Plenarprotokoll 18/107 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 107. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 I n h a l t : Begrüßung der neuen Abgeordneten Dr. Karin Thissen 10229 A Tagesordnungspunkt 27: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) Drucksachen 18/4062, 18/4966 10229 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Tarifautonomie stärken – Streikrecht verteidigen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Solidarität im Rahmen der Tarifpluralität ermöglichen – Tarifeinheit nicht gesetzlich regeln Drucksachen 18/4184, 18/2875, 18/4966 10229 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS 10229 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 10231 A Martina Stamm-Fibich (SPD) 10232 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) 10233 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10234 C Bernd Rützel (SPD) 10236 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) 10237 B Stephan Stracke (CDU/CSU) 10238 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 10238 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10240 B Ralf Kapschack (SPD) 10241 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10242 A Rudolf Henke (CDU/CSU) 10242 C Wilfried Oellers (CDU/CSU) 10244 A Namentliche Abstimmung 10245 C Ergebnis 10249 C Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport Drucksache 18/4898 10245 D Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 10246 A Dr. André Hahn (DIE LINKE) 10247 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV 10251 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10253 D Reinhard Grindel (CDU/CSU) 10255 B Frank Tempel (DIE LINKE) 10257 D Dagmar Freitag (SPD) 10258 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10260 C Reinhard Grindel (CDU/CSU) 10262 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 10262 D Dr. Eva Högl (SPD) 10264 B Dieter Stier (CDU/CSU) 10265 C Michaela Engelmeier (SPD) 10267 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10267 D Karin Strenz (CDU/CSU) 10269 B Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Dr. Konstantin von Notz, Nicole Maisch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Verbesserung der Transparenz und der Bedingungen beim Scoring -(Scoringänderungsgesetz) Drucksache 18/4864 10270 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10270 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 10272 A Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10273 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 10274 B Gerold Reichenbach (SPD) 10275 B Marian Wendt (CDU/CSU) 10277 B Metin Hakverdi (SPD) 10278 C Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Wohngeldrechts und zur Änderung des Wohnraumförderungsgesetzes (WoGRefG) Drucksache 18/4897 (neu) 10279 D Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB 10280 A Heidrun Bluhm (DIE LINKE) 10280 D Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) 10282 A Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 10283 A Ulli Nissen (SPD) 10284 B Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) 10285 A Ulrich Hampel (SPD) 10286 A Artur Auernhammer (CDU/CSU) 10286 D Tagesordnungspunkt 31: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus der Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2014 und Bilanzierung des Ausbaus durch das Kinderförderungsgesetz (Fünfter Bericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes) Drucksache 18/4268 10287 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbau und Qualität in der Kinderbetreuung vorantreiben – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Qualität in der frühkindlichen Bildung fördern Drucksachen 18/2605, 18/1459, 18/4368 10288 A Caren Marks, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ 10288 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 10289 A Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 10290 B Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 10291 A Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10292 C Sönke Rix (SPD) 10293 D Bettina Hornhues (CDU/CSU) 10295 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) 10296 B Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Fünf-Punkte-Programm zur Bekämpfung und Vermeidung von Langzeiterwerbslosigkeit Drucksachen 18/3146, 18/4967 10298 A Dr. Matthias Bartke (SPD) 10298 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 10299 B Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) 10300 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10301 C Jutta Eckenbach (CDU/CSU) 10302 C Michael Gerdes (SPD) 10303 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) 10305 A Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur Änderung der Klimaschutzziele im Bereich alter Kohlekraftwerke 10306 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10306 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 10307 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 10308 C Bernd Westphal (SPD) 10309 C Andreas Jung (CDU/CSU) 10310 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 10311 C Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi 10312 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10315 B Ulrich Petzold (CDU/CSU) 10316 C Klaus Mindrup (SPD) 10317 C Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) 10318 D Hubertus Heil (Peine) (SPD) 10319 C Matern von Marschall (CDU/CSU) 10320 D Nächste Sitzung 10321 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 10323 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Anja Hajduk, Dieter Janecek, Kordula Schulz-Asche und Dr. Valerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tagesordnungspunkt 27 a) 10323 D Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der nament-lichen Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tagesordnungspunkt 27 a) 10324 A Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) 10324 B Xaver Jung (CDU/CSU) 10325 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 10325 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) 10325 B Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) 10325 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 10325 D Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) 10326 B Ulli Nissen (SPD) 10326 B Tankred Schipanski (CDU/CSU) 10326 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) 10327 A Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 10327 B Barbara Woltmann (CDU/CSU) 10327 B Emmi Zeulner (CDU/CSU) 10327 C Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) 10327 D Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 10328 B Inhaltsverzeichnis 107. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich. Wie Sie wissen und auch miterlebt haben, ist gestern der Kollege Hans-Peter Bartels als Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages vereidigt worden. Er hat deshalb sein Bundestagsmandat niedergelegt. Für ihn ist die Kollegin Dr. Karin Thissen nachgerückt, die ich im Namen des Hauses herzlich begrüßen möchte. (Beifall) Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit, Frau Thissen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) Drucksache 18/4062 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/4966 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Tarifautonomie stärken – Streikrecht verteidigen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Solidarität im Rahmen der Tarifpluralität ermöglichen – Tarifeinheit nicht gesetzlich regeln Drucksachen 18/4184, 18/2875, 18/4966 Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen, sodass sich bitte all diejenigen, die noch nicht im Plenum sind, aber diese Ansagen verfolgen, darauf einrichten mögen, dass diese namentliche Abstimmung vermutlich in gut einer Stunde stattfindet. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, für diese Aussprache 60 Minuten vorzusehen. Darf ich fragen, ob darüber Einvernehmen besteht? – Das ist der Fall. Dann haben wir das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundesministerin Andrea Nahles das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ein Betrieb – ein Tarifvertrag: Dieser Grundsatz hat in Deutschland eine lange Tradition und, wie ich finde, eine gute. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 60 Jahre lang hat unser Land von der Tarifeinheit profitiert. 60 Jahre lang haben sich die Gewerkschaften von einer Idee leiten lassen: Gemeinsam sind wir stärker als gegeneinander. Über Jahrzehnte führte die Tarifeinheit dazu, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber ihre jeweiligen Interessen durchsetzen und dabei doch immer auch den Ausgleich im Blick behalten konnten. Dieser Ausgleich ist ein echter Standortvorteil für Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was wir seit 2010, seit der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zur Tarifeinheit, beobachten, macht vielen Menschen Sorgen. Arbeitgeber und der Deutsche Gewerkschaftsbund haben sich sofort gemeldet und die Bundesregierung direkt nach dieser Gerichtsentscheidung aufgefordert, die Tarifeinheit per Gesetz wiederherzustellen. Beide Seiten wollen die -Tarifeinheit; denn sie wissen um den Wert des sozialen Friedens in den Betrieben. Beide Seiten wollen die Tarifeinheit, weil sie Tarifkollisionen vermeiden wollen; denn Tarifkollisionen gefährden die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen haben wir vereinbart, hier eine Lösung vorzulegen. Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es, das Funktionieren der Tarifautonomie sicherzustellen und der So-zialpartnerschaft Raum und Regeln zu geben. Für uns ist klar: Das Koalitionsrecht und das Streikrecht tasten wir nicht an. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch überhaupt nicht! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Etikettenschwindel! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Die Tarifparteien bleiben uneingeschränkt in der Verantwortung „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“, wie es das Grundgesetz in Artikel 9 festlegt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manchmal muss gekämpft und manchmal muss gestreikt werden; auch wenn es am Ende immer einen Kompromiss geben muss, ist dies notwendig. In der Geschichte der Bundesrepublik haben wir immer wieder gesehen, dass Gewerkschaften nicht nur für ihre Mitglieder gestreikt haben, sondern auch, um gesellschaftlichen Fortschritt zu erreichen. Gesellschaftlicher Fortschritt und soziale Errungenschaften kommen eben nicht von alleine. Streiks und Arbeitskämpfen haben wir zu verdanken, dass wir Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitszeitverkürzung und Gesundheitsschutz, Weiterbildung und ganz moderne Ansätze zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen haben. Und deswegen steht das Streikrecht überhaupt nicht in Rede, um es ganz klar zu sagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Tarifautonomie ist allerdings gleichfalls nicht irgendetwas, sondern sie ist ein wichtiges Verfassungsgut. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in diesem Zusammenhang möchte ich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zitieren: Die Tarifautonomie ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Dieser vom Bundesverfassungsgericht klar beschriebene Gedanke des kollektiven Handelns wird ad absurdum geführt, wenn die streikmächtigen Berufsgruppen ihr Streikrecht nur für sich selbst einsetzen und nicht zum Wohle der gesamten Belegschaft. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Mit dem Tarifeinheitsgesetz setzen wir genau hier an. Tarifeinheit stärkt die Grundlagen gewerkschaftlicher Interessenvertretung in Deutschland. Tarifeinheit stärkt die Tarifautonomie. Mehr kann die Politik aber nicht tun. Es sind die Sozialpartner, die mit ihren Rechten eben auch verantwortlich umgehen müssen. Und deswegen freue ich mich, dass die Tarifauseinandersetzung bei der Bahn nun – wenn auch spät – zumindest auf dem richtigen Gleis ist. Das ist genau im Sinne der Tarifeinheit, das ist der Sinn unseres Gesetzes: Wir setzen auf Kooperation und Einigung, meine Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich möchte auf den Vorwurf eingehen, wir wollten mit dem Gesetz zur Tarifeinheit kleine Gewerkschaften wegräumen. Diese Behauptung hat weder Hand noch Fuß. Schauen wir zum Beispiel einmal auf die GDL: Die Gewerkschaft der Lokführer gibt es seit 1867. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Sie ist eine der ältesten Gewerkschaften überhaupt in Deutschland. Wer würde heute behaupten, sie habe 60 Jahre Tarifeinheit nicht gut überstanden, meine lieben Kolleginnen und Kollegen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Tarifeinheit läuft nicht auf das Ende für kleine Gewerkschaften und Berufsverbände hinaus. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern?) Viele zeigen doch seit Jahrzehnten, wie es gut laufen kann mit der Kooperation. Was der Deutsche Beamtenbund und Verdi zusammen tun, das ist doch ein gutes Beispiel. Ihre Tarifgemeinschaft funktioniert und nutzt beiden. Das kann auf der Basis dieses Gesetzes genauso weitergehen. Sie sind gemeinsam stärker als gegeneinander. Das ist der entscheidende Punkt, und das hat über Jahrzehnte funktioniert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE]) Darum vollenden wir mit dem heutigen Gesetz auch unser Vorhaben, der Tarifautonomie wieder Raum zu geben und die Sozialpartnerschaft in Deutschland zu stärken. Mit dem Tarifpaket, mit dem Mindestlohn haben wir an diesem Ziel gebaut; mit der Tarifeinheit schließen wir diesen wichtigen Bau für diese Legislaturperiode ab. Wir halten damit Wort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben ein sorgfältig erarbeitetes, breit diskutiertes und breit getragenes Gesetz vorgelegt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen aber nicht alle Experten so!) Es basiert auf dem Prinzip der Subsidiarität, und es fußt auf dem demokratischen Mehrheitsprinzip. Denn Vorrang hat immer: Gewerkschaften und Arbeitgeber einigen sich untereinander ohne staatliches Eingreifen, aber unter Einhaltung demokratischer Regeln. Das ist der Vorschlag, den wir unterbreiten. Es zeigt, dass wir Vertrauen haben in unsere Institutionen und Traditionen, in Kooperation und Kompromissfähigkeit, Koalitionsfreiheit und Verantwortung. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist doch jetzt eingeschränkt!) Darum geht es. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke erhält nun der Kollege Klaus Ernst das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, ich habe den Eindruck, Sie haben eben Tante Nahles’ Märchenstunde eingeläutet. Schon der Titel Ihres Gesetzentwurfs ist purer Etikettenschwindel. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht Ihnen nicht darum, dass in einem Betrieb nur noch ein Tarifvertrag gilt, also um die Tarifeinheit. Wenn Sie das wirklich wollten, dann müssten Sie die Regelungen bei der Leiharbeit und bei den Werkverträgen ändern. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie müssten den Betriebsräten mehr Rechte geben, wenn Betriebe verlagert und Tarifverträge ausgehebelt werden. Sie müssten die Verbände an die Kandare nehmen, die keine Tarifbindung wollen. Aber das, was Sie hier machen, das ist ein Skandal! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der SPD) Alles bleibt, wie es ist. Sie ändern überhaupt nichts! Es kümmert Sie nicht, dass die Menschen ohne Tarifverträge arbeiten. Das ist eine Täuschung der Öffentlichkeit, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Nicht so aufregen, Ernst! Das schadet deiner Gesundheit!) Wenn Sie alles das, was ich eben angesprochen habe, wirklich wollen, dann sorgen Sie endlich für entsprechende Regelungen. Machen Sie Ihre Hausaufgaben, Frau Nahles! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD) – Ja, Sie regen sich auf, aber diskutieren Sie das lieber in Ihren eigenen Reihen. Was will das Gesetz wirklich? Das Gesetz sieht eine Einschränkung des Streikrechts kleiner Gewerkschaften vor. Das ist es, was Sie hier vorlegen, Frau Nahles! Ich möchte den Kollegen Detlef Hensche zitieren, den früheren Vorsitzenden der IG Medien: Das Gesetz zielt nach Inhalt und Begründung unübersehbar auf die Aktivität streikfähiger und streikbereiter Berufsverbände. Sie sollen rechtlich diszipliniert und ruhiggestellt, ja um ihre Existenzberechtigung gebracht werden. Das ist es, was Sie vorlegen, und nichts anderes, Frau Nahles. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sind natürlich nicht so dumm, im offenen Kampf einfach das Streikrecht einzuschränken; das ist doch klar. Sie machen es anders. Sie sagen: Der Tarifvertrag einer kleinen Gewerkschaft gilt nicht, wenn eine größere Gewerkschaft einen Tarifvertrag abgeschlossen hat. Streiks wären dann aber unzulässig, weil ein Streik nur dann rechtlich zulässig ist, wenn er der Erzielung eines Tarifvertrags gilt. Da die kleinere Gewerkschaft aber keinen Tarifvertrag abschließen kann, ist der Streik automatisch unzulässig. Das ist der Trick, mit dem Sie die Öffentlichkeit täuschen, Frau Nahles. Genau so ist es! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre Regierung gibt das inzwischen sogar zu. Ich möchte Ihre Staatssekretärin zitieren – es war sehr erhellend, was Frau Kramme gesagt hat –: Die Prüfung eines Streiks durch ein Gericht kann ergeben, dass dieser unverhältnismäßig sein kann, soweit ein Tarifvertrag erzwungen werden soll, dessen Inhalte evident nicht zur Anwendung kommen. So in der Süddeutschen Zeitung. – Damit schränken Sie das Streikrecht ein, und das weiß auch jeder. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! – Widerspruch bei der SPD) Mich ärgert ganz besonders, dass die Sozialdemokraten dies wissen. Einige von Ihnen sind Gewerkschafter, die ich seit 20, 30 Jahren kenne. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich weiß doch, wie ihr diskutiert habt. Ich kann nicht verstehen, dass die SPD da mitmacht. Mein Gott, das ist ein Trauerspiel, was die SPD in dieser Republik abzieht. Ein Trauerspiel! (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der SPD) Dabei wäre die Sache ganz einfach. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Ernst, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Klaus Ernst (DIE LINKE): Ja, selbstverständlich. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das ist ja ganz hervorragend. Klaus Ernst (DIE LINKE): Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp? Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön, Frau Kollegin Stamm-Fibich. Martina Stamm-Fibich (SPD): Herzlichen Dank, dass Sie mir die Zwischenfrage erlauben, bevor es ganz emotional wird. – Wie ich annehme, gehören Sie und ich der gleichen Gewerkschaft an, nämlich der IG Metall, und ich glaube, wir sind auch Mitglied im gleichen Bezirk in Bayern. Ich kann die ganze Aufregung nicht ganz verstehen, da gerade die Gewerkschaft, der wir beide angehören, uns heute zur Seite steht und sagt: Jawohl, das ist gut, was ihr tut. Wollen Sie jetzt behaupten, dass die IG Metall die kleinen Gewerkschaften zerstört? Das möchte ich gern wissen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herzlichen Dank für diese Frage. Ich bin geradezu dankbar dafür; denn das gibt mir Gelegenheit, eine zweite Rolle dieses Gesetzes zu erläutern. Dieses Gesetz spaltet den DGB. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Oh!) Ich möchte Ihnen das auch begründen. Dieses Gesetz spaltet den DGB; denn eine große Gewerkschaft, nämlich Verdi, lehnt es in Bausch und Bogen ab. (Zurufe von der SPD) Nun sage ich Ihnen noch etwas zu meiner Gewerkschaft, der IG Metall. Ich weiß, dass sich der Vorstand der IG Metall in dieser Frage auf dünnem Eis bewegt, weil viele Funktionäre und viele Mitglieder der IG Metall das ganz anders sehen, als dies die IG Metall nach außen darstellt, meine Damen und Herren. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Na ja!) Ich sage Ihnen noch etwas: Dass ausgerechnet die SPD ein Gesetz macht und sich auf den DGB beruft – – Wie ich sehe, haben Sie sich wieder hingesetzt, Frau Kollegin. Gut, dann höre ich mit der Antwort auf und fahre einfach fort. Dabei ist alles ganz einfach. Wie war der Spruch? Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Dann schauen wir uns doch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz einmal an: Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Für alle Berufe, auch für Lokführer, Piloten und Ärzte. Was muss man da eigentlich noch groß diskutieren? Das steht doch ganz einfach dort drin. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht weiter: Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Genau eine solche Maßnahme führen Sie hier durch, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Übrigen: Dass Sie uns trotz dieser eindeutigen Formulierung im Grundgesetz ein solches Gesetz vorlegen, ist eigentlich eine Zumutung. Ich möchte einen Vergleich bringen, damit deutlich wird, was Sie hier machen. Ich weiß nicht, ob sich der eine oder andere für Skisport interessiert. Da gibt es einen Parallelslalom. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Da fahren zwei gleichzeitig los, und wer der Schnellere ist, hat gewonnen. Was Sie aber machen, würde bedeuten: Es wird nach dem Zieleinlauf geprüft, (Katja Mast [SPD]: Ob er gedopt war!) welcher Skifahrer eigentlich im größeren Skiverband ist. Wer Mitglied im größeren Verband ist, gewinnt automatisch; der andere braucht gar nicht erst anzutreten. Genau das ist Ihr Gesetz, und genau deshalb sagen wir: Das widerspricht dem Grundgesetz und hat mit der Realität in unserem Lande nichts zu tun. Ganz zum Schluss: Unser Grundgesetz hat ein Prinzip – ich habe einmal nachgeschaut –: 36-mal steht in unserem Grundgesetz das Wort „Freiheit“. 36-mal! Mit dem, was Sie hier tun, schränken Sie nicht nur das Streikrecht ein. Sie schränken auch einen wesentlichen Grundsatz unserer Verfassung ein: die Freiheit. Genauso wie es die Freiheit gibt, einen Beruf auszuüben, ein Gewerbe zu betreiben, haben die Arbeitnehmer auch das Recht, sich dort zu organisieren, wo sie wollen, und dann müssen sie auch dieselben Rechte haben – in der einen und in der anderen Gewerkschaft. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum legen wir dieses Gesetz vor? In Deutschland bezog man sich 56 Jahre lang auf den früheren Präsidenten des Bundesarbeitsgerichtes, Herrn Nipperdey, zur Tarifeinheit. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ein paar Tausend Jahre war die Erde eine Scheibe!) Es hat in dieser ganzen Zeit nur fünf Gerichtsentscheide zu Konflikten gegeben, und diese Gerichtsentscheide haben sich auf Herrn Nipperdey bezogen. Es war klar: In einem Betrieb soll ein Tarifvertrag für ein und dieselbe Personengruppe, für ein und dieselbe Berufsgruppe gelten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es war ein anderes Prinzip!) Nach der Aufgabe dieser Position durch das Bundesarbeitsgericht 2010 wurde es aus Sicht der Tarifpartner, des DGB und der BDA, notwendig, dem Wunsch, dass in Zukunft weiterhin in einem Betrieb ein Tarifvertrag für ein und dieselbe Personengruppe gilt, eine rechtliche Grundlage zu geben. Dabei war allen Beteiligten im Rahmen dieses Prozesses seit 2010 klar, dass wir zwar einen solchen Schritt versuchen können, wir ihn aber nicht – ebenso wenig die Zusammenarbeit in den Betrieben – befehlen können. Deswegen hat dieser Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt, das eigentliche Ziel, Frieden in den Betrieb hineinzubringen und Stufen zu schaffen, wie man sich bei unterschiedlicher Auffassung verständigen kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf spalten wir nicht, mit diesem Gesetzentwurf einen wir, (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und mit diesem Gesetzentwurf schaffen wir Strategien, die Gewerkschaften in einem Betrieb anwenden können, um gemeinsame Positionen zum Wohle der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Belegschaft zu vertreten. (Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Artikel 9 Absatz 3 unserer Verfassung sichert den Bürgerinnen und Bürgern das Recht zu, Berufsgewerkschaften zu gründen, Gewerkschaften für einen Betrieb, für eine Fläche, für eine Branche. Dieses hohe Freiheitsgut darf auf keinen Fall angetastet werden! (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie sind gegen das Gesetz?) Auf der anderen Seite aber steht ein anderes Gut. Das ist das hohe Gut des Betriebsfriedens, ein hohes Kulturgut, das uns in Deutschland 65 Jahre Frieden und Wohlstand gebracht hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die hohe Prosperität unseres Landes geht auf diese Übereinkunft zurück. Mit dem Gesetz, das heute zur Verabschiedung vorliegt, geht es nicht darum, Wege zu finden, wie man kleine Gewerkschaften vor die Tür setzt, sondern darum, Treppen zu bauen, wie man sich innerhalb eines Betriebes verständigen kann – ohne dass das Gesetz befielt, wie das zu erfolgen hat. Deswegen greift dieses Gesetz auch nicht in das Streikrecht ein und schreibt auch Lösungsmechanismen nicht zwingend vor, sondern bietet Lösungen an, eröffnet Wege. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wege gibt es heute schon! Das ist alles heute auch schon möglich! Da wäre das Gesetz überhaupt nicht notwendig!) Es ist Aufgabe der Tarifpartner, diese Wege zu gehen, zum Wohle der Belegschaft und zum Wohle des Betriebes. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Ursache dieses Gesetzes sind also nicht Streiks, die im Augenblick stattfinden. Ich freue mich mit allen Beteiligten, dass offensichtlich jetzt endlich bei der Deutschen Bahn eine Schlichtung möglich ist. Aber dieses Gesetz regelt diese Schlichtung nicht, sondern es ist Aufgabe der Tarifpartner, dies zu tun, und sie wählen auch ihre Leute aus, mit denen sie das machen wollen. Es tut mir leid, aber ich muss den Hinweis geben: Ich habe mich gestern Abend, als ich die Nachrichten sah, schon sehr gewundert, dass einer der Schlichter, Herr Ramelow, seine Schlichtung damit beginnt, dass er erst einmal einen anderen, der Beteiligter in der Schlichtung ist, heftig beschimpft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube nicht, dass das ein Weg ist, den man gehen kann. Herr Ramelow hatte auch kein Recht, zu behaupten – wie er es gestern Abend im Fernsehen getan hat –, es ginge bei dem heute zu verabschiedenden Tarifeinheitsgesetz um die Bekämpfung einer Gewerkschaft. (Widerspruch bei der LINKEN) Damit irrt er sich. Ich finde es nicht klug – ich sage das mal sehr vorsichtig, aus Sicht der Politik –, in dieser Form Schlichtungen zu beginnen. Ich wünsche nur, dass dies kein Hindernis sein wird, zu einem guten Ergebnis zu kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Was regelt das Gesetz? Das Gesetz regelt zunächst einmal in einem ersten Teil, dass die Gewerkschaften die Möglichkeit haben, sich untereinander abzustimmen, wer eventuell für welche Berufsgruppe zuständig ist – eine jahrzehntelange Praxis, die sich bewährt hat, die auf das Prinzip der Tarifeinheit zurückgeht und auch hilft, diese zu organisieren. Mit diesem Gesetz beschreiben wir dies als einen wichtigen Weg. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür brauchen Sie das Gesetz nicht!) Das Zweite: Es besteht die Möglichkeit, gemeinsam zu verhandeln und gemeinsam Tarifverträge abzuschließen, wie es zum Beispiel im öffentlichen Dienst oder bei Journalisten üblich ist. Im Falle von zwei Gewerkschaften, die für dieselben Berufsgruppen Tarifverträge abschließen wollen, kann unter dem Dach einer Organisation – zum Beispiel des DGB – eine Übereinstimmung erzielt und eine gemeinsame Position organisiert werden. Ich halte dies für einen vernünftigen und klugen Weg. Ein Eingriff in das Streitrecht erfolgt nicht. Sollte am Ende der Tage, wenn alle Einigungsversuche nicht greifen, der Streik einer kleineren Gewerkschaft wirklich als unverhältnismäßig angesehen werden, was in der Geschichte der Rechtsprechung zu Tarifgesetzen in Deutschland oft vorgekommen ist – die Gerichte haben dann gesagt, ein Streik sei nicht angemessen –, dann wäre das überhaupt keine neue Entwicklung in diesem Rechtsgebiet. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Gesetzentwurf setzt ein neues Kriterium dafür!) Ob das so kommt, werden auch in Zukunft die Gerichte zu entscheiden haben. Im Lichte der Auswirkungen der rechtlichen Grundlagen und der Rahmenbedingungen, unter denen ein solcher Streik stattfindet, werden sie darüber zu urteilen haben, ob er gerechtfertigt ist oder nicht. Es geht aber auf keinen Fall darum, kleine Gewerkschaften auszuschließen und ins Streikrecht einzugreifen. (Zurufe von der LINKEN: Nein!) Es geht darum, das Ganze zu einem guten Miteinander in den Betrieben zu führen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Schauen wir nun auf den weiteren Weg dieses Gesetzentwurfs. Wir warten mit Gelassenheit ab, was sich da jetzt tut. Da wir wussten, dass es darauf ankommt, eine verfassungskonforme Regelung zu finden, legen wir eine solche vor. Ich weiß aber auch – das ist angekündigt worden –, dass es zu einem Verfahren kommen wird. Ich kann mich nur über alle die wundern, die sagen, das sei nicht verfassungskonform. In den Anhörungen zu diesem Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag wurden die unterschiedlichsten Positionen dargelegt. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch überhaupt nicht!) – Herr Kollege, Sie waren überhaupt nicht da. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Diese unterschiedlichsten Positionen werden abzuwägen sein. Wir sehen dem mit Gelassenheit entgegen und bleiben dabei: Uns geht es um die Koalitionsfreiheit, die in Artikel 9 unserer Verfassung geregelt ist, und es geht uns um den Betriebsfrieden. Letztendlich geht es um Demokratie, um Freiheit und um Prosperität in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Hofreiter das Wort. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Jetzt kommt die schlechteste Rede!) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Tarifeinheitsgesetz, also ein Gesetz, das sich mit der Tarifautonomie beschäftigt, sollte eigentlich das hohe Gut der Tarifautonomie schützen; (Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig! Macht es ja!) denn die Tarifautonomie ist ein zentraler Bestandteil unserer sozialen Marktwirtschaft. Jetzt schauen wir doch einmal ins Grundgesetz hinein. Da gibt es den Artikel 9 Absatz 3. Darin ist ganz klar geregelt, dass für jedermann gewährleistet ist, Vereinigungen zu bilden, und zwar für alle Berufsgruppen. Darin steht überhaupt nichts davon, dass es pro Betrieb nur eine Gewerkschaft geben soll. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie verstehen das nicht! – Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist völliger Unsinn! Absoluter Unsinn! – Weitere Zurufe von der SPD) Frau Ministerin und Herr Vorredner, Sie reden hier immer nur davon, dass das Streikrecht und die Koalitionsfreiheit nicht eingeschränkt werden sollen. Man muss einfach einmal in den Gesetzentwurf hineinschauen. Das stimmt schlichtweg nicht. Sie wollen das Streikrecht und die Koalitionsfreiheit einschränken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Wo steht das denn? Zitieren Sie doch einmal den Gesetzestext, wo das steht!) Es hat auch eine gewisse Logik, dass Sie das Streikrecht und die Koalitionsfreiheit einschränken wollen. Warum hat das eine gewisse Logik? Das ist ganz einfach: Wenn Sie das nicht einschränken wollen würden, dann würde Ihr Tarifeinheitsgesetz komplett ins Leere laufen. Was ist nämlich das Ziel des Ganzen? Sie wollen bestimmte Streiks von kleineren Gewerkschaften verunmöglichen. Das ist das Ziel dieses Gesetzentwurfs. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Es steht doch gar kein Wort von Streik im Gesetzentwurf!) Man muss sich einfach einmal die Geschichte dieses Gesetzentwurfs anschauen. Bei der sogenannten Tarifeinheit, die wir über 60 Jahre hatten, gab es ein anderes Prinzip. Es war nämlich nicht so, dass in den vergangenen 60 Jahren das Prinzip Ihres Tarifeinheitsgesetzes, nämlich das Mehrheitsprinzip, gegolten hat. Der Effekt der alten Tarifeinheit war, dass letztendlich die spezielleren Gewerkschaften, insbesondere sogenannte christliche Gewerkschaften, das Tarifniveau nach unten ziehen konnten. Jetzt, unter der neuen Regelung, können kleinere Gewerkschaften das Tarifniveau insgesamt nach oben ziehen. Da verstehe ich, dass die Arbeitgeber, da verstehe ich, dass der Wirtschaftsflügel versucht, diese Möglichkeit einzuschränken. (Dagmar Ziegler [SPD]: Und der DGB! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Und der DGB!) Es ist logisch, dass sie dagegen kämpfen, dass das Tarifniveau nach oben gezogen wird; ich habe volles Verständnis dafür. Aber wofür ich überhaupt kein Verständnis habe, ist, dass die SPD da mitmacht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Und der DGB!) dass der Arbeitnehmerflügel der CDU da mitmacht. Was fällt Ihnen eigentlich ein? Wir haben jetzt die Situation, dass das Tarifniveau wieder nach oben gezogen wird. (Dagmar Ziegler [SPD]: Ihnen passt es nicht, dass die Gewerkschaften auf unserer Seite sind!) Und wer steht an vorderster Front und sorgt dafür, dass das Tarifniveau nicht mehr nach oben gezogen wird? Die SPD steht an vorderster Front. Schämen Sie sich eigentlich nicht für dieses Verhalten? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dann kommt auch noch hinzu, dass das Gesetz das Gegenteil von Tarifeinheit bewirkt. (Dagmar Ziegler [SPD]: Sie sind gegen die Aussagen des DGB! Schämen Sie sich!) Was bewirkt dieses Gesetz denn, so wie es gestaltet ist? Sie wissen ganz genau, dass „ein Betrieb“ nicht leicht zu definieren ist. Die DB AG zum Beispiel besteht nach Ihrem Gesetz aus 300 Betrieben. Wozu führt das? Die Gewerkschaften kämpfen natürlich verbissen darum, in jedem einzelnen Teilbetrieb die größere Gewerkschaft zu sein. Das heißt, Sie verschärfen den Tarifkonflikt noch; denn die Gewerkschaften versuchen, in jedem einzelnen Teilbetrieb möglichst groß zu werden. Den Effekt haben wir gesehen: Wir hatten neun Streiks der GDL. Diese neun Streiks haben Sie als Große Koalition mit der Ankündigung des vorliegenden Gesetzes verschärft und deshalb mit zu verantworten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Stehlen Sie sich doch nicht einfach aus der Verantwortung, und tun Sie nicht so, als wenn Sie nichts damit zu tun hätten! Man muss mit einer gewissen Verwunderung feststellen, dass der Vorstand der DB AG und Herr -Weselsky vernünftiger sind als die Vertreter der Großen Koalition. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Wie witzig! Das ist ja was ganz Neues!) Wir wissen natürlich nicht hundertprozentig, ob es verfassungswidrig ist. Ich selbst bin kein Jurist; aber ich habe keinen unabhängigen Juristen getroffen, der gesagt hat: Dieses Gesetz ist verfassungskonform. – Das Beste, was sie sagen konnten, war: Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, ob es verfassungswidrig ist. – Ich meine: Wo sind wir denn? Wir verabschieden hier Gesetze, (Dagmar Ziegler [SPD]: Ihre Zeit ist um!) bei denen man sich nicht hundertprozentig sicher ist, (Dagmar Ziegler [SPD]: Ihre Zeit ist um!) ob sie verfassungswidrig sind. (Katja Mast [SPD]: Vier Minuten!) Jetzt kann man sagen, die Union hat darin Übung: die Erbschaftsteuer von Karlsruhe kassiert, (Dagmar Ziegler [SPD]: Herr Präsident, seine Zeit ist um! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Frechdachs!) die Vorratsdatenspeicherung von Karlsruhe kassiert, beim Betreuungsgeld sieht es auch schlecht aus, es wird wahrscheinlich auch von Karlsruhe kassiert. Ja, wie sieht es denn aus mit der Verfassungstreue der Union? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Was ist denn da eigentlich los bei der Union? Wieso machen Sie denn so was? Dieses Gesetz – das ist so was von eindeutig – ist anti-solidarisch, es schadet dem Betriebsfrieden, es schadet der Solidarität in den Betrieben, es ist verfassungswidrig. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deswegen: Lehnen Sie es ab! Zumindest jeder einzelne Jurist hier im Parlament muss das Gesetz ablehnen; denn er weiß, was da drinsteht und was es mit unserer Verfassung macht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bernd Rützel ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernd Rützel (SPD): Herr Dr. Hofreiter, Sie haben wohl übersehen, dass dieses Tarifeinheitsgesetz einer Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbunds entspricht. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und? Ich bin Mitglied bei Verdi! Verdi ist da offen und ehrlich! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach so, Sie sind Mitglied bei Verdi! Jetzt ist alles klar!) Wenn Sie das nicht glauben, können Sie es in einem Kommentar im Handelsblatt nachlesen; er ist noch gar nicht so alt. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht und dieses auch noch alleine isst, dann bleiben all diejenigen hungrig, die das nicht können oder um die sich niemand kümmert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb haben vor über 70 Jahren – es war noch Krieg, es war am 18. März 1945 in Aachen, im bereits befreiten Aachen – 80 Männer und Frauen die Einheitsgewerkschaft gegründet. Der legendäre Aufruf „Schafft die Einheit!“ war ursprünglich gedacht – das gilt bis heute – zur Überwindung der weltanschaulichen und politischen Spaltung der Gewerkschaftsbewegung. Standesunterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten sollten keine Rolle mehr spielen. Ein Betrieb, eine Gewerkschaft – das war die Devise. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dies galt – das kann man nicht wegdiskutieren – 65 Jahre lang, bis 2010. Über sechs Jahrzehnte hat diese Tarifeinheit unser Land stark gemacht. (Thomas Oppermann [SPD]: Richtig! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber eine andere Tarifeinheit! Das hatten wir gestern Abend schon!) In den Betrieben haben die Stärkeren für die Schwächeren gekämpft. Sie haben gestritten, sie haben gestreikt, und – das ist wichtig – die Betriebe konnten sich nach einem Tarifkonflikt – so schlimm er auch gewesen sein mag – immer wieder befrieden und ihrem Geschäft nachgehen. Dieser Befriedungsprozess ist ganz wichtig. Wir haben heute von der Bundesministerin Andrea Nahles bereits gehört – Karl Schiewerling hat es auch gesagt –, wie wichtig er ist. Es gab schon immer viel Verständnis für Streiks. Das ist auch heute noch so, und das ist auch gut so. Das ist ein Grundrecht. Es ist verbrieft. Dieses Grundrecht – Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz – werden wir niemals angreifen, auch wenn das hundertmal erzählt wird; das ist falsch. Es ist für uns wichtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Als das Bundesarbeitsgericht 2010 in seiner Rechtsprechung vom Grundsatz der Tarifeinheit abgerückt ist, freute sich vielleicht so mancher darüber und meinte, dass er nun sein eigenes Süppchen kochen kann, vielleicht nach dem Motto: Zeigen wir denen mal, wo der Hammer hängt. – Viele Forderungen der Gewerkschaften und der Verbände mögen vielleicht berechtigt sein. Die Gewerkschaften haben Bestand; einige gibt es seit über hundert Jahren. Die GDL zum Beispiel ist die älteste Gewerkschaft, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) und das ist auch gut so. Sie ist stark, und das ist auch gut so. Aber die Entsolidarisierung innerhalb der Gewerkschaftsbewegung hilft niemandem. Die hilft nicht den Unternehmen, die hilft nicht der Bevölkerung, und die hilft schon gar nicht den abhängig Beschäftigten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die sehen das aber selber anders!) Ich bin ganz sicher, dass unser Gesetz dazu beiträgt – das ist wichtig; das ist heute schon ein paarmal gesagt worden –, dass es wieder mehr Tarifgemeinschaften geben wird, dass man sich zusammentut, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kooperationen sind die Regel! Es ist genau andersherum!) dass es klare Zuständigkeiten gibt und geklärt wird, wer denn für wen verhandelt, und dass kleinere Gewerkschaften Tarifverträge nachzeichnen können, so wie sie das schon jahrzehntelang erfolgreich getan haben. Erst wenn das alles nicht fruchtet, man sich nicht einigen kann und mehrere Tarifverträge in einem Betrieb für die gleiche Beschäftigtengruppe gelten, (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Leiharbeit!) dann wird die Mehrheit eines Betriebes – das ist nämlich auch die Mehrheit der Menschen, die hinter einer Gewerkschaft stehen – entscheiden, welcher Tarifvertrag gilt. Lieber Klaus Ernst, unser Tarifeinheitsgesetz ist kein Allheilmittel. Aber es ist auch nicht der Weltuntergang. Wir haben das Tarifautonomiestärkungsgesetz beschlossen. Wir haben den Mindestlohn eingeführt. Wir haben die Allgemeinverbindlichkeit verbessert. Wir haben die Regelungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz ausgeweitet. Die jetzt an das Tarifeinheitsgesetz gerichteten Forderungen sind, glaube ich, teilweise überspannt. Aber ich freue mich auf die Debatte nach der Sommerpause, wenn wir das gemeinsam angehen. Zum Schluss möchte ich noch Folgendes anmerken: Es wird immer wieder gesagt: Das greift ins Streikrecht ein. Und: Die Koalitionsfreiheit ist in Gefahr. – Nichts davon ist der Fall. Die Verfassungsressorts, Innenministerium und Justizministerium, das Bundeskanzleramt, die Sachverständigen in der Anhörung, wie der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier, haben die Verfassungsfestigkeit unseres Tarifeinheitsgesetzes bescheinigt. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der und Waas waren auch die Einzigen! Die anderen haben das anders gesehen!) Was über sechs Jahrzehnte in Deutschland gut war, kann jetzt nicht schlecht sein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Jutta Krellmann ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Linke und als Gewerkschafterin bin ich empört darüber, (Dagmar Ziegler [SPD]: Und als Abgeordnete?) dass ausgerechnet mit der SPD die Einschränkung von Streikrecht auf den Weg gebracht wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es nicht in Ordnung, sich jetzt hinter dem DGB zu verstecken. Sie sitzen hier, nicht der DGB. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Aber Sie auch! – Weitere Zurufe von der SPD) Sie haben hier zu entscheiden, niemand anderes. Sich hinter dem DGB zu verstecken, ist nicht in Ordnung. Teilweise die gleichen Leute, die vor ein paar Jahren den DGB und seine Einzelgewerkschaften noch als Dinosaurier bezeichnet haben und dafür gesorgt haben, dass Gewerkschaften geschwächt werden, (Dagmar Ziegler [SPD]: Sie widersprechen sich von einem zum nächsten Satz!) tun jetzt so, als wäre es das Wichtigste überhaupt, das jetzt mit dem DGB gemeinsam zu tun. Das alles, was Sie da machen, ist nicht in Ordnung. Das ist eine reine Farce. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der SPD) – Sie können sich melden und mir eine Frage stellen. Ich werde sie gern beantworten. (Dagmar Ziegler [SPD]: Als was denn? Als Gewerkschaftsfrau? Als Abgeordnete? Oder als was? – Katja Mast [SPD]: Was sind Sie denn gerade?) Im Sozial- und Erziehungsbereich kämpfen derzeit Zehntausende in Tarifgemeinschaft mit den Gewerkschaften Verdi und GEW um neue Tarifverträge. Das ist normal. Dazu braucht man kein Tarifeinheitsgesetz. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei der Post wehren sich die Beschäftigten mit Streiks gegen Lohndumping. Denn ihre Verträge sollen nur dann entfristet werden, wenn sie zu DHL Delivery gehen und damit niedrigere Löhne akzeptieren. Denen hilft ein Tarifeinheitsgesetz überhaupt nichts. (Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Das hat ja auch keiner gesagt, dass das hier hilft!) Ob in der Pflege, bei Amazon oder in den Kitas: Die Leute haben die Schnauze voll und wollen für ihre Rechte uneingeschränkt streiken. Uneingeschränkt! Die Bundesregierung wollte mit Niedriglöhnen, Leiharbeit, Befristungen und Hartz IV die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben einschüchtern, uns dis-ziplinieren. (Dagmar Ziegler [SPD]: Wer ist denn „uns“?) Das klappt nicht. Als Gewerkschafterin sage ich Ihnen: Hören Sie endlich auf, einseitige Desinformation zu verbreiten und Stimmung gegen Streikende zu machen. Das gilt für die Bahn und die Post. (Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Wir sind hier nicht auf einem Gewerkschaftskongress!) Frau Nahles, Ihr Vorschlag für ein Tarifeinheitsgesetz hat schon jetzt dazu beigetragen, das Klima im Land zu vergiften. (Zurufe von der SPD: Oh!) Dabei wissen Sie ganz genau, dass hier nur noch jeder Zweite überhaupt unter einen Tarifvertrag fällt. Wir erwarten, dass Sie OT-Mitgliedschaften verbieten und die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen endlich noch weiter stärken. (Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Was heißt „endlich noch weiter“?) Wenn es Ihnen gelingt, Ihr Tarifeinheitsgesetz durchzupeitschen, dann wird das der Anfang einer Reihe von Verschlechterungen von Arbeitnehmerrechten sein. Diese werden in der Folge kommen. Deshalb erwarte ich von allen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, die hier im Bundestag vertreten sind, egal ob SPD oder CDU/CSU, dass Sie bei der namentlichen Abstimmung mit Nein stimmen werden – gegen dieses Gesetz. (Beifall bei der LINKEN) Stimmen Sie gegen dieses gewerkschaftsfeindliche Gesetz! Denn das, was hier passiert, ist eine absolute Katastrophe. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Stephan Stracke ist nun für die CDU/CSU-Fraktion der nächste Redner. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Stracke (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut. Sie zielt darauf, dass die Koalitionen selbst und eigenverantwortlich die Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen aushandeln. Sie sind für die Ordnung des Arbeitslebens zuständig. Wir gehen mit diesem hohen Gut nicht leichtfertig um, sondern verantwortungsbewusst. Verantwortungsbewusstes Umgehen heißt, dass wir den gesetzlichen Rahmen des Tarifvertragsrechts um das Element der Tarifeinheit ergänzen. Jetzt gilt ein Nebeneinander von Tarifverträgen für die gleichen Arbeitsgruppen. Früher galt jahrzehntelang der Grundsatz: ein Betrieb, ein Tarifvertrag. Das war ein Grundpfeiler des deutschen Tarifrechts. Herr Kollege Ernst, ich darf einmal aus einer Pressemitteilung zitieren: Das Bundesarbeitsgericht hat einen Grundpfeiler des deutschen Tarifrechts gekippt. Die Politik muss jetzt umgehend reagieren und die Gesetzeslücke schließen. Dieses Zitat stammt aus einer Pressemitteilung von Ihnen, Herr Ernst, vom 23. Juni 2010. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Damals waren Sie Vorsitzender der Linken. Sie haben damals die Tarifeinheit als Grundpfeiler des deutschen Tarifrechts bezeichnet, zu Recht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich darf weiter zitieren – ich bitte Matthäus Strebl schon jetzt um Entschuldigung –: Es darf nicht sein, dass etwa sogenannte Christliche Gewerkschaften Gefälligkeitstarifverträge für ein paar wenige abschließen und der ganze Betrieb darunter leiden muss. Das gefährdet den innerbetrieblichen Frieden und kann ganze Belegschaften spalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ja, richtig. Genau deswegen machen wir die Tarifeinheit: weil es um die Verteilungsgerechtigkeit in den Betrieben geht, Herr Ernst. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Heute so, morgen so! Typisch Linke! Wie es gerade passt!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Stracke, darf Herr Kollege Ernst eine Zwischenfrage stellen? Stephan Stracke (CDU/CSU): Ja. Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Kollege Stracke, es freut mich, dass Sie dies zitieren. Denn das gibt mir die Gelegenheit, den Unterschied (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Von damals und heute!) zwischen dem, was bis 2010 galt, und dem, was jetzt gilt, aufzuzeigen. Aber das stört Sie offensichtlich nicht. Was galt bis 2010? Bis 2010 galt der Tarifvertrag, der von einer Hausgewerkschaft in dem jeweiligen Betrieb abgeschlossen wurde. Die Rechtsauffassung ging davon aus, dass die Hausgewerkschaft sozusagen näher am Betrieb war, und er galt auch dann, wenn es in dem Betrieb einen weiteren Tarifvertrag einer größeren Gewerkschaft, zum Beispiel einen Flächentarifvertrag der IG Metall, gab. Das heißt, ein Tarifvertrag einer kleineren Gewerkschaft, der unterhalb des Niveaus eines anderen lag, galt – und das ist der Unterschied –, ohne dass sich die größere Gewerkschaft wehren konnte. Die große IG Metall musste akzeptieren, dass eine Gewerkschaft ihre Tarife unterbot und diese, obwohl sie schlechter waren, für alle galten. Die Mitglieder selber konnten nicht entscheiden, in welche Gewerkschaft sie gehen wollten. Es galt immer der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die näher am Betrieb war. Was gilt seit 2010? Seit 2010 gilt das, was eigentlich logisch richtig wäre. Wir sind durchaus für die Herstellung der Tarifeinheit, aber nicht mit einem Tarifvertragsgesetz, das dazu führt, dass der Tarifvertrag der einen Gewerkschaft nicht mehr gilt. Das ist der Unterschied. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Genau das wollen Sie jetzt aber machen. Habe ich noch eine Minute, Herr Präsident? Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein, eigentlich nicht. Klaus Ernst (DIE LINKE): Okay. – Diesen Unterschied müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Wir wollen, dass das einzelne Mitglied selber entscheiden kann, in die Gewerkschaft zu gehen, die seine Interessen besser vertritt. Das ist alles. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Bernd Rützel [SPD]: Das kann er doch!) Stephan Stracke (CDU/CSU): Lieber Kollege Ernst, ich will Ihre Frage beantworten, und am besten lasse ich Sie selber antworten. Auch hierzu gibt es eine Pressemitteilung von Ihnen, und zwar vom 4. Juni 2010. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich zitiere: Das Bundesarbeitsgericht will einen Grundpfeiler des deutschen Tarifrechts kippen. Das war vor der Entscheidung. Die Initiative der DGB-Gewerkschaften kommt daher zum richtigen Zeitpunkt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Weiteren führen Sie aus: Die Initiative des DGB sieht dagegen vor, dass nur der Tarifvertrag der mitgliederstärkeren Gewerkschaft zur Geltung kommt. (Heiterkeit und anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und SPD) Das war Ihre Position 2010. Und jetzt stellen Sie sich hin und vertreten etwas anderes. Das zeigt, wie Sie denken. Sie können sich wieder setzen. – Sie distanzieren sich also von Ihrer eigenen Haltung. Das ist sehr bezeichnend. Und weiter: Jetzt darf ich auf den 23. Juni zurückspringen. Ihre Pressemitteilungen sind ein Quell der Freude. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zitat: Die Bundesregierung muss jetzt umgehend die vom Bundessozialgericht aufgezeigte Gesetzeslücke schließen. Das haben wir, wenn auch nicht umgehend, hinbekommen; das tun wir hiermit. Dazu hat der DGB einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt. Die Bundesregierung ist gut beraten, sich diesen Vorschlag zu eigen zu machen, ansonsten macht sie sich zum Drahtzieher der Lohndrücker und Belegschaftsspalter. Das haben Sie 2010 gesagt, Herr Ernst. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Genau das ist der Grund, warum wir sagen: Wir wollen nicht Eliten Schlüsselpositionen bei der Verteilung von Betriebsvermögen und dessen, was erwirtschaftet worden ist, verschaffen, sondern wir wollen eine faire Verteilung des Erwirtschafteten. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde es, ehrlich gesagt, spannend, dass die CDU den alten Quatsch von 2010 der Linkspartei bejubelt!) Das ist das Prinzip, das wir umsetzen wollen. Sie predigen immer, gerade unsere Kollegen der SPD müssten Rückgrat zeigen. Heute reden Sie ganz anders. Heute reden Sie genau denen das Wort, die Sie damals als Lohndrücker und Belegschaftsspalter bezeichnet haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich finde, das ist keine konsequente Haltung. Das hat nichts mit seriöser Politik zu tun. Wollen Sie, Herr Ernst, denn nicht als ernsthafter Politiker wahrgenommen werden? (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Bitte schön. Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein, nein. So reizvoll das jetzt ist – wir haben uns zu Beginn darauf verständigt, eine 60-minütige Debatte zu führen. Das werden wir unter Berücksichtigung der angemeldeten Redezeit ohnehin nicht mehr realisieren können. Ich bitte um Nachsicht, dass ich jetzt, so reizvoll sich das auch aus der Perspektive des Präsidiums darstellt, (Heiterkeit) eine Fortsetzung dieses Dialogs nicht erlaube. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie möchten doch lebendige Debatten! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schade!) Bitte, Herr Kollege. Stephan Stracke (CDU/CSU): Das muss ich zur Kenntnis nehmen, finde es aber bedauerlich, Herr Präsident. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, dann wird auch die Süddeutsche Zeitung bemüht. Es wird zitiert, dass es sich um eine Einschränkung des Streikrechts handele. Ich darf Ihnen hierzu aus dem Gesetzentwurf vorlesen. In der Begründung steht – Zitat –: Die Regelungen zur Tarifeinheit ändern nicht das Arbeitskampfrecht. Über die Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen, mit denen ein kollidierender Tarifvertrag erwirkt werden soll, wird allerdings im Einzelfall im Sinne des Prinzips der Tarifeinheit zu entscheiden sein. Der Arbeitskampf ist Mittel zur Sicherung der Tarifautonomie. Der Arbeitskampf dient nicht der Sicherung der Tarifautonomie, soweit dem Tarifvertrag, der mit ihm erwirkt werden soll, eine ordnende Funktion offensichtlich nicht mehr zukommen würde, weil die abschließende Gewerkschaft keine Mehrheit der organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb haben würde. Das ist die Gesetzesbegründung. Sie behaupten jetzt, dass die Situation gänzlich neu wäre. Aber seit Dezember 2014 liegt dieser Gesetzentwurf auf dem Tisch. Ich kann es nachvollziehen: Wer nicht lesen kann und will, der ist natürlich nicht im Vorteil. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie auch mal die Frage lesen, die zu dieser Antwort geführt hat!) – Liebe Frau Kollegin, Sie haben um entsprechende Nachhilfe vonseiten der Bundesregierung nachgesucht und gebeten, dass man erklärt und vorgelesen bekommt, was tatsächlich im Gesetzentwurf steht. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie die Frage dazu gelesen?) Es gibt keine Regelung zum Arbeitskampfrecht. Die sehen wir gerade nicht vor. Vielmehr muss der Arbeitskampf weiterhin verhältnismäßig sein. Es ist Aufgabe der Arbeitsgerichte, zu bewerten, ob dies der Fall ist. Maßgebend ist dabei der Zeitpunkt des Tarifabschlusses. Hier muss die jeweilige Gewerkschaft sicherstellen, dass sie die relative Mehrheit im Betrieb hat. Alles andere ist eine Aufgabe der Gerichte, insbesondere die Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit. Es ist also eine Mär, die hier erzählt wird, und Sie tun etwas, das einem Trauerspiel gleicht: Sie ziehen etwas hoch und bezeichnen es als Einschränkung der Freiheit, aber das ist nicht der Fall. Mit diesem vorgelegten Tarifeinheitsgesetz sorgen wir dafür, dass der Grundsatz „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ nach dem betrieblichen Mehrheitsbegriff wieder Geltung erreicht. Das ist gut, weil wir damit denjenigen, die ihre Schlüsselpositionen ausnutzen wollen, einen wirksamen Riegel vorschieben. Ich halte das im Sinne des Betriebsfriedens für richtig. Deswegen bedanke ich mich ganz herzlich für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zu diesem Gesetz. Herzliches Dankeschön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Müller-Gemmeke hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon irgendwie absurd: Am Mittwoch, nach den Sitzungen der Ausschüsse, will es keiner der Kollegen auf den Gängen so recht gewesen sein. Das mit der gesetzlichen Tarifeinheit stand halt so im Koalitionsvertrag. Sogar von der CDU hört man nachdenkliche und kritische Töne. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was heißt denn „sogar“?) Die SPD hingegen wird wohl nachher das Gesetz geschlossen unterstützen. Das ist und bleibt für mich nicht nachvollziehbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir Grünen stehen bei diesem Thema weder auf der Seite der großen Gewerkschaften noch auf der Seite der kleinen Gewerkschaften. Vielmehr stehen wir ganz eindeutig auf der Seite der Verfassung. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Grünen und Verfassung!) Deshalb lehnen wir die gesetzliche Tarifeinheit strikt ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Gründe: Erstens. Für uns ist das Gesetz ganz klar ein Angriff auf das Streikrecht. Bei der Anhörung zum Gesetzentwurf wurde ja auch munter über das Streikrecht diskutiert. Manche forderten sogar unverblümt noch weitere, größere Einschnitte in das Streikrecht. Das ging mir persönlich ziemlich unter die Haut; denn das Streikrecht ist ein hohes Gut. Es ist das einzige Mittel, damit Gewerkschaften auf Augenhöhe Tarifverträge verhandeln können. Natürlich kann ein Streik zukünftig als nicht verhältnismäßig beurteilt werden, wenn später ein Tarifvertrag verdrängt wird. Das habe ich ja mittlerweile auch auf Papier, also schwarz auf weiß. Damit ist ganz klar: Beim Streikrecht wird die Öffentlichkeit ganz bewusst getäuscht. Das geht überhaupt nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! Was behaupten Sie denn da?) Zweitens. Die Tarifpluralität, die Tarifvielfalt, steht in unserer Verfassung; denn jedermann und jede Berufsgruppe hat das Recht, sich in Gewerkschaften zu organisieren und Tarifverträge zu verhandeln. Auch das Bundesarbeitsgericht hat 2010 entschieden, dass der Zwang zur Tarifeinheit mit Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz nicht vereinbar sei. Dennoch soll jetzt dieses Grundrecht, dieses Freiheitsrecht, per SPD-Gesetz eingeschränkt werden. (Katja Mast [SPD]: Ach!) Wir Grünen nehmen aber die Koalitionsfreiheit ernst; denn sie gehört immerhin zu den Grundprinzipien unserer Demokratie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Drittens. Das Gesetz verschärft den Kampf um Mitglieder. Auf eine Kleine Anfrage dazu hat das Ministerium lapidar geantwortet, es sei „nicht ungewöhnlich, dass eine Gewerkschaft durch eine attraktive Tarifpolitik versucht, Mitglieder zu gewinnen“. Hallo? Wie blauäugig kann man eigentlich sein? Wenn sich die Politik einmischt und anfängt, zwischen erwünschten und nicht erwünschten Gewerkschaften zu unterscheiden, und per Gesetz Tarifverträge verdrängt, dann befeuert das natürlich zwangsläufig die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften. Mit der gesetzlichen Tarifeinheit gefährden Sie die vielen bisherigen Kooperationen, und es entsteht nicht Solidarität, sondern Häuserkampf. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Und viertens. Das Gesetz ist und bleibt handwerklich schlecht. Wenn ein Gesetz so tief in die Tarifautonomie eingreift, dann müssten Sie zumindest für Rechtssicherheit sorgen. Das Gegenteil ist aber der Fall. Professor Däubler hat das bei der Anhörung wunderbar auf den Punkt gebracht. Er sagte: Das Gesetz ist ein Beschäftigungsprogramm für Juristen, Rechtsanwälte, Richter, Gewerkschaften und Kommentatoren. – Das ist leichtfertig; denn das Gesetz provoziert vielfältige neue Rechtsstreitigkeiten. Verantwortung sieht anders aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrte Regierungsfraktionen, auch wir Grünen fordern von allen Gewerkschaften Solidarität und Kooperation. Aber beides lässt sich nicht verordnen und schon gar nicht gesetzlich erzwingen. Das ist auch nicht Aufgabe der Politik, sondern Aufgabe der Gewerkschaften. Wenn Sie das alles nicht überzeugt, dann hören Sie doch zumindest auf Heiner Geißler; denn er bezeichnet das Gesetz als eine „Frechheit“. Dem schließen wir uns voll und ganz an. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ralf Kapschack ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wilfried Oellers [CDU/CSU]) Ralf Kapschack (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Es gibt eine alte Journalistenweisheit, die lautet: Recherche macht die schönste Geschichte kaputt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich habe den Eindruck, diese Weisheit hat auch in diesem Hohen Hause eine Menge Anhänger, vor allen Dingen bei der Opposition. In der Debatte über das Tarifeinheitsgesetz ist von der Opposition immer wieder behauptet worden, auch in der heutigen Diskussion, der Gesetzentwurf sei verfassungswidrig, weil er massiv in das Streikrecht eingreife. