfen Sie gern unterschreiben. Ich möchte jedoch eines sagen: Sie haben als europäische Volkspartei einen Spitzenkandidaten gewählt. Dieser Spitzenkandidat hat irgendwann dann auch die -Unterstützung Ihrer Parteivorsitzenden und Kanzlerin gehabt. Dieser Spitzenkandidat ist mit dem Versprechen angetreten, Signale zu setzen, dass es in Europa wieder vorangeht, dass Investitionen getätigt werden und dass Hoffnung gegeben wird. Er hat ein Konzept vorgelegt. Und was machen Sie? Sie zerreißen dieses Konzept von Herrn Juncker, als sei es ein Konzept, nur um Straßen zu bauen. Die Fakten sind: Sie haben eine wirklich bemerkenswerte Liste eingereicht, die Sie im geheimen Stüblein zusammen mit Lobbyisten in Berlin abgestimmt haben und die Sie nicht dem deutschen Parlament gegeben haben. In dieser Liste stehen vor allem alte Straßenbaudönekens. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Kauder, ich bin Historiker. Ich habe mich gefragt, ob Sie mich vielleicht brauchen, damit ich für Sie die Archive durchsuche, damit Sie die Projekte aus den 60er-Jahren auch noch in die Liste schreiben können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte Ihnen eine Wette anbieten. Herr Kauder, ich wette mit Ihnen um eine gute Flasche griechischen Wein, dass drei der Projekte, die in dieser Liste stehen, die von Ihnen in Brüssel eingereicht wurde, nicht von der EIB finanziert werden, nämlich: der dritte Terminal des Flughafens Frankfurt, die Elbvertiefung und die Weservertiefung. Sind Sie bereit, diese Wette anzunehmen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darüber hinaus sage ich Ihnen: 7,5 Milliarden Euro für Autobahnprojekte vorzusehen, haben sich nicht die Grünen ausgedacht, sondern das haben Sie sich ausgedacht. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Er hat doch noch Redezeit!) Daher bitte ich Sie, dies anzuerkennen. Unterstützen Sie Herrn Juncker, statt ihm Betonprojekte aufzuschreiben und uns vorzuwerfen, wir wären für Beton. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Axel Schäfer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Feige!) Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages steht heute die Debatte über den Europäischen Rat. Reden wir also auch über die Parlamentarisierung in Europa. Erstens. Es ist uns 2014 gegen den ursprünglichen Willen des Europäischen Rates gelungen, dass auf Vorschlag der Christdemokraten, der Liberalen, der Grünen, der Sozialdemokraten und der Linken das Europäische Parlament den Kommissionspräsidenten wählt und niemand anderes. Das haben wir geschafft, und das sollten wir uns alle gemeinsam als Erfolg zuschreiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens ist die Konsequenz daraus, dass das Investitionsprogramm, das als Entwurf von Jean-Claude -Juncker jetzt vorliegt, eine parlamentarische Aufgabe sein muss. Das ist keine Angelegenheit von zwischenstaatlichen Vereinbarungen oder Entscheidungen im Rat, die wir mit Ja oder Nein begleiten. Vielmehr muss es eine Debatte in allen nationalen Parlamenten und die gesetzgeberische Entscheidung im Europäischen Parlament sein. Deshalb sind alle Fraktionen in diesem Parlament gefordert – mit Vorschlägen, Vorstellungen, auch Kritik. Es sollte das Parlament entscheiden und nicht die Staats- und Regierungschefs. (Beifall bei der SPD) Drittens. Ich fand es – bezogen auf Europa – 2014 für den Deutschen Bundestag den wichtigsten Erfolg, dass wir alle – ich fange einmal anders herum an: Linkspartei, SPD, Grüne und CDU/CSU – gesagt haben: Wir stehen für Verständigung, auch für Solidarität zwischen den Völkern in Europa. Wir wollen keine militärische Lösung irgendeines Konfliktes, auch nicht bei der Frage Ukraine/Russland. – Das sollte uns zusammenhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das sollte uns in den verschiedenen Funktionen, die wir haben, ermöglichen, gemeinsam Gutes zu bewirken. Das ist wichtig und keine Selbstverständlichkeit. Denkt einmal zurück, wie hier vor zehn Jahren diskutiert worden ist. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Bernhard Kaster [CDU/CSU]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist der 18. Dezember, der Geburtstag von Willy Brandt. Als er Kanzler wurde, gab es auch einen Europäischen Rat; das war im Dezember 1969. Die erste Initiative betraf die Vertiefung und die Fortsetzung des Erweiterungsprozesses mit Großbritannien, Dänemark, Irland, Norwegen. Mit Norwegen hat es leider nicht funktioniert. Wir So-zialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen bewusst in dieser Tradition, gerade am heutigen Tag und gerade bei einer Debatte über einen Europäischen Rat. Wir müssen diese Gemeinschaft weiter vertiefen, und wir müssen auch die Erweiterungsmöglichkeiten nutzen. Das wird nur gehen, wenn wir mit der Kommission in allen Fragen, natürlich auch bei TTIP, eine offene, transparente Debatte führen und die Bürgerinnen und Bürger einladen, sich zu beteiligen und mitzumachen bei der Lösung von Problemen. Wir dürfen nicht den Eindruck vermitteln, wir wüssten alles besser und Bürger brauchten nicht mitzumachen. Dieses Mitmachen in Europa ist zentral. Das sollten wir uns auch 2015 in allen Fraktionen vornehmen; denn Europa gelingt nur gemeinsam. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD]) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 25 Jahre nach dem Mauerfall erleben wir nun, dass an der Spitze des Europäischen Rates ein ehemaliger polnischer Ministerpräsident steht. Ich finde, das kann uns gar nicht oft genug gesagt und bewusst gemacht werden. Wer hätte das vor 25 Jahren gedacht? Gerade an diesem Moment wird deutlich, wozu diese europäische Friedensordnung in der Lage ist, welche Kraft sie entfaltet hat und entfalten kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es stimmt, was einige von Ihnen gesagt haben, dass wir nach wie vor große ökonomische, aber auch politische Herausforderungen in Europa haben. Die Staatsschuldenkrise ist noch nicht voll bewältigt. Aber es stimmt auch, dass wir auf dem Weg zur Bewältigung dieser Krise Erfolge erzielt haben: Spanien, Portugal und Irland haben den Rettungsschirm verlassen. Selbst Griechenland und Zypern sind auf einem guten Weg. Meine Damen und Herren, auch das sollten wir nicht einfach zur Seite legen. Denn es ist das Ergebnis einer richtigen Politik, einer richtigen Weichenstellung in Europa insgesamt, aber auch richtiger Weichenstellungen in den Ländern. Beides gehört zusammen: die Entscheidungen auf europäischer Ebene, beispielsweise zum Europäischen Stabilitätsmechanismus, zur Bankenregulierung oder zum Fiskalpakt, genauso wie die Entscheidungen der nationalen Gremien in den Nationalstaaten, beispielsweise für Strukturreformen und solide Haushalte. (Beifall bei der CDU/CSU) Nun stehen wir vor der Herausforderung, neben der Stabilisierung der öffentlichen Haushalte, neben den notwendigen Strukturreformen auch dafür zu sorgen, dass mehr investiert wird, dass Wachstum entsteht, dass die Arbeitslosen weniger werden, dass die Jugendlichen in den Problemländern Arbeit bekommen, in den Arbeitsprozess hineinwachsen, dass die Unternehmer dort investieren können, wo es notwendig ist. Dazu brauchen wir keine schuldenfinanzierten konjunkturpolitischen Strohfeuerprogramme. Wir brauchen auch keine Programme, die über den ESM finanziert werden. Dazu ist der Europäische Stabilitätsmechanismus nicht da. (Beifall bei der CDU/CSU) Das 315-Milliarden-Euro-Programm, das jetzt vom Kommissionspräsidenten vorgelegt wurde, ist eben kein Strohfeuerprogramm, kein Konjunkturprogramm, (Zuruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sondern ein Investitionsprogramm, bei dem private Investitionen und privates Kapital im Mittelpunkt und im Vordergrund stehen. Das ist das Entscheidende. Natürlich steht und fällt der Erfolg mit der Auswahl der entsprechenden Projekte. (Lachen des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Natürlich ist das ganz wesentlich. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat die Bundesregierung ja eine Vorreiterrolle!) – Ich sage immer: Gott sei Dank müssen wir uns nicht mit Ihnen über die Auswahl der Projekte streiten; denn dann käme nichts Gescheites heraus. (Beifall bei der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Parlamentarismus! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin sehr froh – es ist völlig richtig –, dass die Auswahl der Projekte und ihre Abwicklung von den Experten der Europäischen Investitionsbank vorgenommen werden. Denn entscheidend ist, dass es Wachstumsprojekte sind, dass es Projekte sind, mit denen keine Mitnahmeeffekte verbunden sind, dass es Projekte sind, die in der Tat wirtschaftlich tragfähig sind und nicht nur Risiken mit sich bringen, dass es Projekte sind, die dort rea-lisiert werden, wo sie tatsächlich notwendig sind; das müssen die Kriterien für die Auswahl der Projekte sein. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau! Dann stimmt Ihre Liste aber nicht! Dann holen Sie mal die Liste zurück!) Nun wissen wir auch, dass Geld zwar ein wichtiger, aber nicht der einzige Anreiz ist. Gerade für Investitionen aus privater Hand ist es sehr entscheidend, ob die Bedingungen auch stimmen, die Investitionsbedingungen, die Rahmenbedingungen; Volker Kauder hat vorhin einige angesprochen. Ganz wesentlich ist dabei der große bürokratische Aufwand, der uns allen miteinander – nicht nur in anderen europäischen Ländern, sondern auch bei uns – gelegentlich das Leben schwerer macht, als es sein müsste. Deshalb begrüße auch ich die Vorschläge zum Abbau von Bürokratie, die der Wirtschaftsminister auf den Tisch gelegt hat. Ich appelliere aber an uns alle, ohne Scheuklappen auch einmal an das heranzugehen, was sonst noch alles abgebaut werden könnte, nämlich an das, was wir – manchmal oder sogar meistens mit gutem Willen, weil wir Deutsche alles ganz besonders akkurat machen wollen – uns zusätzlich aufbürden, vorschreiben und kontrollieren usw. Da müssen wir alle uns selbst zur Brust nehmen und sagen: Das alles müssen wir einmal überprüfen. (Beifall bei der SPD – Bettina Hagedorn [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Dann fangt mal bei der Pkw-Maut an!) Dies gilt auch für das, worüber wir aktuell entscheiden. Das schreiben uns investitionsbereite Unternehmer fast tagtäglich ins Stammbuch. Dazu gehört natürlich auch, dass weiterhin alle Länder ihre Hausaufgaben machen. An den notwendigen Strukturreformen und an der notwendigen Haushaltskonsolidierung darf weiterhin kein Weg vorbeiführen. Wir in Deutschland haben eine Vorreiterrolle und auch eine Vorbildfunktion. Bei allen Gesprächen, die wir mit unseren Kollegen in Frankreich und Italien führen, müssen wir immer wieder darauf hinweisen, dass ein solider Haushalt und die notwendigen Strukturreformen die Bedingungen dafür sind, dass die Unternehmer Vertrauen in die Politik haben, und nur dann, wenn Vertrauen da ist, auch investiert wird. Das ist eine wesentliche Grundlage. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Europa ist aber nicht nur eine wirtschaftliche Kooperation, fast eine wirtschaftliche Abhängigkeit voneinander. Dieses Europa hat auch eine gemeinsame außenpolitische Stimme und eine gemeinsame außenpolitische Verantwortung; gerade durch das, was sich in der Ukraine abgespielt hat, ist das besonders deutlich geworden. Das, was wir dort beklagen müssen, bedeutet aus meiner Sicht fast eine Erschütterung unserer lange erkämpften und hart erarbeiteten Nachkriegsordnung. Diese Nachkriegsordnung hat zwei wesentliche Elemente, nämlich die territoriale Integrität der Staaten und das Selbstbestimmungsrecht der Staaten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Diese beiden wesentlichen Elemente werden und wurden durch das Verhalten Russlands beschädigt. Jeder, der Völkerrechtsverletzungen schönredet und sie als nicht so wichtig abtut, hat aus der Geschichte offensichtlich nichts gelernt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jetzt geht es darum, den Menschen in der Ukraine und ihrem Land politisch, wirtschaftlich und humanitär zu helfen. Es geht natürlich auch darum, den Gesprächsfaden mit Russland nicht abreißen zu lassen. Deshalb danke ich der Bundeskanzlerin, dem Außenminister und auch dem Entwicklungshilfeminister für all das, was sie für Deutschland auf diesem Weg geleistet haben, aber auch für die gemeinsame europäische Reaktion auf diese Situation; denn das war nicht selbstverständlich. Das ist nach wie vor harte Arbeit; meine hohe Anerkennung und mein großer Dank dafür. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Krisenherde in der Welt erschüttern uns alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das nicht erst seit wenigen Tagen. Der Terror des ISIS in Syrien und im Irak destabilisiert eine ganze Region. Viele Menschen flüchten vor diesem Terror, um Leib und Leben zu retten. Vor diesem Hintergrund sind wir alle miteinander gefordert, unseren Beitrag dazu zu leisten, dass möglichst viele Menschen dort bleiben können. Wir tun das durch humanitäre Hilfe, durch Hilfe im Bereich Ausrüstung und Waffen und künftig wohl auch durch Hilfe im Bereich Ausbildung. Trotzdem können nicht alle dort bleiben, viele müssen ihre Heimat verlassen. Die Menschen aus Syrien, aus dem Irak und anderen Krisengebieten kommen nicht zu uns, weil sie gerne reisen, sondern sie kommen zu uns, um ihr Leben zu retten, um in Sicherheit leben zu können und um nicht weiter verfolgt zu werden. Das muss uns allen bewusst sein. Natürlich muss uns auch bewusst sein, dass wir uns dabei nicht überfordern dürfen. Ich möchte auch meinerseits all jenen einen herzlichen Dank aussprechen, die sich in unseren Städten und Gemeinden als Kommunalpolitiker oder ehrenamtliche Helfer dafür einsetzen, dass diese Menschen hier gut versorgt werden, dass sie aufgenommen werden, dass sie Menschlichkeit spüren und nicht nur jetzt, vor Weihnachten, sondern auch darüber hinaus das Gefühl haben: Ja, es gibt noch so etwas wie Menschlichkeit auf der Welt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir alle müssen versuchen, das gerecht zu gestalten und natürlich auch in Europa für eine gerechte Verteilung zu sorgen. Ich teile all das, was in Bezug auf die Menschen, die auf die Straße gehen und demonstrieren, gesagt wurde. Das ist eine Aufgabe von uns allen, von jedem und jeder in diesem Parlament, aber auch von jedem und jeder in der Gesellschaft: Wir müssen aufklären, reden, diskutieren. Wir haben so ein großes Glück, in einem freien Land und einem freien Europa zu leben und unser Leben selbst gestalten zu können. Dafür sollten wir nicht nur dankbar sein, sondern wir sollten aus dieser Freiheit auch Verantwortung ableiten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gerade jetzt, zu Beginn einer neuen Epoche in Europa, jetzt, da die neue Kommission, der Europäische Rat unter einem neuen Ratspräsidenten und das Europäische Parlament die Arbeit so richtig beginnen, wird uns deutlich: Wir haben in diesem Europa mit seinen 28 ganz unterschiedlichen Ländern schon so viel geschafft. Wenn wir unsere Herausforderungen gemeinsam annehmen und dieses Europa gemeinsam weitergestalten, dann werden wir die Probleme, die vor uns liegen, so erfolgreich lösen, wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Ich wünsche der Kanzlerin bei den Verhandlungen und Gesprächen weiterhin die glückliche Hand, die sie in der Vergangenheit hatte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Manuel Sarrazin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Geehrte Frau Hasselfeldt! Ich vertraue darauf, dass Ihre Liste die EIB aussieben wird. Ich halte Ihre Liste, in gewisser Hinsicht vielleicht auch Ihre Koalition, für, technisch gesprochen, nicht förderfähig. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? Wir brauchen keine Förderung!) Aber dass Sie jetzt so tun, als wäre es Ihr Verdienst, wenn Ihre Liste mit nichtförderfähigen Projekten von Experten ausgesiebt wird, das ist schon ein starkes Stück. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Also, Herr Sarrazin, jetzt beruhigen Sie sich! – Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Ich habe von keiner Liste gesprochen!) Ich bin der Meinung, dass das Beste, was Sie und die Kanzlerin hier gesagt haben, ist, dass die Experten das entscheiden sollen. Denn Experten sind Sie nicht; das ist schon einmal klar. Von daher sind auch wir dafür. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir sind Politiker!) Sie haben über Jahre hinweg gesagt, die anderen Länder in der EU hätten keine Projekte. Jetzt reichen alle Länder Projekte ein, und es ist reines Glück, dass Deutschland noch irgendeine Liste zustande bekommen hat. Sonst wäre gar keine Liste vorgelegt worden. Sie haben keine wachstumsfördernden und nachhaltigen Investitionsprojekte, aber die anderen haben sie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Faszinierende ist, Herr Kauder, dass Sie trotzdem hier schreien. Sie sprachen von der angeblichen Beteiligung von 90 Milliarden Euro. In Echt ist es doch so: Als wirtschaftlich stärkstes Land in Europa halten Sie die Hand auf, wollen aber selber nichts geben. Anstatt jetzt ein Zeichen zu setzen, anstatt den ersten Schritt zu gehen, anstatt solidarisch für gemeinsame europäische Projekte einzutreten, die nicht nationale Selbstbedienung sind – auch nicht in Frankreich und Portugal –, über die Experten entscheiden und die europäisch ausgerichtet sind, anstatt zu sagen: „Wir sind bereit, uns zu beteiligen“, sagen Sie: Wir wollen Geld für die Elbvertiefung, aber „mir gäbet nix“. – Das ist uneuropäisch; das muss ich wirklich sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe mir jahrelang von der SPD angehört: Wir brauchen Investitionsprogramme und einen Marshallplan. Sie haben mir wirklich die Ohren abgekaut. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das tut ja körperlich weh!) Aber das Erste, was Herr Gabriel jetzt macht, ist, seinem Spitzenkandidaten, Herrn Schulz, in den Rücken zu fallen und zu sagen: Nein, Geld haben wir nicht. Wir sagen: 12 Milliarden Euro über drei Jahre in den Juncker-Plan einzuzahlen, kann Deutschland leisten. Damit würden Sie den Diskurs ändern. Sie würden diesem „Madame No“, das Frau Merkel immer zugeschrieben wird, den Boden entziehen. Sie würden zeigen: Deutschland sagt Ja. Wir sind bereit, uns zu engagieren, gemeinsam europäisch voranzugehen. Wir sind die Ersten, die Ja und nicht Nein sagen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was aber kommt von Ihnen? Wir reden über PEGIDA und sonst etwas. Zeigen Sie doch einmal etwas. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Wissen Sie, die Lage ist ziemlich schwierig, nicht nur ökonomisch. Wir sind seit Jahren in der Situation, dass die Debatten auf den Europäischen Räten mehr und mehr nationalisiert werden. Plötzlich entstehen wieder Gewinner und Verlierer. Die Magie der Europäischen Union – ich zitiere den spanischen Botschafter, Herr Grosse-Brömer –, Gewinner und Gewinner zu schaffen, die einmal mehr, einmal weniger gewinnen, aber keine Gewinner und Verlierer, droht verloren zu gehen über einen Debattenstil, bei dem jeder nur an sich selber denkt, von nationalen Interessen getrieben auf den Gipfel geht, dort verhandelt und dann zu Hause erklärt, warum Deutschland oder Frankreich oder Griechenland gewonnen haben. Die möglichen Neuwahlen in Griechenland werden genau in diesem Ton stattfinden. In diese Sentiments, in diesen Ton hinein hätte Deutschland die Gelegenheit, zu sagen: Wir unterstützen den EVP-Spitzenkandidaten bei der Umsetzung dessen, was der SPD-Spitzenkandidat Herr Schulz immer gefordert hat: Es soll im Sinne von gemeinsamen europäischen Projekten ausgestaltet und von europäischen Experten entschieden werden. Es soll einen europäischen Mehrwert haben und am besten noch einen klaren grünen Oberpunkt, nämlich nachhaltige ökologische Projekte im Bereich erneuerbarer Energien und im Bereich Breitbandausbau, die grenzüberschreitend sind. Das ist eine europäische Vision. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man muss natürlich genau auf die Kriterien schauen, man muss genau auf die Struktur schauen. Was ich heute hier gespürt habe, ist reiner Antagonismus. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist falsch!) Das Wort, das hier am häufigsten und besonders antagonistisch vorgetragen wird, ist Entschlossenheit. Wissen Sie, es reicht nicht aus, wenn Sie hier sagen: „Lassen Sie uns entschlossen in die Zukunft schauen“, und dann, wenn Herr Juncker ein Projekt vorlegt, einfach zu antworten: Ach nein – aber Geld wollen wir trotzdem. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Sarrazin. – Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Guten Morgen, liebe Gäste! – Nächster Redner in der Debatte ist Bernd Westphal für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende des erfolgreichen Jahres 2014 geht es um die richtige Weichenstellung für Europa. Es geht um die Schaffung von Perspektiven und Vertrauen für das vereinte Europa. Ebenso müssen Zuversicht und der feste Wille, die Zukunft Europas zu gestalten, signalisiert werden. Die Europäische Kommission – sie ist neu im Amt – muss gemeinsam mit dem Europäischen Parlament und natürlich auch dem Europäischen Rat für eine fortschrittliche Politik in Europa sorgen. Wirtschaftspolitisch stehen Investitionen im Fokus. In der EU ist das Investitionsniveau seit 2007 um etwa 15 Prozent gesunken. Wir brauchen mehr wirtschaftliches Vertrauen, politische Strategien und einen verlässlichen rechtlichen Rahmen sowie eine effiziente Verwendung öffentlicher Mittel. Dabei kommt es darauf an, dass große Unternehmen nicht unsere Strukturen des Gemeinwohls in Anspruch nehmen können und sich dann, wenn es um Steuerzahlungen geht, einen schlanken Fuß machen. Das müssen wir zukünftig verhindern. (Beifall bei der SPD) Mit dem Investitionsprogramm der EU sollen in den nächsten drei Jahren zusätzlich 315 Milliarden Euro realisiert werden. Das ist ein politisch ambitionierter Plan, der aber dafür sorgt, den Investitionsrückgang umzukehren, Arbeitsplätze zu schaffen, Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen und für wirtschaftliche Erholung zu sorgen. Wir müssen bei den gesamten Investitionsprojekten auch dafür sorgen, dass der Aspekt der Nachhaltigkeit mit einfließt. Wir müssen neben den Impulsen für eine Ankurbelung der Wirtschaft die sozialen und ökologischen Aspekte mit betrachten. Ganz wichtig ist dabei auch, dass wir bei der Entwicklung die Arbeitsbedingungen im Auge behalten und sicherstellen, dass Arbeit zufrieden und nicht krank macht. Wir müssen für gute tarifliche Bezahlung sorgen, für Mitbestimmung am Arbeitsplatz, und wir müssen für ein investitionsfreundliches Umfeld sorgen, in dem Innovationen überhaupt entstehen können. Hier bin ich unserer Arbeitsministerin für ihr Engagement sehr dankbar. (Beifall bei der SPD) Es ist viel über Energiepolitik gesprochen worden. Auch hier ist die Kooperation in Europa auszubauen. Es ist vor allen Dingen Sigmar Gabriel zu danken, der die Kooperation mit den Nachbarländern forciert. Zum Thema Freihandelsabkommen will ich nur sagen: Wir fangen hier doch nicht bei null an. Deutschland hat schon 131 Freihandelsabkommen mit Investitionsschutz abgeschlossen. Wir als Politik müssen die Sorgen, die da draußen in der Gesellschaft formuliert werden, natürlich ernst nehmen. Aber ich denke, es ist, was den Investitionsschutz und andere Aspekte angeht, verantwortungslos und überzogen, so zu tun, als sei das eine Bedrohung für die Menschen. Bisher haben wir durch die Freihandelsabkommen für unser Exportland gute Perspektiven geschaffen. Deshalb werden wir uns an die Formulierungen im Koalitionsvertrag halten und nicht das Tor für Dumping und Missbrauch öffnen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Norbert Barthle [CDU/CSU] – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Na, na, na!) Deutschland braucht ein starkes Europa. Es war fast 70 Jahre ein Garant für Frieden und Freiheit. Die ökonomische Stärke muss zu sozialem und ökologischem Fortschritt führen. Ich wünsche der Bundeskanzlerin bei ihren Verhandlungen viel Erfolg. Wir müssen aus dem Krisenbewältigungsmodus in den Modus der Gestaltung der Zukunft übergehen. Dafür wünsche ich uns gemeinsam viel Erfolg. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Westphal. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Sarrazin, eines muss richtiggestellt werden: Die Liste, von der Sie die ganze Zeit gesprochen haben, ist eine Liste, die von den Finanzministern angefordert wurde mit dem Ziel, baureife Projekte, obendrein auch noch möglichst im Rahmen von PPP, also mit privaten Investitionen, so schnell wie möglich umzusetzen. Das haben Sie in Ihren Ausführungen vielleicht vergessen. Es geht also darum, mit diesen Projekten so schnell wie möglich voranzukommen. Dass dies Projekte sind, die es schon länger gibt – sonst könnten sie nicht baureif sein –, liegt natürlich auf der Hand. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt aber gar nicht! Das Terminal 3 wird gerade von der Hessischen Landesregierung daraufhin überprüft, ob es ökonomisch sinnvoll ist!) Meine Damen und Herren, Deutschland ist und war in den vergangenen Jahren der Stabilitätsanker in der Europäischen Union. Wir sind das einzige Land, das es fertiggebracht hat, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben eine Verschuldungsquote von 75 Prozent!) Und: Wir haben das Vertrauen in die Euro-Zone gestärkt. Gott sei Dank ist uns das gelungen. Da bedanke ich mich vor allen Dingen bei der Bundeskanzlerin und beim Bundesfinanzminister. Denn sie sind diejenigen gewesen, die dafür gesorgt haben, dass dieses Vertrauen wieder da ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Dass sich das gelohnt hat, sieht man daran – die Bundeskanzlerin hat es eben erwähnt –, dass Portugal, Irland und Spanien aus der Krise raus sind und aus den Rettungsprogrammen ausgestiegen sind; genau das war unser Ziel. Dass Griechenland in diesem Jahr voraussichtlich sogar einen Primärüberschuss erzielt, kann man ja wohl wirklich nur als Erfolg dieser Politik bezeichnen. Darauf sollten wir stolz sein. Aber es liegen nach wie vor zahlreiche Herausforderungen vor uns, die noch nicht bewältigt sind. Wenn man sich das schwache Wachstum in Europa vor Augen führt – die EZB hat verkündet, dass es etwa 1 Prozent betragen wird – und es in Relation zum Wachstum in den USA setzt – dort wird es 3 Prozent Wachstum geben –, dann wird deutlich, dass wir noch ein gutes Stück zu gehen haben. Die Bundeskanzlerin nennt immer drei Zahlen, nämlich: In Europa leben ungefähr 7 Prozent der Weltbevölkerung, wir haben einen Anteil am Weltinlandsprodukt von etwa 25 Prozent, und 50 Prozent der weltweiten -Sozialausgaben werden in Europa getätigt. Dass wir uns dies à la longue ohne Wachstum leisten können, wage ich zu bezweifeln. Deswegen muss es unsere Aufgabe sein, für ein vernünftiges Wachstum zu sorgen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das gilt mit Sicherheit auch im Hinblick auf das 315-Milliarden-Euro-Programm, das Jean-Claude Juncker aufgelegt hat. Damit wird das Ziel verfolgt, Investitionen zu fördern, die sinnvoll sind, und nicht irgendwelche Projekte durchzuführen, die kein Mensch braucht. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie die Bundesregierung!) Das gilt auch im Hinblick auf die Billionen Euro von Herrn Draghi. Hier habe ich allerdings Bedenken, wenn ich an die „Dicke Bertha“ und an „Bazooka“ denke, in deren Rahmen mittlerweile 3 Billionen Euro für den Aufkauf von Anleihen – im Wesentlichen von Staatsanleihen; denn so viele Unternehmensanleihen gibt es auf dem europäischen Anleihemarkt überhaupt nicht – aufgewendet wurden. Das zeigt mir, dass da irgendetwas in die falsche Richtung läuft. Hier sollten wir sehr gut aufpassen. Entscheidend ist aber, dass wir in Europa eine Strukturreform hinbekommen, die den Wettbewerbsvorteil Europas ausweitet bzw. die Wettbewerbsfähigkeit Europas steigert. Es gibt eine Reihe von Programmen und Dingen, die dafür sorgen, dass wir in Europa weiterkommen, und dafür müssen wir uns einsetzen. An allererster Stelle sei hier eine nachhaltige Stabilitätspolitik genannt. An zweiter Stelle muss es auch eine europäische Energiekostenregelung geben. Wir müssen in Energiefragen in Europa gemeinsam und über die Grenzen hinaus handeln, wir müssen uns auch mit der demografischen Entwicklung nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa beschäftigen, wir brauchen eine leistungsstarke, moderne Infrastruktur inklusive des Ausbaus von Breitbandnetzen nicht nur in Deutschland, sondern über alle Grenzen hinaus; und last, but not least brauchen wir einen freien Außenhandel. TTIP ist einer der wesentlichen Faktoren, mit dem wir den freien Außenhandel verstärken können. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!) Wir müssen begreifen, dass wir jetzt weltweite Standards setzen können. Indem wir als Erste ein Abkommen mit den Amerikanern schließen, setzen wir Standards und Normen auf europäischem Niveau. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das haben Sie aber nicht gemacht!) Nebenbei bemerkt: In vielen Bereichen sind die Standards in den USA deutlich höher als bei uns. Fragen Sie doch einmal in der pharmazeutischen Industrie nach, wie hoch die Zulassungsschranken für Arzneimittel in den USA im Vergleich zu uns sind. Bei uns sind sie wesentlich niedriger als in den USA. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Kanada!) Das zeigt, dass auf beiden Seiten zum Teil Standards gesetzt wurden, die so hoch sind, dass sie kaum einer erfüllen kann. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: TiSA!) Wir sollten es gemeinsam so schnell wie möglich hinbekommen, vernünftige Standards mit den beiden großen Blöcken zu vereinbaren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn die Kaufkraft in einem Bereich 800 Millionen Euro beträgt, wird das auch auf andere Bereiche überschwappen. Sie wissen, dass die Doha-Runde vor Jahren zu einem Stillstand gekommen ist. Auf diese Art könnten wir das gesamte Welthandelssystem wiederbeleben. Deswegen muss es unser vorrangiges Ziel sein – hier sind wir alle in diesem Hohen Hause gefordert –, so schnell wie möglich auf den Pfad der Tugend zurückzukehren und dafür zu sorgen, dass TTIP unterzeichnet wird. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Was ist denn mit Kanada? Warum haben Sie das mit Kanada nicht gemacht? – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das mit Kanada ist doch super gelaufen!) – Ein vor allen Dingen bei Ihnen vorhandener latenter Antiamerikanismus darf hier nicht ausgelebt werden. So wollen wir uns das nicht kaputtmachen lassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie haben es doch nicht gekonnt! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Höherer Investitionsschutz als bei CETA!) Ein Punkt sollte noch angesprochen werden, der uns intensiv beschäftigen muss, nämlich der demografische Wandel, der in Deutschland zu heftigen Folgen führt. Im letzten Jahr sind in Deutschland 33 500 Ausbildungsstellen nicht besetzt worden. In diesem Jahr werden es wahrscheinlich noch weit mehr sein. Das zeigt, wie schwierig die Situation in Deutschland ist. Schauen Sie sich einmal die Altersstruktur der unterschiedlichen Länder an. Mit im Durchschnitt 46,1 Jahren haben wir zusammen mit Japan die älteste Bevölkerung. In Frankreich beträgt das durchschnittliche Alter 40,9 Jahre, in den USA 37,6 Jahre, in China 36,7 Jahre, in Brasilien 30,7 Jahre und in Indien gar nur 27 Jahre. Das zeigt, dass sich hier etwas gewaltig verändert und dass sich bei uns etwas verändern muss. Deswegen finde ich das, was Thomas Oppermann eben gesagt hat, richtig: Wir brauchen auch ein vernünftiges Einwanderungsmodell bezogen auf Länder außerhalb Europas. Das halte ich für notwendig, und ich glaube, wir können das auch schaffen. Vielleicht denken wir einmal über das kanadische Modell nach, was sicherlich ein Hinweisgeber sein kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Vor kurzem wurde der ifo-Wirtschaftsklimaindex veröffentlicht. Er ist zum zweiten Mal hintereinander positiv. Das zeigt: Auch in der Wirtschaft erwartet man, dass die Situation im nächsten Jahr besser wird. Das ist eine frohe Botschaft kurz vor Weihnachten. Ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Michael Fuchs. Ich wünsche Ihnen auch ein schönes Weihnachtsfest. – Der nächste Redner ist Christian Petry für die SPD. (Beifall bei der SPD) Christian Petry (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Regierungserklärungen zum Europäischen Rat haben als Schwerpunkt oftmals natürlich auch die Reformprogramme des Europäischen Semesters, die hier schon genannt worden sind. In diesem Zusammenhang wird auch über das Investitionsprogramm diskutiert. Herr Sarrazin, Sie bauen hier einen Pappkameraden auf und machen ihn dann auch noch selber kaputt. Wir können gerne über parlamentarische Beteiligungen und darüber diskutieren, wie diese Investitionslisten zustande kommen. Hier bin ich auch für Kritik offen. Wir sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, dass wesentlich mehr Mittel für den Bereich der Digitalen Agenda und für den Bereich der Energiewende angemeldet wurden als für den Autobahnbau. Das sollte man fairerweise zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Deutschland!) Außerdem sollte man zur Kenntnis nehmen, dass wir mitten in einem Diskussionsprozess sind. Die Situation so darzustellen, als wäre dieser Prozess schon abgeschlossen, als könnte hier nichts mehr passieren, ist gänzlich falsch. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon abgeschlossen!) Wir sind gerne bereit, darüber zu reden, inwieweit eine finanzielle Flankierung der Maßnahmen durch Deutschland, etwa über die KfW, möglich ist. Warum denn nicht? Wir sind doch mitten in einem Diskussionsprozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Daher war das ein Pappkamerad, der aufgestellt und anschließend niedergeschmettert wurde. Das hat mit der Realität in diesem Fall aber nichts zu tun. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Norbert Barthle [CDU/CSU]) Wir müssen beim Europäischen Semester natürlich auch aufpassen; denn seine Leitlinien stammen noch aus der alten Ära. Juncker hat etwas Neues angestoßen. Er hat als Erster gesagt, dass wir mehr Investitionen brauchen. Die Austeritätspolitik ist damit etwas zurückgegangen. Wir müssen Investitionsanreize in Europa schaffen. Angesichts 25 Millionen Arbeitsloser und davon 5 Millionen arbeitsloser Jugendlicher wird deutlich, wie wichtig diese Kehrtwende in der europäischen Politik ist. Mit diesem Investitionsvorstoß hat sich die wirtschaftspolitische Debatte grundlegend geändert. Nicht nur wir reden von Investitionen, sondern auch Frau Merkel und Herr Schäuble. Das ist insgesamt gut für die Große Koalition. Ich glaube, mit dieser europäischen Initiative, die wir positiv begleiten sollten, sind wir auf einem guten Weg. Trotz vieler Kritikpunkte, trotz vieler offener Fragen, wie was zustande kommt, wie geprüft wird und was am Ende gefördert wird, sollten wir die Erreichung des Ziels unterstützen, weg von den fehlenden Investitionen und hin zur Schaffung von mehr Wirtschaftskraft und zur Schaffung von Nachfrage und damit auch zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen in Europa. Das ist ein positiver Ansatz. Insoweit unterstützen wir diese Initiative. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU]) Europäischer Mehrwert und schnelle Umsetzbarkeit, das sind die Maßstäbe, die hier gesetzt werden. Ebenfalls vorgegeben ist, dass es keine regionale oder sektorale Gewichtung gibt. Die Strukturreformen, die durch das Europäische Semester vorgegeben sind, sind nicht der Maßstab des Investitionsprogramms. Das halte ich auch für gut so. Ich halte es auch für gut, dass eine unabhängige Expertengruppe diese 900 gemeldeten Projekte prüft, damit wir im Laufe des Jahres 2015 zu einem umsetzungsfähigen Konzept kommen. Jetzt haben wir noch ein halbes Jahr lang Zeit, dies seitens des Deutschen Bundestags bzw. der Bundesrepublik Deutschland mit Mitteln zu flankieren, die wir in den Bereichen einsetzen, in denen das sinnvoll ist. Wir sind gerne bereit, diese Debatte zu eröffnen. Ich glaube, die im Rahmen des Europäischen Rats gefassten Beschlüsse sind gut für Europa. Insofern ist der heutige Tag ein guter Tag. Wir sollten unsere Bundesregierung unterstützen, diesen Weg weiter zu gehen, dies auch in der vorweihnachtlichen Zeit. In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine schöne vorweihnachtliche Zeit und frohe Weihnachten. Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Auch Ihnen wünschen wir schöne Weihnachten, lieber Christian Petry. – Der letzte Redner in dieser Debatte ist Gunther Krichbaum für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Rat hat eine sehr umfangreiche Tagesordnung. Es stehen Themen zur Debatte wie das Juncker-Paket, über das wir heute Morgen schon viel gehört haben, aber auch das besorgniserregende Thema Ebola, wie natürlich auch die Ukraine und möglicherweise auch am Rande – aber nicht zu unterschätzen – das Thema Griechenland. Vor die Klammer gezogen könnte man sagen: Allen Themen ist eines gemeinsam: Wir müssen uns um mehr Stabilität bemühen. Im Falle des Juncker-Paketes geht es um Wachstum und damit um die Schaffung wirtschaftlicher Stabilität. Bei Ebola geht es um gesundheitliche, vielleicht sogar um humanitäre Stabilität. Im Fall der Ukraine geht es mindestens um geopolitische Stabilität. Im Falle von Griechenland geht es mit Sicherheit um die politische Stabilität. Dieser Eindruck entsteht zumindest angesichts der aktuellen Wahlen. Insoweit ist es kein einfacher Gipfel, der jetzt bevorsteht. Ich möchte mich auf das Thema Ukraine konzentrieren. Wer hätte noch vor gut einem Jahr gedacht, dass das Jahr 2014 so verlaufen wird? 100 Jahre Ausbruch des Ersten Weltkrieges, 75 Jahre Ausbruch des Zweiten Weltkrieges: Das sollte im Zentrum des Gedenkens stehen, ebenso wie 25 Jahre Fall der Berliner Mauer und damit auch der Fall des Eisernen Vorhangs, gewissermaßen als ein Zeichen des vereinigten Europas, geeint in die Zukunft zu gehen. Vor gut einem Jahr flammten die Proteste auf dem Maidan oder, wie er später genannt wurde, Euromaidan auf, und zwar nur deshalb, weil der damalige Präsident Janukowitsch sich weigerte, das sogenannte Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen. Er reiste gerade von Moskau zurück. Das Assoziierungsabkommen hat zum Inhalt, dass das Land sich den europäischen Standards wie Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie annähern kann. Genau das gefiel Russland nicht. Fortan ging es Russland, namentlich Herrn Putin, nur darum, die Ukraine zu destabilisieren, ja zu demontieren. In diesem Jahr wurde die Krim annektiert. Es erfolgte eine subtile Invasion in den Osten der Ukraine. Seither sind über 4 500 Tote zu verzeichnen. Es ist der heftigste Krieg in Europa seit den Balkankriegen. 10 000 russische Soldaten befinden sich in der Ukraine. Es gibt 530 000 Binnenflüchtlinge: Flüchtlinge, die aus dem umkämpften Ostteil der Ukraine in andere Gebiete der Ukraine flüchten mussten. Dies beim Namen zu nennen, sind wir alleine schon den Opfern in der Ukraine schuldig und auch ein klein wenig Andreas Schockenhoff, der sich in der Vergangenheit nie davor gescheut hat, diese Fakten beim Namen zu nennen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir erleben jeden Tag den evidenten Bruch von Völkerrecht. Wie Sie als Linksfraktion für die Rücknahme der Sanktionen gegen Russland werben können, ist mir deshalb, gelinde gesagt, schleierhaft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das zeichnet uns aus!) Die Sanktionen zu verhängen, war richtig und wichtig. Es ist das einzige ernsthafte Druckmittel, das wir in unseren Händen halten und auch in unseren Händen halten müssen. Die Sanktionen wirken auch. Sie wirken unmittelbar, und sie wirken mittelbar. Denn der Abzug der ausländischen Direktinvestitionen hat dazu geführt, dass auch Vertrauen in Russland verloren gegangen ist. Der Rubel verfällt. Der Leitzins steht mittlerweile bei 17 Prozent. Fallende Rohölpreise tun ihr Übriges dazu. Deswegen geht es darum, den Druck auf Russland aufrechtzuerhalten. Wir wollen die Sanktionen nicht. Aber wenn sie das einzige Mittel sind, um Russland zum Einlenken zu bewegen, dann sind sie notwendig und erforderlich, und das auch in der Zukunft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich darf an dieser Stelle auch Bundeskanzlerin Merkel herzlich danken, weil sie sich unermüdlich dafür einsetzt, dass wir im Wege eines Dialoges zu einer Lösung kommen. Mein Dank gilt auch Frank-Walter Steinmeier. Auch die Telefonkonferenz am vorgestrigen Tage mit dem französischen Präsidenten François Hollande hat gezeigt, dass wir als deutsch-französisches Tandem in Europa weiter der Motor sein müssen, auch wenn es um die Lösung von Konflikten in Europa geht. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Dr. Diether Dehm? Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Bitte sehr. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Kollege Krichbaum, es geht nicht nur um die Linke. Würden Sie mit ähnlichem Unverständnis beiseitewischen, dass auch in dem Aufruf der Zeit sehr viele Menschen, darunter zwei frühere Bundeskanzler – man hört separat auch Ähnliches von Ihrem früheren Bundeskanzler Kohl, aber zu den Unterzeichnern zählt sein Berater Teltschik –, ähnliche Positionen vertreten wie die Linke? Übrigens sprechen sich auch viele mittelständische Großunternehmer dafür aus, die Sanktionen zumindest nicht weiter zu verschärfen oder möglicherweise sogar zurückzunehmen. Ist die Forderung nach Beendigung der Sanktionen nur ein Spleen der Linken, oder könnte sie auch auf wirtschaftlicher Vernunft gegründet sein? Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Meine Antwort ist völlig klar: Die Aggression und der Angriff Russlands auf die Ukraine waren nicht nur eine Aggression und ein Angriff auf ein anderes Land. Vielmehr handelt es sich auch um einen Angriff auf unsere Werte in der Europäischen Union wie Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das war nicht die Frage!) Wir müssen Russland hier entschlossen entgegentreten; darum geht es. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie können nicht einmal die Frage beantworten! Dazu sind Sie nicht in der Lage!) Es gibt nicht die Option einer militärischen Reaktion, wohl aber die Option einer wirtschaftlichen Reaktion. Sollen wir denn ein Jahr nach den MaidanDemonstrationen die Menschen alleinlassen, die keinen sehnlicheren Wunsch haben als den, (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Antworten Sie einfach auf die Frage!) die Werte, die wir seit Jahrzehnten in Europa als selbstverständlich auffassen, mit uns zu teilen? Genau deswegen gilt unsere Solidarität den Menschen in der Ukraine. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ich habe etwas anderes gefragt!) Das Ziel bleibt. Wir müssen als Erstes eine sicherheitspolitische Stabilisierung der Ukraine herbeiführen. Deswegen ist es wichtig, die Kontaktgruppe aus Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE alsbald zu etablieren. Prozesse wie der Genfer Prozess sind hilfreich und gut – in diesem Fall unter Beteiligung der USA –, genauso wie der runde Tisch, der von Wolfgang Ischinger mit initiiert und geleitet wurde. Wir brauchen solche Formate des gegenseitigen Kontakts und des gegenseitigen Gesprächs. Beide Seiten müssen die Vereinbarung von Minsk zügig umsetzen. Das gilt nicht nur, aber ganz besonders für die russische Seite. Aber wir müssen auch die ukrainische Seite dazu bewegen, die Reformen alsbald umzusetzen. Das ist wichtig, weil wir als EU und im engen Schulterschluss mit dem IWF helfen wollen. Die Ratifizierung des Assoziierungsabkommens in den europäischen Parlamenten schreitet voran und wird in der ersten Hälfte des neuen Jahres auch im Deutschen Bundestag ihren Abschluss finden. Das ist wichtig; denn das sind wahre Signale. Manche tun so, als wäre die Ukraine gespalten und als lebten im Ostteil der Ukraine nur diejenigen, die sich eine zügige Annäherung an Russland wünschen. Das ist und bleibt eine Mär. Die demokratischen Wahlen haben eine demokratische Legi-mitation für den Präsidenten und das Parlament in der Ukraine geschaffen. Alle Resultate haben gezeigt, dass die proeuropäischen Kräfte auch im Ostteil der Ukraine klar die Mehrheit bilden. Letzte Anmerkung. Das zweite Ziel muss die wirtschaftliche Stabilisierung der Ukraine sein. Das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine ist seit Jahresbeginn um 8 Prozent gefallen. Wenn wir eine politische Stabilisierung erreicht haben und eine wirtschaftliche Stabilisierung langfristig wollen, dann braucht auch die Ukraine eine Art Marshallplan; ohne das wird es nicht gehen. Wir werden uns in diesem Hohen Hause mit der Ukraine vermutlich wesentlich länger befassen, als wir uns das heute wünschen oder vorstellen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Krichbaum. – Zu einer Kurzintervention hat das Wort Marieluise Beck. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Weihnachtspause gehen, möchte ich Ihnen noch zwei, drei Sätze sagen. Ich habe in den letzten zwei Tagen mit sehr vielen Vertretern von Bürgerinitiativen sowohl aus Russland als auch aus der Ukraine – das ist wichtig – zusammengesessen, die im Donbass aktiv sind. Die Situation ist so katastrophal, wie man es sich mitten in Europa kaum vorstellen kann. Wir alle sind tief beeindruckt von der überdimensionalen Krise, die durch ISIS in Syrien mit Millionen von Flüchtlingen hervorgerufen worden ist. In der Ukraine sind infolge dieses Krieges 1 Million Menschen geflohen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass uns das nicht ganz klar und nicht bewusst genug ist, dass wir diese Information nicht in unsere Wahlkreise tragen und die Menschen nicht genug bitten, diesen Flüchtlingen zu helfen. Der Winter wird katastrophal. Die Söldner, die den Donbass erobert haben, haben ihn zwar erobert, aber sie sind nicht in der Lage, die Menschen zu versorgen. Die Bergwerke stehen unter Wasser, es gibt keinen Strom, die Rentner sind in einer katastrophalen Lage. Es werden dort Menschen erfrieren und verhungern. Ich möchte deswegen ganz stark darum bitten, dass wir alles, was nur irgend möglich ist, tun, um dieser humanitären Katastrophe, die vor unserer Haustür stattfindet, entgegenzuwirken, so gut wir können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Beck. – Herr Krichbaum, wenn Sie mögen? (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Ich schließe mich dem voll an!) Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3559. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die Linke, dagegen gestimmt haben die CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Finanzhilfen zugunsten Griechenlands; technische Verlängerung und Fortführung der Stabilitätshilfe Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes auf Verlängerung der bestehenden Finanzhilfefazilität sowie nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes, der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich vorsorgliche Finanzhilfe zu gewähren Drucksache 18/3532 Nach interfraktioneller Vereinbarung sind 60 Minuten für die Aussprache vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort Dr. Wolfgang Schäuble für die Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Griechenland hat einen schwierigen Weg hinter sich, und dieser Weg ist noch nicht zu Ende. Deswegen hat das Land am 9. Dezember zwei Anträge gestellt, erstens einen Antrag auf eine technische Verlängerung der laufenden Finanzhilfevereinbarung, also des laufenden Hilfsprogramms, das ohne diese Verlängerung Ende Dezember ausläuft, und zweitens einen Antrag für die Zeit nach ordnungsgemäßer Beendigung dieses Programms zur Bereitstellung einer Stabilitätshilfe in Form einer vorsorglichen Kreditlinie. Wir haben in der Euro-Gruppe in der vergangenen Woche diese Anträge grundsätzlich begrüßt. Wir haben in der Stabilisierung der Euro-Zone in den letzten Jahren – das ist gerade von der Bundeskanzlerin in Erinnerung gerufen worden – mehr erreicht, als viele es vor ein paar Jahren zu hoffen gewagt haben. Gerade die Länder unter den Hilfsprogrammen haben große Fortschritte gemacht. Diese fünf Länder führen die Länder im OECD-Ranking an, die strukturelle Reformen durchgeführt haben. Auch Griechenland ist auf einem guten Weg. Das Land ist in einer besseren Verfassung, als die meisten vor einigen Jahren für möglich gehalten haben. Kein Land in der Europäischen Union hatte vergleichbare Probleme. Ich habe mir die Zahlen mitgebracht. Griechenland hatte im Jahre 2009 einen Primärsaldo von minus 10,5 Prozent oder 24 Milliarden Euro, also ohne Berücksichtigung von Zinsausgaben. Griechenland hatte ein Haushaltsdefizit von 15,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2009. 2012 hat Griechenland noch ein Defizit von 8,6 Prozent gehabt und einen Primärsaldo von minus 3,6 Prozent. Inzwischen hat es einen positiven Primärsaldo erreicht. 1,6 Prozent werden für dieses Jahr erwartet. Das Wachstum in Griechenland, das 2012 bei minus 7 Prozent lag, wird in diesem Jahr bei 0,6 Prozent erwartet. In den letzten drei Quartalen ist die griechische Wirtschaft insgesamt stärker gewachsen als die des Euro-Raums im Durchschnitt. Wenn also die begonnenen Reformen in Griechenland konsequent fortgesetzt werden, dann kann Griechenland auf diesem Weg weitere Erfolge haben. Die Troika erwartet für das nächste Jahr ein Wachstum von 3 Prozent. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Anstrengungen waren in Griechenland schwieriger als in jedem anderen Land; das muss man immer wieder sagen. Diese Anstrengungen beginnen sich für die Menschen in Griechenland auszuzahlen. Arbeitsmarktreformen haben das Land wieder wettbewerbsfähig gemacht. Die Lohnstückkosten sind zurückgegangen. Die Arbeitslosigkeit beginnt zu sinken. Griechenland wird in diesem Jahr zum ersten Mal das Maastricht-Kriterium der 3Prozent-Defizitgrenze unterschreiten. Die Troika prognostiziert, dass die Quote der Gesamtverschuldung, die, solange man Defizite und kein Wachstum hatte, natürlich anstieg, ab 2015 deutlich sinken wird. So sind in allen Ländern unter Hilfsprogrammen und auch in Griechenland Strukturreformen und Haushaltssanierungen Hand in Hand gegangen. Es gibt den Gegensatz zwischen Strukturreformen und finanzieller Konsolidierung nicht; dies zeigen die Programmländer und auch Griechenland. Wenn beides konsequent gemacht wird, kommt ein Land voran. Daraus sollten alle in Europa ihre Schlüsse ziehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die erreichten Erfolge Griechenlands verdanken sich einer großen Kraftanstrengung seiner Bürgerinnen und Bürger; auch das muss man immer wieder sagen. Deswegen ist es wichtig, dass das Hilfsprogramm jetzt zu einem guten Abschluss gebracht wird. Denn trotz aller Fortschritte konnte die fünfte und letzte Programmüberprüfung nicht in allen Fragen bis zum Jahresende abgeschlossen werden. Dieser Abschluss ist aber die Voraussetzung für die Auszahlung der letzten Tranche von noch ausstehenden 1,8 Milliarden Euro. Deshalb ist eine technische Verlängerung dieses Programms notwendig; und eine Verlängerung um zwei Monate ist vertretbar. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Verlängerung um nur zwei Monate erfolgen soll. Ein gutes Ende ist in überschaubarer Zeit möglich. Auch das zeigt, wie das Land vorangekommen ist. Aber Griechenland muss natürlich, wie verabredet, weitere Reformen umsetzen und weitere Sanierungsschritte gehen. Man kann das gar nicht oft genug betonen: Das ist zum eigenen Vorteil. Die verabredeten Reformen müssen konsequent implementiert werden, und das entspricht dem Eigeninteresse Griechenlands, im Übrigen auch seiner europäischen Verantwortung; denn auch Solidarität beruht auf Gegenseitigkeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es geht immer um nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung und um nachhaltig tragfähige Staatsfinanzen. Es ist Griechenland in diesem Jahr zwar eine Teilrückkehr an die Finanzmärkte gelungen, aber die Unsicherheiten auf den Finanzmärkten bestehen auch angesichts anhaltender innenpolitischer Unsicherheiten natürlich fort. Man kann das gut verfolgen. Deswegen muss eine glaubhafte Fortsetzung des Reformkurses abgesichert werden. Dazu ist eine vorsorgliche Kreditlinie das richtige Instrument; denn damit können wir die allmähliche Rückkehr Griechenlands an die Finanzmärkte absichern. Wir müssen dazu keine neuen Mittel bereitstellen. Bis zu 10,9 Milliarden Euro im auslaufenden Programm, die für Bankenrekapitalisierung vorgesehen waren, werden nicht verwendet. Diese Mittel können wir dafür bereitstellen. Sie müssen nicht ausgegeben werden, aber selbst wenn sie in Anspruch genommen würden – was man ja bei einer vorsorglichen Kreditlinie zwar nicht beabsichtigt, aber auch nicht ausschließen kann –, würde sich die Gesamtsumme der an Griechenland ausgereichten Darlehen nicht erhöhen. Für diese vorsorgliche Kreditlinie ist nach unserem ESM-Finanzierungsgesetz ein zweistufiges parlamentarisches Verfahren vorgesehen: Der Deutsche Bundestag muss dem zweimal in Plenarsitzungen zustimmen. Das ist unter den parlamentarischen Beteiligungsrechten in Europa einzigartig; ich will es nur erwähnt haben. Ich will auch daran erinnern – schließlich ist auch darüber diskutiert worden –: Wir fällen zunächst eine Entscheidung im Grundsatz, mit dem Ziel, überhaupt ein Verhandlungsmandat über ein solches Finanzierungsin-strument zu erteilen. Erst später wird dann gegebenenfalls über die konkrete Vereinbarung noch einmal im Bundestag abgestimmt. In dem Antrag des Bundesfinanzministeriums geht es unter Ziffer 2 – darüber haben wir gestern schon im Finanzausschuss und in anderen Ausschüssen diskutiert – um die erste Stufe, also um die Entscheidung im Grundsatz. Das entspricht übrigens der Anforderung des ESM-Finanzierungsgesetzes. Dort heißt es nämlich in § 7, dass der Bundestag zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten ist und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden soll. Da wir in der letzten Woche darüber geredet haben, weiß ich schon, welchen Brief ich vom Bundestagspräsidenten bekommen hätte, wenn wir diesen Antrag in dieser Woche nicht vorlegt hätten. Jetzt bekomme ich einen anderen Brief; aber damit muss man leben. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Unterrichten! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterrichten! Aber nicht heute schon entscheiden! Das ist ein Unterschied!) – Wir können aber heute entscheiden. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können nicht, weil die Dokumente nicht vorliegen!) – Wir können heute entscheiden; denn wir haben Ihnen die Dokumente, die uns vorliegen, vorgelegt. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Einschätzungshoheit soll vom Bundestag an die Bundesregierung übergehen! Das ist Ihr Punkt!) – Nein, überhaupt nicht. Ich bin doch gerade bereit, Ihnen das zu erklären; aber dass Sie vorher schon widersprechen, zeigt ja, dass Sie nicht informiert werden wollen, sondern hier nur eine billige Polemik machen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Will er!) Dafür ist die Sache aber zu ernsthaft und zu wichtig. Wenn Sie einmal nachlesen, was in der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu zu finden ist, (Heiterkeit bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Genau! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) dann werden Sie feststellen, (Philipp Graf Lerchenfeld [CDU/CSU]: Gelesen, aber nicht verstanden!) dass das Bundesverfassungsgericht sagt: Die Bundes-regierung soll möglichst wenig vollendete Tatsachen schaffen. – Insofern: Wenn wir in der Euro-Gruppe sagen: „Ja, gegebenenfalls sind wir bereit“, dann stellen wir diesen Antrag ja nur unter der Voraussetzung, dass erstens das Programm ordnungsgemäß abgeschlossen wird und dass zweitens die entsprechenden Anlagen vorliegen, über die wir selbstverständlich den Bundestag und die zuständigen Ausschüsse immer zeitnah unterrichten werden, damit wir dann darüber verhandeln können. Denn im Grundsatz haben wir ja schon gesagt: Wir als Regierungen würden unseren Parlamenten empfehlen, im Zweifel einem solchen Antrag zuzustimmen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Schäuble, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Manuel Sarrazin? Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Bitte, gerne. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Schäuble, Sie wissen ja, dass wir Grüne und auch ich persönlich beim Thema Griechenland immer sehr konstruktiv waren und es auch weiterhin sein werden und dass wir bei diesem Thema nie formale Ausreden gesucht haben. Das weiß ich auch von Ihnen. Dennoch möchte ich Sie hier fragen: Stimmt es, dass der Gouverneursrat die Entscheidung der ersten Stufe über die Aufnahme von Verhandlungen zur Ausverhandlung eines Memorandum of Understanding erst Mitte bis Ende Januar treffen wird und dass der Gouverneursrat diese Entscheidung auch nur nach Vorliegen aller notwendigen Dokumente, also auch der Dokumente, die im Benehmen von Kommission und EZB angefertigt werden müssen, treffen wird? Warum sollen wir als Deutscher Bundestag bereits heute entscheiden und nicht in einer Sitzungswoche im Januar oder in einer Sondersitzung im Januar, also direkt davor, wenn auch uns alle Dokumente vorliegen, bzw. warum sollen wir Ihnen die Aufgabe, die Dokumente zu bewerten und mit der vorläufigen Beurteilung der Kommission zu vergleichen, überlassen, wenn es eigentlich eine Aufgabe des Parlaments wäre, Ihnen diese Arbeit abzunehmen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Sarrazin, die Rechtslage nach dem ESM-Finanzierungsgesetz ist ein Stück weit anders. Ich widerspreche Ihnen nicht, dass es auch noch reichen könnte, wenn der Bundestag in der ersten Sitzungswoche im Januar darüber abstimmt. Aber es geht nicht nur um die Frage, ob der Bundestag entscheiden muss, sondern auch um die Frage, ob die Bundesregierung diesen Antrag jetzt stellen kann. Es ist klar, dass die Bundesregierung den Antrag zum frühestmöglichen Zeitpunkt stellen muss und dass dafür übrigens die notwendigen Unterlagen, nämlich die jetzt verfügbaren, einschließlich einer vorläufigen Einschätzung der Kommission, die auch dem Bundestag mit dem Antrag zur Verfügung gestellt worden ist, vorliegen müssen. Diese Unterlagen werden, wenn die Arbeiten fortgesetzt werden, natürlich ergänzt. Wann der ESM-Gouverneursrat letztendlich entscheiden wird, weiß ich nicht. Aber die Systematik unseres Parlamentsbeteiligungsgesetzes sieht vor, dass wir bereits vor der Aufnahme von Verhandlungen den Bundestag um Zustimmung bitten, ob wir das machen dürfen oder nicht. Das müssen wir jetzt machen, heute. Wir müssen den Antrag heute stellen. Der Bundestag ist natürlich souverän, zu entscheiden, wie er will. Ich empfehle Ihnen aber und bitte darum, dass Sie heute zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Für den Fall, dass der Bundestag zustimmt, wird der Vertreter der Bundesregierung dann gegebenenfalls einem Beschlussvorschlag zustimmen können, mit dem die Kommission beauftragt wird, im Benehmen mit der EZB und möglichst auch dem IWF die Einzelheiten eines solchen Vertrags überhaupt erst auszuhandeln, der dann wiederum dem Bundestag vorgelegt werden wird. Die Kommission hat, Herr Kollege Sarrazin, ausdrücklich bestätigt, dass die Zugangskriterien für eine vorsorgliche Kreditlinie vorliegen. Das ist eine vorläufige Einschätzung der Kommission; die kennen Sie, die haben wir Ihnen vorgelegt. Deswegen beantragen wir die Zustimmung des Bundestages unter der Maßgabe, dass sich diese vorläufige Einschätzung der Kommission bestätigt. Es wird dem Bundestag also überhaupt nichts weggenommen, sondern es wird dem Ansinnen einer möglichst frühen Beteiligung nachgekommen. Ich bitte, das nicht falsch darzustellen, gerade da Sie sagen, Sie seien sonst immer sehr konstruktiv. Natürlich werden wir die endgültigen Dokumente, sobald sie vorliegen, dem Bundestag unverzüglich zusenden. Dann werden wir dem -Bundestag eine Einschätzung der Bundesregierung geben, inwieweit die Voraussetzungen eines etwaigen Maß-gabebeschlusses, wenn Sie ihn denn heute treffen, erfüllt sind. Noch einmal: Wir haben dieses Vorgehen gewählt – es war die Abwägung: Sollen wir es erst später machen oder schon heute? –, weil es dem Grundsatz der frühestmöglichen Einbindung entspricht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Später wäre auch nicht richtig gewesen!) Wir sind aber auch aus einem zweiten Grund so vorgegangen; ich bitte Sie, auch diesen zu bedenken, Herr Kollege Sarrazin. Es gibt nach wie vor eine Unsicherheit in den Finanzmärkten, die durch die innenpolitische Situation in Griechenland ein Stück weit genährt wird. Wir haben in den letzten Wochen beobachten können, dass sich diese Unsicherheit in den Finanzmärkten verstärkt. Deswegen wäre es ein stabilisierend wirkendes Signal für alle, für Griechenland, für die Märkte, für die Euro-Zone als Ganzes, wenn klar wird: Ja, wenn Griechenland seine Verpflichtungen erfüllt, wird das Programm innerhalb von zwei Monaten zum Abschluss gebracht, und dann kann auch unter der Voraussetzung einer entsprechenden Vereinbarung mit der entsprechenden Konditionalität anschließend eine Absicherung mit einem vorläufigen Beistandskredit beschlossen werden. Deswegen ist es neben der Erfüllung unserer parlamentarischen Verpflichtungen auch richtig, in dieser kritischen Phase möglichst viele stabilisierende Signale zu setzen. In diesen Tagen finden in Griechenland, wie Sie wissen, Präsidentschaftswahlen statt. Spätestens am 29. Dezember werden wir Klarheit über den Ausgang dieser Wahlen haben. Vorausgesetzt, wir haben eine handlungsfähige Regierung in Griechenland, wird die Troika Anfang Januar nach Athen zurückkehren können und über die notwendigen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abschluss des Hilfsprogramms verhandeln können. Griechenland hat durch eigene Anstrengungen und mit unserer Solidarität viel erreicht. Es hat gute Chancen, das Hilfsprogramm innerhalb der nächsten zwei Monate abzuschließen. Wenn wir dann die vollständige Rückkehr des Landes an die Finanzmärkte mit diesem Beistandskredit weiter absichern, dann gibt es eine gute Chance, dass dieser Weg fortgesetzt werden kann. Deswegen bitte ich Sie, einer Verlängerung der laufenden Finanzhilfevereinbarung für Griechenland bis Ende Februar und grundsätzlich dem Beginn von Verhandlungen über eine vorsorgliche Kreditlinie als Sicherheitsnetz für Griechenland zuzustimmen. Leisten wir weiterhin Hilfe zur Selbsthilfe. Wir haben auf dem Weg, die Währungsunion zu stärken, in den zurückliegenden Jahren mehr erreicht, als uns die meisten zugetraut haben. Wir sollten diesen Weg gerade angesichts eines schwierigen und volatilen Umfelds, politisch wie ökonomisch, entschlossen und geschlossen weiter fortsetzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Dr. Schäuble. – Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schäuble, Sie haben recht: Es geht um eine technische Verlängerung und um eine vorsorgliche Entscheidung. Dies ist wirklich nur ein Mosaiksteinchen in einem Grundproblem, in der Grundstrategie, die Sie fahren. Ich will für die Linke klar sagen: Wir wollen uns in diese Strategie nicht einbinden lassen. Das ist nicht unsere Politik. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben die ganz kuriose Situation, dass wir hier im Deutschen Bundestag in diesem Verfahren mehr Mitspracherecht haben als das griechische Parlament. Das sagt eine ganze Menge über die Demokratie. Die Troika kontrolliert den griechischen Staatshaushalt. Ich empfinde das wirklich als ein großes Problem. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben hier als Mitglied der Bundesregierung Ihren Antrag auch damit begründet, dass Griechenland Fortschritte macht. Ich will dazu einige Beispiele nennen: Auf der Website des Finanzministeriums wird die Rentenreform in Griechenland sehr gelobt, nämlich „als eine der bedeutendsten Leistungen des ersten Programms“. Weiter heißt es da: Die in diesem Kontext getroffenen Maßnahmen -haben die Lohnersatzquote gesenkt und führen zu einer Senkung des versicherungsmathematischen Defizits um 10 Prozentpunkte des BIP bis 2060. Die Übersetzung dieser Einschätzung heißt nichts anderes, als dass Sie mit der Anhebung des Renteneintrittsalters und vielen anderen Maßnahmen dafür gesorgt haben, dass die Renten in Griechenland real um 40 Prozent gesenkt worden sind. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ein zweites Beispiel. Sie sagen – wiederum auf Ihrer Website –: Im Gesundheitswesen wurden die öffentlichen Ausgaben für Arzneimittel durch entsprechende Reformen von 3,9 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf rund 2,5 Milliarden Euro im Jahr 2013 gesenkt. Auch diese Botschaft will ich hier übersetzen: Wer heute in Griechenland länger als zwei Jahre arbeitslos ist, verliert seine Krankenversicherung. Inzwischen sind rund 3 Millionen Griechinnen und Griechen, 30 Prozent der Griechinnen und Griechen, ohne Krankenversicherung, meine Damen und Herren. Chronisch Kranke sind am meisten betroffen. Es gab neulich in der ZDF-Sendung Frontal21 ein Beispiel. Es wurde über das Schicksal von Marina -Antoniou, einer Dolmetscherin, berichtet, die an Krebs erkrankt ist und in der Krise mehr oder weniger alle ihre Aufträge verloren hat. Sie ist jetzt auch nicht mehr krankenversichert. Nun muss sie jeden Tag entscheiden, ob sie a) ihre Mietrückstände zahlt, damit sie nicht auch noch ihre Wohnung verliert, oder b) ihre Krebstherapie fortsetzt. – Meine Damen und Herren, das ist kein Einzelschicksal in Griechenland. Gerade in der jetzigen Zeit sollten wir darüber wirklich einmal nachdenken. In Griechenland ist die Schwangerschaftsvorsorge nicht mehr kostenlos. In den meisten Entwicklungsländern ist das anders. Griechenland ist ein Land der EU. Das haben wir mit dahin gebracht. Meine Damen und Herren, das ist so nicht akzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Ergebnisse der Umsetzung der unsozialen und ungerechten Forderungen und der Politik der Troika sind: Arbeitslosenquote bei 26,2 Prozent, Jugendarbeitslosigkeit bei 52 Prozent, Mindestlohn abgesenkt, Mehrwertsteuer auf 23 Prozent erhöht, Arbeitslosengeld gesenkt und auf ein Jahr begrenzt und, und, und. Da sagen Sie: „Griechenland macht Fortschritte“? Sie haben gesagt: „Diese Anstrengungen beginnen sich für die Menschen in Griechenland auszuzahlen.“ Herr Schäuble, für die Menschen ist diese Politik in Griechenland, die Sie mit vertreten, eine Katastrophe. (Beifall bei der LINKEN) Was ist denn der Maßstab für Fortschritt? Der -Maßstab kann doch nicht die Haushaltspolitik sein; der Maßstab muss sein, wie es den Menschen in diesem Land geht. In Griechenland ist die Selbstmordrate in den letzten Jahren um 45 Prozent gestiegen. Da ist der Satz „Diese Anstrengungen beginnen sich für die Menschen in Griechenland auszuzahlen“ wirklich zynisch, Herr Schäuble. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dann haben Sie hier umfangreich über das Wirtschaftswachstum gesprochen: 0,6 Prozent in diesem Jahr. Ich will Ihnen einmal die folgenden Zahlen sagen: 2010: minus 4,9 Prozent. 2011: minus 7,1 Prozent. 2012: minus 6,4 Prozent. 2013: minus 3,9 Prozent. – Als wir in Deutschland in einem Jahr minus 5,6 Prozent hatten, haben wir schon fast von einer Katastrophe geredet. Da -haben wir ein Investprogramm aufgelegt. Da haben wir Kurzarbeitergeld gehabt. Da haben wir die Abwrack-prämie gemacht. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wir haben die gemacht!) In Griechenland machen wir genau das Gegenteil, und das ist natürlich die völlig falsche Politik. (Beifall bei der LINKEN) Sie schreiben selbst: „Die Exportentwicklung in Griechenland bleibt … schwach.“ Die andere Seite ist: In Griechenland stieg der Anteil des Vermögens der 2 000 reichsten Familien am Gesamtvermögen des Landes von 75 Prozent auf 80 Prozent. Das ist wirklich unfassbar. Wann werden denn die endlich zur Kasse gebeten? Es sind immer nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Rentnerinnen und Rentner! (Beifall bei der LINKEN) Griechenland ist für die deutschen Rüstungskonzerne einer der wichtigsten Kunden. 15 Prozent der deutschen Rüstungsexporte gehen nach Griechenland. Griechenland hat mehr Leopard-Panzer als die Bundeswehr. Das ist doch nicht normal, meine Damen und Herren. Da muss man doch vielleicht etwas verändern. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dieser gesamte Kurs und dieses Diktat, das hier beschrieben wird, sind für dieses Land nicht gut. Dieser Kurs ist falsch, weil er auch die Gastfreundschaft der griechischen Menschen gegenüber den Deutschen beeinträchtigt; das können wir alle nicht wollen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Okay! Was ist jetzt die Alternative?) Dieser Kurs ist auch deshalb falsch, weil er ein Nähr-boden für Ressentiments ist und Ausländerfeindlichkeit der Griechen befördert. Wir lehnen ihn ab, weil er im Kern ein Weihnachtsgeld für die Spekulanten ist. Dass wir dabei mitmachen, werden Sie niemals erleben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dietmar Bartsch. – Nächster Redner in der Debatte: Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind fast am Ende des Hilfsprogramms für Griechenland angelangt. Herr Kollege Bartsch, Sie haben versucht, Bilanz zu ziehen. Ich will dies auch tun und es mit der Empfehlung der SPD-Fraktion für die spätere Abstimmung verbinden. Herr Kollege Bartsch, Sie haben die sozialen Einschnitte in Griechenland beschrieben. Dies ist berechtigt. Ich glaube, niemand stellt dies infrage. Die Bedingungen, die mit den gewährten Krediten in Höhe von 240 Milliarden Euro verknüpft waren, haben diese vorgesehen. In Ihrer Rede haben mir allerdings die Alternativen gefehlt. Was wäre die Alternative zu der Gewährung von Krediten unter Auflagen gewesen? Die einzige Antwort, die ich kenne, lautet: Die Alternative wäre ein direkter Transfer von Mitteln aus Deutschland, aus der Slowakei und aus den anderen europäischen Ländern in Form eines Zuschusses gewesen. Das wäre die einzige Alternative gewesen. Sie haben auch zu Recht über die Souveränität des Parlaments in Griechenland gesprochen, die jetzt eingeschränkt ist. Ja, wir haben es immer wieder gesagt, dass dies eine schwierige Situation für die Demokratie ist. Wir als deutsches Parlament haben jedoch Entscheidungen bezogen auf die Legitimation zu treffen, die wir von unseren Wählern bekommen haben. In dem Wahl-programm der SPD aus dem Jahr 2009 stand nicht, dass wir direkte Transfers, also Überweisungen und Zuschüsse an die jeweiligen anderen nationalen Parlamente, leisten. Ich glaube, in den Wahlprogrammen der Linken und der Grünen stand dies auch nicht. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist nicht die Alternative!) Von daher gibt es in der Entwicklung Griechenlands Licht und Schatten. Es waren jahrzehntelang demokratisch getroffene Entscheidungen in Griechenland, die dazu führten, dass Leopard-Panzer angeschafft wurden, dass über Jahrzehnte auf Pump gelebt wurde, dass es keine ordentliche Steuerverwaltung gab und ein Unmaß an Korruption herrschte. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Da haben Christdemokraten und Sozialdemokraten regiert! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ihre Schwesterpartei!) – Ich glaube, Ihre waren nicht besser. – Diese von den damaligen konservativen oder sozialdemokratischen Parteien demokratisch getroffenen Entscheidungen haben dazu geführt, dass Griechenland in die Situation kam, uns und die anderen europäischen Länder um Hilfe zu bitten. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wir kommen erst jetzt!) Wir haben diese Hilfe gewährt. Wir haben uns als Sozialdemokraten bei der Abstimmung über das erste Hilfspaket enthalten, und zwar aus einem Grund, der auch heute wieder ein Thema ist: Die Gesamtschuldenlast Griechenlands ist extrem groß. Schon 2010 im Rahmen der ersten Debatte, in der ich auch gesprochen habe, waren wir der Auffassung, dass wir einen Schuldenschnitt brauchen, und zwar insbesondere für die privaten Gläubiger. Dieser ist erst viel später gekommen, und er hat uns knapp 100 Milliarden Euro gekostet, als wir es als Staaten zu 100 Prozent übernommen haben, private Gläubiger auszuzahlen. Das war ein Fehler, den die damalige Bundesregierung gemacht hat. Das können wir nicht mehr ändern. Wir müssen mit der Situation leben, wie sie ist. Ich sehe bei den Schatten, die es gibt, auch Licht. Sie haben die sicherlich unterdurchschnittlichen Wachstumsraten erwähnt, die es gegeben hat. Es gibt aber Licht; denn es gibt in diesem und im nächsten Jahr positive Wachstumszahlen. In Deutschland träumen wir von den in Griechenland prognostizierten 3 Prozent. Daher glaube ich, es ist richtig, die griechische Regierung jetzt zu unterstützen, wenn sie uns bittet, das Programm mit den bereits zugesagten Hilfskrediten nicht zum 31. Dezember enden zu lassen, sondern es um zwei Monate zu verlängern. Dem stimmen wir als Sozialdemokraten zu. Es ist für uns eine wichtige Bedingung, dass Wirtschaftswachstum zustande kommt. Wichtig ist auch die Frage, die Sie, Herr Bartsch, berechtigterweise gestellt haben, nämlich ob eigentlich alle, die es können, tatsächlich ihre Steuern bezahlen. Ich halte es für ganz zentral, dass die Reichsten in -Griechenland tatsächlich ihre Steuern zahlen. Jede Unterstützung, die wir in Deutschland auch bei der Beratung der Verwaltung leisten können, von der Berichte sagen, sie sei unterdurchschnittlich, wollen wir geben. Es gibt auch an anderer Stelle Licht: Griechenland hat immer Chancen gehabt, europäische Investitionsmittel aus den sogenannten Strukturfonds zu bekommen. Im Jahr 2010 sind gerade einmal 20 Prozent der bereitgestellten Mittel abgeflossen. Im Jahr 2014 sind es über 80 Prozent. Es geht also voran. Wir sollten das griechische Parlament und die Regierung sowie die Bevölkerung, die in den vergangenen Jahren wirklich sehr gelitten hat, dabei unterstützen, dass aus diesem Lichtschimmer am Horizont tatsächlich die Sonne wird, auch wenn sie dort mehr scheint als bei uns in Deutschland, was die Temperaturen angeht. Zur vorsorglichen Kreditlinie: Die Kollegen der Grünen haben hier und auch im Ausschuss die Frage gestellt, ob wir heute dem Finanzminister das Mandat erteilen dürfen, können oder wollen, über die vorsorgliche Kreditlinie im Rahmen des Finanzrahmens, den wir bereits verabredet haben, zu verhandeln. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das stimmt nicht! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Doch!) Es gibt hier ein zweistufiges Verfahren: Zunächst wird das Mandat erteilt, dass er darüber verhandeln darf, und ganz am Schluss entscheiden wir, ob es auch so gemacht wird. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Carsten, darum geht es nicht!) Jetzt stellt sich die Kernfrage: Liegen alle Unterlagen dafür vor? (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Maßgabe!) Ich habe mir gerade noch einmal die Unterlagen des Wissenschaftlichen Dienstes und auch die Vorabberichte der Troika angesehen. Im Antrag der Bundesregierung steht unter Punkt III – Maßgaben – vollkommen zu Recht – ich zitiere –: Die für eine Beschlussfassung … erforderlichen Dokumente … der Leitlinie für vorsorgliche Finanzhilfen liegen derzeit noch nicht vor. Die Zustimmung des Deutschen Bundestages wird daher unter der Maßgabe beantragt, dass die endgültigen Dokumente der EU-Kommission im Benehmen mit der EZB die diesem Antrag beigefügte vorläufige Einschätzung der EU-Kommission bestätigen. Unter dieser Maßgabe beschließen wir, (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wer bewertet das?) und nur dann wird die Bundesregierung darüber beschließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie der Auffassung sind, dass die Unterlagen in ihrer Endfassung nicht dem entsprechen, was uns jetzt vorläufig vorliegt, dann haben wir im Bundestag die Chance – das sage ich Ihnen zu –, es noch einmal zu beschließen. Nur sollten wir heute nicht wegen solcher Kleinigkeiten – es sind wirklich Kleinigkeiten – die gesamte Beschlussfassung zurückstellen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist es!) Das wäre ein falsches Signal; denn die Lage ist fragil. Der Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen. Es stehen Wahlen in Griechenland an. Ich weiß nicht, ob es am 29. Dezember eine Mehrheit für einen Staatspräsidenten gibt. Das ist die souveräne Entscheidung des griechischen Parlaments. Klar ist aber: Wenn es sie nicht gibt, wird es Neuwahlen geben. Ich sage allen Kollegen hier im Bundestag, aber auch den Kollegen im griechischen Parlament: Es wird bei den Konditionen und der Frage eines Schuldenschnitts mit einem Regierungswechsel keine Veränderungen geben. Eine Regierung und ein Parlament stehen auch in der Nachfolge zu den Entscheidungen, die vorher getroffen wurden. Das ist auch richtig so; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wahlen lohnen sich nicht?) denn man muss sich auf die Entscheidungen verlassen können. (Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Es gibt eine Frage des Kollegen Willsch, die ich gerne zulassen möchte. Vizepräsidentin Claudia Roth: Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von der CDU? Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Sehr gerne. Vizepräsidentin Claudia Roth: Er hat sich schon vorab hingestellt. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Er hatte ja schon gesagt, dass er die Frage zulassen möchte. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja, aber er hat es nicht zu entscheiden. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Dumm gelaufen. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Ich füge mich vollständig den Regeln. – Lieber Kollege Carsten Schneider, wir haben in der vergangenen Legislaturperiode im Haushaltsausschuss intensiv das Zustandekommen der diversen Rettungsinstrumente diskutiert. Mich überrascht es nicht, dass am Ende das Geld – 240 Milliarden Euro – alle ist, die Frist verlängert werden muss, die Zinsen gesenkt werden müssen oder was auch immer noch aufgerufen werden wird. Erstens. Wir haben beim ESM das Instrumentarium der vorsorglichen Kreditlinie eingeführt, um prinzipiell solventen und soliden Staaten, die vielleicht in eine kurzfristige Finanzierungsschwierigkeit geraten, Wasser unter den Kiel zu geben. Das praktische Beispiel war damals Spanien. Spanien wollte kein Programm. Deshalb hat man Spanien mit der vorsorglichen Kreditlinie versorgt, um die Banken zu rekapitalisieren. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Das stimmt nicht!) Für den Fall, über den wir hier diskutieren – ein nicht solides Land, ein Land am Rande des Kollapses –, war dieses Instrument nie gedacht. Oder täusche ich mich da? Zweitens. Ich überlege mir, was der haushaltspolitische Sprecher der SPD in der Opposition zu der Grobeinschätzung gesagt hätte, die uns die Kommission vorgelegt hat. Da heißt es: Der Finanzierungsbedarf Griechenlands im nächsten Jahr kann zwischen 6 und 12 Milliarden Euro liegen. – Wenn man das auf unsere Volkswirtschaft umbräche, hieße das, ein deutscher Finanzminister würde dem Haushaltsausschuss bzw. dem Parlament einen Etat vorlegen – wir haben jetzt Dezember 2014 und reden über den Finanzbedarf in 2015 – und sagen: Ich weiß nicht genau, ob ich 100 Milliarden oder 200 Milliarden Euro finanzieren muss. – Um es klarzumachen: Das ist die Größenordnung. Was hätte denn der haushaltspolitische Sprecher in der Oppositionsfraktion dazu gesagt? Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Willsch. – Herr Kollege Schneider. Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Ich beginne mit der letzten Frage. Die Tatsache, dass der Finanzierungsbedarf zwischen 6 und 12 Milliarden Euro liegt, resultiert daraus, dass es keine Einigkeit zwischen der EU-Kommission, dem IWF und dem griechischen Staat darüber gibt, welche Wachstumszahlen für das nächste Jahr zu prognostizieren sind; die Griechen sagen, es sei ein bisschen mehr, die Kommission sagt, es sei ein bisschen weniger. In den vergangenen Jahren waren die griechischen Zahlen, zumindest was die Wachstumsprognose betraf, solide. Über diese Zahlen werden sie sich einigen. Davon hängt dann auch ab – das wissen Sie, Herr Kollege –, wie sich die Steuereinnahmen, die Arbeitslosigkeit und die Sozialversicherungen entwickeln. Dementsprechend gibt es einen Überschuss – einen Primärüberschuss haben sie eh – oder ein zusätzliches Defizit, das sie im Zweifel decken müssen. Genau darum geht es auch bei der vorsorglichen Kreditlinie; damit bin ich bei Ihrem ersten Punkt. Wir nutzen hier die ECCL; das ist quasi ein Dispokredit, ein Kontokorrentkredit. Er wird zur Verfügung gestellt, ist aber an Konditionen gebunden. So muss Griechenland weiterhin der Troika Bericht erstatten. Ich halte das auch für notwendig; denn ich glaube, dass es richtig ist, den Druck auf das griechische Parlament aufrechtzuerhalten, damit es die strukturellen Reformen vorantreibt. Das erscheint mir auch vor dem Hintergrund notwendig, dass der griechische Präsident schon Mitte des Sommers gesagt hat, Griechenland steige aus dem ganzen Programm aus. Ich habe das für eine Illusion gehalten. Es ist das erste Mal, dass dieses Instrument, die vorsorgliche Kreditlinie, genutzt wird. Wir haben dem spanischen Staat im Rahmen des ESM einen Kredit zur Verfügung gestellt, der auf die Bankenrekapitalisierung konditioniert war. Dieses Instrument gab es damals schon; es ist genutzt worden. Die vorsorgliche Kreditlinie, die quasi ein Sicherheitsnetz ist, gab es noch nicht. Wir werden sie aber brauchen. – Damit ist die Beantwortung der Frage beendet. Ich möchte auf die Unsicherheit an den Finanzmärkten eingehen. Wir führen gerade eine Diskussion darüber, ob die Europäische Zentralbank stärker am Anleihemarkt investieren soll. Sie tut es bereits, weil wir eine schwierige ökonomische Situation haben. Ich glaube, dass wir bei den Zinsspreads, also bei den Zinsaufschlägen für einige Länder wie Italien und Spanien, die sehr gering geworden sind, eine unnatürliche Situation haben, was viel mit der Liquidität der EZB zu tun hat. Es hat den Ländern in den vergangenen Jahren viel Entlastung gebracht, dass sie nicht die höheren Zinsen zahlen müssen. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass jede Verunsicherung in einem der Euro-Länder sofort einen Dominoeffekt auf alle anderen hätte. Aus diesem Grund ist es extrem wichtig, dass wir Griechenland nicht am 31. Dezember 2014 mit einem Schlag dem Kapitalmarkt überlassen. Griechenland müsste sich dann nämlich zu Zinsen von 12 oder 13 Prozent refinanzieren, die es nicht zahlen könnte; das sind in etwa die Aufschläge bei einer zehnjährigen Anleihe. Aus diesem Grund ist es unser ureigenes und richtiges Interesse, zu sagen: Innerhalb des bereits vom Bundestag genehmigten Finanzvolumens stellen wir einen Dispokredit zur Verfügung, damit sich Griechenland, wenn es notwendig ist, darüber zusätzlich refinanzieren kann. Das erscheint mir nicht nur notwendig, sondern auch zwingend. Es wäre auch ein Zeichen an das griechische Parlament, dass wir weiterhin zu unserer Solidarität stehen, die wir zugesagt haben. Uns Sozialdemokraten ist auch wichtig, dass wir den Fokus noch viel stärker auf das Wachstum richten. Das ist sowohl bei den Strukturreformen und den angebotsseitigen Reformen als auch bei der Frage der Investitionen zentral. Darum geht es 2015. Ein erster kleinerer Schritt ist das Juncker-Programm. Wir werden hier in Deutschland und in Europa weitere Schritte brauchen, um dauerhaft leistungsfähig zu bleiben und wieder zu Wachstum zu kommen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Schneider. – Nächster Redner in der Debatte ist Sven-Christian Kindler für Bündnis 90/Die Grünen. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig: In den letzten Jahren sind in Griechenland zahlreiche strukturelle Reformen angegangen worden. Die Regierung hat jetzt einen Primärüberschuss im Haushalt erzielt. Diese Errungenschaften erkennen wir Grüne ausdrücklich an. Entgegen der Meinung mancher Boulevardzeitung muss man das in Deutschland zur Kenntnis nehmen. Das darf man nicht kleinreden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grüne haben im Bundestag von Anfang an der Gewährung von Hilfskrediten für Griechenland gerade wegen der katastrophalen Marktfinanzierung mit horrenden Zinssätzen zugestimmt. Wir wollten auch nicht, dass die Euro-Zone auseinanderbricht. Deswegen werden wir heute der Verlängerung des Programms um zwei Monate zustimmen. Wir haben aber immer den einseitigen Kurs der Krisenbewältigung in Griechenland kritisiert. Die Armut und die Arbeitslosigkeit sind immer noch extrem groß, besonders unter den Jugendlichen. Die Wirtschaft ist in den letzten Jahren massiv eingebrochen. Und ja, natürlich war das auf der einen Seite eine Konsequenz aus jahrzehntelanger Misswirtschaft durch die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Griechenland selbst. Auf der anderen Seite war das aber auch eine Konsequenz der harten Sparmaßnahmen und der falschen Anpassungspolitik der Euro-Gruppe, der Bundesregierung und der Troika. Das haben wir Grüne immer kritisiert. Deshalb fordern wir Änderungen bei den Anpassungsprogrammen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grüne sagen klar: Bei der notwendigen Verlängerung des Kreditprogramms und bei der Gewährung einer vorsorglichen Kreditlinie muss sehr genau auf die wirtschaftliche Erholung in Griechenland, gerade im Tourismusbereich, geachtet werden. Es muss auch auf die Finanzierung von Zukunftsinvestitionen geachtet werden. Wir müssen auf soziale Ausgewogenheit achten, indem die großen Vermögen beteiligt werden. Wir sagen klar: Wir brauchen mehr Gerechtigkeit in Griechenland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Die Schuldenstandsquote mit über 170 Prozent des BIP ist nicht nachhaltig, sie ist immer noch viel zu hoch. Wenn man ein nachhaltiges Niveau erreichen will, dann muss man hier im Bundestag auch so ehrlich sein und zugeben, dass das nicht nur durch Anpassungsprogramme funktionieren wird. Man muss sagen, dass man einen Schuldenschnitt will. Wir Grüne fordern schon lange einen konditionierten Schuldenschnitt. Das heißt, man muss sich auf entsprechende Konditionen einigen, zum Beispiel auf eine Strukturreform in der Steuerverwaltung, damit es mehr Einnahmen gibt, aber auch auf soziale Konditionen, damit die soziale Spaltung verringert wird. Auch Investitionen in die Zukunft müssen finanziert werden. Wir wollen durch einen konditionierten Schuldenschnitt Schritt für Schritt für spürbare Erleichterung sorgen. Dafür muss sich die Bundesregierung einsetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Das Instrument einer vorsorglichen Kreditlinie – momentan liegen die Zinsen bei über 9 Prozent – kann grundsätzlich sinnvoll sein, damit Griechenland die angefangenen Reformen weiterhin umsetzen und die Finanzierungsbasis sichern kann. Das ist sehr wichtig. Wir würden dem heute vorliegenden Antrag in diesem Punkt auch zustimmen, wenn die Entscheidung für eine vorsorgliche Kreditlinie nicht mit der Einschränkung von Parlamentsrechten verknüpft wäre. Der vorliegende Antrag enthält eine inakzeptable und unnötige Beschneidung von Parlamentsrechten, und der stimmen wir nicht zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man muss sich die Situation einmal genau anschauen. Im ESM-Finanzierungsgesetz, Herr Schäuble, steht völlig zu Recht: frühestmögliche Unterrichtung des Parlaments. Aber dort steht nicht, dass das Parlament über alle Zwischenstände abstimmen soll. Es ist doch so: Wenn die Dokumente endgültig vorliegen – derzeit liegen sie nicht endgültig vor –, dann soll die Bundesregierung eine Einschätzung vornehmen, ob die vorläufigen Dokumente der EU-Kommission mit den endgültigen Dokumenten der EU-Kommission im Benehmen mit der EZB übereinstimmen. Aber diese Einschätzungshoheit, die die Entscheidungshoheit des Parlaments ist, kann der Bundestag nicht an die Bundesregierung delegieren. Das geht gar nicht! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Übrigen: Nach dem ESM-Vertrag müssen auch Sie alle endgültigen Dokumente haben, um der ersten Stufe der Kreditlinie zustimmen zu können. Sie müssen das nachher bewerten und können das nicht vorher entscheiden. Das Gleiche gilt für den Bundestag; denn das Bundesverfassungsgericht hat klar gesagt: Der Bundestag darf nicht in eine Situation des reinen Nachvollzugs von Entscheidungen der Bundesregierung kommen. – Aber genau diese Gefahr besteht, wenn man sich heute entsprechend entscheidet. Die Frage ist vor allen Dingen: Warum gibt es diesen Zeitdruck? Es besteht doch keine Not. Sie haben selber gesagt, dass der ESM-Gouverneursrat wahrscheinlich erst dann entscheiden wird, wenn in Griechenland die Verlängerung des Programms mit der Troika geklärt ist. Das heißt, inhaltlich sind die beiden Entscheidungen, über die wir heute befinden, getrennt zu sehen. Die Entscheidung zur vorsorglichen Kreditlinie könnte man durchaus auf die erste Sitzungswoche des Bundestages im Januar vertagen. Unsere große Sorge ist, dass Sie mit diesem Trick, dadurch, dass Sie das heute ohne Not durch den Bundestag peitschen, einen gefährlichen Präzedenzfall für andere Entscheidungen schaffen. So beschneiden Sie das Parlamentsrecht. Wir sagen klar: Es geht hier nicht um formale Fragen, sondern um Parlamentsrechte, und das sind keine Formalitäten, sondern zentrale Aspekte der Demokratie. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Kollege Kindler. – Nächster Redner in der Debatte: Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Norbert Barthle (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich noch lernfähig bin. Lieber Herr Kollege Kindler, angesichts Ihres Alters müsste man eigentlich davon ausgehen können, dass auch Sie noch lernfähig sind. Der Herr Finanzminister hat es Ihnen erklärt, und auch der Kollege Carsten Schneider hat es Ihnen erklärt: (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe es Ihnen gerade auch erklärt!) Es gibt nirgendwo eine Einschränkung von Parlamentsrechten. Ich erkläre es Ihnen auch noch einmal: Wir stimmen heute zunächst einmal über eine technische Frage ab, über die Verlängerung der Bereitstellungsfrist für das laufende Programm um zwei Monate. Damit waren Sie einverstanden. Zweitens stimmen wir darüber ab – das entspricht dem ESM-Finanzierungsgesetz –, die Bundesregierung zu berechtigen, im ESM-Direktorium über eine vorsorgliche Kreditlinie zu verhandeln. Nach Abschluss dieser Verhandlungen legt die Bundesregierung das Verhandlungsergebnis diesem Parlament vor, und dann können wir darüber abstimmen, ob diese Kreditlinie zustande kommen soll. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten diese zwei Stufen! Ich wollte die nie! Sie haben sich die zwei Stufen ausgedacht!) Das entspricht dem Parlamentsbeteiligungsrecht und dem ESM-Vertrag. Vielleicht lernen Sie das auch noch. (Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt einfach nicht! Ich habe es Ihnen vorhin erklärt! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit man lehren kann, muss man verstehen!) Dass Griechenland ein Sonderfall ist, wissen wir alle. Das wurde schon hinlänglich gesagt. Griechenland ist nicht vergleichbar mit den ehemaligen Programmländern Portugal, Spanien und Irland, die den Rettungsschirm bereits verlassen haben. Griechenland hat besondere Bedingungen, die mit der Vorgeschichte zusammenhängen – sie wurden schon angesprochen –: Ich halte es für einen ausschlaggebenden Punkt, dass der griechische Staatsapparat bisher nicht in der Lage war, von allen seinen Bürgerinnen und Bürgern auf gerechter Basis Steuern einzuziehen. Der griechische Staatsapparat war aufgrund von Korruption – „Vetterleswirtschaft“ sagt man auf Schwäbisch – nicht in der Lage, eine prosperierende Wirtschaft auf die Beine zu stellen. Darin liegt das Hauptproblem. Wenn man sich den jetzigen Stand der Dinge anschaut, muss man doch feststellen: Griechenland ist auf dem richtigen Weg; es geht vorwärts. Die wichtigsten Kenndaten wurden schon genannt: Seit 2013 erwirtschaftet Griechenland einen Primärüberschuss. Lieber Klaus-Peter Willsch, niemand will die Situation in Griechenland schönreden; aber man muss doch zur Kenntnis nehmen, dass es vorangeht, dass die Rahmenbedingungen heute deutlich besser aussehen. Der Arbeitsmarkt wurde flexibilisiert, die Überstundenvergütung wurde um 20 Prozent reduziert, der Mindestlohn wurde deutlich abgesenkt, und das effektive Renteneintrittsalter wurde um zwei Jahre auf 65 Jahre angehoben. Diese Anhebung des Renteneintrittsalters ist im europäischen Vergleich nicht übertrieben, sondern angemessen. Man muss nachweisen, dass man 40 Jahre Rentenversicherungsbeiträge geleistet hat, um Anspruch auf die volle Rente zu haben. Bei uns sind das 45 Jahre. Angesichts dessen ist diese Anhebung doch nicht mehr als angemessen. Das müsst auch ihr einmal zur Kenntnis nehmen. Außerdem hat sich die Wettbewerbsfähigkeit des Landes deutlich verbessert. Ich mache das immer an einer Kennzahl fest, die für jeden relativ leicht nachzuvollziehen ist. Ich zeige dazu heute einmal ein Schaubild, was ich sonst nie mache. – Sie sehen hier die Entwicklung der Lohnstückkosten; das sind die Lohnkosten in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das kann keiner lesen!) Auf diesem Schaubild ist das vereinfacht dargestellt: Hier war die Einführung des Euro, hier war die Krise und der Beginn der Rettungsprogramme. Gelb unterlegt ist der Anstieg der Lohnstückkosten in Griechenland. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kollege, ein bisschen höher vielleicht! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen näher vielleicht! Das üben wir noch einmal! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ein bisschen mehr nach links, bitte!) Aufgrund der Konditionalität und nach den Struktur-reformen gingen die Lohnstückkosten in Griechenland rapide nach unten. Die untere Linie, die stabil bleibt, zeigt übrigens die Entwicklung in Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frau Präsidentin hat das noch nicht gesehen!) Ich kann Ihnen an diesem Schaubild gerne auch noch die Entwicklung der Lohnstückkosten in Frankreich und Italien verdeutlichen, wo die Lohnstückkosten immer noch steigen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir hier oben dürfen es nachher auch sehen, ja? Norbert Barthle (CDU/CSU): Das lassen wir jetzt einmal außen vor. Allein die Entwicklung der Lohnstückkosten – das bestätigen Ihnen alle Volkswirte – sagt sehr viel aus über die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Dieser Blick auf die Lohnstückkosten zeigt – das sage ich auch an die Linken gewandt –: Griechenland hat vor der Krise über seine Verhältnisse gelebt, und das gilt für alle, nicht nur für die Reichen. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen. Das gehört zur Wahrheit dazu. (Zurufe von der LINKEN) Die Probleme, die wir zu bewältigen haben, liegen nicht am Euro, sondern in aller Regel an einem Mangel an Reformbereitschaft in den betroffenen Ländern. Heute, an einem Tag, an dem wir an Andreas Schockenhoff denken, der ein in hohem Maße frankophiler Kollege, ein Freund Frankreichs war – wir alle sind Freunde Frankreichs –, möchte ich darauf hinweisen, dass es uns Sorge macht, dass es auch dort mit der Wettbewerbsfähigkeit, mit der wirtschaftlichen Entwicklung nicht richtig vorangeht. Deshalb erlaube ich mir an dieser Stelle die klare Aussage: Es liegt nicht an uns, es liegt nicht an Deutschland, sondern an Frankreich selbst. Frankreich muss die entsprechenden Entscheidungen treffen. Dann geht es auch dort wieder voran. Frankreich verbittet sich immer jede Einflussnahme von außen. Das respektieren wir. Genauso nehmen wir aber für uns in Anspruch, dass wir unsere Investitionsentscheidungen selbst treffen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Blick auf die bisherigen Programmländer, auch der Blick auf Griechenland zeigt uns klar und eindeutig: Der bisherige Weg, nämlich Solidarität für Solidität zur Verfügung zu stellen, war der richtige, ist der richtige und bleibt der richtige. Dort, wo sich Länder um solides Wirtschaften und Haushalten bemühen, herrscht auch europäische Solidarität. Deshalb bin ich überzeugt: Wir werden jetzt zunächst einmal abwarten, bis Griechenland das laufende Programm ordentlich beendet. Wenn es ordentlich beendet wird, gibt es grünes Licht für ein Anschlussprogramm, also für eine vorsorgliche Kredit-linie. Damit keine Irrtümer entstehen: Auch diese vorsorgliche Kreditlinie mit erweiterten Bedingungen – oder Enhanced Conditions Credit Line – hat wieder Bedingungen. Es sind Bedingungen zu erfüllen. Dies wird von der Europäischen Kommission, von der Europäischen Zen-tralbank und – das ist uns wichtig – auch vom Internationalen Währungsfonds überprüft werden. Deshalb ist das aus unserer Sicht tragbar. Über die weiteren Einzelheiten werden wir ja noch rechtzeitig informiert werden. Ganz wichtig ist mir noch, darauf hinzuweisen, dass sich auch dann, wenn diese erweiterte Kreditlinie gezogen werden sollte, das bisherige Risikopotenzial für Deutschland nicht erhöht. Das ist, glaube ich, eine wesentliche und wichtige Aussage. Das ist bereits in den bisherigen Programmen abgebildet. Der Kollege Carsten Schneider hat darauf hingewiesen, der Finanzminister hat darauf hingewiesen. Ich will es noch einmal betonen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie diesem Antrag frohen Herzens zu! Denn dieser Antrag ist nicht nur gut für Griechenland, sondern auch gut für Europa und damit auch gut für uns. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Barthle. Jetzt haben wir Ihr Bild gar nicht gesehen. Nächstes Mal zeigen Sie es uns bitte auch. Wir hier oben sind nämlich auch neugierig. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ich zeige es Ihnen dann auch! Wir machen einen persönlichen Termin, Frau Präsidentin!) – Persönlicher Termin, gut. Das kommentiere ich jetzt nicht weiter. Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Diether Dehm für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Verehrte Frau Präsidentin! Ich ergänze die grobe Bilanz meines Kollegen Bartsch zur Rettungspolitik von Frau Merkel, Herrn Schäuble und Herrn Draghi seit Beginn der Krise 2008: Die Arbeitslosenquote ist von 7,7 Prozent auf 27,3 Prozent gestiegen. 