Plenarprotokoll 18/86 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 86. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 16: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vierter Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ – (Berichts-zeitraum: Juni 2010 bis Mai 2014) Drucksache 18/3213 8141 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Aner-kennung für Peacekeeper in internationa-len Friedenseinsätzen Drucksachen 18/1460, 18/3931 8141 B Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA 8141 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) 8143 C Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) 8145 D Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8147 D Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 8150 C Thorsten Frei (CDU/CSU) 8152 A Josip Juratovic (SPD) 8153 B Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) 8154 B Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8155 D Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) 8156 A Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) 8157 B Tagesordnungspunkt 17: Unterrichtung durch die Bundesregierung: 13. Sportbericht der Bundesregierung Drucksache 18/3523 8158 D Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 8159 A Dr. André Hahn (DIE LINKE) 8161 A Detlev Pilger (SPD) 8162 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8163 C Eberhard Gienger (CDU/CSU) 8165 A Frank Tempel (DIE LINKE) 8166 C Michaela Engelmeier (SPD) 8167 D Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8169 D Johannes Steiniger (CDU/CSU) 8171 A Jeannine Pflugradt (SPD) 8172 C Gudrun Zollner (CDU/CSU) 8173 D Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) 8175 B Reinhard Grindel (CDU/CSU) 8176 D Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nationales Konversionsprogramm entwi-ckeln – Umwandlung der Militärwirt-schaft in eine Friedenswirtschaft ermög-lichen Drucksache 18/2883 8178 C Katrin Kunert (DIE LINKE) 8178 D Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) 8180 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8181 D Bernd Westphal (SPD) 8183 A Ingbert Liebing (CDU/CSU) 8184 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8185 C Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 8186 B Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Daniela Ludwig, Barbara Lanzinger, Klaus Brähmig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabrie-le Hiller-Ohm, Hiltrud Lotze, Burkhard Bli-enert, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der SPD: Kulturtourismus in den Re-gionen weiterentwickeln Drucksache 18/3914 8187 C Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 8187 D Kerstin Kassner (DIE LINKE) 8188 D Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 8190 A Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8191 C Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin BMWi 8192 C Daniela Ludwig (CDU/CSU) 8193 C Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Provenienzforschung stärken – Bessere Rahmenbedingungen für einen angemessenen und fairen Umgang mit Kulturgutverlust schaffen Drucksache 18/3046 8195 A Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8195 A Ansgar Heveling (CDU/CSU) 8196 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) 8198 A Burkhard Blienert (SPD) 8198 D Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 8200 A Metin Hakverdi (SPD) 8201 B Nächste Sitzung 8202 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 8203 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 8204 A Inhaltsverzeichnis 86. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. Februar 2015 Beginn: 9.00 Uhr Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Guten Morgen! Nehmen Sie bitte Platz. Die Sit-zung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie Zu-satzpunkt 4 auf: 16 Beratung der Unterrichtung durch die Bun-desregierung Vierter Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Frie-denskonsolidierung“ (Berichtszeitraum: Juni 2010 bis Mai 2014) Drucksache 18/3213 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-ten Agnieszka Brugger, Dr. Franziska Brant-ner, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Anerkennung für Peacekeeper in in-ternationalen Friedenseinsätzen Drucksachen 18/1460, 18/3931 Zu dem Bericht der Bundesregierung liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlos-sen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen: Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! In ungefähr drei Stunden werde ich in Richtung München zur Münchner Si-cherheitskonferenz abreisen, wo wir – Sie ahnen es – eine Debatte über die Lage in der Welt und über die Vielzahl und Gleichzeitigkeit ernsthafter Krisen rund um den Erdball führen werden. Natür-lich werden wir über die ganz akuten Krisen disku-tieren, die uns alle miteinander beschäftigen: -Syrien, Irak, Libyen, und über die, die uns geogra-fisch am nächsten ist, die in der Ukraine. Ich sage das, weil wir in München vermutlich nicht über die Vielzahl der verhinderten Krisen re-den werden. Aber das macht die Arbeit der Kri-senprävention, über die wir heute Morgen reden, nicht weniger wichtig. Das Paradox der Präventi-on ist: Am erfolgreichsten ist sie immer dann, wenn sie niemand bemerkt, wenn eben keine Bil-der von Krieg und Gewalt die Fernsehbildschirme zu Hause erreichen. Vielleicht hat sich gerade dann aktive Außenpolitik in diesem Sinne für Kri-senprävention gelohnt. Deshalb sage ich zu Anfang: Wir dürfen gerade inmitten von Krisen nicht nachlassen, den Krisen von morgen vorzubeugen. Das ist meine Über-zeugung, und dafür müssen wir arbeiten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN) Viele im Hause erinnern sich – das dürfte in-zwischen mehr als zehn Jahre her sein –, dass die damalige Bundesregierung den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedens-konsolidierung“ auf den Weg gebracht hat. Das war schon damals dringend notwendig, und ich freue mich darüber, dass das Engagement für diesen Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik zugenommen hat. Allein die Haushaltsansätze im Auswärtigen Amt haben sich seit der Zeit – ich habe dieser Tage einen Blick darauf geworfen – ungefähr verzehnfacht. Im laufenden Haushalt stehen ungefähr 150 Millionen Euro zur Verfü-gung, die wir hoffentlich im Laufe der Legislatur-periode mit Ihrer Hilfe mindestens verstetigen können. Damit wird etwas möglich – deshalb ist mir das wichtig – jenseits des aktuellen Krisenmanage-ments. Dies wird zwar weiter erforderlich sein, aber es wird zudem etwas möglich, was ich gerne unter der Überschrift der vorsorgenden Außenpoli-tik zusammenfasse. Das ist nicht nur die passen-de Überschrift für den Aktionsplan Zivile Krisen-prävention, sondern auch, wie ich finde, für den mutigen Dienst der vielen Hundert zivilen Exper-ten aus Deutschland in Friedensmissionen rund um den Globus, für das Engagement des Zent-rums für Internationale Friedenseinsätze und auch für die Arbeit der Friedensforschungsinstitute, die Krisenfrüherkennung und zivile Lösungsansätze erforschen. Deshalb möchte ich in dieser Rede all denjenigen, die hier genannt sind, auch einmal meinen Dank und den Dank des Hohen Hauses sagen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damals vor zehn Jahren – ich erinnere mich zu-rück – haben wir durchaus bewusst mit dem Be-griff der vorsorgenden Außenpolitik Anleihe an manche innen- und sozialpolitische Diskussionen genommen, die wir hier im Lande auch vor unge-fähr zehn Jahren – ein bisschen länger ist es her – geführt haben. Damals haben wir gesagt: Lieber früh ins Bildungssystem investieren als später zu viel in Arbeitslosengelder. Oder: Lieber früh in die soziale Stadt investieren als später in eine dann notwendige Kriminalitätsbekämpfung. Genau aus diesem Ansatz bzw. dieser Annähe-rung ist auch der Begriff der vorsorgenden Au-ßenpolitik entstanden, bei dem man immer vorne-weg sagen muss: Natürlich gibt es keine Garantie für den Erfolg. Es gibt natürlich keine Garantie da-für, dass immer da, wo wir mit vorsorgender Au-ßenpolitik unterwegs sind, auch tatsächlich keine Krisen ausbrechen. Nur eines bleibt, glaube ich, richtig: Man sollte lieber vorsorgend, gezielt und flexibel in Stabilität und Frieden investieren, um nicht spät oder zu spät eingreifen zu müssen. Deshalb müssen wir auch die Debatte fortführen, die seit dem letzten Jahr mit größerer Intensität über Verantwortung in der Außenpolitik in Deutschland läuft. In München wird das ganz si-cher geschehen; sie wird dort – wie aber auch hier und in anderen öffentlichen Foren – geführt wer-den. Sie wissen: Ich stehe für einen Instrumenten-kasten der Außenpolitik, den man tatsächlich auch in seiner ganzen Bandbreite anwenden sollte. Die-ser Werkzeugkasten ist viel reichhaltiger gefüllt, als das in der öffentlichen Debatte immer wieder gesagt wird. In München oder anderswo könnten jetzt wieder Stimmen laut werden, welche die Au-ßenpolitik auf die Ultima Ratio verkürzen und des-halb die Alternativen „entweder endloses fruchtlo-ses Geschwätz“ oder „Auslandseinsätze der deut-schen Bundeswehr“ aufmachen. Das sind die fal-schen Alternativen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazwischen gibt es viel mehr Instrumente, denen wir uns zuwenden müssen. Worum geht es wirklich bei vorsorgender Au-ßenpolitik und Krisenprävention, liebe Kolleginnen und Kollegen? Dabei geht es vor allen Dingen um die Stärkung von Staatlichkeit. Das ist ein müh-sames Geschäft, und manchmal sieht man nach fünf oder zehn Jahren den Erfolg, den wir uns wünschen, immer noch nicht. Diese mühsame Ar-beit bleibt aber notwendig, weil wir wissen, dass die fragilen Staaten von heute – da, wo staatliche Strukturen zu erodieren drohen – die Krisenstaa-ten von morgen werden. Deshalb müssen wir die-se Staaten im wahrsten Sinne des Wortes ertüch-tigen. Das können wir nicht in erster Linie mit Waffenlieferungen machen, sondern vor allen Dingen durch Stärkung von staatlichen Funktionen wie Justiz, Verwaltung, Gesundheit und Bildung. Das ist der Grund dafür, weshalb wir – das wird in der deutschen Öffentlichkeit nicht diskutiert – zum Beispiel in Tunesien, Burundi und Niger sowie im Tschad in Polizeiausbildung investieren. Wir wol-len ein Mindestmaß an Sicherheit für die dortige Bevölkerung erreichen. Gernot Erler ist jetzt nicht hier. Er könnte sich aber gut erinnern, dass wir vor wenigen Jahren mit einer frühzeitigen Investition – durch Beratung bei der Koalitionsbildung in Kenia nach der dama-ligen Wahl – vielleicht sogar eine bürgerkriegs-ähnliche Situation verhindert -haben, indem wir zu verhindern halfen, dass der selbst-ernannte Ge-winner und der vermutete Verlierer der damaligen Präsidentschaftswahl in eine gewaltsame Ausei-nandersetzung miteinander gerieten. Wir küm-mern uns auch weiterhin um Kenia – ein Land, in dem die Lage, wie Sie wissen, immer noch nicht einfach ist. Wir bauen in diesem Land jetzt eine Kammer für Völkerstrafrecht am Obersten Ge-richtshof auf. Das ist Stärkung von staatlichen In-stitutionen. Es ist Einübung in justizielle Verfahren sowie in Verlässlichkeit von Verwaltung. Das braucht unendlich viel Zeit und Geduld. Wir müs-sen hoffen, dass sich das lohnt. Diese Stärkung von staatlichen Funktionen ver-suchen wir auch bei der Bewältigung der Folgen der syrischen Flüchtlingstragödie zu berücksichti-gen. Warum? Weil wir auf die Flüchtlinge achten müssen, denen wir humanitäre Hilfe zuteilwerden lassen müssen. Das ist klar, und dafür steht die-ses Hohe Haus auch. Dafür haben wir Mittel zur Verfügung gestellt – mehr als andere Staaten. Außerdem müssen wir immer wieder auch sehen, dass die Nachbarstaaten, insbesondere Jordanien und der Libanon, unter dem Ansturm der Vielzahl der Flüchtlinge zusammenzubrechen drohen. Im gemeinsamen Interesse der Flüchtlinge und der Region, aber auch in unserem Interesse, muss uns deshalb daran gelegen sein, die staatli-chen Funktionen dort zu erhalten und den Staaten auch jenseits von humanitärer Hilfe zu helfen, mit diesen Sonderbelastungen in diesen Jahren der Syrienkrise fertigzuwerden. Das tun wir, indem wir neben der humanitären Hilfe Mittel dafür bereit-stellen. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Stärkung regionaler und multilateraler Strukturen. Im Rahmen der Stärkung der Zusammenarbeit zwischen uns und der Afrikanischen Union zum Beispiel bilden wir afrikanische Polizisten für Peace-Keeping-Operationen aus. Daneben unter-stützen wir die Afrikanische Union bei einem ganz wichtigen Großprojekt, das nicht sehr bekannt ist: Die Afrikanische Union hat vor, bis zum Jahre 2017 umstrittene Grenzverläufe in Afrika zu identi-fizieren, die Grenzen zu markieren und sie mög-lichst zwischen den Staaten zu vereinbaren. Das verlangt technische Unterstützung, aber auch eine Umsetzungshilfe, an der wir uns ebenfalls beteili-gen. Ein dritter Schwerpunkt ist die Friedensmediati-on, damit Gesellschaften in Post-Konfliktstaaten nicht erneut in Gewalt abgleiten, wenn der eigent-liche Konflikt vorüber ist. Dazu zwei Beispiele: Erstens. In der nächsten Woche werde ich, wenn die Dinge so laufen, wie ich mir das wün-sche, in Südamerika sein – am Schluss der Reise auch in Kolumbien. Bei dem Versöhnungsprozess, der in Kolumbien jetzt hoffentlich ansteht, stehen wir auf Bitte des Präsidenten Santos Calderón, der vor wenigen Wochen hier in Berlin war und um Unterstützung gebeten hat, beratend zur Seite. Wir nehmen ganz konkrete Projektvorschläge dorthin mit, die wir gemeinsam mit der Gedenk-stätte Berlin-Hohenschönhausen entwickelt haben. Darüber hinaus haben wir gemeinsam mit der Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit eine Zusammenarbeit beim Thema Übergangsjustiz vorbereitet. Auf die-se Weise versuchen wir, auch präventiv etwas gegen das Wiederaufflammen der Auseinander-setzungen in Kolumbien beizutragen. Auch das ist Krisenprävention. Zweitens. Wenn diese Debatte vorbei ist, werde ich eine Delegation aus Korea treffen, mit der wir bereits im November gesprochen haben und die ein neues Interesse an den deutschen Erfahrun-gen mit der Wiedervereinigung hat. Wir werden heute Mittag gemeinsam mit den koreanischen Kollegen darüber debattieren und später in einer zweiten Sitzung mit der deutsch-koreanischen Be-ratergruppe – Hartmut Koschyk und Markus Me-ckel sind dabei – zu diesem Thema tagen. Ge-meinsam mit dieser deutsch-koreanischen Bera-tergruppe werden wir dann zum zweiten Mal zum Thema Wiedervereinigung zusammensitzen. Sie haben gestern hier im Deutschen Bundes-tag über die Ausbildungsmission in Mali diskutiert. Das ist gut und richtig. Richtig finde ich auch, dass die breite Unterstützung des Deutschen Bundestages gewährleistet ist. Ich sage das nur, weil viel weniger häufig zur Kenntnis genommen wird, wie breit unser politi-sches Engagement in Mali wirklich ist. Wir unter-stützen dort zum -Beispiel auch ein neugeschaffe-nes Ministerium für Versöhnung. Die Versöh-nungsarbeit kann dort noch nicht richtig laufen, weil der Konflikt noch heiß ist, aber wir versuchen, jetzt die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Versöhnungsprozesse später schnellstmöglich anlaufen können. Ich nenne Ihnen diese wenigen Beispiele auch, um den falschen Eindruck zu vermeiden, dass die Außenpolitik in diesen Tagen nur mit den vier, fünf Großkrisen rund um die Welt beschäftigt ist. Darauf müssen wir uns sicherlich kon-zentrieren. Die Öffentlichkeit hätte wenig Ver-ständnis, wenn wir uns davon abwenden. Aber Krisenprävention, Friedenskonsolidierung oder Versöhnungsprozesse sind auch Teil meiner täg-lichen Arbeit bzw. des Auswärtigen Amts genauso wie Friedensmediation. Dazu haben wir gerade im letzten Spätherbst in Berlin eine große Konferenz durchgeführt. Wir wurden gebeten, noch mehr in die Ausbildung von Friedensvermittlern zu inves-tieren. Das ist wichtig, keine Frage. Mit einem letzten Blick auf die vielen Krisen der Welt sage ich noch einmal: Nicht überall gelingt zivile Krisenprävention. Aber ich glaube fest da-ran: Vorausschauende Außenpolitik ist jeden Euro wert. Ihre Rendite zahlt sich zwar heute nicht in Geldscheinen aus, aber vielleicht morgen in ver-miedenen Konflikten, und das ist viel wert. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort Kathrin Vogler. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Liebe Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kolle-gen! Meine Damen und Herren! Vor 35 Jahren ha-be ich als Jugendliche die Grundsatzerklärung der Deutschen Friedensgesellschaft unterschrieben. Da heißt es: Der Krieg ist ein Verbrechen an der Mensch-heit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseiti-gung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten. Deswegen bin ich ausgesprochen stolz und froh, einer Fraktion in diesem Haus angehören zu dür-fen, die keinem Militäreinsatz im Ausland zu-stimmt. (Beifall bei der LINKEN) Uns ist es wichtig, Gewalt, Krieg und Bürgerkrieg durch eine aktive Friedenspolitik im Vorfeld zu verhindern. Menschen, die von Krieg und Gewalt betroffen sind, wollen wir ohne Waffen wirksam helfen. Dafür setzen wir voll auf die zivile Konflikt-bearbeitung. (Beifall bei der LINKEN) Herr Steinmeier, es ist gut, dass Sie sich heute selbst an dieser Debatte beteiligen. Es ist auch gut, dass der Bundespräsident in der nächsten Woche aktive und -engagierte Menschen aus der zivilen Konfliktbearbeitung in das Schloss Belle-vue zu sich einlädt. Das sind wichtige Symbole. Aber wir wollen, dass die zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung endlich über Symbolpolitik hinauskommen. (Beifall bei der LINKEN) Worüber reden wir hier? Zivile Konfliktbearbei-tung bedeutet, mit zivilen, das heißt mit nicht mili-tärischen Mitteln Gewalt zu verhindern oder zu beenden. Das findet etwa statt, wenn Friedens-verhandlungen vereinbart oder überwacht werden, wenn Kindersoldaten durch Verhandlungen befreit und zu ihren Familien zurückgebracht werden oder wenn Journalisten lernen, wie man der Verbrei-tung von Hass und Angst durch eine ausgewoge-ne Berichterstattung entgegentreten kann. Das findet statt, wenn Kriegsverbrecher in rechtsstaat-lichen Verfahren verurteilt werden und ihre Opfer Gerechtigkeit erfahren. Ich freue mich, dass wir heute auf der Besu-chertribüne Menschen begrüßen können, die sich dieser großen Aufgabe leidenschaftlich widmen. Stellvertretend begrüßen möchte ich Ramy Lakkis und Assem Shraif aus dem Libanon. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge-ordneten der CDU/CSU) Sie bauen dort mit Unterstützung des Zivilen Frie-densdienstes aus Deutschland Friedensnetzwerke auf und arbeiten so gegen die wachsenden Span-nungen zwischen den Religionsgruppen, aber auch – Herr Steinmeier, Sie haben das angespro-chen – zwischen syrischen Flüchtlingen und Ein-heimischen an. Diese Arbeit ist schwierig, aber notwendig. Diese müssen wir noch mehr unter-stützen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Grundgesetz verlangt in seiner Präambel von uns allen, dem Frieden in der Welt zu dienen. Das bedeutet doch, dass Frieden die Leitschnur unseres Handelns in allen politischen Bereichen sein muss. Genau dafür gibt es seit 2004 den Ak-tionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“. Wenn Sie einmal draußen auf der Straße fragen, ob die deutsche Politik in den letzten zehn Jahren nach Einschät-zung der Menschen friedlicher geworden sei: Was meinen Sie, was Sie dann zu hören bekommen? Das ist beileibe nicht nur ein Vermittlungsproblem; denn die Menschen erleben das Tag für Tag. Sie müssen nur die Nachrichten verfolgen. Obwohl wir in einer Zeit leben, in der Krisen und Konflikte immer häufiger in Gewalt münden, bleibt doch der Beitrag Deutschlands und dieser Bun-desregierung zur zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung auch nach zehn Jahren Akti-onsplan beschämend gering. Das beginnt schon bei den Begrifflichkeiten. Bei Ihnen findet sich un-ter der Überschrift „Zivile Krisenprävention, Kon-fliktlösung und Friedenskonsolidierung“ ein buntes Sammelsurium an Maßnahmen, auch Polizeiein-sätze, die Aufrüstung und Ausbildung von Armeen und sogar Militäreinsätze mit Kampfauftrag. Das hat doch mit ziviler Krisenprävention nichts, aber auch gar nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Ein Beispiel: Sie wollen die Kapazitäten der ei-genverantwortlichen zivilen Krisenprävention in Afrika stärken. Gut, aber welche Maßnahmen füh-ren Sie dafür an? Die Ausbildung von Soldaten in Mali. Was, bitte, hat das mit ziviler Krisenpräven-tion zu tun? Nichts, aber auch gar nichts. (Beifall bei der LINKEN) Man kann unterschiedlicher Meinung sein, wel-che Rolle Militär und Polizei in der Konfliktvorbeu-gung oder -beilegung haben können, aber wir soll-ten doch bitte zivile, polizeiliche und militärische Maßnahmen ordentlich trennen, genau wie wir das aus gutem Grund auch im Inland tun. (Beifall bei der LINKEN) Ja, wir haben auch Fortschritte zu verzeichnen. Der Zivile Friedensdienst ist mit 230 Fachkräften in 36 Konfliktregionen im Einsatz und unterstützt dort Friedensprozesse. Er hat sich ganz hervorra-gend entwickelt. Aber es gibt viel mehr Bedarf, gerade dort, wo die Konflikte zwar auf der Straße liegen, aber noch nicht offen ausgebrochen sind, wie zum Beispiel in den Flüchtlingslagern des Li-banon. Im Libanon kommt mittlerweile auf jeden Einwohner ein syrischer Flüchtling. Deswegen will die Linke den Zivilen Friedensdienst auch deutlich besser ausstatten. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch die Ausbildung ziviler Fachkräfte kommt in kleinen Schritten voran. Das Förderprogramm ifa zivik des Auswärtigen Amtes war wichtig. Auch da könnte man noch mehr tun. Aber was den Kern des Aktionsplans eigentlich betrifft, da hat sich meiner Ansicht nach zu wenig bewegt; denn eigentlich sollten doch alle Ministe-rien hinterfragen, was sie vielleicht unbeabsichtigt zu den Konflikten in der Welt beitragen. Es ist doch der Kern des Aktionsplans, dass sich zum Beispiel das Wirtschaftsministerium vor dem Ab-schluss des nächsten Freihandelsabkommens einmal Gedanken darüber macht, ob das Abkom-men vielleicht zur Verschärfung von Konflikten in dem entsprechenden Partnerland beitragen könn-te, oder dass es dann, wenn es um Erdölimport aus Nigeria geht, die Auswirkungen auf die Kon-fliktlage in den Fördergebieten im Nigerdelta be-rücksichtigt. Ich würde mir wünschen, Herr Steinmeier, dass die Bundesregierung diese Per-spektive wieder aufgreift. (Beifall bei der LINKEN) Das Bild von der Bundesrepublik als Vorreiter der zivilen Krisenprävention, das die Bundesregie-rung so gerne zeichnet, ist schon deshalb schief, weil Deutschland selbst inzwischen Partei in allzu vielen Kriegen und Konflikten ist. Das kommt da-her, dass Sie vor allem auf die Karte des militäri-schen Eingreifens setzen. Deswegen wird unser Land mehr und mehr unfähig, die zivilen Möglich-keiten, die es gibt, auch wirklich zu nutzen. Wenn Sie, Herr Steinmeier, oder der Bundes-präsident von Deutschlands Verantwortung in der Welt reden, dann ist es vor diesem Hintergrund doch kein Wunder, dass viele Menschen das als Ankündigung von noch mehr Militäreinsätzen wahrnehmen. Diese Regierung benutzt die zivile Krisenprävention als Feigenblatt für eine militärin-terventionistische Politik, und das zeigt sich doch schon an den finanziellen Mitteln. Meine Fraktion hat die Bundesregierung ge-fragt, was sie denn für die Umsetzung des Akti-onsplans in den einzelnen Ressorts ausgibt. Das Wirtschafts- und das Umweltministerium haben dafür nach eigenen Angaben in den letzten zehn Jahren keinen einzigen Cent ausgegeben. In vie-len Ministerien ist noch nicht einmal klar, was die-ses Zivile eigentlich ist, das gefördert werden soll. Die jährlich etwa 1,2 Milliarden Euro, die für die zivile Krisenprävention nach Ihren eigenen Anga-ben ausgegeben werden – die Angabe ist über-höht –, sind einfach lächerlich gering, wenn man überlegt, dass allein die Bundeswehr 32 Milliarden Euro im Jahr verschlingt. Dann haben wir konkret nachgefragt, welche Rüstungsexporte diese Bundesregierung in Län-der genehmigt hat, für die sie gleichzeitig Maß-nahmen der Krisenprävention bewilligt hat. Die Antwort darauf haben Sie uns verweigert. Das war selbst Ihnen wohl doch zu peinlich. Also haben wir das selber zusammengestellt, und der Befund ist erschreckend. Herr Steinmeier – Sie haben über Kolumbien gesprochen –, im Jahr 2013 hat die Bundesregierung Rüstungsexporte nach Kolumbi-en im Wert von über 50 Millionen Euro bewilligt. Gleichzeitig hat das Auswärtige Amt Projekte zur Konfliktbewältigung im Wert von 1,5 Millionen Eu-ro gefördert, unter anderem Projekte für den Kampf gegen Korruption. Sie liefern also Waffen an eine korrupte Regierung. Ist das „vorsorgende Außenpolitik“? Indien und Pakistan: Beide Länder haben Maß-nahmen der Krisenprävention ergriffen. Gleichzei-tig haben Sie nach Indien 2013 Waffenexporte im Wert von 107 Millionen Euro, nach Pakistan Waf-fenexporte im Wert von 47 Millionen Euro bewil-ligt. Beide Länder sind seit langen Jahren im Streit um Kaschmir. In beiden Ländern gibt es bewaffne-te Auseinandersetzungen. Jetzt erklären Sie mir doch einmal, was das für eine Krisenprävention ist, die Sie da betrieben haben, und wie man zwei Länder aufrüsten kann, die sich miteinander im Dauerkonflikt befinden? (Beifall bei der LINKEN) Das können Sie nicht erklären. Entschuldigen Sie, das ist doch reiner Etikettenschwindel. Militäreinsätze und Waffenlieferungen sind nämlich nicht Teil der Lösung; sie sind Teil des Problems. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen feststellen: Bei nahezu jedem größe-ren bewaffneten Konflikt, der heute über unsere Fernsehbildschirme flimmert, gab es in der Ver-gangenheit Waffenlieferungen, missglückte Inter-ventionen. Außerdem gibt es eine Politik der Spal-tung auf diesem Planeten, die immer mehr Men-schen arm und sehr wenige Menschen dafür sehr reich macht. Wenn etwa im Südsudan die Vieh-züchter und die Ackerbauern wie Kain und Abel um die letzten Wasserressourcen kämpfen, dann nützt ihnen auch keine noch so große Militärprä-senz. Diese Konflikte können sie nur beilegen, wenn es einerseits genug Wasser gibt und ande-rerseits Streitbeilegungsmechanismen, die von al-len Seiten akzeptiert sind. (Beifall bei der LINKEN) Wenn alle Ministerien überprüfen müssten, was sie zur Eskalation von Konflikten beitragen, dann gilt das natürlich auch für das Verteidigungsminis-terium. Ich bin der festen Überzeugung, dass dann kein einziger der derzeitigen Bundesweh-reinsätze mehr Bestand hätte. (Beifall bei der LINKEN) Aber leider ist der Irrglaube an den Nutzen mili-tärischer Interventionen nicht nur in der Bundes-regierung verbreitet; in Ihrem Entschließungsan-trag zur heutigen Debatte fordern Sie, liebe Kolle-ginnen und Kollegen von den Grünen, Deutsch-lands Fähigkeiten im militärischen Bereich nach dem „do no harm“-Ansatz zu überprüfen, also da-hin gehend, wie sie sich auf gewaltsam ausgetra-gene Konflikte auswirken. Das klingt so ähnlich wie etwas, was auch wir fordern. Es klingt also erst einmal nicht schlecht; aber es wirft doch die Frage nach den Konsequenzen auf. Welcher der von den Grünen in den letzten Jahren unterstützte Militäreinsatz hätte denn Ihrer Meinung nach die-sen Anspruch erfüllt? Der KosovoKrieg? Der Af-ghanistan-Krieg? Die westliche Intervention in Li-byen, für die auch in Ihrer Fraktion geworben wur-de? Nein, ich sage Ihnen eines: Sie müssen diese militärische Logik überwinden. (Beifall bei der LINKEN) Deutschland braucht ein Gesamtkonzept für eine zivile Außenpolitik, die sich von den Regeln des Völkerrechts, dem Prinzip des Gewaltverzichts und vom Gedanken des frühzeitigen, vorbeugen-den Handels leiten lässt. Dafür brauchen wir auch eine Umverteilung im Bundeshaushalt. Denn, mei-ne Damen und Herren, würden Sie einen einzigen Eurofighter weniger kaufen, könnten Sie mit dem eingesparten Geld die Mittel für den Zivilen Frie-densdienst für fünf Jahre mehr als verdoppeln. Das wäre mehr als ein Symbol, und damit könnte Deutschland wirklich dem Frieden in der Welt die-nen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Franz Josef Jung, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Zu Beginn der Debatte möchte ich unserer Bundesregierung herzlich für den Beitrag danken, den sie zur zivilen Krisenprävention, zur Konflikt-lösung und zur Friedenskonsolidierung leistet. Frau Vogler, wenn Sie das als Symbolpolitik be-zeichnen, dann kann man das nur mit Nachdruck zurückweisen. Das Gegenteil ist der Fall. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) In diesem Bericht wird, denke ich, sehr klar zum Ausdruck gebracht, welchen Beitrag wir zur nachhaltigen Friedensförderung in Europa und in dieser Welt leisten; der Außenminister hat auf sehr konkrete Maßnahmen hingewiesen. Gerade auch in Ansehung der heute beginnenden Münch-ner Sicherheitskonferenz – der Kollege Ischinger hat verdeutlicht, dass die Frage des fortlaufenden Krisenmanagements (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Mit Waffen-lieferungen!) mit an zentraler Position der Diskussion stehen wird –, wird deutlich, dass man sich hier sehr konkret der Frage nach den Ursachen und der konkreten Frage der Prävention zuwenden muss. Zunächst muss man natürlich feststellen, dass sich die Konfliktsituationen in der Welt verändert haben. Wir haben eine Situation des globalen Ter-rors; ich erwähne nur ISIS, Boko Haram und na-türlich auch al-Qaida. Es gibt eine Zunahme an radikalen und islamistischen Extremisten. Wir ha-ben – darauf hat der Bundesaußenminister zu Recht hingewiesen – die sogenannten Failing Sta-tes, die fragilen Staaten. Wir haben transnationale organisierte Kriminalität und das Problem der Ressourcenkonflikte. Ich denke, darauf müssen wir zunächst eine Antwort im Rahmen ziviler Kri-senprävention zu finden versuchen; denn das sind die Instrumente, die im Vorfeld unabdingbar sind, um letztlich eine friedliche Entwicklung in unserer Welt zu befördern. Deshalb ist genau dieser Ak-zent, den die Bundesregierung hier setzt, richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir sind mit diesen Maßnahmen auch führend in Europa. Ich finde aber, es gehört auch dazu, dass wir über das reden, was wir damals im Weißbuch 2006 als vernetzte Sicherheit bezeichnet haben. Es geht darum, dass wir außen- und entwick-lungspolitische, zivile, polizeiliche -Instrumente einsetzen, dass wir aber auch nicht ausschließen, als Ultima Ratio militärische Fähigkeiten einzuset-zen nach dem Grundsatz: Ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne Entwicklung auch keine Sicherheit. – Dies ist zu einem Kennzeichen deut-scher Außen- und Sicherheitspolitik geworden und hat mit einen Beitrag dazu geleistet, dass wir in einigen Regionen unserer Welt zu einer friedlichen Entwicklung gekommen sind. (Beifall des Abg. Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]) Da dies immer wieder bestritten wird, will ich nur in Erinnerung rufen: Was wäre denn gewesen, als es die Massenhinrichtungen – Stichwort „Srbrenica“ –, die Massenvergewaltigungen, das menschenverachtende Vorgehen in den ehemali-gen Balkanstaaten gegeben hat? Ohne dass die NATO dort eingegriffen hätte, wäre es nicht zu ei-ner stabilen und friedlichen Entwicklung gekom-men. Auch das gehört dazu, wenn wir über Kri-senbewältigung und Friedenssicherung in unserer Welt sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD und der Abg. Mari-eluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine sehr verehrten Damen und Herren, leider müssen wir feststellen, dass es letztlich oft des letzten Mittels bedarf – ich nehme jetzt zu dem ak-tuellen Thema der Bekämpfung des ISIS-Terrors Stellung –, nämlich des Einsatzes militärischer Fähigkeiten. Wenn man sieht, in welcher brutalen Art und Weise ISIS vorgeht – ich erinnere an den Piloten und ich erinnere an im Grunde genommen Kinder, die hingerichtet werden; Menschen werden abgeschlachtet –, dann erkennt man: Dort ist lei-der Gottes alleinige zivile Krisenprävention nicht die Maßnahme, die zu einer friedlichen Entwick-lung führt. Dort ist es richtig, beispielsweise die Peschmerga mit Waffen zu unterstützen und eine Ausbildungsleistung im Irak zu erbringen, um da-zu beizutragen, dass derartiges menschenverach-tendes Vorgehen einer Terrororganisation zurück-gedrängt wird und dass es in dieser Region wie-der zu einer friedlichen Entwicklung kommt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD und des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Saudi-Arabien!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, natür-lich ist es richtig, dass die zivile Krisenprävention weltweit an Bedeutung gewonnen hat. Dadurch wird vorsorgend in Frieden und Stabilität inves-tiert: durch Förderung von Rechtsstaatlichkeit, durch die Unterstützung guter Regierungsführung, durch Ausbildung von Polizei- und Sicherheitskräf-ten, durch die Stärkung der Zivilgesellschaften, durch die Förderung von Bildungs- und Gesund-heitssystemen, aber auch durch die Gewährleis-tung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung. Ich habe zu oft – beispielsweise in Afghanistan, um ein konkretes Beispiel zu nennen – erlebt, dass Menschen, die überhaupt keine Perspektive hatten, dass ihre Familien überleben, die in Not und Elend lebten, viel empfänglicher für radikale Werbeaktionen – beispielsweise der Taliban – wa-ren als diejenigen, deren Grundbedürfnisse gesi-chert waren. Deshalb gehört auch die Förderung der Grundbedürfnisse der Menschen in diesen Regionen dazu, um zur Stabilität und zur friedli-chen Entwicklung beizutragen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein solcher vorsorgender und ressortübergreifender Ansatz ist das Markenzeichen der deutschen Au-ßen- und Sicherheitspolitik. Damit übernehmen wir – das zeigen die Unterstützungsmaßnahmen, die auch in diesem Jahr vorgenommen werden – mehr Verantwortung in der Welt, wie es sowohl der Bundespräsident als auch der Außenminister und die Verteidigungsministerin auf der letzten Si-cherheitskonferenz in München deutlich gemacht haben. Aber es gilt auch, die Instrumente der Kri-senprävention fortzuentwickeln. Dazu gehört der Review-Prozess im Auswärtigen Amt, wo unter Einbeziehung von Fachleuten, von Bürgerinnen und Bürgern ein gesellschaftlicher Diskurs in die-ser Richtung vorangetrieben wird. Dazu gehört das Eintreten des Bundesministeriums für wirt-schaftliche Zusammenarbeit für eine passgenaue Krisenprävention und zivile Konfliktberatung. Dazu gehört in der Perspektive auch der vernetzte An-satz, dass beispielsweise Ausbildungsunterstüt-zung und Unterstützung bei Polizeimaßnahmen geleistet werden und auch durch die Teilnahme an UN-Missionen zur Friedenssicherung beigetragen wird. Wenn Sie sich die UN-Missionen sowohl im Libanon als auch in Mali, im Sudan, in Darfur, in Afghanistan und im Kosovo anschauen, dann se-hen Sie: All dies sind Beiträge, mit denen Deutschland, wie ich finde, einen wichtigen Bei-trag zur Krisenprävention, zur Krisenbewältigung und damit zur Friedenssicherung in unserer Welt leistet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD und der Abg. Mari-eluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, wir haben eine Ver-antwortung, wenn es darum geht, Völkermord, Kriegsver-brechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern bzw. zu bekämpfen. Dies hat der Bundespräsident vor ein paar Tagen von diesem Pult aus – wie ich finde, zu Recht – noch einmal deutlich gemacht. Wir wollen mit die-sen Maßnahmen unseren Beitrag für eine friedli-che Entwicklung in Europa und darüber hinaus leisten. Es ist es auch wichtig, dass unsere Bun-deskanzlerin gemeinsam mit Staatspräsident Hol-lande sowohl in Kiew als auch – heute – in Mos-kau ist, um dazu beizutragen, dass wir endlich zu dem kommen, was einst vereinbart worden ist, nämlich dass die Waffen in der Ukraine schwei-gen und es dort wieder zu einer friedlichen Ent-wicklung kommt. Auch dies ist ein Beitrag zur Friedenssicherung, der von unserer Bundesregie-rung geleistet wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD und der Abg. Mari-eluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich füge hinzu: Es war erst am 21. Januar, als unter Verantwortung unseres Bundesaußenminis-ters sowohl der Außenminister der Ukraine als auch der Außenminister Moskaus – der Außenmi-nister Frankreichs war ebenfalls dabei – verein-barten: Die Demarkationslinie wird anerkannt. Die schweren Waffen werden abgezogen. – Und was ist passiert? Das Gegenteil! Es wurde eine Groß-offensive mit all den bekannten Geschehnissen gestartet, beispielsweise der Rakete, die dort zu 30 Toten und zur weiteren Verschärfung der Situa-tion geführt hat. Deshalb müssen wir alles tun, unseren Einfluss geltend zu machen, um hier zu einer friedlichen Entwicklung beizutragen, um dazu beizutragen, dass das, was einmal als Grundlage in Minsk ver-einbart worden ist – und zwar von der Ukraine und Russland unter Beteiligung der OSZE –, umge-setzt wird: dass nicht nur die Waffen schweigen, sondern auch eine humanitäre, eine wirtschaftli-che Entwicklung erfolgt, dass die lokale Selbst-verwaltung eingerichtet und auch in dieser Region mehr Autonomie gewährleistet wird, um letztlich dazu beizutragen, dass diese kriegerischen Aus-einandersetzungen mitten in Europa endlich been-det werden und wir wieder zu einem Zusammenle-ben in friedlicher Koexistenz in Europa kommen. Das ist eine Grundvoraussetzung für Frieden. Deshalb ist es so wichtig, dass -unsere Bundes-kanzlerin und der Staatspräsident Frankreichs heute hoffentlich einen Erfolg in Moskau erzielen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, ich will noch eines hinzufügen, weil dies aus meiner Sicht in der Öf-fentlichkeit immer sehr einseitig dargestellt wird: Gerade fand die NATO-Verteidigungsministerkonferenz statt. Der NATO-Generalsekretär hat noch einmal unterstrichen, dass wir eine Zusammenarbeit mit Russland wol-len, dass die NATO-Russland-Grundakte gilt, die von Moskau allerdings verletzt wurde, weil sie die territoriale Integrität der Ukraine nicht akzeptiert hat. Aus meiner Sicht gehört dies aber elementar zur friedlichen Koexistenz und zum friedlichen Zu-sammenleben. Seit dem Zweiten Weltkrieg war es die gemeinsame Grundlage der Staaten in Europa, dass die Integrität der Grenzen der Staaten aner-kannt und nicht infrage gestellt wird. Das muss in Zukunft wieder für alle Beteiligten gelten, damit Frieden und ein friedliches Zusammenleben in Eu-ropa und darüber hinaus möglich sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, ich sage zusammen-fassend: Wir wollen unseren Beitrag zur zivilen Krisenprävention, zur Konfliktlösung und zur Frie-denskonsolidierung leisten. Wir sind aber auch im äußersten Fall bereit, militärische Mittel einzuset-zen, (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wenn das der äußerste Fall ist: Warum reden Sie dann nur über Militär?) um Frieden zu sichern bzw. zu ermöglichen. Des-halb bitte ich Sie um Zustimmung zum Entschlie-ßungsantrag der Koalitionsfraktionen. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Gäste auf der Tribüne! Schön, dass Sie heute gekommen sind. Es ist ja der dritte Versuch; Sie waren schon zweimal eingeladen. Dass es beim dritten Mal ge-klappt hat, ist wirklich einen Applaus wert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Heute beginnt in München die alljährliche Si-cherheitskonferenz. Im letzten Jahr wurde diese Tagung von Bundespräsidenten Gauck mit dem Plädoyer eröffnet, Deutschland solle mehr Ver-antwortung übernehmen. Tage zuvor hatten Sie, Herr Außenminister Steinmeier, im Bundestag ap-pelliert, die Bundesrepublik dürfe keine Kultur des Heraushaltens üben. Häufig wurde diese Debatte verengt geführt, rein auf die militärische Kompo-nente abgestellt. Auch wenn es von Ihnen nicht immer beabsichtigt war, hat zu dieser Verengung sicherlich beigetragen, dass für das Nichtmilitäri-sche, das Zivile kaum neue Vorschläge oder An-sätze in die Debatte eingebracht wurden. Dadurch verengt sich die Debatte auf das Militärische. