Plenarprotokoll 18/83 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 83. Sitzung Berlin, Freitag, den 30. Januar 2015 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr (Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz – BwAttraktStG) Drucksache 18/3697 7895 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Dr. Tobias Lindner, Doris Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Gerechtigkeit bei der Entschädigung von Einsatzunfällen Drucksachen 18/2874, 18/3126 7895 B Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg 7895 C Christine Buchholz (DIE LINKE) 7897 D Rainer Arnold (SPD) 7899 B Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7901 A Henning Otte (CDU/CSU) 7802 C Michael Leutert (DIE LINKE) 7904 A Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 7905 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7907 C Michaela Noll (CDU/CSU) 7908 D Thomas Hitschler (SPD) 7910 C Julia Obermeier (CDU/CSU) 7912 B Oswin Veith (CDU/CSU) 7913 A Tagesordnungspunkt 17: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Drucksache 18/3784 7914 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zweiter Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz (Berichtszeitraum 1. Juli 2004 bis 30. Juni 2009) Drucksache 17/4307 7914 B c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fünfter Gremienbericht der Bundes-regierung zum Bundesgremienbesetzungsgesetz (Berichtszeitraum: 30. Juni 2005 bis 30. Juni 2009) Drucksache 17/4308 (neu) 7914 C Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 7914 D Caren Lay (DIE LINKE) 7916 C Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 7917 D Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7920 B Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 7921 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 7923 C Dr. Carola Reimann (SPD) 7924 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7925 D Gudrun Zollner (CDU/CSU) 7927 A Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 7928 C Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) 7929 D Christina Jantz (SPD) 7931 C Oswin Veith (CDU/CSU) 7932 C Metin Hakverdi (SPD) 7933 C Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Hans-Christian Ströbele, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bericht über das Inhaftierungs- und Verhörprogramm der CIA vollständig und ungeschwärzt übermitteln Drucksache 18/3558 7934 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7934 B Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 7935 D Dr. André Hahn (DIE LINKE) 7937 A Angelika Glöckner (SPD) 7938 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7938 C Stefan Liebich (DIE LINKE) 7940 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) 7940 D Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) 7942 B Tagesordnungspunkt 19: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personalausweisgesetzes zur Einführung eines Ersatz-Personalausweises und zur Änderung des Passgesetzes Drucksache 18/3831 7943 B Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 7943 C Frank Tempel (DIE LINKE) 7944 C Gabriele Fograscher (SPD) 7945 D Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7947 A Clemens Binninger (CDU/CSU) 7948 B Uli Grötsch (SPD) 7949 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 7950 D Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7951 A Frank Tempel (DIE LINKE) 7952 A Frank Tempel (DIE LINKE) 7953 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 7953 B Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Marcus Weinberg (Hamburg), Christina Schwarzer, Ursula Groden-Kranich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sönke Rix, Susann Rüthrich, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch sicherstellen Drucksache 18/3833 7953 C Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 7953 D Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 7955 A Susann Rüthrich (SPD) 7956 A Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7957 A Christina Schwarzer (CDU/CSU) 7958 B Caren Marks (SPD) 7959 C Paul Lehrieder (CDU/CSU) 7960 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7960 D Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Kerstin Kassner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Übernahme der Energienetze durch Stadtwerke erleichtern Drucksache 18/3745 7961 D Caren Lay (DIE LINKE) 7962 A Jens Koeppen (CDU/CSU) 7963 B Caren Lay (DIE LINKE) 7964 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7966 A Johann Saathoff (SPD) 7967 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7968 C Karl Holmeier (CDU/CSU) 7969 C Florian Post (SPD) 7970 C Nächste Sitzung 7971 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 7973 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 7973 D 83. Sitzung Berlin, Freitag, den 30. Januar 2015 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Es gibt keine weiteren Veränderungen der gestern modifizierten Tagesordnung, sodass wir gleich mit dem Tagesordnungspunkt 16 sowie dem Zusatzpunkt 7 beginnen können: 16 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr (Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz – BwAttraktStG) Drucksache 18/3697 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Dr. Tobias Lindner, Doris Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Gerechtigkeit bei der Entschädigung von Einsatzunfällen Drucksachen 18/2874, 18/3126 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Wer heute einen Computer kaufen will, der recherchiert erst einmal im Internet und schaut im Vergleich zu anderen Computern, was er kostet, was er leisten kann, und vor allem, wie andere die Leistung des Computers bewerten. Das heißt, niemand kauft mehr die sprichwörtliche Katze im Sack. Genauso ist das heute auch auf dem Arbeitsmarkt. Wenn man sich irgendwo bewerben will, geht niemand mehr zum „Arbeitgeber im Sack“. Vielmehr schauen die jungen Leute ganz genau, wohin sie gehen und wie vor allem andere das bewerten. Umfragen zufolge schaut jeder Dritte im Internet, wie Arbeitgeber bewertet werden, was sie bieten, was sie können, ob es sich lohnt, sich dort zu bewerben, und wie andere über den jeweiligen Arbeitgeber sprechen. Wir haben uns deshalb einmal angeschaut, wie die Bundeswehr bei einem Jobzufriedenheitsbarometer abschneidet. Da stehen dann zum Beispiel als Pros: „Gutes Gehalt – Gute Ausbildung – Gutes Essen“, und als Kontras: „Zu kleine Betten – Standortwechsel sehr schwer“. Dieses kleine Beispiel macht sehr deutlich, wie vollständig sich der Arbeitsmarkt inzwischen gedreht hat. Die jungen Menschen stehen nicht mehr Schlange nach offenen Ausbildungsstellen. Vielmehr sitzen wir, die Bundeswehr, buchstäblich mitten im Schaufenster neben vielen anderen Arbeitgebern und werden ganz kritisch beäugt. Der Arbeitsmarkt hat sich inzwischen so gedreht, dass es seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland noch nie so viele offene Stellen in deutschen Betrieben gegeben hat. Offene Stellen heißt: Man kann sie nicht mehr besetzen, weil man keine qualifizierten Bewerberinnen und Bewerber findet. – Wenn man sich die Berufe, die offene Stellen bieten, anschaut, dann stellt man fest, dass es sich genau um die Berufsfelder handelt, in denen auch wir händeringend suchen: Logistik, Technik, Ingenieur- und Gesundheitswesen. Schauen wir uns auch einmal an, was die Betriebe den Bewerbern auf dem Arbeitsmarkt alles anbieten. Die Betriebe bieten den Azubis Begrüßungsgeld, Auslandsaufenthalte und teilweise schon einen Dienstwagen, um zur Arbeit zu kommen. Arbeitgeber konkurrieren um die klügsten, um die geschicktesten Schulabgänger, und wir sind mittendrin und müssen uns dem auch stellen. Wir haben keine Wehrpflicht mehr. Die Jahrgänge werden kleiner. Das heißt, wir müssen uns bei einer schrumpfenden Rekrutierungsbasis gegen eine wachsende Konkurrenz behaupten, und das bei einer veränderten, schwierigeren sicherheitspolitischen Lage, die wachsende Herausforderungen an uns stellt. Meine Damen und Herren, wenn wir eine starke, eine einsatzfähige, eine flexible Bundeswehr haben wollen, dann kommen wir gar nicht mehr darum herum, uns um die Attraktivität der Bundeswehr zu kümmern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vor diesem Lagebild müssen wir uns zentrale Fragen stellen. Die erste ist: Sind wir präsent genug bei den jungen Leuten, die sich potenziell für einen Arbeitgeber entscheiden? Genau hier ist der Anfang der Agenda Attraktivität. Wir sind im letzten Jahr neue Wege gegangen, wir sind ungewöhnliche Wege gegangen. Wir haben uns deutlich geöffnet, wir sind in Medien hereingegangen, die typischerweise nicht über die Vielfalt und die Ausprägung der Bundeswehr berichten. Das geht nicht ohne Schrammen ab. Da gibt es auch schon einmal Hohn und Spott. Aber die Bundeswehr ist sichtbarer geworden. Wenn man sich die Liste der Top-100-Arbeitgeber im IT-Sektor anschaut, dann stellt man fest, dass die Bundeswehr zum allerersten Mal in dieser Liste vertreten ist, und zwar im guten Mittelfeld. Nur damit man weiß, wer ganz oben ist: Das sind Google, SAP und BMW. Mit denen konkurrieren wir. Bei Schülerinnen und Schülern ist die Bundeswehr im letzten Jahr auf Platz 2 der interessantesten und beliebtesten Arbeitgeber aufgestiegen, bei denen man sich -potenziell bewirbt. Warum sind die Schülerinnen und Schüler so wichtig? Wir wissen, dass die Jahrgänge schrumpfen. Bald werden wir 600 000 junge Menschen in den Jahrgängen der Abschlussklassen haben. Wir brauchen 60 000 Bewerbungen, um genügend junge Leute zu rekrutieren, und zwar nicht nur in der Masse, sondern auch in der Qualität. Das heißt, es ist nötig, dass sich 10 Prozent eines Jahrgangs potenziell bei uns bewerben. Kein anderes Unternehmen in Deutschland hat so hohe Ansprüche. Konkret zeigt sich, dass wir sichtbarer geworden sind: Die Bewerberzahlen sind so hoch wie seit Jahren nicht. Das ist gut. Wir haben rund 11 000 freiwillig Wehrdienstleistende. Das ist mit der höchste Stand seit dem Aussetzen der Wehrpflicht – und das bei einer Erwerbsquote, die noch nie so hoch war wie jetzt. Was mich persönlich besonders freut: Noch nie haben sich so viele junge Frauen bei der Bundeswehr beworben. Das zeigt, meine Damen und Herren: Wir wagen diese Öffnung, wir sind andere Wege gegangen, wir haben die Informationskampagne breit angelegt; und die ist richtig, sie zahlt sich aus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die zweite Frage: Holen wir die jungen Menschen, wenn sie dann zu uns kommen, in ein modernes Arbeitsumfeld? Meine Antwort ist: Das ist das Ziel, aber es ist auch ein langer Weg dorthin. Genau dafür haben wir die Agenda Attraktivität auf den Weg gebracht. Da geht es um selbstbestimmtes Arbeiten, flexible Dienstzeiten, es geht natürlich um den Verdienst, um soziale Absicherung, Karriereaussichten, familienfreundliches Klima usw. usf. In allen diesen Feldern müssen wir besser werden. Ich will damit sagen: Mit der Agenda und dem Artikelgesetz sind wir gewiss kein Trendsetter in Deutschland, sondern wir gehen jetzt ganz viele Dinge an, die eigentlich woanders schon Selbstverständlichkeiten sind. Mit dem Artikelgesetz garantieren wir zum Beispiel unseren Soldatinnen und Soldaten hier in Deutschland zum ersten Mal seit Bestehen der Bundeswehr eine geregelte Dienstzeit im regulären Betrieb. Ich halte das für eine Selbstverständlichkeit. Ich bekomme ganz oft zu hören: Ja, aber das ist kein Beruf wie jeder andere. – Natürlich ist Soldat oder Soldatin zu sein kein Beruf wie jeder andere; denn diese Menschen sind bereit, im Ernstfall im Auslandseinsatz ihr Leben für Freiheit und Demokratie einzusetzen, weil die Parlamentsarmee diesen Auftrag bekommen hat. Ist das denn ein Grund, weil sie mehr einzusetzen bereit sind als jeder andere und das eben kein Beruf wie jeder andere ist, sie hier zu Hause schlechter zu behandeln als andere? Nein, im Gegenteil, wir müssen sie besser behandeln, und deshalb ist es jetzt auch allerhöchste Zeit, aufzuholen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit dem Artikelgesetz erhöhen wir zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung Zulagen für soldatenspezifische Tätigkeiten. Diese Zulagen sind berechtigt. Ich spreche von U-Boot-Fahrern, ich spreche von Minentauchern, ich spreche von Kampfmittelräumern. Das sind Menschen, die mit großer Expertise, mit großem Fingerspitzengefühl einen hochriskanten Job ausüben. Das muss bezahlt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir verbessern die soziale Absicherung der Soldatinnen und Soldaten durch eine verbesserte Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Wir überholen da nicht alle anderen; wir holen da gerade einmal auf. Auch unterhalb der Gesetzesschwelle modernisieren wir; Stichworte sind: Onlinebewerbungsmöglichkeiten – ich habe eben vom Verhalten junger Menschen erzählt –, Ausbau der Kinderbetreuung, freie Kommunikation im Einsatz, betriebliches Gesundheitsmanagement. Meine Damen und Herren, wir tun das nicht, weil wir Altruisten sind, weil wir Gutmenschen sind, sondern wir tun das, weil wir unseren Soldatinnen und Soldaten enorm viel abverlangen. Wir wollen die besten; wir brauchen die besten. Also müssen wir auch die besten Arbeitsbedingungen bieten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zu den Unterkünften. Ich gebe unserem Wehrbeauftragten recht: Wir haben gute Unterkünfte – gar keine Frage –; es gibt aber auch Unterkünfte, die einfach marode sind. Da geht es zunächst einmal um Geld. In den nächsten drei Jahren investieren wir auf der Grundlage eines Sofortprogramms 750 Millionen Euro in die Sanierung von Unterkünften. Die ersten Arbeiten konnten in den letzten Monaten bereits erledigt werden. Als wir die Analyse der Unterkünfte gemacht haben, haben wir 3 100 Sofortmaßnahmen identifiziert, also Maßnahmen dort, wo es allerhöchste Zeit ist. Davon sind 800 inzwischen abgeschlossen. Neben Geld geht es in diesem Zusammenhang auch um Geschwindigkeit. Alle hier im Raum wissen, wie zäh und mühsam es bisweilen ist, Geld, das wir haben, auf die Straße bzw. in die Gebäude zu bringen, sodass ein Bau oder eine Sanierung tatsächlich beginnen und auch abgeschlossen werden kann. Das heißt, es geht um die Verfahren. Wir haben die Verfahren durchforstet. Man kann nicht alles beschleunigen – das weiß ich auch –; aber man kann manches beschleunigen. Wir werden uns jetzt mit den anderen Beteiligten zusammensetzen, nicht nur mit denen auf Bundes-, sondern vor allem mit denen auf Landesebene. Ich kann nämlich nicht verstehen, dass die Dinge so langsam vorangehen. Es haben alle etwas davon, wenn es schneller geht: Es haben nicht nur die Soldatinnen und Soldaten in ihren Unterkünften etwas davon, wenn dieses Geld jetzt tatsächlich eingesetzt wird, das heißt, wenn saniert wird, sondern auch die lokalen Baufirmen und Handwerksunternehmen. Es sollte also im gemeinsamen Interesse von uns und den Ländern liegen, dass die Verfahren schneller umgesetzt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte unserem Wehrbeauftragten an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich für seine konstruktiven Hinweise in diesem „Jahr der Wahrheit“, wie er es in seinem Jahresbericht 2014 nannte, danken. Mein Dank gilt auch dem Vorsitzenden des Deutschen BundeswehrVerbandes, Oberstleutnant Wüstner. Denn sein ständiger kritischer Blick und der seines Verbandes helfen uns, Schwachstellen offenzulegen. Das ist ein Ansporn, tiefer zu bohren, Lösungen zu finden und aus der Truppe ganz viel darüber zu erfahren, wie die Dinge tatsächlich stehen. Da wir bei den Bruchstellen sind: Natürlich sind nicht nur die Arbeitsbedingungen wichtig, sondern auch die Ausstattung ist wichtig. Wir haben im Herbst die Agenda Rüstung auf den Weg gebracht. Das ist ein Thema für eine andere Debatte. Ich will dazu nur so viel sagen: Wir haben erhebliche Probleme, wir haben viele Schwierigkeiten offengelegt, auch und gerade bei uns. Dass wir die Ursachen kennen, heißt aber noch lange nicht, dass alle Fehler der Vergangenheit damit abgestellt sind. Vor uns liegt noch eine lange Buckelpiste. Aber wir wissen, was zu machen ist, wo wir besser werden müssen, und vor allen Dingen, dass wir mit der Industrie mehr Tacheles reden müssen, was Lieferungen angeht. (Zuruf von der LINKEN: Bessere Verträge schließen!) Meine Damen und Herren, ohne moderne Ausrüstung ist die Bundeswehr weder attraktiv noch einsatzfähig. Das heißt, es geht bei Attraktivität und Ausrüstung nicht um ein Entweder-oder, sondern es geht um ein Sowohl-als-auch, und das wollen wir auf den Weg bringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir das Artikelgesetz in Kraft gesetzt haben, ist die erste wichtige Etappe geschafft. Wir feiern in diesem Jahr 60 Jahre Bundeswehr. Wenn man einmal zurückschaut, dann sieht man, dass es viele Abschnitte mit spezifischen Schwierigkeiten, Herausforderungen und Besonderheiten gab: die Zeit des Aufbaus, den Kalten Krieg, die Wiedervereinigung, internationale Einsätze – ich erinnere zum Beispiel an unsere Erfahrungen in Afghanistan –, die Aussetzung der Wehrpflicht, die Neuausrichtung. In jeder Phase haben wir gelernt; in jeder Phase sind wir weitergekommen. Wichtig ist, dass wir, wenn wir jetzt die nächsten Schritte gehen, uns nicht nur über die ersten zarten Pflänzchen des Erfolges, wenn ich das einmal so nennen darf, freuen und die Hände in den Schoß legen, wenn das Artikelgesetz in Kraft ist. Denn Attraktivität ist keine Einmalaktion, sondern bedeutet tägliche Arbeit. Wir alle wissen, dass sich die Attraktivität eines Arbeitsplatzes auch, aber nicht nur durch Paragrafen und Finanzen steigern lässt; sie muss auch gelebt werden. Damit will ich sagen: Vor uns liegt kein Sprint, sondern vor uns liegt ein ziemlicher Marathon. Dieser Lauf erfordert Hinsehen, Prüfen, Handeln, Tempo vor allem; und dafür, meine Damen und Herren, ist insbesondere auch die Unterstützung des Parlaments wichtig. Ich konnte mir dieser immer gewiss sein. Ich weiß, dass die Bundeswehr sich dieser auch in den vergangenen 60 Jahren gewiss sein konnte. Ich bitte um Ihre Unterstützung auch in diesem Falle. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Christine Buchholz ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will mit dem vorliegenden Gesetz die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber steigern; (Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Gut erkannt!) denn der Dienst ist mehr als unattraktiv, und die Neubewerberquoten bei der Bundeswehr fallen seit Jahren. Der Grund dafür liegt aber nicht in erster Linie am Zustand der Kasernen oder an zu kleinen Betten oder an der wachsenden Konkurrenz am Arbeitsmarkt; das Kernproblem liegt in der ganzen Ausrichtung der Truppe. (Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Woher wissen Sie das?) Die Bundesregierung weitet die Auslandseinsätze immer weiter aus. Gerade gestern haben wir Soldaten an einen neuen Kriegsschauplatz geschickt, nämlich in den Irak. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt solche Einsätze ab. Und ich sage Ihnen: völlig zu Recht. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Wir sind anderer Meinung!) Bevor Sie überlegen, wie die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber sein könnte, sollten Sie sich fragen: Wofür haben über 50 deutsche Soldaten im Kampfeinsatz in Afghanistan ihr Leben verloren? Wie viele Afghanen wurden durch den Einsatz der Bundeswehr getötet? Denn das sind die Fragen, die junge Frauen und Männer und ihre Familien umtreiben, wenn sie über ihre Perspektiven und auch über die Rekrutierungsversuche der Bundeswehr reden. Deshalb gehen so wenig junge Leute zur Bundeswehr. Und ich sage Ihnen: Das ist auch gut so. (Beifall bei der LINKEN) Für die Linke geht es nicht darum, die Bundeswehr in ihrer jetzigen Ausrichtung attraktiver zu machen; uns geht es auch in dieser Diskussion darum, die Belastung für die Soldatenfamilien zu senken. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Die Umgestaltung der Bundeswehr zu einer Armee im globalen Dauereinsatz wird auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten und ihrer Familien ausgetragen. Mit diesem Gesetz, Frau von der Leyen, wollen Sie jetzt einen Widerspruch überbrücken, der nicht zu überbrücken ist. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Welchen denn?) Auch wenn wir die Absicht hinter dem Gesetz ablehnen, heißt das nicht, dass wir uns gegen jede einzelne Maßnahme stellen. Schauen wir uns die Beispiele genauer an: Die Arbeitszeit. Bisher war die Arbeitszeit für Soldaten gesetzlich nicht geregelt und der Willkür der Vorgesetzten unterworfen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: „Willkür der Vorgesetzten“ – so ein Quatsch!) Nun soll sie geregelt werden, und das ist eine seit Jahrzehnten überfällige Beendigung eines arbeitsrechtlichen Niemandslandes. Allerdings: Mit dem neuen Gesetz wird eine Lücke gelassen, die den Vorgesetzten weiterhin zu viele Spielräume lässt. Beispielsweise gibt es Ausnahmeregelungen, soweit es die Besonderheiten des Dienstes erfordern. Wir denken, dass das zu viele Spielräume sind, die dann wieder dazu führen, dass die Arbeitszeit willkürlich ausgedehnt wird. Im Übrigen gilt die 41-Stunden-Woche nach der Gesetzesvorlage nicht für Soldaten im Auslandseinsatz, auf See oder in Manövern, sondern nur im Grundbetrieb in Deutschland. In Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr soll weiterhin sogar bis zu 54 Stunden in der Woche gearbeitet werden. Das sind keine attraktiven Arbeitszeiten. (Beifall bei der LINKEN) Sie wollen den Eindruck erwecken, die Bundeswehr würde auch auf die Familien und den Einzelnen Rücksicht nehmen. Das gilt allerdings nur so lange, wie die Vereinbarkeit von Familie und Dienst nicht im Widerspruch zur Verwendung im Ausland steht. Auch die Teilzeitmöglichkeiten, die für die Berufssoldaten jetzt diskutiert werden, bestehen nur, wenn ein Kind oder ein pflegebedürftiger Angehöriger tatsächlich zu Hause betreut wird – dies auch nur nach einer Dienstzeit von vier Jahren und auch nur, soweit dienstliche Gründe nicht entgegenstehen. Und: Sie gelten mithin nicht für Soldaten im Auslandseinsatz. Tatsächlich lehnt es das Ministerium bis heute ab, alleinerziehende Väter und Mütter von Kindern unter drei Jahren von diesen Einsätzen auszunehmen. Das zeigt doch, wie weit es mit der Familienfreundlichkeit her ist. Frau von der Leyen, Sie wollen jetzt mit Lockprämien und Zulagen Anreize schaffen, dass junge Menschen in die Bundeswehr kommen. Sie haben eben noch einmal sehr plastisch gesagt, was für ein Druck da auf Ihnen lastet. Ich will Ihnen ganz klar sagen: Auch bei dieser Absicht, zum Beispiel die Stellen- oder Erschwerniszulagen zu erhöhen, sehen wir ganz genau, wo der Hase eigentlich längs läuft. Seit 1990 wurden die Zulagen etwa für Feldwebel nicht mehr erhöht. Sie sollen nun um 80 Euro angehoben werden, doch die Kommandosoldaten im Einsatz sollen eine Sonderzulage von 900 Euro bekommen. (Oswin Veith [CDU/CSU]: Das ist in Ordnung! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Völlig richtig!) Ich sage Ihnen: Die Linke ist dagegen, dass Einheiten wie das Kommando Spezialkräfte, die in Afghanistan einen geheimen Krieg an der Seite der US-Armee führen, belohnt werden. Sie müssen aufgelöst werden. (Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Verschwörungstheorien!) Richtig ist: Soldatinnen und Soldaten leiden unter denselben sozialen Problemen wie viele Beschäftigte in den zivilen Bereichen. So führt die verbreitete Einstellung von Soldaten auf Zeit zu enormen Problemen. Was machen diese Zeitsoldaten nach zwölf Jahren? Wie ist das mit der Altersabsicherung? Das ist übrigens ein Problem, das Millionen von Familien in Deutschland haben, die durch die Einführung grundlos befristeter Arbeitsverträge und die Absenkung des Rentenniveaus in soziale Unsicherheit gestürzt werden. Bei den Soldaten fällt Ihnen nun auf, dass die Altersbezüge in den nächsten Jahren nicht ausreichend sein werden. Das ist erfreulich, weil es einen gewissen Erkenntnisgewinn darstellt. Aber Sie wollen jetzt mit dem Gesetz für Soldaten Sonderbemessungsgrenzen zur Erhöhung von Rentenansprüchen einführen, von denen im Übrigen vor allen Dingen die hohen Besoldungsgruppen profitieren werden. Die Linke bleibt bei ihrer Forderung, die Beitragsbemessungsgrenzen für alle Beschäftigten in einer solchen Art und Weise anzuheben, damit alle Beschäftigten und Soldaten eine armutssichere Rente erhalten. (Beifall bei der LINKEN) Ich fasse zusammen: Es mag Sie wundern, aber wir sind nicht dagegen, dass die Einkommenssituation und die soziale Absicherung für die niedrigen und mittleren Dienstgrade in der Bundeswehr verbessert werden. Aber – Frau von der Leyen hat dies ja eben noch einmal sehr deutlich gemacht – das Gesetz fügt sich in eine ganze Reihe von Maßnahmen des sogenannten Attraktivitätsprogramms ein. Und dieses ganze Programm zielt darauf ab, mehr junge Menschen in die Einsätze der Bundeswehr zu locken. Diese Absicht lehnen wir ab. Frau von der Leyen, machen Sie den Leuten nichts vor! Es geht nicht darum, ihnen eine persönliche Lebensperspektive zu schaffen, sondern es geht darum, die Bundeswehr als Armee im Einsatz handlungsfähig zu machen. Wir werden diesen Weg nicht mitgehen. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Rainer Arnold erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rainer Arnold (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur ein Satz zu den Linken – es sitzen ja auch Soldaten hier im Saal –: Würden Sie und Ihre Fraktionsspitze den Soldaten einfach mal sorgfältiger zuhören, dann würden Sie merken, was Sie hier für falsche Thesen aufstellen und wie sehr Sie insgesamt mit Ihrer Sichtweise im Abseits sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Oberlehrer!) Nun zum Thema selbst: Die Bundeswehr war in den letzten Monaten häufig in den Schlagzeilen. Das war nicht immer erfreulich; wir wissen das. Es ging vorwiegend um fluguntaugliche Hubschrauber, Panzer, die die Anforderungen nicht erfüllen, defekte Schiffe, Flieger, die nicht geliefert werden, und um vieles andere mehr. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Was hat das mit dem Artikelgesetz zu tun?) Natürlich sind diese Themen wichtig, auch für uns im Verteidigungsausschuss, und natürlich ist es für junge Menschen unter der Überschrift „Attraktivität“ wichtig, modernes Gerät zu haben, funktionierende Computer überall, wo sie sind, und Zugang zum Internet auch auf dem Schiff. Manchmal hatte ich aber den Eindruck, viele glauben, diese technologischen Herausforderungen sind das Allerwichtigste. Nein, das Allerwichtigste bei den Streitkräften sind die Menschen. Es ist die größte Herausforderung, in den nächsten Jahren nicht nur genügend Menschen zu finden, sondern die richtigen jungen Leute für die Streitkräfte zu finden. Das wird aus drei Gründen bei der Bundeswehr besonders schwer. Der erste ist klar: Mit der Abschaffung der Wehrpflicht haben wir eine neue Herausforderung. Die Bundeswehr selbst muss stärker werden als in der Vergangenheit. Zweitens. Die demografische Entwicklung ist eindeutig. Der Kampf um die qualifizierten jungen Leute wird auch im öffentlichen Dienst schwieriger werden. In zehn Jahren werden doppelt so viele Erwerbstätige aus dem Berufsleben ausscheiden, wie junge nachkommen. Der dritte Punkt ist die größte Herausforderung. Der Soldatenberuf ist sehr viel anspruchsvoller geworden, als dies vor 20 oder 30 Jahren der Fall war. Mir hat der Verteidigungsminister eines großen Bündnispartners einmal gesagt: Herr Arnold, wissen Sie, wir brauchen Kluge, wir brauchen aber auch Doofe. Das ist ein nahezu wörtliches Zitat. Ich bin erschrocken. Er lag so etwas von falsch. Wir brauchen ausschließlich kluge, qualifizierte junge Leute, weil die Herausforderungen auch für den Mannschaftssoldaten, für den Infanteristen anders sind als für den Panzergrenadier vor 20 Jahren. Der Beruf ist komplex, auch in Bezug auf die technologische Logistikkette. Junge Leute müssen im Einsatz kämpfen können. Sie müssen polizeiähnlich arbeiten können. Sie müssen Rechtskenntnisse haben. Sie müssen Sprachkompetenz haben. Sie müssen interkulturelle Kompetenz haben. Dies erwarten wir von 22-jährigen Frauen und Männern. Ich stelle mir einmal vor, wie eine Ausschreibung mit diesem Profil in der Wirtschaft aussehen würde. Dort stünde dann: vom Meister an aufwärts. Entsprechend müsste auch die Bezahlung sein. Darüber hinaus müssen sie noch Auftragstaktik beherrschen und die Prinzipien der Inneren Führung vorleben und mitgestalten. Anders als in Firmen kann man bei der Bundeswehr angesichts der Demografie die Produktivität nicht einfach steigern. Die Zahl der Soldaten und Zivilbeschäftigten bewegt sich eher an der unteren Grenze. Es gibt im Augenblick viele Bereiche, bei denen es hinten und vorne fehlt, auch an Personal. Das führt dann zur Belastung einzelner und senkt die Attraktivität. Die vorliegende Reform ist ein ganz wichtiger Schritt. Die Frau Ministerin hat gesagt, dass das nicht alles ist. Am allerwichtigsten ist eigentlich Planbarkeit im Soldatenberuf. Das sagen uns viele Soldaten. Daran gilt es sicherlich auch noch zu arbeiten. Es wurde viel über Unterkünfte gesprochen. Das gehört natürlich dazu. Ich erinnere daran, dass die Koalitionsfraktionen im Zuge der Haushaltsberatungen einen Antrag eingebracht haben. Wir fänden es gut, wenn Sie ihn jetzt umsetzten. Wir freuen uns auf den Bericht, wie es jetzt konkret weitergeht. Diese Attraktivitätsagenda ist aber in der Tat ein sehr großer Schritt, einer der größten in der Zeit, seit ich im Parlament bin. Es zeigt sich auch an dieser Stelle: Es ist einfach gut, wenn Sozialdemokraten mit in Regierungsverantwortung sind. (Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei der CDU/CSU) – Ja, ja, ja. – Denn vieles von dem, was jetzt getan wird, entspricht jahrelangen Forderungen. Wenn wir es jetzt in der Koalition mit der CDU/CSU schaffen, diese gemeinsam umzusetzen, dann ist das sehr vernünftig. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da muss er ja selbst lachen! – Heiterkeit des Abg. Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]) Wir haben dies ja im Koalitionsvertrag fixiert. Es ist einfach so. Ich kann es noch vertiefen, lieber Karl, da du jetzt ein bisschen schmunzelst. Das Motto „Gute Arbeit unserer Partei in dieser Regierungskoalition“ endet für Sozialdemokraten eben nicht am Kasernentor. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Scheinbar doch!) „Gute Arbeit“ gilt auch für Soldaten. (Beifall bei der SPD) Es ist ein ganz besonderer Verdienst der Ministerin, dass sie bei den Beratungen in den letzten Monaten manchen Knoten durchschlagen hat und Dinge erreicht hat, die ihre Vorgänger noch als undenkbar abqualifiziert haben. Das ist Ihr Verdienst. Darüber sind wir froh. In diesem Bereich haben Sie auch unsere volle Unterstützung. Dazu gehört insbesondere, dass Schluss gemacht wird mit Überstunden ohne Achtsamkeit; 58 Stunden im Durchschnitt beim Heer. Ein Unternehmen, das von 58 Arbeitsstunden in der Woche ausgeht, muss sich überlegen, was schiefläuft. Deshalb ist eine gesetzliche Arbeitszeitregelung so wichtig. Das ist für uns einer der wichtigsten Punkte. Ich nenne ein weiteres Beispiel. Wir erhöhen jetzt 4 Stellen- und 16 Erschwerniszulagen. Ganz wichtig ist, dass die Kompaniefeldwebel dabei sind. Sie prägen das Image der Truppe nach innen und nach außen. Sie bekommen zukünftig um 40 Prozent höhere Zulagen. Wir müssen aber auch aufpassen, dass uns dieses Zulagenwesen nicht entgleitet. Deshalb freuen wir uns, Frau Ministerin, dass Sie den Vorschlag aufnehmen wollen, eine Kommission einzusetzen, die den Wildwuchs im Zulagenwesen durchforstet und bis zum Ende der -Legislaturperiode einen Vorschlag macht, wie man Gehaltsstrukturen im öffentlichen Dienst gerade im technischen Bereich so gestalten kann, dass sie wettbewerbsfähig sind. Vielleicht ist das auch ein Zeichen für andere Ressorts in der öffentlichen Verwaltung. Wir sind sehr froh darüber und halten dies für notwendig und gut. Zulagen haben dort einen Sinn, wo es gilt, wirkliche Nachteile auszugleichen. Fallschirmspringer oder Taucher müssen mehr für ihre privaten Versicherungen bezahlen. Deshalb sind dort Zulagen auf lange Sicht erforderlich. Aber Zulagen als Heftpflaster, weil das Gehaltsgefüge nicht mehr stimmt, können auf Dauer nicht zukunftsfähig sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wichtig ist auch: Die Bundeswehr muss ihr eigener Werbeträger werden. Natürlich muss es uns ein Stück weit Sorgen machen, wenn in einer Umfrage 90 Prozent der Soldaten sagen, sie würden ihren Kindern nicht empfehlen, diesen Beruf zu wählen. Deshalb ist dieses Attraktivitätsprogramm aus vielfacher Hinsicht so wichtig. Es ist vor allen Dingen auch ein neuer Schritt. Die Maßnahmen in den letzten Jahren waren in erster Linie darauf ausgelegt, neues Personal zu rekrutieren und anzuwerben; manchmal auch mit Farbprospekten, die die Wirklichkeit nicht so sehr abgebildet haben. Wenn 30 bis 40 Prozent der Rekruten in den ersten drei Monaten wieder gehen, dann sehe ich die Verantwortung in erster Linie nicht bei den jungen Menschen, sondern bei unserer Rekrutierungsorganisation, die dafür sorgen muss, dass die jungen Menschen mit einem realistischen Bild in die Streitkräfte eintreten. Neu an diesem Attraktivitätsprogramm ist – und das ist unglaublich wichtig, weil die Bundeswehr selbst der Werbeträger sein muss –, dass zum ersten Mal zusätzlich in den bereits vorhandenen Personalkörper investiert wird. Darüber sind wir ebenso sehr froh. Es wird oft gesagt: Der Soldatenberuf ist etwas Besonderes, und deshalb muss man Attraktivität in diesem Bereich anders definieren. Solide Bezahlung und faire Bedingungen sind die eine Seite – sie sind wichtig –, aber die Soldaten brauchen auch die Wertschätzung und die Anerkennung des Parlaments und unserer Gesellschaft insgesamt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Den Auslandsverwendungszuschlag in Höhe von 110 Euro pro Tag bekommen die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz für das Risiko, verwundet oder gar getötet zu werden. Wir dürfen nicht vergessen: Sie gehen in den Einsatz für unser aller Sicherheit, für unsere Interessen. Das ist das Besondere. Soldaten sind nicht nur Fachkräfte für Gewaltanwendung. Vielmehr brauchen Soldaten im Einsatz ganz besondere Tugenden. Es reicht nicht aus, gut ausgebildet und klug zu sein, sondern sie brauchen auch ein eigenständiges politisches Urteilsvermögen, um zu wissen, warum sie im Einsatz sind und was sie leisten sollen. Sie müssen charakterstark, als Person gefestigt sein, sonst können sie solche schwierigen Einsätzen nicht leisten. Nur solche Menschen werden in Krisensituationen dem hohen Druck standhalten und physisch und psychisch in schwierigen Einsätzen bestehen. Das Attraktivitätsprogramm ist ein großer Schritt; denn es geht nicht nur darum, genügend Soldaten zu finden, sondern auch darum, die richtigen zu finden. Nichts ist so gut, als dass es nicht auch verbessert werden könnte. Wir sehen uns als Parlamentarier in der Pflicht, im Zuge der Beratungen an der einen oder anderen Stelle nachzuarbeiten. Ich bin dankbar, dass sich die beiden Berichterstatter, die Kollegin Noll von der CDU/CSU und Fritz Felgentreu von der SPD, in die komplizierten Details hineinknien und zum Beispiel die im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen in Bezug auf Nachversicherung und die faire Behandlung von Zeitsoldaten, wenn es um die Altersversorgung geht, nacharbeiten werden. Herzlichen Dank für das Programm insgesamt. Mein Dank gilt den beiden Berichterstattern für ihr besonderes Engagement und Ihnen für die Geduld bei meiner Rede. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Kollegin Doris Wagner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Frau Ministerin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zufall oder Planung? Auf jeden Fall passt es gut, dass wir das Artikelgesetz in erster Lesung just in der Sitzungswoche beraten, in der wir auch den neuen Wehrbericht erhielten. Sie, Frau Ministerin, möchten die Bundeswehr zum attraktivsten Arbeitgeber Deutschlands machen. Die Frage ist: Erreichen Sie dieses Ziel mit dem vorliegenden Gesetzentwurf? Ich glaube, dass das nur die ersten Schritte des Marathons sind, den Sie ansprachen; denn der vorliegende Gesetzentwurf trägt nicht ausreichend dazu bei, die Probleme der Bundeswehr wirklich zu lösen. Die Bundesregierung macht hier in erster Linie den Versuch, den Soldatinnen und Soldaten ihre bitteren Arbeitsbedingungen mit finanziellen Entschädigungen zu versüßen. Ich bin mir sicher, dass Sie damit das eigentliche Ziel, nämlich Frauen und Männer für eine Tätigkeit in den Streitkräften zu gewinnen, nicht erreichen werden. Frau Ministerin, es ist ein Fehler, dass sie fast ausschließlich auf die finanzielle Besserstellung der Soldatinnen und Soldaten setzen; auch Kollege Arnold hat diese Besserstellung erwähnt. Künftig soll es mehr Wehrsold geben – schön! –, neue Zulagen werden eingeführt – auch schön! –, und geschiedene Berufssoldatinnen und -soldaten dürfen sich darüber freuen, dass -mögliche Rentenabzüge im Rahmen des Versorgungsausgleichs künftig vom Steuerzahler übernommen werden. 14 Millionen Euro kostet diese Sonderregelung jährlich. Das ganze Konzept zur Attraktivitätssteigerung der Bundeswehr ist finanziell jedoch absolut auf Kante genäht. Wäre das Geld nicht viel besser an anderer Stelle angelegt? Denn – und das ist doch noch wichtiger – derartige Geldgeschenke sind nicht geeignet, die Zufriedenheit der Soldatinnen und Soldaten dauerhaft zu steigern oder neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Bundeswehr zu gewinnen. Die Soldatinnen und Soldaten, insbesondere in den unteren Dienstgraden, verdienen schon heute überdurchschnittlich gut, und sie müssen keine Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung zahlen. Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hat aktuell eine Studie durchgeführt: Mehr als die Hälfte der befragten Bundeswehrangehörigen geben an, mit ihrem Einkommen durchaus zufrieden zu sein. Was sich die Bundeswehrfamilien wünschen, ist doch nicht, dass der Staat die finanziellen Folgen einer Ehescheidung trägt. Was sich die Soldatinnen und Soldaten wünschen, ist, dass es gar nicht erst zu einer solchen Scheidung kommt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre Ansätze, Frau Ministerin, sind ja nicht ganz falsch. Aber schauen wir doch einmal ein bisschen genauer hin: Mit Ihrem Gesetzentwurf weiten Sie die Möglichkeiten zur Teilzeitbeschäftigung deutlich aus; das begrüße ich ausdrücklich. Aber machen die neuen Regelungen die Arbeitszeiten der Soldatinnen und Soldaten tatsächlich flexibler, machen sie sie familienfreundlicher? Ich habe da noch Zweifel. So können etwa Führungskräfte nach dem Gesetzentwurf nur dann in Teilzeit gehen, wenn sie die Arbeitszeit im Block reduzieren. Aber was hilft mir denn ein ganz und gar arbeitsfreier Freitag, wenn von Montag bis Donnerstag in der Kinderbetreuung eine Lücke klafft? Was hilft mir der gesetzliche Anspruch auf eine kürzere Wochenarbeitszeit, wenn die Personaldecke am Standort derart dünn ist, dass ich mit meinem Antrag auf Teilzeitarbeit zwangsläufig den Zorn meiner Kolleginnen und Kollegen heraufbeschwöre? Was hilft mir die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten, wenn ich dann mit aller Wahrscheinlichkeit meinen Dienstposten verlieren werde und mir an einem anderen Ort eine neue Kita oder eine neue Tagesbetreuung suchen muss? Sie sehen, meine Damen und Herren, mit einem gesetzlichen Anspruch auf Teilzeit alleine ist es nicht getan. Entscheidend ist doch, ob der Anspruch vor Ort auch umgesetzt werden kann. Deshalb appelliere ich an Sie, Frau Ministerin: Sorgen Sie bitte dafür, dass die Soldatinnen und Soldaten wirklich das Teilzeitmodell wählen können, das ihren familiären und persönlichen Bedürfnissen am besten entspricht, und sorgen Sie bitte dafür, dass der Dienstposten auch bei einer Arbeitszeitreduzierung erhalten bleibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mein zweites Beispiel ist die Pflegezeit. Um Menschen als Mitarbeiter zu gewinnen, reicht es nicht, über moderne Konzepte zu sprechen. Zwar taucht der Begriff der pflegebedürftigen Angehörigen schon heute in den einschlägigen Vorschriften zur Teilzeitarbeit in der Bundeswehr auf. Tatsächlich sind die Soldatinnen und Soldaten von den Leistungen des Pflegezeitgesetzes aber ausgeschlossen. Warum?, frage ich Sie. Ich kann keinen sachlichen Grund für diese Schlechterstellung der Bundeswehrangehörigen erkennen. Der Bedarf ist doch vorhanden: Schon jetzt pflegen 12 Prozent der über 46-jährigen Soldatinnen und Soldaten persönlich einen Angehörigen. Unsere Gesellschaft altert rasant; das wissen wir alle. Angesichts dessen ist es doch wesentlich, in welchem Maße ein Arbeitgeber bereit ist, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Pflege von Angehörigen zu unterstützen. Deshalb, Frau Ministerin, bitte ich Sie: Öffnen Sie das Pflegezeitgesetz auch für Soldatinnen und Soldaten! Geben Sie ihnen die Unterstützung, die sie diesbezüglich brauchen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte noch ein letztes Beispiel anführen, das zeigt, dass Sie mit Ihrem Gesetzentwurf den eigentlichen Herausforderungen ausweichen. Frau Ministerin, Sie selbst führen die Demografie gerne und oft im Munde, meist im Zusammenhang mit der wachsenden Konkurrenz um gutqualifizierte Arbeitskräfte. Was Sie hingegen höchst selten erwähnen und was ich auch in Ihrem Gesetzentwurf vermisse, ist Folgendes: Genau wie all die zivilen Unternehmen muss sich auch die Bundeswehr allmählich etwas einfallen lassen, um das vorhandene gute Personal möglichst lange zu halten. Die Bundeswehr war in den letzten Jahren hauptsächlich damit beschäftigt, Personal abzubauen; aber jetzt muss sie sich von dieser Grundhaltung dringend verabschieden. Die Streitkräfte können es sich immer weniger leisten, gute, selbst ausgebildete Mitarbeiter massenhaft aufs Abstellgleis zu schieben, nur weil diese ein bestimmtes Alter erreicht haben. Es wird auf absehbare Zeit keine Nachwuchsschwemme mehr geben. Deshalb sollten Sie das Personal, das Sie haben, besser und länger einsetzen. Investieren Sie doch in Maßnahmen, damit Ihnen Ihre Belegschaft möglichst lange und fit erhalten bleibt. Warum etwa werden Unteroffiziere automatisch mit 54 Jahren in den Ruhestand versetzt? Sollte das nicht nur dann passieren, wenn sie aufgrund ihrer individuellen Verwendung tatsächlich besonderen Belastungen ausgesetzt sind? Ich finde, wer länger im Dienst bleiben will, sollte auch eine realistische Chance dazu bekommen. Ich glaube, die Bundeswehr sollte grundsätzlich stärker als bisher versuchen, ehemalige Soldaten in zivilen Funktionen weiterzubeschäftigen. Die Bundeswehr muss auch deutlich flexibler werden, was die Möglichkeit zum Laufbahnwechsel angeht. Schließlich muss die Bundeswehr viel mehr in die physische und psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investieren. Was wir dringend brauchen, sind Phantasie, Reformbereitschaft und vorausschauende Investitionen, um Soldatinnen und Soldaten deutlich länger zu halten als bisher. Frau Ministerin, werte Kolleginnen und Kollegen, es gibt jede Menge Baustellen, an denen diese Regierung ansetzen könnte, um die Bundeswehr zu einem moderneren, familienfreundlicheren und attraktiveren Arbeitgeber zu machen. Leider hat sich das Bundesvertei-digungsministerium in diesem Artikelgesetz dafür entschieden, den derzeitigen und künftigen Soldatinnen und Soldaten den Dienst in der Bundeswehr vor allem durch finanzielle Anreize schmackhaft zu machen. Ich finde diesen Weg falsch. Er führt nicht zu nachhaltigen Verbesserungen. Deshalb wird dieses Gesetz sein Ziel verfehlen. Das ist sehr bedauerlich. Das ist besonders bedauerlich für diejenigen, die den Personalmangel in der Bundeswehr verwalten müssen, und vor allem für die Soldatinnen und Soldaten; denn sie sind es, die auch weiterhin unter den Arbeitsbedingungen in der Bundeswehr zu leiden haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer seine Familie nur selten sieht, wer seine Eltern in den letzten Lebensmonaten kaum begleiten kann, wer sich mit Mitte 50, geschieden und ohne erfüllende Tätigkeit, aussortiert fühlt, dem helfen leider auch die großzügigsten Geldgeschenke nichts. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Henning Otte ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Henning Otte (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute geht es um einen sehr wichtigen Gesetzentwurf: um den Entwurf eines Gesetzes zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr. Es war für die Union ein ganz besonders wichtiger Punkt, dies in den Koalitionsvertrag einzubringen und nun auch umzusetzen. Wir stehen immer an der Seite unserer Soldatinnen und Soldaten. Wir danken unserem Koalitionspartner dafür, dass er uns bei dieser Arbeit unterstützt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es geht darum, die Vereinbarkeit von Dienst und Familie zu stärken. Den Kabinettsentwurf könnte man am heutigen Zeugnistag mit einem glatten „sehr gut“ bewerten. (Zuruf von der LINKEN: Oberlehrer!) Denn die wichtigen Dinge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der sozialen Absicherung und auch der Vergütung sind dort abgebildet. Das ist wichtig für die Soldatinnen und Soldaten im Grundbetrieb, im Friedensbetrieb, aber auch im Einsatz. Es ist klar festzustellen, dass es für diesen Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Dienst und Familie, sehr geehrte Frau Ministerin von der Leyen, durchaus nützlich ist, dass Sie Ihre Erfahrungen als Familienministerin, als Arbeitsministerin und jetzt als Verteidigungsministerin hier sozusagen zusammenfassen. Dadurch ist ein Entwurf für die bessere Vereinbarkeit von Dienst und Familie entstanden, der für unsere Soldatinnen und Soldaten gut ist. Deswegen sage ich an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN) Ich sage auch einen Dank an die mitberatenden Ministerien, insbesondere an das Innenministerium. Wir befinden uns in einem sehr konstruktiven und engen Austausch über die Verbesserung der Situation. Ja, es geht vor allem darum, die guten Kräfte in der Bundeswehr zu halten. Wir brauchen motivierte Kräfte und müssen auch weiterhin gute Kräfte mit verschiedenen Fähigkeiten und Talenten für verschiedene Fachrichtungen gewinnen. Hier müssen wir als großer Arbeitgeber mit 250 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, militärische wie zivile Kräfte, für uns werben. Wir müssen attraktiv sein und uns dem Wettbewerb stellen. Das Prädikat „Attraktiver Arbeitgeber“ wird nicht durch Handauflegen erzielt, sondern durch die Umsetzung klarer Attraktivitätsvorteile. Die Freiwilligenarmee Bundeswehr soll im Vergleich zur privaten Wirtschaft standhalten. Wenn ich hier im Deutschen Bundestag mit Schulklassen diskutiere und frage, wer welche Vorstellungen im Leben hat und wie sich die Schüler beruflich entwickeln wollen, dann gibt es auch immer wieder Schülerinnen und Schüler, die sich für die Bundeswehr interessieren. Aber wir müssen die Vorteile, die die Bundeswehr als Arbeitgeber mit sich bringt, noch weiter herausstellen. Dazu ist dieser Gesetzentwurf wichtig. Wir müssen das Berufsfeld nachhaltiger und attraktiver gestalten. Das wird mit dieser Attraktivitätsoffensive getan. Deswegen ist es wichtig, dass wir deutlich machen: Der Beruf eines Soldaten ist kein Beruf wie jeder andere. Daher ist es auch gut, dass es besondere Regelungen im Vergleich zum Beamtenrecht gibt, die die besonderen Erschwernisse und Herausforderungen des Soldatenberufes abbilden. Das gilt für den Grundbetrieb, aber eben auch für den Einsatz. Allein in Afghanistan waren für einen erfolgreichen Einsatz für Frieden, Stabilität, Sicherheit und Entwicklung über 100 000 Bürgerinnen und Bürger Deutschlands in Uniform im Einsatz. Dafür meinen ganz herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist Ausdruck der Fürsorge für eine Parlamentsarmee, dass wir uns mit diesem Gesetzentwurf im Rahmen der parlamentarischen Beratungen inhaltlich vertieft auseinandersetzen. Es wird hierzu am 23. Februar dieses Jahres eine Anhörung geben, in der wir über die einzelnen Punkte miteinander sprechen wollen. Es liegt ein Antrag der Fraktion der Grünen vor, in dem es um den Stichtag geht. Ich kann nur sagen: Wer ihn genau liest, stellt fest, dass die darin formulierten Forderungen längst aufgegriffen worden sind. Deswegen, glaube ich, ist dieser Antrag überflüssig. Ich möchte dennoch, wenn auch in einem späten Stadium, nochmals die Einladung an Sie aussprechen, sich an der Arbeit der Kommission zur Parlamentsbeteiligung bei Auslands-einsätzen zu beteiligen. Es ist schade, dass Sie dort nicht mitgemacht haben. Das wäre, glaube ich, ein gutes Signal gewesen. Meine Damen und Herren, Attraktivität hat auch etwas mit dem Wohnumfeld zu tun. Deswegen war es wichtig, dass wir auf Anregung des Jahresberichts des Wehrbeauftragten in dieser Woche auch über die Kasernen gesprochen haben. Es ist gut, dass die Verteidigungsministerin dieses Thema sofort aufgegriffen und gesagt hat: Das ist für die Soldatinnen und Soldaten wichtig. – Deswegen hat sie 750 Millionen Euro in Aussicht gestellt, um die Situation zu verbessern. In Zeiten des Einsatzes in Afghanistan mussten wir Schwerpunkte bei der Ausrüstung setzen. Aber jetzt ist es an der Zeit, wieder zu investieren, auch in das Wohnumfeld, also vor allem in die Kasernen, die noch nicht den Standard haben, den wir uns wünschen. Attraktivität, Ausbildung und Ausrüstung sind drei ganz wesentliche Faktoren für einen erfolgreichen Dienst. Es ist eine gute Maßnahme, dass genau dieses Thema im Rahmen der KPMG-Studie aufgegriffen wird. Die Ausrüstung muss zielgerichtet zum vereinbarten Preis und zum vereinbarten Zeitpunkt geliefert werden. Die Soldaten müssen sich, wenn sie in einen Einsatz entsandt werden, darauf verlassen können, dass sie ihre Ausrüstung bekommen. Wir haben am Beispiel des A400M mit Schrecken festgestellt, dass sich die Industrie nicht an die Zusagen, von denen wir dachten, sie seien verbindlich, gehalten hat. Durch so etwas geht Vertrauen verloren. Wir müssen uns schon die Frage stellen, ob nationale Interessen im Rahmen der Zusammenarbeit mit einem europäischen Konsortialpartner vielleicht nicht in der Form berücksichtigt werden, wie wir uns das in Deutschland und als deutsches Parlament vorstellen. Die Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten und für ihre Ausrüstung tragen in allererster Linie wir als Parlamentarier, aber auch die Industrie. Die Soldatinnen und Soldaten brauchen die Ausrüstungsgegenstände. Ich kann nur hoffen, dass die Zusagen seitens der Industrie auf diesem Gebiet in Zukunft verbindlicher eingehalten werden; denn Verlässlichkeit darf keine Einbahnstraße sein. Attraktivität, Ausrüstung und Ausbildung sind – ich habe es gesagt – wichtig für die Zufriedenheit im Grundbetrieb, aber auch notwendig für die erfolgreiche Arbeit im Einsatz, beschlossen durch unser Parlament. Wir haben im Koalitionsvertrag deutlich gemacht: Wir stellen uns einer Verantwortungskultur. Wir haben auch deutlich gemacht, dass die Attraktivitätsoffensive im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr von besonderer Bedeutung ist. Das Personal ist das höchste Gut. Der Mensch steht im Mittelpunkt, auch bei der Bundeswehr. 