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In die Tariffreiheit!) Ich finde es schon bemerkenswert, mit welcher Selbstsicherheit Linke und Grüne diese Frage schon beantwortet haben. Es gibt in unserem Staat ein klares Verfahren, wie Verfassungswidrigkeit festgestellt wird, nämlich allein vom Verfassungsgericht in Karlsruhe und nirgendwo sonst. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Bundesregierung hat vielleicht den Auftrag, ein verfassungsgemäßes Gesetz zu machen!) Die Behauptung, die Regierung habe bewusst einen verfassungswidrigen Gesetzentwurf vorgelegt, wäre wirklich eine Beleidigung, wenn man sie ernst nähme. Das tue ich aber nicht. Die Anhörung Anfang des Monats hat für mich gezeigt: Dieses Gesetz ist sehr wohl mit der Verfassung vereinbar. Der Gesetzgeber nutzt jetzt seinen Spielraum, nicht mehr und nicht weniger. Man muss diese Argumente ja nicht unbedingt teilen; aber man sollte sie wenigstens zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Zum Eingriff in das Streikrecht gab es bei der Anhörung einen, wie ich finde, bemerkenswerten Beitrag des Vertreters der Arbeitsrichter, Herrn Vetter. Die Arbeitsgerichte entscheiden ja über die Zulässigkeit und über die Verhältnismäßigkeit von Streiks. Herr Vetter hat ausgeführt, dass seine Kolleginnen und Kollegen Arbeitsrichter auch in Zukunft kaum zustimmen werden, wenn versucht wird, einen Streik per einstweiliger Verfügung zu verbieten. Insofern kann von einem massiven Eingriff in das Streikrecht überhaupt nicht die Rede sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die Grundbotschaft dieses Gesetzes ist: Ein Betrieb, ein Tarifvertrag. – Das galt bis 2010. So wird sichergestellt, dass zwei Personen für die gleiche Arbeit nicht unterschiedlich entlohnt werden, nur weil sie verschiedenen Gewerkschaften angehören. Es wird auch in Zukunft ohne Probleme möglich sein, dass Gewerkschaften ihre Zuständigkeit abstimmen und gemeinsam einen Tarifvertrag verhandeln. Insofern ist dieses Gesetz eine Aufforderung zur Kooperation (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU] – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie kann denn, bitte schön, ein Gesetz auffordern?) und nicht zum Kampf von Gewerkschaften gegeneinander. Deshalb ist dieses Gesetz eben keine Schwächung der Gewerkschaften; sonst wäre die große Mehrheit im Deutschen Gewerkschaftsbund nicht dafür, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und sonst hätte auch der Chef des DGB, Reiner Hoffmann, das in der Anhörung nicht noch einmal ausdrücklich betont. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verdi ist aber dagegen! Die zweitgrößte Gewerkschaft im DGB!) Richtig ist aber auch: Wer für Tarifeinheit ist, muss sich auch dafür einsetzen, dass die Flucht von Unternehmen aus Tarifverträgen ein Ende hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Denn das ist das Gegenteil von „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“. Das ist: Ein Betrieb, kein Tarifvertrag. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Ralf Kapschack (SPD): Aber selbstverständlich. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege, für die Zulassung der Zwischenfrage. – Würden Sie mir recht geben, dass Streiken nicht unbedingt ein Selbstzweck ist? Man streikt nicht, um zu streiken, sondern ein Streik hat einen bestimmten Sinn und einen Zweck, nämlich einen Lohntarif auszuhandeln. Wenn eine Gewerkschaft nicht die Mehrheit hat, wird sie auch keinen Lohntarif aushandeln können, und dann wird ein Streik zwangsläufig immer unverhältnismäßig sein, weil er gar nicht dazu geeignet ist, einen Lohntarif herbeizuführen. Wenn ich also nicht für den Lohn verhandeln kann, weil ich nicht die Mehrheit hinter mir habe, kann ich am Ende nicht streiken. Ist es nicht so? Ralf Kapschack (SPD): Das ist das, was ich eben mit „Recherche macht die schönste Geschichte kaputt“ meinte. Ich verlasse mich da weniger auf Spekulation und auf mein Gefühl, sondern mehr auf das, was die Praktiker sagen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gesetz verändert doch die Realität!) Ich habe Ihnen eben berichtet, was der Vertreter der Arbeitsrichter, der, glaube ich, besser Bescheid weiß als wir beide zusammen, gesagt hat. Die Arbeitsgerichte werden auch in Zukunft sehr zurückhaltend sein, was das Verbot von Streiks angeht. Ich glaube, da sollten wir einmal abwarten, was passiert, und nicht im Vorhinein eine Apokalypse heraufbeschwören. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann doch nicht abwarten und gucken, was passiert!) Ich würde aber gerne noch meinen Gedanken zu Ende führen. Ich habe gesagt: Wer für Tarifeinheit ist, muss auch die Flucht aus Tarifverträgen stoppen. Die Unterstützung für das Tarifeinheitsgesetz durch die Arbeitgeberverbände wäre glaubwürdiger, wenn mit der gleichen Energie gegen die Flucht aus bestehenden Tarifverträgen gearbeitet würde. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Stattdessen wird immer mehr Unternehmen die Mitgliedschaft ohne tarifpolitische Verpflichtung ermöglicht. Deshalb wollen wir – auch mit der Neuregelung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen im vergangenen Jahr – erreichen, dass das Arbeitsleben wieder gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgebern gestaltet wird. Auch das gehört zur neuen Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, die wir dringend brauchen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Rudolf Henke. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rudolf Henke (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es scheint hoch herzugehen, ob recherchiert wird oder nicht recherchiert wird. Von Schmarotzern und Spaltern war die Rede. Lieber Stephan, ich finde, man muss bei der Sprache zurückhaltend sein, wenn man sagt: „Wir lassen das Streikrecht unangetastet“, wenn man sagt, Frau Ministerin: Wir lassen die Koalitionsfreiheit unangetastet. – Dann darf hier aber auch kein Klima entstehen, in dem denen, die von der Koalitionsfreiheit Gebrauch machen, unterstellt wird, sie seien Spalter und Schmarotzer. Dann geht es schon gar nicht, wie ich finde, dass jemand aus der Union die Sprache der Kommunisten übernimmt. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! Oh!) Wenn es einer Gewerkschaft erlaubt ist, ihre gewerkschaftlichen Aufgaben und Ziele durch einen Tarifvertrag zu verwirklichen, zu dessen Abschluss der Arbeitgeber notfalls durch Streik veranlasst werden soll, dann kann der Arbeitgeber einem solchen Streik die Legitimität nicht dadurch nehmen, dass er sich anderweitig Dritten gegenüber verpflichtet oder verpflichtet hat, einen solchen Tarifvertrag nicht abzuschließen. – Das ist ein Satz, der vom 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts am 4. Mai 1955 gesprochen wurde, Aktenzeichen 1 AZR 493/54. Das war nach der Entscheidung von -Nipperdey. Dieser Satz belegt, dass die Tarifpluralität der Normalfall ist, und zwar nach der Beurteilung des Bundesarbeitsgerichtes seit 1955. Tarifpluralität herrscht natürlich seit langer Zeit. Sie gibt es bereits so lange, dass sie zur gewerkschaftlichen Tradition Deutschlands gehört. Wir als Marburger Bund gehören zu den Organisationen, von denen gesagt wird: Ihr habt eine Schlüsselrolle inne; ihr nehmt euch mehr heraus. – Wir haben eigenständig Tarifverträge mit Rehakliniken abgeschlossen. Wo war das Problem? Wir haben gemeinsam mit der DAG verhandelt und dann später Verdi gebeten, Tarifverträge für uns zu machen. Das Ergebnis war über lange Zeit gut. Aber dann ist irgendwann ein Punkt gekommen, an dem man beim Wechsel vom Bundesangestelltentarifvertrag auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst gesagt hat: Schluss jetzt damit! – Man hat gesagt: Wir nehmen den Ärzten – auf ihr Berufsleben betrachtet – 100 000 Euro weg. – Daraufhin hat man sich gewehrt. Man hat sich das Grundgesetz genau angeschaut und die Bestätigung gefunden, dass es kein Schmarotzertum und keine Spalterei ist, wenn man ein Grundrecht wahrnimmt. Natürlich hat man die Möglichkeit, sich auf die Koalitionsfreiheit zu berufen. Die Koalitionsfreiheit besagt: Jedermann und alle Berufe können Einfluss auf die Gestaltung ihrer Tarifverträge nehmen. Jedermann und alle Berufe haben das Recht, zu streiken, wenn es denn notwendig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, es ist besser, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Aber gemeinsame Lösungen setzen Vertrauen und Freiwilligkeit voraus. Wenn diese Freiwilligkeit nicht gegeben ist, dann leben wir unter einem Zwang. Das ist doch das Problem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Natürlich hat Tarifgemeinsamkeit einen hohen Wert. Aber sie ist wertlos, wenn sie erzwungen wird. Sie wird erzwungen, wenn man zu einem Tarifvertrag nur dann kommen kann, wenn man sich mit der Mehrheit einverstanden erklärt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Weil die Koalitionsfreiheit ein verbrieftes Grundrecht ist – genauso wie die Religionsfreiheit, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Post- und Fernmeldegeheimnis sowie die Freizügigkeit –, kann man dieses Grundrecht doch nicht, verehrte Frau Ministerin, unter Mehrheitsvorbehalt stellen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wo kommen wir denn hin, wenn wir ein Grundrecht unter Mehrheitsvorbehalt stellen? Ein Grundrecht unter Mehrheitsvorbehalt ist ein Grundrecht nach Gusto der Mehrheit. Aber Grundrechte stehen allen Menschen in gleicher Weise zu, ob sie Minderheiten sind, ob sie Schmarotzer oder Spalter sind, ob sie Mitglied bei der CDU, den Grünen oder Kommunist sind. Grundrechte stehen allen Menschen in gleicher Weise zu. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen kann man sie nicht unter Mehrheitsvorbehalt stellen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer sie unter Mehrheitsvorbehalt stellt, der schafft sie ab. Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Kollege Henke. Rudolf Henke (CDU/CSU): – Ja – Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich mich – das ist mir wichtig, weil ich dich, lieber Stephan, zu hart angegangen bin –, vor diesem Haus für die Entgleisung, die mir am Anfang unterlaufen ist, bei dir in aller Form entschuldigen. (Dagmar Ziegler [SPD]: Ach was! – Katja Mast [SPD]: Bei der Ministerin nicht, oder was?) Das alles ist mir ein bisschen durchgegangen. Das liegt auch daran, dass ich in einer CDU-Dokumentation über den MSB Spartakus von 1978 – ich bin halt aus dieser Zeit – Folgendes gelesen habe: Das Streikrecht ist insofern kein Recht, das den Werktätigen in der DDR fehlt, sondern ist eine mit der Errichtung der Arbeiter- und Bauernmacht historisch überholte Form des Kampfes der Arbeiterklasse für ihre Interessen. Weil ich dieses Denken immer für falsch gehalten habe, fange ich an, schon auf Spuren dieses Denkens hochallergisch zu reagieren. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich entschuldige mich in aller Form dafür. Aber für unser freies Deutschland muss gelten: Ein Grundrecht darf nicht unter Mehrheitsvorbehalt gestellt werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen in der Union, machen Sie es wie ich: Stimmen Sie gegen dieses Gesetz. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Kollege Henke, Ihr Beitrag in dieser Debatte und der 50-prozentige Redezeitzuschlag durch den amtierenden Präsidenten sind ein schöner Beleg dafür, dass in diesem Haus Minderheitenrechte nicht unter Mehrheitsvorbehalt stehen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun hat der Kollege Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie Sie gerade gemerkt haben, wird dieses Thema natürlich auch in unserer Fraktion intensiv diskutiert; auch dort gibt es durchaus unterschiedliche Meinungen. Die Diskussion ist insgesamt sehr intensiv; schließlich haben wir es mit einem sehr wichtigen Thema zu tun. Ich möchte kurz erwähnen, dass mein Vorredner nicht die Sprache des Kollegen der Linken, des Herrn Ernst, übernommen hat, sondern er hat lediglich zitiert und entsprechende Widersprüche in seinen Diskussionsbeiträgen aufgezeigt. Ich denke, das geschah in sehr beeindruckender Weise, und es war auch gut, dass das in diesem Haus einmal klargestellt wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Diskussion ist schon weit fortgeschritten. Ich möchte sie auf einige Kernpunkte reduzieren. Betonen möchte ich dabei insbesondere, dass es bei diesem Gesetz darum geht, die Solidarität der Belegschaft in den Betrieben zu stärken und die Befriedungsfunktion und die Ordnungsfunktion, die der Grundsatz der Tarifeinheit mit sich bringen soll, auch zu erfüllen. Die klare Botschaft, die von diesem Gesetz ausgeht, heißt eigentlich nur: Einigt euch. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch einfach nicht!) Das ermöglicht dieses Gesetz auch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür braucht man kein Gesetz!) Es kann nicht zu viel verlangt sein, dass man bei Kollisionen einen entsprechenden Einigungsaufruf formuliert. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Resolution!) Dieser Aufruf darf auch präventiv erfolgen. Zu betonen ist ja auch, dass die Auflösung dieser Tarifkollisionen durch den Grundsatz der Tarifeinheit eben nur subsidiär gilt. Dadurch wird wieder deutlich, dass den Möglichkeiten Raum gelassen wird, die Kollisionen untereinander zu regeln. Sie wissen alle, was im Gesetz steht: dass man selber Zuständigkeiten abstimmen kann, dass man auch Tarifgemeinschaften bilden kann, dass unterschiedliche Gewerkschaften mit dem Arbeitgeber gleiche Tarifverträge abschließen. All diese Möglichkeiten gibt es, und sie werden natürlich heute schon genutzt; das ist richtig. Aber auch das zeigt, dass die Ansätze, die das Gesetz enthält, richtig sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es muss auch festgehalten werden, dass die letztliche Überprüfung, ob ein Streik verhältnismäßig ist oder nicht, weiterhin den Gerichten obliegt. Diese werden wie bisher sehr sorgfältig abwägen und dabei alle Umstände berücksichtigen. Lassen Sie mich kurz auf einige Bedenken eingehen, die hier geäußert wurden: Ein Punkt war die Befürchtung, das Gesetz werde die bisherigen Kooperationen infrage stellen. In meinen Augen ist eher das Gegenteil der Fall: Kooperationen werden weiterhin möglich sein. Meine Vorhersage ist, dass es die Gewerkschaften eher nicht auf eine Auszählung ihrer Mitglieder in den Betrieben ankommen lassen werden, sondern dass sie sich im Konfliktfall zusammensetzen und einigen werden. Das ist genau das, was wir möchten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wenn es allerdings – auch das gebe ich zu bedenken – tatsächlich einmal dazu kommen sollte, dass eine bisherige Kooperation auf der Grundlage dieses Gesetzes aufgekündigt wird, dann muss man sich schon einmal die Frage stellen, inwieweit die bisherige Zusammenarbeit aufrichtig war. Ein weiterer Punkt war die Sorge, dass es zu einem Kampf der Gewerkschaften um Mitglieder kommen wird. Ich habe eigentlich immer gedacht, die Gewerkschaften wären über viele Mitglieder froh. Wenn das Gesetz tatsächlich dazu aufrufen würde, neue Mitglieder zu werben, müsste das doch eigentlich im Interesse der Gewerkschaften sein. Ein anderer Punkt war die Befürchtung, dass die Spartengewerkschaften untergehen könnten. Diese Pro-blematik sehe ich, ehrlich gesagt, nicht. Alle Spartengewerkschaften sind vor 2010 gegründet worden, also bei Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit, und sie bestehen bis heute. Deswegen kann der Grundsatz der Tarifeinheit sicherlich nicht dazu führen, dass Spartengewerkschaften untergehen. Ich möchte noch einiges zur Verfassungsmäßigkeit sagen, da auch dies angesprochen worden ist. Ja, die Tarifautonomie ist in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes geregelt. Allerdings gibt es keinen Schrankenvorbehalt, zumindest nicht nach der Formulierung des Grundgesetzes. Man muss jedoch auch festhalten, dass kein Grundrecht schrankenlos ist und dass jedes Grundrecht immer im Lichte der anderen Grundrechte ausgelegt werden muss. Genau dies hat das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes in der Vergangenheit gemacht. Ich darf aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1995 zitieren: Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit bedarf der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung, soweit es die Beziehungen zwischen Trägern widerstreitender Interessen zum Gegenstand hat. Das heißt, das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber die Ausgestaltung des Grundrechts nach Artikel 9 Absatz 3 ins Aufgabenbuch geschrieben. Hierauf haben auch mehrere Sachverständige in der Anhörung hingewiesen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Einen Augenblick, Herr Kollege. – Darf ich die Kolleginnen und Kollegen, die der Debatte erkennbar nicht folgen, wohl aber auf die namentliche Abstimmung warten, Frau Kollegin Künast und andere, bitten, die Gespräche am Rande des Plenums fortzusetzen, aber nicht demonstrativ mittendrin? Das, finde ich, geht ein bisschen zu weit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Herr Kollege Oellers. Wilfried Oellers (CDU/CSU): Ich darf das Bundesverfassungsgericht insoweit weiterhin anführen, als eben diese Ausgestaltung im Lichte und unter Berücksichtigung des Gemeinwohls und der Wiederherstellung gestörter Paritäten erfolgen kann. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig geschrieben, dass eine Ausgestaltung des Artikels 9 Absatz 3 des Grundgesetzes durchaus möglich ist. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Eingriff, keine Ausgestaltung!) Dass es natürlich in der Frage der Verfassungsmäßigkeit unterschiedliche Ansichten gibt, haben wir nicht nur heute erlebt, sondern das haben wir auch in der öffentlichen Anhörung erlebt. Aber ich möchte auch betonen, dass es in der öffentlichen Anhörung vehemente Befürworter dieses Gesetzes gab. Das soll hier nicht unterschlagen werden. Ich möchte zum Abschluss kurz erwähnen, dass der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfes seitens der verschiedenen Ressorts, also auch des BMAS, und des Bundesrates zugestimmt worden ist. Im Ergebnis verabschieden wir heute, denke ich, kein verfassungswidriges Gesetz. Ich bitte daher ebenfalls um Zustimmung. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Tarifeinheit. (Unruhe) – Wir haben noch eine Abstimmung durchzuführen, bevor es an die Urnen geht. Insofern besteht kein Anlass zur Panik. – Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/4966, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4062 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der Opposition und einzelne Stimmen aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über den Gesetzentwurf. Ist ein Mitglied des Hauses im Saal, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Ich weise darauf hin, dass es eine ganze Reihe von persönlichen Erklärungen zur Abstimmung gegeben hat, die wir, wie üblich, dem Protokoll beifügen. Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf der Drucksache 18/4966 fort. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/4184 mit dem Titel „Tarifautonomie stärken – Streikrecht verteidigen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/2875 mit dem Titel „Solidarität im Rahmen der Tarifpluralität ermöglichen – Tarifeinheit nicht gesetzlich regeln“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch hier ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor gegen die Stimmen der Opposition die Beschlussempfehlung angenommen. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport Drucksache 18/4898 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wettstreit gibt es nicht nur in Tarifkonflikten; auch im Sport bewegt Wettstreit viele Millionen Menschen. Großer Sport begeistert uns alle. Gute Sportler sind Vorbilder in unserer Gesellschaft. Wir sind auch ein bisschen stolz, wenn unsere Sportler auf dem Siegerpodest oben stehen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Der Spitzensport in Deutschland wird zu einem erheblichen Teil mit Steuermitteln gefördert. Deswegen haben wir alle einen Anspruch darauf, dass der Spitzensport und die Wettkämpfe ohne manipulative Einflüsse bleiben. Wir wollen, dass sich jeder darauf verlassen kann, dass Sportwettbewerbe fair verlaufen. Wir wollen überall ehrlichen Sport. Wir haben uns in der Koalition deswegen darauf verständigt, dass wir dieses Ziel einerseits mit der Bekämpfung von Doping und andererseits mit dem Kampf gegen Spielmanipulation verfolgen werden. Mit dem heute vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport machen wir den ersten Schritt. Dieser Gesetzentwurf ist kurz, klar, hart und wirksam. Mein Kollege Maas wird in seiner Rede den Schwerpunkt auf das Strafrecht legen. Deswegen will ich als Sportminister einige Anmerkungen machen. Wir lassen die Sportverbände und die Nationale Anti Doping Agentur, NADA, bei der Bekämpfung von Doping nicht allein. Ich will das an drei Punkten deutlich machen: Erstens. Wir schaffen Regelungen zum Informationsaustausch zwischen staatlichen Ermittlungsbehörden und der Nationalen Anti Doping Agentur. Das klingt irgendwie selbstverständlich; aber weil die NADA eine privatrechtliche Stiftung ist, ist es nötig, den Informationsaustausch zwischen ihr und den staatlichen Ermittlungsbehörden zu regeln. Mit der neuen Regelung geben wir der NADA die Möglichkeit, einfacher und besser an die Informationen zu kommen, die sie für ihre Arbeit braucht. Gerichte und Staatsanwälte sollen der NADA von sich aus Auskünfte und Hinweise geben können, wenn das für die Bekämpfung von Doping erforderlich ist. Damit helfen wir der NADA bei den Ermittlungen und unterstützen ihre Arbeit für einen sauberen Sport. Zweitens. Wir beseitigen Zweifel am Datenschutz in unserem Kontrollsystem. Die NADA braucht Daten der Sportler, beispielsweise um Listen über ihre Kontrollen zu führen. Wir beseitigen jetzt Bedenken, die es darüber gibt, ob eine Einwilligung des Sportlers dafür ausreicht, und schaffen eine eigene Regelung, eine eigene Rechtsgrundlage, die das Dopingkontrollsystem auch beim Thema Datenschutz absichert. Drittens – dieser Punkt ist mir besonders wichtig – das klare Bekenntnis zur Schiedsgerichtsbarkeit der Sportverbände. Wir stellen mit dem Gesetzentwurf erstmals klar, dass die Sportgerichtsvereinbarungen von Sportverbänden mit den Sportlern grundsätzlich zulässig sind. Wir regeln, dass die Schiedsgerichte rechtsstaatlichen Anforderungen genügen müssen, und gehen damit auf Bedenken ein, die es wegen ihrer Zusammensetzung oder wegen des Grundsatzes der Öffentlichkeit gegeben hat und die auch das Oberlandesgericht München in seiner Entscheidung zum Fall Pechstein angesprochen hat. Wir wollen, dass Streitigkeiten zwischen Sportlern und Sportverbänden auch weiterhin vor ein einheitliches Sportgericht kommen. Wenn ein Sportler gedopt wird, muss das harte und schnelle Konsequenzen haben, insbesondere kurz vor Wettkämpfen. Das Strafrecht ist langsamer als das Sportrecht. Wir wollen aber auch keinen Flickenteppich von Dopingsperren. Mit den Regelungen der WADA, der internationalen Antidopingorganisation, haben wir zwar ein gemeinsames Regelwerk. Das muss aber auch einheitlich ausgelegt werden, und ohne die Schiedsgerichte wäre das nicht mehr gewährleistet. Einzelfallentscheidungen nationaler Gerichte mit unterschiedlichen Ergebnissen würden an ihre Stelle treten. Ich möchte mir keinen Spitzensport vorstellen, in dem sich Sportler miteinander messen, die in einigen Ländern wegen Dopings gesperrt sind, in anderen aber nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Was wir brauchen, sind schnelle, einheitliche und vor allem international bestandskräftige Entscheidungen. Deswegen ist es richtig – das teilen wir ausdrücklich mit dem Deutschen Olympischen Sportbund –, weiterhin auf die Sportgerichtsbarkeit zu setzen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stärken wir die Schiedsgerichte, ohne die Reformen zu vergessen, die es dort allerdings auch braucht. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die kommen ja!) Meine Damen und Herren, das Doping werden wir mit diesen Maßnahmen nicht vollständig beseitigen. Wie in anderen Bereichen der Kriminalität ist das auch hier nicht möglich. Wir schärfen aber die Instrumente zur Bekämpfung des Dopings im Sport. Das sind wir vor allem den ehrlichen Sportlerinnen und Sportlern schuldig. Genauso wichtig wie die Bekämpfung des Dopings ist der Kampf gegen Spielmanipulation; ich habe es eingangs gesagt. Dort haben wir es teilweise mit weltweit operierenden Täternetzwerken der organisierten Kriminalität zu tun. Diese Kriminellen wollen die Leistungen von Athleten und den fairen Wettkampf mit Geld kaufen. Sie versuchen, Schiedsrichter zu Komplizen ihres kriminellen Geschäftsmodelles zu machen oder in anderer Weise auf den Ausgang von Wettbewerben Einfluss zu nehmen. Wir wollen vorhersehbare und gekaufte sichere Siege und sichere Niederlagen verhindern. Es ist etwas anderes, was den Sport ausmacht: Außenseiter, die über sich hinauswachsen, Abende, an denen es Überraschungen gibt, Augenblicke einer Niederlage genauso wie Momente des aufrechten Glücks. Wir sagen deshalb heute auch den Spielmanipulationen den Kampf an. Deshalb habe ich mit meinem Kollegen Maas vereinbart, dass wir noch vor der Sommerpause Formulierungen für neue Vorschriften gegen Spielmanipulationen vorlegen werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie gleich zusammen machen können! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum erst im Sommer?) Wir werden den Regelungsauftrag aus der Koalitionsvereinbarung damit vollständig umsetzen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, da ist wieder Druck im Kessel in der Koalition! – Gegenruf der Abg. Dagmar Freitag [SPD]: Ach Gott, Frau Künast!) – Frau Abgeordnete Künast, natürlich ist da Druck im Kessel. Bei beiden Themen ist Druck im Kessel: (Dagmar Freitag [SPD]: Genau!) beim Kampf gegen Doping und beim Kampf gegen Spielmanipulationen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Druck meinte ich nicht! Da haben Sie sich jetzt schön herausgeredet!) – Jetzt sage ich Ihnen einmal, wer diesen Druck im Kessel macht: wir selbst, weil wir es für wichtig halten, dass wir jetzt nach jahrelanger Diskussion in beiden Bereichen zu Ergebnissen kommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das machen wir für die Sportler, für die Zuschauer und für alle, die Freude am ehrlichen Sport haben. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die Zuschauer das Strafgesetzbuch? Ich bitte Sie! Da bin ich gespannt!) – Sie können ja gleich vortragen, wie Sie die Integrität des Sportes schützen wollen – bei bisheriger Rechtslage ohne eine Verschärfung. Da bin ich dann gespannt. (Dagmar Freitag [SPD]: Wir auch!) Ich möchte in diesem Zusammenhang als Letztes ein Wort zur Olympiabewerbung sagen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah, wieder Olympia!) Wir haben das von Anfang an diskutiert. Es gibt Leute, die sagen – das will ich gerne auch einigen Sportlerinnen und Sportlern sagen, die in den letzten Tagen Bedenken geäußert haben –: Na ja, wenn ihr ein Gesetz macht, das vielleicht schärfer ist als anderswo, schadet ihr vielleicht der Olympiabewerbung, schadet ihr vielleicht deswegen, weil manche Länder in der Abstimmung beim IOC vielleicht deswegen nicht für Hamburg/Deutschland stimmen, weil hier das Anti-Doping-Gesetz besonders scharf ist. – Diese Frage wird nicht so offen formuliert, wie ich sie jetzt stelle, aber vielleicht klammheimlich gedacht. Da sage ich: Dem muss man hart entgegentreten! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir glauben, uns würde die Ausrichtung der Olympischen Spiele deswegen übertragen, weil wir irgendwie nicht ganz sauber, nicht ganz fair im Verfahren oder in irgendeiner Weise sind, haben wir sowieso verloren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das, was andere Staaten möglicherweise tun, können wir sowieso nicht und wollen wir auch nicht. Deswegen sind ein scharfes Anti-Doping-Gesetz und ein scharfes Gesetz gegen Spielmanipulationen und eine blitzsaubere, erstklassige Bewerbung die einzig richtige und eine gute Vorbereitung für eine erfolgreiche Olympiabewerbung von Hamburg/Deutschland für das Jahr 2024. Deswegen bitte ich um Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: André Hahn ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. André Hahn (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Linke steht fest: Doping gefährdet die Gesundheit. Nun kann man Menschen, wenn sie denn volljährig sind, nicht verbieten, ihre Gesundheit zu gefährden; aber wir können und wir müssen aufklären, nicht zuletzt im Hinblick auf Doping im Sport, ähnlich wie beim Gebrauch von Alkohol, Nikotin oder anderen legalen Drogen. (Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Machen wir doch schon!) Für die Linke steht auch fest: Doping im Sport, um sich gegenüber anderen Sportlerinnen und Sportlern einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, gefährdet nicht nur die Gesundheit, sondern ist auch eine Gefahr für den Sport als solchen und für die Werte, die durch ihn in die Gesellschaft transportiert werden. Hier geht es nicht um das Recht auf Selbstschädigung, hier geht es um Betrug. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Seit 1990 hat es diverse Initiativen und Maßnahmenkataloge gegen Doping im Sport gegeben. Sie alle waren nur bedingt erfolgreich. Deshalb muss aus Sicht der Linken endlich entschlossen gehandelt werden, (Dagmar Freitag [SPD]: Tun wir ja!) um Doping im Sport deutlich wirksamer zu bekämpfen, als das bislang der Fall war. Es ist höchste Zeit, dass endlich etwas passiert. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben – das ist bekannt – bereits im August 2014 einen Antrag mit Eckpunkten für ein Anti-Doping-Gesetz vorgelegt, welcher am 6. November hier im Bundestag beraten und in die Ausschüsse überwiesen wurde. Nunmehr hat auch die Bundesregierung ihren lange angekündigten Gesetzentwurf vorgelegt. Er muss sich nicht nur am Antrag der Linken, sondern auch an den von der Koalition selbst gesetzten Zielen messen lassen. Die Linke unterstützt im Grundsatz den vorliegenden Gesetzentwurf; das schließt natürlich nicht aus, dass es im Zuge der Ausschussberatungen noch an einigen Stellen Änderungen geben muss und vermutlich auch geben wird. Positiv bleibt festzuhalten: Viele Punkte aus unserem Antrag sind im Regierungsentwurf berücksichtigt worden; das begrüßen wir ganz ausdrücklich. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aber es gibt auch einige Defizite. So halten wir unsere Forderung, dass Ärztinnen und Ärzten, die nachweislich an Dopinganwendungen beteiligt waren, die Approbation entzogen werden kann, nach wie vor für sachgerecht. Gleiches gilt für unsere Forderung, Regelungen für den Schutz von Whistleblowern zu schaffen; denn ohne interne Informationen sind Dopingstrukturen und deren Hintermänner häufig gar nicht aufzuklären. (Beifall bei der LINKEN) Wir bleiben auch bei unserem Vorschlag, eine unabhängige Ombudsstelle einzurichten, an die sich Sportlerinnen und Sportler, Trainerinnen und Trainer sowie Eltern wenden können, um qualifizierte Informationen über Dopingprävention zu erhalten, aber auch um konkrete Dopingverdachtsfälle mitzuteilen und um Hilfe zu bitten. Im Mittelpunkt der Diskussionen in den Ausschüssen werden sicher das generelle Verbot des Eigendopings von Leistungssportlern sowie die Frage einer möglichen Strafverfolgung bei Erwerb und Besitz von Dopingmitteln zum Zwecke des Selbstdopings stehen. Der Justizminister wird sich dazu gleich noch äußern. Wir als Linke befürworten durchaus verschärfte Sanktionen für Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, die Dopingmittel benutzen, um sich einen unlauteren Vorteil im sportlichen Wettbewerb zu verschaffen. Für diesen Sportbetrug sollen bei Wiederholungstätern künftig neben Geldstrafen auch Freiheitsstrafen verhängt werden können. Aus unserer Sicht – ich habe das schon an anderer Stelle gesagt – sollte sich die Höhe der Geldbußen nach den Einnahmen richten, die man direkt oder auch mittelbar durch den Sport erzielt hat. Das würde also bedeuten, dass von Sportart zu Sportart je nach Gehalt, Siegprämien und Werbeverträgen unterschiedlich hohe Strafen festgelegt werden können. Von dem Gesetz wären nach Angaben der Bundesregierung rund 7 000 Sportlerinnen und Sportler in Deutschland betroffen. Das ist ein klar definierter Personenkreis, und das ist auch durchaus richtig so. Der vorliegende Gesetzentwurf zielt hinsichtlich der strafrechtlichen Regelungen ganz bewusst auf die Dopinganwendung im Hochleistungssport, nicht aber auf gesundheitliche Gefährdungen durch die Einnahme verbotener Substanzen wie zum Beispiel Anabolika in Fitnessstudios. Das kann weder in einem Gesetz geregelt noch wirksam kontrolliert werden. Zugleich aber sollten wir an alle Freizeitsportlerinnen und -sportler appellieren, auf Dopingmittel zu verzichten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch selbstverständlich!) Gerade deshalb ist es erforderlich, dass man – vielleicht nicht zwingend in diesem Gesetz, aber zumindest begleitend – geeignete Präventionsmaßnahmen entwickelt, fördert und letztlich natürlich auch umsetzt. Dazu gehören zum Beispiel Aufklärung im Jugend- und Nachwuchssport über die Wirkung von anabolen Stereoiden, Nahrungsergänzungsmitteln und sporttypischen Aufbaupräparaten und die entsprechende Aus- und Weiterbildung der in diesem Bereich tätigen Personen wie Trainern usw. Ein weiterer Aspekt ist mir wichtig: Wir dürfen nicht nur mit neuen Strafen drohen, sondern müssen auch offen über die Ursachen von Doping im Sport reden, über Strukturen und Rahmenbedingungen, über den bestehenden Leistungsdruck, über die Motive, Ängste und Zwänge. Nur dann wird der Sport weiterhin positive Werte wie die Erhaltung von Gesundheit, Leistungsbereitschaft, Fairness und Teamgeist verkörpern, nur dann werden sich Breiten- und Spitzensport gegenseitig befördern können, und nur dann wird der Sport jene gesellschaftliche Bedeutung erlangen, von der wir alle – auch hier im Bundestag – immer wieder reden oder gelegentlich auch träumen. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte abschließend noch auf zwei Punkte eingehen, die besonders in der öffentlichen Diskussion sind: Ein Problem ist die im Gesetzentwurf vorgesehene uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit von Dopingmitteln bei Spitzensportlern. Hier teile ich die Bedenken von wichtigen Vertretern der Athleten wie dem Diskus-Olympiasieger Robert Harting. Was ist zum Beispiel, wenn ein Sportler auf dem Weg zum Training ein Asthmamittel für seine Frau aus der Apotheke holt (Dagmar Freitag [SPD]: Um die Mittel geht es gar nicht, Herr Kollege!) – Moment bitte! –, das einen Wirkstoff enthält, der auf der Dopingliste steht, und in eine Kontrolle gerät? Das ist natürlich ein konstruierter Fall, aber er ist auch nicht völlig unrealistisch. Deshalb plädieren wir dafür, nicht allein auf den Besitz abzustellen, sondern stattdessen – ähnlich wie bei der Rechtsprechung im Betäubungsmittelbereich – den Besitz nicht geringer Mengen unter Strafe zu stellen. Das ist eine Differenzierung, die wir gerne vornehmen möchten. (Beifall bei der LINKEN) Ich lege großen Wert – das will ich hier noch einmal betonen – auf den Sachverstand des Deutschen Olympischen Sportbundes. Beim vorliegenden Gesetzentwurf sehe ich anders als der DOSB jedoch keine Beeinträchtigung oder gar Aushöhlung der Sportgerichtsbarkeit. Beides kann aus meiner Sicht durchaus nebeneinander funktionieren. Die Verbände können bei Dopingvergehen weiterhin die in ihren Regeln vorgesehenen Wettkampfsperren aussprechen, und bei gravierenden Verstößen oder bei Wiederholungstätern kann künftig zusätzlich auch die Staatsanwaltschaft tätig werden. Das ist im Übrigen auch keine Doppelbestrafung; denn schon heute wird ein Fußballprofi bei einer Tätlichkeit gemäß Regelwerk mit der Roten Karte vom Platz gestellt und von seinem Verband entsprechend gesperrt, und darüber hinaus kann dennoch eine Strafanzeige wegen Körperverletzung erfolgen und kann die Staats-anwaltschaft tätig werden. Diese Möglichkeit ist da, und das Gleiche kann aus unserer Sicht künftig auch im Dopingbereich erfolgen. Ich füge noch hinzu: Die Sportgerichtsbarkeit allein löst auch nicht alle Probleme. Ein Sportler wird zum Ende seiner Karriere von Sperren nicht mehr sonderlich beeindruckt, da er seine Laufbahn ohnehin beenden will. Hier ist es eine Erhöhung der Hürde für den Einsatz von Dopingmitteln, wenn man auch strafrechtliche Konsequenzen zu fürchten hat. Ob es wirklich klug ist – das ist meine letzte Bemerkung –, die umstrittenen Athletenvereinbarungen gerade über das Anti-Doping-Gesetz zu regeln und hier eine rechtliche Grundlage zu schaffen, werden wir in den Ausschüssen noch zu diskutieren haben. In diesem Bereich gibt es bisher mehr Fragen als Antworten. Dennoch sage ich: Der Gesetzentwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir freuen uns auf die anstehenden Beratungen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor ich dem Justizminister das Wort erteile, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit bekannt: abgegebene Stimmen 590. Mit Ja haben gestimmt 448, mit Nein haben gestimmt 126. Es gab 16 Enthaltungen. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 586; davon ja: 444 nein: 126 enthalten: 16 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt (Althengstett) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Dr. Carsten Sieling Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein CDU/CSU Cajus Caesar Klaus-Peter Flosbach Dr. Stephan Harbarth Rudolf Henke Dr. Heribert Hirte Dr. Hendrik Hoppenstedt Uwe Lagosky Carsten Müller (Braunschweig) Sylvia Pantel Heiko Schmelzle Carola Stauche Matthäus Strebl Dr. Johann Wadephul Ingo Wellenreuther Klaus-Peter Willsch Dr. Matthias Zimmer SPD Kirsten Lühmann DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Enthalten CDU/CSU Maik Beermann Wolfgang Bosbach Uda Heller Alexander Hoffmann Hubert Hüppe Andrea Lindholz Dr. Andreas Nick Tino Sorge SPD Hilde Mattheis Ulli Nissen Andreas Rimkus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Anja Hajduk Dieter Janecek Brigitte Pothmer Kordula Schulz-Asche Dr. Valerie Wilms Das Wort hat nun der Bundesminister der Justiz, Heiko Maas. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am heutigen Tage schlagen wir ein neues Kapitel im Kampf gegen das Doping auf. (Dagmar Freitag [SPD]: Endlich!) – Ja, richtig: Endlich schlagen wir ein neues Kapitel auf. – Leistungssportler, die in Zukunft dopen, sind nicht Menschen, die nur eine lässliche Sünde begehen, sondern Straftäter. Das ist ein Schritt, der nötig ist; denn die Geschichte der Dopingbekämpfung ist mittlerweile zwar lang, aber bedauerlicherweise keine Erfolgsgeschichte. Immer wieder wurde und wird manipuliert, getäuscht und auch betrogen. Das geht vor allen Dingen zulasten der ehrlichen Sportlerinnen und Sportler. Aber im Ergebnis werden wir alle getäuscht: die Veranstalter, die Sponsoren und Millionen von Zuschauern. Deshalb finde ich – das ist der Grund dafür, dass wir uns nach vielen Jahren der Diskussionen dazu entschlossen haben, diesen Gesetzentwurf vorzulegen –: Der Staat darf das nicht länger hinnehmen. Dazu ist der Sport mittlerweile viel zu wichtig für unsere Gesellschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Es geht auch nicht nur darum, Sportlerinnen und Sportler vor ihrer gesundheitlichen Selbstschädigung zu bewahren; es geht vor allen Dingen auch darum, Betrug zu ahnden. (Michaela Engelmeier [SPD]: Genau!) Denn Doping ist nichts anderes als eine Spezialform des Betruges. Betrug ist ohnehin schon strafbar. Wenn man sich vor Augen führt, dass es im Leistungs- und Profisport mittlerweile um Millionen-, teilweise um Milliardenbeträge geht, etwa bei den Fernsehgeldern, dann -erkennt man: Das ist eine Dimension, bei der das Strafrecht durchaus ein geeignetes Instrument ist, das man zur Hilfe nehmen kann, um die Missstände, die es dort gibt, anzugehen. Die deutschen Sportvereine haben 28 Millionen Mitglieder. Für Kinder und Jugendliche ist Sport Gott sei Dank nach wie vor – ich hoffe, dass es noch lange so bleibt – die Freizeitbeschäftigung Nummer eins. Sport erzielt die höchsten Einschaltquoten, erzielte auch die höchste Einschaltquote, die jemals im deutschen Fernsehen gemessen wurde, nämlich 86 Prozent. Sport steht für Werte wie Fair Play, Chancengleichheit und Teamgeist. Aber, meine Damen und Herren, all das ist durch Doping gefährdet. Doping ist sozusagen die Negation aller Werte des Sports. Auch dagegen richtet sich unser Gesetzentwurf. Wir wollen den Verfall dieser Werte durch dopende Sportler stoppen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht durch Strafrecht!) Doping bedeutet eben das Gegenteil: Erfolg um jeden Preis, ohne gleiche Chancen, ohne Fairness, ohne Rücksicht auch auf die eigene Gesundheit. Ich finde, wenn unsere Gesellschaft zulässt, dass Regeln immer wieder gebrochen werden, wenn wir unfähig bleiben, den Regelbruch zu stoppen, und wenn Menschen erleben, dass Betrug und Manipulation einfach zum Erfolg führen, dann gefährdet das nicht nur den Sport, sondern dann steht, wie ich finde, mehr auf dem Spiel: Es geht um das Rechtsbewusstsein in unserem Land. Wir dürfen nicht zulassen, dass es in Mitleidenschaft gezogen wird. Auch deshalb ist dieses Gesetz so wichtig. Meine Damen und Herren, es geht bei dem Gesetz im Wesentlichen um drei Punkte, die ich hervorheben möchte: Erstens. Das Selbstdoping wird strafbar, und wir führen die sogenannte uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit ein. Wer als Leistungssportler dopt, der handelt kriminell. In Zukunft drohen nicht mehr nur die Sperren der Verbände, sondern auch Ermittlungsverfahren und Geldstrafen oder im Extremfall sogar eine Haftstrafe. Die Strafbarkeit des Selbstdopings wird an der einen oder anderen Stelle immer wieder in Zweifel gezogen. Ich will Ihnen ehrlich sagen: Das kann ich nicht verstehen. Denn ich frage mich: Wer, wenn nicht der dopende Sportler, sozusagen der Profiteur des ganzen Geschäftes, muss denn Ziel einer strafrechtlichen Verfolgung sein? Schon jetzt ist es strafbar, wenn man mit nicht geringen Mengen erwischt wird. Der eigentliche Profiteur des Dopings, nämlich der betrügende Sportler, der anschließend Preisgelder erhält und Werbeverträge abschließt, der also seine Einnahmen durch Betrug außerordentlich erhöht, soll schadlos davonkommen? Das kann ich nicht verstehen. Deshalb ist das Selbstdoping das zentrale Element dieses Gesetzentwurfs. Genau diesen Punkt müssen wir umsetzen, um die Betrüger im Sport endlich dranzukriegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit ist wichtig und richtig. Ich will auf das Argument, das Sie eben angesprochen haben, eingehen, weil das sozusagen der Klassikerfall ist: das Asthmaspray der Ehefrau oder des Kindes. Zum Thema „Asthma im Leistungssport“ könnte man jetzt wirklich viel erzählen; darauf will ich verzichten. Aber ich will zumindest darauf hinweisen: Im Gesetzentwurf steht, dass lediglich das Mitsichführen von Dopingmitteln noch nicht strafbar ist; es muss auch nachgewiesen werden, dass es in der Absicht mit sich geführt wird, (Dagmar Freitag [SPD]: Genau! Mit Vorsatz!) es nicht der Frau zu bringen, sondern es selber zur Leistungssteigerung und Wettbewerbsverzerrung zu nutzen. Deshalb ist der klassische Asthmafall eben kein Fall, der gegen die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit in Stellung gebracht werden kann. (Dagmar Freitag [SPD]: Das ist auch leicht zu verstehen! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also ist es ein Schongesetz, oder wie?) Meine Damen und Herren, das Gesetz erfasst nicht nur den deutschen Spitzensport, nicht nur die in Deutschland Trainingskontrollen unterliegenden Sportler, die, deren erhebliche Einnahmen in ihrem Sport ihr Einkommen darstellen; auch für ausländische Spitzensportler, die bei uns Dopingmittel oder Dopingmethoden anwenden, gilt das Strafrecht. Also – an all diejenigen, die diesbezüglich verunsichert waren – gleiches Recht für alle und nicht nur für die, die in Deutschland trainieren. Ein zweiter Punkt, der wichtig ist – Herr de Maizière hat das zumindest schon angedeutet –: Das Gesetz wird die Strafbarkeit des Handelns der Helfer und Hintermänner weiter verschärfen. Kein Sportler – zumindest ist mir keiner bekannt – braut sich im Keller in einer Drogenküche seine eigene Dopingsubstanz. Es sind vielmehr organisierte Untergrundlabore, Dopingdealer, um die es geht; ein blühender Geschäftszweig. Deshalb werden wir – das kommt in dem Gesetzentwurf zum Ausdruck – das gesamte Treiben dieser Branche unter Strafe stellen, also das Herstellen, das Handeltreiben, das Veräußern und das Abgeben von Dopingmitteln. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In schweren Fällen – bedauerlicherweise zeigt uns die Geschichte des Dopings, dass es diese Fälle in der Vergangenheit gegeben hat –, wenn zum Beispiel Dopingmittel an Kinder und Jugendliche abgegeben werden, droht den Dealern sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren. Das ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt unseres Gesetzentwurfs. Der dritte Punkt, der mir wichtig ist – man muss es erwähnen, um Missverständnisse auszuräumen, die in der öffentlichen Debatte immer wieder entstehen, Dinge, die nicht wahrer werden dadurch, dass sie immer wiederholt werden –: Wir stärken mit dem Gesetz die Sportverbände im Kampf gegen das Doping. In Zukunft sollen nämlich die Gerichte und die Staatsanwaltschaften ihre Informationen über Dopingtäter an die Nationale Anti Doping Agentur übermitteln können. Außerdem stärken wir die Schiedsgerichtsbarkeit; das ist schon erwähnt worden. Es gab in der Vergangenheit dort erhebliche rechtliche Unsicherheiten. Dadurch, dass wir dazu eine Regelung ins Gesetz aufnehmen, ist jetzt klargestellt: Grundsätzlich ist es in Ordnung, dass Sportler vor einem Wettkampf vereinbaren, dass die Schiedsgerichte zuständig sind. Wenn es dann tatsächlich zu einem Dopingfall kommt, ist klar, dass das sportinterne Sanktionssystem greifen wird. Das ist letztlich ein wichtiger Punkt für die Verbände und ihre Organisationen. Gerade daran wird besonders deutlich, dass wir den Kampf gegen das Doping auch deshalb verschärfen, weil wir die Rolle der Verbände stärken wollen und auch staatliche Mittel nutzen wollen, um das Doping zu bekämpfen. Ich finde auch, wir haben es uns nicht leicht gemacht mit diesem Gesetzentwurf; das kann man nun wirklich nicht sagen. Ich weiß gar nicht, wie lange die Politik bereits über dieses Thema diskutiert. Vielleicht – so empfinde ich das – hat sie auch zu lange gezögert, diesen Schritt zu gehen. Aber ich bin froh, dass wir uns jetzt dazu entschlossen haben. (Beifall der Abg. Dagmar Freitag [SPD]) Ich bin mir auch absolut sicher – darüber braucht mich niemand zu belehren –, dass das Strafrecht kein Allheilmittel ist, um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Es ist lediglich das letzte Mittel. Ich bin aber genauso davon überzeugt, dass gerade beim Doping das Strafrecht seinen Zweck erfüllen kann. Denn Täter handeln hier weder spontan noch aus irgendwelchen ideologischen Motiven. Sie handeln sehr überlegt und auch sehr berechnend. Gerade bei solchen potenziellen Straftätern kann die drohende Strafe abschreckende Wirkung haben und damit einen Rechtsbruch verhindern. Auch darum geht es. Viele Sportlerinnen und Sportler unterstützen unseren Gesetzentwurf (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und viele nicht!) und haben das öffentlich deutlich gemacht. (Dagmar Freitag [SPD]: Sehr viele!) Es gibt auch welche, die ihn nicht unterstützen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Es ist gut, dass man offen darüber diskutieren kann. Aber ich würde einfach darum bitten, sich mit den Argumenten der einen und der anderen auseinanderzusetzen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir genauso wie Sie! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir vielleicht besser als Sie!) Ein Argument, das eben eingeführt wurde, ist das sogenannte Negativdoping. Negativdoping besteht darin, dass man nicht selber dopt, sondern seinem Konkurrenten etwas unterjubelt, der dann bei einem Dopingtest auffällt und aus dem Verkehr gezogen wird. Es wird jetzt so getan, als sei das die große Gefahr, als könnte man durch die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit plötzlich Missbrauchsgefahren Tür und Tor öffnen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl wahr!) – Wohl wahr ist auch, dass das auch jetzt schon strafbar ist. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen nicht unserer Meinung sein!) Wohl wahr ist auch, dass man schon jetzt jemandem Dopingmittel in die Tasche schieben kann, wenn man das unbedingt will; denn das sind auch schon nicht geringe Mengen. (Dagmar Freitag [SPD]: Richtig!) Es ist völliger Blödsinn, zu behaupten, das sei eine neue Gefahr. So etwas ist auch jetzt schon strafbar. Deshalb wird das nicht dazu führen, dass dieses Gesetz nicht sinnvoll ist oder dass wir in irgendeiner Weise Gefahren im Sport entstehen lassen, die es so nicht gibt und die nicht verantwortbar wären. Ganz im Gegenteil: Das Gesetz ist bitter notwendig. Es ist bedauerlich, dass dieses Gesetz notwendig geworden ist, aber es war auch überfällig. Es ist gut, wenn wir den Kampf gegen das Doping jetzt auf die Art und Weise verschärfen und zusammen mit dem Sport fortführen. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Mutlu das Wort. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als grüne Bundestagsfraktion – das gilt auch für die grünen Landtagsfraktionen überall im Land – setzen wir uns für einen sauberen und fairen Sport ein. Wir lehnen – wie sicherlich alle in diesem Hause – Doping im Sport konsequent ab. Aber wir sind dennoch der Auffassung, dass der vorgelegte Gesetzentwurf weder in seiner Konstruktion überzeugend ist noch das Problem des Dopings in seiner Vielfalt angehen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Statt den Ursachen beizukommen, legen Sie die strafrechtliche Axt an die Symptome. Uns Grüne geht es nicht um die Symptome, sondern um die konsequente und konkrete nachhaltige Beseitigung der Ursachen des Dopings. Dafür ist das Strafrecht nicht geeignet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir lesen Monat für Monat in den Medien über Dopingfälle. Was ändert sich im Sport? Ziehen die Verbände Konsequenzen? Leider nicht! Als Paradebeispiel kann der Fall von Lance Armstrong genannt werden. Nicht einmal dieser riesige Dopingskandal hat zu einem echten und ernsthaften Umdenken im Profiradsport geführt. Seit einigen Monaten stehen auch die Mannschaftssportarten im Fokus der Fachmedien. (Michaela Engelmeier [SPD]: Umso mehr brauchen wir das Anti-Doping-Gesetz! Umso mehr!) In Frankreich und Kanada wird über das Doping im Rugby geredet. In den USA findet eine Debatte über American Football statt. Ich bin der Auffassung, dass auch in Deutschland diese Diskussion fällig ist, besonders im Bereich des Amateur- und Profifußballs. Schauen wir doch einmal genau hin: Es fängt damit an, dass Fußballer die 90 Minuten auf dem Feld inzwischen nur noch mit starken Schmerzmitteln durchhalten können. Ist das Spielmanipulation? Ist das Verfälschung des Ergebnisses? Warum nicht? Sicherlich! Ich frage mich auch: Was ist das für ein Sport, in dem Sportler vorsorglich zu starken Medikamenten und Schmerzmitteln greifen müssen, damit sie überhaupt die 90 Minuten im Wettkampf bestehen können? Wer behauptet, dass Doping im Fußball aufgrund der Komplexität der Bewegungen keine Rolle spielt, der behauptet schlichtweg Unfug. Wir alle wissen: Doping und ähnliche Manipulationen im sportlichen Wettbewerb – wir haben es vorhin gehört – gefährden den Sport und die Integrität des Sports. Auch deshalb ist und muss der Kampf gegen Doping eine der zentralen Aufgaben von uns, aber auch des Sports und der Sportverbände sein. In diesem Sinne ist Ihr Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Dopings meiner Ansicht nach weder stimmig noch zielführend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte das dadurch verdeutlichen, dass ich den Kampf gegen Doping mit der seit Jahren überfälligen Reform der Leistungssportförderung verknüpfe, die derzeit in Arbeit ist. Auf der einen Seite wissen wir, dass Doping in erster Linie eine Folge des gigantischen Leistungs- und Erfolgsdrucks im Sport ist. Auf der anderen Seite wollen Sie, Herr de Maizière, Fördermechanismen für den Spitzensport noch stärker auf Medaillen und Erfolg ausrichten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch mehr Medikamente!) Das passt nicht zusammen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn wenn wir davon ausgehen, dass im internationalen Spitzensport Doping nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel ist, dann wird die einseitige Ausrichtung der Sportförderung auf Medaillen und Erfolg auch in unserem Land nicht für weniger, sondern für mehr Doping sorgen. Das ist die traurige Realität, die die Minister – einer von Ihnen ist noch anwesend – wahrnehmen und ernst nehmen sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, es ist doch eine Binsenwahrheit, dass der Griff zum Strafrecht stets – wenn überhaupt – nur der letzte Schritt sein sollte. Ich will stichpunktartig auf einige kritikwürdige Punkte eingehen. Stichwort „Besitzstrafbarkeit“: Dieses Instrument ist schon beim Cannabis gescheitert. Warum sollte es beim Doping funktionieren? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Stichwort „Verbot des Selbstdopings“: Das Verbot des Selbstdopings berührt das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Selbstbeschädigung. Wir vermissen eine Abwägung, warum gerade Sportlerinnen und Sportler im Spitzensport im Gegensatz zu allen anderen Sportlern bzw. Menschen ihre eigene Gesundheit nicht gefährden dürfen sollen. Stichwort „Fairness im Sport“: Welches verfassungsrechtliche Schutzgut stellt Fairness im Sport dar? Ihr Versuch, Fairness im Sport per Gesetz strafrechtlich schützen zu wollen, ähnelt dem Versuch, Pudding an die Wand des Bundestages zu nageln. Das wird weder dem Pudding noch der Fairness nützen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem Bundestag auch nicht!) Auch bei den Vorschlägen aus den Ländern müssen wir genau hinschauen. Die Einführung einer Kronzeugenregelung beispielsweise lehnen wir ab. Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu den Bürgerrechten der Athletinnen und Athleten. Für uns gelten die Bürgerrechte auch für Athletinnen und Athleten. Mit Ihrem Gesetzentwurf schaffen Sie im Endeffekt den gläsernen Athleten. Auch das können wir nicht gutheißen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, statt das Strafrecht zu bemühen, müssen wir uns insbesondere mit der Leistungsspirale im Sport und den eigentlichen Ursachen des Dopings auseinandersetzen. Dazu gehört auch der Wille, die Dopingvergangenheit unseres Landes, und zwar in Ost und West, lückenlos aufzuarbeiten. Ich nenne nur das Stichwort „Freiburg“. Insofern sollten wir umfassender an die Sache herangehen. Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang auch über Sportbetrug und Spielmanipulation reden. (Michaela Engelmeier [SPD]: Das machen wir bereits!) Der Herr Minister hat es zwar gerade angekündigt, aber ich verstehe nicht, warum es nur Ankündigungen gibt, statt schon zur Tat zu schreiten. Denn Sportbetrug und Spielmanipulation sind eines der Kernprobleme des Dopings. Wir meinen deshalb, dass Sportbetrug zwingend als Tatbestand eingeführt werden soll. Ich komme zum Schluss. Der Zweck des Anti-Doping-Gesetzes ist insbesondere auf den Schutz des wirtschaftlichen Wettbewerbs des Sports vor unlauterer Manipulation auszurichten. Denn im kommerziellen Sport werden Milliarden umgesetzt. Es geht nicht um die olympische Idee und sportliche Ideale, sondern um knallharten Profit. Deshalb sollten wir versuchen, das in unserer Arbeit und in der Gesetzgebung abzubilden, statt nur das Strafrecht zu bemühen und den Blick einseitig auf die Sportlerinnen und Sportler zu richten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Mutlu. – Schönen guten Morgen von mir, liebe Kolleginnen und Kollegen und auch Ihnen, unseren Gästen! Der nächste Redner in der Debatte ist Reinhard Grindel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Gesetzentwurf geht es im Kern vor allem um eine Frage: Reicht es beim Kampf gegen Doping aus, allein auf die Sportgerichtsbarkeit zu setzen, oder brauchen wir, gerade wenn es um den dopenden Sportler geht, dazu auch die Mittel des Strafrechts? Wir müssen es schon ernst nehmen, dass der DOSB unsere Gesetzesinitiative ablehnt und damit sagt: Wir brauchen das Strafrecht nicht. Lasst uns das Dopingproblem mit unseren Mitteln lösen, den Mitteln des Sportrechts. Ist also im Großen und Ganzen alles in Ordnung? (Dagmar Freitag [SPD]: Sie schaffen es ja nicht!) In diesem Zusammenhang wird meines Erachtens eine Studie der Deutschen Sporthochschule und der Sporthilfe in der Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet. Im Rahmen dieser Studie ist in einem streng anonymisierten Verfahren Spitzensportlern die entscheidende Frage gestellt worden: Greifen Sie regelmäßig zu Dopingmitteln? – Mit Nein antworteten 53,4 Prozent, mit Ja 5,9 Prozent, keine Antwort gaben 40,7 Prozent. Angesichts solcher Zahlen kann man wohl eher nicht davon reden, dass alles in Ordnung ist. Ein so großes Dunkelfeld darf sich der deutsche Sport nicht leisten. Deshalb müssen wir, auch mit den Mitteln des Strafrechts, den Kampf gegen das Selbstdoping von Sportlern mit aller Entschiedenheit führen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die zweite, vor allem von Strafrechtsprofessoren vorgetragene Kritik lautet: Ihr schafft mit der Integrität des sportlichen Wettbewerbs ein völlig neues Rechtsgut, das im Strafrecht nichts verloren hat. – Was völlig übersehen wird, auch von Ihnen, Frau Künast, in Ihrem heutigen Aufsatz: Wir kennen seit langem den Schutz des wirtschaftlich fairen Wettbewerbs, wie ihn § 299 des Strafgesetzbuches regelt. Wir diskutieren über einen neuen § 299 a – Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen –, mit dem wir das Vertrauen der Patienten in die Integrität heilberuflicher Entscheidungen auch mit den Mitteln des Strafrechts schützen wollen. Ist es da so abwegig, auch die Integrität des sportlichen Wettbewerbs und das Vertrauen der Menschen darauf zu schützen? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist etwas anderes!) An dieser Stelle kommt es auf die gesellschaftliche Bedeutung des Sports an. Wo sind denn die Integrationskräfte in unserer Gesellschaft, die für Zusammenhalt und ein Stück Heimat sorgen? Kirchen, Gewerkschaften und Parteien verlieren Mitglieder. Bei den Sportvereinen ist die Zahl trotz einer negativen demografischen Entwicklung stabil, im Fußball steigt sie sogar. Wo versammeln sich noch ältere und jüngere Menschen, Frauen und Männer, Ärmere und Besserverdienende, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund? Es ist beim Sport. Glauben wir tatsächlich, dass sich unsere Gesellschaft positiv entwickelt, wenn wir nur noch auf digitale soziale Netzwerke setzen? Sind es in Wahrheit nicht unsere Vereine, vor allem die Sportvereine, bei denen wirklich soziale Kompetenzen vermittelt werden? Warum setzen sich denn die höchsten Repräsentanten unseres Landes dafür ein, dass Olympische Spiele oder eine Fußball-europameisterschaft in Deutschland stattfinden? Weil von einem solchen Leuchtturmprojekt eine große Strahlkraft, eine große Anziehungskraft ausgeht, die gerade Kinder und Jugendliche motivieren wird, Sport in Vereinen zu betreiben. (Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Sehr richtig!) Aber all das wird scheitern, wenn die Menschen, gerade die jungen Menschen, den Glauben an Fairness im Sport, den Glauben an die Zufälligkeit des Ergebnisses, an die Lauterkeit unserer Spitzensportler verlieren. Wer als dopender Sportler an den Fundamenten des Sports rüttelt, wer das mit Füßen tritt, woran vor allem junge Menschen glauben, der muss eben nicht nur aus dem sportlichen Wettbewerb ausgeschlossen werden, sondern der und seine möglichen Hintermänner müssen auch die volle Härte des Rechtsstaats spüren, weil wir nur so die Integrität und die Integrationskraft des Sports bewahren können. Das ist das Kernanliegen unseres Gesetzentwurfs. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Integrität des sportlichen Wettbewerbs wird nicht nur von Doping, sondern auch von Spielmanipulation bedroht. CDU/CSU und SPD haben deshalb in ihrem Koalitionsvertrag verankert: Doping und Spielmanipulationen zerstören die ethisch-moralischen Werte des Sports … Deshalb werden wir weitergehende strafrechtliche Regelungen beim Kampf gegen Doping und Spielmanipulation schaffen. Ich bin Ihnen, Herr Minister de Maizière, dankbar, dass Sie angekündigt haben, dass wir hier Initiativen erwarten dürfen. Lieber Herr Kollege Maas, es wäre auch nicht verkehrt gewesen, wenn Sie sich dem hier am Rednerpult angeschlossen hätten. (Dagmar Freitag [SPD]: Das war heute nicht das Thema, Herr Kollege!) Ich gehe davon aus, dass Sie das tun werden. Um es ganz klar zu sagen: Wir möchten, dass der Koalitionsvertrag eins zu eins umgesetzt wird, ein Anliegen, das Sie, Herr Maas, auch bei anderer Gelegenheit immer wieder einfordern. Ich sage noch einmal: Wer die Integrität des sportlichen Wettbewerbs schützen will, muss das auch tun, wenn es um Spielmanipulation geht. Auch die bedroht unseren Sport. (Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Freitag [SPD]: Das werden wir auch tun!) Nun werden schon vor der ersten Lesung unseres Gesetzentwurfs Sammelklagen angedroht, was immer man darunter verstehen mag. Via FAZ wird uns von den Leichtathleten Betty Heidler und Robert Harting mitgeteilt – ich zitiere –: Die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit löse bei Athleten erhebliche Ängste aus, sich trotz Fehlens jeder Dopingabsicht strafbar zu machen … Zudem müsse die Doping-Absicht zur Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung gemacht werden. (Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Ist sie doch!) Frau Heidler sei Jurastudentin, ist in der FAZ zu lesen. Dann wird sie den Spruch kennen: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wenn sie das tun würde, würde sie in § 3 des Anti-Doping-Gesetzes auf eine klare Regelung stoßen: Die Besitzstrafbarkeit setzt voraus, dass der Erwerb oder Besitz des Dopingmittels zum „Zwecke des Dopings“ erfolgt. (Beifall bei der SPD – Dagmar Freitag [SPD]: Lesen bildet!) Es kommt also nicht nur auf die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes an, sondern auch auf die des subjektiven Tatbestands. Folglich heißt es in der Begründung des Anti-Doping-Gesetzes: Das Verbot erfasst nur die Fälle, in denen die Sportlerin oder der Sportler beabsichtigt, das Dopingmittel ohne medizinische Indikation bei sich anzuwenden oder anwenden zu lassen, um sich in einem Wettbewerb des organisierten Sports einen Vorteil zu verschaffen. Also ist die Forderung, die die beiden Sportler via FAZ transportieren, bereits erfüllt. Ich muss schon sagen: Wenn man so massiv die Politik angreift, wie das die Athleten tun, muss man sich vorher, finde ich, ein bisschen kundig machen, was wirklich im Gesetz steht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dagmar Freitag [SPD]: Sehr richtig!) Ich will nicht verschweigen, dass man an der Beteuerung der beiden Athleten zweifeln kann, man sei ja für einen entschiedenen Antidopingkampf, wenn man liest, wie sie Sportgerichtsbarkeit und Strafgerichte in ihrer Stellungnahme gegeneinander ausspielen. Da heißt es in der Stellungnahme: Wir verstehen nicht, weshalb die Politik der verbandsrechtlichen Sportgerichtsbarkeit hilft. – Ich sage: Wer die Integrität des sportlichen Wettbewerbs schützen will, der muss die Sportgerichtsbarkeit stärken. (Dagmar Freitag [SPD]: Richtig!) Ein des Dopings überführter Sportler muss sofort aus dem Wettbewerb genommen werden. Deshalb ist der Grundsatz des Strict Liability zwingend nötig. Wenn im Körper des Sportlers Dopingmittel gefunden werden, dann gilt das als Anscheinsbeweis mit der Folge des sofortigen Ausschlusses vom Wettbewerb. Da kann man doch nicht zwei oder drei Jahre auf ein Strafurteil warten und zusehen, wie einer mit unfairen Mitteln Titel um -Titel erringt. Dieser Zusammenhang ist doch naheliegend. (Beifall bei der SPD) Wir schaffen deshalb für Schiedsvereinbarungen und Schiedsgerichte eine klare gesetzliche Grundlage und kommen damit Erwartungen der Gerichte im Fall -Pechstein nach. Wir sollten die Hinweise von Experten ernst nehmen und im Ausschuss darüber reden, ob wir die Rechtsgrundlage möglicherweise nicht im Anti-Doping-Gesetz, sondern in der Zivilprozessordnung schaffen, weil es bei Streitigkeiten eben nicht nur um Doping, sondern auch um Ablösesummen von Sportlern oder den Streit um Nominierungen für sportliche Großveranstaltungen geht. Ich will einmal auf eines hinweisen: Wir sind vor wenigen Wochen mit dem Sportausschuss beim CAS in Lausanne gewesen. Dort haben uns führende Repräsentanten – alle Fraktionen waren ja bei der Reise vertreten – versichert, dass es beim CAS zu entscheidenden Reformen kommen wird, die klarmachen, dass der CAS unabhängig und nicht verbändeabhängig ist. Damit wird auch Bedenken von deutschen Gerichten Rechnung getragen. Zum Schluss will ich noch mal auf die Athletin Betty Heidler zurückkommen und ihr Plädoyer in der FAZ. Sie sagt dort – und meint das wohl offensichtlich ernst –, dass unser Anti-Doping-Gesetz sich negativ auf die jüngere Generation auswirken werde: Kinder und Jugendliche werden sich eher für Hobbysport entscheiden als sich in den Testpool aufnehmen lassen. Gemeint ist der Testpool, der die Voraussetzung dafür ist, dass man überhaupt Adressat dieses Anti-Doping-Gesetzes ist. Wir wollen ja nicht den Freizeitläufer beim Berlin-Marathon in den Blick nehmen, weil der nicht geeignet ist, die Integrität des Sports zu bedrohen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) sondern eben den Spitzenathleten, dem gerade die jungen Menschen nacheifern. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja jetzt Unsinn, Herr Grindel! Alle laufen mit beim Marathon, und das stört die Integrität nicht?) – Frau Künast, Sie zeigen in Ihrem Aufsatz in der FAZ, dass Sie wenig begriffen haben, worum es hier geht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Ihren Augen hat eine Frau noch nie irgendwas begriffen, Herr Grindel!) Es ist natürlich ein gravierender Unterschied, ob Sie jemanden haben, der als Spitzensportler durch Doping Wettbewerbe beeinflusst, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) auf die Millionen von Menschen schauen, oder ob ein Hobbysportler Nahrungsergänzungsmittel nimmt mit Substanzen, die man nicht nehmen darf. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doping ist Doping!) Das ist doch ein ganz zentraler Unterschied. Sie haben einfach – das müssen Sie einmal zugeben – den ganzen Ansatz unseres Anti-Doping-Gesetzes nicht verstanden. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Leider!) Das ist leider das Problem. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was würden wir ohne Sie machen?) – Mir zuhören, Herr Mutlu. Das wäre schon ein erster Schritt. Dann würde man auch ohne Schmerzmittel – um das zu sagen – jede Ihrer Reden gut überstehen können. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank ist das nicht ansteckend!) Ich will jetzt, Frau Präsidentin, mit vollem Ernst noch einen Schlussgedanken zu diesem Zitat von Frau Heidler formulieren. Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber einen kurzen Gedanken. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Ja. – Wir wollen, dass gerade in den Jugendstützpunkten – hier geht es um junge Menschen –, in denen sich entscheidet, ob aus jungen begabten Athleten Spitzensportler werden, gute Präventionsarbeit geleistet wird. Wir wollen, dass sich Jugendliche für den Spitzensport entscheiden, gerade weil sie wissen, dass es hier in Deutschland sauber und sportlich fair zugeht, dass am Ende der Beste gewinnt und nicht der mit den skrupellosesten Ärzten im Hintergrund. Ein letzter Gedanke: Herr Harting lässt sich mit den folgenden Worten zitieren – das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen –: Die Welt ist genervt vom deutschen Anti-Doping-Kampf. (Dagmar Freitag [SPD]: Unfassbar!) Dazu kann ich nur sagen: Hoffentlich ist die Welt genervt; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) denn Weltmeister im Antidopingkampf zu sein, ist vielleicht noch ein bisschen wichtiger, als Weltmeister im Diskuswurf zu sein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Reinhard Grindel. – Nächster Redner in der Debatte: Frank Tempel für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bekämpfung von Doping im Sport ist offensichtlich ein gemeinsames politisches Ziel aller Fraktionen im Deutschen Bundestag. Dabei geht es, wie gehört, um Fairness und Chancengleichheit im sportlichen Wettbewerb. Und es geht um die Glaubwürdigkeit und Vorbildfunktion des Sports, insbesondere des Spitzensports. Es geht natürlich auch um wirtschaftliche Faktoren, wenn letztendlich aufgrund von Doping Fördermittel, Gehälter oder Prämien bezogen werden und nicht dopende Sportler deswegen keinen Zugang zu diesen Einnahmen haben. Aber der absolut vorrangigste Zweck – ich hoffe wirklich, dass das alle so sehen – ist nicht der wirtschaftliche Aspekt, sondern der Schutz der Gesundheit von Sportlerinnen und Sportlern, (Beifall bei der LINKEN) und das, Herr Grindel, eben nicht nur im Leistungssport. Neu im Katalog der Maßnahmen ist das Unter-Strafe Stellen von Selbstdoping, also die Strafanzeige für dopende Sportler im Wettbewerb des organisierten Sports. In etwas abgeschwächter Form ist diese Forderung auch im Antrag meiner Fraktion, der Linken, enthalten. Wer meine Forderungen in der Drogenpolitik kennt, weiß, dass ich erhebliche Zweifel an der generalpräventiven Wirkung von Verboten habe, also Zweifel daran, dass ein Verbot wirklich hilft, die Situation zu verbessern, also in diesem Fall die Dimensionen des Dopings im Sport zu verringern. An dieser Stelle richte ich ein Dankeschön an meine Fraktion dafür, dass ich diese Zweifel hier äußern darf, dass ich diesen Aspekt in die Debatte einbringen darf. Natürlich haben viele Sportlerinnen und Sportler Angst vor Kriminalisierung, und die Linke nimmt diese Angst ernst, und zwar ohne Arroganz, Herr Grindel. Wir arbeiten mit den Sportlern zusammen und nicht über ihre Köpfe hinweg. (Beifall bei der LINKEN) Es geht im Gegensatz zum Cannabisgebrauch nicht nur um eine potenzielle gesundheitliche Gefährdung des Sportlers, sondern eben auch um das Erlangen von Vorteilen zum Nachteil anderer. Auch darüber müssen wir in der Debatte diskutieren. Es geht grundsätzlich – das halte ich für genauso wichtig – um den Stellenwert des Sports in unserer Gesellschaft. Sehr schnell kann der Eindruck entstehen, dass der Kampf gegen Doping ein Thema des Spitzensports ist. Das ist aber falsch. Der Kampf gegen Doping muss sehr viel breiter angelegt werden; und spätestens da wird uns das Strafrecht nicht mehr helfen. Ein Straftatbestand für Spitzensportler ist schnell beschlossen; aber gegen die Dopingnormalität im Breitensport werden ganz andere Anstrengungen notwendig sein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der gedopte Radsportler wird in der Öffentlichkeit schnell mit Verachtung und Enttäuschung überhäuft und ist nun wohl bald auch ganz offiziell kriminell. Wie aber sieht es im Breitensport aus? Wer hat da eigentlich noch das Wissen, was Doping ist? Besuchen Sie einmal zu Hause die Fitnessstudios, und schauen Sie sich an, was dort passiert: Für die einen ist der Proteinshake bereits Doping; für die anderen sind all die verschiedenen Kapseln, Pillen und Tröpfchen, die es dort in sehr großer Anzahl und Auswahl gibt, völlig normal. Wer sich ein wenig informiert, weiß, dass man über das Internet und über das Ausland ganz schnell Mittelchen beziehen kann, die versprechen, dass der gewünschte leistungssteigernde Effekt noch schneller eintritt. Kaum einer weiß aber, was diese Mittelchen tatsächlich alles bewirken. Es reicht, wenn auf der Verpackung steht: „schnellere Fettverbrennung“, „schnellerer Muskelaufbau“, „schnellere Regeneration“, und schon wird das Zeug gekauft. Damit wird viel Geld verdient. Ganz schnell geht es nicht mehr nur um Nahrungsergänzungsprodukte – das Ganze übrigens oft ohne Altersbeschränkung. Vielleicht steht noch auf der Verpackung, dass die angegebene Dosierung nicht überschritten werden darf. Warum? – Das steht nicht drauf. Aus einigen Gesprächen beim Training weiß ich allerdings, dass auch dieser Hinweis oft ignoriert wird; denn vielleicht hilft viel ja doch viel, und die Zeitschriften sind voll von verlockenden Vorher-nachher-Bildern, gerade jetzt, im Frühjahr. Doping, so der Eindruck, ist nur ein Phänomen des Profisports. Nein, der Kampf gegen Doping ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das ist in allererster Linie eine Frage der Prävention, eine Frage der Aufklärung und Bildung, auch bei Marathonläufern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Linke fordert deswegen wesentlich stärkere Anstrengungen in diesen Bereichen. Die Einigkeit hier im Bundestag bei der Bekämpfung des Dopings wird sich auch in den Fragen von Aufklärung und Prävention fortsetzen müssen, selbst wenn es vielleicht Geld kostet. In der Fortsetzung eines Anti-Doping-Gesetzes müssen geeignete Programme gefunden werden, die den gesundheitsfördernden Charakter des Sports wieder stärken und die Akzeptanz des Dopings zurückdrängen. Die Werte müssen sich wieder so verändern, dass ein durchtrainierter Freizeitsportler oder Marathonläufer nicht mehr gefragt wird, was er einnimmt, sondern, wie oft er trainiert. Das ist die Integrität des Sports. (Beifall bei der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr müsst euch besser absprechen! Der eine begrüßt und der andere kritisiert!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frank Tempel. – Nächste Rednerin in der Debatte: Dagmar Freitag für die SPD. (Beifall bei der SPD) Dagmar Freitag (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland bekommt ein Anti-Doping-Gesetz. Das ist gut so aus vielerlei Gründen, aber vor allen Dingen auch wegen der sportpolitischen Vorgeschichte unseres Landes in Sachen Doping. Ich danke an dieser Stelle insbesondere den beteiligten Ministerien. Justizminister Heiko Maas hat schon zu Beginn seiner Amtszeit deutlich gemacht, dass ihm dieses Gesetzesvorhaben ein besonderes Anliegen ist. Dank auch an die Kolleginnen und Kollegen der Union für die Unterstützung. (Beifall bei der SPD) Wir bekommen ein Anti-Doping-Gesetz. Wir wissen: Es gibt viele, die lange auf ein solches Gesetz gewartet haben, und bekanntlich andere, die genauso lange versucht haben, es zu verhindern, bis heute übrigens, und zwar mit fadenscheinigen bis hin zu absurden Argumenten, die auch durch ständige Wiederholung nicht wirklich besser werden. Das mittlerweile zu einer gewissen Berühmtheit gelangte Asthmaspray ist ein Beispiel dafür. Nach rund zwei Jahrzehnten wirklich zäher Diskussionen vor allem mit Vertretern des organisierten Sports haben sich die Befürworter einer Dopingbekämpfung, die durch rechtsstaatliche Instrumente unterstützt wird, gegen jene durchgesetzt, die glauben machen wollen, der Sport könne das Problem alleine lösen. Nach dieser Vorgeschichte muten öffentliche Vorwürfe, dieser Gesetzentwurf werde per Dekret durchgepeitscht, geradezu verzweifelt an. Ich empfehle an dieser Stelle etwas mehr Gelassenheit, man könnte auch sagen: etwas mehr Sportsgeist. Zukünftig werden sich also dopende Sportler nicht nur vor der Sportgerichtsbarkeit verantworten müssen, sondern können auch von staatlichen Ermittlungen und Sanktionen betroffen sein; denn die dopenden Sportler sind – wie mehrfach erwähnt – diejenigen, die sich Vorteile verschaffen. Sie gelangen unverdient nicht nur zu Ruhm und Ehre, sondern auch zu Preisgeldern und Sponsorenverträgen. Leidtragende dieser Machenschaften sind die sauberen Athletinnen und Athleten. Sie werden um fast alles betrogen, für das sie jahrelang hart trainiert haben: um den unvergleichlichen Moment der Siegerehrung in einem voll besetzten Stadion, das Abspielen der Nationalhymne, Prämien, Werbeverträge. Natürlich gibt es einen weiteren ganz großen Verlierer, nämlich den Sport als Kulturgut in seiner ganzen Vielfalt, mit all seinen positiven Facetten und Eigenschaften sowie seinen Werten wie Chancengleichheit und Fairness. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Sport und andere haben sich lange eingeredet, den Dopingsumpf mit ihren eigenen Mitteln bekämpfen zu können. Wie wir wissen, waren sie nicht erfolgreich. Daher ist schon seit Jahren über die Einführung eines entsprechenden Gesetzes diskutiert worden. Ein erster echter Anlauf hat dieses Problem im Jahre 2007 nicht beseitigen können; das wissen wir. Schon damals waren wir dem erbitterten Widerstand der Sportorganisationen ausgesetzt. Aber die Zeiten haben sich geändert. Wir haben mehr Unterstützung aus dem Sport und auch, Frau Künast, von Sportlerinnen und Sportlern – ja, von Sportlerinnen und Sportlern, die sich ganz offensichtlich keine Sorgen um bestimmte Grenzwerte machen, möglicherweise weil sie es nicht müssen. Jetzt also liegen umfassendere Maßnahmen auf dem Tisch. Die Kernelemente sind genannt: Verbot von Selbstdoping und die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit von Dopingsubstanzen. Warum, bitte, sollte man Anabolika, Wachstumshormone und andere hochwirksame Medikamente oder Substanzen ohne jegliche medizinische Indikation zu Hause im Schrank liegen haben, wenn nicht zu Dopingzwecken? Dieser Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Signal einer Null-Toleranz-Politik, die ihren Namen auch verdient. Und das Gesetz wird nach rechtsstaatlichen Prinzipien die unbestritten schnellere Sportgerichtsbarkeit flankieren und ergänzen (Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Sehr richtig! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird ja noch nicht einmal nach rechtsstaatlichen Prinzipien beraten!) und nicht – wie von interessierter Seite immer wieder betont wird – beeinträchtigen. Manchmal ist es geradezu erschreckend – der Kollege Grindel hat es erwähnt –, wie wenig Sachkenntnis bei denjenigen vorhanden ist, die einen Konflikt zwischen Sportgerichtsbarkeit und staatlichen Gerichten herbeireden wollen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen schon aushalten, was andere an Fragen stellen!) die offensichtlich nicht einmal den juristisch bedeutsamen Unterschied zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz zu kennen scheinen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie ihn hier bitte einmal! Aber mit allen Stufen des Vorsatzes! Und keinen Fehler machen! Es gibt drei Stufen des Vorsatzes! Begeben Sie sich nicht aufs Glatteis!) oder die ernsthaft behaupten, der Sport müsse künftig vor dem Verhängen von Sanktionen den Ausgang eines Strafverfahrens abwarten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch mit Blick auf andere Länder ist ein klarer Kurs gegen diese Seuche des Sports ein ganz starkes Signal. Eines sollte man nämlich nicht unterschätzen – auch darauf ist hingewiesen worden –: Man schaut schon darauf, wie Gesetzgeber und Regierung in Deutschland in Sachen Dopingbekämpfung agieren. Wir haben die Nationale Anti Doping Agentur deshalb finanziell deutlich gestärkt. Auch sie kann ihrer Arbeit besser nachgehen als in der Vergangenheit. Mit diesem Maßnahmenpaket im Rücken appelliere ich auch an alle, die auf internationaler Ebene Gespräche führen: Werben Sie dafür, dass dort ähnlich konsequent agiert wird, wie wir das jetzt in Deutschland tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Damit greifen wir im Übrigen eine völlig berechtigte Forderung von Athletinnen und Athleten auf, die natürlich manchmal geradezu daran verzweifeln, wenn sie sehen, wie lax in anderen Ländern auf dieser Welt mit diesem Problem umgegangen wird. Wir sind also zuversichtlich – Herr Minister de Maizière hatte das auch angesprochen –, auch mit Blick auf unsere Olympiabewerbung, auf unsere Bewerbung um die Durchführung der Olympischen und der Paralympischen Sommerspiele in Deutschland, mit diesem Gesetz auf internationaler Ebene punkten zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Athleten sind selber dafür verantwortlich, ob sie zu Dopingsubstanzen greifen oder nicht. Heutzutage weiß jeder Spitzenathlet, jede Spitzenathletin, jeder Breitensportler durch unzählige Informations- und Präventionsmaßnahmen nicht nur, dass Doping Betrug ist, sondern auch, dass es zu schwersten gesundheitlichen Schäden führen kann. Auch in Deutschland hat Doping verheerende Spuren hinterlassen. Ich denke, es ist unsere gemeinsame Aufgabe, alles dafür zu tun, diesen Antidopingkampf zu einem Erfolg werden zu lassen. Deshalb sind wir entschlossen, nicht länger nur die Hintermänner, sondern auch den dopenden Sportler selber zur Rechenschaft zu ziehen. Denn wir reden hier nicht über Kavaliersdelikte. Wir reden über Betrug im sportlichen Wettbewerb, wo bislang mancher Athlet nach einer zweijährigen Sperre gut erholt und mindestens in alter sportlicher Stärke wieder ins Geschehen um Medaillen und Topplatzierungen eingegriffen hat – fast so, als sei nichts geschehen. Wir haben aber auch im Blick, dass Eltern ihre Kinder mit gutem Gewissen zu einem leistungsorientierten Training schicken können wollen und dass die Vorbildwirkung erfolgreicher Sportler für junge Menschen mit dem klaren Bekenntnis zu einem sauberen Sport in unserem Land einhergeht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs. Im Sportausschuss wird es dazu in Kürze eine mehrstündige öffentliche Anhörung geben. Danach werden – auch das ist im parlamentarischen Verfahren üblich – die Fraktionen in den mitberatenden Ausschüssen und im federführenden Sportausschuss darüber beraten, ob es möglicherweise zu ergänzenden Änderungsanträgen kommt. (Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Zum Beispiel Kronzeugenregelung!) – Man kann über eine sportspezifische Kronzeugenregelung reden, Herr Kollege Schmidt; danke für die Anregung. Damit stoßen Sie bei mir auf offene Ohren, vielen Dank. Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, würde ich mich persönlich wirklich sehr freuen, wenn die Diskussion wenigstens in der restlichen Zeit in etwas weniger aufgeregten Bahnen verlaufen würde als in den vergangenen zwei Jahrzehnten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren jetzt sehr aufgeregt! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir waren doch schön ruhig bei Ihnen! Was wollen Sie denn noch?) – Wie schon gesagt, Frau Künast, ein bisschen mehr Sportsgeist. Das hilft immer. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den haben wir gerade bewiesen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dagmar Freitag. – Nächste Rednerin: Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So, jetzt ein bisschen mehr Sportsgeist! – Dr. Eva Högl [SPD]: Jetzt Sportsgeist!) Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mich irritiert, dass sich diejenigen, die hier wegen jedes Wortes der Kritik beleidigt sind (Dagmar Freitag [SPD]: Wer ist denn beleidigt? Um Gottes willen!) – ein bisschen waren Sie schon beleidigt –, hier hinstellen und beklagen, man würde den Unterschied zwischen Fahrlässigkeit und Vorsätzlichkeit nicht kennen. Auch Sie haben ihn nicht definiert, meine Liebe. (Dagmar Freitag [SPD]: Das ist auch nicht meine Aufgabe!) Ich finde, Sie haben schon ein bisschen beleidigt gewirkt. Frau Freitag, weil Sie erklärt haben, der federführende Ausschuss würde dazu eine Anhörung machen und danach könnten alle Mitglieder, auch die des mitberatenden Ausschusses, sehen, was noch verändert werden könne, darf ich Ihnen als Kollegin Ausschussvorsitzende sagen: (Dagmar Freitag [SPD]: Das ist normal!) Ich wünsche mir, dass Ihre Reaktion auf meine Bitte, eine gemeinsame Anhörung durchzuführen – so etwas ist hier Brauch – nicht einfach ein Nein und der Hinweis ist, dass Sie auch nicht bereit sind, die Sitzung um eine Stunde zu verschieben, weil da schon etwas anderes sei. – Mir wurde signalisiert, die Mitglieder des Rechtsausschusses seien im Sportausschuss nicht erwünscht. (Dagmar Freitag [SPD]: Nein!) Wenn Sie über Vorsatz, Fahrlässigkeit und das Strafgesetzbuch diskutieren wollen – das hätte man auch im Rechtsausschuss machen können –, dann würde ich mich freuen, wenn Sie die Mitglieder des Rechtsausschusses in die Diskussion einbeziehen würden und da kooperativ wären. Dann diskutiert es sich auch einfacher, sowohl sportpolitisch als auch rechtspolitisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Grindel, ein Satz von Ihnen, auch wenn ich mit dem, was Sie sagen, nicht immer einverstanden bin, hat mich schon beeindruckt. Sie haben gesagt: Ein so großes Dunkelfeld darf sich der deutsche Sport nicht leisten. – Da sind wir einer Meinung. Ich finde, dass das Wort „Sportbetätigung“ nicht nur den Spitzensport, sondern auch den Breitensport einschließt, der zur Förderung der Gesundheit beiträgt und Freude macht. Herr Grindel, Sie haben es angeführt: Sport schafft Gemeinschaft, egal ob die Menschen in Berlin an der Schlossstraße stehen und Boule spielen, ob sie Fußball oder Volleyball spielen oder eben skaten gehen. All das schafft Gemeinsamkeit. Sich sportlich zu betätigen, ist nicht nur gesund, sondern macht auch persönlich Freude und schafft soziale Kontakte. Wenn das der Fall ist, dann sollten wir genau schauen: Was regeln wir? Ist dafür das Strafgesetzbuch das richtige Instrument? Ist es richtig, sich nur auf den Spitzensportler zu fokussieren? Ich persönlich glaube, dass nicht nur die Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, von denen zumindest die Fußballer, wie es Özcan Mutlu sagt, Schmerz- und Eisgel brauchen, um die 90 Minuten überhaupt zu überstehen, Vorbilder sind. Die meisten denken sicherlich: Bis dorthin komme ich sowieso nicht. – Sind nicht vielmehr die Breitensportler das Vorbild? Wenn das so ist, müssen wir uns sehr genau überlegen, was wir wie regeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will ein paar Punkte herausgreifen. Ich meine, wir müssen uns als Erstes fragen: Wie funktioniert Rechtspolitik? Ich denke, dass ein neues Strafrecht den Kern der Rechtspolitik betrifft. Dabei stellt sich die Frage: Was regeln wir eigentlich? Wir müssen uns überlegen, ob diese Regelung, die einen Straftatbestand formuliert, tatsächlich legitim ist, also dem Rechtsgüterschutz dient. Ich will jemanden zitieren, der Ihnen nicht fremd ist, Winfried Hassemer, früherer Richter am Bundesverfassungsgericht, der einmal in einem Sondervotum geschrieben hat: Der Strafgesetzgeber ist in der Wahl der Anlässe und der Ziele seines Handelns nicht frei; er ist beschränkt auf den Schutz elementarer Werte des -Gemeinschaftslebens …, auf die Sicherung der Grundlagen einer geordneten Gesellschaft … und die Bewahrung wichtiger Gemeinschaftsbelange … Danach muss eine Strafnorm nicht nur ein legitimes Ziel der Allgemeinheit verfolgen, das Grund und Rechtfertigung für die strafgesetzliche Einschränkung der bürgerlichen Freiheit ist. Es muss sich -zudem um einen wichtigen Belang, um einen elementaren Wert, um eine Grundlage unseres Zusammenlebens handeln. In § 1 Ihres Gesetzentwurfes steht: Die Fairness und Chancengleichheit bei Sportwettbewerben ist zu sichern. – Schön, gut, richtig. Aber sind Fairness und Chancengleichheit im Sport wirklich die elementaren Werte unseres Gesellschaftslebens, die elementaren, ordnenden Prinzipien? Ich meine, nein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fairness im Sport zu schützen ist kein Fall fürs Strafgesetzbuch. Das betrifft nicht nur die Fairness, sondern auch die Integrität, das Image und das Ansehen. Das schützen wir auch in anderen Lebensbereichen nicht. Die Beispiele, die Sie, Herr Grindel, genannt haben, -waren viel wirtschaftsbezogener als der Begriff der Fairness an dieser Stelle. Ich meine, dass bezüglich des -Fairnessbegriffes nicht Staatsanwalt und Polizei als Allererste das Wort haben sollten, sondern dass ein dopingfreier fairer Sport Aufgabe des Sports selbst ist. (Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Aber es ist doch daran gescheitert!) – Na ja, auch da kann man Druck machen. Es wäre ja das erste Mal, dass wir Leute wie Armstrong jahrzehntelang die Berge herauffahren lassen, ohne von ihnen Dopingproben zu nehmen. (Dagmar Freitag [SPD]: Er hat Proben abgegeben! Er ist nur nicht positiv getestet worden!) Wenn wir dann sagen, dass es an dieser Stelle gescheitert ist, dann könnte man Regeln für die Schiedsgerichtsbarkeit aufstellen, ohne zusätzliche Straftatbestände. Herr Tempel hat auf einen anderen Bereich hingewiesen, nämlich auf die leistungssteigernden Mittel, die unsere Jugendlichen in diesen Muckibuden nehmen. Insbesondere Jungen glauben, nur wenn sie muskulös aussehen, seien sie toll. Ein Irrtum – Jugendschutz, Aufklärung und Auflösung solcher Buden sind nötig. Die Polizei sagt: In diesen Buden stehen eigentlich mehrere Apotheken. – Ich glaube, dass es um diese Vorbilder geht, um Menschen, die meinen, dass man mit diesen und jenen Mitteln anders aussieht und besser sein kann. Dann reden Sie über die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler. Ja, klar, die Gesundheit von Menschen ist schützenswert. Aber wie kommen wir eigentlich dazu, dass wir den Erwerb und Besitz von Stoffen, die für alle anderen Sportmuffel oder meinetwegen Marathonläufer erlaubt, legal und nicht rezeptpflichtig sind, über Doping für den Spitzensport und Wettbewerb strafbar machen? Ich habe damit rechtliche Probleme. Ich meine nicht die Dopingkontrolle und den Ausschluss von Wettbewerben. Ich habe damit Probleme, dass wir Stoffe mit dem Aspekt der Gesundheit je nach Person unterschiedlich beurteilen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Ich meine, meine Damen und Herren, dass wir zu einem Sonderstrafrecht kommen, das so nicht zu rechtfertigen ist. Sie können es der NADA überlassen, zu definieren, wer der Trainingskontrolle unterliegt. Nur: Sind dann Dinge strafbar, die vorher nicht strafbar waren? (Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Redezeit. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte noch einen letzten Satz sagen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Erlauben Sie eine Zwischenfrage des werten Kollegen Grindel? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nach überzogener Redezeit noch eine Zwischenfrage!) Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Ich käme nie auf die Idee, mich zu melden, um auf den Ablauf von Redezeit hinzuweisen, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Nein, nie. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das könnte sich auch einmal gegen mich selbst richten. Frau Kollegin Künast, ich unternehme noch einmal einen Versuch. In diesem Gesetzentwurf wird die Einnahme von Dopingsubstanzen bei Breitensportlern wie bei Spitzensportlern völlig gleich behandelt. Sie ist natürlich von dem Recht auf Selbstschädigung als Ausdruck der allgemeinen menschlichen Handlungsfreiheit umfasst. Sind Sie bereit, nach dem Studium des Gesetzentwurfs, mir zuzustimmen, dass das nicht der entscheidende Punkt ist? Die Selbstschädigung mag gesundheitlich bedenklich sein, sie ist aber verfassungsrechtlich zulässig. Das entscheidende Rechtsgut, um das es hier geht, ist die Integrität des sportlichen Wettbewerbes, die Ausstrahlung auf Millionen von Menschen. Sie haben die wirtschaftliche Bedeutung angesprochen. Auch wir bewegen im Sport Milliardenbeträge. Sind Sie nicht doch bereit, sich dem Gedanken etwas zu nähern, dass ein Lance Armstrong in seiner Zeit und in seiner Sportart oder ein Olympiasieger (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder Jan Ullrich!) als Vorbild für Kinder und Jugendliche – auch in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für den Sport – etwas anderes ist als ein normaler Freizeitläufer beim Berlin-Marathon? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Natürlich ist das etwas anderes. Spätestens beim Berlin-Marathon stellen Sie aber fest, dass da auch andere als Fritz Krause oder Fritz Kuhn mitlaufen. Da laufen auch berühmtere Menschen mit, zum Beispiel die afrikanischen Läufer. Ich gebe auch zu, dass Sie nicht alles beim Doping strafbar machen. Ich habe aber gerade versucht, auszuführen, dass Fairness im Sport, auf die Sie rekurrieren, für mich kein Regelungsgegenstand des Strafgesetzbuches sein kann. Ich wollte auch sagen, dass Sie mir zu unbestimmt sind, wenn Sie von erheblichem Umfang von Geld sprechen. Dann haben Sie gesagt, dass Sie aus Fairnessgründen, damit es praktikabel ist, die rechtliche Rolle der Verbände stärken wollen. Da stellt sich mir die Frage: Wo haben wir in anderen Straftatbeständen zum Beispiel die Rolle der Umweltverbände gestärkt? Das sind lauter rechtliche Fragen. Ich glaube, dass Sie sich mit der Regel auf das Glatteis begeben. Wir wären besser beraten, wenn wir über eine Schließung der Lücken im Sportbetrug reden würden. Da gibt es Ansatzpunkte. Die anderen finanziellen Interessen, die Beantwortung der Frage der Dopingkontrolle und der Frage, wer ausgeschlossen wird, sind meines Erachtens eine Aufgabe des großen internationalen Wirtschaftszweiges Sport selbst. Ich fasse zusammen: Wir sollten Regelungen im Strafgesetzbuch auf den Kern dessen reduzieren, was vertretbar und vergleichbar ist. Lassen Sie uns kein Sonderrecht schaffen, sondern nur eine Regelung in Bezug auf Sportbetrug. Ich bin gerne bereit, über alle diese Punkte zu diskutieren, aber dann bitte schön in einer gemeinsamen Anhörung, Frau Freitag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber nicht mehr ohne Redezeit!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Renate Künast. – Herr Grosse-Brömer, Ihre Kollegen haben länger überzogen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein, das kann nicht sein!) – Doch, das kann ich beweisen. – (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, halten Sie sich bitte an die Redezeiten. Wir haben noch zig Punkte auf der Tagesordnung. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es ist gut, dass Sie das nach der Rede von Frau Künast noch einmal betonen!) Ich erteile jetzt Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Ich werde alles daransetzen, die Redezeit einzuhalten. – Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich bin fest davon überzeugt, dass der Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes eine gute und wichtige Grundlage für die Verbesserung und die Erweiterung des Kampfes gegen die Hydra Doping ist. Ich bin auch der Überzeugung, dass es wichtig ist, Fragen stellen zu können. Sowohl vor der Einbringung eines Gesetzentwurfs als auch im parlamentarischen Verfahren muss es erlaubt sein, Fragen zu stellen und Bedenken anzubringen. Von der heutigen Debatte muss das klare Signal ausgehen: Wir als Deutscher Bundestag sind uns einig, dass es in Deutschland null Toleranz gegenüber Doping gibt. – Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir die Vereinbarung des Koalitionsvertrags konsequent um. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir weitergehende strafrechtliche Regelungen zur Bekämpfung des Dopings, aber auch zur Bekämpfung der Spielmanipulation schaffen; dazu möchte ich später noch etwas mehr sagen. Der Ansatz, dass man gegen das Milliardengeschäft der Spiel- und Sportwettenmanipulationen konsequent vorgeht, ist mindestens ebenso wichtig wie das Anti-Doping-Gesetz. (Dagmar Freitag [SPD]: Machen wir ja auch!) Die Zeiten sind vorbei, in denen man den Sport, zum Beispiel den Fußball, als schönste Nebensache der Welt bezeichnete. Der Sport, vor allem der Spitzensport, ist mittlerweile ein gesellschaftliches Phänomen, das nicht mehr wegzudenken ist. In einer Gesellschaft wie der unsrigen, die immer heterogener wird, in der Partikularinteressen eine immer größere Rolle spielen und in der es immer schwieriger wird, einen Großteil der Gesellschaft hinter bestimmten gesellschaftlichen Ereignissen und Phänomenen zu versammeln, kommt dem Sport, sowohl dem Breitensport als auch dem Spitzensport, aus meiner Sicht in vielerlei Hinsicht eine eminent wichtige Rolle zu. Es kann nicht bestritten werden, dass in einer sehr medial geprägten Gesellschaft wie der deutschen bzw. der westeuropäischen Vorbilder im Bereich des Spitzensports für unsere Jugend, für Heranwachsende, aber auch für die Gesellschaft insgesamt ausgesprochen wichtig sind; denn nach diesen Vorbildern richten sich Millionen von Menschen in Deutschland. Deswegen kann man die Hydra Doping nicht einfach dem organisierten Sport überlassen. Ich bin der festen Überzeugung: Hier darf der Staat nicht wegschauen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist wichtig, dass wir uns an einen Dreiklang aus Prävention, Kontrolle und Sanktionen halten. Prävention muss betont und ausgebaut werden. Kontrolle und Sanktionen spielen eine wichtige Rolle. Eine Verschärfung des Strafrechts für 7 000 Spitzensportler mag durchaus angebracht sein, aber ich bin der Überzeugung, dass es zu kurz gesprungen ist, wenn man erwartet, dass man nur mit Mitteln des Strafrechts die Hydra Doping wirklich effektiv bekämpfen kann. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Dagmar Freitag [SPD]: Nicht nur!) Wir brauchen einen großen Instrumentenkasten. Wir müssen uns neben dem wichtigen Anti-Doping-Gesetz mit Sicherheit auch intensiver darüber austauschen, was wir insbesondere im Bereich der Prävention noch machen können. Ich bin der Meinung, dass wir durchaus stolz darauf sein können, dass es uns gelungen ist, der Nationalen Anti Doping Agentur im Haushalt 2015 mehr als 6,3 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht aber nicht!) – Da kommt der Einwand „Das reicht aber nicht!“ Ich möchte ja gar nicht sagen, Sie hätten nicht recht. Es mag sein, dass dies noch nicht reicht, aber es ist ein schöner Schritt, wenn man seitens des Bundes den Ansatz für die NADA von 2014 – da waren es noch 3,3 Millionen Euro – auf 2015 fast verdoppelt. Ich möchte dazusagen, dass bei aller Klage über unzureichende strafrechtliche Möglichkeiten, den Dopingsündern zu Leibe zu rücken, die Finanzierung der NADA in den letzten Jahren ein Trauerspiel war. Wie sich dabei die Wirtschaft und die Länder ins Gebüsch geschlagen haben, war wirklich unwürdig. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie recht! Das kann doch die Wirtschaft mal selber bezahlen!) – Ja, ich bin durchaus dieser Meinung, Frau Künast. Sie sehen ja, es gibt gar nicht so viele Kontroversen. Es gibt durchaus auch Überschneidungen. Ich bin auch der Meinung, dass die Wirtschaft hier noch mehr tun kann, dass vor allem aber auch die Länder noch stärker gefordert sind. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Sportgerichtsbarkeit ist ein scharfes Schwert. Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung: Man kann dem einzelnen Sportler – dem Spitzensportler – nichts Schlimmeres antun, als ihn nicht in die Lage zu versetzen, seinen Spitzensport, von dem er ja häufig lebt, der häufig seine Existenz- und Lebensgrundlage ist, weiter auszuüben. Nach dem neuen WADA-Code ist schon beim ersten Vergehen eine vierjährige Sperre angesagt. Das bedeutet, um dies einmal klar und offen zu sagen, für viele Spitzensportler das Ende der Karriere. Wenn jemand vier Jahre lang an keinem Wettkampf mehr teilnehmen kann, dann kann er an sich einpacken. Das Drohpotenzial der Sportgerichtsbarkeit ist aus meiner Sicht schon sehr groß. Es darf nicht unterschätzt werden, und ich denke, wir müssen aufpassen – auch im laufenden Diskussionsprozess bezüglich dieses Gesetzentwurfes –, dass wir die Sportgerichtsbarkeit nicht aushöhlen. Der Strict-liability-Grundsatz, der anders ist als im Strafrecht und klar besagt, dass jeder Sportler sofort dran ist und eine vierjährige Sperre aufgebrummt bekommt, unabhängig davon, ob ihm die persönliche Schuld des Dopings nachgewiesen werden kann – allein das Vorhandensein der Dopingsubstanzen in seinem Körper genügt, um ihn vier Jahre lang zu sperren –, ist aus meiner Sicht schon ein sehr, sehr scharfes und schneidendes Schwert. Deshalb wird, denke ich, intensiv darauf zu achten sein, wie sich das Verhältnis zwischen Sport- und Strafgerichtsbarkeit weiter entwickelt. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass der entscheidende Schutzzweck dieses Gesetzes die Fairness, die Chancengleichheit und die Integrität des Sports sein müssen. Es gibt aber auch noch offene Fragen, und diese müssen gestellt werden, zum Beispiel, was den Täterkreis betrifft. Ist es angezeigt, wenn es um strafrechtliche Sanktionsmechanismen geht, die vom Staat aus betrieben werden, dass der Täterkreis nicht vom Staat, sondern allein dadurch bestimmt wird, welcher Sportler einem Nationalkader angehört und welcher nicht? Man überlässt es nach diesem Gesetz also den Verbänden, festzulegen, wer überhaupt tauglicher Täter sein kann. Das ist eine offene Frage, über die wir noch sprechen müssen. Auch die Frage, welche Einnahmen überhaupt einen erheblichen Umfang darstellen, die dann zur Strafbarkeit führen, muss, denke ich, näher erörtert werden. Sehr umfassend ist bereits über die Schiedsgerichtsklausel gesprochen worden, über den ominösen § 11. Ich habe -Verständnis für das Ansinnen bzw. den Wunsch des organisierten Sports, dass man diese Schiedsgerichtsklausel schafft, insbesondere im Lichte der beiden Urteile des Landgerichts München und des Oberlandesgerichts München vom 15. Januar 2015 zur Causa Pechstein. Ich bin aber auch der Meinung, dass man sich schon noch intensiv ansehen muss, ob die Vorgaben, die die beiden Gerichte in ihrem Urteil bzw. Zwischenurteil gemacht haben, insbesondere, was die Ausgestaltung des Internationalen Sportgerichtshofes, des CAS, betrifft, wirklich erfüllt sind. Ich höre es ja gern, wenn es heißt, der CAS sagt zu, er werde alle Auflagen erfüllen; aber insbesondere dazu, was das Recht auf den gesetzlichen Richter und die Ausgewogenheit bei der Besetzung der Richter beim CAS anbelangt, habe ich noch Fragen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Zweifel sind berechtigt!) Ich habe darauf hingewiesen, dass es ein guter und wichtiger Gesetzentwurf ist, der uns jetzt für die weitere Debatte vorliegt. Es gibt noch offene Fragen. Wichtig ist mir, dass wir uns intensiv auch der Schaffung strafrechtlicher Regelungen zur Bekämpfung der Spielmanipula-tionen annehmen. Dafür gibt es meines Erachtens einen sehr tauglichen Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung, dem man nähertreten sollte. In diesem Sinne sollten wir die weitere Debatte konstruktiv und sachlich führen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Stephan Mayer. – Nächste Rednerin: Dr. Eva Högl für die SPD. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es freut mich sehr, dass wir hier zur ersten Lesung des Entwurfs eines Anti-Doping-Gesetzes zusammengekommen sind, womit wir – auch das möchte ich einmal sagen – einer langjährigen Forderung der SPD-Bundestagsfraktion nachkommen. Dieses Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird ein Meilenstein für einen sauberen und fairen Spitzensport. Ich möchte meine Rede beginnen mit einem Dankeschön, und zwar mit einem Dankeschön an all diejenigen, die sich unermüdlich engagiert haben, seit mittlerweile zwei Jahrzehnten, für ein Anti-Doping-Gesetz und gegen Doping. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jede Rede fängt mit einem Dank an!) Ich möchte allen voran auch einmal unserer geschätzten Kollegin Dagmar Freitag ganz herzlich Danke schön sagen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) weil ich weiß, liebe Dagmar – und das wissen wir alle –, dass du dich seit zwei Jahrzehnten wie keine andere, aber mit vielen anderen zusammen für einen sauberen Sport engagierst. Es ist ganz besonders dein Verdienst, dass wir heute die erste Lesung des Entwurfs eines Anti-Doping-Gesetz haben; dafür ein Dankeschön. Zu danken ist auch den beiden Bundesministern. Der Bundesminister des Innern und der Bundesminister der Justiz haben einen wirklich hervorragenden Entwurf vorgelegt. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben fünf Minuten! Da können Sie noch lange danken!) – Dank gehört auch zu einer guten Kultur des gemeinsamen Diskutierens hier. (Beifall des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deswegen finde ich es wichtig, mit einem Dank zu beginnen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können auch einmal dankbar sein!) Ich möchte dem Eindruck widersprechen, dass wir hier etwas machen und diskutieren, ohne Vertreterinnen und Vertreter des Sports einzubeziehen. Wir haben dieses Anti-Doping-Gesetz mit vielen Sportlerinnen und Sportlern, mit vielen Sportverbänden diskutiert. Das, was wir heute vorlegen, ist auch mit Sportlerinnen und Sportlern ausreichend debattiert; denn die haben wie kein anderer ein Interesse daran, dass wir einen sauberen Sport bekommen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Man kann auch mal der Opposition danken! Die trägt auch was dazu bei!) – Ich danke auch der Opposition, lieber Herr Hahn, dass wir gemeinsam und konstruktiv hier über ein Anti-Doping-Gesetz sprechen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist schon viel gesprochen worden. Ich möchte aber noch einmal betonen – weil es ja um den Gesetzeszweck geht, darum, warum wir für den Sport das Strafrecht brauchen –, dass insbesondere der Leistungssport eine Vorbildfunktion hat wie kein anderer. Der Sport motiviert Menschen, sich selber sportlich zu betätigen oder ihren Idolen nachzueifern. Der Leistungssport motiviert den Breitensport und uns alle. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sportlerinnen und Sportler, die dopen, missbrauchen diese Vorbildfunktion. Sie verraten die gesellschaftlichen Werte, die mit dem Sport einhergehen und die der Sport verkörpert, wie Fairness und Teamgeist. Deswegen ist es unsere Aufgabe, hier auch regelnd einzugreifen; denn wenn angesichts gedopter Sportlerinnen und Sportler die Botschaft lautet: „Motivation und Training reichen nicht aus. Nicht wer sich anstrengt, kommt aufs Siegertreppchen, sondern nur wer dopt, kann seine Ziele erreichen“, dann ist das eine Gefahr für den Sport. Ich will ganz offen sagen: Für mich persönlich zeigt das Beispiel Tour de France – Lance Armstrong ist schon genannt worden – doch, wie, wenn gedopt wird, nicht nur das Interesse am Sport, sondern auch die Vorbildfunktion verloren geht, man irgendwann keine Lust mehr hat, zuzuschauen oder mitzufiebern. Deswegen sind wir, der Gesetzgeber, gefragt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Liebe Frau Künast, wir brauchen das Strafrecht. Ich gehöre wirklich zu denjenigen – wie viele andere in diesem Hause –, die ganz klar der Auffassung sind, die in dem Zitat von Herrn Hassemer zum Ausdruck kommt: Das Strafrecht ist die Ultima Ratio. – Wir machen es uns ja nicht leicht mit dem Strafrecht, sondern haben über das Thema Doping Jahrzehnte sorgfältig miteinander diskutiert. Aber wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass es trotz umfassender Kampagnen, trotz Maßnahmen der Sportverbände, trotz der vielen Initiativen der letzten Jahre und Jahrzehnte nicht möglich war, Doping im Spitzensport vollständig und letztlich effektiv zu bekämpfen. Der Grund war meiner Meinung nach sicherlich auch, dass den dopenden Sportlerinnen und Sportlern eben keine strafrechtlichen Konsequenzen drohen, sondern nur der Ausschluss aus den Wettkämpfen. Deswegen ist es notwendig und richtig, dass wir, um die Integrität des Sports zu schützen, auch zum Strafrecht greifen. Wir signalisieren damit – und das ist eine wichtige Botschaft für den gesamten Sport –: Wer dopt, landet nicht auf dem Siegertreppchen, sondern gegebenenfalls auch im Gefängnis. – Ja, das ist eine harte Strafe; aber das ist angebracht und richtig an dieser Stelle. Zwei Bemerkungen noch: Der Sport ist damit nicht aus der Verantwortung heraus. Wir übernehmen nicht die Verantwortung für den Sport, sondern wir stärken den Sport dadurch, dass wir die Schiedsgerichte stärken. Wir stärken auch die Verbände; sie werden durch die Ergänzung des Strafrechts auch in ihren eigenen Maßnahmen gestärkt. Es ist richtig, dass wir zwischen Amateur- und Freizeitsportlern auf der einen Seite und Spitzensportlern auf der anderen Seite differenzieren. Hier sind Sie inkonsequent, liebe Frau Künast, weil Sie einerseits sagen, wir bräuchten das Strafrecht gar nicht, und uns andererseits vorwerfen, dass wir den Breitensport nicht einbeziehen. Wir beziehen den Breitensport bewusst nicht ein, weil wir der Auffassung sind, dass es ganz entscheidend auf die Vorbildfunktion des Spitzensports ankommt. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar nicht zugehört!) Noch ein allerletzter Punkt: Wer sagt, dass dieser Gesetzentwurf nicht ausreichend ist, weil wir das eigentlich international regeln müssen, der geht auch einen Schritt zu kurz. Wir wollen in Deutschland damit anfangen; wir beginnen hier. Wir wollen, wie es eben so schön hieß, Weltmeister im Kampf gegen Doping werden, und deswegen würde ich mich freuen, wenn wir dafür ein Vorbild auf internationaler Ebene werden. Wir werden gute Beratungen haben und noch in diesem Jahr ein gutes Anti-Doping-Gesetz auf den Weg bringen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Nachdem sie sich jetzt bedankt hat, bedanke ich mich auch bei der Rednerin, bei Eva Högl. – Als nächster Redner kommt jetzt Dieter Stier für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieter, eine Minute!) Dieter Stier (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit dem vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport legen wir unsere Stoßrichtung zugunsten eines dopingfreien Sports deutlich fest. Doping ist heutzutage keine bittere Pille mehr, sondern ein hochgradig präzisiertes und auf molekularbiologische Prozesse abgestimmtes System von körperlichen Leistungssteigerungen. Das Wettrennen um die Zeit hat zugenommen. Immer neue Dopingsubstanzen werden in Kellerlaboren schneller produziert und in Umlauf gebracht, als irgendeine Antidopingagentur sie auf Verbotslisten setzen kann. Unumwunden ist zunächst festzustellen, dass der heute vorliegende und von uns in erster Lesung zu beratende Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes eines der wichtigsten sportpolitischen Vorhaben der Großen Koalition ist. (Beifall bei der SPD – Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Das wichtigste!) In Deutschland gibt es bislang kein eigenständiges Gesetz gegen Doping, stattdessen wurde eine Reihe von Antidopingnormen in verschiedenen Grenzen, die zum Teil Strafen und Ermittlungen durch Behörden vorsehen, für sehr sinnvoll und auch ergiebig erachtet. Das sehr engmaschige Dopingkontrollsystem mit Trainings- und Wettkampfkontrollen stellt bisher ein wirkungsvolles Instrument zur Bekämpfung von gezielter Leistungsmanipulation dar. 2007 wurde das Arzneimittelgesetz reformiert, welches das Doping und dessen Verbot in den staatlichen Rechtsbereich hineinbrachte. Das geschah auch deshalb, um den massiven Dopingvorfällen der letzten Jahre Einhalt zu gebieten. Der NADA-Code, der WADA-Code und entsprechende Antidopingkonzepte und Präventionsprogramme kosten hinsichtlich eines Fair Plays in unserem Sport viel Schweiß und Geld. Deutschland beteiligt sich mit immensen jährlichen Summen – das ist Ihnen bekannt – auch finanziell an der Dopingbekämpfung. Intensive und systematische Bemühungen auf der einen Seite und in den Medien offensichtlich nicht einzudämmende Dopingskandale auf der anderen Seite kennzeichnen den Iststand. Wie bereits viele Vorredner deutlich machten, sind es auch für mich weniger die generellen Vorbehalte als vielmehr die komplexen rechtlichen Detailfragen an den Scharnierstellen dieses Gesetzentwurfs, die mich umtreiben. Hier müssen wir Antworten finden. Dies muss sich natürlich auch auf die Zeit auswirken, die für ein gründliches parlamentarisches Verfahren notwendig ist. Wir müssen das Gesetzesvorhaben an seinem Ziel bemessen, der Integrität des Sports zur Geltung zu verhelfen. Diesbezüglich möchten wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, deutlich machen, dass eine Integrität nicht dadurch hergestellt wird, dass jeder Sportler mit einem bloßen Strafmaß überzogen wird. Das zu schützende Rechtsgut muss klar definiert sein, die Rechtsfolgen müssen ableitbar sein und das Verfahren für einen funktionierenden Sport muss auch praxistauglich sein. Wir kennen dabei die Herausforderungen. Es beginnt bei der Auswahl der Athleten und geht über die Art der Kontrolle, die Qualität der Durchführung, die Festlegung der Analysemethoden und das Ergebnismanagement bis hin zur Sanktionierung. Wir haben das Problem der eindeutigen Nachweisbarkeit von bestimmten Dopingsub-stanzen. Die Tatfeststellung ist oft schwierig, und die Strafverfolgung ist nicht immer problemlos. Hinzu kommen auch internationale Vorbehalte, die, auch wenn sie unser Rechtsempfinden selbst sensibel berühren, in der Waagschale zu berücksichtigen sind. Warum sollte Deutschland gegenüber seinen Athleten mit Vollzugsstrenge vorgehen, während in anderen Ländern die gesteuerte Regulierung von Epo – ob durch Xenongas oder Blutdoping – Tagesgeschäft zu sein scheint? Das Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln stellt fest, dass die Epo-Produktion durch gezielte Dopingmaßnahmen innerhalb von 24 Stunden um den Faktor 1,6 – auf 160 Prozent – gesteigert werden kann: mehr Blutkörperchen im Körper, mehr Sauerstoff auf der Laufbahn. In der medialen Berichterstattung zeigt man mit dem Finger auf jene Länder, die diesen Effekt offensichtlich kennen. Meine Damen und Herren, Sotschi hat uns gezeigt, was eine auf 160 Prozent gesteigerte Epo-Produktion für die Medaillentabelle bedeuten kann. Viele Rechtsgutachten und Stellungnahmen haben den Entscheidungsprozess hin zum jetzigen Entwurf des Gesetzes begleitet. Es gibt Bedenken und skeptische Meinungen hinsichtlich der Durchschlagskraft eines solchen Gesetzes, aber auch seiner juristischen Haltbarkeit. Ich spreche mich deutlich dafür aus, einen sauberen Sport und ehrliche Leistung auch gesetzlich zu untermauern; aber es muss uns fernliegen, Ermittlungsverfahren gegen jedermann heraufzubeschwören. Wir dürfen das Augenmaß gegenüber den Athletinnen und Athleten – sie sind nun einmal die Adressaten dieses Gesetzes – nicht verlieren. Ein abschließendes Ja zu diesem Gesetz begründet sich für mich vor allem in einem Punkt: Wir liefern mit dem Gesetz ein sportpolitisches Zeichen, damit bei uns, aber auch im Ausland unmissverständlich feststeht: Der Gegner im Kampf gegen Doping im Spitzensport hat starke Muskeln, aber wir kämpfen mit härteren Bandagen. Doping muss ein Ende haben. Im jetzigen Entwurf des Anti-Doping-Gesetzes haben wir uns, auch vor dem Hintergrund des Koalitionsvertrages, darauf geeinigt, zwei Dinge sinnlogisch miteinander zu verbinden: Auf der einen Seite soll Doping strafrechtlich stärker verfolgt werden, auf der anderen Seite gilt es, der Spielmanipulation entgegenzutreten. Beides wollen wir gemeinsam im Gesetzgebungsverfahren zu einem Ziel führen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein grundsätzliches Problem der Dopingverfolgung bleibt, dass über das, was verboten ist, nicht immer zeitgerecht Klarheit geschaffen werden kann. Darüber gilt es nachzudenken; da gilt es, abzuwägen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige von Ihnen wissen, dass ich selbst Erfahrungen im Pferdesport sammeln durfte, im Übrigen eine Sportart, die seit vielen Jahren in nicht unerheblichem Maße mit Höchstleistungen und einer nicht geringen Medaillenausbeute zum Ansehen unseres Landes beigetragen hat. Hier haben wir es zum Beispiel nicht nur mit einem Athleten, dem Reiter, dem Fahrer, dem Voltigierer, zu tun, sondern es zählt auch der vierbeinige Kamerad zum Team. Nun stellen Sie sich einmal vor – ich greife mir einfach mal den Kollegen Mutlu von der Opposition heraus –, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin gespannt!) der Kollege Mutlu würde ähnlich erfolgreich reiten wie ich, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann reiten!) aber würde mir den Sieg im Wettbewerb neiden und es dadurch kundtun, dass er nachts durch die Stallgasse mit den Pferden geht, meinem Pferd ein Mittel mit einer verbotenen Substanz in die Futterkrippe gibt (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So was tue ich nicht! Ich bin doch kein Schuft! – Gegenruf des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Der baut schon vor!) oder es ihm auf anderem Wege hilfreich verabreicht. Im Falle einer beim kommenden Wettbewerb stattfindenden Medikationskontrolle würde natürlich ich und nicht der Kollege zur Verantwortung gezogen. – Ich habe mich aus der Sicht eines Pferdesportlers diesbezüglich gefragt, wie wir uns hier die gesetzliche Regelung genau vorstellen. Auch die Beweisführung wird hier nicht einfach sein; das gilt auch für die Feststellung der Täterkreise. Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Die Deutsche Reiterliche Vereinigung sieht beispielsweise keine Begründung dafür, die Schiedsgerichtsbarkeit als fragwürdig anzusehen. Die Unterschrift unter der Athleten-vereinbarung, verbunden mit der Zustimmung zur Schiedsgerichtsbarkeit, erfolgt hier weniger unter Druck als vielmehr in dem klaren Wissen, worauf man sich dabei einlässt. Mit anderen Worten: Es stehen zwei Dinge gegenüber, nämlich die verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Schiedsgerichtsbarkeit auf der einen Seite und die bessere Praktikabilität der Schiedsgerichtsbarkeit auf der anderen Seite. Im Laufe der kommenden Beratungen wird sich also zeigen müssen, wie es uns hier gelingt, beides so miteinander zu verbinden, dass damit in keinem Falle eine Athletenkarriere durch einen fünf Jahre währenden Strafprozess auf zweifelhafte Weise zerstört wird. Wir dürfen nicht vergessen – so banal es auch klingen mag –: In der Vergangenheit wurden benutzte Substanzen in einem Müsliriegel und in Zahnpasta nachgewiesen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Bitte nicht die Redezeit vergessen. Dieter Stier (CDU/CSU): Ich komme zum Ende, liebe Frau Präsidentin. Gestatten Sie mir noch einen Satz. – Da wir Sportpolitiker ja gelegentlich als sehr feinsinnige Menschen gelten, (Heiterkeit) möchte ich abschließend den Bogen von diesem Gesetzentwurf zu Friedrich Schiller spannen (Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Sehr gut! Aus meinem Wahlkreis!) und einen Vergleich bemühen: Das Gießen eines Gesetzes gestaltet sich in der Tat wie das Gießen von Schillers Glocke. Wir wollen keine Missklänge, wir wollen nichts Halbherziges, wir wollen eine Gesamtform mit klarer Tonalität – Vizepräsidentin Claudia Roth: Und wir wollen zum Ende kommen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Präsidentin will zum Ende kommen!) Dieter Stier (CDU/CSU): – als Ausdruck von Fairness und einer unteilbaren Integrität des Sportes. Frau Präsidentin, ich danke Ihnen für die Zugabe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ach ja, ich habe mich auch mal im Reitverein herumgetrieben. Vielen Dank, Herr Kollege Stier. Aber eine Bemerkung muss ich doch zurückweisen: Natürlich würde Mutlu Ihren Pferdchen nie etwas antun. – Ich gehe davon aus, Herr Mutlu. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin, Sie haben absolut recht! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Der streift nachts durch Kreuzberg und nicht durch Pferdeställe!) Nächste Rednerin in der Debatte: Michaela Engelmeier für die SPD. (Beifall bei der SPD) Michaela Engelmeier (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu dem wirklich Wichtigen an diesem Vormittag komme und ebenfalls über das Anti-Doping-Gesetz rede, erlauben Sie mir eine Vorbemerkung. Frau Künast, ich fand es schon erstaunlich, dass Sie uns gerade vorgeworfen haben, dass wir nicht gemeinsam mit Ihnen die Anhörung durchführen wollten. Das erste Mal habe ich von Ihrem Ansinnen, das gemeinsam zu machen, vor einer Woche gehört. Da hatten wir unter den Obleuten im Sportausschuss schon einvernehmlich beschlossen, dass wir diese Anhörung am 17. Juni durchführen. Unter dem Gesichtspunkt, dass das ein besonders öffentlichkeitswirksames Thema ist, finde ich das schon ein bisschen schwierig, was Sie gerade gesagt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie sind aber herzlich eingeladen zu der Anhörung am 17. Juni. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann aber zu der Uhrzeit nicht! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Friss oder stirb!) – So ist das eben. Manchmal hat man wichtigere Termine im Leben. Sport hat eine große Bedeutung für die Gesellschaft. Im Sport werden Werte wie Fairness, Teamgeist und Einsatzbereitschaft gelebt. Sport ist Bildung, Integration und fördert gesellschaftliche Vielfalt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Engelmeier, erlauben Sie eine Zwischenfrage – die haben Sie provoziert – von Frau Künast? Michaela Engelmeier (SPD): Sie hat ja auch gerade provoziert. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Egal, wer das provoziert hat, aber die Wahrheit muss raus. – Mein Ausschusssekretariat hat bei dem des Sport-ausschusses angefragt, weil wir gehört haben, dass dieser Ausschuss schon über den 17. Juni als Anhörungstermin redet, bevor das Ganze hier überhaupt besprochen wurde. (Dagmar Freitag [SPD]: Die Obleute haben das beschlossen!) – Natürlich können die Obleute das beschließen. Ich kann aber als Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz – und in dessen Zuständigkeit fällt das Strafgesetzbuch – bei Ihnen anfragen, weil es üblicherweise nicht möglich ist, dass mitberatende Ausschüsse eine eigene Anhörung machen. Da ist dann als Antwort gekommen: Das ist nicht zu verschieben. Außerdem hat mich, ehrlich gesagt, erreicht: Wir sind da auch nicht erwünscht. Wenn die Bereitschaft besteht, freue ich mich; dann wird auch Frau Engelmeier sich dafür einsetzen. Ich sage Ihnen nur: Ich wollte zu dem Zeitpunkt der Anhörung nicht im Adlon Tee trinken, sondern der Rechtsausschuss hat gleichzeitig eine Anhörung, zu der schon eingeladen ist; das überschneidet sich um eine Stunde. Ich sehe mit Freuden, dass wir jetzt in der Lage sind, die Termine aufeinander abzustimmen. Danke. (Dagmar Freitag [SPD]: Nein, Frau Kollegin!) Michaela Engelmeier (SPD): Frau Künast, das mag ja so sein. Aber in der Obleutebesprechung waren alle vier Fraktionen anwesend, und wir haben das da einstimmig beschlossen. Uns hat tatsächlich erst vor einer Woche Ihr Ansinnen erreicht, eine gemeinsame Anhörung durchzuführen. Da waren die Einladungen aber schon verschickt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wusste ja nicht, dass Sie beschließen, bevor überhaupt verteilt ist!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt ist Frau Engelmeier dran. Michaela Engelmeier (SPD): Ich denke, jetzt ist alles gesagt. Wir freuen uns, wenn Sie kommen, auch eine Stunde später; die Anhörung dauert ja ein bisschen. Ich denke, da werden wir noch einen gemeinsamen Weg finden. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach der Anhörung komme ich! Sie sind ja vielleicht verkniffen! – Gegenruf der Abg. Dagmar Freitag [SPD]: Das sagt die Richtige!) – Ja, ich bin unglaublich verkniffen, Frau Künast. Ich trinke zum Frühstück immer Essig. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig sportlich!) Sportlerinnen und Sportler sind Idole. Nicht zuletzt ist Sport ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in Deutschland. Damit das so bleibt, müssen wir für den Schutz des Sports etwas tun. Doping hingegen ist Betrug. Doping zerstört den sportlichen Wettbewerb und verhindert Fairness sowie Chancengleichheit und gefährdet die Gesundheit von Sportlerinnen und Sportlern. Aus diesem Grund haben wir im Koalitionsvertrag verankert, dass weitergehende strafrechtliche Regelungen beim Kampf gegen Doping und Manipulationen im Sport geschaffen werden müssen, und wir halten Wort. Das Ziel, das wir mit dem Gesetz verfolgen, macht deutlich, dass es sich beim Anti-Doping-Gesetz um ein Schutzgesetz handelt. Das Anti-Doping-Gesetz ist ein Schutzgesetz, weil es zum einen die Integrität sportlicher Wettbewerbe und zum anderen die Gesundheit der Spitzensportler und Spitzensportlerinnen schützt. Die Werte, die wir mit dem Anti-Doping-Gesetz verbinden, sind Fairness, Chancengleichheit und Gesundheit. Doping gefährdet die ethisch-moralischen Werte des Sports. Doping gefährdet die Vorbildfunktion des organisierten Sports. Wir hatten übrigens nie vor, mit diesem Gesetz die Autonomie des organisierten Sports anzugreifen. Sie bleibt erhalten, weil wir die sportinterne Dopingbekämpfung mit dem Anti-Doping-Gesetz insgesamt unterstützen und die Sportgerichtsbarkeit nicht infrage stellen. Neben der gesellschaftlichen Bedeutung kommt dem Sport aber auch eine ökonomische Bedeutung zu. Diese Bedeutung wird durch unser Anti-Doping-Gesetz auf zweifache Weise geschützt. Sie wird zum einen geschützt, weil der organisierte Sport jährlich sehr viel Geld in Form von öffentlichen Fördermitteln erhält und wir Politikerinnen und Politiker unsere Verantwortung darin sehen und sicherstellen, dass diese Gelder zielführend eingesetzt werden. Zum anderen ist der sportliche Wettbewerb auch von Sponsoren und Preisgeldern geprägt. Eine nachträgliche Aberkennung von Siegen und Preisgeldern schadet in der Regel nicht nur den jeweiligen Sportlern, sondern auch dem Wettbewerb und eventuell einer gesamten Sportart. Ich nenne nur das Stichwort – es ist heute schon mehrfach gefallen – „Tour de France“. Daher ist es für mich ein Erfolgsmodell, dass es uns mit unserem Gesetzentwurf gelungen ist, zum ersten Mal eine Rechtsgrundlage verschiedener Maßnahmen im Kampf gegen Doping zu bündeln. Wir halten also Wort und sorgen für Verbesserungen der sportlichen Rahmenbedingungen. Schritt eins ist das Anti-Doping-Gesetz, und Schritt zwei, Herr Grindel, wird das Gesetz für die Integrität und gegen Spielmanipulation im Sport sein. Wir schaffen die Erweiterung der bisherigen im Arzneimittelgesetz geregelten strafrechtlichen Verbote, und wir erfassen auch die Dopingmethoden. Wir schaffen ein neues strafbewehrtes Verbot des Selbstdopings, das erstmals die gezielt dopenden Leistungssportler in organisierten Sportwettbewerben erfasst, und wir erweitern die Aufgaben der Nationalen Anti Doping Agentur. Um alle Anregungen und Bedenken, die wir in der vergangenen Woche am Montag bei einer Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion mit Sportlern und mit Vertretern aus der Wissenschaft erhalten haben, aufzunehmen, laden wir noch einmal herzlich ein. Am 17. Juni wird eine öffentliche Anhörung des Sportausschusses durchgeführt. Diese werden wir im Anschluss bewerten. Aber eines steht schon fest: Mit Blick auf die deutsche, auf die Hamburger Olympia- und paralympische Bewerbung ist unser Anti-Doping-Gesetz ein Qualitätssiegel, ja geradezu ein großer Pluspunkt, der uns im internationalen Wettstreit hinsichtlich dieser Sportgroßveranstaltung zugutekommen kann. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin. Michaela Engelmeier (SPD): Ja, ich bin sofort fertig. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja, wirklich. Michaela Engelmeier (SPD): Ich schließe meine Rede mit meiner Einladung an den organisierten Sport und an alle, die hier sitzen, an alle Fraktionen: Kämpfen Sie gemeinsam mit uns gegen Doping und Manipulationen im Sport. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Engelmeier. – Ich begrüße auf unserer Tribüne, also an einem für ihn ungewöhnlichen Ort, unseren Bundesminister für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung aus dem Allgäu. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er wechselt die Perspektive!) Letzte Rednerin in der Debatte: Karin Strenz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Karin Strenz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Thomas Hicks, ein amerikanischer Läufer, gewann bei den Olympischen Spielen 1904 die Goldmedaille im Marathonlauf. Er war, wie immer man es auch nennen mag, ein Wegbereiter für das Dopen im Sport. Ein Schluck Brandy, verfeinert mit Strychnin – das ist ein Stoff, den wir heute auf der Dopingliste führen –, verhalf ihm zu überragender Leistung und letztendlich zum Sieg. Damals gab es noch keine klaren Regeln und Richtlinien in Bezug auf die Definition und Einnahme von Dopingmitteln. So durfte er am Ende seine Medaille behalten. Das ist lange her. Lassen Sie mich den Blick auf die heutige Zeit richten. Ben Johnson, Lance Armstrong, Jan Ullrich – sie waren namhafte Spitzensportler, die weltweit ein hohes Ansehen für ihre wirklich herausragenden sportlichen Leistungen genossen. Für viele, gerade für die jüngere Generation, waren sie Idole, sportliche Helden. Sie klebten ihre Poster an die Wände ihrer Kinderzimmer und saßen stundenlang vor den Bildschirmen, um ihre Lieblingssportler anzufeuern. Sie trugen ihre Trikots, um die Erfolgsgeschichte ihres sportlichen Schwarms intensiv zu begleiten und zu leben. Jedes Kind hat den Wunsch, einmal in die Fußstapfen seines ganz persönlichen Idols zu treten. Auch diese drei Sportler verkörperten das mitreißende Gefühl, dass tatsächlich jeder Einzelne das schaffen kann, was sie sich selbst mit enormer Kraftanstrengung und zielstrebiger Disziplin erarbeitet haben. Sie waren wahre Vorbilder für die Gesellschaft und wichtige Botschafter ihrer jeweiligen Länder. Doch jede dieser drei Sportlerkarrieren erlebte einen fatalen Wendepunkt, der die Fassade dieser Spitzensportler krachend zusammenfallen ließ. Sie produzierten Schlagzeilen wie „Radstars als Lügner überführt“, „Kein Ende beim Doping in Sicht“ und „Doping raubt dem Sport seinen Stellenwert“. Solche Schlagzeilen brauchen wir nicht. Es ist unstrittig, dass Doping die Integrität des Sports in einem enormen Ausmaß belastet. Die Sportlerinnen und Sportler, die dem Versuch der Steigerung ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit durch die Einnahme unerlaubter Substanzen nicht widerstehen konnten, schaden nicht nur dem Image unserer erfolgreichen Sportgeschichte, nein, sie gefährden damit vor allem auch ihre eigene Gesundheit und ihr Leben, und davon haben wir nur eins. Diesem Defizit muss zweifellos entschieden entgegengewirkt werden. Es ist oberste Prämisse, den Spitzensport als Visitenkarte Deutschlands in der Welt vor nicht hinnehmbaren Entwicklungen und Einflüssen zu bewahren. Die effektive Bekämpfung des Dopings im Sport ist vor diesem Hintergrund schon seit langem ein wichtiges Bestreben des Parlaments. Johnson, Armstrong und Ullrich wurden durch die Aberkennung ihrer Titel und eine Sperre für die Teilnahme an diversen Sportveranstaltungen für unterschiedliche Zeiträume entsprechend sanktioniert. Über eines müssen wir uns im Klaren sein: Wer dopt, betrügt. Wer in Deutschland bewusst täuscht und dadurch einen entscheidenden Vorteil durch seine unethischen Handlungen gewinnt, wird je nach Straftatbestand im Rahmen des Strafgesetzbuches geahndet. Verschiedene gesetzgeberische Schritte zur Dopingbekämpfung sind in den letzten Jahren auf den Weg gebracht worden. Doch wollen wir Doping im Sport weitestgehend zum Erliegen bringen – und das ist unser Anspruch –, gilt es, weitere Lücken zu schließen. Daher bin ich über den Entwurf der Bundesregierung, über den wir heute debattieren, sehr dankbar. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Doping im Sport gehen wir einen großen Schritt in die richtige Richtung und können künftig verstärkt die Gewähr für einen sauberen Sport leisten. Die existierenden Sanktionsinstrumente sollen mit dem neuen Anti-Doping-Gesetz nachhaltig unterstützt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Die immense Neuregelung dieses speziellen Bereichs hilft nicht nur, die Gesundheit der Sportler in erheblichem Maße zu schützen, sondern sie fördert den Schutz der Gerechtigkeit und des Gleichheitsstrebens bei nationalen und internationalen Wettbewerben. Außerdem bringt es uns einen großen Schritt weiter, die Integrität unseres Sportes zu garantieren. Gleichwohl ist die öffentliche Anhörung, die am 17. Juni vorgesehen ist, von erheblicher Bedeutung; denn wir benötigen ein konsensorientiertes Gesetz, das von allen Seiten getragen und unterstützt wird. Ich bin mir sehr sicher, dass wir damit die unabdingbaren Faktoren Prävention, Kontrolle und Sanktionen in eine optimale Form bringen werden. Wenn der Gesetzentwurf aber von möglichst allen Fraktionen getragen werden soll, dann sollte man auch die Fairness und Toleranz haben, eine solche Sitzung gemeinsam mit dem Rechtsausschuss durchzuführen und sie möglichst um eine Stunde zu verschieben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es steht uns gut zu Gesicht, Fairness vorzuleben, wenn wir Fairness einfordern. Das wird auch bei unseren Nachwuchssportlern einen entsprechend starken Eindruck hinterlassen, da diese Veranstaltung öffentlich ist. Ich möchte mich an dieser Stelle bei all den Sportlern und bei denjenigen, die sie trainieren, ebenso wie bei den Familien bedanken, die den Breitensport unterstützen. Mein Dank gilt all denen, die den Mut nicht aufgegeben haben und darauf vertrauen, dass es auch Spitzensportler gibt, die nicht im Nachhinein als Lügner oder als Dopingfall enttarnt werden. Denn wir brauchen auf lange Sicht Vorbilder dieser Art. Ich wünsche allen Sportlerinnen und Sportlern bei den anstehenden Spielen, wo auch immer auf dieser Welt, dass sie erfolgreich zurückkommen und dass sie weiterhin Vorbilder bleiben, die unsere Jugend braucht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Strenz. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4898 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich wünsche allen Sport- und Fußballfans morgen Nachmittag aufregende 90 Minuten. Nicht wahr, Volker? (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Augsburg!) – Man muss schon etwas tun. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Dr. Konstantin von Notz, Nicole Maisch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Verbesserung der Transparenz und der Bedingungen beim Scoring (Scoringänderungsgesetz) Drucksache 18/4864 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Kollegen und Kolleginnen, die Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin in der Debatte gebe ich Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um Scoring-Verfahren. Tatsache ist, dass die Scoring-Verfahren, die heutzutage überall eine Rolle spielen, erheblichen Einfluss auf das Alltags- und Geschäftsleben von Verbraucherinnen und Verbrauchern haben. Sie entscheiden nämlich, zu welchen Konditionen – wenn überhaupt – man einen Kredit von einer Bank bekommt, ob und zu welchen Bedingungen der Mobilfunkvertrag abgeschlossen wird und ob wir beim Einkauf im Internet per Rechnung oder per Vorkasse bezahlen müssen – um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Der Deutsche Bundestag hat vor einigen Jahren eine Änderung vorgenommen. Was ist der Status quo, was passiert hier eigentlich? Es ist so, dass beim Scoring Auskunfteien – die bekannteste ist die Schufa, sie ist aber bei weitem nicht die einzige – wirklich massenhaft Daten von Verbrauchern erheben, benutzen, bewerten und in Relation zueinander stellen, von denen die meisten Verbraucher gar nichts wissen oder ahnen. Dann werden damit Geschäfte gemacht. Die Daten werden verkauft, zum Beispiel an Banken oder Onlineshops, wenn diese wissen möchten, zu welchen Konditionen sie Verträge mit einer gewissen Person eingehen. Heute ist es so, dass wir theoretisch nach der Rechtslage das Recht haben, uns einmal im Jahr eine Auskunft zu holen. Das Tragische für die, die es tun, ist nur, dass sie sehr viel Papier erhalten, aber gar nicht verstehen, was darin steht. Diese Art der Auskunft ist ohne Wert, weil sie nicht verständlich ist und weil man nicht weiß, wie ein bestimmter Score-Wert überhaupt zustande kommt und welche Auswirkungen er hat. Man weiß nicht, ob die Wohnadresse zählt oder ob man im Internet etwas falsch gemacht hat. Man kann sich nicht gegen die Erhebung wehren, um den Score-Wert in Zukunft zu verändern. An dieser Stelle setzen wir mit unserem Gesetzentwurf an. Wir wollen nachbessern und dafür sorgen, dass das Scoring-Verfahren in Zukunft für die Verbraucher transparent und nachvollziehbar ist. Es muss möglich sein, zu intervenieren und sich gegen das Scoring zu wehren, statt wie bisher alle Daten preisgeben und sein gesamtes Leben offenlegen zu müssen. Was wollen wir ändern? Es sind sechs Punkte. Erstens wollen wir, dass in Zukunft diskriminierende Daten nicht mehr über die Bonität entscheiden dürfen. Was sind diskriminierende Daten? Zum Beispiel, dass man in der sogenannten falschen Straße wohnt, die ein negatives Image hat, wobei dann auf eine schlechte Bonität geschlossen wird. Das betrifft auch die Postleitzahl. Das nennt man Geo-Scoring. Wir wollen auch, dass das Geschlecht keine Rolle mehr spielen darf und dass soziale Netzwerke nicht mehr ausgewertet werden dürfen. Warum? Wenn Kommunikation heute im Netz durch Social Media stattfindet, werden diese komplett ad absurdum geführt. Wenn man weiß, dass ständig einer auswertet und man bei sämtlichen Verträgen, die man schließen will, ein negatives Scoring bekommt, möglicherweise für ein Verhalten, das man selber gut findet, dann hat das einen negativen Effekt; denn man weiß nicht, wer da wie auswertet. Also: Diskriminierungsgeeignete Daten sollen nicht mehr über die Bonität entscheiden dürfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens. Mit unseren persönlichen Daten werden Geschäfte gemacht und Score-Werte erhoben. Wir finden, dass dann dazu gehört, dass jährlich von den Auskunfteien aktiv informiert wird. Es ist eine Bringschuld und keine Holschuld. Diese Information muss jährlich erfolgen und kostenlos sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nach der ersten Mitteilung kann man sich überlegen, ob man einen Zugangscode für ein Internetportal haben will, um die Werte abzurufen, oder die Information per Post möchte. Drittens. Wir wollen Klarheit über die Datenrelevanz und die konkrete Speicherdauer. In Zukunft soll man auch Informationen über die einzelnen Daten, ihre Gewichtung und darüber erhalten, wie lange sie gespeichert werden, damit man weiß, wann sie bei der Gewichtung wieder herausfallen. Ich finde, das ist unser gutes Recht; denn es geht ja um unsere Daten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen – viertens –, dass Unternehmen, die die Daten sammeln und weitergeben, uns vorab informieren. Wir wollen – fünftens – eine bessere Aufsichtskon-trolle. Die Datenschutzbehörden sollen verpflichtet werden, die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften einmal pro Jahr zu kontrollieren, um auch tatsächlich Überwachung zu gewährleisten. Wir wollen – sechstens – eine zeitgenaue Löschung von negativen Einträgen, und zwar nicht erst nach zwölf Monaten. Wenn man erkannt hat, dass zu löschen ist, soll auf den Tag genau gelöscht werden; denn es kann ja sein, dass wir nächste Woche einen Mobilfunk- oder Kreditvertrag abschließen wollen. Was falsch ist, muss weg und kann ja wohl im digitalen Zeitalter gelöscht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, dass unser Gesetzentwurf richtig ist, zeigen viele Beispiele. Das zeigt die Tatsache, dass die Verbraucherschutzminister der Länder gerade in der letzten Woche mit 16 : 0 einen ähnlichen Beschluss mit ähnlichen Kernpunkten und Forderungen gefasst haben. Das zeigt ein Gutachten, das ja noch vom alten Verbraucherschutzministerium in Auftrag gegeben und Ende letzten Jahres veröffentlicht wurde. Darin wurde nämlich auch gesagt, dass die alte Datenschutznovelle von 2009 Lücken aufweist, nämlich dass die Transparenz des Scoring-Verfahrens immer noch unzureichend ist und dass die Qualität der genutzten Daten wirklich überprüfbar sein muss. Dass das alles wichtig und von Bedeutung ist, zeigt sich natürlich auch daran – Herr Staatssekretär Kelber sitzt ja hier –, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz dies zum Anlass genommen hat, ein Symposium zu veranstalten, um das Ganze zu unterstützen. Unser Gesetzentwurf kommt zu einem Zeitpunkt, an dem in Brüssel noch über die Datenschutzverordnung verhandelt wird. Trotzdem ist er meines Erachtens richtig; denn danach kommt der Trilog zwischen Kommission, Rat und Europäischem Parlament. Ich meine, es ist richtig, dass wir Flagge zeigen, bevor das Verfahren auf der Ratsebene im Juni abgeschlossen wird, dass wir deutlich machen, dass wir mehr wollen, als dort von den anderen 27 Mitgliedstaaten im Augenblick verhandelt wird, dass wir mindestens aber die Möglichkeit offenhalten wollen, darüber im Trilog zu reden und notfalls national weiter gehende Regeln festzulegen. Unser Gesetzentwurf ist richtig, weil es nie falsch ist, zu einem frühen Zeitpunkt und nicht erst in einem Jahr Gesetze zu beraten, von denen man schon weiß, dass man sie braucht. Die Not ist groß bei den Menschen. Bei denen, die viel Geld haben, herrscht keine Not, aber bei anderen tatsächlich. Deshalb ist es richtig, dass wir jetzt diese Vorlage diskutieren und in einer Anhörung zu ihrer genaueren Ausgestaltung kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Renate Künast. – Nächster Redner – schon wieder –: der Kollege Stephan Mayer. – Sie müssen heute viel arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden jetzt immer zusammen! Ich war ja auch schon wieder!) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich bin zwar nicht der erste Redner hier im Bundestag, der folgendes Zitat erwähnt, aber es passt aus meiner Sicht sehr gut auf den Gesetzentwurf. Baron de Montesquieu sagte einmal: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, ist es notwendig, kein Gesetz zu erlassen. Dieses Zitat passt deshalb sehr gut, weil dieser Gesetzentwurf, den die Grünen hier einbringen, überflüssig ist. Er ist aber nicht nur überflüssig, sondern er ist aus meiner Sicht auch kontraproduktiv. Sie verteufeln, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, das Scoring. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich will nicht das Scoring verbieten!) Das klingt natürlich auch furchtbar abenteuerlich, furchtbar mysteriös. Um was geht es beim Scoring? Beim Scoring geht es darum, dass eine Wahrscheinlichkeit berechnet wird, mit der der Kunde, mit der der Kreditnehmer, mit der der Mobilfunkkunde die Rechnungen begleicht, die er zu bezahlen hat. Ich glaube, das ist doch das Normalste auf der Welt. Wenn Sie, Frau Kollegin Künast, mir 10 Euro leihen wollen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich gebe Ihnen 50!) oder wenn ich Sie frage, ob Sie mir 10 oder 50 Euro leihen, dann werden Sie sich im Vorfeld erkundigen: Hat der Kollege Mayer eine gute Bonität? Ist der säumig? Begleicht der seine Schulden? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gebe ich Ihnen abhängig von Ihrer Wohnadresse!) Es ist doch völlig logisch und natürlich, dass Unternehmen wissen wollen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Kunde das bezahlt, was er kauft, oder ob er die Mobilfunkrechnung monatlich begleicht bezüglich des Vertrages, den er eingegangen ist. Scoring ist also kein Teufelswerk, sondern Scoring ist aus meiner Sicht unerlässlich und essenziell für das Funktionieren unseres Wirtschafts- und Handelslebens. So möchte ich einmal in Erinnerung rufen: Allein im Jahr 2013 wurden in Deutschland Waren im Wert von insgesamt 19 Milliarden Euro auf Rechnung gekauft. Weil Sie, Frau Kollegin Künast, immer darauf hinweisen, die Leute würden diskriminiert, sie würden mit einem negativen Wert, einer negativen Bonität in Misskredit gebracht, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Nach Auskunft der Schufa haben über 97 Prozent aller Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland eine positive Bonität. Das ist eine gute Nachricht, eine schöne Nachricht. Der überwiegende Teil der Verbraucherinnen und Verbraucher erfüllt seine Mobilfunkverträge und seine weiteren Dauerschuldverhältnisse, bezahlt aber auch die Waren, die er auf Rechnung kauft, vollkommen pünktlich und vollumfänglich. Es ist also beileibe nicht so, dass, wie Sie es hier darstellen, ein Großteil der Verbraucherinnen und Verbraucher unter Generalverdacht gestellt und diskriminiert wird. Das Gegenteil ist der Fall. Dieses Scoring, diese Wahrscheinlichkeitsberechnung ist sogar im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher. Wie müssten Unternehmen reagieren, wenn -Auskunfteien diesen Score-Wert nicht an Handelsunternehmen weitergeben dürften? Sie müssten den Zahlungsausfall, der sich dann häufiger einstellen würde, auf die Preise und damit auf die zu über 97 Prozent redlichen Verbraucher umlegen. Dass es diese Möglichkeit des Scorings gibt, ist also im Sinne aller redlichen Verbraucher, die ihre Schulden begleichen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es gibt seit dem 1. April 2010 ein sehr umfangreiches Informations- und Auskunftsrecht. Davon machen mehrere Zehntausende Bundesbürger Gebrauch, indem sie sich einmal im Jahr – kostenlos wohlgemerkt – von den Auskunfteien ihren persönlichen Score-Wert, ihre Bonität mitteilen lassen. Sie, Frau Kollegin Künast, fordern jetzt, dass es eine Bringschuld gebe. Sie wollen also, dass die Auskunfteien gesetzlich verpflichtet werden, einmal im Jahr alle Verbraucherinnen und Verbraucher, alle Erwachsenen in Deutschland und darüber hinaus über -ihren Score-Wert zu informieren. Ich bin der festen Überzeugung: Den überwiegenden Teil der Bürger interessiert das gar nicht, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb sage ich ja: Das kann man per Internet machen!) weil sie überhaupt keine Probleme haben. Sie bekommen den Kredit, den sie wollen, dürfen die Ware, die sie kaufen wollen, auf Rechnung kaufen, erhalten den Mobilfunkvertrag, den sie wollen. Es haben nämlich, wie gesagt, über 97 Prozent eine positive Bonität. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es ja nicht! Es geht darum, dass die mit meinen Daten Geschäfte machen!) Sie erwähnten einen weiteren Aspekt, nämlich dass die Löschungsfristen gesetzlich definiert werden müssten. Sie sprechen hier von sieben Jahren. Schon heute beträgt die Löschungsfrist bei einer Restschuldbefreiung lediglich drei Jahre. Also spätestens nach drei Jahren muss diese Information nach § 35 Absatz 2 Satz 2 Nummer 4 des Bundesdatenschutzgesetzes getilgt werden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie – – Sie sind so groß. Ich muss regelrecht an Ihnen vorbeischauen. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): So lang. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja, Entschuldigung. – Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung? Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Selbstverständlich, sehr gerne. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Mayer, vielen Dank, dass Sie meine Frage zulassen. – Sie haben gesagt, diese Löschfrist von drei Jahren sei ausreichend. Deshalb möchte ich Sie Folgendes fragen: Wie Sie wissen, bekommt man mit einer negativen Bonität zum Beispiel keinen Mobilfunkvertrag. Was war der längste Zeitraum, währenddessen Sie in den letzten Jahren ohne Ihr Handy ausgekommen sind? Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Frage. – Ich möchte erst einmal anmerken, dass es einen Unterschied zwischen Größe und Länge gibt. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind groß, nicht nur lang! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]) – Nein, das ist schon wichtig. Vizepräsidentin Claudia Roth: Groß gewachsen. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Die Frage ist berechtigt. Natürlich ist der Großteil unserer erwachsenen Bundesbürger auf einen Mobilfunkvertrag angewiesen. Es gibt aber auch – das wissen Sie – andere Möglichkeiten, um sich ein Handy zu besorgen, als bloß über einen langfristigen Mobilfunkvertrag. Man kann sich Prepaidhandys zulegen. Wenn man eine Prepaidkarte kauft, wird keine Anfrage bei einer Auskunftei gestellt. Da kommt es nicht auf die Bonität an. Wenn Sie hier also insinuieren, allein durch die Möglichkeit der Abfrage der Bonität bei einer Auskunftei würde einem bestimmten Teil der Bevölkerung – wie gesagt, über 97 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher sind redlich und haben eine positive Bonität – die Möglichkeit genommen, einen Mobilfunkvertrag abzuschließen, muss ich dazu sagen: Das stimmt einfach nicht. Ich möchte sogar in Zweifel ziehen, dass es so ist, dass ein Mobilfunkunternehmen sich bei einem negativen Score-Wert, bei einer negativen Bonität automatisch weigert, einen Mobilfunkvertrag abzuschließen. Aber selbst wenn dem so wäre – hypothetisch –, bestünde immer noch die Möglichkeit, dass sich derjenige oder diejenige ein Prepaidhandy zulegt. Dieser Einwand geht also aus meiner Sicht völlig ins Leere. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ebenso ins Leere geht der Hinweis der Grünen im Gesetzentwurf, dass man doch endlich gesetzlich normieren müsse, dass Auskunfteien nicht auf Daten aus sozialen Netzwerken oder Internetforen zugreifen. Nennen Sie mir eine Auskunftei, die dies tut! Ich habe mich erkundigt: Es gibt keine einzige Auskunftei in Deutschland, die auf Daten aus sozialen Netzwerken oder Internetforen zugreift bzw. dies plant. Ihre Forderung ist also vollkommen überflüssig. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kauft die Bank halt die Daten einer Auskunftei im Ausland! Das müssen Sie regeln!) Genauso überflüssig ist Ihre Forderung, gesetzlich zu verbieten, dass man Daten, die Staatsangehörigkeit, Geschlecht, Sexualleben oder eine mögliche Behinderung betreffen, verwendet. Auch dem ist nicht so. Keine Auskunftei in Deutschland nutzt solche Daten oder hat vor, solche Daten zu nutzen. Sie entfachen mit Ihrem Gesetzentwurf eine Scheindebatte, die jeglicher Grundlage entbehrt. Der Gesetzentwurf ist aber nicht nur überflüssig, wie ich eben ausgeführt habe, sondern aus meiner Sicht auch kontraproduktiv, kontraproduktiv vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über die Datenschutz-Grundverordnung. Das ist mir schon sehr wichtig; denn wir sind nun in der Endphase der Verhandlungen be-züglich eines sehr wichtigen Rechtsinstruments auf -europäischer Ebene, nämlich der Vollharmonisierung des Datenschutzrechts in 28 Mitgliedsländern, in denen 500 Millionen Menschen leben. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist jetzt auch überflüssig, Herr Mayer, oder was?) Den vorliegenden Gesetzentwurf jetzt zu verabschieden, wäre eben deshalb kontraproduktiv, weil er schon in wenigen Monaten obsolet wäre. Es ist geplant, während der Luxemburger Ratspräsidentschaft bis Ende des Jahres die Datenschutz-Grundverordnung endgültig unter Dach und Fach zu bringen. Spätestens dann wäre das Bundesdatenschutzgesetz erneut zu novellieren, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie ja sowieso!) weil wir es der neuen Datenschutz-Grundverordnung anpassen müssten. Erlangte diese Verordnung sogar Allgemeingültigkeit, bedürfte es einer gesetzlichen Regelung in Deutschland gar nicht mehr; sie wäre nämlich überflüssig. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Ein weiterer Punkt, bei dem Sie absolut ins Leere schießen: Sie wollen, dass die Bundesregierung in einer Rechtsverordnung die näheren Anforderungen an das wissenschaftlich anerkannte mathematisch-statistische Verfahren der Auskunfteien festlegt. Da gehen Sie wirklich an die Kronjuwelen der Auskunfteien. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kronjuwelen sind die Daten über die Kunden!) Dieses mathematisch-statistische Verfahren ist ein hoch schützenswertes Betriebs- und Geschäftsgeheimnis der Auskunfteien. Ich halte es für vollkommen verfehlt, dass Sie nun so weit gehen und der Bundesregierung auferlegen wollen, Anforderungen an die Auskunfteien zu stellen, wie sie dieses Verfahren durchzuführen haben. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie legen sich da hin und spielen toter Mann! Es geht um die Daten der Kunden!) Um es klar zu sagen: Wenn Ihr Gesetz in der vorliegenden Fassung in Kraft treten würde, dann wäre in Zukunft der Kauf auf Rechnung in Deutschland unmöglich; denn Sie beabsichtigen des Weiteren, dass jeder Bundesbürger vor der Berechnung der Wahrscheinlichkeitswerte über die vorgesehene Nutzung seiner Daten schriftlich unterrichtet wird. Sie müssten also bei jeder Neuberechnung des Score-Werts, wenn also neue Daten beispielsweise von einem Bankinstitut oder einer Versicherung eingehen, jeden Bundesbürger darüber informieren, dass sich nun sein Score-Wert bzw. seine Bonität möglicherweise ändert. Dies muss auch noch dokumentiert werden. Sie würden einen Bürokratie- und Dokumentationswust entfachen, der unvorstellbar wäre. Die Folge wäre: Es würde kein Handelsunternehmen in Deutschland mehr geben, das Waren auf Rechnung verkaufte. Entweder müsste man immer bar zahlen – das ist mit Sicherheit nicht im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher –, oder die Unternehmen müssten das Risiko eingehen, die Waren ohne Wahrscheinlichkeitsberechnung herauszugeben. Viele Unternehmen würden das aber insbesondere bei hochpreisigen Waren nicht machen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzentwurf ist wirklich überflüssig. Er ist aber, wie ich ausgeführt habe, nicht nur überflüssig, sondern auch kontraproduktiv. Allein dass jährlich Informationen an alle Bundesbürger gegeben werden müssten, führte bei der Schufa zu einem Kostenaufwand in Höhe von 40 Millionen Euro. Das ist meines Erachtens in jeder Hinsicht übermäßig. Deswegen kann ich Ihnen nur den wohlgemeinten Rat geben, den Gesetzentwurf in der Schublade verschwinden zu lassen. Er hat es aus meiner Sicht in keiner Weise verdient, weiter intensiv und ernsthaft debattiert zu werden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Stephan Mayer. – Nächster Redner in der Debatte: Harald Petzold für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Besuchertribünen! Es wird Sie möglicherweise nicht überraschen: Meine Fraktion, die Linke, unterstützt den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes im Sinne einer Verbesserung der Transparenz und der Bedingungen beim Scoring und wird ihm zustimmen. Das sage ich in dieser Eindrücklichkeit nicht deswegen, weil wir plötzlich alle unsere Bedenken gegen das Scoring abgelegt hätten, sondern weil ich fest davon überzeugt bin, dass wir angesichts der gegenwärtigen gesetzlichen Situation unbedingt eine Gesetzesänderung brauchen, die gegenüber der jetzigen Praxis Transparenzfortschritte bringt. Entsprechende Maßnahmen hat Frau Künast hier ja genannt. Ich halte sie für unverzichtbar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Künast hat ebenfalls dargestellt, was Scoring bedeutet. Ich kann es mir ersparen, das zu wiederholen. Sie kennen möglicherweise alle die Broschüre des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein zum Verbraucher-Scoring, in dem beispielhaft dargestellt wird, wie solche Scores zustande kommen. Es findet sich da etwa das Beispiel eines Arbeitnehmers, der eine Wohnung in der Nähe eines etwas schmuddeligen Bahnhofsviertels bezogen hat, weil er von dort rasch zu seinem Arbeitsplatz kommt. Die Wohnortwahl hat nichts damit zu tun, ob er kreditwürdig ist, ob er über ein festes Einkommen verfügt oder nicht, er braucht einfach jeden Tag die Bahn und hat sich aus Praktikabilitätsgründen dafür entschieden, in dieses Viertel zu ziehen. Für seinen Score war diese Entscheidung aber das reinste Gift. Denn für diesen wandelte er sich von einem fleißigen Arbeitnehmer in einen zwielichtigen Zeitgenossen. Ich kann allen, auch den Besucherinnen und Besuchern, nur empfehlen, sich diese Broschüre einmal zu besorgen und anhand der Tabellen, die darin veröffentlicht sind, nachzuschauen, welchen Score jeder einzelne von uns kriegen würde. Sie würden sich möglicherweise wundern. Wir als Linke sagen, bei einem solchen automatisierten und standardisierten Bewertungsverfahren geht der Mensch als Individuum verloren. Und dagegen sprechen wir uns natürlich konsequent aus. (Beifall bei der LINKEN) Denn im schlimmsten Fall wird dem betroffenen Menschen damit sein Leben lang ein Stempel aufgedrückt, gegen den er sich nicht wehren kann und auf dessen Zustandekommen – Frau Künast hat das hier dargestellt – wir keinen Einfluss haben. Deswegen kann ich auch den Soziologen nur zustimmen, die sagen, Scoring werde zum Instrument für soziale Deprivation. Spätestens dieses Argument der Entbürgerlichung, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, die durch das Scoring hier eingeleitet wird, müsste bei Ihnen zu der Überlegung führen, dass es vielleicht doch sinnvoll wäre, hier eine Veränderung hinzubekommen. Wenn Sie schon uns und Bündnis 90/Die Grünen nicht glauben, dann werfen Sie bitte noch einmal einen Blick in die auch von Frau Künast schon erwähnte Analyse -„Scoring nach der Datenschutz-Novelle 2009 und neue Entwicklungen“. Sie enthält eine Analyse der rechtlichen Grundlagen und eine empirische Untersuchung. In ihr wird klar und deutlich gesagt, wie wichtig ein klarer Rechtsrahmen für das Scoring ist. Meine Fraktion jedenfalls nimmt die Ergebnisse dieser Studie sehr ernst. Wir sagen, es darf nicht sein, dass jemand zu Unrecht ein Darlehen nicht erhält, eine Wohnung nicht anmieten kann oder im Versandhandel nicht auf Rechnung bestellen kann. Auch auf die Konsequenzen im gegenwärtigen europäischen Diskussionsprozess hat Frau Künast hingewiesen. Ich möchte auf die Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, Frau Rogall-Grothe, verweisen, die gesagt hat: Wir haben in Deutschland für das Kreditscoring sehr viel speziellere Regelungen, als sie derzeit in der EU diskutiert werden. Das neue EU-Recht wird aber das deutsche Recht ersetzen. Daher müssen wir darauf achten, dass wir unser bisheriges Datenschutzniveau erhalten. Auch dem ist nichts hinzuzufügen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Langer Rede kurzer Sinn – diese Studie bestätigt: Der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen geht in die richtige Richtung. Wir brauchen ein Verbot von Personenprofilen. Auskunftsverfahren, die nicht auf relevante individuelle und zweckgebundene Daten setzen, sondern Aussagen allein aufgrund statistischer Daten, Wahrscheinlichkeiten oder diskriminierender Daten errechnen, müssen unterbleiben. Wir brauchen Regelungen, die die Auskunfteien dazu verpflichten, endlich für Transparenz zu sorgen. Der Verbraucher hat ein Recht darauf, bei einer Selbstauskunft mehr zu erfahren als den tagesaktuellen Score. Die Auskunfteien müssen Rechenschaft ablegen, welche Faktoren den Score wie beeinflussen und an wen welcher Score weitergegeben wird. Das betrifft sowohl die Einzeldaten als auch die Berechnungsformeln als auch die konkreten Werte. Wir wollen, dass auf Geoscoring verzichtet wird. Wir wollen, dass auf die sogenannte Schufa-Auskunft verzichtet wird. In diesem Sinne müssten wir uns alle, wenn wir die Ergebnisse dieser Studie ernst nehmen, verpflichtet fühlen, politisch zu handeln. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Harald Petzold. – Der nächste Redner in der Debatte ist Gerold Reichenbach für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU]) Gerold Reichenbach (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, am Ende ist es, außer vielleicht bei der Linkspartei, unumstritten, dass wir so etwas wie Scoring brauchen, eine Vorhersage – Kollege Mayer hat es ausgeführt – für diejenigen, die Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt anbieten, der sie entnehmen können, ob denn der Kunde überhaupt solvent ist. Scoring gab es schon immer. Ich darf aus dem hessischen Datterich zitieren: „Lisettche, kannst Du für mich anschreibe?“ – „Nee, für dich net.“ – Das war sozusagen ein Scoring, das früher stattfand. Nun haben wir heute nicht mehr solche direkten Beziehungen, weil wir vieles über das Internet und anderweitig abwickeln. Auch bei Kreditverträgen ist es ja sinnvoll, dass der jeweilige Geschäftspartner einem nicht sofort persönlich etwas vorschreibt. Allerdings – das kennen wir auch; ich glaube, das erleben wie ich die meisten auch in ihren Wahlkreisbüros oder in den Bundestagsbüros – werden immer wieder Fälle bekannt, wonach etwa jemandem – Sie haben es geschildert – ein Handyvertrag verwehrt wurde, nur weil er beispielsweise in einem bestimmten Gebiet wohnt. Meiner eigenen Mitarbeiterin aus Neukölln ist das einmal passiert: Ihr teilte ein Versandhandel mit, sie könne nicht auf Rechnung, sondern nur gegen Vorkasse oder per Nachname bestellen, weil ihre Anschrift eine bestimmte Postleitzahl beinhaltete. Da muss man, glaube ich, etwas tun. Das Bundesministerium der Justiz hat deshalb nach der Änderung im Bundesdatenschutzgesetz 2009 eine Studie in Auftrag gegeben und dieses evaluiert. Auch der Staatssekretär hat darauf hingewiesen: Natürlich gibt es die eine oder andere Stelle, bei der wir über bestimmte Probleme nachdenken müssen. Aber das betrifft nicht nur einen Punkt, sondern eine breite Palette an Punkten. Aber einfach so wie Sie, Frau Künast, zu sagen: „Da ist ein Problem. Supi! Wir Grünen haben dafür sofort eine Lösung“, funktioniert nicht, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Supi? Wir diskutieren darüber schon seit fünf Jahren!) insbesondere dann nicht, Frau Künast, wenn die Lösung gleich neue Probleme produziert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Es ist richtig, dass das Recht auf Auskunft bislang von relativ wenigen wahrgenommen wird. Eigentlich gilt ja der Rechtsgrundsatz: Wenn jemand Rechteinhaber ist, in diesem Fall ein Auskunftsrecht hat, dann hat er sich zunächst einmal selbst um die Wahrnehmung dieses Rechts zu kümmern. Das ist aber bei den Auskunfteien nicht so einfach. Schließlich weiß ich nicht, wer alles meine Daten hat und wer welche Daten an wen weitergegeben hat. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Richtig!) Jedenfalls muss ich mich aktiv an diese Stellen wenden; das ist richtig. Die Statistik zeigt auch: Ein Großteil der Betroffenen – das geht aus der Auswertung der Studie hervor – wünscht sich eine eher aktive Rolle derjenigen, die ihre Daten haben. Schauen wir uns einmal das Verhältnis an: Die Zahl derjenigen, die Daten über Dritte abfragen, die also von den Auskunfteien wissen wollen: „Ist derjenige, mit dem ich ein Geschäftsverhältnis eingehen möchte, solvent und zahlungswillig?“, ist sehr viel höher als die Zahl derjenigen – sie liegt noch nicht einmal bei 5 Prozent –, die von den Auskunfteien gerne wissen möchten: „Welche Werte habt ihr von mir?“. Dieses Wissen wäre ja die Voraussetzung dafür, gegebenenfalls den einen oder anderen Wert – auch das kommt vor –, der falsch ist, korrigieren zu lassen. Das zeigen die Berichte der Ombudsleute, die in diesem Bereich tätig sind, etwa bei der Schufa, oder auch die Studie selbst. Dann kommen die Grünen mit einem Vorschlag um die Ecke, der übrigens gar nicht neu ist, Frau Künast. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sehen Sie: Der ist schon lange durchdacht! Sie haben gerade gesagt, er sei ganz neu!) – Frau Künast, immer erst einmal zuhören. Danach können Sie dazwischenrufen. Das würde dazu führen, dass der Zwischenruf nicht so danebengeht wie der gerade von Ihnen gemachte. (Beifall des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist der Vorschlag jetzt alt oder neu?) Wir haben damals in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ die Idee, die Sie verfolgen, nämlich sich direkt informieren zu lassen – damals lief das unter dem Stichwort „Datenbrief“ –, breit diskutiert. Wenn Sie sich den Bericht der Enquete ansehen – er ist nicht nur für die letzte Legislaturperiode geschrieben worden –, dann werden Sie feststellen, dass darin die kritische Betrachtung überwiegt, und zwar mit Recht. Sie produzieren dadurch nämlich neue Probleme, egal welche Ihrer Lösungen man betrachtet. Das erste Problem ergibt sich mit der von Ihnen vorgeschlagenen Internetlösung, gemäß der man den Betroffenen nur einmal mitteilen müsste, dass sie ihre Daten demnächst im Internet abrufen können. Zunächst einmal fragen fast ein Drittel auf dem schriftlich-postalischen Weg nach; das zeigt zum Beispiel der Bericht der Schufa. Aber auch wenn wir Ihre Internetlösung nähmen, gäbe es ein Problem: Wir produzieren damit nämlich eine neue Zusammenführung von Daten. Und Datenpools – wir erleben es gerade beim Bundestag – ziehen natürlich das große Interesse krimineller Organisationen auf sich, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie jetzt die Auskunfteien abschaffen, damit es keine Datensammlungen gibt?) die gerne an Daten herankommen würden, an die sie gar nicht herankommen dürfen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kunden haben doch nicht mit Datensammeln angefangen!) – Hören Sie doch endlich einmal zu. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich höre doch die ganze Zeit zu! Ich bin die Einzige, die zuhört!) Wenn Sie nicht zuhören wollen, dann lesen Sie sich anschließend noch einmal den Teil aus dem Bericht der Enquete-Kommission durch. Das sind nur zehn Seiten. Das ist nicht so viel. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das zweite Problem, das sich aus Ihren Vorschlägen ergeben würde, ist: Wenn schriftlich zugestellt würde, müsste immer regelmäßig sichergestellt werden, dass die postalische Zustellung der sensiblen Daten, die von einer Auskunftei oder von anderen stammen, auch den Dateninhaber erreicht, (Beifall bei der SPD) sonst organisieren Sie nämlich Datenbruch und Datenschutzverletzung per systematisch eingebautem Fehler. Wir wissen doch: Die Grünen werden die Ersten sein, die sagen: Bei der heutigen Post wie auch bei anderen Postzustellungsunternehmen kann man die Fiktionalität der richtigen Zustellung gar nicht mehr annehmen. Wann gilt denn das Argument? (Beifall bei der SPD) Dann, wenn Sie etwas auf dem Postweg machen wollen, ist es plötzlich kein Argument mehr. (Marian Wendt [CDU/CSU]: Wie im 19. Jahrhundert!) Das heißt, Sie produzieren neue Datenprobleme. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorratsdatenspeicherung! Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!) Sie produzieren unter Umständen auch neue Probleme im Datenschutz für die Betroffenen, wenn die Schufa-Auskunft mit den entsprechenden Daten dann nicht mehr im richtigen Stockwerk ankommt, sondern eines tiefer. (Beifall bei der SPD) Ein dritter Punkt – jetzt wird es abstrus, mit Verlaub –: Ein Großteil dessen, was wir hier verhandeln – Herr Kollege Mayer und die anderen haben doch recht –, wird in der Datenschutz-Grundverordnung behandelt werden. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht!) Der Rat will jetzt im Juni zum Abschluss kommen. Dann gehen wir in den Trilog. Was ist denn das für ein Selbstverständnis von Parlamentariern, wenn man hier eine Gesetzesänderung machen will, von der wir genau wissen, dass sie gar nicht so lange Bestand haben wird, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, als nationales Recht!) nur um zu signalisieren: „Bitte verhandelt doch im Sinne des Gesetzes, das wir hier haben“? – Das ist doch schon fast Slapstick, Frau Künast. Das hat mit einem ordentlichen parlamentarischen Verfahren nichts zu tun. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie sich doch einmal als Abgeordneter ernst und stellen sich nicht hin wie ein Weichei! Sozialdemokraten kann man auch in der Pfeife rauchen!) Wir werden uns der Problematik nicht verweigern. Aber eine Lösung, auch wenn Sie sie noch so lautstark anpreisen, die mehr Probleme aufwirft als löst, werden wir so garantiert nicht akzeptieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen ja nichts beim Datenschutz! Sie sind selbst zu feige, Snowden zu holen! – Gegenruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]: Wer schreit, hat Unrecht!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Reichenbach. – Wir haben uns hier erkundigt. Sie haben Stirnrunzeln ausgelöst mit Ihrem hessischen Zitat aus dem Datterich. Ich möchte die Kollegen darüber aufklären: Es handelt sich um eine Lokalposse von Ernst Elias Niebergall, der vor 200 Jahren geboren worden ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, wie schön! Herzlichen Glückwunsch!) Gerold Reichenbach (SPD): Darf ich eine Kurzintervention machen? Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja, Sie dürfen eine Kurzintervention machen. Gerold Reichenbach (SPD): Was Sie sagten, werte Frau Präsidentin, ist völlig richtig. In der Kurzintervention möchte ich das noch ergänzen: Der Datterich ist dadurch bekannt geworden, dass in ihm viele kluge Sätze stehen, zum Beispiel der politisch sehr kluge Satz: Wir werden es zwar nimmer erleben, aber Sie werden sehen. – Mit anderen Worten: Wir werden es zwar nicht mehr erleben, aber Sie werden sehen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank. – Es gehört auch dazu: Wenn wir kurz vor Pfingsten stehen, kann ein bisschen Geist nicht schaden. Marian Wendt ist der nächste Redner in der Debatte für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marian Wendt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren hier heute Kosmetik. Wir debattieren Kosmetik; denn mit der aktuellen Regelung im Bundesdatenschutzgesetz besteht heute bereits ein europaweit einzigartig hohes Niveau beim deutschen Datenschutz. Weiterhin wird das Bundesdatenschutzgesetz nach Abschluss der Verhandlungen im Europäischen Rat am 30. Juni und dem darauffolgenden Trilog durch die Datenschutz-Grundverordnung hinfällig werden; es wird abgelöst. Die Änderungen, die der Bundestag jetzt vornehmen soll, lassen sich also mit Recht als Kosmetik bezeichnen; denn sie hätten eine überaus kurze Halbwertszeit und würden nicht zu einem verbesserten Datenschutzniveau in Deutschland führen. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!) Die Forderung, Gewichtung und Verfahren zur Bestimmung von Scoring-Werten offenzulegen, ist hanebüchen. Demnächst verlangen die Grünen wahrscheinlich auch die Herausgabe der Rezepte von Cola und Pepsi. (Ulli Nissen [SPD]: Das wäre doch gut!) Dass diese gerade die Geschäftsgrundlage von Auskunfteien sind, ignorieren Sie dabei. Ihre grundsätzliche Forderung, dass es sich bei -Scoring-Werten nicht um willkürliche Werte handeln darf, ist jedenfalls längst erfüllt. Es stellt sich sowieso die Frage, warum denn überhaupt eine Bank oder eine Firma Dienstleistungen einer Auskunftei in Anspruch nehmen würde, wenn es sich bei den Ergebnissen um willkürliche Werte handeln würde. Der bürokratische Wust – das haben die Kollegen bereits erwähnt –, den der von Ihnen vorgesehene Informationszwang mit sich brächte, ist schwer abzuschätzen. Allein in den Datenbanken der Schufa sind 66,5 Millionen natürliche Personen verzeichnet. Diese Massen rechtssicher über Scores und vorgehaltene Daten zu informieren, erhöht die ohnehin massiven Bürokratiekosten, von den Zustellungserfordernissen ganz zu schweigen. Vor allen Dingen innovative junge Unternehmen haben es dadurch noch schwerer, in den Markt einzutreten. Das schadet dem Wettbewerb. Wir wollen eigentlich nicht nur Politik für die Großen machen, sondern vor allen Dingen auch für junge Start-ups, die diese Daten einfach nutzen können. Auch Ihre Forderung nach dem Verbot der Benutzung sogenannter nicht bonitätsrelevanter Daten geht an der Realität vorbei. Es ist nicht klar, welchen Anreiz Auskunfteien überhaupt haben sollten, irrelevante Daten bei der Bonitätsprüfung zu verwenden. Irrelevante Daten verschlechtern das Produkt, das Auskunfteien verkaufen, nämlich die Aussage über die Bonität eines Kunden. Eine weitere regulatorische Einengung des Scorings macht also die Beurteilung eher schlechter und nicht besser. Das ist für die Menschen eine negative Entwicklung; denn von einer fairen Beurteilung der Kreditwürdigkeit hängt eine Menge ab. Aus informationswirtschaftlicher Sicht ist heute unbekannt, welche Daten morgen bonitätsrelevant sein könnten. Daher ist auch das Verbot der Erfassung vermeintlicher nicht bonitätsrelevanter Daten nachteilig. Grundsätzlich ist hier einmal festzuhalten: Scoring-Unternehmen sind keine windigen Datenkraken. Sie erfüllen eine Schlüsselfunktion, indem sie ihre Einschätzung als Dienstleistung anbieten und somit ermöglichen, dass Banken überhaupt Kredite unter fairen Bedingungen gewähren können. Ihre Arbeit ist wichtig für das Funktionieren der Volkswirtschaft und damit für jeden Verbraucher. Eine Verschlechterung der Datenbasis bedeutet in der Folge eine Verschlechterung der Bewertungen. Dies macht Kredite insgesamt teurer, da das persönliche Risiko des Kreditnehmers weniger abschätzbar wird. Eine einhellige Forderung nach Verschärfung des Datenschutzrechts in Bezug auf Scoring, wie Sie es darstellen, gibt es darüber hinaus auch gar nicht. Beispielsweise schreibt der Hessische Datenschutzbeauftragte, dass eine breitere Datenbasis Scoring-Ergebnisse verbessert. Er warnt vor einer Überregulierung und einer damit einhergehenden Verringerung der Score-Qualität. Auch hier haben wir die Fachwelt also hinter uns. Der vorliegende Gesetzentwurf macht also die Situation nicht besser: weder für die Verbraucher noch für die Unternehmen. Lassen Sie mich diese Debatte noch zum Anlass nehmen, allgemein etwas zum Thema Datenschutz zu sagen. Mir ist wichtig, noch einmal zwei Dinge festzustellen: Erstens. Die Illusion, wir könnten auf nationaler Ebene ein strenges Datenschutzrecht durchsetzen und wären damit die Insel der Glückseligen, ist schlicht naiv. Unternehmen aus anderen Ländern, in denen das Datenschutzrecht weniger streng ist, nehmen den Platz der dann verdrängten deutschen Unternehmen ein. Die gibt es dann schlicht nicht mehr, und wir haben mit unseren gutgemeinten Ideen bei der Regulierung dann gar keinen Einfluss mehr. Herr Steinbrück hat recht, wenn er sagt: Lieber 25 Prozent von X als 45 Prozent von nix! – Die Idee der Datenschutz-Grundverordnung, ein Level -Playing Field in Europa zu schaffen, ist da der einzig richtige und zielführende Ansatz. Zweitens. Mir ist auch wichtig, noch einmal festzustellen, dass das Datenschutzverständnis aus den 1980er-Jahren mit Datensparsamkeit und Löschzwängen für die heutige Realität nicht geeignet ist. Der Kollege Lars Klingbeil von der SPD hat im Handelsblatt richtigerweise ein „Ende der angstgetriebenen Datendebatte“ gefordert. Wir müssen aufpassen, dass wir die Menschen nicht durch eine Debatte über Datensparsamkeit noch mehr verängstigen. Vielmehr müssen wir uns fragen: Was kann helfen, damit erhobene Daten richtig und sinnvoll verwendet werden? Meine Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion und ich werden in den künftigen Beratungen nicht aus taktischen Erwägungen gegen den vorliegenden Gesetzentwurf argumentieren, sondern aus drei guten Gründen: Erstens. Wir verzichten auf Überregulierung, die Verbrauchern und der Wirtschaft Schaden zufügen würde. Zweitens. Selbst wenn weitere Regulierung der richtige Weg wäre, würden wir mit der Umsetzung Ihres -Gesetzentwurfes nur Kosmetik betreiben; denn die -Datenschutz-Grundverordnung wird das Bundesdatenschutzgesetz ablösen. Damit wird es keine nationale Regelung geben. Das ist ein großer Fortschritt für Deutschland und Europa. Drittens. Es braucht eine moderne Auffassung von Datenschutz, sonst werden uns die Entwicklungen überrollen. Wenn deutsche und europäische Unternehmen im Bereich der Informationswirtschaft erfolgreich sein sollen, dann können sie das nicht mit einem Datenschutzverständnis aus den Zeiten des Volkszählungsurteils der 1980er-Jahre. In diesem Sinne werden wir uns in die Beratungen mit Ihnen begeben. Wir freuen uns auf die künftige Debatte, auch zur Datenschutz-Grundverordnung. Ich wünsche Ihnen allen ein frohes und gesegnetes Pfingstfest. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Hakverdi das Wort. (Beifall bei der SPD) Metin Hakverdi (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir uns detailliert mit Scoring und Auskunfteien beschäftigen, ist mir die richtige grundsätzliche politische Einordnung des Themas wichtig. Auskunfteien betreiben mit Scoring eine Art Profilbildung. Scoring-Agenturen oder Auskunfteien, wie die Schufa, Creditreform, infoscore, Bürgel, Arvato – um nur einige zu nennen –, bilden Konsumentenprofile auf der Grundlage gesammelter Daten. Mit diesen Profilen treffen sie Aussagen darüber, ob Verbraucherinnen und Verbraucher in der Zukunft ihrer Zahlungspflicht nachkommen oder eben nicht. Die beiden Themen – Daten sammeln und den Menschen berechnen – sind im Rahmen der Debatte um Big Data die beiden zentralen Themen. „Wissen ist Macht, und Wissen über Menschen bedeutet Macht über diese Menschen“, schreibt Juli Zeh. Da stellt sich die Frage, wie viel Macht wir Auskunfteien über Bürgerinnen und Bürger heute und in Zukunft einräumen wollen. Diese Macht der Auskunfteien bekommen die Bürgerinnen und Bürger immer häufiger zu spüren, wenn sie sich die Frage stellen: Bekomme ich einen Kredit zum Bau eines Eigenheimes? Bekomme ich einen Kredit, um mich selbstständig zu machen? Klappt ein Kauf auf Rechnung? Oder: Kann ich einen Handyvertrag abschließen? Die Auskunfteien sind insbesondere im wachsenden Internethandel stets präsent. Sie sind die ständigen Beobachter unserer wirtschaftlichen Aktivitäten. Bei vielen dieser Aktivitäten ist die Auskunft der Schufa oder einer anderen Auskunftei heutzutage obligatorisch. Ohne Auskunft kein Vertrag. Jährlich werden 250 bis 300 Millionen Auskünfte erteilt – mehr als 1 Million Auskünfte an jedem Werktag. Seit der Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes im Jahr 2009 unterliegen Auskunfteien bestimmten gesetzlichen Regelungen. Diese wurden nun im Rahmen einer Studie evaluiert. Die Ergebnisse wurden vorgestern, am Mittwoch dieser Woche, im Rahmen eines Symposiums breit diskutiert. Aus der Evaluation ergeben sich für mich folgende Fragen für die weitere Rechtsentwicklung: Erstens. Wie wird die Datenqualität bei Auskunfteien gesichert? In einer repräsentativ durchgeführten Befragung geben knapp 25 Prozent der Menschen an, dass die zugrundeliegenden Daten qualitativ mangelhaft seien. Mit anderen Worten: Die gespeicherten Informationen waren falsch – 25 Prozent! Zweitens. Problematisch ist auch die Verwendung der Wohngegend bei der Ermittlung der Kreditwürdigkeit eines Menschen, das sogenannte Geo-Scoring. Eine Richterin oder ein Krankenpfleger, die bzw. der in meinem Wahlkreis in Wilhelmsburg, Neuwiedenthal oder Bergedorf-West lebt, ist nach diesem Verfahren weniger kreditwürdig als eine Richterin oder ein Krankenpfleger, die bzw. der in Hamburg-Blankenese wohnt. Das klingt absurd, ist aber gelebte Praxis beim Scoring. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber das darf doch nicht so bleiben!) Dieses Geo-Scoring ist heute bei 50 Prozent der Auskünfte das ausschlaggebende Kriterium. Drittens. Problematisch ist ferner der Umgang mit Menschen, die durch ein Insolvenzverfahren eine Restschuldbefreiung erlangt haben. Der Gesetzgeber verspricht diesen Menschen die Chance auf einen wirtschaftlichen Neustart. Dieses Versprechen des Gesetzgebers wird aber von den Auskunfteien versperrt, da Auskunfteien trotz Restschuldbefreiung die historischen Daten bei der Ermittlung der Kreditwürdigkeit weiterhin berücksichtigen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber da muss man doch etwas machen!) Hier müssen wir etwas tun, wenn wir es mit den Zielen unseres privaten Insolvenzverfahrens ernst meinen. Viertens. Ein weiteres großes Problem ist die Auskunftspraxis der Dateien. Die Menschen empfinden diese als unzureichend und nicht nachvollziehbar. Wir müssen sicherstellen, dass Bürgerinnen und Bürger eine verständliche Auskunft über ihre Einstufung bei einer Auskunftei bekommen. Wir müssen auch sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger wirksame Rechte bekommen, um unberechtigte Eintragungen zu löschen. Fünftens und letztens. Alter, Geschlecht und Religion dürfen bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit auch in Zukunft keine Rolle spielen. Auch sensible Daten wie Gesundheitsdaten müssen von Gesetzes wegen für die Ableitung von Scores verboten bleiben. Was ist aber mit Daten aus den sozialen Netzwerken, die mit intelligenten Algorithmen ausgewertet werden können? Die Firma Kreditech macht diese Daten zur Grundlage ihrer Bewertung, zurzeit noch außerhalb Deutschlands. Ich bin besorgt, dass die rechtlichen Mauern, die das deutsche Recht kennt, durch die europäische Datenschutz-Grundverordnung eingerissen werden könnten. Wichtiger als Änderungen des deutschen Datenschutzrechts ist für mich die Rechtsentwicklung auf der europäischen Ebene. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die hohen Standards, die das deutsche Recht bereits heute kennt und in Zukunft noch weiterentwickeln wird, nicht durch die Datenschutz-Grundverordnung ausgehebelt werden! (Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die schärfsten nationalen Gesetze nützen nichts, wenn die Hürden einer harmonisierten Datenschutz-Grundverordnung diese nicht kennen. Wir sind gut beraten, unsere aktuelle Aufmerksamkeit auf Europa, auf Brüssel zu richten. Die europarechtlichen Auswirkungen sind in dem von den Grünen vorgelegten Gesetzentwurf leider nicht hinreichend berücksichtigt. Dieses wichtige Thema verdient aber, dass wir uns genug Zeit nehmen, um dann eine Gesetzesänderung auf den Weg zu bringen. Ich freue mich deshalb auf eine vertiefte Debatte. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4864 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Innenausschuss, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Federführung beim Innenausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Wohngeldrechts und zur Änderung des Wohnraumförderungsgesetzes (WoGRefG) Drucksache 18/4897 (neu) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold. Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2008 sind in den Städten Berlin, Hamburg, Frankfurt und München die Warmmieten zwischen 25 und 48 Prozent angestiegen. In ganz Deutschland haben sich die durchschnittlichen Warmmieten seit diesem Zeitraum im Durchschnitt um 11 Prozent erhöht. Seit 2008 ist das Wohngeld nicht mehr angepasst worden. Das bedeutet, dass immer mehr Menschen in die Sozialhilfe fallen und nicht mehr in die Berechtigung von Wohngeld kommen. Dadurch geraten viele Familien und viele Ältere in eine schwierige Situation. Unser Ziel ist, dass durch diese Wohngeldreform insbesondere Menschen mit geringen, mit mittleren Einkommen, die oft hart arbeiten, sich aber mit dem niedrigen Einkommen die Miete nicht mehr leisten können, in ihrer angestammten Wohnung bleiben können. (Beifall bei der SPD) Deswegen ist es an der Zeit, dass wir hier nach sechs Jahren endlich die notwendige Anpassung vornehmen und die Entwicklung der Warmmieten berücksichtigen. Insgesamt werden zukünftig 870 000 Haushalte Anspruch auf Wohngeld haben. 324 000 Haushalte werden erstmals oder wieder diesen Anspruch haben. Besonders wichtig finde ich, dass wir damit insgesamt 90 000 Haushalte aus dem Bereich der Sozialhilfe holen. Es ist auch eine Frage der Würde, dass Menschen, die hart arbeiten, nicht aufs Amt gehen müssen, sondern sich Wohnung und Leben leisten können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die wichtigsten Stufen, die wir bei der Wohngeldreform einbauen, sind die Anpassung der Tabellenwerte an die Einkommens- und Mietentwicklung – sie erhöhen sich durchschnittlich um 39 Prozent – und die Anpassung der Miethöchstbeträge, um auf die unterschiedlichen Entwicklungen in unserem Land zu reagieren. In ländlichen Bereichen und in manchen Städten entwickeln sich die Mieten natürlich ganz anders als in den Hotspots. Deswegen erfolgt insbesondere auch eine Anpassung der Mietstufen. Die Zahlen, die wir jetzt erst vom Statistischen Bundesamt bekommen haben und die wir im Laufe der Beratungen noch einbringen werden, zeigen, dass es hier gerade in den letzten Jahren dramatische Entwicklungen gegeben hat. Es ist vielleicht ganz positiv, dass sich zukünftig weitere Großstädte in der höchsten Mietstufe befinden werden; Köln, Mainz und Düsseldorf kommen neu hinzu. Insgesamt bedeutet dies, dass wir passgenauer darauf reagieren, was in den einzelnen Regionen los ist. Das ist auch eine ganz wichtige Voraussetzung. (Beifall bei der SPD) Wir haben auch darauf geachtet, dass die Warmmieten stärker abgebildet werden. Dies geht in die Tabellenwerte ein. Daneben gab es auch eine umfangreiche Debatte über die Heizkostenkomponente. Bund und Länder geben zukünftig jedes Jahr insgesamt über 700 Millionen Euro zusätzlich für das Wohngeld aus. Mit diesem Wohngeld leisten wir einen Beitrag für bezahlbares Wohnen in Deutschland. Die Anpassung des Wohngeldes passt mit all den anderen Maßnahmen zusammen, die wir in der Großen Koalition in diesem Zusammenhang beschlossen haben: mit der Mietpreisbremse, mit den abgesenkten Mietkappungsgrenzen in angespannten Wohnungsmärkten, mit dem, was wir im Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen machen, und mit den 120 Millionen Euro, die wir gestern für studentisches Wohnen beschlossen haben. Wir bewahren die Heimat der Menschen, indem wir dafür sorgen, dass sie in ihrer angestammten Wohnung bleiben können. Wenn das Einkommen nicht ausreicht, unterstützen wir sie ein Stück weit. Was den Gesetzentwurf angeht, ist dies heute ein guter Tag für 870 000 Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist gut, dass sich die Bundesregierung nach sehr langer Abstinenz endlich wieder einmal dem Thema Wohngeld politisch zuwendet. (Ulli Nissen [SPD]: Danke für das Lob!) Offenbar war die Dringlichkeit – Herr Pronold hat das am Anfang seiner Ausführungen eben ja auch gesagt – nicht mehr zu ignorieren. Jetzt liegt also ein Gesetzentwurf zur Reform des Wohngeldes vor, der tatsächlich den Anspruch einer Reform hat. Ich denke aber, ich werde hier in meiner Analyse widerlegen, dass es sich tatsächlich um eine Reform handelt. (Beifall des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Entwurf der Bundesregierung beginnt mit folgendem Einleitungssatz: Das Wohngeld muss regelmäßig hinsichtlich der Entwicklung der Einkommen und der Wohnkosten überprüft werden, um die Leistungsfähigkeit als sozialpolitisches Instrument der Wohnungspolitik zu erhalten. Im Referentenentwurf hieß es aber noch: Das Wohngeld muss regelmäßig angepasst werden. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Aha!) Dort steht nur ein anderes Wort; aber ich finde, das ist sehr verräterisch. Ich würde mich freuen, wenn Vertreter der Koalition, die nach mir sprechen werden, dazu vielleicht etwas sagen würden. Es reicht nämlich nicht, nur zu überprüfen, wie es jetzt im Gesetzentwurf steht. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Besagt gar nichts!) Das besagt überhaupt nichts. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Wohngeld muss sich den sich ändernden Lebensumständen regelmäßig anpassen. „Regelmäßig“ muss eben bedeuten, dass in Echtzeit und nicht nur alle fünf oder sechs Jahre – je nach den Farben der Koalition oder der Kassenlage – überprüft wird. „Anpassen“ muss bedeuten, dass man sich an den tatsächlich aktuellen Wohn- und Lebenshaltungskosten der betroffenen Menschen ausrichtet. Die Menschen, die Wohngeld beziehen müssen, sind aus Sicht der Linken keine Almosenempfänger, sondern sie haben im Sozialstaat einen Anspruch darauf, in der Gesellschaft sozialpolitisch verantwortlich mitgenommen zu werden, und zwar verlässlich und wirksam. (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Frau Bluhm, deshalb machen wir das ja auch!) Dass dies seit 2009 nicht mehr passiert ist, hat dazu geführt, dass die dem Wohngeld zugedachte sozialpolitische Wirkung immer weiter abgeschmolzen ist. Immer mehr wohngeldbeziehende Haushalte sind in Armut geraten – das sagt auch der Paritätische Wohlfahrtsverband in einem Bericht von 2015 –, weil sie einen immer größer werdenden Anteil ihres Einkommens für Wohnkosten aufwenden mussten. Im Gesetzentwurf heißt es, dass sich die Wohnkostenbelastung armutsgefährdeter Haushalte innerhalb von nur drei Jahren, von 2010 bis 2013, von 35,1 Prozent auf 39,4 Prozent erhöht hat. Die Entwicklung ist seitdem nicht stehen geblieben. Wir haben jetzt Mitte 2015; es ist schon wieder einige Zeit ins Land gegangen. Die Wohngelderhöhung 2016 bewirkt lediglich – so steht es auch im Gesetzentwurf selbst – eine Wiederherstellung des Wohngeldleistungsniveaus von 2009. Eine wirkliche Wohngeldreform müsste aber progressiv darauf hinwirken, dass wohngeldbeziehende Haushalte jetzt und künftig nicht mehr als 30 Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens für Wohnkosten aufwenden müssen. (Beifall bei der LINKEN) Das ist im Übrigen unsere zentrale Forderung, die wir auch nicht müde werden immer wieder hier vorzutragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es mag ja sein, dass der Gesetzentwurf gut gemeint ist; aber er ist rückwärtsgewandt, er macht eine Rolle rückwärts. Der Hauptmangel dieses Gesetzesvorhabens ist nämlich: Es arbeitet lediglich in der Vergangenheit Versäumtes auf und gleicht es aus, bietet aber keine tragfähige Option für die Zukunft, weil eine Dynamisierung des Wohngeldes, wie sie die Linke seit langem fordert, nicht vorgesehen ist. Der nächste Mangel: Bei Inkrafttreten der Wohngeld-reform zum 1. Januar 2016 sind die vorgesehenen Mietstufen schon wieder einige Jahre alt. Die Datenbasis, auf der dieses Gesetz beruht, stammt aus 2013. Das bedeutet aber auch: Wenn einigen Wohngeldempfängern durch die Wohngelderhöhung nominell mehr Geld für das Bestreiten ihrer Wohnkosten gezahlt wird, dann wird dieses Geld nur an die Vermieter und die Energieversorger durchgereicht. Die Erhöhung hält also die Armutsspirale nur für einen kurzen Moment an; danach setzt sich die Abwärtsbewegung fort, und das bis 2020. Das ist mit diesem Gesetz von vornherein so angelegt; denn für 2016 will der Bund insgesamt noch 358 Millionen Euro Wohngeld bereitstellen und diesen Betrag dann bis 2019 schrittweise auf 300 Millionen Euro absenken. Ich frage mich, mit welcher Wirtschafts-, Preis- oder auch Einkommensprognose Sie diese Absenkung begründen wollen. 2019 soll erneut geprüft werden. Wenn wir alle dann feststellen – ich sage Ihnen heute schon, dass es so kommen wird –, dass wiederum ein Missverhältnis zwischen Wohnkosten und Wohngeld, wie wir es heute beklagen, besteht, dann werden wir nach einer Überprüfung wieder ein Jahr lang brauchen, bis wir zu einer solchen Novelle kommen, um die Abwärtsspirale beim Leistungsniveau des Wohngeldes für die nächsten fünf Jahre aufzuhalten. Das ist doch nicht wirklich fair; das ist keine gute Sozialpolitik. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein weiterer Mangel dieser Gesetzesnovelle ist das Fehlen sowohl einer Heizkosten- als auch einer Klimakomponente. Zwar gibt der Entwurf vor, die Kosten der Warmmiete zu berücksichtigen, aber er tut es nicht wirklich; denn die Heizkosten haben einen anderen Verlauf genommen als die allgemeine Preis- und Mietenentwicklung. Wir müssen endlich zugeben, dass der DMB recht hat, wenn er eine Klimakomponente fordert. Meine Damen und Herren, meine fünf Minuten Redezeit sind schon wieder um. Ich muss also zum Ende kommen. Insofern kündige ich Ihnen an, dass wir im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eine eigene Vorlage zur sozialpolitisch gerechten Wohnraumversorgung und -finanzierung mit einer völlig anderen Systematik einbringen werden; denn dieses Gesetz ist leider keine Reform. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Volkmar Vogel das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Gäste! Wohnen ist für uns eine soziale Frage. Ich glaube, wir in der Großen Koalition sind uns der Verpflichtung bewusst, auch in Zukunft dafür zu sorgen, dass die Menschen in unserem Land eine menschenwürdige und bezahlbare Wohnung haben. (Ulli Nissen [SPD]: Danke für die klare Aussage, Herr Vogel!) Da ist das Wohngeld sicherlich ein geeignetes Mittel. Aber ich sage bewusst: Es ist ein geeignetes Mittel und nicht das Allheilmittel. Denn machen wir uns nichts vor: Das Wichtigste an dieser Stelle sind zum einen vernünftige Löhne und Renten und zum anderen bezahlbarer Wohnraum für die Menschen. Neben dem Wohngeld ist ein weiterer wichtiger Punkt, dass auch in Zukunft, wie gerade gesagt, bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht. Dabei stehen aus meiner Sicht vier Dinge im Mittelpunkt: Wir müssen weiterhin die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Wohnungsbau möglichst einfach durchführbar ist. Wir müssen die Wohnungsbaukosten stabilisieren, damit sie nicht explodieren und auf die Mieten umgeschlagen werden. Wir müssen zielgerichtet den Wohnungsbau fördern. Wir müssen – auch das ist richtig – soziale Härten abmildern oder helfen, sie zu vermeiden. Wohnungsbau zu ermöglichen, ist eine Gemeinschaftsaufgabe, an der Bauherren und Investoren genauso beteiligt sind wie wir als Bund, aber natürlich auch die Länder und Gemeinden. Ich glaube, es ist ein richtiger Ansatz, dass wir mit dem Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen alle Akteure an einen Tisch gebracht haben und dass wir, wenn die entsprechenden Ergebnisse im Bündnis vorliegen, dafür sorgen, dass diese von allen betroffenen Ressorts der Bundesregierung umgesetzt werden, also nicht nur vom Ressort für Bauen und Umwelt, sondern auch von den Ressorts für Recht, Wirtschaft und Finanzen. Wir wollen die Wohnungsbaukosten stabilisieren. Es gibt die Baukostensenkungskommission, die sich mit den Standards beschäftigt und die auch die ordnungsrechtlichen Vorgaben auf den Prüfstand stellt. Am Ende des Tages sollten wir ein Moratorium dahin gehend vereinbaren, dass wir in Bezug auf das Ordnungsrecht keine weiteren nicht zwingend notwendigen Verschärfungen vornehmen, sondern darauf achten, dass die Kosten insgesamt im Rahmen bleiben. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stillstand mit der GroKo!) Wir wollen den Wohnungsbau fördern. Wir haben in der Großen Koalition dafür gesorgt, dass die Mittel für die Städtebauförderung auf 700 Millionen Euro aufgestockt werden. Das ist ein großer Erfolg. Auch der Tag der Städtebauförderung hat bundesweit gezeigt, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden heute über das Wohngeld, nicht über die Städtebauförderung!) Natürlich brauchen wir hier die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Ich muss an dieser Stelle deutlich sagen: Jeder Euro für die soziale Wohnraumförderung, den der Bund zur Verfügung stellt, muss in den Ländern eins zu eins in die soziale Wohnraumförderung fließen. Denn das Problem, vor dem wir stehen, ist, dass wir nicht genügend sozialen Wohnraum zur Verfügung haben, was die Situation insgesamt verschärft. Aber wir brauchen auch in anderen Bereichen weiterhin Förderinstrumente, die dazu beitragen, die Kosten in den Griff zu bekommen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir in Regionen, wo die Mietpreisbremse wirksam wird oder wo Wohnungsmangel herrscht, über eine befristete steuerliche Förderung reden sollten, begrenzt auf die jeweilige Region und natürlich auch zeitlich begrenzt. Das ist ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Ebenso sollten wir an die Leute mit kleinem Geldbeutel denken, wenn es darum geht, ihnen zu ermöglichen, Geld für Wohneigentum anzusparen. Hier ist meiner Meinung nach die Anpassung der Wohnungsbauprämien und der Arbeitnehmersparzulage ein Thema, das auf die Tagesordnung gehört. Wir haben 2 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm bereitgestellt. Auch das hilft, die Kosten im Griff zu behalten, wenngleich ich ein bisschen traurig bin, dass es zwischen Bund und Ländern keine Vereinbarung zu den steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für energetische Sanierung gibt. Ich glaube, das ist die Aufgabe von uns allen. Denn auch die Grünen und die SPD sind in den Ländern in Regierungsverantwortung. Wir sollten schauen, dass wir hier mit den Ländern übereinkommen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch eine Schwesterpartei der Union versenkt!) Aber nichtsdestotrotz: Am Ende des Tages wird es immer soziale Härten geben, die wir abmildern müssen. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das gilt jetzt schon! Nicht nur am Ende des Tages!) Da ist das Wohngeld ein geeignetes Instrument. Natürlich müssen die Länder für den sozialen Wohnungsbau sorgen; das ist ihre Aufgabe. Wenn wir über das Wohngeldgesetz reden, sollten wir § 39 beachten. Danach hat die Bundesregierung die Pflicht zur Vorlage eines Berichts über die Entwicklung des Wohngeldes und der Mieten. Wir sollten diesen § 39 ergänzen um eine Berichtspflicht der Länder gegenüber dem Bund, was ihre Aktivitäten im Bereich Wohnungsbau, insbesondere sozialer Wohnungsbau, betrifft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der vorliegenden Novelle leisten wir einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Menschen weiterhin sozial sicher in ihren Wohnungen leben können. Das hilft insbesondere einkommensschwachen Haushalten, vor allen Dingen Familien mit wenig Geld. Deswegen ist es richtig, dass wir diese Novelle jetzt auf den Weg bringen. Ich bitte Sie, mit dazu beizutragen, dass wir in der Beratung unter Durchführung einer Anhörung zügig vorankommen und dann die Novelle verabschieden, damit ab dem Jahre 2016 die notwendigen finanziellen Mittel für die Menschen zur Verfügung stehen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube, das ist eine gute Botschaft hier am Freitag vor Pfingsten. Deswegen lassen Sie mich Ihnen eine schöne Pfingstzeit wünschen und dass auch möglichst jeder etwas vom Heiligen Geist abbekommt. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Christian Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Staatssekretär Florian Pronold, Frau Ministerin Hendricks hat hier in der Regierungsbefragung im März zum Wohngeld gesagt: Wohnen ist ein Grundbedürfnis, und dieses Grundbedürfnis muss für alle Menschen in Deutschland bezahlbar sein. (Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Richtig!) Das ist ein toller Satz. Ich glaube, in diesem Parlament wird dem jede Fraktion zustimmen. Aber ohne eine Dynamisierung des Wohngeldes, ohne eine Wiedereinführung des Heizkostenzuschusses und ohne eine Klimakomponente im Wohngeld bleiben dies leider leere Worte. Sie lösen das Versprechen des bezahlbaren Wohnens in Deutschland ohne diese Punkte beim Wohngeld eben nicht ein. Ihre Wohngeldnovelle bleibt deswegen einfach unterambitioniert, und sie ist, wie ich finde, für Sozialdemokraten ein bisschen kraftlos. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Na! Na! Na! Solche Kritik hier am Freitagmittag! – Gegenruf des Abg. Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Das könnt ihr nicht auf euch sitzen lassen, oder?) Herr Pronold, Sie haben gesagt, dass es eine Frage der Würde ist – vielleicht könnten die Kollegen der SPD zuhören –, dass Menschen nicht mehr in die Grundsicherung abrutschen. Die Wohngeldnovelle, die wir heute hier beraten, ist doch eine Rutschbahn in die Grundsicherung. Ohne Dynamisierung nehmen Sie Tausende von Menschen in den nächsten Jahren mit auf diese Rutschbahn. Sie werden aus dem Wohngeld langsam herausfallen und wieder in die Grundsicherung abrutschen. Ich glaube, es ist falsch, dass Sie den großen Konstruk-tionsfehler, dass das Wohngeld nicht dynamisiert ist, nicht reparieren. Dies hat, finde ich, mit sozialer Gerechtigkeit, mit einer Politik, die ich mir für das Wohngeld wünsche, nämlich mit einer strukturellen Stärkung des Wohngeldes, überhaupt nichts zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass Frau Hendricks in der Regierungsbefragung für diese Politik noch Verständnis äußert, kann ich mir nur damit erklären, dass sie sehr lange Finanzpolitikerin war und die Wohnungspolitik bei ihr anscheinend noch nicht so viel Aufmerksamkeit gefunden hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist bereits gesagt worden: Die letzte Anpassung war 2009. Sechs Jahre lang gab es keine Anpassung. Ich finde, das ist ein Skandal angesichts dessen, was wir auf den Wohnungsmärkten in Deutschland in den letzten Jahren erlebt haben. Aber es gab nicht nur keine Anpassung in den letzten sechs Jahren, sondern es gab unter Schwarz-Gelb eine eiskalte Kürzung, indem der Heizkostenzuschuss gestrichen wurde. Wenn ich mir die Verwerfungen auf den Wohnungsmärkten in Deutschland anschaue, wenn ich mir anschaue, dass die Bruttowarmmieten seitdem im Durchschnitt um 9 Prozent gestiegen sind, dann glaube ich, dass dieser Gesetzentwurf völlig unterambitioniert ist. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, führen das Wohngeld letztlich auf dem Niveau von Schwarz-Gelb weiter. (Ulli Nissen [SPD]: Ha! Ha!) Ich glaube, damit begegnen Sie den Herausforderungen, die wir heute auf den Wohnungsmärkten haben – Herr Pronold hat sie beschrieben –, nicht. Sie haben sie nicht im Blick. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Wir müssen bei der energetischen Sanierung weiterkommen! Wir brauchen eine steuerliche Abschreibung!) – Stellen Sie einfach eine Zwischenfrage, Herr Vogel, dann nehme ich gerne dazu Stellung. Ohne eine Dynamisierung – ich blicke jetzt einmal in die Zukunft – wird die nächste Wohngeldanpassung, wenn wir diesen Rhythmus beibehalten, vielleicht 2021 sein. Bis dahin werden die Wohnkosten und das Wohngeld weiter auseinanderdriften. Das kann nicht Anliegen einer sozialen Wohnungspolitik sein. Angesichts Ihrer Wohnungspolitik muss ich sagen, dass Sie bei den sozialen Fragen des Wohnens versagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Wir müssen Wohnungen bauen und nicht den Mangel dynamisieren!) Dass Sie trotz sprudelnder Steuereinnahmen den Heizkostenzuschuss angesichts gestiegener Energie-kosten in den letzten Jahren nicht wieder einführen, finde ich dramatisch. Das hätten Sie tun können. Diese Spitze der sozialen Härte hätten Sie beseitigen können. Das haben Sie nicht gemacht. Das finde ich sehr traurig. Dass Sie aber auch nicht die Kraft haben, einen innovativen Gedanken ins Gesetz zu bringen, zeigt diese Wohngeldnovelle. Die Klimakomponente fürs Wohngeld haben Sie in Ihren Nationalen Aktionsplan geschrieben. Diese finden Sie alle irgendwie gut, aber hier legen Sie einen Gesetzentwurf vor, in dem sie nicht enthalten ist. Dies wäre ein innovativer Gedanke, wie man Klimaschutz und Bauen miteinander verzahnen kann. Ich bin es leid, Herr Pronold, dass seitens des Ministeriums immer nur darüber geredet wird, wie man Umweltpolitik und Baupolitik bzw. Klimaschutz und Bauen miteinander verbinden kann. Jetzt hätten Sie das umsetzen können, aber Sie haben es nicht getan. Damit zeigen Sie, dass Sie es auch gar nicht können, weder beim Klimaschutz noch mit einer innovativen Baupolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wohnen ist ein Grundbedürfnis, das für alle Menschen bezahlbar sein muss. Wenn Sie es wirklich ernst meinen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und der SPD, dann lassen Sie uns in den Beratungen die Fehler dieser Wohngeldnovelle korrigieren. Lassen Sie uns gemeinsam einen Heizkostenzuschuss einführen. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass wir bei der Klimakomponente vorankommen, und lassen Sie uns den großen Konstruktionsfehler des Wohngelds beheben, indem wir das Wohngeld in Zukunft dynamisieren, es dadurch fit machen und dafür sorgen, dass alle Menschen in Deutschland bezahlbaren Wohnraum haben können. Das sollte kein leeres Versprechen bleiben, sondern Realität werden. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ulli Nissen für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ulli Nissen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Kühn, es ist immer toll, aus der Opposition heraus Anträge zu stellen und Forderungen zu erheben. Was machen die wunderbaren Grünen in Hessen? Haben sie mit der CDU zusammen die Kündigungssperrfrist verlängert? Leider nein. In der Opposition lassen sich leicht schöne Forderungen stellen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Hendricks hat noch letztes Jahr einen Zuschuss versprochen!) In den letzten Jahren sind – das ist schon erwähnt worden – in vielen Städten die Mieten kräftig gestiegen, und die hohen Heizkosten haben zu einer starken Belastung vieler Mieterhaushalte geführt. Wie und wo wir wohnen, bestimmt einen wichtigen Teil unseres Alltags, unseres Umfelds und damit auch unsere Lebensqualität. Wir wollen, dass unsere Städte lebenswert bleiben und dass in den Quartieren nicht nur gut oder schlecht verdienende Personen wohnen, sondern dass sie alle eine Chance haben, dort zu leben. Die hohen Wohnkosten haben in vielen Fällen dafür gesorgt, dass Menschen ihr angestammtes soziales Umfeld verlassen mussten. Davon waren insbesondere Rentnerinnen und Rentner betroffen. „Bezahlbares Wohnen“ ist das Stichwort, unter dem sich viele unserer Vorhaben zusammenfassen lassen. Um dies zu ermöglichen, muss man an vielen Stellschrauben ansetzen. Aber leider kann der Bundestag nicht an allen drehen. Ganz wichtig ist – darin sind wir uns sicherlich alle einig –, dass mehr bezahlbare Wohnungen gebaut werden. Wir wissen aber auch, dass der Bund in diesem Punkt wenig machen kann. Der Föderalismus setzt uns leider enge Grenzen. Die Gründe für Mietsteigerungen sind vielfältig. Neben knappem Wohnraum tragen auch Entmietungsversuche von Miethaien, wie wir es gerade in Frankfurt in der Wingertstraße 21 oder ganz aktuell – darüber ist heute berichtet worden – in der Keplerstraße erleben, dazu bei. Ich danke der Nachbarschaftsinitiative Nordend-Bornheim-Ostend, die sich intensiv gegen Vertreibungen wehrt. Sie haben meine volle Unterstützung. (Beifall bei der SPD) Heute geht es um eine Stellschraube, an der wir als Bund drehen können: das Wohngeld. Die letzte Wohngeldreform trat am 1. Januar 2009 in Kraft. Leider ist unter der Regierungszeit von CDU/CSU und FDP keine Anpassung erfolgt. Deshalb ist es gut, dass wir jetzt unter Rot-Schwarz die Wohngeldreform auf den Weg bringen, eine Reform, auf die die Menschen schon lange gewartet haben. Ich freue mich über die Berücksichtigung der Bruttowarmmiete und die Neufestsetzung der Mietstufen, wobei wir in den höheren Bereichen eine überproportionale Anhebung vorgenommen haben. Damit wurde der starke Anstieg der Mieten in den betroffenen Städten mit besonders hohem Mietniveau besonders berücksichtigt. Als Frankfurter Bundestagsabgeordnete kenne ich diese Problematik vor Ort sehr genau. Wichtig ist aber auch – das wurde bisher noch nicht angesprochen –: Wir müssen die einkommensschwachen Haushalte darüber informieren, dass sie Wohngeldansprüche haben. Lassen Sie uns alle daran arbeiten. Das Wohngeld kann seine Aufgabe, ein angemessenes, familiengerechtes Wohnen sicherzustellen, nur dann erfüllen, wenn die Rahmenbedingungen für die Berechnung des Wohngelds öfter angepasst werden. Das haben die Grünen und die Linken angesprochen, und darin bin ich ganz auf Ihrer Seite. Ich gehe aber davon aus, dass meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU intensiv daran mitarbeiten. Denn auch ihnen liegen die Menschen sehr am Herzen. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wäre ich mir nicht so sicher!) Mein Dank gilt dem Ministerium. Ihnen allen danke ich für die Zusammenarbeit, und auch von mir: Schöne Pfingsttage! Alles Gute! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sylvia Jörrißen für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sylvia Jörrißen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 18. März dieses Jahres hat unsere Bundesregierung die Novelle für die Anpassung des Wohngeldes beschlossen. Für meine Fraktion begrüße ich dies sehr. Mit diesem Gesetzentwurf erneuern wir einen der zentralen Bausteine des bezahlbaren Wohnens, das der Großen Koalition sehr am Herzen liegt. Seit 1971, als das Gesetz das erste Mal in Kraft trat, sorgt es dafür, dass die Schwächsten unserer Gesellschaft bei ihrem Lebensunterhalt unterstützt werden und nicht durch steigende Wohnkosten zu einem Umzug gezwungen werden. Damit erhält das Gesetz die sozialen Gemeinschaften, die unsere Gesellschaft so stark machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Hampel [SPD]) Aufgrund sich verändernder Wohnungsmärkte musste dieses Gesetz in den letzten 45 Jahren immer wieder angepasst und auf die Höhe der Zeit gebracht werden. Auch heute haben wir genau dies wieder im Sinn. Nach der letzten Änderung 2009 bedarf es einer erneuten Anpassung an die Mieten- und Einkommensentwicklung, zum Wohle der Menschen in unserem Land. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Wohngeldnovelle wird ab 2016 fast 900 000 Haushalte effektiv unterstützen. Der Staatssekretär hat die Zahlen gerade schon genannt. Darunter sind 324 000 Antragsberechtigte, die durch diese Reform erstmals oder wieder einen Anspruch erhalten. (Ulli Nissen [SPD]: Eine ganz, ganz wichtige Zahl! Da haben Sie völlig recht!) 90 000 Haushalte, die heute nur Grundsicherung beziehen, werden Wohngeld erhalten. Bei vielen anderen werden wir die Haushaltsbudgets entlasten und so die Kaufkraft steigern. Ein Zweipersonenhaushalt wird durchschnittlich um über 70 Euro monatlich entlastet werden. (Ulli Nissen [SPD]: Verdammt viel Geld! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist schon mal was!) Die Novelle sorgt aber nicht nur für eine allgemeine Erhöhung des Wohngeldes, sie geht vor allem auf die regionalen Unterschiede im Wohnungsmarkt ein. Wir alle wissen, dass die Mieten in unserem Land nicht überall in gleichem Maße steigen. In meiner Heimat, in Hamm, ist die Zunahme der Wohnkosten nur gering, aber in einigen Ballungsgebieten sind die Mieten für viele Familien und Rentner nicht mehr bezahlbar. Uns sind diese Umstände bewusst, und deswegen wird diese Novelle insbesondere auch auf die regionalen Unterschiede eingehen. Wir sorgen damit dafür, dass sich Familien in den Städten den gleichen Wohnraum leisten können wie außerhalb der großen Ballungsräume. So verhindern wir erzwungenen Umzug. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Lassen Sie mich an einem Fallbeispiel die Wirkung der Novelle verdeutlichen: Eine Rentnerin in Hamburg zahlt eine Kaltmiete von 500 Euro, das ist nicht unrealistisch. Heute bezieht sie neben ihrer Rente Leistung aus der Grundsicherung. Da ihre Miete den bisherigen Miethöchstbetrag überschreitet, hat sie keinen Anspruch auf Wohngeld. Ab 2016 profitiert sie davon, dass Hamburg in eine höhere Mietenstufe gestuft wird und die Miethöchstbeträge steigen. Sie hat zukünftig einen Wohngeldanspruch und ist damit nicht mehr auf Grundsicherung angewiesen. Im Ergebnis hat sie zudem jeden Monat eine spürbare Entlastung im Portemonnaie. Oder aber wir nehmen eine Familie mit schulpflichtigen Kindern. Das Haushaltsbudget ist knapp, da nur ein Elternteil arbeitet. Diese Eltern müssen sich jetzt keine Gedanken mehr darüber machen, wie sie ihren Kindern erklären, dass sie ihre Freunde verlassen müssen, nur weil die Familie die Miete nicht mehr bezahlen kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber das ist nicht alles. Mit der Verbreiterung der Antragsberechtigung für das Wohngeld entlasten wir zusätzlich die Kommunen bei den Ausgaben für die Grundsicherung; denn viele, die bisher Hilfe der Grundsicherung bezogen haben, werden nun Wohngeld erhalten. Damit sinken die Ausgaben unserer Städte und Gemeinden. Auch das begrüße ich ausdrücklich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Einen weiteren wichtigen Punkt unserer Novelle sehe ich im Bürokratieabbau. Wir entlasten die Bürger nicht nur finanziell, sondern sorgen gleichzeitig dafür, dass das Beantragen des Wohngeldes einfacher wird. Ich denke, dass wir im nächsten Jahr, wenn diese Novelle in Kraft tritt, alle gemeinsam sehr stolz darauf sein können, was wir erreicht haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich am Ende noch auf einen Punkt eingehen, der in der Stellungnahme des Bundesrates von den Ländern gewünscht wird, nämlich eine verbindliche, regelmäßige Überprüfung und Anpassung des Wohngeldes. Ich denke, dass dies nicht unbedingt erforderlich ist, da der Gesetzentwurf bereits eine Evaluierung und einen Wohngeld- und Mietenbericht, der von der Bundesregierung im Jahr 2019 vorgelegt werden soll, vorsieht. Aber auch wir -haben einen Wunsch an die Länder: dass sie ihrer Verantwortung für den geförderten Wohnungsbau nach-kommen und die hierfür zur Verfügung gestellten Kompensationsmittel auch zweckgebunden einsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Denn mit der Schaffung von zusätzlichem bezahlbaren Wohnraum ist den Menschen am Ende mehr geholfen als mit der Erhöhung des Wohngeldes. Vielleicht schaffen wir es ja, uns unsere Wünsche gegenseitig zu erfüllen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Guter Vorschlag!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Ulrich Hampel hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ulrich Hampel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wohnen muss bezahlbar bleiben, und zwar für alle Menschen in unserem Land. Gerade in den Ballungsräumen wird es für die Menschen mit geringerem Einkommen immer schwieriger, die stark steigenden Mieten zu bezahlen. Mit dem Wohngeld soll verhindert werden, dass Menschen aufgrund von Mietsteigerungen ihre Wohnung und damit ihr angestammtes Umfeld verlassen müssen und die soziale Mischung einer Stadt in Schieflage gerät. In den vergangenen fünf Jahren ist der Kreis der Anspruchsberechtigten deutlich zurückgegangen. Verantwortlich hierfür ist die schwarz-gelbe Vorgängerregierung, die die notwendigen Anpassungen des Wohngeldes an die Entwicklung der Einkommen und der Warmmieten unterlassen hat. (Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Die Länder sind auch nicht ganz unschuldig!) Mit der jetzt auf den Weg gebrachten Wohngeldreform wird der Kreis der Anspruchsberechtigten wieder erheblich ausgeweitet, und die Berechtigten erhalten auch wieder deutlich mehr Geld. (Beifall bei der SPD) Um dies zu erreichen, werden wir die entsprechenden Tabellenwerte um durchschnittlich 39 Prozent erhöhen. Damit soll neben dem Anstieg der Bruttokaltmieten und der Einkommen auch der Anstieg der warmen Nebenkosten, somit insgesamt der Bruttowarmmieten, berücksichtigt werden. Nachdem unter Schwarz-Gelb die Heizkostenkomponente gestrichen wurde, werden also jetzt die Heizkosten wieder in die Berechnung einbezogen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Wohnkosten. Es kann und darf nicht sein, dass Familien mit Kindern frieren müssen, nur weil sie die Heizkosten nicht bezahlen können. (Beifall bei der SPD) Deshalb ist die Betrachtung der Bruttowarmmiete bei der Berechnung des Wohngeldes genau der richtige Ansatz. Der Gesetzentwurf sieht außerdem eine regionale Staffelung der Miethöchstbeträge vor, sodass die Menschen in Regionen mit stark steigenden Mieten entsprechend stärker vom Wohngeld profitieren. Damit soll beispielsweise einkommensschwächeren Familien in unserem Land ermöglicht werden, überall unabhängig vom jeweiligen Mietniveau etwa gleich große Wohnungen anmieten zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird die Leistungsfähigkeit des Wohngeldes deutlich erhöht. Die Stärkung des Wohngeldes ist gerade in den Ballungsgebieten auch städte-politisch von großer Bedeutung, um der räumlichen Spaltung der sozialen Gruppen in einer Stadt entgegenzuwirken. Gemeinsam mit der Mietpreisbremse trägt das Wohngeld dazu bei, dass die Menschen in ihrem Kiez wohnen bleiben können und eben nicht verdrängt werden. Wir helfen mit der Erhöhung des Wohngeldes -vielen Haushalten mit Einkünften knapp oberhalb des Existenzminimums, damit diese eben nicht in die Grundsicherung abrutschen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]) Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Leistungen des Wohngeldes zu verbessern. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir dieses Vorhaben um und unterstützen damit knapp 870 000 Haushalte in unserem Land. Ich danke Frau Bundesministerin Barbara Hendricks und ihrem Hause für den vorgelegten Gesetzentwurf und freue mich auf die parlamentarischen Beratungen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen frohe Pfingsten und ein herzliches Glückauf. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Artur Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Artur Auernhammer (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frei nach Karl Valentin – es ist schon vieles gesagt worden, aber noch nicht von jedem – möchte auch ich die Entscheidungen zum Wohngeld loben. Wenn wir über das Wohngeld und eine Reform des Wohngeldrechts sprechen, dann ist dies auch immer Ausdruck unserer gesellschaftlichen Überzeugung, für welche CSU und CDU gemeinsam stehen. Deutschland ist eine soziale Marktwirtschaft. Wir verfahren nach dem Prinzip „Die Starken schultern die Schwachen“. Über 750 000 Haushalte sind derzeit in Deutschland auf Wohngeld angewiesen. Warum ist das so? In den letzten Jahren sind die Verbraucherpreise im Durchschnitt um 10 Prozent gestiegen, die Ausgaben für Wohnraum aber wesentlich stärker. Die Ausgaben für das Wohnen und die Ausgaben für Lebensmittel gingen auseinander wie eine Schere. Wer ist besonders betroffen? Die Bezieher kleiner Renten, Einpersonenhaushalte, Haushalte mit kleinen Einkommen und vor allem auch unsere Bürgerinnen und Bürger in den jüngeren Bundesländern. Deutschland ist ein Sozialstaat. Aus den eben genannten Umständen resultiert der gesellschaftliche Auftrag an den Gesetzgeber, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vom Wohngeld profitieren die Mitbürger, die ein zu geringes Einkommen erhalten. Dieser Personenkreis ist angewiesen auf die Beihilfe zur Miete. Die Wirkung: Die sozialstaatliche Leistung wertet das eigene Einkommen auf und entlastet die Familien. Der Empfänger profitiert von dieser finanziellen Absicherung und erhält eine höhere soziale Sicherung. Das heißt auch immer: mehr Teilhabe an der Gesellschaft. Das ist gerade in unserer Zeit, in der wir viel über Teilhabe an der Gesellschaft reden, wichtig. Es darf nicht zu sozialen Konflikten kommen. Wir müssen für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land ein gutes Wohnumfeld gewährleisten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich erlaube mir, die Frage zu stellen: Wer trägt die Kosten für das Wohngeld? (Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Richtig!) Das Geld, das wir ausgeben, muss irgendwo erwirtschaftet werden. Das unterscheidet die Oppositionsfraktionen von den Regierungsfraktionen: Wir müssen das Geld, das wir ausgeben, erwirtschaften. Der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands wird von den Kaufleuten, den Landwirten, den Krankenschwestern, den Angestellten, den Facharbeitern, den Mittelständlern, ja, von allen Menschen hier erwirtschaftet. So fließt Geld in die Sozialkassen – für unser Gemeinwohl. Ich glaube, das sollten wir an dieser Stelle belohnen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, Sie haben die Systematik nicht verstanden! Das ist linke Tasche – rechte Tasche!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich weiß, dass Sie sehr viel mehr Geld ausgeben möchten. Aber wir stehen in der Verantwortung, dieses Geld zuerst zu erwirtschaften. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist gesagt worden, man solle den Heizkostenzuschuss wieder einführen. Wir haben die Heizkosten beim Wohngeld berücksichtigt. Ich wundere mich, dass gerade Vertreter von Parteien, die Plakate gedruckt haben, auf denen stand, der Liter Benzin solle 5 D-Mark kosten, jetzt einen Heizkostenzuschuss fordern. Wir sollten auf Energieeffizienz, also das Einsparen von Energie, Wert legen. Auch diesen Aspekt dürfen wir hier nicht vergessen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie dann keine Klimakomponente gemacht, Herr Auernhammer? Warum?) Herr Staatssekretär Pronold hat angeführt, dass wir sehr unterschiedliche Wohnsituationen haben. Eine Wohnung in München-Schwabing oder in Berlin-Prenzlauer Berg ist wesentlich teurer und wesentlich kostspieliger in der Finanzierung als zum Beispiel eine Wohnung im niederbayerischen Land, im ländlichen Raum oder in den neuen Ländern. Diesen Aspekt müssen wir beim Wohngeld berücksichtigen. Wir sollten ihn bei unseren politischen Entscheidungen ständig vor Augen haben, genauso wie die Entwicklung der ländlichen Räume. Ich danke Ihnen fürs Zuhören und wünsche Ihnen schöne Pfingsttage. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4897 (neu) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus der Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2014 und Bilanzierung des Ausbaus durch das Kinderförderungsgesetz (Fünfter Bericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes) Drucksache 18/4268 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausbau und Qualität in der Kinderbetreuung vorantreiben – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Qualität in der frühkindlichen Bildung fördern Drucksachen 18/2605, 18/1459, 18/4368 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks. Caren Marks, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir den Blick auf die vergangenen Jahre zurückwerfen, dann können wir heute feststellen: Beim Ausbau der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern unter drei Jahren hat sich in Deutschland wirklich eine Menge getan. Seit dem Krippengipfel 2007 ist viel passiert. Die Dynamik des Ausbaus war und ist – das spüren wir überall in den Kommunen – enorm. Man stelle sich vor: Die Zahl der Betreuungsplätze hat sich seit 2008 fast verdoppelt. Ich spreche hier von fast 300 000 zusätzlichen Betreuungsplätzen in sechs Jahren. Das belegt der heute zu debattierende sogenannte fünfte KiföG-Bericht, wie ich finde, sehr eindrucksvoll. „Wind unter den Segeln“ brachte vor allem der Rechtsanspruch, den Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr haben. Dieser Ausbau war und ist ein riesengroßer Kraftakt und Erfolg, und zwar aller politischen Ebenen, des Bundes, der Länder und vor allem der Kommunen, der Träger von Einrichtungen und natürlich auch der Fachkräfte. Mein Dank gilt allen, die daran mitgewirkt haben. Ein ganz besonderer Dank gilt den Erzieherinnen und Erziehern, die mehr Anerkennung für ihre sehr wertvolle Arbeit verdienen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Ausbau geht weiter. Mit dem Gesetz zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen stockt der Bund das bestehende Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ auf 1 Milliarde Euro auf. Wir erhöhen die Bundesmittel zur Deckung der Betriebskosten 2017 und 2018 um jeweils 100 Millionen Euro; denn es geht nicht nur um Plätze. Es geht auch um gute Kinderbetreuung. Deshalb ist die Beteiligung an den Betriebskosten wichtig. Eltern brauchen vor Ort ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot, ein Angebot, das ihnen hilft, Familienleben und Beruf miteinander zu vereinbaren. Das ist gerade auch für Alleinerziehende ganz besonders wichtig. Gute Kinderbetreuung bedeutet vor allem, dass die Kinder im Mittelpunkt stehen. Sie hilft Kindern dabei, sich bestmöglich zu entwickeln und zu entfalten. Wir wollen, dass alle Kinder gleiche Chancen von Anfang an haben. Kitas haben einen durchaus großen Anteil daran. Auch wenn es schwarz auf weiß belegt ist, dass der Ausbau nicht zu einer Absenkung der Qualität beispielsweise beim Personalschlüssel geführt hat: Es bleibt weiterhin viel zu tun, wenn wir flächendeckend hohe Qualität im Sinne frühkindlicher Bildung für alle sicherstellen wollen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt noch Versorgungslücken, und es gibt Aufholbedarf bei der Qualität. Und die Eltern haben eine eindeutige Position dazu: 88 Prozent der Eltern halten die Verbesserung der Qualität in der Kindertagesbetreuung für wichtig. Das aktuelle dritte Investitionsprogramm des Bundes, das wir in der Regierungskoalition aufgelegt haben, ist auch ein Investitionsprogramm für Qualität. Neu ist, dass mit dem Geld Ausstattungsinvestitionen gefördert werden können, Investitionen in Bewegungsräume, Küchen oder barrierefreie Plätze. Zudem fördert der Bund nicht nur Ausstattungsinvestitionen, sondern unterstützt mit wichtigen Bundesprogrammen direkt die Qualität. In den Schwerpunktkitas „Sprache & Integration“ fördern wir die sprachliche Bildung im Kitaalltag. Im Programm „Lernort Praxis“ wird die Zusammenarbeit der Kitas mit Schulen gestärkt. Und wir haben das Förderprogramm „Betriebliche Kinderbetreuung“ neu aufgelegt, ein Programm, mit dem wir Unternehmen – von klein bis groß – dabei unterstützen, Plätze neu einzurichten. Und ab nächstem Jahr wird es ein neues 100-Millionen-Euro-Programm geben, um zum Beispiel die Betreuung in Randzeiten besser abzudecken. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben schon einiges erreicht und einiges neu angestoßen. Eine bedarfsdeckende gute Kinderbetreuung in Deutschland erreichen wir nur, wenn alle politischen Ebenen an einem Strang ziehen. Daher freut es mich, dass Bundesfamilienministerin Schwesig gemeinsam mit den zuständigen Ministern der Länder, mit Vertreterinnen und Vertretern der Kommunen im November letzten Jahres einen Prozess zur Entwicklung gemeinsamer Qualitätsziele für die Kindertagesbetreuung verabredet hat. Diese Verabredung ist der Auftakt für einen gemeinsamen Fahrplan „Kita-Qualität“. Das Thema „frühkindliche Bildung“ muss gesamtgesellschaftlich ganz oben auf der Agenda stehen. Das ist eben nicht nur ein Thema der Familienpolitik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frühkindliche Bildung – das kann man ohne Wenn und Aber sagen – ist auch harte Standortpolitik. Viele Unternehmen haben zum Glück längst verstanden, dass gute und verlässliche Kinderbetreuung wichtig ist, wenn sie gute Fachkräfte an sich binden wollen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Norbert Müller für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und insbesondere möchte ich jetzt die noch zu Zehntausenden streikenden Kitaerzieherinnen und Kitaerzieher grüßen, die für eine Aufwertung ihrer Berufe – Sozialarbeiterinnen, Sozialarbeiter, Kitaerzieherinnen, Kitaerzieher – eintreten, die eine hervorragende Arbeit für viel zu wenig Geld machen und die hoffentlich auch nach Pfingsten kraftvoll weiter streiken und – wie ich auch hoffe – den Verband der kommunalen Arbeitgeber zu einem Einlenken bewegen können. Die Linke steht an ihrer Seite. (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Marks, Sie feiern Ihre Erfolge. Das sei Ihnen gegönnt. Feste soll man ja bekanntlich feiern, wie sie fallen. Aber ich möchte Ihnen einen Rat geben – Sie haben es in Ihrer Rede selbst anklingen lassen –: Lassen Sie den Sekt im Schrank (Caren Marks, Parl. Staatssekretärin: Das -Wasser!) – oder auch das Wasser –, und lassen Sie uns da, wo die Probleme sind, anfangen! Kommen wir dahin, dass Kitaausbau und -qualität einen deutlichen Sprung nach vorn machen! Die Erfolge sind bei Weitem nicht so groß, wie Sie sie hier dargestellt haben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es fehlen 185 000 Plätze, und die Plätze, die wir in den letzten Jahren ausgebaut haben, haben eine – sagen wir es einmal freundlich – höchst unterschiedliche Qualität in der Betreuung. Den Ausbau so, wie er in den vergangenen Jahren geschehen ist – bei allen Erfolgen, die es gegeben hat –, haben Sie zwar durch den Bund unterstützt, aber er ist im Wesentlichen auf dem Rücken der Kommunen, der Länder und der Beschäftigten, die in den Kitas arbeiten, geleistet worden. Dazu möchte ich Ihnen vier Punkte sagen. Erstens. Ein Mehr an Kitaplätzen bedeutet nun einmal nicht, dass die Qualität der Plätze dem entspricht, was wir uns alle vorstellen. Stichwort hierzu ist eine spürbare Absenkung des Betreuungsschlüssels, und zwar flächendeckend. Er ist in vielen Kindertagesstätten in vielen Ländern viel zu hoch. Stichwort ist ferner ein kostenfreies Mittagessen für die Kinder oder überhaupt ein Mittagessen, das wir ja in vielen Betreuungseinrichtungen überhaupt nicht haben. Stichwort ist eine Ertüchtigung der baulichen Substanz. Da haben wir einige Schritte getan, aber auch da ist noch viel zu tun. Und schließlich ist am Ende ein weiteres Stichwort die Aufwertung der Berufe. Sie wollen nicht über ein Kita-Qualitätsgesetz sprechen. Deswegen werden Sie unseren Antrag dazu hier heute ablehnen. Wir haben beantragt – nichts weiter als das –, dass sich der Bund in die Spur begibt, ein Kita-Qualitätsgesetz zu verabschieden, das genau diese Punkte anpackt. Aber genau diese Punkte – die Grünen sind in eine ähnliche Richtung gegangen – wollen Sie eben bundesrechtlich nicht vereinheitlichen, und Sie wollen da auch keine weiteren Schritte gehen. Das ist sehr bedauerlich. Zweitens. Der Ausbau der Kitaplätze geht einher mit einem massiv erhöhten Personalbedarf. Das ist richtig. Die Bundesregierung spricht hier in ihrem Bericht von „pädagogisch Tätigen“ und eben nicht von „Erzieherinnen und Erziehern“. Warum ist das so? Weil nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft von 522 000 Beschäftigten in den Kitas 354 000 Erzieherinnen und Erzieher sind und der Rest eben nicht vollwertig ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher, sondern Vertreter anderer Berufe sind, schlechter qualifiziert, schlechter bezahlt. Damit kann gute Qualität in frühkindlicher Bildung nicht funktionieren. Wir brauchen beste Ausbildung, wir brauchen in den Kitas durchgängig Erzieherinnen und Erzieher, die in diesem Beruf auch ausgebildet worden sind, und nicht anderes Personal mit schlechterer Ausbildung. (Beifall bei der LINKEN) Drittens – hier sind wir bei dem Anliegen der derzeit streikenden Erzieherinnen und Erzieher –: Verdi und die GEW streiken für eine deutlich höhere Eingruppierung. Das ist auch berechtigt, weil wir – das geht auch aus Ihrem Bericht hervor – inzwischen ganz andere Anforderungen an diesen Beruf haben, weil wir inzwischen unter Kitaerzieherinnen und -erziehern nicht mehr die verstehen, die auf die Kinder aufpassen, damit sie nicht weglaufen und nicht zu Schaden kommen. Vielmehr haben sie einen pädagogischen Auftrag; sie haben einen Auftrag, der bedeutet, dass frühkindliche Bildung am Ende mehr mit Bildung als mit Betreuung zu tun hat. Dieser Berufszweig, der noch immer überwiegend ein Frauenberuf ist, soll für die Gesellschaft geöffnet werden; der Zugang soll breiter werden. Auch Männer sollen sich für diesen Beruf stärker interessieren. Das heißt, wir brauchen hier eine vernünftige Entlohnung. Das geht eben nur, wenn am Ende die Berufe aufgewertet werden und deutlich mehr Geld bei den Erzieherinnen und Erziehern bleibt. (Bettina Hornhues [CDU/CSU]: Männer brauchen mehr Geld?) Viertens. Wir alle sprechen lieber von „frühkindlicher Bildung“ als von „Kinderbetreuung“. An diesem Punkt begegnet uns eine Entwicklung, die aktuell die Republik umtreibt: Warum müssen Eltern Geld, teilweise viel Geld, für die Erfüllung ihres Rechtsanspruchs auf frühkindliche Bildung ihrer Kinder zahlen? Bundesweit gibt es die Forderung, die Elternbeiträge für Kindertageseinrichtungen abzuschaffen. Wir als Linke halten diese Forderung für berechtigt. Wir wissen, dass das nicht von heute auf morgen geht. Aber wir finden, wir sollten uns darauf als Fernziel verständigen. Wenn es um Bildung geht, dann dürfen Elternbeiträge für Kitas nicht mehr erhoben werden. (Beifall bei der LINKEN) Ich fasse zusammen: Der Ausbau der Kitaplätze, die Verbesserung des Betreuungsschlüssels durch massive Neueinstellungen, die Verbesserung der Qualität frühkindlicher Bildung sowie die Aus- und Weiterbildung und die Abschaffung der Elternbeiträge, diese Prozesse müssen parallel angegangen werden. Das alles kostet Geld. Damit kommen wir zum Kern des Problems. Im Jahre 2011 gab die gesamte öffentliche Hand 17,3 Milliarden Euro oder 0,6 Prozent des BIP für Kindertagesbetreuung aus. Selbst die OECD geht davon aus, dass der Gesamtbedarf bei etwa 26 Milliarden Euro liegen würde – die OECD erhebt ähnliche Forderungen wie wir –, um wenigstens das Versorgungsniveau Frankreichs oder der skandinavischen Länder zu erreichen. Das Deutsche Kinderhilfswerk hat heute 5 Milliarden Euro mehr pro Jahr gefordert, die allein der Bund in die Hand nehmen soll, um diese Ziele zu erreichen. Wir brauchen hier den Einstieg des Bundes in die Personalkostenfinanzierung. Wir brauchen eine viel breitere Beteiligung. Das muss mehr sein als im Wesentlichen nur die Übernahme der Investitionskosten – das haben wir jetzt –, damit der Kitaausbau und die Qualitätsverbesserung eben nicht mehr auf dem Rücken der Länder und Kommunen und am Ende auf dem Rücken der schlecht entlohnten Beschäftigten ausgetragen wird. Vielmehr ist hier der Bund in der Pflicht. Er hat den Rechtsanspruch erlassen; das war gut und richtig. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wie immer!) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Müller, bitte achten Sie auf Ihre Redezeit. Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Aber die Konsequenzen dürfen dann nicht nur halbherzig gezogen werden, sondern man muss da ein bisschen mehr Butter bei die Fische geben. In diesem Sinne: Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Was machen die Länder dann noch? – Gegenruf des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Dazu kann ich Ihnen was sagen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Marcus Weinberg das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Müller, ich muss Ihnen widersprechen: Frau Marks hat völlig recht. Die Kindertagesbetreuung der letzten Jahre ist eine Erfolgsgeschichte, angefangen bei Frau von der Leyen, die diese Entwicklung in Gang gesetzt hat, über Ministerin Schröder bis hin zur heutigen Ministerin, Frau Schwesig. Diese Erfolgsgeschichte wird übrigens auch in dem Bericht dokumentiert. Darauf möchte ich gerne in zwei oder drei Punkten eingehen. Es ist das Ansinnen der Großen Koalition, diese drei Säulen der Familienpolitik – Geld, Zeit und Infrastruktur – weiter auszubauen. Das Thema Infrastruktur ist in erster Linie mit dem Ausbau der Kindertagesbetreuung verbunden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Mit Blick auf den aktuellen Bericht sind für uns zwei Dinge wichtig. Das Erste ist die Frage der Quantität. Das Zweite ist die Frage der Qualität; zum Thema Kostenfreiheit und zu Ihren Ideen komme ich gleich noch. Da haben wir – das hat Frau Marks schon dargestellt – in der Anzahl der betreuten Kinder mit einem Anstieg von 17,6 Prozent auf 32,3 Prozent deutliche Fortschritte zu verzeichnen. Damit geht natürlich immer eine stärkere Nachfrage einher; denn ein Angebot schafft eine Nachfrage. Der Betreuungsbedarf liegt bei über 41 Prozent. Es ist zu vermuten, dass diese Zahl noch weiter steigen wird. Wir als Bund werden unseren Teil dazu beitragen, die Kommunen und Länder dabei zu unterstützen, diesen Ausbau voranzutreiben; schließlich ist dies primär deren Aufgabe. Ich komme auf den zweiten Punkt zu sprechen, nämlich auf die Qualität. Da stimmt Ihre Aussage nicht ganz. Wenn so viele Kitas mit Milliarden von Euro gebaut oder ausgebaut werden, ist immer die Gefahr gegeben, dass das zulasten der Qualität geht. Keiner von uns will nur eine Kindertagesbetreuung; wir alle wollen eine gute Kindertagesbetreuung. Aber wir müssen und dürfen feststellen, dass dieser rasche Ausbau nicht zulasten der Qualität gegangen ist. Schauen wir uns den Betreuungsschlüssel an: Am Stichtag 1. März 2014 betreute eine Vollzeitkraft durchschnittlich 4,1 Kinder; 2012 lag diese Zahl noch bei 4,5 Kinder. Aber die Aufgabe für die nächsten Jahre wird es sein, die Zahl der betreuten Kinder zu senken. Nun kann man über einen Betreuungsschlüssel von 1 : 3 oder 1 : 4 diskutieren; dies sind Zahlen, die in der Bertelsmann-Studie oder von der OECD genannt werden. Ich wäre froh, wenn wir ein Verhältnis von 1 : 4 schaffen würden. Ich sage aber auch ganz deutlich: Da muss man sich anschauen, was die Länder machen. Damit kommen wir zu Ihrem Punkt: Kostenfreiheit. Man kann sagen: Das alles muss kostenfrei sein. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Beitragsfrei!) Aber Sie müssen dabei Abstufungen machen. Wenn die Kostenfreiheit zulasten der Qualität umgesetzt wird, dann habe ich damit meine Probleme. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte, dass wir zunächst einmal Qualitätsstandards festlegen. Außerdem müssen wir Folgendes berücksichtigen, Herr Bundestagsabgeordneter: Gutverdienende Bundestagsabgeordnete könnten möglicherweise einen höheren Beitrag leisten, wenn damit sichergestellt ist, dass die Qualität der Kinderbetreuung insgesamt hoch ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, man sollte hier ganz genau in Erwägung ziehen – jetzt rede ich hier schon wie ein Linker –, dass die Reichen und Wohlvermögenden eine gewisse Zeit lang mehr schultern können als diejenigen, die ein geringes oder gar kein Einkommen haben. Hier muss man sehr genau abwägen, was man eigentlich will. Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Weinberg, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Hein? Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Ein Frage von Frau Hein doch immer. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Weinberg, ich habe in meiner Zeit als Landespolitikerin viele Jahre den Bereich Kinderbetreuung in meinem politischen Profil gehabt. Sie haben vorhin wiederholt darauf hingewiesen – auch die Staatssekretärin hat es gesagt –: Die Qualität und die Personalstandards haben sich nicht verschlechtert. – Sie sind nicht schlechter geworden, das stimmt. Sie sind aber auch nicht besser geworden. Aber wir haben ein Gefälle zwischen Ost und West. Ich muss sagen: Im Osten haben wir heute einen Personalschlüssel, der im Durchschnitt bei 1 : 12 liegt. Er war einmal deutlich besser, nämlich Anfang der 1990er-Jahre. Damals gab es Vorwürfe aus den alten Bundesländern, dass wir uns den Luxus der flächendeckenden Kinderbetreuung leisten. Im Zuge dieser Vorwürfe sind die Betreuungsschlüssel schlechter geworden. Nun kann ich auch für den Osten sagen, dass die Qualität der Kinderbetreuung unter dem schlechteren Betreuungsschlüssel nicht gelitten hat, dass das Aufrechterhalten dieser Qualität aber auf dem Rücken der Erzieherinnen und Erzieher ausgetragen wird. Ich möchte Sie fragen, ob Sie angesichts dessen nicht finden – es sind ja neue Aufgaben hinzugekommen –, dass die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher und aller in diesem Bereich Tätigen deutlich aufgewertet werden muss. Unterstützen Sie aus diesem Grunde auch die Aufwertungskampagne, die derzeit läuft? Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank für die Frage. Damit geben Sie mir zusätzliche Redezeit; denn zur Beantwortung kann ich das sagen, was ich eh noch formulieren wollte. Zur Frage nach dem Betreuungsschlüssel: Das ist natürlich eine abstrakte Größe. Was sich hinter einem Betreuungsschlüssel von 1 : 4,1 verbirgt, kann in Hamburg anders sein als in einer ländlichen Region mit einer anderen Bevölkerungsstruktur. Ich finde nur eines wichtig – das hat auch Frau Marks gesagt –: dass wir hinsichtlich Standards Einvernehmen erzielen. Dass die Minister zusammenkommen, um Standards zu definieren, ist der richtige Weg. Ich sage Ihnen zur Verantwortung der Länder – Sie hatten ja in einem Bundesland politische Verantwortung –: In Hamburg haben wir im Krippenbereich einen Schlüssel von 1 : 5,6, in Bremen von 1 : 3,1. Ich erwarte von den Verantwortlichen in den Ländern, dass sie dafür sorgen, dass die Qualitätsstandards deutlich verbessert werden. Jetzt komme ich zur Aufgabengestaltung der Erzieherinnen. Die Aufgabenstruktur der Erzieherinnen ist mit der vor 30 Jahren nicht mehr vergleichbar: Zu ihren Aufgaben gehören Inklusion, Integration, Sprachförderung, Betreuung heterogener Lerngruppen. Die Erzieherinnen stehen gerade im urbanen Milieu vor neuen Herausforderungen. Deswegen ist es richtig, dass die Erzieherinnen dieses thematisieren und auch mit einem Streik für die Berücksichtigung ihrer Interessen werben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Trotzdem, wenn ich diese Einschränkung machen darf, ist es so – das ist der Appell, den wir als Bundes-politiker heute äußern sollten –: Mit Blick auf die Folgewirkungen, insbesondere mit Blick auf das, was Familien momentan leisten, rate ich dringend, dass beide Seiten – die Gewerkschaften wie die Arbeitgeber – schnellstmöglich zusammenkommen und eine Lösung finden. Der Erzieherberuf wurde vom Einkommen her aufgewertet. Aber er hat noch nicht das Niveau erreicht, das er erreichen sollte. Ich sage aber: Das Ganze liegt in der Verantwortung der Kommunen. Es liegt nicht in unserer Verantwortung, weil die Kommunen entscheiden müssen, wie sie ihre Mittel einsetzen. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Selbst Gabriel weiß, dass Sie die Sache bezahlen können!) Einen Appell möchte ich noch an Sie richten: Beide Seiten sollten jetzt dringend aufeinander zugehen; denn wir erleben momentan, dass viele Familien nicht mehr wissen, wie sie ihre Kinder betreuen sollen. Alles andere würde die Akzeptanz der Vorhaben der Erzieher schmälern. Wir haben alle befürwortet, dass sich die Erzieher für ihre Interessen einsetzen. Das ist eine Initiative, bei der alle Eltern, Väter und Mütter, sagen: Es ist richtig so. – Man sollte aber auch sehen, dass die Folgewirkungen für die Familien irgendwann dramatisch sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Bewertung der Ergebnisse und das, was man damit erzielt hat. Ich will einige Zahlen nennen, weil sie darstellen, wie sich das Ganze auf die Erwerbstätigkeit ausgewirkt hat. Der Anteil erwerbstätiger Mütter mit minderjährigen Kindern ist von 2006 bis 2011 von 60,6 Prozent auf über 65 Prozent gestiegen. Bemerkung: Wir reden zu Recht über die Leistungsträger der Gesellschaft, also die Alleinerziehenden. Wir werden jetzt richtigerweise auch den Entlastungsbeitrag erhöhen. Aber zentral war für die Alleinerziehenden der Ausbau der Kindertagesbetreuung, weil sie nur so Beruf und Familie kombinieren können. Auch hier gilt unser Leitprinzip: Wir wollen den Familien mehr Wahlfreiheit ermöglichen. Die ist in den letzten Jahren deutlich besser geworden. Über 100 000 Mütter mit Kindern zwischen einem und drei Jahren wären ohne die Betreuungsmöglichkeiten nicht erwerbstätig. Die Kinderbetreuung verringert das Armutsrisiko aller Familien mit Kindern bis zwölf Jahren deutlich, und zwar um über 7 Prozentpunkte. Die Kindertagesbetreuung wirkt in Bezug auf die finanzielle Stabilität, auf die ökonomische Sicherheit der Familien. Einige Punkte, die Sie angesprochen haben, müssen immer wieder richtiggestellt werden; das ist zwar anstrengend, aber man macht es ja gerne. Noch einmal: Der Bund beteiligt sich demnächst mit 945 Millionen Euro an den Betriebskosten der Kindertagesstätten; das ist fast 1 Milliarde Euro. Ich als Familienpolitiker bin überzeugt, dass das richtig ist. In ordnungspolitischer Hinsicht sind wir nach langer Überlegung diesen Schritt gegangen, weil Kinderbetreuung eine wichtige nationale Aufgabe ist. Aber es kann nicht sein, dass wir demnächst, so wie Sie das jetzt fordern, auch die Gehälter der Erzieherinnen und Ähnliches übernehmen. Dies ist originäre Aufgabe der Länder, und dabei sollte es auch bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Weil uns das Thema Kinderbetreuung so wichtig ist, haben wir mit dem dritten Investitionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“ deutlich nachgesteuert. Auch aus den Mitteln für Zukunftsinvestitionen in Höhe von 7 Milliarden Euro enthält das zuständige Ministerium zusätzlich 100 Millionen Euro, um spezielle Forderungen abzudecken, Stichwort „Randzeiten“, Stichwort „Schichtarbeiten“ und Ähnliches. Wir werden in der Großen Koalition gemeinsam genau überlegen, wie wir diese Mittel gut und richtig einsetzen. Unterm Strich kann man sagen: Der Ausbau der Kinderbetreuung ist eine Erfolgsgeschichte. In Bezug auf die Quantität werden wir den Prozess begleiten. In Bezug auf die Qualität – das wird die Aufgabe der nächsten Epoche sein – werden wir die Qualitätsstandards verbessern. Es muss klar sein: Die wichtige Aufgabe von Erzieherinnen und Erziehern muss anerkannt werden, nicht nur finanziell, sondern auch gesellschaftlich. Das haben wir immer wieder angemahnt und formuliert. In den letzten Monaten gab es in diesem Bereich deutliche Fortschritte. Die Länder müssen ihre Verantwortung übernehmen; aber in Ihren Anträgen bleibt die Verantwortung der Länder unberührt. Die Bedarfssteuerung muss sich sinnvollerweise an den Gegebenheiten vor Ort orientieren; denn eine Kita im urbanen Milieu, etwa in Hamburg, hat andere Vorgaben oder Probleme als eine Kita in einer ländlichen Region, zum Beispiel in Bayern, wo sowieso alles gut ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Bund wird die Länder beim Ausbau der Kinderbetreuung weiterhin unterstützen, weil wir dies als einen Kern des Ausbaus der Infrastruktur sehen. Ich hoffe, dass alle Kinder gemeinsam mit ihren Familien schöne Pfingsten feiern können. Denjenigen, die am Wochenende noch in Abstiegsnöten sind, wünsche ich guten Erfolg. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Franziska Brantner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gute Frau!) Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Streik der Erzieherinnen und Erzieher spiegelt das wider, was im vorliegenden Bericht beschrieben wird. Die Zahlen wurden heute noch nicht genannt – ich finde sie sehr beeindruckend –: 70 Prozent aller befragten Erzieherinnen und Erzieher sagen, dass die gesellschaftliche Anerkennung für ihren Beruf zu gering ist. 70 Prozent! 60 Prozent von ihnen sagen, dass sie mit der Bezahlung unzufrieden sind. Ich finde, diese Zahlen sollten einem wirklich zu denken geben. So überrascht es nicht, dass die Erzieherinnen und Erzieher streiken – berechtigterweise. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Bei einem Bahnstreik wechseln wir auf andere Verkehrsmittel; bei der Kita ist das schwierig. Man kann die Person, der wir täglich unsere Kinder anvertrauen, nicht so leicht auswechseln. Daran wird auch deutlich, dass es sich um besondere Menschen handelt. Wir vertrauen ihnen unsere Kinder an, denen wir unglaublich viel Bedeutung beimessen, weil sie das Liebste sind, was wir haben. Die Anforderungen an die Erzieherinnen und Erzieher sind in den letzten Jahren gestiegen. In diesem Zusammenhang sind Inklusion, Sprachförderung, aber auch digitale Bildung zu nennen. Wir haben zu Recht sehr hohe Ansprüche, eben weil es um unsere Kinder geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber das spiegelt sich nicht auf dem Gehaltsscheck der Erzieherinnen und Erzieher wider. Das ist der erste Punkt: Die Frage nach dem guten Arbeitgeber Kita. Der zweite Punkt ist die Anzahl der Betreuungsplätze. Es fehlen immer noch 184 000 Plätze, vor allen Dingen in Westdeutschland. Diese Zahl wird noch steigen; denn mit dem Angebot steigt die Nachfrage. Wir brauchen aber auch flexiblere Öffnungszeiten; denn es gibt viele Eltern, die keinen Nine-to-five-Job haben, die keine klassischen Arbeitszeiten haben. Vor allen Dingen Alleinerziehende brauchen hier Unterstützung. Aber keine Angst: Wir wollen keine 24-Stunden-Kita, sondern eine Kita, in die die Kinder früher gebracht werden und dafür auch früher abgeholt werden können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen außerdem eine Verbesserung der Betreuungsqualität. Ich bin Herrn Weinberg übrigens dankbar, dass er gerade Bremen mit seinem Betreuungsschlüssel von 1: 1,3 erwähnt hat. Nach acht Jahren in grüner Verantwortung steht damit dieses Bundesland – nicht Bayern, das gerade so beklatscht wurde – am besten da. Unter extrem schwierigen Haushaltsbedingungen hatte dort die frühkindliche Bildung Priorität. Das ist grüne Politik in Ländern, wo Grüne regieren; das möchte ich hier noch einmal unterstreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Bericht steht, dass sich die Situation nicht verschlechtert hat. Aber sie ist eben noch weit entfernt von dem, was uns die Experten empfehlen. Dort haben wir noch sehr viel Luft nach oben. Es ist bundesweit unterschiedlich. Ich möchte noch einmal appellieren, sich zu vergegenwärtigen, dass es doch nicht sein kann, dass in Deutschland die Chancen von Kleinkindern davon abhängen, in welchem Bundesland, in welcher Stadt sie aufwachsen, sondern dass wir einen bundesweit einheitlichen Qualitätsanspruch brauchen, der garantiert, dass jedes Kind nicht nur das Recht auf einen Betreuungsplatz, sondern auch das Recht auf einen guten Betreuungsplatz hat. Das muss der Anspruch sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es gibt dazu eine Arbeitsgruppe der Länder. Mich würde interessieren, wann wir darüber einmal einen Bericht bekommen und erfahren, wie es dort weitergeht. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Da müssen Sie die Bremer Senatorin fragen!) – Wir fragen auch gerne unsere Senatorinnen; mit denen sind wir im Austausch. Aber es ist klar, dass es bei den Verhandlungen um Geld geht. Ich glaube, darum braucht man gar nicht lange herumzureden. Ich möchte noch einmal erwähnen, dass übrigens der Hauptbatzen an Geld unter Schwarz-Gelb geflossen ist – das waren 5,4 Milliarden Euro – und dass die Gelder im Vergleich dazu jetzt ziemlich gering sind. Wir haben schon häufig darüber gestritten, ob es fast 1 Milliarde Euro ist oder ob es 550 Millionen Euro sind. Es ist aber auf jeden Fall nicht adäquat und reicht nicht aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eigentlich ist es wirklich traurig, dass unter einer schwarz-roten Koalition weniger Geld für diesen Bereich zur Verfügung steht als unter einer schwarz-gelben. Die zusätzlichen 100 Millionen Euro von den 10 Milliarden Euro sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen wesentlich mehr. Herr Weinberg, wenn ich Sie richtig verstanden habe, war das gerade eine Absage an den Vorschlag von Herrn Gabriel, neu zu strukturieren, wie die Gelder verteilt werden. Wir fanden den Vorschlag durchaus interessant, zu schauen, wie man langfristig sicherstellen kann, dass Gelder vom Bund in die Kitas fließen; das wird wahrscheinlich geschehen müssen. Darüber sollte nachgedacht werden. Schade, dass bisher vieles dazu sofort abgesagt wurde. Zuletzt möchte ich kurz auf die Bertelsmann-Studie hinweisen, die uns deutlich gemacht hat, dass sich Investitionen in die frühkindliche Bildung besonders lohnen. Diese Studie hatte eine schlechte Nachricht: Der Bildungserfolg in Deutschland hängt vom sozialen Status des Elternhauses ab. Das war zwar keine neue, aber weiterhin eine schlechte Nachricht. Die Studie hatte aber auch eine gute Nachricht. Sie besagt, dass diese Ungerechtigkeit durch eine gute Frühförderung, etwa in einer hochwertigen Kita, ausgeglichen werden kann. Die Kita ist sozusagen ein Aufzug nach oben, der vielen Kindern einen ganz anderen Zugang zu unserer Gesellschaft ermöglicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen also mehr und flexible Betreuungsplätze, eine gute Qualität dieser Plätze sowie eine gute und gerechte Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher; das sollte uns das Ganze wert sein. An Sie gerichtet, liebe CDU/CSU: Es gab vor zehn Tagen eine Umfrage in der Welt, bei der die Mehrheit Ihrer Wählerinnen und Wähler, 54 Prozent, gesagt hat, sie sähe die Mittel für das Betreuungsgeld lieber in die Qualität der Kitas investiert. Unter den Unionswählern, die Eltern sind, liegt dieser Anteil sogar noch höher: bei 60 Prozent. Bei allen anderen Parteien war dieser Anteil natürlich wesentlich höher. Ich finde, dieser Wunsch der Eltern ist absolut zu berücksichtigen. Sie wünschen sich eine gute Qualität der Betreuung. Daran sollten wir uns orientieren. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Die restlichen 40 Prozent haben auch einen Wunsch geäußert!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sönke Rix (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja immer schön, wenn wir über Dinge sprechen, bei denen wir eine Erfolgsgeschichte zu verzeichnen haben. Wir alle – egal welcher Fraktion wir angehören; alle hier vertretenen Parteien tragen in den Ländern Verantwortung; das Ganze ist ja ein gemeinsames Projekt von Bund und Ländern – können stolz darauf sein, dass wir solch immense Steigerungen im Bereich der Betreuungsplätze haben. Das kann man an dieser Stelle einmal sagen. Das ist auch kein, sage ich mal, Dollpunkt in der Form, dass man jetzt sagt: Aber jetzt, wegen der Regierung, ist es eigentlich gar nicht gut. – Ich finde, das ist auch einen Dank wert, vor allen Dingen an die Kommunen vor Ort, die mit unseren Gesetzen umgehen müssen, einen Dank wert an diejenigen, die in den Kindertagesstätten arbeiten, und an die gesamten Träger, die in dem Bereich unterwegs sind, weil sie auf unsere Anforderungen eingehen und die Angebote machen, die wir politisch wollen. Diesen herzlichen Dank sollte, glaube ich, das ganze Haus hier aussprechen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 9,4 Milliarden Euro, 87 Prozent Zuwachs in diesen Bereichen, bei U 3 liegt die Quote bei 32,3 Prozent, wir haben über 74 Prozent mehr pädagogisches Personal: Das alles ist geschehen, seitdem die letzte Große Koalition diese Maßnahmen auf den Weg gebracht hat. Ich glaube, das sind Zahlen, die sich ganz eindeutig sehen lassen können. Natürlich besagt der Bericht auch, dass wir noch Defizite haben, dass noch nicht alles erfüllt ist. Deshalb sind wir dabei, mit den doch manchmal bescheidenen Mitteln – wir als Fachpolitiker wünschen uns doch alle mehr Mittel für unsere Bereiche; aber wir haben als Große Koalition wieder zusätzliches Geld in die Hand nehmen können –, auf die Defizite, auf die der Bericht aufmerksam macht, einzugehen. Fast 1 Milliarde Euro mehr im System, ich glaube, auch das ist etwas, worauf wir stolz sein können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Jetzt zu den Punkten, die wir hier gerade diskutiert haben. Ein Punkt ist die Forderung nach einem Qualitätsgesetz des Bundes. Das hört sich zunächst einmal gut an, weil „Qualität“ ein positiv behafteter Begriff ist. Wer will nicht mehr Qualität in Kindertagesstätten? Das ist ja keine Frage. Die Frage ist allerdings, ob es immer automatisch besser ist, wenn der Bund etwas allein macht. Eine Aufgabe wird nicht immer dann am besten wahrgenommen, wenn der Bund allein zuständig ist und die Werte und Normen festlegt; vielmehr birgt das auch eine Gefahr. Insofern ist dieses Qualitätsgesetz umstritten, auch innerhalb der einzelnen Parteien und Fraktionen, ich glaube, auch zwischen Bund und Ländern – zu Recht – und auch in den Fachverbänden. Die Diakonie beispielsweise sieht so etwas sehr kritisch, während die AWO es begrüßt. Wir dürfen also nicht so tun, als ob dieses Gesetz jetzt etwas ist, was aus der Szene heraus ganz besonders gefordert wird und womit wir, nur weil wir auf der Bundesebene die Standards festlegen, automatisch bessere Standards haben. Es gibt dabei nämlich eine Gefahr: Wir haben in Teilen – wir haben es gerade gehört: in Bremen – einen hohen Personalstandard, in anderen Bundesländern aber einen niedrigeren Personalstandard. Nun glauben wir doch nicht, dass, wenn wir uns mit den Ländern zusammensetzen, alle automatisch den Standard nach oben angleichen wollen. Die Linken und die Grünen sind doch mit verantwortlich in den Ländern. Es ist ja nicht so, dass dieses Gesetz automatisch nur am Bund scheitert, sondern es scheitert auch an der erforderlichen Zustimmung der Länder. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sollten die Länder nicht aus der Verantwortung entlassen; denn hier liegt eine Aufgabe der Länder. Umso richtiger – auch weil wir wissen, dass wir als Bund die Länder ruhig ab und zu das ein oder andere Mal schütteln sollten – ist die Initiative der Familienministerin, die gesagt hat: Setzen wir uns zusammen, und entwickeln wir gemeinsame Standards. – Das ist genau der richtige Weg: Bund und Länder gemeinsam und nicht einfach der Bund von oben verordnend. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Zweiter Bereich: Beitragsfreiheit. Ich möchte vor einer Sache warnen: davor, Beitragsfreiheit gegen Qualität zu stellen. Ich glaube, das sollten wir nicht tun. Nicht automatisch ist in den Bereichen, wo das richtige Ziel – die Beitragsfreiheit – verfolgt wird, die Qualität schlechter. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das haben wir doch gar nicht gesagt!) – Ich habe gar nicht gesagt, dass Sie das gesagt haben, Herr Kollege. Ich sage es nur allgemein. Ich glaube, dass wir nicht der Versuchung nachgeben sollten, zu sagen, dass all diejenigen, die Beitragsfreiheit als Ziel formulieren, deshalb für eine schlechtere Qualität wären und umgekehrt. Beides muss möglich sein. Aber wir müssen uns ehrlich machen: Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Deshalb ist es richtig, dass wir Dinge auch schrittweise angehen und nicht alles auf einmal fordern. Aber das ist vielleicht manchmal die Aufgabe der Opposition: alles auf einmal zu fordern. Der dritte Bereich, der uns im Moment sehr stark beschäftigt, ist die Aufwertung von Erziehungs- und So-zialberufen. Wir erleben aktuell einen Tarifkonflikt. Da macht es sich nicht besonders gut, wenn Bundestagsabgeordnete, Bundesminister oder Bundespolitiker sich ganz konkret in diese Auseinandersetzung einmischen. Aber wir können auch nicht so tun, als ob der Streik, der da gerade stattfindet, die Tarifauseinandersetzung, die da gerade stattfindet, nicht auch etwas mit dem zu tun hat, was wir sonst in anderen Reden alle gemeinsam immer fordern: Wir fordern doch immer die Aufwertung von Erziehungs- und Sozialberufen, wir fordern höhere Löhne in Sozial- und Erziehungsberufen. Von daher kann der Streik, kann diese Auseinandersetzung auch nicht vollkommen an uns vorbeigehen. Deshalb finde ich es nur richtig, wenn man an der ein oder anderen Stelle auch Solidarität, wenn auch nicht unbedingt mit den konkreten Forderungen, und auch Gesprächsbereitschaft zeigt und sagt: Ja, eure Ziele sind auch unsere Ziele. – Der Erziehungs- und Sozialdienst muss aufgewertet werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Bei dem Streik geht es ja nicht nur um eine höhere Eingruppierung – darüber wird in den Tarifverhandlungen konkret gesprochen –; vielmehr zeigt die Debatte auch, dass andere Themen besprochen werden, um die es bei uns in Zukunft gehen wird. Ich denke zum Beispiel an die Frage, warum Frauen immer noch über 20 Prozent weniger verdienen als Männer. Wir alle wissen, welche Gründe das hat. Ein konkreter Grund ist die Lohndiskriminierung. Ein anderer Grund ist, dass viele Frauen in Teilzeit arbeiten. Sie wollen zwar lieber in Vollzeit arbeiten, haben aber noch kein Rückkehrrecht. Deshalb werden wir in Angriff nehmen, dass es ein Recht zur Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit gibt. Das wird übrigens ganz besonders auch den Erzieherinnen und Erziehern helfen, weil bei ihnen Teilzeitarbeit sehr ausgeprägt ist. Eine weitere Begründung für den Lohnunterschied ist, dass viele Frauen eher im Bereich der Sozial-, Gesundheits- und Erziehungsdienste tätig sind. Deshalb gehört den Erzieherinnern und Erziehern unsere Solidarität für die grundsätzlichen Forderungen, die sie aufstellen. Wir hoffen, dass sich die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer gemeinsam an einen Tisch setzen und zu einer vernünftigen Lösung kommen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Bettina Hornhues für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Bettina Hornhues (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der 1. August 2013 ist ein Meilenstein in der Familienpolitik und der Startschuss für einen massiven Ausbau des Kinderbetreuungsangebots in Deutschland. Mit dem von da an geltenden Rechtsanspruch hat jedes Kind ab dem vollendeten ersten Lebensjahr fortan Anspruch auf Förderung in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege. Knapp zwei Jahre nach der Novellierung des Kinderförderungsgesetzes hat sich bereits vieles positiv entwickelt. Dies kann ich nicht nur als Politikerin, sondern auch als Mutter von drei Kindern bewerten. Ich erinnere mich nur zu gut an die Schwierigkeiten, die es noch einige Jahre vor dem Rechtsanspruch bei der Suche nach einem passenden Betreuungsangebot für die unter dreijährigen Kinder gab. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Die gibt es auch jetzt noch!) Als meine Kinder in diesem Alter waren, gab es meistens lediglich Spielkreise an zweieinhalb Vormittagen. Seit 2013 hat sich die Lage deutlich verbessert – der CDU sei Dank. Seit März 2014 wurde fast ein Drittel der Kinder unter drei Jahren in einer Kindertageseinrichtung oder in der öffentlich geförderten Kindertagespflege betreut. In den letzten Jahren ist die Betreuungsquote bei den unter Dreijährigen bereits immens gestiegen, und mit dem fortlaufenden Ausbau des Betreuungsangebotes werden bald noch weitere Plätze zur Verfügung stehen. Ferner zeigen uns die Zahlen schon heute, dass die Eltern mit der Betreuungssituation vor Ort in der Regel zufrieden sind. Die meisten hatten keine Schwierigkeiten bei der Platzsuche. Bereits 58 Prozent der Eltern, also mehr als die Hälfte, hatten bereits sechs Monate nach der Geburt ihres Kindes eine Platzzusage. Somit konnten sie ihrem Wiedereinstieg ins Erwerbsleben in Ruhe entgegensehen. Ich weiß natürlich auch, dass dies von Kommune zu Kommune stark variieren kann und dass die Bundesländer unterschiedliche Ausgangssituationen bei der Einführung des Rechtsanspruchs hatten. Auch heute noch sind zwischen den Regionen innerhalb der Länder – sei es in der Stadt oder im ländlichen Raum – große Unterschiede in der Betreuungssituation auszumachen. Das wird eine Aufgabe sein, der wir uns als Nächstes stellen müssen. Wir dürfen aber nicht nur die Bundesländer vergleichen, sondern müssen auch das Betreuungsangebot in den Kommunen bedarfsgerecht fördern und weiter ausbauen und dabei den spezifischen Bedarf der vor Ort lebenden Familien berücksichtigen. Dabei wird der Bund die Länder und die Kommunen auch weiterhin tatkräftig unterstützen. In vielen Bundesländern ist der Betreuungsbedarf aber noch nicht erfüllt, obwohl die Betreuungsmittel bereitstehen. So zeigt eine Übersicht über den Abruf der Mittel aus dem Bundesinvestitionsprogramm, dass von insgesamt 580 Millionen Euro ganze 120 Millionen Euro noch nicht abgerufen worden sind. Hier haben einige Länder also noch ihre Hausaufgaben zu machen. Da wir gerade bei Hausaufgaben sind: Frau Brantner, Sie sprachen gerade meinen Wahlkreis Bremen an und stellten fest, dass der Betreuungsschlüssel dort toll sei. Die Betreuungsquote, für die in Bremen eine Sozialsenatorin, die Ihrer Partei angehört, Verantwortung trägt, liegt aber lediglich bei 26,9 Prozent. Hier müssen noch Hausaufgaben gemacht werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Doris Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heißt das, Sie wollen die Kommunen jetzt noch weiter -finanziell entlasten?) Nach dem Grundgesetz haben die Länder die Pflicht und die Verantwortung, den U-3-Ausbau und ein bedarfsgerechtes Angebot zur Erfüllung des Rechtsanspruches zu gewährleisten und zu finanzieren. Klar ist auch: Jede Stadt und jede Gemeinde muss ihren Bedarf an Betreuungsplätzen selbst ermitteln. Mir liegt bei dieser Debatte noch ein anderer Aspekt am Herzen; denn der Erfolg beim Ausbau der Kinderbetreuung ist für mich vor allem auch ein Fortschritt im Hinblick auf die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn wir jetzt nicht nur über den Ausbau der Kinderbetreuung, sondern auch über die Qualität sprechen, sind wir schnell bei den Rahmenbedingungen in den Kindertageseinrichtungen. Ein entscheidendes Kriterium für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind für mich dabei die Öffnungszeiten der Kitas. In einer Arbeitswelt, in der Arbeitnehmer erhöhten Anforderungen ausgesetzt sind, immer mobiler und flexibler zu werden, müssen auch passende, flexible Betreuungsangebote für die Kinder zur Verfügung stehen. Natürlich muss trotz alledem das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen, aber wir müssen eben auch dafür Sorge tragen, dass erwerbstätige Mütter – dabei denke ich gerade an Alleinerziehende und an Frauen, die im Schichtdienst arbeiten – Beruf und Familie miteinander vereinbaren können. Diesen Frauen müssen wir es durch gute Rahmenbedingungen ermöglichen, am Erwerbsleben teilzunehmen und während dieser Zeit ihre Kinder flexibel und gut betreut zu wissen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir über Betreuungszeiten und Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen sprechen, müssen wir die Sache noch weiter denken. Ich würde mir wünschen, dass wir in diesem Zusammenhang auch über den Übergang von der Betreuung der ganz Kleinen hin zur Betreuung der Grundschulkinder sprechen. Denn für viele Eltern tauchen mit der Einschulung der Kinder leider wieder neue Betreuungshürden auf. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Da haben Sie recht!) Damit Familien beim Übergang der Kinder in die Grundschule nicht wieder vor den gleichen Problemen stehen, sollten wir zukünftig nach einer ganzheitlichen Lösung suchen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Denn das heißt für mich fortschrittliche und zukunftszugewandte Familienpolitik. Ich wünsche Ihnen sonnige Pfingsttage. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Paul Lehrieder hat zum Abschluss dieser Debatte für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Danke, Frau Präsidentin, dass Sie den krönenden Abschluss dieser Debatte angekündigt haben. – Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Es wurde von den Vorrednern bereits mehrfach ausgeführt: Eine gute Kinderbetreuung – ich denke, da sind wir uns alle einig – ist die beste Investition in die Zukunft eines Landes, einer Gesellschaft. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt jetzt ein Bayer!) Bildung beginnt bereits in der Kita und schafft nicht nur Chancengleichheit für unsere Kinder, sondern stellt bereits zu diesem frühen Zeitpunkt die Weichen für die weitere Entwicklung der Kinder. Daher bin ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken und den Grünen, Herr Müller und Frau Brantner, sehr dankbar, dass Sie mit Ihren beiden diesbezüglichen Anträgen – Frau Brantner, Sie müssen aufpassen; Sie dürfen nicht so viel schwätzen – (Heiterkeit) einen Beitrag dazu leisten, dass das Thema der frühkindlichen Betreuung und Bildung in dem Maße in der öffentlichen Diskussion wiederzufinden ist, wie es ihm gebührt. Die Thematik des quantitativen, aber auch qualitativen Ausbaus der Kindertagesstätten wird uns in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen und eine zentrale Rolle in der Familienpolitik in unserem Lande spielen – so wie sie in den letzten Jahren schon eine zentrale Rolle gespielt hat. Kollege Weinberg hat bereits völlig zu Recht auch auf die Vorgängerinnen der jetzigen Familienministerin, Frau Schwesig, hingewiesen: Ursula von der Leyen und Kristina Schröder. Frau Staatssekretärin, ich bitte Sie, unser Lob an die Ministerin auszurichten. Wir stehen hier in einer guten Tradition und haben den beschrittenen Weg jetzt auch in der Großen Koalition konsequent fortgesetzt. Herzlichen Dank an unseren -Koalitionspartner, die SPD, dass wir das so harmonisch gemeinsam auf den Weg bringen konnten! (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sönke Rix [SPD]: Wie immer!) Ich danke aber auch unserem Haushälter Alois Rainer, den ich in unseren Reihen sehe. Du hast immer ein offenes Ohr für unsere Anliegen und sorgst gemeinsam mit der Kollegin von der SPD dafür, dass wir genügend Reibung zwischen Daumen und Zeigefinger haben, wenn es um kindliche und familiäre Belange geht. Dafür herzlichen Dank! Wie gesagt: Mach weiter so! Wir brauchen dich auch in den nächsten Monaten, bei den Beratungen des Haushalts 2016, wieder ganz heftig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – So viel Zeit muss sein. Allerdings – das wird Sie wundern – bin ich teilweise anderer Ansicht als Sie, die Kollegen von der Opposition. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das wundert mich sehr!) – Ich komme schon noch zu Ihnen, Herr Müller. Warten Sie nur ab! (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ja, ja!) Ihr Vorwurf, der Bund habe sich nur geringfügig an der Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreuung beteiligt, geht fehl. Neben der größten kommunalen Entlastung durch die Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter – das haben manche schon vergessen, aber es ist tatsächlich so – und bei Erwerbsminderung sowie der Entlastung bei der Eingliederungshilfe im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes sorgt der Bund weiter für leistungsfähige Kommunen: Mit dem Gesetz zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung stockt der Bund das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ um 550 Millionen Euro auf rund 1 Milliarde Euro auf. Zudem erhalten die Länder in den Jahren 2017 und 2018 weitere 100 Millionen Euro zur Finanzierung der Betriebskosten für den Ausbau weiterer Betreuungsplätze. Mit dieser Entlastung, liebe Kolleginnen und Kollegen, leistet der Bund also sehr wohl seinen Beitrag zu einem gesicherten finanziellen Fundament (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber er ist nicht großzügig!) – Sie müssen eine Frage stellen, Frau Brantner; sonst geht es zulasten meiner Zeit –, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit Sie weiterreden können!) um den wachsenden Bedarf an qualitativ guter Kindertagesbetreuung zu decken, und das obwohl – das sage ich ganz deutlich – der Betreuungsausbau hin zu einem bedarfsgerechten Angebot originäre Aufgabe der Länder ist. Herr Müller, nach Ihren Ausführungen werden wir als Bayern sehr wohl auf unsere Thüringer Nachbarn schauen und beobachten, was in Thüringen unter einem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in den nächsten Jahren an Verbesserungen im Kitabereich durchgeführt werden wird. Wir werden in wenigen Jahren, Herr Müller, sicherlich eine Bestandsaufnahme machen und schauen, was in Thüringen gut gelaufen ist. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Thüringen hat 91 Prozent Betreuungsquote, Bayern 50!) – Ja, das hat historische Gründe; Sie wissen, warum das so ist; mit Verlaub. – Wir werden schauen, wie die qualitative und quantitative Betreuung in Thüringen weiter verbessert wird. Ich bin gespannt; wir werden sicher noch darüber debattieren. Herr Müller, vielleicht eins noch, weil ich gerade so schön bei Ihnen bin: (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ja, machen Sie mal!) Sie haben vorhin ausgeführt, Sie wünschten, dass die Erzieherinnen nach Pfingsten noch möglichst lange streiken. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Damit der Arbeitgeberverband ein Angebot macht!) Das wünsche ich nicht. Ich wünsche, dass die Betreuerinnen und die Kinderpflegerinnen möglichst bald wieder arbeiten können; denn ich kenne sehr viele engagierte Erzieherinnen, die sich darauf freuen, mit ihren Kindern zu arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber für gutes Geld!) Wir möchten ein vernünftiges Ergebnis. Wir möchten zufriedene Erzieherinnen, zufriedene Eltern und zufriedene Kinder. Per se sagen, Arbeit sei Teufelswerk, kann nur jemand, der als Student vielleicht noch nicht im Berufsleben gestanden hat. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das ist gemein, das wissen Sie!) Es gibt viele erfüllte Erzieherinnen. Ich wünsche, dass für die Erzieherinnen ein gutes Ergebnis erzielt wird, dass nicht nur die ideelle, sondern auch die materielle Wertschätzung dieses wichtigen Berufes der Frauen und Männer, denen wir das Wichtigste unserer Gesellschaft, unsere Kinder, anvertrauen, in den nächsten Tagen und Wochen möglichst konsensual gelingt, damit nicht nach Pfingsten noch zu lange gestreikt werden muss. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, wünsche Ihnen schöne Pfingstfeiertage, Gottes Segen und eine schöne sitzungsfreie Zeit. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4268 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 18/4368. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2605 mit dem Titel „Ausbau und Qualität in der Kinderbetreuung vorantreiben“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1459 mit dem Titel „Qualität in der frühkindlichen Bildung fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Fünf-Punkte-Programm zur Bekämpfung und Vermeidung von Langzeiterwerbslosigkeit Drucksachen 18/3146, 18/4967 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Bartke für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Matthias Bartke (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne! Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat im November vergangenen Jahres ihr Konzept zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit vorgelegt. Es liegt in der Natur eines solchen Konzeptes, dass es noch keinen bis ins Detail ausgeführten Plan enthält. Aber eines hat die Bundesarbeitsministerin bereits mit der Veröffentlichung erreicht: Sie hat all jene Menschen, die schon länger als ein Jahr arbeitslos sind, wieder prominent auf die Agenda gesetzt. Auch die beiden Oppositionsparteien haben im Nachgang dazu jeweils einen Antrag zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit eingebracht. Ich möchte Ihnen sagen: Ich stimme mit den Inhalten Ihrer Anträge nicht überein, aber ich freue mich, dass auch Sie das Thema auf der Agenda halten. Ministerin Nahles hat Langzeitarbeitslosigkeit wieder ins Bewusstsein der Politik geholt. Das kann man nicht unterschätzen. Schon seit mehreren Jahren ist konstant etwa 1 Million Menschen länger als ein Jahr ohne Job. Das ist 1 Million zu viel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Am Montag hat die Anhörung zu unserem Konzept und zu den beiden Oppositionsanträgen stattgefunden. Die Einschätzungen der Sachverständigen haben uns in unserem Konzept bestätigt. (Lachen der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich möchte stellvertretend die Stellungnahme der Arbeiterwohlfahrt zitieren: Dank der Initiative aus dem Bundesarbeitsministerium (BMAS) wird heute nach Jahren der Kürzungen und Einschränkungen wieder konkret über eine Weiterentwicklung der Beschäftigungsförderung sowie über eine Integration von Teilhabe als eigenes Ziel diskutiert. Es war einhellige Meinung, dass Vermittlungsbe-mühungen in den ersten Arbeitsmarkt nicht für alle Arbeitslose eine Lösung bedeuten. Es gibt einen Teil von Langzeitarbeitslosen, für den öffentlich geförderte Beschäftigung eine neue Perspektive eröffnet. Deswegen bekämpfen wir Langzeitarbeitslosigkeit auch mit einem Bündel von Instrumenten, die individuell angepasst sind. (Beifall bei der SPD) Welche Schritte machen wir nun also genau? Wir werden flächendeckend Zentren für Aktivierung, Beratung und Chancen einrichten. Das Programm „Perspektive 50plus“ hat uns gezeigt, dass eine intensive Betreuung verbunden mit einer Arbeitsmarkt- und Gesundheitsförderung Erfolge bei der Integration in Arbeit produziert. Künftig soll dieser Ansatz nicht nur für ältere Langzeitarbeitslose, sondern für alle Langzeitarbeitslosen gelten. Einen weiteren Schritt machen wir mit dem ESF-Programm zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen. Die Gewinnung und Beratung von Arbeitgebern wird hier eine gewichtige Rolle spielen. Damit begegnen wir der relativ geringen Bereitschaft von Betrieben, Langzeitarbeitslose einzustellen, und wir helfen, Vorurteile zu überwinden. Schon im November wurde die Förderrichtlinie veröffentlicht, und auch die Zuwendungsbescheide sind inzwischen alle verschickt. Es kann also losgehen. Den nächsten Schritt machen wir ebenfalls noch dieses Jahr. Das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ gibt Antwort auf die Frage, was wir denen anbieten wollen, die partout keine Beschäftigungsmöglichkeit finden. Mit 100 Prozent Lohnkostenzuschüssen werden wir Arbeitsverhältnisse ermöglichen, die sonst nicht zustande kämen. Auch für dieses Programm liegt die Förderrichtlinie bereits vor. Durch den Nachtragshaushalt haben wir die Verpflichtungsermächtigung für drei Jahre geschaffen. Das war nicht leicht, aber wir haben es geschafft. Danke, liebe Haushälter! (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Danke, liebe Opposition“, wollten Sie sagen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Auch mit der Gesundheitsförderung werden wir einen Schritt tun, der uns weiter nach vorne bringt. 40 Prozent der SGB-II-Leistungsbezieher haben schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen. Trotzdem waren die speziellen gesundheitlichen Bedürfnisse bisher kein elementarer Bestandteil einer Integrationsstrategie. Das werden wir ändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist am Ende völlig egal, ob die Krankheit Grund oder Folge der Langzeitarbeitslosigkeit war. Wichtig ist nur, dass wir mit Prävention und Gesundheitsversorgung Abhilfe schaffen. Denn eines ist klar: Nur wer gesund ist, kann auch wirklich gut arbeiten. All diese Schritte wurden in der Anhörung am Montag durch die Sachverständigen ausdrücklich begrüßt. Dass auch wir zur Finanzierung gern den Passiv-Aktiv-Tausch eingesetzt hätten, ist hinlänglich bekannt. Die Linke fordert in ihrem Antrag eine Sonderabgabe für Arbeitgeber. Ganz abgesehen davon, dass eine Sonderabgabe in der Form verfassungsrechtlich außerordentlich problematisch ist, ist diese Forderung in ihrer Allgemeinheit auch völlig deplatziert. Überdies fordern Sie die Einrichtung von 200 000 öffentlich geförderten Stellen für Langzeitarbeitslose. Nach Einschätzung des IAB gibt es in der Tat etwa 100 000 bis 200 000 Langzeitarbeitslose, die nur noch sehr wenig Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Wenn Sie ausschließlich für diese eine öffentlich geförderte Beschäftigung gefordert hätten, dann wäre das zumindest eine in sich konsistente Forderung gewesen. Das machen Sie aber nicht. Nach Ihrem Antrag kommt jeder Einzelne der 1 Million Langzeitarbeitslosen für die Stellen in Betracht. Ich sage Ihnen: Das ist arbeitsmarktpolitischer Nonsens. Damit schaffen Sie Mitnahmeeffekte ohne Ende. (Beifall bei der SPD) Aber diejenigen, die solche Arbeitsplätze wirklich nötig hätten, bekommen sie dann nicht. Die einzige Vorgabe, die Sie in Ihrem Antrag machen, ist: Es soll ein Stundenlohn von mindestens 10 Euro gezahlt werden. – Geht’s noch? Die Entlohnung von öffentlich geförderter Beschäftigung soll deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Man kann den gesetzlichen Mindestlohn anheben!) Oder haben Sie im letzten halben Jahr vergessen, Ihren Antrag an die aktuelle Rechtslage anzupassen? (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Aber lassen Sie mich zu einem versöhnlichen Schluss kommen, meine Damen und Herren. Wir mögen die Beratung des Antrags heute abschließen. Ich verspreche Ihnen aber, dass die Langzeitarbeitslosigkeit auch weiterhin ganz oben auf unserer Agenda stehen wird. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Bartke, ich schätze Sie ja sehr, aber: Sie haben nicht gesagt, wie viele Menschen Ihr Programm erreichen soll; dazu haben Sie keine einzige Zahl genannt. Vielleicht liegt es daran, dass Sie sich dafür schämen. Es sind nämlich nicht mehr als 43 000 Personen. Bei 1 Million langzeitarbeitslosen Menschen ist das doch ein bisschen wenig. (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ein Tropfen auf den heißen Stein!) Falls Sie alle es vergessen haben sollten – das gilt im Besonderen für meinen Kollegen Matthias Zimmer –: Wir haben in Deutschland 1 054 315 langzeitarbeitslose Menschen. Ihre Zahl nimmt entgegen Ihrer Behauptung kaum ab. Es sind Männer und Frauen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, weil ihr Betrieb dichtgemacht wurde, weil der Arbeitsplatz wegrationalisiert wurde oder weil man ihnen schlicht und einfach gesagt hat: Für euch haben wir keinen Platz in der Arbeitswelt. – Viele von ihnen hatten im ersten Monat und vielleicht sogar im ersten Jahr noch Hoffnung, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Aber irgendwann kam die große Enttäuschung. Man sagte ihnen: „Sie sind zu alt“, „Ihre Qualifikation reicht nicht aus“, ja sogar, und das nicht selten, „Sie sind überqualifiziert“, und irgendwann resignieren viele dieser Menschen. Was für ein Armutszeugnis für dieses reiche Land! (Beifall bei der LINKEN) Wir fordern für diese Menschen nicht irgendwelche sozialpolitischen Maßnahmen, sondern wir fordern: Schluss mit der dauerhaften gesellschaftlichen Ausgrenzung! So kann es nicht weitergehen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Denn dauerhafte unfreiwillige Erwerbslosigkeit heißt Armut per Gesetz. Viele verlieren dann auch den Glauben an die Demokratie, und sie gehen nicht mehr wählen. Das müsste Ihnen eigentlich die letzte Wahl in Bremen vor 14 Tagen mit einer Wahlbeteiligung von 50 Prozent gezeigt haben. Mit anderen Worten heißt das: Jeder Zweite klinkt sich aus, und das in Stadtbezirken, in denen die Langzeiterwerbslosigkeit dominiert, wo inzwischen Generationen von Hartz IV abhängig sind und Kinder keinerlei gleichberechtigten Zugang zu Bildung haben. Von Chancengleichheit kann hier keine Rede sein. Das ist unsozial. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie geben immer damit an, dass Sie in den zurückliegenden vier Jahren erreicht haben, dass 2 Millionen mehr Arbeitsplätze in der Statistik stehen, und Sie behaupten, dass die Zahl der Erwerbslosen gefallen ist. Aber Sie verschweigen, ohne rot zu werden, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit 2011 unverändert bei 1 Million stagniert. Wenn Sie auf die Pläne und Maßnahmen der Arbeitsministerin schauen, müssen Sie zugeben, dass sie wirklich nichts Neues enthalten, auch wenn Sie, Kollege Bartke, das als neu verkaufen. Statt effektive Programme für diejenigen aufzulegen, die es am nötigsten haben, kleckert die Ministerin ein bisschen hier und ein bisschen da. Ihre Schmalspurförderung aus dem Hause Nahles löst die grundsätzlichen Probleme nicht, sondern verschleppt sie nur. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Die berufliche Weiterbildung ist nach den Hartz-Gesetzen völlig eingebrochen. Wir alle hier wissen: Da müssen wir ran; denn Qualifikation ist das A und O, um auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können. Aber dafür müssen Sie Geld in die Hand nehmen. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke hat ein Fünf-Punkte-Programm vorgelegt, das ich Ihnen wärmstens ans Herz lege und einmal richtig zu lesen empfehle, Kollege Bartke. Drei Punkte will ich Ihnen verraten: Erstens. Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung, das heißt mehr Unterstützung und mehr Geld in diesem Bereich. Damit wird auch die Position von Erwerbslosen gestärkt, und sie stehen nicht ständig als Bettler und Bittsteller im Jobcenter. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Wir brauchen eine individuelle Vermittlung. Das Prinzip „Vermittlung auf Augenhöhe“ muss das Grundprinzip in den Jobcentern werden. Dazu braucht es aber mehr und besser geschultes Personal. Vor allen Dingen muss Schluss sein mit den Sanktionen. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor mit sozialversicherungspflichtiger, gemeinwohlorientierter und ordentlich bezahlter Arbeit. Regeln Sie endlich den Passiv-Aktiv-Transfer! Damit würden Sie Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren der Koalition, Sie dürfen sich nicht wundern, wenn man Ihnen unterstellen muss, dass Sie ein Interesse daran haben, Millionen von Menschen in Arbeitslosigkeit und in Hartz IV zu halten. Sie wollen wohl ein abschreckendes Beispiel für diejenigen schaffen, die noch in Arbeit sind. (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Nun ist aber gut! – Katja Mast [SPD]: Frau Zimmermann! Jetzt haben Sie aber tief in die Mottenkiste gegriffen!) Das ist zynisch, sozial ungerecht und brandgefährlich für die Demokratie. Ich wünsche Ihnen schöne Pfingsten und empfehle Ihnen, den Antrag richtig zu lesen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Professor Matthias Zimmer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war durchaus bereit, im Geiste pfingstlicher Vorfreude das Gemeinsame zu betonen, Frau Kollegin Zimmermann, bis ich dann Ihren letzten Satz gehört habe. Zu behaupten, dass wir ernsthaft die Arbeitslosigkeit nutzen, um Druck auf die arbeitenden Menschen auszuüben, ist eine Unverschämtheit. Das stimmt nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn ich das genau beobachte, sowohl bei der SPD-Fraktion als auch bei unserer Fraktion, glaube ich, dass wir uns in den letzten Jahren – das gilt auch für die Grünen und für die Linken – sehr einhellig des Themas Langzeitarbeitslosigkeit angenommen haben. Wir haben das mit einem ganz anderen Ansatz als dem getan, mit dem wir heute Morgen das strittige Thema Tarifeinheit diskutiert haben. Wir alle sind der Meinung: Langzeitarbeitslosigkeit ist ein großes Problem, dem wir politisch begegnen müssen. – Wir streiten uns über den richtigen Weg dazu. Noch einmal im Geiste der pfingstlichen Vorfreude und der Friedfertigkeit will ich konzedieren, dass ich zumindest in zwei Punkten Ihres Antrages Ihrer Meinung bin. Der erste Punkt ist die Forderung nach einer sozialen Vergabepraxis. Das finde ich vollkommen in Ordnung. Das finde ich richtig; das ist ein richtiger Ansatz. Der zweite Punkt ist die bessere Evaluation der arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Auch das findet unsere ungeteilte Zustimmung an dieser Stelle. Ansonsten zeigt Ihr Antrag aber durchaus die unterschiedlichen Perspektiven, mit denen auf das Thema Langzeitarbeitslosigkeit zugegangen wird. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Schaffung eines zweiten Arbeitsmarkts mit 200 000 Beschäftigten der Weisheit letzter Schluss ist. Frau Zimmermann, in Ihrem Antrag schreiben Sie, dass Sie für diese öffentlich geförderte Beschäftigung einen Stundenlohn von 10 Euro fordern; der Kollege Bartke hat es erwähnt. Ich bin nicht der Meinung, dass man damit reguläre Arbeitsplätze nicht verdrängt. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Zusätzlich!) Ich glaube, genau das passiert dann. Es war für mich auch nicht logisch zu erklären, warum Sie dort 10 Euro fordern, bis ich mir überlegt habe: Im Grunde genommen geht es Ihnen an der Stelle lediglich darum, Ihre alte Forderung nach einem Mindestlohn von 10 Euro hintenherum auf dem Rücken von Langzeitarbeitslosen wieder einzuführen. Dafür sind die Langzeitarbeitslosen zu schade und das Thema zu wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Die 10 Euro sind nicht zu schade!) Wir hatten zu Ihrem Fünf-Punkte-Programm eine Anhörung. Diese Anhörung hat gezeigt, dass sich die aktivierende Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre bewährt hat. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat bestätigt, dass die Grundausrichtung der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik den Arbeitsmarkt beflügelt und zum Abbau der Sockelarbeitslosigkeit beigetragen hat. Hier wurde uns vom IAB-Vertreter auch bestätigt, was wir bereits in den vergangenen Debatten haben anklingen lassen: Bei den arbeitsmarktpolitischen Ins-trumenten sind an der einen oder anderen Stelle Nachjustierungen durchaus sinnvoll. Hier sind vor allem die Stichworte „professionelles Fallmanagement“, „Profiling“, „ganzheitliche Lösungen“, „Intensivberatung“, „Coaching“ und „rechtsübergreifende Lösungen“ gefallen. Diese Punkte hatten wir als Union im Rahmen der zurückliegenden Arbeitsmarktgespräche verfolgt. Bundesministerin Nahles hat diese Punkte auch in ihrem Eckpunktepapier zur Langzeitarbeitslosigkeit im letzten Jahr aufgegriffen. In der Anhörung wurde von Sachverständigen unterstrichen – auch diesen Punkt vermisse ich in Ihrem Antrag –: Arbeitsmarktpolitik ist als ein Faktor beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit zu verstehen. Aber die Arbeitsmarktpolitik alleine wird den Abbau nicht leisten können. Wir müssen nicht nur regionale Unterschiede berücksichtigen und den Arbeitgeber-Service marktnah aufstellen, sondern wir müssen vor allen Dingen auch Präventionsmaßnahmen im Bildungs- und Gesundheitsbereich verstärken. Arbeitsmarktpolitik – das haben uns mehrere Sachverständige gesagt – ist nicht die Lösung, die für sich alleine stehen kann. Das ist die Schwachstelle, die Ihr Antrag aus meiner Sicht aufweist. Das hat auch die Sachverständigenanhörung gezeigt. Ich habe an dieser Stelle bereits mehrfach dafür plädiert, dass wir uns erstens die arbeitsmarktpolitischen Instrumente noch einmal grundsätzlich anschauen sollten. Schließlich haben wir erste valide Rückmeldungen aus der Praxis dazu erhalten, wie die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente aus dem Jahr 2011 wirkt. Hier – das müssen wir klar sagen – zeigt sich mittlerweile der Bedarf einer gewissen Nachjustierung. Das haben auch einige Sachverständige in der Anhörung deutlich gemacht. Ich würde zweitens auch noch einmal für eine Entfristung der Fördermaßnahmen werben wollen. Die Fördergrenze von 24 Monaten innerhalb von fünf Jahren erweist sich in der Praxis doch als zu starr. Das haben uns einige Sachverständige so auch bestätigt und mit Beispielen unterlegt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Die eigenen Leute haben das nicht mitbekommen (Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Doch! Wir haben uns gefreut, dass die SPD klatscht!) und klatschen deswegen nicht. Drittens werbe ich dafür, dass wir uns die Problematik der Schnittstellen zwischen den Sozialgesetzbüchern noch einmal genau anschauen. Einige Sachverständige in der Anhörung haben uns das nahegelegt. Ein Anfang wäre beispielsweise, die Leistungen nach § 45 SGB III, also die sozialpädagogische Betreuung oder die Vermittlung beruflicher Kenntnisse, in die Förderung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zu integrieren. Somit könnten wir den Langzeitarbeitslosen dann auch aufeinander abgestimmte Förderungen aus einer Hand ermöglichen und den Fallmanagern bürokratische Umwege ersparen. Meine Damen und Herren, wir tun, wenn wir in die Pfingsttage gehen, glaube ich, gut daran, für die weiteren Beratungen, was die Gesetzgebungsarbeit angeht, auf das Kommen des Heiligen Geistes und die Erleuchtung, die er bringt, zu hoffen – Erleuchtung, die ich bei Ihrem Antrag schmerzlich vermisse. Deswegen werden wir ihn auch ablehnen. Ich wünsche Ihnen frohe Feiertage. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin in der Debatte hat Brigitte Pothmer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Bartke, angesichts der Zusammenfassung der Anhörung, die Sie hier vorgetragen haben, habe ich wirklich den Eindruck, dass Sie das Prinzip der selektiven Wahrnehmung zur Perfektion getrieben haben. Meine Zusammenfassung sähe jedenfalls ganz anders aus. Wenn ich nicht gleich von Verriss rede, dann ist das eigentlich auch nur der pfingstlichen Vorfreude geschuldet. Aber mindestens schwere Enttäuschung war da schon zu spüren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, Sie wissen doch alle, dass wir in der Politik für Langzeitarbeitslose einen richtigen Paradigmenwechsel bräuchten. Die Strategie der schnellen Vermittlung ist gescheitert. Wir haben eine Integra-tionsquote von 13 Prozent. Davon werden allein 30 Prozent in Leiharbeit vermittelt. Die wenigen, die vermittelt werden, stehen innerhalb kürzester Zeit wieder vor der Tür. Vor diesem Hintergrund brauchen wir jetzt wirklich eine völlig andere Politik für Langzeitarbeitslose. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wissen Sie, Herr Bartke, worin die Enttäuschung besteht? Die Enttäuschung besteht darin, dass Frau Nahles trotz dieser Erkenntnisse etwas vorschlägt, was schon in der Vergangenheit nicht funktioniert hat. Sie schafft Sonderprogramme für wenige, für 43 000 Langzeitarbeitslose. Ich erinnere daran, dass auch Frau von der Leyen ein Sonderprogramm aufgelegt hatte: das Programm „Bürgerarbeit“ für 33 000 Langzeitarbeitslose. Jetzt wird ein anderes Programm aufgelegt. Aber das ändert nichts an den Bedingungen, unter denen die Jobcenter für die Masse arbeiten. Im Gegenteil: Das führt sogar dazu, dass sich die Bewegungsspielräume der Jobcenter weiter reduzieren. Und das sage nicht nur ich. Herr Bartke und Herr Zimmer, Ihre eigenen Leute gehen doch inzwischen auf die Barrikaden und fordern Sie auf, dieses Programmhopping endlich zu lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nehmen wir einmal das Beispiel ESF-Programm. Das Programm ist mit einem so hohen Aufwand und mit einer Extrastruktur verbunden, dass die Jobcenter noch nicht einmal die Plätze in Anspruch genommen haben, die Sie ihnen angeboten haben. Angesichts dessen können Sie doch nicht von einem Erfolg reden. 33 000 Plätze standen zur Verfügung. 24 000 sind nur beantragt worden. Herr Bartke, Sie haben kein Wort dazu gesagt. Nehmen wir als Beispiel das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“. Dieses Programm ist in der Anhörung regelrecht verrissen worden: Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneutralität, öffentliches Interesse – alle Experten wissen, dass das zu Arbeitsplätzen führt, die sehr weit weg sind vom ersten Arbeitsmarkt. Dabei geht es doch nicht um sinnstiftende Beschäftigung, sondern maximal um Beschäftigungstherapie. Sie bieten Arbeitsplätze an, die mit der Arbeitsmarktwirklichkeit nichts zu tun haben und wundern sich am Ende, dass diese Plätze nicht zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt führen. Mit beiden Programmen wurde nichts Neues gewagt. Sie binden erhebliche Mittel und verringern die Bewegungsspielräume der Jobcenter. – Sie schütteln den Kopf. Wenn Sie mir nicht glauben, dann hören Sie doch wenigstens, was Senator Günthner aus Bremen dazu sagt. Er bezeichnet das, was Ihre Ministerin da macht, als grotesk, Herr Bartke. Vielleicht schauen Sie sich auch einmal den Antrag aus NRW an, der demnächst in den Bundesrat eingebracht werden soll. Ich zitiere einfach einmal aus dem Antrag: Die zwei Programme „reichen … bei Weitem nicht aus“. Ich zitiere weiter: „Die zur Verfügung stehenden Mittel sind“ weniger als „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Ich zitiere weiter: „Sehr viele Langzeitarbeitslose werden … keine, oder nur eine unzureichende Förderung erhalten“. Deswegen fordern NRW und die anderen Länder einen sozialen Arbeitsmarkt mit einem Passiv-Aktiv-Transfer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]) Sie fordern mehr Mittel für diesen unterfinanzierten Bereich, Planungssicherheit und mehr Weiterbildung. Nichts davon ist in Ihrem Programm enthalten. Ich sage es noch einmal: Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie doch wenigstens Ihren eigenen Leuten. Hören Sie endlich auf mit diesem Programmhopping. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich will jetzt doch noch ein paar Worte zu dem Antrag der Linken sagen – Frau Zimmermann, ich habe es schon im Ausschuss gesagt –: Ihr Antrag enthält etliche Punkte, die wir für richtig halten. Das wissen Sie; ich will das nicht wiederholen, aber doch sagen: Ich bin, was Ihre Vorschläge zur Ausgestaltung des sozialen Arbeitsmarktes angeht, enttäuscht. Damit sind Sie auch aus meiner Sicht wirklich auf dem Holzweg – also, nicht, was den PAT angeht, aber Sie sprechen von Zusätzlichkeit. Wir wissen doch, dass das alles Quatsch mit Soße ist. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme sofort zum Schluss. – 10 Euro pro Stunde sind nun wirklich nicht angemessen. Ich bitte Sie: Korrigieren Sie Ihren Antrag. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist zu spät!) So, wie er jetzt vorliegt, können wir ihm nicht zustimmen, sondern müssen ihn ablehnen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Jutta Eckenbach von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) Jutta Eckenbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! An einem Freitagnachmittag tagt der Bundestag noch immer. Wir befassen uns mit einem ganz wichtigen Thema. Seit 2011 haben wir feststellen müssen, dass es trotz der guten Konjunktur, trotz voller Auftragsbücher, trotz Fachkräftemangels, trotz aller Bemühungen und bestehender Hilfen, trotz der vielen Programme und trotz der enormen Summen, die wir mittels der Eingliederungshilfe zur Verfügung gestellt haben, Aufnahmegrenzen beim Arbeitsmarkt gibt. Gerade in diesen Wochen diskutieren wir über mehrere neue Maßnahmen zum Abbau des harten Kerns der Langzeitarbeitslosigkeit. In der Ausschussanhörung haben wir die Meinungen von Sachverständigen gehört. Vorschläge zum Passiv-Aktiv-Transfer oder auch zu den Instrumenten scheinen sich auf den ersten Blick zu ähneln. Wenn wir aber die Vorschläge genauer ansehen, erkennen wir gravierende Unterschiede. Gerade die Linke macht – das hat sich heute noch einmal bestätigt – in all ihren Anträgen – nicht nur in dem heute vorliegenden Antrag – eine ideologisch geprägte Grundhaltung deutlich; (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die habt ihr ja gar nicht!) denn das Prinzip des „Förderns und Forderns“ lehnen Sie ab. (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wenn es das geben würde! Aber das gibt es ja nicht!) Dass in dieser Anhörung die seit 2005 eingeschlagene Grundrichtung befürwortet wurde, konnten wir von fast allen Sachverständigen immer wieder hören. Das ist nicht die erste Anhörung gewesen, bei der uns dies bestätigt wurde. Sowohl der Rückgang der Arbeitslosigkeit insgesamt als auch der Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit im Besonderen sind neben der guten Konjunktur auf das Fördern und Fordern zurückzuführen. Die Dosis beim Fördern und Fordern ist entscheidend, und zwar in jedem Einzelfall. Die richtige Dosis wird leider noch nicht in allen Fällen erreicht. Aber ich kann Ihnen für die CDU/CSU-Fraktion sagen, dass die richtige Dosis das Ziel ist, das wir erreichen wollen. Sie reduzieren die Ursachen der Langzeitarbeitslosigkeit auf fehlende Arbeitsplätze und ökonomische Gründe; so steht es in Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der Linken. Das ist so pauschal und oberflächlich, dass es fast schon an Fahrlässigkeit grenzt. Ich kann diese ideologische Haltung überhaupt nicht teilen. Wollen Sie allen Ernstes in den aktuellen Zeiten mit guter Konjunktur den betroffenen langzeitarbeitslosen Menschen vorgaukeln, sie wären aus konjunkturellen Gründen arbeitslos? Ich bin sicher: Die Menschen fühlen sich von Ihnen nicht ernst genommen. Die Gründe für Langzeitarbeitslosigkeit sind gravierend und vielschichtig. Die Zusammenhänge haben wir in diesem Hause schon oft deutlich gemacht. Irgendwann müssten Sie als Linke das auch erkennen. Sie sollten mit Ihren Anträgen nicht immer wieder eine ideologische Debatte anstoßen und sagen: 10 Euro pro Stunde geben wir den Menschen. Wir beschäftigen sie auf einem sozialen Arbeitsmarkt. – Damit ist das Ganze dann für Sie erledigt. Das wird so nicht funktionieren. (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wenn 1 000 Leute entlassen werden, was ist das dann? Sie ignorieren die Langzeitarbeitslosen!) Bei nahezu der Hälfte der langzeitarbeitslosen Menschen liegen Vermittlungshemmnisse vor, die in erster Linie in ihrer Person begründet sind. Sie leiden unter langer Arbeitslosigkeit und haben psychosoziale Probleme als Folge der Langzeitarbeitslosigkeit. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Sind sie selber schuld, dass sie langzeitarbeitslos sind?) Hinzu kommt die lange Arbeitslosigkeit mit fehlender Weiterbildung und lückenhaftem aktuellen Wissen im ursprünglichen Beruf. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Dann sorgen Sie dafür, dass sie Weiterbildung kriegen!) Auch das ist uns von den Sachverständigen in der Anhörung immer wieder deutlich gemacht worden. Nun gestatten Sie mir noch kurz ein Wort zum PAT, der auch in der Anhörung immer wieder für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Ich schließe mich in Anbetracht meiner Redezeit, die langsam zu Ende geht, dem an, was Professor Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion deutlich gemacht hat. Ich glaube, dass der PAT noch nicht ausgereift ist. Ich kann mir PAT allerdings gerade für Nordrhein-Westfalen vorstellen, Frau Pothmer. Lassen Sie uns das doch einmal auf Landesebene ausprobieren! Das wäre doch etwas. Gehen Sie doch im Land Nordrhein-Westfalen, genauso wie es das Land Baden-Württemberg getan hat, einmal darauf ein und sagen Sie: Ja, wir probieren das als Modellversuch aus. – Dann wären wir ein Stückchen weiter, hätten Ergebnisse und könnten diese Ergebnisse hier auch einbringen und kämen dann vielleicht zu einer vernünftigen Regulierung. (Beifall bei der CDU/CSU – Manfred Grund [CDU/CSU]: Guter Vorschlag!) Ansonsten müssten wir – und das wollen wir – an die Instrumente herangehen und diese stärker personenbezogen ausrichten. Wir wollen die Menschen über ein Stufensystem – Stichwort: „arbeitgebernah“ – in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt sehen. Sie sollen nicht im sozialen Arbeitsmarkt enden. Noch ein Wort zu Thüringen. Mich hat sehr bewegt, dass es in Thüringen große Verbände ablehnen, an Ihrem PAT in Thüringen teilzunehmen, weil er so unausgegoren ist, (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Stimmt ja gar nicht! Stimmt ja überhaupt nicht! Das ist eine Lüge!) dass es nicht funktionieren wird. Ich wünsche Ihnen allen ein wunderschönes Pfingstfest. Ich hoffe, dass wir irgendwann einmal zu Potte kommen – wie man das im Ruhrgebiet sagt – und im Bundestag nicht immer weitere Schleifen drehen müssen, dass wir den Arbeitslosen wirklich helfen, (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wann denn? Wie viele Jahre sollen die noch warten?) dass wir zu einer guten Einigung mit der SPD kommen. Ich habe heute manche Dinge schon sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen. Ich hoffe sehr, dass wir dann im Interesse der Langzeitarbeitslosen auch ein gutes Programm verabschieden können. Ein frohes Pfingstfest! Alles Gute und ein paar ruhige Tage! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Michael Gerdes von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Michael Gerdes (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Langzeitarbeitslosigkeit ist ohne Frage die größte Herausforderung in der Arbeitsmarktpolitik. Ich will von vornherein sagen: Die wenigsten Langzeitarbeitslosen – das hört man ja auch hier wieder heraus – sind selber schuld, dass sie arbeitslos sind. Sie haben zwar oft Schuldgefühle, aber sie haben sich das nicht selbst zuzuschreiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir dürfen diese Aufgabe nicht vernachlässigen, und Ministerin Nahles und ihr Haus gehen mutig voran. Das vorliegende Konzept enthält viele gute Schritte, um die Unterstützung für langzeitarbeitslose Menschen effektiver und nachhaltiger zu machen. In der Anhörung – heute schon viel zitiert – am vergangenen Montag gab es von den geladenen Experten viel Zustimmung zu unseren Maßnahmen aus dem BMAS. Positiv hervorheben möchte ich, dass einzelne Programmteile bereits in der Umsetzung sind. Auch das ESF-Programm wurde durchaus positiv gesehen. Es bewegt sich was. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Von manchen Sachverständigen wurde allerdings das zur Verfügung stehende Finanzvolumen für Eingliederungsmaßnahmen bemängelt. Dieser Kritik müssen wir uns durchaus stellen. Ich möchte jedoch dagegenhalten: Der Anfang ist gemacht. Die Betroffenen werden sich jedenfalls freuen, auch wenn Mitglieder des Hauses gerade gesagt haben, dass es sich dabei zum Teil um Beschäftigungstherapie handelt. Losgelöst von einzelnen Maßnahmen finde ich es besonders wichtig, dass Langzeitarbeitslosigkeit wieder ehrlich debattiert wird und auf unserer Agenda eine zentrale Rolle einnimmt. Wir können nicht hinnehmen, dass sich Arbeitslosigkeit verfestigt. Unsere Gesellschaft definiert sich über Erwerbsarbeit. Wer ohne Job ist, hat nicht nur wenig Geld zum Leben, es fehlt auch je nach Dauer der Arbeitslosigkeit an Anerkennung, Sinnstiftung und Gesundheit. Arbeitslosigkeit stigmatisiert, grenzt aus. Das müssen wir als Gesellschaft ernst nehmen und verhindern. Dazu müssen wir an einem Strang ziehen. Es kommt nicht nur auf Maßnahmen der öffentlichen Hand an. Auch die Wirtschaft ist gefragt. In diesem Punkt begrüße ich besonders die Stellungnahme der BDA, wonach Arbeitgeber ihre Personalpolitik stärker auf Langzeitarbeitslose ausrichten sollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Als Abgeordneter aus dem Ruhrgebiet kenne ich die Ausmaße und Folgen langer Arbeitslosigkeit durchaus. Mehr als 300 000 Menschen in Nordrhein-Westfalen gelten als langzeitarbeitslos. Fast zwei Drittel von ihnen sind länger als zwei Jahre ohne Arbeit. Nach wie vor kämpfen wir mit dem Strukturwandel und mit der Arbeitsmarktdynamik. Gerade in den letzten zehn Tagen haben gleich zwei Unternehmen in meinem Wahlkreis strukturelle Veränderungen bzw. Standortschließungen angekündigt. Jeder wegfallende Arbeitsplatz tut weh, und selbstverständlich hoffe ich, dass die betroffenen Arbeitnehmer neue Jobs finden werden. Der Ruf aus NRW nach mehr öffentlich geförderter Beschäftigung ist vor diesem Hintergrund zumindest nachvollziehbar. Gleichzeitig müssen aber reguläre Jobs das oberste Ziel bleiben. Wir wissen alle: Langzeitarbeitslosigkeit ist komplex. Sie hat viele Gesichter. Die Gruppe derer, die ohne Arbeit sind, ist äußerst heterogen. Besonders schwierig ist die Situation für Geringqualifizierte, Ältere und Frauen mit Kindern unter drei Jahren. Somit müssen auch die Hilfen vielfältig und flexibel sein. Was für eine Alleinerziehende mit Kleinkind richtig ist, kann für einen Arbeitsuchenden über 50 das völlig falsche Angebot sein. Hier muss passgenau unterstützt werden. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann macht doch mal! Ihr seid doch in der Regierung!) – Ja, wir sind dabei. – Dazu braucht es Zeit und Nachdruck. Die Verbesserung der Betreuungsrelation in den Jobcentern ist ein erster Schritt, der absolut begrüßenswert ist. (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der LINKEN) Ohnehin ist der Vermittlungsprozess für Fallmanager und Betroffene ein Weg, auf dem viele Hürden genommen werden müssen. Wer seine Situation nicht alleine verbessern kann, braucht materielle Förderung sowie intensive soziale Betreuung und Begleitung. Je nach Fall – auch das haben wir schon gehört – müssen die Fachkräfte vor Ort auch Aktivitäten einfordern dürfen, etwa wenn es um die Stärkung der eigenen Verantwortung und die Ausweitung von Fähigkeiten geht, um eben die persönlichen Chancen zu verbessern. Das Ziel unserer Politik ist klar definiert: Wir wollen einerseits Langzeitarbeitslosigkeit abbauen, andererseits wollen wir sie verhindern. Letzteres geht nur mit Prävention. Wir setzen auf Bildung und Qualifizierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Dazu braucht man Geld!) Gerade in Zeiten von Industrie 4.0 und Arbeiten 4.0 gibt es immer weniger Jobs für Ungelernte. Wir müssen es schaffen, dass niemand ohne Berufsausbildung, geschweige denn ohne Schulabschluss bleibt. Es gilt, Menschen beschäftigungsfähig zu machen. Wir müssen Potenziale wecken, insbesondere bei Geringqualifizierten, Frauen, Älteren und Migranten. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am künftigen Arbeitsleben. (Beifall der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]) Sie dürfen bei diesem Prozess nicht die Verlierer werden. Weiterbildung darf im Übrigen keine Frage des Geldes sein. Man muss sie sich leisten können. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Und das dann tun und nicht nur reden!) Als Vertreter der SPD befürworte ich das Modell der Arbeitsversicherung, über die Beschäftigte zukünftig einen Rechtsanspruch auf geförderte Weiterbildung erhalten könnten. Unser Konzept ist schlüssig, das der Linken ideologisch. Herzlichen Dank und Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Matthäus Strebl von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über die Problematik Langzeitarbeitslosigkeit, die bedauerlicherweise weiterhin aktuell ist. Dazu haben wir schon eine ganze Reihe von Zahlen gehört. Wir sollten uns bei diesem Thema stets bewusst sein, dass Langzeitarbeitslosigkeit oft zu finanzieller und vor allem zu sozialer Ausgrenzung führt. 1 Million Menschen, die seit mindestens einem Jahr arbeitslos sind, ist eine zu hohe Zahl. Bereits im vergangenen November hatten wir in diesem Hohen Hause darüber gesprochen, und wir waren uns einig: Der Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland ist eine wichtige Herausforderung, der wir uns stellen müssen und der wir uns stellen werden. Diese Aufgabe geht jetzt das Ministerium für Arbeit und Soziales mit uns gemeinsam an. Wir sollten uns nicht damit zufriedengeben, dass wir trotz der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise – ich darf an die Jahre 2008 und 2009 erinnern – heute mit fast 43 Millionen Beschäftigten in Deutschland eine gute Arbeitsmarktsituation haben. Gleichwohl stagniert die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit 2009 wie festbetoniert. Langzeitarbeitslose haben meistens mehrere Hemmnisse, die die Arbeitsaufnahme erschweren. Ich nenne hier die gesundheitlichen Einschränkungen, Suchtpro-bleme, Schulden und wenig gefestigte Familienstrukturen. Es gibt sicher mehrere Gründe. Für diese Menschen müssen wir eine individuelle Betreuung und Lösungen bieten. Auch wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern eine hervorragende Arbeit leisten, gibt es natürlich Verbesserungsbedarf, wie bereits genannt worden ist. Arbeitsmarktpolitische Instrumente müssen stetig angepasst und verbessert werden. Auch eine angemessene Kontaktdichte muss festgelegt werden. Das Profiling und die Gespräche in Jobcentern müssen individuell und einzelfallbezogen sein. Hier müssen finanzielle Mittel für effektive Programme eingesetzt werden. Ausschließlich höhere Ausgaben zu fordern, reicht eben nicht aus. Von Langzeitarbeitslosigkeit sind besonders Gering-qualifizierte, ältere Menschen, Alleinerziehende und -Behinderte betroffen. Insbesondere Bedarfsgemeinschaften mit Kindern haben ein erhöhtes Risiko, von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen zu sein. Unsere Aufgabe ist es, zu verhindern, was häufig für ganze Familien gilt: einmal Hartz IV, immer Hartz IV. Hier müssen die flankierenden Maßnahmen einsetzen, damit eine Arbeitsaufnahme nicht an mangelnder Kinderbetreuung scheitert. (Beifall des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU] – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht doch mal!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße deshalb das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“, mit dem insbesondere Langzeitarbeitslose in einer Bedarfsgemeinschaft mit Kindern besonders gefördert werden. Damit erhalten nicht nur die erwerblosen Eltern eine gezielte Förderung, sondern es dient auch dazu, das Vorleben von sogenannten Sozialhilfekarrieren weitestgehend zu reduzieren. In Ihrem Antrag fordern Sie von der Fraktion Die Linke die Errichtung eines auf Dauer angelegten öffentlich geförderten Arbeitsmarktes mit 200 000 Stellen. Öffentlich geförderte Beschäftigung und Arbeitsgelegenheiten halte ich für eine sinnvolle Idee für Menschen, die Alltagsstrukturen wieder neu erlernen und an den Arbeitsmarkt herangeführt werden müssen. Gleichwohl dürfen öffentliche Beschäftigung und Arbeitsgelegenheiten nicht in Konkurrenz und im Wettbewerb zu privaten Unternehmen stehen. Auch sollten Langzeitarbeitslose nicht dauerhaft in diese Programme verlagert werden. Bestehende Arbeitsplätze dürfen nicht durch öffentlich geförderte Beschäftigung verloren gehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Antrag der Linken beinhaltet viele Ideen. Einige, wie die Abschaffung der Sanktionen, haben wir schon wiederholt gehört. Und diesbezüglich werden wir wohl immer unterschiedlicher Auffassung sein. Mir bleibt aber die Frage der Finanzierung Ihres Fünf-Punkte-Programmes unbeantwortet. Dazu gehört auch die von Ihnen geforderte Entlohnung von 10 Euro pro Stunde, während der Mindestlohn in Deutschland bei 8,50 Euro liegt, wie wir alle wissen. Diese Erklärung bleiben Sie uns schuldig. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns gemeinsam der Langzeitarbeitslosigkeit annehmen. Das Konzept des Bundesministeriums ist ein erster, wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Das Fünf-Punkte-Programm der Linken überzeugt mich nicht. Deswegen lehne ich es ab. Ich bedanke mich recht herzlich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Fünf-Punkte-Programm zur Bekämpfung und Vermeidung von Langzeit-erwerbslosigkeit“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4967, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3146 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Das ist die Linke. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken angenommen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur Änderung der Klimaschutzziele im Bereich alter Kohlekraftwerke Wenn die Kolleginnen und Kollegen die Plätze eingenommen haben, können wir gleich mit der Debatte beginnen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in der Aktuellen Stunde hat Bärbel Höhn vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns sicher nicht in allen Punkten einig. Deswegen fange ich mit einem Punkt an, in dem wir uns, glaube ich, einig sind. Die Energiewende und der Klimaschutz sind Riesenprojekte, die absolut wichtig sind. Die Energiepolitik zum Beispiel ist die Basis für unsere Wirtschaft. Der Klimaschutz ist natürlich deshalb notwendig, weil das Klima die Basis unseres Lebens zerstören könnte, wenn wir nicht darauf achten. Bei so großen Projekten aber gilt: Wir brauchen Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Genau an dieser Planungssicherheit und Verlässlichkeit hat es in dieser Woche gefehlt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was da passiert ist, meine Damen und Herren, zeugte von jämmerlichem Eigeninteresse. Deswegen war diese Woche eine schwarze Woche für die Energiewende und eine schwarze Woche für den Klimaschutz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nehmen wir als Beispiel Bayerns Ministerpräsidenten Seehofer. (Matthäus Strebl [CDU/CSU]: Guter Mann!) – In den letzten Tagen und sonst auch oft war er kein „guter Mann“. Unter seinen Kapriolen hat mittlerweile ganz Deutschland zu leiden; das muss man so sagen. Bei der letzten Kapriole hat er sich nicht einmal getraut, selber zu reden, sondern er hat seine Wirtschaftsministerin vorgeschickt, die dann gesagt hat: Die Stromtrasse SuedLink soll lieber durch die Nachbarländer gehen. – Das ist unverantwortlich, und das ist unsolidarisch. Das ist eine Drückebergerstrategie, die wir so nicht durchgehen lassen dürfen; denn dann gefährden wir die gesamte Energiewende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Es gab auch ehrliche Versuche von Vizekanzler Gabriel, der mit der Klimaabgabe ein interessantes Instrument ins Spiel gebracht hat. (Sigmar Gabriel, Bundesminister: Finde ich auch!) – Ach, da ist er ja! Okay. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Er steht sogar auf der Rednerliste! – Klaus Mindrup [SPD]: Brauchst du eine neue Brille, oder was?) – Ich kann nicht wie die Pferde nach hinten gucken. Ich gucke meistens nach vorn. Die Klimaabgabe ist ein intelligentes Instrument – gar keine Frage –, vor allen Dingen, wenn es um alte Braunkohlenkraftwerke geht, die einen hohen Ausstoß an CO2 haben. Dagegen müssen wir etwas tun. Aber, Herr Minister Gabriel, dieser Vorschlag einer Klimaabgabe ist jeden Tag mehr geschreddert worden. Das Ende vom Lied ist, dass Braunkohlenkraftwerke weiterhin am Netz bleiben und weiter die Luft verschmutzen können. Man sieht: Diese Bundesregierung macht keine gute Klimapolitik. – Ich sehe gerade, dass Kollege Schulze sehr zustimmend nickt. Warum ist das passiert? Das ist passiert, weil gerade CDU/CSU-Kollegen, die Fuchsens, die Pfeiffers und Co., aber auch die Laschets aus Nordrhein-Westfalen, den Bundeswirtschaftsminister angegriffen haben, und zwar in einer Herzensangelegenheit der Sozialdemokraten. (Andreas Jung [CDU/CSU]: Und Frau Kraft?) Das war keine Herzensangelegenheit der CDU/CSU. Wenn Laschet jetzt versucht, der SPD die Wähler wegzuschnappen, indem er sich zum Oberkumpel der Braunkohlenkraftwerke macht, dann ist das populistisch und langfristig auch nicht gut. Das ist einfach nur zu kritisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und wer hat zu dem ganzen Thema geschwiegen? Das war die Kanzlerin. Vorher hat sie den Plan zur Klimaabgabe abgesegnet, aber am Ende macht sie den Mund nicht auf und hebt auch nicht den Finger. Das darf nicht sein. Immerhin war diese Kanzlerin einmal Umweltministerin, sie war die sogenannte Klimaqueen, aber davon ist nichts übrig geblieben. Ein solches Vorgehen ist einer Regierung nicht würdig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dabei hat die Woche gar nicht so schlecht begonnen. Der Petersberger Klimadialog fand statt, und Dialog ist immer gut. Aber beim Klimaschutz nützt es nichts, wenn man nur darüber spricht. Am Ende nützt es dem Klimaschutz nur, wenn CO2 reduziert wird. Hier leistet die Bundesregierung zu wenig. Wir wollen mehr sehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Warum wollen wir hier mehr sehen? Wir wollen mehr sehen, weil wir uns ein großes Ziel gesetzt haben: 40 Prozent weniger CO2 bis 2020 in Deutschland. Das ist wichtig; denn es geht um die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung im internationalen Kontext. Wenn Deutschland die Klimaziele nicht erreicht, dann werden ganz viele andere Länder sagen: Ja, dann brauchen wir auch nicht mehr so viel zu tun. Unsere Glaubwürdigkeit ist unglaublich viel Geld wert. Zwei in dieser Bundesregierung wissen das: Das sind die Kanzlerin und der Vizekanzler, beide waren nämlich mal Umweltminister. Deshalb appelliere ich an Sie: Sorgen Sie dafür, dass Technologie entwickelt wird, die in die Zukunft weist, die CO2 reduziert, die erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Elektromobilität nach vorne bringt. Das sind die Produkte, die auf der Welt nachgefragt werden. Das sind die Produkte, die Arbeitsplätze schaffen. Sagen Sie den Menschen in den Braunkohlegebieten die Wahrheit, nämlich dass Braunkohle nicht die Zukunft ist. (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Seien Sie mutig, und machen Sie langfristige Politik! Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Andreas Lenz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin bereits gestern auf den bayerischen Vorschlag in Bezug auf die Energiewende ausführlich eingegangen. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine Lachnummer!) Es war zwar gestern nicht Thema, und es ist auch heute nicht Thema, aber ich möchte betonen, dass aus bayerischer Sicht ein konstruktiver, lösungsorientierter Vorschlag vorliegt, der zu einer Lösung des Problems führen wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Lenz! Das kann man höchstens einmal als Witz machen! Also hören Sie!) Man muss sich die Stellungnahme zum Netzentwicklungsplan in Gänze anschauen. Darin sind Vorschläge zur Erdverkabelung, zur Nutzung bestehender Trassen usw. enthalten. Frau Höhn sagte bereits, dass das Thema wichtig ist. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, deshalb muss man auch in der gesamten Bandbreite darüber sprechen, seine Tragweite erkennen und verantwortlich darüber diskutieren. 2015 ist ein wichtiges Jahr für den Klimaschutz; Sie erwähnten es ebenfalls. Im Dezember findet der Weltklimagipfel in Paris statt. Ziel ist es, ein international verbindliches Abkommen zu erreichen. Ebenso finden die Konferenz für die so wichtigen globalen nachhaltigen Entwicklungsziele in New York sowie der G-7-Gipfel auf Schloss Elmau im schönen Oberbayern statt. Bei all diesen Konferenzen geht es auch und gerade um den Klimaschutz. Allein die Anzahl der internationalen Konferenzen zeigt: Klimaschutz kann nur international funktionieren, oder, wie es Angela Merkel beim Petersberger Klimadialog sagte: Klimaschutzanstrengungen fallen leichter, wenn wir wissen, dass die Partner in der Welt das gleiche Ziel verfolgen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie tun nur nichts dafür! Das ist das Problem!) Aber auch national müssen wir Anstrengungen unternehmen, und dies tun wir. Wir stehen zu unserem nationalen Klimaschutzziel von 40 Prozent CO2-Minderung bis 2020. Alles andere wäre ein falsches Signal an unsere Partnerländer und würde an unserer Glaubwürdigkeit zweifeln lassen. Wir stehen also ausdrücklich zu den nationalen und europäischen Klimaschutzzielen, und dazu muss auch der Strombereich einen Beitrag leisten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt es!) – Dem Klima, Herr Krischer, ist es allerdings egal, in welchem Bereich die CO2-Einsparungen erfolgen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es doch gerade gesagt, im Strombereich!) und dem Klima hilft es auch nichts, wenn die deutsche CO2-Bilanz aufgebessert wird und sich im Gegenzug die der europäischen Nachbarn verschlechtert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das wäre nämlich bei den derzeitigen Vorschlägen jedenfalls teilweise der Fall. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Quatsch! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso das denn?) Deswegen sind diese Vorschläge nicht automatisch zu verwerfen, aber man muss sich dieser Wahrheit schon stellen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Wahrheit! Dann erklären Sie die Wahrheit mal, wenn das die Wahrheit ist!) Eine klug aufgestellte Kapazitätsreserve kann dabei zur CO2-Minderung beitragen. Das Ziel der Versorgungs-sicherheit kann so mit dem Ziel der CO2-Minderung kombiniert werden. In Süddeutschland sind hierfür auch langfristig besonders effiziente sowie umweltverträgliche Gaskraftwerksblöcke unerlässlich. Dabei brauchen wir natürlich auch weitere Ideen, wie CO2-Einsparpotenziale genutzt werden können. So kann beispielsweise auch die Kraft-Wärme-Kopplung einen noch stärkeren Beitrag zur CO2-Einsparung leisten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber die will Sigmar Gabriel gerade reduzieren!) Natürlich kostet das auch Geld, aber es macht eben auch Sinn. Gerade dem Wärmebereich müssen wir hinsichtlich der CO2-Diskussion einen höheren Stellenwert einräumen. In der EU haben wir bereits ein Emissionshandelssystem. Wir alle wissen, dass dieses momentan nicht die notwendigen CO2-Einsparziele erreicht. Wir schieben hier sozusagen immer noch den Überschuss an Zertifikaten, der aus der Finanz- und Wirtschaftskrise entstanden ist, vor uns her. Anfang Mai konnte mit der Einigung zur Marktstabilitätsreserve ein erster Erfolg erzielt werden. Durch das sogenannte Backloading werden CO2-Zertifikate vorübergehend vom Markt genommen. So entsteht wieder ein wirkungsvoller Anreiz, CO2-Emissionen zu senken. Je früher also die Marktstabilitätsreserve kommt, desto besser. Ich habe es angesprochen: Es ist auch wichtig, auf internationaler Ebene voranzukommen. Natürlich muss Deutschland Vorbild sein, aber auch große Emittenten wie die USA oder China müssen ihrer Verantwortung in der Welt gerecht werden. So emittiert China an einem Tag 29 Millionen Tonnen CO2 – wohlgemerkt: an einem Tag! Wir sprechen in Deutschland von 22 Millionen Tonnen im Jahr. Hoffnung macht allerdings, dass China angekündigt hat, ab 2016 ein Emissionshandelssystem einzurichten. Wir werden auch weiterhin die Schwellen- und Entwicklungsländer beim Kampf gegen den Klimawandel unterstützen. Deutschland hat seine Ausgaben für den internationalen Klimaschutz seit 2005 auf gut 2 Milliarden Euro im Jahr 2013 vervierfacht. Die Dekarbonisierung, eine kohlenstoffarme Gesellschaft ist und bleibt ein Megathema, auch im Sinne der Ressourcenschonung und Ressourcensicherung. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. – Klimaschutz gelingt allerdings nur gemeinsam, national wie international. Schauen wir also gemeinsam, dass wir die nationalen und die internationalen Ziele erreichen! Herzlichen Dank und schöne Pfingsten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Eva Bulling-Schröter von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, Ende März haben wir schon gestaunt, als aus Ihrem Hause der Vorschlag für einen Klimabeitrag der ältesten Kohlekraftwerke in den Büros eintrudelte. Wir haben dazu gesagt: intelligenter Vorschlag, findet unsere Anerkennung, auch wenn wir – das wissen Sie ja – den gleichzeitigen Beschnitt bei der KWK nicht akzeptiert haben. Dann haben wir in den Büros Wetten abgeschlossen, wie lange Herr Gabriel durchhalten wird. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Klaus Mindrup [SPD]: Illegales Glücksspiel bei den Linken! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sind ja Zocker!) Fast acht Wochen hat er durchgehalten gegen den Widerstand aus der CDU/CSU, seiner SPD und der IG BCE. Herr Gabriel, Sie haben den Fehler gemacht, der Kohleindustrie genau das abzuverlangen, was sie dem Klima schuldet, nicht mehr und auch nicht weniger. Im Kompromiss innerhalb der Koalition wird das dann plattgemacht, und es kommt am Ende nichts dabei heraus. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Abwarten!) Nach acht Wochen ist der Minister nun eingeknickt, er hat seinem schönen Instrument die nordrhein-westfälischen Zähne gezogen. RWE und Eon sagen Danke schön. Es geht hier und heute darum, wie lange die großen Energiekonzerne noch durchgefüttert werden sollen. Wir wissen es: Irgendwann verabschieden sie sich dann geschickt aus der Verantwortung und hinterlassen uns verwüstete Landschaften und verockerte Flüsse. All das müssen am Ende die Menschen zahlen, noch Generationen nach uns; es wird bereits diskutiert. Da sagen wir: Das machen wir nicht mit. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dieses kurzsichtige Handeln, meine Damen und Herren Kohlelobbyisten, bezahlen Ihre und unsere Kinder und Enkel; sie werden die Kosten der Renaturierung, der Entgiftung von Trinkwasser und vor allem die Folgen des Klimawandels tragen. Das dürfen wir einfach nicht zulassen! (Beifall bei der LINKEN) Jetzt zum Klimabeitrag. Der nun vorgelegte Minibeitrag ist um ein Viertel geschrumpft; dafür wird bei der Kraft-Wärme-Kopplung etwas draufgelegt: 1,5 Milliarden Euro statt 1 Milliarde Euro jährlich. Ob das genügt, um die KWK aus der Agonie zu holen, wissen wir noch nicht, auch nicht, ob mit der KWK der Beschnitt des Klimabeitrags wettgemacht werden kann; denn das funktioniert nur, wenn alte, mit Steinkohle befeuerte Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen durch neue Gas-KWK ersetzt werden. Das wäre zu hoffen, ist aber höchst optimistisch gerechnet, sage ich mal, und in der derzeitigen Marktsituation total unsicher. Damit sind auch die 4 Millionen Tonnen CO2-Einsparung, die dadurch erreicht werden sollen, momentan reine Spekulation. Der Verkehrsbereich soll weitere 2 Millionen Tonnen auffangen, 1 Million im Schienenverkehr, 1 Million durch Elektro-Lkws. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die es nicht gibt!) Wir wissen noch nicht, wie das bis 2020 zu schaffen ist; die Koalition weiß es auch nicht. Das sind also wirkliche Luftbuchungen. Jetzt stehen wir wahrscheinlich wieder vor der Diskussion über die Klimaschutzlücke, wie wir das 40-Prozent-Ziel erreichen wollen mit dem nun aufgeweichten Klimaschutzbeitrag, der die Stromwirtschaft erst recht ausnimmt. Ausdrücklicher noch als zuvor will die Bundesregierung nun auch Stilllegungen von uralten Kohlemeilern vermeiden. Ich frage Sie: Bis wann soll das dann eigentlich passieren? Sogar das RWE-Kraftwerk Weisweiler Block E von 1965 – wird jetzt 50 Jahre alt – und Block F von 1967 – wird in zwei Jahren 50 Jahre alt – wollen Sie am Tropf halten, indem Sie den Transport von Kohle über 150 Kilometer belohnen. Da sagen wir: Das ist wirklich Unfug. (Beifall bei der LINKEN) Die Menschen, die von dem notwendigen Strukturwandel in den Kohleregionen betroffen sind, hätten von vornherein besser abgeholt werden müssen. Ich sage mal, das hat auch die SPD versäumt. Deshalb ist der Widerstand nun auch so groß. Der Wandel muss aber beschleunigt werden; das ist klar. Ich denke, da muss noch wesentlich mehr getan werden. Wir reden zwar schon; bloß, es braucht jetzt auch Handlungen. Die Braunkohlenindustrie muss endlich einen angemessenen Beitrag zum Klimaschutz leisten. (Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Hat sie schon!) Es gibt eine Studie des Wirtschaftsministeriums, die von Ihnen immer noch zurückgehalten wird; diese hätten wir gerne. Darin steht, dass im Bereich der erneuerbaren Energien 230 000 Arbeitsplätze neu geschaffen werden können. Das ist in etwa so viel, wie seit 1990 im Braun- und Steinkohlentagebau weggefallen sind. Es gibt also neue Chancen. Zum Schluss komme ich noch zur KWK. Die Leute wollen wissen, wann das KWK-Gesetz kommt. Auch hier geht es um Arbeitsplätze, und es geht um die Stadtwerke. Ich muss das jetzt nicht durchdeklinieren. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Sie, liebe Frau Kollegin, müssen zum Schluss kommen. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Und wenn ich jetzt höre, dass die CDU die Kohle an die KWK binden will, muss ich sagen: Das finde ich vollkommen irrsinnig. Hier muss schnellstens etwas getan werden. Diese offensichtliche Bindung der beiden muss aufgehoben werden. Die KWK ist wichtig, und hier muss auch etwas getan werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Bernd Westphal von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Energiewende ist das Megaprojekt – global, aber vor allem auch national. Deutschland steht dabei im Fokus der Betrachtung. Wir haben die große Chance, unseren Industriestandort zu modernisieren. Es ist dem Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu verdanken, dass wir die Energiewende vom Kopf auf die Füße gestellt haben. Mit der 10-Punkte-Energie-Agenda haben wir eine gute Basis für ein strukturiertes Vorgehen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach einem Jahr ist nichts passiert!) Klar ist aber auch, dass das energiepolitische Zieldreieck aus Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Bezahlbarkeit gleichberechtigt gilt. Mit den nationalen Klimaschutzzielen haben wir uns als größte Volkswirtschaft Europas mit dem höchsten Energieanteil sehr ehrgeizige Ziele gesetzt. Die Treibhausgasemissionen sollen bis 2020 national um 40 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Das ist zehn Jahre früher als in der gesamten Europäischen Union. Fakt ist: Alle Sektoren müssen ihren Beitrag leisten. Das gilt für die Landwirtschaft, für die privaten Haushalte, für die Industrie, für das Gewerbe, für den Handel, für den Verkehr und natürlich auch für die Stromerzeugung. Deren Anteil hat übrigens dazu beigetragen, dass wir heute dort stehen, wo wir sind. Das ist ein erheblicher Beitrag der Braunkohlenindustrie auch in diesem Bereich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Hätten wir CCS, dann wären wir in diesem Bereich schon viel weiter. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du lieber Gott!) In unserem Land steigt jedoch der Bedarf an fossiler Energie. Das liegt an dem früheren Abschalten einiger Kernkraftwerke. Dies führt aufgrund der notwendigen CO2-Reduzierung zu einer verschärften Umsetzungsproblematik für die Betreiber fossiler Kraftwerke. Der -Erhalt von sicheren Kraftwerkskapazitäten bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Kernenergie und aus der Braunkohle ist mit hohen Risiken verbunden. Die Braunkohle ist Garant für Versorgungssicherung und Preisstabilität. Deshalb ist das kurzfristig nicht zu realisieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Trotz aller Schwierigkeiten werden wir in Deutschland die Reduktion bis 2020 sichern. Dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass wir das natürlich nicht mit Scheuklappen machen dürfen. Wir dürfen jetzt nicht im Affekt handeln und unüberlegte Dinge tun, die weiterführende Folgen haben. Deswegen nehmen wir die aktuellen Sorgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Bergbau- und Energiewirtschaft sehr ernst, und wir haben uns immer offen für den Dialog gezeigt. Wir müssen bei unserem Handeln immer die Auswirkungen auf Energiepreise und auf Arbeitsplätze im Auge behalten. Das nennen wir bei der SPD „soziale Verantwortung“. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Sie an anderer Stelle aber nicht!) Ebenso müssen Kapazitäten für die Stromerzeugung und -verteilung jederzeit zur Verfügung stehen. Engpässe kann sich Deutschland als Industriestandort nicht leisten. Wenn wir die Industrie, das Handwerk, den Handel und das Gewerbe aus dem Land treiben, dann wird das für das Klima nichts bringen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die erneuerbaren Energien!) Wichtig ist, dass wir auch weiterhin Vorreiter bei der Energiewende und Technologieführer bleiben. Nur so können wir anderen Ländern als Vorbild dienen. Die Energiewende wird aber nur dann als gutes Beispiel taugen und global Nachahmer finden, wenn wir unsere Industrie und den Mittelstand, die für Wertschöpfung sorgen und Arbeits- und Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, nicht verlieren. Auch Strukturbrüche in den Braunkohlenrevieren müssen wir verhindern. Hier geht es um Strukturwandel ohne sozialen Kahlschlag. Mit dem Kabinettsbeschluss am 3. Dezember letzten Jahres wurde der Fahrplan für das weitere Vorgehen bei der CO2-Reduzierung beschlossen. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bremsladen!) Damit sollen die Klimaschutzziele erreicht werden. Ich bin mir sicher, dass die Gespräche des Wirtschaftsministers mit allen Akteuren, die in den letzten Wochen sehr intensiv geführt worden sind, auch zielführend waren. Erste Modelle liegen auf dem Tisch. Diese werden wir genau überprüfen. Dazu gehört aber auch Offenheit für neue Technologien, eine Offenheit für technische Intelligenz, zum Beispiel im Hinblick auf die Steuerung von Gebäudeheizungen oder -kühlungen, mehr KWK, mehr Mobilität oder den Einsatz von CO2 als Rohstoff bei der Herstellung von Methan. All das sind neue Technologien, die man nutzen kann, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. Das Verknüpfen von Einsparungen beim Energieverbrauch, der Erhalt von sicheren Kraftwerkskapazitäten und der Ausbau der erneuerbaren Energien sind für das Gelingen der Energiewende von entscheidender Bedeutung. Wir werden uns weiterhin für das Erreichen der Klimaschutzziele einsetzen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit der Braunkohle!) Dabei geht es nicht um Kohleausstieg, sondern um die Reduzierung der CO2-Emissionen. Herr Minister, Sie können auf dem von mir beschriebenen Weg mit unserer Unterstützung rechnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Andreas Jung von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) Andreas Jung (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Bärbel Höhn, wir alle sind beim Klimaschutz und bei der Energiewende mit Herzblut und Emotionen bei der Sache. Da das so ist, kann man im Eifer des Gefechts auch mal wesentliche Tatsachen übersehen, ob es ein Minister auf der Regierungsbank ist (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist aber sonst übersehbar eigentlich! – Sigmar Gabriel, Bundesminister: Er hat gesagt, das ist eine wesentliche Tatsache! – Heiterkeit) – das war die charmante Formulierung, die mir dazu eingefallen ist – oder aber ganz eindeutige Äußerungen der Bundeskanzlerin im Klimadialog in dieser Woche. Diese Äußerungen sind mindestens so unübersehbar wie Sigmar Gabriel auf der Regierungsbank. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat sie denn zum Kohlebeitrag gesagt?) Deshalb will ich hier einfach erwähnen, was sie am 19. Mai, am Dienstag dieser Woche, beim Petersberger Klimadialog gesagt hat, zu dem die Bundesregierung eingeladen hatte. Die Kanzlerin hat sich glasklar zu dem nationalen Ziel Deutschlands bekannt, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nichts zur Kohle gesagt! Das ist doch der Knackpunkt!) Sie hat gesagt, wir hätten den Ehrgeiz, das zu erreichen. Sie hat zweitens gesagt, um das zu erreichen, habe die Bundesregierung ein Aktionsprogramm vorgelegt. In diesem Aktionsprogramm – so die Bundeskanzlerin – seien zusätzliche Maßnahmen in den Bereichen Verkehr, Gebäude, Stromerzeugung – dazu gehört die Kohle –, Industrie sowie Abfall- und Landwirtschaft mit konkreten Minderungsbeiträgen enthalten. Das hat sie eindeutig gesagt. Sie hat dazu gesagt, dass wir noch darum ringen, aber mit Hochdruck – so ihre Worte – an der Umsetzung arbeiten, da wir noch nicht am Ziel seien. Darum geht es: Wir sind im Moment noch nicht am Ende der Debatte. Sie kommentieren einen Zwischenstand, der gar nicht vorliegt. Ich lade uns alle dazu ein, uns mit Vehemenz dafür einzusetzen, dass dieses Aktionsprogramm umgesetzt wird, um mit den Maßnahmen die Klimaschutzziele zu erreichen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wüsste ich mal gerne, was die Kanzlerin konkret will!) Darum ringen wir; die Unionsfraktion und die Koalition stehen dahinter. Darum geht es. Deshalb will ich Ihre Kritik zurückweisen. Es gab eine klare Stellungnahme. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht denn die Union? Sprechen Sie jetzt oder Herr Fuchs? Wer ist es?) Ich will auch sagen, dass sie in diesem Kontext auch die EU-Ziele angesprochen hat und ganz ausdrücklich gesagt hat, dass das, was beschlossen wurde, nämlich die Reduktion der Treibhausgasemissionen um mindestens 40 Prozent bis 2020, eben gerade offenlasse, ob man über die 40 Prozent hinausgehe. Sie hat da auf das – Zitat – „Wörtchen ‚mindestens‘“ hingewiesen. Diese Dynamik brauchen wir auch in diesem Jahr. Sie hat auch den Emissionshandel angesprochen und hat sich klar zu seiner Reformbedürftigkeit bekannt, hat sich für eine weltweite Transformation zu einer kohlenstofffreien Wirtschaft ausgesprochen und hat bei alldem die Vorreiterrolle der Bundesrepublik Deutschland unterstrichen. Insofern bitte ich darum, dass wir bei allem, was wir diskutieren, die Fortschritte zur Kenntnis nehmen. Diese Fortschritte gibt es etwa im Bereich der Klimafinanzierung. Auch da hat die Regierung sich klar zu den Verabredungen von Kopenhagen bekannt, die weitgehend sind. Sie beinhalten, dass 100 Milliarden US-Dollar aus öffentlichen und privaten Quellen für die Klimafinanzierung international zur Verfügung gestellt werden müssen. (Beifall des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) Die Bundeskanzlerin hat am Dienstag angekündigt, dass Deutschland den Beitrag, der seit 2005 schon vervierfacht wurde, bis 2020 verdoppeln will. Das sind klare Worte. Das sind die Taten, auf die Sie hingewiesen haben, und da liefert die Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das alles sind Schritte, die wir in diesem Jahr gehen. Wir wissen, dass 2015 ein wichtiges Jahr für Nachhaltigkeit und für Klimaschutz ist. Alles ist ausgerichtet auf die Klimakonferenz in Paris Ende des Jahres. Bis dahin müssen die Ergebnisse vorliegen; darauf richten sich unsere Anstrengungen. Ich lade Sie dazu ein, dann die Ergebnisse zu kommentieren. Unser Ansporn ist es, hier Fortschritte zu erreichen. Das 40-Prozent-Ziel muss erreicht werden. Wir haben das Aktionsprogramm, und wir arbeiten an der Minderung des CO2-Ausstoßes bei der Stromerzeugung; dazu gehört auch der Klimabeitrag der Braunkohle. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Harald Petzold von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! Die Linke steht genauso wie die Grünen, die die heutige Aktuelle Stunde beantragt haben, für mehr Klimaschutz. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht überall!) Das kann ich auch aus Brandenburger Sicht mit Fug und Recht sagen. Denn wir haben uns nicht nur aufgrund unseres Anspruchs, im Klimaschutz weiter voranzukommen, in Brandenburg für eine wirkliche Energiewende eingesetzt. Seit wir dort an der Regierung beteiligt sind, seit 2009, ist es tatsächlich auch gelungen, neue Akzente, neue Schwerpunkte zu setzen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Welche? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Neuer Braunkohlentagebau!) Brandenburg hat in der Energiestrategie den Hauptschwerpunkt eindeutig auf den vorrangigen Ausbau der erneuerbaren Energien gesetzt und ist seit 2009 dreimal hintereinander – zumindest die SPD-Kollegen müssten jetzt mitklatschen – mit dem Leitstern für das Bundesland ausgezeichnet worden, (Klaus Mindrup [SPD]: Das ist korrekt!) das den Ausbau der erneuerbaren Energien am weitesten vorangebracht hat. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist ein Fakt, der sich nicht wegdiskutieren lässt und der deutlich macht, dass Klimaschutz bei uns in Brandenburg großgeschrieben wird. Zweiter Schwerpunkt der Energiestrategie sind Energieeinsparung und Energieeffizienz. Auch da müssten die Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zumindest die aus Brandenburg, mitklatschen, weil damit sehr wichtige Modellprojekte auf den Weg gebracht worden sind. Ich erinnere an Forst, wo es den Versuch gab, mit intelligenten Stromzählermodellen ein neues Verbraucherverhalten anzureizen und auf Energieeinsparung und effizienteren Umgang zu setzen. (Christian Haase [CDU/CSU]: Die klatschen gar nicht!) Der dritte Schwerpunkt ist die Energiespeicherung. Auch da müssten die Kolleginnen und Kollegen von der SPD mitklatschen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir entscheiden -immer noch selbst, wann wir klatschen!) Ich erinnere an „Power to Gas“ und an die Bemühungen der Gemeinde Feldheim um Unabhängigkeit in der Energieversorgung. All das ist in Brandenburg auf den Weg gebracht worden. Ein weiteres Stichwort lautet „Mobilitätswandel“. Und es gibt regionale Energiekonzepte, die vor allen Dingen darauf setzen, Potenziale in den Regionen zu ermitteln, Reserven im Ausbau der erneuerbaren Energien zu erschließen und insbesondere Menschen mitzunehmen auf dem Weg der Energiewende. (Beifall bei der LINKEN) Damit bin ich bei dem, worum es heute auch gehen soll, nämlich bei den Vorschlägen, die Herr Wirtschaftsminister Gabriel gemacht hat. Der Kollege Westphal hat hier gesagt, die Energiepolitik sei wieder vom Kopf auf die Füße gestellt worden, und er hat dann das strategische Dreieck zitiert. Wir sind der Auffassung, dass mindestens von einem strategischen Viereck geredet werden muss. Wenn wir nämlich Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit haben wollen, dann werden wir auch Akzeptanz in der Bevölkerung haben müssen. Deswegen kann ich alle nur warnen, diesen wichtigen Punkt zu übersehen. (Beifall bei der LINKEN) Die Art, wie der Wirtschaftsminister seine Vorschläge in die Öffentlichkeit gebracht hat – ich habe mich von Anfang an gefragt, ob er das tatsächlich zumindest mit seinen SPD-Ministerpräsidenten vorher besprochen hat –, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hat er nicht!) macht deutlich, dass wir mit dem Gegenstand Klimaschutz auf der einen Seite und den Sorgen und Existenzängsten der Menschen auf der anderen Seite, egal ob in Nordrhein-Westfalen oder in der brandenburgischen Lausitz, nicht verantwortungsvoll umgehen. Denn mit einer solchen Politik – erst einen Versuchsballon starten lassen, die Lippen spitzen und dann nicht pfeifen, alles schrittweise wieder zurücknehmen und im Endeffekt deutlich machen, dass es eigentlich wieder nur darum geht, Wirtschaftsinteressen zu bedienen – treiben Sie sowohl die Gegner als auch die Befürworter der Kohlekraftwerke in Scharen auf die Straße. Wir müssen uns nicht wundern, wenn bei denen der Eindruck entsteht, dass das eine gegen das andere politisch durchgesetzt werden soll. Das ist keine verantwortungsvolle Energiepolitik. (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was wollen Sie? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Braunkohle und Umweltschutz?) Deswegen sagen wir als Linke: Wir setzen uns dafür ein, dass nicht so ein Flickwerk betrieben wird. Unser sinnvoller Alternativvorschlag ist ein präziser und gestalteter Abschaltplan, ist ein nationales Kohleausstiegsgesetz, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und Fünfjahresplan!) durch das sowohl die Regionen und ihre Einwohnerinnen und Einwohner als auch die Unternehmen und Beschäftigten die benötigte Planungssicherheit bekommen und in den nächsten Jahren bis 2040 tatsächlich das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen kann. (Beifall bei der LINKEN) Das wäre eine klare Alternative zu dem Tohuwabohu, das die Bundesregierung im Moment anbietet. Dafür steht die Linke. Ich denke, das wäre ein guter Beitrag zum Klimaschutz. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Für die Bundesregierung hat jetzt der Bundesminister Sigmar Gabriel das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber der Redebeitrag von Herrn Petzold meinte das präzise Gegenteil von dem, was Frau Bulling-Schröter vorher für die Linke gesagt hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!) Frau Bulling-Schröter hat gesagt: Ihr macht viel zu wenig Klimaschutz, ihr müsst viel mehr Braunkohlenkraftwerke abschalten. (Zuruf des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) – Herr Petzold, ich kenne Ihre Positionen vor Ort. Vor Ort in der Lausitz und in Brandenburg sind Sie vorneweg beim Kampf für den Erhalt des Braunkohlentagebaus, (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Quatsch!) übrigens aus meiner Sicht aus nachvollziehbaren Gründen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Mutig, jetzt Lügen zu erzählen, wenn man nicht mehr reagieren kann!) – Ich kann nichts dafür, dass Sie vor mir reden. Sie können gerne nach mir reden. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Natürlich können Sie etwas dafür!) Sie können hier jede Frage an mich stellen. Ich unterbreche meine Rede sofort. Ich komme zu Ihnen in den Ausschuss, wo auch immer Sie mit mir diskutieren wollen. Aber ich kann nicht zulassen, dass Sie immer mit doppelter Zunge sprechen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Da finde ich die Positionen der Grünen wesentlich konsequenter und klarer. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht richtiger!) Bei Ihnen ist es so, dass Sie vor Ort immer erklären, dass viel zu viel Klimaschutz betrieben wird, und sich hier im Bundestag Frau Bulling-Schröter hinstellt und sagt: Es muss viel mehr passieren. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo er recht hat, hat er recht!) Zweitens wollte ich auf ein paar Sachverhalte hinweisen. (Zurufe von der LINKEN) – Nun laden Sie mich doch ein. Wenn Sie mit mir debattieren wollen, komme ich herzlich gern. Denn ich halte etwas von Volksaufklärung und bin gegen Volksverdummung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) – Ich kann schon verstehen, warum Sie unruhig werden. Die Frage der Grünen bezieht sich auf die Haltung der Bundesregierung zur Änderung der Klimaschutzziele im Bereich der alten Kohlekraftwerke. Die Antwort lautet: Die Haltung hat sich nicht geändert. Es gibt einen Beschluss des Kabinetts vom 3. Dezember 2014, der klar besagt, was wir zusätzlich machen müssen – unter anderem ein Beitrag aus der Stromwirtschaft, 22 Millionen Tonnen CO2 einzusparen –, damit wir das nationale Klimaschutzziel 2020 erreichen. Jetzt gibt es dazu drei Vorschläge. Den ersten haben Sie zitiert. Das ist der Vorschlag unseres Hauses zur Einführung eines Klimabeitrags. Es ist überhaupt nicht so, dass sich der Klimabeitrag geändert hat. Einer der Kritikpunkte war, die prognostizierten Strompreise seien zu hoch und deswegen sei der Klimabeitrag zu hoch. Da haben wir gesagt: Das ist doch ganz einfach: wenn, dann. Wenn die Strompreise niedrig sind, kann der Klimabeitrag sinken, steigen die Strompreise, steigt der Klimabeitrag. Das ist ganz logisch. Es gibt überhaupt keine Änderung des Vorschlags. Es gibt einen zweiten Vorschlag. Wer übrigens glaubt, der Vorschlag habe zum Inhalt, dass Braunkohlenkraftwerke abgeschaltet werden sollen, der lobt zwar den Vorschlag, hat ihn aber nicht gelesen. Genau das ist ja der Streit zwischen den Unternehmen, den Gewerkschaften und uns. Die Unternehmen sagen: Euer Vorschlag führt zu einer Zwangsstilllegung von Braunkohlenkraftwerken. Wir sagen: Das stimmt gar nicht. Wir wollen nur in der Merit Order alte ineffiziente Braunkohlenkraftwerke hinter moderne Steinkohlenkraftwerke schieben und damit etwas weniger laufen lassen. Das ist eigentlich der Vorschlag. Wir wollen gar nicht abschalten. Dazu sagen aber die Unternehmen: Das führt zu einer Zwangsabschaltung. Das hat sofort Arbeitsplatzverluste und Strukturabbrüche zur Folge und keinen Strukturwandel. Ich habe die Debattenbeiträge von Frau Höhn und von Herrn Krischer immer so verstanden, dass sie wissen, dass man Strukturwandel begleiten muss. Ich habe die Grünen nie so verstanden, dass ihnen dieses Argument egal ist. Ich finde, es ist doch ganz logisch, dass man dem Argument nachgehen muss. Man kann nicht einfach dickfellig sagen: „Jetzt haben wir einen Vorschlag gemacht, unsere Gutachter sagen, dass das alles kein Problem ist“, und wenn die Unternehmen und die Gewerkschaften sagen: „Doch, das ist ein Riesenpro-blem“, antworten, dass uns das nicht interessiert. Vielmehr müssen wir diesem Argument der Unternehmen und der Gewerkschaften nachgehen. Das geht doch gar nicht anders. Das machen wir auch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt zwei Alternativvorschläge dazu. Der erste Vorschlag ist – das wird auch von Ihnen vertreten –, die Kraft-Wärme-Kopplung kräftig auszubauen; das sei effizient und gut. Dabei gibt es ein Problem: Der Zubau neuer Kraftwerke auf einem Markt mit Überkapazitäten führt nicht zur CO2-Reduktion. Es führt vielmehr zu dessen Anstieg und zu einer Zunahme der Stromexporte. Das ist das Problem bei diesem Vorschlag. Deswegen sind wir dafür, das anders zu machen: Wir wollen alte und ineffiziente Steinkohlen-KWK-Kraftwerke stilllegen und stattdessen moderne Gas-KWK-Kraftwerke bauen. Das wollen wir bezuschussen. Das führt übrigens zu deutlich höheren KWK-Umlagen. Das wird uns allen wiederbegegnen, wenn uns der Mittelstand fragt, warum die Abgaben steigen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb muss man nicht die Braunkohle rausholen!) – Dazu komme ich gleich. Ich will nicht weg von der Braunkohle. So einfach will ich es Ihnen nicht machen, Herr Krischer, dass ich dazu nichts sage. Was KWK angeht, muss man wissen, dass man auf einem Markt mit Überkapazitäten nicht einfach weitere Kraftwerke bauen kann, sondern es geht um die Still-legung alter Steinkohlen-KWK-Kraftwerke. Sie haben, glaube ich, gesagt, Sie glauben nicht, dass das möglich ist. Fahren Sie doch einmal nach Kiel! Das ist das beste Beispiel dafür. Das Modell Kiel steht dafür Pate. Das geht nicht unbegrenzt. Ich glaube, dass wir damit mindestens 4 Millionen Tonnen CO2 einsparen können. Damit wird die Steinkohle einen nicht unerheblichen Beitrag leisten. Ich glaube, dass das sinnvoll ist. Darüber hinaus wird es, glaube ich, schwierig. Die industrielle KWK kann man sicherlich auch noch ausbauen. Es ist nicht so, dass man gar nichts machen kann. Sie haben die Stadtwerke angesprochen, Frau Bulling-Schröter. Was wollen wir machen, um die Stadtwerke zu retten? Ich habe es schon zweimal gesagt: Wir wollen den Bestand an KWK fördern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das haben wir in den Papieren und Vorschlägen festgehalten. Eine Bestandsförderung gibt es nämlich bisher nicht. Wir wollen gasbetriebene KWK fördern. Deswegen haben die Stadtwerke unseren Vorschlag gelobt. Genau deswegen haben sie ihn als guten Vorschlag bezeichnet. Jetzt komme ich zu dem dritten Teil des Alternativvorschlags, der lautet – ich übersetze das einmal –: Verzichtet auf den Klimabeitrag! Legt die Braunkohlekraftwerke schrittweise still! Das ist eigentlich das, was die Grünen immer wollten. Wir werden sehen, ob das möglich ist. Ich kann das noch nicht beantworten. Festzustellen ist aber: Am 24. November des vergangenen Jahres habe ich die EVUs, auch den BDEW, eingeladen. Ich habe ihnen mitgeteilt, dass wir ein Problem haben und 22 Millionen Tonnen zusätzlich einsparen müssen, und ein Gespräch über mögliche Maßnahmen vorgeschlagen. Die Antwort der EVUs, an der Spitze der BDEW, war: Wir wollen nicht mit Ihnen darüber reden. – Es gab eine Verweigerungshaltung der Branche. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Dann haben wir vorgeschlagen, dass sie Alternativen vorlegen, damit wir darüber reden können. Daraufhin ist monatelang nichts passiert. Jetzt liegt seit ungefähr einer Woche ein Alternativvorschlag vor, der von der Indus-triegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie vorgetragen wurde. Das halte ich für einen Riesenfortschritt. Übrigens war die IG BCE, anders als die Unternehmen, immer gesprächsbereit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist wirklich nicht fair, wie Sie von der Linkspartei manchmal über sie reden. Die IG BCE hat von Anfang an gesagt: „Wir haben Angst um die Jobs und vor Strukturbrüchen, aber wir wissen, dass wir das Klimaschutzziel erreichen müssen“ und vorgeschlagen, über Alternativen zu sprechen. (Dagmar Ziegler [SPD]: So ist es!) Vorhin haben Sie die Gewerkschaften verteidigt. Ich wäre an Ihrer Stelle ein bisschen vorsichtig und würde mich erst einmal fragen, ob die Reden von vor zwei Stunden noch mit dem übereinstimmen, was jetzt gesagt wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN) – Hören Sie auf! Ich bin wahrscheinlich schon länger in der IG Metall, als Sie zurückdenken können. Ich weiß, wovon ich rede, wenn ich über Gewerkschaften spreche. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich hätte zumindest zu dem Tarifeinheitsgesetz heute Morgen gerne etwas gesagt. Das erspare ich mir jetzt. (Zuruf von der LINKEN) – Nein, die IG Metall ist im Gegensatz zu Herrn Ernst für das Tarifeinheitsgesetz. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nur die Spitze, nicht die Basis!) Die IG BCE schlägt also vor, zu überlegen, wie wir zu einer schrittweisen Stilllegung von Kraftwerken kommen, damit die Last nicht auf allen Kraftwerken liegt. Das ist ihr Argument. Ich finde, wir müssen jetzt prüfen, ob das möglich ist. Aber es ist doch ein Riesenfortschritt, dass wir inzwischen nicht mehr über die Frage reden, ob wir das erreichen können, sondern dass alle sagen: Ja, wir müssen es erreichen. – Ich finde, das ist aller Ehren wert. Es ist nichts vom Tisch genommen worden, sondern Gott sei Dank etwas hinzugekommen. Mein Angebot ist: Lassen Sie uns im Ausschuss über diese Fragen reden und sie substanziell prüfen. Denn ich glaube, dass alle Vorschläge Vor- und Nachteile haben. Ich halte nach wie vor den bei uns entwickelten Vorschlag für den volkswirtschaftlich günstigsten. Ich glaube, dass die Vorschläge, die jetzt dazukommen, am Ende teurer werden. Aber wenn es mehr kostet, Strukturbrüche zu vermeiden und das gleiche Ziel zu erreichen, dann bin ich auch bereit, das mitzutragen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn alle der Meinung sind – Frau Höhn hat das auch gesagt –: Deutschland muss Initiative zeigen, damit andere mitmachen, dann ist dieses Argument richtig. Es geht schließlich nicht darum, ob wir mit 40 Prozent CO2-Einsparung die Welt retten, sondern darum, zu zeigen: Ambitionierter Klimaschutz ist mit dem volkswirtschaftlichen Wohl vereinbar. Ich glaube, es gehört auch dazu, dass man Strukturbrüche vermeiden muss. Noch einmal: Ich habe immer gesagt, dass ich glaube, dass wir gar nicht stilllegen müssen. Die Politik darf aber nicht so arrogant sein, zu sagen: Wir wissen alles besser als die Unternehmen, die Gewerkschaften und die Betriebsräte. – Ich glaube, dass wir denen zuhören müssen. Wenn die einen Vorschlag machen, mit dem dasselbe Ziel erreicht werden kann, der Vorschlag aber möglicherweise mit höheren Kosten verbunden ist, dann muss man die Vermeidung von Strukturbrüchen und die Begleitung des Strukturwandels gegen die möglicherweise höheren Kosten abwägen. Noch einmal: Es ist nichts vom Tisch, sondern es ist etwas Neues auf den Tisch gekommen. Ich bin der IG BCE sehr dankbar dafür. Die hat dafür gesorgt, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Die Unternehmen hatten sich nämlich verweigert. Wenn Sie, Frau Höhn, befürchten, dass wir am Ende einen pflaumenweichen Vorschlag machen, der keine Substanz hat, und dass wir uns durchmogeln, dann sage ich Ihnen: Lügen haben kurze Beine. Das bringt gar nichts. Das ist nicht mein Ziel, auch nicht das Ziel der Kanzlerin. Meine Bitte ist: Lassen Sie uns einfach im Ausschuss weiter reden oder eine Debatte hier oder wo immer Sie wollen, führen, um zu überprüfen, welcher dieser Vorschläge, die es jetzt gibt, welche Konsequenzen hat. Ich bin sicher, dass wir noch Bundestagsreden halten werden, in denen wir versuchen werden, zu zeigen, dass wir unterschiedlicher Meinung sind; aber es könnte sein, dass wir außerhalb des Plenarsaals sagen: Das ist ganz gut, wie wir das miteinander machen. Hier im Raum sitzen doch in Wahrheit die Abgeordneten des Bundestages, die an dem Ziel Klimaschutz ein Rieseninteresse haben und die sich, solange ich das verfolge – das sind nun auch schon einige Jahre; seit 2005 tue ich das –, immer dafür eingesetzt haben – ich denke an Herrn Jung und andere –, solche Ziele zu erreichen. Lassen Sie uns also nicht so tun, als wären wir ganz weit voneinander entfernt. Es geht eigentlich um die richtigen Instrumente. Ich finde es eine schöne Entwicklung, dass wir jetzt nicht nur einen, sondern drei Vorschläge haben. Jetzt wollen wir einmal schauen, wie wir damit umgehen. Ich finde, man kann eigentlich ganz entspannt in die Pfingstpause gehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Oliver Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Gabriel, der Pfingstgeist scheint schon heute auf Sie heruntergekommen zu sein. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das wünschen wir Ihnen auch! – Heiterkeit bei der SPD) Ich finde es gut, dass Sie uns anbieten, dass wir uns über verschiedene Instrumente unterhalten. Das tun wir Grüne. Wir legen Ihnen seit anderthalb Jahren zu diesem Thema Vorschläge vor. Wir haben versucht, eigene Vorschläge mit Ihnen hier zu diskutieren. Das war alles nicht möglich. Einmal ehrlich: Ihr Problem sind doch gar nicht wir Grüne. Ihr Problem sind auch nicht die aus Brandenburg. Ihr Problem sind doch die auf der rechten Seite des Hauses. Genau genommen sitzt das Problem im Moment nicht da. Das ist die energiepolitische Todeszone: Bareiß, Fuchs, Pfeiffer. (Beifall bei der LINKEN) Das sind die, die alles versenken und alles gar nicht wollen. Die sind gar nicht hier. Die wollen gar nicht darüber reden. Die sagen öffentlich: Wir wollen keinen Kohlebeitrag. – An dieser Stelle – das ist Ihr politisches Problem – drohen Sie, Herr Gabriel, umzukippen. Sie sind gerade über eines nonchalant hinweggegangen. Ihr Vorschlag ging dahin, 22 Millionen Tonnen einzusparen. Jetzt senken Sie den Beitrag der Kohle auf 16 Millionen Tonnen ab und sagen: Wir wollen etwas mit der Kraft-Wärme-Kopplung machen. – Den Beitrag der Kraft-Wärme-Kopplung haben Sie aber schon an einer anderen Stelle verbucht, nämlich bei 70 Millionen Tonnen. Die Differenz, 48 Millionen Tonnen, kommt hinzu. Darin ist die Kraft-Wärme-Kopplung enthalten. Jetzt kommen Sie mit abenteuerlichen Vorschlägen und bringen den Güterverkehr und die Elektromobilität ins Spiel. Das ist ein spannendes Zukunftsthema, wird aber vor 2020 keine Rolle spielen. Das ist eine reine Luftbuchung, das erinnert an Science Fiction. Das ist kein seriöser Beitrag zum Klimaschutz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Lassen Sie uns ehrlich darüber reden. Wir können gerne die Debatte darüber führen, ob wir alte Kraftwerksblöcke stilllegen. Damit habe ich als Grüner überhaupt kein Problem. Ich halte es nämlich für völlig -unverantwortlich, dass wir in Deutschland Kraftwerksblöcke haben, die 50 Jahre alt sind. Wenn jemand von Ihnen so etwas privat im Keller als Heizung hätte, dann käme sofort der Schornsteinfeger und würde das still-legen. Bei RWE aber lassen wir das zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn jetzt die Debatte darauf hinausläuft, dass wir uns über Kraftwerksblöcke unterhalten, dann können wir das gern tun. Herr Gabriel, Sie haben gesagt, man solle den Unternehmen zuhören. Ich tue das. Ich habe da viel gehört – auch von den Gewerkschaften –: von 70 000 Arbeitsplätzen, von 100 000 Arbeitsplätzen. Ich finde es gut, dass Sie das alles hier nicht wiederholt haben. Das war unseriöses Untergangsgeschrei, das mit irgendeinem Kohlebeitrag zum Klimaschutz nichts zu tun hat. Das muss man an dieser Stelle auch einmal klar sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich hätte mir von der IG BCE und von Verdi gewünscht, dass man einmal über die Frage redet, wo durch die Braunkohleverstromung Arbeitsplätze vernichtet werden. Der wegen des Emissionshandels künstlich subventionierte billige Braunkohlestrom verdrängt Strom aus Gaskraftwerken, verdrängt die Kraft-Wärme-Kopplung – das haben Sie eben selber gesagt – und vernichtet Arbeitsplätze bei Stadtwerken, bei der Produktion von Strom aus erneuerbaren Energien. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn Gewerkschaften über Arbeitsplätze reden, dann müssen wir über alle Arbeitsplätze reden; denn die sind in meinen Augen gleichwertig. Es kann nicht sein, dass in der Braunkohleindustrie ein Arbeitsplatz wertvoller ist. Ich habe in dieser Woche ein Fernsehinterview mit Peter Terium gesehen. Ich muss offen sagen: Da hat es mir den Schuh ausgezogen. In diesem Interview hat der Mann erklärt, dass es keine Atomrückstellungen mehr gäbe. Im Klartext – ich übersetze das mal –: Die hat er verzockt. Dann hat er gesagt: Das muss jetzt wieder verdient werden, damit wir die Atomrückstellungen bedienen können. Dazu brauchen wir die Braunkohlekraftwerke. – Da sage ich: Das kann nun wirklich nicht sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bei der Braunkohleverstromung entstehen auch Altlasten, die in der Bilanz von RWE stehen und die bezahlt werden müssen. Man kann nicht eine Altlast durch eine andere bezahlen. Das geht nicht. Das müssen am Ende die Menschen im rheinischen Revier bezahlen, wenn sie jahrhundertelang für Pumpkosten oder sonstige Altlasten aufkommen müssen. Was den Beitrag zur Sicherung der Rückstellungen für die Kosten der Atomenergie angeht, müssen wir eine ganz andere Debatte führen. Auch da würde ich mir konkrete Vorschläge von Ihnen wünschen. Herr Beckmeyer hat hier in der Fragestunde rumgeeiert. Es wäre gut, wenn dazu einmal eine Antwort von ihm käme; denn die Energiekonzerne selber verknüpfen ja offensichtlich diese Themen. Daher haben wir an der Stelle noch eine spannende Debatte zu führen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Was ich in dieser Woche am allerschlimmsten fand – das muss ich ganz offen sagen; das geht an die Kollegen der Union –, war, wie sich die Bundeskanzlerin auf dem Petersberger Klimadialog dargestellt hat: Ich bin die Weltretterin. Ich gehe nach vorne. Wir in Deutschland wollen den Klimaschutz. – Anderswo vorangehen und im eigenen Land auf der Bremse stehen, sich nicht klar bekennen. Ein einziger Satz hätte genügt: Diese 22 Millionen Tonnen müssen von der Kohleindustrie erbracht werden; über das Instrument kann man diskutieren. – All das kommt an dieser Stelle nicht von der Bundeskanzlerin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jemand – das sage ich deutlich –, der auf dieser Welt Vorreiter sein will, der in Paris, in Elmau und bei allen anderen Konferenzen vorne stehen will, kann im eigenen Land nicht hingehen und nur auf der Bremse stehen, nichts zu den Themen sagen, die eigenen Wadenbeißer nach vorne schicken, die alles kaputtmachen, oder einen Braunkohleajatollah wie Armin Laschet, der plötzlich der größte Retter der Kohle in Nordrhein-Westfalen ist. Das kann keine CDU-Politik sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gehen Sie einmal in sich. Reden Sie mit Ihrer Bundeskanzlerin. Wenn Deutschland eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz haben soll, dann wird sich diese Politik ändern müssen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Krischer, Sie müssen zum Schluss kommen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Ulrich Petzold von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Ulrich Petzold (CDU/CSU): Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Wieder einmal eine Aktuelle Stunde der Grünen, die keine Sternstunde unseres Parlamentes ist. Die Kassandrarufe, die wir heute hier wieder hören, sind schon uralt. Deswegen muss ich ehrlich sagen: Ich hätte hier wenigstens ein paar Konzepte erwartet, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die legen wir seit anderthalb Jahren vor! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie die Drucksachen! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sagen Ja zum Klimaschutz, Sie sagen Nein dazu!) nicht nur immer: „Nein“, „Das wollen wir nicht“, „Das geht nicht“, „Was der Minister jetzt aushandelt, ist der Untergang des Abendlandes“. Wenn man den heutigen CO2-Ausstoß immer wieder mit dem in den Jahren 2008/2009 vergleicht oder die Jahre des wirtschaftlichen Wiederaufbaus nach der Rezession 2008/2009 einrechnet, dann ergibt sich ein schiefes Bild. Lassen Sie uns doch lieber einmal das Jahr 2014 betrachten und das, was da passiert ist. Zusammengefasst: Im Jahr 2014 sank der Stromverbrauch bei einer wachsenden Wirtschaftsleistung von 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr um 3,8 Prozent. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein warmer Winter!) Zugleich sank die Stromerzeugung aus fossilen Energien – jetzt hören Sie einmal genau zu – gegenüber 2013 um 7 Prozent, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Erneuerbaren konkurrenzfähig sind!) sodass nur noch etwa die Hälfte der Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern stammt. Der Anteil der erneuerbaren Energien ist im Jahresvergleich trotz sinkender Einspeisung aus der Wasserkraft von 25 Prozent auf 28 Prozent gestiegen. Entschuldigung, aber das sind doch Erfolge. Der sinkende Anteil der Erzeugung aus fossilen Energien schlägt sich auch im um 4,3 Prozent und damit um 41 Millionen Tonnen verringerten CO2-Ausstoß nieder. 2014 wurden in Deutschland von Haushalten, Gewerbe, Industrie, Verkehr, Land- und Energiewirtschaft nur noch 912 Millionen Tonnen CO2 emittiert. 1990 lag der Gesamtausstoß noch bei 1 250 Millionen Tonnen CO2. Deutschland hat seinen CO2-Ausstoß 2014 gegenüber 1990 also um über 27 Prozent gesenkt. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In 25 Jahren!) Unsere Zuhörer müssen einmal hören, was wir alles geleistet haben. Wir diskutieren hier darüber, ob Deutschland seinen CO2-Ausstoß jetzt zusätzlich um 22 oder 16 Millionen Tonnen pro Jahr absenken soll. Innerhalb eines Jahres haben wir aber schon eine Minderung um 41 Millionen Tonnen erreicht. Die Welt schüttelt den Kopf! Haben wir wirklich so wenig Zutrauen zu uns? (Zuruf von der LINKEN: Ja!) Bedenken Sie, dass zum Beispiel in Sachsen-Anhalt die energiebedingten Emissionen seit 1990 um 75 Prozent zurückgegangen sind. Gerade der Bereich Braunkohle hat insbesondere in den neuen Ländern einen sehr großen Beitrag zum Klimaschutz erbracht. Ich habe bisher noch nicht den Projektionsbericht 2015 angesprochen, der nun wahrlich nicht von der Energiewirtschaft bzw. aus unseren Reihen stammt. Er stellt der Bundesregierung ein wirklich sehr gutes Zeugnis aus. Wenn die Opposition trotzdem immer noch mit dem Finger auf die Bundesregierung zeigt, zeigt sie mit vier Fingern auf sich selbst. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn jetzt für ein Bild? – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann Ihnen leider nicht folgen!) Ich erinnere daran, was ich bereits im Oktober letzten Jahres hier, an gleicher Stelle, über den „Wärmemonitor Deutschland“ des DIW gesagt habe. Darin wird festgestellt, dass ein Umweltsenator in Bremen, ein Grüner, zu verantworten hat, dass der Wärmeverbrauch je Quadratmeter Wohnfläche und Jahr in Bremen mit 150,3 Kilowattstunden um 34 Prozent über dem Wärmeverbrauch je Quadratmeter Wohnfläche in Mecklenburg-Vorpommern liegt. Das bedeutet einen um ein Drittel höheren Ausstoß von CO2 im Wohnbereich. Bitte geht die Bereiche an, die ihr beeinflussen könnt, und hackt nicht immer auf anderen rum. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo irrlichtern Sie gerade rum? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Petzold, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern haben eine andere Struktur, oder?) – Bremen habt ihr gerade auf grandiose Weise wieder gewonnen. Wir wünschen euch viel Freude und viel Erfolg. Tut etwas im eigenen Haus und zeigt nicht immer nur auf die Bereiche, in denen ihr keine Verantwortung tragt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Klaus Mindrup von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Klaus Mindrup (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte hat für mich deutlich gemacht, dass wir den Klimaschutz national sehr ernst nehmen. Wir wollen uns an die internationalen Vereinbarungen halten. Wir stehlen uns nicht davon. Das ist ein sehr gutes Signal. Ich möchte daran erinnern, dass andere das anders gemacht haben: Kanada hat das Kioto-Protokoll damals mit unterschrieben. Als man festgestellt hat, dass man die Ziele nicht erreicht, hat man sich nicht stärker angestrengt, sondern das Kioto-Protokoll gekündigt. Das ist nicht unser Weg. Wir ringen hier gemeinsam um den richtigen Weg, wie wir die Energiewende hinbekommen können. Es ist gut, dass Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel beim Petersberger Klimadialog gesagt hat, dass es das Ziel ist, in diesem Jahrhundert zu einer dekarbonisierten Weltwirtschaft zu kommen, also zu einer Welt, deren Wirtschaft und Wohlstand nicht mehr auf der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle basiert. Deswegen haben wir uns in Deutschland das Ziel gesetzt, um das Jahr 2050 herum 95 Prozent weniger Kohlendioxyd als 1990 zu emittieren. Im Jahr 2050 werden ungefähr 9 Milliarden Menschen auf dieser Welt leben. Ohne eine andere, ökologischere Wirtschaftsweise wird die Erde diese Zahl an Menschen nicht verkraften. Zwischen seriöser Wissenschaft und Politik sind die Gefahren des Klimawandels unstrittig. Dies betrifft nicht nur Inseln im Pazifik. Auch wir merken in Mitteleuropa und insbesondere in Deutschland, dass wir immer mehr von Extremwetter-ereignissen betroffen sind. Es ist daher – das wurde heute deutlich – das große Verdienst dieser Koalition und vor allen Dingen von Sigmar Gabriel und Barbara Hendricks, dass wir eine ehrliche Debatte darüber führen, wie wir das Etappenziel 40 Prozent CO2-Einsparung bis 2020 erreichen. Das große Ziel der Dekarbonisierung, das Ziel einer nicht fossilen Welt, wollen wir erst in 40 Jahren erreichen, allerdings in Etappen. Ich möchte einmal 30 Jahre zurückschauen, um festzustellen, wie es damals aussah. Damals gab es noch kein Internet und noch nicht die notwendige IT-Technik, um eine dezentrale erneuerbare Energiewelt zu steuern. Ich habe mich schon vor 30 Jahren im Vorgängerverband des Bundesverbandes WindEnergie engagiert. Damals hatten die Windenergieanlagen eine Leistungskapazität von 20 Kilowatt. Heute haben moderne Windenergieanlagen an der Küste eine Leistungskapazität von 7,8 Megawatt. Zudem ist die Verfügbarkeit deutlich höher. Was zeigt das? Innovation und Klimaschutz können Hand in Hand gehen, wenn wir sie politisch klug steuern und die Menschen mitnehmen. Dass wir nun mit den Betroffenen darüber diskutieren, wie zusätzliche Einsparungen von 22 Millionen Tonnen CO2 im Kraftwerkssektor bis Ende dieses Jahrzehnts zu erreichen sind, ist doch vernünftig; insofern ist die Debatte sinnvoll. Herr Minister Gabriel hat schon deutlich gemacht, dass es hier verschiedene Varianten gibt. Deshalb will ich dazu nichts weiter sagen. Noch ein Hinweis zur Kraft-Wärme-Kopplung. Aus meiner Sicht brauchen wir bei der Kraft-Wärme-Kopplung mehr Wärmespeicher. Dann können nämlich die Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen stromgeführt betrieben werden. Dann sind sie eine wunderbare Ergänzung zu den erneuerbaren Energien. Das wäre neben dem Umbau von der Kohle hin zu Erdgas und Kraft-Wärme-Kopplung ein sinnvolles System. Das sollten wir weiterhin unterstützen. Herr Krischer hat eben das Thema Verkehr ein bisschen lächerlich gemacht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lkws!) Natürlich macht es Sinn, nicht nur darüber nachzudenken, wie sich die Kohle ersetzen lässt, sondern auch zu überlegen, wie sich das Importgut Erdöl ersetzen lässt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kriegen Sie mit Elektro-Lkws nicht hin! Das ist Quatsch, was der Kollege da aufgeschrieben hat!) – Hat er dazu etwas aufgeschrieben? Das hat er doch gar nicht erwähnt. Sie zitieren etwas, was er gar nicht gesagt hat. Die grundsätzliche Richtung, Erdöl durch Strom zu ersetzen, ist jedenfalls vernünftig. Aber der Strom muss aus erneuerbaren Quellen und zusätzlich zu den bisherigen Planungen gewonnen werden. Eines stört mich. Damit komme ich zur Kohle zurück. Ich habe den Eindruck, dass immer nur über die deutsche Kohle diskutiert wird. Eines ist doch klar: Wenn wir nur deutsche Kohle durch Importkohle und Importstrom ersetzen, dann haben wir davon weder wirtschaftlich noch ökologisch noch sozial etwas. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das brauchen wir doch nicht! Wir exportieren doch Strom!) – Der Zuruf stimmt. Wir exportieren Strom, was ein Problem ist, weil dieser Strom in unserer Klimabilanz zu Buche schlägt. Im Augenblick bin ich über den Export nach Belgien sehr froh, wo gerade die Atomkraftwerke wegen Haarrissen stillgelegt werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben gar keine Leitungen nach Belgien!) – Doch, sie gehen über die Niederlande. Ein bisschen vorsichtig! – Die Priorität des Atomausstiegs sollte beibehalten werden. Zum Abschluss noch eine Überlegung. Es gibt Menschen, die sagen: Klimaschutz funktioniert international gar nicht. Die Anstrengungen lohnen sich nicht. – Diesen Menschen kann man deutlich sagen: Weltweit wurden noch nie so starke Anstrengungen unternommen wie heute. Die positiven Signale waren noch nie so deutlich wie heute. Es gibt ein historisches Beispiel, das belegt, dass sich international etwas hinbekommen lässt. 1974 wurde das erste Mal vor FCKW gewarnt, weil es das Ozonloch verursacht. 1987 wurde FCKW im Montrealer Protokoll weltweit verboten. Jetzt sieht es so aus, dass sich die Ozonschicht um das Jahr 2050 regeneriert. Der Einsatz für das Verbot von FCKW hat sich gelohnt. Der Einsatz für das nicht fossile Zeitalter wird sich ebenfalls lohnen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche frohe Pfingsten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Klaus-Peter Schulze von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Treibhausgasemissionen zu reduzieren, ist richtig. Wir stehen natürlich zu den Klimaschutzzielen der Kanzlerin Angela Merkel und der von ihr geführten Bundesregierung. Aber ich bin davon überzeugt, dass der gleichzeitige Ausstieg aus der Kernkraft und aus den fossilen Energieträgern nicht möglich ist, da die erforderlichen Speichertechnologien für die Einspeisung volatiler Energien noch fehlen. Wir müssen die Stromkosten und die Versorgungssicherheit im Blick behalten; denn auch bei einer Dunkelflaute will man bei BMW noch Autos bauen. Von 1990 bis 2010 haben die CO2-Emissions-Einsparungen in Deutschland 213,6 Millionen Tonnen betragen, davon durch Deindustrialisierung, tiefgreifenden Strukturwandel und Erneuerung allein in Ostdeutschland – der Kollege Westphal hat darauf hingewiesen – 122,7 Millionen Tonnen; das sind etwa 41,6 Prozent. Ich glaube, die CO2-Minderungsziele kann man nicht losgelöst sehen. Man muss sie insgesamt betrachten. Vor allen Dingen aber müssen wir die Strompreisentwicklung im Auge behalten, und wir müssen meiner Meinung nach auch die CO2-Emissionen, die wir damit ins Ausland verlagern, berücksichtigen. Es wird davon gesprochen, die einheimische Braunkohle zeitweilig durch Steinkohle zu ersetzen. Im Ruhrgebiet wird am 31. Dezember 2018 die letzte Steinkohle aus der Erde geholt. Wir holen zurzeit schon 50 Millionen Tonnen Steinkohle aus Revieren, die nach meiner Auffassung, was die Umwelt- und Sozialstandards betrifft, äußerst fragwürdig sind. Der Dienstreisebericht unserer Ausschussvorsitzenden, Frau Höhn, hat eindrucksvoll die Bedingungen im Steinkohlenbergwerk in Kolumbien beschrieben. Von daher beziehen wir jährlich immerhin 10 Millionen Tonnen Steinkohle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber auch der erhöhte Gasbedarf, der immer wieder angesprochen wird, und die Aussage, dass Gas Kohle ersetzen kann, sind aus meiner Sicht zu hinterfragen. Das Wuppertal Institut hat 2004 errechnet, dass pro Terajoule 8,7 Tonnen CO2 freigesetzt werden. Wir haben im Jahr 2012 aus Russland 1,4 Millionen Terajoule Gas importiert. Das entspricht einer Emissionsmenge von circa 12,2 Millionen Tonnen CO2. Im August 2013 ist in der Zeitschrift Wissenschaft -aktuell ein Artikel erschienen, wonach anhand von Messungen über einem großen Gasfeld in Utah festgestellt worden ist, dass zwischen 6 und 11 Prozent des dort geförderten Gases durch Leckagen in die Atmosphäre abgegeben werden. Das sind aus meiner Sicht Probleme, die man bei der Gesamtdiskussion mitberücksichtigen muss. Wir in der Lausitz – aber ich glaube, das gilt auch für die Reviere im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland – verschließen uns natürlich nicht der Entwicklung und wissen ganz genau, dass wir nicht noch einmal 150 Jahre Braunkohlenförderung haben werden. Aber wir – dazu, denke ich, sind wir den Menschen in diesen Revieren auch verpflichtet – müssen ihnen einen Zeitrahmen geben, der ein klares Ende definiert, analog dem Ausstieg aus der Steinkohle im Ruhrgebiet, und wir müssen diesen Strukturwandel auch finanziell begleiten. Denn allein schaffen es diese drei Regionen nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir die Diskussionen weiter versachlichen und auch auf die Erfahrungen der Kollegen, die vor Ort tätig sind, achten. Ich will abschließend noch ein Beispiel nennen, weil ja immer wieder gesagt wird, die erneuerbaren Energien ersetzten das, was durch die Kohle wegfällt. Ich habe in meiner Funktion als Bürgermeister gegen die eigene Partei und auch gegen Freunde aus anderen Parteien einen Windpark durchgesetzt. Der hat in der Errichtung 40 Millionen Euro gekostet. Die Stadt erhält jetzt dafür 72 Euro Grundsteuer pro Jahr. Das bezahlt jeder, der eine Garage baut, auch. Wenn ich das jetzt ins Verhältnis zum Kraftwerk Schwarze Pumpe setze, das im Jahr 40 000 Euro Grundsteuer bezahlt, dann kann man sehen, welches Steueraufkommen daraus noch resultiert. Auch die finanzielle Situation der Kommunen, die meine Kollegen immer wieder ansprechen, muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden. Abschließend wünsche ich uns allen ein schönes Pfingstfest. Vielleicht schafft es der Heilige Geist, unsere Diskussion zum Klimaschutz zu versachlichen. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. Wünschen darf man immer. Das hoffen, glaube ich, wir alle. – Jetzt hat als nächster Redner Hubertus Heil von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich empfinde diese Debatte im Gegensatz zum Kollegen von der Union vielleicht nicht als Sternstunde, aber als ganz erhellend. Zuerst einmal müssen wir feststellen, dass es hinsichtlich der Ziele in diesem Hohen Haus keine großen Unterschiede gibt. Wir müssen aufpassen, ob alle dieses Ziel ernst meinen oder ob nur mantraartig vom 40-Prozent-Ziel gesprochen wird. Aber ich nehme an, dass niemand heute – das werde auch ich nicht tun – das 40-Prozent-Ziel infrage stellt. Übrigens habe ich auch nicht gehört, dass irgendjemand den Kabinettsbeschluss, als Beitrag des Kraftwerkparks 22 Millionen Tonnen CO2 einzusparen, infrage stellt. Wir alle wissen, dass das Erreichen des Klimaschutzziels, bis zum Jahr 2020 im Vergleich zu 1990 die Emissionen um 40 Prozent zu reduzieren, angesichts der Tatsache, dass wir ein hochindustrialisiertes Land sind, in dem vielleicht in den vergangenen Jahren bestimmte Anstrengungen nicht im ausreichenden Maße unternommen wurden, ehrgeizig und ambitioniert ist. Das ist richtig anstrengend. Wir haben eine ganze Menge zu tun, nicht nur im Stromsektor, sondern auch in anderen Sektoren, die schon beschrieben wurden. Ich glaube übrigens, dass der Verkehrssektor neben dem Gebäudesektor, dem Wärmesektor und der Landwirtschaft ein unterbelichteter Bereich ist. Darüber, wie schnell da Fortschritte erreichbar sind, müssen wir reden. Aber ich glaube, das ist möglich. (Beifall des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) Wir haben jetzt, im Jahre 2015, die Situation, dass wir uns innerhalb von fünf Jahren wirklich anstrengen müssen, diese Ziele zu erreichen. Dafür gibt es Vorschläge – in Umsetzung dessen, was das Kabinett beschlossen hat. Ich füge allerdings hinzu – das haben wir immer gesagt –: Keiner dieser Vorschläge ist in Stein gemeißelt, weil wir nicht in Instrumente, sondern in Lösungen verliebt sind. Das Instrument, das vom BMWi vorgeschlagen wurde, hat ohne Zweifel in vielerlei Hinsicht einen gewissen Charme, weil es auf bestehenden Systemen aufbaut, weil es auf den ersten Blick einfach zu organisieren ist und weil es, zumindest für Staat und Stromkunden, möglicherweise ein Vorschlag ist, der sich – wie sagte der Minister? – eher rechnet als andere Vorschläge. Gleichwohl gilt das Versprechen gegenüber den Menschen in den Revieren, im rheinischen Revier, im mitteldeutschen Revier und auch in der Lausitz, dass wir Strukturbrüche nicht zulassen werden. Meine Damen und Herren, dass die Menschen, die in diesen Regionen leben, Strukturwandel schon kennen, steht außer Frage. (Beifall bei der SPD) Die Menschen leben ja nicht auf dem Baum, sondern in der Lausitz, im Mitteldeutschen Revier oder im Rheinischen Revier. Noch einmal: Strukturbrüche werden wir nicht zulassen. Strukturwandel hat massiv stattgefunden und wird übrigens auch weiter stattfinden, überhaupt gar keine Frage. 1990 haben zum Beispiel in Ostdeutschland noch 160 000 Menschen direkt in der Kohle- und Energieförderung gearbeitet, heute sind es 7 000 Menschen. Wenn das kein Strukturwandel ist, dann weiß ich nicht, was Strukturwandel ist. In Ostdeutschland sind noch 1990 300 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert worden, jetzt sind es 80 Millionen Tonnen. Das ist Strukturwandel. Er wird außerdem weitergehen, gar keine Frage. Die spannende Frage ist, ob der vorliegende Vorschlag Dominoeffekte auslöst, die nicht intendiert sind. Das ist zwischen den Betriebsräten, den Gewerkschaften und auch den Vertretern aus dem Ministerium umstritten. Ich sage für die SPD-Bundestagsfraktion: Falls nicht auszuschließen ist, dass es Strukturbrüche gibt, werden wir uns umso mehr um Alternativen zu kümmern haben. Ich finde es genauso wie der Minister gut, dass jetzt Vorschläge auf dem Tisch liegen, die noch vor einem halben oder vor einem Jahr seitens der Unternehmen nicht auf dem Tisch lagen. Allerdings müssen wir diese Vorschläge auf die Frage hin untersuchen, ob sie tatsächlich helfen, CO2 einzusparen, ob sie energiewirtschaftlich Sinn machen, und auch daraufhin, was ihre Umsetzung kosten wird; denn Klimaschutz, meine Damen und Herren, wird es nicht zum Nulltarif geben. Das sage ich auch als großer Befürworter der Kraft-Wärme-Kopplung. Sie muss energiewirtschaftlich Sinn machen. Es macht Sinn, dass wir zum Beispiel in der allgemeinen Versorgung keine Stranded Investments zulassen und uns deshalb auf den Bestand fokussieren, und bei der Frage, wo ein Zubau von Anlagen sinnvoll ist, beispielsweise im industriellen Bereich, sehr genau hinschauen. Wenn allerdings das, was wir bei KWK mehr machen, für die KWK-Umlage relevant wird, also auch für den Strompreis, dann müssen wir, wenn das Sinn macht, wenn das eine Alternative ist und wenn es hilft, das Ziel zu erreichen, darüber reden, wie wir an anderer Stelle möglicherweise eine Entlastung beim Strompreis organisieren. Die Stromsteuer macht aus meiner Sicht ordnungspolitisch nicht immer Sinn. Ihre Einführung war gut gemeint und wichtig, weil es als Teil der Ökosteuerreform zur Internalisierung externer Kosten beitrug. Aber wenn der Strom immer grüner wird, ist das nur noch ein Instrument zur Staats- bzw. Sozialversicherungsfinanzierung. Und dann sollten wir uns Gedanken machen, wie wir es anders machen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde, dass wir zumindest darüber nachdenken sollten, falls die KWK-Umlage stärker steigt, an anderer Stelle Kompensation zu schaffen. Auch das muss, wie ich finde, in die Überlegung einbezogen werden. Es ist ja, Herr Minister, darum gebeten worden, Vorschläge zu machen. Das hier ist einer, einer von mehreren. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Auch das ist, wie gesagt, nicht in Stein gemeißelt. Man muss es erst analysieren und untersuchen. Aber ich finde: Zum Gesamtkonzept gehört pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken. Wir sind nicht in Instrumente verliebt, sondern wir sind in das Gelingen und in die Ziele verliebt. Das 40-Prozent-Ziel steht. Kein Vorschlag ist vom Tisch, auch noch nicht die Klimaabgabe; das ist gar keine Frage. Aber wir werden in den nächsten Wochen miteinander zu reden haben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Noch nicht“ – das war jetzt verräterisch, Hubertus!) – Ich sage, wenn es Alternativen gibt, bin ich nicht in diesen Vorschlag verliebt. Der ist nicht in Stein gemeißelt. Das hat der Minister übrigens von Anfang an gesagt, Oliver Krischer. Es ist hier im Hause auch nicht umstritten gewesen. Es geht um Klimaschutz und nicht um Ideologie. Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir uns in den nächsten Wochen daranmachen, die vorhandenen Vorschläge zu prüfen. Wichtig ist, dass wir in diesem Jahr entscheiden; denn wir haben neben der Klimadiskussion die Strommarktdesigndebatte zu klären. Wir haben heute übrigens nur am Rande über Trassenausbau gesprochen. Wir haben noch eine ganze Menge zu leisten, damit die Energiewende nicht nur in Deutschland, aber auch in Deutschland gelingt zum Nutze unserer Volkswirtschaft und der Menschen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in der Debatte hat Matern von Marschall von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Matern von Marschall (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen auf den Tribünen! Ich bedanke mich bei allen, die die Disziplin haben, diesen letzten Redebeitrag auch noch abzuwarten, damit wir dann gemeinsam in das Pfingstwochenende gehen können. Wir haben, wie ich finde, doch eine ziemlich interessante Diskussion gehabt. Ich fand eigentlich nicht, dass sie langweilig gewesen ist, weil sie weitgehend alle Facetten berührt hat, die zu diesem Thema gehören. Ich möchte aber zum Abschluss dieser Debatte noch einmal zitieren, was die Kanzlerin im Zusammenhang mit dem Petersberger Klimadialog, der Vorlauf für die bedeutenden Verhandlungen in Paris ist, zum Ausdruck gebracht hat, und zwar hat sie gesagt: Die Wissenschaft gibt uns eine klare Handlungsempfehlung. Wir müssen in diesem Jahrhundert … den vollständigen Umstieg auf kohlenstofffreies Wirtschaften schaffen. Das ist die ganz entscheidende globale Herausforderung, vor der die Vereinbarungen in Paris und der Weg dahin nur ein erster Schritt sind. Das ist von außerordentlicher Bedeutung. Das Ziel, um das es hier geht, liegt in der fernen Zukunft. Das ist typischerweise als ein Nachhaltigkeitsziel zu begreifen. Mit Nachhaltigkeitszielen müssen wir aber – das ist heute hier sehr intensiv geschehen – soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte verbinden. Der Kollege Schulze, die Kollegen aus Nordrhein-Westfalen, diejenigen, die in Braunkohlenrevieren leben oder dort, wo der Bergbau zu Hause ist, haben das ausführlich dargelegt. Ich glaube aber, es ist schon wichtig, darauf hinzuweisen, dass dieser Strukturwandel, von dem heute die Rede war, beschleunigt werden muss. Heute werden immer noch über 40 Prozent des Stroms in Deutschland aus Braunkohle erzeugt. Dieser Strukturwandel ist im Hinblick auf Arbeitsplätze – hier gab es tatsächlich eine Verringerung um 90 Prozent in den letzten Dekaden – beachtlich. Aber mit Blick auf die Emissionen, die von diesen – das muss man leider sagen – Klimakillern produziert werden, sind wir davon noch sehr weit entfernt. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir ernsthaft darüber nachdenken, dass in der Übergangszeit, in der wir noch fossile Brennstoffe werden nutzen müssen, hocheffiziente Gaskraftwerke ans Netz kommen. Wenn -Irsching, eines der weltweit modernsten Gaskraftwerke, dazu im Moment nicht genutzt werden kann, dann ist das eine schlechte Referenz für den Hersteller Siemens, der in der ganzen Welt solche modernen und effizienten Kraftwerke bauen könnte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das ist der Punkt!) Es ist auch in dem Sinne von großer Bedeutung, weil wir als Vorreiter und Vorbild technologisch wettbewerbsfähig sein sollten. Wettbewerbsfähigkeit gehört ja zu den Aspekten der Nachhaltigkeit unbedingt dazu. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wird nicht gerade dadurch gestärkt, dass wir an sehr alten und nicht mehr aktuellen und keineswegs nachhaltigen Technologien festhalten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede könnte auch ich halten!) – Die Kollegen von der Union dürfen zwischendurch gerne auch einmal klatschen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gut, dass das der Fuchs nicht hört!) – Na ja, der ist ja bekanntermaßen nicht da. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Pfeiffer auch nicht!) Ich möchte die Redezeit nicht überstrapazieren (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE] und Ralph Lenkert [DIE LINKE]) und die letzten 60 Sekunden, Herr Lenkert, nutzen, um klarzumachen, dass wir die nächsten Wochen, Monate und sicher auch noch Jahre dazu nutzen werden, um fraktionsübergreifend am Ziel einer kohlenstofffreien Wirtschaft zu arbeiten. Ich bin ziemlich sicher, dass dazu aus allen Fraktionen weiterhin gute Anregungen kommen werden. Lieber Herr Kollege Schulze, ich will Ihnen schon noch sagen, was es mit dem Pfingstwunder auf sich hat. Das Pfingstwunder besteht nicht nur darin, dass man andere Sprachen sprechen kann, sondern auch, dass man in der Lage ist, andere Sprachen zu verstehen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ist es! Sogar bayerisch!) Das ist, glaube ich, für jeden von uns in seiner jeweiligen Fraktion ganz hilfreich. Ich finde, darauf können wir uns an diesem Pfingstfest freuen. Jetzt wünsche ich Ihnen allen schöne Festtage. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ganz herzlichen Dank. Ich glaube, wir haben heute einen ganz guten Schritt gemacht in Richtung gegenseitiges Verstehen. Ich hoffe, das wird so weitergehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. Juni 2015, 13 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen schöne Pfingsttage. Ich hoffe, Sie erholen sich. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 16.41 Uhr)   Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 22.05.2015 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22.05.2015 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22.05.2015 Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22.05.2015 Bartol, Sören SPD 22.05.2015 Dr. Bergner, Christoph CDU/CSU 22.05.2015 Bülow, Marco SPD 22.05.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22.05.2015 Ferner, Elke SPD 22.05.2015 Gleicke, Iris SPD 22.05.2015 Groneberg, Gabriele SPD 22.05.2015 Grundmann, Oliver CDU/CSU 22.05.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 22.05.2015 Dr. Hendricks, Barbara SPD 22.05.2015 Hintze, Peter CDU/CSU 22.05.2015 Jarzombek, Thomas CDU/CSU 22.05.2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22.05.2015 Lach, Günter CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Lamers, Karl A. CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 22.05.2015 Dr. h. c. Michelbach, Hans CDU/CSU 22.05.2015 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 22.05.2015 Pflugradt, Jeannine SPD 22.05.2015 Rohde, Dennis SPD 22.05.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 22.05.2015 Schwabe, Frank SPD 22.05.2015 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 22.05.2015 Spiering, Rainer SPD 22.05.2015 Stockhofe, Rita CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Sütterlin-Waack, Sabine CDU/CSU 22.05.2015 Ulrich, Alexander DIE LINKE 22.05.2015 Veith, Oswin CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 22.05.2015 Werner, Katrin DIE LINKE 22.05.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Anja Hajduk, Dieter Janecek, Kordula Schulz-Asche und Dr. Valerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tagesordnungspunkt 27 a) Bei der namentlichen Abstimmung über das Tarif-einheitsgesetz der Bundesregierung lautet unser Votum Enthaltung. Wir erachten das Prinzip der Tarifeinheit als hohes Gut und als wichtige Voraussetzung für eine solidarische Tarifpolitik. Die Zersplitterung der Tariflandschaft beobachten wir hingegen mit Sorge. Wir sehen darin die Gefahr, dass mobilisierungsstarke Berufsgruppen versuchen, ihre Partikularinteressen durchzusetzen – auf Kosten ihrer Kolleginnen und Kollegen sowie der Allgemeinheit. Große Branchengewerkschaften müssen in ihren Forderungen stets eine Balance zwischen den berechtigten Lohninteressen ihrer Mitglieder und der Frage herstellen, was der Branche oder dem Betrieb zuzumuten ist, ohne dass etwa Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Das gilt insbesondere, da sie durch die hohe Zahl ihrer Mitglieder schon bei relativ kleinen Lohnsteigerungen die Verteilung großer Geldsummen auslösen. Solche Abwägungen, die letztlich das Wohl der gesamten Belegschaft zum Ziel haben, müssen kleine, aber streikmächtige Berufsgewerkschaften nicht in gleichem Maße treffen. Sie können für die von ihnen vertretene Berufssparte oft auch sehr hohe Lohnforderungen durchsetzen. Da der zu verteilende Kuchen aber gleich bleibt, geht dies im Zweifel zulasten anderer Berufsgruppen der betreffenden Branche. Die in Tarifverhandlungen zur Verfügung stehende Verteilungsmasse wurde aber von allen Beschäftigten gemeinsam erarbeitet und sollte auch möglichst gerecht unter allen Kolleginnen und Kollegen aufgeteilt werden. Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen begrüßen wir das erklärte Ziel der Bundesregierung, das Prinzip der Tarifeinheit zu sichern. Trotzdem können wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen, da er in seiner konkreten Ausgestaltung nach unserer Auffassung keine verfassungskonforme Lösung für das angestrebte Ziel darstellt. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tagesordnungspunkt 27 a) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Als Mitglied des Rechtsausschusses fühle ich mich persönlich in besonderer Weise in der Verantwortung, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen bei meinen Entscheidungen zu berücksichtigen. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes postuliert eine Koalitionsfreiheit, die nur durch gleichwertige Verfassungsgüter eingeschränkt werden kann. Koalitionsfreiheit heißt dabei aber nicht nur, kollektiv seine Arbeitsbedingungen auszuhandeln, sondern gerade auch frei entscheiden zu können, wer dies für einen tut – und wer gerade nicht. Auch bedeutet Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz nicht nur, sich zu entsprechenden Koalitionen zusammenschließen zu können, sondern auch gerade in Koalitionen, die nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch in der Lage sind, für die Wahrung und Förderung der -Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einzutreten! Beide diese wesentlichen Bestandteile von Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz werden durch das Tarifeinheitsgesetz aber konterkariert. Sollte in einem Betrieb mehr als eine Gewerkschaft Tarifverträge – natürlich jeweils nur für ihre Mitglieder – ausgehandelt haben, die sich vom Inhalt her „überlappen“, so soll dies nach § 4 a TVG-neu dazu führen, dass lediglich die – überlappenden – Normen anwendbar sind, die von der „Mehrheitsgewerkschaft“ ausgehandelt wurden. Damit sind in diesem Bereich Verhandlungen über solche Gegenstände für die „Minderheitsgewerkschaft“ tabu: Bei einem umfassenden -Tarifvertrag der „Mehrheitsgewerkschaft“ ergibt sich überhaupt kein weiteres Betätigungsfeld. Der „Minderheitsgewerkschaft“ bleibt nach § 4 a Absatz 4 TVG-neu lediglich die Möglichkeit, die überlappenden Normen des „Mehrheitstarifvertrags“ nachzuzeichnen – und damit zu akzeptieren, was sie selbst nicht ausgehandelt hat. Damit ist faktisch das erste der oben genannten Elemente der Koalitionsfreiheit ausgeschaltet. Möchte man als einzelner Arbeitnehmer noch Einfluss auf seine Arbeitsbedingungen nehmen – was faktisch in großen Betrieben nur über die Einflussnahme auf den Tarifvertrag möglich ist –, bleibt lediglich die Mitgliedschaft in der „Mehrheitsgewerkschaft“. Somit ist auch die Wahl der Gewerkschaft faktisch für den Einzelnen nicht mehr frei, kann doch über die „Minderheitsgewerkschaft“ nicht mehr auf die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen effektiv eingewirkt werden. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der vorgelegte Entwurf gerade nicht den Status quo ante – zum Beispiel BAG vom 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – wiederherstellen möchte, der von einem Spezialitätsprinzip getragen war und nur einen Tarifvertrag pro Berufsgruppe vorsah. Vielmehr schränkt das Tarifeinheitsgesetz den Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz noch stärker als diese früher geltende und für verfassungsgemäß gehaltene Rechtsprechung ein. Mir ist dabei natürlich bewusst, dass die künftige Judikatur des Bundesverfassungsgerichts nicht vorhersehbar ist. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass sich auch Rechtsprechung entwickelt und somit nicht leicht aus heutigen Entscheidungen auf zukünftige geschlossen werden kann. Aber sowohl die Arbeits- wie auch die Verfassungsgerichtsbarkeit hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Rahmen eines langfristigen Prozesses den Individualfreiheiten kontinuierlich ein größeres Gewicht beigemessen. Dass die in der Tat unvorhersehbare Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zu einem Grundrechtsverständnis der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts zurückkehren könnte, erscheint somit wenig wahrscheinlich. Diese Beurteilung des Gesetzentwurfs als verfassungswidrig steht in einem Spannungsverhältnis dazu, dass es nach unserer Einschätzung in der Tat Maßnahmen gegeben hätte, die in verfassungsgemäßer Weise das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel hätten erreichen können. Zu nennen sind – wie in zahlreichen -anderen europäischen Ländern – insbesondere Ankündigungsfristen, Schlichtungsverfahren oder die Koordination von Streikzeiten. Dies kann bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die bei der Einschränkung von Grundrechten vorzunehmen ist, nicht unberücksichtigt bleiben. Völlig unberücksichtigt geblieben sind die schuldrechtlichen Beziehungen – Verträge bzw. öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse – zu Drittbetroffenen, die durch Streiks mittelbar beeinträchtigt werden. Während es hier im Fernverkehr der Eisenbahnen und im Luftverkehr klare Regelwerke gibt, herrscht im Bereich der – vor allem öffentlich-rechtlich organisierten – kommunalen Daseinsvorsorge ein unüberschaubarer Flickenteppich vor, der Dritte in zahlreichen Fällen – Kindergärten, ÖPNV, Frachtverkehr – einseitig belastet, andererseits aber in die von den Arbeitsgerichten vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Streiks bisher nicht sicher einbezogen wird. Xaver Jung (CDU/CSU): Ich stimme dem vom Ministerium für Arbeit und Soziales eingebrachten Gesetzentwurf zur Tarifeinheit zu. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass bei dem jetzigen Entwurf das hohe Gut des Betriebsfriedens und der Koalitionsfreiheit im Konflikt stehen. Zudem erachte ich es als verfassungsrechtlich nur schwer umsetzbar, das Streikrecht von Gewerkschaften, gerade auch von kleinen Gewerkschaften, zu beschneiden. Ich bin mir nicht sicher, dass die vorsichtige Formulierung ausreichend ist, um den verfassungsrechtlich engen Grenzen von Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz gerecht zu werden. Zudem gelingt es meiner Meinung nach diesem Gesetz nicht, für den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge mehr Klarheit und Sicherheit zu schaffen. Hier wäre die Einführung eines gesetzlichen Schlichtungsverfahrens im Bahn- und Luftverkehr wünschenswert gewesen. Durch die intensiven Beratungen zur Tarifeinheit konnten meine Zweifel nicht vollständig beseitigt werden. Nach eingehender, persönlicher Abwägung kann ich heute aus diesem Grund nur unter größtem Bedenken, aber aus Solidarität zu meiner Fraktion diesem Gesetz zustimmen. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Ich bin der Meinung, dass es höchst fraglich ist, ob dieses Gesetz verfassungskonform ist. Außerdem bezweifle ich, dass die ursprüngliche Intention der Gesetzesinitiative durch das vorliegende Gesetz erfüllt wird. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Nach einer intensiven Beratung des Gesetzentwurfs zur Tarifeinheit und einer sorgfältigen Abwägung aller Aspekte bin ich für mich persönlich zu dem Schluss gekommen, dass ich dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung nicht zustimmen kann. Da ich das Grundanliegen des Gesetzesvorhabens aber für berechtigt halte, werde ich mich meiner Stimme enthalten. In zahlreichen Diskussionen innerhalb und außerhalb des Parlaments konnten meine Bedenken gegenüber dem Gesetzentwurf nicht vollständig ausgeräumt werden. Es ist mir daher ein Anliegen, die beiden zentralen Gründe für meine Enthaltung kurz zu erläutern. Erstens teile ich die Auffassung zahlreicher Rechtswissenschaftler, die erhebliche Zweifel an der Verfassungskonformität des vorliegenden Gesetzentwurfes im Hinblick auf das in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz gewährleistete Grundrecht der Koalitionsfreiheit geäußert haben. Durch das im Entwurf vorgesehene betriebsbezogene Mehrheitsprinzip wird in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise in die grundgesetzlich gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit eingegriffen. Diese Gewährleistung soll einen „von staatlicher Rechtssetzung freien Raum“ sicherstellen. Der vorliegende Gesetzentwurf widerspricht dieser Zielsetzung. Durch das Mehrheitsprinzip wird einer „Minderheitsgewerkschaft“ ihr eigentlicher Daseinszweck, der eigenständige Kampf für einen Tarifvertrag, genommen; sie besäße nur noch die Möglichkeit, den von der „Mehrheitsgewerkschaft“ ausgehandelten Tarifvertrag nachzuzeichnen. Ihr grundrechtlich abgesichertes Arbeitskampfrecht verliert seine Bedeutung. Zweitens wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf das Problem des übermäßigen Arbeitskampfes in Bereichen der Daseinsvorsorge unter Berücksichtigung der Belange Dritter nicht gelöst. Vor dem Hintergrund des aktuellen Tarifstreites der Deutschen Bahn mit der Lokführergewerkschaft GDL halte ich diesen Punkt aber für entscheidend. Das Grundanliegen des Gesetzgebungsvorhabens, die Schaffung von Rechtssicherheit im Falle von Tarifkollisionen innerhalb eines Betriebs, halte ich aber für richtig. Aber eine solche Regelung muss verfassungsrechtlich unbedenklich ausgestaltet sein. Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Ich begrüße die Intention des vorliegenden Gesetzes, den Grundsatz „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“, der knapp 60 Jahre lang erfolgreich praktiziert wurde, wiederherzustellen. Denn während bis vor einigen Jahren Kollisionen konkurrierender Tarifverträge nach dem Grundsatz der Spezialität gerichtlich aufgelöst wurden, gilt seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts, BAG, vom 7. Juli 2010 nahezu vollständiger Koalitions- und Tarifpluralismus. Der Gesetzgeber ist meiner Überzeugung nach angehalten, diesen Pluralismus in geordnete Bahnen zu lenken. Dennoch greift der Gesetzentwurf zu kurz, da er die Rechte Dritter außen vor lässt, die aber von den Folgen der Streiks massiv getroffen und in ihrer alltäglichen Lebensführung über Gebühr beeinträchtigt werden. Um hier eine Balance herzustellen, braucht es rechtlich festgelegte Verfahrensregelungen in bestimmten Bereichen der Daseinsvorsorge und der kritischen Infrastruktur. Dazu zählt eine mehrtägige Ankündigungspflicht, die Sicherstellung einer Grund- und Notversorgung sowie die Pflicht zu einem Schlichtungsversuch vor dem Streik. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf stimme ich trotz erheblicher Bedenken zu. Meine Vorbehalte sind verfassungsrechtlicher und praktischer Art in Hinblick auf den Vollzug. 1. Verfassungsrechtlicher Aspekt: Der vom Gesetzentwurf intendierte Eingriff in die durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit durch das im Entwurf vorgesehene betriebsbezogene Mehrheitsprinzip ist meines Erachtens nur schwer zu rechtfertigen. Zu beachten ist, dass diese Gewährleistung einen „von staatlicher Rechtssetzung freien Raum“ sicherstellen soll – so das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung. Sehr fraglich ist, ob der vorliegende Gesetzentwurf dieser Zielsetzung entspricht. Durch das im Gesetzentwurf verankerte Mehrheitsprinzip wird einer „Minderheitsgewerkschaft“ ihre ureigene Aufgabe, der eigenständige Kampf für einen Tarifvertrag, genommen; sie könnte lediglich den von der „Mehrheitsgewerkschaft“ ausgehandelten Tarifvertrag nachzeichnen; ihr grundrechtlich abgesichertes Arbeitskampfrecht wäre nur noch eine inhaltsleere Hülse. Die grundsätzlich mögliche Ausgestaltung der grundrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit unterlässt der Gesetzentwurf, denn eine – generell denkbare – gesetzliche Regelung zur Gewährleistung kollidierender Verfassungsrechte wird nicht vorgenommen. Der vorgelegte Gesetzentwurf dient ausweislich seiner Begründung gerade nicht diesem Ziel, sondern ausdrücklich anderen Zwecken. Vor diesem Hintergrund ist das verfassungsprozessrechtliche Risiko nicht unbeträchtlich. 2. Praktischer Aspekt: Darüber hinaus sind erhebliche praktische Widrigkeiten beim Gesetzesvollzug zu erwarten. Die entscheidende Frage nach der Erfassung eines „Betriebes“ im Sinne des Arbeitskampfrechts muss praktisch handhabbar beantwortet werden. Zudem bleibt offen, wie die Bestimmung der Mehrheit einer Gewerkschaft rechtsfehlerfrei zweifelsfrei festgestellt werden soll vor dem Hintergrund, dass es keinerlei rechtliche Verpflichtung gibt, eine etwaige Gewerkschaftsmitgliedschaft zu offenbaren. Darüber hinaus kann sich die Zahl der Mitglieder einer Gewerkschaft täglich ändern. Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Bei der namentlichen Abstimmung über den von der Bunderegierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit werde ich mich enthalten, da meine grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfes nicht hinreichend ausgeräumt sind. Ulli Nissen (SPD): Ich stimme bei der Abstimmung über das Gesetz zur Tarifeinheit mit Enthaltung, weil ich befürchte, dass das Gesetz das Streikrecht beschränken wird. Mit dem Gesetz wird die Möglichkeit geschaffen, dass Arbeitsgerichte künftig einen Streik als „unverhältnismäßig“ untersagen können. Denn der Kern des Gesetzes wird sein, dass im Falle rivalisierender Gewerkschaften in einem Betrieb nur noch der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gelten soll, die dort die meisten Mitglieder hat. Als „unverhältnismäßig“ gilt in der Rechtsprechung ein Streik unter anderem dann, wenn er auf ein Ziel gerichtet ist, das mit ihm gar nicht erreicht werden kann. In meinem bisherigen Abstimmungsverhalten habe ich stets die Große Koalition unterstützt, in diesem Fall aber weicht mein Abstimmungsverhalten ab, weil ich das Streikrecht für eine wichtige demokratische Errungenschaft halte, die nicht eingeschränkt werden darf. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetz zu, da ich das Prinzip „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ für bedeutsam für den sozialen Frieden und den fairen Ausgleich der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern halte. Insbesondere erscheint mir das Prinzip der Verhältnismäßigkeit von Arbeitsniederlegungen nicht mehr gewahrt, wenn eine große Zahl von Dritten durch Streiks geschädigt werden, die weniger die Entlohnung und Arbeitsbedingungen als solche als den Konkurrenzkampf mehrerer Gewerkschaften zum Gegenstand haben. Als Abgeordneter und Jurist habe ich allerdings ernste Bedenken, was die Verfassungsmäßigkeit des vorgelegten Gesetzes angeht. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes postuliert eine Koalitionsfreiheit, die nur durch gleichwertige Verfassungsgüter eingeschränkt werden kann. Koalitionsfreiheit heißt dabei aber nicht nur, kollektiv seine Arbeitsbedingungen auszuhandeln, sondern gerade auch frei entscheiden zu können, wer dies für einen tut – und wer gerade nicht. Auch bedeutet Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz nicht nur, sich zu entsprechenden Koalitionen zusammenschließen zu können, sondern auch gerade in Koalitionen, die nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch in der Lage sind, für die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einzutreten. Beide diese wesentlichen Bestandteile von Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz werden durch das Tarifeinheitsgesetz meines Erachtens nicht ausreichend gewürdigt. Sollte in einem Betrieb mehr als eine Gewerkschaft Tarifverträge – natürlich jeweils nur für ihre Mitglieder – ausgehandelt haben, die sich vom Inhalt her „überlappen“, so soll dies nach § 4 a TVG-neu dazu führen, dass lediglich die – überlappenden – Normen anwendbar sind, die von der „Mehrheitsgewerkschaft“ ausgehandelt wurden. Damit sind in diesem Bereich Verhandlungen über solche Gegenstände für die „Minderheitsgewerkschaft“ wenig sinnvoll: Bei einem umfassenden Tarifvertrag der „Mehrheitsgewerkschaft“ ergäbe sich kaum ein weiteres Betätigungsfeld. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der vorgelegte Entwurf gerade nicht den Status quo ante – zum Beispiel BAG vom 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – wiederherstellen möchte, der von einem Spezialitätsprinzip getragen war und nur einen Tarifvertrag pro Berufsgruppe vorsah. Vielmehr schränkt das Tarifeinheitsgesetz den Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz noch stärker als diese früher geltende und für verfassungsgemäß gehaltene Rechtsprechung ein. Ich hätte es daher vorgezogen, wenn man sich auf Maßnahmen beschränkt hätte, deren Verfassungsmäßigkeit außerhalb begründbaren Zweifels stehen. Zu nennen sind – wie in zahlreichen anderen europäischen Ländern – insbesondere Ankündigungsfristen, Schlichtungsverfahren oder die Koordination von Streikzeiten. Völlig unberücksichtigt geblieben sind zudem die schuldrechtlichen Beziehungen – Verträge bzw. öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse – zu Drittbetroffenen, die durch Streiks mittelbar beeinträchtigt werden. Während es hier im Fernverkehr der Eisenbahnen und im Luftverkehr klare Regelwerke gibt, herrscht im Bereich der – vor allem öffentlich-rechtlich organisierten – kommunalen Daseinsvorsorge ein unüberschaubarer Flickenteppich vor, der Dritte in zahlreichen Fällen – Kindergärten, ÖPNV, Frachtverkehr – einseitig belastet, andererseits aber in die von den Arbeitsgerichten vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Streiks bisher nicht sicher einbezogen wird. Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines „Gesetzes zur Tarifeinheit“ auf Bundestagsdrucksache 18/4062, über den am Freitag, dem 22. Mai 2015, abgestimmt werden wird, stimme ich zu, möchte aber folgendes dazu erklären: Bei der Tarifautonomie handelt es sich um eine So-zialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern. Da diese im Gespräch stattfindet, halte ich es für notwendig, dass der Gesetzgeber einen neuen Verfahrensweg initiiert. In den Bereichen der Daseinsfürsorge entspricht ein Schlichtungsverfahren den Rahmenbedingungen der sich verändernden Tariflandschaft. Deshalb würde ich mir folgenden Verfahrensablauf wünschen: 1. Schlichtungsverfahren 2. zeitliche Vorankündigung 3. Streik Die innerbetriebliche Kooperation ist ein hohes Kulturgut, welches auf diesem Wege gestärkt werden kann. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Dem Gesetz über Tarifeinheit stimme ich nur mit Bedenken zu. Wie ich in diversen Gremien und Diskussionen innerhalb meiner Fraktion dargelegt habe, sehe ich nicht unerhebliche (verfassungs-)rechtliche Risiken. Grundrechte schützen die abweichende Meinung, die Minderheit gegenüber dem Staat und der Mehrheit. Es spricht deshalb vieles dafür, dass es dem grundrechtlichen Schutz aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz nicht gerecht wird, wenn die Mehrheitsgewerkschaft gegenüber der Konkurrenz einer kleineren Gewerkschaft geschützt wird. Gleichwohl sind Betriebsfrieden und Verteilungsgerechtigkeit grundsätzlich ebenfalls gewichtige Ziele. Nach einer offenen Diskussion in meiner Fraktion, in der ich meine Auffassung eingebracht habe, die aber mehrheitlich zu einem anderen Ergebnis geführt hat, trage ich bei der heutigen Abstimmung trotz meiner Bedenken die gemeinsame Entscheidung mit. Barbara Woltmann (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetzentwurf zur Regelung der Tarifeinheit zu, habe aber weiterhin erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Unter verfassungsrechtlichem Aspekt ist festzustellen, dass der vom Gesetzentwurf intendierte Eingriff in die durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit durch das im Entwurf vorgesehene betriebsbezogene Mehrheitsprinzip meines Erachtens nur schwer zu rechtfertigen ist. Ich halte ihn daher für sehr bedenklich. Diese Gewährleistung soll einen „von staatlicher Rechtssetzung freien Raum“ sicherstellen – so das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung. Der vorliegende Gesetzentwurf widerspricht dieser Zielsetzung. Durch das Mehrheitsprinzip wird einer „Minderheitsgewerkschaft“ ihr eigentlicher Daseinszweck genommen: Ihr eigenständiger Kampf für einen Tarifvertrag. Sie besäße nur noch die Möglichkeit, den von der „Mehrheitsgewerkschaft“ ausgehandelten Tarifvertrag nachzuzeichnen. Dies konterkariert ihr grundrechtlich abgesichertes Arbeitskampfrecht. Zudem liegt hier eine – grundsätzlich denkbare – gesetzliche Regelung zur Gewährleistung kollidierender Verfassungsrechte Dritter nicht vor. Der vorgelegte Gesetzentwurf dient ausweislich seiner Begründung gerade nicht diesem Ziel, sondern ausdrücklich anderen Zwecken. Vor diesem Hintergrund erachte ich das verfassungsprozessrechtliche Risiko als hoch. Emmi Zeulner (CDU/CSU): Ich bin der Meinung, dass es höchst fraglich ist, dass dieses Gesetz verfassungskonform ist. Außerdem bezweifle ich, dass die ursprüngliche Intention der Gesetzesinitiative durch das vorliegende Gesetz erfüllt wird. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Roland Koch hat häufig gesagt, die Politik solle keine Probleme lösen, die die Menschen nicht haben. Genau das versucht aber das Tarifeinheitsgesetz: Es will eine Regelung für eine Möglichkeit herbeiführen, die bislang nur im Konjunktiv besteht. Selbst die Befürworter konzedieren: Für die augenblicklich das Land beschwerenden Streiks der GDL bietet das Tarifeinheitsgesetz keine Lösung. Es regelt aber Bereiche, die bislang auch ohne gesetzliche Intervention funktioniert haben. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass dies nicht auch in Zukunft funktionieren sollte. Deshalb ist das Tarifeinheitsgesetz überflüssig. Es spiegelt einen gesetzgeberischen Aktivismus, der den organisierten Interessen geschuldet ist, nicht aber der Erwägung des Gemeinwohls. Mithilfe des Tarifeinheitsgesetzes wollen der BDA und der DGB den Staat zum Instrument ihrer partikularen Interessen machen. Der DGB verspricht sich von dem Gesetz eine Vereinfachung des gewerkschaftlichen Wettbewerbs. Das Gesetz bietet die Möglichkeit, die gewerkschaftliche Pluralität durch das Recht der stärkeren Gewerkschaft einzuschränken und auszuhebeln und andere, nicht im DGB organisierte Gewerkschaften aus dem Tarifgeschäft zu drängen. Es ist ein Gesetz zur Herstellung eines DGB-Monopols. Der BDA verspricht sich von dem Gesetz eine Erleichterung der Tarifverhandlungen; wenn der DGB eine Monopolstellung bekommt, brauchen die Arbeitgeber nur mit einem Sozialpartner zu verhandeln. Nicht nur aus diesem Grunde ist von vielen Verfassungsrechtlern und auch in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages angezweifelt worden, dass dies Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Auch die Rechtspolitiker unserer Fraktion haben zu einem überwiegenden Teil das Gesetz als problematisch angesehen. Darüber hinaus ist die nicht von der Hand zu weisende Befürchtung geäußert worden, dass das Gesetz zu einer Zunahme gewerkschaftlichen Wettbewerbs in jenen Betrieben führt, in denen die gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse nicht eindeutig sind. Dies trägt Konflikte in Betriebe – und auch in die Arbeit von Betriebsräten –, in denen bislang kooperative Verhältnisse überwogen haben. Das Gesetz befriedet also nicht, sondern erreicht das genaue Gegenteil. Da überdies der Arbeitgeber über eine Änderung des Betriebsbegriffs auch die Mehrheitsverhältnisse gewerkschaftlicher Repräsentation beeinflussen kann, ist nicht auszuschließen, dass das im Gesetzgebungsprozess manifeste kollusive Verhalten von DGB und BDA sich auch in der Umsetzung in betrieblicher Praxis zulasten Dritter fortführt. Schließlich sind in den Anhörungen eine Reihe gravierender Umsetzungsprobleme benannt worden, die im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr angesprochen worden sind. Eines betrifft die Frage des Spannungsverhältnisses von Datenschutz und der Auskunft über Mitgliederzahlen. Da dies nicht geklärt ist kann im Zweifel nicht festgestellt werden, wer die stärkere Gewerkschaft ist. Das führt zu weiterer Rechtsunsicherheit. Die praktischen, rechtlichen und verfassungsrechtlichen Probleme sind im Gesetzgebungsverfahren nicht adressiert worden. Ebenso wenig ist der Nachweis erbracht worden, dass das Gesetz der notwendige Lösungsansatz zur Behebung eines aktuellen Problems ist. Da alleine dies schon fehlt, gilt der alte Satz von Montesquieu: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu erlassen. Deswegen lehne ich das Tarifeinheitsgesetz ab. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 933. Sitzung am 8. Mai 2015 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Agrar- und Fischerei-fonds-Informationen-Gesetzes und des Betäubungsmittelgesetzes – Zweite Verordnung zur Änderung der Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Verordnung – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme (DGSD-Umsetzungsgesetz) – Gesetz zur Weiterentwicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundespost – Gesetz zur Änderung des Personalausweisgesetzes zur Einführung eines Ersatz-Personalausweises und zur Änderung des Passgesetzes – Gesetz zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages – Gesetz zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG-Änderungsgesetz – GVVG-ÄndG) – Gesetz zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen – Zweites Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes und des Versicherungsteuergesetzes (Zweites Verkehrsteueränderungsgesetz – 2. VerkehrStÄndG) – Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes – Sechstes Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes – Neuntes Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften – Gesetz zu dem Beschluss des Rates vom 26. Mai 2014 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union – Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen vom 21. März 2014 und vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits – Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien andererseits – Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Moldau andererseits – Gesetz zur Neufassung der Anhänge F und G zum Übereinkommen vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2014 Drucksachen 18/4533, 18/4732 Nr. 3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2014 Drucksachen 18/4534, 18/4732 Nr. 4 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundesnetzagentur – Telekommunikation mit Sondergutachten der Monopolkommission – Telekommunikation 2013: Vielfalt auf den Märkten erhalten Drucksache 18/209 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundesnetzagentur – Post mit Sondergutachten der Monopolkommission – Post 2013: Wettbewerbsschutz effektivieren Drucksachen 18/210, 18/526 Nr. 1.1 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwanzigstes Hauptgutachten der Monopolkommission 2012/2013 Drucksachen 18/2150, 18/2530 Nr. 7 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwanzigstes Hauptgutachten der Monopolkommission 2012/2013 Drucksache 18/2150 hier: Stellungnahme der Bundesregierung Drucksachen 18/4721, 18/4865 Nr. 4 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2014/15 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Drucksache 18/3265 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Reformprogramm 2015 Drucksachen 18/4549, 18/4732 Nr. 5 Ausschuss für Arbeit und Soziales – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ergänzender Bericht der Bundesregierung zum Rentenversicherungsbericht 2012 (Alterssicherungsbericht 2012) und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2012 und zum Alterssicherungsbericht 2012 Drucksachen 17/11741, 18/641 Nr. 6 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Positionspapier der Bundesregierung zur Stärkung des europäischen Arbeitsmarktes – Maßnahmen zur Förderung der Jugendbeschäftigung in der Europäischen Union Drucksachen 17/14351, 18/641 Nr. 19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Eingliederungsbericht 2012 der Bundesagentur für Arbeit Drucksache 18/104 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Eingliederungsbericht 2013 der Bundesagentur für Arbeit Drucksachen 18/3856, 18/3961 Nr. 2 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwischenbericht des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ Drucksachen 17/4265, 18/770 Nr. 19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Abschlussbericht des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ Drucksachen 17/8117, 18/770 Nr. 21 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/4749 Nr. A.1 Ratsdokument 6759/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.2 Ratsdokument 7160/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.3 Ratsdokument 7423/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.4 Ratsdokument 7577/15 Drucksache 18/4857 Nr. A.1 EuB-BReg 23/2015 Drucksache 18/4857 Nr. A.2 Ratsdokument 7906/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/1048 Nr. A.11 Ratsdokument 7701/14 Drucksache 18/1048 Nr. A.12 Ratsdokument 7704/14 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/2533 Nr. A.57 Ratsdokument 11609/14 Drucksache 18/4504 Nr. A.12 Ratsdokument 6588/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.34 Ratsdokument 7152/15 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 18/3898 Nr. A.15 Ratsdokument 16855/14 Anlagen