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ein Jahr nach diesen Reden – und es waren ei-nige – dürfen Fragen gestellt werden: Hat Deutschland mehr Verantwortung im zivilen Be-reich übernommen, und wo hat es dies getan? Hat es seine Möglichkeiten genutzt? Verfügt es über-haupt über diese Möglichkeiten? Auf der Haben-seite der Regierung stehen eindeutig die deut-schen Vermittlungen im De-facto-Krieg zwischen der Ukraine und Russland ebenso wie Vorhaben im Bereich der Mediation. Wir haben es als Bun-destag geschafft, die Gelder für ZIF und ZFD zu erhöhen. Zivile Krisenprävention ist kein Selbstläufer. Die Erfolge sind nicht einfach zu messen. Das ist ein Umstand, der vielen Aktiven ständig widerfährt: Man verhindert Konflikte und hat keine Fotos, die in den Zeitungen veröffentlicht werden oder über CNN laufen. Deswegen fragt man vielleicht, wofür sie eigentlich da sind. Außerdem bietet die zivile Krisenprävention durchaus Anlass für sehr schwierige Fragen, über die sich trefflich diskutie-ren lässt: Kann man Konflikte überhaupt verhin-dern? Geht es nicht eher um Konfliktbearbeitung und Konflikttransformation? (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Und wenn es das ist: Können wir wirklich verlässliche Staatlichkeit aufbauen und voranbrin-gen? Sind wir da nicht häufig gescheitert? – Selbst wenn wir es könnten: Können wir denn die Konflikte voraussehen? Woran machen wir das fest? – Ich glaube, dass wir viel davon können. In diesen Bereichen müssen wir endlich mehr tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber es gibt eben auch vieles, was wir noch nicht oder nicht gut genug können. Wir müssen das ehrlich anerkennen und dann eben auch massiv investieren – in Wissen, in Konzepte, in weitere Instrumente und eben auch in Menschen. Beispiele für Gelungenes finden wir im Vierten Bericht über die Umsetzung des Aktionsplans „Zi-vile Krisenprävention“. Er ist übrigens zum ersten Mal lesbar; das ist wirklich ein Unterschied zu den vorherigen Berichten. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Das geht auch auf die Arbeit des Unterausschus-ses für Zivile Krisenprävention in der letzten Le-gislaturperiode zurück, der jedes Mal moniert hat, man möge doch bitte einen lesbaren Bericht erhal-ten. Es gibt viele Beispiele in diesem Bericht, etwa aus Sri Lanka: 20 000 Menschen wurde mit der Ausstellung gültiger Dokumente geholfen, an der Wahl teilzunehmen. Es ist ein ganz wichtiger Fak-tor, ob sich die Menschen vor Ort beteiligt fühlen, ob sie die Möglichkeit haben, an einem demokra-tischen Prozess teilzunehmen, oder eben ausge-schlossen sind. Ein weiteres Beispiel – das wurde erwähnt – sind die Grenz- und Polizeistationen in Afrika, die man zivil aufbaut und mit denen man Grenzkonflikten vorbeugt. Es gibt ganz viele Bei-spiele, und wenn sie noch so klein und noch so weit entfernt von uns sind, sollten sie nicht unter-schätzt werden. Sie sind ein wirklicher Beitrag da-zu, diese Welt friedlicher zu machen. Ein Dank gilt all jenen, die diese schwierige Arbeit vor Ort leis-ten. Ihnen möchte ich wirklich danken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Wenn wir aber anerkennen, dass wir damit wirklich erfolgreich sein können, stellt sich doch die Frage, ob es nicht auch mehr Geld für diese Projekte gibt. Da sprechen die Haushaltszahlen, Herr Steinmeier, leider eine andere Sprache. Sie hatten vorhin den Betrag von 150 Millionen Euro erwähnt. Dabei haben Sie die Beiträge für die in-ternationalen Organisationen und das, was wir in der Klimaaußenpolitik machen, mit eingerechnet. Der Ansatz für die rein zivile Krisenprävention liegt in den letzten Jahren, seit 2013, bei 95 Millionen Euro. Der Haushaltsansatz für dieses Jahr war sogar niedriger und lag bei 93 Millionen Euro – das wurde zum Glück korrigiert –, obwohl der tatsächliche Bedarf 2013 bei 133 Millionen Eu-ro lag. Der Bedarf sollte doch das Minimum sein, wenn wir die Zahlen für das nächste Jahr veran-schlagen, zumal es so viel mehr Krisen in dieser Welt gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der Süddeutschen Zeitung stand gestern, der Unterschied zwischen SPD, CDU/CSU und den Grünen sei nur, dass die Grünen in dem Bereich mehr Geld wollten. Da sage ich Ihnen: Ja, aber das ist ein ganz wichtiger Unterschied. Wer von uns ist denn gegen zivile Krisenprävention? – Ja wohl keiner. Deswegen kommt es darauf an, nicht nur Worte zu finden, sondern auch bereit zu sein, dafür mehr Geld zur Verfügung zu stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir entsenden neben Soldatinnen und Soldaten auch viele zivile Fachkräfte ins Ausland: Polizis-tinnen und Polizisten, Juristinnen und Juristen, In-genieurinnen und Ingenieure, Frauenrechtsexper-ten und viele weitere -Expertinnen und Experten. Sie versuchen – oft unter schwierigen Bedingun-gen –, vor Ort für Versöhnung, Wiederaufbau und nachhaltige Entwicklung einzutreten. Über 1 000 Deutsche sind derzeit im Rahmen der Missionen der Vereinten Nationen, der EU und der OSZE ak-tiv. Hinzu kommen viele Fachkräfte von Nichtre-gierungsorganisationen, zum Beispiel 230 Exper-tinnen und Experten des Zivilen Friedensdienstes in 36 Ländern. Dieses Engagement wird viel zu selten anerkannt und gewürdigt; aber dies zu tun, ist eine Aufgabe, die wir alle gemeinsam haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) Ich darf Ihnen aber einmal die Frage stellen: Warum stellt Deutschland von insgesamt mehr als 12 400 Polizeikräften in UN-Missionen derzeit ge-rade einmal zwei Dutzend? Unter den 12 400 Poli-zeikräften sind 24 Deutsche. Ist das Ausdruck von mehr deutscher Verantwortung im Rahmen der Vereinten Nationen? – Ich sage Ihnen klar: Nein. Da kann und muss Deutschland mehr für die Ver-einten Nationen leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch da gilt – weil die Verhandlungen mit den Bundesländern manchmal eine schwierige Ange-legenheit sind –: Ohne zusätzliches Geld vom Bund wird das nicht funktionieren. Wir müssen uns auch fragen: Können wir Staat-lichkeit, können wir die Rule of Law und Reformen im Sicherheitssektor vorantreiben? Es kommt vor, dass wir den Aufbau einer unabhängigen Justiz fördern, aber dann die Richter höchst korrupt sind und es gar niemanden mehr gibt, der sie kontrol-liert. Es kommt auch vor, dass Rechtsstaatsmis-sionen selber in Korruption verwickelt sind, kei-nerlei rechtsstaatliche Kontrollmechanismen ha-ben und deswegen vor Ort jegliche Glaubwürdig-keit verlieren. Es kommt auch vor, dass wir eine demokratisch legitimierte Armee vorantreiben wol-len, aber die Missionen nicht mit den Parlamenten vor Ort zusammenarbeiten, zum Beispiel im Kon-go. – Das sind Situationen, in denen unsere Arbeit ad absurdum geführt wird, weil wir nicht die richti-gen Konzepte und Instrumente haben. Es gibt in diesem Bereich Grenzen, Misserfolge und Rückschläge; aber das ändert nichts an der Notwendigkeit der Arbeit. Es geht darum, mehr zu wissen und besser zu werden. Deutschland führt keine kontinuierlichen, systematischen, fortlau-fenden und unabhängigen Evaluierungen der Pro-jekte durch. Wir müssen in Forschung und Wir-kungsanalysen investieren; hier gibt es ein gro-ßes Manko. Zehn Jahre nach dem Aktionsplan ist es dringend an der Zeit, zu schauen: Wo stehen wir? Was können wir? Wo müssen wir etwas ver-bessern? – Das müssen wir ehrlich angehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir schon nicht überall für Staatlichkeit sorgen können – ich glaube, man muss auch die Grenzen anerkennen –, dann müssen wir wenigs-tens dazu beitragen, dass die betroffenen Gesell-schaften und Staaten nicht weiter wirtschaftlich destabilisiert werden. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Wenn die Handels , die Fischerei- und die Agrarpolitik nicht im Dienste des Friedens stehen, sondern dazu beitragen, dass Gesell-schaften destabilisiert werden, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn diese Staaten weiter zer-fallen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer Waffen nach Saudi-Arabien exportiert, braucht sich auch nicht die Augen zu reiben, wenn diese eines Tages zu falschen Zwecken einge-setzt werden. Eine verantwortungslose Klimapoli-tik trägt mit dazu bei, dass mehr Menschen zur Flucht gezwungen sind. Sie haben erwähnt, dass Deutschland ein Vor-reiter ist, was die notwendige Abstimmung unter den Ressorts angeht. Es tut mir schrecklich leid, aber das ist Deutschland eindeutig nicht. Deutsch-land ist noch längst nicht wirklich gut, wenn es darum geht, die unterschiedlichen Ressorts abzu-stimmen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber besser als andere!) Wir haben zwar den Ressortkreis „Zivile Krisen-prävention“; aber er ist weder personell noch fi-nanziell stark genug ausgestattet. Ich würde mir von Ihnen, Herr Steinmeier, wünschen, dass Sie hier ein richtiges Zeichen setzen und ihn aufwer-ten und stärken, damit dieses Nebeneinanderher endlich beendet wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Frau von der Leyen jetzt ein neues Weiß-buch will, dann kann ich nur sagen: Wir brauchen nicht ein Weißbuch für einen Bereich. Wir brau-chen in der Außenpolitik endlich friedenspolitische Leitlinien für den gesamten internationalen Be-reich. Das wäre ein Prozess, den es sich lohnt anzustoßen – nicht wieder Bereich für Bereich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben auch die schwierigen Punkte ange-sprochen – IS, Boko Haram – und die Frage ge-stellt, ob wir da überhaupt etwas machen können. Häufig hat man das Gefühl, eigentlich machtlos zu sein. Aber ich glaube, man darf nicht aufhören, auch dort nach zivilen Ansätzen zu suchen. Das reicht nicht immer aus; wir wissen alle, dass man auch die militärische Komponente braucht. Klar ist aber, dass man immer zivile Möglichkeiten su-chen muss. Die Austrocknung von Finanzierungs-quellen und die Stabilisierung der Nachbarstaaten sind hier wichtige Punkte. Entwicklungsminister Müller hat 1 Milliarde Euro zusätzlich gefordert. Ich hoffe, Ihre Regierung wird das Geld zur Verfü-gung stellen; denn es ist eindeutig notwendig für Syrien und die Nachbarstaaten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erlauben Sie mir, am Ende meiner Rede auf die Frage zurückzukommen, ob wir überhaupt Konflik-te erkennen können. Hierzu gibt es Indikatoren der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und von zivilgesellschaftlichen Akteuren. Im Bericht werden in diesem Bereich Verbesserungen ange-kündigt – das ist positiv –; aber wir alle wissen, dass ein Indikator die Ausgrenzung ganzer Bevöl-kerungsgruppen bzw. die Diskriminierung eines Teils der Bevölkerung ist. Es geht hier um Men-schenrechtsverletzungen. Die Zunahme von Men-schenrechtsverletzungen ist ein guter Indikator für kommende gewalttätige Auseinandersetzungen; denn sie sind schon Gewalt. Im Bericht wurde der Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Frieden aufgegriffen. Aber in der Praxis erleben wir leider immer wieder ein Entweder oder: entwe-der Menschenrechte oder Stabilität. Unterdrü-ckung und massive Menschenrechtsverletzungen stehen aber nicht für Stabilität. Sie sind einfach Unterdrückung und massive Menschenrechtsver-letzungen. Punkt! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ägypten ist momentan ein trauriges Beispiel. In dieser Woche gab es wieder Hunderte Urteile, die für viele Kinder, Demokratieaktivisten und Mus-limbrüder den Tod bedeuten. Selbst trauernde Menschen werden einfach erschossen, zum Bei-spiel eine junge Frau, die zur Erinnerung Blumen niedergelegt hat. Al-Sisi sagt der Bundesregie-rung, dass er die deutschen Gelder für die Zivil-gesellschaft einzeln kontrollieren werde. Die Bun-desregierung stellt daraufhin vorzeitig die Zahlung neuer Gelder für zivilgesellschaftliche Projekte in Ägypten ein. Es gibt also kein neues Geld für zi-vilgesellschaftliche Projekte in Ägypten aus Deutschland. Und als Dank wird al-Sisi nach Ber-lin eingeladen. – Dazu kann ich nur sagen: Wer glaubt, dass diese Politik für Stabilität in der Re-gion sorgt, wer glaubt, dass al-Sisi, der 20 Prozent seiner Bevölkerung massiv unter-drückt und in Bezug auf Libyen keine positive Rol-le spielt, ein Garant für Stabilität und Frieden ist, denkt in den Mustern der alten, falschen Politik. Wir müssen endlich eine ehrliche und vorsorgen-de Außenpolitik betreiben und aufhören, an die fal-schen Stabilitätsvisionen des letzten Jahrhunderts zu glauben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Brantner, kommen Sie bitte zum Schluss. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vorsorgende Außenpolitik, Krisenprävention hat einen Preis. Fangen wir an, die Sache ernst zu nehmen und diesen Preis zu zahlen: Mehr Verant-wortung – das wünsche ich mir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Ute Finckh-Krämer, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Gäste auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von dem russischen Schriftsteller Marschak gibt es ein Gedicht über ein vermutlich fiktives Gespräch zwischen ihm und seinem Enkel, das er 1957 ver-öffentlicht hat. Er fragt in diesem Gedicht seinen Enkel, was dieser gerade spielte. Er erhält die Antwort: U-Boot-Krieg. Als er dem Enkel vor-schlägt, nicht Krieg, sondern Frieden zu spielen, läuft der Enkel los, kommt aber schnell wieder zu-rück: Großvater, wie spielt man Frieden? In der letzten Strophe des Gedichts schreibt Marschak, dass man aufhören müsse, mit dem Krieg zu spie-len, damit die Kinder lernen könnten, Frieden zu spielen. Wir wissen alle: Frieden ist mehr als die Abwe-senheit von Krieg, und zum Frieden gehörten nicht nur die Stärkung rechtsstaatlicher Strukturen und Prinzipien und die Förderung von politischen Ver-söhnungsprozessen, die Außenminister Steinmei-er in seiner Rede eben ausführlich beschrieben hat, sondern auch das friedliche Zusammenleben der Menschen vor Ort. Es geht darum, diejenigen zu unterstützen, die sich innerhalb ihrer Gesell-schaft für Frieden und Versöhnung und für die gewaltfreie Austragung von Konflikten einsetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dazu gibt es seit 2001 das Förderprogramm zivik – Zivile Konfliktbearbeitung –, das aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes finanziert und vom Institut für Auslandsbeziehungen, ifa, inhalt-lich und organisatorisch getragen wird. Zivik för-dert Projekte, die von oder zusammen mit auslän-dischen Projektpartnern entwickelt werden. Eines der Glanzlichter von zivik ist die Ausstellung „Peace Counts“ über Friedensstifter. Diese Aus-stellung wurde unter anderem in Sri Lanka, in Ma-zedonien, in der Elfenbeinküste, auf den Philippi-nen, in Russland, mehrfach in Indien, in Kolumbi-en, in Jordanien, in -Afghanistan und in Armenien gezeigt – jeweils organisiert zusammen mit loka-len Partnerorganisationen und verbunden mit ei-nem Begleitprogramm, auch und gerade für Schü-lerinnen und Schüler. Auch Theaterworkshops, Film- und Kunstprojekte mit Jugendlichen, die auf diese Weise lernen, sich aktiv für den Frieden in ihrem Land und die gewaltfreie Austragung von Konflikten einzusetzen, werden von zivik geför-dert, zum Beispiel in Armenien. Es werden auch Organisationen unterstützt, die das oft hohe Ge-waltniveau in Familien und Gemeinden nach Ende eines Bürgerkriegs senken wollen, zum Beispiel in Südafrika und Kolumbien. Das ifa bietet im Rah-men von zivik an, Abgeordneten vor ihren Reisen mit Ausschüssen oder Parlamentariergruppen In-formationen zu Projekten in den Reiseländern zu geben und Projektbesuche zu ermöglichen. Die-ses Angebot sollten wir alle nutzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch die Menschen, die Projekte des Zivilen Frie-densdienstes durchführen, würden sich über Ab-geordnetenbesuche freuen, zum Beispiel das Pro-jekt im Libanon, von dem Kathrin Vogler eben ge-sprochen hat. Die Projektverantwortlichen wün-schen sich darüber hinaus eine verlässliche mit-telfristige Unterstützung. Nach Einschätzung der für das Libanon-Projekt Verantwortlichen sind fünf bis zehn Jahre notwendig, unabhängig davon, wie sich der syrische Bürgerkrieg entwickelt. Wir wis-sen aus anderen Konflikten, dass Kriegsflüchtlin-ge auch nach Kriegsende nur sukzessive in ihre jeweilige Heimat zurückkehren können. Die Kon-flikte, die sich im Libanon derzeit wieder ver-schärft haben, erledigen sich auch nicht von selbst. Dafür müssen wir daher eine Mög-lichkeit finden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der LINKEN) Eine weitere wichtige Institution, die in den letz-ten zehn Jahren aufgebaut wurde, ist die Arbeits-gemeinschaft Frieden und Entwicklung, FriEnt. Sie ist eine Public-private-Partnership besonderer Art, ein Zusammenschluss von staatlichen Orga-nisationen, kirchlichen Hilfswerken, zivilgesell-schaftlichen Netzwerken und politischen Stiftun-gen. Hier wird Krisenprävention und Friedensför-derung fast tagtäglich weiterentwickelt, werden Ideen und Erfahrungen zwischen Politik und Pra-xis ausgetauscht, zum Beispiel zu so vielfältigen Themen wie Landkonflikten, Transitional Justice oder der Frage, welche Ansätze in der Friedens-arbeit sich als wirksam erwiesen haben und wel-che nicht. Regelmäßig finden runde Tische zu Krisenregionen statt, zum Beispiel zu aktuellen Konfliktgebieten wie Syrien, Ägypten und Mali, aber auch zu den vergessenen Konflikten in Ke-nia, in Indonesien, in Nepal und im Südkaukasus, die derzeit nicht im Fokus der öffentlichen Debatte stehen. Wir haben darüber hinaus eine aktive deutsche zivilgesellschaftliche Fachöffentlichkeit wie die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, die den Akti-onsplan gefordert hat, im Beirat zum Aktionsplan mitarbeitet, Stellungnahmen zu den Umsetzungs-berichten formuliert und im ständigen Dialog mit dem Unterausschuss für Zivile Krisenprävention steht. Erstmals haben wir eine gemeinsame Stel-lungnahme von vier zivilgesellschaftlichen Netz-werken erhalten: der Plattform Zivile Konfliktbear-beitung, dem Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe, VENRO, dem Forum Menschen-rechte und dem Konsortium Ziviler Friedensdienst. Außerdem liegt uns eine Stellungnahme der Ge-meinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, GKKE, und des Beirats zum Aktionsplan vor. Wir als Unterausschuss haben alle diese Stellung-nahmen aufmerksam gelesen. Mehr Aufmerksam-keit für die Bedrohungen, denen Zivilgesellschaft in Konfliktländern ausgesetzt ist, können wir auch im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitä-re Hilfe geben. Die Stärke des Aktionsplans von vor zehn Jah-ren ist, dass er deutlich gemacht hat, dass Frie-densförderung eine Querschnittsaufgabe ist, zu der alle Ministerien etwas beitragen können. Seine Schwäche damals war, dass in 161 Einzelpunkten mögliche Aktionen vorgestellt wurden, aber keine übergreifende Strategie enthalten war. Insofern haben wir, Frau Brantner, tatsächlich noch eine große Aufgabe vor uns, eine deutsche Strategie für Friedensförderung und Konflikttransformation zu entwickeln. Die Rolle des Parlaments wurde schon ange-sprochen. Es ist für die Finanzierung verantwort-lich. Wir haben nicht nur mehr Geld für den Zivilen Friedensdienst erreicht, sondern wir haben auch mehr Geld für humanitäre Hilfe in den aktuellen Haushalt eingestellt. 2014 wurde zudem ein neuer Titel für Projekte in Ländern der östlichen Partner-schaft eingerichtet, (Beifall bei der SPD) der übrigens zu den 150 Millionen Euro dazuzu-rechnen ist, die Frank-Walter Steinmeier vorhin erwähnt hat. Auch gibt es Mittel für das ZIF und für die Transforma-tionspartnerschaften in Nordaf-rika. Wir haben Anfang November im Unteraus-schuss gemeinsam mit dem Innenausschuss eine Anhörung zu -Polizeimissionen durchgeführt. Am 2. März werden wir uns im Unterausschuss eben-falls öffentlich mit der Verbesserung der Rahmen-bedingungen für ziviles Personal im Ausland be-fassen. Bei der Anhörung zur Polizeimission wur-de deutlich, dass Deutschland zu internationalen Polizeimissionen eher qualitativ als quantitativ beitragen kann, weil es bei uns aus guten Grün-den keine militärisch organisierten bzw. dem Mili-tär unterstehenden -Polizeieinheiten wie die fran-zösische Gendarmerie oder die italienischen Carabinieri gibt. Wir können und sollen zukünftig mehr Fachleute, die ihr Praxiswissen weitergeben können, in Einsätze der Vereinten Nationen und der Europäischen Union entsenden, aber keine Hundertschaften der Bereitschaftspolizei. Bei der Anhörung wurde auch deutlich, dass in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Internationale Po-lizeimissionen“ die Einsätze kompetent vorberei-tet, begleitet und ausgewertet werden. Uns wur-den konkrete Vorschläge vorgestellt, darunter re-lativ einfach zu erfüllende wie eine regelmäßige Unterrichtung des Deutschen Bundestages über die internationalen Polizeimissionen und eine Ver-ankerung in der polizeilichen Aus- und Fortbil-dung, insbesondere der Führungskräfte. Ich hoffe, dass wir in der Anhörung am 2. März dieses Jah-res weitere konkrete Vorschläge für den gesam-ten Bereich der zivilen Fachkräfte in internationa-len Einsätzen erhalten. Deutschland übernimmt 2016 den OSZE-Vorsitz. Das ist ein weiterer Aspekt von „mehr Verantwortung übernehmen“. Die OSZE hat eine entscheidende Rolle in der Ukraine-Krise gespielt. Sie ist derzeit der einzige Rahmen, in dem die Staaten in und um Europa über Sicherheitsthemen und vertrauensbildende Maßnahmen diskutieren und verhandeln können. Deswegen ist es gut, dass Deutschland 2016 den Vorsitz übernimmt und schon jetzt im Rahmen der Troika-Konstruktion der OSZE Mitverantwortung über-nimmt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutige Debatte leistet einen Beitrag zu dem, was sich die Fachöffentlichkeit lange gewünscht hat: zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung öffent-lich sichtbarer zu machen. „Mission Frieden“ hat die Süddeutsche Zeitung gestern in Vorschau auf unsere heutige Debatte getitelt. Das nehmen wir gerne auf. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Wenn wir heute den aktuellen Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Akti-onsplans „Zivile Krisenprävention“ diskutieren und beraten, dann ist das, glaube ich, in der Tat eine starke und überzeugende Antwort auf die Debat-ten, die wir in den vergangenen zwölf Monaten rund um die Frage, welche Rolle Deutschland in der internationalen Politik spielen kann, soll und muss, geführt haben. Ich glaube, es ist richtig, dass wir dabei auf ei-ne umfassende Verantwortung Deutschlands in der Welt setzen. Es kommt eben auf alle Kompo-nenten an; das ist in dieser Debatte deutlich ge-worden. Es kommt auf Diplomatie und Verhand-lungen an – so wie es die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister seit Monaten mit hoher Energie in der Ukraine und im Russland-Konflikt tun. Es kommt auf Entwicklungszusammenarbeit und wirtschaftliche Aufbauarbeit an. Immer wieder wird man in Situationen kommen, in denen man im Sinne des vernetzten Ansatzes auch militärische Mittel und Möglichkeiten einsetzen muss. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber klar ist, dass die zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung in den vergangenen Jah-ren zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. Das kommt nicht von ungefähr. Das hat mit der Veränderung der Konfliktszenarien, mit denen wir konfrontiert sind, zu tun. Während früher vorwie-gend starke, souveräne, funktionierende Staaten gegeneinander Krieg geführt haben, etwa um Land, Rohstoffe oder politische Einflusssphären, sind die Konfliktschemata, mit denen wir derzeit konfrontiert sind, völlig andere. Zu finden sind sie in der Regel in fragilen, gescheiterten Staaten oh-ne staatlichen Ordnungsrahmen. Deshalb, glaube ich, müssen wir an exakt diesem Punkt ansetzen. Das war in Afghanistan so, und es ist beispiels-weise im Krisenbogen rund um Europa der Fall, angefangen bei Mali über Darfur, den Südsudan, Somalia, Syrien bis hin zum Irak. Ich glaube, vor diesem Hintergrund war es im Jahr 2004 eine wegweisende Entscheidung der Bundesregierung, den Aktionsplan „Zivile Krisen-prävention“ auf den Weg zu bringen. Zum einen hat er die Erfahrungen der Zeit und die Rahmen-bedingungen sortiert und eingeordnet, zum ande-ren hat er die wesentlichen Marksteine für die Po-litik der Zukunft formuliert, nämlich erstens den Vorrang des Zivilen vor dem Militärischen, zwei-tens die Einbindung Deutschlands in eine multila-terale Dimension und drittens die Hilfe zur Selbst-hilfe. Es geht nicht darum, anderen Staaten etwas zu oktroyieren, sondern es geht darum, die loka-len und regionalen Akteure zu befähigen, die Her-ausforderungen selbst zu bewältigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir die Erfolge der letzten zehn Jahre Revue passieren lassen, stellen wir fest: Sie sind ganz maßgeblich darauf zurückzuführen, dass es gelungen ist, die Institutionen – die staatlichen wie die zivilen – zu stärken und weiterzuentwickeln. Ich denke dabei zum Beispiel an das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, aber auch an die Bundesakademie für Sicherheitspolitik, an den Beirat für Zivile Krisenprävention beim Auswärti-gen Amt und an den Unterausschuss hier in unse-rem Hause. Das sind die Institutionen, mit denen wir erfolgreich arbeiten konnten und mit denen darüber hinaus auch eine Vernetzung der unter-schiedlichen staatlichen und nichtstaatlichen Ak-teure möglich war. Auch in puncto Geld ist viel passiert – der Au-ßenminister ist darauf eingegangen –: Heute ste-hen zehnmal mehr Mittel für die zivile Krisenprä-vention zur Verfügung als im Jahr 2004. Dahinein fällt auch, was wir im Rahmen von internationalen Organisationen leisten, dahinein fällt auch, was wir im Bereich des Klimaschutzes machen; denn wir sind der Meinung, dass zivile Krisenprävention letztlich ein umfassendes Thema ist, das man nicht in einzelne Ressorts filetieren kann, sondern das man in der Gesamtheit betrachten muss. Wenn man den Summenstrich zieht, können wir, so glaube ich, sagen: Es ist viel passiert. Da wa-ren wir sehr erfolgreich. Immer wieder wird in der öffentlichen Debatte darüber diskutiert, dass wir mehr Aufmerksamkeit für die Arbeit im Bereich der zivilen Krisenpräven-tion brauchen. Das ist richtig; davon bin ich über-zeugt. Wer hat denn schon auf dem Schirm, dass durch diese Arbeit beispielsweise im Jahr 2001 in Mazedonien ein Bürgerkrieg zwischen zwei Eth-nien verhindert werden konnte? Wer hat denn bei-spielsweise die Alphabetisierungsoffensive in Af-ghanistan auf dem Schirm oder die Ausbildung der Sicherheitskräfte dort, wodurch es möglich wird, dass sie selbst ihren Ordnungsrahmen definieren und ausfüllen können? Wer hat das alles im Be-wusstsein? Deshalb wäre es richtig und gut, wenn wir es schaffen würden, einmal im Jahr eine außenpoliti-sche Generaldebatte hier im Bundestag zu führen, um jenseits von konkreten Einsatzmandaten den Blick für die Herausforderungen zu schärfen, mit denen wir konfrontiert sind, und um die Aufmerk-samkeit der Menschen auf das zu lenken, was wir hier tun. Es ist im Übrigen ja nicht so, dass wir altruis-tisch unterwegs wären, dass das alles ein Selbst-zweck wäre, um den es hier geht, sondern wir verfolgen unsere Interessen. Das gilt zum einen auf der negativen Seite: Wir sind konfrontiert mit internationalem Terrorismus; wir sind konfrontiert mit organisierter transnationaler Kriminalität; wir sind konfrontiert mit Flüchtlings- und Migra-tionsströmen nach Europa und Deutschland. Im Positiven sind wir aber auch die Volkswirtschaft, die mehr als alle anderen internationalisiert und globalisiert ist. Niemand außer uns hat ein so großes Interesse an einer freien, offenen und wei-testgehend sicheren Welt. Deshalb geht es um unsere eigenen Interessen. Wir müssen deutlich machen, dass wir deutsche und europäische Inte-ressen in der Welt vertreten und dass es uns da-rum geht, einen guten Ordnungsrahmen nicht nur in unserem Land, sondern auch darüber hinaus zu schaffen. Darum geht es, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich glaube darüber hinaus, dass wir uns auch im Bereich der zivilen Krisenprävention ähnlich wie beim Einsatz der militärischen Fähigkeiten auf bestimmte Weltregionen konzentrieren müssen. Wir müssen unsere Interessen definieren und un-sere Möglichkeiten danach ausrichten. Deshalb ist es, glaube ich, auch richtig, nicht als eine Art Weltpolizei oder als eine Art Weltentwicklungs-werk unterwegs zu sein, sondern klare Schwer-punkte in der östlichen und südlichen Nachbar-schaft Europas zu setzen. Es geht darum, lokale und regionale Akteure zu stärken, etwa die Afrika-nische Union. Das können wir in vielfältiger Art und Weise tun. Es geht, glaube ich, auch darum, dass wir es schaffen, eine noch stärkere Integra-tion der europäischen Staaten in diesem Bereich zu erreichen. Damit sind die Frage der Wirksam-keit und auch die Frage der Glaubwürdigkeit ver-bunden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden uns in diesen Wochen ganz intensiv damit auseinandersetzen, wie wir es schaffen können, ein Missverhältnis umzukehren. Deutschland tut viel; wir sind der drittgrößte Geber der UN. Ge-meinsam mit den anderen EU-Staaten, den USA und Japan finanzieren wir etwa 80 Prozent des Peacekeeping-Budgets der Vereinten Nationen. Umgekehrt haben wir im Moment beim Personal die Situation, dass 70 Prozent der Einsatzkräfte, egal in welchem Bereich, aus Staaten Afrikas, Zentral- und Südasiens kommen. Uns geht es da-rum, Personal und personelle Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, dass wir unsere Kompetenzen insbesondere im Bereich der zivilen Experten und der Polizeikräfte noch stärker und besser einsetzen können und müssen. Dafür wollen wir in den nächsten Wochen die Voraussetzungen schaffen. Dann sind wir, glaube ich, in der Tat auf einem guten Weg. Herzlichen Dank, auch für Ihr Verständnis, Frau Präsidentin. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Josip Ju-ratovic, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Verehrte Gäste! Wir leben in konfliktreichen Zeiten: Es brennt in der Ukraine, es brennt in Syrien, und es brennt an vielen ande-ren Orten. Es hat den Anschein, als gäbe es kein Mittel, diesen Konflikten vorzubeugen. Aber es gäbe noch viel mehr Konflikte, wenn nicht zivile Experten zivile Krisenprävention betreiben wür-den. Das Problem ist: Das bekommt kein Mensch mit. Nachrichten gibt es nur, wenn es Konflikte gibt bzw. wenn sie ausbrechen. Zivile Krisenprävention ist ein immens wichti-ges Thema. Leider diskutieren aber außerhalb des Hohen Hauses nur wenige Experten darüber. Das muss sich ändern. Deshalb begrüße ich, dass der heute diskutierte Bericht neben anderen Aufgaben vor allem die Sichtbarkeit der zivilen Krisenprä-vention als eigenes Aufgabenfeld festhält. Es ist auch unsere Aufgabe als Abgeordnete. Wenn wir in unseren Wahlkreisen über Außenpolitik reden, müssen wir dieses wertvolle zivile Engagement hochhalten. Es ist ein großartiges Engagement, das wir mit Stolz vermitteln sollten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Ich bin mir sicher: Es ist kein Zufall, dass Deutschland eine führende Rolle bei der zivilen Krisenprävention spielt. Die Menschen in unserem Land wollen Konflikte nicht militärisch lösen. Sie wissen, dass eine militärische Intervention immer nur die allerletzte Lösung sein kann. Lassen Sie mich auf zwei Punkte des Berichts besonders eingehen: erstens den Ansatz der Re-gionalität und zweitens die Nachhaltigkeit. Unsere Umsetzung – erstens – der zivilen Kri-senprävention ist richtig; denn sie folgt einem re-gionalen Ansatz. In der Empfängerregion kann nur regionale Zusammenarbeit die Grundlage für dau-erhafte und bessere Beziehungen und Stabilität legen. Zu begrüßen ist auch, dass Deutschland die zivile Krisenprävention nicht allein betreibt. Wir wollen sie gemeinsam mit unseren Partnern vo-ranbringen: in der EU, in der OSZE und in der UNO. Zweitens möchte ich Sie auf einen Fakt hinwei-sen, der mir im Bericht besonders gefällt. Ich bli-cke dabei auch durch die Brille der Entwicklungs-zusammenarbeit. Im Bereich der zivilen Krisen-prävention wird endlich einmal nachhaltig gearbei-tet. Wir bauen nicht nur Leuchttürme, sondern wir bauen auch dauerhafte Strukturen auf; denn wir wissen: Frieden wird zwar schnell zerstört, aber nur mühsam und mit viel Einsatz wieder aufge-baut. Deswegen ist es gut, dass wir langfristig wirkende Strukturen schaffen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich denke dabei an den Ressortkreis Zivile Kri-senprävention, den Beirat Zivile Krisenprävention, das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, den Zivilen Friedensdienst, die Deutsche Stiftung Friedensforschung und das Programm zivik des Instituts für Auslandsbeziehungen, ifa. Die Nachhaltigkeit sieht man auch an den in-vestierten Finanzmitteln: Waren es 2004 noch rund 14 Millionen Euro, so steht heute dem Aus-wärtigen Amt die zehnfache Menge an Euro zur Verfügung. Trotzdem gibt es noch einiges zu tun. Erstens sollten wir uns verstärkt dafür einsetzen, dass Deutschland zukünftig mehr Personal für vereinte Missionen zur Verfügung stellt. Zweitens sollten wir die ressortübergreifende Vernetzung weiter verstärken. Drittens sollten wir die Kooperation und Koordination mit den internationalen Partnern Deutschlands weiter ausbauen. Wir brauchen stärkere internationale Organisationen, das heißt eine Stärkung der sicherheits- und friedenspoliti-schen Konzepte und Kapazitäten von Europäi-scher Union und Afrikanischer Union, aber auch von Organisationen wie der OSZE. Ganz beson-ders brauchen wir eine Stärkung der Führungsrol-le und der Autorität, aber auch der Handlungsfä-higkeit der Vereinten Nationen. Wenn wir bedenken, welche menschlichen Tra-gödien und materiellen Schäden verhindert wer-den, ist die Arbeit der zivilen Krisenprävention von unschätzbarem Wert. Deswegen danke ich allen Akteuren der zivilen Krisenprävention für ihre großartige, ausdauernde und mutige Arbeit. Zum Schluss lassen Sie mich noch in Richtung Linke etwas sagen. Hier wird sehr stark pointiert, dass Sie gegen Krieg und Militäreinsätze sind. Das ist ehrenwert. Ich aber war in der Friedens-bewegung vom Westbalkan. Ich war mit vielen Freunden vernetzt, zum Beispiel im Kosovo. In den 90er-Jahren ist einer meiner besten Freunde aus der Friedensbewegung, Agim Hajrizi, Vorsit-zender der Metallgewerkschaft im Kosovo, von -Milosevics Milizen, er war der Dritte auf ihrer Lis-te, liquidiert worden. Ich habe einfach die Bitte: Wenn Sie sagen: „Wir sind gegen Militäreinsätze“ – oder sonstige Dinge, die Sie hier propagieren –: Verlieren Sie den einen oder anderen Gedanken auch an die Opfer. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kolle-gin Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Herr Juratovic, herzlichen Dank für Ihre letzten Worte. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Dass ein Ak-tionsplan, der 2004 beschlossen worden ist, jetzt auch für die vierte Koalitionsregierung gilt, zeugt von der Weitsicht dieses Plans, zeigt aber auch seine Notwendigkeit. Es ist schon damals in die-sem Plan richtig erkannt worden, dass es wichtig ist, die Krisenprävention als politische Quer-schnittsaufgabe zu sehen. Inzwischen hat sich das Konfliktgeschehen vollständig gewandelt. Die Anforderungen an das internationale Krisenmanagement verändern sich fast jährlich, man kann sogar sagen: fast täglich. Es gibt immer mehr bewaffnete Konflikte. Man spricht von über 40 Krisen und Kriegen in der Welt. Dabei werden die Konflikte immer komplexer und die Kriege immer asymmetrischer. Wir haben weltweit Gewaltausbrüche. Es gibt Menschenrechtsverletzungen in vielen Staaten, egal ob in -Syrien, in der Ukraine, in Nigeria, in der Zentralafrikanischen Republik oder im Irak, um nur einige zu nennen. Wir sehen Bilder von Gräueltaten, die uns schockieren und von denen wir uns nicht vorstellen können, dass sie so auf der Welt überhaupt passieren. Damit ist im Laufe der letzten Jahre der Stellenwert, den wir einer zi-vilen Krisenprävention zumessen, gestiegen. Wir müssen überlegen: Wie bauen wir Strukturen auf, um zu verhindern, dass in fragilen Staaten be-waffnete Konflikte entstehen? Wie können wir zielgerichteter vorgehen? Wie können wir in die-sem Bereich lösungsorientierter handeln? Das Entwicklungsministerium hat die Zu-kunftscharta „EINEWELT – Unsere Verantwor-tung“ auf den Weg gebracht. Darin wird richtig gesagt, dass die Ursachen von Gewalt, Fragilität und Unsicherheit nicht allein innerstaatlicher Natur sind, sondern dass viele andere Dinge von außen hineinwirken, dass der „Do No Harm“-Ansatz über die Grenzen der Entwicklungszusammenarbeit hinaus angewendet werden muss. Dafür brauchen wir permanent eine umfassende Akteursanalyse. Wir brauchen immer eine umfassende Konfliktana-lyse für jedes Land und jede Region. Wir müssen uns auch mit anderen Themen beschäftigen, egal ob das in diesem Zusammenhang die Handelspoli-tik, die Agrarpolitik oder die Rohstoffpolitik ist. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Ich glaube, wir haben mit unseren Institutionen – das ist angesprochen worden – gute Vorarbeit geleistet: Ziviler Friedensdienst, Zentrum für In-ternationale Friedenseinsätze, Deutsche Stiftung Friedensforschung, der Beirat für Zivile Krisen-prävention, der Ressortkreis Zivile Friedensprä-vention. Aber hier ist es, wie auch in anderen Be-reichen, wichtig, eine bessere Koordinierung der Akteure zu erreichen. Manchmal hat man das Ge-fühl, jeder arbeitet ein bisschen für sich. Wir müs-sen die Zusammenarbeit stärker vernetzen. Wir müssen schauen, dass mehr gemeinsam in eine Richtung gearbeitet wird. Wir machen sehr viel. Die Frage ist, ob es im-mer genug ist. Genug kann es nie sein. Das Ent-wicklungsministerium gibt jedes Jahr 500 Millionen Euro aus, um Konflikte, Fragilität und Gewalt zu verhindern. Wir sind auch froh, dass die entsprechenden Titel immer wieder eine Erhöhung erfahren. Aber wir müssen trotzdem schauen – das ist von Ihnen angesprochen wor-den –: Wie schaffen wir es, zu einem friedenspoli-tischen Leitbild zu kommen? Ich bin froh, dass das alle Kollegen des Hauses angesprochen ha-ben. Wir müssen uns aber auch fragen: Wie schaffen wir es, zu einem besseren Krisenma-nagement und zu einem Frühwarnsystem, das wir mit aufbauen müssen, zu kommen? Das erinnert mich immer an Mali. Da hat man die Warnzeichen zwar erkannt, aber nicht rechtzeitig. Als dann 2012 die Tuareg zu den Waffen gegriffen haben, war es zu spät. Ich glaube, eine richtig angewandte und nach-haltige Entwicklungspolitik ist auch für die Krisen-prävention das Wichtigste. Wir müssen schauen, dass wir zu einer guten Regierungsführung kom-men, die die politische Teilhabe aller ermöglicht und nicht nur das nackte Überleben sichert und dabei die Lebensgrundlagen nicht maßlos zerstört. Bildung, Ausbildung, Gesundheitsversorgung, Ressourcen- und Klimaschutz sowie der Aufbau funktionierender Strukturen sind dabei wichtige -Aspekte. Ebenfalls wichtig ist der Aufbau von Sicherheit. Sie ist genauso wichtig wie stabiles und rechts-staatliches Verwaltungshandeln. Wir müssen ef-fektive und demokratische Strukturen bei der Poli-zei und beim Militär, angefangen bei der Ausbil-dung, sicherstellen. Das darf man nicht ausblen-den. Das ist alles eins. Diese Bereiche müssen ineinandergreifen. Wichtig ist auch, Maßnahmen zur Achtung von Menschenrechten zu ergreifen. Die Zivilgesell-schaft vor Ort muss stärker eingebunden und stärker als in der Vergangenheit gefördert werden. Ich möchte noch Folgendes ansprechen: Das schwächste Glied in der Kette sind meist die Frauen und die Kinder. Sie sind von Konflikten am stärksten betroffen, sind aber die wichtigsten Wegbereiter von Frieden. Denken Sie an die erste Friedensnobelpreisträgerin Afrikas, Wangari Maathai, eine wunderbare Frau, die sich friedlich dafür eingesetzt hat, ihr Kenia nach vorne zu brin-gen. Sie hat mehr erreicht als irgendjemand sonst. Die Erziehung durch die Mütter legt den Grundstein für Frieden und Sicherheit. Deshalb muss dieses Thema in der Entwicklungszusam-menarbeit und in der Krisenprävention stärker ge-würdigt werden. (Beifall des Abg. Josip Juratovic [SPD]) Erfolgreiche Gewaltverhütung ist hoch angese-hen, aber meist unsichtbar und wenig öffentlich-keitswirksam. Viele Krisen werden im Hintergrund aus dem Weg geräumt, bevor sie für uns über-haupt sichtbar sind oder wir sie spüren. Wer ist denn überhaupt bereit, 1 Euro oder 1 Cent dafür auf den Tisch zu legen? Man spürt es nicht. Man merkt nicht, dass Krisen im Hintergrund beseitigt werden. Es muss erst wehtun. Man wird erst wach, wenn die Flüchtlinge bei uns vor der Tür stehen. Erst dann beginnen wir, über die Situation und deren Ursachen nachzudenken. Aber dann ist es für die Ursachenbekämpfung zu spät. Dann können wir nur noch die Symptome lindern. Wir wissen, dass es kein Allheilmittel gibt. Deutschland kann die Aufgabe auch nicht allein bewältigen. Deswegen ist es wichtig, dass alle staatlichen, nichtstaatlichen, internationalen und nationalen Akteure ein bestmögliches Zusam-menwirken erreichen. Es ist eine gesamtgesell-schaftliche Aufgabe, und als diese muss sie auch erkannt werden. Es gilt, unsere Regionalorganisationen – die AU und die OSZE sind bereits angesprochen worden – in der Zukunft zu stärken. Wir haben die Chance dazu, wenn wir 2016 die OSZE-Präsidentschaft übernehmen. Es müssen dann teilweise Reformen durchgeführt werden; auch das muss man in die-sem Zusammenhang sehen. Wenn wir von Übernahme von Verantwortung Deutschlands und darüber, was wir alles wollen, sprechen, dann stellt sich die Frage: Kann man nicht noch mehr tun? Damit beziehe ich mich ins-besondere auf die Tatsache, dass 70 Prozent des Personals in der Friedenssicherung aus Staaten Afrikas und Zentral- und Südasien kommen; Herr Frei hat das vorhin angesprochen. An dieser Stel-le ist noch viel zu tun. Wir haben die Möglichkeit, uns in diesem Zusammenhang noch viel aktiver einzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Entwicklungszusammenarbeit und zivile Kri-senprävention, ob auf europäischer, internationa-ler oder lokaler Ebene, sind Teamarbeit. Wir ken-nen die notwendigen Instrumente zur Sicherung von Frieden und Sicherheit. Es geht nun darum, sie effektiv einzusetzen. Es geht aber auch da-rum, dass wir sie weiterentwickeln, und zwar je-des Jahr, weil jedes Jahr neue Herausforderungen auf uns zukommen. In diesem Sinne bedanke ich mich für das Zu-hören. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor ich der Kollegin Pfeiffer das Wort gebe, erteile ich der Kollegin Marieluise Beck das Wort zu einer Kurzintervention zum Re-debeitrag des Kollegen Juratovic. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! – Neben dem, wo wir uns alle einig sind – Friedensarbeit, auch Prävention und vorausschauendes Handeln im Hinblick auf mögliche Konflikte; das alles ist wichtig –, hat der Kollege Juratovic – dafür bin ich ihm sehr verbunden – festgestellt, dass es den-noch Situationen geben kann, in denen auch der Einsatz von Gewaltmitteln bzw. militärischen Mit-teln ethisch legitim oder sogar notwendig sein kann. Ich finde, gerade wir in Deutschland müs-sen darüber nachdenken. Wir in Deutschland haben gelernt: Nie wieder Krieg. Ich gehöre zu der Generation, die deswe-gen politisch geworden ist. Sie hat erst später be-gonnen, darüber nachzudenken, was denn mit den Opfern ist. Wenn wir „nie wieder Krieg“ sagen – und damit meinen, dass es nie, nie, nie erlaubt sein darf, eine Waffe in die Hand zu nehmen –, de-legitimieren wir damit, dass sich die Polen, die sowjetische Armee, die Franzosen, die Amerika-ner und die Briten mit Waffengewalt gegen den deutschen Faschismus zur Wehr gesetzt haben. Ich habe diesen Gedanken erst gehabt, als ich gesehen habe, wie die Menschen in Bosnien ein-geschlossen waren. Sie stellten die Fragen der Opfer, nämlich: Seid ihr bereit, uns zu schützen? Oder gebt ihr uns die Möglichkeit, uns selbst zu schützen und selbst zu verteidigen? Die Beant-wortung dieser Fragen sollte für uns gerade die Schlussfolgerung aus der Verantwortung sein, die dieses Land hat, nachdem es im letzten Jahrhun-dert Europa zweimal ins Verderben gestürzt hat. Diese Fragen der Opfer müssen uns deshalb ge-nauso bewegen. Deswegen darf es nicht eine ethisch höherwertige, moralisch bessere und manchmal auch etwas selbstgerecht vorgetrage-ne Gewissheit geben, dass jeder Einsatz von Waf-fen ethisch nicht gerechtfertigt sei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Das ist dann so angenommen. – Die Kollegin Pfeiffer von der CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Es ist ungemein schwierig, Konflikte zu lö-sen, wenn sie ausgebrochen sind. Deshalb lohnt sich in jedem Fall der Ansatz, die Konflikte gar nicht erst stattfinden zu lassen. Es ist darum wichtig, dass wir diese Debatte heute führen. Ich glaube, es war vor allen Dingen in den letzten Jahren auch Sache der Großen Koalition, über Konfliktprävention zu reden. Das scheint – wenn wir uns einmal umschauen und sehen, wie die Welt aus den Fugen gerät – aktueller denn je. Auf diesem Feld müssen wir arbeiten, um das ein we-nig in den Griff zu bekommen. Ich möchte anhand von drei Beispielen – nach-dem wir darüber jetzt schon relativ lange diskutie-ren – auf Einzelheiten eingehen. Zum Beispiel nenne ich das Thema „Integration von Minderhei-ten als Krisenprävention“. In diesem Zusammen-hang führe ich die Ukraine an. Man kann natürlich trefflich darüber streiten, wer wann welche Schuld auf sich geladen und welchen Fehler gemacht hat. Der große Teil dieses Hauses ist sich aber doch einig, dass der Konflikt maßgeblich von Russland befeuert und in die Region hineingetragen wurde. Das geschah mithilfe von russischen Minderhei-ten, die den bewaffneten Kampf gegen Kiew – mit direkter, aber auch indirekter Unterstützung des Militärs aus Moskau – suchten. Was können wir daraus für die Zukunft lernen? Wir können daraus lernen, dass es sehr gut funk-tionieren würde, wenn es uns gelänge, durch gute Arbeit – auch durch gute Entwicklungszusam-menarbeit – Minderheiten zu integrieren. Wir ha-ben gelernt, dass verschiedene Ethnien, Religi-onsgruppen oder Stämme Quelle für Konflikte sein können, aber nicht müssen. Wenn wir in den Irak schauen und uns den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten ansehen, stellen wir fest, dass wir dort genau dasselbe Problem haben. Ein wichtiger Punkt für mich in diesem Zusam-menhang: Gut integrierte Minderheiten sind weni-ger empfänglich für Avancen von Akteuren, die Konflikte befeuern. Das ist ein wichtiges Thema unserer Arbeit. Es hat eine politische, eine kultu-relle und auch eine religiöse Dimension, und es ist zielführend, das in die Konfliktbearbeitung einzu-beziehen. Zweiter Punkt. Welche Möglichkeiten haben wir als externe Akteure eigentlich, in Konflikten oder in der Krisenprävention tätig zu sein? Mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, zitiere ich gerne einmal Rainer Nolte. Er ist Referatsleiter im Minis-terium für Integration des Landes Baden-Württemberg und hat 2010 gesagt: Für die Krisenprävention verantwortlich sind in erster Linie die Konfliktparteien selbst. … Aufgabe externer Akteure ist es, subsidiär friedenserhaltende oder friedensschaffende Prozesse zu unterstützen und zu begleiten. Was heißt das für uns? Das heißt, dass wir nie zu einer echten Konfliktpartei werden dürfen. Wenn wir ehrliche und neutrale Makler sein wol-len, dann dürfen wir nur die Konflikte begleiten und versuchen, sie zu lösen. Wir dürfen sie aber nie zu unserem eigenen Konflikt machen, weil wir aus diesem Spannungsfeld dann nicht mehr heraus-kommen würden. Es ist nicht immer einfach, das durchzuhalten. Das gilt vor allen Dingen für die Neutralität, weil wir natürlich für Werte wie Menschenrechte, De-mokratie, Rechtsstaatlichkeit und Ähnliches ste-hen. Wenn die Konfliktseiten einseitig ihre Rechte geltend machen, ohne auf diese Werte zu achten, dann ist es manchmal extrem schwer, auch Neut-ralität zu wahren. Aber genau das ist unsere Auf-gabe. Das sage ich vor allen Dingen in dem Wis-sen, dass die Konflikte nicht von uns gelöst wer-den können, und ich wiederhole mich: Immer nur die Parteien selber haben die Konflikte zu lösen. Wir können nur unterstützen. Das bringt mich zum dritten Punkt, den ich an-sprechen möchte, nämlich zur zivilen Konfliktlö-sung. Wir haben es oft erlebt, dass uns die Öf-fentlichkeit gerade in aufkeimenden oder aktuellen Konflikten unglaublich unter Druck setzt. Sowohl die Bundesregierung als auch wir Bundestagsab-geordnete werden zum umgehenden, aber auch zielführenden Handeln aufgefordert. Es ist manchmal nicht leicht, das zu erfüllen, da die zivi-le Krisenprävention und die Konfliktlösung eher nachhaltige, langfristige Akte sind, die in der Re-gel nicht von heute auf morgen möglich sind. Um den Konflikt in eine bestimmte Richtung zu leiten, muss man dann unter Umständen auch einmal militärische Unterstützung anfordern, und mit sanftem Druck, wie im Falle Russlands, muss man den Willen auch einmal durch Sanktionen – auch Wirtschaftssank-tionen – deutlich machen. Im Prinzip brauchen wir aber Zeit, um Konfliktli-nien aufbrechen, Diskussionen in Gang setzen und unterstützend und nachhaltig tätig sein zu können. Ich bin sehr froh, lieber Franz Josef Jung, dass schon 2006 in das Weißbuch des Verteidigungs-ministeriums aufgenommen wurde – ich zitiere noch einmal mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –: Nicht in erster Linie militärische, sondern ge-sellschaftliche, ökonomische, ökologische und kulturelle Bedingungen … bestimmen die künftige sicherheitspolitische Entwicklung. Liebe Freunde, das heißt für mich und auch für die Politik, dass zuallererst die zivilen Instrumente eingesetzt werden müssen, bis sie greifen; denn nur sie sind nachhaltig und langfristig, nur sie greifen die gesellschaftlichen, ökonomischen, ökologischen und kulturellen Bedingungen der einzelnen Ethnien in den Ländern auf und wirken in der schnelllebigen Zeit langfristig. Obwohl wir den Konflikten schnell entgegenwirken müssen, müs-sen wir an Nachhaltigkeit und Langfristigkeit ar-beiten. Das ist präventive Arbeit. Präventive Arbeit können wir als Entwicklungs-politiker sehr leicht betreiben; denn wir versuchen schon im Ansatz, die Ursachen zu bekämpfen. Die Ursachen sind beispielsweise Armut, fehlende Gesundheitsversorgung und mangelnde Bildung. All das betrifft das, was wir in der Entwicklungs-politik als Grundlage unserer Basisarbeit ansehen. Als Entwicklungspolitiker betreiben wir im Rah-men der Entwicklungspolitik per se – egal in wel-chem Bereich wir tätig sind – aktiv und grundsätz-lich -zivile Krisenprävention. Das dokumentiert sich zum Beispiel in unserem Haushaltsansatz zur Stabilisierung der Entwicklung Nordafrikas. Wir kennen aber auch die Transformationspartner-schaften. All das ist Entwicklungspolitik auf höchstem Niveau, aber gleichzeitig auch nachhal-tige und langfristige zivile Krisenprävention auf al-len Gebieten. Es gibt beste Beispiele, die belegen, dass das wirkt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Ta-gesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Egon Jütt-ner, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland beteiligt sich derzeit mit etwa 4 500 Soldaten, zahlreichen zivilen Experten und rund 300 Polizeibeamten an internationalen Friedenseinsätzen. Dies ist eine beachtliche Ent-wicklung seit dem ersten deutschen Friedensein-satz 1989/90. Damals wurden 50 Beamte des Bundesgrenzschutzes als Teil der UNTAG-Mission zur Sicherstellung fairer und freier Wah-len nach Namibia entsandt. Heute erfolgt der Ein-satz Deutschlands in vielen Konfliktregionen die-ser Welt, sei es in Mittelamerika, im Nahen Osten oder auf dem afrikanischen Kontinent. Das wie-dervereinigte Deutschland wird durch diese Eins-ätze seiner außenpolitischen Bedeutung und sei-ner Rolle in der Welt gerecht. Wir sollten im Rah-men der heutigen Debatte den Zivilisten, den Poli-zisten und den Soldaten danken, die sich häufig unter schwierigsten Bedingungen und teilweise sogar unter Einsatz ihres Lebens für Frieden, De-mokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrech-te einsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Der Bericht der Bundesregierung über die Um-setzung des Aktionsplans „Zivile Krisenpräventi-on, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ zeigt eine bemerkenswerte Bandbreite der zivilen Krisenprävention Deutschlands. Ziel der Krisen-prävention ist, gewaltsame Konflikte im Vorfeld ih-res Entstehens zu verhindern und zum Erhalt von Frieden und Freiheit beizutragen. Deutschland un-terstützt dabei seine Partner beim Aufbau funkti-onsfähiger staatlicher Strukturen und bei der Frie-denskonsolidierung durch Rechtsstaatsaufbau, Demokratieförderung, die Förderung unabhängi-ger Medien, die Wahrung der Menschenrechte und die Schaffung von Lebensgrundlagen. In all diesen Bereichen gibt es zahlreiche bilaterale und multilaterale Projekte, die von der Bundesregie-rung unterstützt und finanziert werden. Lassen Sie mich einen Aspekt besonders her-vorheben, nämlich die Menschenrechte, die tag-täglich weltweit verletzt werden. In vielen Ländern, in die wir Soldaten, Polizisten und Zivilisten ent-senden, werden Menschenrechte oft mit Füßen getreten. Morde und Folter sind an der Tagesord-nung. Politische Partizipation und persönliche Freiheiten sind entweder stark eingeschränkt oder gänzlich unbekannt. Es ist deshalb eine wesentli-che Aufgabe der zivilen Krisenprävention, Men-schenrechtsorganisationen zu unterstützen und sie in die Lage zu versetzen, Menschenrechtsver-stöße in ihren Ländern zu thematisieren und ihre Ursachen zu bekämpfen. Die Bundesregierung, hier insbesondere das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung, steht in regelmäßigem Kontakt mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, um die lokale Menschenrechtslage zu verbessern, Regierungen für Menschenrechte zu sensibilisie-ren und Gremien zum Schutz der Menschenrechte zu schaffen. Über das Instrument des zivilen Frie-densdienstes finanziert das Ministerium den Ein-satz von Friedensfachkräften, die sich im Kontext der Friedensentwicklung und der Krisenprävention für den Schutz von Menschenrechten engagieren. Hierbei spielt auch der Schutz von Menschen-rechtsverteidigern eine wichtige Rolle; denn in vielen Ländern gehen Menschen enorme Risiken ein, wenn sie die Verletzung von Menschenrech-ten bekannt machen oder sich gegen Straflosig-keit einsetzen. Durch ihren Einsatz werden sie häufig das Ziel von Angriffen und Bedrohungen. Sie brauchen Sicherheit und Schutz. Die Bundes-regierung fördert deshalb Projekte für Menschen-rechtsverteidiger, indem sie diese beispielsweise auf diplomatischem Wege schützt und finanziell unterstützt oder Seminare und Sicherheitstrai-nings anbietet. Der Schutz von Menschenrechts-verteidigern ist Teil des menschenrechtlichen Ak-tionsplans der Bundesregierung. Um dies zu verwirklichen, ist eine kontinuierli-che Beobachtung der Lage von Menschenrechts-verteidigern erforderlich. Dabei kooperiert die Bundesregierung eng mit anderen Staaten der Eu-ropäischen Union auf der Grundlage der EU-Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsvertei-digern, wonach die Situation von Menschen-rechtsverteidigern in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen weltweit nachhaltig verbessert werden soll. Deutschland war gemeinsam mit Dänemark fe-derführend, die Global-Values-Initiative auf den Weg zu bringen, mit der Menschenrechte, Demo-kratie und Rechtsstaatlichkeit im außenpolitischen Handeln der EU stärker verankert wurden. Dies war die Grundlage für die im Juni 2012 verab-schiedete erste EU-Menschenrechtsstrategie, die für alle Bereiche des Außenhandelns der EU gilt. Schließlich gipfelte dieses kontinuierliche Enga-gement im selben Jahr in der Ernennung des ers-ten EU-Sonderbeauftragten für Menschenrechte. Damit setzte die EU ein Zeichen, die Menschen-rechte zu einem ihrer strategischen Schwerpunkte zu machen und in Menschenrechtsfragen mit einer Stimme zu sprechen. Die Bundesregierung setzt sich, wie ihr Bericht zeigt, vorbildlich für einen höheren Stellenwert des Menschenrechtsschutzes ein. Dabei kann sie sich auf die Koalitionsvereinbarung berufen, in der klar zum Ausdruck kommt, dass Verstöße gegen die Menschenrechte nicht nur die Würde des jeweils Betroffenen verletzen, sondern auch den Frieden und die internationale Sicherheit bedrohen können, weshalb die Bundesregierung auch die neue Stra-tegie der EU-Menschenrechtspolitik unterstützt. Der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur zivilen Krisenprävention anerkennt die im Bericht der Bundesregierung be-schriebenen Maßnahmen und begrüßt das ress-ortübergreifende Handeln der Bundesregierung ebenso wie das Engagement zivilgesellschaftli-cher Organisationen. Wir stimmen deshalb dem Entschließungsantrag der CDU/CSU und der SPD zu. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3213 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-sen. Wir kommen nun zu den Entschließungsanträ-gen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen. Interfraktionell ist vereinbart, über die Entschließungsanträge abweichend von der Geschäftsordnung sofort abzustimmen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Druck-sache 18/3926. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-ßungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Entschließungsantrag der Fraktion die Linke auf Drucksache 18/3927. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-schließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen ge-gen die Stimmen der Fraktion die Linke abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3928. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Linken gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab-gelehnt. Zusatzpunkt 4. Abstimmung über die Beschlus-sempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Mehr Anerkennung für Peacekee-per in internationalen Friedenseinsätzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 18/3931, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-che 18/1460 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-haltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bun-desregierung 13. Sportbericht der Bundesregierung Drucksache 18/3523 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlos-sen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die noch Gespräche führen müssen, das vor den Türen des Plenarsaals zu tun. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bun-desminister Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Der Anlass für die heutige Debatte ist die Vorlage des 13. Sportberichts der Bundesregie-rung; er liegt Ihnen vor. Er zeichnet ein umfas-sendes Bild der Sportförderpolitik des Jahres 2013 und nimmt auch noch die Ergebnisse der Olympi-schen Winterspiele von Sotschi 2014 in den Blick. Das waren solide sportliche Erfolge auf der Basis einer soliden Finanzierung. Die Arbeit für den Sport ist auch ein Beitrag zum -gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sport verbindet und schafft gemeinsame Ergebnisse. Richard von Weizsäcker, an den wir in diesen Ta-gen denken und der bis weit in die 1980er-Jahre hinein immer noch das Sportabzeichen abgelegt hat, hat einmal gesagt: Der Sport ist der stärkste Antrieb für das, was unsere demokratische Gesellschaft vor allem braucht: nämlich nicht einfach den privaten, kritischen Rückzug, sondern die aktive Bür-gergesellschaft. Sport ist ein Imageträger für unser Land. Deutschland ist eine in der Welt hochangesehene Nation, auch wegen seiner Spitzenleistungen im Sport – und nicht nur im Fußball. Im Spitzensport muss der Platz auf dem Podest aber immer wieder neu verteidigt werden. Die Bilanz der Olympischen Winterspiele in Sotschi war, wenn wir ehrlich sind, letztlich enttäuschend. Am Ende von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften werden nun ein-mal Medaillen gezählt, und Spitzensportförderung aus dem Bundeshaushalt ist Spitzen-Sportförderung. Der Vorstandschef der Stiftung Deutsche Sporthilfe, Michael Ilgner, hat jüngst einmal ge-sagt: Der deutsche Leistungssport kommt nicht mehr durch den TÜV. – Eine harte Analyse. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Und richtige!) Die Olympiaanalysen von DOSB und IAT zei-gen, dass wir Gefahr laufen, den Anschluss an die absolute Weltspitze zu verlieren. Ich habe es schon bei der Mitgliederversammlung des DOSB gesagt: Wir stehen am Scheideweg. Entweder wir gehen allmählich immer mehr ins Mittelmaß, mit sinkender Tendenz, überdeckt durch einige her-ausragende Einzelsportler, oder wir finden den Weg zurück in die Spitzengruppe der großen Nati-onen der Welt, wo wir als Spitzensportnation hin-gehören. Ich habe mit dem Präsidenten des DOSB ver-einbart – der DOSB hat das so beschlossen –, die Strukturen der Spitzensportförderung auf den Prüfstand zu stellen und, wo nötig, neue Wege zu beschreiten. Bis zu den Olympischen Spielen in Rio 2016 soll ein Konzept stehen. Im März begin-nen wir mit der ersten Arbeit des sogenannten Lenkungsausschusses. Diesem Lenkungsaus-schuss sitzen Herr Hörmann und ich persönlich vor. Wir wollen die Sache jetzt in Angriff nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Was wir auf internationaler Ebene erleben, ist eine zunehmende Fokussierung vieler Nationen auf wenige Disziplinen und ihre Stärken. Dazu hat es schon eine Anhörung im Sportausschuss ge-geben. Wir wollen nicht das holländische Modell nachahmen, wo man sozusagen ganz viele Me-daillen mit einer Disziplin erreicht, nämlich dort mit Eisschnelllauf. Wir wollen auch nicht London 2012 kopieren. Wir haben unsere eigene Sporttradition. Die ist stark von Vielfalt geprägt. „Ohne Breite keine Spitze“, das ist die griffige Formel; das ist auch richtig. Dennoch wird darüber zu diskutieren sein: Was bedeutet denn „Breite“ genau in einem System Spitzensport? „Breite“ kann nicht bedeuten, alles gleichmäßig zu fördern und alles zu machen. Die-ser Weg wird Deutschland nicht an den Platz zu-rückführen, an den es als Sportnation gehört. Vieles wird zu analysieren sein: Welche Ver-bände sind besonders erfolgreich, welche weni-ger, und warum ist das so? Eine solche Analyse wird schmerzhaft sein, aber sie ist unumgänglich. Wie sieht es mit den Rahmenbedingungen – Trai-ner, Übergabe von Nachwuchstrainern an Spitzen-trainer, Stützpunkte, Nachwuchsarbeit – aus? Wie sieht es mit der sportwissenschaftlichen Unter-stützung aus? Ist das vernünftig? Wie arbeiten Köln und Leipzig zusammen? Ist es wirklich schon richtig gut? Wie ist die Rolle von IAT und FIS? Wir wollen uns Zeit lassen für die Analyse. Un-ser Blick geht über Rio 2016 hinaus. Unser Zeit-plan für die Umsetzung zielt auf die Jahre 2024/28, nicht nur wegen der Olympiabewerbung, auf die ich gleich komme, sondern auch wegen der Auswirkungen von Ergebnissen einer Neu-strukturierung der Spitzensportförderung; das geht eben nicht über Nacht, sondern dauert 5, 10, 15 Jahre. Deswegen hängt die Strukturveränderung in der Förderung des Spitzensports, die wir gemeinsam mit dem DOSB betreiben wollen, eng mit der Olympiabewerbung zusammen. Jedes Gastgeber-land will zeigen, was es kann; das liegt in der Na-tur der Sache. Es geht bei der Neustrukturierung also auch darum, uns für unsere Gastgeberrolle optimal aufzustellen. Der 13. Sportbericht, den wir heute diskutieren, führt uns noch einmal die gescheiterte Olympi-abewerbung München 2018 und München 2022 vor Augen. Vor allem die eindeutigen Bürgervoten im November 2013 gegen eine Bewerbung waren enttäuschend. Sie sind auszuwerten. Es ist zu klä-ren, warum das so war. Es ist daher richtig, dass der DOSB gemein-sam mit Hamburg und Berlin frühzeitig entschie-den hat: Ohne eine deutliche und frühe Zustim-mung der Bürgerinnen und Bürger wird es ein zu-künftiges Projekt Olympia in Deutschland nicht geben können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Deshalb muss es darum gehen, die Bevölke-rung in der jeweiligen Bewerberstadt, aber auch darüber hinaus zu begeistern. Jeder und jede soll-te sich bewusst machen: Die Chance, Olympische Spiele in der eigenen Stadt oder im eigenen Land zu haben, hat man vielleicht nur einmal im Leben oder jedenfalls nicht häufig; sie kommt so schnell nicht wieder. Ich glaube, Olympische Spiele sind eine einma-lige Möglichkeit und Chance, der Welt unser Land so zu präsentieren, wie wir sein wollen: fröhlich, leistungsorientiert, patriotisch und weltoffen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wo sonst finden Menschen aller Alters-gruppen, Nationen, Schichten, Religionen so zu-sammen? Wo sonst gibt es Ereignisse, bei denen ein solches Wir-Gefühl erlebbar wird? Jeder weiß noch, wie es war, als wir im Sommer 2006 Gast-geber waren, wie stolz wir als Gastgeber waren, wie viel Freude, Mut und Zuversicht wir aus die-sen Wochen gewonnen haben – sogar ohne Weltmeister zu werden. Es geht deshalb bei der Entscheidung, die in den nächsten Wochen – im März – ansteht, nicht in erster Linie um Berlin oder Hamburg, sondern es geht um eine deutsche Bewerbung, auch wenn am Ende nur eine Stadt den Zuschlag bekommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Bundesregierung unterstützt den Weg einer Olympiabewerbung für Deutschland mit ganzer Kraft. Ein weiterer Punkt. Unsere Position sollte sich nicht darin erschöpfen – das können wir Deut-schen besonders gut –, das IOC und andere für die Vergabeverfahren der Vergangenheit zu kriti-sieren, die Gastgeberstädte zu kritisieren oder auf unhaltbare Zustände in einzelnen Austragungsor-ten hinzuweisen. Das kann man alles machen. Besser wäre es, wir machten es besser und zeig-ten, wie es anders geht in einer Demokratie. Selbst antreten und besser machen: Das ist die Devise. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die guten Konzepte von Hamburg und Berlin sind dafür geeignet. Abkehr vom Gigantismus. Dieser Ansatz hat sich – darauf hat Hans-Jochen Vogel vor einiger Zeit hingewie-sen – auch in München 1972 be-währt und war Teil des Konzepts. Deshalb passen die Konzepte von Hamburg und Berlin auch gut in die IOC-Reformen, die unter Führung des deut-schen Präsidenten dort in Gang gesetzt worden sind. Wir brauchen womöglich einen langen Atem. Sie wissen, was ich meine: Nicht jede Bewerbung gelingt beim ersten Mal. Es gibt eine starke Kon-kurrenz. Aber das ist dann so. Auch die Reise der deutschen Fußballnational-mannschaft zum WM-Titel 2014 begann nicht erst im Trainingslager in Südtirol 2014. Der Anfang dieser Erfolgsgeschichte ist sogar noch vor dem Sommermärchen 2006 zu suchen. Joachim Löw hat in seiner Rede anlässlich der Auszeichnung mit dem Deutschen Medienpreis sehr eindrucks-voll beschrieben, welch langer strategischer Weg vom DFB eingeschlagen worden ist, um schließ-lich viele, viele Jahre später einen solch großen Erfolg zu landen. Das war ein langer, auch hür-denreicher Weg mit viel Kritik, sogar mit Perso-nalwechsel, wie wir wissen. Aber die Strukturen blieben gleich. Die Zielrichtung, eine Vorstellung davon, wie der deutsche Fußball der Zukunft aus-sehen sollte, stand am Anfang. Deswegen ist für den Sport außerhalb des Fuß-balls jetzt die Zeit für einen solchen Anfang und auch Zeit, sich zu fragen: Wo wollen wir 2024, 2028 sein? Welche Schritte brauchen wir bis da-hin, und wie gehen wir das strategisch an? So sollten wir also in Sachen Olympia mit Mut und Zuversicht am Startblock stehen. Wir wissen nicht, wie das IOC 2017 entscheiden wird, aber wir sollten uns gut darauf vorbereiten. Was wir also brauchen, ist nicht eine Bewer-bung nur von Hamburg oder Berlin und nicht nur eine Bewerbung des DOSB, sondern wir brauchen eine Bewerbung des gesamten Sports, einschließ-lich des Breitensports. Wir brauchen eine Bewer-bung und die Begeisterung ganz Deutschlands. Möglichst alle sollten sagen: Ja, wir wollen die Spiele. Wir sind stolz darauf, sie zu bekommen, und wir freuen uns darauf, wieder Gastgeber sein zu dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Und jetzt zurück zum Sportbericht der Bundesregierung!) Dann gibt es noch etwas anderes. Wir haben ja nun nicht so ganz viele großartige Erfolge mit der Organisation von Großprojekten. Hier liegt eine Chance, nicht nur der Welt, sondern auch uns selber zu beweisen, dass wir imstande sind, ein solches Großprojekt fristgerecht, termingerecht, rechtsstaatlich, mit Bürgerunterstützung und ver-nünftig – mit nachhaltiger Nutzung – hinzube-kommen. Das wäre ein Erziehungsprojekt weit über Olympia hinaus, auch nach innen; das fände ich gut. Meine Damen und Herren, wenn ich in die Rei-hen hier schaue, sehe ich viele, die dem Sport mit Begeisterung verbunden sind. Das ist gut so, reicht aber nicht aus. Deswegen müssen wir ab heute und insbesondere in den Tagen nach der Entscheidung des DOSB nicht nur in diesem Haus, sondern überall eine Welle der Begeiste-rung auslösen, die lange anhält. Das ist schwer. Es ist jedenfalls Zeit, dass wir Deutschland mit seinem Spitzensport wieder gemeinsam in die Spitzengruppe der Welt führen und dass wir es schaffen, die Olympischen Sommerspiele im nächsten Jahrzehnt nach Deutschland zu holen. Daran sollten wir arbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten André Hahn, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. André Hahn (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sport ist nicht nur, wie es manchmal heißt, die schönste Nebensache der Welt, sondern für im-mer mehr Menschen ein ganz wichtiger Bestand-teil ihres Lebens, und das zum Teil von der Kind-heit bis ins hohe Alter. Der Deutsche Olympische Sportbund hat derzeit knapp 28 Millionen Mitglie-der in 90 000 Vereinen. Was dort von den Aktiven aller Altersklassen, von den Trainern und Übungs-leitern, von den Sportfunktionären der verschiede-nen Ebenen und nicht zuletzt auch von den Schieds- und Kampfrichtern Jahr für Jahr geleistet wird, verdient allerhöchste Anerkennung. Dafür möchte ich mich auch im Namen meiner Fraktion ganz herzlich bedanken. (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD) Leider spielt der Sport in den Debatten des Bundestages nur selten eine Rolle. Schon deshalb ist der 13. Sportbericht der Bundesregierung wich-tig. Er enthält durchaus viele wertvolle Informatio-nen, er krankt allerdings an einem zentralen Punkt, dem völlig fehlenden Problembewusstsein. Die Lage wird in fast allen Bereichen schönge-färbt. Eigentlich unübersehbare Defizite werden verschwiegen. Auf der Hand liegende offene Fra-gen bleiben unbeantwortet. Der Minister – das will ich gerne einräumen – war in seiner Rede schon etwas differenzierter. Ich komme gleich noch auf einzelne Punkte zurück. Zuvor will ich an den 12. Sportbericht erinnern, zu dem der Bundestag im Januar 2011 eine Ent-schließung verabschiedet hatte. Vieles von dem, was vor vier Jahren beschlossen wurde, ist nicht erfüllt worden. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: In der Tat!) Die Olympiabewerbung von München für 2018 ist gescheitert. Ein Anti-Doping-Gesetz ist immer noch nicht beschlossen; es gibt jetzt immerhin ei-nen Referentenentwurf. Der Zugang von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, mit Migrati-onshintergrund sowie aus sozial schwachen Fami-lien zum Vereinssport liegt weiter deutlich unter dem Durchschnitt. Die sportliche Infrastruktur und die Situation der Sportstätten sind kaum besser, sondern vielerorts sogar noch schlechter gewor-den. Nach wie vor – auch das will ich sagen – gibt es einen enormen Unterschied bei den in Sport-vereinen organisierten Menschen zwischen Ost- und Westdeutschland. Im Westen liegt der Orga-nisierungsgrad bei durchschnittlich 30 Prozent, im Osten nur bei 15 Prozent. Damit sollten wir uns nicht zufriedengeben. (Beifall bei der LINKEN) Das gilt im Übrigen auch für den Leistungs-sport. Der erfreuliche Gewinn der Fußballwelt-meisterschaft hat einiges überdeckt; denn die Re-sultate der Olympischen Spiele in Sotschi waren wirklich nicht berauschend. Das erfordert auch Konsequenzen. Der Sportausschuss hat sich da-mit wiederholt beschäftigt. Wenn es um die künf-tige Förderung des Spitzensports geht, müssen wir sorgfältig abwägen, wofür wir Steuergelder in die Hand nehmen. (Beifall bei der LINKEN) Im Kern gibt es für Deutschland zwei Alternati-ven: entweder eine absolute Konzentration der zur Verfügung stehenden Mittel auf einige wenige ausgewählte und medienträchtige Sportarten – diesen Weg haben zum Beispiel die Holländer beim Eisschnelllauf eingeschlagen – oder die Fortsetzung einer differenzierten Sportförderung in allen für Deutschland traditionellen olympischen und paralympischen Sportarten. Die Linke ist für die zweite Variante, wobei uns klar ist, dass es perspektivisch zu veränderten Prioritätensetzun-gen kommen muss. Beim Sport für Menschen mit Behinderungen gab es positive Entwicklungen. Trotzdem bleibt noch viel zu tun. Ein Basketballer braucht nicht nur Sportkleidung. Wenn er im Behindertensport tätig ist, braucht er auch einen teuren Sportroll-stuhl. Der Weitspringer Markus Rehm benötigt nicht nur Turnschuhe, sondern eine teure Spezial-prothese. Hinzu kommen Ausgaben für Assistenz und für den Transport zum Training. Für all das gibt es in der Regel keine Zuschüsse. Auch Sponsoren stehen bei den Behindertensportlern nicht Schlange. 1950 stiftete Bundespräsident Theodor Heuss das Silberne Lorbeerblatt als höchste staatliche Auszeichnung im Sport. Es dauerte sage und schreibe 43 Jahre, ehe Bundespräsident Richard von Weizsäcker erstmals auch Sportlerinnen und Sportler mit Behinderungen mit dem Silbernen Lorbeerblatt ehrte. Es vergingen noch einmal zwei Jahrzehnte, bis auch die von den Linken immer wieder geforderte Gleichbehandlung der Medail-lengewinner bei Olympischen und Paralympischen Spielen hinsichtlich der Prämierung durch die Deutsche Sporthilfe endlich realisiert wurde. Das ist gut und richtig, aber die Trainer werden bei der Prämierung weiter ungleich behandelt. Hierfür ist die Bundesregierung zuständig; sie sollte das endlich ändern. (Beifall bei der LINKEN) Übereinstimmung gibt es auch bei der Notwen-digkeit der Bekämpfung von Doping. Die Linke hat dazu bereits im August letzten Jahres in einem Antrag Eckpunkte für das längst überfällige Anti-Doping-Gesetz vorgelegt. Wir wollen die beste-henden Strafvorschriften für den Handel mit Do-pingmitteln erweitern und auch einen neuen Straf-tatbestand Sportbetrug einführen, der es künftig ermöglichen würde, beteiligten Trainern die Lizenz und beteiligten Ärzten die Approbation zu entzie-hen sowie gegen gedopte Athleten harte Geldbu-ßen und bei Wiederholungstätern auch Freiheits-strafen zu verhängen. Zudem hoffe ich, dass wir fraktionsübergreifend möglichst noch in diesem Jahr eine Lösung für die Entschädigung von Do-pingopfern in Ost und West finden; sie haben eine angemessene Lösung verdient. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zum Schluss nur noch einige wenige Stichwor-te. Der Sport ist keine Spielwiese für Rechtsext-remisten und Gewalttäter, für Ausländerfeindlich-keit und Rassismus. (Beifall im ganzen Hause) Im Gegenteil: Der Sport leistet einen wichtigen Beitrag zur Integration von Menschen mit Migrati-onshintergrund, Asylbewerbern und Flüchtlingen. Die diesbezüglichen Aktivitäten müssen wir noch stärker unterstützen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch als langjähriger Kapitän des FC Landtag Sachsen und jetziger Aktiver beim FC Bundestag sage ich: Der Fußball darf in der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender nicht alles domi-nieren. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt im Spitzensport sowie im Breitensport vie-le Sportereignisse, über die es zu berichten lohnt. Es war inakzeptabel, dass die Spiele der Hand-ballweltmeisterschaft in Katar hierzulande nur im Pay-TV verfolgt werden konnten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge-ordneten der SPD) Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich für das Zusammenwirken mit dem DOSB bedan-ken. Präsident Alfons Hörmann leistet hier in schwieriger Zeit eine sehr gute Arbeit. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Detlev Pilger [SPD]) Ich wünsche seinem Vorgänger, Thomas Bach, viel Erfolg bei seinem Bemühen, die längst über-fälligen Reformen im verkrusteten, überalterten und in Teilen wohl auch korrupten IOC tatsächlich umzusetzen. (Beifall bei der LINKEN) Und ich wünsche mir eine FIFA ohne Sepp Blatter an der Spitze. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Sven Volmering [CDU/CSU] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Da klatsche ich doch glatt mit!) Meine Damen und Herren, ich wünsche mir ab-schließend, dass wir bei allen Verweisen auf die Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Kommu-nen die Situation im Breitensport nicht aus dem Blick verlieren. Wir haben dort viel zu tun. Packen wir es gemeinsam an! Sport frei! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Detlev Pilger, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Detlev Pilger (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Gäste! Lie-be Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege André Hahn hat gerade ein sehr gutes Beispiel dafür ge-nannt, wie integrativ der Sport sein kann, nämlich beim FC Bundestag, wo wir uns alle hervorragend verstehen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirk-lichkeit – so der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Volker Kauder. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Starker Auftakt der Rede! – Heiterkeit bei der CDU/CSU) Damit hat er recht. Betrachten wir doch einmal die Wirklichkeit der Sportvereine in Bezug auf den Mindestlohn! Grundsätzlich gilt es festzuhalten, dass Angestell-te von Vereinen nun für ihre getane Arbeit fair be-zahlt werden, und das – da sind wir uns sicherlich einig – ist auch gut so. (Beifall bei der SPD) Das, was für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in anderen Branchen gilt, muss auch im Sport gel-ten. Hierbei ist zu betonen, dass das Ehrenamt von der Mindestlohnregelung nicht betroffen ist. Die Frauen und Männer, die sich ehrenamtlich enga-gieren, leisten einen ungeheuren volkswirtschaft-lichen Beitrag und tragen maßgeblich zum Gelin-gen des gesellschaftlichen Mitei-nanders bei. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Auch wenn der Ehrenamtler für seine Aufwendun-gen und Kosten eine Aufwandsentschädigung er-hält, trifft auf ihn der Arbeitnehmerstatus nicht zu. Er fällt somit nicht unter die Mindestlohnregelung. Ebenfalls ist denkbar, dass ein Verein jeman-den auf Minijobbasis anstellt, zum Beispiel zur Führung des Vereinsheims. Hierfür stehen ihm richtigerweise 8,50 Euro pro Stunde zu. (Zuruf von der SPD: Mindestens!) Dies schließt jedoch nicht aus, dass er weiterhin für diesen Verein ehrenamtlich tätig ist und dafür auch eine Aufwandsentschädigung er-halten kann, etwa wenn derjenige, der das Ver-einsheim führt, eine Jugendmannschaft trainiert. Also – und nun hingehört! –: Arbeitnehmer ist nur, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages weisungsgebundene Arbeit leistet, und darunter fällt das Ehrenamt mit Aufwandsentschädigung eindeutig nicht. (Beifall bei der SPD) Kommen wir zum Monster der Dokumentations-pflicht von Arbeitszeiten. Es wird teilweise so ge-tan, als hätte es diese bisher nicht gegeben. Die-jenigen von uns, die schon einmal in einer Fabrik gearbeitet haben, werden sich an die berühmte Stechuhr erinnern, die Beginn und Ende der Ar-beitszeit registriert hat. Nach dem Arbeits-zeitgesetz müssen die geleisteten Arbeitsstunden festgehalten und Überstunden ausgeglichen wer-den. Dies macht Sinn und schützt Arbeitnehmer vor Ausbeutung. Wie kann die Dokumentationspflicht von Ar-beitszeiten für Sportvereine denn nun aussehen? Recht einfach: Man trägt handschriftlich den Be-ginn und das Ende der Arbeitszeit in eine Liste ein, und dies bei einem Zeitaufwand unter einer Minute. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist sicher zu leisten. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oli-ver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Vereine haben das auch schon in Bezug auf die Registrierung der Übungsleiterstunden getan, da ansonsten eine Bezuschussung durch den je-weiligen Landessportbund nicht erfolgen kann. Es ist also ein Prozedere, das in den Vereinen durch-aus üblich ist. Es handelt sich bei der Kritik an der Dokumentationspflicht also um einen Scheinrie-sen, ähnlich Herrn Turtur aus der Augsburger Puppenkiste, der bei näherem Betrachten immer kleiner wird. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Ein schönes Bild!) Eine Schwierigkeit – Kollege Gienger und ich haben es thematisiert – ist der Status der soge-nannten Vertrags-amateure, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!) jener Sportlerinnen und Sportler, die sich vertrag-lich an einen Verein binden und dafür ein geringes Entgelt erhalten; im Bereich des Fußballs häufig 250 Euro pro Monat. Das Problem ist erkannt und bei unserer Arbeitsministerin Andrea Nahles in den besten Händen. (Beifall bei der SPD – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Dann ist ja gut!) Ich darf Beispiele nennen. Sie hat für die Ange-stellten des Schaustellergewerbes und für die Mit-arbeiterinnen – ich hätte fast gesagt: der Pfälzer Bergdörfer – der Pfälzer Berghütten eine Lösung gefunden. (Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Da bin ich gespannt!) – Sie können gespannt sein. – Sie wird ein gutes Ergebnis liefern, weil Andrea Nahles mit den Men-schen, den Organisationen und Vereinen spricht. Bleiben Sie also bitte alle ganz entspannt. (Beifall bei der SPD) Zwei kurze Bemerkungen seien mir noch er-laubt. Der Kollege Hahn hat es eben schon ange-sprochen: Der Sport trägt beispielhaft zur Integra-tion von Menschen bei, unabhängig von ihrer Re-ligion, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrem sozialen Status, und muss alle erdenkliche Unter-stützung hierfür erhalten; gerade in diesen Tagen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU und des Abg. Eber-hard Gienger [CDU/CSU]) Ein Letztes. In Bezug auf die Olympiabewer-bung von Berlin und Hamburg möchte ich erwäh-nen, dass die Akzeptanz der Bevölkerung davon abhängen wird, ob sie erkennt, dass das Großer-eignis eine nachhaltige Bedeutung für unser Land bzw. eine Region hat. München, London und War-schau an der Weichsel haben es uns vorgemacht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Özcan Mutlu, Bündnis 90/Die Grü-nen. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, zunächst möchte ich einen Satz zu Ihrer Rede sagen. Ich habe mich in den zwölf Minuten wirklich gefragt: Reden Sie hier zu Olympia, oder reden Sie hier zum 13. Sportbericht der Bundesregierung? Diese Frage habe ich mir die ganze Zeit gestellt. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Olympia hat mit Sport ein bisschen was zu tun!) – Ja, aber im Sport geht es um mehr als um Olympia, lieber Herr Grindel, und auch um mehr als Fußball. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber sei’s drum: Im Sportausschuss bestehen über Parteigrenzen hinweg viele Gemeinsamkei-ten. Neben diesen Gemeinsamkeiten gibt es na-türlich auch Differenzen und Unterschiede, und das ist auch gut so, weil der Sport die politische Debatte braucht. Leider diskutieren wir im Sport-ausschuss ohne Öffentlichkeit, hinter verschlos-senen Türen. Daran möchte die Große Koalition leider nichts ändern. Das ist der falsche Weg. (Dieter Stier [CDU/CSU]: Eine Ge-schäftsordnung, die Sie mitbe-schlossen haben!) Lassen Sie uns wieder zu öffentlichen Sitzungen des Sportausschusses zurückkehren. Nicht weni-ger, sondern mehr Transparenz und damit mehr Demokratie – das sollte unser Gebot sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten der SPD) Meine Damen und Herren, der 13. Sportbericht der Bundesregierung, über den wir heute diskutie-ren, gibt vertiefte Einblicke in die Sportpolitik. Es gibt vielleicht keinen anderen Bericht in dieser Form und mit dieser Tiefe; das ist auch gut so. Der Sportbericht macht deutlich, wie vielfältig der Sport ist und welche wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben und Funktionen er erfüllt. Jedoch frage ich mich öfter – auch bei den Reden heute –, ob die Politik im Deutschen Bundestag dieser Vielfalt im Sport tatsächlich gerecht wird. Nun zwei Sätze zu der Olympiabewerbung. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Es ist nicht verwerflich, wenn man eine Olympi-abewerbung begrüßt. Aber es ist schon komisch und eine absolute Missachtung des Bürgerwillens, wenn im Bericht verschwiegen wird, dass die letz-ten Bewerbungen an fehlenden Mehrheiten vor Ort und an einem fehlenden Bürgerwillen gescheitert sind, weil die Bürgerinnen und Bürger eben nicht mitgenommen wurden. Diese Tatsache gehört hier unbedingt erwähnt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Immer wieder wird die Autonomie des Sports betont. Wir haben an dieser Stelle keinen Dissens. Autonomie im Sport ist wichtig. Ich kritisiere aber, dass man in der Vergangenheit zu häufig auf die Autonomie verwiesen hat und die Sportverbände einfach hat machen lassen. Eine gute Sportpolitik lässt die Sportverbände aber nicht alleine, vor al-lem nicht mit den gesellschaftlichen Themen und Anforderungen, die Kollege Hahn vorhin aufge-zählt hat. Ich nenne als Beispiel nur ein Stichwort: Inklusion. Eine gute Sportpolitik setzt eigene Akzente. Nehmen wir zum Beispiel Sportgroßveranstaltun-gen: Ist Olympia heute tatsächlich noch eine Bot-schaft des friedlichen Wettstreits der Nationen? Ich habe da Zweifel – siehe Sotschi. (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Olympia wurde zu einer Marke und zu einem Hochglanzprodukt weiterentwickelt, in dessen Pflege das IOC mehr Eifer steckt als in die Bewäl-tigung der sportlichen Aufgaben und Herausforde-rungen des Verbandes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Politik hat zugeschaut. Daran wird auch die IOC-Agenda 2020 nicht viel ändern. An dieser Stelle sage ich: Papier ist geduldig; wir brauchen Taten. Gleiches gilt für die Fußball-WM und die FIFA. Die FIFA ist ein Weltsportverband, der zu einem Symbol für Intransparenz, Vetternwirtschaft und Korruption verkommen ist. Das ist doch die trauri-ge Realität. Damit wird der Sport kaputtgemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Schauen wir uns die jüngste Handball-WM in Katar an: gekaufte WM, gekauftes Image, gekauf-te Fans, gekaufte Journalisten. Ist das die Zukunft des Sports? Soll das die Zukunft des Sports sein? Wir sagen klar Nein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Wir müssen uns die Frage stellen: Wie weit darf die Kommerzialisierung des Sports gehen? Es ist doch offensichtlich, dass der einseitige Fo-kus auf Einnahmen und Gewinne unter Aufgabe der moralischen Werte den organisierten Sport selbst schädigt und kaputtmacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dabei geht es nicht nur um Fairplay, Moral und In-tegrität. Es geht um Menschenrechte, um Nach-haltigkeit im Sozialen, im Wirtschaftlichen und um Fragen der Umwelt. Dies wird der Sport alleine nicht schaffen. Die Politik und damit wir alle ge-meinsam müssen den Sport dabei unterstützen. Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir eine solche grundsätzliche Debatte auch zum An-ti-Doping-Gesetz hier führen werden. Ihr Referen-tenentwurf setzt sich nur mit den Symptomen, je-doch nicht mit den Ursachen von Doping ausei-nander. Sie entkleiden die Sportlerinnen und Sportler von ihren Bürgerrechten. Wir dagegen lehnen den gläsernen Athleten ab. Ein weiteres Thema, das in dem Bericht zu kurz kommt, ist die Manipulation im Sport. Ich vermis-se eine konkrete Initiative der Bundesregierung gegen Wettbetrug, gegen Korruption. Wir alle wissen doch, dass wir hier bisher nur die Spitze eines Eisbergs sehen. Der organisierte Sport braucht nicht nur die fi-nanzielle Unterstützung durch die Politik, vielmehr braucht er auch unsere Anregungen und Denkan-stöße. Die Ergebnisse der Weltsportministerkon-ferenz MINEPS, die hier in unserer Hauptstadt stattgefunden hat, sind dafür eine gute Basis. Nun muss die Bundesregierung auf dieser Grundlage weniger reden und mehr handeln. Es hilft über-haupt nicht, wenn die Bundesregierung den Sport als Faustpfand gegen die Bundesländer einsetzt. Die Erpressung der Bundesländer über die ge-plante Kürzung der Mittel bei „Jugend trainiert für Paralympics“ und „Jugend trainiert für Olympia“ war Ihrer nicht würdig und beschämend. Mit die-ser Aktion haben Sie dem Sport einen Bärendienst erwiesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich komme zum Schluss. Ich habe den Ein-druck, dass sich der Sport zu sehr auf Einnahmen durch den Leistungssport und auf Hochglan-zevents konzentriert. Deshalb – da bin ich bei Ihnen, Herr Minister – gehört die Spitzensportför-derung in der Tat auf den Prüfstand gestellt. Wir Grüne wollen eine Politik, die Bewegung und Sport in der Gesellschaft und die Sportverbände fördert, in der Spitze wie in der Breite. Hier sollten wir als Politik vorangehen. Ich lade Sie herzlich ein, mit-zulaufen, und hoffe sehr, dass Ihnen unterwegs nicht die Puste ausgeht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Dieser sportpolitische Appell kam unter leichter Überziehung der Redezeit zustande, aber immer-hin. – Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Eberhard Gienger, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Eberhard Gienger (CDU/CSU): Herr Präsident! Lieber Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe sportinte-ressierte Zuschauer oben auf den Rängen! Im 13. Sportbericht der Bundesregierung werden für die Jahre 2010 bis 2013 die zahlreichen Maßnahmen und Initiativen der Bundesregierung im Bereich der Sportförderung zusammengefasst. Auf unge-fähr 140 Seiten wird dargestellt, wie einzelne Bun-desministerien den Sport unterstützen und voran-gebracht haben. Die Maßnahmen der einzelnen Ministerien reichen dabei über verschiedene Akti-onsfelder vom Familiensport bis hin zur Förderung des Spitzensports. Für den Sport ist der Bundesinnenminister zu-ständig. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Bun-desinnenminister Thomas de Maizière ganz herz-lich dafür danken, dass er dem Sport und dem Spitzensport eine große Förderung hat zuteilwer-den lassen, nicht zuletzt dadurch, dass wir im lau-fenden Jahr eine Erhöhung des Sporthaushaltes von 15 Millionen Euro erhalten haben. Wir haben ja gerade gehört, wie wichtig es ist, den Spitzen-sport auf neue Ebenen zu heben; denn die Ergeb-nisse der Olympischen Spiele von Sotschi waren tatsächlich nicht berauschend. Die Sportberichte der Bundesregierung sind mittlerweile eine Art Standardwerk geworden. Hier können sich Bürger und Sportinteressierte umfas-send informieren, was in der Sportförderung alles unternommen wird, welche Fördergrundsätze gel-ten und was zukünftig für und mit dem Sport be-wegt werden soll. In diesem Sinne bietet der 13. Sportbericht zweierlei: eine Rückschau in die Ver-gangenheit – das ist hier eine durchaus positive sportpolitische Bilanz der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen in der 17. Wahlperiode – und, das ist noch viel wichtiger, einen Blick in die Zukunft, also auf die vielen Vorhaben und sportpo-litischen Ziele in der 18. Wahlperiode. Letzteres wirft ein Schlaglicht auf die sportpoli-tischen Ziele im Koalitionsvertrag und auf das, was wir bereits auf den Weg gebracht haben, zum Beispiel das Anti-Doping-Gesetz, das wir bis zum Herbst dieses Jahres beschließen wollen. Ich glaube, wir sind hier auf einem guten Weg und werden ein gutes Gesetz hinbekommen. Wir wollen weiterhin die Konflikte im Bereich Sport und Lärm entschärfen. Des Weiteren wollen wir zusammen mit den Gesundheitspolitikern ein Präventionsgesetz auf den Weg bringen; dieses wird heute im Bundesrat beraten. Wir wollen zu-dem die wissenschaftliche Forschung unterstüt-zen und die Sportförderung weiter reformieren. Ich bin sehr dankbar, dass der Innenminister und der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbun-des, Herr Hörmann, dies zur Chefsache gemacht haben. Wir wollen auch weiterhin die Sportvereine stärken und von bürokratischen Hürden befreien, Stichwort Mindestlohn; ich darf mich be-danken, dass Detlev Pilger dieses Thema schon angesprochen hat. Ich freue mich besonders, dass es am 23. Februar dieses Jahres ein Ge-spräch geben wird, zu dem sich die Ministerin An-drea Nahles und Vertreter des BMAS mit dem Deutschen Olympischen Sportbund und dem Deutschen Fußball-Bund treffen werden, um ins-besondere die Probleme der von Detlev Pilger an-gesprochenen Athletinnen und Athleten, der Ver-eine und der Mitglieder des Ehrenamtes einem gu-ten Konsens zuzuführen. Meine Damen und Herren, aufgrund der be-grenzten Zeit möchte ich mich hier auf wenige Aspekte konzentrieren. Beginnen möchte ich mit der 5. Weltsportministerkonferenz, die im Mai 2013 hier in Berlin durchgeführt wurde. Das BMI hat zusammen mit dem organisierten Sport und zahlreichen Organisationen der Zivilgesellschaft sowie diversen Sportministerien die Berliner Er-klärung erarbeitet. Die von den Staaten unter-zeichnete Selbstverpflichtung listet auf über 20 Seiten konkrete Punkte auf, um den Sport weltweit voranzubringen. Es geht um Themenblöcke wie den freien Zugang zum Sport, Investitionen in Sportprogramme oder auch die Wahrung der In-tegrität des Sports. Dabei wurde nicht nur national ein Meilenstein in der Sportpolitik gelegt, sondern es wurden auch international neue Maßstäbe gesetzt. Offenbar hat die Berliner Erklärung auch bei internationalen Sportverbänden große Beachtung gefunden. Unter anderem hat das Internationale Olympische Komi-tee im Dezember 2014 die Reform-agenda 2020 verabschiedet und dabei gleichzeitig gezeigt, dass sich der Sport weiterentwickeln muss. Auf 40 Punkte ist man dabei gekommen. Die IOC-Reform-agenda 2020 weist auch zahlreiche Schnittstellen mit der Berliner Erklärung auf. Sie können daher in einem Kontext gesehen werden. Der Sport muss sich wandeln, gerade weil die internationalen Sportverbände vor allem in den westlichen Gesellschaften an Vertrauen und Glaubwürdigkeit eingebüßt haben. Gründe dafür sind – das wurde heute schon mehrfach erwähnt – Gigantismus, fehlende Nachhaltigkeit, Ver-schwendung und Korruption, Umweltzerstörung und nicht zuletzt auch massive Menschenrechts-ver-letzungen. Das IOC hat in seiner Agenda 2020 einen neuen Kurs eingeschlagen. Mitverantwort-lich hierfür ist Thomas Bach, der Präsident des In-ternationalen Olympischen Komitees, der diesen Kurswechsel im internationalen Sportgeschehen eingeleitet hat. Nicht ohne Grund wird dieses Re-formvorhaben ein bisschen Zeit in Anspruch neh-men. Es ist auf das Jahr 2020 datiert. Das IOC wird sich an der Umsetzung messen lassen müs-sen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Genau!) Der 13. Sportbericht der Bundesregierung geht auch auf die misslungenen, gescheiterten Bewer-bungen um die Olympischen Winterspiele 2018 und 2022 ein. Die Ablehnung vieler Bürger gründet häufig in einer großen Skepsis gegenüber den in-ternationalen Verbänden. Die Bewerbungskonzep-te von Hamburg und Berlin für die Sommerspiele 2024 und 2028 stehen dagegen auch im Zeichen der IOC-Agenda. Mit beiden Städten können wir zeigen, dass wir es – auch im Vergleich zu ande-ren Nationen – anders und in nicht wenigen Kritik-punkten besser machen können. Es hilft nicht wei-ter, sich über Großsportereignisse in anderen Ländern zu beschweren, sondern wir müssen, ähnlich wie beim Fußball, zeigen, dass wir nach-haltige, freundliche und vor allem an den Men-schen ausgerichtete Großsportereignisse umset-zen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Natürlich müssen wir auch die Bürger mitneh-men; sie müssen dafür begeistert werden. Bei der eigenen Meinung über die Austragung von Olym-pischen Spielen steht – nicht zu Unrecht – häufig die Frage im Raum: Wem nutzt das Großsporter-eignis eigentlich? Was bringt es mir persönlich, meinen Kindern, meiner Familie, meinem Verein, meinem Umfeld? Diese Frage lässt sich am bes-ten mit Blick auf die Olympischen Spiele 1972 in München beantworten. Viele für uns heute selbst-verständliche Voraussetzungen im Breiten- und im Spitzensport bilden das Erbe der Olympischen Spiele 1972. Vieles wurde eigens für die Spiele ins Leben gerufen oder weiter befördert: der Schul-sport, „Jugend trainiert für Olympia“, die anschlie-ßende Olympische Erziehung, die Jugendlager bei Olympischen Spielen, die Bundesleistungszen-tren, die Olympiastützpunkte, zahlreiche Trai-ningsstätten, die nun auch vom Breitensport ge-nutzt werden können. Weitere infrastrukturelle Er-rungenschaften abseits des Sports wurden einge-führt. Deshalb: Lassen Sie uns alle zusammen die Spiele nach Deutschland holen! Die Chancen und die Vorteile wird auch der Breitensport nutzen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Meine Damen und Herren – – Vizepräsident Peter Hintze: Das wäre jetzt ein toller Schluss gewesen, zu-mal auch die Redezeit abgelaufen ist. Es kamen ein schöner Beifall und ein schöner Schlussge-danke. (Heiterkeit) Eberhard Gienger (CDU/CSU): Ich bin auch so gut wie fertig. – In diesem Jahr werden wir die Zusammenarbeit mit dem organi-sierten Sport bei vielen Vorhaben deutlich voran-bringen können. Im Sportausschuss werden wir gemeinsam mit der Opposition für die Reform der Leistungssportförderung eintreten, sie eng beglei-ten und nach Kräften unterstützen. Jetzt, Herr Präsident, haben Sie es geschafft und ich auch. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Ich bitte, liebevoll mit der Geduld des Präsidi-ums umzugehen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sportlich!) Gerade in dieser Debatte haben wir viel Zeit zur Aussprache. Deshalb sollten wir uns auch aus Fairnessgründen an die Redezeiten halten. Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Frank Tempel, Fraktion Die Linke. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Beim Sport ist es schöner als im Untersu-chungsausschuss!) Frank Tempel (DIE LINKE): Das ist richtig. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sind uns in diesem Haus sehr schnell darin einig, dass nur ein gut funktio-nierender Breitensport zu Spitzenleistungen im Sport führt; der Breitensport ist das Fundament des Spitzensports. Auseinander gehen die Mei-nungen allerdings dann, wenn es um die Schaf-fung von Rahmenbedingungen und die Finanzie-rung des Breitensports geht. Sie verweisen da-rauf, dass der Bund hierfür nicht zuständig sei. Ich meine, das ist falsch; denn wenn es politisch ge-wollt wäre, dann könnte auch der Bund seinen Bei-trag zur Entwicklung des Breitensports leisten, und zwar mehr als bisher. (Beifall bei der LINKEN) Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, weigern sich seit Jahren beharrlich, ein Sportför-dergesetz auf den Weg zu bringen, in dem beides geregelt werden könnte. Für den Breitensport sind – darauf möchte ich verweisen – zum Beispiel Schwimmbäder und Sportstätten existenziell. Um beides ist es aber seit Jahren schlecht bestellt. Viele Schwimmbäder sind gegenwärtig sanierungsbedürftig. 30 bis 40 Prozent dieser Anlagen stammen aus den 60er- und 70er-Jahren. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels muss uns bewusst sein, dass wir hier auch Maßnahmen hinsichtlich Barri-erefreiheit und Zugänglichkeit ergreifen müssen. Es sollte für uns ein Alarmzeichen sein, dass immer weniger Schülerinnen und Schüler nach Abschluss der Grundschule schwimmen können. Sage und schreibe 50 Prozent der Grundschüler gelten heute als keine sicheren Schwimmer. Die Linke meint, wie Lesen und Schreiben sollte jedes Kind auch schwimmen können. Schwimmen ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Bildungsauftra-ges. (Beifall bei der LINKEN) Einen Sanierungs- und Investitionsstau gibt es auch bei allen anderen Sportstätten. Dabei möchte ich festhalten, dass die Konjunkturpakete I und II natürlich ein Erfolg waren und von vielen Kommu-nen genutzt wurden. Über 4 500 Sportstätten konnten gebaut und saniert werden. Dadurch konnte das Problem aber nicht gelöst werden. Der Verfall der Sportstätten schreitet weiter voran, wie auch Sie, meine Damen und Herren, das alle von Besichtigungen vor Ort selber wissen werden. Im Jahr 2014 betrug der Investitionsrückstand im Be-reich der Bäder und Sportstätten 12 Milliarden Eu-ro. Mit einer Trendwende ist gerade in finanz-schwachen Kommunen nicht zu rechnen, sicher-lich auch, weil finanzschwache Kommunen das Problem hatten, die Mittel aus den Konjunkturpa-keten nicht in dem vorgesehenen Maße nutzen zu können, weil der notwendige Eigenanteil fehlte. Da haben Bürgermeister fertige Konzepte für notwen-dige Projekte in der Schublade, können sie aber nicht umsetzen, weil die erforderlichen Eigenmittel im kommunalen Haushalt nicht vorhanden sind. Das berichte ich nicht vom Hörensagen, sondern aus meiner Erfahrung als Gemeinderat und Mit-glied eines Kreistages. Diese Problematik findet im Sportbericht der Bundesregierung keine Erwähnung. Wenn ich zu Hause im Wahlkreis Sportvereine besuche, werde ich aber genau mit dieser Frage konfrontiert, auch von Bürgermeistern, die etwas für ihre Vereine und den Breitensport in ihrer Gemeinde machen wollen. Darunter, meine Damen und Herren, sind nicht wenige Mitglieder von CDU und SPD, die es im Übrigen nicht lustig finden, wenn ich ihnen be-richte, dass man auf Bundesebene die Situation eigentlich ganz toll findet und man der Meinung ist, dass die Bundespolitik hier keine Verantwor-tung trägt. Auch die sportpolitischen Sprecher der CDU al-ler Landtage sowie der CSU haben anscheinend das Problem erkannt. Sie fordern ein Investitions-programm. Auf ihrer Beratung im März 2014 be-tonten sie, dass die Kommunen nicht allein gelas-sen werden dürften. Der Sanierungsstau bei Sportstätten und Bädern könne nicht mehr länger ignoriert werden; Bund, Land und die Sportver-bände müssten gemeinsam diese Probleme ange-hen. Recht haben sie. Die Linke unterstützt ihre Forderung und erwartet, dass Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen aus den Landtagen und Kommunen endlich ernst nehmen. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke fordert in diesem Sinne die Auflage ei-nes neuen Sportstättenförderprogramms. (Beifall bei der LINKEN) Nehmen Sie sich ein Beispiel an Thüringen; das darf ich als Thüringer ganz kurz hier sagen. Die rot-rot-grüne Regierung stellt erheblich mehr fi-nanzielle Mittel für den Sport zur Verfügung. Statt 10 Millionen Euro werden nun 20 Millionen Euro für die Sportförderung bereitgestellt. So kann man handeln statt reden. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte auch noch auf ein weiteres Problem verweisen. Es gibt ja Sportanlagen, die sich durchaus in einem halbwegs guten Zustand befin-den. Sie können in vielen Regionen aber nur ein-geschränkt genutzt werden, weil es Bürgerinnen und Bürger gibt, die wegen unzulässigen Lärms klagen und recht bekommen, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es! Das ist richtig!) weshalb dann die Sportanlagen zu bestimmten Zeiten geschlossen bleiben. Der Sportausschuss beschäftigt sich damit regelmäßig. Ich bin seit 2009 im Bundestag. Seitdem höre ich von Prüfauf-trägen zur Lösung dieses Problems. Dass sich wirklich etwas ändert, werde ich erst glauben, wenn ein konkretes Programm – es soll ja kom-men – auf dem Tisch liegt. Dieses werden wir dann auch diskutieren. Wir hoffen, dass wir hier dann gemeinsam möglichst schnell eine Änderung herbeiführen können. (Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Das ist schon in der Pipeline!) Einen letzten Punkt möchte ich noch anspre-chen. In der Auswertung des 12. Sportberichtes wurde die Bundesregierung aufgefordert, gesell-schaftliche Teilhabe insbesondere mit Blick auf Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien im Sport zu gewährleisten. Im Sportbe-richt ist hierzu wieder nichts zu finden. Allerdings wissen wir aus dem aktuellen Bildungsbericht, dass hier akuter Handlungsbedarf besteht. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke fordert erneut: Alle Kinder und Ju-gendlichen müssen unabhängig vom Geldbeutel der Eltern Zugang zum Sport haben. In diesem Sinne, Herr Minister, möchte ich einen Vorschlag machen: im künftigen Sportbericht der Bundesre-gierung in einem eigenen Kapitel die Zugangs-möglichkeiten von Kindern und Jugendlichen zu sportlichen Angeboten, insbesondere zu Sportver-einen und weiterführenden Sportschulen, darzu-stellen. Machen Sie den Sportbericht ganz einfach zum Wegweiser für künftige Aufgaben. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Michaela Engelmeier, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Michaela Engelmeier (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren auf den Rängen! Ich freue mich ausdrücklich und außerordentlich, dass wir heute in der Kern-zeitdebatte 96 Minuten über den Sport diskutieren, die schönste Nebensache der Welt und, wie ich finde, auch eine der wichtigsten Nebensachen der Welt. Im 13. Sportbericht werden auf über 140 Seiten alle Facetten des Sports beleuchtet. Es gibt viele Anregungen. Ich habe mir einmal drei Punkte her-ausgesucht, die ich Ihnen gerne heute hier vortra-gen möchte. Ich fange einmal mit der Rolle der Frau im Sport an; das wird Sie jetzt vielleicht über-raschen. Ich komme aber auch noch zu Olympia und zum Anti-Doping-Gesetz. Lassen Sie mich mit einem Blick auf das The-ma „Frauen im Sport“ beginnen. Ich möchte hier den geringen Anteil von Frauen auf der Führungs-ebene des organisierten Sports ansprechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der LINKEN und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN) Leider muss man über den viel zu geringen Anteil von Frauen in den Spitzenverbänden reden, weil nur etwas mehr als 10 Prozent aller Führungskräf-te im deutschen Sport weiblich sind. Als Vizeprä-sidentin des Deutschen Judo-Bundes, einer männ-lich dominierten Sportart, weiß ich, wovon ich re-de. Obwohl man sich im Sport dieses Problems durchaus bewusst ist, fruchtet die viel beschwo-rene Selbstverpflichtung für das Werben um mehr Frauen in besonderen Positionen nicht. Ich denke, wir müssen da neue Wege gehen, Barrieren in den Köpfen überwinden und möglicherweise, ohne dass Sie jetzt einen Schrecken kriegen, einmal über eine Quote nachdenken. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Genau! Super!) So würde es Frauen ermöglicht, zu beweisen, dass sie diese Funktionen ebenso gut erfüllen, ohne dafür kämpfen zu müssen, besser zu sein als Männer oder nur mindestens genauso gut wie ihre männlichen Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich verweise auf aktuelle Forschungsergebnis-se aus der Psychologie: Frauen erhöhen die kol-lektive Intelligenz einer Gruppe. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Nicht nur im Sport!) Insofern können sich die männlichen Kollegen glücklich schätzen, Frauen im Team zu haben. Aber zur Ehrenrettung, meine Herren, es gibt da eine wesentliche Einschränkung: Reine Frauen-gruppen weisen auch keine höhere Schwarmintel-ligenz auf, das heißt, gemischte Gruppen sind am stärksten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der LINKEN) Was will ich damit zum Ausdruck bringen? Ich mache dem organisierten Sport ausdrücklich kei-nen Vorwurf. Ich sehe die Bemühungen im organi-sierten Sport für Frauen und unterstelle nieman-dem eine Absicht. Aber wenn im Sport der Anteil der Frauen in der Gesellschaft nicht repräsentiert ist, dann, finde ich, stimmt da etwas nicht. Da ge-ben Sie mir doch sicherlich recht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der LINKEN) Vielleicht sind es aber immer noch verkrustete Strukturen, die es nicht erlauben, dass Frauen in diese Führungspositionen aufrücken können. Ich weiß es nicht, aber wir müssen wirklich dranblei-ben. Darum bitte ich auch meine Kolleginnen in den Führungsgremien des DOSB und in den Spit-zenverbänden: Wir müssen wirklich mehr dafür arbeiten. Es läuft gut im deutschen Sport, keine Frage. Aber mit mehr Frauen in Führungs-positionen liefe es vielleicht noch etwas besser. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der LINKEN und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN – Eberhard Gien-ger [CDU/CSU]: Ich bin dafür!) – Das dachte ich mir. Kommen wir zum zweiten Punkt: zur Bewer-bung für die Olympischen und Paralympischen Spiele in unserem Land. Wir haben für die Spiele 2024 oder möglicherweise 2028 mit Hamburg und Berlin bzw. Berlin oder Hamburg zwei richtig gute deutsche Bewerberstädte. Ungeachtet der noch ausstehenden Entscheidung des deutschen Sports, der sich in einer außerordentlichen Mit-gliederversammlung des DOSB am 21. März in der Paulskirche in Frankfurt für eine der beiden Städte aussprechen wird, steht bereits jetzt fest, dass wir die deutsche Bewerbung Berlins oder Hamburgs bzw. Hamburgs oder Berlins unterstüt-zen wollen. Ich möchte zwei Vorteile der deutschen Bewer-berstädte bzw. zwei Vorzüge, die unser Land für die Bewerbung um die Olympischen Spiele und Paralympischen Spiele aufzuweisen hat, beson-ders hervorheben. Da wäre einmal – das haben wir heute schon mehrfach gehört – „Jugend trai-niert für Olympia“ und „Jugend trainiert für Para-lympics“. Das sind mit fast 800 000 Schülern nicht nur die größten Schulsportwettbewerbe weltweit, sondern auch mögliche Talentschmieden für Olympia und Paralympics. Die Finalwettkämpfe der Schulen bieten gute Chancen, junge Talente zu entdecken, und stellen eindeutig einen Plus-punkt der deutschen Bewerbung dar. Als dritter Punkt ist hier natürlich unser Anti-Doping-Gesetzentwurf zu nennen, den die Koaliti-on auf den Weg gebracht hat. Der von Thomas de Maizière und Heiko Maas vorgelegte Entwurf, für den übrigens – das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden – die SPD-Bundestagsfraktion schon seit Jahren gestritten hat, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wir auch!) bietet die gesetzliche Grundlage im Kampf gegen Doping für einen fairen Sport. (Beifall bei der SPD) Mit dem Gesetz unterstützen wir die vielen Ath-letinnen und Athleten, die einen ehrlichen Wett-kampf führen. Damit schützen wir die Integrität des sportlichen Wettbewerbs und kämpfen für ei-nen fairen und sauberen Sport sowie gegen Do-ping und gegen Manipulation. Ein nationales Anti-Doping-Gesetz ist ein weiterer Vorteil und ein Al-leinstellungsmerkmal der deutschen Bewerbung für die Olympischen Spiele. Unsere Initiative für ein Anti-Doping-Gesetz zeigt, wie wichtig uns in Deutschland ein fairer und sauberer Sport ist und wie wichtig es ist, für faire und saubere Sportver-anstaltungen und Sportwettbewerbe zu sorgen. Ich möchte es nicht versäumen, an dieser Stel-le die Ausrichtung von Olympischen und Paralym-pischen Spielen in Deutschland hervorzuheben. Aus Sicht der Athletinnen und Athleten ist es das Größte, das eigene Land bei der prominentesten Sportveranstaltung, den Olympischen Spielen, zu vertreten. Es ist oftmals die Erfüllung eines le-benslangen Traums, für den Schweiß und Tränen vergossen wurden. Der bundesweite Nutzen von gelungenen Olympischen und Paralympischen Spielen besteht meiner Meinung nach in erster Linie in der positi-ven Außenwirkung. Wir erinnern uns alle an das Sommermärchen 2006. Die Deutschen waren kol-lektiv in Jubelstimmung. Wir hatten eine wunder-bare Gemeinschaft; das war einfach großartig. Aber auch unser Sieg bei der Fußballweltmeister-schaft im vergangenen Jahr und das überzeugen-de Fair Play haben das Bild der Deutschen in der Weltöffentlichkeit, wie ich denke, nachhaltig ver-ändert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die Multikultimannschaft von Löw!) Darüber hinaus erfahren Sportvereine gerade in den Austragungsländern regen Zulauf, und zwar in allen Altersklassen. Jeder in unserem Land hat etwas von Sportgroßveranstaltungen, sei es der besondere Spirit von Olympischen Spielen, die ansteckende Begeisterung der Menschen oder einfach nur die vermehrte Sanierung von Sport-stätten. Das ist gut für dich, für mich, für uns alle und eben auch für unsere Vereine. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Aus den genannten Gründen ist es nur konse-quent, dass die Bundesregierung auch künftig deutsche Bewerbungen befürwortet. Das stärkt den Standort Deutschland als Sportnation und ein bisschen auch als Wirtschaftsnation. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das wage ich zu bezweifeln!) Zusammen mit dem organisierten Sport will sich die Bundesregierung für faire und nachhaltige Standards bei der Vergabe von internationalen Sportgroßveranstaltungen einsetzen. Dazu will ich eine grundlegende Anmerkung machen, die trivial scheinen mag, aber zentral für das Verständnis ist. Das Problem der Vergabe von internationalen Sportgroßveranstaltungen, wie wir es mit Sotschi erlebt haben oder aktuell mit Katar erleben, wo man es mit den Menschenrech-ten, mit fairer Arbeit und mit Umweltschutz nicht so genau nimmt, ist ein internationales. Unsere politische Handlungskompetenz beschränkt sich logischerweise nur auf Deutschland; vereinfacht gesagt: internationale Problemlage und nationale Handlungsmacht. Nun könnte man den Schluss ziehen, dass zum Beispiel eine internationale Initiative wie die aktu-elle Re-form-agenda 2020 des IOC das Problem bei der Vergabe internationaler Sportgroßveran-staltungen lösen könnte. Diese Reform ist sicher-lich ein erster und wichtiger Schritt für die Glaub-würdigkeit des organisierten Sports. Ich glaube aber fest daran, dass auch eine nationale Strate-gie eine positive Wirkung entfalten kann. Ein gutes Konzept für eine nachhaltige Veran-staltung kann ein Vorbild sein, dem andere Staa-ten folgen, genauso wie eine transparente und nachvollziehbare Bewerbung für eine Sportgroß-veranstaltung. Die Nutzung der vorhandenen Inf-rastruktur zum Beispiel bei unserer hoffentlich er-folgreichen deutschen Bewerbung – und ich bin fest davon überzeugt, dass sie erfolgreich sein wird – ist dafür ein gutes Mittel. Aber der mögliche Neubau von Sportstätten und Wohnquartieren ist mindestens genauso wichtig. Das alles muss aber in einem sozialen Kontext stehen und – unter der Prämisse sozialer Gerechtigkeit und der Förde-rung des Sports für alle Bevölkerungsgruppen – der Gemeinschaft zur Verfügung stehen. (Beifall bei der SPD) Da meine Redezeit abgelaufen ist, komme ich zum Schluss. Ich finde es sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass es nur demokratischen Staaten möglich ist, Demokratie und Sport zusammenzu-bringen und Sportgroßveranstaltungen wirklich gut auszurichten. Ich drücke beiden Städten die Daumen, wer auch immer sich am 21. März durchsetzt. Sie sind beide gute Bewerber. Für uns alle gilt – das ist mein Schlusssatz –: Wir müssen auch im Sport ein bisschen mehr Demokratie wagen, und dann werden wir sehen, was dabei herauskommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Monika Lazar, Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sportbericht bietet die schöne Gelegenheit, in der ganzen Breite über die Sportpolitik zu reden, quasi vom Fußball bis zum Paddeln. Stichwort „Fußball“: In den Diskussionen sollte man nicht so tun, als ob wir persönlich letzten Sommer in Jogis Truppe mittrainiert hätten. (Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Natürlich! ) Freude ist zwar schön, aber man sollte nicht allzu dick auftragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir sind alle viel zu alt, um mitzutrainieren und mitzuspielen. (Eberhard Gienger [CDU/CSU]: André, hast du das gehört? – Gegenruf des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Habe ich überhört!) Auf den 150 Seiten des Sportberichts werden verschiedene Aspekte genannt, die nicht ständig im Rampenlicht stehen. Auch das Thema Zivilge-sellschaft spielt eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang werden auch Programme wie „Zusammenhalt durch Teilhabe“ oder die Kam-pagne „Sport und Politik verein(t) gegen Rechts-extremismus“ aufgeführt, und es ist viel von Netzwerken, Dialog und gegenseitiger Unterstüt-zung die Rede. Das hört sich erst einmal gut an. Fast könnte man meinen, in dem Berichtszeitraum wäre alles prima gelaufen. Wenn aber alle Akteure gerade im Bereich des Rechtsextremismus so viel unternommen haben wie dargestellt, dann stellt sich die Frage, wie es sein konnte, dass am 26. Oktober letzten Jahres fast 5 000 Hooligans und Neonazis die Kölner In-nenstadt fast auseinandernehmen konnten. Da war das Entsetzen groß. Dabei mahnen Sze-nekenner schon seit langem, dass rechte Einstel-lungen bei einem Teil der Hooligans nicht zu un-terschätzen sind. Selbst die Zentrale Informationsstelle Sportein-sätze, ZIS, schätzte die Schnittmenge der soge-nannten Gewalttäter Sport mit bekannten Rechts-extremisten direkt vor den Kölner Krawallen auf nur 400 ein. Ich denke, dass an dieser Stelle drin-gend Korrekturen nötig sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es waren übrigens auch Hooligans bei den Pegida- und Legida-Demonstrationen unterwegs. Mehrfach wurden in Dresden Hools von Dynamo Dresden gesehen. Erst vor einer Woche dankte ein Redner auf der Legida-Kundgebung in Leipzig den Hools euphorisch für ihre Unterstützung. Das war absurd, und die Reaktion erfolgte prompt: Ju-bel und Applaus von den Angesprochenen. So kann es auf alle Fälle nicht weitergehen. Wir müssen uns auch in diesem sehr speziellen Fall Gedanken machen, wie wir uns dieser Thematik weiter annehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Eine weitere Leerstelle im Bericht bildet die se-xualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen im Sport. Weder gibt es ein eigenes Kapitel im Sportbericht, noch geben Sie dort, wo das Thema ab und zu zur Sprache kommt, Auskunft über ge-genwärtige Planungen und Perspektiven. Statt-dessen wird nur Altbekanntes aufgezählt. Neuig-keiten sind leider Fehlanzeige. Erst in dieser Wo-che lief ein Beitrag in der WDR-Sendung sport in-side. Hier wurde berichtet, dass allein in den letz-ten zwei Jahren 58 Kinder und Jugendliche in 300 Fällen Opfer sexualisierter Gewalt wurden. Das sind nur die Zahlen, die durch Gerichtsurteile ak-tenkundig geworden sind. Wir alle wissen, dass der Sportverein ein sensibles Umfeld für junge Menschen ist. Trainerinnen und Trainer sind Ver-trauenspersonen. Der Beauftragte für Fragen des Kindesmiss-brauchs, Herr Rörig, hat noch im November 2013 dringenden Handlungsbedarf auch bei diesem Thema im Sport festgestellt. Ich hätte mir ge-wünscht, dass auch dieser Bereich im Sportbe-richt noch Niederschlag gefunden hätte und damit dem Wunsch von Herrn Rörig nach Handlungs-empfehlungen Rechnung getragen worden wäre. Zum Thema Doping möchte ich eine Lösung für die Opfer des DDR-Dopings anmahnen. Das Thema beschäftigt uns schon seit vielen Jahren. Auch wir Grüne machen dazu regelmäßig Vor-schläge. Es ist gut, dass sich alle Fraktionen wei-terhin um eine Lösung bemühen und dass wir uns bald im Sportausschuss intern erst einmal mit den Vorschlägen, die von der aktuellen Bundesregie-rung auf den Tisch gelegt wurden, befassen wer-den. Mein persönlicher Wunsch und der meiner Fraktion ist, dass wir in diesem Jahr – 25 Jahre nach der Wiedervereinigung – zu einer Entschädi-gungsleistung für die damals minderjährigen Op-fer des Zwangsdopings in der DDR kommen wer-den. Vielleicht bekommen wir es ja hin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Es gab auch im Westen Doping!) – Aber in der DDR gab es spezielle Fälle. Herr Hahn, das wissen Sie mindestens genauso gut wie ich. Insgesamt hinterlässt der Sportbericht deshalb für mich doch eher einen faden Beigeschmack. Schon beim letzten Mal wurde beschlossen, dass es im Sportbericht einen Ausblick geben soll. Statt tragfähiger Konzepte, wie dies Kollege Gienger vorhin angesprochen hat, finden sich meiner Mei-nung nach aber eher Andeutungen, Ankündigun-gen und Ausflüchte. Auch warten wir noch auf den großen Wurf des Innenministers hinsichtlich einer Reform der Spit-zensportförderung. Sie haben heute wieder ange-kündigt, dass es jetzt langsam losgeht. Das ist gut. Bis 2016 sollen dann auch die Konzepte auf dem Tisch liegen. Wir sind schon sehr gespannt darauf und erwarten selbstverständlich, dass Sie uns auch im Sportausschuss eng miteinbeziehen. In den großen Linien sind wir uns in vielen Fällen einig. Deshalb wäre es gut, wenn das Parlament miteinbezogen werden könnte. Ansonsten sind wir gehalten, dazu vielleicht noch eine Ausschussan-hörung durchzuführen. Es wäre aber gut, wenn wir da gemeinsam an einem Strang ziehen würden. Es ist uns allen sehr wichtig, in diesem Bereich gute Dinge hinzubekommen; denn so etwas macht man nicht alle Jahre. In diesem Sinne: Schauen wir einmal, was pas-siert. Die Grünen werden die Sportpolitik auch weiterhin kritisch begleiten. (Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Wir ma-chen mit euch mit! – Gegenruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN] Hauptsache, ihr vergesst den Brei-tensport nicht!) Vizepräsident Peter Hintze: Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu seiner ers-ten Rede im Deutschen Bundestag erteile ich das Wort dem Kollegen Johannes Steiniger, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN) Johannes Steiniger (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Lazar, zu alt zum Trainieren bin ich nicht. Allerdings gebe ich durchaus zu, dass es nur zur Bezirksliga reicht. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sie sind ja noch jung!) Aber zurück zum Spitzensport, mit dem wir uns hier beschäftigen. Der Hochleistungssport ist die Marketingabteilung für den gesamten Sport in Deutschland. Lassen Sie mich das kurz erläutern. Wenn wir auf den Sommer 2014 und den WM-Titel zurückblicken, so ist uns heute noch die Faszina-tion für den Fußball präsent. Was das für die Ver-eine vor Ort und den Nachwuchs bedeutet, ist schnell beschrieben. Als langjähriger Jugendtrainer meines Heimat-vereins Rot-Weiß Seebach weiß ich, dass die Kinder- und Jugendmannschaften immer dann ei-nen guten Zulauf hatten, wenn die Nationalelf stark war. Genauso verhält es sich nicht nur im Fußball, sondern auch in vielen anderen Sportar-ten – überall dort, wo erfolgreiche Spitzensportler Vorbilder sind. Im Übrigen gilt umgekehrt das gleiche Prinzip: Die beste Basis für den Spitzensport ist eine gro-ße Basis im Breitensport. Die Kinder und Jugend-lichen, die heute begeistert trainieren, können – wenn auch nicht alle – die Weltmeister von mor-gen sein. Das ist, meine Damen und Herren, also ein guter Grund, dass wir heute den 13. Sportbericht der Bundesregierung diskutieren. Dabei lässt sich festhalten: Die Sportwelt hat sich seit dem 1. Sportbericht vor 44 Jahren stark verändert: „Schneller, höher, weiter“ ist die Devi-se. Man kann sagen, dass die internationale Kon-kurrenz mittlerweile größer geworden ist. Festzu-halten ist bei allen Herausforderungen, die der Mi-nister beschrieben hat, aber auch: Die Sportnation Deutschland steht insgesamt gut da. Vor allem im Berichtszeitraum der vergangenen vier Jahre hat die Bundesregierung viel für den Sport im Land getan. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Basis war, ist und bleibt die positive Strahlkraft des Sports besonders auf junge Men-schen. In welche Richtung die Reise jetzt geht, hängt daher ganz wesentlich von der Weichenstel-lung bei der Talentförderung ab. Der aktuelle Sportbericht der Bundesregierung zeigt: Das System der deutschen Olympiastütz-punkte ist vorbildlich. Der Bund engagiert sich aus diesem Grund an den Olympiastützpunkten in Form der bewährten Trainermischfinanzierung. Derzeit werden auf diese Weise 176 Trainerstellen finanziert. Genauso wichtig sind die bundesweit 41 Eliteschulen des Sports. Hier werden rund 11 500 Talente ausgebildet und betreut. Sie bilden ein solides Fundament für den Spitzensport. Dabei ist klar: Leistungssportler brauchen eine klare und sichere Perspektive – im Übrigen auch über ihre aktive Laufbahn hinaus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zentral ist dabei die Möglichkeit der dualen Karrie-re, die der Bund bei Polizei, Zoll und Bundeswehr bietet. Es gilt, das weiter zu sichern. Gerade bei den Nachwuchstalenten ist das Zu-sammenspiel von Ausbildung und Leistungssport entscheidend für die Karriere und außerordentliche Leistungen; denn die jungen Sportler müssen so-wohl die Hürden in der Schule als auch im Sport meistern, also Schule und Spitzensport miteinan-der vereinbaren. An dieser Stelle leisten die Lauf-bahnberater an den Olympiastützpunkten eine hervorragende Arbeit. Das alles trägt Früchte: Bei Olympia 2012 in London waren über 100 nominierte Sportler – das waren fast 30 Prozent – Absolventen einer Elite-schule des Sports. Neben dem Blick auf den Nachwuchs müssen wir Sportpolitiker aber vor allem auch die Potenzi-ale, Trends und Entwicklungen im Sport im Fokus haben. Genau mit diesen Chancen beschäftigt sich die Sportwissenschaft. Wenn wir sehen, dass sich der aktuelle Sportbericht auf fast 20 Seiten allein mit der Sportwissenschaft befasst, dann wird deutlich, was hier für den Sport drinsteckt. Lassen Sie mich beispielhaft zwei Institute nen-nen, die im Wissenschaftlichen Verbundsystem Leistungssport eng verzahnt miteinander arbeiten: das Institut für Angewandte Trainingswissen-schaft, IAT, in Leipzig, und das Institut für For-schung und Entwicklung von Sportgeräten, FES, in Berlin. Das IAT entwickelt präzise abgestimmte Trai-ningsmethoden für Athletinnen und Athleten. Diese Optimierung des Trainings ist für die Sportler von sehr großem Wert, aber ebenso komplex. Es be-darf nämlich einer ganzheitlichen Analyse des sportartspezifischen individuellen Belastungs- und Trainingsniveaus. 2013 konnten beim IAT erst-mals über 1 000 solcher spezieller Komplexunter-suchungen durchgeführt werden. Das IAT erhält jetzt nach den Haushaltsaufwüchsen jährlich eine Förderung von rund 7 Millionen Euro aus dem Haushalt des BMI. Gemeinsam mit dem FES entwickeln wir für materialabhängige Sportarten innovative Sportge-räte, um den Athleten einen Materialvorteil zu ver-schaffen. Ich habe vorhin erwähnt, dass die welt-weite Konkurrenz immer größer wird. Genau die-ser Materialvorteil kann hier die nötigen Zehntel oder Hundertstel für die Goldmedaille bringen. Es war deshalb eine nachhaltige Entscheidung, das FES im aktuellen Haushalt mit knapp 5 Millionen Euro – das ist ein Budgetaufwuchs um 1,4 Millionen Euro – auszustatten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland gilt als Land der Ingenieure. Wir sind Weltmeister bei Patenten und Innovationen. Es ist daher richtig und gut, dass auch unsere Athletinnen und Athle-ten von dem jeweils neuesten Stand der Technik profitieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Das tun sie auch: Die Hälfte der 44 in London ge-wonnenen Medaillen konnte mit Unterstützung von FES-Technologien errungen werden. Nach dem enttäuschenden Abschneiden der Bobpi-loten in Sotschi – auch das wurde heute er-wähnt – gab es auch Kritik. Die Ursachen wurden gefunden und im -Übrigen auch bei uns im Sport-ausschuss ehrlich analysiert. Bei der EM in La Plagne am vergangenen Sonntag holte der Zwei-erbob Gold und der Viererbob Bronze. Wir sehen also: Die Tendenz ist wieder klar steigend. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) In den vergangenen Jahren haben wir im Hin-blick auf große Sportveranstaltungen im eigenen Land eine stolze Bilanz vorzuweisen: von der WM im Rennrodeln in Altenberg bis zum Kanurenn-sport in Duisburg. (Beifall der Abg. Jeannine Pflugradt [SPD]) Wir haben immer wieder eindrucksvoll gezeigt, dass wir eine Sportnation sind. Mit erfolgreichen Athleten und einem großartigen Publikum ist für mich eines klar: Wir können Olympia! Viele stellen an ein solches sportliches Me-gaevent zurecht Anforderungen in puncto Nach-haltigkeit und Transparenz. Das Ende vom Lied kann aber nicht sein, dass wir keine Olympischen Spiele mehr in Europa haben und diese nur noch dort stattfinden, wo wir tatsächlich ein großes Fragezeichen hinter Nachhaltigkeit und Transpa-renz setzen müssen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Dann können Sie unserem Antrag ja zustimmen!) Daher kann ich es kaum nachvollziehen, dass we-nige, jedoch sehr aggressiv, sowohl in Hamburg als auch in Berlin die Bewerbung um die Olympi-schen und Paralympischen Spiele torpedieren. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Was?) Eingangs habe ich von der großen positiven Kraft des Sports, Frau Künast, besonders für jun-ge Menschen gesprochen. Aus diesem Grund brauchen wir die Olympischen Spiele in Deutsch-land. Der Minister hat vorhin darauf hingewiesen, dass wir dafür auch Begeisterung wecken können. Gerade die Talente sind hierfür die richtigen Ad-ressaten. Die Talente, die heute in den Nach-wuchskadern trainieren, werden diejenigen sein, die 2024 im eigenen Land um Medaillen kämpfen. Was für eine tolle Perspektive! Was für ein toller Ansporn für junge Sportler! Lassen Sie uns des-halb gemeinsam werben, um die Sommerspiele 2024 nach Deutschland zu holen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Lieber Herr Kollege Steiniger, im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ers-ten Rede im Deutschen Bundestag. Ich hoffe, dass noch viele muntere und interessante Reden darauf folgen werden. (Beifall) Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Jeannine Pflugradt, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Jeannine Pflugradt (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Sport war und ist ein immer wichtiger werdender Be-standteil unseres gemeinschaftlichen Lebens. Wer Sport treibt, lernt, Spielregeln zu akzeptieren, zu tolerieren und mit Siegen und Niederlagen umzu-gehen. Wer sich sportlich in einem Verein betä-tigt, erlernt den Umgang mit seinen Sportkamera-den und somit auch den Umgang innerhalb unse-rer Gesellschaft. Gerade in der heutigen Zeit, ei-ner Zeit voller Veränderungen, voller Orientie-rungsprobleme und Schnelllebigkeit, sind Sport sowie Sportvereine wichtige Stabilisatoren und ein Garant für Kameradschaft und Geselligkeit. (Beifall bei der SPD) Ehrenamtliches Engagement ist das Fundament eines jeden Vereins und im Grunde das Funda-ment unserer funktionierenden Gesellschaft. Sportvereine können allen Menschen, jeder Ziel-gruppe den Bewegungsdrang ergänzende Ange-bote machen und sind darüber hinaus ein gesell-schaftlicher Anlaufpunkt für die soziale Integrati-on. Jeder Mensch sollte daher freien Zugang zu allen sportlichen Angeboten erhalten. (Beifall bei der SPD) Vor ganz anderen Herausforderungen stehen Leistungs-, also Spitzensportlerinnen und Spitzen-sportler, die aus ihrem Sport kaum finanziellen Gewinn erzielen können. Sie erreichen zwar Spit-zenplätze bei hochkarätigen Veranstaltungen, können aber den dazugehörigen finanziellen Auf-wand nicht ausgleichen. Diese Sportlerinnen und Sportler stehen häufig vor der Entscheidung, ihre sportliche Karriere abzubrechen oder sie im bes-seren Fall mit einer beruflichen Karriere zu verbin-den, um zusätzlich Möglichkeiten zu schaffen, nach Karriereende auf eigenen Füßen zu stehen. Sie wissen sicherlich, dass ich hier nicht von Fußball und Tennis rede, sondern eher von Leichtathletik, Kanurennsport oder Eisschnelllauf. Es darf nicht sein, dass sich Sportler zwischen beiden Karrierewegen entscheiden müssen. Viel-mehr muss die Option bestehen, beides optimal und zielgerichtet sowie erfolgreich zu verknüpfen. Das Ziel, im Leistungssport erfolgreich zu sein, macht intensives Training und Wettkämpfe im In- und Ausland notwendig. An dieser Stelle möchte ich einen kleinen, aber sehr eindringlichen Gruß an die Verantwortlichen im Innenministerium senden, die im Rahmen der vergangenen Haushaltsplanungen versucht ha-ben, die finanziellen Mittel für die Projekte „Jugend trainiert für Olympia“ und „Jugend trainiert für Pa-ralympics“ zu kürzen. Das sind genau die Leute, die einen Wettkampf vor dem Fernseher verfolgen und über einen nur fünften oder sechsten Platz meckern, ohne jeglichen Fachverstand für den Leistungssport. (Beifall bei der SPD) Wer so etwas versucht, hat nicht die geringste Ahnung von den Belastungen und Entbehrungen angehender Spitzensportler und der Notwendig-keit, sie über solche Projekte zu motivieren. Ge-rade solche Projekte sind für die Breite gedacht. Ohne Breite gibt es keine Spitze. Das haben Sie, Herr Minister – leider ist er nicht mehr anwesend –, vorhin in Ihrer Rede gesagt. Bitte versuchen Sie nicht noch einmal, die Mittel zu kürzen. Wir passen auf. Es müssen geeignete Rahmenbedingungen für duale Laufbahnen geschaffen werden, die unbe-dingt über die Maßnahmen des Bundes hinausge-hen. Ich meine hier einen angemessenen rechtli-chen und finanziellen Rahmen sowie einen maß-geschneiderten Ansatz, der den verschiedenen Sportarten Rechnung trägt. Zwar fördert der Bund via Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll zweite Karrierewege deutscher Sportler, aber wir müssen auch an diejenigen denken, die sich keine Zukunft bei Bundesbehörden vorstellen können. Wir soll-ten zusammen mit Unternehmern Programme und Initiativen erarbeiten, die es den Sportlern in Deutschland ermöglichen, Sport und Beruf oder Ausbildung gleichsam zu absolvieren. Teilzeitstu-diengänge oder Teilzeitarbeit sind gute Beispiele. Ausbildungszeiten könnten verlängert werden, o-der das Alter bei der Erstausbildung für diese Fäl-le könnte angehoben werden. Vielleicht empfiehlt sich aber auch die zusätzli-che Einrichtung eines runden Tisches, um spezi-elle Programme und Projekte so sportlernah wie möglich zu entwickeln und die Umsetzung beider Laufbahnen effektiv zu steuern. Ich auf jeden Fall wäre dabei. Die Deutsche Sporthilfe leistet mit ihren fünf privaten Förderern einen bedeutenden und über-aus wertvollen Beitrag bei der finanziellen Unter-stützung unserer Athletinnen und Athleten. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen. 3 800 deutsche Sportlerinnen und Sportler werden in über 50 Sportarten mit circa 12,5 Millionen Euro jährlich finanziell sowie beratend gefördert – und das nicht mit Bundesmitteln, sondern ausschließ-lich über Spenden oder Wirtschaftskooperationen. Jetzt zu uns Amateuren. So nenne ich uns jetzt einmal hier im Hause. (Heiterkeit) – Ich möchte niemandem zu nahe treten; ich gehe nur von mir persönlich aus. – Einen Großteil des Sports treiben wir, auch als Nichtleistungssport-ler, in der freien Natur. Wir gehen spazieren, lau-fen, wandern, wir paddeln und schwimmen, fahren im Winter Ski oder, oder. Die Umwelt ist dabei für den Sport nicht nur Ressource, sondern vor allem Partner. Ein umweltbewusster Sport begründet sich in dem -rationalen Interesse an einer nachhaltigen Nutzbarkeit des Raumes für das Sporttreiben. Ein umweltbedachter Sport begründet sich zudem auch in der Idee von gegenseitiger Achtung und Fair Play als Werte zwischen Sportlern sowie der eigenen Person in deren Lebenswelt. Damit man einander im Sport begegnen kann, bedarf es eines nachhaltigen Gleichgewichts zwischen Nutzung und Schutz von Natur und Umwelt. In diesem Sinne werden schon seit langem zahlreiche Anstrengungen durch die Bundesregie-rung in Kooperation mit den Sportverbänden, den Vereinen und den Sporttreibenden unternommen. Diese Anstrengungen heißt es weiter zu unterstüt-zen und voranzubringen. Mit verschiedenen Leit-projekten wird der organisierte Sport in Kooperati-on mit den zuständigen Ministerien sowie weiteren wichtigen Partnern schon jetzt in vielen Bereichen seiner Verantwortung gerecht. Der organisierte Sport in Deutschland setzt mit seinen Programmen zu Umwelt- und Klimaschutz und mit seinem Engagement für internationale Sportgroßveranstaltungen zukunftsweisende Maßstäbe, um einen Sport im Einklang mit der Natur zu ermöglichen. Dies wurde insbesondere bei der Bewerbung Münchens um die Austragung der Olympischen und der Paralympischen Winter-spiele 2018 mit dem umfangreichen Umwelt- und Nachhaltigkeitskonzept deutlich. Sportorganisationen sind beim Umwelt- und Klimaschutz auf die Unterstützung und die aktive Begleitung durch die Politik angewiesen. Eine nachhaltige Sportentwicklung in Deutschland kann nur mit allen Beteiligten gemeinsam verfolgt wer-den. Eine dem Grundsatz der Wahrung des Natur-erbes folgende Sportpolitik unterstützt den organi-sierten Sport auch künftig kraftvoll bei den ge-meinsamen Herausforderungen, um den Klima- und Umweltschutz im und durch den Sport weiter voranzubringen. Sport frei! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeord-neten Gudrun Zollner, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegin-nen und Kollegen! „Deutschland bewegt sich!“ Diesen Trailer kennen wir wahrscheinlich alle. Je-der von uns ist hoffentlich in einem Sportverein Mitglied. Sport ist zentraler Bestandteil des sozia-len Lebens und Bindeglied der Gesellschaft. Er in-kludiert, integriert und induziert. Er eint die Natio-nen und verbindet Menschen, ohne dass es eine Sprache braucht. Mehr noch: Sport ist für mich auch ein Synonym für Frieden und Völkerverstän-digung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich spreche heute nicht nur als Sportpolitikerin, sondern auch als Familienpolitikerin zu Ihnen. Vie-le Projekte, die im vorliegenden Sportbericht der Bundesregierung aufgelistet sind, beziehen sich auf Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Auf diese Bereiche möchte ich besonders eingehen. Generationenübergreifend einander be-gegnen, gemeinsam aktiv sein, das ist Familien-sport. Um die Familienfreundlichkeit im Sport bun-desweit voranzubringen, hat das Bundesfamilien-ministerium zusammen mit dem DOSB 2011 und 2012 das Modellprojekt „Sport bewegt Familien – Familien bewegen den Sport“ durchgeführt. Durch die gemeinsamen sportlichen Aktivitäten und die dadurch miteinander verbrachte Zeit wurde der Zusammenhalt in den Familien gestärkt – ein Er-lebnis für alle. Für unsere Kinder ist Sport für die körperliche, kognitive, emotionale und soziale Entwicklung un-erlässlich. Als Einzel- oder Mannschaftssport vermittelt er Kompetenzen, was das Internet oder eine Playstation nie erreichen können. Laut einer Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendli-chen in Deutschland sind 28 Prozent der 3- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen täglich eine Stunde körperlich aktiv. Das heißt im Umkehr-schluss, dass 72 Prozent die Empfehlung der WHO nach Alltagsaktivität oder sportlicher Aktivi-tät nicht umsetzen. Im Vorschulalter folgt noch die Hälfte der Kinder der WHO-Empfehlung, im Ju-gendalter zwischen 14 und 17 Jahren sind es nur noch 12 Prozent (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Erwachsenenalter noch weniger!) Das sollte für uns alle ein Alarmzeichen sein. Der vorliegende Sportbericht zeigt viele Möglichkeiten auf, um diesem Trend entgegenzuwirken. Auch in der zweiten Lebenshälfte ist Sport mit seinen vielfältigen Angeboten ein wichtiger Be-standteil zur Aufrechterhaltung der körperlichen, aber auch geistigen Leistungsfähigkeit. Er ist eine wichtige Gesundheitsvorsorge. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der Seniorensport sichert eine längere Mobilität für eine selbstständige Lebensführung und hilft, die Lebensqualität im Alter zu erhalten und zu för-dern. Der vorliegende Bericht zeigt viele Anre-gungen für die sogenannte Generation 50 plus auf, zur Nachahmung sehr zu empfehlen. Ein für mich sehr wichtiger Punkt im Sportbe-richt ist der Abschnitt „Frauen und Mädchen im Sport“. Die Aktion „Gewalt gegen Frauen – nicht mit uns!“ wurde zusammen mit den Kampfsport-verbänden im DOSB durchgeführt. Gewaltpräven-tion ist unerlässlich und kann Frauen und Mäd-chen wirkungsvoll vor möglichen Übergriffen schützen. Hier setzt auch das bundesweit einge-richtete Telefon „Gewalt gegen Frauen“ an, um ei-nen niedrigschwelligen Zugang für eine erste An-lauf- und Kontaktstelle zu garantieren. „Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern“, kommt Ihnen diese Formulierung be-kannt vor? Passend zur derzeitigen Debatte um die Frauenquote findet man auf Seite 103 des Sportberichts: „Frauen an die Spitze“. Das damit verbundene Projekt fördert gezielt das zivilgesell-schaftliche Engagement von Frauen, um ihnen Wege in die Führungsgremien des Sports zu eb-nen. Aber keine Angst, es wird keine 30-Prozent-Quote gefordert und eingeführt. Aber was wäre unser Sport ohne die vielen Mil-lionen Ehrenamtlichen, denen ich an dieser Stelle ein großes Dankeschön zurufen möchte. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit der Nationalen Engagementstrategie rea-giert die Bundesregierung auf die wachsende Be-deutung des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland. Mit der Initiative „Junges Engage-ment im Sport“ wurden unabhängig von Ge-schlecht, Alter, Herkunft, Religion oder Kultur chancengerechte Zugänge zum Engagement im Sport eröffnet. Neue Formen wurden erprobt, um verstärkt auch jungen Menschen in besonderen Lebenslagen Wege aufzuzeigen, sich in Struktu-ren der Zivilgesellschaft zu integrieren. Gerade im Hinblick auf die aktuelle Debatte über das Ehren-amt und den Mindestlohn müssen wir aber darauf achten, den freiwilligen Einsatz nicht durch Über-bürokratisierung und zusätzliche Dokumentations-pflichten zu ersticken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Eine Ausnahme vom Mindestlohn für als gemein-nützig anerkannte Vereine würde ich deshalb sehr begrüßen. Auch für eine Vereinfachung bezüglich der Vor-lage des erweiterten Führungszeugnisses setze ich mich ein. Eine zentrale Abfragemöglichkeit beim Bundeszentralregister könnte die Kommunen enorm entlasten. Wir müssen den Ehrenamtlichen dankbar sein für die vielen Tausend Stunden, die sie in ihrer Freizeit für das Gemeinwohl einbringen. Der Bund nimmt seine Verantwortung aber nicht nur national wahr; er engagiert sich auch gezielt in der Entwicklungszusammenarbeit. Auf Initiative unseres Bundesministers für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Guter Mann!) werden unter anderem Kinder und Jugendliche un-terstützt, deren Leben von Armut, Unsicherheit und Angst geprägt ist. Besonders Mädchen sollen neue Lebensperspektiven entwickeln können. Auf-bauend auf dem Fußballsport, werden gewaltfreie Räume für sie geschaffen. Ein besonderes Au-genmerk des BMZ liegt aktuell auf der Initiative „Mehr Platz für Sport – 1 000 Chancen für Afrika“. Als Wohlstandsland sehe ich uns hier in der Pflicht, dabei zu helfen, Life Skills zu vermitteln. Das Scheitern der Bewerbung meiner Landes-hauptstadt München gemeinsam mit der Markt-gemeinde Garmisch-Partenkirchen und dem Landkreis Berchtesgadener Land um die Ausrich-tung der Olympischen und Paralympischen Win-terspiele 2018 habe ich persönlich sehr bedauert. Den Ausgang der Bürgerentscheide für die weite-re Bewerbung für 2022 müssen wir akzeptieren. Ich sehe es allerdings als verpasste Chance, der Welt zu zeigen, dass Olympische Spiele auch im Einklang mit der Natur veranstaltet werden kön-nen, nämlich nachhaltig und ohne überbordenden Pomp. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was zu beweisen ist!) Ich durfte als Kind die Sommerspiele 1972 mit-erleben – ein für mich immer noch beeindrucken-des Erlebnis. Auch heute ist das Olympiastadion ein einzigartiges Wahrzeichen von München, das von Menschen als Erholungs- und Eventort Som-mer wie Winter gern genutzt wird. Vizepräsident Peter Hintze: Apropos Eventort: Die Redezeit ist abgelaufen. (Heiterkeit) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Letzter Satz. – Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens möchte ich meine Rede mit dem olympischen Gedanken beenden, mit der Friedensbotschaft und dem Aufruf zur Waffenruhe. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Matthias Schmidt, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Wenn man in so einer De-batte als zwölfter von 13 Rednern dran ist, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das ist ganz schlecht! Das sollten wir unbedingt ändern!) dann ist es wahrlich eine sportliche Herausforde-rung, jetzt noch Punkte zu finden, die bisher nie-mand erwähnt hat. Ich will mich ihr trotzdem stel-len. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Aber Herr Grindel kommt ja noch! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sie können ja verzichten!) – Kollege Grindel hat als 13. Redner zum 13. Sportbericht natürlich den Vorteil, dass er sagen kann: So ein Glück, dass heute nicht Freitag, der 13., ist, sondern Freitag, der 6.! Freitag, den 13., haben wir erst nächste Woche. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Schade eigentlich!) Ich habe trotzdem eine Sache gefunden, die ich gern sagen möchte und die mir sehr am Herzen liegt. Ich möchte nämlich, Herr Kollege Krings, der Sportabteilung herzlich danken. Sie ist mo-mentan in einer schwierigen Situation, kurz vor dem Umzug nach Berlin, was für alle persönlich sehr schwierig ist. Ihr ist es trotzdem gelungen, sehr sauber, sehr sachlich einen umfassenden 13. Sportbericht zu erstellen. Ich würde mich freuen, wenn Sie den Dank aller Fraktionen an die Sport-abteilung weitergeben würden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) An die Zuhörerinnen und Zuhörer gerichtet: Im Sportbericht ist wirklich alles drin. Ich gehe davon aus: Einige von Ihnen sind auch Mitglied in einem Sportverein, sind aktive Sportler, manche viel-leicht sogar im Vorstand oder an anderer Stelle ehrenamtlich tätig. Wenn Sie einmal etwas für den Überbau brauchen: Ein Blick in den Sportbericht der Bundesregierung lohnt immer! Es ist alles drin. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Bis auf die Selbstkritik! – Weitere Zurufe) – Bis auf die Selbstkritik; sehr gut. Die Kollegen sind heute sehr erfinderisch. Ich möchte etwas zur Weltsportministerkonfe-renz sagen. Ich möchte den Gedanken aufgreifen, den die Kollegen Mutlu und Gienger auch schon aufgenommen haben. Die Bundesregierung scheint mit den Ergebnissen der Weltsportminis-terkonferenz sehr zufrieden zu sein. Die Welt-sportministerkonferenz findet sich in diesem Be-richt an zwölf verschiedenen Stellen. Ich denke, die Bundesregierung kann zu Recht mit den Er-gebnissen zufrieden sein, die sich am Ende in der Berliner Erklärung in 19 Punkten finden. Ich möchte trotzdem auf etwas hinweisen, was sich in der letzten Sportausschusssitzung abge-spielt hat. Wir hatten die Gewinner der „Sterne des Sports“ in der Sport-ausschusssitzung. Ge-wonnen hat der Fußballverein „Bananenflanke“ (Gudrun Zollner [CDU/CSU]: Aus Re-gensburg!) aus Regensburg – zu Recht –, der eine Fußballli-ga für Kinder mit geistiger Behinderung organi-siert. Ein Vater sagte uns dann im Sportaus-schuss, er hätte es sehr viel lieber gesehen, wenn sein Sohn in einen inklusiven Sportverein hätte gehen können, und fragte, was wir dafür täten, damit dies künftig möglich sei. Herr Krings, Sportabteilungsleiter Böhm hat mit der Weltsport-ministerkonferenz geantwortet. Er hat völlig richtig geantwortet – das stimmt schon –, aber in den Augen des Vaters konnte man sehen, wie weit die Sportpolitik von der Realität entfernt ist. Manch-mal ist das so, und dieser Hinweis richtet sich an uns alle, nicht nur an die Bundesregierung, schon gar nicht an den Abteilungsleiter. Er richtet sich an uns alle, immer daran zu denken, die Sportpoli-tik für die Vereine, für die Menschen in unserem Land, die Sport treiben, zu machen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ein zweites Beispiel, das in die gleiche Kerbe haut, haben wir als Sportausschuss vorgestern in Brüssel gesehen, als wir dort mit dem Sportkom-missar und den EU-Parlamentariern gesprochen haben, die das Programm Erasmus plus sehr lob-ten, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Bürokratiemonster! – Michaela Engelmeier [SPD]: Ja, genau!) ein mit einer Förderung von 265 Millionen für die nächsten sieben Jahre sehr groß angelegtes Pro-gramm. Es ist als ein Programm annonciert, das den Vereinen und dem Ehrenamt helfen soll. Aber die Hürden sind in der Tat so hoch, dass es für die Vereine extrem schwer ist, überhaupt daran-zukommen. Auch das ist ein Beispiel, das uns da-ran erinnern sollte, dass wir die Politik für die Menschen im Land machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Natürlich gibt es auch sehr, sehr gute Beispie-le, wo die Sportpolitik genau das macht, und das ist für mich ausdrücklich im Bereich des Sports von Menschen mit Behinderungen. Dort ist jeder Euro, den wir als Haushaltsgesetzgeber investie-ren, gut investiert. Die Menschen, die dort Sport treiben, sind nicht nur sportliche, sondern auch menschliche Vorbilder. Ich finde, da können wir nicht genug tun. Pierre de Coubertin, der Gründer der Olympischen Spiele der Neuzeit, würde – ich wage die Prognose – heute bei den Paralympics auf der Tribüne sitzen, weil dort die Werte, die er für den Sport seinerzeit ausgerufen hat, vorbildlich gelebt werden. Diese Unterstützung müssen wir weiterführen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Unterstützung schließt das Ehrenamt ausdrücklich ein. Im Bereich des Sports von Men-schen mit Behinderungen gibt es vier Verbände: den Deutschen Behindertensportverband, den Deutschen Gehörlosen-Sportverband, den Deut-schen Blinden- und Sehbehinderten-Schachbund und Special Olympics Deutschland. Sie werden von zwei männlichen und zwei weiblichen Präsi-denten geleitet: von Herrn Beucher und Herrn Wiencek, Frau Reymann und Frau Krajewski, die alle hervorragende Arbeit mit ihren Vorständen leisten und den Sport ehrenamtlich vorantreiben. Dies ist die Stelle, Herr Krings, wo folgender Nebensatz zu „Jugend trainiert für Olympia“ und „Jugend trainiert für Paralympics“ gestattet sein muss: Es war unglücklich, wie sich das Ministeri-um an dieser Stelle in dem Versuch verhalten hat, das eine gegen das andere auszuspielen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das war beschämend!) Ich bin froh, dass wir als Haushaltsgesetzgeber zweimal standhaft geblieben sind und „Jugend trainiert für Olympia“ und „Jugend trainiert für Pa-ralympics“ sowie den Deutschen Behinderten-sportverband weiter fördern. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu musste er getrieben oder getragen wer-den!) Das letzte Thema, das ich gern ansprechen möchte – Kollege Tempel von den Linken hat es schon gestreift –, ist das Thema Sport und Lärm. Es findet sich nur ein kleiner Absatz im Sportbe-richt, auf Seite 130. Dort ist – Herr Krings, dafür sind übrigens Ihre Kollegen vom Umweltministeri-um zuständig; das richtet sich nicht direkt an das Innenministerium – die Sportanlagenlärmschutz-verordnung, kurz SALVO, zitiert. Das ist ein schö-ner Name, er kommt aus dem Lateinischen, hat auch etwas mit „gesund“ zu tun. Zu der SALVO schreiben die Autoren, sie habe sich grundsätzlich bewährt, weil es einen Ausgleich zwischen den In-teressen des Sports und anderen Interessen ge-be. Da – so habe ich den Eindruck – ist dem Autor etwas die Feder ausgerutscht; denn wir alle wis-sen aus unseren Wahlkreisen: Sport und Lärm-schutz sind, wenn sie aufeinandertreffen, ein massives Problem. Wir müssen dafür eine neue Lösung finden. Wir haben im Sportausschuss darüber debattiert. Wir haben sehr gute Vorschläge, bei-spielsweise des Deutschen Städtetages, erhalten. Er hat das ganz sauber aufgelistet: Muss es sonn-tags von 13 bis 15 Uhr eine Mittagspause geben? Ich meine: Nein. Wie lange darf man Sport werk-tagsabends treiben? Ich denke: bis 22 Uhr. Wie werden Altanlagen geschützt? Das ist ein Auftrag an uns alle hier im Parlament, im Jahr 2015 etwas zu bewegen. In diesem Sinne würde ich mich freuen, wenn wir das gemeinsam mit der Bundes-regierung angehen und für den Sport etwas tun. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als letztem Redner dieser Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Reinhard Grindel, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ehrenamt ist hier völlig zu Recht immer wie-der in den Reden erwähnt worden. Man muss da-ran erinnern, wenn man sagt: „Ohne gute Breite keine gute Spitze“, dass in den Vereinen, an der Basis, die Nachwuchs- und Talentförderung statt-findet, die Weichen gestellt werden. Das machen die Ehrenamtlichen. In diese Richtung geht die große Kritik, die wir von den Vereinen hören. Nehmen wir zum Beispiel den Sportentwicklungs-bericht der Sporthochschule Köln. Vereine wurden gefragt: Was sind eure größten Risiken? Das mit Abstand größte Risiko für die Vereine ist, keine ehrenamtlichen Mitarbeiter mehr zu gewinnen. Warum? Weil sie unter der Last der Bürokratie ächzen. Also hören wir auf, die Vereine zusätzlich mit Bürokratie zu belasten. Lassen wir sie nicht al-lein im Dschungel des Steuerrechts, sonst werden wir Probleme haben, Menschen zu finden, die sich gerne im Ehrenamt engagieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin dem Kollegen Pilger außerordentlich dankbar, dass er, als Rheinland-Pfälzer sicherlich nicht ohne Rücksprache mit einem prominenten Mitglied seiner Landesgruppe, angedeutet hat, dass wir für die Auswirkungen des Mindestlohns auf den Sport eine Lösung finden wollen. Wir re-den hier nicht über Wirtschaftsunternehmen, wir reden über gemeinnützige Vereine, die nicht Ge-winne erzielen wollen, sondern alles Geld für den Sport verwenden. Denen wollen wir helfen. Ein Problem stellen in diesem Zusammenhang die Vertragsspieler dar. Der Vertragsspieler steht nicht in einem Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis. Die Konstruktion des Vertragsspielers ist gewählt worden, damit ein Spieler in der Win-terpause nicht einfach den Verein wechselt. Zu-dem müssen Vereine die Chance haben, für die Entwicklung von Talenten, die zu größeren Verei-nen wechseln, eine Ausbildungsentschädigung zu bekommen. Insofern ist meine herzliche Bitte, ge-rade auch an die Kollegen der Sozialdemokratie, dieses Thema pragmatisch zu betrachten und nicht ideologisch. Das Kernproblem ist – Kollege Pilger hat es angesprochen –, dass die Vereine aus Gründen der einfacheren Abwicklung diese Vertragsspieler bei den Minijobzentralen angemeldet haben. Sie wollen steuer- und sozialversicherungsrechtliche Abgaben auch leisten. Insofern wäre es nicht gut, wenn wir mit einer bürokratischen Regelung die Bemühungen der Vereine, ehrlich zu sein und Steuern und Sozialabgaben zu leisten, infrage stellen würden. Ich will keine zusätzliche Bürokra-tie. Ich will nicht, dass Bargeld in der Umkleide-kabine gezahlt wird. Das müssen wir alle verhin-dern, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist auch richtig, dass der Kollege Schmidt das Thema Sport und Lärm angesprochen hat. Ein großes Thema, das zunehmend wichtiger wird – auch das steht im Sportentwicklungsbericht –, ist die Vereinbarkeit von Schule und Verein. Durch die Ganztagsschulen – eine bildungspolitisch si-cherlich gute Einrichtung – werden die Möglichkeit für unsere Sportvereine, mit den Kindern und Ju-gendlichen zu trainieren, verkürzt, werden die Trainingszeiten verkürzt. Deswegen brauchen wir an dieser Stelle bessere Rahmenbedingungen. Mancher Verein wandelt seinen Grandplatz in ei-nen Kunstrasenplatz um, weil er bessere Trai-ningsbedingungen bieten will. Wenn der Verein als Folge davon weniger Sportstunden anbieten könn-te, weil es dann eine Neuanlage ist, für die andere Lärmimmissionswerte gelten, und der Altanlagen-bonus weggefallen ist, dann wäre auch das zu-sätzliche Bürokratie, und die Ehrenamtlichen wür-den sagen: Meine Güte, was macht die Politik da? Lasst uns doch in Ruhe unser Training durchfüh-ren, wenn wir schon immer schwierigere Rah-menbedingungen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir Kinder für den Sport gewinnen wollen, dann – so steht es im Sportbericht völlig zu Recht – dienen erfolgreiche Athletinnen und Athleten als Vorbilder, denen man nacheifert und auf deren In-tegrität man vertraut. Der Sport hat eine große gesellschaftspolitische Bedeutung. Er hat eine große Integrationskraft, übrigens auch, wenn es um die Arbeit mit Flüchtlingskindern geht, die von zentraler Bedeutung ist. Deswegen betont der Sportbericht: Nur der saubere Sport vermag seine gesell-schaftspolitisch wünschenswerte Wirkung zu entfalten und auf diese Weise die finanzielle Unterstützung des Sports durch die öffentli-che Hand zu legitimieren. Gleichzeitig ist uns im Sportausschuss die Stu-die mit dem etwas sperrigen Titel „Dysfunktionen des Spitzensports: Doping, Match-Fixing und Ge-sundheitsgefährdungen aus Sicht von Bevölke-rung und Athleten“ vorgestellt worden. Nur 53,4 Prozent der befragten Athleten sagten glas-klar Nein zum Dopingmissbrauch. 5,9 Prozent räumten die Einnahme von Dopingmitteln ein. Gut 40 Prozent haben die Antwort auf die entspre-chende Frage verweigert. Nun soll man die Er-gebnisse dieser Studie nicht dramatisieren; aber man kann wohl auch nicht behaupten, dass im Kampf gegen Doping unter generalpräventiven Gesichtspunkten alles in bester Ordnung sei. Die Maßnahmen des bestehenden Dopingkon-trollsystems des organisierten Sports mit seinen verbandsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten stel-len einen wichtigen Grundpfeiler in der Dopingbe-kämpfung dar. Besonders ist hier die gute Arbeit der NADA zu erwähnen, die wir von der Koalition noch einmal mit zusätzlichen Finanzmitteln ge-stärkt haben. Aber angesichts der von mir be-schriebenen hohen gesellschaftspolitischen Be-deutung des Sports muss auch der Staat seine Mittel zum Schutz der Integrität des sportlichen Wettbewerbs in vollem Umfang nutzen. Deshalb ist es richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in Deutschland ein Anti-Doping-Gesetz bekommen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) mit dem wir übrigens auch die Sportgerichtsbar-keit und die Schiedsvereinbarungen auf eine klare gesetzliche Grundlage stellen wollen. Wenn dazu kartellrechtliche Ergänzungen des entsprechen-den Gesetzes notwendig sind, dann wollen wir sie vornehmen. Wir brauchen eine Reform des CAS. Der Sport-ausschuss wird diese Fragen im April bei seinem Besuch in Lausanne vor Ort ansprechen. Aber wir brauchen doch wohl tatsächlich eine weltweit gül-tige Sportgerichtsbarkeit. Es darf doch nicht sein, dass am Ende Gerichte in Kasachstan, in Russ-land oder in Jamaika darüber entscheiden, ob Sportler bei internationalen Sportereignissen tat-sächlich starten dürfen oder nicht. Das kann auch nicht im Interesse unserer Spitzensportler sein. Deswegen bin ich über manche Äußerung von Spitzensportlern etwas überrascht. Wir brauchen eine Reform der Sportgerichtsbarkeit und ein Anti-Doping-Gesetz, weil wir gerade die Chancen un-serer Sportler im internationalen Wettbewerb schützen und hier für Fair Play sorgen wollen, lie-be Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Als was sprechen Sie denn jetzt: als Schatzmeister des DFB oder als MdB? – Gegenruf des Abg. Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Das war eine unqualifizierte Frage! – Gegenruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist wichtig!) Es ist angesprochen worden, dass wir im Koali-tionsvertrag nicht nur ein Anti-Doping-Gesetz an-gekündigt haben, sondern auch ein Gesetz gegen Spielmanipulationen. Dazu sagt der Sportbericht: Die Integrität des Sports wird zwar in erster Linie durch das Regelwerk der Sportverbände gewährleistet. Allerdings zeigen Phänomene wie die Manipulation von Sportwettbewerben, dass staatliche Interventionen und Sanktionen notwendig sind … Insofern will ich persönlich anfügen, dass ich es richtig finde, dass wir nicht nur ein Anti-Doping-Gesetz, sondern auch ein umfassendes Gesetz zum Schutz der Inte-grität des sportlichen Wett-bewerbs schaffen, in dem es klare Regelungen gegen Spielmanipulationen gibt. Die Menschen werden sich vom Sport abwen-den, wenn sie den Glauben an das, was den Sport ausmacht, verlieren und die Ungewissheit des sportlichen Ergebnisses nicht mehr gegeben ist. Deshalb gilt auch hier, dass der Staat seine Schutzpflicht mit den Mitteln des Strafrechts wahrnehmen muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Am Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein letzter Gedanke. Wir reden viel von den sozia-len Netzwerken und denken dann an unseren Lap-top, unser Handy oder iPad. Ist es wirklich richtig, hier von sozialen Netzwerken zu reden? Einmal Stromausfall, und alle Freunde sind weg! (Heiterkeit bei Abgeordneten im ganzen Hause – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Schönes Bild!) Wäre es nicht richtig, wenn wir bei sozialen Netz-werken an den Sportverein um die Ecke denken? Erleben wir nicht dort das wirklich Soziale im Le-ben: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) miteinander gewinnen und verlieren, sich für ande-re einsetzen und dankbar Unterstützung entge-gennehmen? Kabinenschweiß riechst du nicht auf Facebook. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN) Da musst du schon selber auf den Platz, in den Sportverein gehen und mitmachen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]) Dafür gute Rahmenbedingungen zu schaffen, ist Aufgabe der Sportpolitik. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Mein Facebook! Yeah!) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3523 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kat-rin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Nationales Konversionsprogramm entwi-ckeln – Umwandlung der Militärwirtschaft in eine Friedenswirtschaft ermöglichen Drucksache 18/2883 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Verteidigungsausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so be-schlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als ers-ter Rednerin der Abgeordneten Katrin Kunert, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Katrin Kunert (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Deutsche Sturmgewehre sind bei jener mexikanischen Polizeieinheit aufgetaucht, die mit dem Mord an 43 Studenten in Verbindung ge-bracht wird; das berichtete vor kurzem der Spie-gel. Deutsche Waffen sind leider ein Exportschlager und finden immer ihren Weg. Die Bundesrepublik ist nach den USA und Russland weltweit der dritt-größte Exporteur von Waffen und Rüstungsgü-tern. 2013 hat die Bundesregierung Rüstungsexporte im Wert von 8,34 Milliarden Euro genehmigt. Während deutsche Rüstungskonzerne sich eine goldene Nase verdienen, wird in anderen Teilen der Welt mit ihren Waffen gekämpft und getötet. Der dritte Platz bei den Waffen-exporten ist für uns kein Grund zur Freude; im Gegenteil: Er sollte uns zutiefst beschämen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen endlich politische Konsequenzen da-raus ziehen. Wir fordern ein generelles Verbot von Waffen- und Rüstungsexporten, und wir fordern, dass keine Waffen und Rüstungsgüter mehr in Deutschland produziert werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke schlägt Ihnen heute vor, gemeinsam ein nationales Konversionsprogramm zu erarbei-ten. Wir schlagen Ihnen vor, schrittweise die mili-tärische Produktion in eine zivile Produktion um-zuwandeln. Zudem wollen wir militärische Liegen-schaften, also Kasernen, Schießplätze und Waf-fenlager, künftig nur noch für zivile Zwecke nut-zen. (Beifall bei der LINKEN) Wir sind davon überzeugt: Konversion kann ge-lingen. Seit 1990 gab es gerade im Osten Hunder-te Schließungen von Militärliegenschaften der Sowjetarmee und der NVA. Oft wurden die Kom-munen bei der weiteren Nutzung der Liegenschaf-ten alleingelassen. Das wollen und müssen wir ändern. (Beifall bei der LINKEN) Die Kommunen müssen finanziell unterstützt und Konversionspartnerschaften müssen ge-schlossen werden. Die Stadt Stavenhagen in Mecklenburg-Vorpommern ist ein gutes Beispiel für eine solche Partnerschaft. In Stavenhagen werden ehemals militärische Gebäude und Flä-chen zivil genutzt. In einem neu entstandenen Gewerbepark gibt es unter anderem metallverar-beitende Industrie, Lebensmittelindustrie und ei-nen der größten Solarparks im Land. Wir wollen, dass dieses Beispiel Schule macht. (Beifall bei der LINKEN) Bisher wurde mit der wirtschaftlichen Bedeu-tung von Bundeswehrstandorten und der Rüs-tungsindustrie Politik gemacht. Arbeitsplätze und Steuereinnahmen, die als Argument genannt wer-den, sind bis heute heilige Kühe, mit denen die Menschen und die Kommunen in eine gewisse Abhängigkeit gedrängt werden. Alternativen zur militärischen Nutzung werden in der gesellschaft-lichen Debatte durch politische Mehrheiten unter-drückt. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, seit An-fang der 90er-Jahre hat Deutschland einen tiefen Strukturwandel erlebt. So hat es EU-Förderprogramme gegeben, um den wirtschaftli-chen Umstellungsprozess in Deutschland abzusi-chern. Mithilfe der Programme KONVER I und II wurden in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Unternehmensan-siedlungen gefördert. Den Programmen fehlte damals der friedenspolitische Aspekt. Es ging immer nur um reine Strukturpolitik, und es gab auch nie ein Konzept zur Einbindung des Bundes. Und genau hier setzt unser Antrag an. Wir fordern ein nationales Konversionspro-gramm. Alle möglichen Akteure wie die Menschen in den Kommunen, Friedensorganisationen, Kir-chen und Gewerkschaften sind in die Erarbeitung einzubeziehen. Der Bund, die Länder, die Kommu-nen, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und die Bundeswehr müssen konkrete Aufgaben übernehmen. (Beifall bei der LINKEN) Wir schlagen vor, dass auf Bundesebene ein Konversionsfonds eingerichtet wird. Der Fonds soll zunächst mit 2,5 Milliarden Euro Startkapital aus dem Reingewinn der Bundesbank ausgestat-tet werden. Zusätzlich soll die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ihre Gewinne aus Immobili-enverkäufen in den Fonds einspeisen. Das Geld soll die Umwandlung der Militärwirtschaft in die zivile Wirtschaft sozialverträglich absichern. Um eines klarzustellen: Im unmittelbaren Kern-bereich der wehrtechnischen Industrie, also für die Herstellung von Waffen und Munition, sind ledig-lich circa 17 000 Menschen beschäftigt. Die Kon-version dieser Arbeitsplätze sollte doch möglich sein. (Beifall bei der LINKEN) Die über 80 000 Beschäftigten in der Sicherheits-indus-trie arbeiten bereits jetzt in Bereichen, die rein zivil nutzbar sind. Das betrifft die Aufklä-rungstechnik, IT-Systeme, das Einsatzmanage-ment sowie die technische Ausrüstung zum Schutz von Infrastruktur. Der Erhalt von qualifizierten und gut bezahlten Arbeitsplätzen ist Kernstück des Konversionspro-gramms. Wir wollen nicht über die Köpfe der Be-troffenen hinweg entscheiden. Die Linke unter-stützt deshalb die Forderung der IG Metall nach einem Branchenrat „Wehr- und Sicherheitstech-nik“. Die Gewerkschaften und Betriebsräte sollen die Umstrukturierung in ihren Unternehmen aktiv mitgestalten. Die Möglichkeiten für Konversionsprojekte sind vielfältig. Verkehr, Maschinenbau, Elektrik, Tech-nik, Umweltschutz, Raumfahrt oder Schifffahrt bie-ten hierfür ein riesiges Potenzial. Ein Konversi-onsprozess ist kein normaler und selbstverständ-licher Prozess, sondern ein ex-trem notwendiger Prozess. Jeder Technologiepark anstelle eines Munitionsdepots bedeutet Innovation statt Still-stand, (Beifall bei der LINKEN) und jede neue Wohnanlage mit einem Naherho-lungs-gebiet anstelle einer Halle für Kampfflug-zeuge bedeutet mehr Lebensqualität für die Men-schen, und jedes Forschungsprojekt mit Blick auf die Konversion an den Universitäten bedeutet Friedensperspektiven. Die Linke will, dass Deutschland zur Friedens-macht wird. Wir wollen aus der Militärwirtschaft aussteigen. Lassen Sie uns darüber ordentlich in den Ausschüssen streiten. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Klaus-Peter Willsch, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Frau Kunert, um es gleich vorweg zu sagen: Wir wollen das nicht. Wir wollen, dass wir eine starke Bundeswehr haben. Ich bin stolz auf unsere Bundeswehr und die Leis-tungen, die sie vollbringt. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Und auf die Rüstungsindustrie sind Sie auch stolz!) Wir wollen, dass unsere Bundeswehr auch mit den technologischen Fähigkeiten, die in Deutschland entwickelt und weiterentwickelt werden, kämpfen kann, wenn es notwendig ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN: Ohne Sinn und Verstand!) Uns liegt – in neuem Gewand – ein Antrag vor, der sich eigentlich um den Export von Rüstungs-gütern dreht. Einmal mehr versuchen Sie hier, ein Bild zu zeichnen, als würden wir leichtfertig in der ganzen Welt Waffen und technologische Fähigkei-ten verbreiten. (Zuruf der Abg. Karin Binder [DIE LIN-KE]) Sie wissen ganz genau, dass das Gegenteil der Fall ist. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Ja, ja!) Wenn Sie im westlichen Bündnis bündnisfähig bleiben wollen – das ist notwendig für Deutsch-land, weil wir die Sicherheit alleine nicht gewähr-leisten können –, dann müssen Sie natürlich auch technologisch etwas zu bieten haben, gerade als Hochtechnologiestandort, der Deutschland ist. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: A400M! Jä-ger 90! Wie die hochtechnologisch aus-gestattet sind!) Es ist abenteuerlich, hier eine Deindustrialisierung zu fordern, zu fordern, dass man in irgendeinen Kuschel-zustand kommt. Wenn wir technologisch spitze sind und im Be-reich der Sicherheits- und Wehrindustrie über Können verfügen, dann müssen wir das fördern. Wir müssen der Industrie auch gelegentlich beim Export helfen, weil die Abnahme im eigenen Land nicht hinreichend ist, um Kernfähigkeiten zu erhal-ten. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage ist nur: Wohin? – Katrin Kunert [DIE LINKE]: A400M ist ein Exportschlager?) Sie wissen genau, dass alle Entscheidungen über den Export von Rüstungsgütern Einzelfall-entscheidungen sind, dass sie in einem dichten Netz rechtlicher Regulierungen gefällt werden und dass wir weder in Gebiete liefern, in denen ein Angriffskrieg droht, noch in Länder, bei denen ein hinreichender Verdacht besteht, dass die Güter zum Zwecke der Repression oder für sonstige Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Saudi-Arabien!) – Wenn Sie ein bisschen Dinge zur Kenntnis neh-men und aufpassen würden, könnten Sie klüger reden. Sie wissen, dass wir in Saudi-Arabien mit den Rüstungs-gütern im Wesentlichen dafür Sor-ge tragen, dass die Grenzen gesichert werden können, was ein selbstverständliches Recht eines jeden Staates ist. Das hat eine ausgesprochen friedensstiftende Wirkung. Viele der Konflikte, die wir gegenwärtig in Afrika erleben, hängen damit zusammen, dass Grenzen nicht kontrolliert wer-den können und nicht geachtet werden, dass Grenzen dort willkürliche Linien sind, die nicht vernünftig kontrolliert werden können. Wenn Sie weiter aufgepasst hätten, wüssten Sie auch, dass wir mit der Verstärkung des Schiffseinsatzes im Bereich der Küstenwacht ei-nen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass die internationalen Handelswege, der internationale Seeverkehr, vor Bedrohungen durch Piraten, Sa-lafisten und allen möglichen anderen Hasardeure und Verbrecher, die dort unterwegs sind, ge-schützt sind. Das ist für Deutschland natürlich ein ganz wesentlicher Punkt. Als eine führende Welt-handelsnation sind wir auf freie Handelswege an-gewiesen. Dazu müssen wir einen Beitrag leisten. Wenn das mit deutscher Technologie geschehen kann – deutsche Technologie wird nachgefragt; wir drängen sie niemandem auf –, dann bin ich als deutscher Abgeordneter stolz darauf. Genauso wie wir in anderen Hochtechnologiebereichen weltweit führend sind und deshalb die Produkte, ob Autos oder Werkzeugmaschinen, einen reißen-den Absatz finden, sind wir auch in dem Bereich gut. Dass wir in der Handelsstatistik nur Dritte sind, zeigt, dass wir sehr zurückhaltend damit umgehen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Uns kommen die Tränen!) Sonst würden wir den Kampf um Platz eins und zwei mit den USA und der Sowjetunion sicher leicht aufnehmen können. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Russland! Russland! Das ist Russland!) Die politischen Grundsätze, nach denen wir das alles handhaben, sind übrigens in rot-grüner Re-gierungszeit aufgestellt worden. Diese gelten nach wie vor. Sie wissen, dass es in diesem Be-reich wie auch generell in der Außenpolitik bei uns eine bemerkenswerte Kontinuität gibt. (Zuruf von der LINKEN) Es geht um Ihr grundsätzliches Nein zum Mili-tär, zumindest für Deutschland. Ob Sie das in an-deren Teilen der Welt genauso sehen, weiß ich nicht. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Unver-schämtheit!) Ich erinnere mich noch an viele Äußerungen von Ihren Vorgängerorganisationen – die man ohne Probleme als fünfte Kolonne der Sowjetunion hier im Land bezeichnen konnte –, die alles Mögliche, was an Interventionen, an Menschenrechtsunter-drückung seitens der Sowjetunion in der Welt stattfand, fröhlich bejubelt haben und ansonsten hier das Geschäft im ideologischen Kampf für die falsche Seite besorgt haben. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Reden Sie mal zum Antrag!) Ich will Ihnen zeigen, wie weit wir mit unserer Zurückhaltung gehen. Nehmen Sie als Beispiel die Republik China, Taiwan – ein freies Land, ein Leuchtturm der Demokratie und Rechtsstaatlich-keit in Asien. Wir liefern nicht dorthin. Die USA tun es, und zwar – das will ich dazu sagen – glückli-cherweise; denn sonst hätte Taiwan wahrschein-lich schon das gleiche traurige Schicksal wie Ti-bet ereilt. Ich will Sie, wenn Sie hier im Bundestag immer wieder diese Platte auflegen, auch daran erinnern, was Ihre Kollegen vor Ort in Wolgast dazu gesagt hätten, wenn der Auftrag für die Grenzpatrouillen-schiffe für Saudi-Arabien nicht gekommen wäre. Dann wären dort die Lichter ausgegangen, und die Werft wäre heute geschlossen. (Karin Binder [DIE LINKE]: Darum geht es ja! Um Konversion! Damit die Lichter nicht ausgehen!) – Natürlich geht es darum. – Sie müssen sich ein-fach daran gewöhnen, dass die Wirklichkeit – auch wenn Sie sie immer wieder abstreiten – mächtiger ist als Ihr Gerede. Sie müssen den al-ten Grundsatz beherzigen: Schauen Sie sich die Wirklichkeit an, dann sehen Sie, was nottut. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Ihre Wirklichkeit ist auch ein biss-chen schief!) Wir haben gegenwärtig eine Situation, in der wir uns über einen Mangel an außenpolitischen Brennpunkten nicht beklagen können. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Wissen Sie eigentlich, was Sie da reden?) Es gab einen Angriff auf die Ukraine mit der An-nexion der Krim, und es gibt eine anhaltende De-stabilisierung der Ostukraine. Dort kämpfen russi-sche Kräfte. Dies wäre wahrscheinlich nicht pas-siert, wenn sich die Ukraine seinerzeit nicht darauf eingelassen hätte, gegen Garantie auf die eigenen Atomwaffen zu verzichten. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ach!) Dann wäre solch ein Angriff nicht so leicht erfolgt. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Atomwaffen für alle, oder was ist das?) Wir erleben, dass wir vor gewaltigen Heraus-forderungen in puncto Sicherheit und Verteidigung stehen. Wenn wir nach Afrika schauen, wenn wir in den Mittleren -Osten schauen, sehen wir, mit welcher Brutalität und Rigorosität dort Kräfte wie IS, Boko Haram und andere vorgehen, die – wie hat es Cem Özdemir gesagt? – wahrscheinlich nicht in einem Stuhlkreis zu bewegen sind, son-dern nur mit Waffengewalt. Sie können weiter Ihre Träume von Pflugscharen und Winzermessern träumen. Sie werden dort mit Pflugscharen und Winzermessern nichts erreichen. Sie werden das Schwert und das Feuer brauchen, um das zu be-enden. Ich will, um das Thema noch etwas auszuwei-ten, sagen, dass wir uns überlegen müssen, ob wir eigentlich für die Verteidigung genug tun. Ich bin den Kollegen von der CSU – leider ist in dieser Debatte kein CSU-Redner angemeldet – dankbar, dass sie auf ihrer Klausurtagung dieses Thema in den Mittelpunkt gerückt haben. Wir sind von unse-rer Verpflichtung, die wir in der NATO eingegan-gen sind, 2 Prozent des BIP für Verteidigung aus-zugeben, weit entfernt. Wir erleben, dass Länder wie Schweden und Finnland, die immer der klassi-sche Inbegriff von sogenannten Friedensländern waren, die wenig Wert auf militärische Stärke ge-legt haben, darüber nachdenken und auch schon darangehen, die Verteidigungsausgaben zu erhö-hen, weil die Bedrohung in der Welt größer ge-worden ist. (Karin Binder [DIE LINKE]: Ja, die Rus-sen kommen!) In einer solchen Situation kommen Sie mit dem Vorschlag, dass wir unsere Rüstungsindustrie ab-schaffen sollen. Wir sind stolz und froh, dass wir sie haben. Wir versuchen, ihr zu helfen, wo wir können. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Das kriegen wir mit im Ausschuss!) Wir dürfen nicht zulassen, dass wir schutzlos werden und dass wir keine Bündnisfähigkeit mehr haben. Letzter Gedanke. Wir alle miteinander haben im Januar des 70. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz gedacht. Auch diese Befreiung ist nicht mit Pflugscharen oder was weiß ich was durchge-führt worden, sondern von einer kampfkräftigen Armee. Da schlägt es dem Fass den Boden aus, dass von Ihnen, wenn wir sehen, wie der französi-sche Präsident Hollande und unsere Bundeskanz-lerin Angela Merkel momentan versuchen, eine Friedenslösung für die Ukraine hinzubekommen, der Vorschlag kommt, dass Putin zum 70. Jahres-tag des Kriegsendes vor diesem Haus reden soll. Das schlägt dem Fass wirklich den Boden aus und zeigt, dass Sie nichts aus der Geschichte ge-lernt haben, sondern – im Gegenteil – so wie Ihre Vorgängerpartei nach wie vor als fünfte Kolonne Moskaus zu bezeichnen sind. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-ge-ordneten der SPD – Widerspruch bei der LINKEN – Zurufe von der LINKEN: Oh, super! – Sehr originell! – Törö!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeord-neten Katharina Dröge, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linken zur Rüs-tungskonversion wirft einige Fragen auf, über die wir hier im Bundestag tatsächlich diskutieren soll-ten. Allerdings – das muss ich vorwegschicken –: Ihre Antwort in diesem Antrag überzeugt mich so nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Richtig ist, dass wir hier im Bundestag darüber diskutieren müssen, dass es auf dem europäi-schen Rüstungsmarkt veränderte Rahmenbedin-gungen gibt. Seit langem ist der Trend festzustel-len, dass sowohl die europäischen Staaten als auch die NATO-Staaten insgesamt ihre Verteidi-gungsetats konsolidieren wollen und angekündigt haben, ihre Militärausgaben zu kürzen. Aus grüner Sicht ist das eine gute und richtige Entwicklung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Frage ist nur: Wie lautet die Antwort der Bundesregierung darauf? In keinster Weise – we-der sicherheitspolitisch noch menschenrechtlich – wäre es verantwortlich, wenn die deutsche Rüs-tungsindustrie, weil der Umfang ihrer Ausfuhren gegebenenfalls stagniert, ihre Ausfuhren in soge-nannte Drittstaaten, insbesondere in autoritäre Regime im Nahen Osten, steigern würde. In keinster Weise wäre es verantwortlich, wenn der Bundessicherheitsrat diese Exportpolitik durch ei-ne gezielte Missinterpretation der Rüstungsex-portrichtlinien auch noch unterstützt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Genau diese Entwicklung ist bei Genehmigungen des Bundessicherheitsrates jedoch immer wieder zu beobachten. Erst diese Woche hat die Bundes-regierung im Wirtschaftsausschuss die neueste Ausfuhrliste des Bundessicherheitsrates vorge-stellt. Auf dieser Liste stehen Radargeräte, Soft-ware und Technologien für Grenz-sicherungssysteme, Zieldarstellungsgeräte und Schieß-simulationssysteme, die nach Saudi-Arabien geliefert werden. Herr Willsch, Sie haben hier gesagt, dass all die Güter, die wir nach Saudi-Arabien liefern, nicht zum Zwecke der Repression gegenüber der eige-nen Bevölkerung eingesetzt werden. Schauen Sie sich die Schießsimula-tionssysteme, die zur Aus-bildung von Scharfschützen eingesetzt werden können, einmal an. Können Sie mir wirklich mit Sicherheit sagen bzw. mir garantieren, dass diese Ausbildung nicht auch für Repressionen im eige-nen Land genutzt werden kann? Die Bundesregie-rung konnte mir diese Frage im Wirtschaftsaus-schuss nicht klar beantworten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zur Bilanz Ihrer noch sehr kurzen Regierungs-zeit gehört auch – das muss man einfach so fest-stellen –, dass die Lieferung einer Panzerfabrik nach Saudi-Arabien genehmigt wurde, ebenso die Lieferung Tausender Kleinwaffen in den Jemen, nach Saudi-Arabien, Indonesien, in den Oman und in die Vereinigten Arabischen Emirate, sowie die Bürgschaft für Patrouillenboote für Saudi-Arabien. All das gehört zur Bilanz Ihrer Regierungszeit. Da helfen auch die Berichte von vor zwei Wochen nicht, dass Sie einen Stopp für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien verhängen wollen. Die Zahlen, die Sie uns immer wieder präsentieren, sprechen eine andere Sprache, und nur die können wir in-terpretieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Aus meiner Sicht missachten Sie mit Ihrer Poli-tik in verantwortungsloser Weise Ihre eigenen Rüstungsexport-richtlinien, zu deren Einhaltung Sie sich im Koalitionsvertrag verpflichtet haben. Ich kann Sie nur daran erinnern: Rüstungsexporte in Drittstaaten müssen eine Ausnahme bleiben. Solche Exporte dürfen keinesfalls genehmigt wer-den, wenn die Sorge besteht, dass diese Güter im Landesinneren für Repressionen gegen die -eigene Bevölkerung oder in einer bedenklichen Menschenrechtslage genutzt werden. Ich muss Sie ganz ernsthaft fragen: Wollen wir wirklich mit-einander über die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien diskutieren? Besteht für irgendwen in die-sem Parlament ein Zweifel an der Menschen-rechtslage in Saudi-Arabien? Aus meiner Sicht passiert hier etwas anderes. Aus meiner Sicht stellen Sie, obwohl es Ihre eige-nen Grundsätze ausschließen, doch Wirtschaft und Arbeitsplatzeffekte vor menschenrechtliche Erwägungen. Dabei hat selbst Ihr Wirtschaftsmi-nister gesagt, diese Argumente dürften im Kern nicht Leitlinie unserer Außen- und Sicherheitspoli-tik sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb kann ich wirklich nur an Sie appellieren: Entwickeln Sie eine vernünftige Gesamtstrategie für die Rüstungspolitik und die europäische Rüs-tungswirtschaft! Analysieren Sie: Welche sind die betroffenen Industrien und die Zulieferunterneh-men, die von einem Absatzrückgang gegebenen-falls betroffen wären? Welche Industrien und wel-che Technologien sind in der Europäischen Union sicherheitspolitisch relevant? Wo ergeben sich auch auf europäischer Ebene Synergieeffekte? Denn wir brauchen mit Sicherheit nicht in jedem EU-Mitgliedstaat eigene Werften, um den be-grenzten Bedarf an Schiffen und Marine innerhalb der EU zu befriedigen. Wenn Sie all das analysieren, dann ergibt sich daraus, dass man auch den Umbau der Rüstungsindustrie in zivile Wirtschaftszweige för-dern kann. Darüber reden wir selbstverständlich – das hat die IG Metall ja auch gefordert – mit den Gewerkschaften und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in diesen Betrieben. Den Vorschlag der Linken, hierfür 2,5 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern in die Hand zu neh-men, halte ich allerdings für völlig verfehlt. Wir können das Geld der Steuerzahler schon für sinn-vollere Investitionen in Deutschland ausgeben. (Zuruf von der LINKEN) Wichtig ist, die Rüstungsindustrie selbst in die Verantwortung zu nehmen, einen entsprechenden Umbau zu gestalten. Dazu braucht es endlich kla-re Signale von der Bundesregierung, dass wir die eigenen Rüstungsexport-richtlinien ernst nehmen. Dann hat nämlich auch die Rüstungsindustrie Pla-nungssicherheit, weil klar ist, dass es keine neuen Absatzmärkte in Drittstaaten geben wird und somit auch ein entsprechender Umbau dieser Betriebs-teile notwendig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Bernd Westphal für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie schön wäre es, wenn man auf der Welt Frieden ohne Waffen schaffen könnte. Die Realität sieht leider oft anders aus. Das igno-rieren Sie von der Linken leider in Ihrem Antrag. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wir glauben an Veränderung!) Die Welt ist eben nicht so, wie wir sie uns wün-schen. Das zeigt die Lage in den Krisenregionen der Welt, aktuell in der Ukraine, das zeigen aber auch die barbarischen Zustände im Nordirak und anderswo in der Welt. Es gibt weltweit einen Be-darf an Waffen, um sich zu schützen. Deshalb werden Waffen produziert und auch exportiert. In Deutschland benötigen wir Waffen für die Bun-deswehr zur Landesverteidigung, aber auch für die Polizei und die Sicherheitswirtschaft (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Landesver-teidigung?) und darüber hinaus zur Wahrnehmung unserer in-ternationalen Verantwortung in den Bündnissen, deren Verpflichtungen wir nachkommen müssen. Deshalb brauchen wir Rüstungsgüter, die die Län-der vor Ort besitzen und die in den Regionen zur Absicherung und Abschreckung angewendet wer-den können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Sie fordern in Ihrem Antrag „Konversion der Rüstungsindustrie in zivile Wirtschaftsbereiche“. Das ist – das sage ich Ihnen – erst einmal aus-schließlich Sache der Unternehmen. Diese müs-sen entscheiden, für welche Produkte sie Produk-tionslinien aufbauen und welche Technologien sie anreizen. (Zuruf von der LINKEN) 2010 hat das Bundeswirtschaftsministerium ein industriepolitisches Konzept beschlossen, wel-ches zur Stärkung der zivilen Sicherheitswirt-schaft in Deutschland beiträgt. Dieses Konzept wird von zahlreichen Unternehmen der Branche auch genutzt. Es sichert nämlich ein zweites Standbein außerhalb der Wehrtechnik. Derzeit erarbeitet das Wirtschaftsministerium gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesverteidigungsministerium ein Strategiepa-pier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidi-gungsindustrie in Deutschland. Ein wichtiger As-pekt dabei ist, Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsbranche den Einstieg in den Bereich der zivilen Sicherheitstechnologien oder deren Weiterentwicklung zu ermöglichen. (Beifall bei der SPD) Das Ministerium hat in diesem Jahr auch ein auf zwei Jahre angelegtes Innovationsförderpro-gramm im Umfang von 7,5 Millionen Euro pro Jahr gestartet. Es soll Unternehmen ebenfalls den Um-stieg auf die Herstellung von zivilen Gütern er-leichtern. Die weltweite Bedeutung der Märkte für zivile Sicherheitstechnologie ist in den letzten Jahrzehn-ten enorm gewachsen. Zahlreiche Unternehmen aus Deutschland, auch aus dem Bereich der Ver-teidigungsindustrie, nehmen weltweit eben wegen ihrer technologischen Entwicklungen einen Spit-zenplatz ein. Diese auf Abwehr und Schutz ausge-richtete Technologie ist weltweit nachgefragt. Sie fordern weiter die Umwidmung militärischer Liegenschaften. Im Koalitionsvertrag wurde eine verbilligte Abgabe von ehemals militärisch genutz-ten Grundstücken vereinbart. Die Abgabe soll „mit Rücksicht auf die vielen am Gemeinwohl orientier-ten Vorhaben der Kommunen, wie der Schaffung bezahlbaren Wohnraums und einer lebendigen Stadt, … realisiert“ werden. Für die nächsten vier Jahre stehen dafür 100 Millionen Euro zur Verfü-gung. Der Bund unterstützt die Länder auch be-reits in erheblichem Umfang im Rahmen der Mit-telansätze bestehender Förderprogramme. Eben-so räumt der Bund den von Konversion betroffe-nen Gebietskörperschaften auch den Erstzugriff auf diese Liegenschaften ein. In meinem Wahlkreis waren einmal fünf Kaser-nen. Diese sind umgewidmet worden. Heute be-finden sich an deren Stelle Gewerbebereiche, in denen sich Handwerk ansiedelt, kulturelle Nach-nutzungen, aber auch in erheblichem Maße Natur-schutzflächen. Das zeigt, dass wir nicht bei null anfangen, sondern schon Erhebliches geschafft haben. In den letzten 25 Jahren ist viel passiert. Vor diesem Hintergrund ist Ihr Antrag etwas ei-gentümlich formuliert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Nun zu den Arbeitsplätzen: Unser Wirtschafts-minister hat im September vergangenen Jahres einen ersten Branchendialog mit den Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft auf-genommen. Auch IG Metall und Betriebsräte sind selbstverständlich eingebunden. Der Dialog hat zum Ziel, Maßnahmen zur Stärkung der Sicher-heits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland gemäß den Festlegungen im Koalitionsvertrag zu diskutieren. Auch das Thema Diversifizierung wurde erörtert. Im März findet ein weiterer Dialog zu diesem Thema statt. Wie man sieht, ist dieser intensive Dialog für Sozialdemokraten selbstver-ständlich und bedarf nicht erst des Impulses oder eines Antrages der Linken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland verfolgt nicht das Ziel eines offensiven Verkaufs von Wehrtechnik. Genau das sind die Grundsätze von 2000, die auch heute noch das Regierungs-handeln bestimmen. Sie sind restriktiv. Rüstungs- und Verteidigungsgüter werden nur zurückhaltend eingesetzt. Sie werden eben nicht eingesetzt, um Konflikte weltweit zu erzeugen oder weiter anzu-heizen, sondern sie dienen dem Frieden und der Durchsetzung von Menschenrechten. Sie dienen der Sicherheit von Regionen. Sie dienen dem be-rechtigten Schutz von Menschen, und vor allen Dingen helfen sie – das ist wichtig –, geschützte Räume für den Einsatz von Hilfskräften zu garan-tieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Linke fordert in ihrem Antrag eine Zwangs-konversion aller Rüstungsbetriebe. Das werden wir ablehnen. Für die SPD geht es schwerpunkt-mäßig um Konversionsprogramme für Betriebe, die sich aufgrund fehlender Nachfrage oder aus anderen Gründen verändern wollen. Die Forderun-gen der Linken zeigen, dass Sie die außen- und sicherheitspolitischen sowie die industrie- und eu-ropapolitischen Realitäten nicht zur Kenntnis neh-men. Die Fokussierung auf die Abschaffung und die teilweise Diffamierung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie durch die Linken ist der falsche Weg. Sie verstellt den Blick auf das En-gagement unseres Landes für Frieden in der Welt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Unterstrichen wird dies vor allen Dingen durch den Fokus unseres außen- und sicherheitspoliti-schen Handelns: Erst wenn alle vorgeschalteten Maßnahmen ausgeschöpft sind, ist der Einsatz militärischer Mittel möglich. Der Außenminister hat ja heute Morgen sehr eindrücklich hier im Haus vorgestellt, welche Friedensinitiativen und präventiven Maßnahmen eingeleitet werden. Das muss man honorieren. Das darf man nicht einsei-tig betrachten. Kurt Schumacher hat einmal ge-sagt: Nichts ist lehrreicher als die Wirklichkeit. – Diese Erkenntnis wünsche ich Ihnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Ingbert Liebing für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Ingbert Liebing (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Fraktion Die Linke ausge-sprochen dankbar für diesen Antrag; (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Gern ge-schehen!) denn er dokumentiert eindrucksvoll, wie weit ent-fernt von der Wirklichkeit Sie Ihre Politik in die-sem Land und in der Welt gestalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Dieser Antrag dokumentiert, dass Sie alles an-dere als regierungsfähig sind. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie haben nur Angst! Das ist alles!) Dies sollte für die Sozialdemokraten und die Grü-nen Anlass sein, alle Gedankenspiele über eine gemeinsame Politik mit Ihnen zu beenden. Die Vorschläge in Ihrem Antrag stellen unsere natio-nalen Sicherheitsinteressen infrage und sind damit verantwortungslos. Dass Sie diesen Antrag stel-len, verwundert nicht, da Sie schon lange die Auf-lösung der NATO in Ihrem Programm haben. (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LIN-KE]) Man mag ja von einer Welt ohne Krieg träumen, aber die Wirklichkeit sieht nun einmal anders aus. Wir wissen: Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Im Moment erleben wir das Ge-genteil. Gerade die jüngste Vergangenheit zeigt doch, dass wir in verschiedenen Regionen der Welt eine zunehmende Radikalisierung mit kriege-rischen Auseinandersetzungen erleben müssen: Der Irak, Syrien und viele Regionen Afrikas sind dafür traurige Beispiele. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was waren denn die Ursachen? – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Und deutsche Waf-fen sind überall dabei!) Aber nicht die Waffen sind dafür die Ursache, sondern die Tatsache, dass Menschen glauben, anderen Menschen und anderen Völkern ihre Ideo-logie oder ihre Religion aufzwingen zu können. Das ist die Ursache, die wir angehen müssen, um ein friedliches Miteinander, Toleranz, die Achtung weltweiter Menschenrechte, Religionsfreiheit und den Schutz von Minderheiten durchzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Darüber haben wir ja auch heute Morgen hier im Plenum diskutiert. Die Bundesregierung und wir als Unionsfraktion stellen uns dieser Aufgabe. Dabei brauchen wir keine Nachhilfe von den Linken. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Jawohl! – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Oh doch!) Aber solange es diese Auseinandersetzungen in vielen Regionen dieser Welt gibt, muss das oberste Gebot sein, die Sicherheit und das Leben der Menschen zu schützen, die bedroht sind. Dazu bedarf es auch der eigenen Wehrhaftigkeit. Dafür haben wir hier in Deutschland die Bun-deswehr mit ihren Fähigkeiten. Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir weltweit Krisen ein-dämmen und für Sicherheit sorgen. Die Initiative der Linken zur Abschaffung der wehrtechnischen Industrie in Deutschland gefährdet genau diese nationalen Interessen. Es liegt in unserem nationalen Interesse, dass wir entscheiden, welche Ausrüstungsgegenstände die Bundeswehr braucht. Wir können es nicht al-lein einem Markt überlassen, auf dem wir die Aus-rüstungsgegenstände der Bundeswehr beschaf-fen. Dies würde uns von anderen abhängig ma-chen. Sicherheitstechnische Ausrüstung lässt sich nun einmal nicht von der Stange kaufen oder im Onlineshop erwerben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Nein, wir selbst müssen im eigenen Land in der Lage sein, die Ausrüstungsgegenstände und Technologien zu beschaffen, die unsere Armee braucht. Dabei ist es sinnvoll, dies in guter Koope-ration gemeinsam mit unseren Partnern in der EU und in der NATO zu tun, aber eben nicht in Ab-hängigkeit von anderen. Die Beschränkung der wehrtechnischen Indust-rie allein auf die Ausrüstung der Bundeswehr greift dabei aber zu kurz. Allein von Aufträgen der Bundeswehr kann kein wehrtechnisches Unter-nehmen leben. So ist die deutsche wehrtechni-sche Industrie bereits heute zu circa 50 bis 70 Prozent vom Export abhängig. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Dabei unterliegt der Export von Rüstungsgütern sehr hohen Hürden. Die Richtlinien, die schon an-gesprochen worden sind, stammen aus dem Jahr 2000. Sie gelten nach wie vor. Sie wurden von ei-ner rot-grünen Regierung beschlossen. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, leider!) Auf dieser Basis erfolgen heutige Entscheidungen über Rüstungsexporte. Ich denke, dass diese Richtlinien, von Rot-Grün eingeführt, nicht unter dem Verdacht stehen, nur einseitig wirtschaftliche Interessen zu bedienen. Das Gegenteil ist der Fall. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die wehrtechnische Industrie stellt sicherlich einen wichtigen wirtschaftlichen Faktor dar. Die Arbeitsplätze in den Unternehmen sind wichtig und zum Beispiel gerade in den Küstenländern mit den Werften nicht zu verachten. Der Marineschiffbau ist für viele Werften eine wichtige wirtschaftliche Grundlage. Aber die Sicherung der Arbeitsplätze ist eben nicht das entscheidende Argument für die wehrtechnische Industrie. Entscheidend dafür, nationale wehrtechnische Schlüsseltechnologien und erforderliche industriel-le Kapazitäten zu erhalten, sind sicherheitspoliti-sche Ziele. Sie ergeben sich aus einer Reihe von Gründen. Deutschland braucht die Möglichkeit, die Ausstattung der Streitkräfte im eigenen Land und im Bündnis gemeinsam mit den strategischen Partnern selbst sicherzustellen. Es geht auch darum, dass wir unsere eigene rüstungstechnische Reaktionsfähigkeit auf si-cherheitspolitische Veränderungen erhalten. Nur mit einer eigenen nationalen Rüstungsindustrie können wir im Rahmen der europäischen und der transatlantischen Rüstungsbeziehungen eigene Interessen einbringen. Nur wer etwas einzubrin-gen hat, der kann in Verhandlungen seine Position erfolgreich vertreten. (Beifall bei der CDU/CSU) Ohne all diese Fähigkeiten würden wir in Abhän-gigkeiten geraten, die nicht in unserem nationalen Interesse liegen können. Die Wehrtechnik in Deutschland ist leistungsfä-hig. Diese 200 Unternehmen stehen für hohe technologische und ökonomische Kompetenz. Die Zahl von 200 Unternehmen belegt auch die mittel-ständische Struktur der wehrtechnischen Indust-rie. Es gibt keineswegs eine Konzentration auf wenige Großkonzerne. Dies alles können und dür-fen wir nicht aufs Spiel setzen und gefährden, wie es die Fraktion Die Linke in ihrem Antrag fordert. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Liebing, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Keul? Ingbert Liebing (CDU/CSU): Ja, bitte. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei all dem Stolz, Herr Kollege, auf die Leistun-gen der deutschen Rüstungsindustrie frage ich mich: An was denken Sie da konkret? A400M oder NH90, Euro Hawk oder G36? (Beifall bei der LINKEN) Aber ich hatte mich gemeldet, weil Sie eben in der Frage der Entwicklung von Rüstungsgütern völlig zu Recht sicherheitspolitische Erwägungen vorrangig betont haben. Deswegen frage ich Sie, warum Sie dann dagegen sind, dass wir dieses Thema im Verteidigungsausschuss unter sicher-heitspolitischen Gesichtspunkten debattieren, und auf Überweisung in den Wirtschaftsausschuss bestehen, obwohl wir doch sinnvollerweise sagen müssten: Im Verteidigungsausschuss ist dieses Thema richtig. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Ingbert Liebing (CDU/CSU): Es ist gar keine Frage, dass es hier zu Über-schneidungen der verschiedenen Themenbereiche kommt. Aber der Antrag der Linken ist so formu-liert, dass er auf ein wirtschaftliches Programm hinausläuft. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Nein!) Bei diesem Antrag zu Rüstungskonversion und Wirtschaftsprogrammen ist es logisch, ihn feder-führend in den Wirtschaftsausschuss zu überwei-sen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD – Katrin Kunert [DIE LINKE]: Nein! Dann haben Sie ihn nicht gelesen!) Der Antrag der Linken fordert auch ein Konversionsprogramm. Mit der Umstrukturierung der Bundeswehr werden zunehmend Liegenschaf-ten frei. Es ist seit vielen Jahren ein gängiges Geschäft, für angemessene Nachfolgelösungen zu sorgen. Dabei geht es nicht nur um Geld. Schließlich gibt es einzelne ehemalige militärische Liegenschaften in attraktiven Innenstadtlagen, bei denen es überhaupt keine Probleme bei der Nach-folgenutzung gibt. Andererseits gibt es aber auch sogenannte Einöd-standorte, bei denen die Ver-wertung schon schwieriger wird. Hier müssen alle Beteiligten zusammenwirken. Die Standortge-meinden brauchen Unterstützung. Wir leisten sie mit unserer Konversionspolitik. Wie es aber nicht laufen sollte, erlebe ich an ei-nem Beispiel in meinem eigenen Wahlkreis. In Leck hat die Bundeswehr einen Militärflugplatz aufgegeben. Die Gemeinde hat ein attraktives wirtschaftliches und gewerbliches Nachfolgenut-zungskonzept entwickelt. Es gibt Interessenten, die sich dort ansiedeln wollen. Was aber macht die Landesregierung in Kiel? Der Umweltminister stellt diesen Flugplatz erst einmal vorläufig unter Naturschutz sicher. Das ist natürlich eine tolle Konversion hin zu ziviler Nachfolgenutzung und wirtschaftlicher Entwicklung. Die Leute dort spre-chen von „Wolferwartungsland“, was dort ge-schaffen wird. Ich stelle mir Konversion anders vor. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Antrag der Linken ist kein ernsthafter Bei-trag zur Lösung der Probleme unserer Zeit, weder sicherheitspolitisch noch wirtschaftspolitisch. Er dokumentiert, dass wir hier eben grundsätzlich un-terschiedlicher Auffassung sind. Es ist gut, dass die Koalition aus Union und SPD sich in ihrem Koalitionsvertrag zu einer inno-vativen leistungs- und wettbewerbsfähigen natio-nalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie be-kennt. Deswegen wollen wir ausgewählte Schlüs-seltechnologien erhalten und industrielle Fähigkei-ten in unserem Land in diesem Sektor bewahren. Dies alles wird jetzt regierungsintern ressortüber-greifend in eine umfassende Strategie gegossen, mit der wir unserer Verantwortung in diesem sen-siblen Bereich gerecht werden. Der Antrag der Linken ist dazu kein reeller Beitrag, und deswegen werden wir ihn auch ablehnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Kunert, ich frage mich schon: Können Sie die Energie, die Sie in Anträge wie diesen stecken, nicht sinnvoller einsetzen? (Beifall bei der SPD – Stefan Liebich [DIE LINKE]: War doch sinnvoll! – Katrin Kunert [DIE LINKE]: Wenn Ihnen die Energie fehlt, ist das nicht unser Prob-lem!) Ich weiß, dass die Opposition Fragen stellen, Gegenentwürfe präsentieren und Alternativen ent-wickeln muss. Sie muss auch dann die Debatte vorantreiben, wenn die Regierungskoalition, wie es gerade der Fall ist, hervorragende Arbeit leis-tet; Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat dies heute Morgen eindrucksvoll gezeigt. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Wie viel Zeit haben Sie denn in Ihre Rede gesteckt?) Dass dies durchaus geht, zeigen manche Bei-träge der Grünen; wobei der sehr flott vorgetrage-ne Beitrag der Kollegin Dröge mich dann doch manchmal ein bisschen ins Zaudern gebracht hat. Was heute aus der linken Ecke des Hohen Hauses dröhnt, bringt beim besten Willen nieman-den weiter, weder in der Sicherheits- noch in der Verteidigungs- und Rüstungspolitik und schon gar nicht in der Friedenspolitik. Der Antrag, den Sie zu einer sogenannten Friedenswirtschaft vorlegen, ist nichts anderes als – so möchte ich es bezeich-nen – ein selbstgefälliges, populistisches Potpour-ri Ihrer schlechten Laune in Bezug auf die Sicher-heits- und Verteidigungspolitik dieses Landes. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Bei Ihnen kann man nur schlechte Laune kriegen; das muss ich mal sagen! Ein bisschen Mühe hätten Sie sich inhaltlich geben können!) Ihr Antrag spricht den wirklich für Frieden und Sicherheit engagierten Menschen dieses Landes einfach nur Hohn. Er schafft Unsicherheit und ig-noriert die Leistungen und Bemühungen der Bun-desregierung. Das könnte man ja noch gelassen hinnehmen. Jedoch ignoriert er nicht nur die Fak-ten, sondern auch die Bedürfnisse der Menschen dieses Landes. Machen wir doch einmal einen kleinen Fakten-check: Erstens. Sie fordern ein nationales Programm zur Umwandlung der Rüstungsindustrie in zivile Bereiche. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Richtig!) Das haben wir doch bereits. Konkret setzt sich das Wirtschaftsministerium dafür ein, dass Unter-nehmen des Verteidigungssektors ein zweites zi-viles Standbein aufbauen, und zwar nicht nur mit Worten, sondern mit Geld. Unter anderem gibt es seit diesem Jahr ein zusätzliches Innovationsför-derprogramm mit einem jährlichen Volumen von 7,5 Millionen Euro, das den Umstieg erleichtern soll. Nicht vergessen dürfen wir die gemeinsame Strategie des Auswärtigen Amts und des Verteidi-gungs- und Wirtschaftsministeriums, die gerade in Arbeit ist, um die Sicherheits- und Verteidi-gungsindustrie in Deutschland zu stäken. Zweitens. Sie fordern, ungenutzte Liegenschaf-ten der Bundeswehr günstig zu verkaufen. Das tun wir bereits. Seit 2002 haben die Städte, Märk-te, Gemeinden und Kreise ein Erstzugriffsrecht. Weil es manchmal hakte, wird man außerdem ab 2015 noch einen Schritt weitergehen. Die Veräu-ßerungsrichtlinien der BImA werden so geändert – so sieht es der Haushaltsausschuss vor –, dass der verbilligte Verkauf an die Kommunen ermög-licht wird. Ich bin gespannt, ob die Linke dem dann zustimmen wird oder bei ihrer Phobie ge-genüber allem, was von der Bundeswehr kommt, wieder die bekannten Reflexe zeigen wird. Drittens. Sie fordern einen Branchenrat „Wehr- und Sicherheitstechnik“. Der Kollege Westphal hat dazu bereits ausgeführt, dass wir den bereits ha-ben. Ich habe leider nur fünf Minuten Redezeit, deshalb lasse ich es bleiben, dies Punkt für Punkt vorzutragen. Meine Kolleginnen und Kollegen, ich bin es ir-gendwie leid, die Linken aufzuklären. Es erzürnt mich, dass sie mit der Angst ihr Spiel treiben. Das Schüren einer diffusen Angst folgt dem Gedanken, dass alles, was die Bundeswehr macht, was von ihr kommt und was sie braucht, böse sei. Wir brauchen aber eine ernsthafte Auseinan-dersetzung mit den konkreten Sicherheitsfragen unserer Zeit. Wir brauchen eine echte Debatte über Rüstungsexporte und Rüstungswirtschaft in Deutschland; dabei können wir nicht ignorieren, dass wir gemeinsam mit UNO und NATO in Ver-antwortung stehen. Wir können nun einmal sehr gute Gefechtsfahrzeuge herstellen, und unsere Raketenabwehr und unsere U-Boote leisten einen Beitrag, dieser Verantwortung nachzukommen. Das heißt nicht, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten überall hinschicken. Für manche mag es überraschend sein: Aber gerade ein funk-tionierendes Militär kann Puffer sein, kann ab-schrecken, kann Konflikte verhindern und Frieden bewahren. Diese Wahrheit zu sagen, ist unsere Verantwortung. Dies zu vertreten, erwarten, glau-be ich, die Menschen dieses Landes von uns. Kolleginnen und Kollegen, merken Sie sich: Schlimmer als Lügen sind Halbwahrheiten, ist dif-fuse Angstmacherei. Dieser Antrag liest sich fast wie ein lustiger Trolleintrag voller Halbwahrheiten auf Facebook. Es fehlen nur noch die Bildchen von traurigen Kätzchen und den Links zu YouTu-be-Videos von Russia Today unter der Überschrift „Muss man wissen“. Meine Kolleginnen und Kollegen, zu einer ech-ten Debatte um Rüstungstechnologie und Rüs-tungsexporte sagen wir: Ja, gerne. – Zu diesem Antrag sagen wir Nein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla-ge auf Drucksache 18/2883 an die in der Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktio-nen der CDU/CSU und der SPD wünschen Feder-führung beim Ausschuss für Wirtschaft und Ener-gie, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Verteidigungsausschuss. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvor-schlag der Fraktion Die Linke – Federführung beim Verteidigungsausschuss – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD – Fe-derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-gen die Stimmen der Oppositionsfraktionen ange-nommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Da-niela Ludwig, Barbara Lanzinger, Klaus Brähmig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne-ten Gabriele Hiller-Ohm, Hiltrud Lotze, Burkhard Blienert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Kulturtourismus in den Regionen weiter-entwickeln Drucksache 18/3914 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlos-sen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass wir heute über einen der wichtigsten Wirtschaftszweige in Deutschland sprechen, den Tourismus. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Nun gibt es viele Arten von Tourismus. Der von uns vorgelegte Antrag befasst sich mit dem Kul-turtourismus. Den wollen wir in Deutschland stär-ken. Sie denken jetzt vielleicht: Warum das denn? Der Kulturtourismus ist doch ein Selbstläufer. Deutschland ist inzwischen das Kulturreiseziel Nummer eins in Europa – vor Frankreich und Ita-lien. – Ja, Sie haben recht: Wir haben in Deutsch-land einen wahren Schatz an Kultur: Museen, Theater, Opernhäuser, Festivals, Industriekultur und vieles mehr. Darüber hinaus haben wir ein unglaublich reiches Weltkulturerbe, wie meine Heimatstadt Lübeck, deren Altstadt zum UNE-SCO-Welterbe gehört. Sie ist als Kulturhauptstadt des Nordens ein wahrer Besuchermagnet. Auch viele andere Großstädte haben in den letzten Jahren überdurchschnittlich vom Touris-mus profitiert. Hier funktioniert das Zusammen-spiel von Kultur und Tourismus also hervorra-gend. Wie aber sieht es in den ländlichen Regionen aus? Auch sie haben ja einiges zu bieten, doch leider gelingt hier der Austausch nicht immer so gut. Das wollen wir jetzt ändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Wir werden die Kultur und den Tourismus mit ei-ner „Initiative Kulturtourismus in den Regionen“ zum gegenseitigen Nutzen stärker zusammen-bringen. Das regionale Kulturangebot bietet oft wertvolle Alleinstellungsmerkmale für die Vermarktung. Zu-gleich verschafft der Kulturtourismus den Kultur-einrichtungen neue Zielgruppen, mehr Besuche-rinnen und Besucher und eine breitere Wahrneh-mung. Das funktioniert aber nur, wenn die Akteu-rinnen und Akteure in der Kultur und im Tourismus die gleiche Sprache sprechen. Das ist oft nicht der Fall; denn die Kultur und der Tourismus haben unterschiedliche Herangehensweisen: Museen und Kulturstätten wollen in erster Linie ein umfas-sendes thematisches Angebot machen und die Kulturschätze mitunter vor zu starkem Andrang schützen. Für Hotels, Restaurants und Touris-musmarketing ist dagegen die Gästenachfrage das A und O, nach dem Motto: Je mehr, desto besser. Leider funktioniert auch die Zusammenarbeit von Stadt und Land oft nicht so gut. Wenn es ge-lingt, mehr Verständnis füreinander und einen fruchtbaren Austausch der unterschiedlichen Inte-ressen zu erreichen, kann nur Gutes daraus er-wachsen – für die Urlauber genauso wie für die Regionen und für die Menschen, die dort leben und arbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Wir wollen mit unserer Initiative darüber hinaus dazu beitragen, dass nicht jede Gemeinde nur für sich um ihren eigenen kleinen Kirchturm herum touristisch wirkt. Wir schaffen Anreize und Mög-lichkeiten, sich überregional und über Landes-grenzen hinweg zu vernetzen. Um diese Herausforderung zu bewältigen, brauchen wir die Bundesregierung und unsere Tourismusbeauftragte. Ihre Aufgabe ist es nun, eine koordinierte „Initiative Kulturtourismus in den Regionen“ ins Leben zu rufen. Wichtigste Ziele hierbei sind: Erstens. Die Entwicklung guter Vermarktungs-konzepte für den Kulturtourismus soll gefördert werden. Zweitens. Wir wollen eine Plattform für strate-gisches kulturtouristisches Marketing entwickeln. Drittens. Mit einem Bundeswettbewerb sollen vor allem im ländlichen Raum kulturtouristische Projekte initiiert werden. Viertens. Wir wollen insbesondere überregiona-le kulturtouristische Projekte in jedem Bundesland modellhaft fördern, wenn sie besonders innovativ sind und einen barrierefreien Ansatz verfolgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Initi-ative bringen wir den Kulturtourismus bundesweit noch ein Stück weiter voran und verschaffen wir vielen Regionen neue Perspektiven. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dass das Thema auch in der Branche verstärkt im Trend liegt, macht unter anderem eine neue eige-ne Halle für Kulturtourismus auf der ITB im März deutlich. Wichtig ist uns auch, die herausragende Be-deutung des Tourismus noch stärker im Bewusst-sein von Politik und Gesellschaft zu verankern. Immerhin ist der Tourismus mit einer Wertschöp-fung von rund 100 Milliarden Euro einer der wich-tigsten Wirtschafts- und Wachstumsmotoren, die wir in Deutschland haben, und er brummt, wie die aktuelle Jahresbilanz 2014 belegt. Der Deutschlandtourismus hat mit 423 Millionen Übernachtungen zum fünften Mal in Folge ein Rekordergebnis eingefahren. Das sind satte 3 Prozent mehr. Dieses tolle Ergebnis ist natürlich nicht vom Himmel gefallen. Nein, es ist vor allem das Ver-dienst der fast 3 Millionen engagierten und fleißi-gen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Tourismusbranche. Ich freue mich deshalb sehr, dass wir uns jetzt endlich einmal ganz konkret bei ihnen bedanken können. Wir tun das mit dem ge-setzlichen Mindestlohn, der seit Januar gilt und vor allem den Beschäftigten in der Tourismus-branche Verbesserungen bringen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Ich bin mir sicher: Mit einer guten Lohnkultur klappt es noch besser mit Tourismus und Kultur vor allem in den Regionen. Danke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Kers-tin Kassner das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Kerstin Kassner (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Im Kulturtourismus steckt in der Tat viel Musik; er hat viel Potenzial. Deshalb war es mir in meiner Zeit als Landrätin auf Rügen sehr wichtig, alle Möglichkeiten zu nutzen, um die Wertschöpfung im Rahmen des Tourismus zu er-höhen. Wir auf der Insel Rügen sind sehr abhän-gig von Sonne, Strand und Sommer. Deshalb ist es wichtig, die Möglichkeit, die naturräumlichen und die kulturräumlichen Besonderheiten der Re-gion in Wert zu setzen und damit die Umsatzrendi-te zu erhöhen, zu nutzen. Unter anderem hat die Errichtung des Königsstuhl-Zentrums, eines in-formativen Erlebnisbereichs im Nationalpark Jas-mund, dazu beigetragen, dass ganzjährig viel mehr Gäste dorthin kommen und sich mit Bil-dungsangeboten für alle Generationen auseinan-dersetzen. Das ist ein wunderbarer Erfolg. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt aber auch Privatinitiativen wie die Stör-tebeker-Festspiele, die ebenfalls sehr viele Gäste auf die Insel locken und eine Bereicherung des Kulturkalenders darstellen. Die Vernetzung aller Angebote, die es auf der Insel gibt, eröffnet die Möglichkeit, den Gästen Alternativen anzubieten und vieles andere, was die Insel ebenfalls aus-macht, erlebbar zu machen. (Beifall bei der LINKEN) Vor den Toren der Insel liegt die schöne, ehr-würdige Stadt Stralsund. Dort hat die Anerken-nung als UNESCO-Welterbestadt einen riesigen Boom ausgelöst. (Frank Junge [SPD]: Und Wismar!) – Ja, Herr Kollege, auch Wismar hat eine solche Anerkennung erhalten. – Die Tourismusbranche hat dadurch eine Belebung erfahren. Nicht zuletzt sind Museen etwas Wunderbares. Das Meeres-kundemuseum in Stralsund ist eines der interes-santesten Museen. Die Erweiterung durch das Ozeaneum hat dazu geführt, dass viele Menschen dieses Museum besuchen. Das ist gut für unsere Region. (Beifall bei der LINKEN) Nun haben die Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition einen Antrag vorgelegt. Hut ab! Darin stecken viel Fleiß und Arbeit. Aber das ist nicht genug. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Ach, Frau Kassner! Es ging so gut los!) Ich wünsche mir, dass Sie nicht so zaghaft sind. Das haben Sie angesichts der vielen Stimmen, die Sie bekommen haben, gar nicht nötig. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie müssen nicht nur begrüßen, feststellen und vielleicht ganz vorsichtig die Regierung bitten, zu prüfen, ob sich etwas verändern lässt. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Machen wir doch gar nicht! – Gegenruf des Abg. Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie? Ihr macht das gar nicht?) Nein, Sie sollten ganz konkrete Forderungen stel-len. Ich will einmal die Forderungen auflisten, die ich stellen würde, wenn ich an Ihrer Stelle in der Regierungsverantwortung wäre. (Beifall bei der LINKEN) Ich würde zuallererst an die Menschen denken, die in den Bereichen Kunst und Kultur arbeiten. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben gesagt, dass der Mindestlohn das regeln wird. Nein, das wird er nicht; denn viele sind selbstständig und ringen darum, ihren Lebensun-terhalt zu verdienen. Diese Menschen bedürfen unserer Hilfe, damit es gerechter zugeht. (Beifall bei der LINKEN) Der zweite ganz besonders wichtige Punkt, den ich an Ihrem Antrag bemängele, ist, dass Sie die Bundesregierung lediglich auffordern, zu prüfen, ob sie mit den Ländern gemeinsam etwas errei-chen kann. Das reicht nicht. Es ist natürlich so: Kultur fällt in den Aufgabenbereich der Länder; das ist auch richtig. Ich denke, das muss auch weiter so bleiben. Trotzdem bedarf es des ganz festen Willens, dass zwischen Bund und Ländern etwas verändert wird. Alle müssen auf der jeweili-gen Stufe ihre Verantwortung wahrnehmen. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte natürlich auch die Onlineplattform, die vieles vernetzt. Aber, liebe Leute, dazu müs-sen wir erst einmal erreichen, dass alle diese Möglichkeit nutzen können. Gerade im ländlichen Raum haben wir da absolute Defizite. (Beifall bei der LINKEN) Ein ganz besonderes Anliegen ist mir immer das Reisen für jedermann. Ich will an Ilja Seifert erinnern, der lange Jahre meinen Platz im Tou-rismusausschuss eingenommen hat. Er hat ge-sagt: Die eigentliche Bedeutung des Tourismus besteht darin, Menschen mit und ohne Behinde-rung zu ermöglichen, sich zu erholen, zu entspan-nen, sich die Welt anzuschauen, ihre Gesundheit zu stärken, andere Kulturen kennenzulernen und vielfältige Freizeiterlebnisse zu genießen. – Wir wollen, dass das allen Menschen möglich ist, un-abhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern. (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich noch ein letztes Thema an-sprechen. Die Erhaltung der Infrastruktur funktio-niert nur, wenn die Kommunen für diese Erhaltung genügend Mittel zur Verfügung haben. Ich habe gerade gelesen, dass irgendwo überlegt wird, Kunstwerke der Stadt zu verkaufen. Das kann doch nicht die Lösung sein. Die Kommunen brau-chen ausreichende Mittel, um die Infrastruktur zu erhalten. Ich wiederhole meine These: Es wäre gut, wenn mehr aktive Kommunalpolitiker in die-sem Parlament wären. Dann würden wir nicht nur darüber reden, sondern auch die Voraussetzungen dafür schaffen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Kassner, bei allem Engagement haben Sie offensichtlich das Zeichen übersehen, dass Ih-re Redezeit zu Ende ist. Kerstin Kassner (DIE LINKE): Oh. – Wir würden alles dafür tun, dass die Kommunen besser ausgestattet werden – alle. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Barbara Lanzinger für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Fast genau vor einem Jahr haben wir an dieser Stelle die erste tourismuspolitische Debatte geführt, und wir konnten schon damals feststellen: Der Tourismus boomt in Deutschland. Heute, ein Jahr später, sehen die Zahlen sogar noch besser aus. Sie, Kollegin Hiller-Ohm, haben es schon erwähnt. 2014 war das fünfte Rekordjahr in Folge für den Tourismus in Deutschland: 423 Millionen Übernachtungen in deutschen Be-herbergungsbetrieben, ein Zuwachs um 11 Millionen oder 3 Prozent gegenüber dem Vor-jahr. Das ist eine tolle Leistung auch der Betriebe, die dazu beigetragen haben. Das heißt, der Tou-rismus ist ein wirkliches Zugpferd für die Wirt-schaft in Deutschland. Wie ich bereits in meiner Rede vor einem Jahr festgestellt habe, brummt es vor allem in den Städten. Ich sage ganz bewusst: Es brummt in den großen Städten. Wir wissen aus vielen Aus-sagen, dass es manchen oftmals schon fast zu viel wird, dass die Städte klagen, dass sie zu viele Besucherinnen und Besucher haben und die Men-schen die großen Städte regelrecht überrennen, wohingegen sich der ländliche Raum zwar sehr gut behauptet, aber es dennoch schwer hat, das Besucherpotenzial auszuschöpfen. Eine Idee hatten wir damals schon angerissen. Wir haben sie im Laufe des Jahres weiterentwi-ckelt. Es ist die Idee, wie wir den Ansatz, der im Koalitionsvertrag verankert ist, nämlich eine Initia-tive für den Kulturtourismus zu entwickeln, mit Le-ben erfüllen können. Es muss uns gelingen, die Unverwechselbarkeit, die Besonderheiten der ländlichen Räume – wir haben sie Regionen ge-nannt, aber der ländliche Raum gehört dazu – zu stärken und den Begriff des klassischen Kultur-tourismus zu erweitern. Deshalb hat unser Antrag den Titel „Kulturtou-rismus in den Regionen – ich füge hinzu: in den ländlichen Regionen – weiterentwickeln“. Bauge-schichtliches Erbe, kulturelle Veranstaltungen, Sehenswürdigkeiten, Kleinode sollen mit regiona-len gastronomischen und handwerklichen Traditi-onen und den einzigartigen Landschaften eine Art Symbiose eingehen. Dieser Gedanke steht hinter unserem Antrag. Es geht also um, so haben wir es auch formuliert, Kulturgenuss „mit allen Sin-nen“, mit den Augen, mit dem Gaumen, mit allem, was dazugehört. Der französische Schriftsteller Marcel Proust sagte einmal: Die besten Entdeckungsreisen macht man nicht in fremden Ländern, sondern indem man die Welt mit neuen Augen betrachtet. Genau das wollen wir tun; das ist der Kern unse-res Antrags: mit neuen Augen betrachten und schauen, dass wir Potenziale heben, die oft noch nicht ausgeschöpft sind. Insofern, liebe Frau Staatssekretärin Gleicke, freuen wir uns natürlich, dass Sie und Ihr Ministerium unsere Idee aufge-griffen haben. Ich darf hinzufügen: Nicht immer sind die Wege zwischen Ministerium und Parla-ment so kurz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Ihr Vorstoß ist jedoch nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wichtig ist jetzt, hier nicht stehen zu bleiben, sondern eine Breitenwirkung anzustoßen. Um eine echte Schubkraft für unsere so wertvollen ländlichen Räume zu entwickeln, brauchen wir nämlich mehr als bloß eine Be-standsaufnahme und Best-Practice-Beispiele. Frau Kassner, unser Antrag enthält alle Ge-sichtspunkte, die Sie angerissen haben. Sie haben zum Beispiel die Kommunen angesprochen. Das, was die Koalition für die Kommunen in den letzten Monaten getan hat, ist schon enorm. Das sollten Sie auch so sehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD – Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Schauen wir einmal genau, was ankommt!) – Es kommt immer darauf an, wie die Kommunen das umsetzen. Wir fordern einen Bundeswettbewerb, in dem sich die Akteure vor Ort zusammenschließen und gemeinsam bewerben können. Denn schon aus den Vorarbeiten zu diesem Wettbewerb – Frau Staatssekretärin, ich würde das Ganze gern wei-terentwickeln – können neue Ideen erwachsen, die den teilnehmenden Regionen neue Perspektiven eröffnen. Wenn man sich für diesen Wettbewerb bewirbt, können schon im Vorfeld über Landes-grenzen hinweg gemeinsam Vermarktungsideen entwickelt werden, um dann über noch festzule-gende Zeiträume die Vermarktung aufzubauen und letztendlich auszuwerten. Das bietet die Chance, Alleinstellungsmerkmale herauszubilden und neue, vor allem auch grenzübergreifende Kulturregionen zu entwickeln. Wichtig ist, dass wir genau dort ansetzen, wo eben noch keine gelungene Vernetzung und Ver-marktung stattfinden. Ich denke da zum Beispiel an die Oberpfalz – wie fast jeder habe auch ich ei-nen Werbeblock –, die ich besser kenne als viele andere Regionen. Die Oberpfalz grenzt an Fran-ken mit seinen barocken Klöstern, mit seinen Bergfesten, mit Zoiglwirtschaften. Hinzu kommt die Nähe zu Tschechien mit den Kurbädern Karls-bad und Marienbad und auch zu größeren Städten. Die einzelnen Orte an sich sind wunderbar, funkti-onieren aber isoliert nicht unbedingt als Publi-kumsmagnet. Wenn es gelänge, dort eine bessere Vernetzung herzustellen, könnten wir ganze Ge-genden besser erschließen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Ich möchte es aber nicht bei den Gegenden be-lassen, die ich gerade genannt habe. Beispiele für Gegenden, die wir stärken können, wenn wir Kirchturmdenken überwinden, lassen sich überall in Deutschland finden, zum Beispiel im südöstli-chen Niedersachsen und im westlichen Sachsen-Anhalt oder am nördlichen Niederrhein, wo es zwar schon viel Gutes gibt, wo man aber noch viel Neues erschließen könnte. Das alles hat auch viel mit dem Bild zu tun, das die Menschen von einer Gegend haben. Ich möch-te, dass wir mit unserer Initiative dazu beitragen, Bilder entstehen zu lassen, die sich aus der Zu-sammenschau der verschiedenen kulturellen, gastronomischen und landschaftlichen Aspekte formen, gerade da, wo ein solcher Zusammen-hang noch nicht gesehen wird oder noch nicht deutlich erkennbar ist. Wir müssen noch viel tun – da gebe ich Ihnen recht –, gemeinsam mit den Ländern, in denen es schon viele gute Ansätze gibt. Ich verweise auf die Dachmarke Kulturland Brandenburg. (Beifall des Abg. Stefan Zierke [SPD]) Hier müssen wir auch durch einen regel-mäßigen Austausch für mehr Vernetzung sorgen. – Ich versuche halt einmal, alles ein bisschen ein-zubinden. (Heiterkeit) Was wir auf Bundesebene tun können, ist, Anreize für eine bessere Kooperation und Vernetzung auf lokaler und regionaler Ebene zu setzen, gerade auch bei den Förderstrukturen. Wir brauchen Mo-dellregionen in jedem Bundesland, um auf unter-schiedliche regionale Besonderheiten eingehen zu können. Darum bitte ich Sie, das mit zu berück-sichtigen. Natürlich brauchen wir die Zusammen-arbeit mit den Bundesländern, um mit ihnen zu prüfen, wie wir die Zusammenarbeit der Kultur- und Tourismusakteure vor Ort – da sind wir uns alle einig – und der Landesmarketingorganisatio-nen stärken können. Das Ganze müssen wir zu-sätzlich mit der schon genannten Plattform flan-kieren. Nur in diesem Zusammenspiel steigern wir die Attraktivität für den einheimischen ländlichen Tou-rismus, aber vor allem auch für den stetig wach-senden Zustrom aus dem Ausland. Tourismus ist eine Botschaft, eine Botschaft für den Reichtum unserer Kultur, unserer Kulturlandschaften und unserer Lebensart, eine Botschaft für unser Land und unsere Menschen. Ich schließe wieder mit Marcel Proust – um auf ihn zurückzukommen –: Machen wir uns also ge-meinsam auf eine Entdeckungsreise! Machen wir die Augen auf: Wo können wir Schätze in unseren ländlichen Regionen heben und neue Kulturregio-nen für den Tourismus erschließen und stärken, und zwar ohne Scheu davor, Modelle zu fördern, die grenzüberschreitend denken und handeln wol-len? Nur so können wir das Potenzial, das unser Land und unsere Menschen zu bieten haben, um-fassend und breitenwirksam erschließen. Danke schön fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Markus Tressel das Wort. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Auch von unserer Seite vielen Dank dafür, dass wir heute über dieses wichtige Thema noch einmal debattieren dürfen. Wir hatten es in den vergangenen Jahren schon des Öfteren hier de-battiert. In der letzten Legislaturperiode haben wir in einem interfraktionellen Antrag gemeinsam be-reits viel von dem gefordert, was Sie jetzt wieder beantragt haben. Es ist auch einiges passiert; das ist erfreulich. Die damals geforderte Förderung der DZT-Themenjahre „Luther 2017“ oder „100 Jahre Bauhaus“ – in der letzten Sitzungswoche Thema im Plenum – wird bereits umgesetzt. Es bleibt aber eines immer gleich: Der Knackpunkt ist die Finanzierung. Wie können wir die Vernetzung von Kultur und Tourismus gezielt fördern? Wie tragen wir dadurch die Erfolgsgeschichte Kultur-tourismus in die Fläche? Da bleibt Ihr Antrag zu-mindest schwammig. Absichtserklärungen allein – darauf hat die Kollegin Kassner hingewiesen – helfen nicht weiter; das wissen Sie so gut wie ich. Immerhin nennen Sie im Gegensatz zu Ihren vorhergehenden Anträgen Finanzierungsinstru-mente. Sie verweisen zum einen auf die Förder-möglichkeit über die Gemeinschaftsaufgabe „Ver-besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Ja, die GRW hat einen Maßnahmenbereich „Infra-struktur im Tourismus“; aber die Verwaltung der Mittel liegt bei den Ländern. Das ist das erste Problem. Mir ist zudem nicht bekannt, dass die GRW einen explizit kulturtouristischen Schwer-punkt definiert hätte. Vor allem: Clusterbildung und Vernetzung sind keine investiven Maßnah-men. Da muss die GRW weiterentwickelt werden. Dazu bieten wir unsere Unterstützung an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das zweite Instrument, das Sie in Ihrem Antrag nennen, ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist nicht be-kannt, wie der Kulturtourismus der Verbesserung der Agrarstruktur oder gar des Küstenschutzes dient. Er ist somit über die GAK in der bisherigen Form nicht förderbar. Da bringen Sie die Weiter-entwicklung zur Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ ins Spiel, in deren Rahmen zukünftig auch Kultur und Tourismus gefördert werden sol-len. Dafür muss aber erst einmal das Konzept auf dem Tisch liegen. Das ist bisher nicht erkennbar. Wenn die Bundesregierung – das muss man an dieser Stelle auch einmal deutlich sagen – weiter im Schneckentempo an der Förderpolitik nach 2020 tüftelt, wird das in dieser Legislaturperiode sicher auch nichts mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE]) Die Kollegin Kassner hat es schon deutlich ge-sagt: Eine Modellförderung hier, ein Wettbewerb da – das setzt keine Anreize, neue Projekte und Kooperationen, nachhaltige Projekte ins Leben zu rufen; das wissen Sie alle. Die Kulturfinanzierung vor Ort ist prekär. Darüber kann man bei aller Eu-phorie für das Thema Kulturtourismus, die ich im Übrigen teile, nicht hinwegsehen. Man muss an dieser Stelle deutlich sagen: Da kann man sich nicht dauerhaft auf bürgerschaftliches Engage-ment allein verlassen. Ich will aber gern zugestehen: Bei aller Kritik stößt der Antrag eine interessante und überfällige Debatte an. Was bedeutet eigentlich Kulturtouris-mus in unseren und für unsere ländlichen Regio-nen? Wie können wir Synergien aus Kultur, Krea-tivökonomie und Tourismus auf dem Land schaf-fen? In Vorbereitung dieser Debatte ist mir aufge-fallen, dass der Kulturtourismus immer ein Syno-nym für Städtetourismus war. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau!) Kultur findet aber nicht nur in der Stadt statt. Wir müssen überwinden, dass Kulturreisen stets in ei-nem Atemzug mit Städtereisen genannt werden. Deswegen ist es gut, dass wir heute darüber dis-kutieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau darum geht es!) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Kul-turtourismus auf dem Land stehen noch große Hindernisse im Weg – das gehört zur Lagebe-schreibung dazu –: qualitative und quantitative Defizite in Beherbergung und Gastronomie, schlechte Anbindung der Veranstaltungsorte an den öffentlichen Nahverkehr und – das haben Sie angesprochen – wenig Erfahrung der Touristiker mit dem Kulturtourismus. Dazu habe ich in Ihrem Antrag – zumindest zu den ersten beiden Punkten – wenig bis gar nichts gelesen. Sie schreiben auch, dass die DZT-Mittel bezüg-lich China aufgestockt werden. Ich begrüße es, wenn die DZT in China Kulturreisen nach Deutschland bewirbt. Ob das aber vorrangig dem ländlichen Raum in Deutschland hilft, ist fraglich. Das wird sich auf die Hotspots fokussieren. Im Übrigen wissen wir alle, wie viel Reisezeit die Chinesen haben. Wir dürfen hier nicht nur nach außen schauen; denn das Reiseverhalten ändert sich auch im In-land. Das wäre der erste Schritt. Leute aus den umliegenden Regionen müssen angesprochen werden, was auch im Sinne eines nachhaltigen Tourismus für die Region ist. Durch kurze Wege und regionale Wertschöpfung bieten sich so neue Entwicklungschancen für die ländlichen Räume. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen sektorübergreifende Ansätze nicht nur in der Fi-nanzierung der Infrastruktur, sondern auch in der Finanzierung vor Ort, beispielsweise der Hotels. Wir brauchen neue Ansätze im Städtebau und in der Förderpolitik nach 2020, und wir brauchen neue Ansätze, was die Erreichbarkeit ländlicher Regionen angeht. Wir müssen die Debatte noch viel breiter führen, als Sie jetzt mit Ihrem Antrag angeregt haben. Ich glaube aber, dass wir da nicht so weit auseinander sind. Wir müssen die Frage der Finanzierung angehen; das können wir in der weiteren Debatte noch vertiefen. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Sehr gern!) Wichtig ist, dass wir darüber sprechen und dies weiterentwickeln. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Daniela Ludwig [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Parlamentarische Staatssek-retärin Iris Gleicke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin beim Bun-desminister für Wirtschaft und Energie: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Ich möchte mich zunächst beim Parlament und ausdrücklich bei den Mitgliedern des Touris-musausschusses für das gute Miteinander bedan-ken, das auch in dieser Debatte wieder deutlich wird. Wir gehen sehr pragmatisch an die Sache heran. Ich bedanke mich als Tourismusbeauftrag-te der Bundesregierung sehr herzlich für das gute Miteinander und die konstruktive, aber auch kriti-sche Begleitung, die wir im Ausschuss miteinan-der pflegen. Ich bin froh über den Antrag der Koalitionsfrak-tionen „Kulturtourismus in den Regionen weiter-entwickeln“. Und Frau Kassner, Sie können sich darauf verlassen: Die bitten mich nicht nur. Die Kollegen sind alle sehr selbstbewusst und tragen ihre Bitten mit ordentlichem Nachdruck vor; das ist keine Frage. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wir auch!) – Sie auch, natürlich. – Ich will einfach noch ein-mal darauf hinweisen – Sie wissen das aus Ihrer langjährigen Erfahrung genauso gut wie ich –: Der Bund sitzt nun einmal leider in der zweiten Reihe. Ich wünschte mir – was auch Sie bezüglich der Finanzierung angemahnt haben –, dass ganz klar ist, dass der Tourismus einer der wichtigsten Wirtschaftszweige ist, der zwar sehr kleinteilig daherkommt, aber ein großes Potenzial hat. Das muss sich im Endeffekt natürlich auch in der Wirt-schaftsförderung in den Ländern, aber auch in den Landkreisen, in den Kommunen widerspiegeln. Deshalb sage ich auch, dass dieser Antrag zur richtigen Zeit kommt. Wir haben im Tourismus Boomzahlen; wir hören das immer wieder. Frau Hiller-Ohm hat es ange-sprochen: Die europäischen Kunst- und Kultur-liebhaber haben Deutschland zum beliebtesten Reiseziel auserkoren. Wir haben auch eine ganze Menge zu bieten: Kulturgüter, historische Denk-male, Musikfestivals oder auch die Kasseler Documenta und, und, und. – Jetzt habe ich we-nigstens Hessen noch hineingebracht; das hat, glaube ich, in der Aufzählung noch gefehlt. Aber man muss ein wenig Wasser in den Wein gießen – das ist schon deutlich geworden –; denn der Kulturtourismus findet hauptsächlich in den Städ-ten statt. In den Städten gibt es natürlich ein ge-balltes kulturelles Angebot, und entsprechend vie-le Touristen fahren deshalb dorthin. Auf der anderen Seite zeichnet sich das Reise-land Deutschland dadurch aus, dass wir in der Fläche jede Menge Kultur zu bieten haben. Wir brauchen bloß in unserer Heimatregion zu schau-en, wo die Schlösser und Burgen sind. Sie sind sehr häufig in oder bei ganz kleinen Orten, zum Beispiel die Burgen und Schlösser an der Saale. Auch Thüringen hat hier eine Menge zu bieten. In-sofern muss es an dieser Stelle darum gehen, die Potenziale zu nutzen. Der Tourismus hat eine ganz wichtige Funktion als Entwicklungsstütze und -motor für struktur-schwache Regionen, die sich nicht in der Nähe von Ballungszen-tren befinden. Hier kommt dem Tourismus eine ganz besondere Rolle zu. Deswe-gen, Herr Kollege Tressel, sind wir dabei, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regio-nalen Wirtschaftsstruktur“ neu auszurichten. Durch die vorgesehene Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrar-struktur und des Küstenschutzes“ zu einer Ge-meinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ kön-nen wir mehr als die Landwirtschaft fördern. Sol-che Gespräche sind schwierig; das wissen Sie. Aber wir arbeiten mit Nachdruck daran. Wir brau-chen entsprechend Zeit, damit eine qualitativ gute Diskussion entsteht. Die Punkte, die in diesem Antrag stehen, werden in der Debatte sicherlich eine Rolle spielen. Mir ist wichtig, darauf hinzuweisen – Frau Lan-zinger hat es bereits gesagt; sie hat ein wenig vorgearbeitet –, dass das Projekt „Tourismusper-spektiven in ländlichen Räumen“ an den Kulturtou-rismus andockt. Mir geht es darum, nicht noch ei-ne Urkunde für einen Wettbewerb zu verteilen o-der ein weiteres Gutachten zu bekommen. Das verstaubt in den Schubladen oder geht in den Wei-ten des Internets verloren. Ich möchte, dass wir schauen, wo Potenziale und pfiffige Ideen sind, und diese dann umsetzen, indem wir diese Ansät-ze in ausgewählten Modellregionen unterstützen. Das ist eine praktische Hilfe, um bei den Kommu-nalpolitikerinnen und Kommunal-politikern etwas anzustoßen. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die besten Berater, die besten Anträge und die besten Konzepte nützen nichts, wenn Deutschland nicht als weltoffenes Land wahrgenommen wird. (Beifall im ganzen Hause) Wir müssen aufpassen auf Pegida, Legida, Sügi-da und wie sie alle heißen; denn eines ist klar: Glaubt irgendjemand, dass es eine gute Werbung für das Reiseland Deutschland ist, wenn Hunderte oder Tausende irgendwelchen rechten Populisten, Rassisten oder zum Teil richtig harten Neonazis hinterherlaufen? Ich hoffe immer noch, dass dieje-nigen, die den Organisatoren auf den Leim gehen und angeblich für die Verteidigung abendländi-scher Werte demonstrieren, gar nicht genau wis-sen, was sie tun. Sie versetzen Menschen in Angst und Schrecken, die bei uns Schutz vor Krieg und Terror suchen. Ich finde das erbärmlich. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie beschädigen auch den guten Ruf ihrer Heimat, die ihnen doch angeblich so wichtig ist. Das finde ich dumm und töricht. Aber es ist sehr ermuti-gend, wie viele Menschen in Dresden, Leipzig und Suhl auf die Straße gehen und ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus setzen. Deutschland hat sich spätestens mit der Fußball-WM 2006 zu Recht den Ruf erworben, ein weltof-fenes und freundliches Land zu sein. Genau das wollen wir bleiben. In diesem Sinne: Herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun die Kol-legin Daniela Ludwig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Daniela Ludwig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf unseren Tribünen! Kultur ist – das wissen wir längst – ein Standort- und Wirtschaftsfaktor für nahezu jede Gemeinde, für jedes Bundesland, für ganz Deutschland. Das kulturelle Angebot einer Region ist für viele Reisende ausschlaggebend bei der Wahl ihres Urlaubsziels. Kultururlaub als solcher steht bei ausländischen Gästen an zweiter Stelle der Urlaubsgründe, die sie angeben. Die Bundesrepublik ist Kulturreiseland Nummer eins in Europa, deutlich vor Italien und Frankreich. Diesen Reisetrend sollten wir in Deutschland noch besser nutzbar machen, als es bis dato schon geschieht. Von dem Verbesserungspotenzial, das wir ins-besondere im ländlichen Raum heben können, ist heute schon viel die Rede gewesen. Wir alle wis-sen, dass Hamburg, Berlin und München millio-nenfach absolute Publikumsmagnete sind; aber die Kunst wird nun sein, die Menschen, die unsere Großstädte besuchen und sich dort gerne aufhal-ten, mit unterschiedlichsten Mitteln dazu anzurei-zen, das Umland dieser Ballungsgebiete aufzusu-chen und dort festzustellen, dass wir auf dem fla-chen Land Tausende Museen, mehr als 800 Thea-ter und Opernhäuser sowie viele Musik-, Theater- und Schauspielfestivals anzubieten haben. In meinem Wahlkreis, in Rosenheim, gibt es den „Lokschuppen“. Rosenheim hat 60 000 Ein-wohner. Der Lokschuppen ist unter den Top Ten der deutschen Ausstellungshäuser. Das ist für solch eine mittelgroße Stadt relativ beachtlich. Nachdem wir 1988 den Lokschuppen eröffnet hat-ten, überrannten uns in Rosenheim gleich 180 000 Besucher, die die erste Ausstellung besucht ha-ben. Mittlerweile pendelt sich die Zahl der Besu-cher unserer Ausstellungen bei 210 000 bis 220 000 ein. Natürlich mag man annehmen, dass so etwas nur in den großen Städten passiert; aber man kann schon sagen: Was in Rosenheim funk-tioniert, was am Bodensee in der touristischen Zusammenarbeit über viele Grenzen hinweg pas-siert, das lässt sich durchaus auf andere Regio-nen dieses Landes übertragen. Letztlich ist es der Hintergrund unseres An-trags, das Augenmerk – Herr Tressel, Sie haben es völlig richtig gesagt; ich nehme es gerne als kleines Lob mit – nicht wieder auf die Ballungsge-biete zu richten, sondern wirklich auf die ländli-chen Regionen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dass parallel dazu eine Ausschreibung des Bun-deswirtschaftsministeriums um die Ecke kommt, nehmen wir als Kompliment für innovative Ideen aus dem Parlament, die auch sofort umgesetzt werden; (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ich glaube, das kann man durchaus so sagen. In-sofern ist hier bei aller Kritik, die ich gerne zulas-se – ich freue mich sehr auf die parlamentarische Zusammenarbeit und auch Auseinandersetzung –, schon zu erkennen: Wir haben hier Ideen, die wir schon länger in uns tragen, zu einem ausgespro-chen wichtigen Thema ausgearbeitet, das im Trend liegt. Ich habe es schon gesagt: Die UNESCO führt eine Liste des Welterbes mit schützenswerten Kultur- und Naturerbestätten. Dazu gehört bei uns zum Beispiel der Kölner Dom, der sich wiederum in einem Ballungsgebiet befindet. Wenn man es auf die ländlichen Regionen herunterbricht, dann wird man feststellen, dass fast jede Gemeinde ein schützenswertes Denkmal – in Anführungszeichen –, eine Sammlung vorzuweisen hat, die einen Be-such lohnen. Wir wissen, dass viele Touristen nach ihrem ersten Deutschlandbesuch, der sie meistens tat-sächlich in die großen Städte führt, gerne wieder-kommen und dann bereit sind, auf Entdeckungs-reise zu gehen und im wahrsten Sinne des Wortes die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Umso schöner ist es, dass sich die Deutsche Zentrale für Tourismus im Jahr 2015 mit ihren Themen auf die ländlichen Regionen konzentriert: „Deutsch-land kulinarisch“, „Gelebte Tradition“ sowie „Kunst und Handwerk“. Das ist im Prinzip genau das, was uns allen hier im Hause am Herzen liegt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir bei der DZT sind: Im vergangenen Jahr haben wir die Kampagne „UNESCO-Welterbe – Nachhaltiger Kultur- und Naturtourismus“ erle-ben können. Hier sind die immerhin 39 Welterbe-stätten in Deutschland beworben worden, zum Beispiel die Klosteranlage Maulbronn oder der Muskauer Park; beide liegen nicht mitten in einem Ballungszentrum, sondern eher fernab. Ich finde es unglaublich wichtig, dass wir hier erkennen können: Wenn wir die DZT zu etwas anregen, dann wird das tatsächlich ordentlich umgesetzt. Das entspricht wirklich dem, was wir wollen. Natürlich, Herr Tressel: Wir müssen dafür sor-gen, dass die Stätten, die wir in den einzelnen Gemeinden vorfinden, erhalten und unterhalten werden. Da gehört natürlich auch Geld dazu. Ich teile durchaus Ihre Kritik, dass wir hier und beim Tourismus im Allgemeinen immer mit den Kompe-tenzen der Länder – ich sage es jetzt diplomatisch – in Berührung kommen. Aber ich glaube, wenn wir unser Land ganzheitlich vermarkten wollen, dann werden wir, was die Bundesländer angeht, die eine oder andere Denkschwelle in den Köpfen überwinden müssen; das ist meine feste Überzeu-gung. Ich nehme gerne das Angebot an, uns ge-meinsam darüber Gedanken zu machen, wie wir das umsetzen können. Wir haben in unserem Antrag aufgezählt, was es schon alles gibt. Für die Förderung von Innen-städten und Ortszentren sind 700 Millionen Euro vorgesehen. Wir haben ein neues Förderpro-gramm mit Förderschwerpunkt auf Denkmälern mit nationalem Rang aufgelegt; auch das sei hier nicht unerwähnt. Dass immer ein touristischer Hintergrund dahintersteckt, das erklärt sich fast von selbst. Wir haben ein Denkmalschutzsonder-programm mit 29 Millionen Euro ausgestattet. Al-so, ganz so schlecht ist das alles nicht. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das ist su-per!) – Vielen Dank. – Wir sind auf einem guten Weg, noch mehr Anreize zu schaffen. Eines verbinde ich aber auch mit dem Kultur-tourismus und mit unserer Initiative heute dazu – wir haben es in den letzten Tagen oft gehört, und es ist ganz wichtig –: Das beliebteste Reiseland der Deutschen ist Deutschland. (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Ja!) Hier sollten wir ansetzen; denn je besser wir unse-re Heimat kennen – wir alle, auch die wir hier sit-zen –, desto besser können wir sie bewerben. Das ist die nächste Brücke: Wir sollten nicht nur im Ausland, sondern auch bei uns im Inland für uns werben. Das wäre mir die liebste Wertschöpfung, die ich an dieser Stelle sehe. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine lieben Kollegen, Theodor Fontane hat es einmal so ausgedrückt: Ich bin die Heimat durchzogen, und habe sie reicher gefunden, als ich zu hoffen gewagt hatte. In diesem Sinne, glaube ich, haben wir ein paar Arbeitsaufträge aufgezeigt und mit unseren Forde-rungen an die Bundesregierung sicher ein paar gute Ideen formuliert. Ich freue mich jetzt sehr auf die parlamentarische Auseinandersetzung, auch auf die vielen Ideen, die – da bin ich sicher – auch aus den beiden anderen Fraktionen kommen. Vielen herzlichen Dank für das Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla-ge auf Drucksache 18/3914 an die in der Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN Provenienzforschung stärken – Bessere Rahmenbedingungen für einen angemesse-nen und fairen Umgang mit Kulturgutver-lust schaffen Drucksache 18/3046 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlos-sen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! 2015 jährt sich zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs und damit auch das Ende der national-sozialistischen Gewaltherrschaft. Dieser Teil un-serer Geschichte beeinflusst auch heute noch un-sere Gegenwart. Gerade im Bereich des Kunstmarktes sind die Folgen der NS-Enteignung bis heute sehr präsent. Der Verbleib vieler Kunst- und Kulturgegenstände, die von ihren Eigentümerinnen und Eigentümern zwischen 1933 und 1945 aufgrund nationalsozia-listischer Verfolgung unfreiwillig verkauft, abge-presst, enteignet, beschlagnahmt oder gestohlen wurden, ist unzureichend aufgearbeitet. Die Grün-de hierfür sind vielfältig. Zum Teil hat sich der Kulturbetrieb unwissentlich, zum Teil aber auch bewusst bislang unzureichend mit der Zeit des Nationalsozialismus und der Problematik des ver-folgungsbedingten Entzugs von Kulturgütern be-fasst. So gesehen ist es eigentlich ein Glücksfall, dass der Kunstfund in Privatbesitz von Cornelius Gurlitt die Diskussion über das Thema Prove-nienzforschung, die wir seit Ende 2013 führen, neu entfacht hat. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kol-legen, müssen wir jetzt diese Chance nutzen. Wir müssen uns im Bereich der Provenienzforschung den Problemen stellen und beim Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern faire und gerechte Lösungen für alle Beteiligten finden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren von der Bundesregie-rung, mit der Washingtoner Erklärung hat sich Deutschland 1998 international verpflichtet, zur Provenienzforschung und Restitution beizutragen. Auch wenn diese Absichtserklärung für die öffent-liche Hand keine Gesetzeskraft hat, sie fordert doch zum politischen Handeln auf. Ich meine, die Umsetzung darf nicht allein vom Wohlwollen öf-fentlicher Einrichtungen abhängen. Das wird dem Geist der Erklärung nicht gerecht. Hier sind Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregie-rung, in der Pflicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Wir haben darüber hinaus eine moralische Ver-pflichtung, die weit über den öffentlichen Bereich hinausgeht. Auch wenn Private von den internati-onalen Verabredungen nicht tangiert sind, können und dürfen auch sie, die privaten Kunstsammle-rinnen und Kunstsammler, die privaten Kunsthänd-lerinnen und Kunsthändler und auch die Auktions-häuser, sich einer moralischen Verantwortung nicht entziehen. Durch die Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste Anfang dieses Jahres in Mag-deburg soll die Provenienzforschung in Deutsch-land weiter gestärkt werden. Eine Bündelung der bisherigen Aktivitäten ist sinnvoll – deshalb unter-stützt meine Fraktion die Gründung dieses Zent-rums ganz ausdrücklich –, aber allein mit einer Bündelung der Aktivitäten ist es eben nicht getan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was wir brauchen, sind systematische Koordina-tion und Strukturierung und vor allem ein Ausbau der Provenienzforschung. Eine bloße Zusammen-legung von Strukturen ist noch keine Stärkung. Es dabei zu belassen, wäre eine Pseudoinitiative der Bundesregierung. Das neue Zentrum muss am Ende des Tages auch einen Mehrwert bringen. Es geht um wirkliche Professionalisierung der Prove-nienzforschung und vor allem um den Abbau der Informationsdefizite hinsichtlich der Grundsätze der Washingtoner Erklärung, insbesondere in den Ländern und Kommunen und den Museen dort. Was wir in den Museen brauchen, ist mehr Verbindlichkeit bei der Erforschung der Proveni-enz von Exponaten. Wir brauchen eine bessere personelle Ausstattung, und an den Universitäten müssen mehr Fachleute im Bereich Provenienz-forschung ausgebildet werden. Das wäre konse-quent, um die steigenden Bedarfe decken zu kön-nen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Forscherinnen und Forscher dürfen bei ihren wichtigen Arbeiten nicht behindert werden. Zu-gangshemmnisse bei Quellen, Archiven, Nachläs-sen und Forschungsergebnissen müssen abge-baut werden. Was bleibt, ist das schwierige Terrain der pri-vaten Sammlungen. Hier gilt es, Anlaufstellen zu schaffen und, ebenso wie im öffentlichen Bereich, Informationsdefizite abzubauen. Es sollte auch die Einführung eines Fonds geprüft werden, durch den in berechtigten Fällen die Provenienzforschung im Privatbereich unterstützt werden kann. Rechtlich sollte der gutgläubige Erwerb auf gesetzliche Auk-tionen beschränkt werden, und der Eigentumser-werb durch Ersitzen ist zu erschweren. Aber nicht nur im Kunstmarkt sehen wir uns mit der Frage nach der Provenienz konfrontiert. Wie steht es um die Sorgfaltspflicht bei der Prove-nienzprüfung in anderen Bereichen? Ich sage Ihnen: Verbleib von Kunst- und Kulturgut zum Bei-spiel von Sinti und Roma oder Homosexuellen ist bislang kaum beachtet worden. Auch die Aufarbei-tung von Kulturgutverlusten jenseits des NS-verfolgungsbedingten Entzugs, wie zum Beispiel in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR, muss verstärkt und gefördert werden. Es gilt, allen, denen Kulturgut entzogen wurde, die gleichen Grundlagen zur Aufarbeitung zu ge-währleisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dies gilt für NS-Raubkunst ebenso wie für kriegs-bedingt verlagerte Kunst- und Kulturgüter, aber auch für Objekte, die aus kolonialen Unrechtskon-texten stammen oder für die Bestände aus ar-chäologischen Raubgrabungen. Die Provenienz-forschung wird uns in den großen Debatten, wie über das Humboldt-Forum und die Reform des Kulturgüterrückgabegesetzes, weiter begleiten. Die Provenienzforschung gehört zur Sorgfalts-pflicht bei der Vermittlung von Kunstobjekten und muss eine Selbstverständlichkeit sein. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege An-sgar Heveling das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Es ist gut, dass wir die Gelegenheit haben – der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gibt uns diese Gelegenheit –, über das Thema Provenienz-forschung zu reden und deutlich zu machen, was in den letzten Monaten dazu vonseiten der Bun-desregierung schon getan worden ist. Vieles von dem, was Sie, Frau Kollegin Schauws, angespro-chen haben, ist richtig. Vieles ist aber schon in der Umsetzung. Das Thema Provenienzforschung kam zum En-de des vorvergangenen Jahres unerwartet und mit voller Wucht auf uns zu. Gleich zu Beginn der Wahlperiode hatten wir damit ein Thema auf der politischen Agenda, das zuvor nicht im Zentrum der kulturpolitischen Vorhaben und Planungen für die 18. Wahlperiode gestanden hatte. Mit dem spektakulären sogenannten Schwabinger Kunst-fund, der auch als Fall Gurlitt Ende November 2013 durch die Weltpresse ging, rückte das The-ma Raubkunst und Provenienz von Kunstwerken in privaten Sammlungen, aber auch in öffentlichen Museen und Sammlungen in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion und des politischen Inte-resses. So hat unsere Kulturstaatsminis-terin, Kollegin Professor Monika Grütters, kaum neu im Amt, das Thema Provenienz und Raub-kunst umgehend zu ihrer Priorität gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU) Innerhalb kurzer Zeit hat sie kluge Entscheidun-gen getroffen und wichtige Maßnahmen für dieses Thema auf den Weg gebracht. Darauf werde ich im Folgenden noch weiter eingehen. Zunächst einmal bestehen zwei Handlungsfel-der bei der Frage, wie mit dem sensiblen Thema Provenienz-recherche und Raubkunst umzugehen ist: Wir können und müssen auf der einen Seite kulturpolitische Entscheidungen treffen, es gibt aber auf der anderen Seite auch noch eine rechts-politische Dimension. Als Kulturpolitiker konzent-rieren wir uns natürlich zunächst einmal auf die notwendigen kulturpolitischen Schlussfolgerungen und Handlungsnotwendigkeiten, die sich aus dem ergeben, was vor anderthalb Jahren aufgefallen ist. Die wichtigen juristischen Fragen im Zusam-menhang mit dem Umgang mit Raubkunst stehen zunächst einmal auf einem anderen Blatt. Das be-deutet aber nicht, dass es nicht ebenso wichtig ist, sich auch diesen Fragen zu stellen und gege-benenfalls auch auf diesem Feld nach Antworten zu suchen. Das Land Bayern, das beim Schwabinger Kunstfund sehr schnell im Zentrum des Gesche-hens stand, hatte dem Bundesrat bereits einen ersten Vorschlag unterbreitet. Die bayerische Ini-tiative für eine rechtspolitische Reaktion war im Kontext der politischen Debatten sicherlich ein erster Anstoß, den wir auch auf Bundesebene dankbar wahrgenommen haben. Das ist allerdings ein Aufgabenbereich, über den sich der Bundes-justizminister vertieft Gedanken machen muss und bei dem er nach Lösungen, so sie denn not-wendig sind, suchen muss. Durch den Schwabinger Kunstfund wurde Deutschland mit berechtigten Fragen konfrontiert. Es geht um die Aufarbeitung des breiten Kunst-raubs durch die Nationalsozialisten, aber auch um individuelle Schicksale von Einzelpersonen oder ganzen Familien. Diese Opferbiografien müssen einerseits anerkannt, andererseits aber auch nach den Prinzipien der Washingtoner Erklärung umge-setzt werden, die eine faire und gerechte Lösung für alle Beteiligten postuliert. Da sind wir alle hier im Hause, glaube ich, einer Meinung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Der Fall Gurlitt hat deutlich gemacht, vor welch großen Herausforderungen wir sowohl in juristi-scher Hinsicht als auch bei dem Thema Prove-nienzrecherche an dieser Stelle stehen. Die Bun-desregierung hat vier wichtige Maßnahmen ge-troffen, um auf diese Herausforderung zu reagie-ren: die Gründung des Deutschen Zen-trums Kul-turgutverluste, die deutliche Erhöhung der Bun-desmittel für die Provenienzrecherche, die Einrich-tung einer Taskforce speziell zur Klärung des Schwabinger Kunstfundes sowie die Vereinbarung mit der Stiftung Kunstmuseum Bern über das Erbe von Cornelius Gurlitt. Mit diesen Maßnahmen ist es gelungen, in die Offensive zu gehen. Deutsch-land hat gegenüber der internationalen Gemein-schaft, aber auch gegenüber den Nachfahren der Opfer deutlich gemacht, dass es die Aufarbeitung von Kulturgutverlust insbesondere aus der Zeit des Nationalsozialismus sehr, sehr ernst nimmt und handelt. Lassen Sie mich auf die Maßnahmen im Einzel-nen eingehen. Die wichtigste Maßnahme zur Ver-besserung der Provenienzforschung in Deutsch-land und zur Restitution von Kulturgut, das bedingt durch die Verfolgung durch die Nationalsozialisten entzogen wurde, ist sicherlich die Gründung des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste. Kolle-gin Schauws hat dies eben begrüßt, so wie wir al-le diese Gründung begrüßen. In der vergangenen Woche hat sich der Stiftungsrat des neuen Zent-rums mit seiner Vorsitzenden, Kulturstaatsminis-terin Monika Grütters, konstituiert. Das Zentrum ist auch ein Beispiel für die gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in dieser Frage. Bei-de Seiten leisten ihren jeweiligen Beitrag in einer gemeinsamen Stiftung. Das Zentrum Kulturgutver-luste soll der zentrale Ansprechpartner für die gemeinsamen Anstrengungen der deutschen Re-stitutionspraxis werden, insbesondere eben auch im Bereich der NS-Raubkunst. Ein weiteres wichtiges Element im Engagement der Bundesregierung ist die signifikante Erhöhung der Mittel. Im vergangenen Jahr hat der Bund die Mittel für Provenienzforschung bereits auf 4 Milli-onen Euro verdoppelt. In diesem Jahr werden dann schon 6 Millionen Euro bereitgestellt. Damit haben wir die Bundesmittel seit dem Jahr 2012 verdreifacht. (Beifall bei der CDU/CSU) Das zeigt, dass die Große Koalition die Notwen-digkeit erkannt hat, die Provenienzforschung in Deutschland zu verbessern, und dementspre-chend handelt. Dennoch bleibt in diesem Bereich viel zu tun. Nach wie vor stellt die Provenienzrecherche vor allem für viele kleinere Museen und Einrichtungen eine große Herausforderung dar. Diese Häuser brauchen Unterstützung. Deshalb ist es gut, dass auch die Kommunen in das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste eng eingebunden sind. Kurz- und mittelfristig werden sicherlich weitere finanzi-elle und personelle Ressourcen nötig sein, um angesichts des großen Nachholbedarfs in deut-schen Museen, den wir anerkennen müssen, die Sammlungsgeschichte öffentlicher Einrichtungen umfassend aufzuarbeiten. Allein bei dem Thema NS-Raubkunst gibt es in grob 60 Prozent der öffentlichen Museen Bestän-de, die zumindest theoretisch Raubkunst umfas-sen könnten. Es betreiben jedoch nur 10 Prozent der Museen proaktiv Provenienzrecherche, da hier – auch das muss man anerkennen – sowohl die Mittel als auch das Personal mit dem erforderli-chen Wissen an allen Ecken und Enden fehlen. An genau dieser Stelle setzt das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste an. So sollen vor allem die klei-neren Häuser und Einrichtungen unterstützt wer-den. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab-geordneten der SPD) Die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutver-luste in gemeinsamer Trägerschaft von Bund, Ländern und Kommunen soll die unteilbare Ver-antwortung zur Aufarbeitung von NS-Kunstraub übernehmen. Nicht zuletzt konnte für den Schwabinger Kunstfund mit dem Erben Kunstmu-seum Bern eine gute Einigung erzielt werden, mit der für die Zukunft eine solide Grundlage geschaf-fen worden ist. Die kurz nach Bekanntwerden des Schwabinger Kunstfunds eingerichtete Taskforce unter der Leitung von Ingeborg Berggreen-Merkel wird ihre intensive, gute Arbeit dazu weiter fort-setzen. (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Sehr gut!) Es war im Übrigen eine beeindruckende Leistung von Kulturstaatsministerin Grütters, diese Taskforce in der Kürze der Zeit entsprechend hochkarätig wie divergent zu besetzen und ar-beitsfähig zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sicher, es bleiben im Zusammenhang mit dem Umgang mit Raubkunst nach wie vor viele auch juristische Fragen offen. Diese fallen jedoch nicht in den Zuständigkeitsbereich der Kulturstaatsmi-nisterin, sondern müssen von anderen Häusern beantwortet werden. Welchen weiteren Beitrag die Länder in ihrer eigenen Zuständigkeit zur Verbes-serung der Provenienzforschung leisten wollen, bleibt ihnen selbst überlassen. Der Bund ist hier jedenfalls mit gutem Beispiel vorangegangen und hat die erforderlichen Mittel in den vergangenen Jahren kontinuierlich erhöht. (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Sehr schön!) Neben der Suche nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut beschäftigen sich mehrere Projekte und Einrichtungen auch mit der Aufarbei-tung sogenannter entarteter Kunst. Auch die Er-forschung der in der DDR sowie in der Sowjeti-schen Besatzungszone entzogenen Kulturgüter ist ein formulierter Auftrag des Koalitionsvertrages, womit eine weitere sensible Aufgabe in den Fokus der Provenienzforschung gerückt ist. Deutschland hat eine besondere, bleibende Verantwortung für die Aufarbeitung des national-sozialistischen Kunstraubs. Diese Verantwortung müssen vor allem die öffentlichen Kultureinrich-tungen und ihre Träger wahrnehmen. Die gemein-same Erklärung von Bund, Ländern und kommu-nalen Spitzenverbänden aus dem Jahr 1999 ruft aber auch privatrechtlich organisierte Einrichtun-gen sowie Privatpersonen dazu auf, ihrer Verant-wortung zur Umsetzung der Washingtoner Prinzi-pien in Deutschland nachzukommen, auch wenn sie juristisch oder völkerrechtlich dazu nicht ver-pflichtet sind. Wir werden uns im Ausschuss für Kultur und Medien mit dem vorliegenden Antrag auseinan-dersetzen und ihn dort in angemessener Weise in seinen einzelnen Punkten beraten. Viele Punkte sind der Diskussion wert, vieles ist aber auch schon auf dem Weg. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! 2015, also 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Nazidikta-tur, debattieren wir heute hier im Bundestag über den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zur Prove-nienzforschung. Warum, bringt der schwedische Autor Anders Rydell in seinem kürzlich erschiene-nen Buch Hitlers Bilder: Kunstraub der Nazis – Raubkunst in der Gegenwart in einem Satz auf den Punkt: Im Januar 2013 wurde der deutschen Bun-deskanzlerin Angela Merkel plötzlich klar, dass sie auf Hermann Görings Teppich stand. Das ist weder überraschend noch eine Übertrei-bung. Zahlen einer Studie des Instituts für Museums-forschung von 2012 belegen den Nachholbedarf beim Thema NS-Raubkunst eindrucksvoll: Von 6 355 Museen in öffentlicher und privater Träger-schaft haben sich 3 800 an der Umfrage beteiligt. 60 Prozent dieser Museen besitzen Objekte, die zwischen 1933 und 1945 erworben wurden. Aber nur 285 von über 6 000 Museen haben erforscht, ob ihre Bestände NS-Raubkunst umfassen. Der Umgang mit dem Thema NS-Raubkunst ist mit den Begriffen „Langsamkeit“ und „Intransparenz“ zusammenzufassen. Analogien zur deutschen Entschädigungspolitik nach 1945 drängen sich auf. Der Fall Gurlitt hat in den letzten zwei Jahren Bewegung in die Sache gebracht, und der vorlie-gende Antrag der Grünen nutzt nun die Gunst der Stunde, einige eher unstrittige Forderungen auf-zustellen: Ja, die Provenienzforschung in Deutschland muss gestärkt werden. Ja, die Mu-seen brauchen mehr Personal und ganz offen-sichtlich Nachhilfe in Sachen Herkunftsforschung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist Konsens, dass auch private Sammler und Museen eine zentrale Informationsstelle zu diesem Thema brauchen, und natürlich sollten mit Bundesgeldern geförderte Ausstellungen die Washingtoner Erklärung berücksichtigen. (Beifall bei der LINKEN) So weit, so brav und in Teilen bereits vom Enga-gement der Staatsministerin überholt. Mit mehr Geld und dem gerade gegründeten Deutschen Zentrum Kulturgutverluste versucht sie, die ge-nannten Punkte zumindest ansatzweise abzude-cken. Es wäre sicherlich sinnvoll, die Arbeit des Zentrums in einem Jahr zu evaluieren. Nun stecken in diesem Antrag aber auch noch ein paar konkretere Forderungen. Es werden zwei rechtliche Verbesserungsvorschläge gemacht, um die Restitution, also Rückgabe, von in der NS-Zeit abgepressten oder geraubten Kunstgegenständen an ihre ursprünglichen Eigentümer oder deren Er-ben zu erleichtern. Denn die BRD hat es nach 1945 versäumt, Gesetze zu erlassen, die die Op-fer dieses riesigen und systematischen Kunst-raubs geschützt hätten. Und so stehen wir nun vor der Situation, Opferfamilien erklären zu müssen, dass ihre Ansprüche auf geraubtes Eigentum nach deutschem Recht allesamt verjährt sind. Das ist moralisch schwer vermittelbar. (Beifall bei der LINKEN) Die Grünen fordern jetzt die Bundesregierung auf, die §§ 935 und 937 des Bürgerlichen Gesetz-buches zu ändern. Aber warum so zaghaft? Natür-lich ist es sinnvoll, den Druck auf Auktionshäuser zu erhöhen, seriöse Herkunftsforschung vor Ver-steigerungen zu betreiben, und ich nehme an, alle hier Anwesenden würden gern die rechtliche Stel-lung der NS-Opfer in dieser Frage stärken. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Vorschläge der Grünen bieten aber ein Heft-pflaster an, wo eine Operation notwendig wäre. Denn an dem zugrundeliegenden Problem – das ist die Beweislast – würde sich rein gar nichts än-dern. Sie liegt nach wie vor beim ursprünglichen Eigentümer. Wie aber soll jemand, der durch den Terror der Nazis alles außer seinem Leben verlo-ren hat, beweisen, dass jenes Bild oder dieses Buch ihm einst gehörte? Ich empfinde dies als ei-ne Zumutung. (Beifall bei der LINKEN) Was wir an dieser Stelle bräuchten, wäre eine Beweislastumkehr. In einer von der Linken eingeforderten Anhö-rung des Ausschusses für Kultur und Medien zum Thema im Mai 2014 haben international anerkann-te Experten wie Professor Dr. Haimo Schack oder Professor Dr. Julius -Schoeps rechtliche Rege-lungen für die Rückgabe von NS-Raubkunst ge-fordert. Auch in der von uns im letzten Sommer veranstalteten Podiumsdiskussion hier im Reichs-tag wurde ein Restitutionsgesetz angemahnt. Ste-fan Koldehoff schlug einen Fonds vor, analog zur Zwangsarbeiterentschädigung. Diese Idee taucht im vorliegenden Antrag auch auf. An Ideen und Engagement, den Zustand zu än-dern, dass sich im Jahr 2015 noch immer eine Vielzahl von Raubkunst in deutschen Museen und Wohnzimmern befindet, mangelt es also nicht. Die Bundesregierung will offensichtlich bei den „fairen und gerechten Lösungen“ der Washingto-ner Erklärung bleiben. Ich kann an Sie nur appel-lieren, auf die eben genannten Experten zu hören und endlich den geforderten Gesetzentwurf vorzu-legen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Burkhard Blienert hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Burkhard Blienert (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor etwas mehr als einer Woche haben wir anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungs-lagers Auschwitz der Opfer der NS-Diktatur ge-dacht. Es gehört heute zu unserem nationalen Selbstverständnis, dass Deutschland seine im-merwährende Verantwortung für diese grausams-ten Verbrechen in seiner Geschichte annimmt. Ei-ne Dimension dieser moralischen Verantwortung besteht darin, die damaligen Verbrechen aufzuklä-ren und Wiedergutmachung zu leisten. Bezogen auf die Debatte über NS-Raubkunst, die soge-nannten verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgü-ter, ist es wichtig, hervorzuheben, dass der plan-mäßige Entzug von Eigentum ein wesentliches Element der geplanten und systematischen Ver-nichtung der Juden war. Dabei spielt es im Resul-tat keine Rolle, ob der Entzug auf der Grundlage von unfreiwilligem Verkauf, Erpressung, Enteig-nung, Beschlagnahme, Diebstahl oder Raub er-folgte. Mit dem Fall Gurlitt wurde offenbar, dass in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg der ge-samte Komplex der unrechtmäßigen Entziehung von Kulturgütern während der NS-Zeit nur unzu-reichend aufgearbeitet worden ist. Der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte An-trag, der viele in diesem Kontext diskutierte Vor-schläge in Bezug auf die Provenienzforschung und Restitutionspraxis aufgreift, spricht daher ein außerordentlich wichtiges Thema an. Es ist wichtig, zu betonen, dass sich die Bun-desregierung zusammen mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden vorbehaltlos zur Verantwortung für die Aufarbeitung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in öf-fentlichen Sammlungen bekennt. Diese Verant-wortung beruht auf den Prinzipien der Washingto-ner Erklärung von 1998. In einer Gemeinsamen Erklärung haben sich dann Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände 1999 zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzo-genen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz, verpflichtet. Alle öffentlichen Einrichtungen sind aufgerufen, ihre Kulturgutbestände zu über-prüfen und unklare oder verdächtige Erwerbsvor-gänge offenzulegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, um diese Ver-pflichtung umzusetzen, sind in der Folge zahlrei-che Instrumente entstanden. Dazu gehört die Lost-Art-Internetdatenbank der Koordinierungs-stelle Magdeburg, mit der seit dem Jahr 2000 ein Verzeichnis geschaffen wurde, welches heute 154 000 detailliert und mehrere Millionen summa-risch beschriebene Kulturgüter auflistet, die infol-ge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges ver-bracht, ver-lagert oder insbesondere jüdischen Eigentümern ver-folgungsbedingt entzogen wur-den. 2003 wurde zur Schlichtung strittiger Restitu-tionsfragen eine unabhängige Beratende Kommis-sion unter Leitung von Jutta Limbach gegründet, die konkrete Fälle prüfen und unverbindliche Emp-fehlungen für faire und gerechte Lösungen aus-sprechen kann. 2008 wurde dann die Arbeitsstelle für Provenienzforschung bei der Stiftung Preußi-scher Kulturbesitz geschaffen, die seitdem mit insgesamt 14,5 Millionen Euro Museen und Biblio-theken bei der dezentralen Herkunftssuche unter-stützt hat. Ich beschreibe diese Punkte, um die jenseits al-ler Regierungsfarben unternommenen Bemühun-gen aufzuzeigen, die es in den letzten Jahren ge-geben hat, um Provenienzrecherche und -forschung gezielt zu verbessern. Doch noch im-mer gibt es Verbesserungsmöglichkeiten, die im Antrag auch benannt werden. Der sogenannte Schwabinger Kunstfund mach-te aber auch deutlich, dass es in Deutschland an einem einheitlichen Ansprechpartner sowohl für Museen und Kunsthändler als auch für Privatper-sonen fehlt und dass weiterhin erhebliche Mittel und Personal benötigt werden, um dem Bedarf zu entsprechen. Auch die Tatsache, dass die Washingtoner Erklärung für private Besitzer nicht verbindlich ist, stellt einen unbefriedigenden Zu-stand dar. Von daher ist es außerordentlich zu be-grüßen, dass mit Unterstützung des Bundestages Staatsministerin Grütters deutlich mehr Mittel für die Provenienzforschung zur Verfügung stellt und die Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgut-verluste auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU und der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so sollen die Kompetenzen der verschiedenen Einrichtungen gebündelt und damit ein einheitlicher Ansprech-partner geschaffen werden. Auch Privatpersonen können sich dahin wenden, die ihre Sammlungen gewissenhaft überprüfen wollen. Zudem ist die Aufarbeitung von Kulturgutverlusten in der ehema-ligen DDR bzw. der Sowjetischen Besatzungszone Aufgabe der Stiftung, eine wichtige Aufgabe; denn bislang wurden fast ausschließlich die in der Zeit des Nationalsozialismus entzogenen Kulturgüter in den Blick genommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe deut-lich machen wollen, wie ernst die Koalitionsfrakti-onen das im Antrag vorgetragene Anliegen neh-men. Viele der zu Recht benannten Forderungen an die Bundesregierung werden ganz im Sinne der Washingtoner Prinzipien umgesetzt. Wir wissen allerdings auch, dass noch eine Menge zu tun ist; denn die Recherche über die Herkunft der Kunst-werke ist nur ein Teil dieser Arbeit. Die Bundesregierung bemüht sich zugleich da-rum, die Rechtslage in Deutschland dahin gehend zu verbessern, unter welchen Umständen Kunst-werke, die jüdischen Bürgern geraubt wurden und die sich heute in öffentlichen und privaten Museen oder in Privatbesitz befinden, den ursprünglichen Eigentümern zurückgegeben werden können und müssen. Das sind für mich zwei Seiten einer Medaille – beides gehört zusammen –: eine bessere Prove-nienzrecherche und -forschung sowie das Bemü-hen, jüdischen Alteigentümer bzw. ihren Rechts-nachfolgern NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut wirklich zurückgeben zu können. Ich freue mich auf die konstruktiven Gespräche in den Ausschüssen und bedanke mich heute für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kol-legen! Meine Damen und Herren! Wir nähern uns in großen Schritten dem Wochenende. Ich will Ihnen hier kurz von einem gelungenen Fall von Provenienzforschung berichten. Im Kunstforum Ostdeutsche Galerie, ein durch-aus renommiertes Museum in meiner Heimatstadt Regensburg, hängt ein Ölgemälde von Lovis Co-rinth, die Drei Grazien. Das Motiv kennen Sie: drei nackte Frauen, die sich berühren und umarmen. Raphael hat sie gemalt, ebenso Rubens. Im 16. und 17. Jahrhundert war dieses Thema in der Kunst sehr beliebt. Insofern ist das Werk von Lo-vis Corinth ein bisschen aus der Zeit gefallen. Co-rinth war schon in der Moderne ein großer Kon-servativer. Seine Drei Grazien sind erst vor hun-dert Jahren entstanden. Dieses Bild hängt als Dauerleihgabe der Baye-rischen Staatsgemäldesammlungen in Regens-burg. Das dortige Kunstforum Ostdeutsche Gale-rie ist ein Spezialmuseum mit einem bundesweit einzigartigen Auftrag. Es bewahrt das Kunsterbe der ehemals deutsch geprägten Kulturräume in Osteuropa. Das ist interessant, weil der Bund an diesem Haus finanziell ganz wesentlich beteiligt ist. Seit einigen Monaten nun hängt neben diesem Gemälde ein kleines Schild mit Anmerkungen zur Provenienz der Drei Grazien. Die Geschichte, die hier zu lesen ist, ist eine ausgesprochen span-nende; denn das Gemälde ist mit dem tragischen Schicksal einer jüdischen Familie eng verbunden, der Familie Levy. Clara Levy, eine Tuchfabrikantin hier aus Berlin, war seit 1921 die Eigentümerin dieses Bildes. Das Gemälde gelangte 1939, als sie Deutschland verlassen musste, mit ihrem Um-zugsgut nach Luxemburg, wo Clara Levy wenig später starb. Ihre Erben ließen die Drei Grazien zu Verwandten nach New York verschiffen. Hier wird es dann unübersichtlich: Die Erben-gemeinschaft von Clara Levy beantragte nämlich 2002 von den Bayerischen Staatsgemäldesamm-lungen die Rückgabe dieses Bildes. Aussage stand gegen Aussage: Die Familie Levy behaupte-te, dass das Bild nie in Amerika angekommen sei. Ihrer Meinung nach haben die NS-Behörden das Gemälde noch vor der Verschiffung nach New York beschlagnahmt. Bei den Verwandten in Ame-rika sei das Bild jedenfalls nie angekommen. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen wider-sprachen: Sie sehen sich als rechtmäßige Eigen-tümer, also ein klassischer Fall für die Prove-nienzforschung. Sie erforscht die Herkunft eines Kunstwerkes, recherchiert die Besitzverhältnisse, stellt rechtmäßige und unrechtmäßige Eigentümer fest. Nun beschäftigen wir uns heute mit einem An-trag der Grünen, der die Defizite in der Prove-nienzforschung darlegt. Sie sehen ein generelles Informationsdefizit und verlangen eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Kulturgutverlust, auch anderer Opfergruppen als der NS-Opfer, und sind der Meinung, dass Privatleute beim Thema Provenienzforschung immer noch recht alleine ge-lassen werden. In Ihrem Antrag steht: Auch die von der Bundesregierung geplante Gründung eines „Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste“ wird diese wesentlichen Problemfelder nicht abfangen und beheben können. Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle-gen von den Grünen, doch ans Herz legen, die Satzung des neu gegründeten Zentrums zu lesen. Ich gebe gerne zu, dass es Spannenderes als dieses neunseitige Papier gibt. Aus der Satzung des „Deutschen Zentrums Kulturgutverluste“ geht jedoch klar hervor, was unter Staatsministerin Grütters geschaffen wird. Ein Großteil Ihrer For-derungen ist in dieser Satzung bereits realisiert. Die Gründung des Deutschen Zentrums Kultur-gutverluste markiert auch längst nicht den Anfang der Bemühungen um Provenienzforschung und Restitution. (Beifall bei der CDU/CSU) Seit dem Jahr 2008 wurden über die Arbeits-stelle für Provenienzforschung 170 Projekte in 89 Museen und Dutzenden Bibliotheken, wissen-schaftlichen Institutionen und universitären Ein-richtungen gefördert. Fördergelder in Höhe von rund 12 Millionen Euro wurden zur Verfügung ge-stellt. In den geförderten Projekten wurden und werden mehr als 90 000 Objekte – überwiegend Gemälde, Zeichnungen und Grafiken – und mehr als 520 000 Bücher und Drucke überprüft, bei de-nen ein Verdacht auf NS-verfolgungsbedingten Entzug nicht ausgeschlossen werden konnte. Die Fundmeldungen öffentlicher Einrichtungen in der Lost-Art-Datenbank haben sich seit dem Jahr 2008 mehr als vervierfacht, und zwar auf jetzt gut 29 000. Nach Erkenntnissen der Koordi-nierungsstelle in Magdeburg wurden in Deutsch-land allein im Bereich NS-Raubkunst seit der Washingtoner Erklärung von 1998 mehr als 12 000 Objekte restituiert. Diese Zahlen beeindru-cken, und doch – darin sind wir uns alle einig – liegt noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns. Klar ist, dass die Debatte um Provenienzfor-schung durch den Schwabinger Kunstfund eine neue Dynamik bekommen hat. Klar ist aber auch, dass Sie Ihren Antrag besser vor zehn Jahren eingebracht hätten: Im Spätsommer 2005 wäre er genau richtig gewesen. Denn damals neigte sich gerade die zweite Legislaturperiode dem Ende zu, in der Rot-Grün die Mehrheit hatte. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Warum haben Sie ihn denn in den letzten zehn Jahren nicht gestellt? Sie hatten zehn Jahre Zeit dazu!) Zwei Legislaturperioden lang, und zwar genau die sieben Jahre nach der Washingtoner Erklärung, ist nämlich in Sachen Provenienzforschung in un-serem Land reichlich wenig passiert. (Beifall bei der CDU/CSU) Erst mit der Amtsübernahme durch Bernd Neumann und nun mit Monika Grütters wurde der Provenienzforschung die herausgehobene Stel-lung eingeräumt, die sie jetzt hat. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das glauben Sie ja selber nicht!) Die Drei Grazien – um die Geschichte zu Ende zu bringen – sind übrigens noch immer im Re-gensburger Kunstforum Ostdeutsche Galerie zu sehen. Nicht nur deshalb lege ich Ihnen einen Be-such dieses Hauses besonders ans Herz. Die Limbach-Kommission, von der vorhin schon die Rede war, die sich strittigen Fällen der Prove-nienzforschung widmet, hat unmissverständlich empfohlen, das Gemälde bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zu belassen. Sie sind der rechtmäßige Eigentümer. Die Wissenschaftler der Koordinierungsstelle Magdeburg haben Frachtzettel unter die Lupe ge-nommen, Unterschriften verglichen, Stempel in-spiziert und Verkaufsurkunden überprüft. Die Drei Grazien wurden nämlich tatsächlich wie geplant von Luxemburg nach Amerika verschifft und dort von den Verwandten entgegengenommen. Sie verkauften das Bild an den New Yorker Galleristen Curt Valentin, der die Drei Grazien 1949 zurück nach Europa verkaufte, und zwar an das Kunst-museum Bern. Im März 1950 erwarben die Baye-rischen Staats-gemäldesammlungen das Bild wie-derum vom Kunstmuseum Bern. Der Fall ist beklemmend, weil die Eigentümer-familie tatsächlich wegen der Nationalsozialisten Deutschland verlassen musste. Das Bild wurde aber weder von den NS-Behörden beschlagnahmt noch unter dem Druck der politischen Lage unter Wert verkauft. Beides war nicht der Fall. Die An-zahl der Restitutionen sagt also nichts darüber aus, wie gut Provenienzforschung funktioniert. Die Geschichte der Drei Grazien ist im Übrigen in der Lost-Art-Datenbank nachzulesen. Auch die-se Lektüre möchte ich Ihnen fürs Wochenende ans Herz legen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kol-lege Metin Hakverdi für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Metin Hakverdi (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein sprachliches Bild, das Bundespräsi-dent Joachim Gauck in seiner Ansprache zum 70. Jahrestag der Befreiung des deutschen Konzent-rations- und Vernichtungslagers Auschwitz ge-prägt hat, hat mich in der Vorbereitung dieser Re-de besonders begleitet. Er sagte, es sei „ein Bruch eingewebt in die Textur unserer nationalen Identität, der im Bewusstsein quälend lebendig bleibt“. Dieser Bruch in unserer Identität begleitet uns tatsächlich auch heute noch. 70 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungs-lagers Auschwitz ist es uns immer noch nicht ge-lungen, das NS-Unrecht zu beseitigen. Es lebt auch heute noch – auch in der modernen Bundes-republik – fort. Eigentümerinnen und Eigentümer, de-nen verfolgungsbedingt Kunstwerke entzogen wurden, oder deren Erben, warten noch immer auf Wiedergutmachung, Rückgabe und Gerechtigkeit. Dass die Folgen nationalsozialistischer Un-rechtsmaßnahmen noch heute fortbestehen, be-fremdet uns. Wir haben Handlungsbedarf zum einen hinsicht-lich der Sachverhaltsaufklärung bzw. der Tatsa-chenaufklärung und zum anderen hinsichtlich des rechtlichen Rahmens. Bei der Tatsachenaufklä-rung haben wir in den Koalitionsvertrag geschrie-ben, dass wir die Provenienzforschung verstärken wollen. Damit wollen wir dem Anspruch auf Resti-tution gerecht werden. Die Tatsachenaufklärung ist der zentrale Bau-stein, will man in irgendeiner Form dafür sorgen, dass Gerechtigkeit hergestellt wird. Sämtliche Kunstwerke, die jüdischen Bürgern in der NS-Zeit geraubt wurden, müssen aufgespürt werden. Dies gilt besonders für deutsche Museen. Auch solche Kunstwerke, die sich in Privatbesitz befinden, müssen stärker in den Fokus geraten. Zum 1. Januar dieses Jahres ist das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste als Stiftung bürgerli-chen Rechts in Magdeburg gegründet worden. Ziel des Zentrums ist, die Initiativen von Bund, Ländern und Kommunen zu bündeln. Es wird die unabhängig beratende Kommission unter der Lei-tung von Jutta Limbach ebenfalls unterstützen. Ich wünsche mir, dass damit eine effektive Sachver-haltsaufklärung möglich wird. Die Herausforderungen hinsichtlich der Gestal-tung eines adäquaten Rechtsrahmens sind aller-dings komplizierter. Was ist 70 Jahre nach Unter-gang des NS-Regimes gerecht? Auf der einen Seite haben wir es mit dem Gerechtigkeitsbedürf-nis von Menschen zu tun, denen durch die Nazis Unrecht zugefügt wurde. Sie wurden ihres Eigen-tums beraubt. Auf der anderen Seite haben wir es mit Menschen zu tun, die unter Einsatz von priva-ten Mitteln Kunstgegenstände erworben haben. Kann es gerecht sein, wenn wir diese Menschen angesichts des NS-Unrechts rechtlos stellen, auch wenn sie zum Zeitpunkt des Erwerbs even-tuell gutgläubig waren? Möglicherweise bietet die Washingtoner Erklä-rung aus dem Jahr 1998 hierfür einen geeigneten Rahmen. Sie verlangt nach gerechten und fairen Lösungen. Sicher ist, dass das Gerechtigkeitsbe-dürfnis beider Seiten in Ausgleich gebracht wer-den muss. Wir können nicht einseitig das Gerech-tigkeitsbedürfnis einer Seite ignorieren. Wichtig ist: Es muss erlaubt sein, sich den aufkommenden Fragen permanent mit einem ernsthaften Aufklä-rungswillen zu stellen. Es reicht nicht, bloß auf den geltenden Rechtsrahmen zu verweisen. Wir müssen möglicherweise unsere Rechtsord-nung nachjustieren. Zentrale Fragestellungen hierbei sind: Welche Anforderungen stellen wir an den guten Glauben beim Erwerb eines Kulturgu-tes? Wie sieht ein Herausgabeanspruch aus, der die verfassungsrechtlichen Grenzen echter Rück-wirkung im Blick hat? Welche Verjährungsfristen sind sachgerecht? Wie sehen die Regeln gutgläu-bigen Erwerbs in einer öffentlichen Auktion aus? Welche Verjährungsfrist ist hier sachgerecht? Des Weiteren müssen wir die Regelungen der gutgläubigen Ersitzung überprüfen. Ich finde, dass das Bundesjustizministerium an dieser Stelle gute Arbeitet leistet. Ich weiß, dass derzeit an verschiedenen Stellen Strategien im materiellen Recht und im Verfahrensrecht geprüft werden, um eine ausgewogene und gerechte Lö-sung zu entwickeln. Wir alle sind auf die Lö-sungsansätze gespannt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla-ge auf Drucksache 18/3046 an die in der Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 25. Februar 2015, 13 Uhr, ein. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gu-te. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 14:48 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 06.02.2015 Baehrens, Heike SPD 06.02.2015 Baumann, Günter CDU/CSU 06.02.2015 Becker, Dirk SPD 06.02.2015 Binninger, Clemens CDU/CSU 06.02.2015 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 06.02.2015 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 06.02.2015 Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.02.2015 Bulmahn, Edelgard SPD 06.02.2015 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.02.2015 Dörner, Katja BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.02.2015 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 06.02.2015 Dr. Fechner, Johannes SPD 06.02.2015 Freitag, Dagmar SPD 06.02.2015 Gerster, Martin SPD 06.02.2015 Hahn, Florian CDU/CSU 06.02.2015 Heinrich, Gabriela SPD 06.02.2015 Held, Marcus SPD 06.02.2015 Henn, Heidtrud SPD 06.02.2015 Dr. Hoppenstedt, Hen-drik CDU/CSU 06.02.2015 Jung, Xaver CDU/CSU 06.02.2015 Kiesewetter, Roderich CDU/CSU 06.02.2015 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.02.2015 Dr. Launert, Silke CDU/CSU 06.02.2015 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 06.02.2015 Möhring, Cornelia DIE LINKE 06.02.2015 Monstadt, Dietrich CDU/CSU 06.02.2015 Mortler, Marlene CDU/CSU 06.02.2015 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 06.02.2015 Nietan, Dietmar SPD 06.02.2015 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.02.2015 Obermeier, Julia CDU/CSU 06.02.2015 Radomski, Kerstin CDU/CSU 06.02.2015 Rohde, Dennis SPD 06.02.2015 Röspel, René SPD 06.02.2015 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.02.2015 Rützel, Bernd SPD 06.02.2015 Schimke, Jana CDU/CSU 06.02.2015 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 06.02.2015 Schneider (Erfurt), Carsten SPD 06.02.2015 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 06.02.2015 Strothmann, Lena CDU/CSU 06.02.2015 Ulrich, Alexander DIE LINKE 06.02.2015 Vaatz, Arnold CDU/CSU 06.02.2015 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 06.02.2015 Weber, Gabi SPD 06.02.2015 Werner, Katrin DIE LINKE 06.02.2015 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 06.02.2015 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Ge-schäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Ausschuss für Gesundheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Bericht der Bundesregierung über die Situation der Versorgung der Bevölkerung mit Geweben und Ge-webezubereitungen Drucksachen 18/2261, 18/2530 Nr. 8 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Dritter Bodenschutzbericht der Bundesregierung Drucksachen 17/14044, 18/641 Nr. 15 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur städtebaulichen Wir-kungsweise des § 11 Absatz 3 der Baunutzungsverord-nung Drucksachen 18/1922, 18/2530 Nr. 1 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 der Bundesregie-rung Drucksachen 18/3484, 18/3617 Nr. 2 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationaler Bildungsbericht – Bildung in Deutschland 2014 und Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 18/2990 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/2845 Nr. A.2 Ratsdokument 13040/14 Drucksache 18/3218 Nr. A.2 Ratsdokument 14617/14 Finanzausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.62 Ratsdokument 12991/13 Drucksache 18/3477 Nr. A.1 EUFIN 318/2014 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/822 Nr. A.28 Ratsdokument 5654/14 Drucksache 18/822 Nr. A.31 Ratsdokument 6351/14 Drucksache 18/822 Nr. A.32 Ratsdokument 6714/14 Drucksache 18/822 Nr. A.33 Ratsdokument 6806/14 Drucksache 18/1393 Nr. A.35 Ratsdokument 8177/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.58 Ratsdokument 12116/14 Drucksache 18/2935 Nr. A.5 Ratsdokument 13428/14 Drucksache 18/3110 Nr. A.14 Ratsdokument 14009/14 Anlagen