22 konkrete Maßnahmen werden im Gesetzentwurf aufgeführt. Dabei geht es zum Beispiel um Zulagen und um die Verbesserung der Nachversicherung. Ziel ist es, die Planbarkeit des Dienstes zu erhöhen. Wir werden jede einzelne Maßnahme bewerten. Insgesamt wird dafür in den nächsten vier Jahren circa 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt. Das ist eine Anerkennung für den Dienst für unser Land. Das ist auch ein richtiger Weg zur Steigerung der Attraktivität. „Wir. Dienen. Deutschland.“ lautet die Aussage im Hinblick auf den Dienst in der Bundeswehr. Die Soldatinnen und Soldaten leisten einen Beitrag zu Sicherheit und Stabilität in unserem Land und zu Frieden und Sicherheit auf unserer Erde. Dafür brauchen wir einen attraktiven Arbeitgeber. Dafür brauchen wir motivierte Soldatinnen und Soldaten. Dafür brauchen wir eine gute, zukunftsfähige Perspektive und vor allem die Rückendeckung der Bürgerinnen und Bürger und auch die Rückendeckung dieses Parlaments. Deswegen bitten wir als Union um die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Michael Leutert (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben im Frühjahr letzten Jahres eine Attraktivitätsoffensive angekündigt und das Ziel formuliert, dass die Bundeswehr der attraktivste Arbeitgeber im Lande werden soll. Heute liegt uns ein Gesetzentwurf vor, durch den über zehn Gesetze und Verordnungen geändert werden sollen, Kostenpunkt: zwischen 250 und 300 Millionen Euro im Jahr im Durchschnitt, also die nächsten vier Jahre ungefähr 1 Milliarde Euro. Im Kern geht es – das ist hier schon gesagt worden – um Arbeitsbedingungen, höhere Vergütung bzw. Erschwerniszuschläge, soziale Absicherung. All das – Frau Ministerin, Sie haben das selber gesagt – sind allerdings Dinge, bei denen sich in den letzten Jahren etwas angestaut hat und jetzt notwendigerweise Abhilfe geschaffen werden muss. Sie haben selber gesagt, Sie arbeiten sich auf Normalmaß vor. Die letzte Wehrsolderhöhung zum Beispiel gab es im Jahr 2008, damals um 2 Euro. Dieses Mal soll es wieder eine Wehrsolderhöhung geben, wieder um 2 Euro – pro Tag im Übrigen; das muss man dazusagen. Ich bin mir nicht sicher, ob das dazu beiträgt, die Bundeswehr attraktiver zu machen. Auf die wirklich aktuellen Probleme gehen Sie nicht ein; die sind aber im Bericht des Wehrbeauftragten, der diese Woche vorgestellt wurde, klar benannt. Manches wurde hier angesprochen, ich möchte noch einmal einige Punkte herausgreifen: Erstens. Die Bundeswehr hat massive Ausrüstungsprobleme, insbesondere was Großgeräte wie das Transportflugzeug A400M und den Hubschrauber NH90 betrifft. (Zuruf von der CDU/CSU: Der wird im Gesetzentwurf gar nicht erwähnt!) Es wird alles zu spät geliefert, es wird alles viel teurer als vereinbart wurde, und die Fähigkeiten, die bestellt wurden, sind in der Lieferung nicht enthalten. Hinzu kommen massive Fehler im Normalbetrieb. Sie hatten vorhin davon gesprochen, dass die Bürgerinnen und Bürger, wenn sie heute einen Computer bestellen, nicht mehr die Katze im Sack kaufen – die Bundeswehr kauft immer noch die Katze im Sack. (Beifall bei der LINKEN) Das Transportflugzeug A400M zum Beispiel – ein -Exemplar ist geliefert; wann die nächsten kommen, weiß niemand – kann weder Personal noch Material aus der Luft absetzen, er kann auch nicht in die sogenannten heißen Zonen, also in Kampfgebiete, fliegen, (Rainer Arnold [SPD]: Das soll er doch auch nicht aus Ihrer Sicht!) weil er über Selbstverteidigungsfähigkeiten erst 2016/17 verfügen wird. Der Transporthubschrauber NH90 rostet, es gibt Rauchentwicklung im Cockpit und er hat Triebwerksprobleme, was schon zum Absturz einer Maschine geführt hat. Ich habe mich im Zusammenhang mit den Erschwerniszuschlägen gefragt, ob diese Mängel vielleicht der Grund sind, warum Hubschrauberpiloten 210 Euro mehr bekommen als Fallschirmjäger. Fakt ist: Die Nachrüstung dieser Hubschrauber – das wurde diese Woche im Verteidigungsausschuss mitgeteilt – übernimmt natürlich nicht die Industrie, sondern auch das muss wieder vom Steuerzahler bezahlt werden, obwohl in der Indus-trie bei der Konstruktion geschlampt wurde. Selbst bei Standardausrüstungsgegenständen wie dem G36 gibt es Probleme; da warten wir noch auf einen Bericht, in dem geklärt wird, warum dieses Standardgewehr, wenn es heiß ist, nicht mehr zuverlässig trifft. (Rainer Arnold [SPD]: Interessant, dass Sie jetzt über diese Waffe reden und nicht über die Menschen!) Auf der anderen Seite ist das Personal völlig überlastet: Die Regelung, dass nach einer Auslandsverwendung von 4 Monaten eine Pause von 20 Monaten folgen soll, kann bei vielen Soldatinnen und Soldaten nicht eingehalten werden. Auf die maroden Kasernen ist hier auch schon eingegangen worden: 38 Prozent der Unterkünfte haben größere Mängel, 269 Gebäude sind eigentlich nicht nutzbar, aber trotzdem bewohnt. Es wird von Rost- und Schimmelbefall, von nicht funktionierenden Heizkörpern, von Kloakengeruch berichtet. Fakt ist: Sie haben diese Zustände erkannt und gesagt: Es werden neue Mittel bereitgestellt. Aber wenn solche Zustände herrschen, dann ist es völlig unbegreiflich, warum man nicht auch ohne Mittel notwendige Maßnahmen ergreift, zum Beispiel indem man sagt: Sanierte Kasernen werden nicht geschlossen – wenn Kasernen geschlossen werden müssen, dann kann man auch die maroden Kasernen schließen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist, was in der Öffentlichkeit derzeit das Bild der Bundeswehr bestimmt: eine ziemlich desolate Truppe. Diese Truppe wird auch nicht attraktiver, wenn man 2 Euro mehr Sold am Tag zahlt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ihr Ziel ist – so wurde das formuliert –: Jeder Soldat soll in der Kaserne ein Einzelzimmer mit Bad bekommen, es soll eine ordentliche soziale Absicherung und Aufstiegschancen geben, Familie und Dienst sollen miteinander vereinbar sein, zum Beispiel durch Teilzeitarbeit usw. usf. Das sind aber nur die Rahmenbedingungen für einen attraktiven Arbeitsplatz. Entscheidend ist ja letztlich, ob auch die Aufgabe attraktiv ist. Darüber, Frau Ministerin, haben Sie hier aber überhaupt nicht gesprochen. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Für Frieden und Freiheit zu kämpfen, ist doch attraktiv!) Ich kann mir zumindest vorstellen, dass die Soldatinnen und Soldaten, die an dem Einsatz zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen beteiligt gewesen sind, in dieser Aufgabe einen gewissen Sinn gesehen haben und auch davon überzeugt gewesen sind, dass das richtig ist. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie hoffentlich auch!) Bei den gestern hier im Bundestag beschlossenen Einsätzen zum Irak und zur Türkei bin ich mir da aber nicht mehr so sicher; denn im Kern sieht die ganze Sache doch so aus: Wir schicken Ausbilder in den Irak, die die Kurdinnen und Kurden befähigen sollen, nachdem die Waffen geliefert wurden, sich gegen die Islamisten und gegen den „Islamischen Staat“ zu verteidigen. Auf der anderen Seite schickt der NATO-Partner Türkei logistisches Material und Waffenlieferungen genau an diese Islamisten, die mit unserer Unterstützung bekämpft werden sollen. Wir aber schicken Soldatinnen und Soldaten in die Türkei, die die Türkei vor den Folgen der Situation bewahren sollen, die sie dort schafft. Ich glaube schon, dass vor diesem Hintergrund bei einigen Soldatinnen und Soldaten die Frage nach dem Sinn dieser Einsätze aufkommt. Wenn eine Aufgabe aber als sinnlos empfunden wird, dann ist sie auch nicht mehr attraktiv. Sie hätten meines Erachtens der Attraktivität der Bundeswehr einen viel größeren Gefallen getan, wenn gestern der Einsatz in der Türkei nicht verlängert worden wäre. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eine absolute Minderheitsmeinung!) Das Hauptziel, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber zu machen, werden Sie damit nicht erreichen. Das Hauptziel muss darin bestehen, die Aufgabe der Bundeswehr zu verändern. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Felgentreu hat nun für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Programmatische Äußerungen zur Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr sind so alt wie die Truppe selbst. Ich denke da an Sätze, wie ich sie als aktiver Soldat vor 25 Jahren in der Truppe öfter gehört habe, zum Beispiel den Klassiker „Klagt nicht! Kämpft!“ oder auch solche Sätze wie „Ein Offizier beschwert sich nicht!“ (Lachen bei der LINKEN) oder so etwas wie „Schreiben Sie doch einen Brief: Lieber Herr Wehrbeauftragter...“ Zusammengefasst wurde das alles in einem durchaus ernstgemeinten Grundsatz, dem ich seine allgemeine -Berechtigung auch gar nicht absprechen will: „Der Soldat ist immer im Dienst.“ „Der Soldat ist immer im Dienst“ – das galt für eine Bundeswehr, die als große Wehrpflichtigenarmee mit hoher Bereitschaft in der Zeit der Blockkonfrontation oft eher damit Probleme hatte, ihre vielen Soldaten sinnvoll zu beschäftigen, als mit der Frage, woher sie gute Leute bekommen sollte. Denn unter den vielen fanden sich fast immer genug, die feststellten, dass ihnen der Soldatenberuf liegt, und aus deren Reihen kommen die erfahrenen Offiziere und Unteroffiziere der Generation um die 50, die heute in vorderster Verantwortung stehen. Die Zeiten und die Bundeswehr haben sich aber gründlich geändert. Sie war damals eine große Armee, sie hatte den Auftrag, einen mächtigen Gegner abzuschrecken und so den Frieden in Europa zu sichern, schlimmstenfalls das Land zu verteidigen. Daraus ist heute eine für ein 80Millionen-Volk in der Mitte Europas wirklich sagenhaft schlanke, kleine Truppe geworden. Heute konzentriert sich die Bundeswehr vor allem auf ihre Fähigkeit, gemeinsam mit Partnernationen internationale Einsätze durchzuführen. Die Wehrpflicht, die das deutsche Militär seit den Befreiungskriegen geprägt hatte, ist praktisch abgeschafft. Schon die beiden ersten Worte des alten Grundsatzes „Der Soldat ist immer im Dienst“ passen nicht mehr. Heute muss es heißen: „Der Soldat und die Soldatin …“ Aber bisher haben wir als Gesellschaft, als Gesetzgeber, als Dienstherr aus diesen Veränderungen weder mental noch in der Ausgestaltung die notwendigen Konsequenzen gezogen, damit diese veränderte Armee in einer veränderten Welt ihren Auftrag auf Dauer zuverlässig erfüllen kann. Wir haben eine Freiwilligenarmee. Das bedeutet – ich habe jetzt einfach einmal den Mut zur Banalität –: Wir brauchen Freiwillige. Die Freiwilligen stehen aber nicht allein vor unseren Karrierecentern Schlange. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Die kommen nicht freiwillig!) Es gibt sicherlich junge Leute, die auch aus patriotischer Gesinnung und aus hoher Identifikation mit der Bundesrepublik Deutschland wenigstens eine Zeit lang Soldaten werden wollen. Aber es sind wohl kaum genug; und in einer Zeit, in der die Bevölkerung kontinuierlich schrumpft, werden es Jahr für Jahr weniger. Das bedeutet, die Bundeswehr muss als Arbeitgeberin in Zukunft mit anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes und mit der freien Wirtschaft um kluge Köpfe und starke Arme konkurrieren. Dafür muss sie etwas anzubieten haben; etwas anzubieten, das hinreichend viele junge Leute jedes Jahr wieder davon überzeugt, sich als Soldat oder als Soldatin zu verpflichten. Deswegen rede ich heute einmal – anders als der Kollege Leutert eben – über den eingebrachten Gesetzentwurf der Bundesregierung; er ist ein wichtiger Baustein für den Aufbau einer modernen und attraktiven Freiwilligenarmee. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Die Ministerin hat ja auch nicht darüber gesprochen!) Er ist ein Ergebnis des Nachdenkens, des Hinhörens bezogen auf die Bedürfnisse der Menschen – nicht nur der Soldatinnen und Soldaten, sondern auch ihres familiären Umfeldes, ihrer Angehörigen – und der Gespräche mit den Fachleuten und Organisationen, wie dem BundeswehrVerband oder dem Reservistenverband. Nun ist ja so ein dienstrechtliches Artikelgesetz eine wirklich hocherotische Angelegenheit, die gerade von den Gemeinden sicherlich mit glühenden Ohren gelesen wird: reich an scheinbar zusammenhanglosen Einzelbestimmungen und Querverweisen und verfasst in schönstem Juristendeutsch, das gerne zugunsten der Eindeutigkeit auch mal auf Verständlichkeit verzichtet. Die Leitgedanken des Entwurfs sind klar und für alle nachvollziehbar: Es geht zum einen um die Vereinbarkeit von Familie und Dienst und zum anderen um soziale Sicherheit für die Soldatinnen und Soldaten. Meine Damen und Herren, vor allem der erste Punkt ist eine kleine Revolution. Die Koalition wird mit diesem Gesetz zum ersten Mal die 41-Stunden-Woche für Soldatinnen und Soldaten festschreiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hier ist der falsche Ort, um auf Details einzelner Ausnahmen und Streitfragen einzugehen. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Aber die Ausnahmen sind entscheidend!) Entscheidend ist das klare Bekenntnis der Bundesregierung und des Gesetzgebers, dass wir die 41-Stunden-Woche als den militärischen Normalfall durchsetzen wollen. Das wird den Truppendienst verändern. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Bundeswehr ihren alten Grundsatz an den veränderten militärischen Alltag anpasst. Der Soldat und die Soldatin sind in Zukunft eben nicht immer im Dienst. Im Einsatz, wo unsere Soldatinnen und Soldaten das tun, wofür sie ausgebildet worden sind, wo sie sich schnell und aktiv auf eine veränderte Lage einzustellen haben, sind sie selbstverständlich immer im Dienst, auch dann, wenn sie schlafen. Aber an Standorten, wo die Voraussetzungen für erfolgreiche Einsätze geschaffen werden, haben sie einen Anspruch auf geregelte Arbeitszeiten und planbare Freizeit. (Beifall bei der SPD – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Warum gibt es dann auch Ausnahmen?) Gleichzeitig verbessern wir die Möglichkeit, in Teilzeit zu gehen, um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu betreuen. Die Soldatinnen und Soldaten sollen dabei in Zukunft nicht schlechtergestellt sein als Beamte. Uns allen muss klar sein – das ist heute ja auch schon problematisiert worden –, dass das eine für die Personalplanung denkbar unbequeme Lösung ist. Wer zwölf Jahre in Teilzeit geht, fällt zwölf Jahre lang für den Einsatz aus und muss dort durch andere ersetzt werden. Es ist aber die richtige, die für die Soldatinnen und Soldaten wichtige Lösung, die es ihnen leichter macht, Ja zur Familie und Ja zum Dienst, zum Beruf, zu sagen. Meine Damen und Herren, knapp 70 Prozent unserer Dienstleistenden sind Soldaten auf Zeit. Für diese Männer und Frauen werden Rentenbeiträge für den Zeitraum nachträglich eingezahlt, in dem sie als Beamte auf Zeit keine Beiträge geleistet haben. Bei dieser Nachversicherung sind Soldatinnen und Soldaten bisher schlechtergestellt als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die zusätzlich zu ihrer Rente eine Zusatzversorgung des Bundes und der Länder bekommen. Wir werden hier Gerechtigkeit schaffen. Der Gesetzentwurf sieht vor, bei der Berechnung der Nachversicherung nicht nur von 100 Prozent, sondern von 115 Prozent der Soldatenbezüge auszugehen. Die SPD-Fraktion hat diese Zahlen einmal geprüft. Nach unserer Berechnung reichen 15 Prozent noch nicht aus, um die Soldatinnen und Soldaten wirklich gleichzustellen. Wir halten 21 Prozent für notwendig und angemessen. Über die Höhe der Anhebung der Berechnungsgrundlage werden wir im Ausschuss und bei der geplanten Anhörung deshalb noch einmal miteinander reden müssen. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Machen wir, Fritz!) – Ja, das machen wir. Es ist eine Besonderheit der Bundeswehr, dass viele Berufssoldatinnen und Berufssoldaten schon mit 53 Jahren, also relativ jung, in Pension gehen. Das liegt daran, dass viele Verwendungen einfach körperliche Anforderungen stellen, die der menschliche Körper ab einem bestimmten Alter nicht mehr erfüllen kann. Eine ausreichende Zahl von Anschlussverwendungen kann es aber nicht geben. Deshalb entlassen wir diese Soldatinnen und Soldaten qua Gesetz in einen frühen Ruhestand. Nun handelt es sich bei den Betroffenen in der Masse um Unteroffiziere und die unteren Offiziersränge, die alle eine relativ niedrige Pension beziehen. Also gerade in einem Alter, in dem die Kinder ins Studium gehen, in dem das Haus oft noch gar nicht abbezahlt ist, müssen sie auf einmal mit 70 Prozent des bisherigen Einkommens auskommen. Wenn sie sich deshalb in einem zivilen Beruf etwas dazuverdienen, wird dieses Einkommen ab einer bestimmten Höhe von der Pension abgezogen. Bei ehemaligen NVA-Soldaten, die in die Bundeswehr übernommen worden sind, ist das sogar alles oberhalb von 450 Euro. Das ist ungerecht, weil sich die Betroffenen gar nicht dafür entscheiden können, länger zu dienen und auf diese Weise mehr zu verdienen. Sie müssen die Bundeswehr verlassen und sind damit schlechtergestellt als andere Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die erst jenseits der 60 in den Ruhestand gehen. Wir wollen deshalb die Obergrenze für zusätzlich verdientes Geld mindestens bis zu dem Alter aufheben, in dem auch Bundespolizisten in den Ruhestand entlassen werden. Bei den untersten Dienstgraden der Bundespolizei liegt dieses Alter bei knapp 61 Jahren. Das Alter steigt allmählich, und auch in der Bundeswehr wird das Alter entsprechend angepasst. Aber an dieser Zeitgrenze wollen wir uns für die Begrenzung der Zuverdienstmöglichkeiten orientieren. Noch härter wirkt sich der frühe Ruhestand bisher bei Geschiedenen aus. Sie teilen sich ihren Pensionsanspruch mit dem geschiedenen Partner. Mit anderen Worten: Ihre Pension wird gekürzt. Um wie viel, legt das Familiengericht bei der Scheidung fest. Das bedeutet, Soldatinnen und Soldaten, die das von uns gemachte Dienstrecht in einen frühen Ruhestand zwingt, haben nicht nur früher ein niedrigeres Einkommen. Wenn sie geschieden sind, müssen sie auch acht bis zwölf Jahre länger als andere die Kürzung ihrer Versorgung hinnehmen. Soldaten, liebe Kolleginnen und Kollegen, erleben leider überdurchschnittlich oft das Scheitern ihrer Ehe, auch weil ihr Beruf durch seine Dienstzeiten, durch die Auslandseinsätze und die vielen Versetzungen das Familienleben bisher stark belastet hat. Es ist deshalb gerecht, auch den Versorgungsausgleich, oder auf Deutsch: die Kürzung der Pension, mindestens bis zu dem Zeitpunkt hinauszuschieben, zu dem das gleiche Schicksal auch unsere Polizistinnen und Polizisten ereilt. Sie können nun fragen: Was haben Versorgungsregelungen für Ruheständler mit der Attraktivität der Bundeswehr beim Berufseinstieg zu tun? Fragen 19-Jährige wirklich danach, wie sie versorgt sind, wenn ihre Ehe scheitern sollte? Nein, meine Damen und Herren, das tun sie wahrscheinlich nicht. Aber die Unzufriedenheit der Älteren über die mangelnde Fürsorge bekommen sie sehr schnell mit. Wenn wir Soldaten auf Zeit als Berufssoldaten gewinnen wollen, dann tun wir gut daran, auch die Älteren gerecht und angemessen zu versorgen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In jedem Fall ist unser Weg in eine moderne und attraktive Bundeswehr mit diesem Gesetz nicht zu Ende. Am Standort und im Einsatz können wir an vielen Stellen mehr für die Zufriedenheit der Soldatinnen und Soldaten tun – mein Kollege Thomas Hitschler wird darauf gleich noch eingehen –: durch Gesetzgebung und Finanzierung, aber auch dadurch, wie der rechtliche Rahmen mit Leben erfüllt wird. Jeder Kommandeur sollte den Ehrgeiz haben, dass die Bundeswehr immer die attraktivste Arbeitgeberin an seinem Standort ist. Die Anforderungen an Soldatinnen und Soldaten sind hoch, und sie werden hoch bleiben; das ist auch richtig so. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, könnten Sie mit diesem wunderschönen Gedanken Ihre Rede allmählich beenden? Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Letzter Satz. – Wenn es uns gelingt, Jahr für Jahr eine ausreichende Zahl tüchtiger junger Leute für den anspruchsvollen Dienst in einer modernen und attraktiven Bundeswehr zu gewinnen, dann ist mir um die Zukunft unserer Freiwilligenarmee und auch um die Sicherheit unseres Landes nicht bange. – Herr Präsident, ich danke für Ihre Geduld. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Geht doch. (Heiterkeit) Nun hat die Kollegin Brugger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Hochglanzbroschüre ist längst verteilt, der Showroom an der Berliner Friedrichstraße ist eingerichtet und mehr oder weniger gut besucht. (Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Sehr gut besucht!) Die Pressekonferenzen und auch zahlreiche Interviews sind gegeben. Nun, Frau Ministerin, erreicht das Artikelgesetz, das Kernstück Ihrer Attraktivitätsoffensive, endlich nach langem Warten den Bundestag. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach dem Ende der Wehrpflicht, aber auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels kann es uns nicht egal sein, wer sich mit welcher Motivation und mit welcher Qualifikation für den Dienst bei der Bundeswehr entscheidet, und deshalb ist das Thema Attraktivität auch so wichtig. Ebenso wie ich wissen viele Kolleginnen und Kollegen aus direkten Gesprächen mit den Soldatinnen und Soldaten, dass die Attraktivität und insbesondere die Vereinbarkeit von Familie und Dienst von zentraler Bedeutung sind und dass es eine große Unzufriedenheit gibt, weil die Bundeswehr in diesem Bereich der Gesellschaft und dem Standard, der dort herrscht, an vielen Stellen hinterherhinkt. Wir Grünen haben jahrelang Verbesserungen gefordert, und auch jetzt müssen wir an einigen Details der Regelungen im Gesetzentwurf Kritik üben. An manchen Stellen ist mehr möglich. Aber es gibt eine Kritik, mit der wir uns nicht gemein machen wollen. Damit meine ich den Unmut, den einige ältere Herren mit Bundeswehrhintergrund in den letzten Monaten geäußert haben, die offensichtlich meinen, dass eine Scheidung automatisch zu einer Bundeswehrlaufbahn dazugehört und es sich dabei nur um ein weinerliches Wellness-Wohlfühlthema handelt. Diese Herren haben von der Lebensrealität junger Menschen und auch von der Lebensrealität der Soldatinnen und Soldaten keine Ahnung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch wenn mit dem Attraktivitätssteigerungsgesetz an einigen Schrauben gedreht wird, können Sie das Thema nicht von Ihrer To-do-Liste streichen, Frau Ministerin. Nicht nur aus den vielen Rückmeldungen, die wir als Abgeordnete von Bundeswehrangehörigen erhalten, sondern auch aus zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen und Umfragen wissen wir, dass die Stimmung in der Bundeswehr schlecht ist, wenn es um die Bundeswehrreform und ihre Umsetzung geht. Das fängt nicht erst bei den Beschaffungsdesastern und den Problemen beim Altgerät an; es setzt sich mit maroden Stuben und unnötigen Versetzungen fort und hört auch nicht bei der extremen Einsatzbelastung von Soldatinnen und Soldaten mit bestimmten Fähigkeiten auf, bei denen die vorgeschriebenen Ruhezeiten nicht eingehalten werden. Davon zeichnet der Bericht des Wehrbeauftragten aus der letzten Woche ein ziemlich drastisches Bild, und er äußert auch deutliche Kritik an der Neuausrichtung der Bundeswehr. Diese Probleme sind nicht alle vom Himmel gefallen, und die Reform hat dabei versagt, sie zu lösen. Sie hat sogar im Endeffekt dazu beigetragen, sie noch zu verstärken. Statt zukunftsfähige Strukturen zu schaffen, wurde einfach alles abgeschmolzen. Das hat dann die Überbelastung der Soldatinnen und Soldaten zur Folge. Das hat zur Folge, dass Gerät nur noch in unzureichender Quantität und mangelhafter Qualität zur Verfügung steht und langfristig in vielen Bereichen die Durchhaltefähigkeit infrage gestellt wird. Von der Finanzierbarkeit will ich gar nicht sprechen. Insofern muss man feststellen: Das Prinzip „Breite vor Tiefe“, auf dem die ganze Bundeswehrreform beruht, hat versagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) An der Stelle frage ich mich, wo die angekündigte Evaluation der Bundeswehrreform bleibt, gerade weil man so viele Probleme erkennen könnte. Sie müssen also umdenken und umsteuern. Sie müssen sich in Abstimmung mit den europäischen Partnern auf bestimmte Fähigkeiten konzentrieren. Denn wenn Sie es mit dem Thema Attraktivität ernst meinen, dann darf man die überfälligen Kurskorrekturen nicht länger auf die lange Bank schieben. Meine Damen und Herren, wie die Soldatinnen und Soldaten die Bundeswehr und ihren Dienst dort wahrnehmen, hat auch mit einem anderen Thema zu tun: mit der Fürsorge, also mit dem Umgang mit den Soldatinnen und Soldaten, die der Bundestag mit seiner Mehrheit in einen gefährlichen Auslandseinsatz entsendet hat und die verwundet oder an der Seele geschädigt zurückgekehrt sind. Damit komme ich wieder zu den konkreten Regelungen im Artikelgesetz. Denn bisher sind die Entschädigungszahlungen für diejenigen, die einen Einsatzunfall nach dem Jahr 2002 erlitten haben, höher als für diejenigen, die Vergleichbares vorher erlebt haben. Das ist Willkür und auch ungerechte Ungleichbehandlung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grünen fordern in unserem Antrag, über den nachher abgestimmt wird, diesen Stichtag aufzuheben und dieses Problem komplett zu beseitigen. Denn die uneingeschränkte Fürsorgepflicht des Dienstherrn muss unabhängig vom Status der Soldatinnen und Soldaten und von irgendeinem willkürlich gewählten Stichtag gelten. Das Artikelgesetz sieht in diesem Punkt eine Änderung vor: Der Stichtag wird auf den 1. Juli 1992 zurückdatiert. Damit wird auch der Kreis der Betroffenen, die diese Ungerechtigkeit erleben, verkleinert. Aber auch Ihr neuer Stichtag war sehr willkürlich gewählt. Wir haben Sie nicht nur bei der ersten Beratung unseres Antrages darauf hingewiesen, dass es auch vor diesem Zeitpunkt Soldaten im Auslandseinsatz gab, zum Beispiel im Rahmen der UN-Mission in Kambodscha, sondern wir haben es auch im Ausschuss diskutiert und entsprechend nachgefragt. Das Ministerium hat beteuert, es gebe keine Fälle. Deshalb freue ich mich, dass Sie – wenn ich den Kollege Otte richtig verstanden habe – diese Anregung aufgegriffen haben, auch wenn Sie sicherlich gleich wieder gegen unseren Antrag stimmen werden, und den Stichtag jetzt wenigstens noch weiter zurückdatieren wollen, damit diese Ungerechtigkeit endgültig beseitigt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, nicht nur von mir, sondern auch von der Kollegin Wagner wurden viele der Schrauben angesprochen, an denen man noch drehen muss, wenn man es mit dem Thema Attraktivität ernst meint. Wir hoffen, dass Sie sich im Rahmen der Beratungen auch an anderen Stellen für die guten Anregungen aus der Opposition offen zeigen. Denn, Frau von der Leyen, wenn Sie es mit der Attraktivitätsoffensive ernst meinen, dann müssen Sie erkennen, dass es noch einige Baustellen gibt, und zwar nicht nur im Rahmen des Artikelgesetzes, sondern insbesondere auch darüber hinaus. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Michaela Noll ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Michaela Noll (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn ich meinen Blick nach oben richte, sehe ich Herrn Wüstner und Herrn Schönmeyer vom BundeswehrVerband. Ich möchte Ihnen sagen: Vielen Dank für Ihre Anregungen! Vieles von dem, was wir hier heute diskutieren, war Gegenstand des Dialogs zwischen Ihnen und uns. Ich weiß, dass Sie circa 200 000 Mitglieder haben. Ich befürchte aber, dass nicht alle heute vor dem Fernseher sitzen und diese Debatte verfolgen. Deswegen würde ich Sie bitten, das, was Sie heute aus dieser Debatte mitnehmen, an die Soldatinnen und Soldaten vor Ort weiterzutragen, damit diese wissen: Es ist ein sehr guter Tag für die Soldatinnen und Soldaten. Auf der Besuchertribüne sehe ich eine gemischte Altersgruppe. Vielleicht gelingt es uns, den einen oder anderen anzuregen, darüber nachzudenken, dass die Bundeswehr wirklich attraktiv ist. Ich werde mich an dieser Stelle redlich darum bemühen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Verderben Sie den jungen Leuten nicht die Zukunft!) Dass heute ein guter Tag für die Soldatinnen und Soldaten ist, haben wir eben gehört. Die Attraktivitäts-offensive teilt sich auf in zwei Teile: die „Agenda Attraktivität“ und das Artikelgesetz. Das eine betrifft die Sichtweise nach innen, also diejenigen, die wir anwerben wollen, und das andere betrifft diejenigen, die bereits in der Bundeswehr sind. Dafür ist es verdammt noch mal auch Zeit! Insbesondere durch die Neustrukturierung der Bundeswehr hat sich das Leben vieler Soldaten massiv geändert. Wenn wir wollen, dass die Neuausrichtung ein Erfolg wird, dann müssen wir diejenigen mitnehmen, die es tatsächlich tangiert, und das sind die Soldaten. In Gesprächen ist mir bewusst geworden: Viele Soldaten „schwimmen“. Sie sagen: Es muss sich alles noch einspielen. Vieles ist noch unklar. – Deswegen ist jetzt der richtige Moment für die Attraktivitätsoffensive. Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt und bewirkt konkrete Verbesserungen. Das Vertrauen in die Bundeswehr als Arbeitgeber ist an der einen oder anderen Stelle ein bisschen verloren gegangen. Ich bin sicher, dass dies die Chance ist, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Ich möchte an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an unsere Verteidigungsministerin richten. Sie haben eine ehrliche Analyse gemacht und aufgeführt, wo Handlungsbedarf besteht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte etwas erwähnen, was den Soldaten, aber nicht all denjenigen, die hier im Saal sind, vertraut ist: Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Das ist der Diensteid, den die Berufssoldatinnen und soldaten und die Soldaten auf Zeit leisten. Ich habe ihn bewusst wiedergegeben, um zu transportieren, über was und über wen wir hier wirklich sprechen. Es geht um die Menschen, die bereit sind, im schlimmsten Fall ihr Leben für uns, für unsere Sicherheit und für unsere Freiheit einzusetzen. Ich mache einmal einen kleinen Abstecher. Ich war diese Woche Montag im „Wald der Erinnerung“; General Fritz hat mich durchgeführt. In diesem Wald sieht man an den Stelen und Bäumen die Namen der gefallenen und gestorbenen Soldaten. Ich denke, diese Gedenkstätte ist ein deutliches Zeichen gegen das Vergessen. Er ist auf Wunsch der Hinterbliebenen entstanden. Es ist ein Ort der Stille und der Trauer. Deswegen sage ich: Soldat ist kein Beruf wie jeder andere. Denn die Soldatinnen und Soldaten sind bereit, alles zu geben. Dass Freiheit und Sicherheit nicht mehr selbstverständlich sind, haben jetzt und heute, glaube ich, alle begriffen. Die weltweite Sicherheitslage hat sich komplett verändert. Überall in der Welt gibt es Krisen und Instabilität. Es gibt Auseinandersetzungen, zum Beispiel in der Ukraine oder in Form des Vormarsches des IS und der Anschläge in Paris. Freiheit und Frieden sind keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Generation, die heute hier oben und unten im Saal sitzt, ist die Generation, die letztendlich noch nie einen Krieg erlebt hat. Wir kennen ihn nur aus den Erzählungen unserer Eltern und unserer Großeltern. Deswegen sage ich: Sicherheit ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wir müssen Geld für die Bundeswehr in die Hand nehmen; denn die Ansprüche an die Bundeswehr und an ihr Personal werden weiter zunehmen. Rund 120 Millionen Euro zusätzlich werden allein im Jahr 2015 zur Verfügung gestellt. Das ist ein Anfang. Viele haben genauso wie Herr Leutert die mangelhafte Ausrüstung angesprochen. Natürlich ist das ein Problem; die KPMG-Studie hat das gezeigt. Aber wir haben dieses Problem erkannt und arbeiten an einer Lösung. Gute Ausrüstung ist wichtig und für viele Soldaten sogar überlebenswichtig. Attraktiv ist sicherlich all das, was die Arbeit sicherer macht. Aber wir müssen auch die Gesamtheit der Soldaten im Blick haben und darauf achten, dass sie einsatzfähig und motiviert sind, die Arbeit gut und gewissenhaft zu erledigen. Der Kollege Fritz Felgentreu hat eben darauf hingewiesen, dass es sich bei der Bundeswehr um eine Freiwilligenarmee handelt. Das heißt, niemand muss mehr Dienst tun. Oft wird gesagt, dass die Bundeswehr die Besten haben will. Ich will diesen Bogen weiter spannen. Ich möchte gerne auch diejenigen für die Bundeswehr gewinnen, die sozial kompetent, teamfähig und verantwortungsvoll sind; gerade angesichts vieler komplexer Tätigkeiten bei der Bundeswehr. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir brauchen qualifizierte Leute, die mit komplizierter Technik umgehen können. Damit stehen wir in Konkurrenz zu vielen Großunternehmen. Die Wirtschaft und das Handwerk suchen händeringend Leute. Der vieldiskutierte Fachkräftemangel macht auch vor der Bundeswehr nicht halt. Ich habe an der Schule meines Sohnes erlebt, dass die Unternehmen durch gezielte Kooperation mit der Schule die Schüler, die als Leistungskurs Informatik belegt haben oder gute Noten in naturwissenschaftlichen Fächern haben, mit attraktiven Angeboten regelrecht abfischen. Wenn die Bundeswehr hier nicht mit dem Rücken zur Wand stehen will, muss sie sich warm anziehen und sich bewegen. Die entsprechenden Maßnahmen dazu haben Sie mit der Attraktivitätsoffensive auf den Weg gebracht. Danke, Frau Ministerin. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) An den Berufsberatungstagen stehen die jungen Leute Schlange am sogenannten Karrierebus. Aber wir müssen auch erreichen, dass sie bei der Bundeswehr bleiben. Sie bleiben dann, wenn die Bundeswehr attraktiv ist. Darum müssen wir uns kümmern. Wir verlangen viel von den Soldaten. Daher verlange ich, dass die Soldaten die bestmöglichen Rahmenbedingungen bekommen. Dafür werden wir mit dem nun zur Beratung anstehenden Gesetz sorgen. In der Presse ist oft von maroden Unterkünften und Überbelegungen die Rede. Ist das attraktiv für junge Leute? Ich glaube, eher weniger. Deswegen war es richtig, dass Sie, Frau Ministerin, gesagt haben: Wir nehmen nun Geld in die Hand. – Von den insgesamt 3 000 Unterkünften werden erst einmal 500 geschlossen. 800 Sofortmaßnahmen sind bereits abgeschlossen. Das heißt, es geht aufwärts. Das gigantische Schiff Bundeswehr in der Fläche zu bewegen, ist sicherlich kein einfacher Job. Aber ich bin sicher, dass Sie, Frau Ministerin, das schaffen werden. Sie haben gesagt, dass Sie mit Hochdruck daran arbeiten, und auf Ihre Aussage ist Verlass. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) Ist es attraktiv, jedes Wochenende Hunderte Kilometer zu pendeln und in der Regel fernab von der Familie zu leben? Nein, das ist es nicht. Ist es attraktiv, die Freizeit nicht mehr richtig planen zu können? Nein, das ist es nicht. Laut der 2013 veröffentlichten Studie über die Attraktivität der Mannschaftslaufbahnen lehnen viele junge Leute unregelmäßige Arbeitszeiten ab und möchten mehr Zeit für die Familie haben. Mit den 29 untergesetzlichen Maßnahmen der „Agenda Attraktivität“, die dazu dienen, Verlässlichkeit und Planbarkeit für die Soldaten zu schaffen, und den im Artikelgesetz aufgeführten 22 Maßnahmen wird es uns gelingen, mehr Nachwuchs für die Bundeswehr zu rekrutieren. Wie ich sehe, habe ich mich zeitlich verkalkuliert. Deshalb muss ich meinen Redebeitrag radikal kürzen. Nur noch so viel: Es gibt etwas, was nur die Bundeswehr lebt. Das ist Kameradschaft. Das finden Sie in kaum einem anderen Unternehmen. Als ich im Mai letzten Jahres in Masar-i-Scharif war, habe ich mit den Soldaten und vor allem mit den Soldatinnen gesprochen. Eine Soldatin hat mir auf meine Frage, warum sie bei der Bundeswehr sei, geantwortet: „Kameradschaft im Einsatz so wie hier finden Sie nirgendwo anders!“ Hier ist die Bundeswehr einmalig. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ein ermutigendes Beispiel dafür, dass ein Debattenbeitrag auch durch radikale Kürzung des Manuskripts nicht an Wirkung verlieren muss. (Heiterkeit) Nächster Redner ist der Kollege Thomas Hitschler für die SPD-Fraktion. Thomas Hitschler (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die öffentliche Aufmerksamkeit für sicherheits- und verteidigungspolitische Themen hat im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Die dramatischen Veränderungen im Weltgeschehen und die Frage nach unserer eigenen Rolle und Verantwortung auf der einen Seite sowie der Zustand der Ausrüstung unserer Truppe auf der anderen Seite haben für viel Aufsehen gesorgt. Die Vielzahl der Bilder und Karikaturen mit sicherheitspolitischen Themen in unseren Zeitungen ist ein Indikator für die gesteigerte Aufmerksamkeit. Das wurde mir gerade in dieser Woche bei der Veranstaltung „Rückblende 2014“ in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz deutlich vor Augen geführt. In einer zentral platzierten Karikatur hüpft beispielsweise ein junger Soldat händeklatschend durch eine Waldorfkaserne und freut sich darüber, dass dort gesungen, geklatscht und gebastelt wird. Verstehen Sie mich nicht falsch: Reformpädagogischen Ansätzen stehe ich prinzipiell offen und positiv gegenüber, aber Karikaturen überspitzen natürlich. Gerade in diesen Tagen muss man unterstreichen: Das dürfen, müssen und sollen sie auch. Das Bild der Waldorfkaserne spiegelt aber auch wider, wie überspitzt und manchmal auch etwas schief die Debatte über die Attraktivität der Bundeswehr in der Öffentlichkeit geführt wird. Die etwas abschätzig gemeinte Vokabel der Wohlfühltruppe ist von der Waldorfkaserne so weit nicht entfernt. Sie unterstreicht das bei vielen noch vorherrschende Bild: Der Soldat wärmt sich am Eisblock. Damit verbunden ist die Unterstellung, die Attraktivität der Bundeswehr sei ein weiches Thema und in der harten Welt der Verteidigungspolitik damit eher unwichtig. Das Gegenteil ist der Fall. Wir können den alten und neuen Herausforderungen der Sicherheitspolitik nur begegnen, wenn wir unsere Truppe bestmöglich aufstellen. Angesichts des demografischen Wandels, des Fachkräftemangels und der starken Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist es absolut essenziell, dass die Bundeswehr als attraktiver und moderner Arbeitgeber wahrgenommen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Attraktivitätsoffensive ist für die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr von enormer Bedeutung. Das Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz, über das wir heute beraten, ist ein zentraler und auch ein wichtiger Baustein in dieser Offensive, aber auch nicht der letzte und einzige. Die Verbesserungen im Zulagewesen und bei der Besoldung, bei den Dienstzeitregelungen und im Versorgungsrecht sind absolut zu begrüßen. Das wurde heute eigentlich von allen verdeutlicht. Aber die Attraktivität hört da noch lange nicht auf. Wir haben in den letzten Monaten auch einiges von Flachbildschirmen, W-LAN und Kühlschränken gehört. Von einigen „Eisblockwärmern“ wurden diese Vorschläge zwar belächelt, dennoch sind auch das sinnvolle Maßnahmen, wenn wir im Konkurrenzkampf um die besten Köpfe bestehen wollen. Aber eines muss man hier auch unterstreichen: Das alles ist nichts wert, wenn einem gleichzeitig die Bude unter den Füßen wegschimmelt. Im Jahresbericht des Wehrbeauftragten nimmt der Zustand vieler Kasernen erneut eine zentrale Stelle ein. Kein Wunder; denn fast die Hälfte der Unterkünfte gilt als marode. Beinahe jede zehnte Kaserne gilt als unbewohnbar. Meinen herzlichen Dank für diesen schonungslosen Bericht, lieber Herr Königshaus, er hilft auch uns in der Politik sehr weiter. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn es schon am Fundament bröckelt, dann muss man deutlich mehr für die Attraktivität machen, als nur die Fassaden zu streichen. Gerade in Westdeutschland schieben wir einen enormen Sanierungsstau vor uns her. Das konnte ich bei meiner Sommertour selbst an vielen Bundeswehrstandorten beobachten. Ein konkretes Beispiel bildet dabei die General-Sponeck-Kaserne in Germersheim, eine Kaserne mit den besten Voraussetzungen dafür, ein Paradebeispiel für eine attraktive Bundeswehr zu sein – und das nicht nur, weil sie im schönsten Wahlkreis der Republik liegt. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Beifall des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Zustimmung vom Kollegen Lindner, vollkommen zu Recht. Die General-Sponeck-Kaserne beherbergt das mittlerweile einzige Ausbildungsbataillon unserer Luftwaffe und gilt als deren Visitenkarte; denn dort werden die Soldatinnen und Soldaten der Luftwaffe auf Auslandseinsätze vorbereitet. Eine tolle Truppe und ein motivierter Kommandeur leisten vor Ort eine Spitzenarbeit. Aber auch dieses Aushängeschild hat mit den gleichen Problemen zu kämpfen wie viele andere Kasernen auch: marode Gebäude, Baumängel und enorme Verzögerungen bei den Sanierungsmaßnahmen. Um den einfachen Antworten gleich einmal eines entgegenzuhalten: Am Geld allein liegt das nicht. 61 Millionen Euro an Bundesmitteln stehen für die Baumaßnahmen bereit, weitere 4 Millionen Euro für kleinere Baumaßnahmen. Aber die Umsetzung geht nur schleppend voran. Woran liegt das? Für den Neubau müssen einige Gebäude abgerissen werden. Dort waren aber bis vor kurzem noch Soldatinnen und Soldaten untergebracht. Der Bau eines Wohngebäudes, das übergangsweise als Ausweichquartier dienen sollte, hat sich jedoch massiv verzögert und konnte erst jetzt, nach fast fünf Jahren Bauzeit, übergeben werden. Fünf Jahre, liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich zwei Baufirmen sind in dieser Zeit bankrottgegangen. Alle Folgeprojekte haben sich entsprechend mit verzögert und aufgestaut. Wie auch bei den vielen Mängeln in der Rüstung lässt sich also auch hier feststellen: Es fehlt nicht unbedingt am Geld, sondern an verlässlicher Planung und gutem Management. Wer genau wann wo was verbockt hat, halte ich dabei erst einmal für zweitrangig. Die Truppe interessiert sich nämlich nicht dafür, wer gerade wem den Schwarzen Peter zusteckt. Sie wollen, dass ihre maroden Kasernen endlich saniert werden. (Beifall bei der SPD) Auf unsere Initiative hin haben wir deshalb im letzten Haushalt beschlossen, dass das Verteidigungsministerium dem Parlament jährlich Fortschrittsberichte über die Sanierung der einzelnen Liegenschaften zu übersenden hat. Darauf werden wir jetzt auch pochen. (Beifall bei der SPD) Wir brauchen nämlich keinen blinden Aktionismus, sondern verlässliche Analysen als Grundlage einer besseren Planung. Wir brauchen mehr Transparenz, aber auch Planungssicherheit. Dazu ist eine engere Abstimmung mit den zuständigen Baubehörden der Bundesländer nötig. Darüber hinaus braucht es weitere konkrete Maßnahmen. Ein zentrales Projektcontrolling soll Risikomanagement, Terminplanung und Kostenkontrolle vereinen. Die einzelnen Verfahren sollten transparenter und einfacher gemacht werden. Ich meine, Bürokratie-abbau könnte gerade in diesem Bereich einiges erleichtern. Mir leuchtet beispielsweise nicht ein, warum Kleinstaufträge nicht auch unkompliziert von der Truppe vor Ort bearbeitet werden können. Gerade die kleinen und kleinsten Aufträge müssen besser gebündelt werden, damit es an zentralen Stellen der Planungsverfahren nicht zu Verstopfungen kommt. Punktuell sind auch personelle Verstärkungen zu prüfen. Das gilt sowohl für die Landesbaubehörden als auch im militärischen Infrastrukturbereich auf Bundesebene. Der in der letzten Legislaturperiode beschlossene Abbau von Personal im Zuge der Neuausrichtung machte sich gerade im Sanierungsstau bemerkbar, und darunter leiden am Ende alle. Deshalb möchte ich an dieser Stelle unsere Aufforderung aus dem Haushaltsantrag an das Ministerium erneuern: Erhöhen Sie die Stehzeiten für die Infrastrukturoffiziere vor Ort. Denn nur, wo eine echte Baubegleitung der Maßnahmen möglich ist, kann am Ende auch effektiv gebaut werden. (Beifall bei der SPD) Wir brauchen gleichzeitig in den zentralen Bereichen zusätzliches Personal für die Infrastrukturbearbeitung; denn nur so kann der unsägliche Sanierungsstau abgebaut und aufgelöst werden. „Überbelegung von Stuben, Rost- und Schimmelbefall, Kloakengeruch und im -Winter defekte Heizkörper in Sanitärbereichen“, diese Punkte bezeichnet der Jahresbericht 2014 des Wehrbeauftragten als exemplarisch für die vernachlässigte Infrastruktur. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gleicht kein noch so großer Flachbildschirm aus. Wenn wir also über die Attraktivität der Bundeswehr sprechen, dann sind wir mit dem heutigen Gesetz noch lange nicht am Ziel. Es ist noch ein langer Weg, ein Weg, den wir aber gehen müssen. Wir schicken unsere Soldatinnen und Soldaten in gefährliche Einsätze, bei denen sie nicht weniger riskieren als ihr Leben. Es liegt in -unserer Verantwortung, dass sie ordentlich vorbereitet, ausgerüstet und versorgt werden. Es liegt in unserer Verantwortung, dass sie hier bei uns in ordentlichen und modernen Unterkünften untergebracht werden. Wenn wir diese Verantwortung nicht ernst nehmen, müssen wir über mehr Verantwortung in der Welt gar nicht erst reden. Sei es bei der Ausrüstung, sei es bei den Kasernen, sei es bei den Themen, die wir nun mit dem Attraktivitätsgesetz konkret anpacken – ich ermutige uns alle: Lassen wir uns nicht von etwas Spott und Häme über Wohlfühltruppen und Waldorfkasernen davon abbringen. Denn dafür ist dieses Thema viel zu wichtig. Vielen Dank. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Julia Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion. Julia Obermeier (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere. Der Dienst in den Streitkräften ist fordernd, außergewöhnlich und manchmal lebensgefährlich. Ob Piloten von Kampfjets, U-Boot-Fahrer, Scharfschützen, Instandsetzungsfeldwebel, Flugzeugmechaniker oder Sanitäter, alle Angehörigen der Bundeswehr haben den Auftrag, uns und unser Land zu verteidigen. Diese für die äußere Sicherheit unseres Staates wesentliche Aufgabe legen wir Tag für Tag in ihre Hände. Ich habe die Bundeswehr bei vielen Truppenbesuchen erlebt. Vor allem im Ausland wurde mir deutlich vor Augen geführt, welch herausragende Leistungen unsere Frauen und Männer in Uniform bei der Erfüllung ihres Dienstes erbringen. Die Attraktivität dieses einzigartigen Berufs fußt gleichermaßen auf zwei Säulen: Die erste Säule sind gutes Gerät, Material und Ausrüstung. Auch wenn die Industrie nicht immer liefert: Unser Anspruch ist und bleibt bestes und modernstes Gerät für unsere Bundeswehr. Deshalb streben wir auch eine moderate Erhöhung des Wehretats und die richtige Balance zwischen investiven Ausgaben und Betriebskosten an. Damit eine Mission erfüllt werden kann, braucht man aber mehr als das richtige Gerät; es kommt vor allem auf die Menschen an. Damit kommen wir zur zweiten Säule, zu den attraktiven Arbeitsbedingungen. Genau hier setzt die Attraktivitätsoffensive unserer Ministerin an. Diese Initiative kommt zum rechten Zeitpunkt: 2015 wird die Umsetzung der Bundeswehrreform für die Truppe immer greifbarer. Der erste Schritt der Offensive war die Agenda „Bundeswehr in Führung – Aktiv. Attraktiv. Anders.“ mit wichtigen Maßnahmen wie modernen Arbeitszeitmodellen, Angeboten zur Kinderbetreuung und modernen Unterkünften. Das Gesetzesvorhaben, über das wir heute beraten, stellt den zweiten Schritt der Attraktivitätsoffensive dar und umfasst die Teilbereiche: bessere Arbeitsbedingungen, attraktive Vergütung und bessere soziale Absicherung der Angehörigen der Bundeswehr. Zu den insgesamt 22 Maßnahmen gehören zum Beispiel eine Erhöhung des Wehrsolds, eine deutliche Steigerung bei Zulagen für besonders fordernde Aufgaben oder neue Teilzeitbeschäftigungsmodelle, um die Vereinbarkeit von Dienst und Familie zu verbessern. Wir brauchen dieses Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz, damit einer der größten öffentlichen Arbeitgeber Deutschlands auch künftig seinen hohen Personalbedarf decken kann. Wie der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes, André Wüstner, richtig festgestellt hat, ist der Gesetzentwurf zentral, um qualifizierten Nachwuchs für die Truppe zu gewinnen. An dieser Stelle möchte ich dem BundeswehrVerband noch einmal herzlich für seinen vielfältigen Einsatz für die Soldatinnen und Soldaten danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der vorliegende Gesetzentwurf lässt keinen Zweifel: Wir befinden uns hier auf dem richtigen Weg, auch wenn noch nicht alles erreicht ist, was im Koalitionsvertrag steht. Wir werden uns auf alle Fälle auch weiterhin für eine Steigerung der Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr einsetzen. Aus zahlreichen Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten weiß ich um Wünsche nach weiteren Verbesserungen beim Versorgungsausgleich oder bei der nachträglichen Versicherung von Soldaten auf Zeit. Ich hoffe, dass wir in den nun beginnenden parlamentarischen Beratungen noch die eine oder andere Verbesserung umsetzen können, zum Beispiel im Bereich des Berufsförderungsdienstes oder bei der Stichtagsregelung für die Entschädigung bei Einsatzunfällen. Konkret würde ich mir hier eine Rückdatierung auf 1991 wünschen, sodass auch der Einsatz in Kambodscha abgedeckt ist. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr sind mit einem hohen Risiko für unsere Soldatinnen und Soldaten behaftet. Deshalb setzen wir uns besonders für eine weitere Verbesserung der Versorgung von Einsatzgeschädigten und Hinterbliebenen ein, auch wenn die Fälle möglicherweise weit in der Vergangenheit liegen. Die Würdigung der Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten liegt mir ganz besonders am Herzen. Sie nehmen für unser Land eine schwere Belastung auf sich. Ihr Einsatz für unser Vaterland verdient unser aller Anerkennung und unser aller Respekt. (Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Wir Parlamentarier – insbesondere spreche ich hier für meine CDU/CSU-Fraktion – stehen an der Seite unserer Streitkräfte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Arnold [SPD] – Zuruf des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Das Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz ist ein wichtiger Beitrag, um diese Leistung der Soldatinnen und Soldaten anzuerkennen. Ich danke unserer Verteidigungsministerin für diese wichtige Initiative und freue mich auf die weiteren parlamentarischen Beratungen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Oswin Veith, auch für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Oswin Veith (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Soldatinnen und Soldaten auf der Besuchertribüne! Zum Schluss der Debatte will ich noch einmal daran erinnern: Vor knapp sechs Monaten haben Sie, Frau Bundesministerin von der Leyen, Ihren Anspruch formuliert, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen. Von vielen -damals belächelt, lassen Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf im Rekordtempo Taten folgen. Das ist vorbildlich und zeigt den hohen Stellenwert und die Wertschätzung der Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten, und das begrüße ich und begrüßt meine Fraktion außerordentlich. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn es denn richtig ist, dass wir eine zukunftssichere Bundeswehr mit leistungsfähigen, loyalen und hoch-motivierten Soldaten wollen, dann ist Ihre Initiative, Frau Ministerin, genau die richtige zur richtigen Zeit. Danken möchte ich an dieser Stelle auch dem Bundesminister des Innern und seinem ganzen Hause, das in engem Schulterschluss den Gesetzentwurf mit ausgearbeitet hat. In der Tat ist so sehr schnell ein großer Wurf gelungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Attraktivität darf in Zeiten des demografischen Wandels keine leere Worthülse sein. Das gilt für den Soldatenberuf ebenso wie für das Beamtentum und den öffentlichen Dienst insgesamt. Attraktivität ist konkret, und sie ist auch messbar. Sie zeigt sich zum Beispiel in Bewerberzahlen oder dem Image eines Arbeitgebers. Die Opposition hat heute viel zu diesem Thema gesagt und dabei vieles unnötig schlechtgeredet. Ich will diesen Worten Zahlen entgegensetzen: Polizei und Bundeswehr sind im aktuellen Schülerbarometer die beliebtesten Arbeitgeber. Bemerkenswert ist dabei, dass die Bundeswehr bei dieser repräsentativen Umfrage besonders in der Gunst der Mädchen zugelegt hat. Klasse, sage ich da nur. Darüber hinaus konnte am Anfang dieser Woche ein neuer Rekord mit 11 000 freiwillig Wehrdienstleistenden verzeichnet werden; ein Spitzenwert. Ich finde, das sind alles erfreuliche Entwicklungen, die zeigen, dass die Richtung stimmt. Das sollte auch die Opposition zur Kenntnis nehmen. Liebe Opposition, das heißt auch, dass es sich dabei eben nicht um Zufälle handelt. Vielmehr ist es das Ergebnis der unter Bundesminister de Maizière begonnenen Maßnahmen, die nun von unserer amtierenden -Verteidigungsministerin konkretisiert und intensiviert werden. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die soll mal korrigieren!) Viele Details sind bereits von meinen Vorrednern erwähnt worden. Ich möchte im Wesentlichen drei Verbesserungen ansprechen, die ich gerade für die Zeit- und Berufssoldaten für besonders wichtig erachte. Erstens. Eine gesetzliche Arbeitszeitregelung klingt für viele Arbeitnehmer selbstverständlich. Für Bundeswehrsoldaten gibt es sie nicht; noch nicht; denn nun soll sie im Grundbetrieb eingeführt werden. Das klingt zunächst einmal nicht spektakulär, jedoch verbessert es die Planbarkeit des Dienstes und trägt damit zur besseren Vereinbarkeit von Dienst und Privatleben bei. Zweitens. Auch die Aufhebung der Hinzuverdienstgrenzen ist eine wichtige Maßnahme. Auf Wunsch des eigenen Dienstherren werden Berufssoldaten im Schnitt fast acht Jahre früher als Beamte in den Ruhestand versetzt. Das wirkt sich auch auf ihre Versorgungsbezüge aus. Dabei haben die Soldaten aufgrund der besonderen Altersgrenzen keine Möglichkeit, ihre Versorgungssituation durch längeres Dienen zu verbessern. Der Gesetzentwurf trägt dem Rechnung und streicht die bestehenden Grenzen für Hinzuverdienst, der in dieser Phase privatwirtschaftlich erzielt wird. Wir befördern damit den Leistungswillen und stärken die Möglichkeiten der Altersversorgung für unsere Berufssoldaten – eine wichtige und richtige Botschaft, wie ich finde. Drittens. Durch die speziellen Altersgrenzen für Berufssoldatinnen und -soldaten greift im Falle einer Scheidung der Anspruch auf einen Teil der Pension wesentlich früher als bei den Beamten. Es ist daher richtig, auch beim Versorgungsausgleich die Altersgrenze auf 61 Jahre anzuheben. Das ist eine Angleichung, die ein Stück mehr Gerechtigkeit bedeutet. An den von mir vorgebrachten Beispielen wird deutlich: Wir reden hier nicht über Geschenke an die Soldatinnen und Soldaten, sondern über sinnvolle Anpassungen an die Regelungen der übrigen Bundesbeamten und des öffentlichen Dienstes. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Daher darf der vorliegende Gesetzentwurf auch nicht als Zurücksetzung der Beamten missinterpretiert werden; denn viele der Änderungen zielen auf eine Angleichung der Rechtslage der Soldaten an Standards, die für unsere Beamten schon länger gelten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Staats-sekretär Gerd Hoofe hat in einem Interview gesagt – auch die Frau Bundesministerin hat dies heute hier angesprochen –, dass die Attraktivitätsagenda mehr ein Marathon denn ein Sprint sei. Recht hat er. Und trotzdem haben die zur Debatte stehenden Maßnahmen eines gemeinsam: Sie können schnell Wirkung entfalten. Ich freue mich daher, dass wir bereits jetzt einen wichtigen Baustein zur Attraktivitätssteigerung des Dienstes in der Bundeswehr beraten können. Für mich ist das jetzt schon ein gelungenes Werk. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/3697 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall, dann ist die Überweisung so beschlossen. Unter dem Zusatzpunkt 7 kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Mehr Gerechtigkeit bei der Entschädigung von Einsatzunfällen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3126, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2874 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Antragsteller bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Drucksache 18/3784 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz (Berichtszeitraum 1. Juli 2004 bis 30. Juni 2009) Drucksache 17/4307 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Fünfter Gremienbericht der Bundesregierung zum Bundesgremienbesetzungsgesetz (Berichtszeitraum: 30. Juni 2005 bis 30. Juni 2009) Drucksache 17/4308 (neu) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache wiederum 96 Minuten vorgesehen. – Das ist offenkundig unstreitig. Also verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin Manuela Schwesig. (Beifall bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Schwesig, Herr Kauder ist nicht da! Er sitzt irgendwo und weint!) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Aber Herr Lammert ist da. Das ist doch auch toll. Ein Präsident, der zuhört. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Chef!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Er ist gelegentlich schon einmal hier. Ich bedanke mich ausdrücklich für die freundliche Erwähnung. Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Männer und Frauen sind gleichberechtigt. So steht es im Grundgesetz, Artikel 3 Absatz 2 Satz 1. Die Lebenswirklichkeit sieht anders aus. Frauen haben im letzten Jahrzehnt den Arbeitsmarkt erobert, aber sie bekommen immer noch weniger Lohn für die gleiche Arbeit. Sie kommen trotz bester Ausbildung weniger in Führungsetagen an. Sie tragen immer noch die Last für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das muss sich ändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im letzten Jahr haben wir drei Gesetze auf den Weg gebracht, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen zu verbessern. In diesem Jahr beschäftigen wir uns mit den Themen: Beseitigung von Lohnungerechtigkeit und mehr Frauen in Führungspositionen. Gut die Hälfte der jungen Menschen, die die Schule mit der allgemeinen Hochschulreife abschließen, sind Mädchen. Gut die Hälfte der jungen Menschen, die einen Hochschulabschluss machen, sind Frauen. Im Bildungssystem sind Männer und Frauen auf den ersten Blick gleichberechtigt: dem Ergebnis nach. Aber nicht in der Arbeitswelt. Der Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten der 200 größten Unternehmen in Deutschland beträgt 18 Prozent, in den Vorständen nur 5 Prozent. Das sind die aktuellen Zahlen aus dem Managerinnen-Barometer des DIW. In Artikel 3 unseres Grundgesetzes heißt es weiter: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. In dieser Verantwortung stehen wir, sehr geehrte Damen und Herren. Wir müssen dafür sorgen, dass die im Grundgesetz formulierte Gleichberechtigung von Frauen und Männern auch tatsächlich in der Lebenswirklichkeit vorhanden ist. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In dieser Verantwortung legen der Bundesjustizminister Heiko Maas und ich Ihnen heute einen Gesetzentwurf für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen vor. Dieser Gesetzentwurf verpflichtet mehr als 100 Unternehmen zu einer festen Geschlechterquote. Über 3 000 Unternehmen müssen sich verbindliche Zielvorgaben geben und damit ihre Unternehmenskultur und die Chancen von Frauen in den Mittelpunkt rücken. Darüber hinaus wird dieses Gesetz einen Kulturwandel in der Arbeitswelt einleiten. Wenn es an der Spitze eines Unternehmens oder an der Spitze der öffentlichen Verwaltung keine Gleichberechtigung gibt, wer glaubt dann, dass es im Rest des Unternehmens oder der Verwaltung Gleichberechtigung gibt? Sobald es aber mehr Frauen in Führungspositionen gibt, werden gleiche Chancen in Unternehmen und Verwaltungen selbstverständlicher. Es war immer so, dass sich Frauen Gleichberechtigung hart erkämpfen mussten. Es ist heute immer noch so. Es ist ein Kampf um Macht, Geld und Einfluss. Das gibt niemand freiwillig ab. Schauen wir auf ein Unternehmen der DAX-Gruppe. Es ist in der Gesundheitswirtschaft tätig und hat im letzten Geschäftsbericht einen Jahresumsatz von 20 Milliarden Euro angegeben. Auf die Anteilseigner entfiel ein Konzernergebnis von gut 1 Milliarde Euro. Erwirtschaftet wurde dieses Ergebnis von 178 000 Beschäftigten weltweit, davon 54 000 in Deutschland. Zwei Drittel davon sind Frauen. Das Unternehmen bekennt sich im Lagebericht zur Förderung der Frauen, aber im Vorstand arbeitet keine einzige Frau; auch im Aufsichtsrat: keine einzige Frau! (Thomas Oppermann [SPD]: Zu wenig!) Obwohl Frauen dieses brillante Ergebnis erarbeitet, diese Umsätze erwirtschaftet und diese Gewinne erzielt haben, sind sie nicht dort vertreten, wo über Arbeits- und Lohnbedingungen entschieden wird. Das ist ungerecht! Das muss sich ändern! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ende November hat eine Frau auf Facebook Folgendes gepostet: „Der Denkfehler der Quoten-Gegner besteht darin, dass sie annehmen, ohne Regelung würden sich die Qualifiziertesten durchsetzen. Egal ob Mann oder Frau.“ Das ist auch das Argument des eben beschriebenen Unternehmens, warum es keine Frauenquote will. Die Frau auf Facebook schreibt weiter: „In der idealen Welt wäre das auch so, aber nachgewiesenermaßen ist das nicht der Fall. Solange die Welt nicht ideal ist, hilft die Quote.“ Ich finde, die Frau hat recht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Solange Gleichberechtigung nicht verwirklicht ist, brauchen wir Gesetze, die sie voranbringen. Das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen an Führungspositionen ist auch ein Innovationsgesetz. Wer auch heute noch davon spricht, dass wir damit die Wirtschaft belasten, der sollte sich die Studien von Unternehmensberatungen angucken, zum Beispiel die von McKinsey oder dem Karlsruher Institut für Technologie. Beide sind sich einig: Unternehmen mit gemischten Führungsteams sind erfolgreicher. Eine Schweizer Bank hat errechnet, dass sich die Aktienkurse von Unternehmen mit Frauen im Aufsichtsrat zwischen 2005 und 2011 um 26 Prozent besser entwickelt haben. Anders gesagt – hier zitiere ich gerne eine Abgeordnete der CSU, die ihre Zustimmung zur Quote anlässlich der Berliner Erklärung so begründet hat –: „Manchmal muss man die Leute zu ihrem Glück zwingen.“ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Situation in der Privatwirtschaft unterscheidet sich nicht groß vom öffentlichen Dienst. Ja, wir haben im öffentlichen Bereich mehr Frauen in Führungspositionen; das ist angesichts der Zahlen der Wirtschaft aber nicht wirklich schwierig. Deshalb muss sich auch hier etwas ändern. Wir werden die Vorschriften, die für die Wirtschaft gelten, eins zu eins im öffentlichen Bereich umsetzen. Das, was wir der Wirtschaft vorgeben, müssen wir auch selbst einhalten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, 1982 war ich sechs Jahre alt und dieses Gebäude lag für mich hinter einer scheinbar unüberwindbaren Mauer. Ich wusste damals nichts von meinem Glück, dass ich ein solches Gesetz einmal durchkämpfen darf. Ich wusste auch nichts von dem Glück, dass ich einen toughen Mann, und zwar unseren Justizminister, an der Seite haben würde, der mir dabei hilft. 1982 hat die damalige Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Antje Huber, in Bonn eine Sachverständigenanhörung zur Situation von Frauen in der Arbeitswelt organisiert. Diskutiert wurde unter anderem, ob eine Quotierung helfen würde. Seitdem ist viel passiert: Die Mauer ist niedergerissen worden. Aber die Teilhabe von Frauen in Führungspositionen hat sich nicht wirklich verbessert. Jetzt kommt Bewegung rein. Allein die Diskussion über den Gesetzentwurf hat dazu geführt, dass sich die Unternehmen darüber Gedanken machen, wo die Hemmnisse in der Arbeitswelt liegen. Sie fragen sich: Was können wir dafür tun, dass die qualifizierten Frauen, die wir haben, auch tatsächlich in den Führungsetagen ankommen? – Wer Sorge hat, dass wir diese Frauen nicht -haben, dem sage ich: Es geht ganz konkret um 174 Führungspositionen in Unternehmen. Wir haben 40 Millionen Frauen in Deutschland, und man darf sich auch international umschauen. Ich glaube, das wird zu schaffen sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der Kulturwandel, den dieses Gesetz befördern wird, geht weit über den Geltungsbereich des Gesetzes hinaus. Das zeigt zum Beispiel der Deutsche Caritasverband, der nicht direkt von diesem Gesetz betroffen ist, der aber für sich selbst feststellt: 80 Prozent der Beschäftigten bei der Caritas sind Frauen – klar, da wird die soziale Arbeit gemacht; von der Kita bis zum Pflegeheim: Wer macht den Job? Die Frauen (!) –, aber nur 20 Prozent sind in den Führungsetagen vertreten. Dort, wo über Arbeits- und Lohnbedingungen entschieden wird, sind wenig Frauen vertreten, obwohl sie die Arbeit machen; genau wie in der Wirtschaft. Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes sagt dazu: Das muss sich ändern; wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen. – Sie sehen also: Dieses Gesetz wirkt, bevor es da ist; dieses Gesetz bewirkt einen Kulturwandel, weit über die Grenzen des Gesetzes hinaus. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich möchte mich ganz herzlich bei den Frauen und den Männern bedanken, die über alle Fraktionsgrenzen hinweg in der letzten Legislaturperiode die Berliner Erklärung formuliert haben. Sie haben sich aufeinander zubewegt und gesagt: Wir wollen etwas bewegen für die Frauen. – Der Gesetzentwurf, der Ihnen vorliegt, ist von diesem Geist getragen. Wir haben verschiedene Positionen zusammengebracht, um etwas für die Frauen, für die Gleichberechtigung in unserem Land zu tun. Ich hoffe, dass wir in diesem Geist die parlamentarischen Beratungen durchführen werden. Es wurde viele Jahre darüber diskutiert. Seit 30 Jahren wurde viel gestritten. Jetzt müssen wir uns auf den Weg machen. Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Caren Lay für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über ein Jahr wird nun schon lauthals und öffentlich über die Frauenquote für die Privatwirtschaft diskutiert. Es wurde zäh verhandelt, und es gab sage und schreibe sechs verschiedene Referentenentwürfe. Die Wirtschaftsvertreter warnten vor unzumutbaren Belastungen für die deutsche Wirtschaft, und Herr Kauder, der Fraktionschef der CDU/CSU-Fraktion, machte sich auch noch einen Namen als Obermacho des Deutschen Bundestages, als er Frau Schwesig als weinerlich beschimpfte; dabei hatte Herr Kauder – ich sehe ihn gerade nicht – wirklich harte Konkurrenz. (Beifall bei der LINKEN) Warum das ganze Geschrei? Warum, um im Bild von Herrn Kauder zu bleiben, die ganze Heulerei? Ich könnte auch fragen: Wovor eigentlich die ganze Angst? Ja, es geht um schätzungsweise 180 Frauen, die von dieser festen Quote profitieren sollen. Sie hören richtig: Es geht um gerade einmal 180 Frauen in 108 Unternehmen. Wegen dieser kleinen Zahl von Frauen gehen die Union und die deutsche Wirtschaft seit Monaten auf die Barrikaden. Ich finde, das ist ein völlig lächerlicher Vorgang. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was Sie hier heute vorlegen, Frau Schwesig, das ist leider keine effektive Frauenquote. Das ist maximal ein kleines Frauenquötchen, über das sich die Aufregung und der Widerstand gar nicht gelohnt haben. Mal abgesehen davon, dass diese Frauenquote gar nicht für alle Unternehmen gelten soll, legen Sie nicht eine Quote von 50 Prozent fest, sondern von gerade einmal 30 Prozent. Sie soll auch nicht für die Vorstände gelten, sondern lediglich für die Aufsichtsräte. Eine 30-Prozent-Quote, das ist maximal eine Herausforderung für die CDU/CSU-Fraktion, die hier im Haus mit 25 Prozent die geringste Frauenquote hat; aber an diesem niedrigen Niveau dürfen wir uns doch nun wirklich nicht messen lassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen ist jede Selbstbeweihräucherung bei diesem Gesetzentwurf völlig fehl angebracht. Das ist kein großer Durchbruch für die Frauen. Das ist bestenfalls ein Stillstand. Dieser ganze Vorgang belegt für mich, ehrlich gesagt, nur, dass die Männerbündelei in Deutschlands Vorstandsetagen und auch in der CDU/CSU-Fraktion leider immer noch ziemlich gut funktioniert. Das müssen wir endlich einmal ändern. (Beifall bei der LINKEN) Was soll denn in den anderen 3 500 Unternehmen passieren? Ja, sie sollen sich Zielgrößen geben, die sie selbst definieren. Was passiert eigentlich, wenn sie sie nicht einhalten? Oh, dann passiert gar nichts. Das ist doch im Kern nichts anderes als eine freiwillige Selbstverpflichtung, die schon in der Vergangenheit nichts, aber auch gar nichts gebracht hat. Wir können das nicht akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN) Selbst die kleinen Fortschritte, die wir für Frauen in der Privatwirtschaft erreichen, erkaufen wir uns mit Verschlechterungen für Frauen im öffentlichen Dienst. Hier gilt jetzt eine 50-Prozent-Quote. Das Problem ist ja nicht die Quote, sondern die schlechte Umsetzung in der Praxis. Anstatt sich zu überlegen, wie wir das ändern können, wie wir das verbessern können – dazu gibt es kluge Vorschläge –, hängen Sie einfach die Latte niedriger. Statt einer Quote von 50 Prozent soll jetzt eine Quote von nur noch 30 Prozent gelten, um sie in ein paar Jahren wieder auf 45 Prozent anzuheben. Da lobt man sich eigentlich Frau Merkel, die vor 20 Jahren die 50-Prozent-Quote eingeführt hat. Jetzt wollen wir es wieder abschwächen. Das ist doch völlig absurd. Ich finde, hier könnte die Kanzlerin ein Machtwort sprechen. (Beifall bei der LINKEN) In der Kritik steht ja auch das Bundesgleichstellungsgesetz, das jetzt – ich finde, ohne Not – in einem Aufwasch mit geändert werden soll, übrigens zum Schlechteren. Bislang galt das Prinzip der Frauenförderung, jetzt soll es geschlechtsneutral gestaltet werden. Das soll sicherlich schön modern daherkommen: Man ist jetzt nicht für mehr Frauen, sondern vielleicht für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Man ist vielleicht zur Einschätzung gekommen, dass Feminismus out ist, und hat einen neuen Begriff erfunden: die Geschlechteransprache. Was sich für mich wie eine Wortneuschöpfung aus einem Satiremagazin anhört, soll jetzt offiziell in einem Gesetz des Deutschen Bundestages enthalten sein. Das kann ich einfach nicht glauben. Wissen Sie: Mehr männliche Grundschullehrer, mehr Kitaerzieher, das fände ich wirklich richtig gut. Das Problem ist aber nicht, dass Männer bei der Einstellung diskriminiert werden, das Problem ist doch, dass dieser Beruf für Männer offenbar viel zu wenig attraktiv ist. Deswegen sagen wir als Linke: Verbessern Sie endlich die Bezahlung in diesen Berufen – dann werden diese Berufe vielleicht auch für Männer attraktiver –, aber lassen Sie die Finger von der Frauenquote. (Beifall bei der LINKEN) Die Aufstiegschancen für Grundschullehrer sind übrigens ziemlich gut. Denn in den Schulleitungen sind Männer ja deutlich überrepräsentiert. Wir fragen uns nach der Notwendigkeit dieser Neuregelung: Frauenquote weg, dafür aber die Geschlechteransprache einführen. Das ist doch wirklich eine Verkennung der Tatsache, dass Frauen in unserer Gesellschaft immer noch strukturell benachteiligt werden: 20 Prozent verbeamtete Staatssekretärinnen in den Bundesministerien, 23 Prozent Abteilungsleiterinnen, nur jede fünfte Professur ist mit einer Frau besetzt. Da fragt Kristin Rose-Möhring, die Gleichstellungsbeauftragte in Ihrem Ministerium, Frau Schwesig, völlig zu Recht in einem Schreiben an uns: Es erschließt sich nicht, warum ein grundsätzlich gutes Gesetz einem schlechteren weichen soll. – Mir erschließt es sich auch nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Um zum Abschluss den Blick von den Führungsetagen wegzulenken, schauen wir uns einmal an, wie es bei den normalen Beschäftigten aussieht. Seit vielen Jahren und noch immer verdienen Frauen für die gleiche Arbeit im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich auf dem drittletzten Platz. Ich finde, in Sachen Gleichstellung ist Deutschland ein Entwicklungsland. Es wird höchste Zeit, dass wir das ändern. Mit diesem Gesetzentwurf wird es nicht gelingen. (Beifall bei der LINKEN) Wir könnten es in diesem Hohen Hause ändern. Die SPD hat mehr gewollt. Die Grünen wollen mehr. Wir als Linke wollen sowieso mehr. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wie Gysi! O-Ton Gysi: Wir wollen immer mehr!) Ich hoffe, ehrlich gesagt, auf ein paar mutige Frauen in der CDU/CSU-Fraktion. Machen Sie mit! Helfen Sie uns, diesen Murks zu verändern und zu verbessern, damit am Ende doch noch ein gutes Gesetz dabei herauskommt. Die Frauen in diesem Land hätten es verdient. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Marcus Weinberg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christina Jantz [SPD] und Dr. Carola Reimann [SPD]) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, das kennen wir von den Linken: mehr, mehr, mehr. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Besser! Besser!) Man fragt sich nur, woher. Diese Frage sollten Sie auch mal beantworten. (Caren Lay [DIE LINKE]: Millionärssteuer! Vermögensabgabe! Die Vorschläge liegen doch auf dem Tisch!) Ich will am Anfang ein Thema aufgreifen, das die Ministerin skizziert hat: die Idealwelt. Ich mache kein Geheimnis daraus – ich glaube, das gilt für viele Kolleginnen und Kollegen hier –: Von unserer Überzeugung her wäre es natürlich das Beste, wir müssten diese Diskussion gar nicht führen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Position sind wir schon lange!) weil wir eine Gesellschaft hätten, in der das Geschlecht, die Herkunft, Frau Künast, und andere Dinge keine Rolle spielen, eine Gesellschaft, in der das Individuum mit seinen Kompetenzen, mit seinen Fähigkeiten das Entscheidende ist (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann geben Sie ja zu, dass das so nicht ist bei den Männern!) und in der auch bei der Auswahl in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft nur diese Eigenschaften zählen und nicht das Geschlecht. Es wird das Ziel des Kulturwandels sein, den wir herbeiführen wollen, dass wir diese Diskussion in 10, 15 Jahren nicht mehr führen müssen, weil wir mit Blick auf die Führungspositionen in der Wirtschaft und anderswo eine Situation erreicht haben werden, in der wir strukturell bedingte Benachteiligungen nicht mehr erleben. Das Grundgesetz gibt uns eine klare Anweisung. Es ist unser Auftrag, Artikel 3 des Grundgesetzes Rechnung zu tragen. Das heißt, der Staat bzw. die Politik hat den Auftrag, die Gleichberechtigung und ihre Durchsetzung zu fördern und insbesondere Benachteiligungen zu beseitigen. Dieser Gedanke muss uns in den nächsten Jahren leiten, wenn es um die Individualität des Menschen und um die Beantwortung der Geschlechterfrage geht. Dazu zwei Vorbemerkungen: Erstens. Diese Diskussion führen wir seit vielen Jahren. Es war übrigens die Union, die diese Diskussion 2005 noch einmal angeschoben hat, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt „noch einmal“? – Caren Lay [DIE LINKE]: Das war mit der Selbstverpflichtung!) zunächst einmal in dem klaren Verständnis, dass es immer darum gehen muss, dieses Thema gemeinsam mit den betroffenen Akteuren anzugehen: im Rahmen von Freiwilligkeit, Appellen und Aufforderungen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kommt Ihnen ein Geisterfahrer entgegen! – Einer? Hunderte!) – Frau Künast, das Prinzip des Dazwischenquatschens mag bei Ihnen Gültigkeit haben. Wir aber denken, man sollte erst einmal zuhören, bevor man sich äußert. Daran sollten auch Sie sich halten. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Junger Mann, das ist der parlamentarische Zwischenruf! Sagen Sie das mit dem „Dazwischenquatschen“ doch mal dem Kauder! Dann werden Sie gegendert! – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht so gereizt, Herr Weinberg! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Dazwischenquatschen“ – das ist typisch Mann gegenüber Frauen! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach was! Das würde er auch zu einem Mann sagen! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das würde er eben nicht! Das ist wie mit dem „weinerlich“ von Kauder!) Frau Lay, Sie haben zwei Aspekte, die ich gerne aufgreifen möchte, angesprochen. Sie haben die Anzahl der Abteilungsleiterinnen erwähnt. Da stimme ich Ihnen zu: Das ist nicht in Ordnung. Sie haben die Anzahl von Frauen in der mittleren Führungsebene angesprochen, auch und gerade im Apparat der Verwaltung. Es stimmt: Da gibt es zu wenige Frauen. Aber ich sage Ihnen auch eines: 40 Prozent der Regierung – ich verweise nur auf die Kanzlerin und die Ministerinnen – sind weiblich. Das heißt, diese Regierung setzt das, was sie fordert, bereits um, und das ist auch gut so. (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Lay, Sie haben uns wieder einmal vorgeworfen – das sage ich ganz deutlich, weil das Schimpfen auf die Union nicht nur bei Frau Künast Konjunktur hat –, dass wir Frauen nicht fördern. Ich will nur daran erinnern: Die erste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland wird von der CDU gestellt, die erste Verteidigungsministerin der Bundesrepublik Deutschland wird von der CDU gestellt, und die Landesgruppe der ach so konservativen CSU wird von einer Frau geführt. Darauf sind wir stolz. Ich glaube, da sind wir auch Vorbild. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist Merkel das denn geworden? Spendenskandal! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Frau Künast, nun beruhigen Sie sich doch mal! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen schon die ganze Wahrheit sagen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Frau Künast, jetzt bleiben Sie doch mal beim Thema!) – Frau Künast, es geht auch um Haltung und Stil in diesem Haus. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das will ich ja gerade von Ihnen! Das wollen wir ja gerade bewahren!) In einer neueren Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kam man zu dem Ergebnis – die Ministerin hat das angesprochen –, dass nach vielen Jahren der Appelle und der Freiwilligkeit in den 200 größten deutschen Unternehmen die Vorstände gerade einmal zu 5 Prozent und die Aufsichtsräte nur zu 18 Prozent mit Frauen besetzt sind. Offensichtlich gilt für die Politik ebenso wie für die Wirtschaft, dass Frauen in Toppositionen nicht genauso gut sein müssen wie Männer, sondern dass sie wesentlich besser sein müssen. Das entspricht nicht dem Grundgesetz. Dieses Problem müssen wir angehen. Diese gläserne Decke müssen wir endlich durchbrechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Caren Lay [DIE LINKE]: Ja, dann machen Sie es doch endlich!) An zwei Dingen kann das nicht liegen. Das kann erstens nicht an den Kompetenzen und an der Bildung liegen. Denn wir wissen, dass die Frauen in den letzten Jahren gerade im Bildungs- und im Hochschulbereich nicht nur aufgeholt, sondern die Männer in weiten Teilen sogar überholt haben. Wir werden uns mit Blick auf das Schulsystem mehr Gedanken darüber machen müssen, wie wir uns um Jungen, die abgehängt sind, kümmern können. Wenn Frauenmangel gerade in MINT-Berufen der Grund dafür wäre, dass in den obersten Etagen von MINT-Unternehmen keine Frauen vertreten sind, dann müssten ja wenigstens in den Vorständen und Aufsichtsräten anderer Unternehmen wie Banken oder Versicherungen mehr Frauen vertreten sein. Tatsache ist aber, dass die Posten in den Chefetagen zu 95 Prozent von Männern besetzt werden. Wenn man sich die Aufsichtsräte sogenannter MINT-Unternehmen anschaut, dann stellt man fest, dass die Anzahl der Männer, die eine naturwissenschaftliche Ausbildung haben, sehr überschaubar ist. Es sind auch hier in erster Linie Juristen und Kaufleute, die diese Positionen besetzen. Was nicht gegen Männer spricht, darf auch nicht als Argument gegen Frauen missbraucht werden; ich glaube, dieser Grundsatz muss gelten. Zweitens – auch dies wurde von der Ministerin bereits angesprochen – kann man das Erklärungsmuster bzw. die Behauptung, dass Frauen aufgrund ihrer fami-liären Verpflichtungen nicht in Führungspositionen kommen können, relativ schnell empirisch widerlegen. Allein die Tatsache, dass weder Frauen mit Kindern noch Frauen ohne Kinder in relevanter Zahl in Aufsichtsräten oder Vorständen vertreten sind, zeigt: An Kindern und an Zeiten der Kindererziehung kann es nicht liegen. Schon in den ersten Berufsjahren, in denen viele Beschäftigte noch keine Familie gegründet haben, werden Männer schneller befördert als Frauen. Nach einer Untersuchung des Hochschul-Informations-Systems HIS steigen 40 Prozent der Männer, aber nur 24 Prozent der Frauen schon in den ersten fünf Jahren nach ihrem Universitätsabschluss auf. Fazit: Es gibt keine Benachteiligung, die individuell zu erklären ist. Es gibt aber ein Erklärungsmuster, das auf strukturelle Defizite verweist. Hier muss die Politik ansetzen. Wir sagen: Nach der Zeit der Appelle, der Freiwilligkeit und der Flexi-Quote müssen wir nun einen Schritt weiter gehen. Wir nutzen die Quote, um sie irgendwann überflüssig zu machen. Worum geht es uns? Ich möchte eines noch einmal klarstellen: Es geht uns nicht darum, dass schlechter qualifizierte Frauen gut qualifizierten Männern vorgezogen werden sollten, sondern es geht uns darum, dass gute, geeignete Frauen die gleichen Chancen bekommen; das ist das Mindeste, was wir garantieren müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dafür müssen gute Frauen aber erst einmal sichtbar werden, sie müssen in der Hierarchie von Unternehmen nach oben kommen, sie müssen ermutigt und aufgefordert werden. Genau diesen Kulturwandel soll der vorliegende Gesetzentwurf bewirken. Bei „Mehr Frauen in Führungspositionen“ geht es nicht nur um die Umsetzung des Auftrages des Grundgesetzes und um Gerechtigkeit, sondern auch um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen selbst. Es hat sich nämlich gezeigt – Studien haben das festgestellt –, dass gemischte Teams – mit Männern und Frauen – ein höheres Potenzial an Kreativität haben, dass sie erfolgreicher sind, Unternehmen eher zum Erfolg führen als ausschließlich mit Personen ein und desselben Geschlechts besetzte Teams. Wir müssen uns vor Augen führen – auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels –, dass es angesichts der immer besseren, bereits heute exzellenten Ausbildung, Qualifikation von Frauen eine nahezu unglaubliche Ressourcenverschwendung ist, wenn topausgebildete Frauen, die für den Arbeitsmarkt bereitstehen, nicht auch Topverantwortung übernehmen können; das widerspricht doch allen Grundsätzen guten Unternehmertums. Da müssen wir rangehen! Mehr als dreizehn Jahre haben wir darüber diskutiert. Es gab immer wieder Appelle an die Wirtschaft, auf freiwilliger Basis Frauen zu fördern. Ich glaube, die jetzt vorliegenden Maßnahmen im Bereich der Privatwirtschaft sind gut und richtig, wobei wir aber auch immer eines feststellen: Wir werden darauf achten, dass wir beim Thema Bürokratie nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Wir sagen ganz klar: Es muss für die Wirtschaft auch machbar und vertretbar sein. Bei der festen Quote geht es um börsennotierte und mitstimmungspflichtige Unternehmen und bei der flexiblen Zielquote um börsennotierte oder mitstimmungspflichtige Unternehmen, also um Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Ich glaube, dass die gefundenen Regelungen für diese Unternehmen machbar und tragbar sind, zumal – das wurde im Koalitionsvertrag beschrieben – Unternehmen in dem Lagebericht nach dem HGB sowieso angeben müssen, wie sie es mit der Frauenförderung halten. In diesem Teil sind wir mit dem Koalitionspartner einig. Aber – auch das muss eine Zielfunktion sein – Frauenförderung betrifft nicht nur die Privatwirtschaft. Was wir der Privatwirtschaft vorschreiben wollen, müssen wir in der öffentlichen Verwaltung selbst erfüllen; sonst werden wir unglaubwürdig, sonst nimmt man unsere Ziele nicht ernst. Das heißt, es gibt noch den öffentlich-rechtlichen Teil, einmal im Hinblick auf das Bundesgremienbesetzungsgesetz und einmal im Hinblick auf das Bundesgleichstellungsgesetz. Da sehen wir in der Union bei der konkreten Ausformulierung noch Bedarf, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, in den schönen Farben Schwarz-Rot sozusagen, genauer darüber nachzudenken, ob das, was im momentanen Entwurf für das Bundesgleichstellungsgesetz steht, das Richtige ist; denn Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes fordert die Beseitigung von Nachteilen für ein Geschlecht. Wenn Frauen benachteiligt werden, ist Frauenförderung also verfassungsrechtlich gefordert und gerechtfertigt. Gleiches gilt übrigens auch für Männer, wenn sie in gewissen Bereichen, nämlich auf Leitungsebene, unterrepräsentiert sind. Dies ist uns eine Verpflichtung. Der Entwurf des Bundesgleichstellungsgesetzes sieht für die Bundesverwaltung aber das Ziel der Parität nicht nur auf Leitungsebene vor, sondern auf allen Ebenen. Da müssen wir uns ernsthaft Gedanken machen, wie das in der Umsetzung funktionieren soll. Parität in der Leitungsebene heißt: Nachteile müssen abgebaut werden. Aber es kann nicht das Ziel sein, vom Grundsatz der Parität auf allen Ebenen auszugehen. Mit Verlaub, der Sinn von Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes ist unseres Erachtens die Beseitigung bestehender Nachteile. Wir halten den Gesetzentwurf, der vorliegt, für richtig. Wir werden nach den Anhörungen in den Ausschüssen die letzten Debatten mit dem Koalitionspartner führen. Wir bleiben hinsichtlich der gesetzlichen Vorgaben für die Privatwirtschaft insgesamt maßvoll, verlassen uns aber nicht mehr nur auf reine Freiwilligkeit; nach vielen Jahren ist diese Zeit jetzt vorbei. Wir sorgen dafür, dass die Bundesgremien und die Bundesverwaltung mit gutem Beispiel vorangehen; denn diese Regelung ist tatsächlich an der Zeit. Ich schließe mit dem, was ich am Anfang gesagt habe: Es ist unser Idealbild, dass wir über Quoten, Quoren und Sonstiges in dieser Gesellschaft nicht mehr reden müssen, weil alle verstanden haben, dass weder das Geschlecht noch die Herkunft noch die Rasse, sondern nur das Individuum zählt. Wenn wir das erreicht haben, ist das Ziel dieses Gesetzes erfüllt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben in den vergangenen Jahren hier im Bundestag häufig über die Quote diskutiert, aber heute sprechen wir erstmals über einen Gesetzentwurf, der aller Voraussicht nach nicht nur beschlossen werden wird, sondern auch in Kraft treten wird. Deshalb, finde ich, ist heute die richtige Gelegenheit, Danke zu sagen all denen, die jahrelang dafür geackert haben, dass eine gesetzliche Quote für die Aufsichtsräte jetzt tatsächlich in greifbarer Nähe ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Das sind allen voran die Frauen von FidAR, aus dem Verband deutscher Unternehmerinnen, vom Juristinnenbund, von den Business and Professional Women, den Landfrauen, aber auch von vielen anderen Frauenorganisationen, die jahrelang gesagt haben: Es muss Schluss damit sein, die Potenziale von Frauen zu vergeuden. Selbstverpflichtungen nutzen uns nichts; wir brauchen eine gesetzliche Quote, um die männlichen Monokulturen in den Unternehmen zu knacken. – Ich finde, dieses jahrelange Engagement hat den Applaus des gesamten Hauses verdient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will mich auch bei meinen jetzigen und auch ehemaligen Kolleginnen hier aus dem Bundestag bedanken. Von meiner Fraktion will ich dabei insbesondere Ekin Deligöz und Renate Künast nennen, die gemeinsam mit den Frauen aus den Verbänden mit der Berliner Erklärung dem Thema Quote so richtigen Drive eingehaucht haben, weil sie gezeigt haben, dass das Thema nicht das Thema einer Partei oder einer Fraktion ist, sondern dass man gewinnen kann, wenn Frauen an einem Strang ziehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Mein Dank gilt auch den Journalistinnen und Journalisten, die 2012 mit ihrem Aufruf „Pro Quote“ deutlich gemacht haben, dass es auch bei der sogenannten vierten Gewalt Nachholbedarf beim Thema Gleichstellung gibt; er gilt auch den klugen Männern, die schon lange wissen, dass Führungsfrauen den Unternehmen guttun, und die deshalb die Frauen in ihrem Kampf für die Quote unterstützt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir ernten heute die Früchte jahrelanger Arbeit, und ich möchte an die Adresse aller, die gesät, begossen, gehegt und gepflegt haben, sagen: Danke für dieses Wahnsinnsengagement! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, eine 30Prozent-Quote für die Aufsichtsräte, da haben wir durchaus einen anständigen Spatz in der Hand. Aber Sie wissen, wir Grünen wollen mehr. Unser Gesetzentwurf fordert eine Quote von 40 Prozent ein. 40 Prozent wären weiß Gott keine Taube auf dem Dach, sondern das ist das gute Recht der Frauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Aber ich will mich bei den 30 Prozent nicht aufhalten. Schon in der Berliner Erklärung hat es geheißen: 30 Prozent können ein erster Schritt sein. Was mich aber an dem Regierungsentwurf wirklich stört und was leider zeigt, dass Frau Schwesig doch auf einer Schnecke reitet, ist, dass die 30Prozent-Quote gerade einmal für mickrige 108 Unternehmen gelten soll. Die Quote nur für börsennotierte und mitbestimmte Unternehmen, das ist uns Grünen definitiv zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer wirklich will, dass sich für die Frauen etwas ändert und dass die Quote ausstrahlt, der muss die rund 3 500 börsennotierten oder mitbestimmungspflichtigen Unternehmen mit ins Boot holen. Das wollen wir. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich will aber auch einen Blick auf das Bundesgremienbesetzungsgesetz werfen, also auf die Führungspositionen in den öffentlichen Unternehmen. Da klingen mir noch die vielen Reden von Frau Schwesig im Ohr nach dem Motto: Die öffentlichen Unternehmen müssen mit gutem Beispiel vorangehen. – Wie sieht es denn bei den öffentlichen Unternehmen aus? Da gibt es schon seit 1994 – eingeführt von der damaligen Frauenministerin Angela Merkel – eine ganz klare Regelung: Vorstände, Beiräte, Verwaltungs- und Aufsichtsräte müssen paritätisch besetzt sein. Das ist also quasi eine 50Prozent-Quote. Umgesetzt ist die nicht. Die Nichteinhaltung hat keinerlei Konsequenzen – eben mit der Folge, dass der Frauenanteil in den Aufsichtsgremien gerade einmal bei 25 Prozent liegt. Klar ist: Hier muss sich etwas ändern. Nun passiert aber mit dem vorliegenden Gesetzentwurf etwas ziemlich Absonderliches. Es werden nämlich nicht etwa Maßnahmen implementiert, um eine paritätische Besetzung zu gewährleisten und damit das bestehende Gesetz wirklich einzuhalten, nein, die geforderte Quote wird zunächst auf 30 Prozent abgesenkt und damit einfach – salopp gesagt – der Realität angepasst. Von einer Vorreiterrolle kann hier tatsächlich keine Rede sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was das Thema Vorbild angeht, erlaube ich mir einen kleinen Exkurs. Wie sieht es denn mit der Bundesregierung aus? (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: 40 Prozent!) Ich habe im vergangenen Herbst abgefragt, wie die Führungsjobs in den Ministerien seit der Bundestagswahl vergeben wurden. Die Antwort: Gerade einmal ein Viertel aller Führungsjobs ging an Frauen, und bei den neu eingestellten beamteten Staatssekretären sind es gerade einmal 3 von 18. Liebe Bundesregierung, ich finde das wirklich peinlich. Wer Frauen in Führungspositionen fördern will, der muss sich auch an die eigene Nase fassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: 40 Prozent!) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, so schön es ist, endlich eine gesetzliche Quote zu bekommen, so schade ist es, dass der vorliegende Gesetzentwurf eine ganze Reihe Pferdefüße hat. Dazu gehören auch die Änderungen am Bundesgleichstellungsgesetz, über die die Gleichstellungsbeauftragten sagen: Lieber keine Änderung als die jetzt geplanten Verschlimmbesserungen. – Das sehen wir Grünen auch so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Das wird mit diesem Gesetzentwurf sehr deutlich. Wir werden die Diskussion dazu in den kommenden Wochen vertiefen, und ich freue mich auf die Beratungen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal freue ich mich über die schöne Debattenzeit, die wir dieses Mal haben. Weder als Rechtspolitiker noch als Frauenpolitiker sind wir es gewöhnt, hier am Freitagmorgen zur besten Sendezeit zu debattieren. Ich freue mich auch über die Reihenfolge der Themen. Beim ersten Tagesordnungspunkt haben wir heute über die Personalpolitik der Bundeswehr gesprochen, und jetzt sprechen wir über Frauenförderung mit Blick auf Führungspositionen. Früher hätte man gedacht: Größer kann der Gegensatz gar nicht sein: zuerst die Männerdomäne, dann die Frauenpolitik. Heute reicht ein Blick ins Ministerium, in die Truppe und auf das, was sich das Ministerium vornimmt, damit die Bundeswehr weiterhin attraktiv ist, um zu wissen, dass auch hier eine andere Zeit angebrochen ist und dass beides zusammenhängt, dass nämlich Frauen auch Führungspositionen in vermeintlichen Männerdomänen einnehmen können. Das ist ein gutes Zeichen auch für das Thema, das wir jetzt debattieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Petra Crone [SPD]) Es geht um die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst. Es ist gut, dass beides in einem Atemzug genannt wird. Der Privatwirtschaft wird vorgegeben, wie sie zu handeln hat. Mit dem, was ihrer unmittelbaren Einflussnahme unterliegt, müssen der öffentliche Dienst und die Politik der Privatwirtschaft das vorleben. Für die Privatwirtschaft geht es dabei vor allem um die Geschlechterquote. Herzstück ist die Regelung, dass wir für die Zukunft einen Mindest-anteil von 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten der größten Unternehmen in Deutschland vorschreiben werden. Heute setzen wir eine lange Debatte fort; wir haben sie schon mehrfach geführt. Ich selber habe auch schon oft dazu gesprochen, und ich hätte eigentlich nur eine frühere Rede wieder hervorziehen müssen, um sie hier zu halten; denn vieles ist genauso aktuell und wahr wie in den vergangenen Jahren. Ich glaube, wenn man sich die Debattenbeiträge hier angehört hat, dann wird klar, dass wir uns in dieser Analyse einig sind. Es ist aber eben nicht nur ein bloßes Déjà-vu, sondern jetzt liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Das ist der ganz entscheidende Unterschied; denn dieser Gesetzentwurf, der heute hier vorgelegt wird, hat wirklich sehr gute Aussichten, in Deutschland Realität und geltendes Recht zu werden und die Wirklichkeit zu verändern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Petra Crone [SPD]) Meine Kollegin Katja Dörner hat den vielen Verbänden und den Protagonistinnen, die das in den vergangenen Jahren mitbewirkt haben, schon gedankt. Eine Person ist aber vergessen worden; diese möchte ich hier noch einmal ausdrücklich nennen: Unsere frühere Kollegin Rita Pawelski hat sich in dieser Diskussion wirklich verdient gemacht und immer wieder dafür gesorgt, dass das Thema auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Das ist, denke ich, einen Applaus wert. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Falls du uns zuguckst: Viele Grüße von dieser Stelle aus, Rita. Der Gesetzentwurf hat auch deshalb gute Chancen, Realität zu werden, weil wir es mit wirklich ausgewogenen Regelungen zu tun haben, die wir schon im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Sie werden die Wirkung haben, in dem Bereich, für den sie formuliert worden sind, etwas zu verändern – aber auch weit darüber hinaus. Sie haben eine Ausstrahlungskraft in die gesamte Wirtschaft und auch in die Gesellschaft hinein. Das ist ein Feld mit sehr hoher symbolischer Bedeutung für Frauen und Mädchen, und das wird auch darüber hinaus wirken. Auf der anderen Seite werden wir mit dieser Regelung nicht übers Ziel hinausschießen, sonst wäre sie ein unverhältnismäßiger Eingriff und damit auch verfassungswidrig. Das schließen wir mit dieser Regelung, die wir heute beraten, aus. Mit dieser Regelung werden Frauen mehr gerechte Chancen eingeräumt, aber es werden auch nicht zu hohe Hürden errichtet, die dann wieder nur die Akzeptanz behindern würden und in Einzelfällen ein Scheitern provozieren könnten. Das würde uns allen auf die Füße fallen. Man kann hier fast von einem Meilenstein sprechen, etwa in einer Reihe mit der Einführung des Wahlrechts für Frauen, mit Artikel 3 des Grundgesetzes und vielen anderen Gesetzen, die in diesem Zusammenhang verändert worden sind. In ein paar Jahren werden wir uns im Rückblick fragen: Wo war eigentlich das Problem? Wieso haben wir das nicht schon längst gemacht? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich mich schon letzte Woche gefragt!) – Genau. – Was hat uns davon abgehalten, das früher zu machen? Vor allem aber ist diese Regelung aus meiner Sicht in einem Punkt mit diesen Meilensteinen gleichzusetzen: Neu ist nämlich, dass wir den Verfassungsauftrag aus Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ zum ersten Mal explizit auch in der Privatwirtschaft umsetzen. Im öffentlichen Dienst haben wir längst die positive Gleichstellung. In der Privatwirtschaft ist es neu, dass nicht nur gesetzliche Hürden abgebaut werden, sondern dass wir mittels einer gesetzlichen Regelung hindernde faktische Strukturen abbauen, dass wir die Closed Shops in den Führungsgremien endlich öffnen, sodass das Prinzip der Bestenauslese endlich Platz greifen kann. Es geht hier nicht nur um Gleichberechtigung, sondern es geht auch darum, dass die Wirtschaft von mehr Frauen in Führungspositionen profitiert. Es ist ein Vorteil für die Wirtschaft selbst, wenn unterschiedliche Lebenserfahrungen eingebracht werden, wenn nicht alle den gleichen Hintergrund, die gleiche Meinung und die gleiche Denke haben. Ein gutes und aktuelles Beispiel – leider nicht aus Deutschland, sondern aus den Vereinigten Staaten – ist Mary Barra. Sie ist die erste Frau an der Spitze eines Automobilkonzerns, bei General Motors. Eine ihrer ersten Maßnahmen war es, sich eines technischen Problems anzunehmen, das bei General Motors zehn Jahre lang unter der Decke gehalten worden war. Es geht um defekte Zündschlösser, die teilweise von alleine in die Aus-Position springen, was auch schon zu Unfällen geführt hat. Man hat das immer unter der Decke gehalten, statt das Problem offensiv anzugehen. Mary Barra hatte den Mut, dieses Problem transparent zu machen und es offensiv anzugehen. Sie hat die Autos in die Werkstatt zurückrufen lassen. Sie hat dazu gestanden und sich entschuldigt. Sie hat es damit geschafft, Vertrauen für ihren Konzern zurückzugewinnen. Dieses Verhalten hat dem Konzern nicht geschadet. Ganz im Gegenteil: Die Absatzzahlen sind sogar in die Höhe gegangen. Sie ist an das Problem anders herangegangen, als es vorher mit den etablierten Führungsstrukturen möglich war. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) – Ich denke, das ist einen Applaus wert. Die nackten Zahlen sind hier schon mehrfach genannt worden. Das DIW hat uns gerade rechtzeitig zu dieser Debatte frische Zahlen geliefert. Nur 5 Prozent in den Vorständen der 200 größten Unternehmen sind Frauen, also 95 Prozent Männer. In den Aufsichtsräten ist das Verhältnis 18 Prozent Frauen zu 82 Prozent Männern. Das Verhältnis ist in der Bundesverwaltung tendenziell besser, aber auch noch nicht wirklich überzeugend. In den obersten Bundesbehörden sind 27 Prozent Frauen in Führungspositionen, im nachgeordneten Bereich 21 Prozent. Also ist das Verhältnis Pi mal Daumen ein Viertel zu drei Viertel. Die Erklärungsversuche dafür sind heute genauso unzureichend, wie sie es auch in den vergangenen Jahren waren. Es wird immer wieder gesagt: Frauen sind in den MINT-Berufen nicht so stark vertreten. – Frauen sind aber genauso stark in den Berufen vertreten, auf die es letztendlich zumeist ankommt: in den juristischen Ausbildungsgängen und in den wirtschaftlichen Ausbildungsgängen, BWL und VWL. Diese Ausbildungsgänge vor allem haben diejenigen durchlaufen, die in den Aufsichtsgremien sitzen. Hier gibt es keinen Grund, zu sagen, dass Frauen weniger qualifiziert seien. Aber eines ist auch klar: Was wir hier verbindlich vorschreiben, ist schon ein Eingriff in die Eigentumsposition der Anteilseigner. Sie müssen sich demnächst bei Ihrer Personalauswahl auf die verbindliche Berücksichtigung beider Geschlechter einlassen. Wenn Sie das nicht tun, dann ist die quotenwidrige Besetzung nichtig; dann bleibt der Stuhl leer. Das ist zwar eine gravierende Folge, aber anders geht es nicht. Das, was wir ins Gesetzblatt bringen, ist notwendig. Was den zeitlichen Ablauf angeht, sind seit der freiwilligen Vereinbarung der Wirtschaft mit Kanzler Schröder bis heute 14 Jahre vergangen. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes im nächsten Jahr werden es 15 Jahre sein. Viele werden erst im Jahr 2018 einen neuen Aufsichtsrat wählen. Wer es bis dahin nicht geschafft hat, genügend Frauen für seine Führungspositionen zu finden, der muss die Schuld eher bei sich selber suchen als in einer gesetzlichen Regelung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben auch immer gesagt, dass 30 Prozent reichen, um die Strukturen aufzubrechen. Wir wünschen uns – und es wird nach meiner Auffassung sicherlich dazu kommen –, dass noch deutlich mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Aber 30 Prozent reichen, um die Hindernisse abzubauen. Alles andere können wir dann dem Talent der qualifizierten Frauen überlassen. Dann wird sich alles von alleine ergeben. Zugleich bedeutet die 30-Prozent-Regelung definitiv keine Überforderung der Unternehmen. Es geht um wenige Hunderte Frauen. Insofern wird es kein Problem sein, in Deutschland oder darüber hinaus entsprechende qualifizierte und motivierte Frauen zu finden. Die weitere Regelung für die sonstigen börsennotierten und mitbestimmungspflichtigen Unternehmen – Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Winkelmeier-Becker, denken Sie bitte an die vereinbarte Redezeit. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): – das tue ich – wird auch diese nicht überfordern. Wir erwarten allerdings, dass diese Unternehmen ihre Pflichten sehr ernst nehmen und eine entsprechende Motivation an den Tag legen, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen, und werden das, soweit sie das transparent machen müssen, sehr aufmerksam verfolgen. Ich freue mich auf unsere weiteren Beratungen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Zimmermann für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute wieder einmal über die gleichberechtige Teilhabe von Frauen und Männern in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst. Meine Damen und Herren, wie lange wollen wir noch darüber reden? Es sind schon Jahrzehnte, und im Wesentlichen werden die Frauen immer wieder auf die Zukunft vertröstet. Das darf doch nicht wahr sein. Wir müssen endlich einmal zu Potte kommen. Wie lange soll das noch gehen? (Beifall bei der LINKEN) Ich bitte die Herren in diesem Hause, einen Moment zu überlegen, ob sie sich eine solche Benachteiligung über so eine Ewigkeit hätten bieten lassen. Ich glaube, nicht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich bin es auch leid, immer und immer wieder klarzumachen, dass Frauen genauso an Führungspositionen teilhaben wollen wie Männer, am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft. Ich denke, das ist wichtig und richtig. Deshalb sagen wir als Linke: Wir brauchen eine Frauenquote von 50 Prozent, und zwar im gesamten öffentlichen Dienst und in der gesamten Wirtschaft. (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist die Kollegin von Gysi? Ich habe den Namen vergessen! Das ist doch eine offene Stelle!) Wir Frauen stellen 51 Prozent der Bevölkerung; aber wir sind bescheiden und fordern nur eine Quote von 50 Prozent. Wir sagen zugleich: Die Gleichstellung der Geschlechter braucht mehr als eine Quote. Es muss darum gehen, die systematische Benachteiligung der Frauen in allen Bereichen der Arbeitswelt und der Gesellschaft abzubauen. Antworten dazu sucht man bei der Regierung vergeblich; denn ihr Gesetzentwurf trifft so wenige Frauen. Deshalb frage ich mich: Was tun Sie für die Frauen in Pflegeberufen, die Erzieherinnen, Krankenschwestern und die anderen Frauen, die in der Arbeitswelt unterwegs sind? Ihr Gesetzentwurf ist nichts anderes als ein Schaufensterentwurf. (Beifall bei der LINKEN) Das Traurige ist: Selbst die Quote bekommt diese Regierung nicht hin. Zu Recht hagelt es breite Kritik: von den Gleichstellungsbeauftragten über den Deutschen Gewerkschaftsbund bis zur Vereinigung der deutschen Juristinnen. Die Ziele für die Privatwirtschaft sind mehr als bescheiden. Eine feste Quote von 30 Prozent soll es nur für die Aufsichtsräte von etwa 100 Großunternehmen geben. Für den Rest der 3 500 börsennotierten oder mitbestimmungspflichtigen Unternehmen sind es nur Glaubensregelungen. Glauben Sie daran, dass diese Unternehmen einmal die Frauenquote einführen werden? Ich glaube es nicht. Im öffentlichen Dienst des Bundes wird sogar ein Schritt zurück gemacht. Die Quote soll hier nur noch für wenige Aufsichtsgremien gelten. Aber damit nicht genug. Die Regierung will es politisch besonders korrekt machen. Sie will beide Geschlechter ansprechen und in Berufen mit einem geringen Anteil von Männern diese fördern. Hier wird die Frauenquote auf den Kopf gestellt. Nur weil Männer in einem Bereich unterrepräsentiert sind, sind sie noch lange nicht diskriminiert. In der Grundschule zum Beispiel sind die Lehrenden in der Mehrheit Frauen; trotzdem treffen wir oft auf Schulleiter, nicht auf Schulleiterinnen. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Sie betreiben eine Politik aus dem Elfenbeinturm. Sie nehmen die wirklich wichtigen gesellschaftlichen Themen nicht ernst und auch nicht zur Kenntnis; Sie verdrängen sie anscheinend. Wenn die Bundesregierung mehr Männer in typisch weibliche Berufsbilder bringen will, muss sie dafür sorgen, dass dort die Arbeitsbedingungen und die Löhne verbessert werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hier denke ich an die Gastronomie, an den Handel und an weite Teile des Sozial- und Gesundheitswesens. Das wäre für die Frauen dort ein großer Schritt vorwärts und würde die Berufe auch für Männer attraktiver machen. Das bringt mich zum zweiten Punkt. Anders als die Bundesregierung sagen wir: Zur Gleichstellung gehört mehr als nur die Frauenquote. Warum wird zum Beispiel die Arbeit einer ausgebildeten Erzieherin schlechter bezahlt als die Arbeit einer Fachkraft in der Automobilindustrie? Sind Erziehung und Bildung unserer Kinder weniger wert als das Bauen von Autos? Gibt es dazu Initiativen der Regierung? Fehlanzeige! Wir wissen: Frauen sind fast doppelt so stark von Niedriglöhnen betroffen wie Männer. Nun gibt es endlich einen Mindestlohn, auch wenn er sehr mager ist. Aber die Koalition arbeitet daran, diesen noch weiter auszuhöhlen. Die Union will die Umsetzung des Mindestlohns bei den Minijobs einschränken, wohl wissend, dass mehrheitlich Frauen in Minijobs arbeiten und Anzeigen vorliegen, weil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jetzt schon, in diesem Monat, um ihren Mindestlohn geprellt werden. Gleichstellungspolitik sieht anders aus. Ich frage Sie wirklich, Frau Ministerin Schwesig: Wo bleibt hier Ihr Anspruch als Vorkämpferin für die Rechte der Frauen? Ich kann nichts erkennen. Es wurde heute schon mehrfach gesagt: Wir haben eine Frau als Kanzlerin. Ich frage Sie: Ist es in ihrer Regierungszeit für Millionen Frauen einfacher geworden, Arbeit und Familie zu vereinbaren? (Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Ja, so ist es! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, eindeutig!) Stecken weniger Frauen in der Minijobfalle? Sind frauentypische Berufe aufgewertet worden? Ich denke da vor allen Dingen an die Pflege- und Sozialberufe. Die Antwort lautet: nein. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Falsch!) Es ist offensichtlich: Von dieser Regierung sind keine Initiativen für mehr Gleichstellung zu erwarten. Deshalb steht die Linke gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi an der Seite der Beschäftigten in sozialen Berufen. Denn das, was hier überwiegend Frauen leisten, ist harte Arbeit und richtig wichtig, richtig gut und richtig was wert. Wer dafür kämpft und streikt, tut tausendmal mehr für die Gleichberechtigung als die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dr. Carola Reimann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Carola Reimann (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ob ein Mann mir seinen Platz in der Straßenbahn anbietet, das ist mir egal, er soll mir einen Platz in seinem Aufsichtsrat anbieten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Carola, sitzt der in der Straßenbahn? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nicht jeder in der Straßenbahn hat einen Aufsichtsrat!) Mit diesem Appell hat die erste Präsidentin des heutigen Verbandes deutscher Unternehmerinnen die gleiche Teilhabe von Frauen in Führungspositionen eingefordert. Sie heißt Käte Ahlmann, und das war vor mehr als 50 Jahren. Seitdem hat sich unsere Welt spürbar verändert. Menschen sind zum Mond geflogen. Die Berliner Mauer ist eingerissen, und das Internet hat unser Leben erheblich verändert. Unverändert ist, dass Frauen in den Chefetagen deutscher Unternehmen eine sehr seltene Spezies sind, und das, obwohl Frauen selbst durch beste Studienabschlüsse und enorme Leistungsbereitschaft auf sich aufmerksam gemacht haben, und das, obwohl Studien belegen – das ist schon angeklungen –, dass gemischte Teams besser sind, und das, obwohl die Politik seit nahezu 14 Jahren den Unternehmen die Chance eingeräumt hat, mit freiwilligen Selbstverpflichtungen selber für faire Chancen für Frauen zu sorgen. Bis heute herrscht in den Führungszirkeln renommierter deutscher Unternehmen eine männliche Monokultur, mit fatalen Auswirkungen. Wenn Frauen es bis nach ganz oben schaffen, sind sie nach wie vor mit Vorurteilen, Ressentiments und Hürden konfrontiert, die allein für Frauen gelten. Das beginnt beim firmeneigenen Fahrer, der die Vorstandsfrau nicht fährt, weil er sich nicht vorstellen kann, dass eine Frau im Vorstand ist. Da sind vor allem die vielen Führungsfrauen, die im krassen Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen ihre steile Karriere mit dem Verzicht auf Mann und Kinder bezahlen. Mit all diesen Relikten aus den 50er-Jahren räumen wir nun auf. Mit dem Gesetz von Manuela Schwesig und Heiko Maas werden Frauen zu dem, was sie nach ihrer Eignung und nach ihrer Qualifikation längst sein sollten: eine Selbstverständlichkeit in Toppositionen. (Beifall bei der SPD) Mit dem Gesetz machen wir den Weg frei für einen Modernisierungsschub bei Volkswagen, Thyssen und Co. Das ist auch gut so, auch für die Unternehmen selbst; denn all das Gerede von Frauen als Belastung ist auf empörende und beleidigende Art und Weise unverschämt, aber auch dumm. Von der gesetzlichen Verpflichtung, Frauen bei der Besetzung von Aufsichtsräten und Vorständen in verstärktem Maße zu berücksichtigen, werden zuallererst die Unternehmen selbst profitieren. Die Unternehmen werden ihre Nachwuchs- und Führungskräfte künftig aus allen Talenten auswählen können und nicht mehr nur aus einer Hälfte. Sie werden sich bemühen, für Frauen und auch für viele moderne Männer attraktiver zu werden, indem sie verstärkt familientaugliche Arrangements und Karrierewege anbieten. Die Unternehmen werden dabei feststellen, dass die Arbeitsproduktivität wächst, dass sie sich im Wettbewerb um die so begehrten Fachkräfte besser behaupten können und dass sie durch Produkt- und Prozessinnovationen noch stärker und konkurrenzfähiger werden. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]) Darum geht es aber heute in erster Linie nicht. Dass die Quote auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht Sinn macht, ist schön. Entscheidend ist allerdings, dass sie für mehr Gerechtigkeit sorgt. Für Frauen stehen die Wege in höchste Positionen jetzt deutlich weiter offen. Damit erfüllen wir ein Versprechen unseres Grundgesetzes ein wenig mehr, nämlich das Versprechen, dass Chancen nicht nach dem Geschlecht verteilt werden, das Versprechen unseres Grundgesetzes, dass alle Menschen unabhängig davon, ob sie als Frauen oder Männer geboren werden, in unserem Land aus dem gleichen Pool von Lebensmöglichkeiten wählen können. Das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen ist nicht irgendein Gesetz. Es stellt eine historische Zäsur dar. Geschafft haben das die Parteien nicht allein, erst recht nicht eine einzelne Partei. Geholfen haben dabei Frauen und Männer aus allen politischen Lagern. Geholfen haben Frauen und Männer aus unzähligen Verbänden und Gewerkschaften; die Kollegin hat sie vorhin genannt. Geholfen haben aber auch Tausende Bürgerinnen und Bürger aus der Zivilgesellschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nur im gemeinsamen Schulterschluss und deshalb, weil wir uns trotz parteipolitischer Unterschiede nicht haben auseinanderdividieren lassen, wurde es ermöglicht, dass die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Führungspositionen Gesetzesrang bekommt. Dafür danke ich allen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese Solidarität hat sich bewährt. Vielleicht ist das ein gutes Politikmodell, das wir fortsetzen sollten; denn bei der Gleichstellung von Frauen und Männern bleibt auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes noch viel auf der politischen Agenda. Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, insbesondere auch für die präzise Einhaltung der Redezeit. Jetzt erteile ich der Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geschenkt worden ist uns Frauen nichts. Das knüpft vielleicht gut an die Rede von Carola Reimann an, die am Ende über die Solidarität geredet hat. Es waren am Ende immer die Frauen, die ihre Rechte und ihre Möglichkeiten in dieser Gesellschaft selbst erkämpft haben. Wenn beim Parlamentarischen Rat, der das Grund-gesetz 1949 erarbeitet hat, nicht eine Frau, nämlich Elisabeth Selbert, die Bereitschaft gehabt hätte, allen anderen Herren auf die Nerven zu gehen, hätten wir die Gleichstellung im Grundgesetz nie gehabt. Uns hätte ein Ausgangspunkt gefehlt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben viele Frauen gehabt, Abgeordnete, aber auch Juristinnen, ob Anwältinnen oder Richterinnen, die in den Jahren danach zum Beispiel für eine Familienrechtsreform gekämpft haben, die, man glaube es kaum, erst Ende der 70er-Jahre kam. Diese große Familienrechtsreform hat in der alten Bundesrepublik überhaupt erst den Mann als Haushaltsvorstand und das Recht des Mannes, den Arbeitsvertrag der Frau kündigen zu können, abgeschafft. Das muss man bzw. frau sich einmal überlegen. Das war hart erkämpft, weil es in der juristischen Szene viele Frauen gab, die gesagt haben: Wir machen das gemeinsam und bleiben dran. Oder denken Sie an das Thema der häuslichen Gewalt. Wie oft wurde in dieser Gesellschaft über Gewalt geredet. Wie oft haben sich Männer über die Frauen lustig gemacht, die gesagt haben, dass 60 Prozent der Gewaltdelikte, also die Mehrheit, im häuslichen Nahbereich ausgeübt werden und nicht irgendwo. Sie haben dafür gesorgt, dass Frauenhäuser und Frauenprojekte -finanziert werden und die Polizei entsprechend ausgebildet wird und diese diesbezüglich Schwerpunkte bildet. Welche Mühen hat es gekostet, den § 218 in der jetzigen Fassung hinzubekommen! Das ging auch nur, weil sich Frauen innerhalb und außerhalb des Parlaments -zusammengetan und gesagt haben: Mein Bauch gehört mir. – Welche Mühen hat es gekostet, ein Gleichstellungsgesetz hinzubekommen! Auch das wurde von Frauen erkämpft. Und heute, nach all den jetzt benannten und vielfältigen anderen strukturellen Benachteiligungen bis hin zur mangelnden Entgeltgleichheit, reden wir über ein Quotengesetz. Oder besser: Heute haben wir zwei. Ich bin natürlich realistisch und weiß, dass das der Großen Koalition, das 30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten vorsieht, das für circa 100 Betriebe gilt, ein wenig mehr Chancen hat, durchzukommen, als das der Grünen mit 40 Prozent Frauen in Aufsichtsräten für 3 000 Betriebe. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das glaube ich auch!) Aber ich kann damit leben, weil ich mittlerweile gelernt habe, dass man Politik auch über Umwege machen muss. Insofern finde ich diesen Teil schon einmal gut. Ich wundere mich, wie sich in dieser Debatte jetzt alle loben. Herr Weinberg, es stimmt: Die erste Kanzlerin kommt aus den Reihen der CDU. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir sind einfach Vorreiter!) Aber, Herr Weinberg und alle die, die jetzt klatschen: Wenn später Leute Bücher schreiben, dann werden sie auch schreiben, wie sie es wurde. Sie wurde es nicht, weil Herr Weinberg Mut hatte und gesagt hat: Es soll einmal eine Frau werden. – Vielmehr wurde sie es, weil es einfach keinen Mann in der Führungsetage gab, der nicht mit dem Spendenskandal der CDU belastet war. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da setzt sich mal eine Frau durch, und jetzt reden Sie das schlecht!) Ich gebe zu: Wenn ich auch bei weitem nicht immer mit ihr einer Meinung bin, so ist sie doch ein Rollenvorbild für viele Frauen, und sie ist eine starke Kanzlerin, was in den heutigen Tagen in Europa nicht unwichtig ist. Aber neun Jahre Merkel hieß auch, dass Merkel sich nie für die Gleichstellung der Frauen eingesetzt hat. Es gibt die eine oder andere Rede in dieser Richtung. Aber ich will an der Stelle sagen: Es waren die Frauen selbst, die das erkämpft haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch wenn andere es schon gelobt haben, so will ich es doch noch einmal sagen: Hier in diesem Haus und draußen war es FidAR, Frauen in die Aufsichtsräte, mit Monika Schulz-Strelow und Jutta von Falkenhausen, es war der Deutsche Juristinnenbund mit Ramona Pisal an der Spitze, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Business and Professional Women, auch die Landfrauen, die in ihrer Szene wissen, wie es mit der Männerherrschaft ist, und viele andere. Was mich eigentlich fasziniert, ist, dass dieser Monat schon historisch ist, selbst wenn nur eine kleine Quote beschlossen wird und bei der Gleichstellung eine Verschlechterung eintritt. Denn wir haben den Blick geschärft und eine gewisse Ermutigung in dieser Gesellschaft geschaffen. Die Frauen schauen überall hin. Als das ARD-Studio nach Berlin umzog – ich weiß nicht genau, wann das war –, war ich dort zu Gast. Ich war entgeistert; denn dort waren nur Intendanten, nur Männer. Nachdem fünf, sechs oder sieben Männer geredet hatten, dachte ich: Jetzt kommt Musik, und dann spricht vielleicht eine Frau. Nein! Dann spielte eine Gruppe, die die Comedian Harmonists imitiert hat; auch diese Gruppe bestand nur aus Männern. All das hat sich geändert. Zum Erfolg von Initiativen wie „Pro Quote“ und „Pro Quote Medizin“ haben auch wir beigetragen. Mittlerweile sind immer mehr Frauen in Aufsichtsräten vertreten, und darüber hinaus gibt es Ermutigung in anderen Bereichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Zur Liste derer, die für mehr Frauen in Führungspositionen eingetreten sind, gehört natürlich auch Manuela Schwesig; sie war in der letzten Legislaturperiode noch nicht hier. Wir alle wissen spätestens seit einer Äußerung von Herrn Kauder, dass sie erfolgreich darin ist, sich durchzusetzen. Glückwunsch! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Der Dinosaurier des Tages heißt Kramer und ist Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Er hat gerade erst gesagt, die Quote müsse entbürokratisiert werden. Ich bin bereit, über alles zu diskutieren. Man lernt ja, dass man offen sein muss. Ich bin allerdings gespannt, wie er mir erklärt, inwiefern bei dem Auftrag eines Vorstandsvorsitzenden „Suchen Sie mir jemanden für den Aufsichtsrat!“ eine Entbürokratisierung nötig ist. Mir erschließt sich das noch nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wir sind wieder einmal einen Schritt weiter. Ich denke, wir werden einen Dominoeffekt auslösen und für eine Ermutigung sorgen, die Kultur zu ändern. Die gute Botschaft, meine Damen und Herren, insbesondere meine Damen, ist: Solidarität innerhalb und außerhalb des Bundestages hat sich gelohnt. Wir sollten uns das für die Zukunft bewahren; denn wir haben mit dem Kampf um die Gleichstellung erst angefangen. Wenn wir dieses Gesetz verabschiedet haben, könnten wir zum Beispiel bei der Entgeltgleichheit weitermachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Gudrun Zollner. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen, im Sprachgebrauch kurz: Frauenquote, haben wir in den letzten Monaten immer wieder kontrovers diskutiert, und wir debattieren auch heute wieder darüber. Die Gleichberechtigung ist zwar im Grundgesetz verankert; aber in der Realität ist sie immer noch nicht angekommen. Wir sind uns einig, dass Frauen in Führungspositionen unserem Land guttäten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Aber die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Spitzenpositionen werden überwiegend von Männern besetzt. Immer wieder ist in der Diskussion von Quotengegnern zu hören: Niemand sollte allein wegen seines Geschlechts in ein Gremium berufen werden. – Was heißt das dann konkret im Umkehrschluss? Frauen, die bei den nächsten Wahlen in einen Vorstand berufen werden, sind nicht qualifiziert genug? Dazu darf ich nochmals in Erinnerung bringen: Frauen haben in Deutschland die Männer im Hinblick auf die Schulbildung inzwischen überholt. Frauen haben heutzutage meist höhere und bessere Bildungsabschlüsse als Männer. Die Zahl der qualifizierten und topausgebildeten Frauen war noch nie so hoch wie heute. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dennoch bleiben weibliche Führungskräfte in den deutschen Unternehmen die Ausnahme. Die Selbstverpflichtung der Wirtschaft aus dem Jahr 2001 hat in keinster Weise den gewünschten Erfolg gebracht. Hierzu möchte ich den Soziologen Ulrich Beck zitieren: Männer zeigen, „verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre“. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) 14 Jahre hatten die Unternehmen Zeit, eine konsequente Nachwuchsförderung in ihren Unternehmen zu etablieren. Der Bund und die Länder haben ihre Zeit genutzt und die notwendigen und geforderten Rahmenbedingungen wie Krippenausbau auf den Weg gebracht. In den Vorständen der 200 größten deutschen Unternehmen betrug der Anteil von Frauen in den Topetagen Ende vergangenen Jahres laut dem Managerinnen-Barometer 2015 gerade einmal 5 Prozent. Was bei den meisten Mittelständlern und kleineren Familienbetrieben selbstverständlich ist, sollte auch bei unseren größeren Unternehmen und Konzernen möglich sein. Als gutes Beispiel möchte ich hier die Deutsche Telekom nennen, die bereits 2010 eine 30-Prozent-Quote in ihrem Unternehmen beschlossen hat. Dass auch in der Bundesverwaltung noch Handlungsbedarf besteht, zeigen die aktuellen Berichte zum -Bundesgleichstellungsgesetz und zum Bundesgremienbesetzungsgesetz. Zwar sind Frauen bezogen auf den untersuchten Zeitraum besser in den Leitungsfunktionen im gesamten Bundesdienst vertreten; aber besonders in den obersten Bundesbehörden immer noch unterrepräsentiert. Der Bericht zum Bundesgleichstellungsgesetz kommt zu dem Schluss, dass auch in den Behörden – ähnlich wie wir es von der Privatwirtschaft immer wieder hören – gläserne Decken bestehen. Wenn man die Besetzung der Bundesgremien betrachtet, wird deutlich, dass nur jedes vierte Mitglied weiblich ist. Rund 9 Prozent der Gremien sind ausschließlich männlich besetzt. In den Gremien des Bundes sind Frauen seit 1997 kontinuierlich besser vertreten. Allerdings ist mit einem Anteil von 25 Prozent eine gleichberechtigte Teilhabe nach wie vor nicht gegeben. Das heißt: Trotz einiger positiver Trends in der Wirtschaft wie im Bundesdienst sind die Ziele der Gleichstellung noch lange nicht erreicht. Wie die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, stellt sich die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen bei Führungspositionen nicht von selbst ein. Im Koalitionsvertrag haben wir deshalb vereinbart, dass wir jetzt handeln werden, um den Anteil zu erhöhen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen, die ab dem Jahr 2016 neu besetzt werden, eine Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent aufweisen sollen. Betroffen sind davon rund 108 Unternehmen und circa 170 Frauen. Ich bin mir sicher, dass unter den etwa 40 Millionen Frauen, die wir in Deutschland haben, diese 170 Managerinnen gefunden werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Unternehmen, die börsennotiert sind oder der Mitbestimmung unterliegen, werden verpflichtet, verbindliche Zielgrößen für die Erhöhung des Frauenanteils im Aufsichtsrat, im Vorstand und in den beiden obersten Führungsebenen festzulegen. Die betroffenen 3 500 Firmen sollen einen größtmöglichen Handlungsspielraum erhalten. Durch die Veröffentlichungspflicht wird der Ansporn zu hohen Flexi-Quoten groß genug sein. Was wir von der Wirtschaft einfordern, sollte aber auch für den Bund gelten. Deshalb werden wir das Bundesgremienbesetzungsgesetz und das Bundesgleichstellungsgesetz novellieren. Für Aufsichtsgremien, in denen der Bund mindestens drei Sitze besetzen kann, soll ab dem Jahr 2016 die feste Quote in Höhe von 30 Prozent für alle Neubesetzungen gelten. Ab dem Jahr 2018 ist das Ziel, diesen Anteil auf 50 Prozent zu erhöhen. Bei den wesentlichen Gremien wird das Ziel verankert, eine paritätische Vertretung von Frauen und Männern zu schaffen. Mit der Novellierung des Bundesgleichstellungsgesetzes wollen wir Frauen aufgrund der immer noch existierenden strukturellen Benachteiligungen verstärkt fördern. Deshalb sollen die Dienststellen des Bundes künftig verpflichtet werden, sich besonders für jede einzelne Führungsebene konkrete Zielvorgaben für die Erhöhung des Frauenanteils zu setzen. Wir wollen mit der Novelle außerdem einen Gleichstellungsindex einführen und damit eine Vorgabe aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. Der Index zeigt beispielsweise auf, wie hoch der Frauen- und Männeranteil im höheren Dienst ist und wie stark Frauen auf den einzelnen Führungsebenen vertreten sind. Ziel unseres Gesetzes ist es, mehr Frauen in leitende Positionen in der Wirtschaft sowie in der Bundesverwaltung zu bringen. Damit soll das verfassungsrechtlich verankerte Grundrecht auf gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern auch für den Bereich der Führungspositionen erfüllt werden. Mehr weibliche Führungskräfte bieten außerdem die Möglichkeit, die Frauenförderung im Mittelbau und auf den unteren Ebenen der Unternehmen und der Bundesverwaltung konsequent voranzubringen. Damit soll sichergestellt werden, dass es künftig genügend weibliche Nachwuchskräfte gibt. Zusammenfassend ist uns für die weitere Beratung wichtig, dass das Gesetz verfassungs- und europarechtskonform ist und die Interessen der Wirtschaft beinhaltet, ohne dass das Ziel des Gesetzes infrage gestellt wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Das bedeutet auch, dass wir darauf achten müssen, Rechtssicherheit zu schaffen und die Bürokratie auf das wirklich Notwendige zu beschränken. Das Gesetz allein wird aber kein Allheilmittel sein. Auch wird der Prozess, Frauen bessere Aufstiegsmöglichkeiten zu bieten, nicht von heute auf morgen gelingen. Die Quotenregelung ist nur einer von mehreren Bausteinen. Es müssen auch die Rahmenbedingungen weiter vorangetrieben werden. Ich sehe das Gesetz als Türöffner für die Frauen. Es geht nicht darum, qualifizierte Männer zu ersetzen, sondern qualifizierten Frauen Karrierechancen zu ermöglichen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) denn 75 Prozent aller Frauen sehen sich im Beruf benachteiligt. Das muss sich ändern. Wenn mehr Frauen in Führungspositionen Verantwortung übernehmen, wird dies auch Einfluss auf die Unternehmenskultur haben. Sobald weibliche Führungskräfte zum Alltag gehören, erfüllen sie auch eine bisher nicht vorhandene Vorbildfunktion für zukünftige Generationen und ermutigen Frauen zu höheren Zielen. Ich freue mich auf die Zeit, wenn die Quotenregelung überflüssig und eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen selbstverständlich ist. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 96 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland beenden wir mit dem Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst der Bundesregierung eine jahrzehntelange Auseinandersetzung darüber, wie wir Artikel 3 Grundgesetz zum Durchbruch verhelfen können. Ja, wir beenden quasi einen Kulturkampf. Vor fast genau 96 Jahren, am 19. Februar 1919, sagte die von mir geschätzte Marie Juchacz, nachdem sie in die Weimarer Nationalversammlung gewählt wurde und als erste Parlamentarierin nach Einführung des Frauenwahlrechts sprechen durfte – ich zitiere sie –: Es ist das erste Mal, daß … die Frau als freie und gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier feststellen, und zwar ganz objektiv, daß es die Revolution gewesen ist, die auch in Deutschland die alten Vorurteile überwunden hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, heute machen wir in Deutschland keine Revolution, sondern nur ein Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen, aber es ist bitter notwendig. Noch nie hatten wir in Deutschland eine so gut ausgebildete Frauengeneration. Ob an Schulen oder Universitäten, die Spitzenleistungen werden doch längst auch von Frauen erbracht. Sie stellen 50,7 Prozent der Hochschulabsolventen und machen im Schnitt bessere Examina. Ich bin überzeugt, die Frauenquote wird zu einem Kulturwandel führen. Sie bedeutet nicht nur einen Meilenstein der Frauenrechte, sondern ist auch das bessere und das beste Mittel gegen Fachkräftemangel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die Wirtschaft wird von der Frauenquote profitieren; eben durch die faire Teilhabe von Frauen und Männern. Die Gleichberechtigung von Frauen kommt ohne Zweifel in vielen Bereichen voran: Im Bundestag hier bei uns mit 36,5 Prozent Frauenanteil, in der Bundesregierung mit 37,5 Prozent, in der Rechtsanwaltschaft mit 33 Prozent und in der Richterschaft mit 40 Prozent. Nur in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft kommen die Frauen zu kurz. Bei den DAX-Vorständen sind die Zahlen sogar leicht rückläufig, wir haben es schon mehrfach gehört. In keiner anderen Wirtschaftsnation dieser Welt gibt es so wenig Frauen in Führungspositionen wie bei uns, und das werden wir ändern, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zur Wahrheit gehört auch: Freiwillige Maßnahmen der Unternehmen haben nichts gebracht. Der Deutsche Corporate Governance Kodex mahnt schon seit fünf Jahren zu mehr Vielfalt bei der Besetzung von Aufsichtsräten und Vorständen. Genützt hat es nichts. Die Zeit der Appelle ist vorbei. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir nehmen den Auftrag des Grundgesetzes zur Gleichstellung ernst. Seit 1994 steht im Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 unseres Grundgesetzes – ich zitiere –: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Genau das tun wir jetzt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dafür haben wir zwei Instrumente in unseren Gesetzentwurf eingebaut: erstens eine fixe Geschlechterquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte der größten Unternehmen in Deutschland. Deutschland verfügt über so viele hochqualifizierte und unter Einsatz von Steuergeldern optimal ausgebildete Frauen wie noch nie. Wir wissen, dass eine stärkere Beteiligung von Frauen in der Wirtschaft auf allen Ebenen langfristig sowieso kommen muss. Das ist schon eine Konsequenz der demografischen Entwicklung. Deutschland kann sich seinen Wohlstand nur bewahren, wenn wir die Produktivität weiter erhöhen und die demografische Lücke schließen. Die Quote beschleunigt diesen Prozess. In ein paar Jahren wird sie selbstverständlich sein. Die Wirtschaft wird sich fragen, wie so lange auf diese wertvolle Personalressource eigentlich verzichtet werden konnte. Ich glaube auch, die erregten Diskussionen über die Quote der letzten Jahre werden uns im Rückblick nahezu unverständlich erscheinen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) An der Quote kommt auch niemand vorbei, und zwar ohne Ausnahme. Zur Erfüllung der Quote in den Großunternehmen werden circa 174 Frauen benötigt, und zwar gestreckt über mehrere Jahre. Es bleibt ein Rätsel, wie behauptet werden kann, dass diese Aufsichtsratsposten unbesetzt bleiben würden. Ich prophezeie Ihnen hier und heute: Am Ende wird kein einziger Sitz in einem deutschen Aufsichtsrat unbesetzt bleiben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zweitens. In Zukunft haben Unternehmen, die börsennotiert oder mitbestimmt sind, die Pflicht, sich eine klare Zielgröße zu setzen, wie viele Frauen künftig in Vorstand, Aufsichtsrat und Management arbeiten. Auch hier ist gesetzlicher Druck notwendig. Selbstverpflichtungen und Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex haben keine Wirkung gezeigt. Durch die vorgesehenen Berichtspflichten wird auch die Öffentlichkeit sehen können, wie sich die Gremien und Führungsebenen zusammensetzen und wie ernst es die Unternehmen mit der Förderung von Frauen meinen. An dieser Stelle will ich ausdrücklich sagen: Die Öffentlichkeit ist ein scharfes Schwert der Kontrolle. Wir werden alle darauf schauen, wie sich der Anteil der Frauen in den Führungsebenen dieser Unternehmen entwickelt hat. Es geht dabei um Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. In der Summe werden es circa 3 500 Unternehmen sein, die sich diese Zielgrößen setzen müssen. Zur Erreichung der Zielgrößen haben die Unternehmen auch Fristen festzulegen, welche maximal fünf Jahre betragen dürfen. Über die Zielgrößen, Fristen und deren Erreichung müssen sie öffentlich berichten. Meine Damen und Herren, Frauen sind ein Gewinn für die Wirtschaft. Deutschlands Unternehmen schaden sich selbst, wenn sie dieses Potenzial nicht nutzen. Wir beklagen einen Fachkräftemangel und lassen das enorme Potenzial der Frauen ungenutzt. Ich meine, das passt nicht zusammen. Genau deswegen brauchen wir die Frauenquote; denn sie sorgt nicht nur für mehr Gleichberechtigung, sondern sie wird auch der Wirtschaft neue Impulse geben, von denen wir alle profitieren. In diesem Sinne freue ich mich auf eine konstruktive Beratung in den Ausschüssen, und am Ende freue ich mich über Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Professor Heribert Hirte ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Vor allen Dingen: Liebe Schülerinnen und liebe Schüler! Der hier vorgelegte Gesetzentwurf ist ein richtiges Signal, das zur Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in Führungspositionen beiträgt; denn in deutschen Aufsichtsräten und Vorständen sind zu wenige Frauen vertreten. Es ist richtig, wenn wir gemeinsam daran arbeiten, dies zu verbessern. Aber es ist auch nur ein Signal. Das erklärt auch, warum das Gesetzesvorhaben in Teilen meiner Fraktion durchaus auch kritisch gesehen wird. Denn wenn wir eine Quote einführen, durch die eine kleine dreistellige Zahl von Frauen in Führungspositionen gelangen wird, blenden wir einen großen Teil der Schwierigkeiten aus, die gerade Frauen auf dem Weg dorthin zu gewärtigen haben. Das betrifft, was im momentanen Gesetzestext noch nicht so richtig zum Ausdruck kommt, vor allen Dingen Frauen mit Kindern. Empirische Studien belegen, dass gerade solche Frauen – aber eben nur solche – mit teilweise erheblichen Einkommens- und Karrierenachteilen zu rechnen haben. Kinderbetreuung in den Zeiten, in denen sie für die Tätigkeit als Vorstand oder Aufsichtsrat erforderlich ist, ist unverändert nicht leicht zu organisieren, schon gar nicht legal. Deshalb ist es nachdrücklich zu begrüßen, dass vor allen Dingen große Unternehmen diese Aufgabe selbst übernehmen. Das erklärt dann vielleicht auch, warum bei kleinen und mittelständischen Unternehmen – SDAX, MDAX usw. – der Frauenanteil in Führungspositionen nicht ganz so groß ist wie bei den ganz großen Unternehmen. Wenn der entsprechend größere Aufwand für die Kinderbetreuung dann auch steuerlich nur begrenzt geltend gemacht werden kann, „rechnet“ sich für viele rational denkende Eltern der Aufwand einer doppelten Karriere mit Kindern nicht. Ich bin deshalb auf den Fortgang einiger finanzgerichtlicher Prozesse gespannt, in denen Eltern diese Abzugsbeschränkungen zu Fall bringen wollen. Wenn zudem gerade Kindergärten „mit besonderer Liebe“ bestreikt werden, konterkariert auch dies die Bereitschaft von Müttern – übrigens auch von Vätern – zur Übernahme von Führungspositionen. Es ist – anders ausgedrückt – noch deutlich mehr zu tun, und dies an anderer Stelle, um die Familienkompatibilität von Führungspositionen herzustellen. Andererseits: Ein bisschen Sog von oben schadet eben auch nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Kommen wir zu einem zweiten Punkt. Frau Ministerin, Sie begründen die Quotenvorgaben damit, dass die Zahl qualifizierter Frauen in den letzten Jahren stetig zugenommen habe. Das ist richtig, aber unvollständig; denn im Aufsichtsrat – Gleiches gilt für die Führungsebenen darunter – gilt es, ganz unterschiedliche Fähigkeiten und Profile zusammenzuführen, wie etwa die Kenntnis bestimmter Branchen, ausländischer Märkte oder von Organisationsfragen einschließlich der Datenverarbeitung. Der Aufsichtsrat ist eine Fußballmannschaft und kein Elferrat. Deshalb kommt es schon sehr darauf an, ob man sich gerade für Bilanzrecht oder Steuerrecht interessiert oder – wie die Tochter unserer rechtspolitischen Sprecherin – für Maschinenbau, das sie nämlich studiert. Wir brauchen Stürmerinnen, Mittelfeldspielerinnen und Verteidigerinnen mit jeweils unterschiedlichen Qualifikationen. Ich würde mir wünschen, wenn sich mehr Frauen für diese wirtschaftsnahen Detailqualifikationen über die schlichte Wahl des Studienfaches hinaus interessieren würden; aber die Realität sah – jedenfalls bis vor kurzem – noch ganz anders aus. Ich erinnere mich noch sehr genau an die Diskussionen in der wirtschaftsrechtlichen Abteilung des Deutschen Juristentages vor zwei Jahren – im Übrigen auch vor einem Jahr –, bei denen der Frauenanteil bei 10 Prozent lag, und das, obwohl sich Frauen wie Männer gleichermaßen hätten anmelden können. Es waren – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr Frauen da. Deshalb ist ein Kulturwandel, Frau Ministerin, schon wichtig und richtig, aber der Kulturwandel muss an verschiedenen Stellen ansetzen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Aber auch bei den Männern!) – Sie waren auch nicht in der wirtschaftsrechtlichen Abteilung; aber dies nur am Rande. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann ja nicht überall dazwischenrufen!) – Frau Künast, ich sage das ganz deutlich. Die Männer machen ja da mit, aber es ist ein bisschen komplizierter, als nur eine Quote von oben zu verordnen. Das bringt mich zurück zu der Frage nach den Gründen. Denn es stößt natürlich – ich meine, zu Recht – auf Unverständnis, dass vor allen Dingen die Wirtschaft für diese Lage verantwortlich gemacht wird. Es ist aus meiner Sicht auch eine Frage des gesellschaftlichen Klimas, das Wirtschaft und Unternehmertum grundsätzlich kritisch gegenübersteht, wenn Menschen sich gegen eine Tätigkeit in der Wirtschaft entscheiden. Wer wie die Linken und die Grünen freien Handel – ich sage nur „TTIP“ – ablehnt, darf sich nicht wundern, wenn Menschen keine Lust haben, in ebendiesen Handelsunternehmen zu arbeiten. Diesen Zusammenhang sollte man nicht vergessen. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieser Zusammenhang erschließt sich keinem Menschen! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Zusammenhang muss man erst einmal verstehen!) – Ja, Sie reden auch im Rechtsausschuss ununterbrochen; ich kenne das schon. Umgekehrt gilt: Es ist gut, richtig und wichtig, wenn sich auch Frauen – ich sage es noch einmal – für wirtschaftsnahe Berufe entscheiden, die dann vermehrt auch eine Übernahme von Führungsverantwortung ermöglichen; aber das sollte dann doch freiwillig geschehen. Diese Lage – die unterschiedlichen Anforderungsprofile – wirkt sich umso stärker aus, je kleiner ein Aufsichtsrat oder ein sonstiges Führungsgremium ist; denn hier kann eine fehlende Expertise bei einer Person nicht einfach durch einen Kollegen kompensiert werden. Das gilt gleichermaßen für Frauen und für Männer. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb wollen wir es ja verbessern! Weil da jetzt so große Lücken sind!) Aber die Beschränkung der Auswahlfreiheit durch eine Genderquote wiegt bei solchen kleinen Unternehmen deutlich stärker. Deshalb wird zu Recht die Frage aufgeworfen, ob der Entwurf nicht gerade in diesem Zusammenhang in seiner Ausgestaltung verfassungsrechtlich bedenklich ist. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was meinen Sie damit?) Richtig ist genau vor diesem Hintergrund, dass die Möglichkeit der Gesamterfüllung vorgesehen wird, dass also die beiden Quoten zusammengerechnet werden. Darüber hinaus müsste man meines Erachtens über die Berücksichtigung weiterer branchenspezifischer Besonderheiten nachdenken. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit großer Akribie hat die Bundesregierung den mit dem Gesetzesvorhaben verbundenen Erfüllungsaufwand berechnet: 257 000 Euro kostet das pro Jahr. Überraschend ist dabei, dass für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder ein Stundensatz von 47,30 Euro pro Stunde zugrunde gelegt wird – vor Steuern. Das ist etwas mehr als der Mindestlohn. Ich selbst würde mich nicht trauen, einer Frau eine Tätigkeit in einem Aufsichtsrat oder einem Vorstand zu diesen offenbar von Ihnen als angemessen angesehenen Sätzen anzubieten. Der Nationale Normenkontrollrat hat das zu Recht richtiggerückt. Zu Recht – damit bin ich bei meinem letzten Punkt – sind die Quotenvorgaben, oder besser: die Signalwirkungen des Gesetzes, auch auf den öffentlichen Dienst erstreckt worden. Es wurde zu Recht kritisiert, dass der Staat der Privatwirtschaft keine Vorgaben machen sollte, die er selbst nicht beachtet. Aber: Dort führt die Unterschreitung der vorgegebenen Quote lediglich zu einer Begründungspflicht, während sie in der Privatwirtschaft zur Nichtigkeit der Wahl und zum Verlust der Aufsichtsratsmehrheit führt. Angesichts der verfassungsrechtlichen Positionen ist das eine vielleicht nicht ganz zu rechtfertigende Differenzierung. Möglicherweise zum Ausgleich soll der bürokratische Überwachungsaufwand dramatisch nach oben gefahren werden: Insgesamt circa 100 neue Stellen für Gleichstellungsbeauftragte, Stellvertreter und Mitarbeiter in der Bundesverwaltung und noch einige weitere personalintensive Maßnahmen werden einen Kostenaufwand von 20 Millionen Euro pro Jahr auslösen. Wenn es vorne im Gesetzentwurf heißt, das alles sei haushaltsneutral, dann fragt man sich natürlich, wie das geschehen soll. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie vorher angefangen hätten, wäre es jetzt auch nicht so teuer!) Es kann doch nur so laufen, dass zunächst umgesetzt wird, die Verwaltung verschlechtert wird und im nächsten Jahr die entsprechenden Haushaltsforderungen kommen. Da kann ich nur sagen: Das kennen wir von anderen Stellen. – Wir wollen schon eine Quote – das sage ich ganz deutlich –, aber wir wollen keine Gleichstellungsüberwachungspolizei; denn eine „Glüpo“ habe ich im Koalitionsvertrag nicht gefunden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie uns das deshalb in den Beratungen in den nächsten Wochen korrigieren. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen schon, dass Sie in einer Koalition mit denen sind? Sie torpedieren das ganze Gesetz!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die SPD hat jetzt das Wort die Kollegin Christina Jantz. (Beifall bei der SPD) Christina Jantz (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Professor Hirte, eingangs möchte ich mich insbesondere im Namen meiner Fraktion, aber, wie ich denke, auch im -Namen vieler anderer Kolleginnen hier im Plenarsaal dagegen verwehren, Gleichstellungsbeauftragte als Bürokratieaufbau zu bezeichnen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich muss Ihnen nicht sagen – das ist in vielen Reden schon angeklungen –, welch große Beiträge Frauen bislang für unsere Gesellschaft geleistet haben und dass sie diese selbstverständlich auch zukünftig leisten werden. Dennoch, der freie Zugang zu gut bezahlten Berufen und Positionen ist für Frauen heutzutage aber nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. Er hat auch gesellschaftspolitische Auswirkungen auf viele unserer Lebensbereiche. Es wurde schon oft betont und nachgewiesen, dass Frauen in Spitzenpositionen – auch das klang heute schon an – die Unternehmen maßgeblich voranbringen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) ganz egal ob in der freien Wirtschaft oder im öffentlichen Dienst. In vielen Ländern hat sich diese Einstellung bereits manifestiert, und sie wird dort entsprechend auch gelebt. In Deutschland – Christian Lange hat es gesagt – brauchen wir uns gar nicht zu verstecken. Denn auch bei uns gilt: Die Grundlage haben wir. Qualifizierte, hochkompetente Frauen gibt es genug. In Deutschland absolvieren mehr Frauen als Männer ein Hochschulstudium, und das mit sehr guten Ergebnissen. (Beifall bei der SPD) Sie streben zunehmend insbesondere in die stark boomenden Branchen. Frauen wollen vorankommen, sich einbringen und entscheiden. Sie wollen von der zweiten und dritten Reihe nach vorne treten und ihr Können beweisen. Doch der Alltag zeigt uns nach wie vor: Deutschland lässt sie nicht. Wir sind trauriges Schlusslicht. Denn in keiner anderen Wirtschaftsnation – auch das hatte Christian Lange vorhin angesprochen – gibt es im Vergleich weniger Unternehmen mit mindestens einer Frau in einer Spitzenposition als bei uns. Lediglich in jedem dritten Unternehmen lassen sich Frauen an der Spitze finden. Während andere Länder gezielt unsere weiblichen Fach- und Führungskräfte abwerben und uns viele Staaten überholen, prallen die Frauen bei uns in Deutschland immer noch viel zu häufig an die – bildlich gesprochen – gläserne Decke. Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir es endlich schaffen, zumindest einen Teil dieser Decke brüchig zu machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dafür danke ich insbesondere unseren SPD-Ministern Manuela Schwesig und Heiko Maas. Sie haben einen besonnenen, guten Gesetzentwurf ausgearbeitet, der für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen sorgen soll. Die Weichen werden nun endlich richtig gestellt. (Beifall bei der SPD) Damit setzen wir nicht nur den Koalitionsvertrag und unsere Ziele, insbesondere unsere lang erkämpften Forderungen um, sondern wir lenken auch Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes in gesetzlich untermauerte Bahnen. Nun wird es Rechtsfolgen, also Konsequenzen, geben, sollte die Geschlechterquote nicht eingehalten werden. Der sogenannte leere Stuhl droht. Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wird es eine Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent in Aufsichtsräten geben. Ich möchte betonen: So sieht nicht nur aktive, praxisorientierte Frauen- und Rechtspolitik aus, sondern so sieht auch eine fortschrittliche Wirtschaftspolitik aus. (Beifall bei der SPD) Seien wir doch ehrlich: Eigentlich ist es schon ein bisschen kurios, Unternehmen zu ihrem Glück zwingen zu müssen. Denn die zahlreichen Studien, die uns alle vorliegen, belegen doch immer wieder: Vielfalt in Unternehmen bringt Fortschritt und spült auch Geld in die Kassen. Gleichzeitig mussten wir erkennen, dass der Appell an die Unternehmen, freiwillig zu handeln, kläglich gescheitert ist. Würden wir es nämlich gänzlich unseren Unternehmen überlassen, die Gleichstellung voranzutreiben, würde es noch Jahrzehnte benötigen, nein – was sage ich? –, an die 150 Jahre dauern, bis wir eine 30-Prozent-Quote hätten, wenn wir mit dem bestehenden Tempo fortfahren würden. Sie sehen, meine Damen und Herren, Handlungsbedarf ist unverkennbar gegeben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir den notwendigen motivierenden Druck, stärken natürlich die Frauen, stärken die wirtschaftliche Entwicklung und stärken insgesamt unsere Gesellschaft. Packen wir es also endlich an! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als Nächstes hat das Wort der Kollege Oswin Veith für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Oswin Veith (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 66 Jahren garantiert unser Grundgesetz in Artikel 3 die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen. Um das zu erreichen, haben wir in den letzten Jahren bereits vieles auf den Weg gebracht. Mit der Privatwirtschaft haben wir freiwillige Selbstverpflichtungen vereinbart und für den öffentlichen Dienst das Bundesgremienbesetzungsgesetz und auch das Bundesgleichstellungsgesetz verabschiedet. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht nun eine Quotenregelung zur Verbesserung der Chancengleichheit für Frauen und Männer bei der Besetzung von Führungspositionen vor. Für börsennotierte Unternehmen, die der paritätischen Mitbestimmung unterliegen, gilt damit zukünftig für ihre Aufsichtsräte eine Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent. Zudem wird es verbindliche Zielvereinbarungen für börsennotierte und mitbestimmungspflichtige Unternehmen geben. Ich bedaure es ausdrücklich, dass es nicht gelungen ist, gemeinsam mit der Privatwirtschaft dieses freiwillige Ziel zu erreichen. Weil wir als Bund mit gutem Beispiel vorangehen wollen, wird es für den öffentlichen Dienst vergleichbare Regelungen geben. Die Bundesverwaltung wird künftig verpflichtet, sich für jede Führungsebene konkrete Zielvereinbarungen zur Erhöhung des Frauen- bzw. Männeranteils zu setzen. Darüber hinaus soll bei der Besetzung von Aufsichtsgremien, bei denen der Bund mitbestimmen kann, ab 2016 eine Quote von 30 Prozent gelten, mit dem Ziel, diese Vorgabe ab dem Jahre 2018 auf 50 Prozent zu erhöhen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf eine gezielte Gleichstellungspolitik auf Ebene des Bundes geeinigt. Wir wollen den Anteil der Frauen in Führungspositionen erhöhen und Entgeltungleichheiten beseitigen. Dafür stehen wir als Union. (Beifall bei der CDU/CSU) Für die Bundesverwaltung haben wir daher im Koalitionsvertrag eine proaktive Umsetzung des Bundesgleichstellungs- und Bundesgremienbesetzungsgesetzes gefordert. Mit den Quotenregelungen für den öffentlichen Dienst geht der vorliegende Gesetzentwurf aber klar über die Vorgaben unseres Koalitionsvertrages hinaus. So enthält der Gesetzentwurf aus dem Familienministerium für die Geschlechterquote bei der Besetzung von Aufsichtsgremien im Einflussbereich des Bundes weder Öffnungs- noch Härtefallklauseln. Als Konsequenz muss bei einer Gremienbesetzung durch den Bund streng auf diese Quote geachtet werden, losgelöst von der jeweiligen persönlichen und fachlichen Eignung und Qualifikation der potenziellen Gremienmitglieder. Das kann nicht gutgehen. Auch fehlt es in dem Gesetzentwurf an einer Möglichkeit zur Abweichung von der Quotenregelung in den Fällen, in denen eine funktionsbezogene Besetzung der Gremien erfolgt. Vor allem vor dem Hintergrund, dass wir im öffentlichen Dienst bereits über einen sehr hohen Standard verfügen, erscheinen mir diese starren Quoten für zu weitgehend. Lassen Sie mich die aktuelle Situation kurz aufzeigen. Der Frauenanteil an Führungspositionen in den obersten Bundesbehörden im Jahre 2012 betrug rund 30 Prozent. Der Frauenanteil an Gremienmitgliedern im Einflussbereich des Bundes stieg von 1997 bis 2013 von 12,4 auf 25,7 Prozent. Das sind gute Zahlen, wie ich meine. Wir liegen damit weit vor der Wirtschaft. Auch das gilt es angemessen zu berücksichtigen. Das sagt auch vieles über den öffentlichen Dienst als Arbeitgeber: Erstens. Er ist auf einem sehr guten Weg, um die Chancengleichheit für beide Geschlechter zu verbessern. Auch deshalb ist der öffentliche Dienst ein attraktiver Arbeitgeber. Zweitens. Im Vergleich zur Privatwirtschaft arbeitet der öffentliche Dienst konsequent an der Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf, Pflege und Familie. Diese Problematik ist erkannt. Wir haben in der letzten Legislaturperiode gemeinsam zum Beispiel mit dem Fachkräftegewinnungsgesetz darauf reagiert. Damit haben wir viele positive Maßnahmen zur Verbesserung der Familienfreundlichkeit auf den Weg gebracht, zum Beispiel den Personalgewinnungszuschlag, Kinderbetreuungs- und Pflegezeiten, die Anerkennung von Erfahrungszeiten, Wehrdienst- und Freiwilligendienstzeiten oder die Einführung einer Verpflichtungsprämie für polizeiliche Auslandsverwendungen. Ferner wurde die Übertragung ehebezogener Regelungen im öffentlichen Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften beschlossen, und der Eintritt in den Ruhestand wurde insgesamt flexibler ausgestaltet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen ist ein wichtiges Anliegen. Wir als Union bekennen uns klar zu diesem Ziel. Nicht zuletzt durch die von der Union beschlossenen Maßnahmen ist der öffentliche Dienst hier bereits Vorreiter in unserer Gesellschaft. Wenn es denn richtig ist, wie es in Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes heißt: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“, dann ist der vorliegende Gesetzentwurf der Familienministerin ein weiterer Schritt auf einem richtigen Weg. Dennoch müssen wir im weiteren Beratungsverfahren noch den einen oder anderen Stein beiseiteräumen, damit alles rund wird. Darauf freue ich mich. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Metin Hakverdi, SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Metin Hakverdi (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Endlich – nicht im Sinne von heute, sondern im Sinne von: nach so vielen Jahren des Debattierens, der getroffenen Selbstverpflichtung durch Wirtschaft und Politik, der politischen Auseinandersetzung – hat sich die Einsicht durchgesetzt: Eine gerechte Gesellschaft, bei der alle – Frauen und Männer gleichermaßen – in Wirtschaft und Verwaltung Aufstiegschancen haben und Führungspositionen besetzen können, ist ohne eine gesetzlich verbindliche Quote offensichtlich nicht zu erreichen: Obwohl Frauen heute besser qualifiziert sind als Männer, obwohl Frauen über 50 Prozent der Bevölkerung aus-machen, liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der 160 größten deutschen Unternehmen unter 20 Prozent, bei den Vorständen sogar unter 6 Prozent. Der eine oder andere, die eine oder andere findet einen Eingriff des Gesetzgebers unangemessen. Denen sage ich: Gesetzgeberisches Handeln ist immer dort erforderlich, wo die gesellschaftlichen Mechanismen nicht in der Lage sind, eine offensichtliche Ungerechtigkeit zu überwinden. In diesem Fall muss der Gesetzgeber handeln: Männlich dominierte Strukturen lösen sich offensichtlich nicht freiwillig auf; das ist die Erkenntnis der letzten Jahre. Deshalb lasse ich weder das Argument unnötiger Bürokratie noch das eines unzulässigen Eingriffs in die unternehmerische Freiheit gelten. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Den anderen geht der Gesetzentwurf nicht weit genug. Denen sage ich: Dieser Gesetzentwurf – die Kollegin Künast hat auch das Wort „historisch“ benutzt – ist eine historische Zäsur. Eine verbindliche Quote für Aufsichtsräte wird nunmehr gesetzlich festgeschrieben. Außerdem werden Aufsichtsräte verpflichtet, Zielgrößen für die Vorstände zu beschließen; die Vorstände wiederum müssen Zielgrößen für die beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstandes festlegen. Für diese Zielgrößen sind Fristen festzulegen und in Lageberichten zu veröffentlichen. Das schafft Transparenz und Öffentlichkeit. Ich bin überzeugt, dass diese Transparenz und Öffentlichkeit eine ganz besondere Dynamik auslösen können: Ich kann mir vorstellen, dass sich Organisationen allein zu dem Zweck gründen, die einzelnen Unternehmen auf diesen Aspekt hin zu überwachen. Ich kann mir vorstellen, dass solche Organisationen Ungerechtigkeiten in einzelnen Unternehmen öffentlich machen und anprangern. Diese Unternehmen müssten dann der Öffentlichkeit erklären, warum der Frauenanteil in ihren Führungsebenen nicht der gesellschaftlichen Realität entspricht. Genügt – das ist auch an die Opposition heute gerichtet – dieser öffentliche Druck nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann wird der Gesetzgeber wieder in der Pflicht sein. Es ist ungerecht und unserem Gemeinwesen unwürdig, dass Frauen in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft derzeit so stark diskriminiert sind. Einigen – auch heute hier in diesem Haus – reicht diese Feststellung nicht als Grund dafür, Unternehmen in Deutschland zu mehr Gleichberechtigung zu verpflichten. Diese weise ich auf die vielen internationalen Studien hin, die alle ein Ergebnis haben: Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil in Führungsgremien haben mehr Erfolg. – Deshalb ist es mir unverständlich, warum die Unternehmerverbände jetzt nicht die Fahnenträger dieser Gesetzesinitiative sind. Mit diesem Gesetz sorgen wir nämlich nicht nur für mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft, mit diesem Gesetz tun wir auch etwas für den Wirtschaftsstandort Deutschland: Wir machen den Wirtschaftsstandort Deutschland leistungsfähiger. Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz brechen wir Strukturen auf, die bisher die wirtschaftliche Prosperität in unserem Land behindert haben. Wir beseitigen ein Marktversagen. Die nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland braucht dieses Gesetz. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/3784, 18/4307 und 18/4308 (neu) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, dass sich kein Widerspruch erhebt, Sie also alle damit einverstanden sind. Dann ist diese Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Hans-Christian Ströbele, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bericht über das Inhaftierungs- und Verhörprogramm der CIA vollständig und ungeschwärzt übermitteln Drucksache 18/3558 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre auch hier keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Damit eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein ernstes Thema. Es geht um einen Antrag, bei dem meines Erachtens eigentlich niemand in diesem Haus dagegen sein kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Ich denke, alle können unterschreiben und sagen: Der Deutsche Bundestag verurteilt Folter. Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Wir alle wollen doch wohl, dass Folter abgestellt wird und Foltervorwürfe rechtsstaatlich aufgeklärt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Eigentlich haben wir bei diesem Thema doch alle die gleiche Meinung, zum Beispiel gerade gestern bezüglich des Bloggers in Saudi-Arabien. Der Kollege Tom Koenigs, der zum Beispiel dazu geredet hat, sitzt jetzt auch hier. Logisch. Aber wenn das so ist, meine Damen und Herren, muss doch der Deutsche Bundestag jetzt gemeinsam begrüßen, dass – erstens – der Geheimdienstausschuss des US-Senats unter Leitung von Dianne Feinstein diese Aufklärung über das Inhaftierungs- und Verhörprogramm der CIA, über Jahre mühevoll betrieben hat, und müsste – zweitens – logischerweise dann auch zustimmen, wenn wir heute beschließen wollen: Wir ersuchen die zuständigen Stellen in den USA, uns den vollständigen Bericht von 6 000 Seiten ungeschwärzt zu übermitteln. Das alles gehört logisch zusammen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir kennen ja nun alle die Zusammenfassung, die mittlerweile auf Deutsch – auf meinem Tisch liegt sie – erschienen ist, 500 Seiten. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] hält ein Buch hoch mit dem Titel „Der CIA-Folterbericht“) Aber der Bericht hat eben 6 000 Seiten. Selbst bei dieser Zusammenstellung auf 500 Seiten – wenn man sie liest – kann man verzweifeln. Es ist unglaublich, dass so etwas in den USA geschehen ist, dass sich dieses politische System, vermeintlich um Freiheit zu verteidigen, dahin versteigen kann: Waterboarding. – Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich ein Mensch physisch und psychisch dabei fühlt. Man ist dann doch zerstört, im wahrsten Sinne des Wortes zerstört – schon nach dem ersten Mal. Hier war es mindestens 18-mal. Entzug von Schlaf. – Meine Damen und Herren, das ist mit einem Land, dessen Verfassung anfängt mit „We the People“, eigentlich gar nicht vereinbar. Ich meine, was jetzt nicht passieren darf, ist, dass nach diesem Bericht die Straflosigkeit folgt, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt viele Staaten auf der Welt, in denen Folter an der Tagesordnung ist: Saudi-Arabien – davon haben wir gestern geredet –, Syrien, Iran, auch Russland, meine Damen und Herren. Aber von der US-Justiz erwarte ich, dass sie hier wirklich aufarbeitet und es nicht mit der Veröffentlichung des Berichts oder des Teilberichts bewenden lässt. Die USA haben sich doch eigentlich völker- und menschenrechtlichen Standards verpflichtet, wenn sie auch nicht alles unterschrieben haben, zum Beispiel bei dem Internationalen Strafgerichtshof. Klar ist aber auch: Auch wenn die US-Justiz untätig bleibt und Obama schon gesagt hat: „Wir reagieren da nicht mit strafrechtlichen Maßnahmen“, kann das für uns nicht heißen, dass wir, die wir sagen, Folter ist verboten – einen anderen Weg gibt es nicht; wir haben es im Fall des Polizisten Daschner richterlich bestätigt bekommen –, meinen: Das gilt jetzt für uns auch. Nein, das Strafrecht hat ein Weltrechtsprinzip: Folter ist verboten – was nichts anderes heißt, als dass jedes Land Folter, wo auf dieser Welt und an wem auch immer sie verübt wird, bei sich selbst einem Strafverfahren unterziehen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deshalb sage ich: Das Ganze muss Folgen haben. Die deutsche Justiz muss doch zumindest in der Lage sein, Taten mit Bezug zu Deutschland zu verfolgen, zum Beispiel bei Entführungen, die über unser Territorium erfolgt sind, bei denen deutsche Behörden beteiligt waren – etwa bei der Ermittlung persönlicher Daten oder von Aufenthaltsorten – oder wo die Opfer deutsche Staatsangehörige waren. Stellen Sie sich jetzt einmal vor, jemand, dem das passiert wäre, hieße Fritz Müller oder Meier. Wäre dann der Aufschrei eigentlich größer gewesen, als wenn man einen ganz anderen Namen gehabt hätte, zum Beispiel Murat Kurnaz oder Khaled el-Masri? Überlegen Sie einmal – der Untersuchungsausschuss hat das ja gezeigt –, ein deutscher Bürger aus Bremen wird in Mazedonien festgenommen, nach Afghanistan verschleppt, gefoltert – wir haben es gesehen; selbst in diesem Bericht steht das –, misshandelt, erniedrigt und geschlagen. Ihm werden Drogen verabreicht und verschiedene rektale Einläufe verpasst. Wenn wir nicht einmal in der Lage sind, bei solchen Straftaten und einer solchen Folter gegenüber deutschen Staatsangehörigen zu sagen: „So nicht“, dann frage ich: Wo denn dann? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Ich sage das auch für den Deutschen Khaled el-Masri, der von der CIA eben auch gefoltert wurde. In München war man mutig, und es gibt dort Haftbefehle. Aber wo funktioniert denn der deutsche Rechtsstaat, wenn diese Haftbefehle gegen CIA-Agenten von der Regierung nicht einmal an die USA weitergeleitet werden? Hier geht es doch auch um die eigene Würde und die Glaubwürdigkeit, dass wir wirklich einen Rechtsstaat vertreten. Denken Sie allein auch an die Entführten, die nach der Folter in ihren Zellen von Geheimdienstmitarbeitern vernommen wurden, wodurch diese quasi die Früchte des verbotenen Baumes geerntet haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns nicht an einem System Straflosigkeit beteiligen dürfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wie betreiben wir eigentlich – das sehen wir in diesen Tagen – Terrorismusbekämpfung? Wie können wir bei all der Strafverfolgung und all den Maßnahmen, die wir hier in dieser Zeit strittig diskutieren, jungen Männern und Frauen sagen: „Schließt euch nicht den Dschihadisten an, habt Respekt vor anderen Menschen, tötet nicht andere, geht nicht diesen Weg“, und wie können wir ihnen eigentlich in die Augen schauen? Sie sehen uns an und sagen: Gleiches Recht für alle! Ich will diese Taten gar nicht voll gleichstellen, aber wenn etwas eine Straftat ist, dann ist etwas eine Straftat, und der deutsche Rechtsstaat und der Deutsche Bundestag sind nur glaubwürdig, wenn sie ohne Ansehen der Person und ohne Ansehen der Staaten sagen: Solche Straftaten werden von uns verfolgt. – Darum geht es. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Künast, ich darf Sie um Ihren letzten Satz bitten. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren, wenn wir bei der Prävention und Bekämpfung von Folter erfolgreich sein wollen, dann muss der Deutsche Bundestag diesen Bericht – 6 000 Seiten, ungeschwärzt – fordern. Ich meine, wenn wir in unserem Rechtsstaat wirklich gegen Folter kämpfen wollen, dann müssen wir die Frage nach diesem Bericht immer wieder stellen. Wir werden nie aufhören, nach diesem Bericht zu fragen – bis wir ihn haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Frank Heinrich. (Beifall bei der CDU/CSU) Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 17. Dezember 2014 haben wir an dieser Stelle über die Foltermethoden der CIA debattiert und waren uns über die Parteigrenzen hinweg einig – das wurde von Frau Künast in ihrer Rede gerade auch ge-sagt –, diese grausamen Praktiken zu verurteilen. Ich selber habe zu Beginn meiner Rede damals gesagt: „Schämt euch, Freunde in den USA …!“ Wir haben von sogenannten erweiterten Verhörtechniken gehört. Das ist eine grobe Verharmlosung von Folter. Lassen Sie mich einige der gravierendsten Verstöße einfach einmal ins Gedächtnis rufen: Verhaftungen auf Verdacht ohne jede Anklage, Abschottung von der Außenwelt in Geheimgefängnissen, Drohungen gegen die Familie, zum Beispiel die Drohung, die Mutter zu vergewaltigen, Eintauchen in eine Tonne mit Eiswasser, Schlafentzug über drei Tage. Man könnte das noch weiter fortsetzen. Der Bundesregierung lag bisher nur ein Teil des 6 000-seitigen Berichts vor, der von Frau Feinstein so toll und mit großer Ausdauer vorbereitet wurde, 500 Seiten, und diese sind an vielen Stellen geschwärzt. Man bekommt Angst, wenn man sich vorstellt, was auf den restlichen Seiten oder unter diesen geschwärzten Stellen des Berichts noch verborgen sein könnte. Wir verlangen von den Freunden in den USA eine vollständige Aufklärung. Insofern stimme ich dem Anliegen des Antrags zu. Am gleichen Tag, als die Debatte im Dezember stattfand, wurde der Rechtsausschuss durch Generalbundesanwalt Harald Range informiert. Er hat an die USA den Antrag gestellt, der Bundesregierung den kompletten und ungeschwärzten Bericht zu liefern. Der Antrag, über den wir heute debattieren, übrigens mit dem gleichen Datum wie damals versehen, erübrigt sich deswegen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Der Bundestag muss zeigen, dass er das einfordert! Das ist eine Frage der Ehre! Wir müssen das fordern!) und wirkt schon auf eine gewisse Weise wie ein Schaufensterantrag. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja auch zustimmen!) Zudem müssen Sie doch wissen, dass nicht nur wir alleine, sondern auch die anderen Staaten der EU – das wird im nächsten Monat im Europäischen Parlament der Fall sein – darüber debattieren. Trotzdem gibt es – das habe ich im Eingang gesagt – Elemente in Ihrem Antrag, die wir als CDU vollständig mittragen. Die erneute inhaltliche Debatte, auch angesichts der Geschehnisse seit Dezember, ist sinnvoll. Deshalb möchte ich den ersten Absatz Ihres Antrags vorlesen: Der Deutsche Bundestag verurteilt Folter. Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden ... Danach werden mehrere Paragrafen dazu angeführt. Dieser Forderung können wir absolut, unmissverständlich und vollumfänglich zustimmen. Gestern haben wir hier an der gleichen Stelle, wie Sie gerade gesagt haben, über den Blogger Raif Badawi aus Saudi-Arabien debattiert. Er wurde vor zwei Jahren wegen Beleidigung des Islams verhaftet, im November letzten Jahres zu zehn Jahren Haft, einer Geldstrafe und 1 000 Peitschenhieben verurteilt, was durch die Medien ging. Die ersten 50 Schläge sind ihm verabreicht worden oder wurden, wie man dort wahrscheinlich sagt, vollstreckt. Daraufhin hatte er so starke Verletzungen, dass ihm, auch aufgrund des politischen Drucks, bisher keine weiteren Schläge verabreicht wurden. Saudi-Arabien hat das Attentat in Paris als „feigen Terrorakt“ verurteilt, „der gegen den wahren Islam verstößt“ – so viel zur einen Seite der öffentlichen Wahrnehmung. Nur zwei Tage später hat Saudi-Arabien den Blogger in Dschidda öffentlich auspeitschen lassen. Ich suche immer noch denjenigen, der das versteht. Die Bundesrepublik und die gesamte westliche Welt haben gegen diese Form der Folter ihre Stimme erhoben – mit Erfolg. Eine weitere Bestrafung wurde – das habe ich eben gesagt – vorerst ausgesetzt. Damit wir aber unsere Stimme gegen jede Form von Menschenrechtsverletzung, gegen Einschränkungen von Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, gegen Diskriminierung von Minderheiten, gegen unfaire Gerichtsverfahren und gegen Folter glaubwürdig erheben können, müssen wir auch vor der eigenen Haustür kehren. Die USA sind unsere Freunde. Diese Freundschaft darf nicht dazu führen, dass die Glaubwürdigkeit der Weltgemeinschaft beeinträchtigt und beschädigt wird. Dafür müssen die Daten vollständig und ungeschwärzt vorliegen. Der Generalbundesanwalt geht an dieser Stelle den richtigen Weg. Natürlich müssen wir zusichern, was unter Punkt IV in Ihrem Antrag steht: Der Deutsche Bundestag versichert, dass er etwaige Maßgaben der Vereinigten Staaten zur Geheimhaltung beachten wird und den Bericht – wenn von den USA gewünscht – nur in seiner Geheimschutzstelle zugängig machen wird. Es ist das Wesen eines demokratischen Rechtsstaates, vollumfänglich aufzuklären und juristische Konsequenzen zu ziehen. Nur so gewinnt Politik an Glaubwürdigkeit, möglicherweise auch Glaubwürdigkeit bei den politikverdrossenen Bürgern zurück, die in unserem Land auf die Straße gehen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dem stimmen wir zu, ja!) Das gilt auch nicht minder für die Glaubwürdigkeit bei Konflikten zwischen Staaten. So hat Deutschland unter anderem eine Vermittlerrolle zwischen den widerstreitenden Kräften in der Ukraine übernommen. Wir haben eine führende Rolle in der wirtschaftlichen und demokratischen Stabilisierung innerhalb der EU und vieler anderer Länder. Wir tun das in enger Verbundenheit mit den Partnern, auch mit den USA. Um dieser Glaubwürdigkeit willen brauchen wir einen Zugang zum vollständigen Bericht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Also stimmen Sie zu!) Wohin politische Geheimniskrämerei im Zeitalter von Wikileaks führen kann, hat uns der Fall Snowden ziemlich deutlich vor Augen geführt. In diesen Tagen wird immer wieder das christlich-jüdische Abendland und Menschenbild beschworen. Lassen Sie mich an dieser Stelle als Christ ein Stück aus der Bibel zitieren, in der genau davon die Rede ist, als Jesus sagt: „... die Wahrheit wird euch frei machen“. – Das galt damals, und das gilt heute, auch und gerade in einem Land und für ein Land, das die Freiheit für einen seiner größten Werte hält, die USA. Wir fordern Offenlegung. Gerechtigkeit beginnt mit dem Aufdecken der Wahrheit. Wenn es der Bericht nötig macht, unterstützen wir den Generalbundesanwalt darin, Ermittlungen aufzunehmen: zum Schutz der Menschenrechte. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. André Hahn (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke wird sich natürlich keinem Antrag entgegenstellen, dessen erster Satz lautet: „Der Deutsche Bundestag verurteilt Folter.“ (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich sage ganz klar: Auch ein vermeintlich noch so guter Zweck heiligt nicht alle Mittel, auch nicht in den Vereinigten Staaten von Amerika. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Geheimgefängnisse in aller Welt, Guantánamo, wo Menschen zum Teil seit über einem Jahrzehnt ohne jedes Gerichtsverfahren inhaftiert sind, und dann auch noch die Anwendung schlimmster Foltermethoden bei Gefangenen: Das sind konkrete Beispiele, die von meinen Vorrednern schon genannt wurden. Für all das gibt es nicht die geringste Rechtfertigung. Mein Kollege Stefan Liebich hat das in der Dezemberdebatte als Verbrechen im Staatsauftrag bezeichnet. Ich stimme ihm darin ausdrücklich zu und hätte mir eine solche klare Aussage im Übrigen auch im Antragstext von Bündnis 90/Die Grünen gewünscht. Überhaupt ist der Antrag eher freundlich formuliert. Aber ob das ausreicht, die Koalition zur Zustimmung zu bewegen, vermag ich nach den Ausführungen von Herrn Heinrich nicht ganz nachzuvollziehen. Sie haben nicht gesagt, was Sie wollen. Sie haben das Anliegen unterstützt. Dann sagen Sie doch klipp und klar: Auch die Koalition wird zustimmen. – Das wäre eine klare Aussage. Diese habe ich von Ihnen leider nicht gehört. (Beifall bei der LINKEN) Dabei sollte doch das Grundanliegen des Antrags, nämlich die Aufforderung an die US-Behörden, den Bericht des US-Senats über das Inhaftierungs- und Verhörprogramm an den Bundestag zu übermitteln, eigentlich von allen Fraktionen dieses Hauses mitgetragen werden können. Für meine Fraktion, die Linke, will ich noch einmal betonen, wie froh wir sind, dass es diesen Bericht überhaupt gibt und die stattgefundenen Misshandlungen dadurch bekannt geworden sind und dass er zumindest in Teilen veröffentlicht wurde und nicht komplett in der Versenkung verschwunden ist, wie es Teile der US-Regierung und nicht wenige Senatoren gern gesehen hätten. Dass es dazu nicht gekommen ist, haben wir vor allem dem jahrelangen Engagement der Senatorin Dianne Feinstein zu verdanken, die kurz vor Ablauf ihrer Amtszeit als Vorsitzende des Geheimdienstausschusses die Veröffentlichung dieses Berichtes trotz erheblicher Widerstände durchsetzte. Das sollten wir auch in der heutigen Debatte noch einmal ausdrücklich würdigen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Punkt III des Antrags der Grünen beinhaltet das Ersuchen, dem Bundestag den Bericht vollständig und ungeschwärzt zu übermitteln. Auch diese Forderung findet unsere Zustimmung. Denn bislang sind – das ist gesagt worden – lediglich knapp 500 Seiten übermittelt worden und öffentlich zugänglich, während der offizielle Bericht mehr als 6 000 Seiten umfassen soll. Man braucht daher kein Prophet zu sein, um davon auszugehen, dass die schlimmsten Verbrechen bislang nicht einmal ansatzweise bekannt geworden sind. Auch um Unterstützungshandlungen und Straftaten, die von deutschem Boden ausgegangen sind, umfassend aufklären und strafrechtlich verfolgen zu können, brauchen wir die ungeschwärzte Fassung. (Beifall bei der LINKEN) Wenn ich an die umfänglichen Schwärzungen denke, dann habe ich gleich wieder die Akten aus dem NSA-Untersuchungsausschuss vor Augen, in dem auch sehr wichtige und für die Aufklärung zentrale Passagen unleserlich gemacht worden sind. Es scheint bei Regierungen offenkundig Methode zu sein, Dinge verheimlichen oder verbergen zu wollen, die Missstände, kompromittierende Sachverhalte, Rechtsverstöße oder gar Straftaten aufdecken könnten. Doch damit darf sich ein Parlament nicht abspeisen lassen, sondern es muss immer wieder seiner Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive umfassend nachkommen. Das gilt im Übrigen sowohl für die Koalitionsfraktionen wie für die Opposition, auch wenn das offenbar noch nicht alle Kollegen von Union und SPD verinnerlicht haben. Doch zurück zum vorliegenden Antrag. In der Begründung wird unter anderem auf den Fall des deutschen Staatsbürgers el-Masri hingewiesen, der im Bundestag schon häufiger diskutiert wurde. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass es in dem Gesamtbericht noch weitere Bezüge zu Deutschland geben wird. Für mich als Abgeordneten aus Sachsen ist beispielsweise interessant, welche Rolle der Flughafen Leipzig/Halle beim Transport rechtswidrig festgenommener oder verschleppter Menschen in die USA gespielt hat und ob dies mit Einwilligung deutscher Behörden geschah. Das und vieles andere bedarf einer Klärung. Der Antrag kann dazu einen Beitrag leisten. Deshalb werden wir ihm zustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika Glöckner für die SPD. (Beifall bei der SPD) Angelika Glöckner (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns vor wenigen Wochen hier im Deutschen Bundestag mit dem gleichen Thema befasst, mit dem Bericht des US-Senats zu den Folterpraktiken des amerikanischen Geheimdienstes CIA. „Folter“ ist in der Tat – da gebe ich allen Vorrednern recht – der treffende Begriff; denn um nichts anderes handelt es sich hier bei den von der CIA als verschärfte Verhörmethoden bezeichneten Praktiken. Ich betone ebenfalls noch einmal: Diese Folterpraxis der CIA ist grauenhaft und vollkommen inakzeptabel. Dass es Folter gab, wissen wir seit der Veröffentlichung der Kurzfassung des Berichts des US-Senats im Dezember 2014. Der vollständige Bericht umfasst – das wurde bereits mehrfach gesagt – 6 000 Seiten. Der veröffentlichte Bericht umfasst rund 500 Seiten, die teilweise geschwärzt sind. Meine sehr geehrten Damen und Herren, bereits die Lektüre der Kurzfassung versetzt mich in tiefe Bestürzung aufgrund der Deutlichkeit und des Ausmaßes der Menschenrechtsverstöße, aber vor allem wegen des berechnenden Vorgehens der amerikanischen Sicherheitsbehörden, indem sie versuchten, ihre Verbrechen zu rechtfertigen, ja sogar mit geltendem Recht in Einklang zu bringen. Besonders deutlich wurde dies beim sogenannten Waterboarding – es wurde bereits angesprochen –, einer Foltermethode, bei der ein Tuch über Mund und Nase gelegt wird und das Opfer durch ständige Wasserzufuhr an den Rand des Ertrinkens gebracht wird, einer Foltermethode, die in aller Regel keine körperlichen, aber unsagbare psychische Schäden verursacht. Im Juli 2002 wurde diese Foltermethode durch den obersten Rechtsberater der US-Regierung zunächst als zulässige Foltermethode vermieden, aber nur wenige Tage später durch Vorspiegelung falscher Tatsachen durch die CIA letztendlich doch zugelassen. Allein schon dieses Beispiel dokumentiert, wie sehr sich der Sicherheitsapparat der USA nach dem Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001 im Kampf gegen den Terrorismus sozusagen verselbstständigt hat. Bisher hatte ich dies in Demokratien und erst recht in den USA für unmöglich gehalten. Die Täter, die in das Folterprogramm des amerikanischen Geheimdienstes eingebunden waren, müssen juristisch verfolgt werden. Das gilt natürlich auch für jene, die die politische Verantwortung für dieses Folterprogramm tragen. Die USA haben sowohl den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte als auch die UN-Antifolterkonvention unterzeichnet und ratifiziert und 1994 in nationales Recht umgesetzt. Damit ist der rechtliche Rahmen geschaffen für strafrechtliche Verfolgung von Folter in den USA. Eine Verfolgung der Straftaten ist sogar zwingend geboten. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Glöckner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele? Angelika Glöckner (SPD): Bitte schön. Vizepräsident Johannes Singhammer: Bitte sehr. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Kollegin, dass Sie die Frage zulassen. – Vielleicht zunächst eine kleine Korrektur. Wir wissen nicht erst seit dem Folterbericht von dieser Folter, sondern spätestens seit sich ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages in den Jahren nach 2004 intensiv mit den Foltermethoden und auch mit dem Fall el-Masri und dem Fall Kurnaz beschäftigt hat. Wir haben also schon genügend Zeit gehabt. Aber das ist nicht meine Frage. Sie fordern völlig zu Recht, dass das juristische Konsequenzen haben muss, dass nur, wenn dies tatsächlich juristisch geahndet wird, wir Hoffnung haben können, dass das so schnell nicht wieder passiert. Der Bundesjustizminister hat das ja auch schon gefordert. Leider ist er heute nicht hier. Ich frage Sie und frage den Bundesjustizminister: Was tun Sie dafür, dass, wenn die USA in den USA das nicht verfolgen, dann deutsche Behörden, insbesondere der Generalbundesanwalt, tätig werden, um diese Strafverfolgung einzuleiten? Da die USA inzwischen Straffreiheit beschlossen haben – Herr Obama hat Straffreiheit für seinen Vorgänger und alle, die damit zu tun hatten, erklärt –, bleibt nichts anderes übrig, als dass diese Taten außerhalb der USA vor Gericht gebracht werden. Der Generalbundesanwalt hat – so die Auskunft auf eine Frage von mir vom 23. Dezember, also kurz vor Weihnachten – geantwortet, er prüfe noch. Ich frage Sie: Warum erteilt der Bundesjustizminister dem Generalbundesanwalt nicht die Anweisung, endlich Ermittlungen insbesondere gegen die von der US-Presse so genannte Folterlady bzw. Folterkönigin der USA einzuleiten, die im Bericht erwähnt wird und die beispielsweise im Fall el-Masri Verschleppung und Folter ausdrücklich angeordnet haben soll? Das ist mir ein großes Rätsel. Alle Reden, in denen gesagt wird, dass hier eine Strafverfolgung stattfinden muss und dass das nicht straffrei bleiben darf, sind wohlfeil, solange man selbst nicht alles tut, um die Strafverfolgung sicherzustellen. Meine Frage an Sie lautet: Was tun Sie, was tut Ihr Justizminister dafür, dass endlich die Strafverfolgung beginnt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Da muss man den Justizminister fragen!) Angelika Glöckner (SPD): Danke, Herr Ströbele. – Ich vertrete die Auffassung – das entspricht vielleicht nicht ganz Ihrer Auffassung –, dass es Sache des Generalbundesanwaltes ist, hier tätig zu werden. Ich gebe Ihnen insoweit recht, als dass dieses Parlament bestimmte Aufgaben hat – wenn Sie gestatten, werde ich in meinen weiteren Ausführungen darauf noch zu sprechen kommen –, die aber nicht so aussehen, wie Sie sich das vorstellen. Wir können nicht von hier aus ermitteln. Das ist Sache der Jurisdiktion und nicht Sache des Parlaments. Ich vertrete hier eine andere Auffassung als Sie. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie unserem Antrag zustimmen, damit der GBA weiß, was wir wollen! Das ist doch klar! – Uli Grötsch [SPD]: Das entscheiden wir auch selbst!) Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Präsident Obama hat auf einer Pressekonferenz im Juni 2014 die durch den Senatsbericht aufgedeckten Folterungen bestätigt. Dieser Bestätigung muss eine juristische Aufarbeitung folgen. Ich halte das deshalb für so wichtig, weil hiervon die Glaubwürdigkeit der USA, aber auch der gesamten Weltgemeinschaft abhängt. Wir wollen uns auch künftig international glaubhaft für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen. Deshalb dürfen erst recht Menschenrechtsverletzungen innerhalb unserer eigenen Wertegemeinschaft nicht ungestraft bleiben. Gerade wenn es um so elementare Menschenrechte wie Menschenwürde, Leben, körperliche Unversehrtheit geht, dürfen wir nicht mit zweierlei Maß messen. Wir als Parlamentarier wie auch die Bundesregierung müssen den USA deutlich machen, dass wir Menschenrechtsverletzungen in keinem Fall hinnehmen. Sehr geehrte Frau Künast, verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist unsere Aufgabe. Darauf müssen wir hier hinwirken. Insofern bin ich für den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ganz dankbar. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Er gibt uns Gelegenheit, dies heute noch einmal klar zum Ausdruck zu bringen. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Und zuzustimmen!) Doch auch hierbei gilt es, Maß zu halten. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was heißt das denn? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie kann man bei Folter Maß halten?) Es hilft meiner Meinung nach in der Sache nicht weiter, wenn wir Forderungen aufstellen, die den Aufklärungsprozess insgesamt gesehen nicht unterstützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Aufklärungsbericht des US-Senats hat in der amerikanischen Öffentlichkeit eine große Debatte ausgelöst. Nicht nur bei uns, sondern auch in ganz Amerika wurde der Ruf nach einer Strafverfolgung laut. Ramstein, der größte amerikanische Luftwaffenstützpunkt außerhalb der USA, liegt zufällig in meinem Wahlkreis, und ich kenne viele Menschen, die dort arbeiten und mir berichtet haben, wie betroffen die ganze Affäre die Amerikaner selbst macht. Als ich in der letzten Woche auf der Air Base beim Neujahrsempfang zu Besuch war, habe ich nichts anderes gehört. Amerika ist ein Land, das über alle erforderlichen Instrumentarien und Institutionen verfügt, (Zurufe des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) die sicherstellen, dass die berechtigten Rufe der Amerikaner nach Aufklärung realisiert werden können. Dieses Anliegen gilt es zu unterstützen, meine Damen und Herren. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Peinliche Rede!) Inwiefern eine Überweisung des ungekürzten Berichts des US-Senats an den Deutschen Bundestag, wie es im Antrag gefordert wird, bei diesem Anliegen helfen soll, erschließt sich mir nicht. Wir alle wollen die Aufklärung der Foltervorwürfe; das steht außer Frage. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie doch zu!) Wir als SPD-Fraktion haben dies wiederholt betont und gefordert. Aber ich betone es noch einmal: Nur eine juristische Aufklärung führt zu diesem Ziel. Sie muss im Vordergrund stehen und nicht die politische Debatte; diese muss es zugegebenermaßen auch geben, aber mit Blick in die Zukunft. Dabei müssen wir uns die Frage stellen, wie so etwas künftig vermieden werden kann. (Beifall des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Die vollständige Berichtsveröffentlichung würde international eine mediale und politische Debatte auslösen. Dies gilt im besonderen Maße für alle Personennamen, die in unterschiedlichsten Zusammenhängen diskutiert und möglicherweise verurteilt würden. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind doch geständig!) Nach meiner Auffassung käme das einer außergerichtlichen Vorverurteilung gleich, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Oh! Was ist das denn? – Weitere Zurufe von der LINKEN) die gerade wir in der westlichen Wertegemeinschaft nicht unterstützen können. Zudem stellt sich die Frage, wie realistisch die Forderung nach einer vollständigen Veröffentlichung des Senatsberichts wirklich ist. Der Weg bis zur heutigen Aufklärung der Vorwürfe war sehr steinig. Das zeigt sich daran, dass zwischen dem ersten Vorlegen des Gesamtberichts und der ersten Veröffentlichung der Kurzfassung immerhin zwei Jahre harter innenpolitischer Auseinandersetzungen lagen. Am Ende fanden die Konfliktparteien in Amerika den Kompromiss, dass eine Zusammenfassung veröffentlicht werden sollte, bei der mit Blick auf die nationale Sicherheit jene Namen und Stellen geschwärzt wurden, die auf die Identität der Täter hinweisen könnten. Diese Verhandlungsergebnisse sollten wir nicht einfach ignorieren, meine Damen und Herren. Die amerikanische Regierung hat bereits mehrfach klargestellt, dass sie aus Gründen der nationalen Sicherheit der Herausgabe des vollständigen Berichts eben nicht zustimmen wird. Vor diesem Hintergrund wäre im günstigsten Fall mit einer Übergabe unter Geheimhaltungspflicht zu rechnen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Liebich? Angelika Glöckner (SPD): Ja. Stefan Liebich (DIE LINKE): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Frau Kollegin. – Das Bild, das Sie hier von den Vereinigten Staaten zeichnen, scheint mir doch etwas vereinfacht zu sein. Es ist nämlich nicht so, dass dort massenweise der Ruf nach Strafverfolgung erschallt, und es ist auch nicht so, dass es einen politischen Kompromiss gegeben hat. Vielmehr haben die Demokraten im Kongress gegen den massiven Widerstand der Republikaner durchgesetzt, dass es diesen Bericht überhaupt gibt. Bis auf wenige Ausnahmen kämpfen die Republikaner bis heute dagegen, dass er überhaupt veröffentlicht wird. Da reden wir überhaupt nicht von Strafverfolgung. Nun gab es inzwischen Wahlen. Inzwischen sind diejenigen in der Mehrheit und in den entsprechenden Positionen, die gar nicht wollten, dass dieser Bericht veröffentlicht wird. Ist es deshalb nicht umso wichtiger, dass wir als deutsches Parlament ein Signal senden, dass wir mit diesem Weg nicht einverstanden sind? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Angelika Glöckner (SPD): Ich sagte es ja, Herr Kollege: Ich glaube, das tun wir heute. Ich habe insofern auch den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begrüßt. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Indem Sie ihn ablehnen!) Ich lehne den Antrag vom Inhalt her nicht ab, nur den Weg, der mit diesem Antrag verfolgt wird, halte ich nicht für den richtigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich komme zur Übergabe des Berichts unter Geheimhaltungspflicht zurück. Hier stellt sich doch die Frage, ob dies für eine weitere Fallaufklärung hilfreich wäre bzw. zur juristischen Aufarbeitung der Vorwürfe beitragen kann. Beides scheint mir eher nicht der Fall zu sein. Abschließend möchte ich, wie auch Vorredner von mir, noch einmal auf den Fall Khaled el-Masri eingehen. Dieser Fall findet besondere Beachtung, weil hier womöglich Verhöre mit deutscher Unterstützung im Raum stehen. Auch hier gilt: Es bedarf einer strafrechtlichen Aufarbeitung. Nach meinen Informationen prüft derzeit der Generalbundesanwalt Range – das wurde auch gesagt – die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und möchte selbst den ungeschwärzten Komplettbericht anfordern. Dieses Vorgehen im Rahmen eines juristischen Verfahrens erscheint mir als der deutlich bessere Weg und auch als der richtige Weg, die Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des CIA-Programms aufzuklären. Ich finde, gerade hier sollte dem verfassungsgemäßen Grundsatz der Gewaltenteilung besondere Beachtung zukommen. Denn eines sollte bei der Aufklärung und Verfolgung der Foltervorwürfe des US-Sicherheitsdienstes keinesfalls geschehen: eine Politisierung und Instrumentalisierung von Menschrechtsverletzungen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Alle von mir aufgeführten Gesichtspunkte berücksichtigt der Antrag nicht. Ich empfehle daher, den Antrag abzulehnen. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Peinliche Rede!   – Gegenruf des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Frechheit!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Einen schönen guten Tag von mir für Sie und die Gäste auf der Tribüne. Die nächste Rednerin in der Debatte ist Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits am 17. Dezember letzten Jahres hat sich der Bundestag in diesem Haus differenziert zu den Berichten über Folter durch die CIA geäußert. Dieser Debatte lässt sich heute kaum noch etwas hinzufügen. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Konsequenzen!) Auch mich hat der Bericht schockiert, und man erschrickt angesichts der perversen Perfektionierung von Folter. Ausgerechnet in einer der ältesten Demokratien der Welt wurde versucht, brutale Folter mit rechtsstaatlichen Mitteln zu legitimieren. In einem Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts darf Folter niemals legitimiert werden. Es waren die Bürgerrechte, die Rechte des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft, die dem amerikanischen Gesellschaftsmodell seine einzigartige Ausstrahlung verliehen haben. Nicht ohne Grund hat die Verfassung der USA, so wie sie 1787 in Philadelphia niedergeschrieben wurde, heute noch Bestand, und sie diente auch den Demokratien in Europa als Orientierung. Die grauenvollen Einzelheiten des Berichtes machen erneut deutlich, wie tief der 11. September 2001 die amerikanische Gesellschaft verstört hat. Als Demokrat möchte man den USA heute zurufen: Besinnt euch auf eure Wurzeln, und vergesst auch angesichts des Terrors nicht euer großes demokratisches Erbe. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Veröffentlichung des Berichtes zeigt aber auch, dass die rechtsstaatlichen Prinzipien in den USA funktionieren. Keine Diktatur, kein autoritäres Regime würde eine so schonungslose und öffentliche Aufklärung betreiben, wie es der US-Senat getan hat. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber ohne Strafverfolgung!) Als Demokrat hat man die Pflicht, Folter kompromisslos zu verurteilen und Aufklärung zu fordern. Gerade wir als Deutsche sollten aber nicht in eine moralische Überheblichkeit verfallen. Allein das Gedenken in dieser Woche hier im Bundestag an die Befreiung von Auschwitz vor 70 Jahren verbietet das. Auch das moderne Deutschland ist nicht über jeden Zweifel erhaben. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das stimmt!) Seit 1989 befragt zum Beispiel der Strafrechtsprofessor Streng seine Erst- und Zweitsemester in Erlangen und in Konstanz zu ihren rechtsstaatlichen Überzeugungen. Im Oktober letzten Jahres ergab die Befragung, dass jeder zweite seiner Jurastudenten Folter und jeder dritte die Todesstrafe in Deutschland befürwortet. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Schlimm!) – Ja, das ist schlimm. – Die Stichprobe ist zwar nicht repräsentativ, aber sie ist ein deutliches Warnsignal. Auch in Deutschland müssen wir das absolute Folterverbot konsequent verteidigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch ich möchte heute an die Diskussion um den Mörder des kleinen Jakob von Metzler erinnern. Natürlich ist es kaum zu ertragen, dass ein verurteilter Kindsmörder für die Androhung von Folter entschädigt und ein Polizist, der ein Kind retten will, bestraft wird. Trotzdem ist es für einen Rechtsstaat unerlässlich, dass bestimmte Werte absolute Geltung besitzen. Zu diesen Werten mit absoluter Geltung muss das Folterverbot gehören. Denn die Würde des Menschen darf niemals relativiert werden; sie ist unantastbar. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es reicht auch nicht aus, Folter nur zu verurteilen. Ein Rechtsstaat muss Verbrechen aufklären, und er muss auch die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Insofern ist das Grundanliegen des Antrages richtig. In der Vergangenheit wurde in Deutschland und in Europa bereits an der Aufklärung gearbeitet. Der Fall el-Masri und der Fall Kurnaz wurden im sogenannten BND-Untersuchungsausschuss behandelt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits in einigen Fällen Schadensersatzansprüche durchgesetzt. Angesichts des nun vorliegenden Berichtes vom 9. Dezember 2014 zu den Verhör- und Foltermethoden aus den Jahren 2001 bis 2009 durch die CIA müssen auch wir uns fragen: Wie können wir zur weiteren Aufklärung beitragen? Einen nationalen Alleingang – ich komme zur Begründung der Ablehnung des Antrages – halte ich für aussichtslos. Anstatt Schaufensteranträge zu stellen, brauchen wir eine europäische Initiative. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Dann machen Sie mal!) Europa sollte gemeinsam auf die Freigabe des vollständigen Berichtes drängen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie doch machen! Das schließt sich doch nicht aus! Wenn Sie zustimmen, verschicken wir es gleich europaweit!) Das Europaparlament wird voraussichtlich im Februar genau zu dieser Frage eine Entscheidung treffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Entscheidung sollten wir zunächst abwarten. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihren Antrag im Europaparlament möchte ich mal sehen!) Ebenfalls sollte sich der Rat der EU-Außenminister damit befassen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können wir nächste Woche einen neuen Antrag stellen, dass die Bundesregierung eine EU-Initiative macht! Dann können Sie ja zustimmen!) In Ihrem Antrag fehlt jeder Hinweis auf die Europäische Union; denn nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa muss aufklären, ob und inwiefern Mitgliedstaaten beteiligt waren. Wir sollten daher unseren Einfluss in Europa geltend machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Uli Grötsch [SPD] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können wir doch nach Grundgesetz hier beauftragen!) Die Strafverfolgung in den USA obliegt zunächst der amerikanischen Justiz. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die machen das nicht!) In Deutschland hat der Generalbundesanwalt bereits angekündigt, dass er versuchen wird, über die diplomatischen Kanäle Einblick in den vollständigen Bericht zu erhalten. Wir sollten ihm und unserer Judikative daher nicht mit einem vorschnellen Antrag vorgreifen. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn daran vorschnell?) Ich bin mir auch sicher, dass die Bundesregierung auf diplomatischem Weg alles versuchen wird, damit der vollständige Bericht in ganz Europa und nicht nur in Deutschland vorgelegt wird. Daher lehnen wir einen deutschen Alleingang ab. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja jetzt feige! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Alles nur peinlich!