60 Prozent der jungen Griechen sind ohne Arbeit und Lebensperspektive. Die Armutsquote ist bis 2012 von 20,1 Prozent auf 35,8 Prozent gestiegen, Tendenz weiter steigend. Zu den Schulden: 2007 lagen sie noch bei 239 Milliarden Euro; das entsprach 107 Prozent der Wirtschaftsleistung. Nachdem die Troika ihren Kampf gegen die Schulden aufgenommen hatte, stiegen die Schulden auf 318 Milliarden Euro bzw. 175 Prozent der Wirtschaftsleistung. Alles, was den Menschen in Griechenland wichtig und für sie lebensnotwendig ist, steht mittlerweile zum Ausverkauf: die Wasserversorgung, die Gasversorgung, die Eisenbahn, Häfen und Flughäfen. Ich sage Ihnen: Das ist wirklich ein Skandal für Demokratie und Volkswirtschaft. (Beifall bei der LINKEN) Ergebnis der krankhaften Gesundheitsreform, die Kollege Bartsch vorhin benannt hat, ist eine Steigerung der HIV-Infektionen um das 32-Fache, die Rückkehr von Malaria, ein Anstieg der Totgeburten um 21 Prozent und der Kindersterblichkeit um 43 Prozent sowie eine Steigerung der Suizidrate um 45 Prozent. 800 000 Griechen sind arbeitslos und erhalten weder Arbeitslosenunterstützung noch verfügen sie über eine Krankenversicherung. Es herrscht massenhafte Obdachlosigkeit in den Städten. Daran wird deutlich: Die Troika-Kredite sind nicht an die Griechinnen und Griechen geflossen, sondern an die Großbanken, die sich gerne „Finanzmärkte“ nennen, an die kriminelle Deutsche Bank und an die Spekulanten. Die Linke möchte, dass Direktkredite gegeben werden, und zwar für Arbeitsplätze und für neue ökologische, soziale und wirtschaftlich tragfähige unternehmerische Ideen. Das ist es, was wir wollen; das sage ich, weil Sie nach Alternativen gefragt haben. (Beifall bei der LINKEN) Solidarität mit Griechenland heißt Mut zu einer radikaldemokratischen Regierung des Neuaufbruchs. Ich kenne viele mittelständische Unternehmer, die in Griechenland investieren wollen, wenn dort endlich nicht mehr das neoliberale Zepter von Troika, Spekulanten und Deutscher Bank geschwungen wird. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele denn genau, Diether?) Sie wollen keine Spekulation betreiben, sondern in neue Ideen, in Beschäftigung und nachhaltige Innovationen investieren. Vizepräsidentin Claudia Roth: Kollege Dehm, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Petry, SPD? Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Ja. Christian Petry (SPD): Herr Kollege Dehm, Ihren Ausführungen zufolge ist in Griechenland ein strukturelles Problem zu erkennen. Deswegen möchte ich Sie fragen – bei aller Polarisierung, die wir hier im Parlament gerne betreiben –: Stimmen Sie mit mir überein, dass wir alle gemeinsam wollen, dass es in Griechenland zu einem gerechteren Steuervollzug kommt, damit das griechische Volk, das bisher den Löwenanteil all der Sanierungsmaßnahmen getragen hat, nicht alleine dasteht, sondern auch die Vermögenden entsprechend beteiligt werden? Stimmen Sie mit mir darin überein, dass dies unser gemeinsames Ziel sein muss? Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Kollege Petry, ich danke Ihnen sehr für Ihre Zwischenfrage. Sie zeigt, dass es Sozialdemokraten gibt, die diesen Namen verdienen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin: Ach, jetzt hör aber mal auf! – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ein Glück, dass du nicht bei uns bist! Schämen würde ich mich!) Ihre Frage weist auf Gemeinsamkeiten zwischen Sozialdemokraten und Linken hin. Ich möchte ergänzen – weil vorhin nach Alternativen gefragt wurde –: An erster Stelle steht der Kampf gegen die Steueroasen und gegen diejenigen, die sich bereichert haben. Es ist ja nicht so – wie es der Kollege Barthle eben gesagt hat –, dass Griechenland über seine Verhältnisse gelebt hat, sondern die Superreichen, die Steuerbegünstigten haben über ihre Verhältnisse gelebt. Der Kampf gegen die Steueroasen ist das Erste, was die neue griechische Regierung gemeinsam mit einer dann hoffentlich auch anders zusammengesetzten EU angehen muss. Das ist der entscheidende Punkt. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen diejenigen zur Kasse bitten, die in der Vergangenheit von staatlichen Leistungen profitiert haben, und an die fließen ja 90 Prozent der Griechenlandhilfe. Das ist die gemeinsame Überzeugung von Linken und Sozialdemokraten, jedenfalls von solchen, die diesen Namen verdienen. Ich danke Ihnen nochmals herzlich für Ihre Frage und hoffe, dass ich sie mit einem klaren Ja beantwortet habe. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe meinem Freund Alexis Tsipras, dem vermutlich künftigen griechischen Ministerpräsidenten, geraten, eine Schadensersatzklage gegen Goldman Sachs wegen wissentlich betrügerischer Falschberatung bei der Einführung des Euro zu erheben. Es muss aufhören, dass die Menschen in den Schuldnerländern für das Versagen der Spekulanten zahlen müssen; das gilt übrigens auch im Hinblick auf die beiden Schwesterparteien von SPD und Union, die sich in Griechenland lange am Staatsapparat bereichert haben. Jede neue Regierung wird einen schweren Gang ins Freie vor sich haben. Ich denke, Griechenland wird sich mit Alexis Tsipras und der -SYRIZA gegen die Finanzoligarchen, die man bei uns „Finanzmärkte“ nennt, erheben. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Alle anständigen Menschen sollten Griechenland dabei solidarisch unterstützen. (Beifall bei der LINKEN – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das war grenzwertig! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Unanständig!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Nächster Redner in der Debatte: Ewald Schurer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ewald Schurer (SPD): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ruft in Erinnerung, was wir in den Jahren 2008, 2009 und 2010 in Bezug auf Griechenland in Europa erlebt haben. Griechenland stand Mitte 2009 und im Jahr 2010 vor einem, so kann man sagen, Staatsinsolvenzverfahren. Griechenland war nicht mehr in der Lage, sich selbst zu refinanzieren. Das war die Ausgangssituation. Wie auch immer man die makroökonomische Situation bewerten mag: Griechenland brauchte dringend europäische Solidarität. Im Gegensatz zu dem, was die Linken hier erzählen, ist sie damals auch erbracht worden, auch von Grünen und Sozialdemokraten, sowohl in der Regierung als auch in der Opposition, weil man gesehen hat: Wir können nicht anders, als für Griechenland entsprechende Finanzkonstrukte zu schaffen. Zunächst einmal gab es, im Februar und März 2010 ausgehandelt, bilaterale Verträge zwischen verschiedenen Staaten und Griechenland, dann, unterstützt vom IWF, eine 80-Milliarden-Euro-Linie, von der 73 Milliarden Euro ausgezahlt worden sind, und später die Fazilitäten: EFSF, EFSM und ESM-Vertrag. Man muss an dieser Stelle auch sagen, dass Griechenland ohne diese strukturellen Hilfen nicht hätte überleben können. Dann hätte man nicht mehr über die schmerzhaften – das gebe ich zu – Sozialkürzungen -reden müssen. Griechenland wäre weder in der Lage gewesen, einen Cent an Rente auszuzahlen, noch sein -Gesundheitssystem auch nur im Ansatz aufrechtzuerhalten. Griechenland hätte einen Kollaps aller staatlichen, öffentlichen Systeme erlebt. Das, was wir erlebt haben – das gebe ich zu –, wurde von den Sozialdemokraten im Europaparlament und auch in unserer Bundestagsfraktion mit großer Besorgnis gesehen, weil wir der Meinung waren und auch heute noch sind – trotzdem glauben wir, wir kommen an der heutigen Lösung nicht vorbei –, dass diese Sparprogramme, diese Auflagen, diese Konditionalitäten, in so kurzer Zeit eine so große Sparleistung zu erbringen, Griechenland binnenwirtschaftlich nicht geholfen, sondern teilweise geschadet haben. Dennoch muss man ehrlich sein: Ohne Auflagen gibt es nirgends in dieser Welt Geld. Ich darf vielleicht einmal die Historie bemühen: Nirgendwo gab es jemals in der Weltgeschichte so brutale Auflagen. Ausgenommen davon – das ist mir spontan eingefallen – sind nur die Sanktionen des Regimes der ehemaligen Sowjetunion gegen die COMECON-Staaten. Damals wurden sämtliche Formen von Ressourcenlieferungen und Hilfen so brutal sanktioniert wie niemals sonst in diesem Weltgeschehen. – Das sei noch ins linke Stammbuch geschrieben. Ich komme auf die Situation in Griechenland zurück: Die Sozialdemokraten haben den Prozess kritisch begleitet. Wir waren ganz klar der Meinung, dass diese Programme binnenwirtschaftlich nur zum Teil helfen. Teilweise kam es dann zu den Senkungsprozessen, deren Brutalität auch von uns nicht beschönigt werden kann. In der Conclusio, Herr Minister, werte Kolleginnen und Kollegen, sehe ich, dass wir heute das Richtige tun. Wir sind vorinformiert worden. Wir haben in den vergangenen Jahren in diesem Hohen Hause gemeinsam mit allen Fraktionen in einer großen Breite und Tiefe über das StabMechGesetz, also das Gesetz über den europäischen Stabilitätsmechanismus, und über das ESM-Finanzierungsgesetz gesprochen, und wir haben uns, wie vermutlich nur wenige Parlamente im europäischen Raum, die Mühe gemacht, die Partizipation des Parlaments in den Mittelpunkt aller europäischen Prozesse zu stellen, weil wir uns ja schließlich national und in Europa letztendlich in hohem Umfang an diesem Prozess der Schuldenbekämpfung beteiligen mussten. Der Herr Minister und der Kollege Schneider haben es bereits angeführt – auch ich sehe es so –, dass wir die angesprochenen zwei Dinge tun müssen und auch tun werden: Die Prolongation des bestehenden EFSF-Programms bis zum 28. Februar 2015 ist notwendig. Wir haben -hierüber eine Vorinformation, auch wenn das nur Zwischendokumente sind. Diese sind im Übrigen im Parlament und bei der Regierung vorhanden. Das heißt, wir haben kein Informationsdefizit. Wir müssen aber, liebe Freundinnen und Freunde der Grünen, auf die endgültigen Dokumente zugegebenermaßen noch etwas warten; Carsten Schneider hat dies bereits beschrieben. Ich finde es haushalts- und finanztechnisch auch gut, dass wir eine vorsorgliche Finanzhilfe für Griechenland leisten. Die entsprechende Kreditlinie wird in maximal zwölf Monaten 10,9 Milliarden Euro umfassen. Das alles trägt in der fragilen Situation, in der sich Griechenland immer noch befindet, zu einer gewissen Form von Sicherheit bei. Gestern ist in Griechenland der erste Versuch, einen Präsidenten zu wählen, gescheitert. Es gibt zwei weitere Termine: den 23. und den 29. Dezember 2014. Nur dann, wenn es an diesen Terminen nicht gelingen würde, einen Präsidenten zu wählen, würden die Träume der Linken vielleicht wahr werden. Ich glaube es aber nicht. Herr Bartsch, wenn das der Fall wäre, dann müsste ihr Kandidat schon am ersten Tag alle Versprechungen, die er jetzt macht, zurücknehmen. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Alle doch nicht! Das stimmt doch gar nicht! Einige!) Wenn alle internationalen Verpflichtungen aufgekündigt würden, dann würde Griechenland das erleben, was 2009 schon einmal drohend im Raum stand, nämlich einen Konkurs des gesamten Landes. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Kennen Sie seine Versprechungen?) Insofern sind die großen, wohlfeilen Versprechungen der jetzigen griechischen Opposition wirklich nur Schall und Rauch. Sie könnte ökonomisch keine ihrer Versprechungen erfüllen, wenn sie in diese Situation kommen würde, was – so ist meine große Hoffnung – nicht der Fall sein wird. Für mich ist die letzte wichtige Aussage, dass Griechenland jetzt natürlich in die Phase des Wachstums kommen muss. Der Minister, Carsten Schneider und andere haben es schon angesprochen: Griechenland hat ein zartes Wachstum; es ist noch nicht bestätigt. Es gab einen Traum: Im April dieses Jahres hat man eine fünfjährige Staatsanleihe für 4,75 Prozent ausbringen können, und schon hatte Griechenland gedacht, man wäre in der Lage, sich von den Märkten, den Auflagen und den Konditionalitäten zu lösen. Dieser Traum hat sich leider nicht erfüllt. Wir alle wären begeistert gewesen, wenn sich Griechenland ab dem Sommer wieder selbstständig und ohne Auflagen hätte refinanzieren können. Das hat sich – ich sage es noch einmal – leider nicht erfüllt. Deswegen ist Griechenland dringend auf eine Fortführung der Solidarität durch die Europäische Union angewiesen. Bei aller Kritik der Grünen, die ich sehr ernst nehme: Es gibt dazu keine wirkliche Alternative. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Griechenland muss versuchen, diesen zarten Erholungskurs fortzusetzen hin zu wirtschaftlichem Wachstum, hin zu mehr Beschäftigung und hin wieder zu einer Krankenversicherung für alle Menschen – auch für schwangere Frauen –, die diesen Namen verdient. Diesen Weg muss Griechenland gehen. Ohne weitere Hilfen seitens der Europäischen Union mit Zustimmung des Deutschen Bundestages wird es nicht gehen. So kurz vor Weihnachten will ich hier nichts von einer heilen Welt erzählen. Vielmehr will ich sagen, dass wir nach einer sehr schwierigen Phase der Restrukturierung, in der auch handwerkliche Fehler begangen wurden, versuchen müssen, Griechenland innerhalb der Europäischen Union wieder nach vorne zu entwickeln, und zwar ökonomisch über mehr Investitionen und durch das Widererstarken sozialer Leistungen. Ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Kollege Schurer. – Nächster Redner in der Debatte ist Manuel Sarrazin für Bündnis 90/Die Grünen. (Zuruf von der CDU/CSU: Emmanuel! -Erleuchtung!) Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Man kann Griechenland als ein Land beschreiben, in dem abwechselnd monogame absolute Mehrheiten von zwei relativ mit Korruption verbandelten Großparteien – wir haben das Glück, dass die griechischen Grünen nicht so relevant sind, als dass man hier jemandem etwas vorwerfen kann –, die mit der EVP oder der europäischen Sozialdemokratie zusammenhängen, herrschen und immer abwechselnd das Land relativ stark in Klientelwirtschaft aufgeteilt haben. Das ist im Zuge der Finanzkrise hochgegangen. Das wäre früher oder später sowieso hochgegangen. Daher ist die Troika zumindest daran nicht schuld. Jetzt hofft die Linkspartei, dass Herr Tsipras das -Ruder übernimmt. Ich wünsche mir, dass dieser endlich klar sagt: „Wir wollen, dass Griechenland im Euro bleibt“, und er auch persönlich bereit ist, alles dafür zu tun. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das hat er mehrfach gesagt!) – Das sagt er so nicht. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Doch!) Er sagt immer: Es ist nicht meine Priorität, aus dem Euro auszuscheiden. – Das ist ein feiner Unterschied, Diether. Außerdem wünschen wir uns, dass sich nicht herausstellt, dass eure Partnerpartei, die SYRIZA, auch so etwas ist, nämlich eine alte Strukturen bewahrende Klientelpartei. Wir wünschen uns, dass herauskommt, dass das nicht so ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der LINKEN) Sie wissen, dass in Griechenland viele jetzt schon sagen, dass Tsipras der neue alte Papandreou ist. Ich wünsche mir, dass dein Freund nicht zu so etwas wird. Vielleicht wäre ein bisschen mehr Ramelow besser für Griechenland als ein bisschen mehr Tsipras, aber egal. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Lage in Griechenland wurde schon beschrieben. Die wichtigste Herausforderung ist jetzt, dass die zarten Pflänzchen der Erholung – man kann darüber streiten, wie groß sie sind – nicht wieder durch politische Instabilität kaputt gemacht werden. Wir sind bereit, unseren Beitrag dazu zu leisten. Darum werden wir der Verlängerung des Programms zustimmen. Wir sind auch bereit, einer vorsorglichen Kreditlinie zuzustimmen, aber nicht heute. Das liegt an folgendem Problem. Das liegt nicht daran, dass man nicht auch einmal etwas entscheiden könnte. Das Problem ist die Maßgabe, die Sie hineingeschreiben haben, dass die Beurteilung, ob die vorläufigen Berichte der Kommission mit den abschließenden Berichten übereinstimmen, von uns an die Bundesregierung abgegeben wird. Ich glaube, dass das nicht geht. Das geht nicht, weil wir nicht in eine Situation des reinen Nachvollzugs kommen können, die das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die zweite Entscheidung so stark thematisiert. Das geht auch deshalb nicht, weil bei uns im Deutschen Bundestag das Prinzip der Integrationsverantwortung gilt. Es gilt, über die Zugangsvoraussetzung zu entscheiden, damit über die Ob-Frage nicht erst am Ende entschieden wird. Über die Ob-Frage können wir jetzt noch nicht ausreichend entscheiden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann sagen – da stimme ich Ihnen zu, Herr Schäuble –, dass wir Griechenland auch im Deutschen Bundestag sehr stark beobachten, dass wir einschätzen können, ob die vorläufige Einschätzung der Kommission totaler Quatsch oder nicht. Da würde ich Ihnen noch zustimmen. Ich glaube, dass diese relativ realistisch ist. Ich kann Ihnen aber keine Maßgabe geben, dass Sie mir diese Entscheidung abnehmen. Das passt nicht mit meinem Selbstverständnis als Parlamentarier zusammen. Weil Kollege Willsch dort hinten sitzt und Kollege Gauweiler nicht dort hinten sitzt, muss ich sagen: Wir werden dann, wenn die Zeit dafür gekommen ist, einen Antrag einbringen, dem Sie dann zustimmen müssen, damit Herr Gauweiler dank uns in Karlsruhe gegen Sie wieder einmal nicht gewinnt. So konstruktiv sind wir dann doch noch. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Er hat schon viele gewonnen!) Aber den Quatsch heute machen wir nicht mit. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Kollege Sarrazin. – Der letzte Redner in dieser Debatte ist Alois Karl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Karl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages! Wenn man viel Zeit hat, den Vorrednern zuzuhören, dann fällt einem manches auf. Besonders Ihre Ausführungen, Herr Dehm, können nicht ganz unwidersprochen bleiben. Sie gerieren sich manchmal wie ein Arzt. Sie zeigen allerdings nur die Symptome auf, also das, was in Griechenland zurzeit zu sehen ist und wie es sich in den letzten zwei, drei oder vier Jahren entwickelt hat. Aber Sie bleiben bei der Beschreibung der Symptome stehen. Sie gehen nicht auf die Ursachen ein, woher das Ganze resultiert. Dass das Jahre und Jahrzehnte zurückliegt und die heutigen Symptome schon vor vielen Jahren begründet worden sind, hast du schon ausgeführt, lieber Norbert Barthle. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Aber von den Konservativen!) Wir – auch Sie, Herr Bartsch – sind heute angehalten, über die Symptome hinauszuschauen und – wie das im Leben so ist – Medikamente zu verschreiben, die zwar manchmal bitter sind, aber dann auch wirken müssen. Wer bei den Symptomen stehen bleibt, lieber Herr Sarrazin, der ist eher Scharlatan als Arzt. Ich bitte Sie, diesen Weg in Zukunft nicht weiter zu beschreiten. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe gestern mit einem Freund in meinem Wahlkreis telefoniert. Er hat gefragt, zu welchem Thema ich heute rede. Als ich ihm sagte, zur Griechenland-Hilfe, hat er gefragt: „Ist das mit Griechenland denn immer noch nicht zu Ende?“ Das ist die Stimmung. Ich habe darauf geantwortet: Es ist in der Tat gut so, dass es mit Griechenland nicht zu Ende ist. Wir haben in den letzten Jahren außerordentlich viel Arbeit mit Griechenland gehabt und unendlich große Rettungsschirme gespannt. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht unendlich!) Wir sehen heute einen Schimmer des Lichts am Ende des Tunnels und glauben, dass sich die Dinge in Griechenland gut entwickeln werden und dass sich unsere Aktionen bzw. unsere unendlich großen Rettungsschirme in den letzten Jahren sehr erfolgreich gestaltet haben. Was wäre denn gewesen, wenn wir das nicht gemacht hätten? Es wäre doch geradezu in epidemischer Wirkung auf italienische und französische Banken übergegangen, und der Euro selber wäre attackiert worden. Wenn ich die Äußerung von Bundeskanzlerin Merkel aufgreife, dass es ohne Euro auch keine funktionierende Europäische Union gäbe, dann bedeutet das, dass die gesamte Europäische Union betroffen gewesen wäre. Darum war es richtig, dass wir so gehandelt haben, und darum ist es auch richtig, dass wir heute die beiden Beschlüsse -fassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir gehen auch ein hohes Risiko ein. Das ist gar keine Frage. Die Rettungsschirme des ersten Griechenland-Programms mit 110 Milliarden Euro und des zweiten mit 164 Milliarden Euro sind schon angesprochen worden. Unser eigenes Risiko dabei ist mit 76,6 Milliarden Euro nicht gering. Aber all das machen wir sehenden Auges, weil wir wissen, dass das notwendig ist, um Griechenland wieder auf eine gute Strecke zu bringen. Nach dem Stabilisierungsmechanismusgesetz sind wir als Deutscher Bundestag gehalten, mitzuwirken, und zwar in doppelter Ausfertigung. Darum sind Ihre Ausführungen, Herr Sarrazin, dass schon alles vorgelegt werden muss, nur am Rande richtig. Wir müssen uns noch einmal mit diesem Thema befassen und entsprechende Beschlüsse fassen. Erst dann kommt die vorsorgliche und grundsätzliche Griechenland-Hilfe insgesamt auf den Weg. Wir müssen jetzt 1,8 Milliarden Euro zwei Monate länger vorhalten. Das halte ich für richtig. Die Prüfungen müssen ordnungsgemäß erfolgen. Sie sind unseres -Wissens noch nicht vollständig abgeschlossen. Bei den großen Zahlen, die gerade genannt worden sind, könnte man vielleicht meinen, dass 1,8 Milliarden Euro zu vernachlässigen sind, aber das trifft nicht zu. Es ist viel Geld, insbesondere dann, wenn es einem nicht gehört bzw. wenn wir mit dem Geld anderer umgehen. Dabei ist es wichtig, notwendig und richtig, dass wir auch diese 1,8 Milliarden Euro unter den Vorbehalt der Prüfung stellen. Unser zweites Vorhaben, den Griechen vorsorglich ein Programm zur Verfügung zu stellen und grundsätzlich Finanzhilfe in Höhe von 10,9 Milliarden Euro zu gewähren, ist durchaus komplizierter. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben dazu sehr ausführlich und intensiv vorgetragen. Diese Maßnahme soll auf ein Jahr befristet sein. Wir sind sehr zuversichtlich, dass sich Griechenland im nächsten Jahr aufgrund der guten Zahlen, die wir vernommen haben, positiv entwickeln wird. Griechenland hat zwar im letzten Sommer eigene Kredite zu einem Zinssatz von ungefähr 4,5 Prozent aufnehmen können. Aber nun ist der Zinssatz auf das Doppelte gestiegen, auch wegen der Unsicherheiten, von denen wir gehört haben. Fast alle anderen Indizes der griechischen Wirtschaft sind positiv; das hat uns sehr gefreut. Das verschafft uns eine gewisse Sicherheit bei der nun anstehenden Maßnahme. Die Kernfrage all unserer Entscheidungen lautet: Erhöht sich unser Risiko, bleibt unser Risiko gleich, oder vermindert sich unser Risiko? Wenn ich sehe, dass sich die griechische Wirtschaft in vielen Punkten verbessert hat, dass wir auch bei der Arbeitslosigkeit in Griechenland auf einem positiven Weg sind, auch wenn sie noch nicht so niedrig ist, wie wir uns das wünschen – das ist nicht so gravierend wie die Entwicklung beim Primärsaldo, beim Bruttoinlandsprodukt oder bei der Wirtschaftsleistung –, dass sich Griechenland in den letzten Jahren durchaus positiv entwickelt hat und dass es sich bei den 10 Milliarden Euro, um die es nun geht, nicht um neues Geld, sondern um umgeswitchtes Geld vom Rettungsschirm EFSF hin zum ESM handelt, dann bin ich sehr zuversichtlich, dass sich unser Risiko nicht erhöht. Wenn sich das Risiko nicht erhöht – wir aber unseren griechischen Freunden damit einen Schub zur Verbesserung ihrer Situation geben können –, dann sollten wir das durchaus machen. Aus diesem Grunde werden wir als CDU/CSU, Herr Bundesfinanzminister, dem Antrag zustimmen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Karl. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache 18/3532 mit dem Titel „Finanzhilfen zugunsten Griechenlands; technische Verlängerung und Fortführung der Stabilitätshilfe, Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages“. Mir liegt eine persönliche Erklärung zur Abstimmung vor.1 Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, über Ziffer 1 des Antrags einerseits und über Ziffer 2 des Antrags andererseits getrennt abzustimmen. Wir stimmen daher zunächst über Ziffer 1 des Antrags ab. Hier geht es um die Verlängerung der Bereitstellungsfrist für die EFSF um zwei Monate im Rahmen der bestehenden Hauptfinanzhilfevereinbarung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Ziffer 1 des Antrags ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und Ablehnung von Linksfraktion und dem Kollegen Willsch von der CDU/CSU-Fraktion. Es gab keine Enthaltung. Wir stimmen nun über Ziffer 2 des Antrags ab. Da geht es um eine Grundsatzentscheidung über eine vorsorgliche Kreditlinie des ESM. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Ziffer 2 des Antrags ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD gegen Stimmen von Linksfraktion und Herrn Willsch sowie bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Antrag insgesamt angenommen. – Vielen Dank, liebe Kollegen. Vielleicht können wir einen relativ flotten Platzwechsel vornehmen, weil wir zeitlich hinterherhinken. Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Katja Dörner, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Gleichstellung verheirateter, verpartnerter und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft lebender Paare bei der Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung Drucksache 18/3279 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ich bitte diejenigen, die sich nicht an der Debatte beteiligen wollen, sei es auf der Regierungsbank oder im Plenum, die Gespräche einzustellen oder woanders zu führen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Debatte und gebe das Wort Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zurzeit übernehmen Krankenkassen einen Kostenanteil bei einer künstlichen Befruchtung nur für verheiratete Paare. Wir halten das für überholt und nicht mehr zeitgemäß. Deshalb haben wir heute einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die Kostenübernahme auf nichtverheiratete Paare und auf eingetragene Lebenspartnerschaften ausgeweitet wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Damit orientieren wir uns an der Vielfalt der Familien, wie sie heute in Deutschland gelebt wird, und wir schließen auch eine Gerechtigkeitslücke. Es ist aus unserer Sicht überhaupt nicht nachvollziehbar, am Trauschein als Voraussetzung für die Kostenübernahme bei künstlichen Befruchtungen festzuhalten. Viele Menschen wünschen sich ein Leben mit Kindern. Elternschaft gehört für viele zu einem glücklichen Leben. Selbstverständlich gibt es kein Recht auf Elternschaft, es gibt kein Recht auf ein Kind oder auf Kinder, aber aus unserer Sicht gibt es ein Recht, dass niemand bei der Chance auf Elternschaft benachteiligt wird. Das ist aber leider derzeit der Fall. Künstliche Befruchtungen sind teuer. Häufig klappt es nicht beim ersten Versuch. Da macht es natürlich einen erheblichen Unterschied, ob die Krankenkasse einen Teil der Kosten übernimmt oder nicht. Wir wollen, dass unverheiratete Paare und Lebenspartnerschaften nicht länger benachteiligt werden, sondern endlich die gleiche Chance auf Elternschaft haben wie Verheiratete. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das Thema „Kostenübernahme bei künstlichen -Befruchtungen“ ist im Sommer wieder in den Fokus gerückt, und zwar durch das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg. Das Gericht hat festgestellt, dass eine gesetzliche Krankenkasse die Kosten bei nichtverheirateten Paaren nicht einmal auf freiwilliger Basis übernehmen darf. Hintergrund ist, dass die Leistungen einer gesetzlichen Krankenkasse nur im Rahmen von § 27 a SGB V erweitert werden dürfen. Es besteht also ganz klar gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Das ist der Hintergrund, warum wir diesen Gesetzentwurf heute eingebracht haben. Wir sehen, dass Ministerin Schwesig, die leider heute nicht da ist, unsere Einschätzung inhaltlich teilt. Im Zusammenhang mit dem erwähnten Urteil sagte sie im Juni gegenüber dem Tagesspiegel, sie sei der Meinung, dass auch unverheiratete Paare Zuschüsse zur künstlichen -Befruchtung erhalten sollten. Im Spiegel ließ sich die -Familienministerin mit dem richtigen Satz zitieren, es sei eben nicht mehr zeitgemäß, unverheiratete Paare anders zu behandeln als verheiratete. Es reicht aber nicht, schöne Reden zu schwingen, schöne Worte zu finden und die Meinung zu vertreten, „dass …“. Wir sagen: Es muss jetzt Butter bei die Fische geben. Wenn man erkannt hat, dass etwas nicht mehr zeitgemäß ist, dann muss man auch den Mumm haben, es zu ändern. Das wollen wir als Grüne tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich erwarte aber auch von Ihnen, der Union, dass Sie unser Anliegen positiv aufgreifen. Ich habe noch einmal in Ihr Wahlprogramm zur letzten Bundestagswahl geschaut. Da heißt es explizit, dass die Diskriminierung unverheirateter Paare und auch gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften abgelehnt wird. Das steht ausdrücklich drin. Ich erwarte eben auch hier, dass das nicht nur schöne Worte bleiben, sondern dass Sie das auch ernst meinen. Wenn Sie das nämlich ernst nehmen, dann können Sie unserem kleinen schlanken Gesetzentwurf eigentlich gar nichts Negatives entgegenbringen; denn wir wollen gar nichts anderes, als eine Ungleichbehandlung, eine Diskriminierung von nichtverheirateten Paaren und Lebenspartnerschaften zu beenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Warum ist es nicht mehr zeitgemäß, die Kostenübernahme bei künstlichen Befruchtungen am Trauschein festzumachen? Die Annahme, nur die Ehe würde aufgrund ihrer Dauerhaftigkeit und Stabilität dem Kindeswohl entsprechen, ist unbelegt und angesichts sehr hoher Scheidungsraten mehr als fragwürdig. Im vergangenen Jahr wurden rund 170 000 Ehen geschieden. Fast die Hälfte der geschiedenen Paare hatte Kinder unter 18 Jahren. Gleichzeitig hat sich die Anzahl nichtverheirateter Eltern zwischen 1996 und 2012 verdoppelt. Ich will trotzdem noch ein paar weitere Zahlen nennen, auch wenn Zahlen vielleicht nicht immer so spannend sind: 2012 kamen im Westen knapp 40 Prozent der erstgeborenen Kinder nichtehelich zur Welt; im Osten sind es sogar 74 Prozent gewesen. Das zeigt, das Familienleben in Deutschland ist bunt. Das Familienleben mit Trauschein ist weder besser noch schlechter als ohne Trauschein. Regenbogenfamilien sind nicht besser und nicht schlechter als die klassischen Familien. Wir wollen, dass sich diese Vielfalt, diese Lebensrealität, die in Deutschland einfach vorhanden ist, endlich auch in -unseren Gesetzen wiederfindet. Die Frage der Kostenübernahme bei künstlichen Befruchtungen ist da ein Baustein. Ich freue mich auf die Beratungen und bin sehr gespannt, wie wir mit diesem Anliegen gemeinsam umgehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Katja Dörner. – Nächster Redner in der Debatte ist Hubert Hüppe für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hubert Hüppe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für das letzte Jahr meldete das Deutsche IVF-Register 84 051 erfasste Behandlungszyklen, davon 80 955, so heißt es, plausible Behandlungszyklen. Das ist neuer Rekord. 15 Jahre früher, 1998, gab es gerade einmal 45 459 Behandlungszyklen. Das war zu einer Zeit, als die künstliche Befruchtung noch voll finanziert wurde, vier statt drei Zyklen bezahlt wurden und es noch keine Alters-beschränkungen gab. Einschränkungen sind erst 2003 beschlossen worden, übrigens unter einer rot-grünen Bundesregierung. Hier muss man auch einmal erwähnen, dass diese Einschränkungen nicht von uns stammen. Berücksichtigt man, dass seit 1998 die Zahl der Frauen im Alter zwischen 25 und 40 Jahren drastisch zurückgegangen ist und dass sich die Zahl der künstlichen Befruchtungen fast verdoppelt hat, dann stellt man fest: Heute werden pro Frau rund 2,6mal so viel IVF--Behandlungen durchgeführt. Wenn man die Zahlen des IVF-Registers auswertet, kommt man 2013 bei über 80 000 Behandlungszyklen gerade einmal auf rund 10 000 Geburten. Das heißt, die Geburt eines Kindes nach einem IVF-Zyklus ist nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme. Das ist der Hintergrund, vor dem wir heute den Vorschlag der Grünen diskutieren, die die IVF als Kassenleistung ausweiten wollen. Es geht also nicht darum – das muss man einmal sagen –, ob etwas verboten oder erlaubt ist, sondern es geht darum, ob wir etwas für so förderungswürdig halten, dass es unbedingt von den Kassenmitgliedern bezahlt werden soll. Ausgangspunkt des grünen Gesetzentwurfes ist, dass durch die derzeitige Regelung manche Personen „bei der Chance auf Elternschaft“, so heißt es in Ihrem Gesetzentwurf – Sie haben es auch gerade gesagt –, benachteiligt werden, weil nur Verheiratete für eine homologe künstliche Befruchtung Kassenleistungen bekommen. Allerdings, auch das darf man sagen, hat bereits 2007 das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das mit dem Grundgesetz sehr wohl vereinbar ist und es eben kein Verstoß, wie es gerade dargestellt worden ist, -gegen den allgemeinen Gleichheitssatz ist. Ein solcher Verstoß würde nur dann vorliegen, so sagt das Bundesverfassungsgericht, wenn es um die Beseitigung einer Krankheit ginge. Aber die künstliche Befruchtung ist eben keine Krankheitsbehandlung. Das Bundesverfassungsgericht hat auch Gründe genannt, warum diese Regelung einsichtig ist: Das Bürgerliche Gesetzbuch sieht die Ehe als auf Lebenszeit angelegte Gemeinschaft an. Die Eheleute sind gesetzlich – das ist der wichtige Punkt: gesetzlich – angehalten, füreinander Verantwortung zu tragen. In der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, so das Bundesverfassungsgericht, kann die Verantwortung nur freiwillig wahrgenommen werden, und sie kann auch jederzeit beendet werden. Ich frage mich wirklich, warum ein Paar, das einen so extremen Kinderwunsch hat, nicht auch heiraten will und damit auch die soziale Absicherung des zukünftigen Kindes haben möchte? Das ist doch die Frage. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mann, ist das konservativ!) Oder will man die Ehe grundsätzlich infrage stellen? (Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Sie sagen, es muss eine auf Dauer angelegte Partnerschaft sein. – Herr Beck wollte etwas fragen. Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Hüppe, ich bin gerade dabei, Ihre Uhr anzuhalten und Sie zu fragen, ob Sie eine Bemerkung oder Frage des Kollegen Beck zulassen? Hubert Hüppe (CDU/CSU): Gerne. Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte, Kollege Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Hüppe, ich nehme Ihr Argument einmal ernst: Verstehe ich es richtig, dass Sie dafür plädieren, die -lesbischen Lebenspartnerinnen in das Gesetz einzubeziehen, aber bei den nichtehelichen darauf zu warten, dass diese sich unterhaltsrechtlich lebenslang verpflichten? Ist das richtig so, oder haben Sie noch einen weiteren Diskriminierungsgrund? Hubert Hüppe (CDU/CSU): Es geht doch gar nicht um Diskriminierung. Es wird ausdrücklich gesagt, dass das keine Diskriminierung ist. Das ist ja nicht nur meine Meinung, sondern das hat auch unser Bundesverfassungsgericht gesagt. Ich komme gleich noch zu diesem Thema. Das ist wirklich ein Randthema, Herr Beck, nicht für Sie, aber was die Zahlen angeht. (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ich weiß, dass das für Sie ideologisch ein ganz wichtiges Thema ist; das verstehe ich auch. – Ich halte einmal fest: Die Anzahl derer, die das betreffen würde, ist so gering, dass das eigentlich nicht der wichtigste Punkt des Antrages ist. Aber ich komme gleich noch einmal dazu. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Entschuldigung, ich darf fortfahren. Sie schreiben in Ihrem Antrag auch nicht, dass jedem oder jeder eine künstliche Befruchtung zusteht, sondern, man müsse, so heißt es, in einer auf Dauer angelegten Partnerschaft leben. Jetzt frage ich Sie einmal: Wie wollen Sie das eigentlich belegen? Was heißt denn „auf Dauer angelegt“? Wie viele Jahre sollen es denn sein: bis das Kind in die Schule kommt oder länger? Was heißt für Sie „auf Dauer angelegte Partnerschaften“? (Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Die nächste Frage, die sich mir stellt, ist: Wer prüft das denn? Wer soll das denn prüfen? Prüft das die Kasse, ob die Partnerschaft auf Dauer angelegt ist? Prüft das der Arzt, oder prüft das das Standesamt? Muss man eine -Bescheinigung haben? Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie haben das nicht richtig durchdacht. Aber vielleicht bekomme ich ja noch eine Antwort auf meine Fragen. Wohlgemerkt: Die Einschränkungen – das darf ich hier noch einmal sagen – geschahen unter einer Koalition, an der die Grünen beteiligt waren. Ich darf die ehemalige gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt Bender, zitieren – da sieht man einmal, wie die Grünen in ihrer Meinung hin und her schwanken –, die 2008 zu Protokoll gab: „Wir stehen … zu den Grund-zügen des damals gefundenen Kompromisses“. Gleich-zeitig haben die Grünen sich bei der Abstimmung über einen Antrag der Linken, der vorsah, das auch nichtverheirateten Paaren zu genehmigen, enthalten. Sie wollten es also einmal, jetzt wollen Sie es nicht. Jetzt will ich Ihnen auch einmal die Begründung der Grünen nennen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Hören Sie doch einmal zu! Es ist doch auch für Sie ein Informationsgewinn. – Im Ausschussbericht steht dann, dass die Grünen es deswegen ablehnen, weil es sich um eine Ausweitung versicherungsfremder Leistungen -handeln würde und sie es angesichts der mit der IVF verbundenen Belastungen für die Frau und einer „Erfolgsquote von lediglich 15 von 100 behandelten Frauen, die in der Folge tatsächlich ein Kind hätten“, als sehr bedenklich ansehen würden. Was ist denn jetzt noch wahr? Heute wollen die Grünen auch verpartnerten Personen die künstliche Befruchtung finanzieren; das ist richtig. Aber auch da soll es so sein, dass man verpartnert ist und dass es eine medizinische Notwendigkeit gibt. Das heißt: Da Sie die Eizellenspende im Gegensatz zur Samenspende ablehnen, kämen ja dann nur lesbische Paare infrage, die medizinische Gründe hätten. Da stellt sich in der Tat die Frage, Herr Beck, wie viele lesbische Paare im Alter von 25 bis 40 Jahren es gibt, die ein Kind haben wollen und von denen beide infertil sind. (Mechthild Rawert [SPD]: Viele! Einladung ins Regenbogenfamilienzentrum! Kann ich organisieren! Kein Problem!) Das ist, glaube ich, eine nicht einmal dreistellige Anzahl. Meine Damen und Herren, der viel problematischere Punkt ist aber, dass man auch die generelle Finanzierung der künstlichen Befruchtung mit Fremdsamenspende möchte. Das hätte natürlich wesentlich größere finanzielle Auswirkungen: IVF mit Samenspende als Kassenleistung für alle! Was mich dabei am meisten überrascht, ist, dass dieselben Grünen, die traditionell skeptisch gegenüber der Technisierung der Fortpflanzung sind, die traditionell die medizinischen Risiken hervorheben und die dafür sind, die Folgen der IVF für Frauen und Kinder zu erforschen, alle Bedenken zurückstellen, wenn es um IVF für nichtkonventionelle Partnerschaften geht. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Gleichbehandlung!) Im April haben wir im Gesundheitsausschuss – einige von Ihnen waren ja dabei; Herr Terpe, Frau Scharfenberg und andere –, übrigens auch von Ihrer Seite sehr kritisch, den Technikfolgenabschätzungsbericht beraten, der den Titel trägt: „Fortpflanzungsmedizin – Rahmenbedingungen, wissenschaftlich-technische Entwicklungen und Folgen“. Dieser Bericht basierte auf einem Vorschlag der Grünen, weil – so sagte damals auch Biggi Bender – man eher eine kritische Sicht auf IVF und ICSI habe. Diese Zeiten sind vorbei. (Zuruf von der SPD: Ja!) Biggi Bender gab damals zu Protokoll – ich zitiere –: Ein grünes Anliegen dabei ist, dass die gesundheitlichen und psychischen Folgen für Frauen und Kinder, zum Beispiel Recht des Kindes – jetzt wird es wichtig – auf Wissen der Abstammung, Mehrlingsschwangerschaften, ebenso wie die sozialwissenschaftliche Forschung über die Auswirkungen der künstlichen Befruchtung Berücksichtigung finden. Sie sagt dann: Ich rate der Linken, ständige, sich auch noch -widersprechende Vorstöße zur Finanzierung der künstlichen Befruchtung zu unterlassen und eine ernsthafte Diskussion zu beginnen, wenn der TAB-Bericht vorliegt. Nun liegt dieser Bericht vor. Er besagt unter anderem – ich zitiere –: Die Adoptionsforschung und die Forschung mit identifizierbaren Gametenspendern – also Fremdsamenspendern – verweisen auf die Bedeutung des Wissens um die biologischen Wurzeln. Nach jetzigem Forschungsstand ist eine anonyme Gametenspende aus psychologischer Sicht daher eher abzulehnen bzw. es sollte die Forschung in diesem Bereich zumindest intensiviert werden. Kinder, die im Rahmen einer Gametenspende oder Leihmutterschaft im Ausland gezeugt wurden, haben in der Regel nicht die Möglichkeit, ihre biologischen Wurzeln kennenzulernen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie zu unserem Gesetzentwurf!) Hier wäre zu erforschen, was dies langfristig für die Kinder und deren Familien bedeutet. Soweit der auf einem Vorschlag der Grünen basierende TAB-Bericht. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber darum geht es doch hier jetzt gar nicht!) Was machen hingegen die Grünen? Führen sie eine ernsthafte Diskussion? Nein, sie unternehmen einen Vorstoß zur GKV-Finanzierung der künstlichen Befruchtung auch bei Verwendung von Spendersamen. Die Hauptwirkung des heute vorliegenden Gesetzentwurfs wird die neue GKV-Leistung „IVF bzw. ICSI mit Spendersamen“ für heterosexuelle Paare sein, eben nicht für homosexuelle Paare, also sozusagen ein Konjunkturprogramm für kommerzielle Samenbanken, die mit dem Hinweis auf schnell verdientes Geldes um Spender werben. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen Sie besser! – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?) Meine Damen und Herren von den Grünen, wenn Sie selbst diese großen Bedenken haben – inzwischen gibt es sogar Selbsthilfegruppen von Kindern, die mithilfe von Fremdsamenspende gezeugt worden sind –, dann sollten wir doch wirklich erst einmal darüber reden, welche familienrechtlichen Dinge wir klären müssen, bevor wir in die Finanzierung gehen. Das haben Sie nicht getan, das haben Sie versäumt. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es nicht!) Letzter Punkt: Aus meiner Sicht, aus unserer Sicht darf ein Kind nicht zu einem bestellten und hergestellten Produkt gemacht werden, sondern wir müssen dabei auch daran denken, was hinterher mit diesen Kindern geschieht und wie ihre soziale Absicherung ist. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich habe mich gerade bei der Rede des Kollegen Hüppe ehrlich gefragt: Worüber reden wir hier überhaupt? Einen ganz großen Aufschlag zur Reproduktionsmedizin sehe ich gar nicht auf dem Tisch. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Sie haben es nicht verstanden!) Was ich sehe, ist ein sehr schlanker Gesetzentwurf der Grünen; über ihn möchte ich gern sprechen. Unerfüllter Kinderwunsch kann für Paare eine ziemliche Belastung sein, und für viele bedeutet tatsächlich dann irgendwann die künstliche Befruchtung zumindest einen Hauch von Hoffnung. Deswegen hat der Gesetzgeber im Sozialgesetzbuch V festgelegt, unter welchen -Bedingungen die gesetzlichen Krankenkassen die künstliche Befruchtung finanzieren müssen. Eine dieser Bedingungen sind zum Beispiel bestimmte Altersgrenzen, eine andere, die Erfolgsaussicht des Versuchs; eine weitere Bedingung ist, dass beide Elternteile leben. Die einzige Bedingung, über die wir hier heute kritisch diskutieren – ich glaube, wir diskutieren zu Recht kritisch darüber –, ist die Bedingung des Trauscheins. Und die ist, wie ich finde, tatsächlich etwas aus der Zeit gefallen. (Beifall bei der LINKEN) Am 13. Juni dieses Jahres hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass die Kranken-kassen auch nicht freiwillig für Paare zahlen dürfen, die nicht verheiratet sind. Der grüne Gesetzentwurf will diese Diskriminierung beenden. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen, dass sie ihn hier vorgelegt haben. (Beifall bei der LINKEN) Wir wissen doch inzwischen alle: Kindern geht es in ihren Familien gut oder schlecht; aber das ist völlig unabhängig davon, was das für Familien sind, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht oder ob es Regenbogenfamilien sind. Die Union vertritt hier offensichtlich noch ein etwas steinzeitliches Familienbild; das konnten wir ja auch der Rede des Kollegen entnehmen. Anderswo aber – darauf möchte ich Sie noch einmal hinweisen, Herr Kollege Hüppe – fällt Ihnen die Gleichstellung unverheirateter Paare plötzlich ganz leicht. -Gehen wir doch einmal in ein anderes Buch des Sozialgesetzbuchs, ins Sozialgesetzbuch II! (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau! – Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind aber in V!) Da gibt es das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaften. Da werden Menschen füreinander in Haftung genommen und müssen füreinander einstehen, wenn sie auf Dauer zusammenleben. Da ist es völlig egal, ob sie einen Trauschein haben oder nicht, ob sie homo- oder heterosexuell sind. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Wir sind aber bei V! Da gibt es zum Beispiel auch die Familienversicherung!) Wir als Linke sagen aber: Gleiche Pflichten muss auch heißen gleiche Rechte. Das ist doch ganz einfach. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen unterstützen wir den Vorstoß der Grünen an dieser Stelle, auch für unverheiratete und verpartnerte Paare die Regelleistung vorzusehen. Wir würden sogar einen Schritt weiter gehen; denn wir finden, dass auch die Zuzahlung von 50 Prozent eine Form der Diskriminierung ist. Da muss ich Sie tatsächlich daran erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Das haben Sie 2003 zusammen mit der SPD mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz eingeführt. Seither müssen die Kassen nur 50 Prozent zahlen. Diverse Kassen zahlen ja freiwillig mehr; das ist eine sogenannte Satzungsleistung. Ehrlich gesagt, ich finde es irre, dass Leute, die ohnehin schon gestresst sind, weil sie vergeblich versuchen, Kinder zu bekommen, auch noch gucken müssen, welche Kasse ihnen da mehr zahlt, als gesetzlich vorgeschrieben ist. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke ist der Auffassung: Die gesetzliche Krankenversicherung soll das Sachleistungsprinzip haben. Sie soll alle notwendigen Behandlungskosten übernehmen. Das entspricht auch dem Prinzip der Solidarität in unserer gesetzlichen Krankenversicherung. Das wäre auch ein Beitrag zur Vermeidung sozialer Diskriminierung. Wenn eine Familie etwa 1 000 Euro Eigenanteil pro Behandlungszyklus übernehmen muss, dann überfordert das Menschen mit geringem Einkommen. -Deswegen appelliere ich an Sie, die familienbezogene Diskriminierung und die soziale Diskriminierung abzuschaffen. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt werden die Kollegen von der Regierungsbank natürlich wieder sagen: Ach, die Linke schüttet hier wieder das Füllhorn aus; das sind Wünsche, die man gar nicht finanzieren kann. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Auch! Aber das ist nicht das Schlimmste bei Ihnen!) Das ist aber nicht der Fall. Sehr wohl haben wir schon in unserem Wahlprogramm mit dem Konzept einer solidarischen Gesundheitsversicherung vorgerechnet, wie man bei Senkung der Beiträge für die allermeisten Menschen die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung wieder erhöhen und alle Zuzahlungen abschaffen kann. Wenn wir sagen: „alle Zuzahlungen“, dann meinen wir auch alle Zuzahlungen. (Beifall bei der LINKEN) Außerdem bräuchte man gar nicht so weit zu gucken. Wenn man denn sagt: „Das ist eine versicherungsfremde Leistung; das gehört eigentlich in den Bereich Familienpolitik und müsste aus Steuermitteln bezahlt werden“, ist das auch gut. Der Finanzminister bedient sich für seine schwarze Null in diesem Jahr und im nächsten Jahr mit 8,5 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds. Dieses Geld könnte man doch zum Beispiel nehmen, um diese Diskriminierung abzubauen. (Beifall bei der LINKEN) Ich freue mich auf die Beratungen im Gesundheitsausschuss und sage noch einmal: Die Linke steht für Diskriminierung abbauen, Solidarität stärken, Menschen helfen, die sich für Kinder entscheiden. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Mechthild Rawert für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Mechthild Rawert (SPD): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne und vor den Fernsehern! Gesetzliche Krankenkassen dürfen den Kreis der Berechtigten für die Kostenübernahme bei einer künstlichen Befruchtung nicht eigenmächtig erweitern; das ist Aufgabe des Gesetzgebers, also unsere. Berechtigte auf teilweise Übernahme der Kosten einer künstlichen Befruchtung sind derzeit ausschließlich -Ehepaare in einer bestimmten Altersspanne – und das auch nur bei einer homologen Insemination, also einer Befruchtung mit Samen- und Eizelle dieser Ehepartner. Seit Jahren diskutieren wir über die Erweiterung des § 27 a SGB V „Künstliche Befruchtung“ und der dort festgelegten Bestimmungen. Ich mache es mir einfach und verweise Sie alle auf meine Website und hier auf die Stichworte „künstliche Befruchtung“, „Fortbildungs-medizin“ und Ähnliches. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Fortbildungsmedizin? – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Fortbildungsmedizin?) – Ja, wir kommen noch darauf. – Insbesondere lade ich Herrn Hüppe ein, sich einmal auf meiner Website umzusehen; (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie haben noch gar nicht die Adresse genannt!) denn dann wird er feststellen, dass wir dieses Thema schon in der letzten Großen Koalition intensiv behandelt haben. Man kann also nicht sagen: „Das ist ein rot-grünes Projekt; Schwarz hat damit nichts zu tun“, oder so ähnlich. Wir alle waren in den unterschiedlichsten politischen Konstellationen auf Länderebene und auf Bundesebene beteiligt, in welcher Form auch immer. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Aber 2003 waren Sie dran!) Liebe Katja Dörner, gerade angesichts der Historie bin ich ob des vorgelegten Gesetzentwurfes enttäuscht. Er greift inhaltlich wesentlich zu kurz. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich teile Ihr Ansinnen auf eine solidarische Finanzierung vonseiten der gesetzlichen Krankenkasse und/oder aus dem Bundeshaushalt. Ich finde es aber unlauter, dass Sie sich vor einer Bezifferung der Größenordnung in Euro drücken. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das ist allerdings richtig!) Wer eine solidarische Finanzierung will, muss hier Transparenz vorlegen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann freuen wir uns auf Ihren Vorschlag!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen wir uns der gesellschaftlichen Herausforderung, die ich pointiert beschreiben möchte mit „Kinderwunsch trifft Politik“. Dabei gilt: Ein Kinderwunsch ist weder an Geschlecht noch an Trauschein noch an sexuelle Identität noch an Einkommen, Bildungsabschluss oder sonst was gebunden. Alle diese Kriterien spielen aber eine Rolle, wenn es um die Chancen der tatsächlichen Realisierung geht. Dafür, dass es gerecht zugeht, sind wiederum wir hier verantwortlich. Der Deutsche Ethikrat hat sich auf seiner diesjährigen Jahrestagung intensiv mit der Fortpflanzungsmedizin in Deutschland auseinandergesetzt. Er hat individuelle Lebensentwürfe und auch Familienbilder debattiert. Ein Blick auf die entsprechende Website lohnt ebenfalls. Zu den verschiedenen Formen assistierter Reproduktionstechniken wurden medizinische, rechtliche, soziale und ethische Fragen diskutiert. Es ging auch um die grundlegende Frage: „Welchen Stellenwert hat der Kinderwunsch in unserer Gesellschaft?“, bzw.: „Welchen Stellenwert sollte er haben?“ Es ist gut, dass der Deutsche Ethikrat diese Fragen immer wieder automatisch mit dem Aspekt der solidarischen Finanzierung in Verbindung setzt. „Kinderwunsch trifft Politik“ heißt, sich in einem breiten gesellschaftlichen Spannungsfeld zu bewegen. Fakt ist, dass sich die rechtlichen Grundlagen in Deutschland in den letzten 20 Jahren kaum geändert haben. Dagegen haben aber spürbar die gesellschaftlichen Erwartungen einen Wandel vollzogen, und zwar hinsichtlich der Frage, ob und wie Fortpflanzungstechnologien angewendet werden dürfen. Diesen gesellschaftlichen Wandel machte zuletzt auch die Debatte zum Social Freezing deutlich. Nicht thematisiert wurden in dieser Debatte allerdings wichtige Aspekte, so ging es nämlich nicht um die jungen Männer und Frauen, die in jungen Jahren an Krebs erkranken und denen mitgeteilt wird, dass sie nach einer Chemotherapie keine Kinder mehr bekommen können. Sie können heute schon ihre Eizellen oder ihren Samen einfrieren lassen, müssen dies aber privat bezahlen. In einem mir bekannten Fall musste frau 2 500 Euro dafür aufbringen. Und das kann nicht jede, schon gar nicht in einer solchen Situation von heute auf morgen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen um die Notwendigkeit der Klärung einer Vielzahl von abstammungsrechtlichen Folgefragen der verschiedenen Methoden assistierter Fortpflanzung. Zu klären sind sowohl die Beziehungen der bei den Reproduk-tionstechnologien beteiligten Erwachsenen ebenso wie die im Sinne des Kindeswohls zu klärenden Rechte des Kindes. Ich begrüße es daher sehr, dass unter der Ägide von Heiko Maas ab Februar 2015 der Arbeitskreis Abstammung tagen wird. Die Bundesregierung hat am 2. Dezember – ich dachte, darauf würde hingewiesen – die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zum breiten Feld „Sexuelle und reproduktive Rechte und Gesundheit“ beantwortet. Ich finde, insbesondere die Antworten auf die Fragen 49 bis 51 können noch nicht das Ende der politischen Fahnenstange dieser Legislaturperiode sein. So wird erstens festgestellt, eine Erweiterung der Zuschüsse zur künstlichen Befruchtung auf unverheiratete Paare sei im Koalitionsvertrag nicht vereinbart. Allerdings prüfe das Bundesfamilienministerium derzeit eine Öffnung der 2012 geschaffenen Förderrichtlinie für die ergänzende finanzielle Unterstützung auch für nichtverheiratete Paare. Hier bitte ich natürlich um baldige Aufklärung, wie es mit dieser Förderrichtlinie weitergeht. Zweitens wird festgestellt, eine Erweiterung des § 27 a SGB V auf eingetragene Lebenspartnerschaften sei „derzeit nicht beabsichtigt“. Werte Kollegen und Kolleginnen, ich bin dankbar für das Wörtchen „derzeit“, meint es doch sicherlich wohl Stand 2014. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) In dem auch von der Union unterzeichneten Koalitionsvertrag steht ausdrücklich – ich zitiere –: Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitigen. Unterschriften: Die Koalitionspartner. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das ist aber etwas anderes!) Selbst wenn wir als Gesetzgeber dabei bleiben würden, nur verheiratete Paare zu unterstützen, müssen wir zumindest verpartnerte lesbische Paare wegen der Gleichbehandlung ebenso unterstützen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das gebieten mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Wo gleiche Pflichten, da auch gleiche Rechte. Ich finde es außerdem unsäglich, dass ein lesbisches Paar, welches durch ärztliche Unterstützung ein Kind bekommt, vor und nach der Geburt keine Sorgeerklärung abgeben kann. Sollte der gebärenden Frau – was niemand wünscht – bei oder nach der Geburt etwas Schreckliches zustoßen, stünde das Kind alleine da und das, obwohl es doch – ich zitiere Jens Spahn – in eine „gefestigte Beziehung“ von zwei Frauen hineingeboren wird. Das widerspricht dem Kindeswohl. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss: Es besteht enormer politischer Handlungsbedarf, um den Einsatz der Fortpflanzungsmedizin in Deutschland für die Zukunft verantwortungsvoll zu gestalten. Ich habe nicht alle Beispiele angeführt, weil ich dachte, dass drei Mitglieder meiner Fraktion zu diesem Thema sprechen würden. Ich empfehle deshalb die Durchsicht der Fragen 49 bis 54. Dort steht zum Beispiel, dass wir klären wollen – übrigens in dieser Legislaturperiode! –, das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft gesetzlich zu regeln, das durch eine Samenspende gezeugt wird. Diese Aufgabe ist auch noch einmal schriftlich fixiert worden bei der Beantwortung dieser Fragen. Mir ist bewusst, dass die Betonung einer selbstbestimmten Fortpflanzung traditionelle Werte und Vorstellungen über die Gestaltung und Bedeutung von Familie herausfordert. Aber Familie findet in Deutschland längst in bunter Vielfalt statt; und das ist auch gut so. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche uns allen nach diesem arbeitsreichen Jahr ein frohes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch und erholsame Urlaubstage. Bleiben Sie gesund! Ich freue mich schon auf die Fortsetzung dieser sicherlich spannenden Debatte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Katja Leikert für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute über einen Gesetzentwurf der Grünen, der weder Hand noch Fuß hat und finanzielle Forderungen an die gesetzliche Krankenversicherung stellt, die die Grünen einfach nicht ernst meinen können. Sicherlich haben sie auch im positiven Sinne wichtige gesellschaftliche Debatten in den letzten Jahren angeregt. Mit diesem Gesetzentwurf jedoch schießen sie aus meiner Sicht eindeutig über jedes Ziel hinaus. Beim Lesen des Gesetzentwurfes habe ich mich gefragt, wann sie die Eizellspende und Leihmutterschaft auf Kassenschein einfordern. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist totaler Blödsinn!) Man muss schon unterscheiden können, was die Menschheit wirklich nach vorne bringt und wann ein größerer Schaden als Nutzen entsteht. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ihr redet doch immer vom demografischen Wandel! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dabei sprechen wir heute über ein Thema, das einen sehr ernsthaften Hintergrund hat. Der Wunsch nach Kindern ist einer der tiefsten Sehnsüchte der meisten Menschen. Erfüllt sich der Kinderwunsch nicht, sind oft Trauer und Schmerz bestimmend für die Paare. Kinderlosigkeit wird so auch oft zu einer harten Belastungsprobe für eine Partnerschaft. Diejenigen Paare, die sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden, haben oft einen sehr langen Weg mit viel persönlichem Leid hinter sich gebracht. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, und was folgt daraus?) Der Schritt der künstlichen Befruchtung bleibt als letzte Möglichkeit, ein eigenes Kind – im biologischen Sinn – zu bekommen. Die Behandlung selbst ist für die Frauen sehr fordernd und von hoher Unsicherheit geprägt. Nur knapp ein Fünftel der Behandlungen führt zu einer Lebendgeburt. Insofern hat die moderne Reproduktionsmedizin zwar Fortschritte gebracht; aber das Thema ist mit der nötigen Seriosität und Sensibilität zu behandeln, wenn wir uns mit der Frage beschäftigen wollen, die gesetzlichen Ansprüche auszuweiten. Eine Ausweitung der GKV-Leistungen, die zur Vermehrung zerstörter Hoffnungen führt, lehne ich persönlich ab. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wollen Sie es bei verheirateten Paaren auch wieder verbieten?) Worum es geht, wurde von den Vorrednern ja schon ausgiebig erläutert: Der Gesetzentwurf sieht eine Ausweitung des Personenkreises vor, der die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung von der Versichertengemeinschaft der GKV erstattet bekommen soll. (Mechthild Rawert [SPD]: Oder über den Bundeshaushalt! Das geht auch!) Es wurde ja bereits erwähnt, dass die entsprechenden GKV-Leistungen unter Rot-Grün eingeschränkt wurden. Seitdem übernimmt die GKV nur noch 50 Prozent der Kosten der ersten drei Versuche der künstlichen Befruchtung. Jetzt kommen Sie so kurz vor Weihnachten mit einem großen Wunschzettel an und wollen den Rechtsanspruch ausweiten. So ganz nebenbei wollen Sie sich mit Ihrem Gesetzentwurf zu der gesellschaftspolitisch fortschrittlichen Stimme in diesem Land aufschwingen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Es ist halt so! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eindeutig besetzt!) – Schreien Sie doch hier nicht so rein! (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist offenbar erwünscht!) Ich persönlich bin meilenweit davon entfernt, darüber zu urteilen, in welcher Lebensform Kinder am besten gedeihen oder am glücklichsten aufwachsen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun Sie aber!) – Das tue ich nicht. – Jeder von uns weiß, wie vielfältig das Leben ist; jeder von uns kennt gute Ehen und weniger gute Ehen, glückliche und unglückliche unverheiratete Paare oder auch verpartnerte Lebensgemeinschaften, die Höhen und Tiefen erleben. Und in all diesen Paarkonstellationen wachsen in diesem Land Kinder auf. In unserer offenen, pluralistischen, demokratischen Gesellschaft ist zum Glück vieles möglich und ein hohes Maß an Toleranz gegenüber den vielfältigen Lebensentwürfen vorhanden. Dennoch gilt es, politische Entscheidungen zu treffen, vor allem darüber, was in dieser Gesellschaft wie finanziert wird. Und diese Frage stellt sich auch bei der Kinderwunschbehandlung. Die IVF ist keine Behandlung – das hat Herr Hüppe schon deutlich gemacht –, die heilen kann. Die Behandlung wirft viele moralisch-ethische Fragen auf – das können auch Sie nicht verneinen; wenn Sie darüber nachdenken, wird es Ihnen bewusst – (Zurufe der Abg. Mechthild Rawert [SPD] und Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – so trivial ist das alles nicht –, (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist nicht trivial!) etwa im Hinblick auf die Selektion von befruchteten Eizellen oder den Umgang mit tiefgefrorenen Eizellen. Und es sind nicht wenige Frauen, die diese Behandlung – das sollten Sie auch ernst nehmen – als eine erniedrigende Erfahrung beschreiben. Reden Sie mal mit den Frauen! (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das denn mit dem Trauschein zu tun? – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wen schützen Sie denn vor sich selbst? – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hier sind Leitplanken gefragt, die Anhaltspunkte geben, wie mit den Mitteln der modernen Reproduktionsmedizin umgegangen werden soll. (Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ganz ruhig! Hören Sie doch noch eine Minute zu! (Hubert Hüppe [CDU/CSU], an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Zuhören! Das ist ja furchtbar!) Ich bin schon der Meinung, dass der Gesetzgeber eine Lebensform besonders herausstellen darf, (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie hätten einmal den Gesetzentwurf lesen sollen! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie hätten den Gesetzentwurf lesen sollen!) und zwar die, die höchste Stabilität aufweist. Sie mögen das jetzt vielleicht nicht hören wollen, aber die Statistik besagt auch, liebe Frau Dörner: 65 Prozent aller Ehen halten länger als 25 Jahre, und selbst, wenn Ehen geschieden werden, haben sie im Durchschnitt länger als 14 Jahre gehalten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na und?) – Nichts „Na und?“! – Ehen sind also auch im 21. Jahrhundert durch eine hohe Belastbarkeit geprägt, durch Verantwortungsübernahme, und das auch im finanziellen Sinne. Wenn die GKV die Ehe als Kriterium definiert, um den Finanzierungsrahmen festzulegen, dann gibt es dafür also plausible Gründe. Mit der Frage der künstlichen Befruchtung befassen sich aber nicht nur die Gesundheitspolitiker, sondern auch die Familienpolitiker. Die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder hat sich engagiert des Themas angenommen und erreicht, dass in der letzten Legislatur zusätzliche Mittel aus dem Bundeshaushalt für Maßnahmen der assistierten Reproduktion bereitgestellt wurden – übrigens unter der Voraussetzung, dass sich die jeweiligen Bundesländer an den Kosten beteiligen. Ich habe jetzt gehört, dass Familienministerin Manuela Schwesig die Förderung auf nichtverheiratete Paare ausweiten möchte. Sie hat auch in den letzten Jahren immer wieder betont, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, Paare in ihrem Kinderwunsch zu unterstützen. Insofern bestehen sicherlich Chancen, dass das Familienministerium in Zukunft noch einmal zusätzliche Mittel bereitstellen wird. Der eigentliche Hammer in Ihrem Gesetzentwurf ist aber Ihre Forderung nach der Finanzierung im Fall von Befruchtung durch Samenspenden von Dritten, der sogenannten heterologen Befruchtung, also nicht durch den Ehemann. Die CDU/CSU – das können wir ganz klar sagen – lehnt diese Forderung ab. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht so gar nicht drin! – Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Ich bin mir gar nicht so sicher – Sie brauchen nicht polemisch zu werden –, ob Sie die Tragweite dessen, was Sie da fordern, verstehen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie verstehen den Gesetzentwurf nicht!) Es geht hier nicht um eine medizinische Fachfrage, sondern um eine Grundfrage des Menschen: Wer ist der biologische Vater? Das sind tiefgehende emotionale Fragen; das können Sie nicht verneinen. (Mechthild Rawert [SPD]: Tun wir ja auch gar nicht!) Sie wissen genau, dass im Bereich der Samenspenden von Dritten viele Fragen noch ungeklärt sind, was beispielsweise das Erbschaftsrecht betrifft oder auch die Feststellung der Vaterschaft, woraus sich beispielsweise Unterhaltszahlungen im Nachhinein ergeben könnten. Mit Ihrem Gesetzentwurf setzten Sie einfach einen Schritt vor den anderen. Der gesellschaftlichen Debatte und der juristischen Fragestellung stellen Sie sich nicht. Jetzt komme ich auf ein Thema zu sprechen, das vorhin am meisten für Aufregung gesorgt hat. Sie fordern darüber hinaus, dass in eingetragenen Partnerschaften lebende lesbische Frauen eine heterologe Insemination auf Krankenschein erstattet bekommen sollen. Ich möchte Sie gerne fragen: Bei wie vielen Paaren in der Bundesrepublik kommt es vor, dass beide Frauen unfruchtbar sind und eine medizinische Indikation vorliegt? (Mechthild Rawert [SPD]: Eine reicht doch!) – Wieso eine? (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist verfassungsrechtlich geboten!) An Ihren Einwürfen sieht man schon, wie problematisch Ihr Gesetzentwurf ist. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie ihn nicht verstanden haben!) Wir haben den Verdacht, dass Sie aus der Opposi-tionsrolle heraus Klientelpolitik betreiben und Forderungen stellen, die man in der Opposition leicht stellen kann. Im Falle eines Regierungseintritts könnte man sie aber nicht aufrechterhalten. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: So ist es! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Klientel?) Das wissen die Kolleginnen und Kollegen der Grünen auch. Ich möchte Sie fragen: Sind Sie sich sicher, dass Sie den lesbischen Paaren einen Gefallen tun, wenn Sie die medizinische Schiene wählen? (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es geht um Gerechtigkeit!) Ich komme zum Schluss. Ich bleibe dabei: Nicht alles, was medizinisch machbar ist, muss unhinterfragt von der Versichertengemeinschaft der GKV mitgetragen werden. Wir müssen uns schon den ethisch-moralischen Fragen stellen, die mit dem Thema künstliche Befruchtung verbunden sind. Nach dem Motto „Ihr Kinderlein kommet“ – so funktioniert das nicht. Das Thema ist viel zu sensibel, um damit auf diese Art und Weise Oppositionspolitik zu betreiben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Harald Petzold hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf den eigentlichen Punkt, um den es geht, zurückkommen. Das Wunschkind meiner beiden besten lesbischen verpartnerten Freundinnen ist inzwischen ein selbstbewusstes Schulkind. Immer, wenn wir zusammensitzen und uns an die Zeit erinnern, als wir überlegen mussten, wie der gemeinsame Kinderwunsch umgesetzt werden kann, fällt uns auf, welches Neuland wir damals betreten hatten. Viele Sachen haben wir uns viel leichter vorgestellt. Letzten Endes hatte meine beste Freundin einen fünfstelligen Geldbetrag zu zahlen, um den gemeinsamen Kinderwunsch tatsächlich umsetzen zu können. Die Krankenkasse hat diese Kosten noch nicht einmal anteilig übernommen – das ist der Punkt, um den es geht –: weder für die Behandlung im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung noch für die Versuche, die nötig waren, um eine Eizelle zu befruchten. Wir reden hier nicht über Aufwendungen für Grippostad oder ein anderes Erkältungsmedikament, sondern über fünfstellige Geldsummen. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das stimmt ja gar nicht!) Ich bin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – da schließe ich mich dem Dank meiner Kollegin Vogler an – für die Gesetzesinitiative ausdrücklich dankbar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssten diese Debatte hier und heute nicht führen, wenn sich der Gesetzgeber endlich entschließen würde, die Ehe für Lesben, Schwule, Transsexuelle oder Intersexuelle zu öffnen oder wenigstens die eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Ehe gleichzustellen. Ich habe dazu vor knapp einem Jahr meine erste Rede hier im Deutschen Bundestag gehalten. Die Beratung des Gesetzentwurfs der Linken steht immer noch aus. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Sie werden es nicht verbergen können, dass Sie sich eigentlich nach wie vor der Einsicht, was Gleichstellung und Gleichbehandlung angeht, entziehen und Widerstand leisten wollen. Sonst kann es für Sie doch gar nicht genug Kinder in der Gesellschaft geben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Kolleginnen und Kollegen von der CDU sind diejenigen in meinem Wahlkreis, die am lautesten jammern über den demografischen Wandel, dem unsere Gesellschaft ausgesetzt ist. Deswegen sage ich: Das ist eine verfassungswidrige Benachteiligung, (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Es gibt doch keinen Rechtsanspruch auf ein Kind!) die Sie durch Ihre Argumentationsartistik im Parlament aufrechterhalten wollen. Dadurch sorgen Sie nach wie vor für eine Ungleichbehandlung. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Geht es Ihnen um Bevölkerungspolitik?) Die Linke will hier Abhilfe schaffen. Deswegen werden wir den Gesetzentwurf der Grünen unterstützen, auch wenn wir in einigen Punkten – Frau Vogler hat sie genannt – durchaus Nachbesserungsbedarf sehen. Ich sage auch – diesbezüglich stimme ich der Kollegin Rawert zu –: Es kann nicht das Ende der politischen Fahnenstange sein, bloß weil eine einzelgesetzliche Regelung im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen ist. Wir müssen hier endlich zu Potte kommen. Wir brauchen endlich die Gleichstellung. Wir Oppositionsfraktionen möchten Frau Schwesig gerne dabei unterstützen. Ich kann Ihnen von der SPD nur raten: Geben Sie die Abstimmung frei. Wir haben hier im Parlament nach wie vor eine rechnerische Mehrheit für die Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften. Wenn wir diese Mehrheit nutzen würden, könnten wir vieles vom Tisch räumen und viele Ungleichbehandlungen beenden. Meine Fraktion wird, wie gesagt, dem Gesetzentwurf der Grünen zustimmen. Meine Stimme haben Sie auf jeden Fall. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dirk Heidenblut hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dirk Heidenblut (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hüppe, zunächst einmal zu Ihnen: Ich möchte vermeiden, dass Sie den Anteil der CDU/CSU an Gesetzesvorhaben zu klein reden. Sicher, Sie haben recht: Das Gesetz ist damals unter Rot-Grün verabschiedet worden. Aber was Sie ein wenig verschwiegen haben, ist, dass das Gesetzesvorhaben in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesrat und insbesondere in sehr enger Zusammenarbeit mit der CDU/CSU behandelt wurde. (Zuruf des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU]) Insofern ist Ihr Anteil daran nicht ganz unerheblich. Das verringert den Anteil der Grünen nicht, wir wollen den Anteil der CDU aber auch nicht zu klein reden. (Beifall bei der SPD) Die bisherigen Debattenbeiträge haben mich verblüfft – das gilt auch für den vorangegangenen Redebeitrag –: Dies ist keine Debatte über grundsätzliche Fragen der Gleichstellung. Herr Petzold, diese Debatte hätte auch Ihrer Freundin nicht geholfen. Frauen in gleicher Situation würde nur geholfen werden, wenn sie aufgrund medizinischer Notwendigkeiten Unterstützung benötigen würden. Übrigens wird an dieser Stelle auch Ehepaaren ohne medizinische Notwendigkeit nicht geholfen. Da gibt es also durchaus eine Gleichstellung; das ist unstrittig. Wir können uns jetzt darüber streiten, ob diese Gleichstellung gut oder schlecht ist. Das wäre aber eine gesellschaftspolitische Frage, weil es dabei darum geht, wie wir dem Kinderwunsch nachkommen. Wir reden heute auch nicht über die Frage, was gute und was schlechte Eltern sind; wobei zu fragen ist, ob eine solche Frage überhaupt sinnvoll ist. Für unsere Fraktion ist völlig klar: Es gibt heutzutage sehr unterschiedliche Formen von Lebensgemeinschaften, und überall gibt es gute und schlechte Eltern. In jedem Fall müssen wir uns über Kinderrechte und das Kindeswohl unterhalten. Aber auch das ist heute nicht die Frage. Heute lautet die Frage: Was soll die Krankenkasse, was soll die Gemeinschaft der Versicherten zahlen und für wen soll die Behandlung bezahlt werden? Diesbezüglich hat der Gesetzgeber eine Einschränkung vorgenommen und gesagt: Wir wollen, dass zunächst einmal nur im Fall einer Ehe gezahlt wird. – Diese Einschränkung ist keine Diskriminierung, sondern sie ergibt sich aus ganz vielen Gründen, die damals eine Rolle gespielt haben. Auch wenn ich dafür stehe und sehr deutlich sage: „Wir finden es gut und richtig, dass es ganz viele unterschiedliche Formen von Lebensgemeinschaften gibt“, muss ich als jemand, der seit 21 Jahren sehr glücklich in einer Beziehung mit Trauschein lebt, einem Einwand entgegentreten: Ich halte Trauscheine nicht für nicht mehr zeitgemäß. Ich glaube, sie sind das durchaus noch. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat niemand gesagt!) Ich halte allerdings alle anderen Formen auch für zeitgemäß. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Warum geben Sie dann den anderen nicht das Recht, auch einen Trauschein zu haben?) – Ich habe nur gesagt, dass ich mich dagegen wehre, dass eine Form nicht mehr zeitgemäß ist. Alle anderen sind selbstverständlich auch zeitgemäß. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Heidenblut, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Vogler? Dirk Heidenblut (SPD): Selbstverständlich. Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Herr Kollege Heidenblut, weil Sie mich so schrecklich missverstanden haben, möchte ich bemerken, dass ich überhaupt nicht gesagt habe, dass der Trauschein an sich unzeitgemäß ist. Meinetwegen sollen alle, die das gerne wollen, heiraten. Ich bin selbst seit 20 Jahren glücklich verheiratet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Glückwunsch!) Aber angesichts der Vielfalt von Familienformen in diesem Land ist es einfach unzeitgemäß, diese Bescheinigung einer Behörde zur Grundlage von Familienpolitik zu machen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen habe ich mich bei den Grünen für den Gesetzentwurf bedankt. Ich möchte einfach nur, dass Sie das zur Kenntnis nehmen. Dirk Heidenblut (SPD): Ich nehme das gerne zur Kenntnis und bedanke mich für die Klarstellung. Wir sind ja zumindest, was die Frage der Zeitgemäßheit eines Trauscheins angeht, offensichtlich völlig auf einer Linie. Zu dem Rest komme ich noch. Danke schön. Kommen wir zurück zu den Problemen, mit denen wir uns heute eigentlich beschäftigen. Sie werfen in Ihrem Gesetzentwurf – ich muss sagen: ganz so klein ist er nicht – zwei ganz wesentliche Fragen auf. Die eine Frage – auch Kollege Hüppe hat sie schon angesprochen – lautet: Was ist eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft? Ja, ich gebe zu, dass wir diese Frage bei den Bedarfsgemeinschaften in einem anderen Sozialgesetzbuch schon einmal angepackt haben; aber wir alle wissen, dass das nicht einfach zu entscheiden ist und dass es ein Problem ist, wie man das am Ende feststellen kann. Über diese Frage muss man sicherlich nachdenken. Die andere Frage betrifft das Problem, dass für die Lebenspartnerschaft ein weiterer Teil geändert werden muss; sonst bringt das gar nichts. Denn wenn wir die verschiedenen Formen der Lebenspartnerschaften zwar einschließen, aber bei der homologen Insemination – ich musste den Begriff auch erst lernen – bleiben, dann wird das nichts bringen. Das heißt, wir müssen auch eine andere Form der Insemination einschließen, die im Übrigen im Moment für niemanden bezahlt wird; das möchte ich deutlich sagen. Dabei stellen sich dann aber auch ein paar rechtliche Fragen, die die Rechte der Kinder und derjenigen betreffen, die in dem Fall als Dritte zwingend beteiligt sind, also die leiblichen Väter. Das hat deutlich gravierendere Auswirkungen, als es in dem Gesetzentwurf, den Sie uns hier vorlegen, deutlich wird. Ich will ausdrücklich sagen: Wir sind dafür, dass an dieser Stelle darüber geredet wird. Wir werden versuchen, offen und vernünftig darüber zu diskutieren und es miteinander zu besprechen. Aber ob der Gesetzentwurf, so wie Sie ihn vorlegen, am Ende wirklich zielführend ist, muss sich in der Diskussion erst noch zeigen. Das wird sich zeigen, wenn wir die Fragen angehen, die mit dem Gesetzentwurf aufgeworfen werden. Ich will zumindest noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, der durchaus eine Rolle spielt. Es geht um die Frage – Sie haben das selbst mit der Verschärfung des Begriffs „medizinisch“ deutlich gemacht –: Für was soll eigentlich die Versichertengemeinschaft zahlen? Wir reden hier über die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen, also die Versichertengemeinschaft, für bestimmte Leistungen. Auch das müssen wir uns an der Stelle durchaus noch einmal anschauen. Das hat natürlich auch mit der Frage, wie es funktioniert und welche Erfolgsaussichten es gibt, zu tun. Da komme ich noch einmal auf das zurück, was Herr Hüppe zum Schluss gesagt hat. Diese Diskussion ist tatsächlich nicht neu. Sie wurde schon mehrfach geführt, und zwar mit dem Hinweis darauf, dass eine Abwägung der Erfolgsaussichten – auch das habe ich jetzt lernen müssen; der Begriff dafür ist Baby-take-home-Rate – und der gleichzeitig vorhandenen Risiken, die eine solche Behandlung mit sich bringt – das kann man nicht wegdiskutieren –, erfolgen muss, um zu entscheiden, ob es wirklich sinnvoll ist, den Kreis auszuweiten. Wir werden das betrachten. Wir freuen uns auf die Diskussionen im Ausschuss und auf die sicherlich anstehenden Anhörungen. Für uns ist völlig klar, dass wir dem grundsätzlichen Ziel, keine Diskriminierung von gewählten Lebensgemeinschaften, Lebenspartnerschaften näher kommen müssen. Ob dieser Gesetzentwurf der richtige Ansatz ist, bleibt durchaus fraglich. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Harald Terpe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Im Grunde genommen, Kollege Heidenblut, bin ich sehr zuversichtlich. Wir stehen am Anfang der parlamentarischen Debatte. Es ist immer so, dass Gesetzentwürfe weiterentwickelt werden. Auch Mechthild Rawert hat gesagt, dass sich die SPD an der Weiterentwicklung dieses Gesetzentwurfes beteiligen wird. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Ich bin, ehrlich gesagt, in die Diskussion gegangen, um – so mache ich das sehr häufig – Überzeugungsarbeit zu leisten, in diesem Fall natürlich bei der Union. Ich dachte, ich müsste manche nur davon überzeugen, sich mit einem etwas engen Familienbild der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Aber es kommt hinzu, dass ich schon jetzt auch dahin gehend Überzeugungsarbeit leisten muss, dass es heute nicht um die Diskussion über Chancen und Risiken der IVF und auch nicht darum geht, dass diese Behandlungsform für Frauen sehr beeinträchtigend ist – von dieser Überlegung wurden wir ja auch, als es um die Kostenübernahme für Verheiratete ging, nicht in erster Linie geleitet –, sondern dass es heute um die Frage „Diskriminierung: ja oder nein?“ bzw. „Gleichbehandlung: ja oder nein?“ geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich muss mich gegen noch etwas verwahren: Es geht heute auch nicht um Leihmutterschaft, Eizellspende und Eizellen-Freezing. Davon steht nichts im Gesetzentwurf. Es gibt auch keine Gesetzesinitiative, die von den Grünen in diese Richtung gestartet werden würde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Da wollen wir doch alle nicht hin! – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Und Fremdsamenspende?) – Es geht auch nicht um Fremdsamenspende, (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das steht aber im Gesetzentwurf!) obwohl die Bemerkung über Abstammung natürlich eine richtige Diskussion, die wir führen müssen, anstößt. Schon heute gibt es, trotz aller offenen Fragen, die heterologe Insemination. Auch hier geht es nur um die Frage der Diskriminierung von Frauen, die Schwierigkeiten haben, auf natürliche Art und Weise schwanger zu werden. Es geht nicht um die Bezahlung der heterologen Insemination. Die Bezahlung richtet sich nach Art der IVF, der künstlichen Befruchtung. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Terpe, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Röspel? Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, gern. René Röspel (SPD): Vielen Dank, lieber Harald. Es tut mir leid, dass ich dich unterbrechen muss, weil ich dich sonst sehr schätze. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die Entscheidung im Jahr 2003 – tatsächlich unter -einer rot-grünen Bundesregierung –, die Zahl der Zyklen auf drei zu beschränken und das Alter auf 25 bis 40 Jahre festzusetzen, (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das wäre dann ja Altersdiskriminierung, oder?) hatte im Wesentlichen etwas mit der Reproduktions-medizin zu tun; ich finde, das spielt auch heute eine Rolle. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir ja nicht ändern!) – Ja, aber es geht um einen wesentlichen Bestandteil dieser Diskussion, der bisher eine viel zu geringe Rolle gespielt hat. Es hat damals eine Enquete-Kommission gegeben, die sich sehr intensiv mit der Reproduktionsmedizin -befasst hat. Sie hat sich – unter Beteiligung von Christa Nickels von den Grünen, Professor Fink und Ilja Seifert von den Linken und vielen anderen – mit der zentralen Frage befasst: Helfen wir den Frauen, die einen sehnlichen Kinderwunsch haben, eigentlich damit, wenn wir auch noch den sechsten Zyklus finanzieren? Wir haben darüber unter dem Stichwort Baby-take-home-Rate – der Kollege Heidenblut hat es gerade genannt – diskutiert. Es ist nämlich so: Wenn man gut rechnet, kommt man zu dem Ergebnis, dass 15 Prozent aller Frauen, die sich einer künstlichen Befruchtung unterziehen, mit einem Kind nach Hause gehen. Das heißt, von sieben Frauen, die das tun, gehen sechs ohne Kind nach Hause. Das ist eine Maschinerie, in die man hineingeraten kann. Darüber haben wir damals sehr intensiv diskutiert. Da wir gesehen haben, dass mit Ausnahme von Fällen, bei denen eine medizinische Indikation vorlag, eine gleich hohe Erfolgsrate nach biopsychosozialer Beratung zu verzeichnen war, hat es damals die Empfehlung an den Gesetzgeber gegeben, den Kreis der Anspruchsberechtigten zu beschränken – auf verheiratete 25- bis 40-Jährige mit medizinischer Indikation – und nur drei Zyklen zu bezahlen. Damals kam man zu dem Ergebnis: Wir helfen nicht, indem wir den Kreis der Anspruchsberechtigten ausweiten. Ich finde, auch dieser Punkt muss in dieser Diskussion eine Rolle spielen, weil die betroffenen Frauen im Zentrum stehen sollten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das gibt mir die Möglichkeit, außerhalb meiner Redezeit zu antworten. Dafür bin ich sehr dankbar. Im weiteren Verlauf meiner Rede hätte ich auch noch gesagt, dass es heute auch nicht um die Erhöhung der Zahl der Zyklen auf mehr als drei geht. Das war damals eine verantwortungsvolle Entscheidung, natürlich eine Kompromissentscheidung. Was aber an der damaligen Entscheidung, auch aus heutiger Sicht, nicht richtig war, ist die Begrenzung auf verheiratete Paare. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Man hat damals nicht akzeptiert, dass es auch andere -Lebensformen mit Verantwortungsübernahme gibt. Paare, die sich bewusst für eine künstliche Befruchtung entscheiden, sind nämlich Paare, die eine Heirat als zweitrangig, die Übernahme von Verantwortung für Kinder aber als erstrangig betrachten. Ich möchte das an meinem eigenen Beispiel deutlich machen: Ich bin zehn Jahre lang mit drei Kindern unverheiratet gewesen. Die Übernahme der Verantwortung – jedenfalls für Kinder – ist nicht an eine Heirat gebunden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Bei diesem Gesetzentwurf geht es nicht um die vielen Punkte, die aufgezählt wurden, sondern es geht für uns um die Frage: Diskriminierung oder Gleichbehandlung. Ich bin sogar froh, wenn uns jemand sagt, dass es dabei um unsere Klientel geht. Wir wollen keine Diskriminierung, sondern eine Gleichbehandlung. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Terpe, ich habe die Uhr wieder angehalten, weil es den Wunsch des Kollegen Henke gibt, eine Frage zu stellen oder eine Bemerkung zu machen. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Jetzt aber bitte keinen fachlichen Diskurs!) – Ich bin darin fachlich ja nicht so gut wie Herr Henke. Rudolf Henke (CDU/CSU): Vielen Dank, Harald Terpe, für die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. – Zunächst einmal kann man natürlich darüber nachdenken, was Gleichbehandlung bedeutet: Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln. Man kann aus der Ungleichheit ja nicht ableiten, dass es der Imperativ ist, die Ungleichheit gesetzgeberisch zu beseitigen. Aber wir konzentrieren uns hier auf die heterologe Insemination. Anders geht es bei einem lesbischen Paar ja nicht. Kann es denn wirklich das Ziel sein, dass man, -bevor man die personenstandsrechtlichen und erbrecht-lichen Fragen beantwortet, die Ansprüche des Kindes darauf, seinen biologischen Vater kennenzulernen, geprüft und die Frage beantwortet hat, welche Haftung – – (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einmal etwas zu der heutigen Praxis bei den heterologen Inseminationen!) – Ich bin gerne bereit, eine Zwischenfrage von Herr Kollegen Beck zu meiner Zwischenfrage zu beantworten, wenn er sie beantragt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das funktioniert nicht. – Ich wollte auch gerade anmerken: Zurzeit hat der Kollege Henke überwiegend das Wort. (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: -„Überwiegend“!) Rudolf Henke (CDU/CSU): Vielen herzlichen Dank. – Ich komme zu meiner Frage zurück und nehme meinen Gedanken wieder auf: Natürlich kommt es aufgrund des Haftungsrechts für einen Arzt, der einen Spender dazu veranlasst, eine heterologe Insemination durch seine Spende zu ermöglichen, zu entsprechenden Folgen, wenn er es einem Kind nicht ermöglicht, zu erfahren, wer sein Vater ist, wenn es das will. Das ist übrigens auch die Antwort auf die von Herrn Beck in seiner denkbaren Zwischenfrage an mich gestellten Frage, wie das denn in der Praxis bei den heutigen heterologen Inseminationen aussieht. Sie sind nämlich auch problematisch. Meine Frage ist daher: Müsste man nicht eher eine komplett andere Reihenfolge, was die Klärung der aufgeworfenen Fragen angeht, wählen, als jetzt diesen Gesetzentwurf einzubringen? (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das kann man mit Ja beantworten! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum fällt Ihnen das jetzt ein?) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im zweiten Teil der Frage wurde die Problematik angesprochen. Wir beide wissen sehr gut, dass gerade die Ethikkommission und die Ärztekammern immer um Rat gefragt werden, wenn es um die heterologe Insemination, wie sie heute möglich ist, geht. Es wird dann gesagt: Die heterologe Insemination ist heute trotz all der Schwierigkeiten möglich. An dieser Einschätzung ändert auch dieser Gesetzentwurf nichts. Aber wir konzentrieren uns auf die Frage: Was passiert, wenn die Frau nicht auf natürliche Weise schwanger werden kann, (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Ja, es geht noch ums Bezahlen!) sie also eine künstliche Befruchtung durch den Samen ihres Partners, also eine In-vitro-Fertilisation, braucht? Diese homologe und nicht die heterologe Insemination soll bezahlt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme noch einmal auf den Gesetzentwurf zurück, weil als Kronzeugin auch unsere geschätzte Kollegin Biggi Bender mehrfach genannt worden ist. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja, sie fehlt hier!) Wenn ich jetzt länger Zeit hätte, um Überzeugungsarbeit zu leisten, dann würde ich sogar nachweisen können, dass das nicht im Widerspruch steht; denn das Problem „Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen“ wurde damals in einer Zeit diskutiert, in der fast alle akzeptiert hatten, dass der steuerliche Anteil bei der Finanzierung der Krankenkassen fehlt, den wir heute ja zu Recht einfordern, indem wir sagen: Es gibt versicherungsfremde Leistungen. Heute ist allgemein akzeptiert, dass wir diesen steuerlichen Anteil regelmäßig erhöhen wollen. Ich weiß, dass die Koalition das etwas reduziert hat. In Zukunft soll das aber wieder in die umgekehrte Richtung gehen. Aus diesen Teilen ist die Finanzierung einer versicherungsfremden Leistung möglich. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Insofern könnte man sogar meine geschätzte Kollegin Biggi Bender aus der Kritik raushauen. Ich bleibe dabei: Ich will Sie davon überzeugen, Ihr Augenmerk auf nichteheliche Lebenspartnerschaften bzw. Lebensgemeinschaften zu legen. Insofern sollte die Union ihr Familienbild überdenken. Ich bin gespannt, wie die SPD unseren Gesetzentwurf noch weiter verbessert, damit wir diesem dann mit großer Mehrheit zustimmen können. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Terpe, die Zwischenfrage des Kollegen Röspel hat es noch einmal deutlich gemacht. Sie haben versucht, Ihren Gesetzentwurf etwas zu relativieren. Dieser sei quasi wie eine kleine Fußnote, und in den -parlamentarischen Beratungen könne man das eine oder andere vielleicht doch noch verändern. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Sie merken, es geht um mehrere Grundsatzfragen: Es geht um die Frage der Gesundheit, um die Frage der Bewertung von Familienleitbildern und um die Frage der Diskriminierung. Außerdem geht es um die Frage, was der Staat leisten kann und leisten soll, wenn es darum geht, diejenigen zu unterstützen, die sich Kinder wünschen, denen dieser Wunsch aus gesundheitlichen Gründen aber nicht erfüllt werden kann. Frau Dörner, noch einmal zu Ihrer Bewertung der Vielfalt von Familienbildern. Da sind wir gar nicht auseinander. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Da sind wir sehr weit auseinander!) Die Frage der Übernahme von Verantwortung stellt sich in Ehen und in Nichtehen. Man merkt, dass die Lebensformen von Kolleginnen und Kollegen der einzelnen Fraktionen sehr stark differieren. Das alles hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Wir als Union sind der Auffassung, dass der Staat darauf reagieren muss. Er muss den verschiedenen Familienleitbildern gerecht werden. Ich finde es gut, dass Sie den Fokus auf das Thema Verantwortung setzen. Insofern werden Sie im Zuge Ihrer Reformbestrebungen sicherlich zu der Erkenntnis gelangen, dass das Ehegattensplitting richtig ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt nur eine Form von Gemeinschaft, in der Verantwortung nicht nur freiwillig übernommen wird, sondern in der es eine gesetzliche Verpflichtung mit allen daraus erwachsenden Folgewirkungen gibt, und das ist die Ehe. Diese wird zu Recht durch das Grundgesetz besonders geschützt. Die Ehe ist mit besonderen Rechten und Pflichten versehen. Die Ehe hat gesetzlich eine Verantwortungsübernahme zur Folge. Das heißt, die Ehe ist die einzige Form, die Paaren einen Anspruch gibt auf gegenseitigen Unterhalt, auf -Versorgungsausgleich und auf Erbschaft. Diese ökonomische Sichtweise ist übrigens gar nicht so uninteressant, weil es auch um die Kinder geht. Wenn es eine ökonomische Sicherheit für beide Partner gibt, dann gibt es sie mittelbar auch für die Kinder. Das Kindeswohl steht für uns im Zentrum. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Anders als bei Unverheirateten gibt es bei verheirateten Paaren gesetzliche Hürden bei Auflösung der Gemeinschaft. Nun können Sie sagen: Es verändert sich ja alles. – Sie haben in diesem Zusammenhang die Scheidungsraten angesprochen. Frau Dr. Leikert hat vorhin klargestellt, dass es empirisch nachgewiesene Unterschiede gibt zwischen Ehen und Nichtehen. Politik kann sich aber nicht und sollte sich auch nicht nach irgendwelchen Raten und Quoten richten und danach aktuelle ethisch-moralische Grundsätze formulieren. Wir sollten nicht dem Zeitgeist hinterherlaufen, sondern wir sollten den Wert verbindlicher Verantwortung stärken. Das ist bei der Ehe gegeben. Deswegen ist das ein Leitmotiv unserer Politik. (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Dörner, Sie haben unser Regierungsprogramm sicherlich mit großer Freude gelesen. (Zuruf der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich werde Sie einmal als potenzielle Wählerin in Betracht ziehen. Dabei sind Sie sicherlich auf die Formulierung mit dem Diskriminierungsverbot gestoßen. Unser Programm steht im Einklang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2007 und dem jüngsten Urteil des Landessozialgerichts. (Mechthild Rawert [SPD]: Wir können alles ändern!) Die Beschränkung der Kofinanzierung bei künstlicher Befruchtung auf verheiratete Paare ist verfassungs-gemäß. Das ist nicht diskriminierend. Das hat das Landessozialgericht bestätigt. Wir begrüßen das ausdrücklich. Vielleicht sollte man noch einmal deutlich machen, worüber man eigentlich redet. Es geht nicht um die Frage des Verbots oder des Nichtverbots. Es geht nicht um die Frage: Ja oder Nein! Es geht bei der Frage der Unterstützung der künstlichen Befruchtung darum, was der Staat zusätzlich leisten sollte. Es geht also um die Beiträge des Staates und nicht um die Frage, ob wir ein Verbot aufrechterhalten. Dieses Verbot gibt es nicht. Was das Ziel des Ganzen angeht, muss es doch im Interesse der Kinder sein, in einer stabilen Partnerschaft aufzuwachsen. Sie ist zwar auch möglich, wenn man nicht verheiratet ist, und möglicherweise gibt es auch Ehen, die diese nicht garantieren. Aber in der Frage, wie Kinder aufwachsen, muss der Staat doch danach streben, das höchste Maß an Stabilität zu erreichen. Aufgrund dieses auch verfassungsrechtlich garantierten Schutzgedankens sind die besonderen Privilegien, die Verheirateten zugestanden werden, gerechtfertigt. Hierzu gehört die Begrenzung auf Eheleute nicht nur beim gesetzlichen Anspruch auf künstliche Befruchtung, sondern auch beim gesetzlichen Anspruch beispielsweise auf Fami-lienversicherung. Wir alle wissen, dass der Leidensdruck derjenigen, die einen unerfüllten Kinderwunsch haben, groß ist. Weil wir das wissen, halten wir es für angemessen, dass nach der bestehenden Rechtslage Anteile der Kosten für die assistierte Reproduktion durch die gesetzliche Krankenversicherung übernommen werden. Es wurde schon angesprochen, dass die ehemalige Ministerin Schröder die Förderung ausgeweitet hat, nämlich auf 25 Prozent des Eigenanteils, unter der Voraussetzung, dass sich das jeweilige Bundesland beteiligt. Über diese Frage kann man diskutieren. Einige Bundesländer machen das; andere machen es nicht. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Wie viele grüne Länder machen es denn?) – Ich weiß nicht, ob Baden-Württemberg es zurzeit macht. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Nein! – Mechthild Rawert [SPD]: Nein, hauptsächlich die Ostländer! Die Flächenländer! Sachsen-Anhalt prüft sogar, noch weitere Kosten zu übernehmen!) Das ist aber eine interessante Frage des Kollegen Hüppe. – Aber wenn man darüber diskutiert, dies noch weiter auszuweiten, dann muss geklärt werden – das wurde bereits angesprochen –, aus welchem Etat das zu finanzieren ist. Wenn man dafür andere gesetzliche Leistungen oder Familienleistungen kürzen will, dann wäre das sicherlich ein Problem. Frau Dörner hat darauf hingewiesen, dass nicht jeder die Kosten selber tragen kann, auch weil es beim ersten Versuch häufig nicht klappt und deshalb weitere Versuche notwendig sind. Damit komme ich zu dem Kollegen Röspel, der noch einmal sehr deutlich skizziert hat, worum es bei der Frage der Finanzierung auch geht. Es geht nämlich auch darum, welche Erfolgsaussichten bestehen. Denn wir reden über eine Behandlung, die mit Risiken und gesundheitlichen Problemen verbunden ist. Ich glaube, Frau Dörner möchte eine Zwischenfrage stellen. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich habe die Uhr angehalten. – Die Kollegin Dörner hat das Wort zu einer Bemerkung oder Zwischenfrage. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Herr Kollege. – Nachdem Ihnen von den Kollegen der unterschiedlichsten Fraktionen schon mehrfach erklärt worden ist, was in unserem Gesetzentwurf steht, wundere ich mich, warum Sie weiter so reden, als hätten Sie die Informationen weder vorher gehabt noch der Debatte entnehmen können. Mir ist es wichtig, festzuhalten: Die Frage, wie häufig eine künstliche Befruchtung finanziert wird, oder auch der Umfang der Finanzierung haben mit unserem Gesetzentwurf nichts zu tun. Wir haben insofern keine Änderung vorgeschlagen und haben das auch nicht vor, sondern es geht uns ausdrücklich und ganz konkret darum, eine Gleichstellung zwischen verheirateten Paaren, unverheirateten Paaren und eingetragenen Lebenspartnerschaften zu erreichen. Das ist das Einzige, was unser Gesetzentwurf vorsieht. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen und zum Text unseres Gesetzentwurfs und zum Kern der Debatte zu sprechen, statt immer weiter so zu tun, als hätten wir etwas vorgeschlagen, was aber gar nicht im Gesetzentwurf enthalten ist, und so dazu beizutragen, dass diese Debatte immer unsachlicher wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank für Ihre Erklärung und die damit verbundene Bitte. Wenn Sie die ersten 4 Minuten und 22 Sekunden zugehört hätten, wüssten Sie, dass der Schwerpunkt meiner Argumentation auf der Ausweitung auf nichteheliche Partner lag. Sie haben eine Grundsatzdebatte entfacht, (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das haben wir nicht!) und dann sollten wir auch grundsätzlich darüber diskutieren – das war auch der Punkt, den Kollege Röspel angesprochen hat –, welche Auswirkungen das hat. Sie können nicht einfach eine kleine Fußnote skizzieren. Wenn Sie Wind säen, werden Sie Sturm ernten. Also müssen Sie auch eine Debatte aushalten, die grundsätzlich die Frage aufwirft, worum es eigentlich geht, Frau Dörner. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wollen Sie es für alle verbieten?) – Sie müssen mir nicht zuhören. Sie können auch parallel dazu unser Regierungsprogramm lesen. Das haben Sie schon einmal gemacht, und das ist nicht schlecht. Ich will noch einmal darauf verweisen, dass die Baby-take-Home-Rate – allein das Wort ist schrecklich – bei 17,7 Prozent liegt und welche Folgewirkungen das hat. Das heißt, über 80 Prozent der Versuche bleiben erfolglos. Dabei ist die künstliche Befruchtung mit Risiken verbunden, sowohl gesundheitlicher als auch emotionaler Art. Die Folgewirkungen – das zeigt sich auch im persönlichen Umfeld, wenn man Personen kennt, die keinen Erfolg hatten – sind teilweise verheerend. (Beifall des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU]) Das ist ein weiterer Punkt, der in dieser Debatte eine Rolle spielt, Frau Dörner, auch wenn er im engeren Sinn nicht im Gesetzentwurf formuliert ist. Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum von 2011 über die Aufklärung bei Verfahren der künstlichen Befruchtung hat ergeben, dass viele Paare nicht angemessen beraten werden bzw. sich nicht angemessen beraten fühlen. Wenn Sie eine Ausweitung der Kostenübernahme vornehmen, dann erzeugen Sie eine gewisse Erwartungshaltung bei den Menschen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie es denn für alle verbieten?) Dies ist nicht ungefährlich und passt nicht zu diesem Thema. Frau Dörner, im Zusammenhang mit der von Ihnen angestrebten Ausweitung ist auch anzusprechen, dass mit den Methoden der künstlichen Befruchtung in diesem Land viel Geld verdient wird. Eine Behandlung kostet durchschnittlich 3 000 Euro. Bei über 80 000 Behandlungen, die es im Jahr 2013 gab, kommt man auf einen Gesamtbetrag in Höhe von rund 250 Millionen Euro. (Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Herr Terpe, bei allem Verständnis, ich lasse keine Zwischenfrage mehr zu. – Angesichts dieser Zahlen ist es nicht weltfremd, anzunehmen, dass die Zahl der künstlichen Befruchtungen durch eine Ausweitung der Kostenübernahme zunehmen wird. Zu dem, was die ehemalige Kollegin Bender von den Grünen gesagt hat, wurde schon viel gesagt. Auch ich wollte sie, ähnlich wie Hubert Hüppe es getan hat, zitieren. Wir sollten jedenfalls nicht vergessen, dass Kinder das Recht haben, zu erfahren, woher sie kommen. Aus der Adoptionsforschung wissen wir, dass sehr viele Kinder darunter leiden, dass sie nicht wissen, woher sie kommen. Dieser Aspekt sollte in den Diskussionen in den nächsten Wochen und Monaten sowohl in der Familienpolitik als auch in der Gesundheitspolitik berücksichtigt werden. Insofern bedarf Ihr Gesetzentwurf einer ausführlicheren Diskussion, als Sie eigentlich wollten. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Weinberg, da Sie die letzte Zwischenfrage nicht zugelassen haben, haben Sie nun Ihre Redezeit überschritten. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Das macht nichts. Es ist alles gesagt. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3279 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf – es handelt sich um eine Überweisung im vereinfachten Verfahren ohne Debatte –: Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Tierzucht- und Abstammungsbestimmungen für den Handel mit Zuchttieren und deren Zuchtmaterial in der Union sowie für die Einfuhr derselben in die Union KOM(2014) 5 endg. hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Kennzeichnung von Zuchttieren und -mate-rialien mit Klonabstammung im EU-Tierzuchtrecht verankern Drucksache 18/3557 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 j sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 e auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 27 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entscheidung der Konferenz von Doha vom 8. Dezember 2012 zur Änderung des Protokolls von Kyoto vom 11. Dezember 1997 zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Doha-Änderung des Protokolls von Kyoto) Drucksache 18/3123 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/3582 Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3582, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/3123 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 27 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. März 2009 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die zentrale Zollabwicklung hinsichtlich der Aufteilung der nationalen Erhebungskosten, die bei der Bereitstellung der traditionellen Eigenmittel für den Haushalt der Europäischen Union einbehalten werden Drucksache 18/3125 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/3594 Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3594, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/3125 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 27 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsabkommen vom 10. Juni 2013 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Regierung des Staates Israel andererseits (Vertragsgesetz Europa-Mittelmeer-Israel-Luftverkehrsabkommen – Euromed-ISR-LuftverkAbkG) Drucksache 18/3255 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/3534 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3534, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/3255 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung durch die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Tagesordnungspunkt 27 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Lena Strothmann, Artur Auernhammer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Wolfgang Tiefensee, Sabine Poschmann, Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Der deutsche Meisterbrief – Erfolgreiche Unternehmerqualifizierung, Basis für handwerkliche Qualität und besondere Bedeutung für die duale Ausbildung Drucksachen 18/3317, 18/3587 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3587, den Antrag der Frak-tionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/3317 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 27 e bis 27 j sowie zu den Zusatzpunkten 4 a bis 4 e. Es handelt sich um Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 27 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 128 zu Petitionen Drucksache 18/3428 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 128 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 27 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 129 zu Petitionen Drucksache 18/3429 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 129 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 27 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 130 zu Petitionen Drucksache 18/3430 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 130 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 27 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 131 zu Petitionen Drucksache 18/3431 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 131 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 27 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 132 zu Petitionen Drucksache 18/3432 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 132 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 27 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 133 zu Petitionen Drucksache 18/3433 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 133 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Zusatzpunkt 4 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 134 zu Petitionen Drucksache 18/3568 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 134 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 135 zu Petitionen Drucksache 18/3569 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 135 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 136 zu Petitionen Drucksache 18/3570 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer -enthält sich? – Die Sammelübersicht 136 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 137 zu Petitionen Drucksache 18/3571 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 137 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 138 zu Petitionen Drucksache 18/3572 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer -enthält sich? – Die Sammelübersicht 138 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur breiten Kritik unter anderem der EU-Kommission an der Einführung einer Infrastrukturabgabe in Deutschland Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die uns jetzt leider verlassen müssen, dies so zu tun, dass wir die notwendige Aufmerksamkeit für die Debatte zügig herstellen können. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in der Verkehrs- und Mobilitätspolitik unglaublich viele Herausforderungen. Aber leider muss man feststellen: Nach einem Jahr Große Koalition haben Sie nicht einmal angefangen, sich diesen Herausforderungen zu widmen. Stattdessen beschäftigen Sie, der Minister, das Ministerium, die gesamte Bundesregierung, sich mit einer Ausländermaut, die Besucher aus dem Ausland diskriminiert, die europarechtswidrig ist, die verfassungsrechtlich fragwürdig ist, die keine ökologische Lenkungswirkung hat, die ein Bürokratiemonster irrsinnigen Ausmaßes ist und die auch noch riesige Datenschutzprobleme aufwirft. Meine Damen und Herren, das ist die Fortsetzung des Betreuungsgeldes in der Verkehrspolitik. Das ist Verkehrspolitik absurd. Eine Große Koalition sollte sich schämen, hier so etwas vorzulegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ulrich Lange [CDU/CSU]: Lächerlich!) Ich kann Ihnen hier eines sagen: Wenn man bisher draußen im Lande unterwegs war, dann hatte man bei manchem Christdemokraten – ich sehe Herrn Kollegen Wittke da sitzen – und manchem Sozialdemokraten den Eindruck, dass sie mit dieser Ausländermaut gar nichts zu tun haben, dass das irgendein Projekt von irgend-welchen Bierzeltjunkies der CSU à la Seehofer und Dobrindt ist. Aber jetzt, seit gestern, haben wir eine neue Qualität: Das ist die Ausländermaut der Sozialdemo-kraten, und das ist das Bürokratiemonster der Christ-demokraten. Das werden wir ihnen überall aufs Butterbrot schmieren, wo das zutage tritt, wo die Menschen sich dagegen wehren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich kann Ihnen hier eines sagen: In einer Koalition muss man – das ist richtig – Kompromisse machen; das ist okay. Aber Kompromisse machen heißt nicht, dass man Schwachsinn beschließen muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich appelliere hier an alle Abgeordneten der Großen Koalition: Versenken Sie diesen Unsinn! Lassen Sie diese Ausländermaut! Außerdem machen Sie noch etwas anderes – das hat ja gestern noch einmal eine ganz neue Qualität bekommen –: Sie schwören Stein und Bein, dass deutsche -Autofahrerinnen und Autofahrer nicht belastet werden sollen. Meine Damen und Herren der Großen Koalition, warum schreiben Sie das dann nicht in die Gesetze, die Sie hier vorlegen? Warum verstecken Sie das in einer Protokollnotiz zur Kabinettssitzung, die Sie noch nicht einmal dem Deutschen Bundestag zur Verfügung stellen? Ich kann Ihnen sagen, warum: Wenn Sie das in ein Gesetz schreiben würden, wäre es europarechtlich nicht konform. Das heißt aber: Sie belügen die deutsche Öffentlichkeit. Am Ende sollen die deutschen Autofahrer zahlen. Das wird das Ergebnis Ihrer Ausländermaut sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich sage Ihnen: Deutsche Autofahrerinnen und deutsche Autofahrer werden sowieso zahlen, weil die Niederlande, Dänemark und Belgien, wo es bisher keine Maut gibt, schon angekündigt haben, dass sie auf die deutsche Ausländermaut reagieren werden. Dann werden deutsche Autofahrer, die in den Niederlanden, zum Beispiel in Zeeland oder in Zuid-Holland, Urlaub machen – das ist ja wahrlich nicht der Jetset in Deutschland –, für Ihre Politik bezahlen müssen. Genau das wird das Ergebnis sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dass Sie sich diesem ganzen Zinnober widmen, könnte ich ja noch verstehen, wenn da Milliarden erlöst würden. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Die Berechnungen, die uns vorliegen, gehen davon aus, dass es ein Nullsummenspiel wird und am Ende der Aufwand genauso hoch wie der Ertrag dieser Maut sein wird. Und da wird es unglaublich: Seit Monaten erzählt Herr Dobrindt von Hunderten von Millionen Euro, die angeblich an Nettoeinnahmen übrig bleiben sollen. Wir haben Dutzende von Fragen nach der Berechnungsgrundlage für diese Zahlen gestellt. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Diese ist uns bis heute nicht vorgelegt worden, (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandalös!) und wer diese Berechnungsgrundlage nicht vorlegt, der sagt nicht die Wahrheit. Die Zahlen sind vom Minister frei erfunden, um hier eine Akzeptanz für das absurde CSU-Projekt, das jetzt ein Projekt der Großen Koalition ist, zu schaffen. Das werden wir nicht hinnehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was wir tatsächlich brauchen, ist eine Ausweitung der Lkw-Maut. Das wäre verursachergerecht. (Ulrich Lange [CDU/CSU]: Wieder keine Ahnung!) Über 90 Prozent der Schäden an Brücken und Straßen werden von Lkw verursacht. Das steht selbst in Ihrem eigenen Wegekostengutachten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau, da steht es drin!) Deshalb wäre es richtig und verursachergerecht, die Lkw-Maut auf alle Straßen und alle Lkw auszuweiten, statt den Lkw-Verkehr über Steuern und eine absurde Ausländermaut zu subventionieren. Das würde 4 Milliarden Euro bringen. Das wäre die richtige Antwort auf die Frage, wie wir die Verkehrsinfrastruktur erhalten. Dazu kommt von Ihnen aber nichts. Im Gegenteil: Sie haben in diesem Sommer die Lkw-Maut noch abgesenkt. Das ist Verkehrspolitik pervers. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Ulrich Lange [CDU/CSU]: Mein Gott!) Wenn es am Ende so sein sollte, dass die Restvernunft der Großen Koalition in der Verkehrspolitik nicht ausreicht, dann setze ich auf die Europäische Kommission, auf andere Länder wie die Niederlande, die gegen diese Politik klagen werden. Wir werden diese mit allen -Mitteln unterstützen, damit dieses Unsinnsprojekt -Ausländermaut beerdigt wird, in den Papierkorb kommt, dahin, wo es von Anfang an hätte bleiben sollen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir vollziehen einen echten Systemwechsel in der Finanzierung unserer Infrastruktur von einer vorwiegenden Steuerfinanzierung der Infrastruktur hin zu einer Nutzerfinanzierung der Infrastruktur. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dadurch stärken wir das Verursacherprinzip. Das ist eine Gerechtigkeitsfrage in der Finanzierung der Infrastruktur, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diesen Quatsch glauben Sie doch selber nicht!) Das schafft Gerechtigkeit in der Finanzierung, und es schafft zusätzliche Investitionsmöglichkeiten: 2 Milliarden Euro mehr an Investitionen in die Infrastruktur (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in einer Wahlperiode. Das ist die Wahrheit, und das ist richtig. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie mal die Berechnungen vor! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 7,2 Milliarden fehlen!) – Ich kann mir ja vorstellen, dass Ihnen das nicht gefällt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gefällt uns nicht, das ist schon wahr! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rechnen Sie es doch gleich auf zehn Jahre hoch!) Ich habe festgestellt, dass es Ihnen irgendwie keine Freude macht, wenn wir in Straßen investieren. Das kann man ja vielleicht verstehen, wenn man wie Sie ideologisch ein Problem damit hat, dass Verkehre auf den Straßen stattfinden. Deswegen tragen Sie immer mal wieder hier krude Ideen vor, was denn eigentlich alles zur Verhinderung von Infrastruktur und Mobilität umgesetzt werden könnte. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwischen Straße und Bürokratie ist ein milder Unterschied! Vielleicht lassen Sie sich das mal von Ihren Beamten erklären!) Sie sagen zum Beispiel, Sie seien für die Ausweitung der Lkw-Maut. Ja, wir setzen das um. Wir haben bereits beschlossen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sie gesenkt, Herr Dobrindt!) dass wir die Lkw-Maut im nächsten Jahr auf die vierspurigen Bundesstraßen erweitern und auf 7,5- bis 12-Tonnen-Lkw ausweiten. Wir machen das, weil wir das für richtig halten. Wir werden im Jahr 2018 die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausweiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann, wenn Sie nicht mehr regieren!) Wir machen das, weil das richtig ist. Sie haben weiterhin in Ihren durchaus eindrucksvollen Beiträgen vorgeschlagen, die Sie gerade auch wieder geleistet und in der Vergangenheit geleistet haben, dass man sich doch, wenn man sich schon mit Maut beschäftigt, dann vielleicht mit einer Art intelligenten Maut -beschäftigen soll, einer Maut, die unterschiedlich bepreist, wenn jemand zu unterschiedlichen Tageszeiten auf unterschiedlichen Strecken unterwegs ist. Sie haben die Citymaut ins Gespräch gebracht, die den einzelnen -Kilometer auf der Strecke ebenfalls unterschiedlich bepreisen soll. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt doch für die Lkw-Maut! Das ist nicht das Thema!) Einer Ihrer Vorzeigeverkehrspolitiker, Winni Hermann, hat dies zum Beispiel sehr deutlich in einem Interview im Südkurier dargelegt. Er hat gesagt, das sei ein richtiger Weg; man könnte per GPS verfolgen, also per Satellit, wo der Autofahrer sich bewegt, und dies unterschiedlich bepreisen. Sie haben gesagt, es sei denkbar, je nach Tageszeit die befahrbare Strecke dann auch mit einem besonderen Preis zu bewerten. Jetzt hier am -Rednerpult reden Sie von Datenschutz. Eine größere Heuchelei als das, was Sie hier abliefern, ist nicht möglich. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie schaffen mit Ihren Ideen den gläsernen Autofahrer und stellen sich hierhin und reden im Zusammenhang mit dem, was wir hinsichtlich der Maut machen, über Datenschutz. Ich kann nur sagen, lieber Herr Krischer: Sie täuschen sich, wenn Sie meinen, dass die Menschen nicht merken, was Sie hier an dieser Stelle versuchen. Wir machen genau das, was gefordert ist, wenn es -darum geht, zukünftig mehr Investitionen in die Infrastruktur zu erzeugen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Menschen haben durchaus gemerkt, dass Sie sie hinter die Fichte führen und verscheißern wollen!) Wir haben auch da die EU auf unserer Seite. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wohl der größte Witz!) Vielleicht könnten Sie mal in das Weißbuch der Europäischen Union von 2011 schauen und nachlesen, was darin steht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht nichts vom Abkassieren von Ausländern!) Im Weißbuch der EU-Kommission steht, europäische Verkehrspolitik sollte zukünftig verkehrsbezogene Entgelte und Steuern umgestalten und sich eher dem Prinzip der Kostentragung durch Verursacher und Nutzer annähern und einen Prozess- und Systemwechsel einläuten. Genau das machen wir hier. Wir gehen diesen -Systemwechsel von der Steuerfinanzierung hin zu einer vorwiegenden Nutzerfinanzierung an, und es ist richtig, dass wir einen solchen Weg gehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können es noch so oft wiederholen, es stimmt einfach nicht! Die Behauptung wird nicht dadurch richtiger, dass man es oft sagt!) Schauen Sie, wir bewegen 3,7 Milliarden Euro vom Haushalt des Finanzministeriums (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus einer Tasche in die andere Tasche! Ein Bürokratiemonster!) in den Haushalt des Verkehrsministeriums, offensichtlich etwas, was Ihnen zu Ihrer Zeit nie gelungen ist, und wir haben eine Infrastrukturabgabe, die von Haltern von in Deutschland zugelassenen Pkw wie von Haltern von im Ausland zugelassenen Kraftfahrzeugen gleichermaßen zu entrichten ist. Wir haben sehr deutlich dargestellt und es auch mit einem großen Gutachten untermauert: Das ist europarechtskonform. Das ist genau das, was Europa auch will. Wir wollen die Gleichbehandlung von Fahrzeugen auf unseren Straßen. Wir wollen, dass zukünftig jeder seinen gerechten Anteil an der Finanzierung der Straßen, die er nutzt, trägt, und das geht mit der Nutzerfinanzierung, wie wir sie mit der Infrastrukturabgabe vorgeschlagen haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Neusprech, was Sie da machen!) Ja, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau, Neusprech!) wir haben im Bundeskabinett gleichzeitig beschlossen, dass wir eine Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vornehmen. Wir nehmen Steuerentlastungsbeträge auf. Es geht natürlich auch darum, Doppelbelastungen zu vermeiden, wenn man einen Systemwechsel vornimmt. Das tun wir, und deswegen wird es keine Mehrbelastung von Haltern von in Deutschland zugelassenen Pkw geben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum schreiben Sie es dann nicht in den Gesetzentwurf rein, nicht in Ihr Gesetz rein?) Das alles ist von uns mit Ihnen und mit den Politikern im Haushalts- und im Verkehrsausschuss bereits genauestens so diskutiert. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha!) Sie haben ihre Bedenken klargemacht. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Sie haben sie überstimmt!) Ich kann dem nur widersprechen. Bei dem, was Sie hier heute abgeliefert haben, war kein einziges neues Argument zu hören. (Zuruf des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deswegen: Wir bleiben dabei: Die Infrastrukturabgabe ist sinnvoll, fair und gerecht. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ist genau das Gegenteil davon!) Sie ist sinnvoll, weil jeder Euro, den wir einnehmen, in die deutsche Infrastruktur investiert wird; sie ist fair, weil sie in vielen unserer Nachbarländer genauso praktiziert wird; und sie ist gerecht, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sagen einfach konstant nicht die Wahrheit! Ihr Modell gibt es in keinem einzigen Land Europas!) weil sie alle diejenigen, die bisher kostenlos die Straßen in Deutschland nutzen, angemessen an deren Finanzierung, am Unterhalt beteiligt. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Unwahrheit!) Warum können Sie einfach nicht verstehen, (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ich verstehe es wirklich nicht!) dass es in Europa drei Säulen der Finanzierung der Infrastruktur gibt, nämlich Mineralölsteuer, Kfz-Steuer und unterschiedliche Mautsysteme? Wir haben in Deutschland bisher zwei Säulen. Wir habe eine Säule „Mineralölsteuer“, wir haben eine Säule „Kfz-Steuer“, und wir werden zukünftig eine Säule „Infrastrukturabgabe/Maut“ dazubekommen. (Zuruf des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Wir machen das, was viele andere unserer europäischen Nachbarn schon lange vollzogen haben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen Ausländer abkassieren!) Sie sollten diesen Weg mitgehen, wenn Sie an Europa glauben. Das, was andere seit vielen Jahren richtig machen, findet jetzt auch bei uns statt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Weil ich in den letzten Tagen eine ganze Reihe von Kommentaren von Ihnen und Ihren Kollegen gehört habe, will ich Ihnen einfach einmal sagen: Manches ist gar nicht so schwer verständlich. Sie kritisieren, dass das Verhältnis beim Preis der Kurzzeitvignetten zum Preis der Langzeitvignette nicht stimmt. Die eine Kurzzeitvignette kostet 10 Euro für zehn Tage, und die andere Kurzzeitvignette kostet 22 Euro für zwei Monate. Daneben gibt es eine nach ökologischen Grundsätzen – Hubraum und Umweltschonung des Kraftfahrzeugs – preislich gestaffelte Jahresvignette, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat überhaupt keine Wirkung!) die maximal 130 Euro kostet. Das ist ein gesundes Verhältnis. Zu dem Ergebnis kommt man, wenn man sich die Situation in unseren europäischen Nachbarländern anschaut, zum Beispiel in Österreich: 10-Tage-Vignette: 8,50 Euro – bei uns zukünftig 10 Euro –, 2-Monats-Vignette: 24,80 Euro; bei uns zukünftig 22 Euro. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das zahlen aber nicht nur deutsche Autofahrer in Österreich!) Daran sieht man doch, dass wir uns im Rahmen dessen bewegen, was in Europa üblich ist – und das bei einem deutlich größeren Netz. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In den Niederlanden zahlen wir nichts! In Belgien zahlen wir nichts! In Dänemark zahlen wir nichts!) In Wahrheit sind wir auf Dauer günstiger, als dies alle anderen sein werden. Daraus abzuleiten, dass hier etwas nach europäischem Recht schwierig sei, ist vollkommen abwegig. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum haben Sie auch ein Jahr gebraucht! Das ist doch absurd!) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Minister Dobrindt, achten Sie bitte auf die Zeit. Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Das Einzige, was man überlegen könnte, wäre doch: Hindern 10 oder 22 Euro jemanden, nach Deutschland hineinzufahren und die Autobahn zu benutzen? Das kann man klar beantworten: Nein, sie hindern ihn nicht – und im europäischen Vergleich schon gleich gar nicht. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das sehen die in NRW aber anders!) Stellen Sie sich den Realitäten in Europa, und Sie werden sehen: Das, was wir hier verkünden, ist fair, es ist gerecht, es ist sinnvoll, und es bleibt dabei. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall des Abg. Sebastian Hartmann [SPD] – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schwacher Auftritt! Keine Argumente!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Herbert Behrens für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was eben vom Bundesverkehrsminister vorgeführt worden ist, ist der Sache noch immer nicht angemessen. Mit einer Marketingargumentation wird dargestellt, was die Autobahnmaut hier in Deutschland bewirken soll. Die Ausländermaut wird zur Infrastrukturabgabe umgewidmet, und es wird mit Begriffen wie „sinnvoll“, „fair“ und „gerecht“ umgegangen, ohne dass nachgewiesen werden kann: An welcher Stelle ist sie denn sinnvoll, an welcher Stelle ist sie denn gerecht? Das sind Behauptungen, die Sie von sich geben. Gestern haben Sie im Ausschuss vorgestellt, was Sie mit Ihrem Gesetz vorhaben. Sie haben uns mit dem Marketingsprech nicht nachweisen und erklären können, warum dieses Gesetz nun einen Zwischenstand erreicht hat. Das wird nicht das endgültige Gesetz sein; das wurde schon angekündigt. Insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von der SPD reklamieren das für sich: Wir haben noch ganz viel Nachbesserungsbedarf. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gehört in den Müll!) Ich bin gespannt, was daraus wird. Wir sind der Meinung, dass der Gesetzentwurf in den vergangenen zwölf Monaten vieles ausgelöst hat. Über keinen Gesetzentwurf wurde öffentlich so ausführlich diskutiert wie über diesen. Die Anzahl der Presseartikel darüber lag über der Anzahl der Presseartikel über die Fußballweltmeisterschaft. Dadurch wird deutlich, mit welcher Aufmerksamkeit diese Frage in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Sie haben nicht nachweisen können, warum die Argumente der Opposition falsch sind. Sie haben nicht nachweisen können, warum die Maut europakonform sein soll. Sie haben mit einem Gutachten, das sie vorgestellt haben, das Sie jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht haben, versucht, das österreichische Gutachten auszuhebeln und Gründe dafür zu benennen, warum die Ausländermaut europarechtskonform sein soll. Sie haben nicht nachweisen können, dass dies der große Wurf ist. Wir haben festzustellen: Das ist der große Reinfall. – Darin liegt auch der Grund für die große öffentliche Aufmerksamkeit bei diesem Gesetzentwurf. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Gesetzentwurf hätte schon vor Monaten aus dem Verkehr gezogen werden sollen. Er hätte im Papierkorb verschwinden sollen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie argumentieren, dieses Gesetz soll sinnvoll, fair und gerecht werden. Dem kann ich aufgrund der Diskussion, die wir bislang geführt haben, nur entgegensetzen: Die Maut, das, was Sie dort zusammengeschrieben haben, ist peinlich, unvertretbar und – wie wir gesehen haben – letztlich unbeherrschbar. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben geschrieben: Wir wollen mehr Geld für die Infrastruktur. – Was kommt dabei heraus? Sie erheben 3,7 Milliarden Euro, und am Ende kommen 500 Millionen Euro heraus, die für die Verkehrsinfrastruktur eingesetzt werden können. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mal! – Zuruf von der CDU/CSU: So ein Schmarrn!) Was ist das für ein Verhältnis? Sie setzen 3,7 Milliarden Euro um, um am Ende 500 Millionen Euro zu erhalten. Wenn dies in einem Unternehmen von einem Geschäftsführer vorgetragen worden wäre, dann hätte dies sofort dazu geführt, dass der Vorstandsvorsitzende diesen Geschäftsführer rausgeschmissen hätte. Ich glaube, das wäre auch das Beste für die Große Koalition. (Beifall bei der LINKEN) Dieser Gesetzentwurf ist untauglich, eine verkehrspolitische Wirkung zu erzielen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir ein Europa ohne Grenzen, ohne Ausgrenzung und ohne Wegelagerei wollen, dann dürfen wir nicht diese ausländerfeindliche Maut erheben. Wir müssen vielmehr zu einer vernünftigen Verkehrspolitik und vor allem zu einer vernünftigen Finanzierung der Verkehrspolitik kommen. Das muss eine steuerfinanzierte Verkehrsinfrastrukturpolitik sein. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben eine große Verantwortung. Sie sind ein Stück weit dafür verantwortlich, dass dieses Thema überhaupt in den Koalitionsvertrag eingehen konnte. Diese ressentimentgeladene Geschichte aus dem Hause Seehofer hat zu dieser Situation geführt, mit der wir uns nun auseinandersetzen müssen. Daher müssen wir sehen, dass wir die Tür, von der Sie zugelassen haben, dass sie geöffnet wurde, wieder schließen können; denn die Gefahr ist groß – der Kollege Krischer hat es bereits deutlich gemacht –: Mit dieser geöffneten Tür haben wir die Maut für alle im Haus. Herr Dobrindt, Sie haben nicht nachweisen können, dass das nicht passieren wird. Sie haben von einem Strukturwandel und von einem Systemwechsel gesprochen. In der Tat, dies ist offenkundig, und in Ihrem Entwurf ist deutlich sichtbar, dass dies dazu führen wird, dass die Maut auf allen Straßen erhoben wird. Das ist mehr als in anderen Ländern Europas, in denen sie nur auf der Autobahn erhoben wird, und zwar für alle und nicht nur für ausländische Autofahrer. Von daher: Wir wollen nicht, dass die Verkehrspolitik so aussieht, wie Sie sie jetzt gemacht haben – mit einer Privatisierung der gesamten Infrastruktur. Es müssen jetzt ganz schnell beide Gesetze zurückgezogen werden: das Gesetz aus Ihrem Hause und das aus dem Hause des Finanzministers. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir stehen für ein Europa ohne Maut, Schlagbäume und Wegelagerei. Deswegen haben wir seit dem gestrigen Tage die Runde eingeläutet, um die Maut zu versenken und aus dem Verkehr zu ziehen. Unterhalb dessen werden wir aus der Auseinandersetzung nicht herausgehen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sebastian Hartmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allen Dingen liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, den Linken und den Grünen! Sie sind heute sehr hoch auf den Baum geklettert. (Beifall bei der CDU/CSU) Das hat unter dem Strich mehr Nachteile als Vorteile. Zum einen ist oben das Geäst sehr dünn. Es besteht Bruch- und Absturzgefahr. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die SPD gewandt: Da sind Sie im Moment!) Wie wir hören konnten, muss man zum anderen, wenn man oben steht, Herr Krischer, sehr laut schreien, damit man Sie unten auch versteht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wer am lautesten schreit, hat selten recht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie haben uns nicht nur heute, sondern auch im letzten Bundestagswahlkampf überrascht, als Sie wenige Wochen vor der Wahl die grüne umfassende Pkw-Maut für alle gefordert haben, die satellitengestützt erhoben werden soll, mit folgendem feinen Unterschied: Sie hätten, im Gegensatz zu den Vorschlägen, die wir jetzt im Koalitionsvertrag haben, alle Autofahrer sozial ungerecht belastet. Das ist Fakt, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn man das macht – was man tun kann –, dann gibt es die einen, die für die Steuerfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur sind, und die anderen, die für die vollständige Nutzerfinanzierung sind. Dann kann man sich aber nicht zum Retter der deutschen Autofahrerinnen und Autofahrer aufschwingen und hier etwas vormachen. So funktioniert das nicht. Man wird an Worten und Taten gemessen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ja, natürlich. Warten Sie doch einmal ab. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie finden das gut?) – Wissen Sie schon, was ich sagen werde? (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie denn, was Sie sagen?) – Das weiß ich sehr genau, lieber Herr Hofreiter. Ich habe mich doch vorbereitet. Warten Sie einmal ab. Anlass der heutigen Aktuellen Stunde ist die Haltung der EU-Kommission zu den Vorschlägen einer Infrastrukturabgabe in Deutschland. Das ist der Punkt, den Sie heute zum Anlass genommen haben. Ich möchte aber an den Ausgangspunkt zurückgehen. Wir beraten heute ein Gesetzesvorhaben, das nach einem langen Prozess gestern und vorgestern durch den Kabinettsbeschluss zu dem Entwurf geführt hat, den wir jetzt beraten können. Wir stehen gar nicht am Ende dieses Prozesses. Ihre Aufregung ist dementsprechend unangemessen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Wir stehen am Anfang eines parlamentarischen Beratungsverfahrens. Das werden wir auch nutzen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon mal eine Ansage!) Wir als SPD haben es doch auch formuliert: Wir haben Fragen und offene Punkte. Die werden wir in diesem Verfahren entsprechend klären. (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das ist schon mal was!) Wir brauchen auch nicht drum herumzureden: Die Pkw-Maut war kein Herzensanliegen der SPD. Das haben wir nicht in den Mittelpunkt unserer Koalitionsverhandlungen gestellt. Bei uns waren es Punkte wie gute Arbeit, Mindestlohn, soziale Sicherung, Rente mit 63, Mietpreisbremse zum Schutz der Mieterinnen und Mieter, Gleichstellung von Mann und Frau. Das alles sind Punkte, die wir in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt haben. (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt müssen Sie den Preis bezahlen!) Bei der Pkw-Maut haben wir klare Bedingungen formuliert. Wir haben auch klare Konditionen formuliert, die man sehr gut als Leitplanken benutzen kann, um in diesem Prozess weiter voranzukommen. (Zuruf des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Jetzt hören Sie doch einmal zu. – Wir sind am Anfang des Verfahrens. Wir werden noch eine Menge zu diskutieren haben. Sie haben schon einmal eine Aktuelle Stunde beantragt – sie fand am 6. November statt –, ohne dass es einen konkreten Gesetzesvorschlag gab, ohne dass ein Konzept vorgelegt worden ist. Das war im luftleeren Raum. Dementsprechend muss man jetzt ein wenig abrüsten und sich an den konkreten Vorschlägen abarbeiten – nicht mehr und nicht weniger. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Europarechtskonformität, die Sie zum Hebel machen, ist nur ein einziges Kriterium. Jedes Gesetz muss mit dem geltenden Recht und der Verfassung konform sein – auch mit dem EU-Recht. Das ist doch nichts Neues hier im Haus; das kennen Sie doch. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Ihre Große Koalition scheint das schon neu zu sein! Warum halten Sie sich nicht daran?) Wir haben andere Punkte formuliert, die weitergehen als das, was die Grünen verlangt haben. Wir werden verhindern, dass ein deutscher Autofahrer oder eine deutsche Autofahrerin überhaupt stärker belastet wird; das steht im Koalitionsvertrag. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum schreiben Sie es dann nicht ins Gesetz?) Und: Die Maut muss auch vernünftig sein. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie muss tatsächlich einen Beitrag zur Finanzierung der deutschen Verkehrsinfrastruktur leisten. (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Wenn Sie es nicht glauben, dann lesen Sie doch den Koalitionsvertrag. Da haben wir es hineingeschrieben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt eine Versenkung dieses Gesetzentwurfs, wenn Sie sagen: Die Maut muss auch vernünftig sein!) Das sind die Kriterien, nach denen die SPD diesen Prozess in den nächsten Monaten organisieren wird. Ich wünsche uns allen eine gute Beratung. Ich freue mich auf die Sachverständigenanhörung. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wir auch!) Ich freue mich auf die guten Beratungen im Ausschuss. Ich habe mich gestern schon auf die Ausschusssitzung gefreut. Leider haben Sie von den Grünen keine Fragen gestellt, sondern eine ganz kurze Runde gemacht. Das ist für Sie nicht so top gelaufen. Also: Vorsicht an der Bahnsteigkante! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Insofern sage ich noch etwas: Wir werden am Ende des Prozesses sehen, wo wir stehen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Hartmann. Sebastian Hartmann (SPD): Ich weiß, die Zeit läuft ab. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die Zeit läuft ab!) Ich möchte mir nicht nehmen lassen, Ihnen eine frohe und besinnliche Weihnachtszeit und ein gutes neues Jahr zu wünschen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Steffen Bilger hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Steffen Bilger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Zunächst einmal vielen Dank, dass wir einmal mehr die Gelegenheit haben, über die Pkw-Maut, die Infrastrukturabgabe zu diskutieren und einige Dinge klarzustellen, was unser Konzept für die Finanzierung der -Infrastruktur in unserem Land anbelangt. Worum geht es uns bei der Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland? Zum einen ganz zentral um die -Finanzierung unserer Infrastruktur. 500 Millionen Euro zusätzlich, die nur von ausländischen Autofahrern getragen werden, sind ein wesentlicher Beitrag zu einer besseren Finanzierung der Infrastruktur in unserem Land. Meine Damen und Herren, ich denke, so weit sind wir uns wenigstens einig: Wir brauchen mehr Geld für die Infrastruktur in Deutschland. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist richtig! Aber nicht über die Ausländermaut!) Herr Krischer, ich finde es bedauerlich, dass Sie bei der Lkw-Maut – entweder aus Unkenntnis oder, um -etwas Falsches vorzuspiegeln – immer wieder einen -falschen Eindruck erwecken. Sie wissen, dass wir aufgrund eines Wegekostengutachtens verpflichtet waren, die Maut für Lkw abzusenken. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Gutachten mit falschen Grund-annahmen, das die externen Kosten nicht berücksichtigt!) Wir haben jetzt aber mit der SPD die Ausweitung der Lkw-Maut auf den Weg gebracht, sodass wir massive Mehreinnahmen aus der Lkw-Maut haben werden. Auch das ist ein wichtiger Schritt, der uns weiterbringen wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie schon in der letzten Legislatur machen können!) Es geht bei der Pkw-Maut aber auch darum, dass endlich mit der Benachteiligung der deutschen Autofahrer Schluss gemacht wird. Lange genug haben wir im Urlaub oder auf anderen Fahrten in fast allen anderen europäischen Ländern bezahlt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! In den Niederlanden nicht, in Belgien nicht, in Dänemark nicht!) – Sehr wohl! Es sind die wenigsten Länder in Europa, die bisher überhaupt keine Mautsysteme haben. Da sollten Sie den Blick vielleicht eher gen Süden und Westen richten. Es ist eine Tatsache, dass fast alle europäischen Länder bereits ein Mautsystem eingeführt haben. – Unsere Straßen konnten bislang kostenlos genutzt werden. Wenn wir uns die Situation in den EU-Mitgliedstaaten anschauen, dann stellen wir fest: Die unterschiedlichen Staaten haben ganz unterschiedliche Infrastrukturfinanzierungssysteme. Wie ist die Lage bei uns bisher? Bei uns zahlt man bislang relativ viel Steuern, aber eben keine Maut. In Österreich zahlen beispielsweise alle die Maut. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau!) Über diesen Weg ist mehr Geld für die Infrastruktur vorhanden, das nicht über Steuereinnahmen bereitgestellt werden muss. Mit unserem Mautkonzept machen wir jetzt dasselbe: Alle zahlen die Maut; dafür muss weniger Geld aus Steuereinnahmen zur Verfügung gestellt werden. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Du weißt doch, dass es nicht stimmt, was du sagst!) Deswegen ist es eben keine Diskriminierung von EU-Ausländern, sondern die Beseitigung eines Nachteils, den die Deutschen bisher zu tragen hatten. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gerecht ist das nicht!) Der offizielle Aufhänger der Grünen für diese Debatte ist – einmal abgesehen von der immer wieder festzustellenden grundsätzlichen Begeisterung für die Beschäftigung mit diesem Vorhaben der Großen Koalition im Plenum – ein Brief aus Brüssel, der uns am Montag erreicht hat. Ich habe den Eindruck, dass dieser Brief der EU-Verkehrskommissarin bei den Grünen kurzzeitig so viel Freude ausgelöst hat wie der Brief, den der damalige EU-Verkehrskommissar mitten in unseren Koalitionsverhandlungen geschrieben hat; er hatte mitgeteilt, dass unser Konzept sehr wohl mit dem Europarecht vereinbar sein kann. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist komisch, dass die Ihnen immer Briefe schreiben!) Ich gebe gerne zu: Auch ich habe mich über das Schreiben der Verkehrskommissarin gewundert. Schließlich war erst wenige Tage zuvor bei der Ratstagung Verkehr am 3. Dezember festgehalten worden, dass die EU für mehr Nutzerfinanzierung in den Mitgliedstaaten ist. Genau diesen Systemwechsel wollen wir – der Minister hat es gesagt –: weg von der Steuer hin zu mehr Nutzerfinanzierung in der Verkehrsinfrastruktur. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht so!) Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sich die Kommissarin nicht so intensiv mit den beiden Gesetzentwürfen befasst hat, (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Brief ist besser als Ihr Gutachten!) was ja in Ordnung ist; denn zunächst werden die nationalen Gesetze von den nationalen Parlamenten in den Mitgliedstaaten beschlossen, und erst dann kann die EU mit ihrer Prüfung beginnen. Wenn schon so sehr mit dem Finger auf Deutschland gezeigt wird, dann sollte sich die EU die Mautsysteme in einigen anderen Mitgliedstaaten genauer anschauen; denn dort wurde von der EU-Kommission – jeweils in engen Grenzen – sehr wohl eine gewisse Benachteiligung von ausländischen Autofahrern akzeptiert. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Briten haben erst in diesem Jahr eine Lkw-Maut eingeführt und dabei – man höre! – gleichzeitig die Kraftfahrzeugsteuer für Lkw gesenkt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Argument für die Ausländermaut!) Ein Schelm, wer darin keine Parallelen zu unserer Maut erkennt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Briten haben keine Ausländermaut!) Sollten die Bedenken der Kommissarin auch nach -ihrer intensiveren Beschäftigung mit den konkreten Gesetzestexten weiterhin bestehen, müsste sie sich konsequenterweise mit einem ähnlichen Brief, wie wir ihn bekommen haben, an einige andere Verkehrsminister in der EU wenden. Wahrscheinlich liegt nahe, was der grüne Europa-abgeordnete Michael Cramer gemutmaßt hat. Er hat angesichts der kontroversen Diskussionslage im Europäischen Parlament die Motivationslage so beschrieben – ich zitiere –: Wenn sie – also die Verkehrskommissarin – die Maut durchwinken würde, hätte sie in Brüssel fünf Jahre lang nichts mehr zu sagen. Die Einschätzung des grünen Abgeordneten deutet darauf hin: Diese ganze Debatte ist einmal mehr ein Sturm im Wasserglas. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn sie diesen Unsinn akzeptieren würde, hätte sie wirklich nichts mehr zu sagen!) Noch einmal: Unsere Mautinitiative stützt ein wichtiges Vorhaben der EU-Kommission, nämlich die Nutzer an der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung zu beteiligen. Allein schon deshalb sollte sich die EU-Kommission die beiden Gesetzentwürfe in aller Ruhe anschauen und dann aufgrund inhaltlicher intensiver Durchsicht zu einer abgewogenen und positiven Meinung kommen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu einer Ablehnung! Genau!) Wir jedenfalls sind überzeugt: Das Vorhaben ist mit EU-Recht vereinbar. Das hat auch die Prüfung durch die beteiligten Bundesministerien ergeben. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Als Deutscher Bundestag beginnen wir nun mit der parlamentarischen Beratung der Gesetzentwürfe, und ich freue mich auf viele weitere muntere Debatten rund um die Pkw-Maut. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Danke, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach den vielen Debatten, die wir zu diesem Thema geführt haben, und angesichts der großen Kritik, die es in der Öffentlichkeit an der Ausländermaut gibt, frage ich mich, was in Wirklichkeit dahintersteckt. Ist es diese gigantische gesellschaftliche Auseinandersetzung eigentlich wert, wenn am Ende – im besten Falle! – 500 Millionen Euro dabei herauskommen? (Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Das ist viel Geld! Für die Linke wahrscheinlich nicht!) Warum fährt der Minister einen solchen Konfrontationskurs und legt sich mit allen an? Es kann doch nicht sein, dass es nur um diese Minimaut geht! (Florian Oßner [CDU/CSU]: Das zeigt, dass die Linke nicht mit Geld umgehen kann!) Um die Verkehrsinfrastruktur wirklich in Schuss zu bringen, wären ganz andere Dinge notwendig. (Beifall bei der LINKEN) Und ich möchte über andere Dinge reden. Ich möchte zum Beispiel darüber reden – ich versuche herauszufinden, welchen Sinn die ganze Angelegenheit hat –, dass in einer Studie des Umweltbundesamtes, über die in der letzten Woche in der Welt berichtet wurde, nachgewiesen wird, dass die klimaschädlichen Subventionen, die jedes Jahr von der Bundesrepublik Deutschland gezahlt -werden, vor allen Dingen im Verkehrsbereich dauernd steigen. Die klimaschädlichen Subventionen liegen inzwischen bei über 50 Milliarden Euro, etwa 20 Milliarden Euro davon entfallen auf den Verkehrsbereich. Wenn Sie wirklich Geld zur Verbesserung und zur Reparatur der Infrastruktur brauchen, dann müssten Sie dort den Hebel ansetzen. (Beifall bei der LINKEN) Offensichtlich ist das aber nicht gewollt. Offensichtlich will man den Flugverkehr weiter fördern. Offensichtlich will man weiter Diesel subventionieren. Das scheint also nicht der Punkt zu sein. Man will auch nicht wirklich eine ordentliche Infrastruktur hinterlassen. Ein zweiter Aspekt in dieser Debatte, der mich sehr hellhörig werden lässt, ist, dass die öffentlich-privaten Partnerschaften in Ihrem Konzept des Systemwechsels, von dem Sie dauernd sprechen, offensichtlich eine zentrale Rolle spielen. Dieses Konzept wird gestützt von Wirtschaftsminister Gabriel, der einen Infrastrukturfonds auflegt und den Banken und Versicherungskonzernen sozusagen anbietet, mit öffentlich garantierten -Zinsen im Bereich der Infrastruktur Gewinne zu machen, vor allem im Bereich der Verkehrsinfrastruktur. Was heißt das? Das heißt, dass Sie mit der sogenannten Ausländermaut tatsächlich die Tür für eine allgemeine Infrastrukturabgabe aufstoßen, die dazu führt, dass die privaten Straßen- und Autobahnbetreiber die Fahrerinnen und Fahrer, also die Nutzerinnen und Nutzer dieser Infrastruktur, abkassieren können. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau so ist das!) Das ist die einzige Erklärung, die ich für diesen gigantischen Popanz habe. Dazu muss ich Ihnen sagen: Sie können mit schärfstem Widerstand rechnen, und zwar nicht nur von der Linken. (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Wir fürchten uns!) Der Bundesrechnungshof hat mit Fug und Recht massive Kritik an dieser Art der Verschleuderung öffentlicher Güter, an dieser Art der Verschleuderung von Steuergeldern geäußert. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie die Klimaschutzdebatte auch nur mit einem Funken Ernsthaftigkeit betreiben, sollten Sie damit anfangen, die klimaschädlichen Subventionen zu streichen. Dann haben Sie Geld genug, um die Verkehrsinfrastruktur in den besten -Zustand zu versetzen. Aber lassen Sie die Finger von diesem Quatsch! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Christian Petry für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christian Petry (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Pkw-Maut ist – das wurde mehrfach gesagt – kein Lieblingsprojekt der SPD. Wir haben mit dem Mindestlohn, der Rentenpolitik, der Energiewende, dem Doppelpass, der Frauenquote und der Mietpreisbremse andere Projekte, die uns näher sind und auf die wir sehr stolz sind. Wegen dieser Projekte können wir sagen: Das war wirklich ein sehr gutes Jahr. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Gustav Herzog [SPD]: Genau so ist es!) – Herr Krischer, Sie freut das auch; das weiß ich. – Das war ein sehr gutes Jahr, und deshalb kann man am Ende dieses Jahres sagen: Diese Koalition hat in diesem Jahr Gutes geleistet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie wissen, dass im Koalitionsvertrag die Grundlage für die Maut gelegt wurde – das wurde alles hier schon gesagt –, und an diesen Koalitionsvertrag werden wir uns halten; in dem Punkt sind wir vertragstreu. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber die ist extrem ressentimentgeladen! Das ist riskant!) – „Ressentimentgeladen“? Herr Behrens, Sie haben eben gesagt, dass die Maut 3,7 Milliarden Euro Einnahmen bringen soll und am Ende ein Gewinn von nur 500 Milliarden steht. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Millionen!) 13,5 Prozent Gewinn vor Steuern sind für ein Unternehmen sehr viel. Insofern ist Ihre Argumentation schwer nachvollziehbar. Gleichwohl habe ich durchaus Sympathie für Ihr Argument, dass man nichts machen sollte, was am Ende nicht viel bringt. Von daher werden wir in diesem Prozess selbstverständlich darauf achten müssen, dass es ein gutes Verhältnis ist. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Von Gewinn habe ich nicht gesprochen, aber von Ertrag! Das ist was anderes! – Gegenruf des Abg. Gustav Herzog [SPD]: Wir können besser rechnen als die Linken!) Ein Koalitionsvertrag ist immer ein Kompromisstext; das ist eigentlich ein Problem. Wir werden uns aber an diesen Koalitionsvertrag halten. Die Vorgaben sind klar definiert. Einen Aspekt möchte ich besonders hervorheben: das geltende EU-Recht, die geltenden EU-Verträge. Ich denke hier insbesondere an die geplanten Entlastungen der Halter von in Deutschland zugelassenen Pkws von der Kfz-Steuer. Die hier vorgeschlagenen Indikatoren korrespondieren auch textlich direkt mit der Bemessungsgrundlage der Pkw-Maut. Das sehe ich sehr kritisch. Ich denke, das muss in den Verhandlungen in den parlamentarischen Gremien beraten werden; denn dieser unmittelbare Zusammenhang könnte den Antidiskriminierungsgrundsatz der EU verletzen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist das ein Blattschuss für das ganze Projekt!) Das ist nicht Basis unserer Vereinbarung. Hierzu müssen wir noch Formulierungen finden – ich denke, wir werden diese Formulierungen finden –, die diese Vereinbarkeit herstellen. Dies muss geklärt werden. Ich denke, das ist ein sehr wichtiger Aspekt in der Diskussion. (Beifall bei der SPD) Klar ist, dass die Maut für den deutschen Autofahrer unterm Strich nicht zu Mehrbelastungen führen darf. Auch das wurde im Koalitionsvertrag vereinbart. Auch diesbezüglich verhalten wir uns koalitionstreu. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schreiben Sie es doch ins Gesetz!) Das ist eine klare Sache; das ist hier schon gesagt worden. Wir werden darauf achten müssen, dass es kein Hintertürchen gibt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schreiben Sie es ins Gesetz!) Es darf nicht sein, dass nach Einführung der Maut die Kommission oder ein anderer EU-Mitgliedstaat die entsprechenden Regelungen kippt. Das heißt, es muss abschließend geklärt sein, dass die Konformität gegeben ist, damit wir dieses Projekt so verabschieden können, wie es im Koalitionsvertrag beschrieben ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Das sind jetzt aber schon Absetzbewegungen!) Denn ein Schwarzer-Peter-Spiel in Richtung Brüssel können wir als Europapolitiker natürlich nicht akzeptieren. Das wäre zu einfach. Sie sehen: Es gibt hier noch sehr viele offene Fragen, die in den Beratungen zu klären sind. Ich bin sicher, dass wir sie klären können. Am Ende des Prozesses – Kollege Hartmann hat es gesagt; wir stehen im Prozess – werden wir sehen, ob dies alles erfüllt ist und ob dem dann so zugestimmt werden kann. Denn es ist wichtig, dass in 2014, in dem Jahr, in dem viele Europaskeptiker in vielen Ländern die Oberhand gewonnen haben, dieses Projekt nicht europakritisch wirkt. Dieses Projekt darf kein Verschiebebahnhof nach Brüssel sein, sondern muss insgesamt in das europäische Recht eingebettet sein. (Sebastian Hartmann [SPD]: Sehr richtig!) In Zusammenhang mit der Pkw-Maut steht die Wahrung der EU-Verträge im Vordergrund. Ich glaube, auch das ist klar und auch Basis des Koalitionsvertrages. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die kommenden parlamentarischen Beratungen werden Klarheit über die von mir angeschnittenen Fragen bringen. Die SPD wird stets auf die Einhaltung der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Vorgaben für die Pkw-Maut achten. Die Europarechtskonformität der Vorschläge wird dabei eine zentrale Rolle spielen. Sie können sich sicher sein, dass die Regierungsfraktionen zu den geltenden EU-Verträgen stehen und diese auch einhalten werden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, frohe Weihnachten. Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Wilms das Wort. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, worüber wir hier reden. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist denn dafür verantwortlich?) Seit über einem Jahr beschäftigt uns dieses Ungetüm CSU-Maut. Die Frage ist: Wozu eigentlich? Diese Frage ist nach wie vor nicht beantwortet. Es fehlt bis jetzt der Nachweis, Herr Minister, dass Ihre CSU-Maut tatsächlich etwas einbringt. (Kirsten Lühmann [SPD]: Der Gesetzentwurf liegt erst seit gestern vor!) Wir haben das Verkehrsministerium häufig gefragt: Was kommt eigentlich dabei heraus? Sie haben ein riesiges Staatsgeheimnis daraus gemacht. Ihr Ministerium kann uns trotz mehrfacher Anfragen nicht sagen, wie es auf Einnahmen in Höhe von 500 Millionen Euro kommt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aha!) Sie können die simpelste Frage nicht beantworten. Sie können nicht sagen, ob das Gesetz etwas nützen wird. Herr Minister, das ist eine unfassbare Unverfrorenheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber das ist längst nicht alles. Es war ja schon eine absurde Idee, die CSU-Maut in den Koalitionsvertrag zu schreiben. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Alle Abgeordneten der Koalition sollten sich noch einmal genau ansehen, was da steht, insbesondere auch Herr Kollege Petry, den ich im Verkehrsausschuss noch nicht gesehen habe. Aber ich habe ja festgestellt, dass Sie das über die Finanzschiene machen. (Christian Petry [SPD]: Europaausschuss! – Kirsten Lühmann [SPD]: Das ist hier eine -Europadebatte! – Gustav Herzog [SPD]: Sie haben der Rede nicht zugehört!) – Und Europa, ja. – Lassen Sie mich aus dem Koalitionsvertrag zitieren: Zur zusätzlichen Finanzierung des Erhalts und des Ausbaus unseres Autobahnnetzes werden wir einen angemessenen Beitrag der Halter von nicht in Deutschland zugelassenen PKW erheben … mit der Maßgabe, dass kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute. Die Ausgestaltung wird EU-rechtskonform erfolgen. (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Passt!) Kollege Petry und alle anderen Kollegen, jetzt können Sie sich fragen, ob Sie das wirklich bekommen haben. Erstens. Zusätzliche Finanzierung. Sie ist mehr als fragwürdig. Wir wissen überhaupt nicht, ob es tatsächlich zusätzliche Einnahmen geben wird. Diese Geheimniskrämerei, Herr Minister, konnten Sie auch nicht durch einen launigen Medienauftritt gestern in der Bundespressekonferenz ersetzen. Die Journalisten konnten sich, wie mir berichtet wurde, vor Lachen kaum halten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Das ist absolut abenteuerlich und hat mit kluger Staatskunst nun rein gar nichts mehr zu tun. Da half auch der halbstündige Auftritt danach im Verkehrsausschuss nicht mehr. Zweitens: EU-rechtskonforme Ausgestaltung. Das Verkehrsministerium hat fast alles versucht, um die Quadratur des Kreises hinzubekommen. Es war aber immer klar, dass Ihnen das nicht gelingt. Denn die gesamte Idee verstößt gegen europäische Grundsätze. Wer eine Maut nur für Ausländer will, benachteiligt sie – Punkt. Das ist vollkommen klar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt einfach keine diskriminierungsfreie Diskriminierung, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Darauf hat Sie die Kommissarin auch in einem Schreiben sehr deutlich hingewiesen, Herr Minister. Wenn Sie das ignorieren, dann landet der Fall vor dem Europäischen Gerichtshof. Die Frage ist doch: Was passiert dann? Entweder fällt die Kompensation über die Kfz-Steuer weg – dann gibt es die Maut für alle, eingeführt vom CSU-Maut-Minister Dobrindt –, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Darauf läuft es hinaus!) oder die Maut wird gekippt; dann fehlen 3,7 Milliarden Euro im Verkehrsetat. Behaupten Sie bitte nicht, Herr Minister, dass so etwas nicht passieren kann. Wir haben das bei der Einführung der Lkw-Maut schon einmal erlebt. Es ist mir schleierhaft, wie sich die Koalition auf so einen Ritt auf der Rasierklinge einlassen kann. Das ist absolut unverantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU, die Minister haben in einer Protokollerklärung im Kabinett deutlich erklärt, dass niemals ein deutscher Autofahrer mehr belastet werden darf. Wenn Sie das wirklich ernst meinen, dann müssen Sie in der parlamentarischen Beratung eine Selbstzerstörungsklausel in beide Gesetzentwürfe einbauen; (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) das habe ich auch gestern schon im Ausschuss gesagt. Denn nur dann kann der Trick von Herrn Dobrindt, eine Pkw-Maut für alle einzuführen, verhindert werden. Ich möchte nicht erleben, dass dies dann wieder Europa in die Schuhe geschoben wird; damit ist die CSU ja manchmal sehr schnell. Schon allein deswegen darf die CSU-Maut hier nicht durchgewunken werden. Aber es gibt noch einen anderen entscheidenden Punkt, der den ganzen Aberwitz dieses CSU-Vorhabens deutlich macht. Wir haben bei der Kraftfahrzeugsteuer bisher ein sehr klares Prinzip: Wer einen schweren Wagen mit hohem Schadstoffausstoß fährt, bezahlt mehr. Die Stinker blechen. Das ist absolut vernünftig, und darüber gibt es eigentlich Konsens. Aber diese CSU-Maut stellt dieses Prinzip auf den Kopf; denn der größte Stinker bekommt jetzt die größte Entlastung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Es lohnt sich wieder, besonders umweltschädlich zu fahren. Das schreiben Sie als neues Prinzip in Ihren Gesetzentwurf. Was für ein Irrsinn! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt schlägt die Stunde des Parlaments; Kollege Hartmann, da haben Sie absolut recht. Bei der gestrigen halbstündigen kleinen Showeinlage des Herrn Ministers im Verkehrsausschuss hatten wir ja gerade noch zehn Minuten Zeit für eine erste Runde, in der wir sicherlich nicht alle Fragen stellen konnten. Jeder einzelne Abgeordnete der Großen Koalition sollte genau prüfen, ob er diese Gesetzentwürfe wirklich will. Denn die Einnahmen sind unsicher, sie widersprechen der Grundidee eines vereinten Europas, und sie bevorzugen umweltschädliche Autos. Was in den Gesetzentwürfen steht, ist absolut inakzeptabel. Lassen Sie sich das als frei gewählte deutsche Abgeordnete nicht bieten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In diesem Sinne: Frohe Weihnachtstage und einen guten Rutsch ins neue Jahr! Denken Sie einmal darüber nach. Vielleicht kommen wir am Schluss zu einer passablen, brauchbaren Lösung. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Ulrich Lange das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Ulrich Lange (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird Weihnachten, und die Pkw-Maut liegt auf dem Gabentisch. (Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Respekt, Herr Minister! Wir haben den Kabinettsbeschluss. Das ist ein Meilenstein im Gesetzgebungsvorhaben zur Infrastrukturabgabe. Jetzt kann es Weihnachten werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lieber Kollege Krischer, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja?) zu Ihrer frustrierten Bilanz: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihre Bilanz!) LuFV II, WSV, 5 Milliarden Euro mehr, Investitionshochlauf, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Irrsinnshochlauf! Was Sie da machen, ist Irrsinn!) Ausweitung und Vertiefung der Lkw-Maut und die Weichenstellung für die Lkw-Maut auf allen Bundesstraßen 2018. Verkaufen Sie die Menschen mit Ihrer Theorie der Absenkung hier nicht für dumm! (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verkaufen die Menschen für dumm!) Sie wussten und Sie wissen, dass wir aufgrund des Wegekostengutachtens absenken mussten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Falsche Annahmen und externe Kosten!) Sie verhalten sich hier wie Pinocchio und belügen das deutsche Volk. (Beifall bei der CDU/CSU) Lieber Kollege Behrens, dass die Linken mit Geld nicht umgehen und nicht rechnen können, (Zurufe von der LINKEN: Oh! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hör doch auf! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rechnung ist die Rechnung, die am Ende nicht aufgehen wird!) haben Sie wieder einmal bewiesen. Die Gesamteinnahmen betragen pro Jahr 3,7 Milliarden Euro: 3 Milliarden Euro von den Inländern, 700 Millionen Euro von den ausländischen Kfz-Fahrern. Nach Abzug der Systemkosten bleiben 500 Millionen Euro übrig. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Was ist das denn für ein Aufwand?) Das sind also 500 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich für die Verkehrsinfrastruktur. Das ist ein Wort! Das Ganze ist natürlich mit der Grundidee Europas in Einklang zu bringen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Es gibt … keine diskriminierungsfreie Diskriminierung!“) Es ist geradezu europäisch, dass wir, wenn in 22 Mitgliedstaaten eine Infrastrukturabgabe erhoben wird, dies auch tun, weil die EU für eine solche Nutzerfinanzierung steht. Deswegen kann ein Gesetz, das auf dem Verursacherprinzip beruht, weder direkt noch indirekt diskriminierend sein. Wer nutzt, der zahlt in ganz Europa! Das ist ganz europäisch. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe der Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] und Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dass wir zwei getrennte Gesetzentwürfe in das Kabinett eingebracht haben und bald beraten werden, ist gut und richtig. Der Kollege Bilger hat ja schon aufgezeigt, dass man in Großbritannien auch einen solchen Weg gegangen ist. Wir stellen vom Steuersystem auf das System der Nutzerfinanzierung um, also auf die Finanzierung durch diejenigen, die auf unseren Straßen unterwegs sind. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Ausländerdiskriminierung!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutschen Preise sind ausgesprochen niedrig. Wenn man sich die Größe des Straßennetzes und die Zeiträume anschaut, dann sieht man: Wir brauchen uns in Europa nicht zu verstecken. Nein, im Gegenteil: Wir sind im europäischen Vergleich ganz vorne. Auch hier gilt: Wir sind europäisch. Die E-Vignette ist und bleibt die intelligente Form der Umsetzung der Infrastrukturabgabe. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Intelligent ist da gar nichts!) – Lieber Kollege Krischer, das, was der Kollege Hartmann Ihnen vorhin vorgelegt hat, war schon entlarvend. Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Sie betreiben hier in dieser Stunde die größte Heuchelei im ganzen Parlament. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Datenschutz: gewährleistet! EU-Rechtskonformität: gewährleistet! Keine Mehrbelastung: gewährleistet! Zusätzliche Einnahmen: gewährleistet! (Lachen der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind hier nicht auf einem CSU-Parteitag, Herr Kollege!) Wir freuen uns auf die parlamentarische Beratung und am Ende auf die parlamentarische Verabschiedung dieser Infrastrukturabgabe – sinnvoll, fair, gerecht. Das wird 2015 von uns hier im Parlament umgesetzt werden. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Kollege hat der Kollege Andreas Schwarz das Wort. (Beifall bei der SPD) Andreas Schwarz (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine verehrten Damen und Herren! Der frühere Toll-Collect-Chef hat 2005 vor dem Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages gesagt – ich zitiere –: Wenn mir jetzt jemand den Auftrag für eine Pkw-Maut anböte, dann würde ich mich erschießen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Tote gibt es wegen der Maut bisher noch keine, aber heute zumindest eine äußerst emotionale Debatte dazu. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Hektik besteht heute doch noch überhaupt kein Anlass; (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Nach einem Jahr Diskussion! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Koalition macht seit einem Jahr nichts anderes!) denn der Gesetzentwurf wird jetzt erst einmal in die richtige Richtung weitergeleitet. Gestern hat das Kabinett die Einführung beschlossen. Das ist sicherlich kein Thema – das wurde auch schon angedeutet –, das in den Olymp der sozialdemokratischen Politik oder Ideen gehört, aber das ist ein Herzenswunsch unseres Koalitionspartners CSU, und zu einer Koalition gehört es eben auch, Kompromisse einzugehen. Über eines sind wir uns in dieser Koalition einig: Der Erhalt und der Ausbau der Infrastruktur in diesem Land duldet keinen Aufschub und genießt absolute Priorität. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das haben wir im Koalitionsvertrag so festgehalten. Über die Ausgestaltung dieser Aufgabe werden wir weiter diskutieren. Da kann die Infrastrukturabgabe nicht das letzte Wort gewesen sein. Die Maut ist mit Sicherheit noch nicht über den Berg. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Der Prozess beginnt jetzt. Außerdem gilt die Struck’sche Regel. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kompromisse können letztendlich auch Fortschritt bedeuten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Kompromiss! Das ist Unsinn!) Das zeigen wir in der Großen Koalition in unserer täglichen Regierungsarbeit das eine um das andere Mal. Wir werden das bevorstehende parlamentarische Verfahren sicherlich dazu nutzen, den Gesetzentwurf auf Herz und Nieren zu prüfen und im Hinblick auf seine Alltagstauglichkeit abzuklopfen. Der bisherige Verlauf der Pkw-Maut-Debatte hat gezeigt, dass Herr Minister Dobrindt allen Unkenrufen zum Trotz guten Argumenten durchaus zugänglich ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss er selber lachen!) Die Infrastrukturabgabe soll beispielsweise nur noch für die Nutzung von Bundesfernstraßen erhoben werden. Der ursprüngliche Plan, sämtliche Straßen in das Mautkonzept einzubeziehen, hat sich als nicht durchführbar erwiesen. Wir haben in vielen Veranstaltungen bundesweit die Sorgen der Bewohnerinnen und Bewohner grenznaher Gebiete über befürchtete Umsatzeinbußen zu hören bekommen. Selbst der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hat die zu erwartenden Belastungen für die Grenzregionen kritisiert, wurde dann aber etwas unsanft von seinem Ministerpräsidenten zurückgepfiffen. Diesen Anliegen konnte und durfte sich die Politik nicht verschließen. Der Bundesverkehrsminister hat seinen Entwurf entsprechend geändert. Folglich werden die befürchteten negativen Effekte für den Einzelhandel und für den Einkaufstourismus in Grenzregionen nicht eintreten. Das begrüßen wir ausdrücklich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bedingungen des Koalitionsvertrages zur Einführung einer Infrastrukturabgabe auf deutschen Straßen hat mein Fraktionskollege Sebastian Hartmann bereits skizziert. Obwohl Änderungen an einem Gesetzentwurf immer möglich sind, wird es in diesem Gesetzgebungsverfahren zumindest an einem Punkt von sozialdemokratischer Seite aus definitiv keine Bewegung geben: Kein Fahrzeughalter, dessen Pkw in Deutschland zugelassen ist, darf durch diese In-frastrukturabgabe höher belastet werden. – Dies gilt ohne Wenn und Aber. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schreiben Sie es doch ins Gesetz!) Wir waren auch etwas erstaunt, als im Referentenentwurf der Passus zu lesen war, künftige Änderungen der Infrastrukturabgabe sollten losgelöst von der Kfz-Steuer erfolgen. Mit dieser Formulierung wäre einer möglichen höheren Belastung der inländischen Autofahrerinnen und Autofahrer Tür und Tor geöffnet gewesen. Deshalb hat die SPD sehr klar und deutlich auf einer Klarstellung bestanden, die auch umgehend erfolgt ist. Ich meine, das war ein guter Auftakt für das Gesetzgebungsverfahren. In diesem Verfahren werden wir als SPD sehr genau auf die Einhaltung des Versprechens achten, dass die Pkw-Maut nicht zu höheren Belastungen der inländischen Bürgerinnen und Bürger führt und zudem europarechtskonform ausgestaltet wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte diese Rede gerne mit einem Zitat von Albert Einstein beenden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Albert Einstein mit der Maut in Verbindung zu bringen, ist eine Frechheit!) Herr Minister Dobrindt, verehrte Anwesende, für uns alle im Hohen Hause gilt bei allen Höhen und Tiefen, die wir sicherlich in einem Jahr durchleben und durchleiden – ich zitiere Herrn Einstein –: Wenns alte Jahr erfolgreich war, dann freue dich aufs neue. Und war es schlecht, ja dann erst recht. (Heiterkeit bei der SPD) In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Familien eine gesegnete Weihnacht und alles Gute für 2015. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ganz herzlichen Dank auch für die guten Wünsche für das kommende Jahr. – Als nächster Redner hat der Kollege Karl Holmeier das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Karl Holmeier (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist zwar schon alles gesagt, aber – – (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja aufhören!) Das Bundeskabinett hat gestern den von unserem Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt vorgelegten Gesetzentwurf zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Fernstraßen beschlossen. Damit setzen wir das um, was bereits Bestandteil unseres Wahlprogramms 2013 war. Auch dafür haben uns die Menschen in Deutschland gewählt und uns das Vertrauen ausgesprochen. Die Einführung der Pkw-Maut ist neben vielen anderen guten Dingen auch Bestandteil des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und SPD. Die Pkw-Maut war eine gute Idee, meine sehr verehrten Damen und Herren. Diese Agenda, den Koalitionsvertrag, arbeiten wir nun Schritt für Schritt ab, und die Infrastrukturabgabe gehört dazu. Verkehrsminister Dobrindt hat mit dem vorgelegten Gesetzentwurf eine wichtige und richtige Investitionsoffensive zur Modernisierung unserer Verkehrsinfrastruktur eingeleitet. Jeder Euro, der in Deutschland zusätzlich eingenommen wird und unmittelbar in die Stärkung unserer Verkehrsinfrastruktur fließt, ist ein guter Euro. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kommt gar keiner! Das ist doch das Problem!) Wir machen seit einem Jahr in der Großen Koalition erfolgreiche Politik für unser Land und damit für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Unser erklärtes Ziel ist es, den hohen Standard in der deutschen Infrastruktur zu erhalten und weiter auszubauen. Nur so können wir den Verkehrszuwachs im Personen- und Güterkraftverkehr bewältigen. Wie der Herr Minister bereits angesprochen hat, leiten wir den von der Europäischen Union gewollten Systemwechsel von einer reinen Steuerfinanzierung unserer Verkehrsinfrastruktur hin zu einer teilweisen Nutzerfinanzierung ein. Mit der kontinuierlichen Ausweitung der Nutzerfinanzierung erreichen wir zudem eine größere Unabhängigkeit vom Bundeshaushalt. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf erzielen wir in einer vierjährigen Wahlperiode Mehreinnahmen in Höhe von 2 Milliarden Euro netto für unsere Infrastruktur. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das nie berechnet! Nein! Das ist eine freie Erfindung!) – Errechnet, nicht erfunden, Herr Krischer. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist eine freie Erfindung!) Das sind zusätzliche und wichtige 2 Milliarden Euro für unsere Infrastruktur. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erfunden! Wo ist die Berechnung? – Gegenruf der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Staatsgeheimnis!) Das kann sich sehen lassen, und es ist gleichzeitig auch eine Frage der Gerechtigkeit, dies umzusetzen. Der Gesetzentwurf erfüllt alle Vorgaben des Koalitionsvertrages: Es wird keine Mehrbelastung für Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen geben, und der Gesetzentwurf ist europarechtskonform. Sehr geehrte Damen und Herren, die Pkw-Maut wird kommen, so sicher wie das Amen in der Kirche. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt auch noch die Kirche!) Für die Grünen ist der gestrige Kabinettsbeschluss zur Einführung der Infrastrukturabgabe ein schönes Weihnachtsgeschenk. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Halleluja!) Wir sehen und hören, wie sehr Sie sich darüber freuen. Seit Wochen und Monaten skandalisieren Sie alles, was mit der Infrastrukturabgabe zu tun hat. Gestern Mittag hat uns Minister Dobrindt unmittelbar nach dem Kabinettsbeschluss im Verkehrsausschuss Rede und Antwort gestanden. Dafür einen herzlichen Dank, Herr Minister. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Frau Wilms, Sie haben den Entwurf gestern wie auch heute wieder als europarechtswidrig bezeichnet. Damit offenbaren Sie, dass Sie keine Kenntnis von dem Rechtsgutachten haben, das erstellt wurde. Nach Professor Hillgruber ist die Einführung der Infrastrukturabgabe mit europäischem Recht vereinbar. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es aber viele andere Rechtsgutachten, die das glatte Gegenteil sagen!) Das Gutachten ist – das wurde schon angesprochen – auf der Internetseite des Verkehrsministeriums einsehbar. Die Infrastrukturabgabe für die Nutzung des deutschen Bundesfernstraßennetzes stellt auch in der Kombination mit entsprechenden Freigrenzen bei der Kfz-Steuer keine Diskriminierung von Unionsbürgern dar. Wir stellen damit Gerechtigkeit auf deutschen Autobahnen her. Aber alles Reden und Aufklären hilft nichts. Sie wollen es nicht kapieren. Die Grünen haben mit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde wieder viel heiße Luft um die Infrastrukturabgabe erzeugt. Meine Damen und Herren, ich freue mich daher auf die inhaltliche und sachliche Beratung dieses wichtigen Gesetzentwurfes im kommenden Jahr. Den Grünen wünsche ich mit dem Rechtsgutachten und dem Gesetzentwurf eine schöne und spannende Weihnachtslektüre. Ihnen allen schöne Weihnachten und ein gutes neues Jahr! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt spricht die Kollegin Daniela Ludwig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Daniela Ludwig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man möchte fast sagen: Und täglich grüßt die Maut. Gott sei Dank! Ich freue mich darüber. Es ist nicht nur ein Weihnachtsgeschenk – dieser Vergleich ist heute schon bemüht worden –, sondern es zeigt, glaube ich, gerade auch Ihnen: Man kann noch so sehr das Scheitern herbeireden, wenn wir etwas wollen, dann machen wir es richtig gut, und wir ziehen es auch durch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Schlimme!) Da kann uns auch ein Brieflein aus Brüssel nicht schrecken, erst recht nicht, wenn es auf Annahmen basiert, die letztlich mit den beiden Gesetzentwürfen, um die es gestern im Kabinett ging, nicht allzu viel zu tun haben. Warum? Ich erwarte von einer Kommissarin, die die beiden Gesetzentwürfe offenbar nicht kennt – schade! –, zum einen, dass sie sie möglichst zügig liest, und zum anderen, dass sie, wenn sie unser Mautsystem als nicht europarechtskonform geißelt, ihre Standards, die sie an unser geplantes Mautsystem anlegt, auch an die anderen 22 Mautsysteme in Europa anlegt. Das sehe ich bislang noch nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Modelle anders aussehen!) Warum? Die Kommissarin kritisiert unsere Monats- und Tagessätze als unverhältnismäßig hoch im Vergleich zum Jahressatz. Obwohl schon darauf hingewiesen wurde, sage ich es erneut: Schauen Sie nach Österreich, das uns als Vorbild dienen soll. Österreich verlangt für eine Zehntagesvignette 8,70 Euro. Wir verlangen 10 Euro für ein Straßennetz, das doppelt so groß ist wie das österreichische. Im nächsten Jahr kann man in Österreich eine Zweimonatsvignette für 25,30 Euro erwerben. Bei uns wird sie 22 Euro kosten, wie gesagt, für ein doppelt so großes Straßennetz. Während bei uns die Jahresvignette durchschnittlich 74 Euro kosten wird, kostet sie in Österreich rund 85 Euro. Wenn es um die vermeintliche Diskriminierung von In- und Ausländern geht, lohnt ein Blick auf die Gebührentabelle des Felbertauerntunnels; das ist an dieser Stelle nicht ganz unspannend. Danach beträgt der Nor-maltarif für Pkws und Wohnmobile 10 Euro. Der Anrainertarif für diejenigen, die in den Bundesländern Tirol, Kärnten und Salzburg wohnen, liegt bei 8 Euro. Für Gemeindebürger beläuft sich der Tarif auf 4 Euro. So viel zu diesem Thema. Liebe Frau Kommissarin, bevor Sie sich mit unserem Mautsystem, das im Werden begriffen ist, auseinandersetzen, schauen Sie sich die bestehenden Systeme an. Sie werden feststellen: Für alle muss das Gleiche gelten. Wir sagen: Unser Mautsystem ist richtig, gerecht und vor dem eben geschilderten Hintergrund erst recht europarechtskonform. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube daher nicht, dass unsere Kollegen in den Nachbarstaaten, die nun aufschreien und mit Klagen drohen, gut beraten wären, tatsächlich Klage zu erheben. Dann muss jeder in seine eigenen Gesetzesbücher schauen und die Gestaltung der Nutzerfinanzierung überprüfen. Jedes Mitgliedsland kann eine Infrastrukturabgabe einführen und eine entsprechende Nutzerfinanzierung vorsehen. 22 Mitgliedstaaten haben das bereits getan. Wir tun es jetzt auch, weil wir uns dazu bekennen, dass wir mehr Mittel für die Verkehrsinfrastruktur brauchen. Weil wir diese Mittel nicht einseitig durch die deutschen Steuerzahler erzielen wollen, wollen wir diejenigen beteiligen, die bisher kostenlos fahren, obwohl sie unser Straßennetz genauso nutzen. Es ist richtig, alle zu beteiligen. Ein weiteres Petitum, das für uns ganz besonders wichtig ist, ist: Akzeptanz für die Maut gewinnt man nur, wenn die Einnahmen zweckgebunden sind, das heißt, wenn die Einnahmen tatsächlich dem Haushalt zugutekommen, der sie am dringendsten braucht, also dem Haushalt des Verkehrsministers. Dann sehen die Menschen: Die Maut, die ich zahle, kommt eins zu eins den deutschen Straßen zugute und führt zu besserem Asphalt sowie mehr Lärmschutz und Sicherheit. Deshalb kann ich Ihnen schlicht und ergreifend nur sagen: Das Konzept ist richtig, europarechtskonform und gerecht. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher wissen Sie das?) Es stellt keine Mehrbelastung für deutsche Autofahrer dar, weil alle zahlen. So machen wir das. Ich freue mich auf die Beratungen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Alle freuen sich!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt erhält der Kollege Michael Donth als letzter Redner in dieser Debatte das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Donth (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zum zweiten Mal in diesem Jahr gibt es heute im Parlament auf Verlangen der Grünen eine Aktuelle Stunde zur Infrastruktur-abgabe. Es handelt sich um eine Debatte, die auf Gerüchten, Mutmaßungen und Zeitungsartikeln, aber nicht auf Vorlagen oder Fakten beruht. Da wir nur wenige Tage vom Weihnachtsfest entfernt sind, scheinen sich die Kolleginnen und Kollegen der Grünen so zu verhalten wie meine kleinen Kinder zu Hause, die den Heiligen Abend nicht erwarten können und ständig versuchen, durch Quengeln etwas herauszulocken. Wahrscheinlich fehlt Ihnen dazu noch, nachdem Stuttgart 21 jetzt erfolgreich gebaut wird, ein neues Thema. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welcher Welt leben Sie denn?) Jetzt warten Sie doch einfach den Gang des parlamentarischen Verfahrens ab. Das wäre für alle hier im Hause viel effizienter. Gestern wurde das Gesetzespaket im Kabinett verabschiedet. In den kommenden Beratungen können Sie Ihre Argumente zur Sache einbringen, sofern Sie an einer sachlichen Diskussion und nicht nur an Effekthascherei Interesse haben sollten. Ein Beleg dafür, weshalb man aufgrund von Sachbeiträgen, von Drucksachen und Vorlagen diskutieren und sich nicht auf Grundlage von Zeitungsartikeln austauschen sollte, ist die schon mehrfach angeführte slowenische EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc. Ihr wird die Aussage zugeschrieben – ich habe den Brief nicht gelesen –, die Kurzzeitvignetten für Ausländer mit 22 Euro für zwei Monate und 10 Euro für zehn Tage seien zu teuer. Was für ein Quatsch. Im Heimatland der Kommissarin, Slowenien, zahlt man für eine Wochenvignette 15 Euro. Das sind also rund 2 Euro pro Tag, und das ist damit doppelt so viel, wie bei uns mit der Zehntages-vignette geplant ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die zahlen aber alle, nicht nur die Ausländer!) Offensichtlich ist das in Slowenien EU-rechtskonform. Kein Mensch beschwert sich und hält es für EU-rechtswidrig, wenn ich mit einem kleinen Wagen in Frankreich für zwei Tage 76 Euro Maut bezahle. Das ist mir bei einem Kurzbesuch in der früheren Partnergemeinde im Val d’Oise bei Paris passiert. Da bin ich über Straßburg nach Paris und am nächsten Tag mit dem Auto wieder zurückgefahren. 76 Euro Maut. Im Jahr 2016 würde dagegen der französische Bürgermeisterkollege, wenn er mit dem Auto zu uns kommt, für die Strecke Straßburg–Stuttgart und zurück lediglich 10 Euro bezahlen, aber keine 76 Euro. Unsere Verkehrsinfrastruktur in Deutschland ist unterfinanziert. Da gibt es, so wie ich das sehe und es jetzt auch in der Debatte gehört habe, über alle Fraktionen hinweg großen Konsens. Das sieht auch die EU-Kommission so. Wenn wir heute schon über Zeitungsmeldungen diskutieren, möchte ich auch eine anführen. Ich zitiere: Die Europäische Kommission begrüßt deshalb die Einführung oder Ausweitung von Mautsystemen in einer zunehmenden Zahl von Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland. So der damalige EU-Kommissar Kallas im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 29. Juni dieses Jahres. Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat ein schlüssiges Paket vorgelegt, wie er mit zusätzlichen Haushaltsmitteln, mit der schrittweisen Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen, mit der Ausweitung auf weitere Lkw-Klassen und zu guter Letzt auch mit der Pkw-Maut zusätzliche Finanzmittel für die Straßeninfrastruktur generiert. Damit wird der Bund zum Ende dieser Legislaturperiode rund 4 Milliarden Euro pro Jahr mehr für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung haben als zu Beginn und damit präterpropter die Empfehlungen der Bodewig- oder Daehre-Kommissionen hinsichtlich der notwendigen Mittel für die finanzielle Ausstattung der Bundesverkehrswege erreicht haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Notwendig ist dann aber, dass die Mittel, die wir hier bereitstellen, in den Ländern auch verbaut werden, im Interesse unserer Infrastruktur und im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger. Daher ist es ein Unding, wenn der heute schon erwähnte grüne Verkehrsminister Hermann in meinem Heimatland Baden-Württemberg, wie 2013 geschehen, bis zu 100 Millionen Euro Bundesmittel nicht abruft. Das ist dann im landläufigen Sinn eine schöne Bescherung. Vielen Dank und ein gesegnetes Weihnachtsfest. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Drucksache 18/3547 Bevor wir zur Wahl kommen, möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir heute zu den nachfolgenden beiden Tagesordnungspunkten sowie zu Tagesordnungspunkt 12 mehrere namentliche Abstimmungen durchführen werden. Ich bitte Sie, sich darauf einzustellen. Jetzt kommen wir zur Wahl des Wehrbeauftragten. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD haben auf Drucksache 18/3547 den Abgeordneten Dr. Hans-Peter Bartels vorgeschlagen. Ich möchte Sie jetzt um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren bitten: Nach § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten sind zur Wahl die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages, das heißt mindestens 315 Stimmen, erforderlich. Der Wehrbeauftragte wird mit verdeckten Stimmkarten, also geheim, gewählt. Sie benötigen für die Wahl Ihren blauen Wahlausweis, den Sie, soweit das noch nicht geschehen ist, Ihrem Stimmkartenfach entnehmen können. Bitte kontrollieren Sie, ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt. Die für die Wahl gültige Stimmkarte und den amtlichen Wahlumschlag erhalten Sie von den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Ausgabetischen hier oben neben den Wahlkabinen. Nachdem Sie die Stimmkarte in einer der Wahlkabinen gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt haben, gehen Sie bitte zu den Wahlurnen hier vor dem Rednerpult. Sie dürfen Ihre Stimmkarte – beachten Sie dies bitte; dies ist wichtig – nur in der Wahlkabine ankreuzen, also nicht an den Tischen, und Sie müssen ebenfalls noch in der Wahlkabine die Stimmkarte in den Umschlag legen. Die Schriftführerinnen und Schriftführer sind verpflichtet, jeden, der seine Stimmkarte außerhalb der Wahlkabine kennzeichnet oder in den Umschlag legt, zurückzuweisen. Die Stimmabgabe kann in diesem Fall jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden. Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei „Ja“, „Nein“ oder „enthalte mich“. Ungültig sind Stimmen auf nichtamtlichen Stimmkarten sowie Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, kein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis einer der Schriftführerinnen oder einem der Schriftführer an der Wahlurne. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht werden. Ich möchte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist, soweit ich das sehen kann, geschehen. Ich eröffne die Wahl und bitte, zum Empfang der Stimmkarten zu den Ausgabetischen zu gehen. Nur ein kleiner Hinweis: Wir haben zwei Wahlurnen, die Sie benutzen können. Das beschleunigt das Verfahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben? – Das ist -offenbar der Fall. Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden die -Sitzung für die Auszählung jetzt für circa 15 Minuten unterbrechen; ich hoffe, es werden nur 10 Minuten. -Sobald das Auszählungsergebnis vorliegt, wird die unterbrochene Sitzung wieder eröffnet. (Unterbrechung von 15.55 Uhr bis 16.12 Uhr) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl bekannt:2 abgegebene Stimmen 598, ungültig waren keine. Mit Ja haben 532 gestimmt, (Beifall im ganzen Hause) mit Nein haben 38 gestimmt, Enthaltungen gab es 28. Gemäß § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages – das sind 315 Stimmen – auf sich vereinigt. Ich stelle fest, dass der Abgeordnete Dr. Hans-Peter Bartels mit der erforderlichen Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages zum Wehrbeauftragten gewählt worden ist. Ich frage Sie jetzt, Herr Abgeordneter Bartels: -Nehmen Sie die Wahl an? Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Jawohl, ich nehme die Wahl an. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Bartels nimmt die Wahl an. – Herr Bartels, ich möchte Ihnen persönlich, aber auch im Namen des ganzen Hauses herzlich gratulieren. Herzlichen Glückwunsch und viel Glück für Ihre verantwortungsvolle Aufgabe! (Beifall im ganzen Hause – Abg. Dr. Hans-Peter Bartels [SPD] nimmt Glückwünsche entgegen) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Verständnis dafür, dass wir, da wir den ursprünglichen Zeitplan schon sehr weit überschritten haben, in der Tagesordnung fortfahren. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 sowie Zusatzpunkt 6 auf: 7 – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan Drucksachen 18/3246, 18/3583 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3592 ZP 6 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan 2014 einschließlich einer Zwischenbilanz des Afghanistan-Engagements Drucksache 18/3270 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Zu der Beschlussempfehlung, über die wir später -namentlich abstimmen werden, liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in der Debatte hat die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen das Wort. – Frau von der Leyen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2015 bringt große Veränderungen für Afghanistan, aber auch für unsere Soldatinnen und Soldaten. In diesem Sommer hat es zum ersten Mal in der Geschichte des Landes Afghanistan einen Machtwechsel gegeben, der demokratisch und friedlich war. Es macht Mut, zu sehen, mit welcher Entschlossenheit, aber offensichtlich auch Geschlossenheit sich jetzt die neue Regierung ans Werk macht. Ich habe am letzten Wochenende Gelegenheit gehabt, Präsident Ghani zu sprechen. Er hat mir in unserem Gespräch in Kabul in eindrucksvoller Weise gezeigt, wie klar er den Weg vor sich sieht, wie einen Dreiklang: Das Wichtigste für ihn ist die politische Versöhnung, sowohl nach innen, also innerhalb der Bevölkerung, als auch nach außen, insbesondere mit Pakistan. Er hat sehr klar gesagt, wie wichtig ihm eine starke wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist, wissend, dass Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung eng miteinander verflochten sind. Außerdem sieht er seine Aufgabe darin, für eine akzeptable Sicherheitslage zu sorgen. – Damit stehen Präsident Ghani und das Land Afghanistan vor einer großen Aufgabe. Sie haben aber auch die ganz große Chance, die Geschicke dieses Landes in die richtige Richtung zu lenken, und dabei brauchen sie unsere volle Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit der neuen Resolute Support Mission wird sich unser Auftrag wesentlich ändern. Es ist kein Kampfeinsatz mehr. Es geht künftig um gezielte Beratung. Wir sind jetzt dort, wo wir effektiv ausbilden, wo wir klug beraten, wo wir angemessen unterstützen können. Wir sind dort, wo wir gebraucht werden, und wir werden gebraucht. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben bei den Wahlen bewiesen, dass sie in der Lage sind, für eine Sicherheitslage zu sorgen, die Wahlen zulässt. Das heißt, die Grundfertigkeiten sind da, aber jetzt kommt es darauf an, dass dies zu einem Ganzen geformt wird und dass die Fähigkeiten dauerhaft verfestigt und vor allem verfeinert werden. Ich war im Camp Shaheen, das viele von Ihnen kennen. Dort habe ich General Wesa gesprochen. Er hat – typisch für Afghanistan – das, was vor uns liegt, die gemeinsame Aufgabe, mit einem Bild umschrieben: Wir haben gemeinsam einen Baum gepflanzt, ihn gepflegt und gehegt, und jetzt ist er groß genug, die ersten Früchte zu tragen. Aber dieser Baum braucht weiter die gemeinsame Pflege. – Wenn ich in diesem Bild bleiben darf: Wir treten bei der Pflege dieses Baumes jetzt gewissermaßen in die zweite Reihe, und die Afghanen sind in der ersten Reihe. Sie sagten mir auch, dass schon die bloße Anwesenheit unserer Polizistinnen und Polizisten, der Soldatinnen und Soldaten wiederum den afghanischen Polizisten, den afghanischen Sicherheitskräften, aber auch der Bevölkerung ein Gefühl von Sicherheit gibt. Das heißt, die Afghanen verlassen sich auf uns. Wir haben einen Ruf zu verteidigen, nämlich den Ruf des zuverlässigen Partners, und auch den Ruf, dass wir das sorgsam zu Ende bringen, was wir angefangen haben. Wo stehen wir nach 13 Jahren ISAF und jetzt im Übergang? Die Sicherheitslage ist heute wesentlich besser als noch zu Beginn der Mission, aber sie ist ohne Zweifel immer noch fragil. Im Augenblick häufen sich die Anschläge in Kabul. Die Taliban konzentrieren sich vor allem auf die Hauptstadt. Es geht ihnen darum, Angst zu schüren und das Vertrauen der Bevölkerung in die junge Regierung zu desavouieren. Vor wenigen Tagen ist ein deutscher Entwicklungshelfer bei einem perfiden Selbstmordattentat in Kabul ermordet worden. Ja, das ist zweifelsohne die eine Realität dieses Landes. Aber es gibt eben auch die andere Realität, die ganz viele hier im Raum kennen: junge motivierte Menschen, die bereit sind, ihre Zukunft in die Hand zu nehmen und ihr Land mit nach vorne zu bringen. Ich hatte die Freude, zehn junge afghanische Frauen, alle um die 20, kennenzulernen, die Rechtswissenschaften in Balkh studieren und fest entschlossen sind, sich auch in Zukunft für die Rechte der Frauen und ihres Landes einzusetzen. Es berührt einen, zu sehen, mit welcher Zukunftsfreude und Entschlossenheit diese jungen Frauen auftreten. Afghanistan hat die Chance auf eine gute Zukunft, wenn die politisch Verantwortlichen an einem Strang ziehen – im Augenblick sind das maßgeblich Abdullah Abdullah und Ghani –, wenn die Staaten der Region, vor allem Pakistan, einen Versöhnungsprozess mit Afghani-stan wagen und wenn wir, die internationale Gemeinschaft, genügend Ausdauer beweisen, um uns weiter für dieses Land zu engagieren. Wir als Bundesregierung sind bereit, in der Diplomatie und in der Entwicklungszusammenarbeit unsere Beiträge zu leisten. Das gilt für die Polizei, und das gilt auch für die Bundeswehr. Wir wollen uns in Resolute Support Mission künftig mit 850 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan engagieren. Wir werden wie bisher im Norden die Verantwortung übernehmen, und zwar gemeinsam mit 20 weiteren Nationen. Das Ganze findet grundsätzlich „inside the wire“, also in geschützten Anlagen, statt. Wir werden vor allem für die Speiche Masar-i-Scharif verantwortlich sein, aber eben auch für Kabul. Dort werden wir uns im Verteidigungsministerium engagieren. Damit zeigt sich, dass Resolute Support Mission einen völlig anderen Charakter als ISAF hat. Wir beantragen das Mandat heute für ein Jahr. Dieses Jahr wollen wir maximal ausnutzen. Das heißt, es geht uns jetzt vor allem darum, diese Mission breit mit Leben zu füllen. ISAF war das umfänglichste Engagement des deutschen Militärs in der Geschichte der Bundesrepublik. 135 000 Soldatinnen und Soldaten haben in Afghanistan ihren Einsatz geleistet. 55 Soldaten haben in diesem Kampfeinsatz ihr Leben verloren, 35 davon sind gefallen, und Hunderte sind verwundet an Leib und Seele zurückgekehrt. All denen, die an diesem Engagement beteiligt waren, gilt unser ganz hoher Respekt und vor allem unsere besondere Dankbarkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch angesichts dieser Opfer sollte es uns Verpflichtung sein, die Mission behutsam und verantwortungsvoll zu Ende zu bringen. Dafür bitte ich Sie um Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält Jan van Aken das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rund um Afghanistan ist hier im Bundestag in den letzten 13 Jahren schon so viel gelogen worden, dass ich es echt leid bin, und Sie haben genau da weitergemacht, Frau von der Leyen. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD – Henning Otte [CDU/CSU]: Was? Haben Sie gerade „gelogen“ gesagt? – Rainer Arnold [SPD]: Wenn man Ihre Rede liest, dann stimmt dies!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ich bitte, eine solche Unterstellung zu unterlassen. Das entspricht nicht dem parlamentarischen Gebrauch. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja, genau! Das ist unerträglich! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Der kann nicht anders! – Henning Otte [CDU/CSU]: Genau! Das ist eine Frechheit!) Jan van Aken (DIE LINKE): Frau Präsidentin, ob man die Wahrheit sagt oder nicht, ist eine faktische Frage. (Michael Brand [CDU/CSU]: Deine Wahrheit ist nie die Wahrheit!) Ich kann das Faktum, dass sie die Unwahrheit gesagt hat, hier belegen. Danach würde ich Sie gerne bitten, noch einmal zu überlegen, ob dieser Einwurf von Ihnen eben richtig war oder nicht. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Unverschämt! – Henning Otte [CDU/CSU]: So geht das aber nicht, Frau Präsidentin!) Lassen Sie mir jetzt kurz Zeit, die Aussage bezüglich der Unwahrheit zu belegen. Dann können wir darüber reden, ob das nun stimmt oder nicht. Frau von der Leyen hat eben wörtlich gesagt – ich zitiere –: „Es ist kein Kampfeinsatz mehr.