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. – Nächster und letzter Redner in dieser Debatte: Dr. Egon Jüttner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit Dezember liegt der Untersuchungsbericht des Geheimdienstausschusses des Senats der Vereinigten Staaten von Amerika über die Behandlung von Terrorverdächtigen vor. Es bedarf dringend einer Aufarbeitung dieses Skandals. (Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Schuldigen müssen strafrechtlich verfolgt und vor Gericht gestellt werden, (Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nicht nur die kleinen Handlanger, auch die Verantwortlichen in höchsten politischen Positionen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die sind geständig!) Liest man den öffentlich zugänglichen Teil des Berichts, dann sollte man nicht meinen, dass es sich dabei um den Geheimdienst der Vereinigten Staaten handelt. Man mag es kaum glauben, dass solche Exzesse des Geheimdienstes von einem Land angewandt wurden, das auf eine lange demokratische Tradition zurückblicken kann und das den entscheidenden Beitrag geleistet hat, Europa von Tyrannei mit all ihren unmenschlichen Auswüchsen im 20. Jahrhundert zu befreien. Als demokratisches Land, dem die Einhaltung der universellen Menschenrechte wichtig ist, und als Verbündeter der USA muss Deutschland betroffen und schockiert sein über die Verhörmethoden des amerikanischen Geheimdienstes. Diese sind einer freien Gesellschaft und eines Landes, das die Werte der Freiheit proklamiert, unwürdig. Sie stellen den Anspruch der USA, Vorbild und moralische Instanz zu sein, infrage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Waterboarding, Kälteschocks, Morddrohungen und Scheinexekutionen, um nur einige der brutalen Foltermethoden zu nennen, sind Maßnahmen, die wir eigentlich nur aus Diktaturen kennen und die wir dort zu Recht anprangern. Sie als „erweiterte Verhörmethoden“ zu bezeichnen, wie es der amerikanische Geheimdienst tut, ist mehr als zynisch. Sie sind keine Mittel, deren sich eine der ältesten Demokratien der Welt bedienen sollte, um von Verdächtigen Geständnisse zu erpressen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Rechtsstaatlichkeit ist immanent, dass auch denjenigen mit rechtsstaatlichen Mitteln begegnet wird, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Rechtsstaat zu bekämpfen. Als CDU/CSU-Fraktion begrüßen wir es, dass die in dem Bericht bekannt gewordenen Methoden inzwischen nicht mehr angewandt werden. Wir begrüßen ebenfalls die Erstellung des Berichts, zeigt dies doch, dass das altbewährte System von „checks and balances“, also der gegenseitigen Kontrolle von Verfassungsorganen, in den Vereinigten Staaten weiterhin funktioniert. Hier wird ein fundamentaler Unterschied zu Staaten wie etwa Russland, China oder dem Iran deutlich. (Zuruf des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Im Unterschied zu den Vereinigten Staaten ist es dort undenkbar, dass der Ausschuss eines frei gewählten Parlaments die Verfehlungen des eigenen Geheimdienstes untersucht und sogar veröffentlicht. Wir teilen die im Antrag gestellte Forderung, dass der Bericht Deutschland nicht nur in Teilen, sondern vollständig und ungeschwärzt zugänglich gemacht werden muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Dies ist insbesondere hinsichtlich der Taten, die einen direkten Zusammenhang zur Bundesrepublik Deutschland aufweisen, für uns von großer Bedeutung. Wir begrüßen es deshalb, dass der Generalbundesanwalt die komplette Fassung des Berichts anfordert und auf Basis der veröffentlichten Kurzfassung prüft, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Er hat ihn ja noch nicht bekommen! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dann haben wir ihn noch nicht!) ob er im Zusammenhang mit dem Folterbericht förmliche Ermittlungen aufnimmt. Wir sollten – das ist unsere Auffassung – dieses Verfahren abwarten und uns als Legislative nicht in die Arbeit der Exekutive bzw. Judikative einmischen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Parlamentspapier! Kontrolle! – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch unser Auftrag!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Jüttner. Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3558 mit dem Titel „Bericht über das Inhaftierungs- und Verhörprogramm der CIA vollständig und ungeschwärzt übermitteln“. Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – (Zuruf der Linken: Gewonnen!) Enthaltungen? – Der Antrag ist abgelehnt. Auch wenn Sie sich etwas anderes wünschen, der Antrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, abgelehnt haben die CDU/CSU-Fraktion und die SPD-Fraktion. – Vielen Dank. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist eine Niederlage der Demokratie! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Begreift niemand draußen, was die hier veranstalten? ) Wenn Sie beim Tagesordnungspunkt 19 nicht hier sein wollen, dann bitte ich Sie, zügig die Plätze freizugeben. Bei der SPD bleibt alles, wie es ist. (Dagmar Ziegler [SPD]: Beständigkeit!) – Gut, dann fangen wir jetzt an. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 a auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personalausweisgesetzes zur Einführung eines Ersatz-Personalausweises und zur Änderung des Passgesetzes Drucksache 18/3831 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen und dem ersten Redner in der Debatte zuzuhören. Das ist unser Minister Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Uli Grötsch [SPD]) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Europa und damit auch Deutschland stehen im erklärten Zielgebiet des internationalen Terrorismus. Das haben uns die Anschläge von Paris mit schrecklicher Klarheit vor Augen geführt. Die Bundesregierung, unsere Sicherheitsbehörden, treten dieser Bedrohung seit längerem entgegen: wachsam, ruhig, entschlossen und mit einem ganzheitlichen Ansatz. Dazu gehört Prävention; dazu gehört Deradikalisierung; dazu gehören Maßnahmen unserer Sicherheitsbehörden, teils verdeckt, teils offen – Beobachtung, Ansprache, Durchsuchungen, Festnahmen, Ermittlungsverfahren, Verurteilungen –; dazu gehören auch gut ausgestattete Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern; und dazu gehören natürlich auch gesetzgeberische Maßnahmen. Einen wichtigen Baustein hierbei stelle ich Ihnen heute in der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzes vor. Wir wollen nicht, dass aus Deutschland der Terrorismus nach Syrien und in den Irak exportiert wird. Und wir wollen erst recht nicht, dass Menschen, die dort in Kämpfe verwickelt waren, unerkannt wieder einreisen und gegebenenfalls hier Anschläge planen oder verüben. Deswegen müssen wir entsprechende Ausreisen verhindern. Und deswegen müssen wir Wiedereinreisen verhindern oder erkennen. Bisher haben sich – Sie kennen die Zahlen – ungefähr 3 400 Kämpfer aus Europa dazu entschlossen, für den sogenannten Islamischen Staat zu kämpfen. Allein aus Deutschland sind es rund 600, vielleicht etwas mehr, die daran beteiligt sind. Etwa 200 Personen sind nach Deutschland zurückgekehrt, 35 davon als kampferprobte Fundamentalisten. Nach der bisherigen Rechtslage können wir deutschen Staatsbürgern den Reisepass entziehen und ihnen die Ausreise untersagen. Das ist unstreitig, das wird häufig gemacht. Niemand erhebt dagegen bisher verfassungsrechtliche Bedenken. Die Wirksamkeit dieser Maßnahme setzt aber voraus, dass die Personen einen Reisepass benötigen oder nutzen, weil das Ziel- oder Transitland die Vorlage eines solchen Reisepasses verlangt. Das ist aber heutzutage oft gar nicht mehr der Fall. Häufig reicht der Personalausweis zur Aus- und Einreise aus. Deswegen fahren oder fliegen viele, obwohl ihnen die Ausreise untersagt ist, mit ihrem Personalausweis zu einer Schengen-Außengrenze und gelangen dann in Kampfgebiete und/oder kommen mit dem Personalausweis wieder zurück. Die verhängte Ausreiseuntersagung, die durch den Entzug des Passes sozusagen teilweise dokumentiert wird, sieht man dem Personalausweis nicht an. Auch der Grenzbeamte eines anderen Staates kann die Sperre anhand des Ausweises nicht erkennen. Trotzdem müssen wir sicherstellen, dass kein Zweifel darüber besteht, ob ein Ausweisinhaber ausreisen darf oder nicht. Deswegen beinhaltet der Gesetzentwurf vor allem zwei Maßnahmen: Erstens soll nicht mehr nur der Reisepass, sondern auch der Personalausweis entzogen werden können. Zweitens soll in diesen Fällen ein Ersatz-Personalausweis ausgestellt werden, mit dem man sich in Deutschland ausweisen und identifizieren kann. Die Entziehung dieses Ausweises soll möglich sein, wenn Tatsachen vorliegen, die den Verdacht begründen, dass eine Person einer terroristischen Vereinigung angehört oder eine solche unterstützt, Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen oder religiösen Überzeugung anwendet, unterstützt oder hervorruft oder eine staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet. Die Maßnahme unterliegt natürlich der sofortigen Vollziehung, um effektiv zu sein. Der Ersatz-Personalausweis sieht ungefähr so aus wie das Ersatzdokument, das jemand erhält, der seinen Personalausweis oder Reisepass im Ausland, in den Ferien zum Beispiel, verloren hat. Er entspricht damit optisch im Wesentlichen einem solchen behelfsmäßigen Reiseausweis, den man in diesen Fällen von deutschen Konsulaten erhält. Viele werden ihn schon einmal gesehen haben. Er ist allerdings nicht ganz identisch, weil auf diesem Ausweis natürlich auch vermerkt ist, dass man damit den Geltungsbereich des Grundgesetzes nicht verlassen darf, und zwar in den neun wesentlichen Sprachen des Schengen-Raums. Was passiert, wenn ein Ausweisinhaber entgegen dieser Maßnahme die Bundesrepublik Deutschland trotzdem verlässt? Das war ja eines der Gegenargumente von einem Teil der Grünen, während andere es gefordert haben. Wenn das bekannt wird, weil sich zum Beispiel derjenige im Internet damit brüstet, im Ausland aktiv zu sein, dann werden – so sieht das der Gesetzentwurf vor – die Reisedokumente, auch dieser Personalausweis, kraft Gesetzes ungültig. Dies ermöglicht den Behörden nun eine sofortige Ausschreibung des Ausweises im Schengener Informationssystem und in der „Stolen and Lost Travel Documents“-Datenbank von Interpol. Damit erhöhen wir deutlich die Wahrscheinlichkeit des Aufgreifens des Reisenden bereits in Transitländern oder bei der Rückkehr. Das Gesetz, meine Damen und Herren, ist eine von mehreren Maßnahmen, die wir in diesem Zusammenhang national ergreifen, noch ergreifen werden und für die wir uns international einsetzen. Ich nenne beispielhaft: die Strafbarkeit des Reisens und der Versuch des Reisens in terroristischer Absicht – hierzu wird mein Kollege Maas in der nächsten Sitzungswoche einen entsprechenden Gesetzentwurf im Kabinett vorstellen –, die Änderung des Schengener Informationssystems, damit jeder Grenzbeamte an der Schengen-Außengrenze erkennt, ob er einen terroristischen Gefährder vor sich hat oder nicht, den von der Bundesregierung angestrebten Kompromiss über das europäische Fluggastdatenabkommen, einen verbesserten Informationsaustausch mit unseren Partnern, insbesondere auch mit der Türkei. Dann gibt es noch einige Gesetzesvorhaben, über die wir diskutieren müssen und über die noch nicht vollständig Einigkeit besteht. Auch dieses Gesetz, das ich hier vorstelle, wird die Ausreise oder die unerkannte Wiedereinreise nicht vollständig verhindern können. Wir haben aber die Pflicht, alles zu tun, was in unseren Kräften steht, um die Gefahr von Terroranschlägen und die Beteiligung Deutschlands daran im In- und Ausland so klein wie nur irgend möglich zu halten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger ist und sollte uns allen ein kostbares Gut sein. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. de Maizière. – Nächster Redner in der Debatte: Frank Tempel für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Gefahr von Terroranschlägen kann gerade mit Blick auf viele internationale Konflikte in keinem Land der Welt vollständig ausgeschlossen werden. Auch hier bei uns besteht diese latente Gefahr. Natürlich ist es Aufgabe der Bundesregierung, diese Gefahr zumindest so gering wie möglich zu halten. Damit dies gelingt, müssen wir uns zuallererst fragen, was Terroristen mit ihren Anschlägen hier erreichen wollen. Sie wollen hier bei uns kein Territorium erobern, keine Rohstoffe erbeuten und keine unliebsame Regierung stürzen. Sie wollen uns in unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung angreifen. Sie wollen Angst schüren, um uns unsere Freiheit Stück für Stück zu nehmen. Wenn es dann unsere Antwort ist, aus Angst vor Terroranschlägen Bürgerrechte zu beschränken, Grundrechte einzuschränken, entspricht unser Handeln genau dem, was Terroristen mit ihren Anschlägen erreichen wollen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir mit Gesetzen reagieren, die unsere Freiheit einschränken, senden wir das Signal, dass Terror erfolgreich ist und dass wir in unserer Freiheit durch Terroranschläge angreifbar sind. Unsere Antwort muss stattdessen sein: mehr Demokratie und mehr Freiheit. Wir lassen uns nicht einschüchtern. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Natürlich brauchen wir trotzdem Gesetze, anhand derer Sicherheitsbehörden effektiv ihren Beitrag zur Sicherheit in unserem Land leisten können. Das wird auch die Linke nie in Abrede stellen. Aber die Messlatte muss eben sehr hoch sein. Wenn wir Bürgerrechte und Grundrechte einschränken, dann muss ein deutlich nachvollziehbarer Sicherheitsgewinn für die Allgemeinheit zu erzielen sein. Unter diesem Aspekt haben wir Ihren Vorschlag geprüft, möglichen Gefährdern den Personalausweis zu entziehen und ein Ersatzdokument auszustellen, das sie als Gefährder identifiziert, aber natürlich auch stigmatisiert. Denn machen wir uns nichts vor: Ein Personalausweis – und das ist der Unterschied zum Reisepass, Herr Minister – dient auf vielfältige Art und Weise, und sei es nur, um sich in einem Hotel einzuchecken, ein Konto zu eröffnen oder ihn bei der EC-Kartenzahlung vorzulegen usw. Der Rechtseingriff wäre also schwerwiegend; schwerwiegender als der Entzug des Reisepasses. Hinzu kommt, dass der vorliegende Gesetzentwurf nicht auf erwiesene Straftäter abzielt. Vielmehr soll bereits der bloße Verdacht auf zukünftige gewaltbereite Handlungen ausreichen, um Menschen ihren Ausweis zu entziehen. Aber wer definiert diesen Verdacht? Die Hemmschwelle zum Grundrechtseingriff wird in der Praxis also sehr gering sein. Nur zur Erinnerung: Der Reisepass kann bereits entzogen werden. Deswegen müssen wir wissen: Ist wenigstens die Größenordnung so, dass eine rechtliche Verschärfung notwendig ist? Wir haben dazu die Bundesregierung für die Jahre 2012, 2013 und 2014 befragt. Ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung auf Drucksache 18/3673 – hören Sie zu –: In mindestens 20 Fällen kann nachvollzogen werden, dass eine Ausreise trotz bestehender Verfügung, Deutschland nicht zu verlassen, und entsprechenden Entzugs des Reisepasses erfolgte und diesen Personen ein Personalausweis zur Verfügung stand. 20 Personen! Jetzt frage ich Sie: Verhindern Sie deren Ausreise durch den Entzug des Personalausweises? Funktioniert das? Sie müssen schon verzeihen: Ich war nun einmal lange Polizeibeamter, und ich blicke ganz besonders darauf, ob eine geplante Maßnahme überhaupt funktionieren kann. Wie stellen Sie sich den Entzug des Ausweises vor? Was ist, wenn der Ausweis einfach als gestohlen oder verloren gemeldet wird? Ein Personalausweis behält zehn Jahre seine Gültigkeit. Hausdurchsuchungen werden in diesem Fall wahrscheinlich auch nicht sehr erfolgreich sein. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Der wird doch ausgeschrieben!) – Herr Binninger, natürlich wird der Verlust im Register vermerkt. Dort steht dann, dass der Ausweis ungültig ist. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja, genau!) Das wird aber bei Grenzkontrollen nur festgestellt, wenn der Ausweis mit dem Register, also mit der Datenbank, abgeglichen wird. In diesem Register können aber auch statt der Ungültigkeit Ausreisebeschränkungen eingetragen werden. Das hätte den gleichen Effekt, auch ohne Entzug. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Nein! Nein!) Natürlich kann man auch das regeln, Herr Binninger. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Da haben ausländische Behörden keinen Zugriff drauf! Das ist doch falsch! In der Sache falsch!) – Ja, aber das wäre eine mögliche rechtliche Änderung, ohne den Ausweis zu entziehen, Herr Binninger. Wir reden doch immer davon, das mildeste Mittel anzuwenden und nicht das schärfste Mittel. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ich sage es nachher!) In diesem Fall würde der Ausweis nicht entzogen werden müssen, und wir hätten trotzdem entsprechende Möglichkeiten. Wir wissen doch – gerade wenn wir auf die Türkei schauen –, dass bei Grenzkontrollen nicht immer ein Datenabgleich erfolgen kann. Das heißt, wir müssen auch mit unseren Partnern reden, um uns darüber zu informieren, wie dort Grenzkontrollen ablaufen. Ganz nebenbei: In einer Welt, in der eine illegale Ausreise oder eine illegale Einreise möglich ist, wird der Entzug des Ausweises keinerlei Beschränkungen darstellen. Meine Damen und Herren, wenn die Regelungen, die im vorliegenden Gesetzentwurf formuliert sind, gar nicht funktionieren: Was wollen wir dann mit diesem Gesetzentwurf? Auch wenn die Terrorgefahr wieder tagesaktuell ist: Gesetzentwürfe, die Terrorbekämpfung und damit mehr Sicherheit vortäuschen, am Ende aber lediglich einen Aktivitätsnachweis der Bundesregierung darstellen, brauchen wir nicht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Forcieren Sie deswegen weiter die Prävention, investieren Sie noch mehr in Aufklärung und Dialog, und bekämpfen Sie die Ursachen des Terrorismus, statt ihm nachzugeben und so unsere Freiheit und Demokratie weiter zu beschneiden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Tempel. – Nächste Rednerin in der Debatte: Gabriele Fograscher für die SPD. (Beifall bei der SPD) Gabriele Fograscher (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kol-legen! Der islamistisch motivierte Terrorismus ist eine Bedrohung für Deutschland und die westliche Staaten-gemeinschaft und eine Herausforderung für die Sicherheitsbehörden und die Politik. Nicht erst seit dem grausamen und abscheulichen Terroranschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo und auf -einen jüdischen Supermarkt zu Beginn dieses Jahres wissen wir, dass wir unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen Terroristen verteidigen müssen. Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist nicht auf die islamischen Staaten beschränkt. Sie ist schon lange im Westen, in Europa, in Deutschland angekommen. Auch wenn es zum Glück in Deutschland noch keine Anschläge gab, so sind wir doch im Visier des internationalen islamistischen Terrorismus. Aus Europa sind inzwischen 3 400 Menschen – der Minister hat die Zahlen genannt – Richtung Syrien und Irak gegangen, um sich dem „Islamischen Staat“ anzuschließen. Davon kommen etwa 600 Islamisten aus Deutschland. Mehr als die Hälfte davon besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Von diesen rund 600 so-genannten Foreign Fighters aus Deutschland haben sich 10 als Selbstmordattentäter in Syrien in die Luft gesprengt, 150 bis 180 sind radikalisiert zurückgekehrt, und 30 von ihnen gelten als kampferprobt und gewaltbereit. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wird ein zusätzliches Instrument geschaffen, um den Export von Terror möglichst zu verhindern; wir haben über diese Änderung schon vor den Anschlägen in Paris diskutiert. Die Reisetätigkeit von Gefährdern soll eingeschränkt werden. Herr Tempel, wenn es mit diesem Gesetz gelingt, auch nur einen Anschlag zu verhindern und Menschenleben zu retten, dann ist das Gesetz gerechtfertigt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Genau das wird wahrscheinlich nicht passieren!) Schon heute ist es möglich – das wird auch praktiziert –, zum Beispiel gewaltbereiten Islamisten, die deutsche Staatsangehörige sind, den deutschen Reisepass zu entziehen. Dies ist gemäß § 8 Passgesetz möglich, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passinhaber unter anderem die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Der Personalausweis hingegen kann nach geltender Rechtsgrundlage nicht entzogen werden. Zwar ist bei Einzug des Reisepasses der Geltungsbereich des Personalausweises auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt, dies ist aber nicht auf dem Personalausweis vermerkt und somit bei Kontrollen nicht sofort zu erkennen. Islamisten können mit dem Personalausweis in die Türkei und von dort aus weiter über die grüne Grenze nach Syrien oder in den Irak reisen. Ohne Reisepass, nur mit dem Personalausweis ist es ihnen somit möglich, das Land ohne großes Aufheben zu verlassen. 20 Islamisten soll das schon gelungen sein. Deshalb wollen wir die Möglichkeit des Entzugs des Personalausweises in § 6 a Personalausweisgesetz schaffen, eine Maßnahme, die an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist: Tatsachen müssen die Annahme begründen, dass der Ausweisinhaber einer inländischen terroristischen Vereinigung oder einer ausländischen kri-minellen oder terroristischen Vereinigung angehört oder diese unterstützt. Der Entzug ist möglich, wenn die Person rechtswidrig Gewalt gegen Leib oder Leben als -Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwendet, solche Gewaltanwendung unterstützt oder vorsätzlich hervorruft. Diese beiden Voraussetzungen treffen auf die sogenannten Foreign Fighters zu. Die Maßnahme ist deshalb verhältnismäßig und geeignet, deren Reisetätigkeit zu unterbinden. Nach dem Entzug des normalen Personalausweises wird dem Betroffenen auf dessen Kosten ein Ersatz--Personalausweis ausgestellt. Die Gültigkeitsdauer des Ersatz-Personalausweises ist auf maximal drei Jahre -begrenzt. Diese Lösung halten wir für besser als die, den normalen Personalausweis mit einem roten Balken – „Gilt nur für die Bundesrepublik Deutschland“ – oder mit einem Aufkleber, der leicht zu entfernen wäre, zu versehen. Der Ersatz-Personalausweis entspricht dem Ersatzdokument, das man erhält, wenn einem zum Beispiel der Personalausweis im Ausland verloren geht. Damit wird die Stigmatisierung der Betroffenen möglichst gering gehalten. Auf dem Ersatz-Personalausweis ist in mehreren Sprachen vermerkt, dass dieses Dokument nicht zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Dies erleichtert die Kontrolle durch ausländische Grenzbeamte. Der Entzug des Personalausweises ist nicht die einzige Maßnahme, um Reisebewegungen von Terrorverdächtigen zu erschweren oder besser gar zu verhindern. Der Bundesjustizminister wird zeitnah einen Gesetzentwurf vorlegen, der Reisen in Länder, in denen es Terrorcamps gibt, unter Strafe stellt. Eine weitere Maßnahme ist die Einführung des Tat-bestandsmerkmals „Terrorism-related Activity“, also -terrorbezogene Aktivitäten, im Schengener Informationssystem. Darüber sind sich die europäischen Innenminister einig. Diese Neuregelung wird dazu führen, dass bei Kontrollen des Ausweises und des Abgleichs mit dem System festgestellt werden kann, ob es sich um einen Dschihadisten handelt. Derzeit wird geprüft, wie diese Änderung im SIS möglichst schnell umgesetzt werden kann. Darüber hinaus brauchen wir einen intensiveren Austausch mit den Sicherheitsbehörden anderer Länder über Gefährder bzw. gefährliche Personen. Nicht zuletzt müssen wir die Prävention verstärken und alles tun, um zu verhindern, dass sich vor allem junge Männer radikalisieren, einem fanatischen Islamismus hinterherlaufen, Religion missbrauchen, um in den Krieg zu ziehen und Menschen zu ermorden. Rückkehrer müssen wir nicht nur im Auge behalten, sondern es muss auch Angebote geben, sie von ihrem Fanatismus abzubringen. Die Prüfung und Überprüfung von Gesetzen und auch neue gesetzgeberische Initiativen sind wichtige Maßnahmen im Kampf gegen den Terror. Daneben aber gilt es, die gesellschaftliche Debatte über Respekt vor Religionen und anderen Kulturen zu führen und die Kräfte zu stärken, die sich für den Zusammenhalt in der Gesellschaft und ein friedliches Zusammenleben einsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Gabi Fograscher. – Nächste Rednerin in der Debatte: Irene Mihalic für Bündnis 90/Die Grünen. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Natürlich: Nicht erst die schrecklichen Anschläge von Paris machen Maßnahmen gegen den Terrorismus notwendig; das ist völlig richtig. Das ist eine Debatte, die wir schon viel länger und auch völlig zu Recht führen. Dabei ist aber eine Sache ganz besonders wichtig: eben nicht in Aktionismus zu verfallen, sondern die Terrorgefahr sauber zu analysieren, Kräfte und Kompetenzen in der Sache zu bündeln und sorgfältig Maßnahmen zu entwickeln, die wirklich greifen, Herr Minister. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Leider geht Ihr Gesetzentwurf zum Terroristen-Personalausweis völlig am Thema vorbei. Sie betreiben hier eine unausgegorene Symbolpolitik, mit der Sie hektisch zu überdecken versuchen, dass Sie weder gründlich analysieren noch die Maßnahmen irgendwie koordinieren und dass Sie alles in allem keine richtige Antiterrorstrategie haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Der Ersatz-Personalausweis für Terroristen ist nicht nur sicherheitspolitisch vollkommen nutzlos und rechtsstaatlich fragwürdig, sondern das Ganze ist auch noch gefährlich. Ich will Ihnen ein praktisches Beispiel nennen: Angenommen, Sie haben einen Gefährder ermittelt, also einen mutmaßlichen Terroristen; es soll ja eine stattliche dreistellige Anzahl von Personen geben, die die Absicht haben, nach Syrien auszureisen. Jetzt fordern Sie diese Person auf Grundlage des neuen Gesetzes auf, den alten Personalausweis abzugeben und gegen einen Ersatz-Personalausweis einzutauschen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen Gebühr!) Was glauben Sie denn, was dann passiert? Glauben Sie denn tatsächlich, er geht dann brav zum Bürgeramt, um dort seinen Personalausweis abzugeben? Wohl eher nicht. Glauben Sie, dass der mutmaßliche Terrorist völlig geknickt seine Pläne einfach so aufgeben wird? Wohl kaum. Er wird doch vielmehr sagen: Jetzt oder nie. Er wird versuchen, alles, was er vorhatte, also eben auch die Ausreise, sofort in die Tat umzusetzen, und zwar vor dem Zugriff der Sicherheitsbehörden. Das kann nicht in unserem Interesse sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es gibt noch ein weiteres praktisches Problem. Nehmen wir einmal an, der mutmaßliche Terrorist geht -tatsächlich zum Amt, um sich diesen Ersatz-Personalausweis abzuholen. Ohne große Fantasie lässt sich vo-raussehen – das hat Kollege Tempel schon angespro-chen –, dass der richtige Personalausweis dann plötzlich verloren gegangen ist, gestohlen gemeldet wird, auf jeden Fall irgendwie abhandengekommen ist. Jedenfalls können Sie ganz sicher sein, dass der verschwundene Ausweis wieder auftaucht und die Person ihn munter weiter nutzen und auch bei der Ausreise an der Grenze vorlegen wird. Es wird wohl kaum einen mutmaßlichen Dschihadisten geben, der an den EU-Außengrenzen diesen Terror-Ersatzausweis vorlegen wird. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht wirklich!) Das glauben Sie doch nicht ernsthaft. Dieser Gesetzentwurf ist völlig realitätsfern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie bewirken mit diesem Ersatz-Personalausweis im Wesentlichen zwei Dinge: Erstens. Sie desensibilisieren die Grenzbeamten. Denn wieso sollte ein Kontrolleur einen richtigen Personalausweis in den Datenbanken, zum Beispiel in der Datenbank verlorener oder gestohlener Reisedokumente, überprüfen, wenn er erwartet, dass er einen Terroristen gleich am Ersatz-Personalausweis erkennt? (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Zweitens. Sie fördern mit diesem Gesetz die Radikalisierung solcher Leute. Denn am Ende sind die Gefährder vielleicht sogar noch stolz darauf, mit einem amtlichen Dokument endlich als IS-treue Dschihadisten eingestuft zu werden. Mit der Übergabe des Ersatz-Personalausweises machen Sie aus einem Gefährder einen staatlich anerkannten Terroristen. Das muss so manchem ja wie eine Auszeichnung vorkommen. Aber das ist das Gegenteil von Gefahrenabwehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Statt diesem Irrweg weiter zu folgen, sollten Sie Ihre Hausaufgaben machen. Sorgen Sie endlich dafür, dass die Sicherheitsbehörden vor allen Dingen personell vernünftig ausgestattet sind. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Gewährleisten Sie möglichst dichte Kontrollen bei der Ausreise aus dem Schengen-Gebiet. Legen Sie endlich ein mit den Ländern wirklich abgestimmtes Präventions- und Deradikalisierungskonzept vor. Die Länder haben dazu ja schon Initiativen angekündigt. Deswegen: Verharren Sie da bitte nicht in der Zuschauerrolle, sondern gestalten und koordinieren Sie diesen Prozess aktiv mit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Und: Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf bitte schnellstmöglich zurück, damit er keinen Schaden anrichtet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die innere Sicherheit ist ein hohes Gut. Sie darf nicht durch aktionistische Symbolpolitik, die auch noch rechtsstaatlich fragwürdig ist, in Gefahr gebracht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da müssen Sie ja selber lachen!) Eine Sache möchte ich gerne noch ansprechen, weil ich sie zugegebenermaßen recht amüsant fand. Man konnte neulich auf Twitter sinngemäß die Frage lesen: Wir haben biometrische Ausweise wegen der Terrorgefahr, und mutmaßlichen Terroristen nehmen wir sie jetzt weg? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Frage!) Ich finde, sie bringt die Widersprüchlichkeit Ihrer Antiterrorpolitik richtig schön auf den Punkt. Vielleicht denken Sie auch darüber noch einmal nach. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der Debatte – jetzt sind Sie dran –: Clemens Binninger für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Clemens Binninger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Man überlegt sich ja immer, wie man in eine Rede einsteigt. Ihr Beitrag, Frau Kollegin Mihalic, veranlasst mich dazu, mein Konzept zu ändern und gleich auf Ihre Rede einzugehen. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür bin ich sehr dankbar! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die hat gesessen! Das fand ich auch!) Man kann ja in der Sache unterschiedlicher Meinung sein; das wird nie ganz ausbleiben. Dass Sie aber in dieser Art und Weise, so ironisierend, über eine Bedrohungslage, die uns allen Sorgen macht, und über dieses Gesetzesvorhaben reden, (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo war denn da die Ironie?) die Gefahrenlage mit keinem Wort beschreiben und so tun, als ob wir hier einfach irgendetwas machen, geht völlig an der Realität und an der Bedrohungslage vorbei. Völlig! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber so ist es doch! Genau so ist es! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Scheinpolitik!) Dann haben Sie auch noch munter alles Mögliche durcheinandergeworfen. Sie haben zum Beispiel das Thema Biometrie angesprochen. Der biometrische Reisepass ist unter Rot-Grün auf den Weg gebracht worden, und zwar von Otto Schily mit dankbarer Unterstützung der Grünen; (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie das jetzt etwa zurückholen, oder was?) damals haben Sie noch eine vernünftige Innenpolitik gemacht. Das Thema Biometrie haben Sie mit dem Ersatzausweis vermischt. Das passt nicht. Es geht hierbei nämlich auch darum – vielleicht finden Sie ja, da sollte man auch ironisieren –, eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen umzusetzen, in der alle Staaten aufgefordert werden, alles Mögliche zu tun, um Reisebewegungen von Terrorverdächtigen zu erschweren bzw. zu unterbinden. Genau das tun wir mit diesem Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann verstärken Sie doch die Kontrollen an den Schengen-Außengrenzen! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist ungeeignet!) Da Sie immer wieder auf unseren gemeinsamen Berufsstand abheben, sage ich Ihnen: Sie alle wissen – da sollten wir redlich miteinander umgehen –, dass es kein Gesetz gibt, mit dem man alle Ziele erreichen kann; (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann tun Sie nicht so!) das behauptet auch niemand. Da wir aber wissen, dass es in Europa 3 500 Terrorverdächtige gibt, die in die Kampfgebiete des IS reisen und dort mutmaßlich mitkämpfen, dass es alleine in Deutschland (Frank Tempel [DIE LINKE]: 20 in Deutschland!) – wenn wir nur 20 entdeckt haben, macht es das nicht besser – 600 Gefährder gibt, die dorthin reisen – Tendenz zunehmend –, dass für diese Reise kein Reisepass mehr notwendig ist, weil diese Krisenregion nicht am Hindukusch, sondern direkt am Mittelmeer liegt und für die Reise dorthin der Personalausweis ausreicht, muss man doch darüber nachdenken, wie man diese Reisebewegungen erschweren oder – noch besser – verhindern kann, indem man im Hinblick auf den Personalausweis etwas verändert. Genau das tun wir. Da gibt es doch keinen Grund, zu ironisieren. Ich sehe einen solchen Grund nirgends. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Jetzt zu der Frage: Was tun wir? Kollege Tempel, ich habe vorhin einen Zwischenruf gemacht, weil Sie suggeriert haben, man könne die Ausreise heute schon untersagen (Abg. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – ich habe heute keine Zeit; sonst immer gerne – (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann ja Herrn Mayer fragen! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Ich habe nicht gesagt: „heute schon“!) und man müsse, da das ja gespeichert sei, den Personalausweis nicht entziehen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Ich habe nicht gesagt: „heute schon“! Das ist falsch!) – So klang es aber. – Das stellt uns vor ein Problem: Wenn wir auf EU-Ebene etwas dagegen tun wollten, würde das zweieinhalb Jahre dauern. Deshalb ist der richtige Weg: Es muss aus dem Dokument ersichtlich sein, dass eine Person nicht reisen darf. Dafür ist die Ausstellung eines Ersatzausweises bei Entziehung des alten Personalausweises genau das richtige Instrument. Das wird funktionieren; das ist der richtige Ansatz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den legt er doch gar nicht erst vor!) Vor allen Dingen aber, Frau Kollegin, ist dies ein Ansatz, der sofort umgesetzt werden kann. Wenn Sie den Schengen-Kodex ändern wollten, müssen Sie dafür mindestens zweieinhalb Jahre veranschlagen. Das können wir uns angesichts der Bedrohungslage nicht erlauben; das wäre unverantwortlich. Richtig ist: Das ist nur ein Baustein, so wie die UN-Resolution auch verlangt, Fluggastdaten auszutauschen. Das wollen Sie ja auch nicht; aber die UN-Resolution verlangt es. Es ist eine Reihe von Bausteinen notwendig, um dieser Terrorgefahr Herr zu werden. Heute debattieren wir über einen Baustein, der wichtig ist und der funktionieren wird. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zeigen Sie mal die Stelle in der Resolution, wo ein Ersatzausweis gefordert wird!) Natürlich reicht das allein nicht aus, natürlich gehören andere Dinge dazu: Terrorabwehrzentrum, Antiterrordatei und andere Maßnahmen, über die wir noch zu sprechen haben. Aber es muss uns doch eines leiten, Kollegen: Wir müssen als Gesetzgeber die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Sicherheitsbehörden in der Lage sind, Terrorverdächtige ins Visier zu nehmen – nicht Unbeteiligte, sondern Terrorverdächtige. Von denen müssen wir dann so viel wissen wie möglich – mit wem sie telefonieren, wohin das Geld fließt –, und wir müssen ihnen das Reisen erschweren. An diesem Ansatz kann man eigentlich nicht herumkritteln. Deshalb habe ich Ihren Beitrag wirklich hinten und vorne nicht verstanden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie noch einmal im Protokoll nachlesen! – Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Für dich gilt das Gleiche: Ich habe heute keine Zeit. Der vorliegende Gesetzentwurf ist, wie gesagt, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Bekämpfung des Terrorismus, andere werden folgen. Die Ausstattung der Sicherheitsbehörden gehört natürlich immer mit dazu, Prävention gehört ebenfalls dazu. Es geht um ein Paket an Maßnahmen. Ich bin dankbar, dass die Bundesregierung hier einen guten und wichtigen Schritt gemacht hat. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Binninger. – Er hat wirklich keine Zeit – selbstverständlich sagt er die Wahrheit –; er hat schon mit Herrn Mayer getauscht. – Kommen Sie gut wohin auch immer! Uli Grötsch für die SPD ist der nächste Redner in der Debatte. (Beifall bei der SPD) Uli Grötsch (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicherheitspolitik darf nicht reaktiv sein, Sicherheitspolitik muss zuallererst präventiv sein. Neue Gesetze zur Terrorabwehr dürfen nicht erst dann beschlossen werden, wenn es zu einem Anschlag gekommen ist. Unser Ziel muss es sein, dort Lücken zu schließen, wo die Sicherheit und damit die Freiheit der Menschen in Deutschland gefährdet ist. Der heute vorliegende Gesetzentwurf regelt die Bedingungen eines Entzuges des Personalausweises bei solchen Bundesbürgern – und nur bei solchen Bundesbürgern –, bei denen der dringende Tatverdacht besteht, dass sie sich im Ausland einer terroristischen Vereinigung anschließen oder an solchen Handlungen teilnehmen werden. Der vorliegende Gesetzentwurf bildet nur eine von mehreren Maßnahmen in der Sicherheitspolitik, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat und noch auf den Weg bringen wird. Das ist kein politischer Aktionismus und auch keine unmittelbare Reaktion auf die -Anschläge von Paris. Es ist auch keine Symbolpolitik, sondern aktive Sicherheitspolitik, was wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf betreiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wie wir alle wissen, war dieser Gesetzentwurf schon lange vor den Anschlägen von Paris auf dem Weg. Wir sind uns der Bedrohung durch den internationalen Terror nicht erst seit diesen Anschlägen bewusst, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir alle tragen Verantwortung für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Wir alle müssen wachsam sein und sinnvolle Gesetzesänderungen dort vornehmen, wo es notwendig ist. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Sinnvoll“ ist das Stichwort!) Es kann ja nicht sein, dass wir – in Deutschland – Terrorismus exportieren, und es kann auch nicht sein, dass wir potenziellen Terroristen ermöglichen, in einem Ausbildungslager oder sogar in Kriegsgebieten ihr Handwerk zu lernen. Der mögliche Entzug des Personalausweises von ausreisewilligen Dschihadisten schließe hier eine „Schwachstelle“. – Das ist die Aussage des BKA-Präsidenten Holger Münch. Das sehe ich ganz genauso wie der Präsident des Bundeskriminalamtes. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bislang gibt es in unseren Gesetzen nur die Möglichkeit, den Reisepass zu entziehen. Aber auch mit dem Personalausweis reisen nachweislich Dschihadisten über die Türkei nach Syrien aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie tatsächlich nicht wissen sollten, dass verlorene oder als gestohlen gemeldete Personalausweise, die Originalpersonalausweise also, im Sachfahndungssystem ausgeschrieben werden (Frank Tempel [DIE LINKE]: Aber nicht geprüft werden! Das ist doch praxisfremd!) und im Falle einer versuchten Grenzüberschreitung mit diesen Ausweisen natürlich dann festgestellt werden, dann erkläre ich es Ihnen nach diesem Tagesordnungspunkt von Herzen und aus Interesse an der Sache gern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die werden doch gar nicht abgefragt, Herr Grötsch!) Diese Ausreisen sollen künftig nicht mehr möglich sein. Minister de Maizière hat es eben gesagt: Diese Lücke schließen wir. Natürlich müssen wir bei einem solchen Gesetz sorgsam abwägen. Es handelt sich um einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen; das ist unstrittig. Aber angesichts der uns allen bekannten Gefahrenlage halte ich diesen Grundrechtseingriff auch für gerechtfertigt. Im Vergleich zu dem im letzten Jahr diskutierten Vorschlag, nämlich den Personalausweis zu markieren, stellt ein Ersatz-Personalausweis einen weitaus geringeren Grundrechtseingriff und erst recht keine Stigmatisierung der Inhaber dar. Stellen Sie sich vor, dass auf Ihrem Personalausweis ein dicker roter Balken quer über das ganze Dokument verläuft. Das wäre doch viel auffälliger, und Sie würden in Ihrem täglichen Leben viel stärker eingeschränkt sein als mit einem Dokument, auf dem der Ausreisesperrvermerk nicht direkt neben den personenbezogenen Daten angebracht ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Wir haben den Blödsinn auch nicht vorgeschlagen!) Und natürlich betrifft der mögliche Personalausweisentzug nur eine geringe Anzahl von Personen, und zwar solche, die im dringenden Verdacht stehen, dass sie einer terroristischen Vereinigung angehören. Das sind ja keine Touristen, die ihren Urlaub in Syrien verbringen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Eines sage ich ganz deutlich: Bei dieser Klientel, bei denen, die den Krieg von Deutschland aus in die Welt tragen wollen, bei denen, die wieder nach Deutschland zurückkommen wollen und uns womöglich Gewalt und Terror mitbringen, zählt jeder Einzelne. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zum Schluss meiner Rede sage ich noch etwas zum Thema Prävention; das wurde hier schon öfter angesprochen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion halten eine präventive Sicherheitspolitik natürlich nach wie vor für effektiver. Deshalb ist das von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig gerade auf den Weg gebrachte Programm zur Radikalisierungsprävention gegen gewalt-orientierten Islamismus ohne Zweifel der richtige Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Grötsch. – Nächster Redner in dieser Debatte vor der spannenden Beratung im Ausschuss ist Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Das Gesetz zur Änderung des Personalausweisgesetzes und des Passgesetzes ist zwar nur ein Baustein, aber es ist ein durchaus nicht unwesentlicher Baustein im Kampf gegen den islamistischen, dschihadistischen Terrorismus. Ich lege auch Wert auf die Feststellung, dass wir hier fernab von jeglichem Aktionismus und von jeglicher Symbolpolitik sind. Dieses Gesetz ist keine unmittelbare Reaktion auf die barbarischen Anschläge von Paris. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat auch keiner behauptet!) Dieser Gesetzentwurf ist noch vor Weihnachten im Bundeskabinett verabschiedet worden und ist aus meiner Sicht angemessen und verhältnismäßig. Ich muss ganz ehrlich sagen, meine sehr verehrte Kollegin Mihalic und sehr geehrter Kollege Tempel: Ich war schon etwas verwundert über Ihre Argumentation. Man muss ja nicht alles teilen, was die Bundesregierung vorbringt, und natürlich müssen Sie sich als Oppositionsfraktionen irgendwelche Argumente aus den Fingern saugen, um dieses Gesetz abzulehnen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Mayer, erlauben Sie eine direkte Frage? Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Selbstverständlich. Sehr gern. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. – Frau Mihalic. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Mayer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben vorhin gesagt, das Gesetz sei verhältnismäßig, es sei angemessen. Also, Sie sind zutiefst davon überzeugt, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf das Richtige tun. Deswegen würde mich einfach nur einmal interessieren, womit Sie das begründen. Wir werden das Ganze ja auch noch im Innenausschuss miteinander erörtern. Offen gestanden war ich aber doch ein bisschen überrascht, als ich zur Kenntnis genommen habe, dass ausgerechnet Ihre Fraktion zu diesem Gesetzentwurf eine Ausschussanhörung beantragt hat. Ich habe mich gefragt, ob Sie sich vielleicht doch nicht ganz sicher sind, dass das, was Sie mit diesem Gesetzentwurf vorhaben, verhältnismäßig und angemessen ist. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Kollegin Mihalic, ich danke Ihnen und nehme stellvertretend für den Kollegen Binninger auch gerne Fragen entgegen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte ich ihn auch fragen können!) Ich beantworte Ihre Frage aber sehr gerne sehr ernsthaft. Ich glaube, es gehört zum guten parlamentarischen Ton, dass man bei wichtigen Gesetzgebungsvorhaben – es handelt sich hierbei zweifelsohne um ein wichtiges Gesetzgebungsvorhaben – auch eine Sachverständigenanhörung durchführt. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die hätten wir auch beantragt!) Ich bin auch deshalb sehr dankbar für die Frage, weil sie es mir ermöglicht, klarzumachen, dass wir als Koalitionsfraktionen den parlamentarischen Auftrag unheimlich ernst nehmen und uns im Wege einer ausführlichen Sachverständigenanhörung mit den Vor- und Nachteilen dieses Gesetzentwurfs intensiv auseinandersetzen werden. Hätten wir diese Sachverständigenanhörung nicht proaktiv von uns aus beantragt, (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten wir es gemacht!) dann hätten Sie mit Sicherheit behauptet: Die Regierungskoalition will diesen Gesetzentwurf durch den Bundestag peitschen. Es geht hier wieder nur um Eilbedürftigkeit und nicht um Qualität. – Wir haben diese Sachverständigenanhörung jetzt beantragt, und das ist Ihnen, sehr verehrte Frau Kollegin Mihalic, auch nicht recht. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da schauen Sie aber in die Glaskugel!) Mit Verlaub: Das verwundert mich schon etwas. Ich finde es schön, dass Sie sich mit dem Antrag, den wir gestellt haben, beschäftigen, aber Sie können sich -sicher sein, dass es uns hier um eine hohe Qualität der Gesetzgebung geht. Deswegen legen wir als Koalitionsfraktionen Wert darauf, sich im Wege einer Sachverständigenanhörung intensiv mit diesem Gesetzentwurf auseinanderzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Qualität ist also noch verbesserungsbedürftig! Das habe ich mir schon gedacht!) Liebe Frau Kollegin Mihalic, daran darf ich gleich einmal anknüpfen: Mich haben Ihre Ausführungen schon etwas verwundert, weil aus Ihrer Fraktion, nämlich von Ihrem Kollegen Beck, im Herbst letzten Jahres der Vorschlag kam, dass man nicht ein Ersatzdokument einführen, sondern sogar eine Kennzeichnung des Personalausweises von potenziellen Dschihadisten vornehmen sollte. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das hat er nicht gesagt!) Mich wundert es, dass Sie in Ihrer Kritik an dem Gesetzentwurf nicht auch auf den Vorschlag Ihres Fraktionskollegen eingegangen sind, und ich frage mich, warum er heute als Mitglied des Innenausschusses nicht an dieser Debatte teilnimmt. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ist ihm nicht wichtig!) Ihr Kollege Beck wäre ja noch sehr viel weiter gegangen, und bei seinem Vorschlag wäre der Vorwurf der Stigmatisierung vielleicht sogar gerechtfertigt gewesen, weil er eben klar die Auffassung vertreten hat, man müsse den Personalausweis sogar kennzeichnen und markieren. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Das ist ein weitaus weiter gehender Vorschlag als der, den wir heute vorlegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich darf auch ein paar Worte zum Kollegen Tempel sagen: Es ist ja schön, dass Sie Ihren Schwerpunkt auf Prävention und Deradikalisierung legen. Das ist auch wichtig, und das möchte ich auch gar nicht negieren und verharmlosen. Ich halte es aber, mit Verlaub, Herr Kollege Tempel, schon für reichlich fahrlässig, dass Sie sagen: Bei diesem durchaus sehr ernst zu nehmenden Kampf gegen den islamistischen und dschihadistischen Terrorismus verlegen wir uns einseitig nur auf den Bereich der Prävention und der Deradikalisierung. – Das ist aus meiner Sicht zu kurz gegriffen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Mayer, erlauben Sie eine Frage oder einen Kommentar von Herrn Tempel? Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Selbstverständlich, sehr gerne. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Frank Tempel (DIE LINKE): Da Sie mich angesprochen haben: Sie haben hoffentlich vernommen, dass ich gesagt habe, dass die Sicherheitsbehörden durch entsprechende Gesetze natürlich ein Rüstzeug an die Hand bekommen müssen, um wirksam und aktiv arbeiten zu können, und ich habe auch gesagt, dass die Messlatte dabei sehr hoch liegen muss. Es muss also auch überprüft werden, ob die Maßnahmen geeignet sind. Ich frage Sie: Wie kommen Sie dazu, zu behaupten, dass wir einseitig nur mit Prävention arbeiten wollen, obwohl ich doch sehr deutlich gesagt habe, dass wir natürlich entsprechende Gesetze brauchen, die aber auf ihre Wirksamkeit, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit hin überprüft werden müssen? (Beifall bei der LINKEN) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Herr Kollege Tempel, ich habe Ihren Äußerungen klar entnommen, dass Sie die Gefahren des Terrorismus nicht bagatellisieren, sich aber eindeutig darauf verlegt haben, zu sagen: Man muss viel mehr tun, um zu verhindern, dass es überhaupt zu einer Radikalisierung kommt. Darauf muss doch der Schwerpunkt gelegt werden. – Dem möchte ich schon entgegentreten. Beides ist erforderlich: Wir brauchen ein großes Maßnahmenpaket, und wir sind sehr wohl auch der festen Überzeugung, dass es wichtig ist – hier sind vor allem die Länder gefordert –, (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so, das müssen dann die Länder machen, oder was?) im Rahmen von Präventionsprogrammen mehr dafür zu tun, dass jugendliche und heranwachsende Moslems erst gar nicht radikalisiert werden. Um es aber auch noch einmal klar und in aller Deutlichkeit zu sagen: Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Gesetzentwurf, den wir heute in der ersten Lesung beraten, angemessen und verhältnismäßig ist, weil die Voraussetzungen dafür, dass es zu einem Entzug des Personalausweises kommen kann, außerordentlich hoch sind. Es muss nachgewiesen werden, dass jemand einer ausländischen oder inländischen terroristischen Organisation angehört, dass er das Staatswohl gefährdende Gewalttaten vorbereitet (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gehört er vor Gericht!) und damit die Sicherheit anderer Staaten oder internationaler Organisationen gefährdet oder deutsche Verfassungsgrundsätze beeinträchtigt, dass er rechtswidrig Gewalt gegen Leib und Leben als Mittel zur Durchsetzung religiöser oder politischer Belange anwendet oder unterstützt. Es gibt ganz konkrete hohe Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit es zum Entzug des Personalausweises kommen kann. Vor diesem Hintergrund bin ich der festen Überzeugung, dass dieses Gesetz verhältnismäßig und angemessen ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch weiter gehen. Wir sollten nicht so tun, als sei allein dieses Gesetz ein Allheilmittel. Ich bin Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, sehr dankbar, dass Sie sich gestern bei dem informellen JI-Rat in Riga insoweit durchsetzen konnten, als der informelle JI-Rat gestern beschlossen hat, das Schengener Informationssystem dahin gehend zu verändern, dass in Zukunft die Kontrolle an den Schengen-Außengrenzen intensiviert wird, dass es Grenzbeamten erleichtert wird, Dokumente ungültig zu stempeln und ein- oder ausreisewillige Dschihadisten an den Grenzen festnehmen zu lassen. Das ist ein weiterer wichtiger Fortschritt im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Dafür danken wir Ihnen sehr herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ist aus meiner Sicht ein wichtiger Baustein. Das Ersatzdokument wird mit einer Gültigkeit von maximal drei Jahren ausgereicht. Wichtig ist mir, zu sagen, dass die immer wieder behauptete stigmatisierende oder diskriminierende Wirkung durch das Ersatzdokument nicht zutrifft. Hier wurde gefragt: Was ist, wenn jemand mit einem Ersatzdokument ein Bankkonto eröffnen oder eine Wohnung mieten will? Natürlich legitimiert ihn das ausgereichte Ersatzdokument, diesen Dingen in Deutschland weiterhin in vollem Umfang nachzugehen. Also, der Vorwurf der stigmatisierenden oder der diskriminierenden Wirkung dieses Ersatz-Personalausweises geht ins Leere. Wir werden diesen Gesetzentwurf zügig beraten. Wir werden ihn aber auch intensiv beraten, auch im Rahmen der von Ihnen, Frau Kollegin Mihalic, angesprochenen Sachverständigenanhörung. Ich freue mich auf diesen konstruktiven Austausch bezüglich dieses wichtigen Gesetzes, möchte aber noch einmal betonen, auch eingedenk dessen, dass man unterschiedliche Haltungen zu diesem Gesetz einnehmen kann: Bitte lassen Sie uns auch nach dieser Debatte weiterhin seriös und verantwortungsbewusst mit dieser doch sehr intensiven und gestiegenen Bedrohung umgehen. Ich glaube, das erwarten auch die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fangen Sie einmal an mit seriös!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Mayer. – Ich schließe damit die Aussprache. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Frau Präsidentin, ich hatte gesagt, ich brauche eine Minute für eine Kurzintervention!) – Das tut mir leid. Das war aber nicht ganz eindeutig. – Also gut, eine ganz kurze Kurzintervention von Herrn Frank Tempel von einer Minute. Dazu haben Sie natürlich das Recht. Frank Tempel (DIE LINKE): Meine Kurzintervention ist wirklich ganz kurz. – Da nach Herrn Binninger nun auch der Kollege Mayer wiederholt erklärt hat, ich hätte etwas gesagt, was ich aber nicht so gemeint habe, was aber anders geklungen haben soll, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Hier im Bundestag gilt bitte schön das gesprochene Wort. Bitte nehmen Sie das, was gesagt wurde, und interpretieren Sie nicht einfach, wie es klang. Ich spreche hier für meine Fraktion. Wir in unserer Fraktion entscheiden selber, was wir sagen wollen. Wir bitten darum, das zu respektieren und so zur Kenntnis zu nehmen und nicht irgendwelche Klangtöne hineinzuinterpretieren. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Herr Tempel. Entschuldigung, ich habe nicht verstanden, was Sie mir sagen wollten. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wir auch nicht!) Herr Mayer, bitte. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Kollege Tempel, ich nehme Ihre Äußerungen mit großem Respekt zur Kenntnis, möchte aber schon betonen: Ich hatte aufgrund Ihrer Rede den klaren Eindruck, dass Sie an dem Gesetz Kritik üben. Das steht Ihnen zu, das ist Ihnen unbenommen; keine Frage. Aber von Ihnen und auch von der gesamten Fraktion Die Linke kommt kein einziger gesetzgeberischer Vorschlag, wie wir die gestiegene Bedrohung angehen sollen. Von Ihnen kommt kein einziger Vorschlag, was wir denn konkret tun können, um den islamistisch-dschihadistischen Terrorismus in Deutschland zu bekämpfen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Wir haben konkrete Haushaltsanträge eingebracht!) Sie haben sich darauf verlegt, zu sagen, man müsste mehr für Prävention und für Deradikalisierung tun. Darin sind wir uns alle einig. Das ist keine große Weisheit, um das klar zu sagen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Wir haben konkrete Haushaltsentwürfe gemacht!) Aber darüber hinaus bezeichnen Sie jeden gesetzgeberischen Vorschlag, den wir einbringen, als unverhältnismäßig, nicht angemessen und untauglich. Wo bleiben denn Ihre konkreten Vorschläge? Die Bevölkerung erwartet Ihre Vorschläge. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, liebe Kollegen. Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3831 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich wünsche Ihnen eine sehr lebendige Aussprache und Debatte in den Ausschüssen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die wird es geben! Das ist sicher!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Marcus Weinberg (Hamburg), Christina Schwarzer, Ursula Groden-Kranich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sönke Rix, Susann Rüthrich, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch sicherstellen Drucksache 18/3833 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Ich bitte wie vorher, die Plätze einzunehmen oder den Saal zu verlassen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort dem ersten Redner Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen und Kollegen! Es sind nicht selten in der Geschichte Briefe, die Steine ins Rollen bringen. Es war auch diesmal ein Brief des Rektors einer Berliner Bildungseinrichtung im Jahr 2010, der einen Stein ins Rollen gebracht hat. Er hat sich bei ehemaligen Schülerinnen und Schülern für das Leid, für die sexuellen Übergriffe entschuldigt, die diesen angetan wurden. Anfang 2010 wurde das weitere Ausmaß des sexuellen Kindesmissbrauchs in Deutschland in einer Reihe von Bildungseinrichtungen bekannt: im Westen wie auch in Kinderheimen und Jugendwerkstätten im Osten. Wir alle waren damals schockiert, und wir alle sind heute noch darüber erschüttert, was sich damals abgespielt hat und wie weit verbreitet sexuelle Gewalt an Kindern ist. Heute noch müssen wir darüber sprechen, weil mehr als ein Zehntel der Bevölkerung betroffen ist. Im Jahr 2013 wurden 14 800 Taten registriert. Beratungsstellen sprechen von bis zu 100 000 betroffenen Mädchen und Jungen pro Jahr. Diese Betroffenen leiden ihr ganzes Leben an den Folgen dieser traumatischen Erlebnisse. Ich gebe die Gedanken einer Betroffenen wieder, die ihren Leidensweg öffentlich gemacht hat: Ich hatte diese Bilder nicht unter Kontrolle, es schmerzte sehr, ich war unausgeglichen, wütend, hatte Zweifel und bekam starke Selbstmordgedanken. Ich dachte, dass ich es nicht mehr aushalten kann, und wollte dem Schmerz für immer entfliehen. Diese Betroffene hat ihre Erlebnisse öffentlich gemacht. Sie hat öffentlich gemacht, wie sie nach und nach ihr Schweigen gebrochen und so gelernt hat, mit den Erinnerungen zu leben. Das Aussprechen des Erlebten ist oft von großer Bedeutung für die betroffenen Personen. Es ist aber auch für uns gesellschaftlich in der Aufarbeitung dieser Prozesse wichtig gewesen, dass Menschen sich geäußert und die Debatte damit auch angestoßen haben. Ich möchte auch ausdrücklich die vielen Vertreter von Opferverbänden begrüßen, die heute an der Debatte teilnehmen. Herzlichen Dank, dass Sie gekommen sind! (Beifall im ganzen Hause) Ich möchte mich bei Ihnen für Ihr Engagement bedanken und dafür, dass Sie diese Debatte angestoßen haben und mit viel Mut die traumatischen Erinnerungen öffentlich kundtun. Ihnen ist es zu verdanken, dass das Thema sexueller Missbrauch Minderjähriger nicht länger tabuisiert wird. Politik und Gesellschaft müssen dafür sensibilisiert werden. Denn wir wissen aus der Psychologie und der Psychoanalyse: Wer sich nicht erinnert, der verdrängt, vergisst und wiederholt. Das ist auch ein gesellschaftliches Problem bei diesem Thema. Deswegen sind die Aufarbeitung des Unrechts und der Schmerz der betroffenen Mädchen und Jungen für uns Christdemokraten ein Thema, das ganz oben auf der Agenda steht. Was haben wir getan? Wir haben, nachdem die Debatte 2010 ins Rollen gebracht wurde, im März 2010 Frau Dr. Christine Bergmann zur Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs ernannt. Dies wird fortgeführt durch Johannes-Wilhelm Rörig, den ich auch hier begrüßen darf, dem unser Dank für seine hervorragende, engagierte Arbeit in diesem Bereich gilt. Sie sind ein Lobbyist, dem wir vertrauen. Sie sind ein Lobbyist, der wichtig ist. Arbeiten Sie so engagiert weiter! Sie haben unsere volle Unterstützung. (Beifall im ganzen Hause) Wir haben auch viele einzelne Maßnahmen und Kampagnen entwickelt, zum Beispiel die Kampagne „Sprechen hilft“, eine Anlaufstelle des Unabhängigen Beauftragten. 27 000 Telefongespräche sind in diesem Rahmen geführt worden und über 5 000 Briefe eingegangen. Im März 2010 wurde der Runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ von der Bundesregierung eingesetzt. Im April 2013 fand ein Hearing statt. Seit dem 1. Mai 2013 gibt es den Fonds „Sexueller Missbrauch im familiären Bereich“, für den der Bund 50 Millionen Euro bereitgestellt hat. Wir diskutieren – gerade auch im letzten Jahr – über sehr viele einzelne Maßnahmen und weitere Gesetzesvorhaben, die die Rechte von Opfern stärken sollen, die Aufarbeitungsprozesse begleiten sollen und die Kinder schützen sollen. Dazu gehören das Bundeskinderschutzgesetz, das in diesem Jahr evaluiert wird, das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs, aber auch die ergänzenden Hilfssysteme für von sexuellem Missbrauch betroffene Menschen. Am 22. September wurde das Gesamtkonzept zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt vorgestellt. Für uns war und ist diese Debatte, auch zu diesem Zeitpunkt, wichtig, um der Erinnerungskultur Rechnung zu tragen; denn sie ist unsere gesellschaftliche Aufgabe in der Folge der damaligen Diskussionen. Neben diesen wichtigen Schritten zum Schutz von Kindern und Jugendlichen muss auch die Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs der Vergangenheit fortgeführt und intensiviert werden. Daher unterstützen wir die Einrichtung einer unabhängigen Kommission und fordern die Bundesregierung im Antrag entsprechend auf, den Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs bei seiner Arbeit zu unterstützen. Entscheidend ist dabei für uns, dass im Rahmen der Arbeit der Kommission Betroffene angehört werden und es nicht länger zu Verschleierungen kommt. Denn auch die Institutionen sind nicht aus ihrer Pflicht zu entlassen; sie müssen sich weiterhin beteiligen. Es gilt für uns, dass die Arbeit nicht ersetzt werden soll, sondern ergänzt werden muss. Die betreffenden Institutionen haben sich daran zu beteiligen. Darüber hinaus muss das Ziel aber auch darin bestehen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen: bei der Frage der Strukturen, bei der Frage, wie man Schwachstellen frühzeitig identifizieren kann, um Missbrauch in Zukunft wirksamer zu verhindern. Die Einrichtung einer unabhängigen Aufarbeitungskommission ist ein wichtiger erster Schritt. Entscheidend ist aber, dass wir hier nicht verharren. Die Aufarbeitung von Unrecht ist ein langwieriger Prozess – das wissen wir aus vielen anderen Aufarbeitungsprozessen –, der auch in den kommenden Jahren mit großer Intensität vorangetrieben werden muss. Deshalb war und ist es wichtig und richtig, die Aufarbeitung zu stärken und vor allen Dingen uns selbst wieder den Anstoß zu geben, darüber nachzudenken, was wir jeden Tag, jede Woche tun können, damit sich solche Vorkommnisse nicht wiederholen. In diesem Sinne bitten wir um Unterstützung für unseren Antrag. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Marcus Weinberg. – Nächster Redner in der Debatte: Norbert Müller für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen! Es ist Teil der menschlichen Zivilisationsgeschichte, es sollte fraktionsübergreifend unser aller Ziel sein, Gewalt aus zwischenmenschlichen, aus politischen und aus gesellschaftlichen Beziehungen zu verdrängen. Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist eine besonders schreckliche Form von Gewalt; er ist ein fundamentaler Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und körperliche Unversehrtheit und steht damit in eklatantem Widerspruch zu unserer Verfassung und zur UN-Kinderrechtskonvention. Sexueller Missbrauch von Kindern ist dabei kein Problem, das nur in – ich zitiere Pastor Klaus Mertes – „männerbündisch verengten homosozialen Strukturen des Klerus“ stattfindet; er ist ein gesellschaftliches Problem mit vielen Gesichtern. Er kann an staatlichen Einrichtungen wie an privaten Einrichtungen stattfinden. Ja, wir wissen auch: Die meisten Fälle betreffen am Ende den familiären Raum. Strafrechtlich werden sexueller Missbrauch von Kindern und Misshandlung von Schutzbefohlenen aus Sicht der Linken angemessen geahndet – sofern die Tat bekannt ist; Sie haben völlig zu Recht die hohe Dunkelziffer angesprochen. Der Missbrauch von Schutzbefohlenen verursacht gravierende seelische Wunden, verursacht Scham und Angst. Die Betroffenen leiden meist im Stillen. Nur wenige finden den Mut und die Kraft, sich als Kind oder später im Erwachsenenalter anderen anzuvertrauen. Dies ist jedoch die Voraussetzung dafür, betroffenen Menschen Unterstützung dabei zu bieten, Traumata zu verarbeiten und einen Umgang mit dem Erlebten zu finden. Was die Schaffung einer Kultur angeht, die es den Menschen ermöglicht, sich zu offenbaren und einen Umgang zu finden, sind wir in den letzten Jahren sicherlich weitergekommen. Erst durch das Bekanntwerden der Tat haben Strafverfolgungsbehörden – bei aller Verschärfung des Strafrechts – die Chance, die Täter anzuklagen und die Konstitutionsbedingungen der Tätersysteme zu analysieren und diese abzuschaffen. Hierfür braucht es Institutionen, die einen transparenten politischen und gesellschaftlichen Diskurs überhaupt erst ermöglichen und anhand der Bearbeitung konkreter Fälle die systematischen Bedingungen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen überwinden. (Beifall im ganzen Hause) Mit dem Bekanntwerden der Missbrauchsstrukturen am Berliner Canisius-Kolleg, an der Odenwaldschule, aber auch an den Jugendwerkhöfen, der Nordkirche und in vielen weiteren Fällen in den letzten fünf Jahren trat der Widerspruch zwischen Anspruch und Realität eklatant zutage. Die daraufhin seit 2010 geführte Debatte über Aufklärung, Opferinteressen, Täterbestrafung, Ursachenforschung, Entschädigung, Institutionswandel und eine offene Kultur, aber auch über Prävention haben wir immer unterstützt und befördert. Durch die Arbeit des Runden Tisches und des Unabhängigen Beauftragten wurden erste notwendige Reformen initiiert. Ich schließe mich dem Dank an Herrn Rörig an. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es hat sich allerdings gezeigt, dass beide Instrumente dem Umfang der notwendigen Aufarbeitung alleine nicht gewachsen waren. Hier, Herr Weinberg, gibt es noch ein Stück weit Differenz zwischen uns. Die Aufarbeitung von Missbrauch in Institutionen stellt diese selbst und ihren soziopolitischen Kontext infrage. Das ist notwendig und auch gut so, führt aber auch zu Abwehrreaktionen bzw. Abwehrreflexen. Betroffene Institutionen verweigern noch immer die Aufarbeitung von Unrecht unter dem eigenen Dach. Aufklärungsprozesse werden durch zu schwache Untersuchungsrechte erschwert, Akteneinsichten verwehrt oder Unterlagen vernichtet. Den vom Unabhängigen Beauftragten erarbeiteten Vorschlag für eine Kommission zur Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen begrüßen wir als Linke ebenfalls. Damit diese Kommission mit der dem Thema angemessenen Schlagkraft ausgestattet wird, bedarf es folgender vier Ergänzungen bzw. Änderungen Ihres Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition. Erstens. Die Kommission muss auf gesetzlicher Grundlage konstituiert werden. Dies stärkt die Unabhängigkeit und gleichzeitig die Handlungsfähigkeit. Notwendig ist eine Evaluation der Handlungsspielräume und Grenzen einer solchen Kommission zu Beginn der 19. Legislaturperiode. Zweitens. Die Kommission benötigt eine tragfähige und langfristige Finanzierungsgrundlage zur Bewältigung ihrer Aufgaben. Drittens. Die angedachte Befristung der Arbeit der Kommission bis zum März 2019 ist völlig unzureichend, genauso wie die Formulierung in Ihrem Antrag, dass es nur um Fälle der Vergangenheit geht; denn sexueller Missbrauch ist auch nach 2010 Thema geblieben und wird es auch in Zukunft sein. Die Linke spricht sich deswegen für die Einrichtung einer dauerhaften Kommission zur Bearbeitung auch gegenwärtiger und zukünftiger Fälle aus. (Beifall bei der LINKEN) Viertens. Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein umfangreiches Problemfeld. Die Kommission muss ihre Arbeit auf Themenbereiche konzentrieren – darin sind wir uns einig – und diese in Zusammenarbeit mit dem Unabhängigen Beauftragten und dem Betroffenenbeirat regelmäßig überprüfen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn diese vier Bedingungen Eingang finden, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, wird die Linke Ihre Forderung nach Aufarbeitung als Ziel anerkennen und ein gemeinsames Vorgehen mittragen. Wir freuen uns auf die Beratungen im Ausschuss. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Norbert Müller. – Nächste Rednerin in der Debatte ist Susann Rüthrich von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Susann Rüthrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allem liebe Gäste! Liebe Betroffene! Vielen Dank, dass Sie heute an unserer Debatte teilnehmen. Vor fünf Jahren hallte ein Aufschrei durch das Land. Der Leiter einer Berliner Bildungseinrichtung entschuldigte sich bei seinen Schülern für die jahrelange sexuelle Gewalt, die ihnen in dieser Einrichtung angetan wurde. Viele weitere Opfer fanden daraufhin den Mut, das ihnen angetane Leid ebenfalls öffentlich zu machen. Ich denke, ich spreche für uns alle: Wir erschraken über diese Art von Beziehungstaten von Menschen, die ein enges Verhältnis zu Kindern und Jugendlichen hatten. Da wären eigentlich Schutz und Begleitung beim Erwachsenwerden zu erwarten gewesen. Stattdessen missbrauchten diese Erwachsenen ihre Macht und taten ihren Schützlingen furchtbare Gewalt an. Opfer wurden sichtbar, Täter und Täterinnen ebenfalls. Doch oft wussten viel mehr Menschen im Umfeld von dem, was geschah. Doch auch sie schützten die Kinder nicht. Warum? Warum schaut man weg? Warum macht man offene Geheimnisse nicht zum Thema? Warum sind Schweigen und Tatenlosigkeit offenbar leichter zu ertragen, als Verantwortung zu übernehmen und Kindern das Leid zu ersparen, Opfer sexueller Gewalt zu werden? Antworten auf diese Fragen zu finden, das ist für mich der Grund, eine unabhängige Aufarbeitungskommission einzurichten. Wie wichtig das ist, zeigt sich, wenn wir kurz darüber nachdenken, was passieren würde, wenn wir nicht zurückschauen würden. Weitere Kinder würden Opfer, und zwar auf genau dieselbe Art und Weise, wie es viel zu viele vor ihnen wurden. Täter und Täterinnen könnten sich weiter sicher sein, dass unsere Scham, unsere blinden Flecken und unser Nicht-Wahrhaben-Wollen sie decken. Der Schutz und die Hilfe für die heutigen Kinder wären ohne sicheres Fundament, und die Prävention wäre an vielen Stellen zwar gut gemeint, aber nicht gut. Herr Rörig, der Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, sagte dazu an diesem Montag: Solange nicht alle uns bekannten Handlungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden, bleibt Missbrauch weiterhin ein Skandal in Deutschland! Genau so ist es. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Kommission wird zeigen, wo und wie wir unsere Möglichkeiten besser ausschöpfen können, um sexuelle Ausbeutung und Gewalt zu verhindern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir versetzen also den Unabhängigen Beauftragen in den Stand, die Aufarbeitung zu starten, ein Konzept zu erstellen, Fachleute aus verschiedenen Professionen zu benennen und uns bis zum Ende seiner aktuellen Amtszeit 2019 Empfehlungen zu geben, was praktisch und politisch getan werden muss, um sexuelle Gewalt an Kindern zu verhindern, und zwar in allen Bereichen, in Familien, im sozialen Umfeld, in Institutionen, bei Menschen mit und ohne Behinderung. Es wird Anhörungen geben. Bisher vorgelegte Studien und Aufarbeitungsakten werden gesammelt, gebündelt, ausgewertet. Es wird selbst geforscht und recherchiert, und am Ende wird uns ein Ergebnis vorgelegt. Doch es ist nicht nur wichtig, dass das gemacht wird, sondern es kommt darauf an, wie es gemacht wird. Da kommt es eben nicht nur auf das Konzept an, das jetzt erarbeitet wird, sondern es kommt auf uns an. Dabei rede ich noch nicht einmal davon, dass die Aufarbeitung Geld kosten wird, Geld, das wir alle werden aufbringen müssen, weil es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Viel mehr als vom Geld rede ich aber davon, dass die Kommission unsere dauerhafte und starke Unterstützung brauchen wird, und zwar gerade dann, wenn es schwer wird, sich dem zu stellen, was da auf den Tisch kommt. Es ist heute kaum absehbar, was genau zum Vorschein kommen wird. Allein die Aufarbeitung von einzelnen Fällen in einzelnen Institutionen ist schnell viel fundamentaler geworden, als sich das die Beteiligten vorher gedacht haben. Wie wird es dann erst sein, wenn wir alles zusammen betrachten, wenn der gesellschaftliche Rahmen angeschaut wird, in dem sexuelle Gewalt an Kindern möglich wird? Genau dann werden wir stark sein müssen, und zwar nicht in der Abwehr, sondern indem wir Verantwortung übernehmen. (Beifall im ganzen Hause) Am Ende steht für mich noch eines: Auch wenn die Arbeit der Kommission zeitlich begrenzt ist, haben wir hier eine Daueraufgabe vor uns, wenn wir den Skandal, den ich anfangs erwähnte, tatsächlich beenden wollen; denn es wird wohl neue Fälle geben – leider. Es wird aber auch gesellschaftliche Veränderungen geben, vielleicht zum Glück. Es wird zu prüfen sein, wie und ob die gewonnenen Erkenntnisse wirken. Um dem gerecht zu werden, braucht es den Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs unabhängig von Legislaturen und Amtszeiten auf Dauer. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Susann Rüthrich. – Nächste Rednerin in der Debatte ist Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich bin wirklich froh, dass wir heute über die Einrichtung einer Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch hier diskutieren. Obwohl in den letzten Jahren Betroffene über ihren persönlich erlebten Missbrauch gesprochen haben und auch Institutionen sich auf den Weg der Aufarbeitung gemacht haben, haben wir in Deutschland immer noch keine wirklich systematische und weitreichende Aufarbeitung. Genau dafür brauchen wir eine solche Kommission. Eine solche Kommission hat nicht nur der Unabhängige Beauftragte schon lange gefordert, sondern insbesondere die Betroffenen. Deshalb finden wir Grünen es gut, dass die Kommission jetzt auf den Weg gebracht wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich will aber auch nicht verhehlen, dass ich etwas unschön finde, wie dieses Anliegen hier zu uns ins Parlament gebracht worden ist, nämlich in Form eines Koalitionsantrags. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, das Thema „sexueller Kindesmissbrauch“ verbietet die übliche Aufstellung Opposition versus Regierung. Wir haben uns als Grüne in den letzten Wochen sehr bemüht, mit den Koalitionsfraktionen ins Gespräch zu kommen. Das ist leider nicht gewünscht gewesen. Ich finde das sehr schade, weil sexueller Kindesmissbrauch die gesamte Gesellschaft angeht, weil sie den gesamten Bundestag angeht. Es wäre wichtig, dass von uns gemeinsam ein politisches Signal ausgeht: Ja, wir wollen diese Kommission. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wenn man über die Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch spricht, steht oft im Vordergrund, Strukturen zu erkennen, die Missbrauch möglich gemacht haben, die Missbrauch befördert haben, und zwar mit dem Ziel, zukünftigen Missbrauch zu verhindern und bestmögliche Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Diese Dimension der Aufarbeitung ist natürlich extrem wichtig. Genauso wichtig ist aber auch die Dimension der individuellen Aufarbeitung, also die Möglichkeit für die Opfer, in einem geschützten Raum über erlebten Missbrauch zu sprechen, gehört zu werden und ernst genommen zu werden. Wir als Grüne haben die Vorstellung und auch den Anspruch, dass die Aufarbeitungskommission, die jetzt eingerichtet werden soll, einen solchen Raum darstellt. Ich habe am Montag am Fachgespräch des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs genau zu dieser Thematik teilgenommen, in dem vor allem die Erfahrungen mit den Prozessen der Aufarbeitung verschiedener Institutionen zusammengetragen und diskutiert wurden. In diesem Fachgespräch ist sehr klar formuliert worden – mir ist sehr wichtig, das in diesem Rahmen noch einmal zu sagen –, dass es besonders darum gehen muss, denen Gehör zu verschaffen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen nicht gut ausdrücken können, die nicht über das Erlebte gesprochen haben, die nicht gut darüber sprechen können und deren Leid in der Öffentlichkeit deshalb nicht wahrgenommen worden ist. Das sind beispielsweise Menschen mit Behinderung. Das sind Heimkinder. Das sind aber auch Menschen, die sehr jung waren, als der Missbrauch geschah. Auch für diese Menschen soll die Aufarbeitungskommission aus unserer Sicht einen Raum des Gehörtwerdens sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Da der Auftrag der Kommission, den wir heute beraten, im Antrag nur sehr knapp benannt wird, hoffe ich, dass die Kommission in ihrer Arbeit den unterschiedlichen Dimensionen der notwendigen Aufarbeitung entsprechen kann. Wir erwarten, ehrlich gesagt, dass sie dafür auch ausgestattet wird. Im Fachgespräch, das ich schon erwähnt habe, ist sehr deutlich geworden, dass es von großem Vorteil wäre, wenn die Kommission eine gesetzliche Grundlage hätte, also gesetzlich verankert würde. Das würde für den Handlungsspielraum der Kommission einfach eine deutliche Erweiterung zur Folge haben, beispielsweise was das Recht der Akteneinsicht angeht, aber auch, was die Befragung von Zeugen angeht. In die Aufarbeitungskommission werden große Hoffnungen gesetzt. Ich finde, zu Recht. Ich habe allerdings die Sorge, dass es dieser Kommission ohne diese gesetzliche Verankerung schwerfällt, diesen Hoffnungen und Anforderungen tatsächlich gerecht zu werden. Wenn ich es richtig sehe, ist eine gesetzliche Verankerung bei den Koalitionsfraktionen noch nicht vorgesehen. Ich hoffe, dass wir in den Beratungen des Antrags hier vielleicht noch zu einer anderen Lösung kommen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wie so oft ist die Finanzierung der Knackpunkt; das ist schon angesprochen worden. Da heißt es im Antrag: „im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten“. Das ist natürlich auf der einen Seite selbstverständlich; auf der anderen Seite lässt es aber auch nicht ganz so viel Gutes vermuten. Ich habe aus den Reden der Kolleginnen und Kollegen noch nicht wirklich heraushören können, was das in diesem Fall bedeutet. Für uns ist ganz klar – das möchte ich für die Grünen sagen –, dass es zusätzliche Mittel geben muss. Die Mittel für die Aufarbeitungskommission dürfen nicht aus dem Etat des Kinder- und Jugendministeriums herausgeschnitten werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich hoffe, dass wir im Rahmen der Beratungen auch hier zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Für uns ist klar: Wir begrüßen die Einrichtung der Aufarbeitungskommission ganz ausdrücklich; aber natürlich müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Zum Abschluss möchte ich noch Folgendes ansprechen: Herr Weinberg, Sie haben sich eben auf das Gesamtkonzept bezogen, das die Ministerin anlässlich des Empfangs des Unabhängigen Beauftragten vorgestellt hat. Darin war eine ganze Reihe von guten und interessanten Vorschlägen enthalten. Meine Kollegin Brantner hat vor zwei oder drei Monaten in einer Kleinen Anfrage abgefragt, welche der konkreten Vorhaben mittlerweile angegangen worden sind. Die Beantwortung dieser Anfrage war leider sehr mau: Quasi nichts von dem, was die Ministerin an dieser Stelle angekündigt hat, wurde bis dato umgesetzt. Ich finde, da haben wir eine gemeinsame Baustelle, nämlich da nachzuhaken und dafür zu sorgen, dass die guten Vorschläge, die im Raum stehen, dann auch umgesetzt werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Katja Dörner. – Nächste Rednerin in der Debatte: Christina Schwarzer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Christina Schwarzer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Das weiße Kreuz hier an meiner Jacke steht für Sicherheit und Schutz. Die Farbe Weiß symbolisiert Verletzlichkeit, die Verletzlichkeit von Kindern und Jugendlichen, die geschützt werden müssen. Das weiße Kreuz ist Symbol-träger einer bundesweiten Kampagne zum Thema „Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“. Ich trage es heute zur Erinnerung für uns alle. Uns muss bewusst sein, dass wir hier im Deutschen Bundestag auch zukünftig Teil einer großen Verantwortungsgemeinschaft sind. Aber nicht nur mit dem Tragen des weißen Kreuzes leisten wir unseren Beitrag dazu, dass die so wichtige Debatte zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im institutionellen und privaten Bereich nicht verstummt. Es darf nicht nur eine Bundestagsdebatte, sondern muss auch eine gesellschaftliche Debatte sein und bleiben. Das sind wir den Opfern schuldig, die vor fünf Jahren einen unbeschreiblichen Mut aufgebracht haben und mit ihren Qualen an die Öffentlichkeit gegangen sind. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, welche Kraft es braucht, diesen Schritt zu gehen, welche Belastungen an den Menschen zerren. Allein schon die Angst vor Unverständnis, Bagatellisierung, Ignoranz oder Leugnung hält viele Opfer davon ab, zu sprechen. Da Angst kein gutes Gefühl ist, schweigen viele. Das Wort „Danke“ ist heute schon oft gefallen. Ich glaube, man kann es nicht oft genug sagen: Danke für den Mut, den Sie bewiesen haben! (Beifall im ganzen Hause) Dieser Mut hat nicht nur dazu geführt, dass wir heute im Bundestag über dieses Thema sprechen; er ist auch Grundlage dafür, dass wir beim Unabhängigen Beauftragten eine Aufarbeitungskommission einrichten werden. Ich kann für meine Fraktion, aber sicherlich auch für das ganze Haus sagen, dass wir das sehr unterstützen – nicht nur heute, sondern über den gesamten Prozess hinweg. Ich kann Ihnen sagen – Frau Rüthrich und Herr Weinberg können das sicherlich auch –: Wir alle haben in den letzten Tagen viele E-Mails und Briefe bekommen. Ich glaube, wir lassen diese sicherlich auch Ihnen, Herr Rörig, zukommen. Vielleicht haben wir gemeinsam noch weitere Ideen dazu, wie wir vorankommen. Nachdem 2010 der Stein ins Rollen gebracht worden ist, sind über 16 000 Gespräche mit Betroffenen geführt worden. In 4 500 Briefen legten Opfer Zeugnis über ihre Leiden ab. Das zeigt: Viele Opfer wollen sprechen. Sie sagen aber auch: Danke, dass ihr uns endlich eine Stimme gegeben habt! – Wir müssen weiterhin zuhören und natürlich auch helfen. Wir müssen Zeugen sein und als Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Ich bin optimistisch gestimmt, dass diese Kommission, so wie sie vorbereitet und geplant ist – ich bin sehr beeindruckt –, eine große Stütze für die Opfer, aber auch für die Institutionen sein wird. Sie ist sorgfältig und effizient geplant und kann konkrete Ergebnisse liefern. Im Prozess der Aufarbeitung, aber auch im Bereich der Prävention kann sie uns einen großen Schritt nach vorn bringen. Die Betroffenen berichten, dass sie in eine zweite Dimension des Leidens geführt werden, wenn sie über das Erlebte sprechen. Dies bestärkt nur meine Anerkennung für ihre Offenheit. Sie sagen aber auch, dass diese Gespräche helfen, die Erinnerung und den Schmerz anzu-erkennen und aufzuarbeiten. Eine unabhängige Kommission ist meiner Ansicht nach ein guter Ansprechpartner. Ihre Mitglieder werden sorgfältig ausgewählt. Sie müssen sehr integer, vertrauenswürdig und unabhängig sein. Für die extrem intensiven und sensiblen Gespräche und Aufgaben sind diese Voraussetzungen unerlässlich. Eine Aufarbeitungskommission hilft aber auch den Institutionen, in denen Kinder und Jugendliche zu Opfern wurden. Sie müssen weiter – manchmal noch intensiver – daran arbeiten, Fälle aus der Vergangenheit aufzuarbeiten, um dadurch zukünftiges Leid vielleicht zu verhindern. Die Kommission nimmt ihnen diese Aufgabe nicht ab. Sie kann sie dabei nur unterstützen und Prozesse in Gang setzen. Aber auch viele andere Institutionen, viele Schulen oder Vereine haben noch wichtige Aufgaben zu meistern. Hier geht es darum, Missbrauch zu verhindern oder im Missbrauchsfall so schnell wie möglich zu helfen, damit Taten nicht über 30 Jahre verdrängt oder gar ignoriert werden. Wir brauchen Konzepte zum Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs. Das hat unter anderem auch der Runde Tisch empfohlen. Wie verhalte ich mich als Lehrer, wenn ein Schüler von sexuellen Übergriffen berichtet? Wie reagiere ich, wenn ich mich als Trainer zu einem Schutzbefohlenen vielleicht hingezogen fühle? Was tue ich, wenn ich den Verdacht hege, dass in meinem Freundeskreis sexuell missbraucht wird? – Die Institutionen, Schulen oder Vereine brauchen ein Konzept zur Prävention und Intervention, das ist ganz wichtig. So erhalten Verantwortliche mehr Handlungssicherheit beim Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch. Der Unabhängige Beauftragte kann hier helfen und Anleitungen geben; aktiv werden müssen jedoch die Einrichtungen selbst. Von dort wissen wir aber auch, dass Überforderung herrscht. Das müssen und wollen wir ändern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Zuhören und der Versuch, die richtigen Antworten zu finden, sind ganz besonders wichtige Punkte auf dem Weg der Aufarbeitung. Es gehört aber noch mehr dazu. Wir müssen uns auch fragen: Wie können wir verhindern, dass solche Fälle in Zukunft wieder passieren? – Hier gibt es keine Garantie, das gehört leider zur traurigen Wahrheit. Die Hilflosigkeit der Institutionen, in denen Kinder und Jugendliche zu Opfern wurden, muss in eine Bewältigungsstrategie umgewandelt werden. Dennoch dürfen und werden wir nicht aufhören, dagegen anzukämpfen, dass Kinder und Jugendliche in unserem Land von Erwachsenen, manchmal von den Erwachsenen, die sie eigentlich beschützen sollen, sexuell missbraucht werden. Der Kollege Marcus Weinberg hat vorhin schon einige Maßnahmen genannt. Ich möchte an dieser Stelle noch ergänzend die Verschärfung des Sexualstrafrechts nennen oder auch die Förderung des Netzwerkes „Kein Täter werden“ an der Berliner Charité, bei dem es um Prävention geht. Natürlich ist die Aufarbeitung selbst nicht nur Hilfe für diejenigen, die bereits zu Opfern geworden sind. Ich wiederhole mich: Es gibt hier keine Garantie. Aber ich bin fest davon überzeugt: Je lauter eine Gesellschaft über dieses Thema diskutiert, je deutlicher sie macht, dass sie solche Abscheulichkeiten nicht duldet, desto mehr potenzielle Täter können abgeschreckt werden und sich hoffentlich Hilfe suchen. Auch darum ist die Aufarbeitung so wichtig. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass diese Debatte nicht verstummt, damit der Mut der Opfer nicht umsonst war, damit ihr Mut nicht umsonst war. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Christina Schwarzer. – Nächste Rednerin in der Debatte ist die Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Caren Marks, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über ein Thema, das die gesamte Gesellschaft bewegt, bewegen muss. Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche bedeutet körperliche und seelische Qualen für die Betroffenen. Sie leiden, sie leiden ein Leben lang. Wir wissen, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt. Viele zeigen den oder die Täter nicht an, und wenn Betroffene ihr Schweigen brechen, dann oftmals erst viele Jahre später als Erwachsene. Was ich ganz besonders erschütternd finde: Wenn Missbrauch stattfindet, dann in einem hohen Maße im unmittelbaren Umfeld dieser Kinder und Jugendlichen; in Einrichtungen, in Familien. Vertrauensverhältnisse werden missbraucht. Sie werden zerstört, und das bereits im Kindesalter. Wir müssen uns heute hier vergegenwärtigen: Das Aufdecken von Missbrauchsskandalen vor fünf Jahren hat nicht dazu geführt, dass der Missbrauch ein Ende hat. Davor und danach fand und findet sexuelle Gewalt gegen Kinder und gegen Jugendliche statt; mitten unter uns. Die Öffentlichkeit nimmt dies aber nicht immer gleich stark wahr. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, vor fünf Jahren wurde der Runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ eingerichtet, der ressortübergreifend arbeitete und interdisziplinär besetzt war. Der Runde Tisch erarbeitete einen Abschlussbericht mit konkreten Empfehlungen zum Thema Missbrauch. Zudem nahm damals die Unabhängige Beauftragte, Frau Dr. Christine Bergmann, im Auftrag der Bundesregierung ihre Arbeit auf. Seitdem ist einiges geschehen. Beispielsweise wurden in den vergangenen Jahren Regelungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen weiterentwickelt, im Strafrecht Verjährungsfristen ausgeweitet sowie die Rechte von Opfern in Strafverfahren verbessert. Die Bundesregierung hat die Arbeit des Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Herrn Rörig, in dieser Legislaturperiode abgesichert. Ich begrüße Sie, Herr Rörig, sowie die Betroffenen ganz herzlich auf der Besuchertribüne. Sie verfolgen die Debatte heute. Ich sage Danke für Ihre wertvolle Arbeit und das großartige Engagement. Den Betroffenen danke ich für den Mut und den Einsatz, den sie zeigen. Auch wir sind alle darauf angewiesen in unserer Gesellschaft. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Es ist einiges geschehen, aber wir haben auch noch einiges vor. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hat ein Gesamtkonzept zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt vorgestellt. Es beruht auf dem Gedanken, dass wir gemeinsam daran arbeiten müssen, Missbrauch wirksamer zu verhindern und die Unterstützungsangebote und Hilfen für Betroffene zu verbessern. Meine Kolleginnen und Kollegen, in den vergangenen Jahren wurden Missbrauchsskandale in einigen Einrichtungen untersucht. Es ist aus Sicht der Betroffenen, aber auch aus Sicht der gesamten Gesellschaft ganz wesentlich, dass sich Institutionen mit ihrer Vergangenheit beschäftigen und sich der Verantwortung stellen, dass Schweigen gebrochen wird. Daher ist sehr gut nachvollziehbar, dass es aus dem Kreis der Betroffenen die starke Forderung nach einer unabhängigen Aufarbeitung gibt. Gewollt ist eine unabhängige, aber nicht unparteiische Aufklärungskommission; eine Kommission, die Partei für die Betroffenen ergreift. Der Koalitionsvertrag greift die Forderung nach einer unabhängigen Aufarbeitung ebenso auf wie der heute debattierte Antrag. Betroffene von sexualisierter Gewalt machen in diesen Tagen deutlich, dass sie ein starkes Mandat vom Bundestag erwarten. Die heutige Plenardebatte ist ein starkes Signal, weil das Parlament dem Anliegen der Betroffenen öffentlich Rechnung trägt, die Aufarbeitung bzw. eine Aufarbeitungskommission öffentlich einfordert und nach der Einbringung des Antrages heute das Thema weiter debattieren wird. Die -Bundesregierung ist ressortübergreifend in der Verantwortung, diesen Antrag umzusetzen. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, -Expertinnen und Experten betonen, dass die Aufklärungsarbeit nicht den Institutionen überlassen werden dürfe; denn „Täternetzwerke“ und Institutionen würden sich immer noch vereinzelt vor den Informationen schützen, die sie infrage stellen. Zudem ist es ganz besonders wichtig, den Betroffenen zuzuhören. Auch das gehört zu einer Aufarbeitung dazu. Eine unabhängige Aufarbeitungskommission, die Empfehlungen ausspricht und systematische Fehler benennt, bringt Erkenntnisse, die auch zu einem verbesserten Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt beitragen. Sie ist damit auch ein wichtiger Teil der Präventionsarbeit. Nur so schaffen wir auch eine Kultur des Hinsehens und können Rahmenbedingungen, die Missbrauch begünstigen, erkennen und ihnen wirksam entgegenwirken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Caren Marks. – Letzter Redner in dieser Debatte ist Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es wurde von meinen Vorrednern schon sehr viel Zutreffendes ausgeführt. Ich will das Positive der heutigen Debatte direkt voranstellen: Wir sind fraktionsübergreifend, losgelöst von Koalition und Opposition, in diesem Punkt ziemlich einig und auf einem guten Weg. Wir haben konsensual den Schutz der Betroffenen im Fokus. Dafür allen Vorrednern ein herzliches Wort des Dankes. (Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Dort möchte jemand eine Frage stellen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Das habe ich schon gesehen, Herr Lehrieder. Keine Angst. Meine Augen sind überall. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Ja, ich wollte Sie nur höflich darauf hinweisen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wollen Sie die Frage zulassen? Paul Lehrieder (CDU/CSU): Natürlich, ja. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Keul, bitte. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege Lehrieder. – Sie haben gerade zu Recht gesagt, dass wir konsensual dieses Vorgehen begrüßen. Ich habe noch nicht die Antwort auf die Frage meiner Kollegin Dörner gehört, warum die CDU/CSU-Fraktion darauf bestanden hat, das im Parlament nicht gemeinsam zu machen und die Opposition auszuschließen. Was ist die Antwort darauf? Paul Lehrieder (CDU/CSU): Frau Kollegin, wir werden Sie natürlich an den Debatten beteiligen. Wir ziehen Sie natürlich mit. Sie dürfen sich an diesem Werk entsprechend konstruktiv einbringen. Sie dürfen versichert sein, so wie früher bei Rot-Grün, dass eine Regierungskoalition ein gewisses Maß an Verantwortung für die Bevölkerung trägt und ein Initiativrecht hat, zu sagen: Wir bringen etwas auf den Weg, und die anderen Parteien nehmen wir dann später mit. Von daher sollten wir das nicht in parteipolitischem Klein-Klein zerreden, Frau Kollegin – Sie können stehen bleiben, ich bin noch nicht fertig –, sondern das große Ganze sehen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben!) Das wäre wichtig, im Interesse der Betroffenen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Schutz von Kindern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir alle müssen uns jedoch eingestehen – die Vorredner haben bereits darauf hingewiesen –, dass wir in der Vergangenheit beim Thema „sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in pädagogischen Kontexten“ in vielen Bereichen versagt haben. Ende dieses Monats jährt sich zum fünften Mal das Bekanntwerden der Missbrauchsskandale in Bildungseinrichtungen; alle Vorredner haben bereits darauf hingewiesen. Die 2010 in Gang gesetzte Aufklärungswelle in Bezug auf sexuellen Missbrauch in Heimen und Schulen und die Berichte der Betroffenen haben uns alle zutiefst erschüttert und beschämt. Das ganze Ausmaß der leidvollen Erfahrungen wurde uns erst nach und nach bewusst. Die gesellschaftliche und politische Debatte zu diesem Thema mag noch relativ jung sein, hinter vielen Betroffenen liegen jedoch lange Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte des Schweigens und des Leidens: nicht verarbeitete Traumata, fehlendes Vertrauen – von der Kollegin wurde bereits darauf hingewiesen – zu Personen, die mit der Erziehung, mit der Betreuung dieser Kinder beauftragt waren. Personen, denen man ein erhöhtes Maß an Vertrauen entgegengebracht hat, haben das Vertrauen erschüttert, was zu erheblichen Verletzungen in den Seelen und Körpern der betroffenen Kinder geführt hat. Das ist ganz großes Leid. Jemand, der das nicht erlitten hat, kann das wahrscheinlich nur sehr schwer nachvollziehen. Die betroffenen Kinder, Jugendlichen und auch Erwachsenen sind in den letzten Jahren zum Teil ein zweites Mal Opfer geworden, nämlich dann, wenn sie sich -jemandem anvertraut haben. So ist es gut, dass insbesondere in den letzten fünf Jahren eine gesellschaftliche Debatte in Gang gekommen ist, in der genau dieses Leid nicht stigmatisiert, sondern in der klargestellt wird: Du bist nicht schuld, wenn dir so etwas passiert ist, das ist auch anderen Kindern passiert. – Nun traut man sich, über ein Thema zu sprechen, das vor sieben, acht oder zehn Jahren gesellschaftlich noch stärker ausgegrenzt war. Wie es den Betroffenen in all den Jahren ergangen ist, vermag kaum einer von uns nachzuempfinden. Die -Opfer leiden oftmals ein Leben lang unter den Folgen des Missbrauchs – hierzu können unter anderem Flashbacks, Depressionen, Panikattacken, Suchterkrankungen, selbstverletzendes Verhalten sowie ein generelles Misstrauen gegenüber Menschen gehören –; das wird durch die Schilderungen der Menschen deutlich, die sich an die Missbrauchsbeauftragten gewendet haben. Die Betroffenen schaffen es erst zum Teil Jahrzehnte später, das Schweigen zu brechen und sich jemandem anzuvertrauen. Ich weiß, dass viele Opfer von sexuellen Übergriffen und sexueller Gewalt diese heutige Debatte verfolgen, zum Teil live vor dem Fernseher oder auf der Besuchertribüne. Ihre Courage, ihre traumatischen Erfahrungen der Vergangenheit mit der Öffentlichkeit zu teilen, verdient allerhöchste Anerkennung. Die geschilderten Erlebnisse lassen uns erschüttert und oft sprachlos zurück. Ihre Berichte haben andere Betroffene dazu ermutigt, den Missbrauch in Institutionen, Schulen und kirchlichen Einrichtungen zu thematisieren. Von vielen Kollegen wurde auf das Fachgespräch mit dem Unabhängigen Beauftragten, Herrn Rörig, im Familienministerium am vergangenen Montag hingewiesen. Wir haben uns am Rande dieser Veranstaltung darauf verständigt, Herr -Rörig, dass wir den Betroffenenrat, der im März seine Tätigkeit aufnehmen wird, anhören werden, ich hoffe, noch vor der Sommerpause. Wir müssen uns überlegen, wo wir – neben der Tätigkeit in der neu einzurichtenden unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung – helfen können. Herr Rörig, herzlichen Dank für Ihre segensreiche Arbeit. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, herzlichen Dank für Ihr konstruktives Mitarbeiten an der Lösung dieses gesamtgesellschaftlichen Problems. Wir sind auf einem guten Weg. Liebe Frau Kollegin Dörner, wir werden uns im weiteren Verfahren die guten Vorschläge der Grünen und auch der Linken sehr gerne anhören. Herzlichen Dank und schönes Wochenende. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Paul Lehrieder. – Ich schließe diese intensive, fraktionsübergreifend sehr bewegende Aussprache und wünsche Ihnen gute Weiterarbeit an diesem Thema. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3833 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich warte noch einen Moment, bis die Plätze eingenommen wurden. – Ich danke auch Ihnen auf der Besuchertribüne, dass Sie an dieser Debatte teilgenommen haben. Vielen herzlichen Dank! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Kerstin Kassner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Übernahme der Energienetze durch Stadtwerke erleichtern Drucksache 18/3745 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Kein Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Caren Lay für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Privatisierungswelle, die sich seit den 90er-Jahren vollzieht, neigt sich nun hoffentlich bald ihrem Ende zu. Viele Kommunen wollen die Netze für Strom- und Gasversorgung, die sie an private Betreiber übergeben, zum Teil verhökert haben, nun wieder zurück. Der Zeitpunkt dafür ist genau richtig; denn bis zum Jahr 2016 werden über 2 000 Netzverträge auslaufen. Das ist also eine Riesenchance für die kommunalen Stadtwerke. (Beifall bei der LINKEN) Netze in öffentlicher Hand haben so manchen Vorteil: Die Preise können im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher moderat gestaltet werden, die Gewinne bleiben bei den Kommunen und können sinnvoll reinvestiert werden. Wir als Linke sind überzeugt: Auch für die Energiewende ist es gut und richtig, die Netze zurück in öffentliche Hand zu bringen; denn dezentraler Energieversorgung gehört die Zukunft. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Demokratisch kontrollierte Stadtwerke sollen aus unserer Sicht eine ganz zentrale Rolle bei der Energiewende spielen. Das wollen auch immer mehr Kommunen. Leider werden sie durch die derzeitige Rechtslage viel zu oft daran gehindert. Die privaten Betreiber und die Energiekonzerne denken überhaupt nicht daran, auf dieses einträgliche Geschäft zu verzichten, und ziehen vor Gericht – selten ohne Erfolg. Eine Vielzahl von Vergabeverfahren wurde aufgehoben. Teilweise wurden die Rekommunalisierungen rückabgewickelt, so geschehen beispielsweise in Meschede und in Olsberg sowie in der Gemeinde Bestwig. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte hier die Konzessionsvergabe der Städte an die jeweiligen Stadtwerke gekippt. Ein anderes Beispiel, das derzeit durch die Presse geht, ist die Stadt Berlin. Deswegen freue ich mich, dass der Antrag, den wir heute in den Bundestag einbringen, über den wir heute diskutieren, auch von der Fraktion der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus eingebracht wird mit der Zielstellung, dass die Länder endlich einmal eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen. (Beifall bei der LINKEN) Man muss sagen, dass der Bund bisher nicht gerade hilfreich ist, das Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur jedenfalls nicht. Ja, das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen existiere, aber bei der Konzessionsvergabe, so sagen sie es, eben nur im Rahmen des Wettbewerbs. Andere Kriterien – regionale Wirtschaftskreisläufe, Bürgernähe, ökologischer Anspruch – fallen hinten herunter. In der Praxis sind die Privaten dann häufig im Vorteil. Grundlage dafür ist ein gemeinsamer Leitfaden der beiden Bundesbehörden aus dem Jahr 2010. Das ist zwar kein Gesetz, sondern nur ein Leitfaden, aber aufgrund der unklaren Rechtslage wird dieser Leitfaden häufig wie ein Gesetz behandelt. Auch ein Urteil des BGH vom Dezember des letzten Jahres bestätigt diese Auffassung. Ich muss dazu einfach einmal sagen, dass ich das völlig absurd finde: Das Grundgesetz garantiert den Vorrang der kommunalen Selbstverwaltung, und wir müssen im Bundestag durch Schaffung einer klaren Rechtslage dafür sorgen, dass dieser Vorrang der kommunalen Selbstverwaltung endlich eingehalten werden kann. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt, ehrlich gesagt, überhaupt keinen Grund dafür, dass die deutsche Interpretation übereifrig über das hinausgeht, was die Europäische Union vorschreibt. Ich bin sehr froh, dass wenigstens dagegen jetzt Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht wurde, in diesem Fall von der Stadt Titisee-Neustadt. Ich hoffe, dass diese Klage erfolgreich ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bevor es weitere Klagen gibt und wir auf die Entscheidungen warten müssen, sollten wir im Bundestag schnellstmöglich für Rechtssicherheit sorgen. Ich finde, wir brauchen schnellstmöglich eine rechtliche Klarstellung; denn es kann nicht sein, dass Kommunen, die öffentliche Stadtwerke und öffentliche Netze wollen, durch eine unklare Rechtslage auf Bundesebene daran gehindert werden. Diesbezüglich müssen wir endlich Rechtssicherheit herstellen. (Beifall bei der LINKEN) Die Frage ist doch, ob die Kommunen tatsächlich selbst entscheiden können, ob sie Aufgaben der Daseinsvorsorge selbst erbringen oder an Dritte vergeben. Deswegen fordern wir hier auch, dass die Möglichkeit der Inhouse-Vergabe ganz klar rechtlich geregelt wird. (Beifall bei der LINKEN) Der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund und auch der Verband kommunaler -Unternehmen sehen das genauso. Sie protestieren seit Jahren gegen diese eben erläuterte erhebliche Einschränkung. Auch Sie vertreten die Auffassung, dass die EU-Konzessionsrichtlinie Inhousevergaben direkt an die kommunalen Stadtwerke eindeutig ermöglicht. Ich darf hier aus einer Erklärung von Februar 2012 zitieren; diese ist jetzt nun schon drei Jahre alt. Dort heißt es: Beim Wettbewerb um Strom- und Gasnetzkonzes-sionen darf das Recht auf kommunale Selbstverwaltung nicht eingeschränkt werden. Wir fordern im Rahmen der derzeitigen Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes klare Regelungen für eine rechtssichere Konzessionsvergabe, die auch kommunale Netzübernahmen ermöglichen. In einer Presseerklärung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes vom letzten November wurde diese Forderung noch einmal ganz klar wiederholt. Ich finde, zu Recht; denn auch im Koalitionsvertrag wurde versprochen, an dieser Stelle Rechtssicherheit herzustellen. Aber auf diese Rechtssicherheit warten die Kommunen, warten die Stadtwerke bis heute. Ich finde, das kann so nicht bleiben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Laut Presseberichten ist es Bundeswirtschafts- und -energieminister Gabriel selbst, der angeblich hinter den Kulissen auf die Bremse tritt, vielleicht um Zeit für die privaten Betreiber und die Energiekonzerne zu schinden. Zeit ist hier im wahrsten Sinne des Wortes Geld, Geld, das die Kommunen derzeit gut gebrauchen könnten. Gelingt es nicht jetzt, die Netze in öffentliche Hand zu übernehmen, ergibt sich die nächste Chance erst in 20 Jahren. Das geht so nicht. Wir brauchen schnellstmöglich eine rechtliche Klarstellung. Ich bitte daher um Unterstützung unseres Antrags. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Jens Koeppen für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Jens Koeppen (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über die Rekommunalisierung der Energienetze. Beim Durchlesen des Antrages – ich lese Ihre Anträge tatsächlich – habe ich festgestellt, dass er mir unwahrscheinlich bekannt vorkommt. Nach einer kurzen Recherche fand ich heraus, dass Sie in der Tat vor fünf Jahren den Antrag „Energienetze in die öffentliche Hand“ gestellt hatten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, wir bleiben am Ball! Wenn Sie es gemacht hätten, hätten wir heute keinen Antrag gestellt! – Caren Lay [DIE LINKE]: Wir stellen den Antrag auch in Berlin, weil es richtig ist!) – Genau. – Beim Lesen beider Anträge habe ich festgestellt: Der jetzige Antrag ist eine Blaupause. Es gibt leichte Veränderungen, aber letztendlich müssen wir Ihnen genau das, was wir Ihnen vor fünf Jahren schon gesagt haben, auch dieses Mal sagen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht haben Sie ja etwas dazugelernt!) In dem Antrag, Frau Kotting-Uhl – es ist nicht Ihr Antrag; aber ich spreche Sie an, weil Sie sich gerade einmischen –, geht es um Folgendes. (Caren Lay [DIE LINKE]: Was sagen Sie denn jetzt zur Sache?) – Locker, ich habe neun Minuten Redezeit. (Caren Lay [DIE LINKE]: Ja!) Sie fordern mehr Staat, weniger Markt, eine verklausulierte Verstaatlichung von Netzbetreibern und eine Rekommunalisierung ohne Risikobewertung. Das können wir natürlich aus den folgenden drei Punkten nicht mittragen. Der erste Punkt ist: Das Modell „Mehr Staat und weniger privat“ ist kein Erfolgsmodell. (Zuruf der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Ich kenne keine Volkswirtschaft auf der Welt, in der dieses Modell wirklich zum Erfolg geführt hat. Ich selbst habe 28 Jahre lang in einer Volkswirtschaft gelebt, in der man sich in der Tat redlich darum bemüht hat. Es hat aber nicht zum Erfolg geführt, hat nicht dazu geführt, dass dieses Modell „Staat vor Markt“ gegriffen hat. Eine Verstaatlichung ist keine Garantie für Erfolg, ganz im Gegenteil. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Und Privatisierung schon gar nicht!) Rekommunalisierungen müssen immer die Ausnahme bleiben. Sie haben vorhin auf die kommunale Selbstverwaltung abgehoben. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Genau!) Kommunale Selbstverwaltung heißt aber nicht, dass eine Kommunalisierung per se dort erfolgt, wo es in irgendeiner Art und Weise möglich ist. Deswegen haben wir das Subsidiaritätsprinzip. (Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) – Lassen Sie mich doch einmal ausreden, dann werden Sie vielleicht klüger. Dann müssen Sie den Antrag nicht ein drittes Mal stellen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn Sie es machen, dann müssten wir unseren Antrag nicht mehr stellen!) Das Subsidiaritätsprinzip besagt eindeutig, dass die Aufgabenverteilung, die Aufgabenerledigung so erfolgt, dass zuerst der Private mit seiner privaten Initiative, mit seiner privaten Eigenverantwortung dran ist. Erst dann, wenn das nicht möglich ist, wenn das nicht greift, ist die öffentliche Hand an der Reihe. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist nicht der Kern der Subsidiarität!) Die Kommunalverfassungen der Länder lassen eine Rekommunalisierung schon jetzt zu. Es gibt nämlich eine schwache und eine starke Subsidiarität. Die schwache Subsidiarität besagt, dass Kommunen es genauso gut machen müssen wie private Unternehmen. Die starke Subsidiarität besagt, dass es Kommunen besser machen müssen als private Unternehmen. Das müssen wir beachten. Wenn Sie dieses System infrage stellen, stellen Sie generell die Systemfrage. Das wollen wir Ihnen nicht durchgehen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das hat doch mit diesem Inhalt überhaupt nichts zu tun! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Stadtwerke und die Systemfrage? Also wirklich!) Der zweite Grund dafür, dass dieser Antrag überflüssig ist: Stadtwerke haben bereits jetzt die Möglichkeit, Netze zu übernehmen. Wenn Sie sich einmal die Mühe machen würden, zu recherchieren, welche Stadtwerke welche Netze übernommen haben – das ist übrigens in großer Zahl geschehen –, dann würden Sie sehr schnell fündig werden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. In der Kreisstadt Prenzlau in der Uckermark gibt es ein Stadtwerk, und es wurden natürlich auch Netze übernommen. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wer ist denn da Bürgermeister? – Weiterer Zuruf von der LINKEN) – Das ist falsch, junge Frau. Da sind Sie aber richtig auf dem Holzweg. Seit dem dritten Energiebinnenmarktpaket gibt es die Entflechtung zwischen Betrieb und Erzeugung; das wird Ihnen ja bekannt sein. Wenn Sie sagen: „Es gibt keine rechtlichen Grundlagen“, muss ich Ihnen antworten: Die rechtliche Grundlage ist das Energiewirtschaftsgesetz. (Caren Lay [DIE LINKE]: Ja! Das müsste geändert werden!) Aus Ihrer Sicht muss eine Novelle her, aus unserer Sicht nicht, weil dort alles Notwendige geregelt ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Koalitionsvertrag steht aber was anderes bei Ihnen! – Gegenruf des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Im Koalitionsvertrag steht viel! – Gegenruf der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, nehmen Sie etwa Abstand von Ihrem Koalitionsvertrag?) Sie sagen: Es muss keine Risikobewertung geben. – Aber im Energiewirtschaftsgesetz ist ganz klar geregelt: Es muss eine Risikobewertung geben, und es gilt das Prinzip der Subsidiarität. Das heißt, das Stadtwerk muss es nachweislich besser machen als ein privater Dritter, und zwar zum Vorteil des Kunden. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, kann das Stadtwerk natürlich einen Antrag stellen und das Netz übernehmen. Sie haben auf die Transparenz abgehoben. In der Tat wünscht sich das eine oder andere Stadtwerk bei der Übernahme, dass es mehr Transparenz gibt und dass die Daten offengelegt werden: die Kundendaten, die Daten zum Netzbetrieb, zu den Kosten und zu allem, was dazugehört. Aber die Gefahr besteht natürlich darin, dass es zu Rosinenpickerei kommt. Denn wenn man alle Daten offenlegt und sagt: „Das ist ein Netz, das gut läuft“, dann entscheidet man aufseiten des Stadtwerkes vielleicht: Dies wird nicht übernommen; aber das, was gut läuft, wird übernommen. – Das geht natürlich nicht. Hier besteht also die Gefahr der Rosinenpickerei. Auch aus diesem Grund müssen wir Ihren Vorschlag ablehnen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was erzählen Sie denn da?) Drittens. Die Netze sind nicht per se eine Cashcow. Einen Goldesel mit Netzen wird es bei einer Übernahme nicht geben. Es besteht die Möglichkeit – das sagen die Stadtwerke, die Netze übernommen haben –, eine zusätzliche Säule aufzubauen. Aber das ist keine Garantie für Gewinn. Man braucht definitiv ein gutes Management, man braucht unternehmerische Abwägung, und man muss vor allen Dingen mit einem großen Investi-tionsbedarf rechnen. Damit, dass man einfach nur sagt: „Ich übernehme ein Netz, damit ist es gut, und ich mache einen großen Gewinn“, ist es nicht getan. Es besteht das Risiko eines großen Investitionsbedarfs, eines Investitionsbedarfs, der in die Millionen geht. Deswegen muss hier genau abgewogen werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird alles reguliert von der Bundesnetzagentur! Haben Sie davon schon mal was gehört?) Außerdem muss man die Versorgungssicherheit gewährleisten; auch das ist nicht ganz einfach. Man muss völlig neue Strukturen, Servicebereiche und Abteilungen aufbauen und Mitarbeiter einstellen. Man hat ganz andere Fixkosten und Lohnkosten. All das muss abgewogen werden. Damit, dass man einfach nur sagt: „Ich übernehme ein Netz“, ist es nicht getan. Auch ein Scheitern ist möglich. Wenn ein Stadtwerk scheitert, dann haben die Verluste Auswirkungen auf die anderen Aufgaben der Verwaltung, nämlich auf die Aufwendungen für Kitas, Schulen, Vereine, Musikschulen, Infrastruktur usw. Das alles muss beachtet werden. Mein Fazit im Hinblick auf Ihren Antrag lautet: Stadtwerke sind natürlich keine karitativen Einrichtungen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Koeppen, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Lay? Jens Koeppen (CDU/CSU): Bitte schön. Caren Lay (DIE LINKE): Verehrter Herr Kollege Koeppen, ich möchte Sie erstens fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, dass ich nicht die Ansicht vertreten habe, dass sich alle Kommunen zwingend um eine Neuvergabe bemühen müssen. Zweitens. Sind Sie, wie ich, der Auffassung, dass die Kommunen, wenn sie es wollen – in der Stadt Titisee-Neustadt beispielsweise ist man parteiübergreifend der Auffassung, dass die Netze in kommunale Hand überführt werden sollten –, wenigstens nicht durch eine ungeklärte Rechtslage auf Bundesebene behindert werden sollten? Das Stichwort „Energiewirtschaftsgesetz“ haben Sie genannt, den Leitfaden der beiden Bundesbehörden habe ich erwähnt. Durch diese Regelungen wird eine rechtssichere Übernahme offenbar behindert. Sonst würde es nicht so viele Urteile geben, die zur Folge haben, dass eine Rekommunalisierung rückabgewickelt werden muss. Insofern frage ich mich, ehrlich gesagt, ob Sie diese Position verstanden haben und ob Sie mir zustimmen, dass schnellstmöglich eine Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz kommen muss. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jens Koeppen (CDU/CSU): Ich habe die Position natürlich verstanden; aber ich kann ihr nicht zustimmen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In den Koalitionsvertrag haben Sie etwas anderes geschrieben!) Ich habe Ihnen doch gesagt: Es gibt viele Stadtwerke, die Netze übernommen haben. Sie müssen sich einmal die Mühe machen, zu recherchieren, wie viel Netze – auch erfolgreich – übernommen wurden. Natürlich gibt es hier und da Klagen; da müssen Sie schauen, warum geklagt wird. Aber wenn Stadtwerke aus welchen Gründen auch immer ein Netz nicht übernehmen können – das wird vielleicht eine Handvoll Stadtwerke betreffen, vielleicht auch mehr –, dann können Sie doch nicht das Energiewirtschaftsgesetz, das sonst hervorragend funktioniert und die Übernahme von Netzen erlaubt, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es funktioniert an der Stelle überhaupt nicht!) dafür verantwortlich machen, dass es in dem betreffenden Fall nicht läuft. Das funktioniert so nicht. Deswegen kann ich Ihre Auffassung nicht teilen. Ich bin auch nicht der Meinung, dass es generell eine Rekommunalisierungswelle geben muss. Warum auch? Es ist doch nicht so, dass ein privater Netzbetreiber per se schlechter arbeitet als Stadtwerke – wo steht denn das geschrieben? Ich habe doch vorhin gesagt, was alles beachtet werden muss. Deswegen muss man alles genau abwägen und darf eine Rekommunalisierung nur durchführen, nachdem wirklich das gesamte Risiko bewertet wurde. Stadtwerke sind auch nicht prinzipiell und per se – auch wenn das immer so dargestellt wird; Sie haben ja aufgezählt, was da alles Tolles entstehen kann – karitative Unternehmen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Behauptet das jemand?) sie sind keine Eier legenden Wollmilchsäue, sie dürfen auch keinen riesigen Bauchladen vor sich her tragen, sondern Stadtwerke sind im Prinzip für die Daseinsvorsorge da. (Caren Lay [DIE LINKE]: Dazu gehört die Energieversorgung!) Wenn ich beobachte, was in den Stadtwerken teilweise passiert, drängt sich mir der Eindruck auf: Das hat etwas mit der Daseinsberechtigung zu tun: Viele Leute werden in die Verwaltung eingestellt; man übernimmt die Müllversorgung, den Rettungsdienst, die Spaßbäder, die Kinos, die Friseurläden, macht Catering. Das ist nicht die Aufgabe der Stadtwerke! (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Da kann ich Ihnen sehr viele Stadtwerke benennen, insbesondere im Bundesland Brandenburg, wo so etwas immer wieder gemacht wird. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schaffen Sie doch die Stadtwerke generell ab!) Das mit einem solchen Bauchladen muss auch nicht immer gutgehen. Deswegen sage ich Ihnen ganz deutlich, dass unter dem Deckmantel der Rekommunalisierung eine Verstaatlichung der Netze und eine Enteignung der Netzbetreiber nicht stattfinden darf und auch nicht stattfinden wird; da sind wir davor! (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ideologe pur! Das ist doch Ideologie, was Sie da ablassen!) Damit es nicht zu einem dritten Antrag kommen muss, mache ich Ihnen einen Vorschlag: Am 20. März – entweder Sie fahren selbst hin oder schicken Ihre Referenten – findet in Düsseldorf ein Praxisseminar vom Behörden Spiegel – also frei jeglicher Lobbyistendiskussion – zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen statt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Behörden Spiegel ist frei von jeder Lobbyistendiskussion? Ist ja toll! – Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Da können wir doch Frau Lay hinschicken!) Da wird unter anderem beraten: Was für rechtliche Bedingungen gibt es? Sind die notwendig? (Caren Lay [DIE LINKE]: Nachhilfe brauchen wir nicht, aber ein besseres Gesetz!) Reichen die aus? – Mir wurde gesagt: Das jetzige Gesetz ist völlig ausreichend. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat Ihnen das erzählt?) Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei diesem Seminar. (Caren Lay [DIE LINKE]: Machen Sie doch einfach ein gutes Gesetz!) Ihnen allen ein schönes Wochenende. (Beifall bei der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Mein Gott!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Koeppen, ich habe gedacht, am Freitagnachmittag haben wir hier einen Punkt, wo man vielleicht mal eine gemeinsame große Linie findet. Den Vortrag von Ihnen, den ich gerade gehört habe, werde ich allen CDU-Bürgermeistern, die ich kenne, empfehlen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch den CSU-Bürgermeistern! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nicht den Bürgermeistern, den Wählern muss man das sagen! Den CDU-Wählern!) dass die mal lesen, was Sie hier erzählen. Das hat erstens mit der Sache überhaupt nichts zu tun und zweitens auch nichts mit den Debatten in den Kommunen, wo es um die Frage geht: Was machen wir, wenn ein Konzessionsvertrag ausläuft? – Da kann ich Ihnen eines sagen: Sie haben im Jahr 2011 ein Energiewirtschaftsgesetz verabschiedet, in dessen § 46 – darum geht es, das ist der Punkt an der Stelle – geregelt ist, dass die Kommune das Wegerecht, das sie besitzt, nutzen kann, indem sie das Netz selber betreibt oder jemand anders damit beauftragen kann, ein anderes Stadtwerk oder, von mir aus, auch einen Energiekonzern. (Zuruf von der CDU/CSU: Kann sie doch machen! Ist doch Gesetzeslage!) Das ist verfassungsrechtlich verankert. Uns geht es darum, dass die Kommune selber frei entscheiden kann, was sie tun will: Will sie ein eigenes Stadtwerk gründen – was wir als Grüne immer wieder unterstützen würden; das soll sie tun! – oder wechselt sie den Energiekonzern? – Das geht aber im Moment nicht. Sie haben nämlich 2011 das Gesetz so geändert, so verunklart, dass bei jedem Fall, wo ein Energiekonzern heute der Netzbetreiber ist und die Kommune sich entscheidet, einen anderen Netzbetreiber zu beauftragen oder die Netze selber in die Hand zu nehmen, das Ganze vor Gericht landet. Ich kenne keinen einzigen Fall in Deutschland – keinen einzigen Fall –, wo das aufgrund Ihrer schwarz-gelben Novelle ohne Gerichtsprozesse gelaufen ist. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Unfug!) Das führt im Ergebnis dazu, dass es eine totale Rechtsunsicherheit gibt. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Denken Sie an Pinocchio!) Dass Sie das selber erkannt haben, kann ich ja Ihrem Koalitionsvertrag entnehmen; denn darin steht ja, dass die Rechtsunsicherheit beim Übergang der Netze beseitigt werden soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Caren Lay [DIE LINKE]: Richtig! Das steht da drin!) Also: Gibt es nun ein Problem, oder haben Sie einen Koalitionsvertrag unterschrieben, den Sie überhaupt nicht verstanden haben? Ich sage Ihnen ehrlich eines: Wir haben Sie 2011, zusammen mit den Kollegen von den Sozialdemokraten und den Linken, nach vielen Sachverständigenanhörungen – das war die Debatte um den Atomausstieg und die Energiegesetze, die dann nachfolgten – darauf hingewiesen: So geht das nicht. – Sie haben keine Regelung dazu geschaffen: Wie ist der Kaufpreis? Wenn ein Netz übergeht, was muss der zahlen, der das Netz vom anderen übernimmt? – Das ist völlig unklar. Sie haben keine Kriterien festgelegt, sondern haben sich allgemein auf § 1 des Energiewirtschaftsgesetzes bezogen. Da stehen widersprüchliche Aussagen dazu, was ein Energienetz erbringen soll. Das führt zu Rechtsunsicherheit. Am Ende ist an jeder Stelle geklagt worden. Das ist Ihnen gesagt worden. Das haben Ihnen alle Sachverständigen gesagt. Das hat Ihnen damals die Opposition gesagt. Das ist in den Protokollen alles nachzulesen. Und es ist genau so eingetreten. Sie können zum Behörden Spiegel gehen, zu anderen Veranstaltungen – die gibt es im Dutzend in diesem Land –, und da werden Sie überall die gleiche Antwort bekommen: So, wie es jetzt ist, ist es völlig untragbar, weil es ein Beschäftigungsprogramm ist für Gerichte, für Berater und für Anwälte. Daran haben manche vielleicht Spaß, weil sie damit Geld verdienen. Aber den Kommunen nutzt es nichts. Die können nicht frei entscheiden, was sie mit ihrem Netz machen wollen, ob sie die Energieversorgung, das Netz in die eigene Hand nehmen oder ob sie einen Dritten beauftragen wollen. Jetzt habe ich die Hoffnung an die Kollegen der SPD – wir haben hier in der letzten Wahlperiode sogar gemeinsame Gesetzesinitiativen vorgelegt –, dass an der Stelle jetzt auch umgesetzt wird, was im Koalitionsvertrag steht. Aber nachdem ich den Vortrag vom Kollegen Koeppen gehört habe, scheint das ja noch eine größere Überzeugungsaufgabe zu werden. Wir werden Sie da nicht aus der Verantwortung entlassen. Auch an der Stelle müssen Sie liefern, was Sie in der letzten Wahl-periode versprochen haben. Das werden Ihnen auch die kommunalen Spitzenverbände sagen, die unisono meinen: So, wie es jetzt ist, muss sich das an der Stelle ändern. Ich sage Ihnen auch noch: Ich glaube, dass die Regelung damals in § 46 nicht nur miese Gesetzgebung war; es war nicht einfach nur schlecht, es war mit Absicht schlecht. Denn Sie verfolgten ein ganz bestimmtes Ziel. Da war der Ausstieg aus der Atomkraft; es gingen den Energiekonzernen Geschäftsfelder verloren. Da haben Sie ganz bewusst gesagt: Wir machen ein schlechtes Gesetz, das Rechtsunsicherheit schafft, weil das nämlich dazu führt, dass dann, wenn Gemeinderäte, Bürgermeister sagen: „Wir wollen einen anderen Netzbetreiber, wir wollen weg von dem Energiekonzern, der das Netz heute betreibt“, sie sich vor Ort rechtfertigen müssen, ob sie jahrelange Gerichtsauseinandersetzungen eingehen wollen, ob sie sich mit der Rechtsabteilung eines Konzerns auseinandersetzen wollen. Viele tun das nicht – das gilt gerade für kleine Gemeinden im ländlichen Raum; eben wurden hier auch Namen genannt; ich könnte da Dutzende Beispiele aus Nordrhein-Westfalen aufzählen –, weil sie das einfach nicht verantworten können. Sie können diese Auseinandersetzung nicht auf sich nehmen. Ich sage Ihnen: Sie haben das mit voller Absicht gemacht. Nachdem ich Ihre Rede heute gehört habe, kann ich daraus nur den Schluss ziehen: Sie wollen das genau so weitertreiben. Sie wollen eben nicht zulassen, dass eine Kommune frei über ihr Strom- und Gasnetz entscheiden kann. Sie wollen es bei der Rechtsunsicherheit belassen, damit das Netz am Ende bei einem der von Ihnen offensichtlich immer noch geliebten Energiekonzerne bleibt und nicht die Kommune die Handlungsmöglichkeiten hat. Da haben wir einen völlig anderen Ansatz. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Kann schon sein! Deswegen regieren Sie auch nicht!) Wir wollen, dass die Kommunen frei entscheiden können, wie sie ihre Netze betreiben wollen, ob sie es selber machen oder ob sie ein anderes Stadtwerk damit beauftragen oder ob sie sich am Ende für den Verbleib bei einem Energiekonzern entscheiden. Das sollen die dann selber wissen. Aber dazu muss das Energiewirtschaftsgesetz in § 46 geändert werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Krischer, achten Sie bitte auf die Zeit. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Sie den Antrag der Linken ablehnen, werden wir in nächster Zeit noch einmal eine konkrete Gesetzesinitiative im Rahmen einer EEG-Novelle einbringen. (Florian Post [SPD]: Wir sind schon dabei!) Dann haben Sie die Debatte wieder. Das wird Ihnen nicht verloren gehen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Johann Saathoff hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Jetzt bin ich echt gespannt!) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von den Linken, ich freue mich, dass wir heute darüber sprechen, wie wir die Kommunen bei der Vergabe von Netzkonzessionen unterstützen können. Bevor ich Bundestagsabgeordneter wurde, war ich nämlich nicht nur Bürgermeister einer Gemeinde in Ostfriesland, sondern auch Geschäftsführer einer Gesellschaft, die die Energienetze rekommunalisieren sollte, als der Konzessionsvertrag nach zwölf Jahren auslief. Deshalb kann ich Ihnen sagen: Die Entscheidung für die Übernahme der Energienetze darf man sich auf keinen Fall leicht machen. Die Sympathie der Räte für die Rekommunalisierung der Energienetze wächst. Mit der Übernahme des Netzbetriebes durch Kommunen verbinden sich viele Hoffnungen – manchmal sogar die letzte Hoffnung. Mit Ihrem Antrag springen Sie genau auf dieses Pferd. Man darf eine solch weitreichende Entscheidung aber keinesfalls übereilt treffen. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im schlimmsten Fall kommen auf die Kommune finanzielle Lasten zu, die sie jahrelang handlungsunfähig machen. Aus meinen Erfahrungen kann ich berichten, dass ein Ausschreibungsverfahren auch Vorteile haben kann: Die Gemeinde muss sich erst einmal ausführlich mit dem Netz beschäftigen (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, völlig klar! Das tut sie auch!) und entsprechende Netzdaten erheben. Erst dann erfährt die Gemeinde, wie viele Meter Leitung auf einen Abnehmer kommen, welche Kosten für den Netzbetrieb und die Instandhaltung entstehen, (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr solltet euch mit dem Koalitionsvertrag beschäftigen!) und natürlich auch, was bei welchem Risiko verdient werden kann. Um die Position der Kommune zu stärken, wollen wir in der Koalition dafür sorgen, dass die Altkonzessionäre ihrer Pflicht zur Datenübermittlung an die Gemeinden auch nachkommen. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Absolut!) Durch mehr Transparenz fällt es den Kommunen leichter, in den Verhandlungen mit dem Netzbetreiber ein für sie positives Ergebnis zu erzielen, und das ist unser Ziel. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Ja, genau!) In diesem Fall gibt es auch kein Schwarz-Weiß. Sie stellen es in Ihrem Antrag so dar, als würde immer ein großer Energiekonzern – ein Privater, wie Sie ihn nennen – gegen die kleine Gemeinde stehen. Tatsächlich gibt es aber eine ganze Reihe von Kooperationsmöglichkeiten, durch die die Gemeinde Teil einer Netzbetriebsgesellschaft wird, ihre Ziele verfolgen und zusätzlich einen größeren finanziellen Nutzen aus dem Netzbetrieb ziehen kann als vorher. Das Geschäftsmodell der Rekommunalisierung besteht schließlich einzig und allein aus der Zinstransformation. Es gibt für von der Bundesnetzagentur akzeptierte Investitionen im Netz 9,05 Prozent Verzinsung. Geld auf dem Kapitalmarkt bekommt man bekanntlich wesentlich günstiger. Außerdem können die kommunalen Belange auch heute schon in den Ausschreibungen berücksichtigt werden. Die vielen neuen Stadtwerke haben sich in den letzten Jahren ja trotz der aktuellen Rechtslage gegründet. Bei der Gewichtung von Ausschreibungskriterien sehe ich noch deutlich mehr Spielraum als bei der Inhouse-Vergabe an Eigenbetriebe. Wie schon mehrfach gesagt, haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir in diesem Bereich etwas tun werden. Beim Bewertungsverfahren sehe ich auch einen dringenden Handlungsbedarf – gerade im Fall einer Rekommunalisierung. Egal ob die Kommune einen viel zu hohen Betrag an den Altkonzessionär zahlen muss oder ob dieser sie wegen eines vermeintlich viel zu niedrigen Betrages verklagt: Beide Fälle bedeuten für die Städte und Gemeinden ein enormes finanzielles Risiko, und von diesem Damoklesschwert wollen wir sie befreien. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie sich ganz bewusst sind, was Ihr Antrag in der Praxis bedeuten kann. Ich will hier einmal aus meinen Erfahrungen berichten: Die Rekommunalisierung zu erleichtern, kann nämlich auch bedeuten, dass man die Privatisierung der Netze erleichtert. Um die Netze übernehmen zu können, benötigen die allermeisten Kommunen Partner, und zwar auf zwei Ebenen: Zum einen macht es Sinn, Kommunalverbünde zu gründen, um eine gewisse Mindestgröße zu haben, damit man Marktmacht hat und bei der Auftragsvergabe angemessen auftreten kann. Zum anderen benötigen die Kommunen aber auch ausreichend Eigenkapital für den Kauf und vor allen Dingen für die Finanzierung der Netze. (Caren Lay [DIE LINKE]: Ja, das ist doch gut!) Das besorgen sich die in der Regel klammen Kommunen, indem sie sogenannte strategische Partner mit in die Netzgesellschaft aufnehmen, und das ist natürlich ein Partner aus der Privatwirtschaft. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Saathoff, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Krischer? Johann Saathoff (SPD): Aber selbstverständlich, Frau Präsidentin. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Aber nur, wenn es etwas Schlaues ist! – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das ist aber wahrscheinlich nichts! – Gegenruf der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist immer was Schlaues!) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Saathoff, ich verstehe, ehrlich gesagt, Ihren Vortrag nicht ganz. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Er versteht es nicht!) Johann Saathoff (SPD): Das kann ich nachvollziehen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie reden hier darüber, was der Rat einer Gemeinde, einer Stadt diskutieren muss, wenn der Konzessionsvertrag ausläuft. Dieser wird dann entweder verlängert, oder er wählt einen neuen Konzessionsnehmer. Dabei muss er sich all diese Fragen stellen: Habe ich das technische Know-how? Kann ich das selber machen? Habe ich das Kapital? Will ich das überhaupt? Gehe ich das Risiko ein? – Das alles ist richtig. Das ist hier aber gar nicht unser Punkt; darum geht es hier gar nicht. Es geht allein um die Frage: Wollen Sie den Kommunen die Möglichkeit eröffnen, wie es eigentlich im Energiewirtschaftsgesetz angelegt und verankert ist, selbst frei zu entscheiden, indem Sie die rechtlichen Hürden und die Rechtsunklarheit, die 2011 durch die letzte große EnWG-Novelle hervorgerufen wurden und Übertragungen unmöglich machen, beseitigen, oder wollen Sie im Grunde genommen alles so lassen, wie es ist? Johann Saathoff (SPD): Herr Kollege Krischer, als erste Nachfrage zu einer meiner Reden hätte ich mir schon eine etwas intelligentere Frage gewünscht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn? – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben es ja gleich gesagt!) Ich sage Ihnen auch, warum. Ich habe deutlich gemacht, dass es bestimmte Bereiche gibt, in denen wir Handlungsbedarf sehen, zum Beispiel bei der Frage der Bewertung der Netze: Nach welchen Verfahren bewerten wir die Netze? Wie müssen die Preise ermittelt werden? Das können Sie aus meiner Sicht durchaus bemängeln und sagen: Da besteht für die Kommunen eine Rechtsunsicherheit. Da muss Abhilfe geschaffen werden. – Das habe ich gerade vorgetragen. Als Sie mich mit Ihrer Frage unterbrochen haben, ging es darum: Was passiert eigentlich, wenn man nicht ausreichend über das, was man vorhat, nachdenkt und die Rahmenbedingungen nicht ausreichend berücksichtigt? (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wollen Sie das nicht den Kommunen überlassen?) Ein Beispiel aus der Praxis möchte ich Ihnen gerne mitgeben, damit Sie sehen, dass es nicht automatisch richtig ist, Netze zu privatisieren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das behaupte ich ja gar nicht! Nur die, die es wollen!) Das kann durchaus richtig sein, aber es muss nicht automatisch richtig sein; das sage ich Ihnen noch einmal in aller Deutlichkeit. Wir von der SPD-Fraktion sind natürlich dafür, dass die Kommunen bei der Beantwortung der Frage: „Wollen wir die Netze selber betreiben, oder soll das eine Netzgesellschaft machen?“ freier sind als bisher. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Die noch bestehenden Beschränkungen wollen wir aufheben. Ich habe Ihnen von dem Bewertungsergebnis berichtet. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das hat er nicht gehört!) Aber auf der anderen Seite muss diese Entscheidung gut abgewogen werden, man muss schon ganz genau nachdenken. Von daher ist es richtig, Zeit zu haben, sich mit dem bisherigen Energieversorger auseinanderzusetzen und sich über die Übertragung Gedanken zu machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt berichte ich über meine Erfahrungen, warum Rekommunalisierung – Herr Krischer, es wäre schön, wenn Sie dann nicht auf Ihr Handy guckten – auch eine Privatisierung bedeuten kann. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie aufhören, abzulesen!) Um die Netze übernehmen zu können, benötigen die allermeisten Kommunen auf zwei Ebenen Partner. Zum einen sind das die Kommunalverbünde; das habe ich gerade gesagt. Zum anderen brauchen die Kommunen für die Finanzierung der Netze Eigenkapital. Das machen sie in dem Fall so, dass sie sich einen strategischen Partner besorgen. Das heißt, sie suchen sich einen Partner aus der Privatwirtschaft. Dieser Partner will in der Regel um die 50 Prozent haben. Manche sagen: 49 Prozent reichen mir. – Es gibt aber auch welche, die sagen: Es ist mir wichtig, 51 Prozent zu haben. – Das heißt, dieser Partner aus der Privatwirtschaft liefert das Eigenkapital und hat damit die Sicherheit, dass 50 Prozent dessen, was am Netz verdient werden kann, in die private Hand geht. Im Fall Ostfriesland sah die Situation so aus, dass der Altkonzessionär ein Unternehmen im Besitz der Landkreise war. Durch die Rekommunalisierung wären die Netze auch in die Hände eines Privatunternehmens gelangt, wären also zu 50 Prozent in den Händen einer Kommune, aber eben auch zu 50 Prozent in den Händen eines Privatunternehmens. Damit liegt eher eine Privatisierung als eine Kommunalisierung vor. Was das für Arbeitsplätze usw. bedeutet hätte, brauche ich hier nicht vorzustellen. Es hat gutgetan, sich die Angelegenheit im Verfahren mehr als einmal durch den Kopf gehen zu lassen und mit dem privaten Versorger eine Lösung zu finden, damit das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird. „Sacht loopen kummt van sülmst“ bedeutet, dass man mit einiger Erfahrung eher gründlicher als zügiger wird. In diesem Fall ist das auch gut so. Daher wollen wir den Kommunen durch die Vergaberegeln Gelegenheit geben, sich ausreichend Gedanken vor der endgültigen Entscheidung zu machen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eher Lebensberatung als Rechtsberatung, was Sie gemacht haben!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Karl Holmeier. (Beifall bei der CDU/CSU) Karl Holmeier (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Antrag der Fraktion Die Linke soll die Übernahme der Energienetze durch Stadtwerke erleichtert werden. Wieder einmal suggeriert die Linke den Menschen, dass sie der Bundesregierung die politischen Themen diktiert. Genau das Gegenteil ist der Fall. (Lachen bei der LINKEN) Wir bestimmen den Weg, und Sie laufen uns hinterher. (Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Caren Lay [DIE LINKE]: Aber beim Mindestlohn war es genau umgekehrt!) Das Thema der Rekommunalisierung beschäftigt uns schon seit vielen Jahren. Es wurde bereits gesagt, dass es absehbar ist, dass in der nächsten Zeit viele Netzkonzessionen auslaufen, die vor 20 Jahren vergeben wurden. Wir haben das Thema daher in unserem Koalitionsvertrag aufgegriffen. Es heißt dort – das wurde schon einmal angesprochen –: Wir werden das Bewertungsverfahren bei Neuvergabe (z. B. bei der Rekommunalisierung) der Verteilernetze eindeutig und rechtssicher regeln sowie die Rechtssicherheit im Netzübergang verbessern. (Caren Lay [DIE LINKE]: Dann machen Sie es doch auch!) So steht es in unserem Koalitionsvertrag. Aus diesem Grund arbeitet die Bundesregierung aktuell an einem entsprechenden Gesetzentwurf zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes. Sie fordern in Ihrem Antrag, die Energienetze wieder in die Hände der Kommunen zu geben, Stichwort -„Rekommunalisierung“. Als langjähriger Bürgermeister kann ich Ihnen umfassend über die Stärken der Kommunen berichten. Die Kommunen nutzen nämlich die Möglichkeiten, die sich ihnen bieten. Ich habe zum Beispiel in meiner Gemeinde ein eigenes kommunales Breitbandnetz aufgebaut. Das war eine richtige Entscheidung. Sehr verehrte Damen und Herren, ich traue unseren Kommunen sehr viel zu und kann jede Kommune nur beglückwünschen, wenn sie den Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern sucht und sich dem auch stellt. Kommunen übernehmen zum Teil auch eine tragende Rolle in der Energieerzeugung. In meiner Heimat betreiben viele Kommunen Hackschnitzelkraftwerke und Biomassekraftwerke, alle mit großem Erfolg. Es kann daher für alle Beteiligten nur von Vorteil sein, wenn sich Kommunen zum Beispiel auf der Ebene von Zweckverbänden zusammenschließen und über das Thema diskutieren und wenn Möglichkeiten geschaffen werden, selbst ein Stromnetz zu betreiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aus meiner Sicht machen energiewirtschaftliche Tätigkeiten von Kommunen aber nur dann Sinn, wenn sie tatsächlich geeignet sind, Marktstrukturen zu verbessern. Das muss geprüft werden. Eine Rekommunalisierung um jeden Preis darf es nicht geben. Rekommunalisierung darf keine Flucht in öffentlich-rechtliche Rechtsformen sein, um die Kartellaufsicht zu unterlaufen und von den Bürgern höhere Gebühren einzufordern. Eine Kommune muss wirtschaftlich arbeiten. Daher kommt eine Konzessionsübernahme für mich nur in Betracht, wenn sie tatsächlich wirtschaftlich ist und nicht zulasten der Effizienz geht. Eine Zersplitterung der Netze muss verhindert werden. Je kleinteiliger die Netze sind, desto höher ist der Regulierungsaufwand. Ein hoher Regulierungsaufwand birgt die Gefahr von Kostensteigerungen. Diese werden am Ende beim Endverbraucher abgeladen. Auch dazu darf es nicht kommen. Es gibt also eine Menge zu beachten, wenn wir die Rahmenbedingungen gesetzgeberisch neu auf den Weg bringen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns die Bundesregierung bald einen ausgewogenen Regelungsentwurf vorlegen wird. Was ich ablehne, ist die von den Linken geforderte Inhouse-Vergabe der Netze an kommunale Unternehmen. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Warum?) Die Übernahme eines bisher privatwirtschaftlich betriebenen Energienetzes durch die Kommune selbst würde erhebliche europarechtliche Probleme aufwerfen. Sie könnte der EU-Kommission den Anlass bieten, die geltende sogenannte De-minimis-Regelung in der EU-Energiebinnenmarktrichtlinie grundsätzlich infrage zu stellen. Meine Damen und Herren, die De-minimis-Regelung ist vor Jahren auf deutschen Wunsch in die EU-Energiebinnenmarktrichtlinie aufgenommen worden. Sie ist für die Kommunen, die Stadtwerke haben, von ganz großer Bedeutung. Durch die Sonderregelung werden die überwiegend kleineren und mittleren Stadtwerke im Gegensatz zu den großen Energieversorgungsunternehmen von einer Reihe aufwendiger Pflichten, zum Beispiel der Gründung einer separaten Netzgesellschaft, befreit. Es muss also sehr wohl abgewogen werden, welchen Weg wir in dieser Sache einschlagen wollen. Ich freue mich daher schon jetzt auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung und auf die inhaltliche Diskussion im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Florian Post das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Florian Post (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte nie erwartet, dass am Freitagnachmittag zu diesem Punkt so eine doch aufgeheizte Debatte stattfindet. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch nicht!) Aber es geht um ein wichtiges Thema. Denn das sonst vielleicht langweilig erscheinende Thema Konzessionsvergabe rückt in der ganzen Energiewendedebatte und auch in der Diskussion um die Rekommunalisierung immer mehr in den Blickpunkt. Seit 2007 haben über 80 Kommunen eigene Stadtwerke neu gegründet und 200 Gemeinden selbst Konzessionen für Stromnetze übernommen. Dazu zählen Großstädte wie Stuttgart, Dresden und Hamburg, aber auch kleinere Kommunen wie Putzbrunn in Bayern mit 6 300 Einwohnern. Allein in Bayern laufen bis 2017 mehr als 200 Konzessionsverträge aus. Wir sagen deutlich, dass Kommunen ebenso für eine preiswerte, sichere und effiziente Stromversorgung sorgen müssen wie ein privater Mitbewerber. Der Kollege Holmeier hat schon aus dem Koalitionsvertrag zitiert. Ich hoffe, dass dieser Punkt im Koalitionsvertrag nach wie vor Gültigkeit hat. Da steht eindeutig, dass wir die rechtlichen Rahmenbedingungen der Netzübergabe konkretisieren, damit es keine Rechtsunsicherheit für die Kommunen gibt. Insofern kommen wir Ihrer Forderung, Frau Kollegin Lay, nach. Sie haben ja nichts anderes gefordert, als hier Rechtssicherheit herzustellen. (Caren Lay [DIE LINKE]: Nur wann?) Der Koalitionsvertrag – zum Nachlesen: Seite 59 –, ist da sehr eindeutig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ja noch kein Gesetz! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht es auch!) Wir werden noch in diesem Jahr das Gesetzesvorhaben auf den Weg bringen (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt gerade aber etwas anderes erzählt!) und es mit Ihnen zusammen, Herr Krischer, verabschieden; ich freue mich schon auf die Diskussionen im Wirtschaftsausschuss. Dann werden wir auch klarstellen, dass die kommunalen Betriebe bzw. die Kommunen schon jetzt Vorteile bei der Vergabe von Konzessionen haben, beispielsweise durch die Gewichtung der in § 1 des Energiewirtschaftsgesetzes definierten Kriterien der Versorgung, nämlich möglichst sicher, preisgünstig, verbraucherfreundlich, effizient und umweltverträglich. Es kann nicht sein – auch das wurde schon richtig bemerkt –, dass private Konkurrenten oder auch Kommunen mit zu hoch angesetzten Kaufpreisen, überzogenen Entflechtungskosten und damit verbundenen jahrelangen Rechtsstreitigkeiten solche Verfahren und Prozesse in die Länge ziehen. Diesem ungerechten Abschreckungsverhalten werden wir mit rechtlichen Klarstellungen und Informationspflichten entgegentreten. Es ist für uns wichtig, dass ein gesunder, offener und diskriminierungsfreier Wettbewerb zwischen Kommunen und privaten Betreibern herrscht und dass die Bürgerinnen und Bürger einen optimalen Netzbetrieb in Städten und Gemeinden erhalten. Einen Blankoscheck für Kommunen, der darin bestünde, einem kommunalen Unternehmen grundsätzlich den Vorrang zu geben, lehne ich allerdings ab. Wenn ein kommunales Unternehmen in das Bieterverfahren eintritt, muss das kommunale Unternehmen selbstverständlich mindestens genauso gut wie der private Anbieter sein, um den Zuschlag erhalten zu können. Denn der kommunale Betrieb ist kein Selbstzweck, sondern muss immer dem Wohle der Bürger dienen und sich an objektiven Kriterien messen lassen. Wir wollen einen gesunden, offenen und diskriminierungsfreien Wettbewerb herstellen, der keine Gräben zwischen öffentlicher und privater Wirtschaft schafft. Durch Wettbewerb und oft auch durch Kooperationen können wir die Effizienzpotenziale der freien Wirtschaft nutzen und sie mit gemeinwohlorientierten kommunalen Zielen wie Verbraucher- und Umweltschutz verbinden. Eine Stadt oder Gemeinde, für die eine diskriminierungsfreie Ausschreibung mit selbstgewählter Gewichtung der Versorgungsziele und kommunalem Eigeninteresse als Nebenziel allerdings eine zu hohe Hürde für den neu zu gründenden Netzbetreiber darstellt, ist dann vielleicht nicht unbedingt der beste Akteur, um das Netz zu betreiben. Das muss man natürlich einsehen. Die energiepolitische Kernfrage nach dem richtigen Betreiber eines Stromnetzes hat viele verschiedene richtige Antworten. Für die optimale Lösung ist es wichtig, dass wir die rechtlichen Rahmenbedingungen, wie im Koalitionsvertrag eindeutig festgelegt, konkretisieren und den Kommunen hier Rechtssicherheit geben. Ich bin mir sicher, dass wir hier in der Koalition, aber auch in der AG Wirtschaft und Energie und im Ausschuss gut zusammenarbeiten werden; denn es ist ein wichtiges Thema, das sich nicht für Parteiengezänk eignet. (Caren Lay [DIE LINKE]: Ja, das stimmt allerdings!) Ich muss zugeben – das fällt mir schwer –: Der Kollege Krischer hat schon viel Richtiges zu diesem Thema gesagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das möchte ich ausdrücklich loben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke!) Ich bin mir sicher, dass wir hier eine intelligente und zukunftsfähige Lösung im Sinne der kommunalen Daseinsvorsorge finden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3745 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 4. Februar 2015, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles Gute. (Schluss: 15.39 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 30.01.2015 Dr. Brandl, Reinhard CDU/CSU 30.01.2015 Dr. Castellucci, Lars SPD 30.01.2015 Dr. Fabritius, Bernd CDU/CSU 30.01.2015 Gabriel, Sigmar SPD 30.01.2015 Groß, Michael SPD 30.01.2015 Groth, Annette DIE LINKE 30.01.2015 Heiderich, Helmut CDU/CSU 30.01.2015 Dr. Hendricks, Barbara SPD 30.01.2015 Henn, Heidtrud SPD 30.01.2015 Hochbaum, Robert CDU/CSU 30.01.2015 Hübinger, Anette CDU/CSU 30.01.2015 Jelpke, Ulla DIE LINKE 30.01.2015 Jung, Andreas CDU/CSU 30.01.2015 Kaczmarek, Oliver SPD 30.01.2015 Kapschack, Ralf SPD 30.01.2015 Kiesewetter, Roderich CDU/CSU 30.01.2015 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 30.01.2015 Kühn-Mengel, Helga SPD 30.01.2015 Dr. Launert, Silke CDU/CSU 30.01.2015 Lenkert, Ralph DIE LINKE 30.01.2015 Ludwig, Daniela CDU/CSU 30.01.2015 Lühmann, Kirsten SPD 30.01.2015 Möhring, Cornelia DIE LINKE 30.01.2015 Özoğuz, Aydan SPD 30.01.2015 Rawert, Mechthild SPD 30.01.2015 Dr. Scheer, Nina SPD 30.01.2015 Schimke, Jana CDU/CSU 30.01.2015 Schön (St. Wendel), Nadine CDU/CSU 30.01.2015 Schwabe, Frank SPD 30.01.2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 30.01.2015 Storjohann, Gero CDU/CSU 30.01.2015 Strothmann, Lena CDU/CSU 30.01.2015 Tank, Azize DIE LINKE 30.01.2015 Timmermann-Fechter, Astrid CDU/CSU 30.01.2015 Weber, Gabi SPD 30.01.2015 Wegner, Kai CDU/CSU 30.01.2015 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 30.01.2015 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 1. bis 5. Oktober 2012 Drucksachen 18/3522, 18/3762 Nr. 1.1 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2014 Drucksache 18/760 (neu) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Forschung und Innovation 2014 Drucksache 18/1510 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Die neue Hightech-Strategie – Innovationen für Deutschland Drucksache 18/2497 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/3765 Nr. A.1 Ratsdokument 16046/14 Drucksache 18/3765 Nr. A.2 Ratsdokument 16391/14 Verteidigungsausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.105 EP P7_TA-PROV(2013)0380 Drucksache 18/419 Nr. A.106 EP P7_TA-PROV(2013)0381 Drucksache 18/419 Nr. A.107 Ratsdokument 12773/13 Drucksache 18/3362 Nr. A.10 Ratsdokument 11620/14 Drucksache 18/3477 Nr. A.3 Ratsdokument 14908/14 Drucksache 18/3618 Nr. A.1 Ratsdokument 15075/14 Drucksache 18/3618 Nr. A.2 Ratsdokument 15193/14 Drucksache 18/3618 Nr. A.3 Ratsdokument 15365/14 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 18/1524 Nr. A.10 Ratsdokument 8925/14 Drucksache 18/1524 Nr. A.11 Ratsdokument 8997/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.51 Ratsdokument 11112/14 Anlagen 7908 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 83. Sitzung, Berlin, Freitag, den 30. Januar 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 83. Sitzung, Berlin, Freitag, den 30. Januar 2015 7909 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 7974 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 83. Sitzung, Berlin, Freitag, den 30. Januar 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 83. Sitzung, Berlin, Freitag, den 30. Januar 2015 7973