“ Genau dieser Satz entspricht nicht der Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN) Frau von der Leyen weiß es, und Sie wissen es: In dem Mandat, über das Sie gleich abstimmen werden, (Michael Brand [CDU/CSU]: Du auch!) steht ausdrücklich drin, dass auch Spezialkräfte eingesetzt werden. (Henning Otte [CDU/CSU]: Zur Geiselbefreiung!) Es steht ausdrücklich drin, dass die deutsche Bundeswehr auch in den nächsten Jahren in Afghanistan für Kämpfe eingesetzt wird, nämlich dann, wenn es um den Schutz und die Sicherheit anderer Soldaten geht, auch anderer NATO-Soldaten, auch US-amerikanischer Soldaten. (Henning Otte [CDU/CSU]: Ja, zur Geiselbefreiung!) Sie, Frau von der Leyen, und Sie alle hier wissen – auch ich weiß es –, dass die 9 000 US-amerikanischen Soldaten, die weiterhin in Afghanistan bleiben, auch einen Kampfauftrag haben. (Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Aber wir mandatieren ja nicht die Amerikaner!) Auf Deutsch heißt das: Wenn NATO-Soldaten oder Bundeswehrsoldaten in Kämpfe verwickelt werden, dann kann, darf und wird die Bundeswehr eingreifen, zur Hilfe schreiten und auch in Kämpfe verwickelt werden. Damit ist das Mandat, das Sie vorgelegt haben, auch ein Mandat, zu kämpfen. Da waren Sie eben unehrlich, auch gegenüber den Soldatinnen und Soldaten. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Werden Sie doch nicht so laut! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Die Logik ist vollkommen falsch!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr van Aken, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Jan van Aken (DIE LINKE): Ja. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Bitte. Rainer Arnold (SPD): Generell wäre zunächst einmal meine Bitte im Hinblick auf den Begriff „Wahrheit“, die Reden, die Sie in den letzten Jahren über Afghanistan gehalten haben, mit der Wirklichkeit zu vergleichen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Die sollte man als Buch herausbringen und es an Schulen verteilen! Das wäre sehr hilfreich!) Ich finde aber: Noch schlimmer, als die Unwahrheit zu sagen, ist es, Halbwahrheiten zu verbreiten. Jan van Aken (DIE LINKE): Genau. Rainer Arnold (SPD): Exakt dies haben Sie gerade getan. (Michael Brand [CDU/CSU]: Er ist der Meister der Unwahrheiten!) Das, was Sie gesagt haben, ist eine Halbwahrheit. In diesem Mandat ist von einer Möglichkeit die Rede, die dann eine Rolle spielt, wenn Menschen in extremer Situation in Bedrängnis geraten; ich sage das jetzt in meinen Worten und verwende nicht den englischen Begriff. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Na, das hat er doch gesagt! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Nein, das hat er eben nicht gesagt!) – Er hat gesagt: Wenn Afghanen kämpfen, dann geht man einfach raus, um denen zu helfen. – Dann müssten wir jeden Tag rausgehen, um zu helfen, weil die Afghanen jeden Tag kämpfen. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja, genau so ist es!) Dies gibt dieses Mandat, Herr van Aken, aber definitiv nicht her. Es geht darum: Kommen zum Beispiel Entwicklungshelfer in Bedrängnis, muss man ihnen auch mit Waffengewalt beistehen, damit sie nicht umgebracht werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben letzte Woche in Kabul erlebt, dass 16-jährige Jugendliche als Selbstmordattentäter missbraucht und deutsche Entwicklungshelfer, die im dortigen französischen Kulturzentrum Gutes leisten wollten, in die Luft gejagt wurden. In solchen Situationen sollen die kleinen Fähigkeiten – es sind ja gar nicht viele Fähigkeiten – im Rahmen ihrer Möglichkeiten helfen. Meine Frage: Wenn eine solche Situation entsteht und die Bundeswehr mit einer Fähigkeit dort ist – es sind nicht viele; aber sie hat eine gewisse Fähigkeit –, soll die Bundeswehr und sollen wir als Politiker dann sagen: „Nein, wir helfen euch nicht, weil wir das nicht mandatiert haben“? (Katja Kipping [DIE LINKE]: Also doch ein Kampfmandat! Jetzt haben Sie ihm ja recht gegeben! – Gegenruf des Abg. Florian Hahn [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Das ist doch deswegen kein Kampfmandat!) Sind Sie nicht vielmehr der Meinung, dass es klug ist, für solche Extremsituationen im Interesse der Soldaten und der Menschen in Bedrängnis auch rechtlich Vorsorge zu treffen? Sind Sie nicht der Auffassung, das ist besser? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Genau! Jetzt zeigen Sie mal, ob Sie ein Herz haben oder ob Sie kein Herz haben!) Jan van Aken (DIE LINKE): Herr Arnold, wenn Sie mich zitieren, dann zitieren Sie mich bitte richtig. (Henning Otte [CDU/CSU]: Haben Sie ein Herz oder nicht?) Ich habe eben auf gar keinen Fall gesagt, dass die Bundeswehr irgendwelchen Afghaninnen und Afghanen zu Hilfe kommt; denn das steht gar nicht im Mandat. In dem Mandat steht ausschließlich, dass sie anderen Bundeswehrsoldaten und anderen internationalen Soldaten der Resolute Support Mission zu Hilfe kommen wird, und genau das habe ich auch gesagt. – Das erst einmal zu den Fakten. Das steht da drin! Herr Arnold, stellen Sie sich jetzt doch bitte einmal Folgendes vor: Die Amerikaner, die dort einen Kampfauftrag haben und in Kämpfe verwickelt sind, rufen um Hilfe, und deutsche Spezialkräfte, die Sie gleich mandatieren wollen, sind vor Ort. – Sie werden dann natürlich einschreiten. Sie sagen ja selbst, dass das passieren soll. Das ist dann auch ein Kampfeinsatz. Es ist einfach falsch und unwahr, wenn die Ministerin hier sagt, es ist kein Kampfeinsatz mehr. (Beifall bei der LINKEN) Das ist doch der ganz entscheidende Punkt. Machen Sie sich doch endlich einmal ehrlich! Seit 13 Jahren wird über Afghanistan gelogen. Das fing an mit einem Gerhard Schröder, der hier stand und sagte: sechs Monate und nur in Kabul. – Wo sind denn die 55 Soldaten der Bundeswehr gestorben? Wo wurde gekämpft? In Masar-i-Scharif, in Kunduz und überall. Nichts davon war wahr – von der ersten Minute bis heute nicht. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde es einfach unerträglich, dass, wenn jetzt Bundeswehrsoldaten zuhören – möglicherweise Bundeswehrsoldaten, die in einem Monat dorthin geschickt werden –, sie von der Ministerin hören, das ist kein Kampfeinsatz mehr, aber die Wahrheit ist das Gegenteil. Das geht so nicht! (Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Haben Sie einmal reflektiert, ob es eine Verpflichtung zur Nothilfe gibt?) Von der ersten Stunde vor 13 Jahren an ging es hier immer so weiter. Sie haben hier die ganze Zeit immer wieder über Brunnenbau, über Aufbau und über Mädchenschulen geredet, aber keiner hat hier ein Wort über Krieg, über die ganzen Toten und über das Leid verloren. Das kam niemals von jemandem von Ihnen. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist doch unwahr! Das ist jetzt gelogen!) Ich bin seit fünf Jahren im Bundestag. Seit vier Jahren höre ich in diesem Hause bei jeder Afghanistan-Debatte: Ende 2014 wird die Bundeswehr abgezogen, Ende 2014 wird der letzte Bundeswehrsoldat Afghanistan verlassen haben. – Und was werden Sie in wenigen Minuten machen? Sie werden weitere 850 deutsche Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten für weitere ein bis zwei Jahre nach Afghanistan schicken. Das ist einfach das Gegenteil von einem Abzug. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das stimmt doch auch wieder nicht! Das, was Sie sagen, stimmt doch gar nicht! – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist so etwas von gelogen!) Es ist vorprogrammiert, dass dort im nächsten Jahr auch deutsche Bundeswehrsoldaten in Kämpfe verwickelt werden. Dazu müssen Sie endlich stehen. Nennen Sie einen Krieg einen Krieg, und ziehen Sie endlich die deutschen Soldaten aus diesem Krieg ab! (Beifall bei der LINKEN) An einem Punkt finde ich Ihre Unehrlichkeit richtig beschämend. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind beschämend!) Sie haben all den Afghaninnen und Afghanen, die in den letzten 13 Jahren für Deutschland, für die Bundeswehr, für die NATO, für die ISAF und für deutsche Entwicklungshilfeorganisationen tätig waren, zugesagt, dass sie hier nach Deutschland in Sicherheit kommen können; denn sie werden in Afghanistan als Kollaborateure mit dem Feind – mit der ISAF, mit der NATO, mit Deutschland – bedroht. Sie haben ihnen zugesagt, sie könnten herkommen. Was müssen wir jetzt erfahren? Ein paar dürfen kommen, viele andere lehnen Sie aber einfach ab. Es gibt Menschen in Afghanistan, die für die Bundeswehr gearbeitet haben und jetzt mit dem Leben bedroht werden, und Sie lassen sie hier nicht herein. Wenn Sie wirklich ehrlich sind, dann lassen Sie alle, die in den letzten 13 Jahren für Sie gearbeitet haben, hier herein. Alles andere ist auch eine Unehrlichkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zur Unehrlichkeit gehört auch, dass fast alle von Ihnen die afghanischen Opfer dieses Krieges schlichtweg ignorieren. (Beifall bei der LINKEN) In der letzten Debatte dazu in der letzten Sitzungswoche haben Sie alle hier der gefallenen deutschen Soldaten gedacht. Frau von der Leyen hat das eben auch getan. Aber genauso wenig wie Sie alle hier am rechten Rand des Hauses in der letzten Sitzungswoche (Lachen bei der SPD – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hat auch Frau von der Leyen nicht ein einziges Wort – nicht ein einziges Wort! – über die afghanischen Opfer verloren. (Dagmar Ziegler [SPD]: Sie sind peinlich!) Zehntausende Afghaninnen und Afghanen und Tausende internationale Soldaten und Entwicklungshelfer sind dort gestorben, und ich finde, wir sollten uns aus diesem Anlass jetzt einen kleinen Moment des Innehaltens gönnen (Dagmar Ziegler [SPD]: Aber nicht bei Ihnen, nicht für die Polemik von Ihnen! und allen Opfern dieses Krieges gedenken, und zwar egal welcher Nation. (Beifall bei der LINKEN – Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist echt peinlich! – Dagmar Ziegler [SPD]: Schämen Sie sich! Dass überhaupt noch jemand für Sie klatscht, ist beschämend! – Rainer Arnold [SPD]: Das ist unglaublich!) – Sie rufen hier herein: „Das ist unglaublich!“ Wissen Sie, was ich unglaublich finde? Ich finde es unglaublich, dass keiner von Ihnen, keiner aus der SPD-Fraktion, keiner aus der CDU/CSU-Fraktion und auch Frau von der Leyen nicht, es für nötig befindet, auch nur ein einziges Wort des Gedenkens über die afghanischen Opfer zu sagen. (Dagmar Ziegler [SPD]: Woher wollen Sie das denn wissen?) Dort sind sehr viele Menschen gestorben, und Sie gehen einfach darüber hinweg. Das geht überhaupt nicht. Ich finde das beschämend für dieses Haus. (Rainer Arnold [SPD]: Lesen Sie einmal die Protokolle!) – Ich habe alle Protokolle gelesen, Herr Arnold. (Rainer Arnold [SPD]: Dann wüssten Sie es! – Dagmar Ziegler [SPD]: Lesen allein reicht nicht! Verstehen!) Herr Arnold, Sie haben der deutschen Soldaten gedacht. Das finde ich richtig. Das tun wir auch. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr van Aken, lassen Sie eine weitere Zwischenfrage zu? Jan van Aken (DIE LINKE): Ja. – Herr Arnold, ich erwarte von Ihnen, dass Sie dann auch der Opfer der deutschen Soldaten gedenken, nicht nur der Opfer unter den deutschen Soldaten. (Beifall bei der LINKEN) Die Zwischenfrage lasse ich zu. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, Sie haben das Wort. Henning Otte (CDU/CSU): Herr van Aken, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass der internationale Einsatz auf Bitten der afghanischen Regierung stattgefunden hat? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jan van Aken (DIE LINKE): Ja. Das nehme ich zur Kenntnis. Ich nehme auch zur Kenntnis, dass der internationale Einsatz damit angefangen hat, dass, bevor der Bundeswehr- und der ISAF-Einsatz angefangen haben, die US-Armee einen völkerrechtswidrigen Krieg in Afghanistan geführt hat. So fing das Ganze an. (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blödsinn!) Dann wurde Ende 2001 zur Unterstützung von Kabul die internationale Mission zum Aufbau beschlossen. Aber einen internationalen Beschluss zum Kriegführen gegen die Afghaninnen und Afghanen hat es nie gegeben. Da haben Sie sich mitschuldig gemacht, auch Sie, Herr Otte. (Beifall bei der LINKEN – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt einen VN-Beschluss!) Ich kann ja verstehen, dass Sie das nicht hören wollen. Ich kann ja verstehen, dass Sie sich aufregen; denn Sie alle haben in den letzten 13 Jahren den Arm gehoben. Sie alle haben zugestimmt, dass die NATO dort Krieg führt gegen die Menschen in Afghanistan. (Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch Sie haben zugestimmt, Herr Omnipour. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich heiße Nouripour!) Auch Sie sind mit daran schuld, wenn in diesen Tagen immer wieder junge Menschen den Terroristen in die Hände getrieben werden. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr van Aken, Sie müssen zum Schluss kommen. Sie haben die Zeit weit überschritten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Jan van Aken (DIE LINKE): Wurde die Uhr angehalten? Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Das habe ich schon dazugelegt. Jan van Aken (DIE LINKE): Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. (Beifall bei der LINKEN) Waffenexporte finden wir als Linke genauso falsch wie den Krieg in Afghanistan. Wir werden genauso weiter dagegen kämpfen wie gegen Ihren Krieg in Afghanistan. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Sarrazin, wünschen Sie eine Kurzintervention? Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrter Herr Kollege van Aken, ich schätze Sie persönlich sehr. (Zurufe von der CDU/CSU) – Im persönlichen Umgang ist er eigentlich ein sehr Netter. Wir haben in der letzten Sitzungswoche eine Debatte geführt, in der Sie den Herrn Außenminister beschuldigt haben – ich gebe das wieder –, er sei mitschuldig an den Toten im Mittelmeer. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, schuldig!) Jetzt sagen Sie: Alle, die in den letzten 13 Jahren im Bundestag gesessen haben, seien mitschuldig an den Toten in Afghanistan. Ich möchte feststellen, dass es auch Abgeordnete im Deutschen Bundestag gibt, die das immer abgelehnt haben. Vielleicht sind sie aus Ihrer Sicht auch mitschuldig an den Toten in Afghanistan. Ich möchte für mich und für alle meine Kollegen zurückweisen, dass uns persönliche Schuld trifft. Außerdem bitte ich Sie, nicht in jeder Sitzungswoche irgendwelche persönlichen Schuldzuweisungen zu machen. Ich kann das nicht mehr ertragen. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU) Jan van Aken (DIE LINKE): Ich würde einem Christian Ströbele nie vorwerfen, dass er persönlich mitschuldig an Toten in Afghanistan ist. Ich habe das eben auch nicht gesagt. (Dagmar Ziegler [SPD]: Doch! Eindeutig!) Ich habe in der vergangenen Woche auch nicht zu Herrn Steinmeier gesagt, er sei schuld an Toten in Afghanistan. (Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: Natürlich! Lesen Sie doch nach!) Ich habe wörtlich gesagt – lesen Sie es nach –: Sie haben eine Mitschuld. – Auch das habe ich damals begründet. Ich habe „Mitschuld“ gesagt. Das ist ein ganz großer Unterschied. Schuld ist etwas anderes. Mitschuld haben Sie in dem Moment, in dem Sie bestimmte Hilfeleistungen verweigern. Wenn jemand ertrinkt, dann hat derjenige, der eine Hilfeleistung verweigert, Mitschuld. Das ist erst einmal ein Faktum, noch gar kein Vorwurf. (Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: Das ist eine Frechheit!) Genauso ist es ein Faktum, dass all diejenigen, die hier im Bundestag für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gestimmt haben, natürlich auch eine Mitschuld an der Verlängerung des Krieges dort haben, ja, dazu stehe ich, aber natürlich nicht die, die dagegen gestimmt haben: Herr Ströbele nicht, Herr Gysi nicht, ich persönlich auch nicht. Nein, das weise ich von mir. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Abtritt!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass es nicht parlamentarischem Gebrauch, aber auch nicht der Sache entspricht, wenn hier Kolleginnen und Kollegen, egal ob sie der Bundesregierung oder dem Parlament angehören, die Schuld oder Mitschuld am Tod anderer Menschen vorgeworfen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das überschreitet die Grenzen der politischen Auseinandersetzung. Ich bitte wirklich darum, dass wir in der politischen Auseinandersetzung sehr sorgfältig abwägen, (Zurufe von der LINKEN) welche Begriffe und welche Worte auch in schwierigen politischen Debatten benutzt werden. Das sind wir uns und dem Ansehen des Parlaments schuldig. Das sind wir aber auch den Menschen in Afghanistan schuldig. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt erteile ich dem Kollegen Niels Annen das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Niels Annen (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin, auch für diese, wie ich finde, zutreffenden und richtigen Worte. Nach dem Verlauf einer solchen Debatte ist man ein wenig ratlos, wie es gelingen soll, die Diskussion wieder auf die Menschen zu richten, um die es geht, nämlich um die Menschen in Afghanistan. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, eines kann man Ihnen zugestehen, Herr van Aken: Ihnen und Ihrer Fraktion gelingt es seit 13 Jahren, mit gezielten Provokationen eine sachliche Debatte über die differenzierte Lage in Afghanistan zu verhindern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen kann ich jetzt meine Redezeit darauf verwenden, darauf hinzuweisen – das will ich auch gerne tun –, dass der Krieg, den nicht nur die Amerikaner, sondern auch wir und eine internationale Gemeinschaft, die ISAF, geführt haben, auf der Grundlage einer UN-Resolution geführt worden ist und damit keineswegs völkerrechtswidrig gewesen ist. Das ist übrigens genau das, was Ihre Fraktion immer einfordert, nämlich internationales Recht nicht nur einzuhalten, sondern auch durchzusetzen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Trotzdem will ich mich nicht von Ihnen davon abhalten lassen, heute über Afghanistan zu reden. Es ist nämlich eine wichtige Debatte, und es ist auch eine Zäsur. Denn es geht eine Epoche zu Ende. ISAF endet am 31. Dezember dieses Jahres. Es war in der Tat – ich glaube, das zeigen auch die Debatten, die wir in diesem Hause geführt haben – ein schwerer Einsatz. Niemand hier – keine Fraktion und kein Abgeordneter, den ich kenne – hat es sich über diese Jahre leicht gemacht, weder mit der Zustimmung noch, wenn es denn der Fall war, mit einer Ablehnung oder einer Enthaltung. Es war niemals eine einfache Entscheidung. Ich glaube, das ist auch der Grund, weswegen gerade die Menschen in Afghanistan bis heute ein großes Interesse an diesem Einsatz haben und ihn unterstützen. Ich möchte mich dem Dank der Ministerin an die Soldatinnen und Soldaten, die Diplomatinnen und Diplomaten und die Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer ausdrücklich anschließen, und ich will auch die Angehörigen in diesen Dank miteinbeziehen. Denn auch sie haben einen großen Beitrag zu diesem Einsatz geleistet, und wir müssen an dieser Stelle auch an sie denken. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir blicken zurück auf einen Einsatz, in dem nicht alles gut war und in dem wir auch Fehler gemacht haben. In vielerlei Hinsicht war unser Land auf diesen Einsatz nicht vorbereitet. Aber deswegen ISAF und den Einsatz der internationalen Gemeinschaft als komplett gescheitert zu bezeichnen, ist, glaube ich, der Sache nicht angemessen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ist er aber!) Letzten Endes kann man die Lage in Afghanistan nicht in Schwarz oder Weiß zeichnen. Das wird keinem Land gerecht, und gerade dem Land, über das wir reden, nicht. Wir haben in den letzten Wochen wirkliche Fortschritte erlebt. Afghanistan hat den ersten demokratischen Regierungswechsel in der Geschichte des Landes erlebt. Ist er ohne Makel gewesen? Nein, selbstverständlich nicht. Aber es hat – darauf muss man hinweisen – einen Regierungswechsel gegeben, bei dem der Präsident, der amtierende Machthaber, nicht nur die Macht abgegeben hat, sondern auch im Land geblieben ist, und zwar unversehrt und bei bester Gesundheit. Das klingt für uns ganz normal. Aber es ist für Afghanistan eine einmalige Situation gewesen, und wir haben dazu bei-getragen. Darauf können wir stolz sein. Wir können vor allem darauf stolz sein, dass es die afghanischen Sicherheitskräfte waren, die mit unserer Unterstützung diesen Wahlgang möglich gemacht und dazu beigetragen haben, einen Teil einer demokratischen Kultur zu etablieren. Das kann man an dieser Stelle auch einmal sagen, Herr van Aken. Ich glaube, dabei fällt Ihnen kein Zacken aus der Krone. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ja, es ist richtig: Die Sicherheitslage ist nicht zufriedenstellend. Und ja, es ist richtig: Es wird in Afghanistan gekämpft, fast jeden Tag. Es gibt weiterhin Anschläge, Unsicherheit und Terrorismus, die das Land nicht zur Ruhe kommen lassen. Dennoch halten wir Wort, meine sehr verehrten Damen und Herren: Der Kampfeinsatz am Hindukusch endet. Für mich ist das eine Gelegenheit, ein wenig Bilanz zu ziehen. (Zuruf von der LINKEN: Dann mal los!) Es ist doch so, dass der eine oder andere diesen Einsatz mit der Jahreszahl 2014 schon fast ein wenig abgehakt hat, nach dem Motto „Afghanistan 2014: ISAF endet – Endlich sind wir dieses Problem los“. Ich glaube, das wäre der falsche Ansatz. Wir sollten nicht den Fehler machen, die Bedeutung Afghanistans für die Region, aber auch für den Weltfrieden insgesamt zu unterschätzen. Wir haben in diesem Hause in den letzten Wochen und Monaten häufig über die Entwicklung im Nahen Osten und insbesondere über ISIS diskutiert. Man muss doch einmal zur Kenntnis nehmen, dass überall, beispielsweise in Nordafrika und in der Region, über die wir heute diskutieren, ISIS-Zellen Stück für Stück Al-Qaida-Zellen übernommen haben und in Pakistan aktiv rekrutieren. Wenn die internationale Gemeinschaft den Fehler wiederholen sollte, den sie schon einmal nach dem Abzug der Sowjets gemacht hat, nämlich sich von Afghanistan abzuwenden, dann sage ich Ihnen voraus, Herr van Aken, dass wir hier noch viel häufiger über Afghanistan diskutieren werden, als Ihnen und uns das recht sein kann. Mit der Tatsache, dass wir heute über ein Nachfolgemandat diskutieren und es auf den Weg bringen, senden wir zugleich die Botschaft an die Menschen in Afghanistan: Wir jedenfalls werden diesen Fehler nicht wiederholen. Wir lassen euch bei eurer Entwicklung nicht alleine. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es stimmt, die Ziele in Afghanistan waren hochgesteckt. Vermutlich waren sie zu hoch angesetzt. Ich habe bereits darauf hingewiesen: Die Sicherheitslage ist insgesamt gesehen weiterhin nicht gut. Es gibt genügend Konflikte, mit denen wir uns weiterhin auseinandersetzen müssen. Afghanistan ist weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt. Es gibt Korruption. Der Drogenanbau ist nicht eingedämmt. Gewalt gegen Frauen gehört weiterhin zum Alltag. Ja, all das ist Realität. Aber wir leugnen diese Realität nicht. Ich frage mich manchmal, wo Sie eigentlich die letzten Jahre gewesen sind, meine -Damen und Herren von der Linken, als hier über Afghanistan diskutiert wurde. (Zuruf von der LINKEN: Wir haben Ihnen zugehört!) Bedauerlicherweise ist es immer nur der negative Teil der Bilanz, den Sie heranziehen. Ich finde es wirklich bedauerlich, dass Afghanistan in unserer Debatte eigentlich zu einer Art Projektionsfläche für eine innenpolitische Diskussion über Pazifismus, Militarismus und vieles mehr, über das man legitimerweise diskutieren kann, geworden ist. Lassen Sie uns darüber diskutieren, aber deswegen nicht die Augen vor der Wirklichkeit in Afghanistan verschließen! Das wäre der falsche Weg. Wir brauchen eine realistische Debatte. Diese können wir auch heute führen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zur Realität gehört auch: Die afghanische Gesellschaft ist heute eine andere. Sie ist freier, pluraler und gebildeter. Es gibt eine lebendige Zivilgesellschaft in Afghanistan, die sich zu Wort meldet. Wollen wir alle diese Menschen alleinelassen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Es gibt in Afghanistan eine Medienlandschaft, die ihresgleichen in der Region sucht; darüber haben wir schon gesprochen. 40 Prozent der Kinder, die in Afghanistan zur Schule gehen, sind Mädchen. Das hat auch etwas mit der Arbeit von ISAF in den letzten Jahren zu tun. Das wird von einem Teil der Opposition auch anerkannt; darüber freue ich mich. Ich habe das in Ihrem Entschließungsantrag gelesen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen. Ich bin aber enttäuscht darüber, dass die Mehrheit Ihrer Fraktion, wie zu hören ist, heute gegen dieses Mandat stimmen wird. Wir sind diesen Weg gemeinsam gegangen, als es schwierigste Entscheidungen zu treffen galt. Dass es ausgerechnet jetzt, wo es um eine Ausbildungsmission geht, mit dieser Gemeinsamkeit vorbei sein soll, bedauere ich außerordentlich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es eine wäre, wäre es gut!) ISAF war eine außergewöhnliche Mission, die auch Todesopfer gefordert hat. Die Zusammenstellung, die Dauer und die Truppenstärke, all das war kompliziert. Diese Mission hat zu wichtigen Ergebnissen geführt, aber auch zu Problemen. Das Verhältnis von ISAF zu OEF war mehr durch ein Gegeneinander als durch ein Miteinander geprägt. Meine Fraktion hat großen Wert darauf gelegt, dass die zweite Mission, in deren Rahmen der Antiterrorkrieg geführt wurde, beendet wurde. In diesem Zusammenhang möchte ich an die gestrige Diskussion über den Bericht des Kongresses zu den Foltermethoden erinnern, die auch in Afghanistan angewendet wurden. Das hat auch unserem Ansehen großen Schaden zugefügt. Wir haben also genügend Gründe, kritisch und selbstkritisch auf diese Jahre zurückzublicken. Ich glaube, dass wir das immer getan haben. Es war aus meiner Sicht ebenfalls ein Fehler, dass wir es nicht vermocht haben, zu Beginn des Prozesses alle Konfliktparteien und Akteure an einen Tisch zu bekommen. Es hat Jahre gedauert, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass man auch mit den Taliban wird verhandeln müssen. Es hat zu lange gedauert, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass man die regionalen Mächte an einen Tisch bekommen muss, nicht nur Pakist-an, sondern auch den Iran. Das ist leider immer wieder – auch am Widerstand der Vereinigten Staaten von Amerika – gescheitert. Daran müssen wir jetzt weiter politisch arbeiten. Ich glaube, man kann heute sagen: Deutschland wird sich weiter seiner Verantwortung für eine gute Entwicklung in Afghanistan stellen. Es gibt auch einige Lehren, die wir miteinander ziehen müssen. Wir reden über die Frage, ob Afghanistan eine Chance hat. Eine Garantie gibt es dafür nicht. Aber die neue afghanische Regierung bemüht sich zumindest, die Fehler, die zum Beispiel Herr al-Maliki im Irak gemacht hat, nicht zu wiederholen, und versucht, alle gesellschaftlichen Gruppierungen mit einzubeziehen. Wir unterstützen sie dabei. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das kann man an dieser Stelle einmal sagen: Es gibt eine Sicherheitsratsresolution, die die Resolute Support Mission unterstützt. Ich bin unserem Außenminister sehr dankbar dafür, dass er sich wiederholt und unermüdlich dafür eingesetzt hat, dass es diese Sicherheitsratsresolution gibt und dass wir auf dieser Grundlage hier heute entscheiden können. (Beifall des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) Ich glaube, man kann auf eines doch einmal hinweisen: Afghanistan – man mag es kaum glauben – war einst ein friedliches und ein lebenswertes Land. Bis heute erinnern sich viele Afghanen an diese Zeit, eine Zeit, in der Afghanistan freundschaftliche Beziehungen zu Deutschland unterhalten hat. Ich finde, auch wir sollten uns an diese Zeit erinnern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Tom Koenigs das Wort. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann bei Herrn Annen gleich anknüpfen: Ja, wir brauchen einen langen Atem, und wir brauchen einen kühlen Kopf; denn Afghanistan braucht uns noch viele Jahre, braucht unsere Unterstützung. Wir haben Unterstützung in Höhe von 430 Millionen Euro für die nächsten Jahre zugesagt. Ich würde mir wünschen: auch darüber hinaus. Ich würde mir auch wünschen, wir könnten die 280 Millionen Euro, die die Resolute Support Mission kostet, auch für zivile Projekte verwenden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Denn wir haben die Verantwortung für die Sicherheit an die afghanischen Sicherheitskräfte abgegeben. Die nehmen diese Verantwortung jetzt wahr. Und da, wo wir jetzt mit zivilen Projekten arbeiten, wird sie auch nur von denen garantiert und nicht von Kräften der Resolute Support Mission. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Afghanen brauchen unsere Unterstützung und unsere Projekte, aber als Softpower, nicht als militärische Kraft, nicht mehr als militärische Kraft. ISAF ist zu Ende. Dieses ist kein Fortsetzungsmandat, sondern dieses ist ein neues Mandat, ein neues Mandat ohne absehbares Ende. Man weiß nicht, wo das hingeht. Das erinnert uns an die Jahre 2002/2003. Da war das auch kein Kampfmandat, kein Kriegsmandat. Wo geht das hin? (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Genau, wo geht das hin?) Der letzten Mission, ISAF, haben viele von unserer Fraktion zugestimmt, weil es das Exitmandat war, es eine Exitstrategie gab. Die gibt es hier leider nicht. Hier gibt es keine Beschränkung. Jetzt heißt es immer, das sei aber ein Ausbildungsmandat, als ob man dann auch schnell weg könnte. Die Ausbildung ist aber der allerkleinste Teil. Es werden – wenn man genau hinsieht, stellt man das fest – nur 100 Leute zur Ausbildung verwendet, davon 40 zur Ausbildung der Polizei. Jeder weiß, dass die Polizei besser durch die Polizei ausgebildet wird. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Dafür haben wir EUPOL, für die wir dringend Leute brauchen. Dafür haben wir das deutsche Polizeiprojekt GPPT, das auch zusätzliche Leute brauchen könnte. Für die 50 Militärausbilder, die wir dann vielleicht noch brauchen, könnte man ein ganz anderes Mandat konzipieren. Wir werden im Januar über so ein Mandat, ein kleines Ausbildungsmandat, für die Peschmerga diskutieren. In Wirklichkeit geht es um etwas anderes – das steht auch in dem Mandat –, nämlich um die Aufrechterhaltung des Camp Marmal, des Riesenmilitärstützpunktes im Norden Afghanistans. Nun haben die Vereinigten Staaten ein Konzept der Stützpunkte, die sie aus geopolitischen Gründen dort brauchen. Wir brauchen die nicht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sind auch nicht Teil dieser geopolitischen Strategie. Aber in dem Mandat steht, dass wir das durch den Betrieb des Flughafens unterstützen. Was? Special Operations, die wir nicht wünschen. Drohnen? Vielleicht auch. Capture-and-kill-Aktionen? Es steht in der Vereinbarung sowohl der Amerikaner als auch der NATO mit den Afghanen, dass das nicht passiert. Passiert aber doch. Stand immer drin – passiert aber doch, wird auch weiter passieren. Und natürlich CIA. Wollen wir da mithelfen? Wenn die Amerikaner das unbedingt brauchen, warum betreiben sie dann diesen Stützpunkt nicht zusammen mit den Afghanen? Warum müssen wir da noch der Pudel sein, der das macht? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, warum?) Ich möchte einen letzten Punkt anführen. Im Jahre 2007, als sich der Konflikt verschärfte und wir zu Recht von Krieg gesprochen haben, haben wir uns – „wir“ war damals auch ich in der zivilen Mission der Vereinten -Nationen UNAMA – darum gekümmert, dass etwas gegen die Kollateralschäden, gegen die zivilen Opfer von kriegerischen Auseinandersetzungen, gemacht wird, dass darauf geachtet wird, dass darüber berichtet wird, dass daran zusammen gearbeitet wird. Das ist dann natürlich in das Mandat von UNAMA eingeflossen, aber auch in das Mandat von ISAF. In dem Mandat für die Resolute Support Mission vom UN--Sicherheitsrat findet sich davon nichts mehr. Darin gibt es keine Zusammenarbeit mit der zivilen Mission der Vereinten Nationen und auch keinen Fokus auf das, wo-rüber wir doch so viel geredet haben, Stichwort „Kollateralschäden“. Den ganzen Kunduz-Untersuchungsausschuss befasste das; immer wieder haben wir uns darum gekümmert. Es gab sogar einen General der ISAF, -McChrystal, der das für kurze Zeit ganz ins Zentrum -gerückt hat. Das ist eine politisch immens wichtige Geschichte, die wir nicht einfach außen vor lassen wollen. Aus diesem und aus vielen anderen Gründen hat sich die Mehrheit unserer Fraktion entschlossen, diesem Mandat nicht zuzustimmen. Es gibt Einzelne, die aus Gewissensgründen sagen: Wir stimmen dennoch zu. – Ich respektiere das sehr, weil ich lange Zeit in der Position war, nur mit umgekehrter Konnotation. Letzten Endes glaube ich, dass diese Mission zur Sicherheit in Afghanistan nichts beitragen wird, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) dass sie für die symbolische Präsenz die falschen Signale gibt. Ich möchte, dass wir als Softpower in Afghanistan engagiert bleiben, mit 430 Millionen Euro und am besten auch den 280 Millionen Euro jährlich, die Sie für das Militär brauchen, für ziviles Engagement. Danke sehr. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Andreas Nick das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast auf den Tag genau 13 Jahre nach dem Petersberger Abkommen geht die Entwicklung Afghanistans in eine entscheidende neue Phase. Im Rahmen der beendeten ISAF-Mission war die Bundeswehr mit insgesamt 135 000 Einsätzen in Afghanistan beteiligt, darunter auch das Lazarettregiment 21 aus Rennerod in meinem Wahlkreis. Unser Dank gilt deshalb zuerst allen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, den Mitgliedern der Bundespolizei, den zivilen Mitarbeitern und ihren Angehörigen; denn ohne sie und ihr unermüdliches Engagement stünde Afghanistan heute nicht dort, wo es ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Natürlich denken wir dabei besonders an die 55 Soldaten, die in diesem Einsatz ihr Leben verloren haben. Nach 13 Jahren bleibt festzuhalten: Wir haben dieses Land und seine Menschen weder dem Chaos noch der Schreckensherrschaft der Taliban überlassen. Wenn die Linke in ihrem Entschließungsantrag heute so tut, als sei der ISAF-Einsatz die Ursache aller Probleme in Afghanistan, dann zeigt das nicht nur einmal mehr ihre Wirklichkeitsverweigerung und ideologische Verblendung, sondern es ist auch eine unerträgliche Herabsetzung unserer Soldaten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir schulden allen, die sich für das Land engagiert und eingesetzt haben, dass Afghanistan mit dem Ende von ISAF nicht erneut ins Chaos zurückfällt. Die Entwicklung im Irak hat uns doch gerade gezeigt, welche Folgen ein allzu übereilter Abzug aus der Verantwortung haben kann. Es ist schon darauf hingewiesen worden: Erstmals hat in diesem Jahr eine demokratisch gewählte Regierung in Kabul die Verantwortung für das Land – bei allen damit verbundenen Schwierigkeiten – an eine ebenfalls demokratisch gewählte Nachfolgeregierung übergeben. 2015 beginnt eine neue Dekade der Transformation in Afghanistan mit dem eindeutigen Schwerpunkt auf zivilen und entwicklungspolitischen Zielen. Das heißt auch: Die -afghanischen Sicherheitskräfte müssen die Verantwortung für die Sicherheit im Land künftig selbst übernehmen. Dabei werden wir sie aber auch in Zukunft unterstützen. Die militärische Nachfolgemission Resolute Support ist deshalb auch kein Kampfeinsatz mehr, sondern im Kern eine unterstützende Ausbildungs- und Trainingsmission. Aber täuschen wir uns nicht: Wir werden in Afghanistan einen langen Atem brauchen, damit dort der Übergang hin zu einem langfristig stabilisierten Staat gelingen kann. Dazu gehört auch verstärktes wirtschaftliches Engagement für dieses Land. 65 Prozent der Bevölkerung in Afghanistan sind unter 25 Jahre alt. Diese jungen Menschen brauchen für ihr Leben auch eine persönliche und berufliche Perspektive in ihrer Heimat. Wahr ist auch, dass 80 Prozent des afghanischen Staatshaushaltes heute noch von der internationalen Gemeinschaft finanziert werden, ein dauerhaft nicht haltbarer Zustand. Unser Engagement in Afghanistan hat aber auch Bedeutung über das Land hinaus; denn eine erneute Destabilisierung hätte unmittelbare Konsequenzen für die gesamte Region, vor allem für das Nachbarland Pakistan. Der Bürgerkrieg in Syrien hat uns doch gezeigt, wie illusorisch die Vorstellung ist, solche Konflikte auf ein Land begrenzen und in ihren Auswirkungen isolieren zu können. Der am Dienstag verübte menschenverachtende Anschlag auf eine pakistanische Schule in Peschawar zeigt im Übrigen eindringlich, wie akut die Bedrohungslage in der gesamten Region weiterhin ist. Auch für uns in Deutschland gilt: Die Erfahrungen in Afghanistan haben unsere Sichtweise auf militärische Auslandseinsätze nachhaltig verändert. Es ist richtig: Militäreinsätze allein beseitigen keine Konflikte, aber der militärische Beitrag ist dort zentral, wo es zunächst einmal darum geht, Sicherheit wiederherzustellen oder zu gewährleisten sowie lokale Sicherheitskräfte auszubilden. Aber dauerhaft werden sich Konfliktursachen nur mit einem breiten Ansatz von nachhaltiger Entwicklung, vernetzter Sicherheit und ziviler Krisenprävention erfolgreich beseitigen lassen. Zur politischen Bewertung gehört daher auch eine kritische Überprüfung, was die verschiedenen Einsätze gebracht haben und was man für die Zukunft daraus lernen kann – bei der Zieldefinition ebenso wie bei der Gewichtung der eingesetzten Instrumente. Damit schaffen wir auch die notwendige Grundlage für eine ausreichende strategische Tiefe bei möglichen künftigen Einsätzen. Nur so werden wir es auch erreichen, die strategischen Erfordernisse künftiger Missionen unseren Bürgerinnen und Bürgern plausibel zu vermitteln. Bei diesen Aufgaben kann und muss der Prozess zur Erstellung eines neuen Weißbuchs einen wichtigen Beitrag leisten. Gestatten Sie mir ein persönliches Wort zum Schluss. Ursprünglich war ich heute nicht als Redner in dieser Debatte vorgesehen; (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das merkt man!) denn eigentlich hätte für meine Fraktion unser geschätzter Freund und Kollege Andreas Schockenhoff hier stehen sollen. Auch in den Fragen unseres Engagements in und für Afghanistan hat er die außenpolitische Debatte in Deutschland maßgeblich mitgeprägt. Seinem engagierten Wirken in dieser Frage bleiben wir auch mit unserer heutigen Entscheidung verpflichtet. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrte Präsidentin! Lieber Andreas! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So kurz vor Weihnachten fällt leider der Rückblick auf das Jahr 2014, zumindest außen- und sicherheitspolitisch, nicht so aus, wie wir uns das am Anfang des Jahres vorgestellt bzw. gewünscht haben. Das nun fast vergangene Jahr ist gekennzeichnet von einer deutliche Zunahme internationaler Konflikte, dem reihenweisen Zerfall von staatlichen Strukturen, islamistischem Terror und unvorstellbaren Flüchtlingsströmen. Neben der besorgniserregenden Krise mit der Russischen Föderation und dem anhaltenden Bürgerkrieg in Syrien verbreitet vor allem die Terrororganisation „Islamischer Staat“ Gewalt und Schrecken in barbarischem Ausmaß. Die vielerorts enttäuschten Hoffnungen des Arabischen Frühlings, vor allem die verheerende Lage in Libyen und in der Sahelzone, zeigen uns, welche großen Gefahren das Versinken ganzer Regionen in Chaos und Anarchie auch für uns in Deutschland und in Europa mit sich bringt. Angesichts dieser Entwicklungen, die uns in vielerlei Hinsicht auch direkt betreffen, ist es heute gar keine Frage mehr, ob wir mehr Verantwortung in der Welt übernehmen sollen und wollen. Wir müssen es, und wir tun es bereits. Gemeinsam mit unseren Partnern ist deutsche Diplomatie, deutsche humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe sowie der Einsatz deutscher Sicherheitskräfte notwendiger denn je. Deutschland geht dabei besonnen und konsequent mit diesen vielen Herausforderungen um. Das ist Bundeskanzlerin Merkel und ihren Ministern Ursula von der Leyen, Gerd Müller und Frank-Walter Steinmeier zu verdanken. Dafür möchte ich ihnen an dieser Stelle ausdrücklich danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mittlerweile gibt es allerdings so viele Konfliktherde, dass unser größter Einsatz in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit fast in Vergessenheit geraten ist: Das ist unser Einsatz in Afghanistan. Hier übernehmen wir bereits seit 13 Jahren Verantwortung in großem Umfang. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben einen außerordentlichen Beitrag für das afghanische Volk geleistet und sich für die Stabilisierung dieses Landes eingesetzt, damit eben Unterdrückung aufhört, damit das Sterben aufhört. Das ist auch Ziel unseres Einsatzes. Wir haben dabei 55 Soldaten verloren. Viele sind traumatisiert aus dem Einsatz zurückgekehrt. Längst ist klar, dass es sich in Afghanistan keineswegs um eine ungefährliche Mission handelte. Ich möchte unseren Soldatinnen und Soldaten und auch allen zivilen Helferinnen und Helfern deshalb an dieser Stelle für ihren Einsatz noch einmal ausdrücklich danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Einsatz war bisher nicht umsonst. Heute konnte beispielsweise durch die afghanischen Sicherheitskräfte, die wir ja ausgebildet haben, ein 13-jähriger Selbstmordattentäter gestellt und verhindert werden, dass er den Selbstmord vollzieht und die Bombe zündet – dank unserer Ausbildung! Mehr Menschen als jemals zuvor haben heute Zugang zu Wasser und zu Strom, zu ärztlicher Versorgung und zu Bildung. Diese Erfolge wollen und dürfen wir nicht einfach vom Tisch wischen. Zu einer ehrlichen Bilanz gehört es auch, sich einzugestehen, dass nicht alles optimal war. Natürlich haben wir auch Fehler gemacht. Aus diesen Fehlern haben wir bereits gelernt. Mittlerweile haben wir beispielsweise den Grundsatz, immer erst die Ordnungskräfte vor Ort oder die Partnerländer in den Problemregionen der Welt zu ertüchtigen. Wichtig ist nun, dass wir unsere Verantwortung, die wir 13 Jahre lang in Afghanistan übernommen haben, nicht abrupt beenden. Wenn unser Einsatz für die genannten Errungenschaften nicht umsonst sein soll, müssen wir den endgültigen Abzug den Bedingungen und Entwicklungen im Land anpassen. Es muss klar sein, dass wir die afghanische Armee in der immer noch gefährlichen Sicherheitslage nicht alleinlassen. Wir sehen in Mali und wohl am eindrucksvollsten im Irak, was dies bedeuten kann. Es wäre fatal, Afghanistan nun einfach sich selbst zu überlassen. Wir dürfen den Einsatz nicht vorschnell beenden, und auch die Entwicklungshilfe muss weiterlaufen. Auch der Weg der Aussöhnung mit Pakistan, den der neue Präsident Ashraf Ghani beschreitet, muss unterstützt werden. All das ist der großen Mehrheit in diesem Hause zum Glück bewusst. Aber bei den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen – das betrübt mich schon nach den vielen Jahren – herrscht jetzt große Verwirrung: Ja – Nein – Enthaltung. Das ist kein sehr souveräner Auftritt und zeichnet kein sehr souveränes Bild bei einer solch wichtigen Frage. Ein großer Teil von Ihnen möchte offensichtlich so schnell wie möglich raus aus Afghanistan, koste es, was es wolle. (Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Was ein überstürzter Totalabzug aber kosten würde, ist klar: Ein zweiter Irak wäre möglicherweise die Folge. Ich fordere die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen auf: Stehlen Sie sich nicht aus der Verantwortung für Afghanistan! Hören Sie lieber auf Ihren Parteichef Özdemir, der in der taz mit folgenden Worten zitiert wird: „Es gibt nicht nur eine Verantwortung, wenn man reingeht, sondern auch beim Rausgehen.“ Und: Afghanistan dürfe nicht „zum neuen Irak werden.“ Recht hat er an dieser Stelle. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Mandat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 18/3583 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Beteiligung am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan. Mir liegen eine Reihe von Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Entsprechend unseren Regeln nehmen wir diese zu Protokoll.3 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/3246 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarte, die Sie verwenden, Ihren Namen trägt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Es fehlen noch Schriftführerinnen und Schriftführer, sowohl aus den Reihen der Opposition wie aus den Koalitionsfraktionen. Ich bitte um ein Zeichen, wenn alle Schriftführerinnen und Schriftführer ihren Platz gefunden haben. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.4 Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, damit wir die folgenden Abstimmungen durchführen und vor allen Dingen die Abstimmungsergebnisse zweifelsfrei feststellen können. Meine Bitte, die Plätze einzunehmen, richtet sich sowohl an die Kolleginnen und Kollegen in den Fraktionen als auch an die Mitglieder der Bundesregierung. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3589. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3590. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Zusatzpunkt 6: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3270 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall, dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich bitte jetzt all die Kolleginnen und Kollegen, die unseren Beratungen leider nicht weiter folgen können oder wollen, aber noch in lockeren Gesprächsgruppen im Plenarsaal verteilt sind, ihre Gespräche nach draußen zu verlagern. Diese Bitte richtet sich wiederum an alle Fraktionen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation ACTIVE ENDEAVOUR im Mittelmeer Drucksachen 18/3247, 18/3584 Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3593 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Werte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine sehr verehrten Herren! Als am 12. September 2001 Bundeskanzler Gerhard Schröder von genau dieser Stelle aus die uneingeschränkte Solidarität der Bundesrepublik Deutschland den Vereinigten Staaten von Amerika versicherte, war dies, sicherheitspolitisch gesehen, ein wichtiger, vielleicht sogar der wichtigste Moment der letzten 65 Jahre, in dem sich unser Land, Deutschland, klar und unmissverständlich zu seinen Bündnispartnern, zu seinen internationalen Verpflichtungen bekannte. Es war das richtige Signal am Tag danach, als wir, das gesamte Nordatlantische Bündnis, ja die ganze Welt, den Atem unter dem Schock der Bilder aus New York und Washington anhielten: ein Terroranschlag, dessen Ausmaß und Folgen auch heute noch nachhallen. Eine dieser Folgen, meine Damen und Herren, ist die Operation Active Endeavour im Mittelmeer, geführt von der NATO. Seit nunmehr 13 Jahren leisten die Soldatinnen und Soldaten ihren Beitrag zur Terrorismusabwehr auf See; ein präventiver Ordnungsfaktor, der die Sicherheit im Mittelmeerraum verbessert und uns jederzeit ein zuverlässiges Lagebild liefert. Doch 9/11 darf nicht auf ewig als Begründung für diesen Einsatz gelten: nicht mehr als Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages und demnach nicht mehr als Recht zur kollektiven Selbstverteidigung im Sinne des Artikels 24 Absatz 2 des Grundgesetzes. Wir Sozialdemokraten sagen dies schon lange. Jedoch so wie Gerd Schröder 2001 die heute so oft beschworene Rolle Deutschlands in der Welt über- und auch auf sich nahm, wie er Solidarität mit dem amerikanischen Volk übte, so liegt es auch heute wieder in unserem Auftrag, in unserer Verantwortung, über die Zukunft dieser Mission nachzudenken – in Verantwortung gegenüber unseren Partnern, noch mehr in Verantwortung gegenüber unseren Soldatinnen und unseren Soldaten. Meine Kolleginnen und Kollegen, es ist müßig, darüber zu diskutieren, ob die bis letztes Jahr 30 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz oder die theoretisch mög-lichen 500 in einer konkreten oder abstrakten Bedrohungssituation sind. Fakt ist: Ihnen allen gegenüber haben wir die Verpflichtung, klar und deutlich in diesem Haus zu sagen, für welche Art des Einsatzes wir sie ins Mittelmeer entsenden. Und, meine Damen und Herren, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Artikel 5 und die kollektive Selbstverteidigung ziehen bei genauer Betrachtung nicht mehr. Daraus jedoch den Schluss zu ziehen, den manche ziehen, indem sie „Aus! Schluss! Vorbei!“ folgern, wäre falsch. Schließlich wollen wir Sicherheitspolitik gestalten. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu glaubhafter Sicherheitspolitik gehört auch, den einmal ausgelösten Bündnisfall nach Artikel 5 auch wieder ruhen lassen zu können. Diese aktive Rolle nimmt Deutschland wahr, nach innen und gegenüber unseren Partnern, wenn sich unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für die längst überfällige Entkoppelung von Active Endeavour und Artikel 5 einsetzen. Dass dies nicht von heute auf morgen geht, ist selbstverständlich. Einen Konsens bei vielen Mitgliedstaaten herbeizuführen, wird immer intensive diplomatische Anstrengungen erfordern. Deshalb freue ich mich, zu hören, dass sich sowohl Frankreich als auch die USA in diesem Punkt bewegen. Auch die Fortschritte beim NATO-Summit im September in Wales belegen, dass diplomatische Bemühungen Deutschlands um eine Entkoppelung nicht ergebnislos verhallen; denn der Einsatz selbst ist mit der richtigen Begründung und Rechtslage – Routineaufgaben der Luftüberwachung und Aufklärung – durchaus zu begrüßen. Er ist wichtiger Teil europäischer, ja transatlantischer Sicherheitspolitik. Meine Damen, meine Herren, gerade die schwierige Situation der Mittelmeeranrainer unterstreicht, dass wir Lage und potenzielle Gefahr nicht unterschätzen sollten. Der Nahe Osten spricht soeben seine eigene Sprache. Deshalb wünsche ich – vielleicht begünstigt durch den Advent, die Vorweihnachtszeit und das neue Jahr – Frank-Walter Steinmeier und Ursula von der Leyen viel Glück und Erfolg im Werben um ein neues juristisch sauberes Fundament für diese Mission der Sicherheit. Ich möchte an die Adresse von Frank-Walter Steinmeier und Ursula von der Leyen auch sagen: Halten Sie diesen Druck aufrecht mit dem Rückenwind und der Unterstützung aus diesem Hohen Haus. Die Unterstützung der SPD haben Sie. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Leider!) Wir haben als Bundesrepublik Deutschland die Operation Active Endeavour vor 13 Jahren gemeinsam mit unseren Partnern begonnen, und wir werden sie nicht ohne unsere Partner beenden. Dies ist Ausdruck von Verlässlichkeit, dies ist das Signal, das wir aussenden, wenn wir heute einer – hoffentlich letzten – Verlängerung von Active Endeavour im Kleide des alten Mandats zustimmen. Hierfür hat die Bundesregierung meine Unterstützung und die der SPD. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 593. Mit Ja haben 473 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 102; 18 haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 592; davon ja: 472 nein: 102 enthalten: 18 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Jana Schimke Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck (Bremen) Dieter Janecek Nicole Maisch Omid Nouripour Cem Özdemir Brigitte Pothmer Manuel Sarrazin Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Norbert Schindler SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Ute Finckh-Krämer Michael Groß Wolfgang Gunkel Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Cansel Kiziltepe Hilde Mattheis Markus Paschke Dr. Wilhelm Priesmeier Rüdiger Veit Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Volker Beck (Köln) Agnieszka Brugger Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Lisa Paus Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Enthalten SPD Swen Schulz (Spandau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Dr. Franziska Brantner Ekin Deligöz Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Oliver Krischer Renate Künast Dr. Tobias Lindner Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Tabea Rößner Elisabeth Scharfenberg Kordula Schulz-Asche Markus Tressel Nun hat der Kollege Stefan Liebich für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Stefan Liebich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Hoffentlich ist es das letzte Mal, hat Herr Brunner gesagt. Schauen wir elf Monate zurück, da haben wir hier so etwas Ähnliches schon einmal gehört. Wir tauschen jetzt wieder die gleichen Argumente aus, wie wir sie vor elf Monaten schon einmal ausgetauscht haben – leider, muss ich sagen. Wir hielten den Einsatz – anders als Herr Brunner, die CDU/CSU, die FDP, die Grünen und die SPD – von Anfang an für falsch, weil es im Mittelmeer keine Terrorgefahr gab und gibt. Aber nach der Debatte, die wir vor elf Monaten geführt haben, hatte ich die Hoffnung, dass das die letzte Abstimmung darüber gewesen ist. Außenminister Frank-Walter Steinmeier selbst hat uns da Hoffnung gemacht. Er hat vor elf Monaten – durchaus folgerichtig, weil er früher als Oppositionsführer zusammen mit den Grünen und unserer Fraktion bereits gegen das Mandat, über das wir hier reden, gestimmt hatte – gesagt: Der Bündnisfall kann heute, mehr als zwölf Jahre nach 9/11, nicht mehr dauerhaft tragfähige Rechtsgrundlage sein … Da hat er recht. (Beifall bei der LINKEN) Niels Annen, der hier vor elf Monaten für die SPD-Fraktion gesprochen hat, hat sehr deutlich gesagt: Wir stimmen … in der Erwartung zu, dass die Botschaft, die wir ausgesandt haben, aufgegriffen wird, dass die doch relativ kurze Zeit der Mandatierung – elf Monate – dafür genutzt wird, in der NATO dafür zu sorgen, dass dieser neue politische Konsens Gestalt annimmt, und dass wir gemeinsam mit unseren Bündnispartnern ein neues Mandat ohne den Bezug auf Art. 5 erreichen können. Auch der Kollege Beyer von der CDU/CSU-Fraktion hat vor elf Monaten in diese Richtung argumentiert. Er hat darauf hingewiesen, dass die NATO im vergangenen Jahr auf deutsche Initiative hin eine Option eröffnet hat, OAE perspektivisch in eine nicht durch Artikel 5 gestützte Operation zu überführen. Weiter sagte er vor elf Monaten: Die aktuelle Verlängerung des Mandats unter den geänderten Bedingungen stellt damit eine Übergangslösung dar. Sie ist ein wichtiger Schritt in dem Prozess zur Weiterentwicklung der Operation Active Endeavour. „Übergang“? „Weiterentwicklung“? – Heute soll der Bundestag exakt das Gleiche beschließen, was er vor elf Monaten beschlossen hat. Das ist doch absurd. (Beifall bei der LINKEN) Das Stichwort, das Sie hier geben, Herr Brunner, lautet „Bündnistreue“. Sie sagen, deshalb könne man nicht einfach aus der Mission aussteigen. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die ebenfalls im Jahr 2001 mit Bezug auf den Terroranschlag gestartete Operation Enduring Freedom die gleichen Terroristen im gleichen Bündnis bekämpfen sollte. Nachdem SPD, Linke und Grüne es verlangt haben, hat die Bundesregierung die deutsche Beteiligung daran im Jahr 2010 beendet. Wer A sagt, der muss auch B sagen. Also beenden Sie heute diesen überflüssigen Auslandseinsatz! (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will es ganz klar sagen: Es geht uns nicht einfach um ein Entkoppeln. Wir möchten, dass der Kampf gegen die imaginären Terroristen beendet wird. Sie wissen selber, dass es absurd ist. Wir haben am Mittwoch im Auswärtigen Ausschuss darüber gesprochen. Der Außenminister hat es auch zugegeben. Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie heute dem Antrag von Bündnis/Die Grünen zur Beendigung des Mandats zu! Wir werden es tun, weil es das einzig Sinnvolle ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie gern im Mittelmeer etwas tun wollen, hätte ich einen Vorschlag für Sie. Anders als imaginäre Terroristen gibt es dort nämlich ein reales Problem, das Sie anpacken können. Statt mit der britischen Royal Navy Übungen abzuhalten, retten Sie doch lieber die Leben der Tausende an Flüchtlingen, die täglich versuchen, das Mittelmeer zu überqueren! (Beifall bei der LINKEN) Gehen Sie ein neues Bündnis ein, mit Italien und weiteren EU-Staaten, nutzen Sie die Mittel aus dem überflüssigen Bundeswehreinsatz und beginnen Sie eine wirklich wichtige Mission! Ob Sie die Operation dann „Mare Nostrum“ oder „Operation Enduring Life“ nennen, überlassen wir Ihnen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Philipp Mißfelder hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Liebich hat schon recht, wenn er sagt (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) – bitte nicht zu früh freuen –, dass es sich um eine Übergangszeit handelt. Auch der Kollegen Beyer hat das in seiner Rede im vergangenen Jahr deutlich gemacht. Wir hätten gerne heute hier den Vollzug unserer Bemühungen gemeldet, aber im Bündnis ist das nicht so einfach. Ich kann Ihnen aber schon heute sagen, dass die Signale, die die Amerikaner innerhalb des Bündnisses ausgesendet haben, uns Grund zu der Annahme geben, dass wir eine neue Rechtsgrundlage für das Mandat bekommen; darauf hat der Kollege Brunner eben hingewiesen. Nach Abwägung des Schadens, den man durch eine Verlängerung der Übergangsfrist möglicherweise verursacht, stelle ist fest, dass wir beruhigt empfehlen können, dem Mandat zuzustimmen. Ich sehe das nicht als großen Schaden an, wenn wir die derzeit geltende Begründung weiterhin als Grundlage heranziehen, wissend, dass wir das, was wir inhaltlich tun, für richtig halten, und wissend, dass wir bei der rechtlichen Absicherung schon jetzt Fortschritte gemacht haben. Hoffentlich können wir im nächsten Jahr im Deutschen Bundestag entsprechende Änderungen beschließen. Was die Inhalte von Active Endeavour angeht, Herr Liebich: Ich finde es relativ wohlfeil, die Problematik der Flüchtlinge mit diesem Thema zu vermengen; denn die Dinge gehören einfach nicht zusammen. Ich bin mir ganz sicher: Wenn wir hier einen Militäreinsatz beschließen würden, bei dem es um die Aufnahme von Flüchtlingen oder die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeerraum – wie auch immer Sie das dann titulieren würden – ginge, dann würde die Linkspartei dem Bundeswehreinsatz auch nicht zustimmen. (Zurufe von Abgeordneten der LINKEN) Wie bei jedem Mandat verfallen Sie in eine radikalpazifistische Haltung, die an dieser Stelle definitiv nicht -angebracht ist, weil die Risiken, die wir mit diesem Mandat eingehen, minimal sind. Ich glaube, dass gerade der abschreckende Charakter – das ist schon angesprochen worden – bei diesem Einsatz nach wie vor im Mittelpunkt stehen wird. Was den Ausgangspunkt dieses Mandats angeht – Herr Brunner hat 9/11 angesprochen –: Die Abwehr einer terroristischen Gefahr schien sich zwischendurch in der Prioritätenliste der außenpolitischen Agenda verschoben zu haben. Davon kann heute allerdings nicht mehr die Rede sein. Die Gruppierung al-Qaida hat zwar an Einfluss verloren, aber sie ist gerade dabei, sich mit anderen Gruppierungen neu zu formieren und sich eventuell sogar mit ihnen zusammenzuschließen. Aufgrund der Entwicklung hinsichtlich al-Nusra, ISIS und auch der Überbleibsel von al-Qaida muss ich sagen, dass es wahrscheinlicher ist, dass wir uns mit dem Thema Terrorismusbekämpfung weiter beschäftigen müssen, als dass wir das Mandat sang- und klanglos auslaufen lassen. Es ist falsch, zu glauben, dass sich das Thema nicht mehr aufdrängt. Es ist wahrscheinlicher, dass wir uns gerade in der Region des Mittelmeeres insgesamt wieder mehr mit der Terrorismusbekämpfung beschäftigen müssen. Erlauben Sie mir eine inhaltliche Bemerkung zu diesem Mandat. Ich hielte es für unverantwortlich – es wäre das falsche Signal –, einen Antiterroreinsatz zu beenden, nur weil man von der abschreckenden Wirkung sowieso überzeugt ist. Der Auftrag bleibt. Ich befürchte, wir werden bei weiteren Mandaten über neue Rechtsgrundlagen, aber auch über neue inhaltliche Punkte diskutieren müssen, wenn es um die heraufziehenden Gefahren neuer Terrororganisationen, die sich bilden, geht. Deshalb werbe ich dafür, dieses Mandat nicht leichtfertig aufzugeben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Tobias Lindner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brunner, die Botschaft höre ich wohl – ich habe sie bereits vor einem Jahr gehört –, nämlich die jährlich wiederkehrende Hoffnung, dass dies hoffentlich das letzte Mandat sei, das auf Artikel 5 Nordatlantikvertrag fußt. Aber nein: Sie beantragen heute ein weiteres Mal ein hoffentlich letztes Mandat, das auf Artikel 5 Nordatlantikvertrag fußt. Sie schreiben – diesmal selbst; ich zitiere aus dem Antrag der Bundesregierung –: Da nach Auffassung der Bundesregierung die ursprüngliche Ausrichtung von OAE der Einsatzrealität nicht mehr gerecht wird, setzt sich die Bundes-regierung bereits seit 2012 im Bündnis für die Weiterentwicklung des Einsatzprofils von OAE ein. Ziel ist es, eine zeitgemäße Ausgestaltung des Auftrags herbeizuführen und den Einsatz von Artikel 5 des Nordatlantikvertrags zu entkoppeln. Kollege Liebich hat bereits den Bundesaußenminister zitiert. Wenn Frank-Walter Steinmeier sagt, dass der Bündnisfall heute, 13 Jahre nach dem 11. September 2001, nicht mehr als Rechtsgrundlage für einen solchen Einsatz herhalten kann, muss ich sagen: Recht hat der Außenminister damit. Aber dann dürfen Sie uns heute ein solches Mandat nicht vorlegen, erst recht nicht mit einer solchen Begründung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dieses Mandat wird dadurch nicht klarer, und die Legitimationsbasis wird dadurch nicht breiter. Nein, dieses Mandat wird dadurch absurder. Gleichzeitig beschädigen Sie an zwei Stellen, wie ich finde, wichtige Grundpfeiler unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Sie beschädigen das Parlamentsbeteiligungsrecht, und Sie missachten die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der Deutschland sich nur dann an internationalen Einsätzen beteiligen darf, wenn diese in ein System kollektiver Sicherheit eingebettet sind. Man kann nicht einfach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages in die Mandatsbegründung schreiben – Herr Mißfelder hat ja ausgeführt, dass dieser Artikel als Begründung herhalten muss –, nur damit man eine Begründung hat. Damit untergräbt man auch unsere eigenen Beteiligungsrechte als Deutscher Bundestag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Außerdem beschädigen Sie damit den Nordatlantikvertrag. Um es deutlich und klar zu sagen – ich habe das schon im letzten Jahr von dieser Stelle aus gesagt –: Ich persönlich konnte nachvollziehen, dass die Mitgliedstaaten der NATO einen Tag nach dem 11. September 2001 den Bündnisfall festgestellt haben. Das mag aus heutiger Sicht vielleicht mancher anders sehen. Man mag sich fragen, ob das vernünftig war oder nicht. Ich persönlich konnte es nachvollziehen. Uns ist es gerade jetzt in einer Zeit, in der wir es mit einem Konflikt in der Ukraine zu tun haben, wichtig, zu versichern, dass Artikel 5 des Nordatlantikvertrages gilt; denn das ist einer der Stabi-litätspfeiler unserer Sicherheitsarchitektur in Europa. Wenn Sie aber Artikel 5 des Nordatlantikvertrages leichtfertig benutzen, um eine Mission, die sich vielfach mit Routineaufgaben im Mittelmeer beschäftigt, zu rechtfertigen, dann unterminieren Sie damit den Nordatlantikvertrag. Damit werden Sie unserer Verantwortung nicht gerecht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich frage mich jedes Mal, ob man in der SPD-Fraktion Stöckchen zieht, um zu bestimmen, wer die Rede zu OAE halten muss. Sie waren schon mal ein ganzes Stück weiter, haben das ähnlich gesehen wie die Linke und wir. Jetzt befinden Sie sich in einer Regierungskoalition, und es musste ein Kompromiss her. In der Antragsbegründung wird ausgeführt – das haben auch die Redner hier gesagt –, dass sich die Bundesregierung bemüht hat, eine Entkopplung der Operation von Artikel 5 des Nordatlantikvertrages hinzubekommen. Zur Formulierung „haben sich stets bemüht“ will ich eines sagen: Oftmals ist es im Leben so, dass die Arbeit, auch wenn man sich stets bemüht, nicht immer von Erfolg gekrönt ist. Das ist leider auch an dieser Stelle der Fall. Mir ist bewusst, dass die Entkopplung des Einsatzes von Artikel 5 des Nordatlantikvertrages, also vom konkreten Bündnisfall, Einstimmigkeit in der NATO erfordert. Wenn Sie das schon nicht hinbekommen, dann sollten Sie wenigstens sehen, dass Artikel 5 nicht zu einem Handlungsautomatismus führen muss und Deutschland nicht gezwungen ist, sich in einem solchen Fall an der Mission zu beteiligen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weil der Antrag für das Mandat, der uns heute zur Abstimmung vorliegt, zwar von redlichen Bemühungen gekennzeichnet ist, aber nicht von Erfolg, was Artikel 5 als Begründung betrifft, und weil ich befürchte, dass wir unter Umständen auch im kommenden Jahr über ein entsprechendes Mandat diskutieren werden – dann werden wir wieder hören: das ist das letzte Mandat, das auf -dieser Begründung fußt –, entspricht das Abstimmungsverhalten meiner Fraktion in diesem Jahr dem Abstimmungsverhalten im vergangenen Jahr: Wir werden dieses Mandat ablehnen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dirk Vöpel das Wort. (Beifall bei der SPD) Dirk Vöpel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die Historie des Mandats haben sich meine Vorredner schon in aller Breite ausgelassen; das möchte ich mit Blick auf die Uhr nicht alles wiederholen. Ich möchte auch die Frage, wer bei uns in der Fraktion Stöckchen zieht, nicht beantworten, Herr Lindner. Darüber sprechen wir vielleicht an anderer Stelle. Ich möchte zu dem Mandat zurückkommen. 13 Jahre sind bereits vergangen; das ist angesprochen worden. Die Grundlage, Artikel 5 des NATO-Vertrages, und ebenso der 11. September sind angesprochen worden. In den letzten 13 Jahren hat sich nicht nur die Welt verändert, sondern auch das Einsatzprofil. Auch das ist zum Teil von meinen Vorrednern angesprochen worden. Ganz zu Anfang ging es um die aktive Beteiligung bei der -Abschreckung und Abwehr terroristischer Gefahren im östlichen Mittelmeer. Seit langem bilden jedoch informationsgewinnende und -verabeitende Tätigkeiten wie die kontinuierliche Lagebilderstellung und Seeraumüberwachung im gesamten Mittelmeer den eigentlichen Schwerpunkt der Operation. Mehr Passive als Active Endeavour, wenn man so sagen will. Wir stehen deshalb vor der etwas paradoxen Situation, dass Endeavour gerade aufgrund dieser veränderten Einsatzrealität in der Sache nach wie vor gut begründet werden kann, die rechtliche Fundierung mit Artikel 5 aber nicht mehr aktuell und zeitgemäß ist. Es sind im Wesentlichen drei Gründe, warum ich eine Fortsetzung der Operation für sinnvoll und zweckmäßig halte. Erstens. Rund um die östlichen und südlichen Ufer des Mittelmeers zieht sich heute ein fast lückenloser Feuerring von Kriegen, Krisen und Konflikten. Die ungeheuren Spannungen in dieser politischen Erdbebenzone können jederzeit zu neuen Verwerfungen mit unabsehbaren Folgen für die Sicherheitslage im Mittelmeer führen. Hier wachsam zu bleiben, Augen und Ohren -offenzuhalten und als eine Art Seismometer die wechselnden Lagen möglichst lückenlos zu erfassen, halte ich für ein Gebot sicherheitspolitischer Vernunft. Zweitens. Active Endeavour wird von vielen Anrainern und der Handelsschifffahrt mittlerweile als schwer zu ersetzender Baustein der maritimen Sicherheitsarchitektur im Mittelmeer angesehen. Allein durch ihre -Präsenz trägt die NATO zur Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls in der Region bei. Drittens. Die Mission hat sich schließlich auch zu einem erfolgreichen internationalen Kooperationsprojekt entwickelt, zu einer Kooperationsplattform mit vielen Mittelmeeranrainern, die wir uns erhalten sollten. Die Entkopplung der Operation Active Endeavour von Artikel 5 konnte im laufenden Jahr nicht erreicht werden; meine Vorredner haben das, glaube ich, in aller Breite gewürdigt. Ich sehe aber – im Ausschuss habe ich das Gleiche gesagt – die Bemühungen; hiermit meine ich nicht, man habe sich redlich bemüht, wie Sie es gerade intoniert haben. Ich sehe vielmehr, dass es im letzten Jahr erhebliche Fortschritte gemessen an dem, was vorher in die Richtung unternommen wurde, gegeben hat. Von daher denke ich, dass elf Monate zwar eine lange Zeit sind, es aber gemessen an dem gesamten Mandat ein überschaubarer Zeitraum ist. Ich sehe jedenfalls, dass substanzielle Fortschritte erreicht wurden. Das gibt mir Hoffnung, dass wir 2015 zu der von uns seit langem geforderten Entkopplung von Artikel 5 kommen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Logik lehrt, dass man auch auf der Grundlage falscher Voraussetzungen zu richtigen Schlussfolgerungen gelangen kann. Wir sollten uns trotz der Mängel der Mandatierungsgrundlage nicht davon abhalten lassen, weiterhin das Richtige und Sinnvolle zu tun. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bündnistreue ist ein ganz hohes Gut. Keiner, der hier für diesen Einsatz spricht, benutzt leichtfertig den Artikel 5 des Nordatlantikvertrages, um diesen Einsatz zu rechtfertigen. Was ich aber leichtfertig finde, ist die Argumentation der Linken im Zusammenhang mit diesem Einsatz. Ich habe mir dazu die Rede von Alexander Neu vom letzten Mal angesehen. Ich will Ihnen vortragen, mit welcher Polemik er über diesen Einsatz spricht. Er sprach von einem – ich zitiere – „lächerlichen Dauereinsatz“, vom „Irrsinn“ der Sicherheitspolitik, von einer „Legende der Selbstverteidigung“, von „Heuchelei“ und (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) von „im imperialen Sinne des antiken Roms“; er sprach weiterhin von einem „Verdummungsversuch“ und sagte, es würden „Steuergelder verbraten“ und alles sei „rechtlich absurd“. (Beifall bei der LINKEN – Jan van Aken [DIE LINKE]: Bravo! Können Sie das noch mal vorlesen, bitte? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber eine komische Gemeinschaft, die sich hier auftut!) Meine Damen und Herren, abgesehen davon, dass dies ein Stresstest für die Leidensfähigkeit verantwortungsbewusster Abgeordneter ist, muss ich hier ganz klar sagen: So geht man nicht mit einem Bündnis um. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN: Oh!) Auf dieses Bündnis sind wir selber angewiesen, mal mehr und mal weniger. Aber ich kann nur sehr davor warnen, es leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Natürlich ist die Begründung für diesen Einsatz 2014 eine andere als 2001. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Eben nicht! Es ist immer noch die gleiche Begründung!) Die Bedrohung durch maritimen Terrorismus ist eine abstrakte Bedrohung; da sind wir uns einig. Das kann aber schon morgen anders sein. Wir haben es ja eben gehört: Natürlich ist es möglich, dass der Terrorismus, der sich im Augenblick in schlimmer Weise ausbreitet, auch in den Mittelmeerraum Einzug hält. Aber der Einsatz soll ja von Artikel 5 des Nordatlantikvertrages entkoppelt werden. Die Bemühungen sind fast abgeschlossen. -Deshalb kann man unserer Verteidigungsministerin und dem Außenminister nur dafür danken, dass sie diesen Prozess aktiv begleiten. Im Augenblick gibt es faktisch eine Seeraumüberwachung und einen Lagebildaustausch. Diese Operation hat sich zu einem präventiven Ordnungsfaktor entwickelt, dient also zur Vorbeugung im Bereich der maritimen -Sicherheit, und ist eine Aufklärungs- und Beobachtungsmission. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Phrasenschwein!) Das ist nicht nichts; das ist nur etwas anderes. Dafür muss eine neue Begründung gefunden werden. In Wales hat man den Artikel 5 des Nordatlantikvertrages ja gar nicht mehr herangezogen. Es ist eben nicht so einfach, mit 28 NATO-Staaten Einigkeit zu erzielen. Mit Ihrer Polemik werden Sie das ganz sicher nicht schaffen. Insofern kann man nur froh sein, dass Sie keine Verantwortung tragen. Herr Liebich, wenn Sie sagen, dass diese Mission von Anfang an falsch war, und von imaginärem Terrorismus sprechen, dann sage ich Ihnen ganz deutlich: In diesen krisenhaften Zeiten von einem imaginären Terrorismus zu sprechen, ist schon bemerkenswert abwegig. Deshalb kann man das nur ablehnen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir lehnen das Mandat ja ab!) – Sie lehnen das Mandat ab. Wir lehnen es nicht ab. Wir wollen es weiterführen, und zwar so lange, wie es vom Bündnis verantwortet und gewünscht wird. Wir wollen eine neue rechtliche Grundlage schaffen. Abschließend danke ich den Soldaten, die dort ihren Dienst tun, und wünsche Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Julia Bartz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Julia Bartz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2001 ist die Bundeswehr an der Operation Active Endeavour beteiligt, und sie hat sich im Bündnis mit -unseren NATO-Partnern bewährt. Ursprünglich war die Operation als Antiterrormaßnahme konzipiert. Ihr Schwerpunkt hat sich mittlerweile gewandelt; er liegt nunmehr bei der Seeraumüberwachung und dem Lagebildaustausch. OAE versorgt uns und unsere Verbündeten laufend mit einem aktuellen Lagebild und leistet -damit einen wichtigen Beitrag zur maritimen Sicherheit im Mittelmeer. (Florian Hahn [CDU/CSU]: So ist es!) Das europäische Mittelmeer ist für uns mehr als eines der sieben Weltmeere. Jahr für Jahr genießen viele deutsche Urlauber die schöne Ferienregion. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie nicht sagen!) Zudem ist das Mittelmeer eine Hauptschlagader des weltweiten Handels und von entscheidender Bedeutung für Deutschland und Europa. 220 000 Handelsschiffe durchkreuzen jedes Jahr das Mittelmeer. Die Sicherheit im Mittelmeer ist uns allen ein wichtiges Anliegen. Wie konkret die abstrakte Bedrohung, von der im -Antrag der Bundesregierung die Rede ist, werden kann, zeigt ein aktueller Vorfall: Erst kürzlich wurde ein -ägyptisches Marineschiff rund 40 Seemeilen vor der Küste angegriffen – mutmaßlich von Terroristen. Dieser Vorfall, bei dem fünf ägyptische Soldaten verletzt und weitere acht als vermisst gemeldet wurden, macht deutlich: Es sind eine erhöhte Aufmerksamkeit und Wachsamkeit der Weltgemeinschaft notwendig – gerade auch angesichts der angespannten Lage im Nahen Osten, in Nordafrika und an den Grenzen zu Russland. (Beifall bei der CDU/CSU) Dementsprechend ist unsere Präsenz im Mittelmeer notwendig und sinnvoll. Das empfinden übrigens auch die an OAE beteiligten Soldatinnen und Soldaten so. Zumindest haben mir die Kameradinnen und Kameraden, mit denen ich darüber gesprochen habe, so berichtet. Mein Eindruck aus diesen Gesprächen war: Die Außerdienststellung der Fregatte „Niedersachsen“ nach 32 Jahren und über 760 000 Seemeilen scheint die Gemüter mehr zu bewegen als die konkrete Einsatzbelastung durch OAE. Der Alltag im OAE-Einsatz wird größtenteils als normale Seefahrt, ähnlich einer Übung, empfunden. Aufgrund dieser Einsatzrealität wollen wir eine Entkopplung der Mission von Artikel 5 des Nordatlantikvertrags. Dies strebt die Bundesregierung bereits seit 2012 an. Die diplomatischen Verhandlungen dazu sind auf einem sehr guten Weg. Wie Sie wissen, brauchen wir dazu das Einverständnis aller 28 NATO-Staaten. Die mehrheitliche Zustimmung unserer Partner haben wir bereits erreicht. So konnten wir mittlerweile auch die USA und Frankreich überzeugen. Derzeit wird ein entsprechendes Kompromisspapier erarbeitet, und wir können durchaus zuversichtlich sein, dass eine Entkopplung von Artikel 5 noch im ersten Halbjahr 2015 erreicht werden kann. Ein überhasteter Ausstieg aus OAE jetzt, wie ihn die Opposition fordert, ist also unnötig. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Ganz genau!) Das wäre zudem das falsche Signal – gerade in diesen geopolitisch brisanten Zeiten. Angesichts des aggressiven Verhaltens Russlands müssen wir insbesondere unseren Bündnispartnern in Osteuropa ein klares Zeichen der Verlässlichkeit senden. Deutschland steht zu seiner Verantwortung. Wir sind ein treuer Bündnispartner. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Sicherheit im Mittelmeer, der Fortschritt bei der Überführung in eine nicht durch Artikel 5 gestützte Mission und unsere Bündnistreue sind drei gute Gründe für die Fortführung der Operation Active Endeavour. Deshalb bitte ich Sie heute um Ihre Zustimmung zu diesem Übergangsmandat für diese Operation – natürlich -verbunden mit dem erklärten Ziel, in den kommenden Monaten eine Entkopplung von Artikel 5 des Nordatlantikvertrags zu erreichen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir angesichts der bevorstehenden Feiertage noch einige Worte des Dankes an unsere Truppe. Gemeinsam mit meiner Kollegin Gisela Manderla bin ich vorgestern nach Beelitz gefahren, um die Soldatinnen und Soldaten des Logistikbataillons 172 in die Auslandseinsätze nach Afghanistan, ins Kosovo, nach Mali und in die Türkei zu verabschieden. Ihnen und allen anderen Soldatinnen und Soldaten, den zivilen Angehörigen der Bundeswehr und den Entwicklungsexpertinnen und -experten, die sich im Ausland und zu Hause für unsere Sicherheit einsetzen, gelten mein Respekt und mein herzlicher Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Kurz vor Weihnachten gelten meine ganz besonderen Grüße und Gedanken vor allem auch den Familien und Angehörigen der Soldaten, die ebenfalls einen erheblichen Teil der Einsatzlast tragen. Die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion danken Ihnen ganz herzlich und wünschen Ihnen trotz aller Entbehrungen ein gesegnetes Weihnachtsfest. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation Active Endeavour im Mittelmeer. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3584, den Antrag der Bundes-regierung auf Drucksache 18/3247 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgeben hat? – Ich bitte, sich vor der Abstimmung zu vergewissern, dass der Name, der auf der Karte steht, auch Ihr Name ist. – Ich sehe jetzt keinen Kollegen und keine Kollegin mehr, der oder die an der Stimmabgabe gehindert ist. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.5 Damit wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3591 kommen können, bitte ich, die Gesprächsgruppen auf der Regierungsbank entweder nach draußen zu verlagern oder sich am Geschehen zu beteiligen. Aber auch die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, die noch etwas zu erledigen haben, bitte ich, das dort zu tun, wo es uns nicht bei der Feststellung des Abstimmungsergebnisses behindert. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3591. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der beiden Oppositionsfraktionen abgelehnt.6 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE 20-Jahres-Bilanz der Bahnreform von 1994 bis 2014 Drucksachen 18/1500, 18/3266 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Danke, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen und Kollegen! Millionen Menschen hierzulande sind täglich mit der Bahn unterwegs, und die Bilanzen von Herrn Grube sehen immer glänzend aus. Aber in Wirklichkeit – das wissen Sie alle – läuft längst nicht alles rund. Man braucht nur an die vielen unwirtlichen Bahnhöfe in der Provinz oder an die Rekordzahlen bei den Verspätungsminuten der Bahn zu denken. Wir sind der Meinung, dass 20 Jahre nach der Bahnreform gründlich nachjustiert werden muss. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist beileibe nicht alles schlecht. Mit den Regionalisierungsmitteln zum Beispiel ist eine solide Finanzierung geschaffen worden. Etliche Landesbahnen haben mit guten Konzepten viele Fahrgäste gewonnen. Aber insgesamt ist der Anteil der Bahn am wachsenden Verkehr eben nicht gestiegen, und das ist das Problem. Weil der Bund selber gar nicht auf die Idee gekommen ist, nach zwei Jahrzehnten Bilanz zu ziehen, um zu erfahren, was aus der Deutschen Bahn AG geworden ist, haben wir im Sommer 136 Fragen erarbeitet. Nun liegen die Antworten vor. Auf drei dieser Antworten will ich hier kritisch eingehen. Zuerst zum sogenannten Brot-und-Butter-Geschäft, wie Herr Grube zu sagen pflegt. Die Bundesregierung muss zugeben, dass seit Gründung der Deutschen Bahn AG fast 100 Städte mit mehr als 20 000 Einwohnern ihren Anschluss an den Schienenfernverkehr verloren haben. Ich könnte hier über Halle, Magdeburg oder Potsdam sprechen. Aber ich nenne als Beispiel Siegen, eine junge Universitätsstadt, Zentrum für Wirtschaft und Kultur im südlichen Westfalen. Über 100 000 Menschen leben hier. In den 1990er-Jahren konnten junge Familien noch mit dem Fernreisezug nach Oberstdorf in den Urlaub fahren, oder Geschäftsreisende konnten in den DZug steigen und waren in weniger als drei Stunden in Dortmund oder Frankfurt. Alles weg! Keine Fernbahnen mehr für das Herz des Siegerlandes! Dabei sehen wir sehr wohl, dass dort, wo die Bahn attraktive Angebote macht, deutlich mehr Leute einsteigen, aktuell in den neuen, preiswerten Interregio-Express zwischen Berlin und Hamburg. Aber so etwas darf keine Eintagsfliege bleiben. Der Bund hat dafür zu sorgen, dass es solche Anbindungen überall im Land gibt. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zweitens zur Entwicklung der Arbeitsplätze. Auf unsere Fragen dazu schreibt die Bundesregierung – Zitat –: Seit der Bahnreform besteht eine Beschäftigungssicherung, die auch in Zukunft weiter gilt. So können die verbliebenen und neu geschaffenen Arbeitsplätze dauerhaft gesichert werden. Aha. Auf mich, so muss ich sagen, wirkt das ein bisschen zynisch; denn tatsächlich ist die Zahl der Beschäftigten seit Januar 1994 halbiert worden, und zwar von damals 365 000 auf weniger als 180 000 im gesamten Schienenbereich. Unter diesem dramatischen Stellenabbau leiden die Wartung der Anlagen, der Service für die Fahrgäste und vor allen Dingen die Beschäftigten, die viel mehr und oft viel weniger zufrieden arbeiten müssen. Bei der DB hat sich ein Überstundenberg von 8 Millionen Stunden aufgetürmt. Das ist aus meiner Sicht völlig inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN) Aber die Regierung sieht die DB AG als ein – ich zitiere – „wirtschaftlich erfolgreiches und international tätiges Unternehmen“. Damit bin ich bei meinem dritten Punkt. Was heißt das denn konkret? 1994 gab es 15 ausländische Tochtergesellschaften der Deutschen Bahn. Heute sind es 542. Ich frage: Wozu? Von so einem Global Player, der Schiffsbeteiligungen hält und an Flughafendienstleistungen beteiligt ist, war nie die Rede, als die Bahnreform beschlossen wurde. Wir lesen, dass zum Stichtag 31. Dezember 2013 die Deutsche Bahn AG Kredite in Höhe von mehr als 14 Milliarden Euro an die eigenen Tochtergesellschaften ausgereicht hat, davon 7 Milliarden Euro allein an DB Netz. Die DB bekommt das Geld zu sehr günstigen Zinsen auf den Kapitalmärkten, weil sie ein bundeseigenes Unternehmen ist und Deutschland ein -Topranking hat. Aber im eigenen Unternehmen wird – Zitat – „zu tagesaktuellen, marktüblichen Kondi-tionen“, also mit Zinsaufschlag, verliehen. Die tages-üblichen Konditionen sind deutlich schlechter. Die -Differenz, die die Tochtergesellschaften an den Mutterkonzern zahlen müssen, beläuft sich sicherlich auf mehrere 100 Millionen Euro. Diese Summe müssen unter anderem die Fahrgäste aufbringen. Den Sondergewinn kann der Konzernchef einsetzen, um mit Busverkehren in anderen Ländern der Schiene dort Konkurrenz zu machen. Das alles wollen wir überhaupt nicht, und das will auch die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nicht. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen eine andere Bahn. Die DB soll nicht an betriebswirtschaftlichen Kennzahlen ausgerichtet sein, sondern am volkswirtschaftlichen Nutzen; das ist oft ein gewaltiger Unterschied. Der Börsengang muss endgültig abgesagt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir schlagen eine Kommission vor, an der auch die Fahrgastverbände, die Umweltverbände und die Beschäftigten beteiligt sind, damit alternative Organisa-tionsmodelle erarbeitet werden und damit vor allen Dingen der Auftrag der Deutschen Bahn neu definiert wird, am Allgemeinwohl sowie an sozialen und ökologischen Zielen ausgerichtet. Das ist es, was notwendig ist. Diese zweite Bahnreform, die wir brauchen, muss in eine Verkehrsmarktreform eingebettet sein; denn es ist unsinnig, dass 100 Prozent des europäischen Schienennetzes mit Trassengebühren, also mit einer Maut, belegt sind, während nur 1 Prozent der Straßen in Europa bemautet ist. Wir brauchen eine Entlastung der Bahn. Es ist unsinnig, dass der Staat bei Zugfahrten Mehrwertsteuer und Mineralölsteuer kassiert, aber bei Flugreisen nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist unsinnig, dass die Steuerzahler in Europa jährlich 30 Milliarden Euro in den Flugverkehr stecken, aber trotzdem 17 von den 23 internationalen Flughäfen in Deutschland defizitär sind. Bei der Bahn aber muss der Fernverkehr ein Geschäft machen, sonst wird er eingestellt. Das ist unfair, das ist auch unsozial, und wir finden, das muss dringend geändert werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Bevor wir die Debatte fortsetzen, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation Active Endeavour im Mittelmeer bekannt: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben 461 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 122, und 3 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 586; davon ja: 461 nein: 122 enthalten: 3 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Christina Kampmann Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Dr. Alexander S. Neu Nein SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Ute Finckh-Krämer Michael Groß Gabriele Hiller-Ohm Ralf Kapschack Cansel Kiziltepe Hilde Mattheis René Röspel Swen Schulz (Spandau) Rüdiger Veit Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Enthalten SPD Petra Hinz (Essen) Jeannine Pflugradt Ewald Schurer Wir kommen zur Debatte über die Antwort auf die Große Anfrage zur Bilanz der Bahnreform zurück. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 20 Jahre Bahnreform sind eine Erfolgsgeschichte. Man kann sagen: viel erreicht, noch viel zu tun. 1993 haben die Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag über die Bahnreform entschieden. Man kann im Nachgang sagen: Sie haben sehr weise, sehr klug und sehr weit vorausschauend entschieden. Man kann den Kolleginnen und Kollegen, die damals mit sehr großer Mehrheit der Bahnreform zugestimmt haben, nur sehr dankbar sein. Das haben die richtig gut gemacht. Wir hätten das heute nicht besser machen können. Damals gab es die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn. Man musste nach der Wende die Bahnen irgendwie zusammenführen. Die Verschuldung war damals bei sagenhaften 70 Milliarden D-Mark angekommen. Wenn die Bahnreform nicht so gut gelaufen wäre, wie sie gelaufen ist, dann wäre die Verschuldung im Jahre 2003 auf rund 380 Milliarden D-Mark angestiegen. Wenn Sie den Euro-Betrag wissen wollen, müssen Sie diese Summe durch zwei teilen. Die Verkehrsleistung sank, die Aufwendungen stiegen massiv und die Verschuldung auch. Das konnte nicht so bleiben. Deswegen hat man eine neue Struktur gefunden, eine privatrechtliche. Es ist sehr klug gewesen, dass man die DB AG in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft gegründet hat. Man hat Infrastrukturgesellschaften gebildet, die staatlich bestimmt sind, und Verkehrsgesellschaften, die nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten arbeiten. Dabei hat man den Nahverkehr in die Hand der Länder – das war eine Art Bestellsituation – gebracht, den Fernverkehr eigenwirtschaftlich gelassen und den Güterverkehr auch der DB AG überlassen. Verglichen mit dem Jahr 1994 hatten wir im Nahverkehr im Jahre 2012/2013 eine sagenhafte Steigerung von 68 Prozent, im Fernverkehr von nur 7 Prozent, aber im Güterfernverkehr von 59 Prozent. Das sind beeindruckende Zahlen, die zeigen, dass die Leistungsfähigkeit deutlich angestiegen ist. Man hat es auch im Wettbewerb geschafft. Heute fahren viele Privatbahnen auf dem Netz der DB Netz, und das ist gut so. So beträgt deren Anteil im Nahverkehr mittlerweile 26,4 Prozent und im Güterverkehr 33,2 Prozent nach Tonnenkilometern. Die Umsatzerlöse sind deutlich gestiegen, die Produktivität ist deutlich gestiegen, die Jahresergebnisse sind deutlich besser, und die DB AG ist ein internationales Unternehmen geworden, einer der größten Logistikkonzerne weltweit. Das ist gut so, und das ist richtig so. Es freut den Eigentümer, dass wir ein so erfolgreiches Unternehmen haben, und wir vertreten den Eigentümer. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir sind aber alle Eigentümer! Nicht nur Sie!) – Dass wir hier im Parlament ein paar Linke haben, die das anders sehen, muss man ertragen. In der Demokratie muss man einiges ertragen; das gehört dazu. (Beifall bei der CDU/CSU) Trotzdem kann man feststellen, dass wir als Eigentümer mit dem, was die Bahn macht, sehr einverstanden und sehr zufrieden sind. Gleichwohl bleiben einige Aufgaben zu erledigen, Aufgaben, die noch nicht so erfüllt sind, wie wir es alle miteinander wünschen. (Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Frau Kollegin, Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. Ich bin bereit, über alles, was die Bahn betrifft, Ihnen ausreichend Auskunft zu geben. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Anfragen werden ja nicht beantwortet!) Sie haben ja gesehen, dass die Große Anfrage der Fraktion Die Linke in einer hohen Qualität beantwortet worden ist. Bis zum letzten Schienenkilometer haben wir -Ihnen alles aufgelistet. Ich glaube, wir haben eine hervorragende Arbeit abgeliefert. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber unsere Kleinen Anfragen werden leider nicht richtig beantwortet! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist mit den Tunneln?) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Ferlemann, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Haßelmann? Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mit besonderer Freude; denn das verlängert meine Redezeit. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Ferlemann, ich weiß nicht, ob die Freude gleich noch so groß ist. Sie sind ja nicht Mitglied des Ältestenrates und auch kein Minister, sondern Parlamentarischer Staatssekretär. Ich habe heute nämlich dem Minister und auch dem Bundestagspräsidenten eine Beschwerde der Grünenfraktion übergeben. Von daher stellen Sie sich hier bitte nicht so großherzig dar, indem Sie behaupten, Sie beantworteten alle Fragen. Es gibt kein anderes Ministerium, das die geltende Rechtslage hinsichtlich des Umgangs mit dem Parlament, die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, so missachtet wie das Verkehrsministerium. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Bevor Sie das weglächeln: Befassen Sie sich einmal mit den Fakten! Wir haben heute Ihrem Minister und auch dem Bundestagspräsidenten eine Beschwerde überreicht; denn das Verhalten Ihres Ministeriums grenzt an Arbeitsverweigerung und Ignoranz. Bei 13 Kleinen Anfragen unserer Fraktion wurde von Ihrem Haus keine Fristverlängerung beantragt, aber jedes Mal die Frist nicht eingehalten, zum Teil um sechs Tage, zum Teil um acht Tage. Es wurde sogar um zwölf Tage überzogen, und zwar eigenmächtig, also ohne Einwilligung des Fragestellers. Deshalb, finde ich, sollte Ihr Haus ein bisschen mehr Bescheidenheit gegenüber dem Parlament (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) an den Tag legen. Vor allen Dingen sollten Sie endlich Ihrer Verpflichtung nachkommen: dass Sie hier zu liefern haben. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sehr geehrte Frau Kollegin, natürlich nehmen wir das Parlament sehr ernst. – Sie dürfen stehen bleiben. Ich muss doch Ihre Frage beantworten. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das war keine Frage!) – Sie müssen doch eine Frage stellen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, muss ich nicht!) Wenn Sie den Wunsch nach einer Zwischenfrage äußern, dann müssen Sie auch eine Frage stellen, und die muss ich auch beantworten können. So sind die parlamentarischen Spielregeln. Vizepräsidentin Petra Pau: Zur Klarstellung – die Uhr ist immer noch angehalten; also geht Ihnen keine Sekunde Ihrer Redezeit verloren –: Ich habe Sie eben gefragt, ob Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Haßelmann zulassen. Sie haben das zugelassen. Die Kollegin Haßelmann hat eine Bemerkung gemacht. Das ist nach der Geschäftsordnung möglich. Wenn sie darauf keine Antwort erwartet, brauchen Sie ihr auch nicht zu antworten. Ich würde mit dem ersten Wort, mit dem Sie gleich in Ihrem Redebeitrag fortfahren, die Uhr wieder einschalten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Trotzdem muss ich ja die Möglichkeit haben, auf die Anwürfe der Kollegin zu antworten. Von daher gesehen hat sie schon eine Frage gestellt: ob ich das, was sie dargestellt hat, vertreten kann. Ich kann Ihnen sagen: Die Große Anfrage ist umfangreich, umfänglich und in einer sehr hohen Qualität beantwortet worden. Auch die anderen Anfragen von Ihnen werden, sobald wir die Daten haben, pünktlich und sehr umfassend beantwortet. Häufig sind wir allerdings auf Daten Dritter angewiesen; das wissen Sie auch. Diese Daten können in der vorhandenen Zeit nicht immer so pünktlich geliefert werden, wie Sie es wünschen. Trotzdem sind wir sehr bemüht; das wissen Sie auch. Deswegen habe ich kein Verständnis für Ihre parlamentarische Initiative. (Beifall bei der CDU/CSU) Es bleibt noch eine Reihe von Aufgaben in der Bahnreform zu erledigen. Den Schwerpunkt „Erhalt des Bestandsnetzes“ kennen Sie. Wir haben gestern mit der Beschlussfassung des Haushaltsausschusses wohl die größte Investition in das Bestandsnetz beschlossen, die es je gegeben hat. Investiert werden soll die Rekordsumme von 28 Milliarden Euro in fünf Jahren. Ich glaube, damit können wir uns sehr gut sehen lassen. Wir wollen den Aus- und Neubau des Bestandsnetzes mit rund 1,5 Milliarden Euro jährlich voranbringen. Wir werden sicherstellen, dass im Nahverkehr ausreichende Regionalisierungsmittel zur Verfügung stehen. Wir müssen uns bemühen, dass das GVFG weiterhin Geltung hat, weil auch das der Bahn zugutekommt. Wir müssen die Eisenbahnregulierung neu aufstellen. (Martin Burkert [SPD]: Aber gut!) Wir setzen auf Qualität. Wir setzen auf Kundenfreundlichkeit und auf Kundenorientierung der Bahn. Die Bahn soll pünktlicher, verlässlicher, sicher, sauber und schnell sein. Wir wollen möglichst schnell barrierefreie Bahnhöfe und Stationen erstellen. Und das Wichtigste ist: Wir müssen das Problem des Schienenlärms lösen. Wir wollen bis 2020 den Schienenlärm um 50 Prozent senken. Dazu haben wir die Richtlinie Schall 03 auf den Weg gebracht. Wir haben lärmabhängige Trassenpreise. Wir haben ein freiwilliges Lärmschutzprogramm. Von den dort ausgewiesenen rund 3 600 Kilometern sind schon knapp 60 Prozent abgearbeitet. Auch das ist eine sehr erfolgreiche Bilanz. Abschließend bleibt zu bilanzieren: Die Bahnreform ist nach 20 Jahren eine große Erfolgsgeschichte. Es ist viel erreicht, aber es bleibt noch viel zu tun. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Matthias Gastel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das aus unserer Sicht zentralste aller Ziele, die mit der Bahnreform verbunden gewesen sind, war und ist bis heute, verlorengegangene Verkehrsanteile sowohl im Güterverkehr als auch im Personenverkehr wieder für das System Schiene zurückzugewinnen. Was dieses Ziel betrifft, sieht die Bilanz leider nicht durchweg gut aus. Wir haben im Bereich Güterverkehr eine Stagnation des Verkehrsanteils zu verzeichnen. Das ist fatal: Das ist fatal für den Klimaschutzbeitrag des Verkehrssektors, und es ist fatal für die Straßen, die verstopft und einem immer höheren Verschleiß durch schwere Lkws ausgesetzt sind. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein Grund ist beispielsweise darin zu suchen, dass es viel zu viele Engpässe im Schienennetz gibt, sodass die Leistungsfähigkeit, die eigentlich notwendig wäre, gar nicht vorhanden ist. Aber auch für die Zukunft wurden falsche Entscheidungen getroffen. Ich erinnere hier beispielsweise an die EEG-Umlage, die das System Schiene bzw. die Schienenbahnen sehr einseitig belastet und im Wettbewerb gegenüber dem Lkw schwächt. Was im Bereich des Güterverkehrs funktioniert, ist der Wettbewerb. Das ist erfreulich. Ich möchte an dieser Stelle noch den Nebensatz einfügen: Wir als Grüne stehen zum Wettbewerb auf der Schiene. Das ist ein gewisser Unterschied zu den Linken, die diese Große Anfrage, die wir heute diskutieren, gestellt haben. Ähnlich wie beim Güterverkehr sieht es leider auch beim Personenfernverkehr aus. Auch hier stagniert der Verkehrsanteil. Das ist deswegen besonders fatal, weil in den letzten 20 Jahren etwa 100 Milliarden Euro in das Schienennetz, vor allem in die Hochgeschwindigkeitsstrecken, investiert wurden. Aber ganz offensichtlich wurden damit nicht die tatsächlichen Bedürfnisse der Fahrgäste erfüllt, weil die Zahl derer, die dem System Schiene treu geblieben sind, eben nicht im gleichen Maße wie der Verkehr insgesamt zugenommen hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein weiterer Grund sind die anhaltenden Verspätungen im Schienenverkehr. Seit ich im Bundestag bin, führe ich ein Bahntagebuch, in dem ich jede Fernverkehrsfahrt protokolliere. Bis jetzt waren es über 100 an der Zahl, etwa ein Drittel davon mit Verspätungen von durchschnittlich 20 Minuten. Wenn man zusätzliche Fahrgäste gewinnen möchte, dann muss man den Fahrgästen mehr Verlässlichkeit bieten, damit das Umsteigen funktioniert und die Leute pünktlich an ihrem Ziel ankommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und für den Güterverkehr!) Wichtig ist aber auch, Wettbewerbsverzerrungen, die es derzeit gibt, abzubauen. Ich erinnere hier beispielsweise an die Mehrwertsteuer in Höhe von 19 Prozent auf Tickets im grenzüberschreitenden Bahnverkehr. Wer die gleiche Strecke mit dem Flugzeug zurücklegt, zahlt 0 Prozent. Das ist eine Ungerechtigkeit zulasten der Schiene. Das muss geändert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das Positivste der Bahnreform ist die Regionalisierung gewesen. Hier funktioniert der Wettbewerb. Hier haben wir deutliche und kontinuierliche Zuwächse an Fahrgastzahlen zu verzeichnen. Allerdings brauchen wir Klarheit bei den Regionalisierungsmitteln und beim Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Die Bundesregierung ist hier drauf und dran, die Erfolge der Bahnreform durch die Regionalisierung zu verspielen. Schaffen Sie endlich Klarheit für die Länder und Kommunen, damit diese planen und investieren können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen auch sehen, dass mit 20 Jahren Bahnreform ein Abbau von Verkehrsinfrastruktur verbunden ist. Weniger Städte als damals sind an den Fernverkehr angebunden. Wir haben einen Abbau von Überholspuren und von Weichen, also einen Leistungsrückbau, zu beklagen. Bedroht sind auch die Nachtzüge. Wir haben in unserer Studie nachgewiesen, dass mit guten Ideen Nachtzüge durchaus wirtschaftlich betrieben werden können, wenn die DB es möchte. Wenn die Bundesregierung endlich für einen fairen Wettbewerb sorgt, dann haben auch die Nachtzüge wieder eine Chance. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wie steht es um die Infrastruktur? Wir haben im Zusammenhang mit unseren Kleinen Anfragen zum Thema Eisenbahnbrücken feststellen müssen: Über 1 000 Brücken sind in einem so schlechten Zustand, dass sie nicht mehr wirtschaftlich saniert werden können. Vor diesem Hintergrund müssen wir kritisch anmerken: In der LuFV II, der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, ist leider nicht so konkret, wie wir uns das erwartet haben, vorgegeben, wofür die zusätzlichen Mittel, die wir sehr begrüßen, ausgegeben werden dürfen bzw. müssen und wie die Nachweise über die korrekte Ausgabe vorgelegt werden müssen. Das ist eine Schwäche dieses Vertrages. Es ist aber richtig, dass mehr Geld in das System Schiene fließt; das brauchen wir dringend. Es hätte aber in einer anderen Form passieren müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fazit: 20 Jahre Bahnreform – kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Gescheitert ist die Reform aber nicht. Wir müssen jetzt dort, wo es notwendig ist, handeln, um die Lücken im Netz zu schließen und die Infrastruktur zu erhalten. Wir brauchen tragfähige Trassenpreise und faire Wettbewerbsbedingungen für die Schiene. Herr Ferlemann, da Sie vorhin gesagt haben, es gebe noch viel zu tun: Legen Sie mal los in diese Richtung. Dann hat das System Schiene auch eine Zukunft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Martin Burkert für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Martin Burkert (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Rede noch einmal folgende Worte von Altbundeskanzler Helmut Schmidt in Erinnerung rufen: Die Bundesrepublik Deutschland kann sich immer nur eines von beidem leisten, entweder eine Bundeswehr oder eine Bundesbahn. (Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Er hat damals den Grundstein für eine Bahnreform gelegt, die am 1. Januar 1994 begonnen wurde. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Altbundeskanzler hat die Weichen richtig gestellt; auch das kann man nach 20 Jahren sagen. Die Verschuldung in Höhe von 70 Milliarden D-Mark, Kollege Ferlemann, war sicherlich damals ein Grund für eine Reform; das ist sicher. Misst man das Ganze auf einer Waagschale, so kann man heute sagen: Die Bahnreform ist insgesamt – nach 20 Jahren – ein Erfolg. Es lohnt sich, heute eine Standortbestimmung vorzunehmen: Wo steht die Bahn mit ihrer großen Strukturreform? Eines ist sicher: dass in den letzten 20 Jahren im Schienenbereich viel geleistet worden ist. Ich möchte mich heute bei allen Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern, ausdrücklich auch bei den Beamten, die bei der Deutschen Bahn AG arbeiten, bedanken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner haben mit einer 200-prozentigen Produktivitätssteigerung diese Reform zum Erfolg gebracht. Ich bedanke mich auch bei der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands und bei der Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamter, die mit vielen Tarifverträgen auch ihren Beitrag zum Erfolg geleistet haben. Besonders ist hierbei das bahninterne Arbeitsamt DB JobService zu nennen. Die Bahnreform war 1994 mit drei maßgeblichen Hauptzielen auf den Weg gebracht worden: mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, die Leistungsfähigkeit der Bahn zu erhöhen und den Bundeshaushalt zu entlasten. An diesen Punkten kann man die Reform der Bahn also messen, und wir können klar feststellen: Hier wurde viel erreicht. Wir haben heute – erstens – mehr Verkehr und Wettbewerb auf der Schiene. Wir haben – zweitens – ein leistungs- und wettbewerbsfähiges, gut geführtes Unternehmen, und – drittens – sind die Belastungen des Bundeshaushalts heute niedriger als damals. Ganz im Gegenteil: Heute bekommen wir eine Dividende von der Deutschen Bahn. Die Deutsche Bahn steht also gut da und ist auch im europäischen Vergleich mit Netz und Betrieb ein wettbewerbsfähiges Unternehmen. Über 370 Schienenverkehrsunternehmen nutzen das deutsche Eisenbahnnetz. Mehr Verkehr auf der Schiene entlastet unsere Straßen, ist umweltfreundlich und damit ein wichtiger Beitrag für eine sinnvolle und gute Mobilitätsstruktur und vor allem für unser Klima, liebe Kolleginnen und Kollegen. Besonders der Zuwachs im Schienenpersonennahverkehr ist mehr als erfreulich. Hierbei muss die Bahn aber selbstverständlich auch weiterhin ihre Anstrengungen bezüglich Pünktlichkeit, Service und Verlässlichkeit – das Brot-und-Butter-Geschäft – verstärken. Daneben konnten auch im Schienengüterverkehr Fortschritte erreicht werden. Frau Leidig, ich möchte Ihnen Folgendes sagen: Von 1994 bis Ende 2013 hat das Gütervolumen der Deutschen Bahn auf der Schiene in der Tat um circa 59 Prozent zugenommen. Insofern stimmt hier Ihre Aussage nicht. Ich sage ferner: Die Deutsche Bahn konnte ihren Güterverkehr auch durch Verlängerung der Güterzüge auf 850 Meter ausbauen. Aber ich sage auch: Das große Ziel – mein geschätzter Kollege Dirk Fischer als einer der Väter der Reform spricht gleich noch – (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es auch Mütter? – Gegenruf des Abg. Sören Bartol [SPD]: Aber die sind nicht hier!) bleibt, mehr Güter auf die Schiene zu bringen. 17 Prozent der Güter sind heute auf der Schiene. Da sage ich: Das ist noch zu wenig. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Burkert, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Leidig? Martin Burkert (SPD): Immer. Sabine Leidig (DIE LINKE): Das ist ein großes Versprechen, Kollege Burkert, aber ich werde es nicht missbrauchen. – Ich möchte zwei Fragen miteinander verbinden. Eine Frage haben Sie gerade im Grunde schon selber beantwortet. Der Anteil der Güter, die auf der Schiene transportiert werden, ist überhaupt nicht gewachsen. Das ist dramatisch, weil sich gerade der Güterverkehr so rasant entwickelt und immer mehr Lkw auf deutschen Straßen Probleme verursachen. Da ist natürlich der zentrale Punkt: Wie kommt die Bahn da wieder in die Vorhand? Ich möchte Sie als Fachmann an dieser Stelle fragen, wie Sie es einschätzen, dass die Deutsche Bahn AG in dieser Zeit, in den letzten 20 Jahren, 80 Prozent der Anschlüsse, die Industrieunternehmen angebunden haben – damit besteht die Möglichkeit, direkt von der Firma auf die Schiene zu gehen –, gekappt hat? Ich kenne eine ganze Reihe von Unternehmen in meiner Region, die das sehr bedauern, die gern wieder auf die Schiene gehen würden oder überhaupt auf die Schiene gehen würden. Dazu würde ich schon gern noch etwas hören und wissen, warum Sie das als Erfolg betrachten. Martin Burkert (SPD): Frau Leidig, es ist in der Tat so: Wir würden uns noch mehr Güter auf der Schiene wünschen; das steht außer Frage. Ich darf Ihnen aber auch sagen, dass die Deutsche Bahn AG mit 20 Prozent ihrer Kunden 80 Prozent des Entgelts im Güterverkehr einfährt. Fast das Volumen des Autoverkehrs haben wir auf der Schiene. Im Übrigen fährt alles im Zusammenhang mit Brauereien mittlerweile auf der Schiene. Der Einzelwagenverkehr, für den ich mich seit Jahr und Tag einsetze, muss erhalten bleiben, obwohl er nicht nur schwarze Zahlen schreibt. Wenn wir den Einzelwagenverkehr nicht mehr hätten, hätten wir am Tag noch einmal 100 000 Lkw mehr auf unseren Straßen. Das ist nicht betriebswirtschaftlich, aber volkswirtschaftlich und verkehrspolitisch wichtig. Deswegen achten wir auch darauf, im Aufsichtsrat und in den verkehrspolitischen Gremien. Ich sage Ihnen: Wir werden alle Anstrengungen dazu unternehmen. (Beifall des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) Ich darf fortfahren. – 5 Milliarden Euro mehr für die Elektromobilität sind gut, was den Pkw-Verkehr angeht; das steht außer Frage. Ich würde mir aber wünschen, dass wir auch Gelder für eine rollende Landstraße oder den CargoBeamer einsetzen. Mit 35 CargoBeamer-Zügen würden wir die gleiche Menge an CO2-Emissionen einsparen wie mit 1 Million Elektroautos; ich will das nur mal sagen. Da müssen wir alle Anstrengungen unternehmen. Wir haben große Herausforderungen in puncto Barrierefreiheit, in puncto Lärmschutz und in puncto Servicequalität. Da müssen konsequent neue Anstrengungen auf den Weg gebracht werden. Wir müssen gerade im Bund ein besonderes Augenmerk auf die Qualität unserer Schienennetze legen; denn sie sind die maßgebliche Voraussetzung für einen starken Schienensektor im Fern-, Güter- und öffentlichen Nahverkehr. Vor allem die 25 000 Brücken, von denen 9 000 älter als 100 Jahre sind, brauchen unser besonderes Augenmerk. Ich bin sehr froh, dass wir es geschafft haben, mit der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung II des Problems Herr zu werden. Brückensanierungen sind jetzt explizit vorgeschrieben. Es ist also nicht so, wie Sie sagen, Herr Gastel. Wir haben da, wo es notwendig war, der Deutschen Bahn AG gesagt, wo investiert werden muss. Wir werden hier stehen und über die Kontrolle der LuFV II reden. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur knapp 1 000 Brücken dürfen sich in ihrem Zustand nicht verschlechtern – von 25 000! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch gar keine Kontrolle, Herr Kollege!) Um dies allerdings auch langfristig erreichen zu können, muss die Personalsituation bei der Deutschen Bahn entsprechend angepasst werden. Ich sage ganz deutlich: Hier hat auch der Bahnvorstand Fehler begangen. Am Personal zu sparen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist falsch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich begrüße es ausdrücklich – Herrn Gruber und Herrn Weber gratuliere ich dazu –, dass die Bahn in den nächsten Jahren 80 000 Menschen einstellt. Nach einem Stopp 1974 wird wieder mehr eingestellt. Dann werden wir auch immer wieder darüber reden müssen, wo Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Verkehrsträgern bestehen. Ich erwähne die Mehrwertsteuer, das EEG, die Mineralölsteuer; es gibt da viel zu sagen. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Mit der Bahnreform konnten wichtige Impulse gesetzt werden, die zu positiven Entwicklungen im Schienenverkehr beigetragen haben. Wir sollten heute, an diesem Tag, nach 20 Jahren Bahnreform, die in diesem Jahr zu Ende gehen, mit Ruhe, aber auch mit Stolz sagen, dass wir in Deutschland das beste Eisenbahnsystem der Welt haben. Auch das kann man an so einem Tag sagen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage: Wir müssen sorgsam damit umgehen, denn die Menschen in unserem Land brauchen unsere Bahn. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als der Deutsche Bundestag am 2. Dezember 1993 die Bahnreform – an die Formulierer der Großen Anfrage: unter Verkehrsminister Matthias Wissmann; denn er war bereits seit Mai 1993 Minister; es war nicht Günther Krause, wie es dort heißt – mit 558 Jastimmen bei nur 13 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen und sogar einer Jastimme der Kollegin der Fraktion PDS/LL verabschiedet hatte, habe ich damals zu Beginn meiner Rede im Plenum gesagt: Künftige Generationen werden hoffentlich nur noch in Büchern nachlesen können, daß es einmal eine Bahnbehörde nach öffentlichem Dienst- und Haushaltsrecht mit einer ausgeprägten Organisations- und Behördenkultur ohne jegliche Wettbewerbschance auf dem Verkehrsmarkt mit Milliardendefiziten gegeben hat. Ich hoffe, daß wir diese dann sehr bald auch aus der Wirklichkeit verabschieden können. Von diesen Ausführungen habe ich kein Wort zurückzunehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Heute ist die Behördenbahn in der Tat längst Geschichte. Die Entscheidung, die Bahn als Wirtschaftsunternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft zu führen, war und bleibt richtig. Dies hat aber auch klare rechtliche Konsequenzen. Ich würde einem Juristen wie dem Fraktionsvorsitzenden Dr. Gysi empfehlen, im Aktiengesetz nachzulesen, bevor er Anträge unterschreibt, und dort nicht Dinge hineinzuschreiben, durch die ein Vorstand dann, wenn er sie täte, gegen das Aktienrecht verstoßen würde. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Na ja!) Der Bundestag sollte unter keinen Umständen einen verantwortlichen Unternehmensführer zu Gesetzesverletzungen auffordern. Daher kann man das, was dort vorgelegt worden ist, nur ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Bahn ist kein Sozialamt des Verkehrs mehr, in das jeder hineingreifen und sich bedienen kann mit der Folge permanent steigender Verlustzahlen der Bundesbahn. Ich zitiere aus der Rede von Bahnchef Dr. Rüdiger Grube beim Festakt „20 Jahre Bahnreform“ im Januar dieses Jahres: Die Bundesbahn und Reichsbahn hatten im Jahr vor der Bahnreform – also 1993 – 8 Milliarden Euro Verlust erwirtschaftet und mehr als 34 Milliarden Euro Schulden aufgehäuft. – Der Parlamentarische Staatssekretär hat eben den DM-Betrag genannt. Dr. Grube hatte den Betrag bereits in Euro umgerechnet. Es wurden also mehr als 34 Milliarden Euro Schulden aufgehäuft. Die Personalaufwendungen waren 1993 höher als die gesamten Umsatzerlöse. Stellen Sie sich diese Ausgangssituation vor, stellen Sie sich dann vor, zu dieser Ausgangssituation zurückzukehren. Dies wäre nach meiner Auffassung unverantwortlich. Eine AG heißt aber auch das Führen eines verselbstständigten Kapitals in eigener Verantwortung durch den Vorstand. Die Vorteile daraus sind, dass sich der Vorstand um die Kunden kümmern muss, also eine Kundenorientierung. Weitere Punkte sind eine Marktorientierung, eine Wettbewerbsorientierung, eine Produktivitätsorientierung und damit letztlich auch die Gewinnorientierung. Das ist Aufgabe und Pflicht des Vorstands nach dem Aktiengesetz. Es gibt auch eine klare Dividendenerwartung des Alleinaktionärs Bund, der zum Auf- und Ausbau des Systems erhebliche Bundesschulden auf sich genommen hat, die berechtigt waren, bzw. jetzt im Finanzierungskreislauf Schiene für Reinvestitionen in die staatliche Infrastruktur gesorgt hat. Dies war ein positiver und für den Haushalt sehr guter Schritt. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Fischer, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Leidig? Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Gerne. Sabine Leidig (DIE LINKE): Herr Kollege Fischer, meine Frage bezieht sich noch einmal auf den Schuldenstand. Ich muss gestehen, dass es mir nicht hundertprozentig klar ist, wie es sich tatsächlich verhält. Ich sage Ihnen einmal meine Informationen. Der Bund zahlt wie zu Beginn der Bahnreform nach wie vor 17 Milliarden Euro pro Jahr plus 2,5 Milliarden Euro Schuldendienst für die Altschulden der Bundesbahn. Dazu kommen aus meiner Perspektive die 19,3 Milliarden Euro, die die Deutsche Bahn AG an -Finanzschulden ausweist; denn diese 19,3 Milliarden Euro Schulden sind die Schulden eines bundeseigenen Unternehmens. Eigentlich muss man die Zahlen zusammenrechnen. Ich sehe einfach nicht, woher die gigantische Entlastung kommt. Wenn ich also die beiden Zahlen zusammenzähle, dann hat sich gar nichts geändert. Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Der Unterschied ist, dass damals ungeplante, den Haushalt belastende Jahresverluste entstanden sind, die erst am Ende eines Wirtschaftsjahres klar wurden. Mal waren es 3 Milliarden, mal 5 Milliarden Euro. Dafür war der Bund unmittelbar verantwortlich. Jetzt haben wir eine Aktiengesellschaft, die natürlich für Investitionen auch den Kapitalmarkt in Anspruch nimmt und diese aufgenommenen Kredite verzinst und tilgt. Sie hat auf der anderen Seite aber auch ein gewaltiges Anlagevermögen, das sich bilanziell niederschlägt. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das hatte der Bund vorher auch!) Das ist der gewaltige Unterschied. Die damalige unmittelbare Haushaltsverantwortung ist heute in dieser Weise nicht vorhanden. Ich fahre fort und sage: Die Lage vor der Bahnreform war dramatisch: rückläufige Marktanteile der Schiene im Güter- und Personenverkehr, der schon erwähnte steigende Schuldenstand, der besonders hohe Verschleiß und die Altlasten der ehemaligen DDR-Reichsbahn. Das Holdingmodell, bei dem wir nach der Zusammenführung gelandet sind, hat sich meiner Überzeugung nach bewährt. Der Bund ist und bleibt zu 100 Prozent Alleinaktionär der DB AG Holding, und ebenfalls zu 100 Prozent verbleiben im Alleineigentum des Aktionärs die Infrastrukturgesellschaften, die für eine Öffnung zum privaten Kapitalmarkt nicht infrage kommen. Das sind das Netz, die Stationen und die Energieversorgung. Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen, Bundesschienenwege sind staatliche Infrastruktur. Dort muss ein gleichberechtigter Wettbewerb möglich sein. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Fischer, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Burkert? Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Gerne, ja, aber mit der Bitte, dass mir die Zeit nicht angerechnet wird. Vizepräsidentin Petra Pau: Das ist schon längst geschehen. Martin Burkert (SPD): Die Zeit ist angehalten. – Werter Kollege Fischer, ich habe die Rede von damals nachgelesen. Ich will nur fragen, weil Sie bei der ersten Stunde dabei waren: Können Sie aus Ihrer Erfahrung kurz schildern, wie damals die Zusammenarbeit mit dem geschätzten sozialdemokratischen Kollegen Klaus Daubertshäuser und dem Zusammenwirken von Bundesrat und Bundestag mit einem solchen Erlebnis war? Nach 20 Jahren Bahnreform kann man das hier auch einmal machen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das waren alles tolle Kerle, bestimmt!) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Das ist ganz schnell gesagt. Wir haben eine Kommission eingerichtet, die wegweisende Vorschläge gemacht hat. Im Ministerium ist dann ein Gesetzentwurf gemacht worden. Wir haben damals parlamentarisch mit den Sozialdemokraten, die in der Opposition waren, und dem Koalitionspartner FDP, auch im Dialog mit den Grünen, diese Dinge bearbeitet. Dabei war ganz entscheidend, dass auch die Länder zustimmen mussten: bei der Übernahme des Schienenpersonennahverkehrs gegen Regionalisierungsmittel. Es gab mehrere Änderungen des Grundgesetzes, sechs neue Gesetze. Dann hat sich Minister Wissmann – das war auch sinnvoll – zu einer längeren Klausur mit den Vertretern der Länder an den Tegernsee begeben und die Einigung mit den Ländern herbeigeführt. (Martin Burkert [SPD]: In Bayern gelingt es!) Schließlich haben wir auf der breiten Basis von Regierungskoalition und Opposition – ich habe die Zahlen genannt – die Beschlussfassung durchgeführt. Ich glaube also, es war damals ein segensreiches und positives Zusammenwirken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will im Übrigen fortfahren und sagen: Demgegenüber sind natürlich die Betriebsgesellschaften des Unternehmens prinzipiell für den Kapitalmarkt offen. Deswegen ist im Rahmen des Holdingmodells seinerzeit eine Zwischenholding, die DB ML, gebildet worden. Der Weg an den Kapitalmarkt ist aus unserer Sicht nur dann ein Thema, wenn es wegen der Situation am Kapitalmarkt oder wegen eines interessanten, in strategischer Hinsicht sinnvollen Investors sinnvoll und möglich erscheint, was gegenwärtig nicht der Fall ist. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber jeder zahlt für die Schäden!) Faktisch ist im Unternehmen unter dem Dach und in der Gesamtverantwortung der Holding eine interne Trennung von Netz und Betrieb vorgenommen worden. Das ist erfreulich; denn der Finanzierungskreislauf Schiene garantiert jetzt – das war uns ein wichtiges Anliegen –, dass Gewinne von den staatlich bezuschussten Infrastrukturgesellschaften in die Infrastruktur reinvestiert werden und nicht etwa über die Kasse der Holding in die Erweiterungen der Betriebsgesellschaften transferiert werden dürfen. Das ist uns sehr wichtig. Das Holdingmodell steht aber auch im völligen Einklang mit der europäischen Eisenbahnpolitik. Denn das Holdingmodell ist unter jedwedem Aspekt mit dem in der Beratung befindlichen vierten Eisenbahnpaket der EU vereinbar – sowohl, was die technische Säule anbelangt, als auch, was die ordnungspolitische Säule anbelangt. Die Ziele der Bahnreform sind nach meiner Überzeugung erreicht worden. Der Bundeshaushalt wurde ins-besondere von unkalkulierbaren Risiken entlastet. Die EU-Konformität der deutschen Eisenbahnpolitik wurde erreicht. Die Wettbewerbsorientierung wurde gestärkt, Leistung und Produktivität wurden damit gesteigert. Der Kundennutzen wurde gemehrt. Die Modernisierung, -sowohl technisch als auch betrieblich, ist entscheidend vorangebracht worden. Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Fischer, achten Sie bitte auf die Zeit. Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Die Bahnreform hat die Grundlage dafür geschaffen, dass der Schienenverkehr in Deutschland nach Jahren des Niedergangs einen neuen Aufschwung erlebt hat und heute im europäischen Vergleich erfolgreich dasteht. Der Staatssekretär hat die Zahlen genannt, wobei man beim Fernverkehr darauf hinweisen muss: In der Zwischenzeit ist der eigenwirtschaftliche Interregio in den bezuschussten Nahverkehr transferiert worden. Die Bahnreform ist natürlich – da stimme ich allen zu – kein einmaliges Ereignis, sondern ein Prozess, der noch nicht beendet ist. Aber ich denke, zum Beispiel bei der Diskussion über den Schienengüterverkehr – – Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Fischer, Sie können gern weiterreden. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam: Das geht auf Kosten der Redezeit Ihres Kollegen Lange. (Martin Burkert [SPD]: Dem langen drei Minuten!) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Ich denke, dass der Schienengüterverkehr heute natürlich darunter leidet, dass wir eine Universalbahn haben. (Heiterkeit) – Ich habe den Eindruck, die Zeit für die Beantwortung der Zwischenfragen ist nicht ganz ausgeglichen worden. Aber egal! (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie reden ja bald schon zwölf Minuten!) Ich komme gerne zum Schluss. Wir wollen in dieser Legislatur zum Beispiel das Eisenbahnregulierungsgesetz verabschieden. Es geht darum, den fairen Wett-bewerb auf der Schiene weiter zu stärken. Wir wollen die Bahn weiter modernisieren. Politik und Unternehmen sind gemeinsam in der Verantwortung. Es ist also auch künftig unsere gemeinsame Aufgabe, die Bahn-reform erfolgreich fortzusetzen und sie von der nationalen hin zur europäischen Dimension weiterzuentwickeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das werden Sie gleich innerfraktionell klären, nehme ich an. – Erst einmal hat die Kollegin Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Kirsten Lühmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr geehrte Zuhörende! Französische Freunde haben berufsbedingt in unserem Ort gewohnt. Sie wollten ihren Sohn mit der Bahn von Hannover über Köln zur Großmutter nach Frankreich schicken. Sie kamen völlig entgeistert vom Bahnhof zurück. Denn sie hatten den Jungen in den falschen Zug geschickt. Als wir fragten, warum, haben sie gesagt: Wir haben uns gewundert; zehn Minuten vorher kam ein Zug, und wir sind es aus Frankreich gewohnt, dass an einem Gleis alle 30 Minuten ein Zug kommt. Als der Zug kam, dachten wir also, das wäre unserer. – Als wir ihnen dann erklärt haben, dass in Deutschland in 30 Minuten drei Züge an einem Gleis abfahren, waren sie hochbegeistert und hatten Hochachtung vor der Deutschen Bahn. (Beifall der Abg. Birgit Kömpel [SPD] – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ja, wo denn?) Unseren Kindern sagen wir natürlich: Man soll sich nicht am Schlechtesten orientieren, sondern immer versuchen, besser zu werden. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, die Feststellung in Ihrem Entschließungsantrag, die Bahnreform sei gescheitert, ist doch nun wirklich an den Haaren herbeigezogen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich nenne hier nur mal ein Beispiel: Ja, seit 2004 sind die Verspätungsminuten im Fernverkehr gestiegen. Das kann weder uns noch die Deutsche Bahn zufriedenstellen. Aber Sie verschweigen, dass die Verspätungsminuten im Nahverkehr um 20 Prozent zurückgegangen sind. Auch beim Fernverkehr gibt es zum Beispiel Effekte wie das Hochwasser, die über uns hereingebrochen wären, ob wir nun eine Deutsche Bahn AG, eine Reichsbahn oder eine Bundesbahn gehabt hätten. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Derzeit gibt es gar kein Hochwasser, aber trotzdem haufenweise Verspätungen!) Wir sollten die Situation von 1994 näher betrachten. Wir hatten – das wurde erwähnt – eine Bundesbahn und eine Reichsbahn, das heißt, wir mussten zwei verschiedene Systeme integrieren. Guckt man sich an, wie hoch damals der Marktanteil war, stellt man fest: Die Deutsche Bundesbahn hatte von 1950 bis 1990 den Marktanteil im Personenverkehr dramatisch reduziert: von 37 Prozent 1950 auf 6 Prozent 1990. Bei der Reichsbahn war der Rückgang noch eklatanter: In den fünf Jahren von 1985 bis 1990 hat sie 27 Prozent Marktanteil verloren; im Güterverkehr war es ähnlich. Wir mussten also dringend etwas tun, und das haben wir, und zwar mit dem bestehenden Personal, getan. Das war damals eine große Herausforderung. Ich möchte dem Personal, das die Herausforderung damals bewältigt hat, hier und heute dafür sehr herzlich danken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unsere Ziele waren: mehr Verkehre durch mehr Komfort, mehr Güterverkehre durch mehr Flexibilität. Nun kann man darüber spekulieren, ob wir dieselben Ziele auch mit einer Bundesbahnstruktur erreicht hätten. Aber ich glaube, diese Spekulation ist müßig. Wir können hier und heute feststellen: Die Reform durch die Bildung einer Holding war erfolgreich. Ich möchte hier nichts beschönigen. Es wurde schon erwähnt: Es gibt einige Dinge, die wir noch regeln müssen, zum Beispiel die Situation im Fernverkehr. Unser Ausschuss hat für das neue Jahr die entsprechenden Verantwortlichen geladen, um mit ihnen über dieses Thema zu diskutieren. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, einzelne Handlungsfelder zu einem Systemversagen hochstilisieren wollen, dann machen wir das nicht mit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nee, nee, da gibt es schon viele Handlungs-felder!) Sie beklagen in Ihrer Großen Anfrage und in Ihrem Entschließungsantrag Streckenstilllegungen und Personalabbau; die gibt es, das ist richtig. Aber richtig ist auch: Streckenabbau gibt es seit 1912, Personalabbau gibt es kontinuierlich seit 1960. Das hat nichts mit der Rechtsform der Bahn zu tun. Daran würde sich auch nichts -ändern, wenn wir noch die Bundesbahn oder die Reichsbahn hätten. Aber was sich geändert hat, das ist die Ausrichtung, die sich jetzt an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Sie haben es erwähnt: Die Regionalisierungsmittel haben im Nahverkehr riesige Fortschritte gebracht. Sie sind eine Erfolgsstory; denn der Nahverkehr ist damit näher an den Menschen und flexibler. In den Verhandlungen, die wir zurzeit führen, passen wir dieses System nun an die veränderten Rahmenbedingungen an. Mit dem neuen Modell der Bahn ist das auch möglich. Frau Leidig, wenn Sie zukünftig von Siegen nach Frankfurt fahren wollen, dann empfiehlt Ihnen der Kollege Bartol die Hessische Landesbahn, die diese Strecke sogar schneller bewältigt als vor der Reform. Ähnliches gilt für das Netz. Vor 1994 gab es bei der Eisenbahn nur Streckenstilllegungen – natürlich gab es auch nach 1994 Streckenstilllegungen –, aber heute gibt es, auch aufgrund der neuen Rechtsform, wieder Streckenaktivierungen. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen. Das ist in meinem Bundesland Niedersachsen der „Haller Willem“, der von Osnabrück über Dissen nach Bielefeld fährt. Über zehn Jahre gab es auf dieser Strecke keinen Personenverkehr. 2005 ist die Strecke reaktiviert worden. Das zweite Beispiel ist die Niedersächsische Landesregierung, die ein Projekt aufgelegt hat, mit dem sie neue Strecken reaktiviert. In einem transparenten Prozess sind von 28 gemeldeten Strecken die fünf sinnvollsten herausgearbeitet worden. Das sind die Erfolge des neuen Systems, und die darf man nicht klein-reden, auch wenn wir nicht alles erreicht haben; Herr Ferlemann hat darauf hingewiesen, dass wir das Thema Barrierefreiheit noch in dieser Legislaturperiode angehen werden. Zum Abschluss: Wir wollen die Bahn nicht glorifizieren, wir wollen sie aber auch nicht verteufeln. Ich stelle fest: Eisenbahn in Deutschland 2014 ist näher an den Menschen und näher an der Wirtschaft. Wir arbeiten in dieser Bundesregierung daran, das noch weiter zu verbessern. Es wäre schön, wenn wir das in diesem Hause gemeinsam gestalten könnten wie damals die Bundesbahnreform. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Ulrich Lange hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Ulrich Lange (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem Dirk Fischer, ein Mitglied des Deutschen -Bundestages, das vieles live erlebt hat, uns auf einen Ausflug in die Historie mitgenommen hat und unser Ausschussvorsitzender auf die Eisenbahngewerkschaft hingewiesen hat, kann ich mich auf ein paar wesentliche Punkte konzentrieren: Ja, vor 20 Jahren hat ein neues Eisenbahnzeitalter begonnen, ja, es war richtig, dass wir aus der Spirale rückläufiger Zugverkehre bei gleichzeitig ansteigendem Schuldenstand herausgekommen sind, und es war richtig, Schluss zu machen mit dieser Behördenbahn und zu sagen: Auch die Bahn muss sich als Wirtschaftsunternehmen aufstellen. Trotzdem haben wir die staatliche Verantwortung für die Infrastruktur und den öffentlichen Personennah-verkehr nicht aufgegeben. Mit den Regionalisierungsmitteln, die mehrfach angesprochen worden sind, schreiben wir wirklich Erfolgsgeschichte. Das wissen all diejenigen, die sich erinnern können, wie in den 80er-Jahren eine Strecke nach der anderen stillgelegt wurde. Wir finanzieren auch die NE-Bahnen; auch das möchte ich in diesem Zusammenhang erwähnen. Die NE-Bahnen sind Teil dieser Erfolgsgeschichte. Dass wir in den letzten Jahren wieder einen Zuwachs beim Personen- und beim Güterverkehr haben, ist bereits ausgeführt worden. Das zeigt, dass die Grundentscheidung mit Sicherheit richtig war. Liebe Kollegin Leidig, Ihre Zwischenfragen führen zu Verspätungen. Da ich öfter fliege, muss ich sagen: Es regt sich kaum einer darüber auf, dass kaum ein Flieger keine Verspätung hat. Dagegen sind die Verspätungen bei der Bahn doch relativ gering. Wer sind die Gewinner der Bahnreform? Gewinner sind die Kunden. Ich sage nur: Inzwischen haben fast 5 Millionen Menschen eine Bahncard. Das sind 5 Millionen Menschen, die sich ganz aktiv zu der Bahn als Verkehrsmittel bekennen. Wir stehen vor Herausforderungen; das ist richtig. Eine große Herausforderung sind wir angegangen – am 3. Dezember 2014 im Verkehrsausschuss und gestern im Haushaltsausschuss –, die LuFV II. Wir wollen – das ist ein Riesenschritt – in den nächsten fünf Jahren insgesamt 28 Milliarden Euro für den Bereich Schiene ausgeben, insbesondere zur Qualitätssicherung und für die Brücken. So gesehen können wir mit dieser Reform sehr zufrieden sein. Liebe Kollegin Leidig, zu dem Antrag der Linken sage ich an dieser Stelle ganz bewusst: Für uns scheidet ein Zurück zur alten Staatsbahn oder DDR-Reichsbahn einfach aus. (Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das war kein Erfolgsmodell. Wir wollen den Weg der modernen Bahn weitergehen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Da sind wir uns einig, Herr Lange, auch wenn es Ihnen nicht passt!) Wir wollen mehr Wettbewerb im Güterverkehr und noch mehr Wettbewerb im Schienenpersonennahverkehr. Auch im Fernverkehr könnte – ich sage das ganz offen; denn diesbezüglich sind wir noch nicht ganz zufrieden – durch Wettbewerb vielleicht das eine oder andere zusätzlich erreicht werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen werden wir in dieser Legislaturperiode das Eisenbahnregulierungsgesetz noch einmal in Angriff nehmen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich!) Wir werden die Bahn weiter modernisieren. Wir wollen im Interesse der Berufspendler WLAN in den Zügen. Wir wollen eine moderne Gesellschaft – mit der Bahn. Die Bahnreform ist eine Erfolgsgeschichte. Wir wollen sie fortsetzen. In diesem Sinne wünsche ich eine gute Heimreise mit der Bahn und frohe Weihnachten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich danke für die Minimierung der Verspätung, Kollege Lange, und schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3560. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Deutsche Welle Aufgabenplanung der Deutschen Welle 2014 bis 2017 Drucksachen 18/2536, 18/3056, 18/3216 Nr. 3, 18/3595 Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie an der Debatte jetzt nicht teilnehmen können oder wollen, bitte ich Sie, trotzdem dafür zu sorgen, dass diejenigen, die sich hier beteiligen wollen, auch der Debatte folgen können. – Es schmerzt mich immer besonders, wenn meine eigene Fraktion mich ignoriert. (Heiterkeit) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Staatsministerin Professor Monika Grütters. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Den Wert einer Sache lernt man bekanntlich oft erst durch ihren Verlust zu schätzen. Das gilt natürlich auch und ganz besonders für den Wert eines unabhängigen und freien Journalismus. Es ist daher sicher kein Zufall, dass die Nachfrage nach der Berichterstattung der Deutschen Welle gerade in Krisengebieten wie der Ukraine zurzeit sehr groß ist. Die Deutsche Welle steht für Meinungsfreiheit, für Pressefreiheit, für Menschenrechte, für Demokratie und soziale Marktwirtschaft. Sie ist damit natürlich gerade in Krisenregionen für viele Menschen die einzige oder zumindest eine sehr wesentliche Verbindung in die freie Welt. Obwohl sie inzwischen mit 26 internationalen Sendern konkurriert, ist es der Deutschen Welle in den vergangenen Jahren gelungen, die Nutzung ihres Angebots um – ich sage es einmal so – satte 17 Prozent auf immerhin 101 Millionen Nutzer pro Woche zu steigern. Das ist ein Zeichen für ihre hohe Glaubwürdigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir heute die Stellungnahme der Bundesregierung zum Entwurf der Aufgabenplanung der Deutschen Welle bis 2017 beraten, geht es zum einen darum, was uns eben genau dieser Auslandsrundfunk als – so nennen wir es ja immer – Leuchtturm unseres demokratischen Rechtsstaates im Ausland tatsächlich wert ist, zum anderen müssen wir uns aber auch gelegentlich die Frage stellen, welche Signale dieser Leuchtturm zurzeit sendet und ob er überall die richtigen Signale aussendet. Diese Fragen hängen – das ist offensichtlich – miteinander zusammen. Insofern war es – das möchte ich hier offen sagen – nicht hilfreich, dass die Deutsche Welle mit dem Ausscheiden ihres Intendanten aus dem Kuratorium von Reporter ohne Grenzen wegen ihrer China-Strategie in die Schlagzeilen gekommen ist, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ganz unabhängig davon, wer den Anlass gegeben hat und dass Reporter ohne Grenzen offensichtlich mit zweierlei Maß misst: Das ZDF bleibt drin, die Deutsche Welle geht raus. Warum und wie auch immer, ich finde es bedauerlich. Das richtige Signal war das jedenfalls nicht. Das ist ausnahmsweise eines, das mir nicht gefällt, bei allem Verständnis dafür, dass die Deutsche Welle ihre Präsenz in China verbessern will. Ich finde, dass man, gerade wenn man in solch schwierigen Ländern vertreten sein will, auch senden können muss. Deshalb wäre es ja gerade richtig, dass sie in China präsent ist. Der Empfang der Deutschen Welle wird im Gegensatz zu anderen Sendern in China geblockt. Die Internetangebote sind seit 2008 gesperrt. Das zeigt, dass die Deutsche Welle – zumindest in China – alles andere als ein regimefreundlicher Sender ist. Auch das muss man in diesem Kontext sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Über den richtigen Weg zum Ziel, also zur Stärkung der Deutschen Welle – das wollen wir hier alle –, lässt sich also trefflich streiten. Fest steht: Wir können es uns angesichts der aktuellen internationalen Entwicklungen als größtes Land der EU nicht leisten, unseren Auslandssender zu vernachlässigen, im Gegenteil. Die politischen Krisen, die in vielen Teilen der Welt mit Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit einhergehen, machen es geradezu erforderlich, die Deutsche Welle als Leuchtturm demokratischer Werte zur Orientierung gerade in Krisenregionen zu stärken. Diesem Ziel trägt die Finanzplanung für den Zeitraum der Aufgabenplanung durchaus Rechnung. Nach Jahren der Stagnation haben wir den Bundeszuschuss an die Deutsche Welle nämlich substanziell erhöht. Im Ergebnis stehen der Deutschen Welle gegenüber der Haushaltssituation 2013 im Jahr 2014 rund 10 Millionen Euro mehr zu, und 2015 sind es sogar 13,5 Millionen Euro, wenn auch ganz überwiegend zweckgebunden. Anders als andere vom Bund finanzierte Einrichtungen hat die Deutsche Welle – das muss man hier, finde ich, offen ansprechen; denn diese Wünsche sind und bleiben erst einmal offen; es sind nicht nur Wünsche des Senders, sondern auch unsere; wir machen sie uns also zu eigen – wegen ihres eigenen Haustarifvertrages – ihn hat sie wegen der Rundfunkfreiheit – seit 1998 anders als die im Rahmen des TVöD berücksichtigten Einrichtungen keinen Ausgleich für Tarifsteigerungen bekommen. (Dagmar Freitag [SPD]: Genauso ist das!) Vergütungserhöhungen belasten deshalb seit vielen Jahren ihren Haushalt, weshalb hierüber sicherlich nicht nur zu reden sein wird. Darin waren wir uns in der Haushaltsdebatte vor drei Wochen übrigens alle einig. (Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Freitag [SPD]: Sehr gut! – Martin Dörmann [SPD]: So ist es!) Nun zum Inhalt bzw. zum Programm. Aus der Aufgabenplanung geht hervor, dass die Deutsche Welle ihre Position im internationalen Vergleich hinsichtlich der Akzeptanz und Reichweite deutlich ausbauen will. Ich finde das spannend und hoffe, dass es ihr gelingt, was angesichts der Konkurrenz von oft propagandistischen Sendern – es geht ja um Konfliktgebiete – in unser aller Sinne ist. Dazu sollte das Programm aktueller sein. Wir brauchen eine stärkere Ausrichtung auf Nachrichten, haben Sie gesagt. Aus unserer Sicht gehören Dokumenta-tionen, Magazine, auch zu Themen aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft, sehr wohl dazu; sie dürfen nicht zu kurz kommen. Ein reiner Nachrichtenkanal darf die Deutsche Welle nicht werden. Der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom Juni 2013 über eine viel engere Kooperation zwischen Deutscher Welle und ARD, ZDF und Deutschlandradio trägt dazu bei, dass ein abwechslungsreiches Programm gemacht wird. Außerdem kann die Deutsche Welle auf ein dichtes Korrespondentennetz zurückgreifen. Natürlich ist auch das Thema „Deutsche Stimme“ wichtig. Als Auslandssender und als deutsche Stimme in der Welt muss sie natürlich auch weiterhin deutschsprachig präsent sein. (Beifall der Abg. Dagmar Freitag [SPD]) Dies kann gerade durch die Kooperation mit ARD und ZDF gewährleistet werden. Es darf nicht der Eindruck entstehen – das ist in den vergangenen Tagen doch passiert –, Etatsteigerungen könnten mit der Drohung durchgesetzt werden, das deutschsprachige Programm zu reduzieren, also ausgerechnet bei der Kernaufgabe zu lahmen. Das geht nicht. Diese Wahl hat man gar nicht. Schon das Deutsche-Welle-Gesetz steht dem entgegen. Ein letzter Satz. Ich bin sehr froh, dass wir uns über die zunehmend wichtiger werdende Rolle der Deutschen Welle als Botschafterin unseres Landes weitgehend einig sind. Vor diesem Hintergrund appelliere ich an Sie alle, die geplanten Maßnahmen zur Stärkung der Relevanz und der Breitenwirkung ihres Angebots mit zu unterstützen, wie es auch der Verwaltungsrat und der Rundfunkrat getan haben. Die Deutsche Welle soll auch in Zukunft eine Stimme der Freiheit sein, gerade dort, wo unabhängige Stimmen durch Propaganda und Zensur zum Verstummen gebracht werden. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Der nächste Redner ist Harald Petzold, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Deutsche Welle, über deren Aufgabenplanung bis 2017 wir heute hier diskutieren, ist international sehr geachtet; Frau Staatsministerin Grütters hat die Zahlen dazu genannt. Ich finde, dafür gibt es gute Gründe, unter anderem das vielfältige und qualitativ hochwertige journalistische Angebot. Ich denke, darüber hinaus verdankt die Deutsche Welle ihre Anerkennung auch einer Mitarbeiterschaft, die trotz des jahrelangen Verzichts auf Tariferhöhungen eine wunderbare Arbeit geleistet hat. Allerdings müssen wir feststellen, dass inzwischen nur noch circa 1 500 dieser Mitarbeiter fest angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, während gleichzeitig circa 4 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freie oder sogenannte feste freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind. Gäbe es diese freien Mitarbeiter nicht, würde der Sendebetrieb gar nicht mehr aufrechterhalten werden können. Deshalb möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Welle an dieser Stelle ausdrücklich für ihre Arbeit, durch die der Sender eine internationale Anerkennung erhalten hat, trotz der widrigen Umstände danken. Gleichzeitig möchte ich dafür werben, dass es für die freien und die sogenannten festen freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter endlich auch angemessene Mitbestimmungsrechte gibt. (Beifall bei der LINKEN) Bislang werden sie beispielsweise nicht beteiligt, wenn es um die Gestaltung ihrer Arbeitsplätze oder um eine Umqualifizierung geht. Das kann in Zukunft nicht so bleiben. Ich denke, die Deutsche Welle verdankt ihre Beliebtheit darüber hinaus der hochwertigen journalistischen Arbeit und ihrer Sprachenvielfalt. Als Abgeordneter war ich inzwischen mehrfach in El Salvador zur internationalen Wahlbeobachtung, und ich hatte dort Kontakt zu vielen jungen Leuten, die sich entweder als Studierende, in ihren Quartieren oder in den NGOs politisch engagieren. In den Gesprächen fiel immer wieder der Name „Deutsche Welle“. Das ist nicht verwunderlich. El Salvador ist ein Land, das viele Jahre lang einen mörderischen Bürgerkrieg über sich ergehen lassen musste. Meinungs- und Pressefreiheit weiß das Land sehr wohl zu schätzen, weil sich führende Leitmedien des Landes in Händen von Unternehmen oder, wie wir sagen würden, Oligarchen befinden. An dieser Stelle kommt die Deutsche Welle ins Spiel, weil sie einen Kontrast zu diesen Medien in diesem Land setzt und die Pressefreiheit deutlich erlebbar macht. Darüber hinaus bietet sie eine Möglichkeit, die deutsche Sprache zu erlernen. Einige dieser Studierenden sind inzwischen beispielsweise an der Fachhochschule in Wildau. Sie studieren in Deutschland und wissen dieses Sprachenangebot deswegen sehr zu schätzen. Andere arbeiten beispielsweise bei DHL in San Salvador oder bei Bombardier in Mexiko. Damit hat die Deutsche Welle ihre Wirkungsziele, wie das auch im Evaluationsbericht steht, meines Erachtens sehr gut erreicht. Gemessen an den Zielen, die der neue Intendant hat, sind das natürlich möglicherweise nur bescheidene Erfolge. Vor allen Dingen sind das möglicherweise auch nicht die Erfolge, die der Intendant hauptsächlich im Auge hat, wenn er davon spricht, dass es darum geht, dass man mit der Deutschen Welle, wenn man schon nicht die erste oder zweite Geige im Orchester der weltweit agierenden Medienanbieter spielen kann, wenigstens binnen weniger Jahre die dritte Geige hinter CNN und der britischen BBC spielen möchte. Ich frage mich dann: Wieso eigentlich? Auf welche Mission soll die Deutsche Welle hier plötzlich geschickt werden? Frau Professor Grütters, Sie loben hier die Programmvielfalt. Ich frage mich natürlich: Warum werben Sie dann für eine derartige strategische Neuausrichtung? Das ist für mich nicht nachvollziehbar. (Beifall bei der LINKEN) Die Aufgabenplanung klingt so: Es ist ein Ziel der Deutschen Welle, künftig stärker als bisher die internationale Medienagenda zu prägen und das Wirkpotenzial ihrer Angebote zu stärken. Das ist natürlich ein luftiger Satz. Wer heute früh die Debatte über Finanzhilfen für Griechenland verfolgt hat, der hat möglicherweise auch eine Vorstellung davon, in welche Richtung das gehen soll: Der Sender soll nicht mehr die Lebensvielfalt in Deutschland widerspiegeln, sondern zu einem Sprachrohr für das Auswärtige Amt umgestaltet werden. Dem können wir uns überhaupt nicht anschließen. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zu den deutschen Perspektiven in Bezug auf Europa und die Welt. Die Deutsche Welle soll nach und nach zu einem Baustein weltweiter deutscher Inte-ressenpolitik werden. Hier werden wir als Linke nicht mitmachen. Das widerspricht unseres Erachtens auch der Aufgabenstellung im Deutsche-Welle-Gesetz. Die Neuausrichtung des Senders ist der Grund für die zum Teil gravierenden Struktur- und Personalveränderungen. Diese sind wiederum der Grund für die große Unsicherheit unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den bereits eingeleiteten Personalabbau. Das ist auch der Hintergrund, weshalb wir in unserem Entschließungsantrag den Erhalt der sprachlichen Vielfalt und der deutschen Sprache stark betonen, auf die Interessen der Beschäftigten und die Fürsorgepflicht des Senders für seine ausländischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinweisen und natürlich eine auskömmliche Finanzierung fordern. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und möchte noch einmal kurz auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sprechen kommen; Frau Präsidentin, Sie werden es mir gestatten, dies zum Schluss zu sagen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben einen offenen Brief an die Politik gesendet, der inzwischen von über 130 Künstlerinnen und Künstlern, Kulturschaffenden und Wissenschaftlern unterstützt wird. Ab heute Abend werden auch die 64 Abgeordneten der Linken zu den Unterstützern dieser Forderungen gehören. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das kann nicht sein! So viele sind nicht hier!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Martin Dörmann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Martin Dörmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In allzu vielen Ländern erleben wir derzeit gewaltsame Krisen, demokratiefeindliche Bestrebungen oder den Versuch, freie Kommunikation zu unterdrücken. Gerade vor diesem Hintergrund ist die Bedeutung unseres Auslandssenders Deutsche Welle noch einmal deutlich gestiegen. Die Deutsche Welle ist eine wichtige Botschafterin für unser Land, aber auch für unsere Werte. Für viele Menschen vor Ort ist sie eine Stimme der Freiheit, der sie vertrauen. Auf allen Kontinenten kann man DW-Programme -abrufen, sei es über TV, Radio oder online, und zwar in insgesamt 30 unterschiedlichen Sprachen. Die Sprachenvielfalt und die hohe journalistische Qualität und Glaub-würdigkeit der Deutschen Welle genießen weltweit hohe Anerkennung. Dennoch gibt es immer wieder Möglichkeiten und Herausforderungen, um die eigene Arbeit zu optimieren. Der Sender steht in einem immer stärker werdenden internationalen Konkurrenzkampf um die Aufmerksamkeit der informationssuchenden Menschen. Selbst Russen und Chinesen drängen mit englischsprachigen Programmen nach vorne, die im Übrigen überdimensioniert -finanziert werden. Die vorgelegte Aufgabenplanung der Deutschen Welle zielt darauf ab, die Relevanz der Deutschen Welle als globaler Informationssender mit hoher Regionalkompetenz zu stärken. Erfolgreiche regionalsprachige Angebote werden aufrechterhalten, aber eben auch neue Schwerpunkte gesetzt, um eine größere Nutzerreichweite zu erreichen. Weltweit ist dabei der englischsprachige TV-Kanal der Deutschen Welle besonders erfolgreich mit 30 Millionen Nutzerkontakten pro Woche. Das Angebot soll noch attraktiver und aktueller gestaltet werden. Wenn heute – im wahrsten Sinne des Wortes – Weltbewegendes passiert, ist die Deutsche Welle mit ihren -Arbeitsstrukturen oft nicht in der Lage, ihr weltweites Programm in unterschiedlichen Zeitzonen aktuell zu unterbrechen, um dann sogenannte Breaking News zu machen. Ich gebe Ihnen hierzu einmal ein plastisches Beispiel, um zu zeigen, worum es dabei geht. Raten Sie einmal, was bei der Deutschen Welle am 11. September 2001 – also beim Terroranschlag auf das World Trade Center – gesendet wurde. Das war ein Bericht über Saunen unter dem Titel „Das türkische Bad in Duisburg“. Die Deutsche Welle war nicht in der Lage, kurzfristig auf live umzuschalten, sondern musste sehr lange Zeit nur mit einem Laufband unter den Bildern operieren. Sie können sich vorstellen, dass man so auf Dauer nicht konkurrenzfähig sein kann in einem sich weiterentwickelnden globalen Markt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit ihrem Entschließungsantrag unterstützen die Koalitionsfraktionen die von der Deutschen Welle selbst vorgelegte Aufgabenplanung. Diese zielt darauf ab, die Aktualität, Relevanz und Reichweite der Welle zu stärken. Gleichzeitig – das ist schon angeklungen, und ich bin dankbar, dass Frau Staatsministerin Grütters darauf eingegangen ist – wollen wir eine nachhaltige Finanzierung sicherstellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Finanzrahmen unseres Auslandssenders wird durch den Bundeshaushalt bestimmt. Deshalb haben sich Union und SPD bereits im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Deutsche Welle dauerhaft und spürbar zu stärken. Für die Jahre 2014 und 2015 wurden bereits zweistellige Millionensummen zusätzlich für die Deutsche Welle zur Verfügung gestellt. Nun haben wir uns vorgenommen und dies im Entschließungsantrag ausdrücklich erwähnt, endlich auch das grundlegende strukturelle Finanzierungsproblem bei der Deutschen Welle zu beseitigen, nämlich die fehlenden Personalkostensteigerungen seit den 90er-Jahren. Das wollen wir beenden, und das wird ein echter Paradigmenwechsel werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haushaltsberatungen sind noch nicht!) Wenn es uns gelingt, das im Haushalt abzubilden, dann wird die Aufgabenplanung der Deutschen Welle in vollem Umfang umgesetzt werden können. Dann hätten sich manche Einsparüberlegungen, die derzeit beispielsweise der Intendant der Deutschen Welle vorbringt, er-ledigt. Dieser sagt: Wenn wir die strukturellen Finanzprobleme nicht lösen, dann steht einiges an. – Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind deshalb derzeit zu Recht sehr verunsichert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will es deutlich sagen: Das Sparszenario, dass die linearen TV-Programme in den Sprachen Deutsch, Arabisch und Spanisch eingestellt werden, weil deren Finanzierung nicht gesichert ist, darf nicht eintreten. Das müssen wir verhindern. Solche Kürzungen sind im Übrigen nicht Bestandteil der Aufgabenplanung, über die wir heute beschließen. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam dafür sorgen, dass die Deutsche Welle auf eine stabile finanzielle Grundlage gestellt wird und auch weiterhin ihre Kernkompetenzen in vollem Umfang zur Geltung bringen kann, nämlich Regionalität, Sprachenvielfalt und nicht zuletzt professionellen Journalismus. Ich möchte mit einem ausdrücklichen Dank an die festen und an die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Welle schließen. Mit ihrem besonderen Einsatz und ihrem Engagement leisten sie einen unverzichtbaren Beitrag sowohl für eine freie und demokratieorientierte Berichterstattung – global, in vielen Ländern dieser Erde – als auch für das positive Bild, das dadurch ein Großteil dieser Welt von Deutschland hat. Die SPD-Bundestagsfraktion und die Koalition insgesamt stehen jedenfalls dafür ein, dass auch in Zukunft die Rahmenbedingungen im Deutschen Bundestag so gesetzt werden, dass die Deutsche Welle erfolgreich sein kann. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Kollege Dörmann. – Nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen ist Tabea Rößner. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Deutschen Welle rumort es gewaltig. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind verunsichert und bangen um ihren Job. Am Montag gingen 600 von ihnen auf die Straße. Seit Monaten sorgen die Umstrukturierungen in der Deutschen Welle für Kritik, und wir finden, völlig zu Recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Der Plan, aus der Deutschen Welle vor allem einen Breaking-News-fähigen englischsprachigen Fernseh-Nachrichtenkanal zu machen, entspricht eher 1990 als 2014, und er holt schon gar nicht das Beste aus der Deutschen Welle heraus. Ein englischer Nachrichtensender als Flaggschiff wendet sich gegen alles, was die Deutsche Welle im internationalen Medienmarkt einzigartig, konkurrenzfähig und schlagfertig macht, nämlich ihre regionalen Kompetenzen, ihre Glaubwürdigkeit als Informationsanbieter gerade in unfreien Medienmärkten, ihre fundierten Hintergrundberichte und vor allen Dingen ihre Vielsprachigkeit. Das alles sind Pfunde, mit denen die Deutsche Welle wuchern kann. Dem Gespenst der inhaltsleeren Umstrukturierung müssen wir daher Einhalt gebieten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich erkläre Ihnen auch, warum die Pläne inhaltsleer sind. Es geht nämlich nicht darum, das bestmögliche Programm zu machen. Es geht einzig und allein um Reichweite, die heilige Kuh der Fernsehreligion. Damit habe ich ein Problem. Sie tun so, als bedeute Englisch automatisch mehr Reichweite. Das ist aber nur theoretisch so. In der Theorie ist es auch so, dass Sie, Herr Dörmann oder Herr Wanderwitz, noch eine Karriere als Diskuswerfer vor sich haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der Praxis haben Sie aber vielleicht andere Stärken. Mit der Deutschen Welle verhält es sich genauso: Sie ist personell, journalistisch und strukturell nicht dafür ausgestattet, ein englisches Flaggschiff zu werden. Und sie hat mit der BBC einen übermächtigen Tanker vor sich, der überall schon da ist, wo die Deutsche Welle erst noch hinwill. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Rößner, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung des Kollegen Dörmann? Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber gerne. Ich bin gespannt, was er dazu sagt. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Martin Dörmann (SPD): Vielen Dank, liebe Tabea Rößner. Sie haben gerade die Reichweite angesprochen. Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, dass, wenn die Deutsche Welle ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen soll, unsere Werte in die Welt zu bringen, natürlich auch die Reichweite eine Rolle spielt, übrigens auch dadurch, dass man mit anderen Sendern konkurriert, auf knappen Plätzen Fuß zu fassen, beispielsweise bei TV-Kabelkanälen. Aber ich habe auch Ihren Antrag sehr sorgfältig gelesen. In Ihrem Antrag kritisieren Sie ausdrücklich den – wie Sie meinen – aussichtslosen Konkurrenzkampf gegenüber der BBC. Sie haben das gerade angesprochen. Ich frage mich, ob Sie nicht etwas zu wenig optimistisch darin sind, den Mitarbeitern etwas zuzutrauen, die doch sehr erfolgreich sind. Vor allem aber verwickeln Sie sich in Ihrem eigenen Antrag in einen Widerspruch. Denn Sie fordern in Ihrem Antrag, dass § 4 des Deutsche-Welle-Gesetzes geändert werden soll, und darin soll festgeschrieben werden – ich zitiere –: Es muss das Ziel der Deutschen Welle sein, die Nummer eins der unabhängigen Informationsanbieter in unfreien Medienmärkten zu werden. Weil Sie gerade die Reichweite nicht als Messlatte gelten lassen wollten, stellt sich die Frage, ob das nicht ein Widerspruch ist und ob die BBC beispielsweise für Sie jetzt zu den unfreien Sendern gehört. Auch das wäre interessant. Sie haben gesagt, dass es zu einer gesetzlichen Verpflichtung werden muss, die Nummer eins zu werden. Woran messen Sie das? Wenn das konsequent weitergedacht wird, dann müssten wir auf die Programme setzen, die eine besonders hohe Reichweite haben. Wie bereits angedeutet, ist das erfolgreichste Programm das englische mit 30 Millionen Nutzerkontakten pro Woche, während das deutsche Programm gerade einmal 250 000 hat. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Dörmann, das sollte keine zweite Rede werden. Martin Dörmann (SPD): Ich will ausdrücklich das deutsche Programm hochhalten. Aber sehen Sie die Widersprüche in Ihrem Entschließungsantrag genauso? Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So kann man seine Redezeit natürlich deutlich verlängern, wenn man das nicht sagen konnte, was man eigentlich sagen wollte. Aber die Reichweite ist in der Tat ein wichtiger Faktor. Ich glaube, dass die Reichweite auf den Regionalmärkten relevant ist. Schwierig zu messen ist sie überall. Ich weiß nicht genau, wie sie weltweit -gemessen werden soll. Aber die Reichweite auf den Regionalmärkten ist der relevante Faktor. Nach meiner Einschätzung ist es daher wichtig, hier Platz eins zu belegen, allerdings nicht unbedingt in Konkurrenz zur BBC. – Vielen Dank für Ihre Zwischenfrage, Herr Dörmann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dagmar Freitag [SPD]: Das war keine gute Antwort!) Wenn es um ein internationales Kräftemessen geht, wie die Befürworter des Umbaus ständig behaupten: Warum suchen Sie sich dann nicht eine Disziplin, in der Sie stärker sind als die Konkurrenz? Noch eine Frage stellt sich mir: Wie bitte soll die Deutsche Welle mehr Reichweite erzielen, wenn gleichzeitig große Teile des Programms eingestellt werden? Das ist doch unlogisch. Wir sind unbedingt für eine Modernisierung der Deutschen Welle. Aber hierfür müsste man ihre Alleinstellungsmerkmale stärken und dürfte nicht bestehende Modelle kopieren, die wenig mit den Kernkompetenzen der Deutschen Welle zu tun haben. „Englisch ist die Sprache der globalen Entscheider“, sagt der Intendant. Damit seien aber auch Vertreter der Zivilgesellschaft gemeint. Ich verstehe unter Entscheidern Leute, die in Positionen sind, die es ihnen ermöglichen, zu entscheiden. Wenn aber Vertreter der Zivilgesellschaft erreicht werden sollen, dann ist die Ausrichtung auf Englisch falsch; denn deren Muttersprachen sind Deutsch, Rumänisch, Farsi, Hausa, Amharisch, Kisuaheli und viele mehr. Wieso sollen ausgerechnet diese Sprachen keine Reichweite haben? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Martin Dörmann [SPD]: Die Deutsche Welle wird weiterhin 30 Sprachen haben!) Die Androhung der Intendanz, bis auf den englischsprachigen alle Fernsehkanäle zu kürzen und zehn Sprachen zu streichen, ist aus vielen Gründen schlimm. Vor allem aber empört sie mich als Mitglied dieses Hauses; denn wir sollen damit erpresst werden. Die Geiseln dieser Erpressung sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auf deren Rücken wird dieser Konflikt ausgetragen. Das ist unanständig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Demonstrationen, die Eintritte bei Reporter ohne Grenzen, die offenen Briefe im Fahrstuhl der Deutschen Welle, sie alle zeigen: Die Mitarbeiter lassen sich die Drohungen nicht länger bieten. Wir sollten uns das auch nicht bieten lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben in unserem Entschließungsantrag Vorschläge für eine zukunftsgerichtete Deutsche Welle gemacht. Wir setzen uns für die Stärkung der Vielsprachigkeit ein, weil genau dies das Alleinstellungsmerkmal der Deutschen Welle ist und damit die Konkurrenzfähigkeit im Vergleich zur BBC verbessert wird. Wir fordern, dass die Deutsche Welle reformiert wird, damit der Sender für die Zukunft einen klaren Auftrag bekommt, aus dem hervorgeht, was er machen soll und was er nicht machen soll. Wir sind dafür, den Etat zu erhöhen. Wir wollen, dass die Deutsche Welle für Demokratieförderung in der Welt steht und sich weltweit für Presse- und Informationsfreiheit einsetzt. Zur Aufgabenplanung gehören auch eine transparente Personal- und Finanzplanung. Wir fordern, dass die vielen festen freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die einen Großteil der Beschäftigten ausmachen, Festangestellten gleichgestellt werden, damit auch ihre Rechte im Personalrat vertreten werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu China und der Kooperation mit dem Staatssender CCTV habe ich noch gar nichts gesagt. Da meine Redezeit abgelaufen ist, nur noch einen Satz dazu: Es sollte selbstverständlich sein, dass über Kooperationen im Rundfunkrat diskutiert und entschieden wird; denn mit einem Staatssender in einem Land zu kooperieren, das die Medienfreiheit nicht achtet, kann die Glaubwürdigkeit der Deutschen Welle massiv beschädigen. Surfer träumen ihr Leben lang von der perfekten Welle. Wir haben hier sicherlich kein Leben lang Zeit zum Träumen, und perfekt muss die Deutsche Welle auch nicht sein. Aber sie hat eine echte Chance verdient, eine gute, neue Deutsche Welle zu sein. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Bundesregierung erhält jetzt das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Silberhorn. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Silberhorn, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Welle ist ein Schaufenster unseres Landes in der Welt. Sie ist eine Stimme für freie Medien, die in 29 Fremdsprachen einschließlich Amharisch und auch in Deutsch verbreitet wird. Meinungsfreiheit und ein ungehinderter Zugang zu Information sind nicht nur ein Grundpfeiler einer funktionierenden demokratischen Ordnung, sondern sind auch spürbarer Ausdruck von guter Regierungsführung und damit ein Fundament für nachhaltige Entwicklung. Dort, wo man sich frei äußern kann und wo man ohne Angst ungehindert Zugang zu Information bekommen kann, herrscht ein Mindestmaß an Transparenz, ein Mindestmaß an Offenheit und Teilhabe in einer Gesellschaft, die notwendig sind, damit öffentliche Gewalt – Politik, Verwaltung und Justiz – ihr Handeln am Gemeinwohl der Bürger ausrichtet. Wir sehen im Entwicklungsministerium täglich, vor welch großen Herausforderungen die Länder stehen, in denen die Medien an die Leine gelegt werden. Deswegen fördert unsere Entwicklungszusammenarbeit ganz gezielt Maßnahmen, die Meinungs- und Pressefreiheit in unseren Kooperationsländern stärken und die die Arbeit von freien Medien erleichtern. Die Deutsche Welle hat mit ihrer Akademie einen kompetenten Partner, der international hohe Anerkennung genießt. Wir freuen uns, dass wir mit der Deutschen Welle Akademie als unserer zentralen Durch-führungsorganisation für ungehinderten Zugang zu Information und zur Stärkung der Meinungsfreiheit zusammenarbeiten können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir bilden seit vielen Jahren über die Deutsche Welle Akademie Journalisten aus Entwicklungs- und Schwellenländern aus. Die Deutsche Welle Akademie führt unsere Projekte zu Meinungsfreiheit und Medienentwicklung durch, und sie unterstützt Partner in unseren Kooperationsländern dabei, ihre eigenen Programme zu entwickeln und auch zu senden, damit ihre Stimmen gehört werden können. Ein Beispiel: Es wurden afrikanische Fernsehjournalisten und Kameraleute geschult. Das Ergebnis sind eigenständige, kritische Beiträge, die ganz unterschiedliche Einblicke in den afrikanischen Alltag ermöglichen und die das Potenzial aufzeigen, das unser afrikanischer Nachbarkontinent birgt. Aus entwicklungspolitischer Sicht kann ich nur sagen: Wir begrüßen, dass die Deutsche Welle in ihrer Aufgabenplanung die Bedeutung der Eigenständigkeit der überwiegend vom Entwicklungsministerium finanzierten Projektarbeit der Deutschen Welle Akademie so klar herausstellt. Wir begrüßen auch, dass bei der weiteren Programmentwicklung der Deutschen Welle die Frage nach der Nutzung der Angebote explizit gestellt wird. Wie groß ist die Wirkung? Wen erreichen wir? Wie viel können die relevanten Zielgruppen mit den Sendungen anfangen? Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Wir hatten eine Bereinigungssitzung unseres Haushaltsausschusses im November, in der deutlich geworden ist, dass es fraktionsübergreifend eine große Unterstützung und ein starkes Interesse daran gibt, dass die Deutsche Welle gut ausgestattet wird. Auch dem Entwicklungsministerium ist daran gelegen. Deshalb haben wir für diese Legislaturperiode zugesagt, Programme der Deutschen Welle, die einen klaren entwicklungspolitischen Mehrwert aufweisen, zu fördern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) An oberster Stelle steht für das Entwicklungsministerium aber natürlich nach wie vor die Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle Akademie. Wir setzen uns darüber hinaus für Meinungsfreiheit und Medienentwicklung ein. Wir freuen uns darüber, dass wir einen neuen Haushaltstitel mit der Bezeichnung „Förderung von Medien, Zugang zu Information und Meinungsfreiheit in Kooperationsländern“ haben. Das ermöglicht uns neue Flexibilität. Wir können mit bis zu 10 Prozent dieses Titelansatzes auch Nichtregierungsorganisationen unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Deutsche Welle ist für die kommenden Jahre gut aufgestellt, auch aus entwicklungspolitischer Sicht. Ich freue mich, dass wir mit der Deutschen Welle Akademie einen starken Partner haben, mit dem wir Meinungsfreiheit und den Zugang zu Information weltweit fördern können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dagmar Freitag, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dagmar Freitag (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Welle ist der Auslandssender Deutschlands und hat unter anderem – wir haben es schon mehrfach gehört –, die Aufgabe, unser Land der Welt als freiheitlichen, weltoffenen und demokratischen Rechtsstaat näherzubringen. Sie zeigt, selbstverständlich journalistisch unabhängig, Ereignisse und Entwicklungen in der ganzen Welt auf und richtet sich natürlich vor allem an Menschen, die sich für internationale Zusammenhänge und die Sichtweise von außen auf Entwicklungen im eigenen Land interessieren. Sie fördert damit auch den Austausch unterschiedlichster Kulturen und – angesichts der derzeitigen Diskussion um die geplante Neuausrichtung des Senders nicht zu vergessen – die deutsche Sprache. Damit unterstützt sie seit Jahrzehnten auch entsprechende Maßnahmen und Programme der Auswärtigen Kultur- und -Bildungspolitik unseres Landes. Das zeigt: Die Anforderungen an die Deutsche Welle sind vielfältig und vor allen Dingen hoch. Der Sender ist nicht nur, aber ganz sicher auch eine Visitenkarte unseres Landes in der Welt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir blicken 2014 auf ein Jahr mit zahlreichen internationalen und europäischen Konflikten und Krisen zurück, auf Entwicklungen, die unzähligen Menschen die Zukunftsperspektiven, die Heimat und im schlimmsten Fall das Leben genommen haben. Gerade in solchen Zeiten wird wieder klar, wie unverzichtbar unabhängige Medien sind, Medien, die Informationen auch dorthin liefern, wo eine freie Berichterstattung eben gänzlich unbekannt ist. Die Deutsche Welle berichtet in 30 Sprachen per TV, Hörfunk und Internet aus unterschiedlichen Ländern und über Regionen, in denen Inlandsmedien eben nicht frei und unabhängig berichten können. Hier, an dieser Stelle, ist die Deutsche Welle Garant dafür, dass die Menschen dennoch auf eine unabhängige und vor allen Dingen auch qualitativ hochwertige Berichterstattung zurückgreifen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In der Russland-Ukraine-Krise konnten beispielsweise mit Mitteln des Auswärtigen Amts, Frau Staatsministerin, zusätzliche Onlineangebote in Russisch und Ukrainisch umgesetzt werden. Das war unverzichtbar, liebe Kolleginnen und Kollegen, denn in einigen Ländern sprechen nur die Eliten Englisch; die restliche Bevölkerung erreicht man eben nur in den Landessprachen. Oder: Als die Ebolaepidemie ausbrach, hat die Deutsche Welle online und auch per Radio ein Aufklärungsprogramm in Englisch, Französisch, Portugiesisch, Haussa und Kisuaheli gestartet. Herr Staatssekretär Silberhorn hat darauf hingewiesen: Ein weiterer unverzichtbarer Bestandteil der Arbeit der Deutschen Welle ist die der Akademie, die sich seit 1965 in immerhin 25 Ländern die Stärkung und den Aufbau von unabhängigen Medien und die Ausbildung von guten Journalisten zur Aufgabe gemacht hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur gute, motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich mit ihrem Auftrag auch identifizieren können, liefern auch gute und professionelle Arbeitsergebnisse. Die Frage der Finanzierung der Deutschen Welle, natürlich verbunden mit den vielfältigen Diskussionen um eine Neuausrichtung des Senders, hat zu nachvollziehbarer Unruhe im Hause geführt. An dieser Stelle sind mir zwei Feststellungen wirklich wichtig: Wir haben uns im Koalitionsvertrag verständigt – auch das ist mehrfach angesprochen worden –, die Deutsche Welle finanziell angemessen auszustatten. Wir müssen mit den Versäumnissen der Vergangenheit endlich brechen und ab 2016 vor allem eine dauerhafte Lösung im Bereich der Personalkosten finden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wer diesen Sender im internationalen Wettbewerb exponiert positionieren will, muss auch bei den Haushaltsberatungen die notwendigen Schritte gehen. Frau Staatsministerin Grütters, Sie haben es gesagt: Man darf nicht nur darüber reden. – Gemeinsam, da bin ich sicher, schaffen wir das dann auch. Wer den Sender international stärker positionieren will, muss natürlich auch über Veränderungen nachdenken dürfen. Mit der vorliegenden Aufgabenplanung sind dazu entsprechende Vorstellungen präsentiert worden. Bei allen erkannten Notwendigkeiten für Veränderungen darf allerdings aus unserer Sicht die journalistische Qualität ebenso wenig wie die inhaltliche und sprachliche Vielfalt zur Disposition stehen. Das gilt insbesondere auch für das deutschsprachige Programm. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die derzeitige Diskussion um die Zukunft der Deutschen Welle zeigt ebenso wie unsere heutige Debatte: Die Deutsche Welle verdient unsere konstruktiv-kritische Begleitung, aber auch unsere Unterstützung über diesen Tag hinaus. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Marco Wanderwitz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner hat man ja immer das Privileg, die Dinge wiederholen zu dürfen, die alle anderen schon gesagt haben. Ich werde mich bemühen, das nicht zu tun. Ich möchte gerne zwei Bemerkungen voranschicken. Erste Bemerkung: Wir haben schon gestern im Ausschuss diese Diskussion geführt. Sie verlief ähnlich wie heute hier. Jetzt, liebe Tabea, schaue ich natürlich zu dir. Irgendwie bist du bei diesem Thema anders als sonst, zumindest ist das mein Eindruck. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Wir führen hier eine, meine ich, sehr seriöse Debatte, und du hast bei diesem Thema irgendwie ein bisschen Schaum vor dem Mund. Ich finde, das wird dem Thema nicht gerecht. Es wäre aus meiner Sicht schön, etwas abzurüsten. Meine zweite Bemerkung möchte ich zu dem Thema, das die Staatsministerin angesprochen hat – die Deutsche Welle und China, die Deutsche Welle und Reporter ohne Grenzen – machen: Ich halte die Kritik von Reporter ohne Grenzen an der Deutsche Welle wirklich für problematisch. Ich glaube, sie ist nicht sachgerecht. Es gibt keine erkennbaren Kriterien, nach denen sie erfolgt ist. Die Deutsche Welle geht minimale Kooperationen ein. Dafür derartig angegriffen zu werden, ist, glaube ich, nicht sachgerecht. Darüber sollte Reporter ohne Grenzen noch einmal nachdenken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte mich stellvertretend für die Unionsfraktion dem Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Welle für das anschließen, was die letzten Jahre und Jahrzehnte die Deutsche Welle ausgemacht hat. Sie war und ist die Stimme der Freiheit, der Menschenrechte und der Demokratie. (Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Tabea, ich habe dich gesehen. Wenn du möchtest und die Präsidentin es erlaubt, kannst du von mir aus gerne fragen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber nur, wenn ich das erlaube. – Frau Rößner, bitte schön. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin jetzt doch etwas nachdenklich geworden. Du hast eben vom „Schaum vor dem Mund“ gesprochen. Ich verstehe das nicht ganz. Wenn ich von einer Sache überzeugt bin und eine leidenschaftliche Debatte führe – ich glaube, wir haben schon eine sehr sachliche Debatte geführt –, dann kann man mir das doch nicht vorwerfen. Ich wünsche mir bei manchen Themen eine viel leidenschaftlichere Debatte. Worum geht es denn? Es geht darum, dass wir ein gutes, unabhängiges Programm haben wollen, dass wir motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben wollen, dass wir eine Deutsche Welle haben, auf die wir alle stolz sein können, die auch in unfreien Märkten eine Stimme in der Welt ist und die viel zur Demokratieförderung beiträgt. Das ist für mich eine Grundvoraussetzung, weil unsere Gesellschaft davon abhängt. Es ist es doch wichtig, dass wir dort, wo Menschen auf der Flucht sind, weil sie fürchten müssen, ihre Meinung frei zu äußern, mit starker Stimme sprechen. Insofern verstehe ich nicht, warum es einem zum Vorwurf gemacht wird, wenn eine Debatte so leidenschaftlich geführt wird. Vielleicht kannst du das noch einmal erklären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Ich unterschreibe all das, was du gerade vorgetragen hast. Ich glaube, das eint uns. Gerade in deiner Rede war es anders. Insofern: Schau es dir einfach einmal an, dann erkennst du vielleicht, was ich meine. Ich teile aber auch die Ansicht, die beispielsweise Martin Dörmann vorhin zu seiner Zwischenfrage gebracht hat: Es geht mir nicht um die Art und Weise des engagierten Vortrages, sondern darum, dass immer mal wieder die eine oder andere kleine Spitze bzw. die eine oder andere kleine Halbwahrheit in die Diskussion -hineingepackt wird. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gehört zur Debatte!) So kann man der Seriosität des Themas einfach nicht gerecht werden. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fände ich hier auch unangemessen!) Das können wir beispielsweise bei TTIP weiterhin miteinander betreiben, aber nicht bei der Deutschen Welle. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Martin Dörmann [SPD]) Wir kommen zum Thema Geld. Auch wir als Union bekennen uns, so wie es die Staatsministerin schon getan hat, so wie es der Parlamentarische Staatssekretär schon getan hat, dazu, dass wir in den nächsten Jahren, beginnend mit dem Jahr 2016, strukturell etwas dafür tun wollen, damit die Deutsche Welle von der schiefen Ebene, auf der sie jetzt ist, herunterkommt. Dass sie sich auf dieser Ebene bewegt hat, hat zum einen mit den größer werdenden Herausforderungen in der Welt und zum anderen mit den steigenden Personalkosten, die Martin Dörmann bereits ansprach, zu tun. (Dagmar Freitag [SPD]: Schwarz-Gelb war auch nicht viel besser!) Das hat natürlich auch etwas damit zu tun – das gehört bei einer Debatte, bei der man in die Vergangenheit schaut, dazu –, dass die Deutsche Welle nicht unerhebliche Etatkürzungen erfahren hat. Denen laufen wir ein Stück weit hinterher. (Dagmar Freitag [SPD]: Wir schauen jetzt in die Zukunft und regeln das gemeinsam!) Aber wir sind uns alle einig, dass wir die Situation gemeinsam verbessern wollen. Auch die Digitalisierung, das sich wandelnde Me-diennutzungsverhalten und die Reaktionen, die die Sender darauf zeigen müssen, führen dazu, dass Reformdruck entsteht und auch genau geschaut werden muss, wofür wir das Geld ausgeben. Nun habe ich in den letzten Tagen hier und da gehört und gelesen, dass die Intendanz der Deutschen Welle uns als Politik zu erpressen, zu bedrohen versuche. Vorhin kam ja die Thematik mit der Geiselhaft der Angestellten. Ich sehe mich nicht erpresst und bedroht, sondern finde, dass es die Aufgabe eines Intendanten ist – Peter Limbourg ist heute bei uns; herzlich willkommen –, uns zu sagen, was passiert, wenn wir nichts tun. Nichts anderes hat die Intendanz getan. Das tut sie in den Gremien schon seit geraumer Zeit. Ich halte es für ein seriöses Vorgehen, auch zu sagen, was passiert, wenn nichts passiert. Nun ist es an uns, damit umzugehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Martin Dörmann [SPD]) Das Thema Sprachenvielfalt ist bereits intensiv besprochen worden. Auch wir bekennen uns dazu: Wir halten die Orientierung auf die Verstärkung des Englischen für richtig. Wir wollen das Deutsche gleichermaßen behalten, und wir wollen so viel als möglich regionale Sprachenkompetenz behalten. Wichtig ist aber vor allen Dingen eines: Deutsch soll die Hauptarbeitssprache in der Deutschen Welle als deutscher Auslandssender bleiben, und zumindest der größte Teil derjenigen, die in der Deutschen Welle arbeiten, soll deutsch sozialisiert sein. Das heißt, wir wollen die Deutsche Welle als deutschen Sender halten. Das ist ein ganz wichtiges Thema. Zum Thema „Kulturvermittler und Kulturträger“ hat die Staatsministerin umfänglich ausgeführt. Auch das ist Kernauftrag der Deutschen Welle. Aber die Menschen fragen ein Stück weit anderes vorrangig nach. Deswegen glaube ich: Wenn man all das in einen attraktiven Nachrichtensender hineinpackt, wird das eher zum Ziel führen, als wenn man nur die eine oder andere Reportage, mit der man möglicherweise weder in Asien noch in Afrika jemanden erreicht, vornan stellt. Letzter Punkt – das Thema wurde ebenfalls angesprochen –: die Kooperation mit ARD, ZDF und Deutschlandradio, insbesondere mit der Überlegung, dass die Deutsche Welle davon profitieren soll, indem sie beispielsweise auf das Netz der Auslandskorrespondenten zurückgreifen kann. Wir sehen da noch gewissen Verbesserungs-, Optimierungsbedarf und wünschen uns sehr, dass sowohl die Welle als auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten intensiv weiter daran arbeiten, dass die gewünschten Effekte eintreten. Da ist noch ein bisschen was zu verbessern; deswegen will ich es an dieser Stelle ansprechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zu der Unterrichtung durch die Deutsche Welle über ihre Aufgabenplanung 2014 bis 2017. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3595, in Kenntnis der Unterrichtung auf den Drucksachen 18/2536 und 18/3056 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Entschließung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3596. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3597. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versorgungsausgleichsgesetzes Drucksache 18/3210 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir legen Ihnen heute einen Gesetzentwurf für eine Änderung des Versorgungsausgleichs im Scheidungsverfahren vor. Der Versorgungsausgleich dürfte so ziemlich das unbeliebteste Thema nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch in der Anwaltschaft und in der Richterschaft sein. Dennoch ist er es wert, dass wir uns mit ihm beschäftigen; denn es geht um nichts Geringeres als um Gerechtigkeit, Altersvorsorge und viel Geld. Der Versorgungsausgleich erfährt längst nicht das gleiche öffentliche Interesse wie das Unterhaltsrecht. Dabei übersehen allerdings die meisten, dass es beim Versorgungsausgleich um mindestens ebenso existenzielle Fragen und Summen geht. Das Enfant terrible der Ehescheidung verdient also durchaus unsere Aufmerksamkeit. Am liebsten würde ich den Versorgungsausgleich ja ganz aus dem familiengerichtlichen Verfahren herausnehmen. Aber ich gebe zu: Dieses Konzept ist noch nicht ganz fertig. Wir fangen daher erst einmal mit einem schwerwiegenden, aber leicht zu lösenden Problem an: der externen Teilung von betrieblichen Anwartschaften nach § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes. Damit der Spannungsbogen jetzt nicht abfällt, verrate ich Ihnen vorab, dass jährlich dreistellige Millionenbeträge betroffen sind. Um was geht es? Bis 2009 wurden bei einer Ehescheidung alle Rentenanwartschaften des einen Ehegatten zusammengerechnet und den zusammengerechneten Anwartschaften des anderen Ehegatten gegenübergestellt. Wer mehr hatte, musste die Hälfte der Differenz übertragen. Das hört sich ganz einfach an. Das Problem dabei ist: Alle Anwartschaften berechnen sich anders: die gesetzliche Rente anders als die Beamtenversorgung und die wiederum anders als die betriebliche Rente. Es mussten also regelmäßig Birnen und Äpfel addiert werden. Dazu mussten erst einmal alle Birnen in Äpfel umgewandelt werden. Man könnte auch sagen: Es musste erst einmal alles zu Mus gerührt werden. Bei diesem Prozess gab es immer so viel Verlust für bestimmte Obstsorten, dass man dies im Hinblick auf das Gebot des Halbteilungsgrundsatzes nicht mehr hinnehmen konnte. Deswegen teilen wir seit der Reform von 2009 die Anwartschaften nicht mehr extern, sondern intern. Das heißt, wir vergleichen nur noch Äpfel mit Äpfeln und Birnen mit Birnen. Eine Betriebsrente braucht also nicht mehr auf Biegen und Brechen in eine gesetzliche Anwartschaft umgerechnet zu werden, sondern sie wird so geteilt, dass auch der geschiedene Ehegatte einen eigenen Anspruch gegenüber dem Betriebsrententräger erhält. So weit, so gut. Jetzt kommt aber die Ausnahme des § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes ins Spiel, die seinerzeit von der Wirtschaft durchgesetzt worden ist. Wurde dem Arbeitnehmer eine Direktzusage gemacht, wollten die Arbeitgeber sich durch die Ehescheidung des Arbeitnehmers keinem weiteren Anspruchsberechtigten gegenübersehen. Deswegen dürfen dort trotz der bekannten Nachteile die Anwartschaften doch noch extern geteilt werden. Das heißt, die Unternehmen können diese Direktzusagen im Falle der Ehescheidung ihres ausgleichspflichtigen Arbeitnehmers als Kapitalbetrag auszahlen, und der Ausgleichsberechtigte muss dann sehen, wie er – statistisch gesehen ist es meistens die Ehefrau – sich damit eine vergleichbare Altersvorsorge aufbaut. Das wird aber nicht gelingen. Allein schon die Differenz zwischen dem zugrunde gelegten Zinssatz bei Abschluss der Direktversicherung und dem heute aktuell zu erzielenden Zinssatz steht dem entgegen. Der Ehemann verliert also die Hälfte seiner Altersversorgung. Seine geschiedene Ehefrau kann mit dem ausgezahlten Kapital aber keine Rente in der entsprechenden Höhe aufbauen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das ist das Problem!) Insgesamt gibt es also weniger Rente, als wenn die Ehe Bestand gehabt hätte. Wie immer stellt sich jetzt die Frage: Wo bleibt die Differenz? Genau. Die Differenz wird zum Gewinn des Arbeitgebers, der sich auf diese Art von der Hälfte seiner Verpflichtung befreien kann und keine Sorge mehr haben muss, wie er seine Direktzusage trotz der Niedrigzinsen einhalten kann. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das stimmt nur bei sinkenden Zinsen!) Die Scheidung des Arbeitnehmers ermöglicht es dem Unternehmen, sich von einer teuren vertraglichen Verpflichtung günstig zu lösen. Für die geschiedene Ehefrau ist dies eine Ungerechtigkeit im doppelten Sinne: Zum einen hat sie aus der Betriebsrente eine geringere Altersversorgung als ihr geschiedener Ehemann. Damit wird der Halbteilungsgrundsatz verletzt. Zum anderen profitiert der Arbeitgeber ihres Mannes von ihrer geringeren Rente. Einer der wenigen Rechtsanwälte dieser Republik mit einer Leidenschaft für versicherungsmathematische Berechnungen, der Kollege Jörn Hauß, schätzt, dass davon etwa 50 000 Fälle im Jahr betroffen sind. Er rechnet den Gewinn der Firmen auf einen dreistelligen Millionenbetrag hoch. Auch der Deutsche Anwaltverein hat bereits Alarm geschlagen. Wir müssen hier als Gesetzgeber dringend Abhilfe schaffen und die Ausnahme des § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes wieder streichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann bekommt die ausgleichsberechtigte Ehefrau eine gleichwertige Direktzusage des Unternehmens in hälftiger Höhe – und der Ehemann auch, und alles ist gut. Gegen Altersarmut von Frauen würde das deutlich mehr bringen als jede Mütterrente. Ich plädiere daher an die Mehrheitsfraktionen in diesem Hause: Zerpflücken Sie diesen Vorschlag nicht routinemäßig nur deshalb, weil er von der Opposition eingebracht worden ist. Prüfen Sie ihn in aller Ruhe, und lassen Sie uns die Experten dazu anhören. Wenn wir am Ende alle gemeinsam etwas Vernünftiges beschließen, bricht doch keinem ein Zacken aus der Krone. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da können Sie doch mit Ihrer 80-Prozent-Mehrheit mal großzügig sein. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Frau Dr. Sabine Sütterlin-Waack, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Kollegin Keul hat es eben schon angedeutet: Wir behandeln heute ein Thema, das auch vielen Juristen exotisch anmutet, aber in sehr vielen Scheidungsverfahren praktische Relevanz entwickelt. Es geht um einen Teilbereich des Versorgungsausgleichsgesetzes. Mit der Strukturreform des Jahres 2009 wurde darin festgelegt, dass der Grundsatz der internen Teilung von Versorgungsanwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die in der Ehe erworben wurden, angewendet wird. Frau Keul hat dies eben so schön mit den Äpfeln und Birnen erklärt. Ich will auch einmal versuchen, dies zu erklären: Sinn und Zweck des Versorgungsausgleichs ist es, im Scheidungsfall sämtliche in der Ehezeit erworbenen Versorgungsrechte der Ehegatten gleichmäßig aufzuteilen. Das nennt man Halbteilungsgrundsatz. In den meisten Fällen wird die sogenannte interne Teilung der Anrechte angewandt. Dabei wird für den Ausgleichsberechtigten ein eigenständiges Anrecht zulasten des Anrechts der Ausgleichsverpflichteten beim gleichen – und das ist wichtig – Versorgungsträger begründet. Bei der sogenannten externen Teilung wird vom Versorgungsträger des Ausgleichsverpflichteten ein Kapitalbetrag an einen von der Ausgleichsberechtigten ausgewählten anderen Versicherungsträger gezahlt. Dort wird dann ein Anrecht begründet. Diese Möglichkeit wird auch heute noch in einigen Ausnahmefällen durchgeführt. Die Ausnahme, um die es heute geht, ist – wir haben es gehört – der § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes. Dieser soll nach dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen nun ersatzlos gestrichen werden. § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes lässt die externe Teilung der betrieblichen Altersversorgung zu. Zwei Voraussetzungen sind allerdings einzuhalten: Im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung muss es sich um eine Direktzusage oder um Leistungen der Unterstützungskasse handeln. Zweitens darf der Ausgleichswert die Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung nicht übersteigen. Diese liegt im Moment bei 72 600 Euro. Schon bei der Neuregelung des § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes im Jahre 2009 galt es für den damaligen Gesetzgeber, zwischen den Interessen der Ausgleichsberechtigten und denen der Versorgungsträger abzuwägen. Diese Abwägung haben wir auch heute noch zu berücksichtigen. Für die Ausgleichsberechtigten gilt der aus Artikel 6 des Grundgesetzes hergeleitete Halbteilungsgrundsatz. Kritiker des § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes führen nun an – wir haben es eben gehört –, dass bei der Teilung der Anwartschaften aus der betrieblichen Altersversorgung keine gleichmäßige Teilung stattfindet, da der ausgleichsberechtigte Ehegatte im Rentenalter deutlich weniger Rente bekommt als der andere. Dies gilt auch, wenn man nur die Anwartschaften, die in der Ehe erworben worden sind, berücksichtigt. Selbstverständlich, meine Damen und Herren, gelten die Grundrechte auch für die Versorgungsträger. Die Versorgungsträger sind ursprünglich gesehen keine -Beteiligten des Ehescheidungsverfahrens. Sie erhalten ihre Beteiligtenstellung aber kraft Gesetzes. Sie erhalten Mitwirkungspflichten und – darauf möchte ich besonders hinweisen – auch Rechte. Insbesondere das Recht am ausgeübten und eingerichteten Gewerbebetrieb könnte bei der Streichung des § 17 betroffen sein. Würde § 17 wegfallen, gäbe es die Möglichkeit der externen Teilung nur noch in sehr eingeschränkten Grenzen. Die Unternehmen wären dann praktisch gezwungen, immer intern teilen zu müssen. Die Versorgungsträger müssten einen Betriebsfremden aufnehmen, mit dem sie nie ein Beschäftigungsverhältnis hatten, und seine Anrechte verwalten. Dieser erhielte dann die Stellung eines unverfallbar ausgeschiedenen Arbeitnehmers – ein sehr weitreichender Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Darüber hinaus steht zu befürchten, dass die Arbeitgeber aufgrund dieses zusätzlichen, vom Gesetzgeber dann erzwungenen Mehraufwandes davor zurückschrecken, weitere betriebliche Altersvorsorge anzubieten. Damit würde eine wichtige Säule der Altersversorgung als freiwillige Leistung der Betriebe ins Wanken geraten. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das halte ich aber für übertrieben!) Das kann angesichts des demografischen Wandels nicht unser Bestreben sein. Genau diese Gesichtspunkte haben auch den Gesetzgeber vor fünf Jahren dazu bewogen, den § 17 in der geltenden Fassung einzuführen. Da ich 10 Minuten Redezeit habe, zitiere ich aus der Gesetzesbegründung (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) und werde Ihnen den Grund der Entscheidung ganz kurz erläutern: Eine höhere Wertgrenze für die internen Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung ist gerechtfertigt, weil der Arbeitgeber hier, anders als bei Anrechten aus einem externen Durchführungsweg …, unmittelbar mit den Folgen einer internen Teilung konfrontiert ist, also die Verwaltung der Ansprüche betriebsfremder Versorgungsempfänger übernehmen muss. Das mögliche Interesse der ausgleichsberechtigten Person an der systeminternen Teilhabe muss in diesen Fällen zurückstehen, bleibt aber insoweit gewahrt, – ich zitiere nur aus der Begründung, Frau Keul – als sie nach § 15 VersAusglG über die Zielversorgung entscheidet, die durchaus auch bessere Bedingungen bieten kann als das zu teilende betriebliche Anrecht. Das war das Zitat. Letztlich haben der Reform des Versorgungsausgleichs damals alle Fraktionen zugestimmt, auch Ihre Fraktion, liebe Frau Keul. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann ja dazulernen! – Zuruf von der LINKEN: Sogar die Linken!) – Sogar die Linken, genau. Auf der anderen Seite verkenne ich nicht, dass es bei der derzeitigen externen Teilung zu deutlichen Ungleichheiten zwischen Ausgleichspflichtigen und Ausgleichsberechtigten kommen kann. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das habe ich auch in meiner anwaltlichen Praxis erlebt. Andere Praktiker bestätigen dies ebenfalls. Die Ausgleichsberechtigten erhalten oft nicht die Hälfte der -Rentenanwartschaft, die der geschiedene Ehepartner erarbeitet hat. Der vorliegende Gesetzentwurf orientiert sich an einer Initiativstellungnahme des Deutschen Anwaltvereins aus dem letzten Jahr. Auch dort wird die Streichung der externen Teilung gefordert. Die Begründung dieser Stellungnahme, die sich der Gesetzentwurf zu eigen macht, ist auf eine Beispielsrechnung gestützt, die wenig realistisch erscheint. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!) Im genannten Beispiel geht der Deutsche Anwaltverein nämlich davon aus, dass die Zinsen in einem Zeitraum von 40 Jahren unverändert bleiben. Diese Annahme ist kritisch zu hinterfragen. Wir alle wissen, dass in den letzten 40 Jahren sowohl eine Hochzinsphase als auch die heutige Niedrigzinsphase zu beobachten waren. Die Ungleichheiten werden damit übertrieben dargestellt. Dadurch ergibt sich eine Berechnung mit extremen -Unterschieden, die uns nicht zu vorschnellen gesetz-geberischen Handlungen verleiten sollte. Meine Damen und Herren, aus Sicht vieler Experten ist die Höhe des Zinssatzes der entscheidende Faktor für den Ausgleichswert. Die für den Ausgleichberechtigten unbefriedigende Situation ergibt sich im Wesentlichen aus den unterschiedlichen Zinssätzen, die die internen und externen Versorgungsträger zugrunde legen. Im Hinblick auf den Rechnungszins lässt der BGH es zu, dass der abgebende Versorgungsträger den Ausgleichswert unter Verwendung des Zinssatzes des Bilanzierungsmodernisierungsgesetzes in Verbindung mit dem HGB berechnet. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt davon, dass man zehn Minuten Redezeit hat!) – Ja, genau. – (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Gesetzgeber hat die Verwendung dieses Zinssatzes allerdings nicht vorgegeben, ihn aber zur Auswahl gestellt. Dieser liegt regelmäßig bei ungefähr 5 Prozent. Die Zielversorgungsträger rechnen hingegen mit niedrigeren Rechnungszinsen. Lebensversicherer kalkulieren mit einem Garantiezins von 1,25 Prozent zuzüglich Überschussanteilen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Das ist der bereits erwähnten Niedrigzinsphase geschuldet. Damit haben, wie wir alle wissen, nicht nur die Versicherer zu kämpfen. Um die Schieflage zu begradigen, liegen mehrere -Lösungsalternativen vor. Die Radikallösung „Streichung des § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes“ ist meiner Ansicht nach keine zufriedenstellende Lösung. Weitaus vielversprechender erscheint mir der Weg, einen geeigneteren Zinssatz zu finden. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre auch schon mal was!) Ein geringerer Rechnungszins beim Versorgungsträger würde die Unterschiede der Rentenzahlungsergebnisse nach Teilungsart deutlich abmildern. Derzeit sind mehrere Verfahren vor dem BGH anhängig, in denen es um die Frage des richtigen Rechnungszinses geht. Wir sollten auf jeden Fall abwarten, zu welchen Ergebnissen der BGH in den vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren in Bezug auf die Zinsfindung kommen wird. Um es auf den Punkt zu bringen: Auch ich erkenne die Schwächen im Versorgungsausgleichsgesetz an. Dass es Schwächen gibt, bestätigt auch die einschlägige familienrechtliche Literatur fast einhellig. Auch in meinen Gesprächen mit Familienrichtern wurde das immer wieder deutlich. Es bedarf meiner Einschätzung nach aber einer näheren Untersuchung, ob eine Senkung der Wertgrenze in § 17 oder die Verwendung eines realistischeren Rechnungszinses unter Umständen geeigneter sind, um zu einer gerechten Ausgleichsform zu kommen. Ein ersatzloser Wegfall des § 17 dürfte kaum geeignet sein, die Interessen der Eheleute an einer möglichst gerechten Halbteilung ihrer Anrechte und die berechtigten Interessen der Betriebsrententräger in Einklang zu bringen. Über die aufgezeigten und möglichen anderen Lösungen zur Verringerung der Ungleichheiten sollten wir in den kommenden Wochen diskutieren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Jörn Wunderlich, Fraktion Die Linke. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 12. Februar 2009 wurde das Gesetz zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs hier in diesem Hause beschlossen. Jetzt habe ich den Vorteil, dass ich bei der damaligen Debatte schon Berichterstatter war und auch an den dazugehörigen Anhörungen teilnehmen durfte, insofern die Begründung des Gesetzes kenne und weiß, wie da diskutiert wurde und was letztlich Hintergrund des Ganzen war. (Beifall der Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE] und Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Hintergrund war, dass niemand mehr bei der Versorgungsausgleichsberechnung durchstieg. Das Reizwort war die Barwert-Verordnung. Der Richter sagte: Hier ist der Versorgungsausgleich; die Anwälte werden es Ihnen erklären. – Da wurden die Anwälte bleich. An der damaligen Situation hat sich im Grunde nichts geändert. Das Verfahren der Umrechnung gemäß Barwert--Verordnung sollte beendet werden. Rentenanwartschaften sollten nun dort geteilt werden – das ist schon gesagt worden –, wo sie entstehen. Das ist die sogenannte -interne Teilung. Das heißt, ein Beamter konnte Rentenanwartschaften bei der BfA erwerben, obwohl er nie dort eingezahlt hat. Umgekehrt konnte man auch Beamtenpensionsansprüche erwerben, obwohl man nie verbeamtet war. Das führte dann zwar – gerade, was die Direktzusage bei den betrieblichen Renten betraf – zu einem erhöhten Aufwand für die Betriebe; aber für die Betroffenen war es verständlicher und nachvollziehbarer. Jetzt wurde hier begründet, warum § 17 Versorgungsausgleichsgesetz eingeführt wurde. Ich sage: Das war ein Kotau vor der Wirtschaft. Wenn eine Direktversicherung im Rahmen des Versorgungsausgleichs intern geteilt wird, dann hat der Betrieb plötzlich zwei Rentenberechtigte, muss also auch zwei Konten führen. Das führt zu einem verwaltungstechnisch höheren Aufwand; das ist klar. Im Hinblick auf die Regelung zu den geringfügigen Beträgen nach § 14 waren wir uns alle einig, dass es sich praktisch nicht lohnt oder unverhältnismäßig ist, hier eine Änderung vorzusehen. § 17 aber war letztlich die Verbeugung vor der Wirtschaft. Es sollte sicher-gestellt werden, dass sich hier alle Fraktionen einig sind. Dass diese Regelung heute in einem solch ausufernden Maß angewendet wird, dass die betriebliche Altersversorgung inzwischen eine der wesentlichen Säulen der Alterssicherung ist, war damals nicht abzusehen. Es sind hier schon entsprechende Rechenbeispiele angeführt worden. Gehen wir einmal davon aus, der Mann müsste von seinen 1 000 Euro Rentenanwartschaften im Rahmen einer internen Teilung 500 Euro an die geschiedene Frau abgeben. Sie würde damit eine Betriebsrente von 500 Euro erwerben. Ihr Anteil könnte aber auch – wie damals bei der Barwert-Verordnung – in eine -Kapitalgröße umgerechnet und fiktiv ausgezahlt werden – den Anteil bekommt sie ja nicht auf die Hand –; damit müsste sie ihre Rente bestreiten. Wir haben damals eine Ausgleichskasse geschaffen für den Fall, falls jemand keine Kasse hat und keine Rentenversicherungskasse bereit ist, überhaupt Rentenanwartschaften zu begründen. Dieses Beispiel zeigt: Mit einer Kapitalsumme von 500 Euro kann ein Anspruchsberechtigter in der Versorgungsausgleichskasse oder auch in der gesetzlichen Kasse maximal 302 Euro – und das bei dem angenommenen Höchstsatz von 5 Prozent – erwirtschaften. Das heißt: Rund 200 Euro bleiben definitiv auf der Strecke, und der davon Profitierende ist der Betrieb. Dieser zahlt den Betrag einmal aus, ist den Anspruch los und muss daher auch weniger Rückstellungen bilden, weil es nur noch um 500 Euro Betriebsrente geht und nicht mehr, wie vorher, um 1 000 Euro. Dass das den Betrieben gefällt, ist klar. Die Zinsproblematik wurde bereits erklärt. Der geneigte Zuschauer wird spätestens nach fünf Minuten den Fernsehkanal wechseln, weil die Problematik auch so schon schwer zu durchschauen ist, insbesondere für denjenigen, der damit nichts zu tun hat. Ob jetzt § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes gestrichen werden muss, ob man, wie Sie es vorschlagen, die Werte herabsetzt und nicht einfach den halben Kapitalwert zugrunde legt oder ob man möglicherweise die Bewertungsvorschriften nach § 45 Versorgungsausgleichsgesetz ändert, das müssen wir im Rahmen der Ausschussberatungen klären. Wir werden auch um eine Anhörung von Sachverständigen aus der Praxis und aus der Wissenschaft nicht herumkommen. Das alles hier in erster Beratung zu erörtern, würde den Rahmen bei weitem sprengen. Wir werden im Rahmen der Beratung zu einer sauberen Lösung kommen, die sowohl den Berechtigten als auch den übrigen Beteiligten zumindest weitestgehend gerecht wird. Am 12. Februar 2009 war nicht die Intention, dass das Gesetz so umgesetzt wird, wie es gegenwärtig in der Praxis der Fall ist. Das hatten wir uns anders vorgestellt. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dennis Rohde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dennis Rohde (SPD): Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahl der Ehescheidungen in Deutschland liegt Jahr für Jahr im sechsstelligen Bereich. 2013 waren es rund 170 000 Paare, die ihre Ehe beendeten. Das bedeutet, dass jedes Jahr Hunderttausende Menschen unmittelbar von einer Scheidung betroffen sind. Wir reden dabei nicht nur über die persönlichen Enttäuschungen und Verletzungen, wir reden nicht nur über die vielen Veränderungen für das Familienleben. Als Gesetzgeber geht es uns natürlich primär um die rechtlichen Folgen. Wir debattieren heute über die Fragen des Umgangs mit den erworbenen Anwartschaften für die Altersvorsorge. Es geht uns Sozialdemokraten natürlich darum, dass es eine gerechte Verteilung der Vermögenswerte zwischen den Geschiedenen gibt. Uns ist auch klar: Wir dürfen nicht akzeptieren, dass 65 Jahre nach Verkündung des Grundgesetzes die Gleichstellung zwischen Mann und Frau immer noch nicht überall Alltag zu sein scheint. Heute geht es um die Frage des externen Verteilungsverfahrens bei Betriebsrenten auf die jeweiligen Ansprüche der Geschiedenen und darum, wie sich das auswirkt, dass dabei Ungerechtigkeiten durchaus möglich sind. Frau Keul, wir sind in der Analyse ganz bei Ihnen. – Aber der Reihe nach. Die betriebliche Altersvorsorge wird allgemein als die zweite Säule der Altersvorsorge bezeichnet. Etwa 40 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gehen diesen Weg, um ihre Rente aufzubessern. Der Betriebsrente kommt also mit Blick auf die Zukunft eine herausgehobene Rolle in Bezug auf das Einkommen im Alter zu, einem Einkommen, von dem man auch leben können muss. Ich möchte an dieser Stelle mit Blick auf die kommenden Beratungen auch deutlich machen: Wir sollten das im Hinterkopf haben und sicherstellen, dass wir die Akzeptanz der Betriebsrenten am Ende nicht gefährden; denn genau mit dieser Intention hat der Gesetzgeber bei der Neuregelung des Versorgungsausgleichs in der vorletzten Wahlperiode, also auch durch die Große Koalition, eine besondere Ausnahme für die betriebliche Altersvorsorge geschaffen, die dieser Herausforderung gerecht werden soll. So werden im Falle einer Ehescheidung oder Trennung normalerweise die Versorgungsanrechte, die die Partner während der Ehe erworben haben, intern geteilt. Das heißt, der Versorgungsträger, sei es eine Kasse oder der Arbeitgeber, nimmt den Ex-Partner – das ist in der Regel oftmals noch die Frau – als Versicherten auf, wobei jeder der Partner die Hälfte der erworbenen Ansprüche erhält. Externe Teilung hingegen bedeutet, dass der Versorgungsträger den Kapitalwert des Anrechts an einen anderen Versicherer übergibt, den die ausgleichsberechtigte Person auswählt. Das geschieht im Normalfall nur bei kleinen Beträgen oder im beidseitigen Einvernehmen. Anders ist es jedoch bei den Betriebsrenten. Bei der betrieblichen Altersvorsorge hat der Versorgungsträger, in der Regel also der Arbeitgeber, das Recht, einseitig die externe Teilung zu beantragen und so zu verhindern, dass er eine neue Versicherte oder einen neuen Ver-sicherten bekommt und insofern keine zusätzlichen Kosten, zum Beispiel für die Verwaltung, entstehen; das wurde eben schon genannt. Das führt derzeit zu folgendem Problem: Um den Kapitalwert eines Rentenanspruchs zu bestimmen, wird zumeist ein Zinssatz herangezogen, der momentan bei gut 4,6 Prozent liegt. Wenn ich diesen Maßstab zur Berechnung zugrunde lege und weiß, dass zum Beispiel der Garantiezins bei Lebensversicherungen derzeit bei nur 1,25 Prozent liegt, weil sich die Zinsen allerorts im Keller befinden, dann wird das Problem schnell deutlich: Die externe Teilung kann zu einer Minderung der Altersvorsorge führen, insbesondere von Frauen, die überproportional oft hiervon betroffen sind. Der Deutsche Anwaltverein hat in Beispielrechnungen angeführt, dass die am Ende ausgezahlte Rente um mehr als 50 Prozent niedriger sein könnte, als sie es bei Anwendung der internen Teilung gewesen wäre. Das ist also eine deutliche Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes. Allerdings ist dieser Zahl gegenüber – das hat die Kollegin Sütterlin-Waack gerade schon gesagt – eine gewisse Skepsis angebracht. Hier wird, zumindest in den dramatischen Fällen, von einer Zeitspanne von über 40 Jahren zwischen Scheidung und Rente und einem ebenso lange anhaltenden Niedrigzinsumfeld ausgegangen. Das eine darf man wohl als nicht die Regel und das andere als nicht gottgegeben bezeichnen. Tatsächlich fehlt es uns an belastbarem und aussagefähigem Zahlenmaterial. Ich meine, eine einfache Streichung des § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes wird der Komplexität unseres Problems nicht gerecht. Der Gesetzgeber hat die Ausnahme für Betriebsrenten aus den genannten Gründen ganz bewusst geschaffen. Wir sollten Belastungen der betrieblichen Altersvorsorge vermeiden, wenn wir sie letztlich vermeiden können. Dabei sollten wir Folgendes im Auge behalten: Das Problem ist nicht die -externe Teilung selbst, sondern die im Vergleich zur -betrieblichen Altersvorsorge zurückhaltende Wertentwicklung bei anderen kapitalgedeckten Vorsorgeformen, von denen insbesondere die Arbeitgeber, also die Firmen profitieren. Wir befinden uns seit Jahren in einer andauernden Niedrigzinsphase. Hier ist keine Lösung in Sicht. Hier ist kein Ende absehbar. Hätten wir andere Entwicklungen auf dem Kapitalmarkt gehabt, hätten wir das heutige Problem nicht. Es geht uns zwar darum, das Problem anzugehen, aber dabei nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Konkret bedeutet das für uns: Zunächst sollten wir die anstehenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in mehreren Fällen abwarten, die sich um die Frage der Festlegung eines angemessenen Zinssatzes bei entsprechenden Berechnungen drehen. Dann wissen wir mehr. Dann ist es Zeit, zu prüfen, ob hier gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht oder ob das Problem auch durch eine einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung aufgelöst werden kann. Ansonsten hat – auch das wurde schon gesagt – beispielsweise der Deutsche Familiengerichtstag im letzten Jahr alternative Vorschläge für eine Reform des § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes gemacht. Es muss uns letztlich um eine Lösung gehen, die das politische Ziel der Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge wie auch die Interessen der Versicherten berücksichtigt. Wir brauchen eine tragfähige Lösung, die beiden Ansinnen gerecht wird. Lassen Sie uns die Thematik in der kommenden Zeit – da sind wir ganz bei Ihnen – mit Sachverständigen beraten! Lassen Sie uns die Zeit bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht untätig verstreichen lassen! Lassen Sie uns die Thematik intensiv beleuchten und schauen, je nachdem, wie die Entscheidung des BGH ausfällt, ob wir am Ende eventuell gesetzgeberisch tätig werden müssen! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jede Ehescheidung ist eine menschlich schwierige Situation. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber manchmal eine Befreiung! – Heiterkeit) – Frau Kollegin Roth! – Zu der Frage, wie man ganz persönlich mit der Trennung umgeht, kommt die Frage: Was passiert mit meinen Versorgungsansprüchen? Bei der Frage der Bemessung der Versorgungsausgleichsansprüche geht es nicht weniger um die Frage: Was ist der faire und gerechte Wert? Der Gesetzgeber hat die Aufgabe, die Eckpunkte zur Bestimmung dieses fairen und gerechten Wertes festzusetzen; gleichwohl gibt er ihn nicht im Detail vor. An sich heißt es zwar „Iudex non calculat“; aber hier muss der Jurist eben doch einmal rechnen. Das macht die Situation so schwierig. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaube ich!) Die Situation ist schwierig, weil es hier um die Bestimmung von Kapitalwerten geht. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ökonomen können so etwas!) Wie sehr der Zins bei der Bestimmung von Kapitalwerten zu divergierenden Ergebnissen führt, mag sich jeder vor Augen führen, der einmal nachrechnet, was bei einem Zinssatz von 2 oder von 5 Prozent nach 20 Jahren aus 10 000 Euro wird. Bei einem Zinssatz von 5 Prozent werden aus 10 000 Euro 26 530 Euro und bei einem Zinssatz von 2 Prozent lediglich 14 860 Euro. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kapitalwert ist eigentlich etwas anderes!) Bei 5 Prozent ist das Ergebnis fast doppelt so hoch. Natürlich ist die Bestimmung des Kapitalwertes finanzmathematisch noch komplizierter. Ich will Ihnen aber deutlich machen, dass die Bestimmung des Zinses der entscheidende Parameter bei der Frage der Ausgleichsansprüche ist. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!) Nun kommen wir zu der Frage, warum wir uns mit diesem Thema beschäftigen. Wir beschäftigen uns damit, weil die Zinsentwicklung der letzten fünf Jahre nur den Weg nach unten kannte. Hätten wir eine umgekehrte Zinsentwicklung, würde die Diskussion in einem anderen Umfeld stattfinden. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist reine Spekulation!) Dann wäre nämlich der Ausgleichsverpflichtete schlechtergestellt als der Ausgleichsberechtigte, weil der Ausgleichsverpflichtete an den niedrigeren Zinssatz gebunden wäre, während sich der Ausgleichsberechtigte bei seiner neuen Versorgungskasse einen höheren Zinssatz genehmigen könnte. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätten die Zinsen sehr stark steigen müssen! Das ist völlig unrealistisch!) Das bedeutet im Ergebnis, dass wir aufgrund der Sondersituation der Zinsentwicklung der letzten fünf Jahre über dieses Problem diskutieren. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dieser von Ihnen angesprochenen politischen Frage wird man nicht gerecht, wenn die Lösung nur bedeutet: Schaffen Sie einen Paragrafen ab! (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Dahinter steckt vielmehr ein grundlegendes Verständnis von Zins- und Bewertungsfragen in der gesamten Rechtsordnung. Wir haben nämlich nicht nur beim Versorgungsausgleich über Zinssätze und Bewertungsfragen zu diskutieren, sondern müssen dieses Thema auch in einem anderen Zusammenhang sehen. Da werden Wertungswidersprüche zwischen Bewertungsanlässen im Steuerrecht, im Bereich der Unternehmensbewertung und im Bereich des Versorgungsausgleiches deutlich. Wenn im Bewertungsgesetz derzeit ein Zinssatz von 2,59 Prozent angenommen wird, nach § 253 HGB ein Zinssatz von 4,58 Prozent, nach den Grundsätzen des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland bei Bewertungsanlässen im Ertragswertverfahren Zinssätze zwischen 1 und 3 Prozent, während die Lebensversicherer mit 1,2 Prozent rechnen, dann merken Sie schon, dass hier eine Bandbreite herrscht, die, wie eben dargestellt, auf lange Sicht zu sehr divergierenden Ansätzen kommt. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Zinswirtschaft! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen ist die Streichung das Beste!) Der Ansatz muss ein anderer sein. Wir dürfen es uns nicht einfach machen, sondern haben die Verpflichtung, diese Frage umfassend zu beleuchten. Wir brauchen, glaube ich, einen Überblick über die verschiedenen Bewertungsanlässe. Wir sollten uns fragen, ob der Gesetzgeber bei Bewertungsanlässen, die wesensgleich sind oder zumindest aus einer ähnlichen Sphäre stammen, nicht verbindliche ähnliche Bewertungsparameter zugrunde legen müsste. Das ist die Frage, die dahintersteckt. Sie ist viel komplizierter als die Frage, ob man § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes streichen oder beibehalten sollte. Meine Damen und Herren, wir brauchen keinen Aktionismus wie die Streichung eines Paragrafen, sondern sollten uns ruhig und besonnen überlegen, ob wir das Problem der Bewertung durch gesetzgeberische Maßnahmen insgesamt angehen und lösen. Das wird keine einfache Aufgabe werden. Aber ich glaube, diese Aufgabe ist die Anstrengungen wert. Denn im Augenblick hängt das Ergebnis noch vom Zufall bzw. davon ab, wo ein Ausgleichsberechtigter seinen Wohnsitz hat, weil es in Bezug auf die Zinssatzhöhe unterschiedliche Rechtsprechungen der Oberlandesgerichte gibt. Ich halte es für unbillig, wenn ein Ausgleichsberechtigter in Augsburg einen anderen Kapitalanteil bekommt als ein Ausgleichsberechtigter in Celle, Hamburg oder Berlin. Das ist mit uns nicht zu machen. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können ja eine Maut einführen! – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Deswegen, meine Damen und Herren: Lassen Sie die Finger von einer isolierten Streichung des § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes! Gehen Sie mit uns den Weg der Erarbeitung einer grundsätzlichen und tauglichen Regelung. Wir müssen uns fragen: Welche Zinssätze sind für Bewertungsanlässe in größerem Maßstab adäquat? In diesem Sinne: Lassen Sie uns in diesem Bereich weiterarbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Sonja Steffen, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Sonja Steffen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin die letzte Rednerin. Deshalb erlaube ich mir, die Dinge etwas vereinfacht darzustellen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]) Ich glaube, wir alle in diesem Hause sind uns einig: Der Versorgungsausgleich soll für Gerechtigkeit im Alter sorgen. Wir haben den Versorgungsausgleich in Deutschland übrigens seit 1977; davor gab es das Schuldprinzip, das vom Zerrüttungsprinzip abgelöst worden ist. In Ostdeutschland gibt es den Versorgungsausgleich erst seit der Wende. Das ist übrigens ein großer Nachteil für sehr viele geschiedene Frauen, die dadurch finanzielle Nachteile haben. Aber das ist ein anderes Thema, über das heute hier nicht diskutiert werden soll. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es auch eine Baustelle! Sehr richtig!) Jedenfalls wurde 1977 nur jede fünfte Ehe geschieden; inzwischen ist es traurigerweise jede dritte Ehe. Das verpflichtet uns natürlich, immer wieder einen kritischen Blick auf die Gesetzgebung und die Gesetzeslage zu werfen. Ich denke, wir haben 2009 eine gute Reform verabschiedet; Herr Wunderlich hat sie ja dargestellt. Allerdings müssen wir uns trotzdem immer wieder aufs Neue fragen: Ist der Versorgungsausgleich wirklich an allen Stellen gerecht? Wir haben heute schon verschiedentlich gehört – das ist, glaube ich, auch allgemein bekannt –: Eine Ehescheidung ist fast immer oder zumindest oft mit großen finanziellen Einschnitten verbunden, die sich häufig erst im Alter bemerkbar machen. Es ist tatsächlich so: Im Rahmen einer Ehescheidung wird viel über die Höhe des Unterhalts diskutiert. Weniger Augenmerk wird auf den Versorgungsausgleich gelegt. Das dicke Ende bzw. das böse Erwachen kommt erst zum Schluss, nämlich dann, wenn es um die Rente geht und man feststellt, wie unterschiedlich hoch die Anwartschaften sind. Wir haben hier schon entsprechende Beispiele gehört; Frau Keul etwa hat Äpfel mit Birnen verglichen. Auch ich möchte das Wesentliche ganz kurz am Beispiel zweier Ehen darstellen: Nehmen wir die Eheleute Müller, die ganz normal gesetzlich rentenversichert sind. Ehemann Müller hat 1 000 Euro Rentenanwartschaften, seine Ehefrau hat 500 Euro Rentenanwartschaften. Unter dem Strich ist es nach einer komplizierten Verrechnung dann so, dass die geschiedene Ehefrau später 250 Euro mehr Rente bekommt und der Ehemann 250 Euro abgeben muss, sodass beide mit Anwartschaften in Höhe von 750 Euro, die sie während der Ehe erworben haben, rechnen können. Das ist übrigens gerecht. Das gilt aber nur im Hinblick auf die gesetzliche Rente, die Beamtenversorgung und die berufsständischen Versorgungswerke. Was die Betriebsrenten betrifft, ist es nicht so. Hier gibt es die Sonderregelung des § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes, über die wir heute reden. Auch hierzu ein kurzes Beispiel. Nehmen wir die Eheleute Berger. Bei den Eheleuten Berger ist es so, dass der Ehemann neben seinen gesetzlichen Anwartschaften noch 800 Euro Betriebsrente bekommt. Davon nimmt man ihm 400 Euro weg – dieser Betrag würde dann im Grunde genommen für seine Ehefrau zur Verfügung stehen –, und er behält 400 Euro. Aber die Ehefrau erhält im Alter eben nicht diese 400 Euro. Aufgrund der derzeitigen Zinssätze bekommt sie – auch dazu haben wir schon Berechnungen gehört – vielleicht 250 Euro, vielleicht 300 Euro, vielleicht auch nur 200 Euro, jedenfalls nicht die hälftigen Anwartschaften. Das ist in der Tat nicht gerecht. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb muss ich Ihnen sagen, dass ich den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für gar nicht so schlecht und für nicht unvernünftig halte. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es mag vielleicht andere Wege geben. Darüber werden wir im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens reden. Im Übrigen ist das auch haushalterisch nicht unvernünftig. Im Gegenteil: Es belastet nicht den Steuerzahler und auch nicht die Rentenkassen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Es sind nur die Unternehmen, die dann anders rechnen müssen, und zwar im Grunde genommen so, als ob ihr Arbeitnehmer eben nicht geschieden worden wäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Gabriel wird es knicken, weil es die Unternehmen belastet!) Ich erlaube mir in der restlichen Zeit noch ganz kurz, ein weiteres Anliegen vorzubringen, das ich aus dem Petitionsbereich kenne. Auch das betrifft die Betriebsrenten. Gehen wir vom Normalfall aus, den gesetzlichen Anwartschaften, und erinnern wir uns an die Eheleute Müller: Wenn die geschiedenen Eheleute Müller Rente bekommen, dann erhalten sowohl der geschiedene Ehemann als auch die geschiedene Ehefrau 750 Euro. Das ist gerecht verteilt. Wenn nun die Ehefrau innerhalb von 36 Monaten nach dem Beginn des Rentenbezuges bedauerlicherweise stirbt, dann erhält der Ehemann – hierfür gibt es eine Härtefallregelung – wieder die volle Rente. Das finden wir auch sehr gut. Wir haben das hier so beschlossen und die Frist sogar von zwei auf drei Jahre verlängert. Bei den Betriebsrenten gibt es das aber nicht. Unser Herr Berger erhält im Falle der Scheidung 400 Euro statt 800 Euro. Wenn seine Ehefrau in Rente geht und ein halbes Jahr nach dem Beginn des Rentenbezugs stirbt, dann bleibt es bei seinen 400 Euro. Er hat dann 30 Jahre lang oder noch länger gearbeitet, um eine Betriebsrente von 800 Euro zu erhalten, erhält aber auch im Falle des Todes seiner früheren Ehefrau für den Rest seines Lebens nur noch 400 Euro. Ich finde, man müsste auch darüber nachdenken, ob man das nicht auch ändern sollte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum Schluss will ich noch ein kleines, aber sehr dickes Brett bohren – ich hoffe, das wird mir erlaubt –: Wir könnten auch einmal darüber nachdenken, dass wir bei einer Ehe von Anfang an zwei getrennte Konten bilden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir teilen die Anwartschaften also von Anfang an. Jeder Ehegatte erhält sein eigenes Konto. Dann brauchen wir gar keinen Versorgungsausgleich, und dann brauchen wir uns auch über die Witwenrente keine Sorgen mehr zu machen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Vielleicht ist das etwas für die Zukunft. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Frau Kollegin, Sie sehen, dass alle sehr dankbar sind für die einfache Darstellung hier. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3210 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Stärkung der Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht im Bund durch Errichtung einer obersten Bundesbehörde Drucksache 18/2848 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/3598 Hierzu liegen ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung und über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Mit dem Gesetzentwurf zur Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes und dem Änderungsantrag unserer Regierungskoalition setzen wir zum einen zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs um, die gegen Deutschland und Österreich ergangen sind, und zwar einmal das vom 9. März 2010 und einmal das vom 16. Oktober 2012, und zum anderen stärken wir die Unabhängigkeit der Bundesdatenschutzbeauftragten. Das ist aufgrund dieser beiden Urteile erforderlich. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Bundesdatenschutzbeauftragte schon bisher unabhängig war. Es gab zwar formal eine Dienstaufsicht des Bundesinnenministeriums und eine Rechtsaufsicht der Bundesregierung. Aber von beidem ist nie Gebrauch gemacht -worden. Aufgrund der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs wird die Bundesdatenschutzbeauftragte ab dem Jahr 2016 zu einer vollkommen eigenständigen, unabhängigen obersten Bundesbehörde. Damit wird die bisherige organisatorische Anbindung an das Bundesinnenministerium aufgehoben. Ich denke, dass wir damit zum einen den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs Rechnung tragen und zum anderen ein laufendes Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission zum Abschluss bringen können. Es ist uns als CDU/CSU sehr wichtig, dass diese Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes noch im laufenden Jahr abgeschlossen wird, um ein klares Signal Richtung Brüssel zu -senden, dass wir die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs umsetzen und die Bundesdatenschutzbeauftragte aufwerten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben am 1. Dezember eine Sachverständigenanhörung durchgeführt. Teilweise wird uns vorgeworfen, Sachverständigenanhörungen hätten nur einen Placeboeffekt oder hätten nur therapeutische Bedeutung. Wir haben, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ganz konkrete Rückschlüsse aus dieser Anhörung gezogen, insbesondere was die Stärkung der Bundesdatenschutzbeauftragten im Bereich ihrer Zeugenaussagemöglichkeiten anbelangt. Wir werden § 23 Absatz 6 des Bundesdatenschutzgesetzes dahin gehend ändern, dass bei einer gerichtlichen oder außergerichtlichen Zeugenaussage der Bundesdatenschutzbeauftragten nicht das „Einvernehmen“ der Bundesregierung einzuholen ist für den Fall, dass der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Bundesregierung betroffen sein könnte, sondern es wird lediglich erforderlich sein, dass die Bundesdatenschutzbeauftragte „im Benehmen“ mit der Bundesregierung entscheidet, ob der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung betroffen ist oder nicht. Ich möchte hinzufügen, man kann auch mit guten Gründen die gegenteilige Position vertreten, dass letzten Endes nur die Bundesregierung selbst festlegen kann, ob der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung tangiert ist oder nicht. Um es klar zu sagen und um jeglichen Spekulationen und Gerüchten den Boden zu entziehen: Es wird kein Maulkorberlass verfügt. Die Bundesdatenschutzbeauftragte ist in Zukunft sogar unabhängiger und stärker in ihrer Position als Richter, wenn sie Zeugenaussagen vornehmen müssen, weil für diese durchaus das Erfordernis des Einvernehmens gilt. Ich glaube, das ist ein klares Signal und stärkt die Stellung der Bundesdatenschutzbeauftragten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Noch ein Wort zur Sach- und Personalausstattung. Uns ist es wichtig, dass die Bundesdatenschutzbeauftragte amtsangemessen ausgestattet wird. Mit diesem Gesetz ist eine Stellenerhöhung um sechs Stellen beabsichtigt. Das wird auch entsprechend vorgenommen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, im Vorfeld ist behauptet worden, das sei viel zu wenig, man müsse der Bundesdatenschutzbeauftragten noch mehr Stellen zur Verfügung stellen. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass der Status der obersten Bundesbehörde erst im Jahr 2016 wirksam wird. (Jan Korte [DIE LINKE]: Warum eigentlich? – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum?) Wir haben also noch genügend Zeit, lieber Herr Kollege Korte, uns im Rahmen der Haushaltsberatungen für das Jahr 2016 und dem entsprechenden Stellenplan Gedanken zu machen, wie die Stellensituation der Bundes-datenschutzbeauftragten auszugestalten ist. Ich sage Ihnen an dieser Stelle zu: Wir werden hierbei in Zukunft ein offenes Ohr haben. Auch wenn sich der Aufwuchs aus meiner Sicht durchaus schon jetzt sehen lassen kann, wird dies mit Sicherheit nicht das letzte Wort sein. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, in der Debatte der vergangenen Sitzung des Innenausschusses war das dominierende Thema der Dienstsitz. Wenn sich die Debatte in erster Linie darum dreht, ob der Dienstsitz der Bundesdatenschutzbeauftragten in Zukunft Bonn oder Berlin sein soll, dann kann – mit Verlaub – das Gesetz wirklich nicht so schlecht sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war kleinteilig von der SPD!) Wir werden festlegen, dass die Bundesdatenschutzbeauftragte in Zukunft ihren Dienstsitz in Bonn hat. Das ist auch sachgerecht, weil die meisten Unternehmen, die die Bundesdatenschutzbeauftragte zu kontrollieren hat, nämlich die Telekommunikationsunternehmen, entweder in Bonn oder in der Umgebung von Bonn ihren Sitz haben. Es gibt also handfeste, sachgerechte Gründe, die -dafür sprechen, dass der Dienstsitz der Bundesdatenschutzbeauftragten Bonn sein wird. Auch der Bundesrechnungshof ist in Bonn angesiedelt. Ich glaube, -niemand wird unterstellen oder vorwerfen, dass der Bundesrechnungshof aufgrund des Dienstsitzes Bonn seiner Kontrollfunktion nicht ausreichend nachkommen kann. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss kann ich nur feststellen: Wir haben einen guten Gesetzentwurf vorgelegt. Wir dürfen es aber nicht bei dem Gesetzentwurf belassen, sondern wir müssen vor allem auch bei den laufenden Verhandlungen in Brüssel, was die Datenschutz-Grundverordnung anbelangt, dafür sorgen, dass die Datenschutzaufsicht auch in Zukunft so stark und unabhängig bleibt, wie wir sie mit diesem Gesetzentwurf und dem entsprechenden Änderungsantrag machen. Ich bitte um Zustimmung. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Jan Korte, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bundesdatenschutzbeauftragte Voßhoff! Sie sitzt ganz alleine auf der Besuchertribüne. Das ist sinnbildlich für das, was Sie mit ihr vorhaben: Dann sitzt man halt alleine. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Sie haben heute den selbst für Ihre Verhältnisse bemerkenswert schlechten Versuch unternommen, ein EuGH-Urteil umzusetzen und bei dieser Umsetzung dafür zu sorgen, dass es einen strukturellen Maulkorb für die Bundesbeauftragte für den Datenschutz gibt. Interessant ist die Frage, warum das Gesetz erst 2016 in Kraft treten soll. Davon abgesehen – Sie haben damit geendet; ich will damit beginnen – war die Debatte im Innenausschuss um den Dienstsitz Berlin nicht völlig emotional. Es gab die, wie ich finde, völlig berechtigte Überlegung, dass wir im Jahr 2014/2015 eine solche Behörde nach Berlin holen sollten – das ist zumindest unsere Auffassung –, und zwar aus einem ganz praktischen Grund: weil nämlich diese Bundesregierung in Fragen des Datenschutzes eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung braucht. Deswegen haben wir gesagt, es wäre sinnvoll, den Dienstsitz nach Berlin zu verlegen. (Beifall bei der LINKEN) Noch etwas ist interessant: Wir machen eine Sachverständigenanhörung, an der alle eingeladenen Sachverständigen teilgenommen haben – auch die, die Sie -benannt haben, insbesondere die Freunde der Sozialdemokraten –, und alle bis auf einen, nach dem Sie wahrscheinlich lange gesucht haben, haben Ihren Gesetzentwurf zerfetzt. Alle anderen haben gesagt: So geht das gar nicht; das ist eine reale Schwächung der Bundesbeauftragten für den Datenschutz. (Gerold Reichenbach [SPD]: Da waren Sie aber auf dem Sportplatz!) Das ist auch ein wenig sinnbildlich für die Politik, die Sie als Große Koalition machen: (Gerold Reichenbach [SPD]: Dann warten Sie einmal ab!) Selbst das, was die Sachverständigen sagen, ist völlig egal. Man sitzt hier satt und zufrieden mit einer 80-Prozent-Mehrheit und macht eh, was man will. Man nimmt dann nicht einmal Sachverständige ernst. Das ist wirkliche keine angemessene Einstellung auch gegenüber den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie sehen diese Maulkörbe nun aus? Man muss das ein wenig übersetzen; denn wenn man einen solchen Gesetzentwurf liest – das gilt vor allem für Leute, die das nicht jeden Tag machen –, dann braucht man etwas Übersetzungshilfe, um ihn zu verstehen. Maulkörbe finden sich in folgender Formulierung: Die oder der Bundesbeauftragte darf als Zeugin oder Zeuge aussagen, es sei denn, die Aussage – jetzt kommt es – … würde dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten, insbesondere wenn Nachteile für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder ihre Beziehungen zu anderen Staaten zu besorgen sind … (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr gute Formulierung! – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Eine Formulierung wie im Ministergesetz!) So klingt ein Maulkorb. Es kann dann sehr gut sein, dass Sie im Zusammenhang mit Snowden oder der NSA mit Verweis auf die Beziehungen zu anderen Ländern nichts sagen und nichts machen, und das schreiben Sie sogar noch der Bundesdatenschutzbeauftragten in den Gesetzentwurf. Das ist völlig unangemessen für die Zeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein weiterer Punkt: Sie haben es eben als ganz großen Fortschritt verkauft, dass nicht mehr von „Einvernehmen“, sondern von „Benehmen“ die Rede ist. In der Tat ist das ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Aber man muss auch lesen, was davorsteht. Dort steht – ich darf zitieren –: Betrifft die Aussage laufende oder abgeschlossene Vorgänge, die dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Bundesregierung zuzurechnen sind oder sein könnten, – das machen Sie natürlich immer dann, wenn es Ihnen in den Kram passt, und schreiben es sogar noch in den Gesetzentwurf hinein – darf die oder der Bundesbeauftragte nur im Benehmen der Bundesregierung aussagen. Es ist aberwitzig, so etwas in einen Gesetzentwurf für die Stärkung der Unabhängigkeit der Bundesdatenschutzbeauftragten hineinzuschreiben. Das bedeutet nämlich im Kern, dass bei Ihnen alles Kernbereich ist und dass Sie alles verweigern werden, was an Aufklärung nötig ist. Das ist wirklich völlig daneben, wie Sie das machen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen wäre die richtige Alternative gewesen, diesen Passus, den § 23 BDSG, in Gänze zu streichen, wie es uns auch die große Mehrheit der Sachverständigen geraten hat. In Zeiten von Massenüberwachung, schwer kontrollierbaren Geheimdienste, Edward Snowden und der Gier von Konzernen und des Staates nach immer mehr Daten stärken Sie den Datenschutz nicht, sondern Sie schwächen ihn per Gesetz. Das ist diesen Zeiten nicht angemessen, und das ist auch der Demokratie, die nicht in allerbestem Zustand ist, nicht angemessen. Deswegen muss man das, was Sie vorgelegt haben, vollständig ablehnen. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss. Es kommt noch hinzu – ich weiß nicht, ob Ihnen das gar nicht auffällt –, dass Sie Ihre eigene Datenschutzbeauftragte, die Sie selber vorgeschlagen haben, düpieren und vorführen, wenn Sie versuchen, ihr einen solchen Gesetzentwurf für ihre Behörde zuzuschustern. Das geht überhaupt nicht. Der Zustand der Großen Koalition ist nicht gut. Das Problem ist, dass Sie hier so abgefrühstückt und satt sitzen und dass alles egal ist. Alle Fragen betreffend die Bürgerrechte und den Datenschutz sind – man muss sich nur vor Augen führen, was hier in den letzten Jahren geschehen ist – für Sie kein Thema. Es regt Sie nichts mehr auf. Nur wenn einen nichts mehr aufregt, ist man in der Lage, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen. Deshalb werden wir ihn aus voller Überzeugung ablehnen. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Gerold Reichenbach. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerold Reichenbach (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob man sich im politischen Geschäft bestimmter Themen annimmt und sich über bestimmte Dinge aufregt, ist nicht davon abhängig, ob man gleichzeitig Schaum vor dem Mund hat. (Jan Korte [DIE LINKE]: Sie schläfern immer alle ein!) Der nun vorliegende Gesetzentwurf stellt einen wichtigen Schritt für den Datenschutz in Deutschland dar. Wir setzen mit diesem Gesetz um, was wir Sozialde-mokraten seit Jahren fordern – natürlich haben die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs uns dabei geholfen –, nämlich eine völlige Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten. Lassen Sie mich dazusagen: Es ist nicht so, als wäre der Datenschutzbeauftragte bisher nicht unabhängig gewesen. Kein anderer als der Amtsvorgänger Peter Schaar hat deutlich gemacht, dass er durchaus in der Lage war, unabhängig zu agieren, und keinen Maulkorb hatte, obwohl das Gesetz damals noch eine Reihe restriktiverer Formulierungen enthielt, die der EuGH später moniert hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mit dem Gesetz, dessen Entwurf vorliegt, machen wir die Datenschutzbeauftragte auch formal unabhängig, etwa mit § 23 BDSG. Es tut mir leid, Kollege Korte, da waren Sie offenbar auf einem anderen Sportplatz. (Jan Korte [DIE LINKE]: Aber die Sachverständigen von Ihnen haben das gesagt! Sie haben gesagt: „Streichen“!) Alle Sachverständigen haben darauf hingewiesen, dass die Einvernehmensregelung in europarechtlicher Hinsicht schwierig ist. Deswegen haben wir das geändert. Aber alle Sachverständigen haben auch deutlich gemacht, dass damit, egal ob dort „kann“ oder „könnte“ steht, ein Abwägungstatbestand beschrieben ist, also nicht das, was Sie gerade versucht haben zu insinuieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Alle Sachverständigen haben ebenfalls deutlich gemacht, dass das, was der geplante § 23 Absatz 6 beinhaltet, nämlich den Hinweis auf „Nachteile für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder ihre Beziehungen zu anderen Staaten“, ohnehin bindende Wirkung für die Datenschutzbeauftragte hat, unabhängig davon, ob das in diesem Gesetz so formuliert ist oder nicht. Sicherlich kann man darüber diskutieren, ob das Gesetz solche Formulierungen unbedingt beinhalten muss, wenn sie nicht notwendig sind. Aber wir formulieren nichts von dem, was Sie gerade insinuiert haben, dass es nicht existieren würde, wenn es nicht im Gesetz stehen würde. Es handelt sich nämlich um ein Prinzip unserer Grundrechtsordnung. Wenn sie Ihnen nicht passt, müssen Sie es sagen. Aber dann können Sie es nicht daran festmachen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Nun kommen wir zum Kernbereich des Regierungshandelns. Es ist völlig unbestritten – das ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht ausgeurteilt –, dass der Kernbereich des Regierungshandelns verfassungsrechtlichen Schutz genießt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bestreitet niemand!) Wir haben den Genehmigungsvorbehalt herausgenommen; auch das wurde in der Anhörung thematisiert. Die Bundesbeauftragte muss in die Lage versetzt werden, Erkenntnisse, die ihrer Behörde nicht vorliegen, von der Bundesregierung einzuholen, die es ihr ermöglichen, in eigener Verantwortung zu beurteilen, ob der Kernbereich des Regierungshandelns tangiert ist oder nicht. Das ist Sinn und Zweck dieser Benehmensregelung, nichts anderes. Wenn ich mir das Urteil betreffend Österreich anschaue, bei dem es um die Kontrolle laufender Verfahren geht, bin ich mir ganz sicher, dass dies in europarechtlicher Hinsicht in Ordnung ist. Letztendlich entscheidet die Bundesbeauftragte oder der Bundesbeauftragte eigenständig. Mit anderen Worten: Mit der jetzigen Formulierung ist der Maulkorb weg, wie es in den Medien tituliert worden ist. Nun komme ich zu der von Ihnen geforderten Festlegung des Dienstsitzes. Dazu fällt mir nur ein: Wenn man nichts mehr zu meckern hat, geht man halt auf den Dienstsitz ein. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben doch nicht wir zitiert!) Am Ende stellt sich wirklich die Frage, ob die Stellung der Bundesbeauftragten zum Parlament – das betrifft die Symbolik – abhängig vom Dienstsitz ist. Beim Bundesverfassungsgericht gibt es das Problem nicht; das sitzt in Karlsruhe. Beim Bundesverwaltungsgericht gibt es das Problem nicht; das sitzt in Leipzig. (Zuruf von der CDU/CSU: Da sitzt es gut!) Beim Bundesrechnungshof sehen Sie das Problem auch nicht; der sitzt auch in Bonn. Also, wo liegt ausgerechnet beim Sitz der Bundesdatenschutzbeauftragten das Problem? Ich habe den Eindruck, dass es da nur nach dem Prinzip geht: Irgendetwas muss ich ja zum Meckern gefunden haben. – Mehr steckt nicht dahinter. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ebenso verhält es sich mit der Frage der Ausstattung. Wir alle wissen, dass die völlige Unabhängigkeit 2016 in Kraft tritt. Die Frage, wie eine angemessene Sachausstattung auszusehen hat, entscheidet wie immer in diesem Parlament der Haushaltsgesetzgeber, nämlich der des Jahres 2016. Sie können sich sicher sein, dass die Koalitionsfraktionen bei der Aufstellung des Haushalts 2016 darüber beraten werden – wir haben das schon einmal im Ausschuss deutlich gemacht –, welche Sachausstattung der neuen Aufgabe angemessen ist. Sie wären doch der Erste, der gesagt hätte: Jetzt kommen die Koalitionsfraktionen und schreiben in das Gesetz, dass bestimmte Ausgaben für das Jahr 2016 getätigt werden sollen. Daran sieht man wieder einmal, welchen Respekt die bräsige Große Koalition vor dem Haushaltsgesetzgeber 2016 hat. – Was beliebt Ihnen denn jetzt? (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir gehen Stück für Stück und sachlich vor. Das Gleiche gilt übrigens auch für das dritte Thema, das in der Anhörung behandelt wurde, nämlich die Sanktionen. Es ist richtig: Ein Teil dessen, was die Bundesdatenschutzbeauftragte überwacht, ist der Bereich des Telekommunikationsgesetzes. Da hat sie keine eigenen Sanktionsmöglichkeiten. Aber wir sagen: Bis 2016 wird die europäische Datenschutz-Grundverordnung vorliegen. Dann werden wir im Rahmen dieser Grundverordnung, die ohnehin eigene Sanktionsmöglichkeiten für die Datenschutzbeauftragten vorsieht, dieses Thema diskutieren. Es macht keinen Sinn, das heute mitregeln zu wollen. Ich sage aus voller Überzeugung: Wir haben hier ein Gesetz vorgelegt, insbesondere mit den Änderungen, die wir im Ausschuss vorgenommen haben, das zu einer vollständigen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der Datenschutzbeauftragten führt. Ich sage Ihnen auch: Wir machen Ihr Spiel nicht mit. Es ist erstens nicht redlich und zweitens sachlich falsch, zu behaupten, dass jeder, der den Anträgen der Grünen oder der Linkspartei nicht zustimmt, gegen die Unabhängigkeit des oder der Datenschutzbeauftragten ist. Diese Unabhängigkeit ist auch mit unserem Gesetzentwurf gegeben. Deswegen werden wir Ihnen in einer namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf am Ende die Gelegenheit geben, deutlich zu machen, ob es Ihnen wirklich um die Sache oder nur um eigene parteipolitische Profilierung und Klamauk geht. Werte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Ihre Zustimmung und danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Dr. Konstantin von Notz das Wort. (Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann ja verstehen, dass Sie sich bei all dem Frust in der Großen Koalition gern für Selbstverständlichkeiten abfeiern. Aber das ist hier und heute gänzlich unangebracht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Denn die Herstellung der völligen Unabhängigkeit der Bundesbeauftragten für den Datenschutz als Hüterin der Grundrechte ist europarechtlich geboten, und zwar seit Jahrzehnten. Auch das Bundesverfassungsgericht hat eine effektive Datenschutzkontrolle zur Voraussetzung für Dateien im Sicherheitsbereich genannt. Die Dateien gibt es, bei der Kontrolle ist Fehlanzeige. So geht es eben nicht, meine Damen und Herren. Wir haben die Unabhängigkeit hier in den letzten Jahren immer wieder eingefordert, und Sie haben sie bisher blockiert, vor allem die Kolleginnen und Kollegen der Union. Ihre Feierlaune ist deswegen völlig deplatziert; denn Sie stellen die Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten eben auch heute nicht her. Das liegt daran, dass Sie insgesamt ein gespaltenes Verhältnis zum Datenschutz und zur Privatsphäre in der digitalen Welt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Seit Jahren blockieren Sie die Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten. Sie blockieren jegliche Verbesserung der Privatsphäre von Menschen in der digitalen Welt. Sie verweigern seit Jahren ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Statt aus den Niederlagen vor dem Bundesverfassungsgericht und vor dem EuGH zu lernen, halten Sie an der Vorratsdatenspeicherung fest. Auf dem CDU-Parteitag konnten wir lernen: Sie wollen auch noch die Anonymität im Netz gänzlich wieder abschaffen. Na, herzlichen Dank! Praktisch täglich dokumentieren Sie Ihr Versagen, aus dem von Edward Snowden aufgedeckten Skandal Konsequenzen zu ziehen. Die Bundesregierung wollte einen Maulkorb für die amtierende Datenschutzbeauftragte und die ehemaligen Datenschutzbeauftragten. Dieser Vorschlag ist bei den Sachverständigen – das hat der Kollege Korte gesagt – mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Nun legen Sie kosmetische Korrekturen beim Maulkorb vor. Es bleibt jedoch bei einer Genehmigungspflicht für den ehemaligen BfDI und die Bundesbeauftragte für den Datenschutz, die sich ins „Benehmen“ mit dem BMI zu setzen hat. Ins „Benehmen“, das klingt harmlos, Herr Kollege Reichenbach. Wir können hier ja einmal gesetzlich beschließen, dass Sie sich vor jeder Rede im nächsten Jahr mit mir ins „Benehmen“ darüber zu setzen haben, was Sie hier sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich kann Ihnen schon sagen, wie das Ihre Unabhängigkeit als Abgeordneter einschränken würde. Ihnen liegt unser europa- und verfassungsrechtskonformer Antrag vor, der in der Anhörung großes Lob, großen Zuspruch erfahren hat. Seine Annahme würde verhindern, dass die Bundesregierung, so wie sie es im PUA täglich tut, unter Berufung auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung immer wieder Informationsblockaden errichtet. Ihre Vorlagen enthalten weitere Regelungen, die die vollständige Unabhängigkeit darüber hinaus einschränken: das alleinige Vorschlagsrecht der Bundesregierung bei der Benennung der Bundesbeauftragten, die fehlende haushalterische Unabhängigkeit, die lückenhaften Einsichtsbefugnisse der BfDI im Sicherheitsbereich, das Fehlen von wesentlichen Sanktionsbefugnissen – Herr Reichenbach, das haben Sie sogar angesprochen – im Bereich der Post und Telekommunikation. Dazu kommen erhebliche Kontrolllücken zwischen der G-10-Kommission und der BfDI, die Sie nicht gesetzlich schließen wollen. All das ist völlig unzureichend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir erleben derzeit den größten Datenschutzskandal aller Zeiten. Dazu braucht es klare parlamentarische Antworten: Neben der Aufklärung im Untersuchungsausschuss, gesetzgeberischen Konsequenzen und der Stärkung der parlamentarischen Kontrolle ist das eben auch eine Stärkung der BfDI. Der Aufgabenbereich der Bundesbeauftragten für den Datenschutz ist massiv gewachsen. Sie sind aber nicht in der Lage, die Behörde entscheidend zu stärken. Dieses Gesetz, bei dem Sie selbst sagen, dass es überfälligerweise einen rechtswidrigen, hochproblematischen Zustand beseitigt, soll erst 2016 in Kraft treten. Bis dahin soll eine Genehmigungspflicht durch das BMI bei gerichtlichen und außergerichtlichen Aussagen weiterbestehen. Man kann einmal sehr gespannt sein, wie Sie sich im PUA NSA verhalten, wenn Frau Voßhoff und Herr Schaar kommen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege von Notz. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich fordere Sie auf, die tatsächliche Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht zu gewährleisten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eine angemessene finanzielle und personelle Ausstattung zu schaffen und die Möglichkeit, ihre wichtige Funktion zum Schutz unserer Grundrechte endlich wahrnehmen zu können, zu sichern. All das erfüllt Ihr Vorschlag nicht. Deswegen lehnen wir ihn ab. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Marian Wendt, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marian Wendt (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Datenschützer können keine Daten schützen, sie können allenfalls kontrollieren, ob Daten hinreichend geschützt werden. Dieses Zitat von Bundespräsident Gauck zeigt, dass es beim Thema Datenschutz nicht um Daten an sich geht; vielmehr steht die Nutzung von personenbezogenen Daten im Vordergrund. Die Große Koalition geht deshalb mit der Umsetzung der EuGH-Urteile den nächsten richtigen Schritt, um Deutschland zum Marktführer beim Schutz personen-bezogener Daten zu entwickeln, ohne die Nutzung durch die digitale Wirtschaft aus dem Blick zu verlieren. (Beifall des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]) Effizienter Datenschutz ist Bestandteil der Digitalen Agenda der Großen Koalition. Daher ist die Behauptung, wir seien mit unseren jetzigen Entscheidungen nur Getriebene des Europäischen Gerichtshofes, schlicht unzutreffend. Formell und nachhaltig wird jetzt abgesichert, was de facto schon vorher der Fall gewesen ist; denn die Unabhängigkeit der Arbeit der Datenschutzbeauftragten bestand bereits. Sie sehen dies daran, dass es nie einen rechtsaufsichtlichen Eingriff durch das Innenministerium gab. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich sehe das Gesetz als richtigen Schritt zur Stärkung der Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten und nehme die heutige Debatte deshalb zum Anlass, noch einmal einen generellen Blick auf den deutschen Datenschutz zu werfen, insbesondere auf unseren Weg zur Marktführerschaft in diesem Bereich. Aus meiner Sicht sollten wir als Gesetzgeber künftig Folgendes bedenken: Ziehen wir die Zügel beim Datenschutz zu straff, würgen wir Innovation und Fortschritt ab. Wir würden hierdurch jungen Unternehmen schaden, obwohl wir Start-ups eigentlich stärken wollen. Lassen wir die Zügel zu locker, öffnen wir Missbrauch Tür und Tor. Deshalb sind meiner Meinung nach drei Punkte wichtig. Erstens. Effektiven Datenschutz erreichen wir in Deutschland nicht durch besonders strenge Regulierung. Durch eine strenge Regulierung werden Unternehmen vertrieben, die ihr Geschäftsmodell rund um die Nutzung von Daten aufgebaut haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier redet ein Kollege über ein sehr wichtiges Thema. Ich bitte Sie, diesem Kollegen jetzt zuzuhören oder Ihre Diskussionen draußen fortzusetzen. Ich sage das jetzt wirklich im Ernst. Sonst warten wir einfach, bis Sie still sind, bis Sie zuhören. Das gilt für alle Seiten in diesem Haus. Herr Wendt hat das Recht, dass ihm zugehört wird, (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) und zwar auf allen Rängen des Hauses, auch in den hinteren Abteilungen. Setzen Sie sich also bitte hin, und hören Sie dem letzten Redner in dieser Debatte zu, sonst machen wir eine Pause, bis alle sitzen. Das ist eine Drohung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) So, Herr Kollege, wir versuchen es noch einmal. Marian Wendt (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich denke, insbesondere die Tatsache, dass wir nachher namentlich über die vorliegenden Anträge und dieses Gesetz abstimmen, zeigt die Bedeutung des Themas. Erstens. Effektiven Datenschutz erreichen wir nicht durch besonders strenge Regulierung. Dadurch werden Unternehmen aus unserem Land vertrieben, die ihr Geschäftsmodell rund um die Nutzung von Daten aufgebaut haben. Diese gehen dann nämlich in Länder, in denen keine oder wenig Regulierung besteht. Damit fallen sie aus unserem europäischen Einflussbereich heraus. Was ist dadurch gewonnen? – Nichts. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und deswegen schwacher Datenschutz?) Das Verbot jedweder Datennutzung ohne eine konkrete Einwilligung, Privacy by Default genannt, ist ein gutes Beispiel dafür. Dieses Verbot sorgt zum Beispiel dafür, dass die Daten der hauptsächlich genutzten sozialen Netzwerke heute in den Vereinigten Staaten gesammelt und verwertet werden. Deutsche Unternehmen erleiden ja aktuell signifikante Nachteile. Zweitens. Wie der geschätzte Kollege Lars Klingbeil kürzlich im Handelsblatt schrieb, hat sich in Zeiten der Datenvielfalt das Prinzip der Datensparsamkeit überlebt. Daten sind ein überaus wertvolles Gut und schützenswert. Dieses Gut zu nutzen, bringt uns Vorteile. Für mich ist deshalb auch klar: Datenvielfalt ist gewünscht. Sie ist Innovationstreiber. Die Vielzahl der positiven Einsatzmöglichkeiten, heute und in der Zukunft, kann hier noch keiner überblicken. Die Energiewende ist hier als Beispiel zu nennen: Das Einsparpotenzial durch intelligente Steuerung der Energieversorgung ist enorm. Ich möchte, dass wir bei diesen Innovationen Vorreiter bleiben. Deshalb ist für mich nicht die Datenerhebung, sondern die Datenverwertung beim Datenschutz entscheidend. (Beifall bei der CDU/CSU) Nur diese sollte reguliert werden. Die Alternative wäre, dass die Unternehmen außerhalb des europäischen Rechtskreises diese Daten erheben und sie einfach fernab von jeglichen Datenschutzstandards verwenden. Drittens. Datensammlung und -verwertung sind wichtig für die Gefahrenabwehr. Es geht nicht an, dass Sicherheitsbehörden zum Beispiel im Vorfeld der HoGeSa-Krawalle in Köln nicht effektiv durch einen Datenabgleich zusammenarbeiten dürfen. Wir müssen hier überlegen, wie wichtig uns die Sicherheit von Menschen in unserem Land ist. Natürlich ist es ein Spannungsfeld, das vernünftige Abwägungen erfordert; aber das Leben und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger haben für mich den höchsten Stellenwert. (Beifall bei der CDU/CSU) Aus diesem Grund ist auch die Verbindungsdatenspeicherung für mich weiterhin ein wichtiges Mittel der Gefahrenabwehr. (Beifall bei der CDU/CSU) Abschließend möchte ich zusammenfassend sagen, dass wir bei der Erneuerung des Datenschutzrechtes weiter vorangehen müssen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Entweder wir modernisieren uns oder andere modernisieren uns – und das können wir uns im Sinne der Bürgerinnen und Bürger nicht leisten. Vor allem denke ich, dass wir weg von der alten Idee der Datensparsamkeit hin zu einer positiven Nutzung von Daten innerhalb klarer Schranken gelangen müssen. Mit Datenschutzstandards von 1983 werden wir dem digitalen Wandel nicht gerecht werden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Wendt, und Dank den Kolleginnen und Kollegen, die Ihnen ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Stärkung der Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht im Bund durch Errichtung einer obersten Bundesbehörde. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3598, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/2848 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt auf Drucksache 18/3601 ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – An zwei Urnen fehlen noch Schriftführerinnen bzw. Schriftführer. Sind die Plätze an den Urnen jetzt besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über den Änderungsantrag. Sind noch Kolleginnen und Kollegen im Saal, die ihre Stimme nicht abgegeben haben? – Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen: Wenn sich die Kolleginnen und Kollegen ganz außen zur Abstimmung mehr in der Mitte einreihten, wären sie schneller fertig. Ich frage noch einmal: Gibt es Mitglieder des Hauses, die noch nicht abgestimmt haben? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. Gute Unterhaltung! (Unterbrechung von 21.10 bis 21.17 Uhr) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nähern uns der zweiten Abstimmung. Zuerst gebe ich Ihnen aber das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag bekannt: abgegebene Stimmen 566. Mit Ja haben gestimmt 110 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 456, Enthaltungen keine. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 566; davon ja: 110 nein: 456 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Das sieht ungefähr nach halbe-halbe aus. (Widerspruch bei Abgeordneten im ganzen Haus) – Sie passen ja auf. Sind Sie der Meinung, das war halbe-halbe? – Nein, nicht wirklich. – Gut, wir machen das noch einmal: Wer stimmt für den Gesetzentwurf? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Zustimmung einer größeren Gruppe von Abgeordneten von CDU/CSU und SPD und bei Gegenstimmen einer hinten im Saal stehenden Gruppe von Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen und einer links von mir stehenden Gruppe von Abgeordneten der Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wie vorhin die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über den Gesetzentwurf. Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht abgestimmt haben? – Vorne sind zwei Urnen, die komplett frei sind. Sie könnten hier ganz schnell abstimmen. Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen, die nicht abgestimmt haben? – So, jetzt haben alle abgestimmt. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.7 Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3602. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt: Zustimmung von der Linken, Gegenstimmen von CDU/CSU und SPD und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Ich lasse über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3603 abstimmen. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt: Zustimmung vom Bündnis 90/Die Grünen und von der Linken, Ablehnung von CDU/CSU und SPD. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des -Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schutz von Kindern vor Schadstoffen in Spielzeugen wirksam durchsetzen Drucksachen 18/1367, 18/2717 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.8 – Ich sehe, Sie sind einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss -empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 18/2717, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1367 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von der Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung der Verwendung elektrisch betriebener Fahrzeuge (Elektromobilitätsgesetz – EmoG) Drucksache 18/3418 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.9 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3418 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Iguala ist kein Einzelfall – Zur Menschenrechtslage in Mexiko Drucksache 18/3552 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Michael Leutert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Menschenrechte in Mexiko schützen, Verhandlungen zum Sicherheitsabkommen aussetzen Drucksache 18/3548 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Verteidigungsausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Irene Mihalic, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherheitsabkommen brauchen Standards Drucksache 18/3553 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.10 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/3552, 18/3548 und 18/3553 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung -eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur -Teilumsetzung der Energieeffizienzrichtlinie und zur Verschiebung des Außerkrafttretens des § 47 g Absatz 2 des Gesetzes gegen Wett-bewerbsbeschränkungen Drucksache 18/3373 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss Digitale Agenda Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.11 – Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3373 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu weitergehende oder anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wiedereingliederung fördern – Gefangene in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbeziehen Drucksachen 18/2606, 18/2784 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an Gabriele Hiller-Ohm für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, kann es sein, dass Ihnen die Themen ausgehen? (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Nein!) Ich frage Sie das, weil Sie uns heute einen Antrag vorlegen, der fast wortgleich mit einem Antrag ist, den wir 2013 bereits am Ende der letzten Legislaturperiode behandelt haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Diskontinuität!) Es geht um die Einbeziehung von Strafgefangenen in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Wir haben unsere Argumente ausgetauscht, und wir haben Ihrem Antrag nicht zugestimmt. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wir halten Sie für lernfähig!) Das werden wir jetzt genau so wiederholen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dafür gibt es gute Gründe. Uns allen ist bekannt, dass bereits im Strafvollzugsgesetz vom 16. März 1976 Regelungen zu einer Einbeziehung der Gefangenen in die Sozialversicherungen enthalten waren. Diese Regelungen sind jedoch größtenteils seit nunmehr 38 Jahren nicht in Kraft getreten. Und warum ist das so? Haben wir Bundestagsabgeordneten oder die Bundesregierung daran Schuld? Tragen wir die Verantwortung? Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, nicht wir, sondern die Bundesländer haben es verbockt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da regiert ihr doch auch!) Sie müssten nämlich die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge für die Strafgefangenen zahlen. Das wollen sie nicht, und deshalb stehen sie seit 38 Jahren auf der Bremse. Die Haltung der Bundesregierung in dieser Angelegenheit ist seit Jahren ebenso gleich wie klar. Exemplarisch zitiere ich hier die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken von 2008 zu diesem Thema: (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wir bleiben hartnäckig!) Die Bundesregierung hält die Einbeziehung von Strafgefangenen in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung weiterhin für sinnvoll. Die aufgeschobene Inkraftsetzung der Regelungen im Strafvollzugsgesetz beruht im Wesentlichen auf -finanziellen Vorbehalten der Bundesländer, die die Beiträge zur Sozialversicherung übernehmen müssten. Die Vorbehalte bestehen unverändert: Die Haushaltssituation der Bundesländer hat sich nicht in der Weise verändert, dass eine neuerliche Initiative der Bundesregierung Aussicht auf Erfolg hätte. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In der letzten, der 17. Wahlperiode haben Sie, meine Damen und Herren von der Linken, aber dennoch am 17. April 2013 einen inhaltlich, vom Titel und Wortlaut identischen Antrag zu dem heute vorliegenden gestellt. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Auf uns ist Verlass!) Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hat in gleicher Weise argumentiert und geantwortet wie das sozialdemokratisch geführte Arbeits- und Sozialministerium im Jahre 2008. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Woran das wohl liegt!) Man kann nun denselben Antrag immer wieder neu stellen; das ist das Recht der Opposition. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat beim Mindestlohn auch funktioniert!) Es stellt sich aber doch die Frage: Ist so etwas zielführend? Klar ist: Der Bundestag ist nicht der richtige Ansprechpartner. Warum – so frage ich Sie – versuchen Sie es also nicht über die Bundesländer? Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ich frage Sie: Was soll diese Schaufensterpolitik hier im Deutschen Bundestag? Verwenden Sie Ihre Energien doch lieber sinnvoller. Überzeugen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen in den beiden Bundesländern, in denen Sie mitregieren, also in Brandenburg und Thüringen, eine Bundesratsinitiative zur Einbeziehung der Strafgefangenen in die Sozialversicherung zu starten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Brandenburg hat die Arbeitspflicht schon abgeschafft!) Das wäre doch ein sinnvoller Vorschlag. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) An Ihrem Antrag stört uns aber nicht nur die falsche Adressierung. Es gibt noch weitere Ablehnungsgründe. Es ist grundsätzlich richtig, den Resozialisierungsgedanken vor Augen zu haben. Es ist auch richtig, den Strafgefangenen sinnvolle Arbeitsmöglichkeiten zu bieten. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber?) Die Forderung in Ihrem Antrag nach einem individuell einklagbaren Recht auf Arbeit für Gefangene, also einer staatlichen Garantie auf Arbeit für Strafgefangene, geht uns zu weit. Warum – das muss man sich doch fragen – sollen Strafgefangene dieses Recht erhalten, obwohl es so etwas für die Allgemeinheit nicht gibt? Zudem haben die Länder seit der Föderalismusreform 2006 die Zuständigkeit für die Gesetzgebungskompetenz beim Strafvollzug. Das Bundes-Strafvollzugsgesetz ist auch nur noch gültig, sofern die Länder nicht eigene Landesstrafvollzugsgesetze erlassen. Soweit mir bekannt ist, haben dies bereits – oder erst; je nachdem, wie man es sieht – elf Länder getan. Die Länder können also durch ihre Zuständigkeit eigene Arbeitsregelungen im Strafvollzug festlegen. Sie können auch auf die in Ihrem Antrag kritisierte Arbeitspflicht verzichten. Einige Bundesländer tun das bereits. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ja, Brandenburg zum Beispiel!) Auch hierfür wären die Länder also die richtigen Ansprechpartner. Schauen wir uns doch einmal die Landesjustizvollzugsgesetze in den Ländern mit linker Regierungsbeteiligung, also in Brandenburg und Thüringen, an: In keinem gibt es das von Ihnen geforderte einklagbare Recht auf Arbeit für Gefangene. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!) In Thüringen steht sogar noch die von Ihnen ebenfalls in Ihrem Antrag kritisierte Arbeitspflicht im Landesjustizvollzugsgesetz. Zugegeben: In Thüringen, meine Damen und Herren von der Linken, sind Sie erst seit zwei Wochen an der Regierung. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aha!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage? Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Nein. – Aber in Brandenburg hat die Linke seit 2009 das Justizministerium inne. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und die Arbeitspflicht abgeschafft!) Ein einklagbares Arbeitsrecht findet sich im 2013 neu gefassten brandenburgischen Justizvollzugsgesetz auch nicht. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss doch zu denken geben und sagt einiges über die Politik der Linken aus. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ein Unsinn! Das liegt an euch!) Unglücklich finde ich in dem Antrag aber auch die Vermengung von Täter- und Opferangelegenheiten. Für die Verbesserung der Rechtsstellung der Opfer hätte ich mir einen gesonderten Antrag gewünscht. (Zuruf von der LINKEN: Wie heißt denn der Ministerpräsident von Brandenburg?) In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass im Koalitionsvertrag eine Reform der Opferentschädigung und des Rechts der Sozialen Entschädigung vereinbart ist. Wir werden den Opferschutz also schon bald gemeinsam mit der Union verbessern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Denken Sie bitte an Ihre Redezeit? Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Ja. – Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich kann schon nachvollziehen, dass es Ihnen schwerfällt, sich als Opposition kraftvoll einzubringen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind einfach zu gut und räumen Ihre Themen Stück für Stück ab, zum Beispiel: Mindestlohn, Rente mit 63, Frauenquote, Mietpreisbremse, Doppelpass usw. (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende! Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Das muss wehtun! Trotzdem: Fröhliche Weihnachten! (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Bei aller Freundlichkeit: Angesichts der Weihnachtsfeiern wäre es gut, wenn Sie Ihre Redezeiten einhalten würden. – Nächster Redner: Matthias W. Birkwald von der Linken. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer ein Verbrechen begeht und dafür in Haft muss, sitzt zu Recht im Gefängnis. Der Freiheitsentzug ist seine oder ihre Strafe. Aber die Linke sagt: Eine doppelte Strafe in Form von Altersarmut ist Unrecht. (Beifall bei der LINKEN) Darum wollen wir die Gefangenen in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbeziehen. Unser Antrag kommt, Frau Kollegin, kurz vor Weihnachten und damit genau zur richtigen Zeit. Das sieht man in Mecklenburg-Vorpommern auch so. Ich zitiere und bitte insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der Union aufmerksam zuzuhören: Zu jeder Zeit sollten Menschen die Möglichkeit bekommen, Rentenbeiträge einzuzahlen, um für das Alter vorsorgen zu können. Auch Gefangenen muss eine solche Chance geboten werden. Das betrachte ich als einen Teil des Resozialisierungsgedankens. Wer im Gefängnis an seiner straffreien Zukunft arbeiten kann, dem sollten wir keine Steine in den Weg legen. Das ist absolut richtig. Wer hat es gesagt? (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Uli Hoeneß!) Uta-Maria Kuder, CDU, die Justizministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern. (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Sie versprach, das Thema 2015 in die Justizministerkonferenz einzubringen. Gut so! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Strafgefangene während ihrer Zeit im Gefängnis arbeiten und dafür künftig Rentenansprüche erwürben, so wäre das der beste Schutz vor Altersarmut. Im Übrigen gäbe es auch einen wichtigen Grund weniger, erneut straffällig zu werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Justizministerin nannte auch eine interessante Zahl: Mecklenburg-Vorpommern hätte einen Arbeitgeberanteil von nur rund 1,5 Millionen Euro im Jahr zu tragen, wenn es – Zitat – „zu einem Umdenken käme“. 1,5 Millionen Euro, das muss ja wohl drin sein. (Beifall bei der LINKEN) Frau Staatssekretärin, Ihr Ministerium hatte auf Anfrage des ARD-Magazins Kontraste am 30. Oktober 2014 erklären lassen, Ministerin Andrea Nahles begrüße das Vorhaben zwar, aber leider gebe es weiterhin Vorbehalte finanzieller Art der Länder. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja!) Vorbehalte der Länder? Die kann ich bei der CDU-Justizministerin von Mecklenburg-Vorpommern nicht erkennen. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Da sollte man eine Bundesratsinitiative machen!) Der bayerische Finanzminister erwartet laut Kon-traste 44 Millionen Euro Einnahmen aus der Arbeit in den bayerischen Haftanstalten. 44 Millionen Euro Einnahmen und 0 Cent davon gehen in die Rentenkasse? Das darf nicht so bleiben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In Nordrhein-Westfalen sind es 50 Millionen Euro Einnahmen jährlich, weil die Gefangenen Möbel bauen, Bücher binden oder für renommierte Unternehmen wie Gardena oder Siemens Gartengeräte oder Lampenteile herstellen. Ihr Stundenlohn beträgt gerade einmal 1,50 Euro. Dazu sage ich: Das ist viel zu wenig. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir brauchen endlich ein Umdenken. Gefangene wieder in die Gesellschaft einzugliedern und alles dafür zu tun, dass sie nicht rückfällig werden, darum muss es gehen. Unser Antrag geht zurück auf eine Petition des Komitees für Grundrechte und Demokratie aus dem Jahr 2011. Diese Petition wurde von über 5 700 Menschen sowie von nahezu allen bundesweit tätigen Organisationen der Gefangenenhilfe unterzeichnet. Der Petitionsausschuss hatte sie im April 2014 an die Bundes- und die Landesregierungen weitergeleitet. Die Reaktion? Null, keine. Dabei hatte vor bereits bald 38 Jahren die Bundesregierung im damals neuen Strafvollzugsgesetz von 1977 -vorgesehen, die Gefangenen in die Rentenversicherung einzubeziehen. Nur, Frau Kollegin Hiller-Ohm, das entsprechende Bundesgesetz wurde nie erlassen. (Zuruf der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) Das heißt: Erstens. Alle Regierungen verstoßen seit 38 Jahren gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. Zweitens. Alle Regierungen verstoßen seit 38 Jahren gegen das Sozialstaatsprinzip. Drittens. Alle Regierungen sind damit seit 38 Jahren für die absehbare Altersarmut von arbeitenden Gefangenen verantwortlich; und diese Altersarmut ist eine nicht zu rechtfertigende Doppelbestrafung. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Und viertens müssen Sie jetzt zum Schluss kommen. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Das mache ich glatt. – Deshalb fordern wir Linken, die Arbeitspflicht durch ein Recht auf Arbeit zu ersetzen; denn nur wer freiwillig arbeitet, darf in die Rentenkasse einzahlen. Die meisten Strafgefangenen wollen arbeiten, und sie arbeiten gerne. Dann muss aber auch gelten: Wer arbeitet, muss angemessen entlohnt werden, und wer arbeitet, muss Rentenansprüche erwerben dürfen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der -namentlichen Abstimmung zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes bekannt: abgegebene Stimmen 566. Mit Ja haben gestimmt 456 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 110 Kolleginnen und Kollegen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 566; davon ja: 456 nein: 110 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Wir gehen weiter in der laufenden Debatte. Nächster Redner Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Frau Kollegin Hiller-Ohm hat präzise die Sachlage erklärt, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und der Herr Kollege Birkwald ist mit keinem einzigen Wort auf die Sachlage eingegangen, sondern hat seine Standardrede gehalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich habe was Inhaltliches gesagt!) Sachlage ist: Erstens. Seit der Föderalismusreform 2006 sind ausschließlich die Bundesländer für die Regelungen zum Strafvollzug zuständig, nicht wir Bundestagsabgeordnete. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch unsere Kollegen in den Landtagen haben ihre Arbeit zu machen. Diese sollen sie bitte machen. Wenn die Gefangenen in unseren Gefängnissen die Bedingung erfüllen sollen, um rentenversicherungspflichtig zu werden, dann, liebe Bundesländer, regelt den Strafvollzug neu. Ihr seid zuständig, nicht wir. Deswegen ist der Antrag an der falschen Stelle gestellt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zweitens. Rentenansprüche bedingen Rentenversicherungsbeiträge. Für die Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge für Gefangene sind die Bundesländer -zuständig. Liebe Kolleginnen und Kollegen in den Landtagen, beschließt in allen 16 Ländern: Jawohl, wir stellen das Geld bereit, um diese Rentenversicherungsbeiträge zu zahlen. Es ist nicht unsere Zuständigkeit, sondern es ist Sache der Länder. Liebe Linke, stellt dort die Anträge. Hier ist der falsche Ort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Drittens. In jeder Legislaturperiode den wortgleichen Antrag vorzulegen, zeugt nicht von fleißiger Arbeit; denn man muss nur abschreiben. Ich finde, fürs Abschreiben sollte der Fraktion Die Linke schlichtweg eine Fünf erteilt werden. (Zuruf von der CDU/CSU: Eine Sechs natürlich!) Das kann jeder. Es liegt nichts Neues vor. Alte Kamellen werden zu später Stunde erneut im Bundestag diskutiert. Das hat das Parlament nicht verdient. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Weihnachtsfest steht vor der Tür, das Fest, bei dem wir Geschenke verteilen. Die letzten zwei Minuten 50 Sekunden meiner Redezeit schenke ich dem Deutschen Bundestag und Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: So kommt man zu Applaus, Herr Kollege Weiß. Vielen herzlichen Dank für das großzügige Geschenk. – Nächster Redner in der Debatte Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Weiß, Sie hätten diese zwei Minuten auch mir ganz persönlich schenken können. Ich wäre darüber sehr dankbar gewesen. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU) Sie hätten diese zwei Minuten aber auch gerne nutzen können, um inhaltlich auf den Antrag der Linken einzugehen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) statt sich einfach dahinter zu verstecken, dass primär – das ist richtig – die Länder zuständig sind. Wenn wir bei allen Debatten über Themen, bei denen die Länder die Federführung haben, sagen würden: „Die Anträge müssen in den Landtagen gestellt werden, wir können das hier nicht machen“, dann könnten wir hier über eine ganze Reihe von Politikbereichen überhaupt nicht mehr debattieren. Dann brauchen wir hier keine bildungs- oder schulpolitischen Debatten mehr zu führen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Auch viele andere Sachen könnten wir dann hier nicht mehr besprechen. Die Problematik ist leider auch in anderen Politikfeldern ähnlich. Ich erinnere nur an den auch in unserem Ausschuss diskutierten Fonds für Heimkinder mit Behinderungen, die für erlebte Gewalt und Missbrauch entschädigt werden sollen. Auch hier stellt der Bund Geld zur Verfügung. Die Kirchen sind bereit, Geld zur Verfügung zu stellen. Leider Gottes – das muss ich sagen; ich bin auch über die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung beschämt – mauern die Länder. Dennoch werden wir alle – Union, SPD, Linke und natürlich auch wir Grünen – nicht müde, zu fordern, dass sich die Länder an diesem Fonds beteiligen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Insofern, finde ich, kann man bei der vorliegenden Verletzung des Sozialstaatsprinzips – das hat der Kollege Matthias W. Birkwald ganz richtig gesagt – von dieser Stelle aus die Länder auffordern, endlich tätig zu werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich muss sagen: Seit 1976 – damals war ich zehn Jahre alt – ist trotz wechselnder Konstellationen an dieser Stelle nichts passiert. Wir stimmen dem Antrag der Linken zu. Auch wenn Sie ihm heute nicht zustimmen, sollten wir uns einmal zusammensetzen und überlegen, wie wir es hinbekommen, dass Gefangene vergleichbar mit den in Freiheit Lebenden entlohnt und zumindest was die Rentenversicherung betrifft sozialversicherungspflichtig versichert werden. Denn das hat – ganz klar – Folgewirkungen. Wenn man, gerade im Falle einer längeren Haftstrafe, Lücken in seinem Versicherungsverlauf hat, dann sind bestimmte Ansprüche in der Rentenversicherung nicht vorhanden oder Wartezeiten nicht erfüllt. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand. Das kostet die Länder zwar nicht die Welt. Allerdings kostet es schon einiges. Alle Bundesländer zusammen – diese Zahlen liegen mir vor – kostet es 160 Millionen Euro. Mit Mecklenburg-Vorpommern haben Sie es sich ein bisschen leicht gemacht – Sie nannten den Betrag von 1,5 Millionen Euro –, weil Sie sich ein sehr kleines Land ausgesucht haben. Aber im Verhältnis zu den Länderfinanzen insgesamt sind 160 Millionen Euro, denke ich, ein Betrag, den man den Ländern an dieser Stelle durchaus zumuten kann. Ich würde empfehlen, dass man auch einmal die Gegenrechnung anstellt und sich die Kosten pro Hafttag vor Augen führt. Wenn eine vernünftige Entlohnung und eine vernünftige Sozialversicherung mit dazu beitragen, dass weniger Strafgefangene rückfällig werden, dann lässt sich in den Länder- und Justizhaushalten eine ganze Menge Geld einsparen. Ich finde, das muss man in diese Betrachtung mit einbeziehen. Beim Thema Sozialversicherung geht es also, wenn man so will, auch ein Stück weit um Kriminalitätsprävention. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) In einem Punkt, bei der Gesundheitsversorgung, haben wir einen etwas anderen Fokus. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise gibt es einen eigenen Gesundheitsversorgungszweig, nämlich Haftkrankenhäuser. Hier muss man genau aufpassen, inwieweit man einen Einbezug in die gesetzliche Krankenversicherung vornehmen könnte. Das würden wir vom Akzent her ein bisschen anders beurteilen als Sie. Aber grundsätzlich sollten wir uns dieser Aufgabe tatsächlich annehmen. In diesem Sinne wünsche auch ich allen Kolleginnen und Kollegen ein schönes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, lieber Markus Kurth. – Letzter Redner in dieser Debatte: Matthäus Strebl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch ich würde meine Redezeit dem mir nachfolgenden Redner schenken. Aber wie ich sehe, bin ich der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt. Zum wiederholten Male beschäftigen wir uns auf Antrag der Linksfraktion mit diesem Thema. Sie fordern erneut, Gefangene im Strafvollzug in die Rentenversicherung mit einzubeziehen. Seit der 17. Wahlperiode haben Sie diesen Antrag wiederholt eingebracht, sodass wir ihn auch heute, in der 18. Wahlperiode, debattieren. Ich denke, man sollte in die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages einfließen lassen, dass gleichlautende Anträge anders behandelt und auch nicht zu später Stunde debattiert werden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, er ist ein bisschen anders! Sie müssen ihn mal genau lesen! Er ist nicht wortgleich! – Gegenruf der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Na ja, aber fast!) Es fehlt an der Freiwilligkeit der Ausübung der Tätigkeit, da die Arbeitsleistung aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Gewahrsamsverhältnisses erfolgt. Es handelt sich nicht um ein freies Arbeitsverhältnis. Deshalb werden auch keine Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt. Diese Rechtsauffassung wurde, wie uns allen bekannt ist, mehrfach durch verschiedene Gerichte bestätigt. Zwar hält die Bundesregierung die Einbeziehung von Strafgefangenen in die Rentenversicherung weiterhin für grundsätzlich sinnvoll. Aber die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug liegt seit der Föderalismusreform im Jahre 2006 bei den Ländern, Herr Kollege Birkwald. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann die Große Koalition doch ändern!) Da die Linke in einigen Landtagen vertreten ist, empfehle ich Ihnen, sich einmal mit Ihren Parteikolleginnen und -kollegen zu diesem Thema austauschen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Haben wir schon lange gemacht!) Unklar bleibt weiterhin, wie die Länder die Finanzierung meistern wollen; denn sie müssten die anteiligen Versicherungsbeiträge übernehmen. Da Sie ja jetzt den Ministerpräsidenten Thüringens stellen, könnten Sie also mit gutem Beispiel vorangehen, statt hier zu später Stunde über Ihren Antrag diskutieren zu lassen. Vergegenwärtigen sollten wir uns die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1998, in der die Nichteinbeziehung der Gefangenenentlohnung in die Renten- und Krankenversicherung als verfassungskonform bestätigt wurde. Tätigkeiten innerhalb des Strafvollzugs lassen sich eben nicht mit freien Tätigkeiten gleichsetzen. Das ist sowohl mit Artikel 3 des Grundgesetzes als auch mit dem Resozialisierungsgedanken vereinbar. Dennoch: Die Resozialisierung eines Strafgefangenen ist unbestritten eine wichtige Aufgabe und Pflicht des Staates. Wir alle sind uns einig: Eine Arbeit ist ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Resozialisierung. Durch eine im Vollzug ausgeübte Beschäftigung kann der Gefangene Überbrückungsgeld ansparen. In vielen Fällen sinkt durch eine Arbeitspflicht während des Vollzugs die Rückfallquote nach der Entlassung des Gefangenen. Sie, die Linken, fordern jedoch sowohl die Abschaffung der Arbeitspflicht als auch die Festschreibung eines Anspruchs auf Arbeit. Sie müssen doch zugeben, dass dies zu einiger Verwirrung und Ratlosigkeit führen muss. Die Forderung nach einem einklagbaren Anspruch auf einen Arbeitsplatz lässt sich nur schwer mit dem besonderen Charakter des Strafvollzugs vereinbaren. Wie soll für jeden einzelnen Gefangenen eine Tätigkeit angeboten werden, die seinen Fähigkeiten und Neigungen entspricht? In der Konsequenz würde das bedeuten, dass die Justizvollzugsanstalten für jeden erdenklichen Beruf sowohl Arbeitsplätze als auch Materialien, Werkzeuge, Instrumente und Räumlichkeiten bereitstellen müssten. Allein diese wenigen Beispiele zeigen, wie absurd Ihre Forderungen sind. Ich möchte nochmals erwähnen, dass auch dieser Antrag in einem Landtag eingebracht werden müsste. Dazu haben Sie Gelegenheit. Wir lehnen den Antrag der Fraktion der Linken dementsprechend ab. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Strebl. Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, habe ich mitzuteilen, dass eine Erklärung des Kollegen Wunderlich aus der Fraktion Die Linke zu TOP 17 der Tagesordnung vorliegt.12 Er bezieht sich auf den § 31 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung, der besagt: Jedes Mitglied des Bundestages kann vor der Abstimmung erklären, dass es nicht an der Abstimmung teilnehme. Das heißt, Kollege Wunderlich wird an der Abstimmung zu TOP 17 nicht teilnehmen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Eine ganze Menge anderer nimmt auch nicht teil!) – Nein, aber er erklärt das explizit. Damit wird auch im Protokoll festgehalten, dass er an dieser Abstimmung nicht teilnehmen wird. Die anderen erklären das nicht; da sind sie selber schuld. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wunderlich, wunderlich!) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Wiedereingliederung fördern – Gefangene in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbeziehen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2784, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2606 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen gestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, es gab keine Enthaltungen. Bevor ich die letzten Tagesordnungspunkte aufrufe, über die heute debattiert wird, möchte ich Sie, da Sie sich so freundlich schöne Weihnachten gewünscht haben, darauf hinweisen, dass morgen auch noch ein Sitzungstag ist. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Werner Kammer, Arnold Vaatz, Ulrich Lange, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gustav Herzog, Sören Bartol, Kirsten Lühmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung zukunftsfest gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn (Dresden), Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung konsequent fortsetzen Drucksachen 18/3041, 18/1341, 18/3536 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Herbert Behrens, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sozialverträgliche Arbeitsverhältnisse und fristgerechte Nachbesetzung in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sichern Drucksache 18/3414 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hans-Werner Kammer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir behandeln heute drei Anträge. Diesen vorangestellt ist der 6. Bericht des Ministeriums zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Der gute Antrag ist ein Antrag von den Regierungsfraktionen, (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Nein, von den Linken! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von den Grünen!) der auch vom Kollegen Herzog unterstützt wird. Es gibt einen Antrag der Grünen, der meines Erachtens in die Mottenkiste gehört. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht richtig gelesen!) Der 6. Bericht zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sagt einiges aus. Dazu gibt es aber auch noch einen Antrag der Linken. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das ist ein ganz guter Antrag!) Nötig wäre dieser Antrag nicht gewesen. Mit einem derart inhaltsarmen Antrag zum jetzigen Zeitpunkt rauben Sie, Herr Behrens, uns wertvolle Lebens- und Arbeitszeit. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Ich weiß, Sie müssen Ihre Klientel bedienen. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das sind die Beschäftigten der WSV!) Der Antrag klingt so, als ginge es bei der Reform allein um den Erhalt von Stellen im öffentlichen Dienst. Die Verkehrsfunktion kommt viel zu kurz. Das Wort „Verkehr“ kommt in Ihrem Antrag lediglich dreimal vor, zweimal davon bei der Nennung des zuständigen Ministeriums. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Dass der Schwerpunkt des Antrags der Linken nicht auf dem Thema Verkehr, sondern auf den Beschäftigten liegt, beweist aber auch, dass wir mit der Reform den richtigen Weg eingeschlagen haben. Offensichtlich gibt es am vorliegenden Konzept des Ministeriums nichts Wesentliches zu bemängeln, sodass Sie sich auf Nebenkriegsschauplätze konzentrieren. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Die Beschäftigten sind nicht wichtig, oder was?) Verstehen Sie mich nicht falsch. Auch ich weiß um die berechtigten Sorgen der Beschäftigten in den Standorten. Die Belastung hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Das Ministerium wird daher die zweifellos bestehenden Probleme beim Personal in der WSV angehen. Bessere Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sind dringend notwendig, (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vernünftige Organisationsstrukturen, Herr Kollege!) um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Auf die Unterstützung durch die Koalitionsfraktionen können sich die Beschäftigten und das Ministerium dabei verlassen. Ich erinnere gern daran – der Kollege Rehberg sitzt dort –, dass wir zusätzliche Stellen in der WSV geschaffen haben, die der Haushaltsausschuss bewilligt hat. Aber auch die Beschäftigten wissen, dass es bei der Reform nicht darum geht, eine Oase für den öffentlichen Dienst zu schaffen, sondern eine leistungsfähige Infrastruktur. (Beifall bei der CDU/CSU) Neue Ideen enthält der Antrag nicht, aber einen altbekannten Mythos, den die Linken seit langer Zeit verbreiten. Das Verkehrsministerium hatte nie vorgehabt, die WSV von einer Ausführungs- zu einer Gewährleistungsverwaltung umzubauen. Die WSV war, ist und bleibt eine Mischverwaltung, in der einige Aufgaben an Dritte vergeben werden. Es stand nie – außer vielleicht bei der FDP – zur Debatte, alle Aufgaben zu vergeben. Das hat das Ministerium bereits im 2. Bericht zur Reform vom Mai 2011 klargestellt. Es gibt derzeit keinen Grund für große Unruhe. Die WSV-Beschäftigten und die Schifffahrtsbranche sehen die Reform auf einem guten Weg. Deshalb halte ich wenig davon, nun durch laute Standortdiskussionen wieder für Unruhe vor Ort zu sorgen. Bei einer längeren Redezeit hätte ich jetzt über die Lahn, über den Elbe-Lübeck-Kanal, über den Standort Rheine oder auch über Standorte in den neuen Bundesländern sprechen können. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Ihrer Rede kommt das Wort „Verkehr“ auch nicht vor!) Alle Standorte bleiben erhalten. Das ist die klare Aussage des Ministeriums, mit der wir alle leben können. Wo der Schreibtisch des Amtschefs steht, sollte nun wirklich nicht unser Thema sein. Freuen wir uns lieber darüber, dass die WSV nach den langen Debatten der vergangenen Jahre wieder in ruhigem Fahrwasser angelangt ist. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel zu ruhig!) In den kommenden Monaten wird das Ministerium wichtige Details zum weiteren Reformkurs vorlegen. Diese Informationen sollten wir zunächst abwarten. Lassen wir das Ministerium die Reform voranbringen. Dann können wir konstruktiv über die WSV debattieren. Ich freue mich schon darauf, mit dem Kollegen Herzog von unserem Koalitionspartner weiter intensiv daran zu arbeiten und darüber zu diskutieren. Unser Koalitionsvertrag und der Antrag der Koalition geben den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung die notwendige Ruhe, um ein besinnliches Weihnachtsfest feiern und im Jahr 2015 mit Optimismus wieder an die Arbeitsplätze zurückkommen zu können. Ich wünsche Ihnen ebenfalls ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes Jahr 2015 mit tollen Beratungen über die WSV. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Kammer. – Nächster Redner in der Debatte ist Herbert Behrens für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Kammer, Ihr ruhiges Fahrwasser, in dem Sie zurzeit die WSV sehen, ist eher ein Stillstand. Die Beschäftigten merken eben nicht, dass es wirklich vorangeht mit einer WSV-Reform hin zu einer Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, die in der Lage ist, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Die Belegschaft gehört nämlich dazu, wenn es darum geht, dass die anfallenden Aufgaben erledigt werden können. Wir haben es im letzten Jahr gemerkt, als die Kolleginnen und Kollegen gezwungen waren, die Schleusen zuzumachen und zu streiken, um einen Tarifvertrag durchzusetzen. Damals wurde sehr deutlich, dass es keinen Verkehr geben wird, wenn es keine angemessene und ausreichend qualifizierte Belegschaft in der WSV gibt. (Beifall bei der LINKEN) Das ist der Wert von Belegschaften, um den es geht, und darum stehen die Belegschaften im Kern unseres Antrages; denn sie sind zurzeit bei Ihnen nicht richtig aufgehoben. Wir werden es in diesem Winter merken, wenn es darum gehen wird, die Schleusen und insbesondere die Kanäle schiffbar zu halten, und wenn Unternehmen, um sicher planen zu können, darauf angewiesen sind, dass die Schleusen funktionsfähig gehalten werden, auch wenn es friert und der Frost möglicherweise den Schleusen zusetzt. Aber was haben Sie in den letzten Jahren gemacht? Mit der unseligen Debatte über getroffene Entscheidungen bzw. insbesondere über nicht getroffene Entscheidungen haben Sie dazu beigetragen, schweren Schaden anzurichten. Das hat in der WSV tiefe Spuren hinterlassen. Die WSV ist angeschlagen. Dringend erforderliche Beschlüsse fehlen, beispielsweise bei den Einstellungen. Wir haben festgestellt, dass 100 Ingenieure fehlen. Sie sind noch immer nicht an Bord. Das alles hat dazu geführt, dass Millionen Euro, die zur Verfügung gestellt worden waren, um wichtige verkehrspolitische Aufgaben wahrzunehmen, nicht eingesetzt werden konnten. Sie haben darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, die Belegschaften zu qualifizieren. Alternde Belegschaften müssen qualifiziert und auf den neuesten Stand gebracht werden. Wir müssen jungen Auszubildenden die Möglichkeit geben, übernommen zu werden. Aber was machen Sie? 2012 gab es noch 3,3 Millionen Euro für Aus- und Fortbildung. 2014 sind im Haushalt 2,5 Millionen Euro eingestellt. Für 2015 sind 3 Millionen Euro vorgesehen. Wo ist da der Aufwuchs für Ausbildung und Weiterbildung? Fehlanzeige! (Beifall bei der LINKEN) Was haben Sie mit der Behörde insgesamt gemacht? Die Generaldirektion in Bonn ist eher eine Art Briefkastenfirma als eine arbeitende Behörde, die in der Lage ist, die ihr übertragenen Aufgaben zu bewerkstelligen. All das ist keine zukunftsfeste Gestaltung der WSV. Darum ist Ihr Antrag eigentlich nur eine Aufstellung all dessen, was die Bundesregierung noch nicht erledigt hat und künftig erledigen muss. Zum Antrag der Grünen: Wir werden diesem Antrag nicht zustimmen können. (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Was? – Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Das gibt es doch nicht! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dabei ist das der einzige vernünftige, Herr Kollege!) Das haben wir bereits im Ausschuss gesagt. Es geht insbesondere um den Punkt, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, das unselige Verfahren der neuen Steuerungsmethode unbedingt der WSV aufdrücken wollen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht unselig! Das ist das einzig Vernünftige!) Dieses Konzept ist schon in den 90er-Jahren gescheitert. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Ein Erfolg!) Sie haben in Ihrem Antrag geschrieben, die Reform der WSV sei eine lohnenswerte Aufgabe. In der Tat: Die Unternehmensberater haben sich in den 90er-Jahren goldene Nasen verdient, als sie den Kommunen weismachen wollten, sie bräuchten die Behörde nur wie ein Unternehmen zu führen; dann wäre die Finanzknappheit schon erledigt. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passiert ja auch schon längst, Herr Kollege! Kommen Sie mal in der Realität an!) Das geht nicht. Goldene Nasen mit dem lohnenswerten Projekt WSV-Reform: Das macht Unternehmensberater stark, aber nicht die Belegschaften. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Arbeit der WSV muss von guten Fachleuten geleistet werden, die in der Lage sind, schnell und qualifiziert reagieren zu können. Darum haben wir unseren Antrag so formuliert, dass entsprechende Forderungen umgesetzt werden müssen, und ich hoffe sehr, dass sie auch von der Bundesregierung wahrgenommen werden. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen eine Aufgabenkritik und eine Priorisierung, die sich an den Aufgaben orientiert, und wir brauchen mehr Geld für Personal und dessen Qualifizierung. So wird eine vernünftige Reform gemacht. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Behrens. – Nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Birgit Malecha-Nissen für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Anfang dieser Legislaturperiode habe ich mich mit Vertretern der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung am Nord-Ostsee-Kanal getroffen. Dabei habe ich die Sorgen der Beschäftigten über ihre Zukunft deutlich gespürt. Ich bin froh, dass mit dem 6. Bericht des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung dieser Unsicherheit endlich ein Ende gesetzt wird. Der gemeinsame Antrag der Regierungskoalition „Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung zukunftsfest gestalten“ begrüßt ausdrücklich das im 6. Bericht vorgelegte Konzept. Dieses erfüllt die Vorgaben des Koalitionsvertrages hinsichtlich der Einbindung der Beschäftigten und der Sicherung der regionalen Kompetenz. Dafür hat sich die SPD-Fraktion in der Vergangenheit nachdrücklich eingesetzt und wird das auch in Zukunft tun. (Beifall bei der SPD) Mit unserem Antrag wollen wir den Reformprozess unterstützen und eine zügige Umsetzung fördern. In der letzten Legislaturperiode wurden tiefgreifende Veränderungen in der Aufbauorganisation der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung vorgenommen. In einem ersten Schritt wurde die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt gegründet. In einem zweiten Schritt werden nun die bestehenden Wasser- und Schifffahrtsämter zu 18 überregionalen Wasserstraßen- und Schifffahrtsämtern zusammengeführt. Die heutigen 39 regionalen Standorte bleiben dabei erhalten. Der Erfolg dieser Reform ist entscheidend abhängig von einem schlüssigen Organisationsaufbau der Generaldirektion sowie der Vernetzung und der Aufgabenverteilung zwischen der Generaldirektion und den neuen Wasserstraßen- und Schifffahrtsämtern. (Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig!) Der Erhalt und die Stärkung der regionalen Kompetenz dieser neuen Ämter müssen gemeinsam mit den Beschäftigten fortgeführt werden. Das Fundament der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sind ihre Fachkräfte. Das sind Ingenieure und Facharbeiter. Deshalb darf und wird es keinen weiteren Personalabbau geben, im Gegenteil. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Es fehlen ja schon welche!) Um Fachkräfte zu halten und anzuwerben, müssen wir Fortbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie gesetzliche und tarifliche Regelungen nutzen. Wir müssen den Auszubildenden der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung nach ihrem Abschluss eine Perspektive bieten; Herr Behrens, da bin ich ganz auf Ihrer Seite. Die dafür erforderlichen Stellen dürfen nicht weiter eingespart werden. Ohne Fachkräfte ist die Unterhaltung unserer Bundeswasserstraßen gefährdet. In den kommenden Jahren sind umfangreiche Grundinstandsetzungen und Ersatzinvestitionen erforderlich. Das heißt auch, dass die Baumaßnahmen während des laufenden Verkehrs durchgeführt werden müssen. Auf den Hauptwasserstraßen gibt es keine Umfahrungsmöglichkeiten wie bei einer Straße. Wenn doch, dann ist es ein langer Weg, wie zum Beispiel beim Nord-Ostsee-Kanal. Dort sind es 250 Seemeilen, um Dänemark herum. An dieser Stelle wollte ich eigentlich unseren sehr geehrten Herrn Minister Dobrindt ansprechen. Da Herr Ferlemann noch anwesend ist, kann er dem Minister vielleicht berichten. Ich möchte den Minister beim nächsten Stau vor den Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals zu uns an die Kieler Förde einladen. Hier trifft Technik zum Teil noch aus Kaisers Zeiten auf modernste Frachter- und Containerschiffe. (Gustav Herzog [SPD]: Dann kommt der Herzog!) – Sehr schön. Herr Herzog kann auch gerne kommen. – Es ist auch ohne Störung der Schleusentore eine beeindruckende Leistung der Lotsen, die großen Pötte durch die engen Schleusen und den Kanal zu führen. Das ist eine Erfahrung wert. Der Reformstau auf unseren Bundeswasserstraßen muss aufgelöst werden. Dafür brauchen wir eine zügige und zukunftsfeste Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Diesen Prozess wird die SPD-Fraktion weiterhin kritisch und konstruktiv begleiten. Vielen herzlichen Dank und fröhliche Weihnachten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Malecha-Nissen. – Nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen. (Gustav Herzog [SPD]: Jetzt kommt die Kosten- und Leistungsrechnung wieder!) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Herzog, es geht nicht nur darum, eine Kosten- und Leistungsrechnung einzuführen, sondern auch darum, eine moderne Verwaltung aufzubauen. Davon sind wir laut Ihrem Bericht weit entfernt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Da spricht die letzte FDP!) Wir reden hier über die unendliche Geschichte der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Das System Wasserstraße braucht dringend einen funktionsfähigen Dienstleister, der die Anlagen für die Nutzer engagiert erhält. Das tun unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ämtern vor Ort. Aber sie sehen auch, mit wie wenig Verstand wir in der Politik an eine echte Reform herangehen. Das System muss dienstleistungsgerecht aufgebaut werden. Die Beschäftigten vor Ort wünschen sich wirklich nichts sehnlicher als das; denn sie wollen das System Wasserstraße erhalten. Und was machen wir hier im Deutschen Bundestag? Mit der Großen Koalition hat der große Stillstand in den Reformbemühungen eingesetzt. Alle Ansätze, den Weg aus der wilhelminischen Beamtenstruktur heraus zu einer dienstleistungsorientierten Verwaltung zu finden, sind offenbar wieder vergessen. (Sören Bartol [SPD]: Reden Sie doch mal mit dem Personal!) Im 6. Bericht zeigen die Großkoalitionäre leider überdeutlich, dass sie nur noch an die Sicherung des Bestehenden denken. Einzig wichtig war ihnen die Sicherung der Ämterreviere in den Wahlkreisgrenzen. Eine Reform, die uns wirklich weiterführt und die die Beschäftigten herbeisehnen, sieht anders aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Was wir jetzt brauchen, ist kein Weiter-so, sondern eine wirkliche Neuorientierung für das System Wasserstraße. Lassen Sie mich das an Beispielen aufzeigen. Schauen wir uns die Zulassungsstelle für Binnenschiffe an, die ZSUK als Abteilung der WSV in Mainz. Sie sollte eigentlich Dienstleister für Hersteller und Eigner von Binnenschiffen sein; denn ohne Untersuchung durch die ZSUK darf kein Binnenschiff fahren. Doch tatsächlich scheint die ZSUK in Mainz vor sich hin zu schlummern. Termine gibt es erst 16 Wochen nach Beantragung. Wichtige Schiffsatteste werden nur vorläufig ausgestellt und bedeuten einen erheblichen Mehraufwand für den Schiffseigner; aber ein Nachteil sei für die Bundesregierung nicht zu erkennen, wie sie uns durch den Kollegen Ferlemann im November geantwortet hat. Die Bundesregierung ist offenbar nicht daran interessiert, in die Zulassung für Binnenschiffe endlich auch externe Sachverständige einzubinden, wie das im Straßenverkehr, in der Luftfahrt und jetzt auch bei der Bahn gemacht worden ist. Hoppla, da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich. Sollte es nicht eine Reform der gesamten Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung geben? Anscheinend wurden einige Teile vergessen. Bei allem Respekt, den ich gegenüber den Mitarbeitern der WSV habe: Solche Strukturen, wie sie dort konserviert wurden, gehen heute definitiv nicht mehr. Befreien Sie sich vom schweren Ballast vergangener Tage, und setzen Sie endlich die Verwaltungsreform in Gang. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) An die Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Linken: Rufen Sie doch bitte nicht immer nur nach neuen Stellen in der Verwaltung, bevor das System Wasserstraße wirklich neu organisiert ist. Kürzlich hat der Kollege Herzog auf einem parlamentarischen Abend einfach einmal 500 neue Stellen für die WSV gefordert. (Zuruf des Abg. Gustav Herzog [SPD]) So einfach geht es nicht, und so kommen wir nicht weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kirsten Lühmann [SPD]: Unterhalten Sie sich mal mit den Beschäftigten!) Setzen Sie jetzt ein Zeichen für eine echte Reform, wie wir sie in unserem Antrag fordern. Damit fördern wir den Erhalt unserer Wasserstraßen und helfen dem Schifffahrtsstandort Deutschland. (Kirsten Lühmann [SPD]: Und wir machen die Reform mit den Beschäftigten und nicht gegen die Beschäftigten!) Da müssen wir weitermachen, anstatt einfach noch mehr Leute zu fordern. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin Wilms. – Nächster Redner: Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! „Viel zu ruhig“, ruft Frau Kollegin Wilms dazwischen. Der Kollege Behrens erinnert mich mit seinem Beitrag so ein bisschen an die Taktik der Sozialdemokratie, an die Taktik von Lenin: zwei Schritte vorwärts, ein Schritt zurück. Dabei kommt man dann ins Stolpern, Herr Kollege Behrens. (Zurufe von der SPD) – Das war eine Abwandlung. – Was Sie hier vorgetragen haben, ist strukturkonservativer Stillstand. Schlimmer geht es nicht. Ich glaube, dass das, was die Koalition in den letzten Wochen und Monaten hier gemeinsam auf den Weg gebracht hat, und die Struktur, die die Bundesregierung vorgeschlagen hat, manchen Mangel beheben, der in der Vergangenheit aufgetreten ist. Ich will nur eines zur Erinnerung sagen: Die Ursache dieser Unruhe ist nicht die Politik gewesen, die Ursache ist der Bundesrechnungshof gewesen. Es gibt manchen Kollegen und manche Kollegin, der oder die dem Bundesrechnungshof förmlich an den Lippen hängt. Schauen Sie sich an, wie viele Stellen bei der WSV nach den Berichten des Bundesrechnungshofs noch abgebaut werden sollten. Das geht in die Tausende. (Zuruf des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) – Ja, Herr Kollege Behrens, man kann nicht auf der einen Seite den Bundesrechnungshof zum Fetisch erheben und auf der anderen Seite genau das Gegenteil dessen fordern, was der Bundesrechnungshof verlangt. Das passt schlichtweg nicht zusammen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube ganz einfach, dass mit dem Aufbau der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt in Bonn, mit der Ansiedelung der regionalen Kompetenz in den Wasser- und Schifffahrtsämtern, mit der Bündelung von Führung in den Revierämtern genau der richtige Weg gefunden worden ist; das ist meine feste Überzeugung. Ich habe auch in der letzten Legislaturperiode keinen Hehl daraus gemacht, dass die Trennung von Verkehr und Investition aus meiner Sicht nicht richtig gewesen ist. Ich glaube, die Zusammenführung gerade in den zukünftigen Revierämtern ist genau der richtige Weg. Ich will drei Herausforderungen beschreiben: Erstens. Wir haben 75 neue Stellen ausgebracht. (Beifall des Abg. Sören Bartol [SPD]) Im ersten Aufschlag bedeutete das die Umwandlung von befristeten und unbefristeten Stellen. Das ist der richtige Weg. Wir werden, Herr Kollege Behrens, nur Stück für Stück mit den 50 neuen Stellen für Ingenieure, für Umweltjuristen, für Verwaltungsjuristen wieder zu einem vernünftigen Personalbestand kommen; nicht mit 500 neuen Stellen auf einmal, sondern mit einem Aufbau Stück für Stück wird es gehen. Man muss einfach zur Kenntnis nehmen: Emden, Aurich, Lübeck und Stralsund sind eben nicht Hamburg oder Berlin. Das heißt, bestimmte Standorte sind gerade für Studenten, die aus den ingenieurwissenschaftlichen Fachrichtungen kommen, nicht sonderlich attraktiv. Deswegen sollten wir alle miteinander noch einmal nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, in diesem Bereich ähnliche Regelungen wie beim Wissenschaftsfreiheitsgesetz anzuwenden. Ich persönlich sage: Wir werden in Konkurrenz mit der Wirtschaft stehen. Meine persönliche -Erfahrung ist, dass wir auch in Konkurrenz mit kommunalen Häfen, mit Landeshäfen stehen, die Wasserbau-ingenieure und Juristen in diesem Bereich schon heute deutlich besser bezahlen als die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Zweitens. Ich glaube, dass das, was wir ansteuern, zukunftsträchtig sein kann, und zwar deswegen, weil man die Logistikstrukturen, die Strukturen von Verwaltung, die Hafenstrukturen regional zusammenführt. Wir werden hier dem Anspruch gerecht, der sich daraus ergibt, dass die Hafenwirtschaft, die Logistikwirtschaft zu den wesentlichen nationalen Branchen gehören. Die maritime Wirtschaft ist und bleibt eine nationale Aufgabe. Drittens. Ich glaube, dass unser Antrag eine Herausforderung für die Regierung ist. Ich halte es für ganz legitim, dass Regierungsfraktionen die Regierung auch fordern, dass wir Termine setzen, dass wir der Regierung ganz bestimmte Meilensteine vorgeben, wie eine jährliche Unterrichtung oder die Einbringung des Entwurfs eines Rechtsbereinigungsgesetzes usw. usf. Aus meiner Sicht befinden wir uns auf einem guten und vernünftigen Weg. Lassen Sie mich an dieser Stelle eine letzte Bemerkung machen. Herr Kollege Behrens, Sie sind so intensiv auf den Streik im Jahre 2013 eingegangen. Wissen Sie, wozu dieser Streik in meinem Wahlkreis – Mirow, Wesenberg, die ganze Müritz wurde bestreikt – geführt hat? Das hat zu Unmut bei der Bevölkerung geführt. Die Menschen vor Ort hatten kein Verständnis, warum gerade in dieser Zeit – vier, sechs, acht Wochen vor der Wahl – gestreikt worden ist. Ich sage Ihnen eins: Mit dafür verantwortlich, dass ich 47 Prozent der Erststimmen bekommen habe, war der von Verdi ausgerufene Streik. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Rehberg. – Letzter Redner in der Debatte: Johann Saathoff für die SPD. Jetzt bin ich einmal gespannt, wie viel Lenin bei ihm mitschwingt. (Heiterkeit) – Das, was dazu heute gesagt wurde, war für mich ein Erkenntnisgewinn. Johann Saathoff (SPD): Ich denke, es ging vielleicht um einen Karl-Heinz -Lenin oder so. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die regionale Kompetenz sichern“, das war für uns einer der beiden wichtigen Punkte bei der Reform der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Heute können wir sagen: Die regionale Kompetenz wird gesichert. Die Ämter vor Ort behalten ihr Personal, ihre Fachkenntnisse sowieso und hoffentlich auch ihre Entscheidungsbefugnisse. Sie werden sogar noch gestärkt durch zusätzliche revierbezogene Aufgaben, zu denen natürlich auch zusätzliches Personal gehört. „Mutt eerst mall worden, bit moi word“, sagt man bei mir in Ostfriesland, wenn etwas umgebaut wird. „Es muss zunächst schwieriger werden, bis es besser wird.“ Das ist die Übersetzung dafür, und das gilt auch für die Reform der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung. Ich möchte Ihnen aufzeigen, welche Aufgaben beispielsweise das für Ostfriesland zuständige Wasserschifffahrtsamt Emden hat: die Sicherstellung der Befahrbarkeit der Ems, Kreuzfahrtschiffsüberführungen von der Meyer-Werft in Papenburg bis in die Nordsee, den Bau und die Unterhaltung der Seeschleusen unter anderem und vor allem in Emden, den Betrieb der Verkehrszentrale Ems, die Vermessung von Fahrwassertiefen, die Unterhaltungsbaggerungen zur Instandhaltung der Schifffahrtswege in der Ems und durch das Wattenmeer. Das ist keine abschließende Aufzählung. Zudem ist die Ems-Mündung das einzige Revier ohne eine festgelegte Grenze zum Nachbarland. Jede Regelung muss einzeln mit den Niederlanden abgestimmt werden. Das gibt es sonst nirgendwo in Europa. Bei dieser Aufzählung wird deutlich, wie wichtig die Erhaltung der regionalen Kompetenz ist. Wir haben in den Wasser- und Schifffahrtsämtern unheimlich viel Sachverstand, und die Menschen machen eine hervorragende Arbeit. Ich denke, das ist der richtige Ort, um das einmal zu erwähnen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kurz vor Weihnachten möchte ich einen Appell an Sie richten: Herr Staatssekretär, lassen Sie uns, wenn es um die Frage der Leitungssitze geht, nicht nach dem Motto „Jeder kämpft für sich allein“ agieren. Einfach abzuwarten, bis eine entsprechende Anzahl von Amtsleitern in Rente gegangen ist, ist auch keine Lösung. Wir sollten uns zusammensetzen und gemeinsam überlegen, wo die Leitungssitze für die neu zugeschnittenen Reviere sinnvoll sind. Die enge Einbindung der Beschäftigten bei der Weiterentwicklung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung war für uns ein weiterer Kernpunkt. Die Erarbeitung der Reform sollte in Zusammenarbeit mit der Personalvertretung stattfinden. Das steht schon im Koalitionsvertrag. Entsprechende Vereinbarungen zwischen Ministerium und Personalrat gibt es. Außerdem lege ich großen Wert auf die sozialverträgliche Umsetzung der Reform. Es wird keine betriebsbedingten Kündigungen geben, ebenso keine Um- oder Versetzungen oder Abordnungen gegen den Willen der Beschäftigten. Nach jahrelanger Unsicherheit kann und muss jetzt endlich wieder Ruhe einkehren, damit Fachkräfte gebunden und rekrutiert werden können. Wir sind mit dieser Reform wieder auf einem guten Kurs, und diesen Kurs werden wir im nächsten Jahr weiter begleiten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Saathoff. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur auf Drucksache 18/3536. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/3041 mit dem Titel „Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung zukunftsfest gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD, Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1341 mit dem Titel „Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung konsequent fortsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Linken und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 18 b. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3414 mit dem Titel „Sozialverträgliche Arbeitsverhältnisse und fristgerechte Nachbesetzung in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sichern“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Der Antrag ist abgelehnt bei Zustimmung von der Linken und Ablehnung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für mehr Kontinuität der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) Drucksache 18/3042 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/3462 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3463 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.13 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3462, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3042 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt bei Zustimmung der Linken und Ablehnung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes Drucksache 18/3254 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/3586 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.14 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3586, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/3254 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Linke, Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Linken sowie Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wei-terentwicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundespost Drucksache 18/3512 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.15 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3512 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt offensichtlich keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. Dezember 2014, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch einen wunderbaren vorweihnachtlichen Abend. (Schluss: 22.27 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 18.12.2014 Becker, Dirk SPD 18.12.2014 Buchholz, Christine DIE LINKE 18.12.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 18.12.2014 Ehrmann, Siegmund SPD 18.12.2014 Fischer (Karlsruhe-Land), Axel E. CDU/CSU 18.12.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 18.12.2014 Hajduk, Anja BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.12.2014 Hintze, Peter CDU/CSU 18.12.2014 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 18.12.2014 Jarzombek, Thomas CDU/CSU 18.12.2014 Kaczmarek, Oliver SPD 18.12.2014 Kovac, Kordula CDU/CSU 18.12.2014 Dr. Krüger, Hans- Ulrich SPD 18.12.2014 Kunert, Katrin DIE LINKE 18.12.2014 Dr. Lamers, Karl A. CDU/CSU 18.12.2014 Dr. Maizière, Thomas de CDU/CSU 18.12.2014 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.12.2014 Schiewerling, Karl CDU/CSU 18.12.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 18.12.2014 Schön (St. Wendel), Nadine CDU/CSU 18.12.2014 Tank, Azize DIE LINKE 18.12.2014 Vogt, Ute SPD 18.12.2014 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 18.12.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.12.2014 Weinberg, Harald DIE LINKE 18.12.2014 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 18.12.2014 Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages teilgenommen haben CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Andreas Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Finanz-hilfen zugunsten Griechenlands; technische Verlängerung und Fortführung der Stabilitätshilfe; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes auf Verlängerung der bestehenden Finanzhilfefazilität sowie nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes, der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich vorsorgliche Finanzhilfe zu gewähren (Zusatztagesordnungspunkt 2) Pünktlich zum Auslaufen des zweiten Griechenland-Hilfsprogramms kehrt die Euro-Krise mit all ihren Symptomen zurück. Griechenland pocht auf die Auszahlung der letzten Tranche in Höhe von 1,8 Milliarden Euro, erfüllt aber die Auflagen der Troika nicht. Griechenland hat nicht nur in einer bisher beispiellosen Art und Weise von der Solidarität seiner europäischen Partnerstaaten profitiert, sondern sich auch immer wieder bessere Konditionen herausgehandelt. Während zu Beginn der Euro-Krise einige Kollegen noch von einem großen Geschäft -sprachen, sieht die Realität heute ganz anders aus. Die Kredite aus dem ersten Griechenlandpaket laufen über 30 Jahre, wobei mit der Tilgung ab 2020 begonnen werden soll. Die Zinssätze wurden bereits mehrfach gesenkt. Die Konditionen für Griechenland 2 sind noch besser. Die Kredite laufen über 40 Jahre, die Zinsen sind bis 2023 gestundet. Und trotzdem werden dem Vernehmen nach für Athen eine abermalige Zinssenkung und eine Laufzeitverlängerung auf 50 Jahre vorbereitet. Etwa 237 Milliarden Euro hat die europäische Staatengemeinschaft seit Mai 2010 an „Hilfsgeldern“ für Griechenland bereitgestellt. Im Gegensatz zum European Recovery Program (besser bekannt als Marshallplan) fielen die Gelder nicht auf fruchtbaren Boden. Der Marshallplan umfasste 1948 12,4 Milliarden US-Dollar. Dies entspricht kaufkraftbereinigt heute etwa 100 Milliarden Euro. Jeder Cent, der weiter nach Griechenland fließt, ist ein Cent zu viel. Wir müssen eine Schuldenkonferenz einberufen und uns endlich eingestehen, dass wir auf einem teuren Irrweg waren, sonst wird daraus -irgendwann ein Irrgarten ohne Ausweg. Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone gegen Gewährung einer Teilentschuldung wäre ökonomisch das Gebot der Stunde. Jetzt soll der griechischen Regierung eine zweimonatige Fristverlängerung zur (Schein-)Erfüllung der Auflagen gewährt werden. Parallel dazu hat Athen schon eine Kreditlinie mit erweiterten Bedingungen – Enhanced Conditions Credit Line, ECCL – beantragt. Dies alles -geschah am 8./9. Dezember 2014. Die dazugehörigen Dokumente haben wir Abgeordnete des Deutschen -Bundestages erst eine Woche später, am Montagabend, erhalten, um dann innerhalb von drei Tagen unseren Segen dazu zu geben. Dabei steht in der „Leitlinie für eine vorsorgliche Finanzhilfe“ Artikel 2 Absatz 4 unzweideutig: „Für eine ECCL kommen ESM-Mitglieder -infrage, deren wirtschaftliche und finanzielle Situation insgesamt nach wie vor solide ist.“ Diese Art von Kreditlinie ist zur Vor- und nicht zur Nachsorge geschaffen worden. Und außerdem ist die wirtschaftliche und finanzielle Situation Griechenlands nach wie vor alles andere als solide. Der Schuldenstand beträgt 175,5 Prozent, die Arbeits-losenrate liegt bei 26,8 Prozent, seit 2008 ist das Bruttoinlandsprodukt des Landes um fast ein Viertel geschrumpft! Griechenland nach all den schlechten Erfahrungen nun erneut einen Blankoscheck in zweistelliger Milliardenhöhe zu überreichen, kann ich nicht nachvollziehen. Um es leicht zu machen, sollen noch nicht abgerufene Gelder aus dem letzten Griechenland-Programm umgewidmet werden. Konkret handelt es sich dabei um -Gelder, die eigentlich für eine Rekapitalisierung der griechischen Banken vorgesehen waren. Es geht um 10,9 Milliarden Euro. Dass das Geld noch übrig ist, verwundert nicht. Zwar sind bei dem jüngsten Bankenstresstest drei griechische Banken durchgefallen, aber die griechische Regierung spekuliert wohl darauf, dass das Geld jetzt direkt aus dem ESM an die Banken fließt. Griechenland kann seinen Finanzbedarf für 2015 selbst gar nicht genau beziffern. Er liegt gemäß Berechnungen der Europäischen Kommission zwischen 6 und 12 Milliarden. Diese Aussage ist zugleich schockierend und alarmierend. Im fünften Jahr der Euro-Krise schafft es Athen nicht, einen Haushalt aufzustellen und dabei seinen Finanzbedarf genau benennen zu können! Ganz vereinfacht auf Deutschland umgerechnet würde dies bedeuten, dass der Deutsche Bundestag bei der Verabschiedung seines Haushalts nicht wüsste, ob er 100 oder 200 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen muss, um über die Runden zu kommen. So etwas kann nur der machen, der weiß, dass in der Not ein anderer die Zeche zahlt. Und das sind am Ende vor allem wir Deutsche. Griechenland muss aus dem Euro-Währungsgebiet austreten. Das ist auch im Interesse der Griechen der einzige erfolgversprechende Weg. Deswegen kann ich dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen nicht zustimmen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Markus Paschke (SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan (Tagesordnungspunkt 7) Seit Beginn des militärischen Einsatzes in Afghani-stan halte ich eine deutsche Beteiligung für falsch. Der Irak, Libyen und Afghanistan zeigen deutlich, dass mit militärischen Mitteln kein Unrechtsregime beseitigt werden kann. Die Zivilbevölkerung leidet am stärksten unter dem folgenden jahrelangen Terror und sich gegenseitig immer weiter aufschaukelnden Gewaltwellen. Es ist kein nachhaltiger Erfolg des ISAF-Einsatzes in Afghanistan in Sicht. Ich lehne das Mandat ab, da es für mich in der Konsequenz der Mandate seit 2001 steht. Seit nunmehr über 13 Jahren dauert der Einsatz an, und nach diesen 13 Jahren sind für mich mehr negative als positive Folgen erkennbar. Nach wie vor ist für mich eine wirkliche Friedensperspektive nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Die Sicherheitslage ist weiterhin besorgniserregend. Afghanische Dolmetscher und andere Unterstützer werden im eigenen Land mit dem Tode bedroht, weil sie deutschen und anderen Streitkräften helfen. Ich halte es für unhaltbar, dass diese Menschen in der akuten Bedrohung alleingelassen werden und ihnen nicht einmal Asyl in unserem Land gewährt wird. Und auch für unsere Soldatinnen und Soldaten sind die Einsätze in Afghanistan eine hohe Belastung. Aus persönlichen Berichten weiß ich, dass diese Belastung oft zu schwerwiegenden persönlichen Problemen, beispielsweise bei der psychischen Verarbeitung des Erlebten, führt. Die Wahrnehmung der Soldaten unterscheidet sich stark von den offiziellen Verlautbarungen. Ich begrüße die internationalen Bemühungen zum zivilen Aufbau des Landes sehr, aber eine Befriedung Afghanistans ist meiner Auffassung nach nicht mit militärischen Mitteln zu erreichen. Die bisherige Ausbildung von Polizei und Armee in Afghanistan hat nicht zu einer nachhaltig besseren Sicherheitslage im gesamten Land geführt. Auch im neuen Mandat erkenne ich keinen erfolgversprechenden Strategiewechsel. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Omid Nouripour und Manuel Sarrazin (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan (Tagesordnungspunkt 7) Seit 13 Jahren engagiert sich Deutschland zivil und militärisch in Afghanistan. Das Bild, das sich ergibt, wenn man nach der Bilanz des Einsatzes fragt, ist vielschichtig. Nicht alle Ziele sind vollumfänglich erreicht. Dennoch geht es den Afghaninnen und Afghanen besser als unter der Herrschaft der Taliban. Die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung ist zwischen 15 und 29 Jahre alt. Es ist eine junge Generation, die erfahren hat, was es heißt, in einem friedlicheren und freieren Afghanistan zu leben. Ihnen und ihren Hoffnungen schulden wir Beistand. Dieser umfangreiche und kontroverse Einsatz hat nicht nur Afghanistan, sondern auch Deutschland geprägt. Abertausende Soldatinnen und Soldaten und zivile Aufbauhelferinnen haben beim Wiederaufbau mitgeholfen. Ihre Erfahrungen müssen in die wichtige Diskussion, wie die Bundesrepublik sich in Zukunft in Auslandseinsätzen einbringen sollte, einfließen. Die Bundesregierung verweigert sich aber weiterhin einer unabhängigen Evaluierung des deutschen Afghani-stanengagements. Das ist der Bedeutung dieses Einsatzes völlig unangemessen. Die Bundesregierung darf bei dieser Mission in Afghanistan nicht alte Fehler erneut begehen. Neben dem militärischen Engagement der NATO wollen die USA weiter in begrenztem Umfang ihre Antiterrorpolitik fortsetzen. Dazu haben in den letzten Jahren „Night Raids“ oder zahlreiche Bombardierungen, bei denen auch Zivilistinnen und Zivilisten ums Leben gekommen sind, gehört. Diese Praktiken haben sehr stark dazu beigetragen, dass ausländische Streitkräfte an vielerlei Orten die Köpfe und Herzen der Afghaninnen und Afghanen verloren haben. Afghanische Regierungsstellen haben wiederholt gegen diese Praktiken protestiert. Die Bundesregierung muss sich im Rahmen der NATO und gegenüber den USA dafür einsetzen, dass dieses falsche Vorgehen beendet wird. In Zusammenarbeit mit der afghanischen Regierung muss die internationale Gemeinschaft einen nachvollziehbaren Plan vorlegen, der die Zukunft der Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte regelt. Trotz internationaler Zusagen der NATO und anderer Akteure steht die langfristige Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte bisher auf wackligen Füßen. Die Zustimmung zu jeder Auslandsmission, auch zu einer solchen ohne Kampfauftrag, ist eine schwere Gewissensentscheidung. Wir haben uns für die Unterstützung der Mission entschieden, wohl wissend, dass sie kein Allheilmittel für die Probleme Afghanistans ist. Die Mission „Resolute Support“ ist keine bloße Verlängerung des ISAF-Einsatzes. Sie zielt darauf hin, die erzielten Fortschritte zu verstetigen. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind in den letzten Jahren in großer Zahl gewachsen und haben beachtliche Erfolge erzielt. Doch die Qualität der Ausbildung hat nicht immer Schritt gehalten, gerade weil mit den Ausbildungsbemühungen spät begonnen wurde. Verluste unter den afghanischen Sicherheitskräften in den Auseinandersetzungen mit den Aufständischen sind nach wie vor sehr hoch. Defizite bestehen im Bereich Logistik und Durchhaltefähigkeit. Die afghanische Luftwaffe ist noch kaum ausgebildet. Auch in den afghanischen Ministerien gibt es noch Beratungsbedarf. Nicht zuletzt ermöglicht Deutschland durch die Übernahme der Führungsverantwortung im Norden Afghanistans, dass sich 20 anderen Nationen an der Mission „Resolute Support “ in geringerem Umfang beteiligen können. Deutschland leistet also einen wichtigen Beitrag zum Zustandekommen der multilateralen Mission. Die Vereinten Nationen haben das Engagement der NATO in Afghanistan ausdrücklich begrüßt. In diesem Sinne hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 12. Dezember 2014 einstimmig der Resolution 2189 zugestimmt. Der Sicherheitsrat stellt zudem fest, dass die Mission durch den Abschluss des bilateralen Sicherheitsabkommens zwischen der NATO und der afghanischen Regierung über eine hinreichende rechtliche Grundlage verfügt. Letztlich kann nur eine politische Lösung verhindern, dass Afghanistan nach dem Abzug der internationalen Truppen in einen neuen, blutigen Bürgerkrieg zurückfällt. Die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft müssen daher ihre Anstrengungen erhöhen, um den Verhandlungs- und Reintegrationsprozess in Afghanistan zu unterstützen und eine Friedenslösung unter Einbeziehung der beteiligten Nachbarstaaten zu erzielen. Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die erreichten Fortschritte im Bereich der Menschenrechte, insbesondere für Frauen und Mädchen, im Rahmen der Verhandlungen nicht ausgehöhlt werden. Verlässliche Zusagen und ein langfristiges Engagement braucht es vor allem im zivilen Bereich: von der Rechtsstaatsförderung bis zur wirtschaftlichen Entwicklung. Es ist ein Fortschritt, dass die Bundesregierung nun eine entwicklungspolitische Strategie bis 2017 vorgelegt hat. Schwerpunkt deutscher Entwicklungszusammenarbeit muss es sein, gute Regierungsführung und die Einhaltung der Menschenrechte, insbesondere der Frauenrechte, zu fördern. Gerade für die vielen jungen Menschen in Afghanistan muss Deutschland besonders engagiert bleiben im Bereich Bildung und bei der Beschäftigungsförderung klare Akzente setzen. Auf der jüngsten Geberkonferenz in London haben die internationale Gemeinschaft und die afghanische Regierung die wechselseitigen Versprechen erneuert: Kontinuierliche internationale Unterstützung für die Arbeit einer afghanischen Regierung, die ernstlich Reformen zum Wohl aller Afghaninnen und Afghanen umsetzt. Die Bundesregierung muss über den gesamten Zeitraum der Transformationsdekade – bis 2024 – dafür angemessene Mittel bereitstellen. Mit dem Beginn ihres militärischen Engagements hat die internationale Gemeinschaft eine Schutzverantwortung für die Menschen in Afghanistan übernommen. Dieser Verantwortung wollen wir gerecht werden, im Zivilen, und, solange notwendig, auch im militärischen Bereich. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan (Tagesordnungspunkt 7) Wir haben uns entschlossen, uns bei der Abstimmung über das Mandat für die Beteiligung an dem Einsatz Resolute Support Mission in Afghanistan zu enthalten. Dies ist eine Gewissensentscheidung. Die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanische Regierung als Voraussetzung für das Ende des ISAF-Einsatzes und den damit einhergehenden Abzug der Kampftruppen der Bundeswehr aus Afghanistan ist richtig und war längst überfällig. In Afghanistan wurde einiges erreicht. Die Menschen haben einen besseren Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung oder einer vielfältigen Medienlandschaft. Die internationale Gemeinschaft muss auch in Zukunft ihrer Verantwortung gerecht werden. Das bedeutet vor allem, dass sie sich zivil engagiert und die weitere Entwicklung des Landes substanziell unterstützt. Es bedeutet aber auch, dass sie die afghanischen Sicherheitskräfte dabei unterstützt, die Sicherheitsverantwortung wahrzunehmen. ISAF stand für ein offensives Vorgehen der internationalen Truppen in Afghanistan. Ohne dass eigene offensive Operationen stattfinden, soll die Folgemission Resolute Support Mission der Ausbildung der afghanischen Kräfte dienen. Dies erachten wir für notwendig und unterstützen es. Das durch die Bundesregierung vorgelegte Mandat enthält jedoch einige Punkte, die uns dazu bewegen, dem Mandat nicht zuzustimmen und uns stattdessen zu enthalten. Im Mandat wird zwar der allgemeine Plan beschrieben, dass die internationalen Kräfte sich in Phasen zunehmend auf die Hauptstadt Kabul konzentrieren, um dann aus Afghanistan abzuziehen. Es geht jedoch nicht eindeutig hervor, unter welchen Kriterien und nach welchem Zeitplan diese Übergänge erfolgen sollen. Hier droht aus unserer Sicht erneut ein langfristiger Einsatz ohne Exit-Strategie. Im Mandat heißt es, dass eine direkte Beteiligung an der Terror- oder Drogenbekämpfung nicht Aufgabe der Bundeswehr sei. Die Formulierung „direkt“ lässt aus unserer Sicht jedoch noch einige Formen der Beteiligung zu. Im Gegensatz zu anderen Mandaten wird die Begleitung afghanischer Kräfte oder die direkte Unterstützung militärischer Operationen nicht explizit ausgeschlossen. Durch solche Formulierungen wird ein Interpretationsspielraum eröffnet, den wir in einem Mandatstext nicht für geboten erachten. Der Entschließungsantrag unserer Fraktion – Bundestagsdrucksache 18/3590 – findet unsere Unterstützung und legt unsere Position im Hinblick auf Afghanistan näher dar. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation ACTIVE ENDEAVOUR im Mittelmeer (Tagesordnungspunkt 8) Versehentlich habe ich mit Ja gestimmt. Mein Votum lautet Nein. Anlage 8 Erklärung nach § 31 Absatz 2 GO des Abgeordneten Jörn Wunderlich (DIE LINKE) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und -Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wiedereingliederung fördern – Gefangene in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbeziehen (Tagesordnungspunkt 17) Ich erkläre, dass ich an der Abstimmung zu dem vorgenannten Tagesordnungspunkt nicht teilnehme. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Schutz von Kindern vor Schadstoffen in Spielzeugen wirksam durchsetzen (Tagesordnungspunkt 13) Mechthild Heil (CDU/CSU): „Für Kinder ist nur das Beste gut genug!“ So lautete der Werbespruch, den ein bekannter Plüschtierproduzent auf seinen ersten Katalog geschrieben hat. Ja, und viele Eltern haben genau diesen Anspruch: Für unsere Kinder ist nur das Beste gut genug. Wir wissen, Kinder sind besonders schutzbedürftig und besonders schutzwürdig. Sie sind viel empfindlicher als Erwachsene. Und das gilt natürlich besonders auch dann, wenn es um Schadstoffe geht. Kleine Kinder erkunden ihre Welt mit allen Sinnen: Sie fassen an, nehmen Dinge in den Mund, schmecken, riechen, tasten, beißen, reißen und kratzen an den meisten Dingen, die sie in die Hände bekommen. Und das ist gut so, denn so lernen sie die Welt kennen. Wenn es um die Spielsachen der Kinder geht, muss es einen sicheren und geschützten Erkundungsraum geben. Man muss sich darauf verlassen können, dass von Spielzeug keine Gefahr ausgeht. Da kann es keine Kompromisse geben. Gesundheitsgefährdende Stoffe gehören nicht ins Spielzeug. Leider ist aber die Belastung von Kinderspielzeug mit giftigen Stoffen nach wie vor ein Problem. Woran liegt das, und wie könnte eine Lösung aussehen? Ist das eine Frage der Kontrolle? In Deutschland sind die Länder für die Sicherheitskontrollen bei Spielzeug zuständig. Die Linke sagt, die Länder seien unfähig, und fordert in ihrem Antrag, die Zuständigkeit für die Marktüber-wachung auf den Bund zu übertragen. Wir sagen: Das ist weder notwendig noch zielführend. Denn die Überwachung von Spielzeug ist bei den Ländern ganzjähriger Überwachungsschwerpunkt. Sie kontrollieren die Einhaltung der Vorschriften des Produktsicherheitsgesetzes und der Spielzeugsicherheits-Verordnung. Müsste die Arbeit der Länder nicht koordiniert werden? Ja, und das wird sie auch. Wir haben eine gemeinsame Behörde aller Bundesländer im Bereich der Produktsicherheit – die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik, ZLS. Seit 2013 nimmt die ZLS auch koordinierende Aufgaben der Marktüberwachungsbehörden für alle Bundesländer wahr. Die Anzahl gefährlicher Spielzeuge, die auf dem deutschen Markt gefunden werden, ist rückläufig. Immer weniger Warnungen muss das europäische Schnellwarnsystem für gefährliche Produkte RAPEX ausrufen. Das ist sehr, sehr positiv. Aber – und das möchte ich auch ganz deutlich sagen – das alleine reicht uns noch nicht. Gerade weil es um die Gesundheit unserer Kinder geht, wollen wir bestmögliche Sicherheit. Aber wir müssen auch ehrlich sein: Hundertprozentige Sicherheit wird es und kann es nicht geben. Absolute Sicherheit gibt es in keinem Bereich des Lebens und deshalb auch nicht auf dem Spielzeugmarkt. Auch deshalb, weil der Spielzeugmarkt sehr viele Produkte kennt; diese sind oft sehr kurzlebig, und ständig werden neue entwickelt, die die Kinderaugen zum Strahlen bringen sollen. Aber der große, sich ständig verändernde Markt soll uns nicht als Ausrede dienen. Wir wollen und wir werden das Risiko weiter minimieren. Die Politik steht hier in der Verantwortung. Aber auch die Wirtschaft und die Verbraucher selbst müssen ihren Teil der Verantwortung übernehmen. Natürlich tragen an erster Stelle die Hersteller und der Handel Verantwortung für die Produkte, die sie auf den Markt bringen. Die Branche weiß selbst, dass die Sicherheit der Spielzeuge ihre Kernaufgabe ist. Gemeinsam mit dem TÜV Rheinland veranstaltet zum Beispiel der Deutsche Verband der Spielwaren-industrie jedes Jahr einen Sicherheitstag. Dabei geht es dann um Fragen des eigenen Qualitätsmanagements, aber auch wie die Spielzeuge noch sicherer gemacht werden können. Ein Ergebnis der Bemühungen aus der deutschen Wirtschaft: Die Qualität bei deutschen Spielzeugen ist sehr hoch. Die meisten problematischen Produkte stammen aus Importen, allen voran aus China. Deshalb wurde 2012 vom Wirtschaftsministerium eine deutsch-chinesische Arbeitsgruppe „Produktsicherheit“ eingerichtet. Die Politik der Bundesregierung dabei ist, intensiv darauf hinzuwirken, dass die Exportkontrollen für chinesische Produkte verbessert werden. Ich sage aber auch ganz ehrlich, bei allen Schwierigkeiten, die wir in den Verhandlungen mit China sehen; Da ist noch Luft nach oben. Das darf gerne noch intensiviert werden. Auch auf europäischer Ebene setzen wir uns für niedrigere Grenzwerte von bestimmten Schadstoffen in -Kinderspielzeug ein. Die Bundesregierung hatte bei der EU-Kommission beantragt, die in Deutschland bestehenden strengeren Grenzwerte beibehalten zu dürfen. Nur in Bezug auf Blei war die Bundesregierung erfolgreich. Bei Arsen, Antimon und Quecksilber muss Deutschland die von der EU vorgeschriebenen niedrigeren Grenzwerte übernehmen. In Spielzeugen aus festen Materialen sind damit höhere Schwermetallwerte erlaubt, weil man in der EU der Meinung ist, diese würden sich durchs Spielen nicht lösen und damit auch nicht in den Körper der Kinder gelangen. Die Bundesregierung hat dagegen Rechtsmittel eingelegt. Ich hoffe auf einen erfolgreichen Ausgang. An dieser Stelle möchte ich aber an die Spielzeughersteller appellieren: Halten Sie auch freiwillig an den deutschen Grenzwerten fest! Unabhängig davon setzt sich die Bundesregierung bei der Kommission für eine Nachbesserung der chemischen Anforderung der EU-Spielzeug-Richtlinie ein. Was tun wir noch? Wir fördern unabhängige Testorganisationen, wie die Stiftung Warentest, die Kinderspielzeug auf Sicherheitsmängel und Schadstoffe untersucht. In der aktuellen Ausgabe der Öko-Test wurden zum Beispiel Puppen getestet. Der Test hat auch bei den Herstellern Wirkung gezeigt: Sie haben die Ergebnisse zum Anlass genommen, ihre Produkte nachzubessern. Für die Verbraucher sind solche Tests gerade jetzt zu Weihnachten, wo wieder besonders viele Spielwaren gekauft werden, sehr hilfreich und willkommen. Denn all diejenigen, die Spielzeug für ihre Kinder kaufen, wissen um ihre Verantwortung. Das Spielzeug soll eben nicht nur Spaß machen, den Kopf und das Herz anregen, sondern eben auch sicher sein. Was können sie tun? Wie können sie prüfen, ob ein Spielzeug für das Kind sicher und geeignet ist? Hier geben nicht nur die Tests eine gute Orientierung, sondern vor allem die Siegel und Prüfzeichen: Spielzeug darf nicht ohne CE-Kennzeichnung auf den europäischen Markt gebracht werden. Der Hersteller bescheinigt damit, dass er alle gesetzlichen Normen erfüllt hat, wie sie von der europäischen Spielzeugrichtlinie vorgegeben werden. Das GS-Zeichen, „Geprüfte Sicherheit“, ist ein staatlich geregeltes Gütesiegel für Spielzeug. Es wird von staatlich zertifizierten unabhängigen Prüfstellen wie zum Beispiel dem TÜV vergeben. Es zeigt also an, dass unabhängig geprüft wurde und dass die gesetzlichen -Vorgaben eingehalten wurden. Darüber hinaus werden außerdem 16 polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, PAK, abgeprüft, die als gesundheitsgefährdend gelten. Aber die Prüfsiegel sind das eine. Leider kommen auch Produkte mit gefälschten Siegeln auf den Markt. Deshalb: Die eigene Wahrnehmung ist unersetzlich bei der Entscheidung, ob ein Spielzeug sicher und überhaupt altersgerecht und geeignet für das Kind ist. Der Verbraucher sollte sich das Spielzeug selbst immer sehr genau anschauen: Gibt es Stellen am Spielzeug, an denen sich ein Kind verletzen könnte? Ist das Spielzeug robust? Blättert Farbe ab oder färbt es ab? Können sich Kleinteile leicht ablösen und verschluckt werden? Die wichtigsten Tipps, worauf die Verbraucher beim Kauf von Spielzeug achten sollten, hat das Landwirtschaftsministerium auf einer Servicekarte zusammengefasst, die Sie im Internet abrufen können. All das, was im Hintergrund an Prüfungen und -Sicherheitschecks abläuft, was an Siegeln und Tests nachzulesen ist, dient nur einem Zweck: Keiner soll beim Spielen über Risiken nachdenken müssen, sondern einfach nur Spaß an der Freude haben. Eine spielreiche Weihnachtszeit! Marcus Held (SPD): Wir befinden uns in der Vorweihnachtszeit, und das ist bekanntlich die Zeit, die vor allem für unsere Kleinsten eine besondere Wirkung hat. Kinder freuen sich über die besondere Atmosphäre, aber auch über Geschenke. Eltern wiederum haben den Wunsch, für ihre eigenen Kinder nur das Beste zu tun, was sich oft am Kaufverhalten äußert. Wenn es denn schon ein Spielzeug sein darf das man kauft, dann will man sich nicht nur ganz sicher sein, dass dieses Spielzeug sicher ist für den Nachwuchs, es muss auch frei von jeglichen Schadstoffen sein. Die Sensibilität in dieser Frage ist in den zurückliegenden Jahren deutlich gestiegen – zum Glück, können wir heute sagen! Deshalb gibt es unzählige Prüfsiegel, Untersuchungen durch die Stiftung Warentest, gesetzliche Normen mit klar definierten Grenzwerten und sogar europaweit geltende Rechtsnormen. So weit, so gut, könnte man sagen. Aber was passiert, wenn sich herausstellt, dass ein Spielzeug doch nicht die Grenzwerte einhält, dass der Anteil der Schadstoffe sehr viel höher ist als angegeben? Beispielfall der durch die Medien ging: Beißhilfe für Babys, die als „sicher und schadstofffrei“ deklariert wurde. Nach einer Untersuchung stellte sich aber heraus, dass krebserregende Stoffe mit hoher Konzentration in diesem Spielzeug vorhanden sind. Konsequenz beim Hersteller: Man habe sich auf die Erfahrungen bei der Aufsichtsbehörde verlassen, und diese wiederum sah „keine akute Gesundheitsgefährdung“. Die Konsequenz war lediglich die Marktrücknahme, es gab noch nicht einmal eine Rückrufaktion des Artikels, der bereits tausendfach ausgeliefert worden war. Dies kann so nicht sein! Wir brauchen klare Konsequenzen für den Fall, dass Schadstoffe in Spielzeugen bzw. die Konzentration sehr viel höher ist als angegeben. Die Gesundheit unserer Kinder muss für uns ganz oben stehen. Kinder und Säuglinge sind besonders schützenswert, sie müssen das höchste Gut darstellen. Deshalb brauchen wir klare rechtliche Vorgaben: Wir haben in den zurückliegenden Jahren intensiv darüber gestritten, ob die Werte nach deutschem Recht oder nach europäischem Recht mehr Verbraucherschutz bedeuten. Ich sage Ihnen: Das ist völlig egal, wenn die Überschreitung von Schadstoffwerten in Kinderspielzeugen weder in dem einen noch in dem anderen Fall Konsequenzen hat. Denn: Wie sieht es derzeit aus? Die eben beispielhaft genannte Beißhilfe wurde vom Markt genommen in Deutschland. Sie kam auch auf die europaweite Warnliste RAPEX, die für Behörden europaweit eingeführt wurde. Aber wir müssen auch kontrollieren dass diese Marktrücknahmen europaweit erfolgen. Wir brauchen also Konsequenzen. Wir brauchen Regelungen für Rücknahmen. Wir brauchen klare Zuständigkeiten. Dies gilt auch zwischen den Ministerien, denn gerade bei der Frage der Kontrolle von Spielzeugen schieben sich die Häuser die Verantwortlichkeiten hin und her. Wir müssen klar definieren, ob der Bund, die Länder oder gar die EU für diese Rücknahmen zuständig ist und wer diese auch aktiv veranlassen muss. Es kann nicht sein, dass Kompetenzgerangel entsteht auf Kosten der Gesundheit unserer Kinder. Verbraucherschutz muss hier sehr ernst genommen werden; sonst ist das Vertrauen der Verbraucher aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr gegeben. Ich möchte an dieser Stelle auch betonen, dass die Regelungen sowohl für Spielzeugimporte als auch für in Deutschland produziertes Spielzeug gelten müssen. Denn rund die Hälfte der Spielwaren, die sich im Handel befinden, wird in Deutschland produziert. Wir haben 670 Spielwarenhersteller in Deutschland. Der Spielwareneinzelhandel macht jährlich rund 2 Milliarden Euro Umsatz. Hieran sind mehr als 3 000 Unternehmen beteiligt. Bei den Importen ist China mit fast 90 Prozent aller Spielwaren das größte Herstellerland. Leider haben hier gemeinsame Maßnahmen der Bundesregierung mit der Volksrepublik China bisher nicht gegriffen. Wir müssen also handeln, bei den Importen wie auch bei dem hier hergestellten Spielzeug. Wie können wir dies tun? Mit Prüfsiegeln zum Beispiel? Die gibt es ja bereits, sogar in großer Zahl! Es gibt das Gütesiegel für Sicherheit, GS, Ökotex Standard 100, VDE-Zeichen, TÜV-Proof Zertifiziertes Spielzeug vom TÜV Rheinland, TOX-Proof, für schadstoffarme Produkte vom TÜV Rheinland, Blauer Engel, LGA Qualitäts-Zertifikat und viele mehr. Aber bei so vielen Gütesiegeln ist es den Verbrauchern doch gar nicht mehr zuzumuten, prüfen zu können, ob das Prüfsiegel wirklich stimmt und was es inhaltlich bedeutet. Wie können wir noch handeln? Sie schlagen vonseiten der Linken mit Ihrem Antrag vor, die Marktüberwachung von Spielzeugen auf Bundesebene zu heben. Wir sind uns nicht sicher, ob dadurch tatsächlich die Qualität und die Intensität der Kontrollen verbessert werden kann oder ob es nicht sogar besser ist, wenn die Länder und kommunalen Prüfbehörden wissen, wo sie vor Ort bei Produzenten ansetzen müssen. Außerdem haben sich 2013 die Länder in einem geradezu mustergültigen Staatsvertrag darauf geeinigt, die Koordinierung durch eine einheitliche Stelle durchzuführen, nämlich durch die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik. Wir sind mit Ihnen der Meinung, dass die Überwachung der Produktsicherheit noch nicht befriedigend funktioniert. Deshalb wollen wir als SPD die Überwachung insgesamt besser vernetzen, einheitliche Standards finden und für eine bessere Kontrolldichte sorgen. Wir wollen dies für Spielzeug, aber genauso für Lebensmittel und Bedarfsgegenstände. Lassen Sie uns gemeinsam und schnell sicherstellen, dass Spielzeuge mit hohem Schadstoffgehalt schon gar keine Chance mehr haben auf den Markt zu gelangen, dass Firmen, die solche Spielzeuge in den Umlauf bringen, mit empfindlichen Konsequenzen zu rechnen haben, dass diese Spielzeuge auch deutschland- und europaweit ganz schnell aus den Warenregalen geholt werden. Im Interesse unserer Verbraucherinnen und Verbraucher und ganz besonders im Interesse des Wichtigsten, was wir haben – nämlich unserer Kinder. Karin Binder (DIE LINKE): Wir haben ein großes Problem mit Schadstoffen in Kinderzimmern. Ein Grund ist das Versagen der Marktüberwachung. Denn trotz strenger gesetzlicher Vorgaben gelangen nach wie vor große Mengen gesundheitsbedenklicher Spielwaren in die Hände der lieben Kleinen. Das dürfen wir und Sie nicht einfach hinnehmen! Über die Hälfte der Spielzeuge, die von Stiftung -Warentest in den vergangenen Jahren getestet wurden, waren oft sogar mehrfach mit Schadstoffen belastet. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL, stellte fest, dass fast ein Viertel der untersuchten Spielzeuge Schadstoffe noch über die zulässigen Grenzwerte hinaus freisetzt. Nur jedes Fünfte der getesteten Produkte war frei von gesundheitsschädlichen -Chemikalien. Wir reden hier von gefährlichen Schwermetallen wie Blei, Nickel und Quecksilber. Wir reden von Stoffen wie Formaldehyd, Phtalaten und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, den sogenannten PAK, die als Weichmacher in vielen Kunststoffen oder in Klebern und Lacken zu finden sind. Diese Gifte sind schon in winzigen Mengen krebserregend, sie gefährden die Fortpflanzung, sie stören das Hormonsystem oder sie lösen Allergien aus. Kinder sind davon besonders betroffen. Sie befinden sich in der Entwicklung und sind besonders empfindlich und verletzlich. Die Linke will, dass mit dieser giftigen Bescherung Schuss gemacht wird! Die Vorgaben zum Schutz der Kinder vor Schadstoffen in Spielzeugen gelten in ganz Europa. Die Bundes-regierung ist in der Pflicht, sie umzusetzen, verzettelt sich aber in einem Streit mit der EU-Kommission um die Grenzwerte für diese Schadstoffe. In der Zwischenzeit gelangen jedoch auch weiterhin gesundheitsbedenkliche Spielwaren in die Regale, ganz einfach weil unsere Kontrollen nicht ausreichen. Noch immer werden vom Bund die Bundesländer für die Überwachung der Spielzeugsicherheit verantwortlich gemacht. Es gibt mehr als 400 verschiedene Kontroll-behörden bei Ländern und Kommunen, die schlecht vernetzt meist nebeneinanderher arbeiten. In vielen Fällen fehlt es am Personal und der nötigen Ausstattung. Dem gegenüber arbeiten Hersteller und Händler global. Über die Hälfte der Spielwaren in Deutschland wird importiert und oft in Billiglohnländern von Arbeiterinnen und Arbeitern hergestellt, die selbst nicht wissen, welcher gesundheitlichen Belastung sie durch die gefährlichen Materialen ausgesetzt sind. Die fertigen Produkte werden von den Herstellern mit dem „CE“-Zeichen versehen, wonach die Mindestanforderungen für den Europäischen Markt erfüllt sein sollten. Aber mit Qualitätssicherung hat dieses Zeichen nichts zu tun. Die Linke fordert mit ihrem Antrag, den Schutz der Kinder endlich wirksam durchzusetzen: Die Kontrollen müssen bundesweit vereinheitlicht und die Verantwortung auf die Bundesebene gehoben werden. Nur so können Kinder vor Schaden bewahrt werden. Nach dem Verursacherprinzip müssen Hersteller und Importeure an den Kosten für die Kontrollen beteiligt werden. Probleme mit Schadstoffen in Spielzeugen entstehen meist durch gnadenlose Kostensenkung in der Herstellung zur Gewinnmaximierung. Auch Zollbehörden müssen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben und zur Mitwirkung an der Marktüberwachung besser ausgestattet werden. Bis dahin müssen sich besorgte Eltern leider selbst helfen. Meine Empfehlungen: Erstens. Auch bei hochwertigen Marken nicht nur auf die Angaben der Hersteller vertrauen. Sie sollten sich an unabhängigen Testergebnissen beispielsweise von Stiftung Warentest, Ökotest oder dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, BUND, orientieren. Zweitens. Schnuppern Sie dran. Wenn ein Spielzeug komisch riecht, lassen Sie es lieber im Regal liegen. Grundsätzlich gilt: Je weniger ein Spielzeug verklebt, -lackiert oder verpackt ist, desto besser. Die Bundesregierung ist gefordert, die Sicherheit von Spielzeugen ohne Wenn und Aber durchzusetzen. Ich kann nur noch einmal betonen: Spielzeug, das belastet ist, gehört nicht auf den Markt – und schon gar nicht in ein Kinderzimmer. Aber leider wird auch zu diesem Weihnachtsfest die Mehrzahl der Spielzeuge unter dem Christbaum schadstoffbelastet sein. Da kann ich nur sagen: Frohe Weihnachten! Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gift hat in Kinderspielzeug nichts verloren! Darüber sind wir uns alle einig. Das ist gut. Doch darüber, wie wir es endlich schaffen, dieses wichtige Ziel zu erreichen, darüber diskutieren wir hier seit Jahren. Das Thema ist und bleibt ein Dauerbrenner, bei dem die Bundesregierung auf der Stelle tippelt – und das seit Jahren. Wir haben jetzt schon die dritte Bundesregierung in Folge, die das Problem aussitzt. Schon 2009 – also vor über fünf Jahren – hat sich die deutsch-chinesische Arbeitsgruppe zur Verbesserung der Produktsicherheit gegründet. Ich frage in regelmäßigen Abständen nach, was sich seither getan hat, womit sich die Arbeitsgruppe befasst und welche Erfolge sie vermelden kann. Das Ergebnis ist jedes Mal enttäuschend. Inzwischen gibt es – man höre und staune – zumindest einen Arbeitsplan. Doch selbst konkrete Zielvereinbarungen oder verbindliche Maßnahmenpläne sind noch immer Fehlanzeige. Das ist zu schwach! Ein Blick in RAPEX, das Schnellwarnsystem der EU-Kommission zu gefährlichen Produkten, zeigt doch, dass wir ohne China nicht an die Wurzel des Problems kommen. Allein in dieser Woche kamen alle in RAPEX aufgeführten giftigen Spielsachen außer einer aus China. Spielzeugsicherheit liegt in Deutschland in vielen Händen. Auf Bundesebene sind das Wirtschaftsministerium, das Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium und das Umweltministerium zuständig. Jetzt könnte man meinen, dass das dazu führt, dass sich möglichst viele dieses wichtige Thema auf die Fahne schreiben und für mehr Spielzeugsicherheit sorgen. Doch weit gefehlt. Stattdessen werden die Zuständigkeiten hin und her geschoben und keiner fühlt sich so wirklich verantwortlich. Ich erwarte und fordere, dass sie alle ihre Arbeit machen und dafür sorgen, dass Kinderspielzeug sicher wird – frei von giftigen und hormonell wirksamen Stoffen. Die Umweltministerin muss dafür sorgen, dass die Kennzeichnung verbessert wird – zum Beispiel durch eine Weiterentwicklung des Blauen Engels. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen gefahrlos einkaufen und sich darauf verlassen können, dass sich in den Päckchen unterm Weihnachtsbaum keine Giftbomben verstecken. Der Wirtschaftsminister muss im Dialog mit China und der Spielzeugbranche dafür sorgen, dass Giftstoffe ersetzt und die Herstellung verbessert werden. Der Landwirtschaftsminister ist auch für die Produktsicherheit -zuständig. Er muss gemeinsam mit den Ländern das Kontrollregime verbessern und dafür Sorge tragen, dass zumindest die Grenzwerte eingehalten werden. Verstöße müssen schneller behoben und giftiges Spielzeug vom Markt genommen werden. Ich fordere: Die Sicherheit unserer Kinder muss endlich zur Chefsache werden. Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung angekündigt, sich auf EU-Ebene für eine unabhängige, verpflichtende Drittzertifizierung für Kinderspielzeug einzusetzen. Das ist ein interessanter Ansatz. Davon, wie sich die Bundesregierung hier konkret einsetzt, habe ich seither allerdings nichts mehr gehört. Doch Ankündigungen allein helfen ja nicht. Wenn die Bundesregierung ihr Versprechen ernst meint, muss sie sich auch aktiv darum kümmern. Und dann muss sie auch gewährleisten, dass die kleinen und mittelständischen Produzenten in Deutschland dadurch nicht vom Markt gedrängt werden. Ich werde aufpassen, dass hier nicht nur Politik für die Industrie gemacht wird, sondern auch für das Handwerk. Für -Anbieter, die nur fünf Exemplare einer Puppe oder zwanzigmal den gleichen Teddy herstellen und nicht in Massenproduktion. Wir wollen einen Gabentisch ohne Gift. Dafür muss diese Bundesregierung endlich mehr tun. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung der Verwendung elektrisch betriebener Fahrzeuge (Elektromobilitätsgesetz – EmoG) (Tagesordnungspunkt 14) Steffen Bilger (CDU/CSU): Es ist gut, dass wir im Deutschen Bundestag so konstruktiv mit der Zukunftstechnologie Elektromobilität umgehen. Erst kürzlich sind wir als Parlamentskreis Elektromobilität fraktionsübergreifend zusammengekommen, eben weil wir die Elektromobilität unterstützen wollen. Warum unterstützen wir die Elektromobilität? Wegen ihrer Bedeutung für Lärmreduzierung, Umwelt, Klima und saubere Luft – aber auch wegen ihrer Bedeutung für den Automobilstandort Deutschland und dessen Zukunftsfähigkeit sowie wegen der zahlreichen Arbeitsplätze, die in Deutschland nun mal vom Automobil abhängen. Diese wollen und werden wir erhalten. Leitmarkt und Leitanbieter sind und bleiben unsere Ziele. Der Anfang Dezember an die Bundeskanzlerin übergebene Fortschrittsbericht der Nationalen Plattform Elektromobilität hat gezeigt: Es geht voran bei der -Elektromobilität! So können heute schon Elektromobile unter bestimmten Bedingungen die wirtschaftlichsten Fahrzeuge sein. Dies zeigt: E-Autos haben eine Zukunft, allen Unkenrufen zum Trotz! Außerdem ist bei der Produktpalette der deutschen Automobilhersteller viel passiert. Auch in internationalen Rankings schneiden wir weiter gut ab. Deutschland ist auf einem guten Weg, zumindest also, was die Leitanbieterschaft anbelangt. Beim Leitmarkt ist die Situation noch ausbaufähig. Der Bericht der Nationalen Plattform zeigt deutlich: Wir müssen noch besser werden. Beim Fußball ist ja bekanntlich immer das nächste Spiel das wichtigste. So ist bei der Elektromobilität die nächste Zeit die entscheidende. 2015 bis 2016, 2017 sind die letzten Jahre des Markthochlaufs. Da wird sich zeigen, ob wir unser 1-Million-Elektroautos-Ziel erreichen. Deshalb ist es richtig, dass das Elektromobilitätsgesetz, über das wir heute debattieren, kommt. Dieses Gesetz ist wegen der enthaltenen Maßnahmen wichtig, aber auch wegen seiner Signalwirkung. Auch bei der Elektromobilität kommt es schließlich auf die psychologische Außenwirkung für potenzielle Käufer an. Mit diesem Gesetz sagen wir deutlich: Wir stehen auch im fünften Jahr nach dem Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität immer noch und immer mehr zu dieser Zukunftstechnologie. Viel ist trotzdem geschimpft worden über die Freigabe der Möglichkeit(!), Busspuren nutzen zu können. Dabei zeigt doch schon das Wort „Möglichkeit“, dass niemand gezwungen werden soll. Wir sind für Wahlfreiheit und regional sinnvolle Lösungen. Deshalb können die Kommunen vor Ort selbst entscheiden, wie sie -Elektromobile bevorrechtigen wollen. Wir wollen Wettbewerb zwischen den Städten, genauso, wie wir es bei einer möglichen Bevorzugung von E-Autos bei Parkplätzen ebenfalls machen. Die Kommune vor Ort trifft dann die Entscheidung, aber die Chance sollte doch zumindest ernsthaft geprüft werden. Die Stadt, die für nachhaltige Mobilität stehen will, sollte die Freigabe der Busspuren für Elektrofahrzeuge ebenso ergebnisoffen prüfen wie eben auch die Bereitstellung von Parkplätzen. Wichtig ist ebenfalls, dass wir uns nun endlich auf eine tragfähige Definition von Elektroauto geeinigt haben. Selbst der Bundesrat war mit dieser zufrieden. Auch eine Kennzeichnung kommt jetzt. Dafür ist dann für jeden sichtbar, was ein Elektroauto ist – und was es darf. Auch für die Feuerwehr ist im Falle des Falles gut zu sehen, um was für ein Fahrzeug es sich handelt und wie es behandelt werden muss. Die neuen Kennzeichen werden ebenfalls eine positive psychologische Wirkung haben. Wer sehen kann, wie die Zahl dieser Fahrzeuge größer wird und was diese auch noch dürfen, wird sich noch leichter begeistern lassen und selbst an den Kauf denken. Wir haben aber auch immer gesagt, dieses Elektromobilitätsgesetz kann nur der Einstieg in dieser Wahlperiode für weitere Maßnahmen sein. Viele Forderungen der Wirtschaft für den Markthochlauf sind ja sehr berechtigt. So brauchen wir dringend Sonderabschreibungen beim Kauf von Elektroautos für Unternehmenskunden und KfW-Kredite für Private. Im Koalitionsvertrag bekennen wir uns zu nutzerorientierten Anreizen. Diese werden wir aktiv angehen. Besondere Effekte erwarten wir von größeren Flotten. Wenn Großunternehmen viele E-Autos anschaffen, dann steigen nicht nur sprunghaft die Zulassungszahlen – es entsteht auch mittelfristig ein Gebrauchtwagenmarkt. Flottenverbände sind auch sonst ideal bei der Elektromobilität. Das Tankstellenproblem lässt sich beispielsweise leicht lösen. Deshalb brauchen wir die Sonderabschreibung, damit die Unternehmen zum jetzigen Zeitpunkt dadurch noch näher an Wirtschaftlichkeit herankommen beziehungsweise sie dadurch erreichen können. Außerdem müssen wir beim Bekenntnis zur Umrüstung des Fuhrparks des Bundes auf E-Autos weiterkommen. Wie so häufig, muss der Bund mit gutem Beispiel vorangehen. In diesem Sinne freue ich mich über dieses Gesetz als ersten Aufschlag und bitte um wohlwollende Zustimmung. Andreas Rimkus (SPD): Lange war Elektromobilität ein Thema für Liebhaber. Sie ist heute eine Idee von Mobilität, die nachhaltig und ökologisch ist und die Bedürfnisse von Menschen und Ökonomien mit diesen Prinzipien versöhnt. Doch was bedeutet ökologische Nachhaltigkeit im verkehrspolitischen Zusammenhang eigentlich? Wenn Sie im Duden nachschlagen, werden Sie eine Definition finden, in der Nachhaltigkeit im weiteren Sinne als Prinzip beschrieben wird, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann. Im Kontext von Mobilität bedeutet das, alternative Kraftstoffstrategien zu entwickeln, sich neuen – oder auch alten – Antriebsformen zuzuwenden und sich langfristig von fossilen Brennstoffen zu verabschieden. Auch die Bürgerinnen und Bürger haben schon lange ein Bewusstsein für ökologische Fragen entwickelt, und sie erwarten zu Recht von der Politik, dass in verantwortungsvoller Weise Antworten auf die ökologischen Herausforderungen gefunden werden. Unsere Klimaziele sind klar formuliert: Bis 2020 wollen wir die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent im Vergleich zum Referenzjahr 1990 reduzieren. Die ehrgeizigen und notwendigen Ziele der Energiewende gelingen uns jedoch nur – darauf hat Vizekanzler Sigmar Gabriel mehrfach zu Recht hingewiesen –, wenn auch der Verkehrsbereich seinen Beitrag leisten wird. Die Abkehr von den klassischen fossilen Brennstoffen im Verkehr ist insofern ein Gebot der ökologischen Verantwortung und der wirtschaftlichen Vernunft. Im Aktionsprogramm Klimaschutz der Bundesregierung wird dem Verkehrssektor ein Emmissionsminderungspotenzial von 7 bis 10 Millionen Tonnen bescheinigt. Lassen Sie uns gemeinsam die enormen Potenziale des Aktionsprogramms Klimaschutz und des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz – kurz NAPE – heben und an der Umsetzung arbeiten. Nach dem Stillstand der vergangenen Jahre liegen insbesondere im Hinblick auf die Energieeffizienz unserer Volkswirtschaft endlich konkrete Maßnahmen und Initiativen auf dem Tisch, mit denen sich arbeiten lässt. Mein Dank gilt an dieser Stelle insbesondere den federführenden Ministern Gabriel und Hendricks. Mit dem Elektromobilitätsgesetz machen wir nun einen wichtigen Aufschlag. Die Frage, was eigentlich genau unter den Begriff Elektromobilität fällt, ist maßgebend für alle weiteren politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen. Vor diesem Hintergrund ist die Einigung auf eine Definition ein enorm wichtiger Schritt gewesen. Ich halte es für vernünftig, technologieoffen zu bleiben und sowohl Akkumobilität als auch Brennstoffzellentechnologie zu berücksichtigen. Bei beiden handelt es sich um elektrische Antriebsformen, die noch erhebliches Innovationspotenzial bergen. Ich möchte an dieser Stelle auch dafür werben, dass wir die im Gesetz vorgesehene Evaluation der Grenzwerte für Plug-in-Hybride nutzen, um uns für die Zukunft ambitioniertere Ziele als 30 Kilometer Reichweite und ab 2018 40 Kilometer zu setzen. Die Schaffung von Privilegien kann ein sinnvoller Ansatz sein. Doch sind Parkprivilegien und die Öffnung von Zufahrten auch ausreichend. Perspektivisch werden wir nicht umhinkommen, Geld in die Hand zu nehmen. Darum begrüße ich die Überlegungen zur Implementierung einer Sonderabschreibung für Elektrofahrzeuge. Dies wäre eine wirtschaftlich kluge Form der Technologieförderung und damit ein weiterer Schritt für die Zukunftsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Nach meinem Dafürhalten ist es entscheidend, dass Politik auf der Suche nach neuen Ideen bleibt und mit wachsamen Augen den technischen Fortschritt zur Kenntnis nimmt und ihn befördert. Unsere Aufgabe wird es sein und ist es, die Marktaktivierung konstruktiv zu begleiten und effektive Anreizstrukturen zu schaffen, die Elektromobilität attraktiver für die Bürgerinnen und Bürger machen. Ich nehme zur Kenntnis, dass Elektromobilität aktuell in den meisten Fällen noch zu teuer ist, die Reichweite gering und sie aufgrund einer noch unterentwickelten Lade- und Tank-infrastruktur für viele Menschen nicht ausreichend praktikabel erscheint. Wir müssen den Menschen die Angst nehmen, sie könnten aufgrund der geringen Reichweite und unzureichenden Lade- und Tankinfrastruktur mit ihrem Fahrzeug liegen bleiben. Dies sind Probleme, an denen wir in den nächsten Jahren verstärkt arbeiten müssen. Ich freue mich deshalb besonders, dass wir im Bundeshaushalt zusätzliche Haushaltsmittel aufgebracht haben, um beispielsweise das 50-Wasserstofftankstellen-Programm der Nationalen Organisation für Brennstoffzellen- und Wasserstofftechnologie voranzubringen. Wie bereits erwähnt ist für die Politik der Ausbau der Tank- und Ladeinfrastruktur eine besondere Herausforderung. Aus Brüssel haben wir hier klare Hausaufgaben bekommen. Mit der Richtlinie „Clean Power for Transport“ verpflichten sich die EU-Mitgliedstaaten zum Ausbau von Tank- und Lademöglichkeiten. Vor dem Hintergrund einer verantwortungsbewussten Haushaltspolitik dürfen wir jedoch nicht blind drauflosbauen, sondern müssen uns Gedanken über einen bedarfsgerechten und europäischen Standards entsprechenden Infrastrukturausbau machen. Dieser sollte sich daran orientieren, welche Technologie an welcher Stelle besonders gebraucht wird und klug eingesetzt wäre. Die große Aufgabe besteht darin, ein wettbewerbsfähiges, ressourceneffizientes und nachhaltiges Verkehrsnetz in Deutschland zu etablieren. Um dies voranzutreiben, leisten in Sachen Elektromobilität vor allem unsere Mitstreiter bei den kommunalen Unternehmen beispielsweise im Rahmen der Modellregionen eine großartige Arbeit, für die ich mich im Namen meiner Fraktion herzlich bedanken möchte. So haben sich in vielen Städten die Stadtwerke schon seit längerer Zeit auf den Weg gemacht, um die Etablierung und den Ausbau von Elektromobilität fachlich und praktisch vor Ort zu begleiten. So sind im ganzen Land zahlreiche Best-Practice-Beispiele mit Strahlkraft entstanden. Insbesondere werden Flottenprojekte vorangetrieben. Um die Marktdurchdringung erfolgreich zu organisieren, werden Fahrzeugflotten eine wichtige Rolle als Wegbereiter spielen. Ich denke da an Dienstwagen-, Carsharing- und Nutzfahrzeugflotten in Unternehmen und Behörden. Deshalb freue ich mich besonders darüber, dass nun auch zügig ein Carsharing-Gesetz erarbeitet wird. Auch in diesem Zusammenhang darf ich auf den NAPE verweisen, der vorsieht, über konkrete Beschaffungsrichtlinien für Elektrofahrzeuge in Flotten des öffentlichen Dienstes zu sprechen. Es wäre übrigens ein richtiges Signal, wenn wir als Bundespolitiker mit gutem Beispiel vorangingen. Doch denken wir in diesem Kontext nicht nur an Autos. Elektromobilität umfasst mehr als nur das Automobil. Insbesondere für die urbane Mobilität sind Elektrofahrräder und Elektroroller eine richtig tolle Form, sich ressourceneffizient und nachhaltig in der Metropole zu bewegen. Gerade bei jungen Menschen ist diese Form der Mobilität besonders angesagt. Ich glaube, dass wir für die Elektromobilität ein Narrativ brauchen. Warum das Elektromobil nicht als attraktiven Stromspeicher nutzen, bei dem ich den Strom meiner Photovoltaik- oder Windkraftanlage über ein mobiles smartes Grid tagsüber lade oder grünen Strom in Form von Wasserstoff tanke? Lassen Sie uns doch über den Tellerrand hinausblicken und sehen, welche Perspektiven sich eröffnen. Ich bin davon überzeugt, dass wir noch nicht alle Möglichkeiten und Potenziale kennen, geschweige denn ausgeschöpft haben, die uns eine neue technologische Kreativität für die Energiewende im Verkehrssektor von morgen bereithält. Nicht nur die Politik, sondern die ganze Gesellschaft, die Bürgerinnen und Bürger selbst, haben sich auf den Weg gemacht, die individuelle wie kollektive Fortbewegung zu reorganisieren und damit unsere gemeinsame Mobilität der Zukunft zu gestalten. Wir müssen gemeinsam an Lösungen arbeiten, um die Geschichte der Elek-tromobilität als Erfolgsgeschichte und im wahrsten Sinne des Wortes als Bestseller zu schreiben. Die Regierungskoalition arbeitet tagtäglich an dieser verkehrspolitischen Erzählung für eine gute Zukunft unseres Landes. Ihnen allen wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in das neue Jahr. Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Bundesregierung beabsichtigt, durch ein Elektromobilitätsgesetz verschiedene Maßnahmen zur Förderung der Verbreitung von Elektroautos umzusetzen. Das klingt zunächst umweltfreundlich und fortschrittlich – und ist es leider doch nicht. Denn die Bundesregierung möchte Elektromobilität durch die exklusive Vergabe bestimmter Privilegien attraktiver machen. Wer sich ein Elektroauto leisten kann, soll keine Parkgebühren mehr zahlen müssen oder darf die Busspur nutzen. Gerade in Ballungsräumen hätte dies fatale Auswirkungen für die Verkehrsflüsse. Bereits jetzt dürfen in vielen Städten neben dem ÖPNV auch Radfahrer sowie Taxen die Busspuren benutzen. Besonders im Berufsverkehr führt dies zu Fahrtzeitverlängerungen für ÖPNV-Nutzer. Kämen jetzt auch noch Elektroautos dazu, würde das Prinzip einer Busspur völlig ad absurdum geführt. Denn der Sinn einer solchen liegt darin, ein Verkehrsmittel zu bevorzugen, das auf möglichst kleiner Fläche möglichst viele Menschen transportiert. Das Elektroauto mag zwar umweltfreundlicher als ein Auto mit Verbrennungsmotor sein, mehr Menschen finden darin nicht Platz. Außerdem darf an dieser Stelle nicht das Elektroauto mit dem herkömmlichen Auto verglichen werden, sondern das Elektroauto mit dem ÖPNV. Und da ist der spezifische Energieverbrauch pro Personenkilometer beim ÖPNV geringer als beim Elektroauto. Eine Bevorzugung des Elektroautos leistet keinen Beitrag für ein zügiges und umweltfreundliches Vorankommen in unseren Städten, sondern privilegiert lediglich eine bestimmte Gruppe der Nutzer des Individualverkehrs. Die bestehenden Verkehrsprobleme in den Ballungsgebieten resultieren aus einem zu schlecht ausgebauten und zu schlecht finanzierten ÖPNV und nicht daraus, ob ein Auto elektrisch oder mit Benzin betrieben wird. Wenn die Bundesregierung aus berechtigten Gründen einen Förderbedarf für das Elektroauto sieht, muss sie sich bessere Ideen dafür einfallen lassen. Eine Förderung der Elektromobilität auf Kosten des ÖPNV ist mit der Linken nicht zu machen. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutschland will Leitmarkt und Leitanbieter für Elektromobilität werden – davon sind wir allerdings noch weit entfernt. Statt um die Tabellenführung spielen wir gegen den Abstieg. Erst vor wenigen Wochen wurde die Schließung der Li-Tec Batteriezellenfabrik in Kamenz bei Dresden bekannt. Bei der Batterietechnologie liegen wir weit hinter den asiatischen Herstellern zurück. Dabei hat die Batterie im Elektroauto einen Anteil von etwa 40 Prozent an der Wertschöpfung. Die Entwicklung der nächsten Batteriegeneration darf deshalb nicht an Deutschland vorbeilaufen. Die Strategie der Bundesregierung zur Förderung der Elektromobilität greift insgesamt zu kurz. Soll sich die Elektromobilität durchsetzen und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, reicht es nicht, den Verbrennungsmotor durch einen Elektromotor beim Auto zu ersetzen. Die Elektromobilität bietet Chancen für eine zukunftsfähige Mobilität, aber nur wenn wir auch den Einsatz von Elektrobussen, Nutzfahrzeugen mit elektrischen Antrieben sowie Elektrofahrrädern stärker unterstützen und der Strom aus erneuerbaren Energien kommt. So würde die Umstellung der Elektroloks im Bahnverkehr auf Ökostrom viermal so viel Kohlendioxid einsparen wie eine Millionen Elektroautos. Mit angezogener Handbremse werden wir den Rückstand zu anderen Ländern und Fahrzeugherstellern nicht aufholen. Länder wie Norwegen oder die Niederlande, mit einem deutlich höheren Marktanteil von Elektroautos, zeigen: Wir brauchen ein Marktanreizprogramm für den Kauf von Elektroautos. Eine Sonder-Afa für gewerblich genutzte Fahrzeuge wäre ein erster richtiger Schritt. Nur die Möglichkeit – wie im Elektromobilitätsgesetz vorgesehen –, in Zukunft kostenlos parken zu dürfen, wird die Absatzzahlen von Elektroautos kaum ankurbeln. Wir brauchen einen beherzteren Vorstoß für mehr E-Mobilität: Der Markthochlauf für Elektroautos kann über -öffentliche und gewerbliche Fahrzeugflotten sowie elektrisch betriebene Car-Sharing-Fahrzeuge gelingen. Elektroautos sind sehr gut für den Einsatz in Carsharing--Flotten geeignet. Um Carsharing zu fördern, wird seit mindestens 2007 über eine bundeseinheitliche Regelung zur rechtssicheren Ausweisung von Carsharing-Parkplätzen im öffentlichen Straßenraum in Kommunen diskutiert. Wo bleibt das von der Bundesregierung angekündigte Carsharing-Gesetz? Dieses wurde parallel zum Elektromobilitätsgesetz angekündigt. Hier muss endlich was passieren. Wir brauchen eine Beschaffungsoffensive für die öffentlichen Fuhrparks. Die öffentliche Hand muss Vorreiter bei der Elektromobilität sein. In Deutschland sind drei Millionen Fahrzeuge in öffentlichen Flotten und Fuhrparks zugelassen – ein riesiges Potenzial für Elektromobilität, gerade auch im Bereich der Nutzfahrzeuge. Es ist doch ein Armutszeugnis, dass die Bundesregierung ihr Minimalziel, mindestens zehn Prozent Elektroautos in den Ministerialflotten, selbst nicht erreicht. Ankündigungen reichen nicht. Das vorgelegte Elektromobilitätsgesetz ist viel zu kurz gesprungen. Viele der von mir beschriebenen Maßnahmen sucht man vergebens im Gesetzentwurf. In Teilen sind die Vorschläge sogar kontraproduktiv: Welches Bild entsteht in der Öffentlichkeit, wenn künftig Oberklassewagen wie der Porsche S E-Hybrid innerstädtisch kostenlos parken und die Busspur befahren dürfen? Diese Fahrzeuge können nur wenige Kilometer batterieelektrisch fahren und sind im „Normalbetrieb“ wenig umweltfreundlich. Die Bundesregierung will die Busspuren freigeben, obwohl bisher keine deutsche Großstadt zu erkennen gegeben hat, dass sie davon Gebrauch machen möchte. In Oslo wurde die Freigabe der Busspuren für Elektroautos wieder zurückgenommen, weil sie den umweltfreundlichen Nahverkehr ausbremsen. In vielen Städten nutzen Taxis und Fahrräder zusätzlich diese Sonderspuren. Viele Ampelanlagen sind mit einer Vorrangschaltung für den Nahverkehr ausgestattet. Viel sinnvoller wäre es daher, die Umstellung der Busflotten, die noch zu 90 Prozent mit Diesel fahren, auf Elektrobusse finanziell zu fördern. Das wäre ein Beitrag für Förderung der Elektromobilität. Dieser Gesetzentwurf ist es jedenfalls nicht! Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Die Entwicklung der Elektromobilität in Deutschland in den letzten Jahren ist sehr ermutigend. Angesichts eines Bestandes von rund 24 000 – Juli 2014 – rein elektrischen bzw. extern aufladbaren Pkw sind gegenüber den Vorjahren deutliche Lichtblicke am Markt zu verzeichnen: Im Gesamtjahr 2012 wurden noch knapp 4 200 Fahrzeuge zugelassen. Im Jahr 2013 waren es schon deutlich mehr: 7 700. Bis Ende Oktober 2014 sind rund 9 500 Fahrzeuge neu zugelassen worden. Prozentual hat sich damit der Gesamtbestand an Elektrofahrzeugen alleine bis Oktober um 70 Prozent erhöht. Und die positive Entwicklung setzt sich fort. Ganz aktuelle Zahlen vom VDA bis November 2014: 11 543 Neuzulassungen in 2014. Wir halten daher an unseren Zielen fest, bis 2020  1 Million Elektrofahrzeuge auf die Straßen zu bringen und Deutschland zum Leitmarkt und Leitanbieter für Elek-tromobilität zu machen. Die deutschen Hersteller sind dabei führend. Deutschland verfügt über eine große elektromobile Vielfalt. Wie der aktuelle Electric Vehicle Index, EVI, von McKinsey zeigt, haben wir in den vergangenen vier Jahren beim Angebot von Elektroautos den größten Fortschritt aufzuweisen. Bis Ende dieses Jahres werden von deutschen Herstellern 17 Serienmodelle auf dem Markt sein. 2015 kommen 12 weitere hinzu. Das Ziel Leitanbieter ist damit bereits heute erreicht. Jetzt geht es darum, Deutschland auch als Leitmarkt zu positionieren. Ausgehend vom Regierungsprogramm 2011 sind schon viele Maßnahmen umgesetzt worden, die uns diesem Ziel näherbringen und das Fahren von Elektroautos attraktiver machen. Wir sind auf einem guten Weg und engagieren uns auf verschiedenen Ebenen sehr erfolgreich. EU: Mit der Richtlinie für den Aufbau von Infrastruktur für alternative Kraftstoffe – Englisch: Clean-Power-for-Transport – ist im November ein klarer rechtlicher Rahmen in Kraft getreten. Die Richtlinie legt unter anderem Mindeststandards für Ladestecker fest und -verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Erarbeitung eines Nationalen Rahmenplans für den Aufbau von Ladeinfrastruktur, Wasserstoff- und Gastankstellen. Deutschland: Um Elektromobilität in Deutschland voranzubringen, hat die Bundeskanzlerin im Mai 2010 die Nationale Plattform Elektromobilität, NPE, ins Leben gerufen. Ein solches Beratergremium, in dem alle wesentlichen Akteure aus Industrie, Wissenschaft, Politik, Gewerkschaften und Verbänden zum strategischen Dialog zusammenkommen, ist einmalig. Vor wenigen Tagen hat die NPE der Bundeskanzlerin den zweiten Fortschrittsbericht übergeben. Darin wird hinsichtlich der dieses Jahr endenden Marktvorbereitungsphase Bilanz gezogen. Gleichzeitig werden Empfehlungen für die in 2015 beginnende Markthochlaufphase ausgesprochen. Mit dem im September vom Kabinett beschlossenen EmobG I schaffen wir nun für die weitere Entwicklung der Elektromobilität in Deutschland eine wichtige gesetzliche Grundlage. Wir wollen vor allem die Attraktivität für die Nutzer steigern, indem wir dieser Technologie Privilegien im alltäglichen Straßenverkehr einräumen. Wir schaffen Chancen und die notwendige Flexibilität. Dabei profitieren wir maßgeblich auch von den Erfahrungen, die wir in unseren Modellregionen und Schaufenstern gesammelt haben. Es hat sich gezeigt, dass Bundesländer und Kommunen großes Interesse an der Einräumung von Privilegien für Elektrofahrzeuge haben. Sie haben uns wichtige Impulse geliefert. Mit dem Gesetzentwurf geben wir den Städten und Gemeinden nun Möglichkeiten, Elektrofahrzeuge zu begünstigen. Zugleich brauchen die Städte und Gemeinden Planungs- und Rechtssicherheit, die sie mit diesem Gesetz erhalten werden. Der aktuelle Gesetzentwurf beinhaltet Ermächtigungsgrundlagen für die Möglichkeit der -Bevorrechtigung von elektrischen Fahrzeugen im Straßenverkehr und schafft eine Rechtsgrundlage für deren besondere Kennzeichnung. Städte und Gemeinden können künftig entscheiden, wie sie Elektroautos ganz konkret begünstigen wollen. Wir eröffnen also zusätzliche Chancen – wir schaffen keine Pflichten. Ob und wie von den Möglichkeiten -Gebrauch gemacht wird, wird vor Ort abgewogen. Das Gesetz definiert, welche Fahrzeuge von den -Bevorrechtigungen Gebrauch machen dürfen: Dies sind, neben reinen Batterie-Elektrofahrzeugen, auch Brennstoffzellenfahrzeuge. Es sollen aber auch die sogenannten Plug-in-Hybride privilegiert werden – und zwar jene, die einen tatsächlichen Umweltvorteil aufweisen. Hybridfahrzeuge dürfen daher nur dann Privilegien nutzen, wenn ihr CO2--Ausstoß höchsten 50 Gramm pro Kilometer beträgt oder wenn sie über eine rein elektrische Reichweite von 30 bzw. ab 2018 dann 40 km verfügen. Das Gesetz schafft außerdem die Voraussetzung zur Kennzeichnung von Elektrofahrzeugen. Es ist vorgesehen, dass die Kennzeichnung mittels eines „E-Kennzeichens“ an Vorder- und Heckseite erfolgt. Dadurch können Behörden und Verkehrsteilnehmer auf den ersten Blick sehen, dass ein bestimmtes Fahrzeug Privilegierung in Anspruch nehmen darf. Dies wird auch zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung führen. Mit dem EmoG I schaffen wir die Möglichkeit, besondere Parkplätze zum Beispiel in verkehrsgünstigen Lagen – zum Beispiel Innenstädte, Einkaufsstraßen – mit oder ohne Zugang zur Ladeinfrastruktur nur für Elektrofahrzeuge zu reservieren. Darüber hinaus sollen die -Länder die Möglichkeit erhalten, Ermäßigungen oder Befreiungen von Parkgebühren für Elektrofahrzeuge vorzusehen. Ferner können Zufahrtbeschränkungen, die aus Lärmschutzgründen sowie zum Zwecke der Luftreinhaltung angeordnet worden sind, für Elektrofahrzeuge aufgehoben werden. Ich denke hier etwa an Luftkurorte, Erholungsgebiete oder Wohngebiete. Ich sehe aber auch gute Perspektiven für Post und -Paketzusteller, also Kleintransporte. Im Rahmen der Modellregionen und Schaufenster hat das BMVI eine Reihe von Forschungsprojekten zum E-Wirtschafts-verkehr und zur City-Logistik umgesetzt. Ziel ist ein größerer Einsatz von elektrischen Lieferfahrzeugen. Vor allem bei geringeren Geschwindigkeiten kommt der wesentlich leisere Antrieb dort voll zur Geltung. Die lokale Emissionsfreiheit kann besonders für die Anwohner in hochverdichteten Innenstadtquartieren oder Erholungsgebieten zu erheblichen Verbesserungen führen. Wir verschaffen den Straßenverkehrsbehörden die Möglichkeit, in diesen Bereichen Ausnahmen für Elek-trofahrzeuge zu treffen. Ein weiterer Punkt ist die Möglichkeit der Freigabe von Busspuren für Elektrofahrzeuge. Mir ist wichtig, an dieser Stelle zu betonen, dass wir Chancen eröffnen. Die konkrete Entscheidung einer Freigabe von Busspuren kann nur durch die zuständigen Behörden vor Ort erfolgen. So ist sichergestellt, dass nur dort Busspuren geöffnet werden, wo dies im Einzelfall sinnvoll ist. Die Gewährleistung eines sicheren und flüssigen allgemeinen Verkehrsablaufs hat stets Vorrang. Mit unserer Gesetzgebung erweitern wir also den Handlungsrahmen. Ob und wie er ausgefüllt wird, -welche Bevorrechtigungen wo eingeführt werden, entscheiden die zuständigen Behörden vor Ort. Das ist auch sinnvoll. Das heute vorliegende Gesetz ist ein weiterer wichtiger Schritt zur Förderung von Elektromobilität. Wir alle räumen dieser Technologie hohe Priorität ein, denn Elektromobilität ist auch ein entscheidender Innovationstreiber. Jeder Schritt, der Elektromobilität für die Nutzer attraktiver macht, ist ein Schritt in eine nachhaltigere automobile Zukunft. Wir haben in Deutschland nahezu alle notwendigen Technologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Diese erheblichen Potenziale der deutschen Industrie müssen jetzt in höhere Marktanteile umgesetzt -werden. Preis und Reichweite, das heißt besonders die Batterietechnik der Fahrzeuge, spielen dabei für den Kunden eine maßgebliche Rolle. Daher müssen auch diese Parameter optimiert werden, um den Umstieg auf Elektrofahrzeuge für Kunden noch attraktiver zu gestalten. Mit dem Elektromobilitätsgesetz I ist ein wichtiger Schritt gelungen, dem weitere folgen werden. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Iguala ist kein Einzelfall – Zur Menschenrechtslage in Mexiko – Menschenrechte in Mexiko schützen, Verhandlungen zum Sicherheitsabkommen aussetzen – Sicherheitsabkommen brauchen Standards (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): „Iguala ist kein Einzelfall“. Diese Aussage ist leider ebenso traurig wie sie wahr ist. Die Sicherheitslage in Mexiko ist besorgniserregend, und das schon seit vielen Jahren. Der Wechsel im Präsidentenamt von Calderón zu Nieto hat keine grundlegenden Verbesserungen mit sich gebracht. Die Politik scheint machtlos im Kampf gegen die Drogenbanden zu sein. Bewaffnete Auseinandersetzungen der Kartelle um die Kontrolle der Drogenmärkte sind weiterhin an der Tagesordnung. Die allermeisten Straftaten werden nicht aufgeklärt, und die staatlichen Organe – Militär, Polizei, Justiz und Verwaltung – scheinen auf allen Ebenen tief in diese Gewaltspirale verstrickt zu sein. Es wird gefoltert, es wird gemordet und die Täter werden nicht zur Rechenschaft gezogen. Zwar gibt es immer wieder hoffnungsvolle Initiativen und Maßnahmen zur Festigung des Rechtsstaats und zur Drogenbekämpfung, aber weder die enge Zusammenarbeit mit den USA in Form von gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialprogrammen noch die Einrichtung von Sonderstaatsanwaltschaften zur Verfolgung der Drogenkriminalität oder gar der Einsatz des Militärs haben die gewünschte Wirkung gezeigt. Mexiko hat wichtige internationale Instrumente zum Schutz der Menschenrechte zwar ratifiziert und in nationales Recht umgesetzt, aber das Land scheint trotzdem immer mehr in einem Strudel von Gewalt, Straflosigkeit, Kriminalität und Brutalität zu versinken. 98 Prozent aller Straftaten bleiben ungesühnt. Gerichtsverfahren laufen nicht objektiv und gerecht ab, Missbräuche werden nicht geahndet, Folter ist an der Tagesordnung. Tausende Lokalpolitiker haben sich aus Gier oder aus Angst um ihr Leben mit Mördern und Entführern eingelassen. Das ganze politische System ist korrupt. Ich gehe davon aus, dass die Analyse der sicherheitspolitischen Lage in Mexiko unter uns nicht strittig ist. Angesichts dieser Lage müssen wir uns als Deutscher Bundestag aber die Frage stellen, welche Schlüsse wir für die bilaterale Zusammenarbeit ziehen und welche Forderungen wir an Mexikos Regierung stellen. Was die Tragödie von Iguala betrifft, so müssen wir eine umfassende Untersuchung verlangen, die internationalen rechtstaatlichen Standards entspricht. Der Respekt vor den Opfern verbietet jegliche Art von politischem oder administrativem Versteckspiel. Dies muss der mexikanischen Seite unmissverständlich klar gemacht werden. Es reicht nicht, dass der Bürgermeister von Iguala in Haft ist, der Gouverneur des Bundesstaates Guerrero zurückgetreten ist und Experten der Universität Innsbruck auf Antrag der Staatsanwaltschaft Müllsäcke mit Asche und Knochenresten untersuchen, bei denen man vermutet, dass es sich um die 43 verschleppten Studenten handelt. Wir verlangen eine umfassende Aufklärung dieses Verbrechens und entsprechende Konsequenzen. Mexiko darf weder von Europa noch von Deutschland alleine gelassen werden. Die Verhandlungen über ein Sicherheitsabkommen müssen fortgesetzt werden. Eine Vereinbarung über den Erfahrungsaustausch beim Rauschgifthandel und bei der Bekämpfung grenzüberschreitender organisierter Kriminalität ist sinnvoll. Allerdings müssen wir Bedingungen stellen, die von mexikanischer Seite erfüllt werden müssen. Dabei muss die Frage geklärt werden, welche Rolle Militär und Bundespolizei im Fall von Iguala gespielt haben. Es muss zugesichert werden, dass Menschenrechtsverteidiger geschützt werden. Es muss gegenüber der mexikanischen Regierung deutlich gemacht werden, dass Korruption und Straflosigkeit auf allen Ebenen bekämpft werden müssen. Aber es darf nicht bei bloßen Zusicherungen bleiben. Vielmehr müssen Erfolge nachgewiesen werden, bevor das Sicherheitsabkommen unterschrieben wird. Und es müssen die Menschenrechtsorganisationen in die Erarbeitung der Vereinbarung einbezogen werden. Ihre Forderungen und Vorschläge müssen Berücksichtigung finden. Wir möchten Mexiko helfen und es nicht sich alleine überlassen. Aus diesem Grunde können wir der Forderung, kein Sicherheitsabkommen abzuschließen, nicht zustimmen. Frank Schwabe (SPD): Bereits vor ein paar Wochen habe ich mich in meiner Funktion als menschenrechts-politischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und weitere Abgeordnete mit Abel Barrera Hernández hier in Berlin getroffen. Abel Barrera Hernández ist ein renommierter Menschenrechtsaktivist der Organisation Tlachinollan im Bundesstaat Guerrero in Mexiko. Seit über 20 Jahren setzt er sich für die Rechte der extrem armen, marginalisierten, zumeist indigenen Bevölkerungsteile ein. Eigentlich Priester und Anthropologe, fungiert er als ihr Anwalt – national sowie international. Seit Ende September ist er auch der Anwalt der Familien der 7 toten und 42 verschwundenen Studenten aus Iguala. In der Nacht vom 26. auf den 27. September 2014 hatten ihre Söhne gemeinsam mit weiteren Studenten der Universität „Raúl Isidrio Burgos“ in Ayotzinapa drei Busse gekapert, um in ihnen nach Mexiko-Stadt zu fahren. Dort wollten sie in Gedenken an das Massaker von Tlateloco 1968 demonstrieren. Wie wir alle wissen, sind diese drei Busse nie in der Hauptstadt angekommen. Sie wurden von der Polizei Iguala unter Beschuss genommen. Drei Studierende kamen bei dieser Schießerei direkt vor Ort ums Leben. Der weitere Vorgang dieser Nacht ist nicht klar nachzuvollziehen, da verschiedene Quellen unterschiedliche Angaben machen. Vermutlich wurden die Studenten von der Polizei eingekesselt, abgeführt und an die kriminelle Bande „Guerreros Unidos“ – Vereinigte Kämpfer – die in Verbindung zum örtlichen Drogenkartell stehen, übergeben und von diesen ermordet. All dies soll auf Geheiß des örtlichen Bürgermeisters José Luis Abarca und seiner Frau geschehen sein, durch politische Funktionäre also, die enge Verbindungen zur organisierten Kriminalität unterhalten haben sollen. Fakt ist: Seit dieser Nacht werden noch immer 42 Studenten vermisst. Nur das Schicksal eines der Vermissten ist bereits bekannt: Er wurde ermordet und verbrannt auf der Müllkippe von Cocula aufgefunden. Weitere 28 Leichen aus geheimen Massengräbern konnten nicht als die vermissten Studenten identifiziert werden. Die Angehörigen Familien der Opfer leben derzeit in der Escuela Normal in Ayotzinapa, dort, wo ihre Söhne lernten, betreut von Abel Barrera und seiner Organisation Tlachinollan. Sie haben noch Hoffnung, sie drängen auf Aufklärung. Doch die Aufklärung verläuft schleppend und diffus. Nach Angaben der mexikanischen Regierung wurden zwar bislang 51 Menschen, die mit den Verbrechen in Verbindung stehen, festgenommen; die meisten davon sind Polizeibeamte aus den Gemeinden Iguala und -Colcula. Auch der Bürgermeister Igualas und seine Frau sind mittlerweile festgenommen worden – nachdem sie fünf Wochen lang auf der Flucht waren. Von den vermissten Studenten fehlt jedoch auch fast zwei Monate nach dem Vorfall jede Spur. Am 7. November 2014 präsentierte der Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam darüber hinaus drei Geständige: junge Mitglieder der „Guerreros Unidos“, die zu Protokoll gaben, dass die Studenten von Kriminellen getötet und verbrannt worden seien. Die Staatsanwaltschaft hat hierfür jedoch noch immer keine Beweise vorgelegt. Überwiegende Teile der mexikanischen Bevölkerung stellen sich daher die Frage: Warum sollten ausgerechnet diese Aussagen stimmen? Nach Ansicht von Abel -Barrera wollen die Strafverfolger durch die Präsentation der Aussagen dreier krimineller Jugendlicher die Aufmerksamkeit auf die organisierte Kriminalität lenken – weit weg von den Polizeikräften und staatlichen Angestellten. Denn: Andere Zeugen schildern, dass die Polizeikräfte in die Ermordung verwickelt gewesen seien. Der Fall der 42 vermissten Studenten in Iguala illus-triert einmal mehr auf schockierende Weise die Unterwanderung von Teilen der staatlichen Institutionen durch die organisierte Kriminalität, die De-facto-Allianz mit der Mafia auf allen Ebenen – lokal, föderal und leider zum Teil auch der bundesstaatlichen Ebene. Er reiht sich ein in eine Serie von Gewalttaten, maßgeblich verübt durch Polizei- und Militärkräfte – gedeckt durch die Politik. Im Juni 2014 hatte die Polizei in der Ortschaft Tlatlaya im Bundestaat México 22 Jugendliche erschossen. Laut den involvierten Polizeibeamten handelte es sich um Kriminelle – laut Augenzeugenberichten um extralegale Tötungen. Auch der Bürgermeister Igualas, José Luis Abarca, war den Behörden einschlägig bekannt: Ihm wird vorgeworfen, im Jahr 2013 drei Oppositionelle gefoltert und getötet zu haben. Auch wussten die Behörden, dass seine Frau mit den „Guerreros Unidos“ in Verbindung stand, dass in Iguala viele Menschen hingerichtet wurden. Anzeichen dafür waren die vielen bekannten Massengräber in Iguala und Umgebung. Ermittelt wurde gegen sie nie. Auch die Bundesregierung hat sich in keinen dieser Fälle eingeschaltet. Der Fall Iguala ist auch symptomatisch für die generell vernichtende Menschenrechtslage in Mexiko. Der seit dem Jahr 2006 herrschende „Guerra contra el Narco“, ausgerufen von Felipe Calderón, hat bislang zahlreiche zivile Opfer gefordert: Die offiziellen Angaben liegen bei 70 000 Toten und 26 000 Verschwundenen. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein. Das undurchsichtige Geflecht aus korrupten Polizeibeamten, lokalen Politikern und der Mafia führt dazu, dass die Täter zumeist nie gefunden, geschweige denn zur Rechenschaft gezogen werden. Die mexikanische Menschenrechtskommission meldete 2013 einen Anstieg der Anzeigen wegen Folter und Misshandlungen um 600 Prozent seit dem Jahr 2003. Mexiko ist Unterzeichnerstaat der internationalen UN-Konvention gegen Folter und hat die Konvention bereits 1985 ratifiziert. Im eigenen Land scheint unter den Behörden allerdings eine Toleranz gegenüber Folter zu herrschen: Insgesamt wurden bislang nur sieben Personen in Mexiko wegen Folter von Bundesgerichten verurteilt. Auch im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist eine alarmierende Entwicklung zu beobachten. Mehrere mexikanische Bundesstaaten haben in diesem Jahr sogenannte Gesetze „zum Schutz der Menschenrechte und der legitimen Nutzung staatlicher Gewalt durch Einheiten der bundesstaatlichen Polizeieinheiten“ erlassen. Sie regeln die Voraussetzungen für die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen sowie den Einsatz von Schusswaffen. Da bereits die Äußerung von Kampfparolen als Gewaltbereitschaft eingestuft werden kann, erleichtern sie de facto den Einsatz von Polizeigewalt und schränken so die Versammlungs- und Meinungsfreiheit der Mexikaner extrem ein. Dies wurde auch bei den landesweiten Massenprotesten nach den Vorfällen in Iguala deutlich. Die Demonstranten werden kriminalisiert; laut Präsident Enrique Pena Nieto gefährden sie die Stabilität des Landes. Am 20. November wurden elf Demonstranten willkürlich festgenommen und in ein Hochsicherheitsgefängnis nach Veracruz im Westen des Landes gebracht. Ihnen wurden Mord und Aufruhr vorgeworfen. Sie hatten keinen Kontakt zu ihren Familien, auch Anwälte wurden ihnen zunächst nicht gewährt. Nach Angaben von Rechtsbeiständen wiesen die Demonstranten im Gefängnis Spuren von Misshandlung auf. Dem Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen und Gewalt steht das gleiche Ausmaß an Straflosigkeit gegenüber: Lediglich 2 Prozent aller Delikte werden letztendlich verurteilt. 90 Prozent der begangenen Verbrechen werden nicht juristisch verfolgt. Viele Urteile, die ausgesprochen werden, sind Fehlurteile. Gemeinsam mit den Angehörigen der 42 Studenten, mit Abel Barrera Hernández, mit den Tausenden Demonstranten, die seit Wochen immer wieder auf die Straße gehen und Recht und Gerechtigkeit fordern, sowie gemeinsam mit der EU und der UN, fordere ich die grundlegende und transparente Aufklärung der Ent-führung der 43 Studenten aus Iguala. Es fehlen noch immer 42! Langfristig muss die mexikanische Regierung jedoch nicht nur diesen Fall zu einem Abschluss bringen. Damit Fälle wie Iguala in Zukunft verhindert werden, muss sie vor allem die Korruption, die enge Verquickung zwischen staatlichen Einrichtungen und kriminellen Strukturen sowie die weitverbreitete Straflosigkeit bekämpfen. Nur wenn dies gelingt, kann die Achtung und Verteidigung der Menschenrechte aller Mexikaner gewährleistet werden. Solange dies noch nicht der Fall ist, sollte der Bundestag darauf drängen, dass einige bilaterale Übereinkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mexiko sowie multilaterale zwischen der EU und Mexiko auf den Prüfstand gestellt werden. Darunter fällt beispielsweise das geplante deutsch-mexikanische Sicherheitsabkommen. In seiner jetzigen inhaltlichen Form wird es unter den derzeitigen Bedingungen kaum der „Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von erheblicher Bedeutung“ – wie es im Vertragstext heißt – in Mexiko dienen. Diese Überlegung betrifft auch die Neuaushandlungen des Globalabkommens zwischen der EU und Mexiko. In dem neu aufgelegten Vertragswerk sollte der Menschenrechtsklausel und vor allem auch ihrer Nichteinhaltung deutlich mehr Bedeutung beigemessen werden. So weit zu den Forderungen, die sich aus unserer Perspektive leicht formulieren lassen. Wir dürfen allerdings nicht vergessen: Das Problem ist die Lösung des Pro-blems, wie die mexikanische Zeitung La Jornada es ausdrückt. Die schwachen Institutionen, die Gebiete und Bundesstaaten, wie beispielsweise Guerrero, in denen der Staat de facto nicht mehr existiert, nicht durchgreifen kann, die die jetzige Situation begünstigen, sind gleichzeitig hohe Hürden bei der Bekämpfung der Gewalt und Straflosigkeit, die der mexikanische Staat allein nicht bewältigen können wird. Die Bundesrepublik Deutschland sowie die EU sollten daher nicht nur mahnen, sondern, wo möglich, sinnvoll bei dem Aufbau von starken Institutionen unterstützen. Hier wäre zum Beispiel ein gut formuliertes Sicherheitsabkommen, in dem es nicht nur um technischen Austausch geht, eine Möglichkeit. Auch sollten vielleicht die generellen Paradigmen der Drogenpolitik – auch der EU und der Bundesrepublik Deutschland – überdacht werden. Denn Mexiko, Kolumbien und andere lateinamerikanische Staaten zeigen, dass die derzeitigen Prinzipien kaum erfolgreich sind. Vor allem aber kann jede Einzelne und jeder Einzelne von uns helfen. Auch wenn der Staatsanwalt Murillo -Karam sagt „Ya me cansé“ – Ich bin es leid –, die Menschen sind es trotz der widrigen Bedingungen noch nicht. Nicht nur in den letzten Wochen gehen die Leute als Reaktion auf die Vorfälle in Iguala auf die Straßen; seit Jahren kämpfen Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten wie Abel Barrera oder Anita Ancheita sowie zivilgesellschaftliche Kräfte gegen die Regierung und staatliche Einrichtungen für die Rechte der mexikanischen Bevölkerung. Jeder von uns kann diesen Kampf unterstützen, auch durch das Programm des Bundestages „Parlamentarier schützen Parlamentarier“. Durch die Übernahme -einer Patenschaft kann jeder von uns helfen, Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger vor Repressionen zu schützen und ihnen so den Rücken zu stärken. Zeigen wir uns nicht nur kritisch, sondern auch solidarisch mit der mexikanischen Bevölkerung und helfen, den mexikanischen Staat von unten zu stärken. Heike Hänsel (DIE LINKE): Mexiko befindet sich seit Bekanntwerden der 43 verschwundenen Studenten von Ayotzinapa im Ausnahmezustand. Diese Studenten wurden von der Polizei des Bundesstaates Guerrero festgenommen und nach eigenen Angaben einer kriminellen Bande übergeben, die diese getötet und verbrannt haben soll. Seitdem finden fast täglich Demonstrationen und Proteste statt, die sich gegen diese Gewalt des Staates richten und eine umfassende Aufklärung fordern. Ich selbst bin vor wenigen Wochen nach Ayotzinapa gefahren und habe mit den Angehörigen der verschwundenen Studenten gesprochen, die verzweifelt sind und kein Vertrauen in die staatlichen Ermittlungen haben, die eher vertuschen als ernsthafte Aufklärung betreiben. Sie fordern internationale Hilfe bei der Aufklärung und Schutz, denn sie fühlen sich selbst mittlerweile durch Aussagen der Regierung kriminalisiert. Die mexikanische Regierung und die Staatsanwaltschaft, mit der ich ebenfalls gesprochen habe, wollen diesen Fall als lokales Problem korrupter Polizeieinheiten darstellen. Dabei sagen alle Menschenrechtsorganisationen in Mexiko, dass auch die Bundesebene verantwortlich ist; so waren auch Bundespolizei und Armee vor Ort und haben nicht eingegriffen bzw. haben sogar ebenfalls die Studenten bedroht. Ayotzinapa ist nämlich nur die Spitze des Eisbergs brutaler Menschenrechtsverletzungen in Mexiko. Die offizielle Zahl gewaltsam Verschwundener liegt bei 26 000 Menschen, und zwischen 50 000 bis 70 000 Menschen wurden seit 2006 ermordet. Die Straflosigkeit liegt bei 98 Prozent. Angesichts dieser Zahlen kann man nicht davon sprechen, dass es ein Interesse der bisherigen Regierungen gab, Aufklärung zu betreiben, im Gegenteil, diese Gewalt dient auch dazu, Ausbeutung, Vertreibung etc. in den ländlichen Regionen zu zementieren. Denn in Mexiko ist seit Abschluss zahlreicher neoliberaler Freihandelsabkommen, unter anderem von NAFTA, die Armutsquote von 45 auf 51 Prozent gestiegen, die allgemeine soziale Unsicherheit angestiegen, die auch zur Entwicklung dieser Gewaltstrukturen, Bandenbildung beigetragen hat. Die Gewalt in Mexiko richtet sich mittlerweile gezielt gegen MenschenrechtsverteidigerInnen, kritische Journalistinnen und Journalisten, soziale Bewegungen etc. und erhält somit auch das neoliberale Regime aufrecht. Angesichts der Tatsache dieser systematischen, jahrelangen Menschenrechtsverletzungen ist es eine Schande, dass die Bundesregierung sich mit Kritik an der mexikanischen Regierung derart zurückhält. Mexiko ist strategischer Partner, das heißt nichts anderes als: Es geht hier um deutsche Wirtschaftsinteressen statt Menschenrechte. Nun gibt es aktuell neue Informationen zu den Geschehnissen. Nach einem Bericht der mexikanischen Zeitung Proceso waren die Bundespolizei und der mexikanische Geheimdienst an jenem 26. September zu jeder Zeit informiert, was mit den Studenten passiert. Das sagt ein interner Bericht des Innenministeriums. Wenn sich dies bestätigt, dann ist das besonders brisant, denn die Bundesregierung plant ja ein Sicherheitsabkommen ausgerechnet mit dieser Bundespolizei. Alle Menschenrechtsorganisationen fordern den Stopp der Verhandlungen über diese bilaterale Sicherheitsabkommen zwischen deutscher und mexikanischer Polizei, denn zu diesem Zeitpunkt würde dies nur der Unterstützung und Legitimation der korrupten Polizei dienen. Dieser Forderung schließen wir uns an. Setzen Sie die Verhandlungen zu dem geplanten Sicherheitsabkommen aus. Zudem sind die Verhandlungen über dieses Abkommen völlig intransparent. Deshalb fordern wir als ersten Schritt, den Text zu veröffentlichen und die Parlamente beider Länder sowie Menschenrechtsorganisationen zu beteiligen. Dieses Abkommen darf nicht durch den möglichen Austausch von Personendaten zu weiteren Menschenrechtsverletzungen beitragen. Auch sehen wir das Bemühen des Wirtschaftsministeriums in Zusammenarbeit mit der deutsch-mexikanischen Handelskammer CAMEXA, den wachsenden Markt für Sicherheitstechnologie in Mexiko zu erschließen, mit Befremden. Hier wird aus dem allgemeinen Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes Kapital geschlagen, statt ernsthafte Aufklärung einzufordern. Zivil-militärische Sicherheitstechnologie ist kein Ersatz für Rechtsstaatlichkeit und Kampf gegen Straflosigkeit und Korruption, im Gegenteil. Und wir fordern einen Stopp sämtlicher Rüstungs-exporte nach Mexiko. Es waren bereits in den letzten Jahren durch genehmigte Rüstungsexporte der Firma -Heckler & Koch Waffen auch in den Bundesstaat -Guerrero gelangt. Bereits letztes Jahr wurden dort zwei Studenten von Ayptzinapa durch G36-Gewehre ermordet. Nun wurden erneut im Zusammenhang mit dem Verschwindenlassen der 43 Studenten G36-Gewehre bei den örtlichen Sicherheitskräften beschlagnahmt, die in das Verbrechen verwickelt sein sollen. Die Bundes-regierung trägt hier eine Mitverantwortung durch die Genehmigungen an Heckler & Koch. Wir setzen uns ein für den umfassenden Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern, gegen die Kriminalisierung der Proteste und Demonstrantinnen und Demonstranten und für eine umfassende Aufklärung dieser Verbrechen von Ayotzinapa. Die Bundesregierung und die EU können nach -Ayotzinapa nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Dafür werden wir uns weiterhin einsetzen. Die mexikanische Bevölkerung braucht unsere Solidarität in ihrem Kampf um soziale Rechte und Menschenrechte, Ayotzinapa somos todos – Ayotzinapa sind wir alle! Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): War Deutschland und die deutsche Außenpolitik beteiligt, als die mexikanische Polizei am 26. September drei Busse mit Studentinnen und Studenten stoppte, 6 Menschen erschoss und 41 entführte? Die mexikanische Polizei sowohl in der Stadt Iguala als auch im Bundesstaat Guerrero setzt Gewehre der Marke Heckler & Koch ein. Sie werden seit 2006 mit Genehmigung der Bundesregierung nach Mexiko exportiert. Allerdings dürfen diese Gewehre – das ist kein Witz! – nicht in allen mexikanischen Bundesstaaten eingesetzt werden. Bei 36 dieser Gewehre besteht trotzdem der Verdacht, dass sie von der örtlichen Polizei bei dem Überfall auf die Studentinnen eingesetzt wurden. Aber das überprüft niemand. So funktioniert deutsche Rüstungskontrollpolitik. Wenn dann das mexikanische Fernsehen in Deutschland nachfragt, kann das Bundeswirtschaftsministerium wegen eines laufenden Verfahrens nicht Stellung nehmen. Das ist deutsche Außenpolitik. Deutschland mischt überall irgendwie mit, wurschtelt überall herum – ohne Plan und ohne Konzept. Dabei ist es genau das, was fehlt: ein Plan – und was noch dringender fehlt, ist die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Seit nunmehr drei Jahren verhandelt Deutschland mit Mexiko über eine weiter gehende Zusammenarbeit im Rahmen eines „Sicherheitsabkommens“. Wenn man Frau Staatsministerin Böhmer folgt, hilft das, den Kampf gegen die organisierte Kriminalität erfolgreicher zu führen. Der Massenmord an den oppositionellen Studentinnen und Studenten hat nach ihrer Meinung mit der mexikanischen Bundespolizei, mit der Deutschland zusammenarbeiten will, nichts zu tun. Allerdings behauptet ein Rechercheteam US-amerikanischer und mexikanischer Experten das Gegenteil. Nach deren Recherchen war die Bundespolizei vor Ort und war vielleicht sogar eine treibende Kraft hinter der Aktion. Wir als Opposition werden dazu natürlich die Bundesregierung befragen. Wenn wir Glück haben, werden wir zur Antwort bekommen, was wir jetzt schon wissen: Zum Beispiel hat die deutsche Polizei im Mai 2014 einen Lehrgang über „Techniken und Methoden im -Polizeieinsatz“ für die mexikanische Bundespolizei PFM durchgeführt. Das ist eine Einheit, die 2001 gegründet wurde, um den Kampf gegen den Drogenhandel zu führen. Die Frage ist, was das für „Techniken und Methoden“ sind und was daraus wird, wenn sie in -Mexiko eingesetzt werden. Weiß die Bundesregierung, weiß irgendjemand in diesem Haus, was die Deutschen wirklich tun, wenn sie in Mexiko herumstolpern? Manche Expertinnen und Experten vermuten, es gehe darum, sogenannte deutsche Sicherheitstechnik zu verkaufen. Hat Deutschland das wirklich nötig? Im letzten Jahr bereits haben wir Grünen beantragt, die Verhandlungen über das Sicherheitsabkommen auf die Stärkung der Menschenrechte in Mexiko zu konzentrieren. Die damalige CDU/CSU-und-FDP-Mehrheit hatte den Antrag abgelehnt. Dabei ist Mexiko ein Ort, an dem man den Zusammenhang von Menschenrechten und Sicherheit geradezu idealtypisch studieren kann. Der sogenannte „Krieg gegen Drogen“ hat seit 2006 auf Druck der USA die mexikanische Sicherheitspolitik verändert. Die Radikalisierung der Prohibition hat – wie schon im Chicago der 20er-Jahre – dazu geführt, dass die Drogenkartelle immer reicher geworden sind und die Polizei- und Militäreinheiten bis in die Führungsebenen unterwandert haben. Im Ergebnis wurden die rechtsstaatlichen Institutionen zerstört. Menschenrechte gelten fast nichts mehr. Nach einem aktuellen Amnesty-Bericht wird systematisch gefoltert. Trotzdem – oder besser deshalb – wurde seit 2006 die unglaubliche Zahl von etwa 100 000 Menschen ermordet – und nur wenige tausend dieser Morde wurden aufgeklärt. Jeder, der sich damit beschäftigt hat, weiß, dass der Krieg gegen Drogen gescheitert ist. Anstatt auf modernere Formen eines medizinisch vernünftigen Umgangs mit der Drogenabhängigkeit zu setzen und die Drogenmärkte weniger lukrativ zu machen, wird Drogenpolitik als Krieg inszeniert. Das Ergebnis ist, dass die rechtsstaatliche Grundlage in schwächeren Staaten zerstört wird und die Kartelle Milliarden verdienen. Bei einer solchen Politik im fernen Mexiko mitzumischen, kann aus Sicht der deutschen Außenpolitik doch nicht vernünftig sein. Die deutsche Sicherheitspolitik muss stattdessen die Menschenrechte ins Zentrum stellen. Nur ist davon nicht die Rede, eher vom Gegenteil. Hat die deutsche Polizei wirklich die Absicht, die Daten deutscher oder mexikanischer Bürgerinnen und Bürger mit Institutionen auszutauschen, von denen wir nicht wissen, auf welcher Seite sie stehen? Auch das Parlament erfährt erst auf wiederholte Nachfrage, wenn überhaupt, was genau bei dem Sicherheitsabkommen verhandelt wird. Die Bundesregierung hat inzwischen mit 24 Staaten, unter anderem China, Russland und Saudi-Arabien Sicherheitsabkommen geschlossen, mit zwölf weiteren Ländern, zum Beispiel Ägypten, Tunesien und Oman, verhandelt sie momentan über ein solches Abkommen. Was im Rahmen der -Zusammenarbeit passiert, wird nicht überprüft, nicht evaluiert. Deshalb haben wir Grünen beantragt, dass die Verhandlungen über das Sicherheitsabkommen mit Mexiko ausgesetzt werden und dass Sicherheitsabkommen generell menschenrechtlichen Standards unterworfen sein müssen. Ich fasse zusammen: Welche Strategie die deutsche Außenpolitik in Mexiko und im Übrigen auch sonst wo verfolgt, ist auf peinliche Weise unklar. Was deutsche Polizistinnen und Polizisten dort tun und mit wem sie zusammenarbeiten, weckt ungute Verdächte. Die Alternative wäre, Mexiko bei der Wiederherstellung des Rechtsstaates, das heißt bei der Bewältigung der humanitären und Menschenrechtskatstrophe, zu helfen, die durch den sogenannten Drogenkrieg entstanden ist. Deutschland soll mehr außenpolitische Verantwortung übernehmen, ja – das ist das Stichwort vom Anfang dieses Jahres. Damit kann man überall anfangen, auch in Mexiko. Unter den Ländern, mit denen Deutschland bereits -Sicherheitsabkommen geschlossen hat und derzeit verhandelt, ist Mexiko nicht das einzige, in dem der Staat in die systematische Verletzung von Menschenrechten verwickelt ist. Trotzdem enthalten Sicherheitsabkommen bisher keinerlei Anforderungen oder Bedingungen im Hinblick auf Menschenrechte oder rechtsstaatliche Prinzipien. Ich frage mich: Warum eigentlich nicht? Es ist doch auch der Bundesregierung nicht unbekannt, wie es um Menschenrechte und Rechtsstaat in einzelnen Ländern steht. Die Bundesregierung selbst beschreibt es als eine ihrer vordringlichen Aufgaben, Menschenrechte zu schützen und für ihre Achtung weltweit einzutreten. Im Rahmen von Sicherheitsabkommen hätte sie doch eine konkrete Möglichkeit, diese Aufgabe umzusetzen. Sonst sind sogenannte Sicherheitsabkommen doch nicht mehr als Türöffner für den Absatz deutscher Sicherheitstechnologie und Waffen. Dr. Maria Böhmer (Staatsministerin AA): Lassen Sie mich persönlich beginnen: Seit meinem Besuch in Mexiko Ende Oktober verfolge ich die Menschenrechtslage in dem Land mit besonderer Aufmerksamkeit. Das Verschwinden von 43 Studenten in der Stadt Iguala ist ein Skandal für den mexikanischen Staat und die mexikanische Gesellschaft. In den Fall sind Polizei, Politiker und Drogenkartelle verwickelt. Teile der staatlichen Ordnung sind von Korruption und kriminellen Interessen unterwandert. Die Grundfesten des Staates sind erschüttert. Iguala ist eine Tragödie für die Familien der Vermissten. Sie haben immer noch keinen Platz, an dem sie trauern können. Die Untersuchungen dauern noch an. In einem Fall haben wir aber die traurige Gewissheit, dass ein Student verbrannt worden ist. Die zügige Aufklärung dieser abscheulichen Taten muss oberste Priorität haben. Ich habe mit zahlreichen Menschenrechtsaktivisten und einem Kommilitonen der verschwundenen Studenten gesprochen – die Eindrücke haben mich außerordentlich bewegt. Iguala ist leider kein Einzelfall. Die Menschenrechtsaktivisten sprachen von der Spitze des Eisbergs. Ich habe in den zahlreichen Kommentaren, die ich in den vergangenen Wochen zur Lage in Mexiko vernommen habe, Enttäuschung gespürt und Fassungslosigkeit. Welche Schlüsse ziehen wir daraus? Wie können wir zur Verbesserung der Lage beitragen? Es gilt, die reformwilligen Kräfte zu unterstützen! Wir müssen fordern und helfen! Iguala hat erneut gezeigt, dass eine Reform des Rechtsstaates überfällig ist. Ich habe gegenüber dem mexikanischen Staatssekretär für Menschenrechte bei meinem Besuch in Mexiko und auch kürzlich bei seinem Besuch in Berlin deutlich gemacht, dass wir in diesem Bereich entschiedenes Vorgehen, vor allem aber wirkliche Fortschritte erwarten. Die Probleme des mexikanischen Rechtsstaates sind nicht neu. Wenn nur zwei Prozent aller Delikte zu einer Verurteilung führen und 90 Prozent der Verbrechen erst gar nicht verfolgt werden, besteht großer Handlungsbedarf. Von der Verknüpfung von Kartellen und lokalen Polizeikräften sind mehrere Provinzen betroffen. Jetzt kommt es darauf an, dass die Maßnahmen zur Reform des Sicherheitsapparats, die Präsident Pena -Nieto in Aussicht gestellt hat, schnellstmöglich beschlossen und wirksam umgesetzt werden. Daran wird sich die Regierung messen lassen müssen. Ich fordere den Präsidenten, die Regierung und das Parlament auf, umgehend die notwendigen Schritte einzuleiten. Es ist wichtig und unverzichtbar, dass in Mexiko eine schonungslose Analyse durch die Medien stattfindet, dass Iguala eine noch nie dagewesene öffentliche Empörung und Mobilisierung der Zivilgesellschaft ausgelöst hat, und dass sich die mexikanische Regierung dieser Kritik jetzt stellt. Es wird ein langer, schwieriger Weg sein. Und es wird Rückschläge geben. Mexiko ist ein Land, das in den vergangenen Jahrzehnten im wirtschaftlichen Bereich die Fähigkeit zu Veränderungen bewiesen hat. Die Bundesregierung verhandelt seit einiger Zeit ein Sicherheitsabkommen mit Mexiko. Es geht um Zusammenarbeit bei der Bekämpfung, Verhütung und Aufklärung schwerer Straftaten der organisierten Kriminalität. Das Abkommen soll den Rechtsstaat stärken und somit auch die Menschenrechtslage in Mexiko verbessern helfen. Aufgrund der jüngsten Ereignisse wurden jedoch Bedenken gegen ein solches Abkommen laut. Diese Bedenken nehmen wir sehr ernst. Die Bundesregierung wird die Verhandlungen verantwortungsvoll führen, um ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen. Darüber hinaus gilt es, gezielt zu helfen. Die Bundesregierung ist bereit, Mexiko bei der notwendigen Stärkung des Rechtsstaates auch ganz konkret zu unterstützen. Wir haben daher der mexikanischen Regierung Unterstützung bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen angeboten. In einem ersten Schritt soll es um technische Zusammenarbeit im Bereich der Forensik und DNA-Analyse gehen. Mexiko hat bereits seine Bereitschaft zu dieser Kooperation signalisiert. Lassen sich mich zusammenfassen: Die Bundesregierung wird die Verhandlungen zum Sicherheitsabkommen im Lichte der Probleme führen, für die Iguala steht. Ein Aussetzen der Verhandlungen würde den Menschen in Mexiko in keiner Weise helfen. Die Bundesregierung wird den Dialog mit Mexiko konstruktiv fortsetzen, um einen Beitrag zur Entwicklung des Rechtsstaates zu leisten. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit wiederholen: Ein funktionierender Rechtsstaat ist nicht nur die Voraussetzung für die Einhaltung menschenrechtlicher Standards. Er ist auch die Basis für die wirtschaftliche, zivilgesellschaftliche und soziale Entwicklung eines Landes. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Teilumsetzung der Energieeffizienzrichtlinie und zur Verschiebung des Außerkrafttretens des § 47g Absatz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Tagesordnungspunkt 16) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): In den letzten Wochen und Monaten hat sich einiges getan in Sachen Energieeffizienz. Und das, obwohl Deutschland schon immer eine Vorreiterrolle innehatte und vor allem auf europäischer Ebene in den letzten Jahrzehnten wichtige Maßstäbe gesetzt hat. Nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur gehört Deutschland im Gebäudebereich sogar zur globalen Spitzengruppe. Das belegen auch die Zahlen: Das CO2-Gebäude-sanierungsprogramm hat seit 2006 Investitionen von gut 160 Milliarden Euro angestoßen. Mit den Fördermitteln wurden mehr als 3,5 Millionen Wohnungen saniert oder energieeffizient errichtet. Und betrachtet man beispielsweise die Reduzierung des Raumwärmeverbrauchs in Gebäuden – insbesondere bei den privaten Haushalten – zeigt sich hier eine wirklich beeindruckende Verbesserung: Der temperaturbereinigte Wert von 2012 liegt mit 147 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr knapp 30 Prozent niedriger als noch Ende der 1990er-Jahre; damals waren es 205 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr. Dabei beträgt der Förderhebel öffentlicher Mittel zu privaten Investitionen 1:12 – das heißt 1 Euro Förderung löst 12 Euro Investitionen in die Steigerung der Energieeffizienz aus. Von diesen Bauaufträgen profitierten vor allem kleine und mittelständische Handwerksbetriebe aus der Region. Allein im Jahr 2013 wurden rund 440 000 Arbeitsplätze für ein Jahr gesichert oder geschaffen. Die Sanierung unseres Gebäudebestandes hat überdies äußerst positive Auswirkungen auf unser Klima: Der jährliche Ausstoß des Treibhausgases CO2 verringerte sich infolge der geförderten Baumaßnahmen um über 7 Millionen Tonnen und das andauernd während der durchschnittlich 30-jährigen Nutzungszeit der Maßnahmen. Trotz dieser Erfolge war für die schwarz-rote Koalition von Anfang an klar: Wir müssen noch viel mehr tun. Dabei spielt weiterhin der Gebäudebereich eine wichtige Rolle, aber auch andere Bereiche müssen noch stärker in den Blick genommen werden. Mit dem Kabinettsbeschluss des NAPE, dem Nationalen Energieeffizienz-Aktionsplan, und der Umsetzung der Europäischen Energieeffizienz-Richtlinie erreichen wir genau das. Diese beiden Vorhaben sind zentral für unsere Strategie, die Energieeffizienz als zweite Säule der Energiewende zu etablieren. Wir schaffen damit neue Maßstäbe und heben das Thema Energieeffizienz auf eine völlig neue Ebene. So sieht der NAPE als Sofortmaßnahmen unter anderem die Einführung der steuerlichen Förderung für energetische Gebäudesanierungen, die Verstetigung und Aufstockung der Gebäudesanierungsprogramme auf künftig 2 Milliarden Euro jährlich, die Optimierung der bestehenden Energieberatung, aber auch die Einführung eines neuen Ausschreibungsmodells für Energieeffizienz vor. Dieser marktwirtschaftliche Ansatz ermöglicht uns den Zugang zu neuen Anwendungsbereichen und birgt großes Potenzial. Überdies werden wir die Bedingungen für Contracting-Verträge verbessern, was insbesondere auch für Nichtwohngebäude noch ungehobene Möglichkeiten erschließt. Für Unternehmen haben wir bereits eine Energieeffizienznetzwerke-Initiative gestartet. Der Netzwerkgedanke ermöglicht den teilnehmenden Unternehmen, Energiethemen gemeinsam anzupacken, Erfahrungen auszutauschen und so zu effektiveren Ergebnissen zu kommen. Außerdem – und damit kommen wir zum Gesetzentwurf, den wir heute beraten, dem Energiedienstleistungsgesetz – werden künftig große Unternehmen, die nicht KMU sind, dazu verpflichtet, bis zum 5. Dezember 2015 ein Energieaudit durchzuführen. Diese Audits werden zukünftig alle vier Jahre durchgeführt werden. Wir setzen damit auch den Artikel 8 der Europäischen Energieeffizienz-Richtlinie in nationales Recht um. Mir fällt bei der aktuellen Diskussion auf, dass viele sagen: Energieeffizienz ist wichtig; Energieeffizienz ist sinnvoll. Viele lassen sich aber auch zu Aussagen hinreißen wie: Energieeffizienz geht doch ganz einfach. – Mir passiert das auch. Und zum Teil mag das auch wahr sein. Aber es ist leider nicht immer so einfach. Die Beratung des heute zur Debatte stehenden Energiedienstleistungsgesetzes zeigt das einmal mehr. Energiepolitik steht immer wieder vor dem Problem, dass es zum Teil ernstzunehmende Zielkonflikte gibt. Wir haben dies mehrfach bereits beim Erneuerbare-Energien-Gesetz erlebt, wo es beispielsweise für energie-intensive Unternehmen aus finanzieller Sicht sinnvoller sein kann, noch ein wenig mehr Energie zu verbrauchen, um in Bezug auf die EEG-Umlage anders klassifiziert zu werden. Und so existieren auch beim Thema Energieeffizienz in großen Unternehmen durchaus Zielkonflikte – auch wenn grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass Unternehmen energieeffizient arbeiten. Schon aus Eigeninteresse! Aber dadurch können neue Richtlinien in der Summe eher kontraproduktiv wirken. Und genau darauf muss geachtet werden bei dem vorliegenden Gesetzentwurf. Grundsätzlich begrüße ich die Einführung von Energieaudits für große Unternehmen, da wir dadurch neue Erkenntnisse über Verbesserungsmöglichkeiten und Optimierungen gewinnen können. Und ich weiß aus meinem Hamburger Wahlkreis, dass Unternehmen immer wieder interessante neue Ideen für Energieeffizienz entwickeln, auch wenn sie im europäischen Maßstab schon an der Spitze stehen. In Hamburg gibt es mehrere große metallverarbeitende Betriebe, die äußerst energieintensiv sind, die aber in den letzten Jahrzehnten ihre Methoden derart weiterentwickelt haben, dass die Erkenntnisse im Bereich der Energieeffizienz der ganzen Industrie helfen können. Beim Energiedienstleistungsgesetz muss nun darauf geachtet werden, dass die Europäische Richtlinie 1:1 umgesetzt wird. Denn ein Energieaudit zeigt mögliche Potenziale auf. Das bedeutet aber eben nicht, dass es sich direkt auf die Steigerung der Energieeffizienz auswirkt. Das heißt: Die Ausgestaltung des Energiedienstleistungsgesetzes sollte nicht zur Folge haben, dass die Auditierung Investitionskapital in merklicher Weise minimiert. Die Energieaudits sollten sorgfältig und vollumfänglich durchgeführt werden. Wenn es aber die Möglichkeit zur Standardisierung gibt – beispielsweise bei großen Unternehmen mit vielen Filialstandorten, die in der Regel standardisiert sind –, sollte die Möglichkeit genutzt werden, Clusterlösungen anzuwenden. Wir sollten also repräsentative Audits durchführen. Diese Möglichkeit sieht die Europäische Energierichtlinie auch ausdrücklich vor. Und nach meiner Kenntnis ermöglicht auch der vorliegende Gesetzentwurf dies. Da aber über diesen Punkt im Vorfeld der ersten Lesung viel diskutiert wurde, möchte ich an dieser Stelle noch mal hervorheben, dass diese Möglichkeit von besonderer Bedeutung ist und wir diese ausdrücklich unterstützen. Grundsätzlich gilt bei der Umsetzung des Artikels 8 der Energieeffizienz-Richtlinie, dass wir darauf achten sollten, flexible Lösungen zu schaffen. Dadurch schaffen wir für die Unternehmen die Möglichkeit, effektiv zu arbeiten und am Ende in der Summe energieeffizienter zu sein. So muss beispielsweise gewährleistet sein, dass qualifizierte Auditoren auch aus dem eigenen Unternehmen kommen können. Viele große Unternehmen haben bereits intensiv geschultes Personal. Denn wie ich eingangs erwähnte, haben Unternehmen immer schon ein Interesse daran gehabt, möglichst effizient zu arbeiten. Ferner dürfen die neuen Energieaudits nicht bestehende Energiemanagementsysteme konterkarieren, denn sie ermöglichen schon heute Energieeffizienzeinsparungen in großem Maße. Diese Potenziale dürfen wir nicht behindern. Energieeffizienz ist nicht immer einfach, sondern zum Teil höchst komplex. Ich bin mir jedoch sicher, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen weiteren Schritt vorankommen und dass wir die von mir aufgeworfenen Fragen im weiteren Verfahren klären werden. Dr. Nina Scheer (SPD): Mit diesem Gesetzentwurf beginnt der erste gesetzliche Schritt zur Umsetzung der EU-Energieeffizienz-Richtlinie, EED. Die Energieeffizienz kann – neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien in allen drei Sektoren, Strom, Wärme, Mobilität – zur zweiten Säule der Energiewende werden. In den früheren Wahlperioden – egal, welche Parteienkonstellationen die jeweiligen Koalitionsregierungen gebildet -hatten, gab es zwar starke Bekenntnisse zur Energieeffizienz. Doch leider blieb man bei den Maßnahmen zur Umsetzung hinter den eigenen Zielvorgaben zurück. Aufgabe dieser Großen Koalition wird es in dieser Legislaturperiode sein müssen, die Umsetzung engagiert anzugehen und effektive sowie volkswirtschaftlich effiziente Instrumente und Maßnahmen zu implementieren. Mit der Vorlage des Nationalen Aktionsplans Energie-effizienz durch den Kabinettsbeschluss am 3. Dezember wurde der kommende Handlungsrahmen abgesteckt. In den kommenden Monaten und Jahren wird es darum gehen, die Ziele und Maßnahmen mit Leben, aber auch mit finanziellen Mitteln zu füllen bzw. umzusetzen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist – wie gesagt – ein erster, wichtiger Schritt, um zum einen die EU-Energieeffizienz-Richtlinie umzusetzen und zum anderen die deutschen Energieeinsparziele zu erreichen. Mit dem Gesetzentwurf werden Großunternehmen, also Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitern, einem Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro oder einer Jahresbilanzsumme von mehr als 43 Millionen Euro, verpflichtet, ein unabhängiges Energieaudit durchzuführen. Das Energieaudit soll hierbei zum ersten Mal zum 5. Dezember 2015 erfolgen und danach alle vier Jahre wiederholt werden. Energieaudits führen dazu, dass Unternehmen ihre eigenen Energieeinsparpotenziale besserer kennen und somit in gezielte Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz investieren können. Dadurch tragen sie nicht nur dazu bei, effizienter zu wirtschaften und Energie einzusparen. Die Unternehmen fördern damit zugleich auch ihre Wettbewerbsfähigkeit und machen sich somit zukunftsfest. In den anstehenden parlamentarischen Beratungen werden wir uns eingehend diesem Gesetzentwurf widmen und ausloten, an welchen Stellen wir noch weitere Verbesserungen in der Sache und somit zur Steigerung der Energieeffizienz vornehmen können. Dabei werden wir uns auch die Empfehlungen und Vorschläge des Umweltausschusses des Bundesrates anschauen und prüfen – unabhängig davon, ob am morgigen Freitag das Plenum des Bundesrates diese annimmt oder nicht. Im Rahmen einer öffentlichen Anhörung von Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis wird sich der Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ende Januar nächsten Jahres weitere Expertise zu möglichen Änderungsbedarfen einholen. Das weitere Verfahren wird aber mit Blick auf die Umsetzungsfrist für die Unternehmen zum 5. Dezember 2015 eine anspruchsvolle Aufgabe sein. So sollten wir Parlamentarier uns bemühen, den betroffenen Unternehmen so frühzeitig wie möglich Klarheit darüber zu verschaffen, welche Anforderungen sie zukünftig zu erfüllen haben. Abschließend sei noch kurz erwähnt, dass dieser erste gesetzliche Umsetzungsschritt eigentlich ein Paket aus der oben beschriebenen Änderung des Energiedienstleistungsgesetzes, EDL-G, und einer neuen Verordnung zur Umsetzung von Artikel 14 der EU-Energieeffizienz-Richtlinie, EED, ist. Mit diesem Verordnungsentwurf wird ein verpflichtender Vergleich zu Kosten und Nutzen der Kraft-Wärme-Kopplung, KWK, beim Neubau und der Modernisierung von Stromerzeugungs- und Industrieanlagen eingeführt. Dies soll dazu dienen, die -Potenziale der Kraft-Wärme-Kopplung in Deutschland besser und leichter zu identifizieren und dann auch erschließen zu können. Auch wenn der Bundestag formal nicht mit diesem Verordnungsentwurf befasst ist, sollte es an dieser Stelle zusätzlich erwähnt sein. Gleichzeitig möchte ich dies mit der Bitte an den Bundesrat verbinden, sich zeitnah mit diesem Entwurf zu beschäftigen; leider wurde er in den Ausschusssitzungen des Bundesrates Anfang Dezember vertagt. Zur zügigen Umsetzung der EU-Energieeffizienz-Richtlinie wäre eine Beratung in den Bundesratsausschüssen im Januar hilfreich. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die heute zur Debatte stehende Teilumsetzung der Energieeffizienz-Richtlinie dient zur 1:1-Umsetzung von Vorgaben aus der EU, die Energieaudits für größere Unternehmen vorschreibt. Die Unternehmen werden dazu verpflichtet, ihre Energiesituation durch Fachleute erheben zu lassen. Dadurch werden noch keine Einsparungen oder Effi-zienzmaßnahmen getätigt. Trotzdem geht die EU von Einsparungen in Höhe von 20 Prozent aus, „wovon die Hälfte ohne oder mit nur geringen zusätzlichen Investitionen erzielt werden kann“. Die Bundesregierung ist da für Deutschland weniger optimistisch und geht von geringeren Einsparungen aus. Interessant ist weniger das Gesetz selbst als sein Zusammenhang. Die darin enthaltenen Vorschriften des Gesetzgebers gegenüber Unternehmen sind sicherlich richtige Maßnahmen, die EU-Recht in nationales Recht umsetzen – allerdings ohne ehrgeiziger als das EU-Recht zu sein. Die Bundesregierung scheut das Ordnungsrecht wie der Teufel das Weihwasser und lässt sich nur dort darauf ein, wo sie nicht anders kann, ohne ein Vertragsverletzungsverfahren zu riskieren. Gelobt werden kann sie dafür nicht. Eine herausragende Stellung in der EU erhält sie dadurch sicherlich auch nicht, ganz zu schweigen von einer Vorbildfunktion. Die Bundesregierung muss eben – was ihre Politik gegenüber größeren Unternehmen angeht – zum Jagen getragen werden. Hier wird sie mal wieder von der EU zum Jagen getragen. Kein besonderer Vorgang eigentlich. Aber er wirft – sieht man sich daraufhin den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz noch einmal an – auch ein Licht auf die in großer Mehrheit freiwilligen Maßnahmen dieses mit großem Brimborium verabschiedeten Programms. Die Verpflichtung größerer Unternehmen zu Energieaudits wird diesen keinen großen Schrecken einjagen, denn zeitgleich hat sich die Bundesregierung natürlich bereit erklärt, die Unternehmen nach Kräften zu unterstützen. Wir leben in Zeiten von in Watte gepackten Großunternehmen: Wenn die Bundesregierung gezwungen wird, den Unternehmen Maßnahmen zur Information ihres Unternehmens über eigene Effizienzmöglichkeiten vorzuschreiben – wir sprechen hier wie gesagt nicht von Vorschriften zur Einsparung von Energie –, dann leistet sie dem Folge. Stichproben sollen dann darüber wachen, ob diese Audits durchgeführt worden sind, nicht jedoch, ob Effizienzmaßnahmen durchgeführt wurden. Diese windelweiche Umsetzung von Effizienzwillensbekundungen der Bundesregierung ist angesichts der Dramatik des Klimawandels und auch angesichts der Dramatik der deutschen Klimaschutzlücke nicht ausreichend. Wir sehen dies als symptomatisch für die grundlegende Verweigerung von ordnungsrechtlichen Vorgaben der Bundesregierung. Dies ist ein großer Fehler. Im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz steht auf Seite 3 der Satz: „Energieeffizienz kann nicht verordnet werden.“ Warum eigentlich nicht, frage ich Sie? Andere Länder machen es doch auch! Selbstverständlich muss die Verordnung von Effizienzzielen im nichtunternehmerischen Bereich auch mit einer Abfederung für die sozial Schwächeren einhergehen. Ich würde mir wünschen, dass es auch zu echten festgeschriebenen Einsparungszielen im Unternehmensbereich käme. Doch solange nur Freiwilligkeit und Lifestyle propagiert werden, nimmt die Bundesregierung die Bedrohung durch den Klimawandel nicht ernst genug. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben lange darauf warten müssen, dass sich das Parlament mit der Umsetzung der EU-Energieeffizienz-Richtlinie befassen darf. Nun ist es so weit, und die Bundesregierung erfüllt bezüglich des Artikels 8 der EU-Energieeffizienz-Richtlinie ihre Pflicht. Das ist dann leider auch schon alles. Zu mehr als einer sogenannten 1:1-Umsetzung der Richtlinie kann sie sich nicht durchringen. Die Bundesregierung hat ausgerechnet, dass Deutschland seine europäischen Energie-Einsparziele von 1,5 Prozent jährlich bis zum Jahr 2020 nach Artikel 7 der EU-Energieeffizienz-Richtlinie erreichen wird. Ich habe ja an diesen Berechnungen noch so meine Zweifel, aber mal unabhängig davon: Ihr eigenes nationales Ziel aus dem Energiekonzept von 2010, nämlich bis zum Jahr 2020 ganze 20 Prozent Primärenergie einzusparen, dieses Ziel wird die Bundesregierung ziemlich sicher verfehlen, selbst wenn der vor zwei Wochen beschlossene Nationale Aktionsplan Energieeffizienz tatsächlich komplett umgesetzt werden sollte. Das sagen ja selbst die Experten, die im Auftrag der Bundesregierung eine Stellungnahme zum Fortschrittsbericht Energiewende erstellt haben, dass Ihre Politik hier viel zu inkonsequent ist. Da hätte die Bundesregierung nun bei der Umsetzung von Artikel 8 der Richtlinie doch die Gelegenheit nutzen können, dieses Gesetz zu Energieaudits ambitionierter auszugestalten. Ich bin doch sehr verwundert, dass Sie glauben, allein bei einer unmotivierten 1:1-Umsetzung dieser Energieaudits 50 Petajoule Energieeinsparung erreichen zu können – mehr als so manch andere Maßnahme, die Sie im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz ankündigen. Der vorliegende Entwurf verpflichtet Unternehmen, die nicht aus dem kleinen und mittelständischen Bereich kommen, alle vier Jahre ein Energieaudit zu machen. So weit, so gut. Das bedeutet aber auch, dass die Unternehmen diesen Audit-Bericht vier Jahre – womöglich ungelesen – in der Schublade liegen lassen können, ohne dass irgendetwas passiert. So würden vorhandene Energie-effizienzpotentiale zwar ermittelt, die Maßnahmen aber nicht umgesetzt und somit nicht investiert werden. Und dann heißt es wieder – leider – wie so oft beim Thema Energieeffizienz: Schön, dass wir drüber geredet haben, aber schade, dass trotzdem nix passiert ist. Es kann aber doch nicht sein, dass die Ergebnisse eines verpflichtenden Energieaudits womöglich nicht umgesetzt werden, auch wenn diese wirtschaftlich sind. Viele der identifizierten Effizienzmaßnahmen solch eines Energieaudits amortisieren sich in einem kurzen Zeitraum. Es sollte im Interesse der Unternehmen sein, diese Investitionen dann auch zu tätigen. Die Erfahrung lehrt: Leider geschieht dies oft nicht. Daher sind wir der Ansicht, dass ein alleiniges Energieaudit nicht ausreichend ist. Wir können doch von den Unternehmen erwarten, wirtschaftliche Maßnahmen auch in angemessener Frist umzusetzen. Jede unnötig verbrauchte Kilowattstunde bringt Belastungen für unsere Umwelt und zukünftige Generationen mit sich, die vermeidbar wären. Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen sind für die Unternehmen gleich in mehrfacher Hinsicht sinnvoll. Die Unternehmen werden wettbewerbsfähiger und schützen sich vor zukünftig steigenden Preisen für Energieressourcen. Die derzeit ausnahmsweise sinkenden Ölpreise werden nämlich nicht ewig weiterfallen. Deswegen ist es wichtig die Abhängigkeit von Energieimporten zu senken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Weihnachten steht vor der Tür. Lassen Sie uns Minister Gabriel doch das Geschenk machen, seinen Gesetzentwurf nach der Anhörung im Ausschuss zu verbessern, damit wir die Einsparpotenziale in den Unternehmen heben. Dann kann das ein kleiner Beitrag dazu sein, dass die Bundesregierung ihrem selbst gesteckten Ziel doch noch etwas näherkommt. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für mehr Kontinuität der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) (Tagesordnungspunkt 19) Jana Schimke (CDU/CSU): Einmal mehr debattieren wir heute eine rentenpolitische Nebelkerze der Linken. Einmal mehr wird den Menschen vorgegaukelt, wir könnten uns alles leisten und es koste nichts. Aber dem ist gewiss nicht so. Zu Recht verfügt unser System der Rentenversicherung über verschiedene Instrumentarien, um sowohl in konjunkturell und demografisch schwierigen als auch besseren Zeiten handlungsfähig zu bleiben. Dafür verfügen wir über die Nachhaltigkeitsrücklage des 0,2- bis 1,5-fachen der durchschnittlichen Monatsausgaben, die der Möglichkeit zur Beitragssatzsenkung oder auch -steigerung und letztlich auch das Instrument zur Anpassung des Renten-niveaus. All diese Elemente sind flexibel ausgestaltet und geben die Möglichkeit, auf individuelle Entwicklungen reagieren zu können, ohne die Beitragszahler und Leistungsempfänger über die Maßen zu strapazieren. Glücklicherweise befinden wir uns noch in der Situation, dass durch die gute Arbeitsmarktlage und die hohe Beschäftigung entsprechend hohe Einnahmen in die sozialen Sicherungssysteme im Allgemeinen und in die gesetzliche Rente im Besonderen fließen. Momentan wird die Nachhaltigkeitsrücklage der Rentenversicherung bis zum Ende dieses Jahres auf circa 33,5 Milliarden Euro geschätzt. Das entspricht dem 1,82-fachen an durchschnittlichen Monatsausgaben bei der Rentenversicherung. Vor diesem Hintergrund und diesen Zahlen fordert die Fraktion Die Linke nun in ihrem Gesetzentwurf, den Rentenbeitragssatz auch für das Jahr 2015 auf dem jetzigen Niveau von 18,9 Prozent zu belassen. Sie vergisst jedoch, dass es im SGB VI einen wichtigen Automatismus gibt. Demnach werden Beitragsüberschüsse an die Beitragszahler in Form einer Beitrags-senkung zurückgegeben, wenn sie das 1,5-fache der durchschnittlichen Ausgaben eines Monats in der Rentenversicherung übersteigen. Eine Absenkung des Rentenbeitrags um 0,2 Prozent bedeutet für die Arbeitnehmer in unserem Land mehr Netto im Geldbeutel. Für unsere Unternehmen bedeutet es eine Reduzierung der im europäischen Vergleich hohen Arbeitskosten bei einem ohnehin immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Umfeld. Mehr Luft also, um zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Ich finde es daher gerecht, dass jene, die durch ihre Leistungsbereitschaft dazu beigetragen haben, dass die Rentenversicherung finanziell so gut dasteht, diese Überschüsse in Form sinkender Beiträge auch wieder zurückbekommen. Die mit Abstand bedenklichste Aussage im Gesetzentwurf lautet jedoch, dass das Drei-Säulen-Modell aus gesetzlicher Rente sowie privater und betrieblicher Altersvorsorge gescheitert sei. Den Bürgerinnen und Bürgern wird suggeriert, man könne sich getrost auf die gesetzliche Rente als einzigen Pfeiler der Altersvorsorge verlassen. Das ist fatal und verkennt völlig die demografische Realität, in der wir uns befinden. Wir müssen stattdessen noch stärker dafür sorgen, dass die Menschen in unserem Land privat und betrieblich für das Alter vorsorgen. Dafür gilt es Fehlentwicklungen zu korrigieren und bürokratische Hemmnisse -abzubauen. Darauf haben sich Union und SPD im Koalitionsvertrag auch geeinigt. Zuletzt noch ein Wort zu dem, was Die Linke mit einem möglichen finanziellen Spielraum infolge der Beitragsfestsetzung auf dem jetzigen Niveau anstellen würde. Im Gesetzentwurf ist nebulös etwas von „Leistungsverbesserungen“ bei der Rente zu lesen. Mehr wird da nicht erwähnt. Wenn man sich mit dunkelroter Rentenpolitik etwas näher beschäftigt, wird eines klar: Die Linke befasst sich nicht mit Leistungsverbesserungen im Sinne der Nachhaltigkeit der gesetzlichen Rente, sondern fördert Mehrausgaben, die zutiefst generationen-ungerecht sind und rentenpolitische Träumereien widerspiegeln. Ich rede hier von Forderungen, die „Rente 67“ abzuschaffen, die Kürzungen bei der Rentenformel – und hier insbesondere den Nachhaltigkeitsfaktor – zu streichen sowie das Rentenniveau dauerhaft auf 53 Prozent festzuschreiben. Bei künftig immer weniger Einzahlern und immer mehr Rentnern innerhalb unseres umlagefinanzierten Rentensystems sind diese Forderungen ein klarer Angriff auf die junge Generation. Ich empfehle daher den Kollegen der Linken die Weihnachtszeit ganz besonders intensiv zum Nachdenken zu nutzen und zu reflektieren, was sie hier eigentlich vorhaben. Abschließend möchte ich Ihnen allen sowie allen Bürgerinnen und Bürgern ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest sowie einen guten Rutsch in das neue Jahr 2015 wünschen. Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Die Linke spielt sich hier Sitzungswoche für Sitzungswoche als große Schutzmacht der sogenannten kleinen Leute auf. Dass sie dann gleichzeitig mit ihrem Gesetzentwurf den Beitragssatz zur Rentenversicherung nicht senken, sondern eher noch erhöhen will, passt nicht zusammen. Unsere Politik hingegen steht für mehr Netto vom Brutto für Rentner und Beitragszahler. Schon in den vergangenen Jahren, in denen die schwarz-gelbe Regierung Beitragssenkungen veranlasste, redete die Linkspartei das Ende der Rentenversicherung herbei. Nur: Es kam anders. Die Nachhaltigkeitsrücklage baute sich weiter auf. Sie war 2014 so hoch wie nie zuvor. Gleichzeitig konnten Arbeitnehmer und die Wirtschaft mit Milliardenbeträgen entlastet werden. 1 Prozent hat der Beitragssatz seit 2011 schon gutgemacht. Das zeigt: Die finanzielle Lage der Rentenversicherung ist sehr gut. Es zeigt aber auch, dass die Finanzen von vielen verschiedenen Faktoren abhängig sind. Man muss nicht unbedingt den Beitrag künstlich hoch halten, wie Sie das verlangen, liebe Linke. Das Verhältnis von beitragszahlenden Beschäftigten zu Rentenempfängern ist viel wichtiger. Und da haben wir in den vergangenen Jahren durch eine kluge und gezielte Arbeitsmarktpolitik, zum Beispiel mit dem Programm „Perspektive 50plus“, sichtbare Fortschritte gemacht: Die Zahl der Beitragszahler stieg deutlich. Immer mehr Menschen, vor allem Frauen und Ältere, kamen in sozialversicherungspflichtige Arbeit. Allein bei den 60- bis 64-Jährigen gab es seit 2010 einen Aufwuchs um rund eine halbe Million auf 1,6 Millionen Beschäftigte. Diese Veränderungen bilden das stabile Fundament der Rentenkasse. Gleichzeitig sorgt die Beschäftigung dafür, dass die Beschäftigten selbst höhere Renten erwarten können und die Gefahr der Altersarmut sinkt. Stichwort: Altersarmut. Die Befürchtungen der Linken, wir würden uns mit der Beitragssenkung nun jeden Handlungsspielraum in dieser Frage nehmen, haben wir gerade dieses Jahr eindrucksvoll widerlegt. Trotz der Beitragssenkungen der vergangenen Jahre haben wir Leistungsverbesserungen für Millionen Versicherte erreicht. Dabei zielen vor allem die sogenannte Mütterrente und eine verbesserte Erwerbsminderungsrente auf potenziell von Altersarmut gefährdete Gruppen. Und trotz dieser zusätzlichen Ausgaben steht die Rentenversicherung finanziell so gut da, dass der Beitrag gesenkt werden kann. Darüber sollten wir uns alle lieber freuen, als den Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Land ihre Entlastung streitig machen zu wollen. Das Problem der Altersarmut steht ja auch weiterhin auf unserer Agenda. Mit der solidarischen Lebensleistungsrente, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, wollen wir es noch entschiedener angehen. Denn es kann nicht im Sinne der Rentenversicherung sein, dass Menschen, die ein Leben lang Beiträge gezahlt und Kinder erzogen haben, nur eine sehr niedrige Rente erhalten. Bis 2017 wollen wir an dieser Situation etwas ändern. Da wir die Leistung aus Steuern finanzieren wollen, muss auch dafür der Beitrag nicht künstlich hoch gehalten werden. Und zu guter Letzt: Der gesenkte Beitrag wird voraussichtlich über Jahre stabil gehalten werden können. Beitragssprünge, die die Linke herbeiredet, sind nicht zu erwarten. Was können wir also zusammenfassend festhalten? Die rentenpolitischen Ängste und Befürchtungen der Linkspartei sind durch Daten, Fakten und einen Blick in die Wirklichkeit zu entkräften. Die Beitragssenkung auszusetzen, würde die Leistungsträger unseres Landes treffen. Das sind auch die „kleinen Leute“, die Monat für Monat unsere Sozialversicherungssysteme am Laufen halten. Wir halten es für richtig, dass diese Menschen nicht mehr zahlen, als zur Finanzierung der Renten gebraucht wird. Deshalben sinken im kommenden Jahr die Arbeitskosten der Wirtschaft um rund eine Milliarde Euro, und die Arbeitnehmer werden ebenfalls um diese Summe entlastet. Sie haben es sich verdient! Dr. Martin Rosemann (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, mit Ihrem Gesetzentwurf fordern Sie uns auf, auch für nächstes Jahr eine Senkung des Beitragssatzes auszusetzen und die gesetzlichen Grundlagen zur Festsetzung der Beitragssätze noch in diesem Jahr zu ändern, das heißt die Deckelung der Nachhaltigkeitsrücklage aufzugeben und die Mindestrücklage anzuheben. Grundsätzlich halte ich Ihren Vorschlag für diskus-sionswürdig. Aber – wie so oft – weckt der Titel Ihres Gesetzentwurfs gewisse Hoffnungen, der konkrete Inhalt bleibt dann aber weit hinter den geweckten Erwartungen zurück. Für mich heißt das: Ginge es Ihnen um eine Erhöhung der Mindest- und Höchstrücklage in der gesetzlichen Rentenversicherung, um dann auch eine echte Demografiereserve anzusparen, könnte man darüber reden. Wer aber den Gesetzentwurf liest, merkt schnell, dass es darum eben nicht geht. Sie sprechen von Leistungsverbesserungen. Dahinter steht aber der Rückfall in das Frühverrentungszeitalter; genau so, wie Sie es in Ihrem Antrag „Rentenniveau anheben, Leistungen verbessern und die wesentlichen Ursachen für sinkende Renten und Altersarmut bekämpfen“ vom März dieses Jahres auch schon skizziert haben. Damals habe ich vorgerechnet, dass dies im Jahr 2030 circa 55 Milliarden Euro kostet und damit einer Erhöhung des Beitragssatzes um 6 Prozentpunkte entsprechen würde. Ihnen geht es in Wahrheit um die Anhebung des Beitragssatzes in einem Umfang, der zukünftigen Beitragszahlern nicht zugemutet werden kann. Von Beitragskontinuität und einem Ausgleich zwischen den Generationen kann daher keine Rede sein. Das ist keine Politik, für die wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen. Unsere Politik ist eine zielgenaue Leistungsausweitung, um unterschiedlichen Erwerbsbiografien gerecht zu werden, Lebensleistungen besser anzuerkennen und Altersarmut zu bekämpfen. Deshalb haben wir mit dem ersten Rentenpaket die Mütterrente eingeführt, einen früheren Rentenzugang für besonders langjährig Versicherte ermöglicht, die Erwerbsminderungsrenten erhöht und das Rehabudget demografiefest gemacht. Deshalb werden wir in dieser Legislaturperiode auch die solidarische Lebensleistungsrente und die Ost-West-Rentenangleichung auf den Weg bringen. Bemerkenswert ist aber auch der Zeitpunkt, zu dem Sie Ihren Gesetzentwurf eingebracht haben. Ihnen geht es offenbar vor allem darum, kurzfristig die Beitragssenkung zum 1. Januar 2015 zu verhindern. Ein Verfahren, für das die Regierung aus den Reihen der Opposition im vergangenen Jahr noch kritisiert wurde. Aber unsere Ministerin hält sich an Recht und Gesetz. Und so wird es im Jahr 2015 zu einer Beitragssenkung von 0,2 Prozentpunkten von 18,9 Prozent auf 18,7 Prozent kommen. Dies ist eine Beitragssatzsenkung mit Augenmaß, die eine verdiente Entlastung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland darstellt. Möglich ist diese Senkung des Beitragssatzes wegen einer anhaltend guten Lage auf dem Arbeitsmarkt. Diese gute Arbeitsmarktentwicklung war möglich, weil eine rot-grüne Bundesregierung den Mut zu überfälligen Strukturreformen hatte, weil sozialdemokratische Minister in der letzten Großen Koalition für die notwendige konjunkturelle Stabilisierung während der Krise 2008/09 gesorgt haben und weil damals verantwortungsbewusste Unternehmen und Betriebsräte gemeinsam die Möglichkeiten der internen Flexibilität genutzt haben, um Beschäftigung zu halten. Aber die Beitragssatzsenkung ist auch konjunkturpolitisch sinnvoll, insbesondere weil gleichzeitig der Beitrag zur Pflegeversicherung steigt. Zudem ist ein geringerer Beitragssatz nicht nur positiv für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern führt auch für die Rentnerinnen und Rentner zu einer höheren Rentenanpassung in der Zukunft. Bemerkenswert ist das Verhältnis der Linken zu höheren Beitragssätzen. Ausgerechnet Sie vergessen, dass Beiträge die Steuern des kleinen Mannes sind. Natürlich ist es angesichts der demografischen Veränderungen wichtig, die langfristigen Herausforderungen für die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung und für die Alterssicherung allgemein in den Blick zu nehmen. Deshalb verfolgen wir das Prinzip „Reha vor Rente“, ermöglichen wir flexible Übergänge in den Ruhestand, werden wir im kommenden Jahr die Stärkung der zweiten Säule der Altersvorsorge in Angriff nehmen, haben wir die Erhöhung des Bundeszuschusses ab 2018 durchgesetzt. Um dauerhaft ein stabiles Rentenniveau zu sichern, Altersarmut vorzubeugen und die Belastung der Versicherten zu begrenzen, sind weitere Maßnahmen erforderlich. Das Angebot zur Zusammenarbeit richtet sich ausdrücklich an alle Fraktionen in diesem Haus. Mit ihren Vorschlägen hierzu ist die Linke aber mit Sicherheit nicht der richtige Ratgeber. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Die Linke im Bundestag ist gegen die beschlossene Beitragssatzsenkung im kommenden Jahr, und Die Linke im Bundestag steht für eine seriöse, stabile und verlässliche Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung in den nächsten Jahren. Davon ist die aktuelle Rentenpolitik von Union und SPD meilenweit entfernt. Die Große Koalition befindet sich im rentenpolitischen Blindflug. Warum Blindflug? Die Große Koalition verpulvert die gut gefüllte Rentenkasse und spielt mit den Versicherten, den Medien und den gewählten Abgeordneten Katz und Maus. Am 3. Dezember hatte ich im Ausschuss für Arbeit und Soziales eine ganz einfache Frage gestellt: Was kostet jetzt die Rente ab 63 in den nächsten Jahren? Die Antwort: Bis 2019 kommen im Unterschied zu den ursprünglichen Kalkulationen im Rentenpaket sage und schreibe zusätzliche Kosten von 4,5 Milliarden Euro auf uns zu. Sie, Frau Ministerin Nahles, hatten es im Ministerium bisher schlicht versäumt, für die Rente ab 63/65 die Beitragsausfälle, die Kosten der Vorzieheffekte und die Kosten der zusätzlich von der CSU begünstigten Handwerker mal auf Heller und Pfennig aufzuschreiben und das der Öffentlichkeit auch zu sagen. Ihre Motive sind mir egal, und mir ging es dabei auch nicht darum, die Angst vor der Frühverrentungswelle, die von Union und Wirtschaftsvertretern so gern herbeigeredet wird, zu befeuern. Im Gegenteil: Wir brauchen Möglichkeiten zum früheren Ausstieg gerade für die Fleißigen und Kranken. Aber ich will, dass das gerecht und transparent finanziert wird. Kollegin Schmidt von der SPD hatte in der ersten Lesung unseres Gesetzes gesagt: „Für anderes werden wir Geld in die Hand nehmen müssen: Dazu gehören die Angleichung des aktuellen Rentenwerts Ost auf das westdeutsche Niveau, die Bekämpfung der Altersarmut und die Stabilisierung des Sicherungsniveaus für ein anständiges Rentenniveau oder auch eine noch bessere Absicherung der Erwerbsminderung.“ Ja, Kollegin Schmidt. Alles wichtig und richtig. Sie werden dafür nur kein Geld mehr haben. Gegenwärtig sind 35,1 Milliarden in der Rentenkasse sprich Nachhaltigkeitsrücklage. Aber das wird sich rasch ändern; denn bis 2019 klauen Sie Beiträge in Höhe von 36,5 Milliarden für die „Mütterrente“, die eigentlich aus Steuern finanziert werden müsste. Und genau in dieser Situation, in der Sie im Blindflug Beitragseinnahmen verschleudern, wollen SPD und Union die Beiträge noch weiter senken, von 18,9 auf 18,7 Prozent. Das sind bis 2019 noch mal über 12 Milliarden Euro, die fehlen. Die Vertreterversammlung der DRV Bayern Süd hat das besser verstanden. Am 26. November 2014 hat sie eine Resolution mit folgendem Inhalt verabschiedet: Die Mindestrücklage, also das untere Auffangnetz, soll von 0,2 auf mindestens 0,5 Monatsausgaben angehoben werden. Warum fordert die DRV Bayern Süd und übrigens auch die Rentenversicherung Oldenburg-Bremen das? Ich zitiere: „Aufgrund der Finanzschätzung ist abzusehen, dass ab 2019 die Liquiditätssicherung der Rentenversicherung gefährdet ist. Gemäß der Vorausberechnungen für 2019 würde eine Nachhaltigkeitsrücklage von 0,2 Monatsausgaben 4,4 Milliarden Euro entsprechen.“ Ich übersetze das mal in Klartext: Durch die Fehlfinanzierung der sogenannten „Mütterrente“ fahren Sie die Rentenkasse innerhalb weniger Jahre auf fast null. Dieses Jahr 33,5 Milliarden, in zwei Jahren 24 Milliarden, 2018 8,7 Milliarden und 2019 5,2 Milliarden. Das nenne ich Blindflug mit anschließendem Totalcrash. Sie schröpfen die Rentenkasse in fünf Jahren um knapp 30 Milliarden Euro. Warum ist das verheerend? Weil Sie damit blind sind für das Absinken des Rentenniveaus. Ihre vollmundigen Versprechungen, den Verfall der gesetzlichen Rente durch die private Altersvorsorge ausgleichen zu können, haben sich nicht erfüllt. Sie mussten das in Ihrem Rentenversicherungsbericht wieder zugeben und die Süddeutsche Zeitung schrieb am 15. November: „Riestern funktioniert nicht!“ Der Focus legte am 8. Dezember nach: „Lasst Riester sterben!“ Die Swiss Life, der größte Lebensversicherungskonzern der Schweiz, folgte diesem Rat umgehend und stellt zum 31. Dezember 2014 sein hauseigenes Riester-Produkt, die „Champion Riester”, ein. Völlig zu Recht. Die Zahl der abgeschlossenen Riester-Verträge in Deutschland stagniert bei 16 Millionen. Davon sind drei Millionen ruhend gestellt. Nur sechs Millionen werden voll gefördert. Ja, sage ich; lasst die staatliche Riesterförderung sterben. Wir könnten jährlich drei bis vier Milliarden Euro Förderung in die Stabilisierung des Rentenniveaus stecken. Und lassen Sie uns dafür gemeinsam für die nächsten Jahre einen vernünftigen Beitragspfad festlegen, statt den Menschen weiter windige Policen aufzuschwatzen. Deshalb: Erhöhen wir die Mindestreserve auf 0,5 Monatsausgaben. 0,2 Monatsausgaben reichen zum Beispiel bei konjunkturellen Einbrüchen nicht. Stabilisieren wir den Beitragssatz vorläufig auf 18,9 Prozent und schaffen wir den unsinnigen Zwang zur Beitragssatzsenkung ab, statt Jahr für Jahr das Rentenniveau zu senken. Investieren wir in die gesetzliche Rente, damit sie wieder sicher ist, damit sie wieder vor Altersarmut schützt. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die gesetzliche Rentenversicherung erlebt momentan eine Phase finanzieller und demografischer Stabilität. Die gute Konjunktur, ein hoher Beschäftigungsstand und nicht zuletzt die Dämpfung der Rentenanpassungen in den vergangenen zwölf Jahren führten sowohl zu niedrigeren Beitragssätzen als auch zu einer Rekordrücklage der Rentenversicherung. Gleichwohl steht die gesetzliche Rentenversicherung vor großen Herausforderungen: Die steigende Lebenserwartung und der demografische Wandel führen zu einer deutlich verlängerten Rentenbezugsdauer sowie einer immer größeren Zahl an Rentnerinnen und Rentnern, denen immer weniger erwerbstätige Beitragszahlerinnen und -zahler gegenüberstehen. Politisches Handeln ist erforderlich, um zu verhindern, dass der Anstieg der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre zu einer Rentenkürzung für diejenigen wird, die aus unterschiedlichen Gründen ihren Beruf nicht bis zum regulären Renteneintritt ausüben können. Dies betrifft insbesondere die Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten, die Mittel für Reha-Maßnahmen sowie die erhöhte Regelaltersgrenze für Menschen mit Schwerbehinderungen. Es ist eine zentrale Frage der Generationengerechtigkeit, dass auch die heutigen Versicherten eine realistische Aussicht auf ein angemessenes Rentenniveau haben und vor Altersarmut geschützt werden. Gleichzeitig ist auf einen moderaten Beitragssatzanstieg zu achten, um die Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber abzufedern. Unter den genannten Voraussetzungen ist es erforderlich, sorgsam mit den mühsam erworbenen finanziellen Spielräumen umzugehen und diese nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Aus diesen Gründen haben wir uns schon in der Vergangenheit für eine Beitragssatzstabilität ausgesprochen – siehe Anträge 17/11010 und 18/611. Diese garantiert, dass wir die beitragsfinanzierten Leistungen im Zusammenhang mit einer längeren Lebensarbeitszeit – Rente mit 67 – verbessern können. Unsere Vorschläge zur Abschaffung der Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente, ausreichende Reha-Mittel sowie der Rücknahme der Anhebung der Regelaltersgrenze für schwerbehinderte Menschen auf 65 Jahre kosten die Rentenkasse jährlich rund zwei Milliarden Euro. Zudem haben wir uns dafür ausgesprochen, für den zu erwartenden Beitragssatzanstieg schon heute Vorsorge zu treffen, um die Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber abzufedern. Eine Beitragssatzsenkung zum 1. Januar 2015 würde den Beitragssatz ab dem Jahr 2019 wohl noch sprunghafter ansteigen lassen, als durch die Ausgaben des Rentenpakets schon heute prognostiziert. Wie schon in der Rede zur ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Linksfraktion dargelegt, werden wir die hier abzustimmende Initiative ablehnen. Eine gänzliche Abschaffung der Obergrenze erachten wir für nicht sinnvoll. Ohne eine Obergrenze gäbe es überhaupt keine Systematik für die Beitragssatzfestsetzung mehr. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes (Tagesordnungspunkt 20) Oliver Wittke (CDU/CSU): Mit dem 4. Gesetz zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes setzen wir die am 28. Februar 2014 verkündete EU-Verordnung 165/2014 um. Neben Verbesserungen bei Wirksamkeit und Effizienz des Fahrtenschreibersystems für Fahrzeuge zur Güterbeförderung mit mehr als 3,5 Tonnen und für Fahrzeuge zur Personenbeförderung mit mehr als neun Insassen schaffen wir die notwendigen Grundlagen zur Anpassung von Bußgeldvorschriften und der Fahrpersonalverordnung. Darüber hinaus haben die Koalitionsfraktionen einen Änderungsantrag vorgelegt, der im Wesentlichen der Stellungnahme des Bundesrates aus dem November dieses Jahres folgt. Mit einstimmigem Beschluss haben sich die Bundesländer dafür stark gemacht, die Anordnungsbefugnis der Bundesländer gegenüber weiteren Unternehmen der Beförderungskette auszuweiten, die Bußgeld-rahmen bei Verstößen anzuheben sowie das Verbringen der wöchentlichen Ruhezeit in der Fahrerkabine zu unterbinden. Es ist gut, dass CDU/CSU und SPD sich darauf verständigt haben, die Anordnungsbefugnis gegenüber weiteren Unternehmen der Beförderungskette auszuweiten. Zwar war dies materiellrechtlich auch bislang schon möglich und wurde von einzelnen Bundesländern auch bisher praktiziert; wir stellen dies im Gesetz zukünftig aber klar heraus und beseitigen mögliche Missverständnisse. Auf diese Weise kommen wir zum einen unserer Fürsorgepflicht gegenüber den Fahrern nach und sorgen zum anderen für mehr Sicherheit auf unseren Straßen. Darüber hinaus passen wir den Bußgeldrahmen nach oben an, um den Verfolgungsbehörden einen größeren Spielraum zu geben sowie große Unternehmen mit empfindlichen Bußgeldern belegen zu können. Auch beim dritten Punkt folgen wir den Einlassungen des Bundesrates. Auch wir sehen es kritisch, wenn Fernfahrer die wöchentliche Ruhezeit im Lkw verbringen. Dieses Problem wollen auch wir angehen. Bevor wir aber eine nationale Lösung verfolgen, sollten wir versuchen, das Problem auf europäischer Ebene zu regeln. Die Güterströme auf der Straße finden immer mehr transnational statt. Auf einer Tour kann ein Fahrer gut und gerne fünf oder mehr Länder innerhalb der Europäischen Union durchqueren. Die nationalen Alleingänge von Belgien und Frankreich mit den daraus folgenden Ausweichverkehren auf Parkplätze und Raststätten in Deutschland im grenznahen Raum haben gezeigt, was passiert, wenn in jedem Land unterschiedliche oder gar keine Regeln gelten. Wir wollen deshalb keinen regulativen Flickenteppich, sondern einen Rechtsrahmen für alle Länder. Erst wenn das nicht möglich erscheint, müssen wir auf nationaler Ebene tätig werden. In diesem Zusammenhang bin ich froh, dass die Bundesregierung signalisiert hat, im ersten Halbjahr des kommenden Jahres entsprechende Gespräche auf europäischer Ebene zu führen und notfalls ab Mitte 2015 die Initiative für ein nationales Gesetzgebungsverfahren zu starten. In einem vierten Punkt passen wir die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Ausbildung für Ersthelfer an heutige Erfordernisse an. Nachdem eine Studie von ADAC und Deutschem Roten Kreuz 2012 zu dem Ergebnis kam, dass die Lernwirksamkeit durch zu viel Lernstoff eingeschränkt war, haben die Unfallversicherungsträger und die Bundesarbeitsgemeinschaft Erste Hilfe die Erste-Hilfe-Ausbildung einer Revision unterzogen. Das Ergebnis ist eine Erste-Hilfe-Ausbildung, die sich zukünftig auf die Vermittlung der lebensrettenden Maßnahmen, einfache Erste-Hilfe-Maßnahmen sowie grundsätzliche Handlungsstrategien fokussiert. Da die zukünftige Ausbildung auch in ausreichendem Maße straßenverkehrliche Belange und Themen berücksichtigen wird, kann für den Bereich des Straßenverkehrs auf die Alternative der Vermittlung von „Grundzügen der Versorgung Unfallverletzter“ einerseits und „Erste-Hilfe-Ausbildung“ andererseits verzichtet werden. Dies ist unter anderem auch ein Beitrag zum Bürokratieabbau und zur Entlastung der Wirtschaft. Ich freue mich, dass wir mit dem Änderungsantrag von CDU/CSU und SPD nunmehr das vierte Gesetz zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes in einer Form beschließen, dass auch im Bundesrat eine große Zustimmung finden wird. Florian Oßner (CDU/CSU): Die vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten von Lkw- und Busfahrern sind sinnvoll und tragen in hohem Maße zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr bei. Ohne diese Regelungen würde die Zahl der schweren Verkehrsunfälle durch Übermüdung oder Erschöpfung von Fahrern sicherlich erheblich höher liegen. Die Europäische Union hat durch die Verordnung (EU) Nr. 165/2014 vom 4. Februar diesen Jahres die Vorschriften über Einbau, Benutzung und Prüfung von Fahrtenschreibern bzw. Kontrollgeräten im Interesse einer größeren Klarheit vereinfacht und neu geordnet. Nunmehr muss das Fahrpersonalgesetz an die erfolgten Änderungen des Unionsrechts angepasst werden. Da die einzelnen Regelungen, die mit dem vorliegenden Gesetz geändert werden, im Wesentlichen technischer bzw. redaktioneller Natur sind, möchte ich gern die Gelegenheit nutzen, darauf hinzuweisen, wie wichtig die Lkw-Speditionen für uns als Exportnation sind. Gerade für die vielen weltweit erfolgreichen mittelständischen Unternehmen im ländlichen Raum ist und bleibt der Lkw als Transportmittel eine wichtige Stütze. Dazu ist es auch erforderlich, die notwendigen Infrastrukturen zu schaffen. Am 27. Oktober hat bereits der Bundesrat dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf grundsätzlich zugestimmt und nur einige geringfügige Änderungen und Ergänzungen vorgeschlagen. Diese Wünsche haben wir seitens der Koalitionsfraktionen mit einem entsprechenden Änderungsantrag übernommen. Zudem haben wir selbst noch weitere Anpassungen empfohlen. Nur in einem Punkt verfolgen wir einen anderen Ansatz als der Bundesrat, nämlich bei der Frage, ob Lkw-Fahrer ihre regelmäßige Wochenruhezeit in der Fahrerkabine ableisten dürfen – denn unserer Überzeugung nach bedarf es hier einer europäischen Regelung und keines nationalen Alleingangs. Dies zeigt sich schon am Beispiel von Frankreich und Belgien, die eine solche nationale Regelung eingeführt haben, wodurch sich das Problem nur in die Nachbarländer verschoben hat. In diesem Zusammenhang begrüßen wir ausdrücklich die Zusicherung der Bundesregierung in der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur, dass bis Mitte nächsten Jahres eine derartige europarechtliche Regelung geschaffen werden soll und erst für den Fall, dass dies bis dahin nicht möglich sein sollte – als Ultima Ratio – eine nationale Regelung geschaffen wird. Lassen Sie mich die aus meiner Sicht wichtigsten Punkte des vorliegenden Gesetzentwurfes kurz darstellen: Als Erstes sei die Erweiterung der Anordnungsbefugnis genannt. Nach derzeit geltendem Recht können Aufsichtsbehörden Maßnahmen, wie zum Beispiel das Verlangen von Auskünften und Unterlagen, nur gegenüber Arbeitgebern anordnen. Oft gibt es aber auch andere Beteiligte in der Beförderungskette, wie zum Beispiel Spediteure, Haupt- und Unterauftragnehmer, die ihrer Mitverantwortung nicht nachkommen oder die der Aufsichtsbehörde Auskünfte, Unterlagen oder den Zutritt verweigern. Diesem Umstand tragen wir mit den erfolgten Änderungen im Fahrpersonalgesetz nun Rechnung und dehnen die Anordnungsbefugnis auch auf diese weiteren Beteiligten aus. Der zweite Punkt ist die Verdoppelung des Bußgeldrahmens bei Fahrerverstößen. Hier geht es um die Umsetzung verschiedener oberlandesgerichtlicher Urteile. Aufgrund dieser Urteile sind Fahrverstöße über den Unternehmer in Tateinheit zu ahnden. Das bedeutet im Klartext: Bei größeren Betrieben wird die maximale Bußgeldsumme von gegenwärtig 15 000 Euro sehr schnell erreicht. Kleinere Unternehmen werden daher gegenüber größeren Unternehmen bei der Ahndung benachteiligt. Mit der Erhöhung des Bußgeldrahmens auf 30 000 Euro stellen wir sicher, dass auch schwerste Verstöße von Unternehmern, Fahrzeughaltern, Verladern, Spediteuren, Reiseveranstaltern und Fahrvermittlern angemessen geahndet werden können. Dies bedeutet aber keineswegs, dass wir unsere Unternehmen an den Pranger stellen wollen. Als Letztes will ich noch die Anpassung der Erste-Hilfe-Ausbildung nennen. Diese war durch eine 16 Unterrichtseinheiten umfassende Ausbildung stark überfrachtet, was – wie Studien vom ADAC und Deutschem Roten Kreuz belegt haben – oftmals nur zu einer sehr geringen Akzeptanz und einem nur schwachen Lerneffekt geführt hat. Dies darf bei einem so grundsätzlich wichtigen Thema wie der Verkehrssicherheit nicht sein. Hierauf haben wir reagiert und die Erste-Hilfe-Ausbildung an die Bedürfnisse der Praxis angepasst. Sie wird sich daher zukünftig auf die Vermittlung der lebensrettenden Maßnahmen und einfache Erste-Hilfe-Maßnahmen sowie grundsätzliche Handlungsstrategien fokussieren. Auch hier möchte ich die Gelegenheit nutzen und mich bei den Erste-Hilfe-Ausbildern für ihre vorzügliche Arbeit bedanken. All dies sind sinnvolle und notwendige Anpassungen. Daher freue ich mich auf Ihre breite Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Udo Schiefner (SPD): Unser Leben ist heute in erheblichem Maße von den Leistungen der Transport- und Logistikbranche abhängig. Die Fahrerinnen und Fahrer der Lastkraftwagen sind wesentliche Stützpfeiler des wirtschaftlichen Erfolges in Deutschland und unseres Wohlergehens. Anerkennung und Wertschätzung erhalten sie dafür kaum. Im Gegenteil hat ihre Arbeit ein unberechtigt schlechtes Ansehen. Vor allem sind sie oft die ersten und einzigen, die zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie gegen Regeln verstoßen. Doch sie verstoßen oft gegen Regeln, weil sie versuchen, den straffen Anforderungen ihrer Arbeitgeber und Auftraggeber gerecht zu werden. Für viele Berufskraftfahrer, oft im Auftrag ausländischer Unternehmen auf den Autobahnen unterwegs, kommt hinzu, dass sie unter unwürdigen Bedingungen arbeiten und leben müssen. Es gibt im Sinne der Fahrerinnen und Fahrer wahrlich vieles zu verbessern. Mit den Beschlüssen zum Fahrpersonalgesetz und Festlegungen zum weiteren Vorgehen, die wir in dieser Woche im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur gefasst haben und die heute im Plenum bestätigt werden, nehmen wir die oft prekäre Situation der Fahrer im Transportgewerbe in den Blick. Es sind kleine aber wichtige Schritte, die wir jetzt gehen – wir müssen uns für das kommende Jahr weitere, größere vornehmen. Besonders besorgen muss uns, dass immer mehr Berufskraftfahrer in Europa bis zu drei Monate außerhalb ihres Heimatlandes im Lkw unterwegs sind. Sie sind dabei dubiosen Beschäftigungssystemen unterworfen. Ihnen wird oft der Zugang zu sozialen und Arbeitnehmerrechten verwehrt. Sie verbringen dabei all ihre Nächte und Wochenenden in ihrem Lkw auf den Rastplätzen, und sie fahren für Dumpinglöhne quer durch Europa. Für Fahrzeuge und Fahrer, die ihre Heimatstandorte nur noch gelegentlich sehen, ist deren Einsatz aber keineswegs durch die europäische Dienstleistungsfreiheit gedeckt. Im Moment jedoch können sich die Flottenbetreiber den Fiskal- und Sozialstandards der jeweiligen Länder entziehen, in denen sie sich überwiegend betätigen. Diesem Nomadentum auf den Rastplätzen Europas müssen wir ein Ende bereiten. Mit Artikel 8 Ziffer 8 der EU-Verordnung 561/2006 ist die Voraussetzung gegeben, dagegen vorzugehen. Wir könnten verhindern, dass die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug verbracht wird. Wir haben jedoch noch keine entsprechende Bußgeldandrohung im Fahrpersonalgesetz. In der bisherigen Diskussion wurde angenommen, das EU-Recht treffe keine Aussage darüber, wo eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit zu verbringen ist, um als vorschriftsmäßig zu gelten. Die Vorschrift enthalte kein konkretes Verbot, sich während der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Fahrzeug aufzuhalten. Diese Interpretation der Verordnung teile ich nicht, denn die EU-Verordnung sagt: In zwei jeweils aufeinander folgenden Wochen hat der Fahrer mindestens zwei regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten oder eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit und eine reduzierte wöchentliche Ruhezeit von mindestens 24 Stunden einzuhalten. Wichtig sind hier die zu unterscheidenden Begriffe regelmäßige und reduzierte wöchentliche Ruhezeit. Weiter heißt es nämlich, dass nicht am Standort eingelegte tägliche Ruhezeiten und reduzierte wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug verbracht werden können. Regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug werden in dieser Ausnahme explizit nicht benannt. Rein EU-rechtlich spräche also nichts gegen eine Bußgeldandrohung für das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Fahrzeug. Deshalb erwarte ich, dass wir in dieser Frage zügig vorankommen. In der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur haben wir zunächst, weitgehend einmütig, kleine aber wichtige Änderungen des Fahrpersonalgesetzes beraten. Mit abschließender Lesung und Beschluss heute im Parlament verbessern wir wichtige Aspekte bezogen auf die Ausrüstung der Lkw und Fernbusse mit Fahrtenschreibern und verbessern damit die Kontrollmöglichkeiten zur Einhaltung der Regeln – auch und gerade bezogen auf die Ruhezeiten. Vor allem aber haben wir zwei wichtige Einwände des Bundesrates aufgenommen. Erstens wird die Anordnungsbefugnis erweitert. Die Kontrollbehörden können in Zukunft bei Verstößen auch gegenüber Verladern, Spediteuren, Reiseveranstaltern, Hauptauftragnehmern, Unterauftragnehmern und Fahrervermittlungsagenturen aufsichtlich tätig werden. Zweitens verdoppeln wir den Bußgeldrahmen von derzeit maximal 15 000 Euro bei Fahrerverstößen auf 30 000 Euro. Sinnvoll sind beide Ausweitungen, denn nach geltendem Recht sind Verlader, Spediteure etc. zwar bereits für die Einhaltung der in den Verordnungen benannten Vorschriften verantwortlich. Dazu gehört, dass die von ihnen vertraglich vereinbarten Beförderungszeitpläne nicht gegen die Verordnungen verstoßen. Es gibt jedoch regelmäßig das Problem, dass die Aufsichtsbehörden der Länder von den beteiligten Unternehmen keine Auskünfte, Unterlagen oder Zutritt zu Geschäftsräumen verlangen können. Diese Unternehmen werden nun besser kontrollierbar. Das bedeutet vor allem, dass die Schuldfrage nicht länger am Fahrer hängen bleibt. Der höhere Bußgeldrahmen macht es zudem möglich, bei besonders schweren Verstößen größere Unternehmen angemessener zu belangen. Bisher schien das Bußgeld für große Unternehmen leicht zu verkraften, während es kleinere Unternehmen durchaus stark belasten kann. Den nach meiner Auffassung sehr wichtigen Aspekt der Ruhezeiten, den der Bundesrat einbringen wollte, greifen wir nur indirekt auf. Die Bundesregierung hatte den Wunsch geäußert, sich diesem Thema zunächst im Sinne einer europäischen Lösung zu nähern. Dem hätten wir zwar vorgreifen können, die EU-Verordnung gäbe uns dazu durchaus den Spielraum. Aber zunächst die europäische Lösung anzugehen, macht ebenfalls Sinn. Wenn auf dem Weg schnell eine Einigung erfolgt, ist noch mehr erreicht. Deshalb begrüße ich ausdrücklich die im Ausschuss gemachte Zusage des Ministeriums, das Thema bereits im Januar 2015 mit den europäischen Partnern anzugehen. Die ebenfalls klar formulierte Aussage zum weiteren Vorgehen möchte ich unbedingt festhalten: Sollte absehbar nicht bis Juli 2015 eine Lösung erkennbar werden, werden wir den Weg der nationalen Gesetzgebung beschreiten, denn in der grundsätzlichen Beurteilung des Nomadentums auf den europäischen Rastplätzen gibt es offenbar über Fraktionsgrenzen hinweg keinen Dissens. Ich erwarte deshalb, dass wir die Bußgeldandrohung bei Ruhezeitverstößen bezogen auf die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im nächsten Jahr bekommen werden. So können wir uns weiter in Richtung würdiger Arbeits- und fairer Wettbewerbsbedingungen in der Transport- und Logistikbranche bewegen. Thomas Lutze (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt der Deutsche Bundestag eine EU-Verordnung über neue Anforderungen an Fahrtenschreiber in nationales Recht um. Die Reform des Gesetzes soll zu mehr Effizienz und Wirksamkeit von Fahrtenschreibern führen. Da somit die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten besser kontrolliert werden kann, begrüßen wir den Gesetzentwurf und werden der Beschlussempfehlung zustimmen. Dass den Aufsichtsbehörden in den Ländern mehr Kontrollmöglichkeiten eingeräumt werden und die möglichen Bußgelder für Verstöße angehoben wurden, findet unsere Zustimmung. Die Erhöhung der möglichen Bußgelder ist schon aufgrund der unterschiedlichen Finanzstärke von kleineren und größeren Unternehmen geboten. Nicht einverstanden sind wir allerdings damit, dass das Problem des Verbringens der Ruhezeiten im Lkw mit dem Hinweis auf Europa auf die lange Bank geschoben werden soll. Würde sich Deutschland an Frankreich oder Belgien orientieren, die Regelungen gegen das Übernachten im Lkw bereits umgesetzt haben, käme dies dem Fahrpersonal unmittelbar zugute. Außerdem mahnt Die Linke an, bei einer künftigen Reform des Gesetzes Unklarheiten im Bezug auf Ausnahmeregelungen und den Datenschutz auszuräumen. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Fahrpersonalgesetz regelt zentrale Sozialvorschriften für die Beschäftigen im Transport- und Spedi-tionsgewerbe wie zum Beispiel die Lenk- und Ruhezeiten. Die aktuellen Entwicklungen im Transportsektor, die durch die weitgehende Liberalisierung des Gewerbes und die Veränderungen infolge des Beitritts unserer osteuropäischen Nachbarn in die Europäische Union geprägt ist, macht Änderungen beim Gesetz notwendig. Maßstab für Änderungen am Fahrpersonalgesetz muss die Verbesserung der sozialen Situation der Fahrer sein. Die neue EU-Verordnung zur Verbesserung der Wirksamkeit und Effizienz von Fahrtenschreibersystemen machte Änderungen des Fahrpersonalgesetzes notwendig. Der Bundesrat hat in seiner einstimmig angenommenen Stellungnahme die Gelegenheit genutzt und Änderungen des Fahrpersonalgesetzes in einigen Punkten eingefordert. Wir begrüßen, dass Sie sich in zwei Punkten zu sinnvollen Ergänzungen bzw. Änderungen des Fahrpersonalgesetzes durchringen konnten. Die Erweiterung der Anforderungsbefugnis, mit der die zuständigen Aufsichtsbehörden die Handhabe bekommen, gegen alle Beteiligten einer Beförderungskette tätig zu werden, ist notwendig und daher richtig. Beispielsweise werden dadurch auch Unterauftragnehmer und Fahrvermittlungsagenturen stärker in die Pflicht genommen. Auch die Verdoppelung des Bußgeldrahmens bei Fahrerverstößen von 15 000 auf 30 000 Euro findet ausdrücklich unsere Zustimmung. Insbesondere die jüngste Rechtsprechung, die bei Ahndung von Fahrerverstößen über den Unternehmer von Tateinheit ausgehen, wodurch die maximale Bußgeldsumme schnell ausgeschöpft war, macht eine Anpassung erforderlich. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Nicht nachvollziehbar ist für uns, warum Sie sich um ein Verbot des Verbringens der Wochenruhezeit in der Fahrerkabine herumdrücken. Wenn man die Schilderungen von Brancheninsidern hört, dann läuft es einem angesichts der erbärmlichen sozialen Lage der Fahrer einfach nur kalt den Rücken runter. Unter dem Deckmantel der Dienstleistungsfreiheit unterlaufen einige Unternehmen mit Sitz in Osteuropa über Subunternehmen jegliche Sozialvorschriften, indem sie mit Fahrern und Fahrzeugen aus dem Ausland auch die Kabotageregeln umgehen und so die Branche in einen ruinösen Wettbewerb drängen, der auf dem Rücken der Fahrer ausgetragen wird. Dumpinglöhne und miese Arbeitszeitregelungen sind die unübersehbare Folge. Es soll Fahrer geben, die monatelang Arbeits- und Freizeit in „ihrem“ Lkw verbringen. Hier bringt auch der Verweis auf eine europäische Regelung nichts, liebe Kollegen von der Union. Wie lange wollen Sie denn die geschilderten Missstände noch dulden? Ja, es kann dann in Grenzregionen zu einer Verlagerung des Problems kommen, so wie wir es heute von der deutsch-französischen Grenze kennen. Aber dies ist ein regional begrenztes Problem. Jede Regelung im nationalen Rahmen bewirkt eine deutliche Verbesserung der jetzigen Zustände. Im Übrigen müssen wir hier auf die Vorbild- und Signalwirkung setzen: Wenn mehr Länder das Verbringen der Wochenruhezeit im Lkw verbieten, dann ziehen andere Länder sukzessive nach. Das belegen ja gerade die Beispiele Belgien und Frankreich, wo entsprechende Vergehen mit Bußgeldern geahndet werden. Wir könnten außerdem schon heute eine Sanktionierung haben, wenn nicht das Bundesverkehrsministerium länger an einer bizarren Auslegung der EU-Verordnung 561/2006 festhalten würde. Der dortige Artikel 8 Absatz 8 steckt nämlich den Rahmen für ein bußgeldbewährtes Verbot, die regelmäßige Wochenruhezeit im Fahrzeug zu verbringen, schon heute ab. Es kommt wohl auf die Rechtsauffassung an. Aus unserer Sicht ergibt sich hieraus die notwendige Präzisierung des Fahrpersonalgesetzes. Leider konnten Sie sich in diesem entscheidenden Punkt nicht zu einer überfälligen Neuregelung durchringen, sodass wir uns beim Gesetzentwurf enthalten werden. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundespost (Tagesordnungspunkt 21) Norbert Brackmann (CDU/CSU): Mit dem Gesetzentwurf zur „Weiterentwicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundespost“ wollen wir zwei Dinge erreichen. Erstens soll die unternehmerische Freiheit der Postnachfolgeunternehmen auch zukünftig sichergestellt werden. Zweitens wollen wir für die noch über 100 000 aktiven Beamten der ehemaligen Deutschen Bundespost die Weiterbeschäftigung im Postnachfolgebereich für den Fall sichern, dass ihr Unternehmen vor Umstrukturierungen steht. Worum geht es genau? Mit der Privatisierung der Deutschen Bundespost wurde vor mehr als 20 Jahren ein neuer Weg beschritten. Die Beamten der Deutschen Bundespost wurden an die Nachfolgeunternehmen, die Aktiengesellschaften Deutsche Post AG, Telekom AG und Deutsche Postbank AG, übertragen. Während der Bund als Dienstherr noch immer die Verantwortung für die Beamten trägt, liegt die Weiterbeschäftigungs- und Kostentragungspflicht ausschließlich bei den Postnachfolgeunternehmen. Doch ihre Beschäftigung unter marktwirtschaftlichen Bedingungen stellt für die Unternehmen zunehmend eine besondere Herausforderung dar. Seit der Privatisierung bewegen sich die Postnachfolgeunternehmen unter Wettbewerbsbedingungen. Sie sind heute auf internationalen Märkten tätig und müssen sich dort fortlaufend im Wettbewerb bewähren. Die Postbeamten sind Teil dieser unternehmerischen Entwicklung. Jedoch hat das Postpersonalrecht mit der Entwicklung nicht Schritt gehalten. Die globalen Konzernbildungen sowie die Ausgründung von Tochter- und Enkelunternehmen waren schlichtweg bei der Schaffung des Postpersonalrechtes in diesem Umfang nicht absehbar. Deshalb würden die Unternehmen bei einer gesellschaftsrechtlichen Umwandlung durch Verschmelzung oder Spaltung vor der Herausforderung stehen, dass sie die Postbeamten in einem neuen Unternehmen nicht weiterbeschäftigen könnten. Denn die Postbeamten sind nicht einfach an jedes private Unternehmen übertragbar. Auch die für Arbeitnehmer geltenden Schutzvorschriften sind auf die Postbeamten nicht anwendbar. Dies bedeutet im Fall einer Unternehmensumstrukturierung, dass die Postbeamten zum Bund zurückkehren. Das ist aber nicht der Wunsch der Postnachfolgeunternehmen, denn die Beamten sichern durch ihre Arbeitserfahrung den Unternehmen wichtige Kompetenzen und unternehmerisches Wissen. Und es ist auch nicht im Sinne der Beamten, die im Postnachfolgebereich weiterbeschäftigt werden wollen. Der Gesetzentwurf sieht deshalb vor, die Bundesregierung zu ermächtigen, dass sie per Rechtsverordnung private Unternehmen, die in einem wirtschaftlichen oder rechtlichen Nachfolgeverhältnis zu einem Postnachfolgeunternehmen stehen, mit der Weiterbeschäftigung und Kostentragung beleihen können. Diese Beleihung setzt voraus, dass der Bund vor Erlass der Rechtsverordnung das Nachfolgeunternehmen prüft, ob es eine Weiterbeschäftigung und die Kosten tragen kann. Zur Sicherheit des Bundes und der Postbeamten wird eine Sicherheitsleistung festgesetzt, die das Unternehmen erbringen muss. Durch diese Maßnahmen schützen wir die Postbeamten vor einer unsicheren Weiterbeschäftigung. Wir schützen die Interessen der Beamten, indem wir unsere Verantwortung gegenüber den Postbeamten wahrnehmen und alles unternehmen, um für eine nachhaltige, amtsangemessene Weiterbeschäftigung zu sorgen. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz im Interesse der Postbeamten Sinnvolles regeln. Im weiteren parlamentarischen Verfahren ist Zeit und Gelegenheit, die vom Bundesrat, den Gewerkschaften und Verbänden vorgebrachten Bedenken zu regeln. Michael Frieser (CDU/CSU): Mit dem im Oktober diesen Jahres durch die Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf liegt uns ein ausgewogener Reformvorschlag vor, mit dem wir eine für alle Seiten zufriedenstellende und effiziente Modernisierung des Postdienstrechts erreichen werden. Die von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eingebrachten Gegenäußerungen zur Stellungnahme des Bundesrates unterstützen dies und zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Mit einer Weiterentwicklung der organisatorischen Strukturen und rechtlichen Instrumentarien zielt die Reform darauf ab, die Beschäftigungsverhältnisse der noch rund 100 000 bei Postnachfolgeunternehmen beschäftigten Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten nachhaltig zu sichern. In einer im Gesetzentwurf vorgesehenen Vorschrift wird statuiert, dass im Falle einer Unternehmensumstrukturierung neben unternehmensstrategischen Überlegungen auch die Belange der bei dem Unternehmen beschäftigten Beamtinnen und Beamten und die Interessen des Dienstherren Bund an der weiteren Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen des Nachfolgeunternehmens mit einzubeziehen sind. Um dies später in der Praxis sicherzustellen und dem Bundesministerium als dem zuständigen Ressort seine Kontrollfunktion zu ermöglichen, sieht die Vorschrift eine Anzeigepflicht des Vorstands sowie ein Informationsrecht des Ministeriums vor. Zusätzlich wird es die Möglichkeit der Anforderung einer Sicherheitsleistung geben. Damit wird gewährleistet, dass die gesetzlichen Pflichten der Unternehmen nach der Umwandlung erfüllt werden und eine Belastung des Bundeshaushalts durch Unternehmensumstrukturierungen zuverlässig verhindert wird. Ein weiterer Aspekt des Gesetzes ist die viel diskutierte Möglichkeit, private Unternehmen mit der Wahrnehmung von Dienstherrenbefugnissen des Bundes zu beleihen. Dazu müssen zunächst die bestehenden gesetzlichen Vorschriften um eine Ermächtigungsgrundlage zur Beleihung von sekundären Postnachfolgeunternehmen, also solchen Unternehmen, die aus den derzeitigen Postnachfolgeunternehmen Deutsche Post AG, Deutsche Telekom AG und Deutsche Postbank AG hervorgehen, ergänzt werden. Wichtig hierbei ist, um den Einwänden besorgter Bürgerinnen und Bürger zu begegnen: Es kommen lediglich solche Unternehmen infrage, „die in einem rechtlichen oder wirtschaftlichen Nachfolgeverhältnis zum ehemaligen Sondervermögen Deutsche Bundespost stehen“. Weitere Wirtschaftsunternehmen sind für die Beleihung nicht vorgesehen, und die Befürchtung mancher Beamtinnen und Beamten zukünftig an McDonald’s oder Karstadt „ausgeliehen“ zu werden ist damit unbegründet. Auch darf die Regelung lediglich als Ultima Ratio verstanden werden. Eine Beschäftigung der Beamtinnen und Beamten im Postnachfolgeunternehmen selbst und nicht im daraus entstehenden sekundären Postnachfolgeunternehmen bleibt immer oberstes Ziel. Bei der Entscheidung über eine etwaige Beleihung mit Dienstherrnbefugnissen werden stets auch die Spitzenorganisationen der Gewerkschaften beteiligt, um die Interessen der Beschäftigten zu vertreten. Für die Unternehmen bringt der Gesetzentwurf durch mehr Flexibilität beim Einsatz der Beamtinnen und Beamten auch wirtschaftliche Chancen mit sich. Den unternehmerischen Entwicklungen der vergangenen knapp 20 Jahre seit der Privatisierung wird damit Rechnung getragen. Auch wollen wir mit dem Gesetz die dienstrechtlichen Zuständigkeiten für die inzwischen rund 275 000 Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger der ehemaligen Deutschen Bundespost und die Zuständigkeiten für die Bearbeitung der Beihilfe für die rund 100 000 bei Postnachfolgeunternehmen beschäftigten Beamtinnen und Beamten auf die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost übertragen. Eine solche Zentralisierung ist eine zeitgemäße Maßnahme, bei der auch in Zukunft hohe Qualitätsstandards gesichert werden. Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Zurzeit sind immer noch gut 100 000 Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte bei den Postnachfolgeunternehmen, also Deutsche Post AG, Deutsche Telekom AG und Deutsche Postbank AG, beschäftigt. Mit dem nun vorliegenden Entwurf des -Gesetzes zur Weiterentwicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der Deutschen Bundespost sollen die organisatorischen Strukturen und rechtlichen Instrumentarien im Postnachfolgebereich weiterentwickelt werden. Des Weiteren wird beabsichtigt, die Beschäftigung der Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten, die bei den Postnachfolgeunternehmen tätig sind, nachhaltig zu sichern. Um diese Ziele zu erreichen, werden die vorhandenen gesetzlichen Vorschriften um eine Ermächtigungsgrundlage zur Beleihung von sekundären Postnachfolgeunternehmen ergänzt. Dies ist deswegen nötig, da bei einer gesellschaftsrechtlichen Umwandlung der Postnachfolgeunternehmen die bisherige Pflicht der Unternehmen zur Weiterbeschäftigung und Kostentragung der dort beschäftigten Beamtinnen und Beamten wieder den Dienstherrn Bund träfe. Ein solcher „Rückfall“ kann aber nicht im Interesse aller Beteiligten, also Beamtenschaft, Unternehmen, Bund, sein, da eine angemessene Verwendung der Beamtinnen und Beamten in der Bundesverwaltung nicht möglich ist. Zudem wird mit dem Gesetzentwurf die dienstrechtliche Zuständigkeit der Postnachfolgeunternehmen beschränkt und die Beihilfebearbeitung zentralisiert. Die Postnachfolgeunternehmen sind nicht nur für die aktiven Beamtinnen und Beamten dienstrechtlich zuständig, sondern auch für die Pensionärinnen und -Pensionäre sowie deren Hinterbliebene. Nun ist es mittlerweile so, dass die Zahl der Versorgungsempfänger der früheren Deutschen Bundespost die Zahl der noch -beschäftigten Beamtinnen und Beamten weit übertrifft. 100 000 Aktiven stehen circa 275 000 Versorgungsempfänger gegenüber. Es ist absehbar, dass sich dieses -Verhältnis zukünftig noch weiter in Richtung Versorgungsempfänger verschieben wird, da neue Beamtenverhältnisse nicht mehr begründet werden. Dies hätte dann zur Folge, dass die Postnachfolgeunternehmen bei einer unveränderten Aufgabenzuweisung die Verantwortung für die Betreuung der Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger noch Jahrzehnte, nachdem die letzten Beamtinnen und Beamten aus dem aktiven Dienst ausgeschieden sind, übernehmen müssten. Dies erscheint weder dienstrechtlich sachgerecht noch betriebswirtschaftlich sinnvoll. Es macht daher Sinn, dass mit dem Ausscheiden der Postbeamtinnen und Postbeamten aus dem aktiven Dienst, die dienstrechtliche Zuständigkeit der Postnachfolgeunternehmen endet. Zukünftig wird deshalb die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost, eine Anstalt im Geschäftsbereich des BMF, diesen Personenkreis betreuen. Gleiches gilt auch für die Bearbeitung der Beihilfe für die noch aktiven Beamtinnen und Beamten der Postnachfolgeunternehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun haben auch Sie sicher in den letzten Wochen viele Eingaben mit geäußerten Bedenken der Bediensteten erhalten. Unter anderem wird befürchtet, dass die Dienstherrnbefugnisse per Rechtsverordnung auf jedes x-beliebige Unternehmen übertragen werden könnten, mit der Folge, dass beispielsweise eine Warenhauskette oder ein Fastfoodrestaurant künftig das Recht einer Versetzung oder Beförderung innehat. Des Weiteren wird die Sorge geäußert, dass durch die Zentralisierung der Bearbeitung der Beihilfeanträge eine pünktliche Bearbeitung der Beihilfeanträge nicht mehr gewährleistet sei und somit ausstehende Arztrechnungen nicht mehr pünktlich bezahlt werden. Diese Bedenken sind natürlich sehr ernst zu nehmen. Ich halte sie aber für unbegründet. So enthält § 38 Absatz 2 PostPersRG-E ausschließlich eine Ermächtigungsgrundlage für die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung solche Unternehmen mit Sitz im Inland als Postnachfolgeunternehmen zu bestimmen und damit auch mit Dienstherrenbefugnissen zu beleihen, „die in einem rechtlichen oder wirtschaftlichen Nachfolgeverhältnis zum ehemaligen Sondervermögen Deutsche Bundespost stehen.“ Damit kommen also nur solche Unternehmen in Betracht, die im Wege einer -Umwandlung aus einem der derzeitigen primären Postnachfolgeunternehmen hervorgegangen sind. Insofern ist eine Beleihung von Warenkaufhäusern oder auch Fastfoodrestaurants bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift ausgeschlossen, da diese Unternehmen eben nicht in einem rechtlichen oder wirtschaftlichen Nachfolgeverhältnis zum ehemaligen Sondervermögen Deutsche Bundespost stehen. Hinzu kommt, dass vor Erlass einer Rechtsverordnung die Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften nach § 118 des Bundesbeamtengesetzes zu beteiligen sind. Sollte dann ein anderes Unternehmen beliehen werden, gelten selbstverständlich die bisherigen beamtenrechtlichen Grundsätze fort. Zum einen werden die Beamtinnen und Beamten unter Wahrung -ihrer Rechtsstellung zu den bisherigen Konditionen weiterbeschäftigt, zum andern greifen die Benachteiligungsverbote des Postpersonalrechtsgesetzes. Auch die Bedenken gegen eine Zentralisierung der Bearbeitung der Beihilfeanträge halte ich für unbegründet. Über 90 Prozent der Beihilfeberechtigten aus dem Postnachfolgebereich sind von der Zentralisierung rechts-praktisch gar nicht betroffen. Im sogenannten „vereinigten Verfahren“ werden deren Beihilfeangelegenheiten wie bisher von der Postbeamtenkrankenkasse übernommen. Nur diejenigen, die nicht bei der Postbeamtenkrankenkasse ergänzend krankenversichert sind, werden von der Zentralisierung betroffen sein. Die Zuständigkeiten bei der Bearbeitung der beamtenrechtlichen Beihilfe im Postnachfolgebereich sind derzeit leider nicht einheitlich. Formal erfolgt in der Regel die Festsetzung der Beihilfe durch das mit Dienstherrenbefugnissen beliehene Postnachfolgeunternehmen. Faktisch aber erfolgt die Bearbeitung teils durch das Postnachfolgeunternehmen selbst, teils durch das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen und durch die Postbeamtenkrankenkasse. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine solche Zuständigkeitsverteilung häufig fehleranfällig ist und zu uneinheitlichen Entscheidungen führt. -Insofern halte ich es für richtig, dass die langfristige -Sicherung eines hohen Qualitätsstandards bei der Bearbeitung der Beihilfe im Bundesinteresse liegt. Daher ist es meines Erachtens vernünftig, hier ein einheitliches Fallmanagement und eine zentrale Sachbearbeitung einzuführen. Ich denke, dass dies zu einer nachhaltigen Qualitätssicherung führen kann. Wir werden im Verlaufe der Gesetzesberatungen die Bedenken der Bediensteten – so hoffe ich – weitestgehend ausräumen und dann zu einer richtigen und sinnvollen Weiterführung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundespost kommen. Frank Tempel (DIE LINKE): Die Linke hat in den letzten Jahren mit Sorge die zunehmend negativen Entwicklungen für die Beamtinnen und Beamten der Postnachfolgeunternehmungen verfolgt. Beispielweise sind aus unserer Sicht die Aufstiegsmöglichkeiten für die Beamtinnen und Beamtinnen in den Postnachfolgeunternehmungen völlig unzureichend. Zwar ist dieses Problem im öffentlichen Dienst allgemein weit verbreitet, besteht hier aber verschärft. Seit der Postprivatisierung 1995 hat sich der Umgang mit den Beschäftigten in den Nachfolgeunternehmungen der Post in vielen Details als änderungswürdig herausgestellt. Dabei sollte der Anspruch sein, die Interessen des Bundes, der Unternehmen und der Beschäftigten gleichermaßen zu berücksichtigen. Wir haben erhebliche Zweifel, ob sich dies so im Gesetzentwurf niedergeschlagen hat. Die Bundesregierung hatte den Gewerkschaften den „Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundespost“ zur Stellungnahme zugeleitet. Es sollte selbstverständlich sein, dass ein so weitgehender Einschnitt in das Personalrecht von über 100 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jenseits der Einholung von Stellungnahmen eine breitere Diskussion und Beteiligung der Gewerkschaften erforderlich macht. Leider sind in den letzten Wochen kaum Anzeichen erkennbar gewesen, dass die Bundesregierung die Diskussion sucht oder befördert. Im vorliegenden Gesetz gibt es einzelne begrüßenswerte Änderungen, etwa bei der Regelung der Lebens-arbeitszeitkonten. Insgesamt stellt der Entwurf des Bundes aber den Versuch dar, sich gegen eine etwaige Rücknahmeverpflichtung gegenüber den Beamtinnen und Beamten abzusichern, falls Eigentumsänderungen oder betriebliche Umstrukturierungen der Postnachfolgeunternehmungen die Frage nach dem Status der Beamtinnen und Beamten aufkommen lassen. Dabei ist die verfassungsrechtliche Situation völlig eindeutig: Nach Artikel 143 b Absatz 3 des Grundgesetzes werden die bei der Deutschen Bundespost tätigen Beamtinnen und Beamten unter Wahrung ihrer Rechtsstellung und der Verantwortung des Dienstherrn, des Bundes, bei den privaten Unternehmen beschäftigt. Diese Unternehmen üben Dienstherrenbefugnisse aus. Die drei Unternehmen, Deutsche Post AG, Deutsche Postbank AG und Deutsche Telekom AG, sind explizit benannt. Die Erweiterung der Zuweisungsmöglichkeiten von Tätigkeiten an andere Unternehmen, die Erleichterung von Versetzungen zu anderen Unternehmen und Behörden und die vorgesehene Ausweitung der Möglichkeit zu unterwertigem Einsatz der Beamtinnen und Beamten stehen im Gegensatz zu Artikel 143 b und den wesentlichen beamtenrechtlichen Grundsätzen. Sie würden einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten. Ein zweiter wesentlicher Bestandteil des Gesetzes ist die Überführung der dienstrechtlichen Betreuung der rund 275 000 Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger auf die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation. Auch die Bearbeitung der Beihilfe würde an diese Stelle übergehen. Wir sind in Sorge, dass bei einer überstürzten Zentralisierung der Beihilferegelung und der Fürsorge für Krankheit, Pflege und Geburt die Aufgaben nicht im üblichen Umfang wahrgenommen werden können. Die negativen Folgen einer übereilten Umstrukturierung konnten im vergangenen Jahr bei der Abgabe der Beihilfestelle der Bundeswehr an das -Finanz- und das Innenministerium beobachtet werden: Ein riesiger Abarbeitungsstau und monatelange Wartezeiten bei der Kostenerstattung für die Bediensteten waren die Folge. Die Fraktion Die Linke wird aus all diesen Gründen dem Gesetzpaket in seiner jetzigen Form keine Zustimmung erteilen können. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Vergangenheit hatte der Bundesrechnungshof wiederholt kritisiert, dass die Postbeamtenversorgung nicht über eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, sondern über einen eingetragenen Verein organisiert war. Soweit nun auch haushaltsrelevante Personalverwaltungsaufgaben, insbesondere die Versorgungs- und Beihilfebearbeitung, bei der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost zusammengeführt werden, ist das vernünftig. Doch der Teufel steckt oft im Detail. Und so verstecken sich auch in Ihrem Gesetzentwurf einige andere Regelungen, deren Sinn und Rechtmäßigkeit hier doch infrage gestellt werden müssen. Denn hier werden grundlegende Rechte der Beamtinnen und Beamten in den Postnachfolgeunternehmen ausgehöhlt. Und das, nachdem diese Beamtinnen und Beamten schon vielfach diversen Umbrüchen ausgesetzt wurden. Ich möchte Nachfolgendes betonen: Wir sprechen hier von mehr als 100 000 Bundesbeamtinnen und -beamten, für die Sie eine Fürsorgepflicht haben. So soll in § 2 das Rechtsverhältnis der Beamten und Beamtinnen neu geregelt werden, und zwar werden die Beamten und Beamtinnen danach auch bei dem Postnachfolgeunternehmen beschäftigt, dem sie nach der Verkündung dieses Gesetzes durch eine Rechtsverordnung nach § 38 Absatz 2 Satz 4 oder durch eine Einzelentscheidung zugeordnet werden. Was sind denn das für Postnachfolgeunternehmen? Welche Einzelfallentscheidungen sind denn anvisiert? Tatsächlich bedeutet dies eine weitere Unklarheit für die Beamten: Wohin wird die Reise gehen? Wem können sie bundesweit ohne ihre Zustimmung und ohne zeitliche Begrenzung „zugeordnet“ werden? Das haben Sie bislang nicht gesagt. Was für eine Rechtsverordnung schwebt Ihnen da vor, und was ist überhaupt der konkrete Hintergrund für einen solchen Regelungsbedarf? Darüber haben Sie bislang geschwiegen. In diesem Sinne wirkt auch die neue Regelung der Rechtsverhältnisse der Postnachfolgeunternehmen in § 38. Danach sollen nun Postnachfolgeunternehmen nicht nur die in § 1 Absatz 2 des Postumwandlungsgesetzes genannten inländischen Unternehmen sein, sondern die Bundesregierung wird nun ermächtigt, durch Rechtsverordnung, Unternehmen als Postnachfolgeunternehmen zu bestimmen. Ich möchte an dieser Stelle an unser Grundgesetz erinnern. Dort ist in Artikel 143 b geregelt, dass die Weiterbeschäftigung der Bundesbeamten „unter Wahrung ihrer Rechtsstellung“ bei den privaten Unternehmen erfolgt. Damit sind die jetzigen Unternehmen gemeint. Inwiefern Ihr Vorhaben hier verfassungskonform ist, wage ich zumindest zu bezweifeln. Zudem wird der § 6 neu gefasst und die Verwendung auf einem Arbeitsposten mit geringerer Wertigkeit geregelt. Es ist ja gut, dass hier auf die Zumutbarkeit abgestellt wird, aber auf die Zustimmung soll es erst bei einer mehr als zweijährigen Tätigkeit ankommen. Für die Rechte der Beamtinnen und Beamten bei der Post tragen Sie ganz direkt auch Verantwortung. Ich bitte Sie darum, dieser Verantwortung auch gerecht zu werden. 1Anlage 3 2Anlage 2 3Anlagen 4 bis 6 4Ergebnis Seite 7282 C 5Ergebnis Seite 7291 D 6Anlage 7 7Ergebnis Seite 7334 A 8Anlage 9 9Anlage 10 10Anlage 11 11Anlage 12 12 Anlage 8 13Anlage 13 14Anlage 14 15Anlage 15 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 XI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 7374 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7373